Der Einsatz chemischer Waffen ist zwar seit fast 100 Jahren verboten. Tatsächlich kommen sie aber immer wieder zur Anwendung. Nach WELT-Informationen prüft die Bundeswehr jetzt in einer Machbarkeitsstudie die Herstellung eines Schnelltests für Senfgas-Vergiftungen von Soldaten im Einsatz.
Bis der verfügbar wäre, würde es aber Jahre dauern. Zunächst soll in einer Mitte Oktober vereinbarten dreijährigen Studie erkundet werden, ob ein Senfgas-Schnelltest, ähnlich wie die Millionen Corona-Tests, mit ein paar Tropfen Flüssigkeit überhaupt möglich ist.
Daher könne noch keine Aussage getroffen werden, ob und wann ein Senfgas-Schnelltest dann zur Verfügung stehen würde, heißt es auf Anfrage bei der Beschaffungsbehörde der Bundeswehr (BAAINBw).
Von dieser Stelle gibt es keine Bewertung über das Risiko einer Senfgas-Vergiftung für Soldaten – möglicherweise bei Auslandseinsätzen. „Zur Einschätzung der Senfgas-Gefahr durch den Bedarfsträger liegen keine Informationen vor“, heißt es bei der Beschaffungsbehörde.
Die Machbarkeitsstudie soll das Göttinger Spezialunternehmen Mikrobiologische Diagnostik GmbH (miprolab) erstellen. Die Kosten werden auf 580.000 Euro veranschlagt, wie aus einer Ausschreibungsdatenbank hervorgeht.
Formal gefordert wird eine „Machbarkeitsstudie zur Herstellung eines Lateral-Flow-Assays zur Schnelldiagnostik von Schwefellost (S-Lost)-Vergiftungen im Feld“. Wissenschaftler verwenden häufig den Begriff S-Lost, wenn sie Senfgas meinen, wie der chemische Kampfstoff umgangssprachlich heißt. S-Lost gehört zu den altbekannten Kampfstoffen und führte bereits im 1. Weltkrieg zu Tausenden Toten.
Das Göttinger Unternehmen ist auf die Entwicklung und Produktion unkomplizierter Schnelltests spezialisiert. So hat miprolab laut Angaben im Internet bereits Soldaten-Schnelltests für diverse Kampfstoffe und gefährliche Bakterien entwickelt, etwa zum Nachweis des Pflanzengifts Ricin. In der Branche wird der Begriff „dirty dozon“ verwendet, um ein Dutzend gefährliche biologische und chemische Kampfstoffe zu umschreiben.
Bei der Entwicklung der Schnelltests arbeitet miprolab mit der Schweizer Armee, dem Schweizer Fachlabor Spiez für den Bevölkerungsschutz, der Bundeswehr und dem Wehrwissenschaftlichen Institut für Schutztechnologien in Munster zusammen. Die beauftragte Machbarkeitsstudie ist den Angaben zufolge auch darauf zurückzuführen, dass ein zuvor verfügbarer Detektor für den Senfgas-Nachweis nicht mehr hergestellt wird. Dabei handelte es sich aber nicht um einen Schnelltest.
Der chemische Kampfstoff Senfgas ist ein starkes Hautgift und krebserregend für den Menschen und kann wohl zu Lungenkrebs führen. Die Wirkung auf die Haut ist vergleichbar mit starken Verbrennungen oder Verätzungen.
Werden die Dämpfe eingeatmet, werden die Bronchien zerstört. Die Stoffgruppe der Loste sind in reiner Form farb- und geruchlose Flüssigkeiten. Daher trifft die Bezeichnung Gas für diese Substanzen im strengen Sinne nicht zu.
Einsatz seit 1925, Herstellung seit 1997 verboten
Der Einsatz chemischer Waffen, worunter auch Senfgas fällt, ist seit 1925 durch das Inkrafttreten des Genfer Protokolls verboten. 1997 trat das internationale Chemiewaffenübereinkommen in Kraft, das auch die Herstellung untersagt. Die internationale Organisation OPCW setzt sich für die Vernichtung ein und kontrolliert.
Dennoch gibt es immer wieder Berichte über den Einsatz von Senfgas. 1988 fielen auf die irakische Stadt Halabdscha Gasbomben von Saddam Husseins Armee. Der Diktator wollte ein Exempel an der kurdischen Minderheit statuieren.
Im ersten Golfkrieg zwischen dem Iran und Irak 1980 bis 1988 gab es mehrere Senfgas-Einsätze. Oder beispielsweise 2015/2016 durch die Terrormiliz Islamischer Staat gegen Kurden sowie beim Abschuss einer Senfgasgranate auf einen Militärstützpunkt mit amerikanischen und irakischen Soldaten.