Blinde oder Rollstuhlfahrer haben es oft nicht leicht auf Deutschlands Bahnhöfen. Zu hohe Stufen an den Bahnsteigen oder fehlende Durchsagen erschweren ihnen die Reise mit dem Zug. Nicht so in der hessischen Universitätsstadt Marburg. Brailleschrift auf Schildern und Treppengeländern sowie Rillen im Boden weisen den blinden Fahrgästen den Weg. Stufenfrei können die Reisenden auf die Bahnsteige und in die Züge gelangen.
Das barrierefreie Konzept würdigt die Allianz pro Schiene, eine Interessenvereinigung für den Schienenverkehr. Sie vergab den Titel „Bahnhof des Jahres“ in der Kategorie „Alltagsmobilität“ nach Marburg. Über ihre Homepage konnten Bahnreisende Vorschläge abgeben. Die meist genannten Bahnhöfe besuchte dann inkognito eine sechsköpfige Jury aus Mitgliedern von Verkehrsverbänden.
Nicht nur das barrierefreie Konzept überzeugte die Jury, gelobt wurde auch der neue Bahnhofsvorplatz der 2014 fertiggestellt wurde. Dort sind Fußgänger, Radfahrer, Busreisende und Autofahrer gleichberechtigt. Für den Durchgangsverkehr ist der Platz gesperrt. „Wenn alle Bahnhöfe in Deutschland solche Entwicklungen zuwege brächten, hätte der öffentliche Verkehr gewonnen“, heiß es im Statement der Jury.
Reisende können sich auf dem Gelände des Bahnhofs Fahrräder der Asta leihen. Wer nicht weiter reisen möchte, kann gleich vor Ort wohnen. Im Obergeschoss des Bahnhofs gibt es Studentenwohnungen. Auch ein günstiges Hostel befindet sich auf dem Gelände. Zudem können die Bahnreisenden in acht Läden einkaufen und für eine halbe Stunde das WLAN im Bahnhof kostenlos benutzen.
Mischung aus Moderne und Tradition
Nicht nur Marburg kann sich ab sofort „Bahnhof des Jahres“ nennen, sondern auch die thüringischen Bahnhöfe in Obstfelderschmiede und Lichtenhain. Sie gewannen den Preis in der Kategorie „Tourismusbahnhof“. Obstfelderschmiede ist die Talstation und Lichtenhain die Bergstation der Oberweißbacher Bergbahn, Deutschlands steilster Standseilbahn.
Besonders hob die Jury die Mitarbeiter der Bahnhöfe hervor. „Sie waren sehr hilfreich und es herrschte eine freundliche Atmosphäre, sodass sofort Urlaubsgefühle aufkamen“, sagt Dirk Flege, Jury-Mitglied und Allianz pro Schiene-Geschäftsführer.
Die Jury lobte die Mischung aus Moderne und Tradition. Die Gäste der Standseilbahn, die 1923 den Betrieb aufnahm, können in den Stationen per kostenlosem WLAN eine Smartphone-Tour absolvieren und so die Berg- und Talstation näher kennenlernen.
Oben auf dem Berg in Lichtenhain führen Schilder zu den Sehenswürdigkeiten der Region. Dazu gehören beispielsweise der bei Kindern beliebte Walderlebnispfad Fröbelwald oder das Feldbahnmuseum. In der Talstation können die Reisenden eine Spezialität essen. Nach einem bewährten Rezept wird eine Soljanka in Blechnäpfen serviert.
Bei der Preisverleihung war auch der Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt anwesend. Er nutzte die Gelegenheit, um sein Konzept für den Bahnverkehr vorzustellen. „Investieren, modernisieren und digitalisieren“ lautet sein Motto. Bis 2018 sollen viele kleinere Bahnhöfe barrierefrei werden.
„Das dies nicht in allen Bahnhöfen gelingt, versteht sich von selbst“, sagte Dobrindt. Insgesamt 28 Milliarden Euro investiert der Bund bis 2019 in das Schienennetz. Mit dem Geld sollen unter anderem Bahnhöfe und Züge mit WLAN versorgt und der Lärmschutz ausgebaut werden. Damit es in Zukunft mehr vorbildliche Bahnhöfe wie Marburg, Obstfelderschmiede oder Lichtenhain gibt.