WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Wissenschaft
  3. Schweinegrippe: Experten beruhigen Deutsche nach Infektionen

Wissenschaft Schweinegrippe

Experten beruhigen Deutsche nach Infektionen

Drei Menschen sind in Deutschland bislang an der Schweinegrippe erkrankt. Das Robert-Koch-Institut betonte allerdings, dass es derzeit nach wie vor keine allgemeine Gefährdung durch das Virus gebe. Bundeskanzlerin Angela Merkel lässt dennoch zur Sicherheit die nationalen Pläne gegen Grippeepidemien überprüfen.

In Deutschland sind laut Robert-Koch-Institut (RKI) eine 22 Jahre alte Frau in Hamburg, eine 37-jährige Frau im bayerischen Kulmbach sowie ein Mann Ende 30 in der Uni-Klinik Regensburg von der Schweinegrippe betroffen. Alle drei waren vor kurzem in Mexiko. Es besteht keine Lebensgefahr. Die Frau aus Kulmbach sei sogar bereits wieder vollständig genesen, sagte Bayerns Gesundheitsminister Markus Söder (CSU) in München. Bei dem Mann aus dem Raum Regensburg wiederum sei, „was seine Grippesymptome betrifft, eine Besserung zu verzeichnen“. Er wurde mit Tamiflu behandelt.

In Bayern gibt es den Angaben zufolge weitere vier Verdachtsfälle, auch aus anderen Bundesländern wurden welche gemeldet. Die Untersuchungen dazu laufen noch. „Die Lage ist sehr, sehr ernstzunehmen“, sagte Söder. Es deuteten sich neben den drei bestätigten Fällen weitere Erkrankungen an Schweinegrippe an.

Das RKI betonte, dass es derzeit nach wie vor keine allgemeine Gefährdung durch die Schweinegrippe gebe. Generell empfohlene persönliche Hygienemaßnahmen sollten aber besonders beachtet werden, vor allem bei Kontakt zu Reiserückkehrern aus den betroffenen Regionen. Empfohlen wird häufiges Händewaschen. Außerdem sollten die Hände vom Gesicht ferngehalten werden, da die Erreger auf die Schleimhäute von Augen, Nase und Mund übergehen können.

Im Robert-Koch-Institut besteht seit Freitag ein internes Krisenzentrum. Mit der Vorbereitung für die Herstellung eines Impfstoffs wurde laut WHO begonnen. Bis zur Fertigstellung dauert es nach Angaben des RKI jedoch bis zu drei Monate. Die erste Phase der in Wellen verlaufenden Pandemie müsste somit ohne Impfstoff überstanden werden.

Für Deutschland wird dem Nationalen Pandemieplan zufolge im Gesundheitsministerium der interne Krisenstab einberufen. Dieser hält über das Robert-Koch-Institut Kontakt zur WHO. Die Bundesregierung verzichtet vorerst auf die Einberufung der Krisenstäbe, da die Kooperation bislang aus ihrer Sicht bisher ausreichend funktioniert.

Bundeskanzlerin Angela Merkel lässt zur Sicherheit noch einmal die nationalen Pläne gegen Grippeepidemien überprüfen. Die Kanzlerin sagte , sie habe im Kabinett Gesundheitsministerin Ulla Schmidt gebeten, mit ihren Kollegen in den Bundesländern zu sprechen. So solle sichergestellt werden, dass die notwendigen Medikamente durch die Länder bereitgestellt werden könnten und dass man in allen Bereichen gut vorbereitet sei.

Die Bundesbürger müssten sich darauf verlassen können, „dass die Regierung das Mögliche und Notwendige tut“, sagte Merkel. Denn inzwischen gebe es Fälle der sogenannten Schweinegrippe auch im Bundesgebiet.


Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt sagte, in Deutschland werde derzeit alles getan, damit es nicht zu einer Grippe-Pandemie komme. Aber „niemand von uns weiß, wie die Dynamik weiter geht.“ Deutschland habe sich „sehr früh und sehr umsichtig vorbereitet“ gegen das neue Grippevirus, sagte Schmidt. Das Informations- und Kommunikationsnetz sei spätestens seit Ausbruch der Vogelgrippe aufgebaut. Wenn es überhaupt eine Chance gebe, das Ausbreiten der Krankheit zu stoppen, müssten die Infektionswege frühzeitig unterbrochen werden. Antivirale Mittel wie Tamiflu wirkten, sagte die Gesundheitsministerin. „Das bedeutet nicht, dass man die Grippe auf die leichte Schulter nehmen sollte.“ Schmidt appellierte an Bundesbürger, die mit Grippesymptomen aus dem Ausland anreisten, sofort einen Arzt aufzusuchen. „Wer nicht unbedingt nach Mexiko jetzt reisen muss und das verschieben kann, sollte das verschieben.“

Kein ausreichender Impfstoff

Anzeige

Dem RKI zufolge muss davon ausgegangen werden, dass zunächst nicht ausreichend Impfstoff für die gesamte Bevölkerung zur Verfügung steht. Laut deutschem Pandemieplan soll der Impfstoff so verteilt werden, dass die medizinische Versorgung und die öffentliche Ordnung aufrechterhalten bleiben. Mitglieder von Polizei, Feuerwehr und medizinisches Personal würden daher vorrangig geimpft. Ebenso soll ein Personalausfall bei der Versorgung mit Nahrung, Trinkwasser, Energie sowie bei der Aufrechterhaltung der Kommunikation vermieden werden. Auch so genannte Risikogruppen sollen vorrangig einen Impfschutz erhalten. Dazu zählen ältere Bürger, Kinder und Menschen mit Vorerkrankungen.

Die Hamburger Bischöfin Maria Jepsen warnte vor Panikmache. „Angst oder gar Panik lähmen uns“, sagte sie der evangelischen Wochenzeitschrift „Die Nordelbische“. Sie rief dazu auf, die Grippekranken und die Bewohner betroffener Landstriche in die Fürbittengebete einzuschließen. Dies sei umso wichtiger, wenn in Mexiko sogar Gottesdienste aus Angst vor Ansteckung abgesagt würden. Sie selbst halte sich in angstbesetzten Situation an das Bibelwort: „All eure Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch.“

Der Berliner Immunologe Stefan Kaufmann wies auf das relativ niedrige Gefahrenpotenzial der Schweinegrippe hin und vor Panikmache gewarnt: Nur etwa ein Prozent der Infizierten ist demnach in Lebensgefahr. Bei einer Infektion mit der Vogelgrippe betrage die Todesrate hingegen 30 bis 50 Prozent. Die Schweinegrippe sei gefährlich, weil sie von Mensch zu Mensch übertragen werde, sagte der Professor vom Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie in Berlin.

Die Furcht vor der Schweinegrippe wird nach Ansicht des Göttinger Angstforschers Borwin Bandelow in wenigen Wochen abebben. „Die große Panik lässt nach etwa einem Monat nach“, sagte der Professor für Psychiatrie . „Nach vier Wochen fangen sich die Leute wieder. Das ist immer so.“ Der Leiter der Göttinger Angstambulanz hat auch die Reaktionen auf die Vogelgrippe, SARS und die Terroranschläge vom 11. September 2001 beobachtet. Den meisten Menschen mache die Schweinegrippe vor allem deshalb Angst, weil sie wie aus dem Nichts aufgetaucht sei und kaum beherrschbar wirke. „Alles, was neu ist, ist bedrohlich.“

Neue Gefahren würden in ihrer Bedrohlichkeit überschätzt, bekannte dagegen unterbewertet. Obwohl in Deutschland die meisten Menschen an Herz-Kreislauf-Erkrankungen sterben, habe kaum jemand wirklich Angst davor. „Viele haben schon Übergewicht oder Bluthochdruck und nehmen trotzdem nicht ab, bewegen sich zu wenig oder vergessen, ihre Medikamente zu nehmen. Sie sind dann nachlässig“, sagte Bandelow. „Wenn eine Pandemie droht, ist das anders. Dann herrscht gleich Alarmbereitschaft.“

Die US-Regierung bestätigte heute den ersten Todesfall durch die Schweinegrippe. Das verstorbene Kleinkind stammt allerdings aus Mexiko. Dies sagte eine Sprecherin des Gesundheitsamts von Houston dem Sender CNN. „Die Familie war nach Südtexas gereist“, sagte sie. „Das Kind wurde krank und sie brachten das Kind zur medizinischen Versorgung nach Houston.“ Das 23 Monate alte Kind war der erste Todesfall in den USA und auch außerhalb Mexikos im Zusammenhang mit der Schweinegrippe. Laut der Weltgesundheitsorganisation waren bis heute Morgen in den USA 64 Erkrankungsfälle mit dem A/H1N1 bestätigt.

In Mexiko senkte Gesundheitsminister José Angel Córdova die Zahl der zweifelsfrei durch Schweinegrippe verursachten Todesfälle von bislang 20 auf sieben herab. Es gebe aber weitere 159 Fälle, in denen das A/H1N1-Virus als Todesursache vermutet werde. Dies sei aber noch nicht bestätigt. Bislang hätten die Gesundheitsbehörden knapp 2500 mögliche Infektionen mit Schweinegrippe gezählt, sagte Córdova. Von den betroffenen Patienten seien 1311 noch im Krankenhaus.

Anzeige

Die Angst vor der Schweinegrippe legte das öffentliche Leben in Mexiko weitgehend lahm. Schulen und Universitäten blieben weiter geschlossen, in Mexiko-Stadt zudem alle Sportstätten, Kinos und Theater. Lokale durften nur Bestellungen für außer Haus annehmen. Die archäologischen Stätten im Land, darunter weltberühmte Bauwerke der Azteken und Maya, wurden bis auf weiteres geschlossen. Bei einer Parlamentssitzung trugen die Abgeordneten Atemmasken.

Laut der Weltgesundheitsorganisation sind in Kanada sechs bestätigte Erkrankungen gemeldet, in Neuseeland drei sowie in Großbritannien, Israel und Spanien je zwei. Hinzu kamen unzählige weitere Verdachtsfälle, auch in weiteren Ländern.

AP/dpa/gr/str

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema