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Wirtschaft Hoher Mindestbeitrag

Wenn die Krankenkasse die Existenz gefährdet

Chefökonomin
Wer selbstständig ist, hat die Wahl: Gesetzliche oder private Krankenversicherung sind möglich. Dabei gibt es keine Einkommensgrenzen Wer selbstständig ist, hat die Wahl: Gesetzliche oder private Krankenversicherung sind möglich. Dabei gibt es keine Einkommensgrenzen
Wer selbstständig ist, hat die Wahl: Gesetzliche oder private Krankenversicherung sind möglich. Dabei gibt es keine Einkommensgrenzen
Quelle: Getty
Viele Freiberufler können den hohen Mindestbeitrag in der gesetzlichen Krankenkasse nicht mehr stemmen. Die GroKo will den Schwellenwert halbieren. Denn wer nicht zahlt, muss mit schlimmen Folgen rechnen.

Für einkommensschwache Selbstständige ist die Krankenversicherung oft eine enorm teure Angelegenheit. Das gilt auch, wenn sie Mitglied in einer gesetzlichen Krankenkasse sind. Denn AOK, Barmer & Co. verlangen von den freiwillig Versicherten einen Mindestbeitrag, der von einem Gewinn ausgeht, den viele der Selbstständigen vor allem in der Gründungsphase oder bei einer Teilzeiterwerbstätigkeit gar nicht erwirtschaften.

Hinzu kommt, dass die Freiberufler im Gegensatz zu den abhängig Beschäftigten den gesamten Beitrag, also Arbeitgeber- plus Arbeitnehmeranteil, alleine schultern müssen. Derzeit sind das inklusive Pflegebeitrag monatlich mindestens 422,49 Euro. Weil dies vor allem etliche Solo-Selbstständige überfordert, verzeichnen die Krankenkassen immer höhere Beitragsrückstände, die zuletzt mit 6,15 Milliarden Euro einen neuen Rekord erreichten.

SPD und Union wollen das Problem jetzt angehen und stellen den Betroffenen eine Verbesserung in Aussicht. „Um kleine Selbstständige zu entlasten, werden wir die Bemessungsgrundlage für die Mindestkrankenversicherungsbeiträge von heute 2283,75 Euro auf 1150 nahezu halbieren“, heißt es im gesundheitspolitischen Kapitel des Koalitionsvertrags. Für die Krankenkassen werden die Mindereinnahmen auf 750 Millionen Euro im Jahr veranschlagt.

Quelle: Infografik Die Welt

Beim Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung hält man diese Maßnahme dennoch grundsätzlich für richtig. „In der Sozialversicherung sollte sich die Beitragshöhe nach der jeweiligen Leistungsfähigkeit richten“, sagt GKV-Sprecher Florian Lanz. In früheren Zeiten sei man bei Selbstständigen eher von Gutverdienern als Regelfall ausgegangen.

Mittlerweile gebe es aber auch viele Selbstständige ohne Beschäftigte und mit sehr kleinen Einkünften. Knapp zehn Prozent der Erwerbstätigen hierzulande arbeiten auf eigene Rechnung. Fast 60 Prozent sind Solo-Selbstständige, die zum Teil als IT-Kräfte oder Consultants einen hohen Verdienst haben, zum Teil aber auch als Pflegekräfte, Tagesmütter, Taxifahrer oder Marktstandbetreiber über wenig Geld verfügen. In der GKV sind derzeit mehr als 1,3 Millionen vollzeiterwerbstätige Selbstständige versichert – Tendenz steigend.

Wirtschaftsverbänden geht die Beitragsabsenkung nicht weit genug

Wirtschaftsverbände und Opposition halten die von SPD und Union angekündigte Absenkung des Mindestbeitrags zwar für einen Schritt in die richtige Richtung, der aber nicht weit genug geht. „Wir Selbstständigen wollen gleich behandelt werden wie alle anderen Beschäftigten“, fordert der Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD), Andreas Lutz.

Wer zwischen 435 Euro und 1150 Euro verdiene, werde auch bei der abgesenkten Schwelle künftig einen Mindestbeitrag zahlen müssen, der deutlich über dem Beitrag liegt, der für Angestellte mit gleichen Einkommen gelte, kritisiert der Verbandschef.

Quelle: Infografik Die Welt

Hinzu komme, dass die große Koalition eine Altersvorsorgepflicht für Selbstständige einführen wolle. Damit drohten kleinen Selbstständigen künftig eine Abgabenlast für Pflege, Gesundheit und Rente von bis zu 60 Prozent, sagt Lutz und warnt: „Durch die halbherzige Absenkung in Verbindung mit der gleichzeitigen Einführung einer Altersvorsorgepflicht verschärft die GroKo die ohnehin vorhandene Teilzeitfalle bei Selbstständigen.“ Vor allem viele Frauen, die nicht oder nur sehr wenig verdienten und deshalb beitragsfrei über ihre Partner versichert seien, würden davon abgehalten, mehr als 450 Euro im Monat zu verdienen.

FDP: Absenkung auf Mindestbeitrag reicht nicht aus

Auch die FDP hält die Ankündigung der potenziellen Koalitionspartner für völlig unzureichend. Freelancer und andere Selbstständige seien keine Erwerbstätigen zweiter Klasse, sagt der Arbeitsmarktexperte der Liberalen, Johannes Vogel. „Die Politik muss deren Selbstbestimmung respektieren, anstatt sie durch Bürokratie und ungerechtfertigt hohe Krankenversicherungsbeiträge zu gängeln.“

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Die Absenkung des Mindestbeitrags auf ein „etwas niedrigeres, aber ebenso willkürliches Niveau“ reiche nicht, so der FDP-Politiker. Die Beiträge der Selbstständigen sollten sich vielmehr für alle an den tatsächlichen Einnahmen orientieren, wie dies auch bei der Steuer der Fall sei. Die FDP-Fraktion will deshalb einen Antrag in den Bundestag einbringen, der die vollständige Gleichbehandlung der Selbstständigen bei den Krankenkassenbeiträgen vorsieht.

Die Mindestbeitragsbemessungsgrenze soll auf 450 Euro abgesenkt werden, was etwa einem Fünftel der derzeit noch geltenden Höhe entspräche. Selbstständige müssten heute teilweise über 40 Prozent ihres Einkommens für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung aufwenden, heißt es in dem Antrag. Damit stünden die von Selbstständigen mit kleinen Einkommen zu leistenden Beiträge in einem krassen Missverhältnis zu ihren tatsächlichen Einnahmen.

„Die Bürgerversicherung wird kommen!“

„Die Bürgerversicherung wird kommen!“ Das sagte Karl Lauterbach der WELT AM SONNTAG. Das Ende der privaten Krankenkassen sei nur eine Frage der Zeit, so der SPD-Gesundheitsexperte.

Quelle: WELT/ Louisa Lagé

Vor allem für Solo-Selbstständige sei diese hohe finanzielle Belastung mitunter existenzbedrohend, so die Begründung des FDP-Antrags. In der vergangenen Legislaturperiode hatten bereits die Linken einen Antrag auf drastische Absenkung des Krankenkassenmindestbeitrags eingebracht – und scheiterten damals. Der größte Widerstand kam dabei von der Union.

Wenn Selbstständige ihre Kassenbeiträge nicht zahlen, hat dies unangenehme Folgen. Zwar verlieren sie nicht ihren Versicherungsschutz, rutschen aber in eine Art „Notlagentarif“. Damit hat der Betroffene weiterhin Anspruch auf alle Leistungen, die akut notwendig sind. Doch Zahnersatz oder nicht nötige Operationen wie zum Beispiel der Einsatz einer neuen Hüfte werden dann allenfalls in Ausnahmen gewährt. Beitragsfrei mitversicherte Kinder oder Ehepartner bleiben von diesen Einschränkungen aber verschont.

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