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Meinung „Abwrackprämie“

Regierung muss Subventionsdrang der Autohersteller widerstehen

Wirtschaftsreporter
Die deutschen Automobilkonzerne haben wesentliche Trends des Marktes zu spät erkannt oder bedient, meint WELT-Autor Olaf Preuß Die deutschen Automobilkonzerne haben wesentliche Trends des Marktes zu spät erkannt oder bedient, meint WELT-Autor Olaf Preuß
Die deutschen Automobilkonzerne haben wesentliche Trends des Marktes zu spät erkannt oder bedient, meint WELT-Autor Olaf Preuß
Quelle: Getty Images/Anton Petrus, Bertold Fabricius PRESSEBILD.DE
Die Autobranche wird durch die Corona-Krise hart getroffen. Trotzdem darf die Bundesregierung als Antwort nicht noch mehr Subventionen verteilen. Die Industrie muss sich gesundschrumpfen – und schon einmal hat der Staat das mit Steuergeldern verhindert.

Es ist immer derselbe Reflex, der mit immer denselben Argumenten bedient wird, wenn die deutsche Automobilwirtschaft neue oder noch höhere staatliche Kaufprämien fordert: Die Branche sei der wichtigste Industriezweig in Deutschland, die Pkw-Flotte könne eine Runderneuerung allein schon im Sinne des Umwelt- und Klimaschutzes gut gebrauchen, die gesetzlichen Vorgaben veränderten sich bereits unter normalen Bedingungen viel zu schnell.

Und so ist es auch dieses Mal wieder gekommen in den Diskussionen der Branche gemeinsam mit ihrem Spitzenverband VDA und der Politik – mitten in der Corona-Pandemie. Heute öffnen die Autohäuser wieder für den Verkauf, diese Woche nehmen die ersten Automobilfabriken ihre Produktion wieder auf. Doch niemand vermag seriös einzuschätzen, wie viele Fahrzeuge die Hersteller in Deutschland überhaupt absetzen können.

Vermutlich spätestens beim nächsten „Autogipfel“ im Bundeskanzleramt Anfang Mai wird die Automobilindustrie der Regierung konkrete Vorschläge und Forderungen für zusätzliche Kaufanreize der öffentlichen Hand unterbreiten. Ob diese Stützungsaktion dann „Abwrackprämie 2.0“ heißen soll oder ob sie einen zeitgemäßeren Namen bekäme, ist zweitrangig: Die Bundesregierung muss das absehbare Begehren nach zusätzlichen Subventionen zurückweisen. Die Automobilbranche in Deutschland muss sich gesundschrumpfen.

Mit Blick auf den deutschen und westeuropäischen Markt hat die heimische Automobilindustrie derzeit eine strukturelle Überkapazität von vermutlich mindestens einer Million Fahrzeugen. Das liegt auch, aber bei Weitem nicht nur, an den Folgen der Pandemie.

Hersteller haben den Wandel verdrängt

Die „Abwrackprämie“ des Bundes während der Finanzmarktkrise im Jahr 2009 trug seinerzeit nicht nur dazu bei, den Schock für die Gesamtwirtschaft zu lindern, sie konservierte auch damals schon bestehende Überkapazitäten in der Branche.

Die Autoindustrie hätte die Zäsur als Chance zum Neustart nutzen müssen – um vor zehn Jahren schon eine weltweite Führungsrolle bei der grundlegenden technologischen Modernisierung der Fahrzeugflotten einzunehmen, um die Herstellung von Autos mit weit geringerem Spritverbrauch voranzutreiben und um überzeugende Konzepte für die Elektromobilität hervorzubringen.

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Das ist der deutschen Autoindustrie nicht gelungen. Sie zeichnete stattdessen im 2015 öffentlich gewordenen Dieselskandal verantwortlich für einen Großbetrug am Verbraucher – und manche ihrer Vertreter besaßen dennoch die Chuzpe, bald danach Austauschprämien für die inkriminierten Dieselfahrzeuge zu fordern.

Die Branche bediente den Wunsch vieler Autokäufer nach größeren und schwereren Fahrzeugen, sie steigerte massiv den Marktanteil von SUV, versäumte aber die Entwicklung neuer, ultraleichter Fahrzeugmodelle mit minimalem Verbrauch an Benzin oder Diesel. Sie produzierte qualitativ hochwertige Fahrzeuge, übersah aber zu lange, dass immer mehr Menschen gar kein selbst gekauftes Auto mehr fahren wollen.

Dem Druck der Branche widerstehen

Die Vorreiterrolle bei der Fertigung batterieelektrischer Fahrzeuge überließen die deutschen Automobilhersteller unterdessen dem US-Konkurrenten Tesla, die Marktführung bei Autos mit Wasserstoff-Brennstoffzelle sicherte sich der japanische Konzern Toyota – obwohl bei Volkswagen, BMW und Daimler die besten Automobilentwickler der Welt arbeiten, obwohl auch diese Unternehmen mindestens so fähige IT-Ingenieure beschäftigen wie Tesla und so geniale Tüftler wie Toyota. Die deutschen Automobilkonzerne haben wesentliche Trends des Marktes zu spät erkannt oder bedient.

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Auch dafür wollen sie nun letztlich erneut die Hilfe des Steuerzahlers in Anspruch nehmen – zusätzliche Subventionen wohlgemerkt, denn der Kauf eines Elektrofahrzeuges wird heute bereits mit bis zu 6000 Euro „Umweltprämie“ gefördert. Hinzu kommen indirekte Unterstützungen für das Automobil wie die Pendlerpauschale.

Die Bundesregierung sollte sich auf neue Subventionen für die Branche nicht einlassen und dem Druck widerstehen, den die Unternehmen jetzt aufbauen. Die Automobilindustrie in Deutschland wird in den kommenden Jahren Überkapazitäten und damit auch Stellen abbauen müssen, so wie viele andere Wirtschaftszweige auch. Die deutsche Automobilbranche und der Markt – sie müssen endlich wieder besser zueinanderfinden.

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