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Satelliten sollen Stürme im Treibhaus vermessen

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Eine Aufnahme des gewaltigen Wirbelsturms Irma, wie er sich am 10. September 2017 der US-Küste nähert Eine Aufnahme des gewaltigen Wirbelsturms Irma, wie er sich am 10. September 2017 der US-Küste nähert
Eine Aufnahme des gewaltigen Wirbelsturms Irma, wie er sich am 10. September 2017 der US-Küste nähert
Quelle: Getty Images
Bei Anne Will diskutierten die Gäste am Sonntag auch über das Thema Wind. Wird der Klimawandel uns neben schmelzenden Gletschern auch mehr Stürme bescheren – oder gar heftigere? Das ist schwieriger zu beantworten als es scheint.

In der Talkshow „Anne Will“ ging es am Sonntag um die „Fridays for Future“-Demonstrationen, angestoßen von der 16-jährigen Schwedin Greta Thunberg. Die Gäste debattierten vor allem über die Frage, ob die Teilnahme an den Demos das Schulschwänzen der protestierenden Kinder und Jugendlichen rechtfertigen könne.

Am Rande ging es in der Runde, bestehend aus der Dortmunder „Fridays for Future“-Aktivistin Therese Kah, dem stellvertretenden FDP-Vorsitzenden Wolfgang Kubicki, dem Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck, dem Ministerpräsidenten Sachsen-Anhalts Reiner Haseloff und dem Wissenschaftler Harald Lesch, auch noch um etwas anderes: das Thema Wind.

Wenn verheerende Stürme wie in den USA erst einmal in Europa einträfen, würde über Schulpflicht gar nicht mehr gesprochen werden, sagte Lesch in diesem Zusammenhang. Das ist sicher richtig. Doch es wirft die Frage auf, ob es in Deutschland durch den Klimawandel mehr oder gar heftigere Stürme geben wird. Welche Risiken drohen uns durch Wetterextreme?

Die Welt schlafwandelt in eine Katastrophe

Zu Beginn des jährlichen Weltwirtschaftsgipfels in Davos wird Ende Januar stets ein Expertenbericht mit den größten, die Menschheit bedrohenden Risiken vorgestellt. Erstmals in der Geschichte des World Economic Forum (WEF) wurden in diesem Jahr gleich auf den drei ersten Plätzen allesamt Herausforderungen genannt, die sich aus dem globalen Klimawandel ergeben.

Als größtes konkretes Risiko wurde in diesem Bericht die Zunahme von Wetterextremen identifiziert. Die Autoren der WEF-Studie finden drastische Worte: „Von allen Risiken ist es bei der Umwelt am offensichtlichsten, dass die Welt in eine Katastrophe schlafwandelt.“

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Tropische Wirbelstürme haben nach Analysen des weltgrößten Rückversicherers Munich Re im vergangenen Jahr volkswirtschaftliche Schäden in Höhe von mehr als 44 Milliarden Euro verursacht – deutlich über dem langjährigen Mittelwert von rund 30 Milliarden Euro. Allerdings hatte es 2017 ein besonderes Katastrophenjahr gegeben, in denen Wirbelstürme sogar Schäden in dreistelliger Milliardenhöhe verursacht haben.

In Deutschland kann es zwar zum Glück keine tropischen Wirbelstürme geben, weil diese ihre Energie aus der warmen Oberfläche der Meere beziehen. Sie wachsen stets erst über den Ozeanen zu turbulenten Monstern heran, bevor sie möglicherweise auf eine Küste treffen und dann an Land große Verwüstungen verursachen. Doch auch „normale“ Stürme, die sich schlicht aus dem atmosphärischen Gefälle zwischen Hoch- und Tiefdruckgebieten ergeben, können durchaus verheerende Schäden anrichten.

Dass es in den vergangenen Jahren auch hierzulande zu schweren Sturmereignissen gekommen ist, haben nicht nur Kunden der Deutschen Bahn angesichts tagelanger Streckensperrungen infolge der auf Gleise gestürzten Bäume bemerkt. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherer (GDV) bilanzierte für 2017 eine Schadenssumme durch Stürme von 2,6 Milliarden Euro, im Jahr zuvor waren es noch 1,6 Milliarden Euro gewesen. Und auch 2018, so stellt GDV-Chef Wolfgang Weiler fest, zählte hierzulande zu den vier schwersten Sturmjahren der vergangenen 20 Jahre.

Ist die Zunahme der Stärke von Stürmen eine Folge des globalen Klimawandels? Und müssen wir künftig mit noch heftigeren Sturmereignissen rechnen? Einen Beweis dafür, dass ein konkreter Sturm die Folge des Klimawandels ist, lässt sich grundsätzlich nicht liefern. Schließlich hat es Stürme – auch sehr heftige – schon immer gegeben und nicht erst seit dem industriellen Zeitalter. Es geht hier also um die Frage, ob die Zahl und/oder die Intensität von Starksturmereignissen bereits zugenommen hat beziehungsweise in Zukunft weiter ansteigen wird.

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Die Datenlage reicht bislang noch nicht aus, um statistisch eindeutig belegen zu können, dass der Klimawandel für eine Zunahme von Starkwinden verantwortlich ist. Es gibt bislang ja nicht einmal eine weltweite Vermessung der Winde, sodass man daraus auf eine mittlere Windenergie und gegebenenfalls auf eine Zunahme dieses Wertes schließen könnte.

Anders sieht die wissenschaftliche Beweiskraft bei der mittleren globalen Temperatur der Erdatmosphäre aus. Erst kürzlich haben US-Forscher der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) darauf hingewiesen, dass seit Beginn des Industriezeitalters die mittlere Temperatur auf unserem Planeten um ein Grad Celsius angestiegen ist. Dies lässt sich schwerlich anzweifeln und lässt sich auch mit den existierenden Klimamodellen gut beschreiben.

Der Blick in die Vergangenheit ist bekanntlich immer einfacher als der in die Zukunft. Die Schwankungsbreite der relevanten Parameter und die Unsicherheiten der mathematischen Modelle ist so groß, dass bis von den IPCC-Forschern, dem Intergovernmental Panel on Climate Change, bis zum Ende des Jahrhunderts ein Temperaturanstieg von zwei bis fünf Grad Celsius prognostiziert wird. Doch es handelt sich immerhin eindeutig um einen Anstieg. Der Wetterdienst meldete, dass 2018 das bislang wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen gewesen sei.

Höhere Temperatur bedeutet mehr Energie

Auch wenn bei den Stürmen eine so klare Prognose wie bei den Temperaturen bislang noch nicht möglich ist, so lassen sich dennoch einige grundsätzliche Vorhersagen beim Thema Wind machen. Physiker können manchmal verblüffende Vorhersagen machen, ohne über vermeintlich notwendiges Detailwissen zu verfügen: Wenn die mittlere Temperatur der Erde zunimmt, dann nimmt zwangsläufig auch die in der Atmosphäre vorhandene Energie zu.

Wenn dort aber grundsätzlich mehr Energie existiert, dann kann diese Energie auch in Wetterereignissen umgesetzt werden. Es ist also plausibel, dass es in einer wärmeren Welt mehr Gewitter, mehr Sturm und mehr Hagel geben wird – und mehr Turbulenzen, die Flugreisende durchschütteln werden.

Soweit die Theorie. Aus dieser grundsätzlichen Überlegung, lässt sich nun allerdings noch nicht im Detail ableiten, wo konkret mit welchen Wetterkapriolen zu rechnen ist. Das Wetter bleibt eine chaotische, hochstatistische Angelegenheit, die erst mit einem Blick über Jahre und Jahrzehnte die klimatischen Trends offenbart. Auch wenn an dieser Stelle noch viel Forschungsarbeit zu leisten ist, so rechnet doch der Deutsche Wetterdienst auf der Basis der bisherigen Beobachtungen hierzulande mit einer Zunahme von Stürmen.

Bei den tropischen Wirbelstürmen scheinen die wissenschaftlichen Zusammenhänge auf den ersten Blick einfacher zu sein. Wenn, wie es ja Messungen belegen, die Oberflächentemperatur der Meere ansteigt, dann steht prinzipiell auch mehr Energie zur Verdunstung von Wasser zur Verfügung. Wirbelstürme können dann kräftiger und gefährlicher werden. Doch ob dies tatsächlich zu einer größeren Zahl von tropischen Wirbelstürmen führen wird, ist noch Gegenstand wissenschaftlicher Analysen und Diskussionen.

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Um besser zu verstehen, wie sich die Energien im hochkomplexen globalen Windsystem verteilen und wo dann letztlich mit mehr und wo möglicherweise auch mit weniger Wind zu rechnen ist, müsste man zunächst einmal ein Lagebild haben, wo gerade welcher Wind mit welcher Stärke weht – und das weltweit und über die verschiedenen atmosphärischen Schichten hinweg.

Das würde nicht nur bessere Wettervorhersagen ermöglichen, das würde es auch Klimaforschern einfacher machen, die Dynamik der Erdatmosphäre besser zu verstehen. Bessere Klimamodelle, insbesondere bessere Aussagen über die wahrscheinliche Zunahme von Starkwindereignissen wären dann denkbar.

Erstaunlicherweise gibt es bislang erst einen Satelliten, der solche weltweiten Windprofile und Windgeschwindigkeiten in unterschiedlichen Höhen messen kann. Es ist der Esa-Satellit „Aeolus“, benannt nach dem griechischen Gott der Winde, der im August 2018 in eine rund 300 Kilometer hohe Erdumlaufbahn geschossen wurde.

Der 1,4 Tonnen schwere Satellit umkreist die Erde täglich 15 Mal. „Aeolus“ tastet die Atmosphäre mit den Lichtpulsen eines UV-Lasers ab. Das von den Molekülen zurückgestreute Licht kann dann vom Satelliten wieder aufgefangen werden. Darin ist die Information versteckt, wie schnell sich die Moleküle bewegen.

Vermessung der irdischen Winde bleibt Zukunftsziel

Doch „Aeolus“ ist zunächst einmal nur ein Satellit, mit dem die neue Messtechnologie getestet werden soll. Wollte man dann tatsächlich die Winde weltweit flächendeckend in der Erdatmosphäre messen, bräuchte man dafür mindestens sechs solcher Satelliten. Wir sind also viele Jahre einer globalen Windkartierung in Echtzeit entfernt.

Es wird also bis auf Weiteres so bleiben, dass nach jeder Sturmkatastrophe erneut die Frage gestellt wird: „War der Klimawandel dafür verantwortlich?“ Und die Antwort wird ungefähr so lauten: Im Einzelfall lässt sich das nicht behaupten. Aber es spricht wissenschaftlich viel dafür, dass es grundsätzlich mehr Stürme geben muss.

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