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Weltraum Antriebskonzepte

Bei Mach 5 mit V1-Technik nahe am Schmelzpunkt

Für superschnelle Passagierflieger der Zukunft wird an neuen Antriebskonzepten getüftelt: von extremer Kühlung bis zum Prinzip der deutschen V1-Rakete – Forscher denken in alle Richtungen.

Es war der 5. Juli 2000, an dem ein Flugzeugunglück in Paris das Ende einer Ära einläutete: Air France Flug 4590 mit einem Überschallflugzeug des Fabrikats „Concorde“ sollte vom Flughafen Charles de Gaulle aus nach New York fliegen. Während des Starts fing jedoch die Maschine Feuer und stürzte nach rund einer Minute in der Luft auf den Parkplatz eines Hotels im Pariser Vorort Gonesse. Alle 109 Menschen an Bord und vier Hotelbewohner starben.

Zwar nahmen Air France und British Airways, die Jets des gleichen Typs nutzte, am 7. November 2001 den zwischenzeitlich eingestellten Concorde-Linienbetrieb zwischen Paris beziehungsweise London und New York wieder auf. Doch die schrecklichen Bildes des Unglücks hatten sich tief in die Köpfe der potenziellen Kunden eingegraben. Es gab kaum noch Passagiere, die mit dem Überschallflugzeug über den Atlantik fliegen wollten. Beide Fluggesellschaften motteten daher im Jahr 2003 ihre verbliebenen Concorde-Jets ein.

Jetzt, nicht einmal zehn Jahre nach dem letzten kommerziellen Concorde-Flug, erlebt die Idee vom Reisen schneller als der Schall eine Renaissance. Raketenantriebe sollen kommerzielle Flugzeuge auf bis zu fünffache Schallgeschwindigkeit (Mach 5) beschleunigen. In diesem Bereich würde man nicht mehr vom Überschall-, sondern vom Hyperschalltempo sprechen.

Neue Antriebskonzepte für Überschalljets

Um neue Antriebskonzepte für Überschalljets zu entwickeln, hat die europäische Raumfahrtagentur Esa ein entsprechendes Forschungsprogramm aufgelegt. Die Strecke von Europa nach Australien soll so in nicht allzu ferner Zukunft in nur noch vier Stunden bewältigt werden.

Zum Vergleich: Mit herkömmlichen Linienflügen ist man von Europa aus derzeit inklusive umsteigebedingten Aufenthalten in Südostasien oder Saudi-Arabien rund 24 Stunden nach Australien unterwegs, die reine Flugzeit beträgt um die 20 Stunden.

Raketenantriebe lassen Flugzeuge zwar viel schneller vorwärts kommen als der herkömmliche Jetantrieb. Sie verbrauchen aber auch erheblich mehr Treibstoff, was dessen Gewicht selbst zum limitierenden Faktor werden lässt. Denn der Antrieb muss natürlich auch genug Leistung erbringen, um die notwendigen Vorräte an Treibstoff sowie flüssigem Sauerstoff transportieren zu können.

Das Mitführen von Sauerstoff für die Verbrennung ist allerdings nur notwendig, wenn der Flug auch in den Weltraum gehen soll. Bleibt der Flieger in der Erdatmosphäre, läge es nahe, darauf zu verzichten – und einfach den vorhandenen Luftsauerstoff zu nutzen.

Verkehr in suborbitalen Höhen

Das ist der Grundgedanke hinter „Sabre“, einem Antrieb, an dem das britische Unternehmen Reaction Engines arbeitet. Dieser ist zwar eigentlich darauf ausgelegt, einen als „Skylon“ bezeichneten Raumgleiter anzutreiben, der einmal Satelliten ins Orbit befördern soll. Doch er lässt sich durchaus auch für Passagierflüge einsetzen.

In suborbitalen 25 Kilometern Höhe sollen die Hyperschallflieger verkehren – hoch genug, um einen möglichst geringen Luftwiderstand zu erreichen, aber zugleich niedrig genug, dass noch ausreichend Sauerstoff in der Atmosphäre vorhanden ist, um den als Treibstoff mitgeführten Wasserstoff verbrennen zu können.

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Die ersten Tests wurden Ende des vergangenen Jahres durchgeführt. Sie verliefen so erfolgreich, dass Reaction Engines in einer euphorischen Pressemeldung vom „größten Fortschritt in der Entwicklung der Luftantriebe seit der Jetturbine“ schrieb.

Schmelzpunkt für normale Raketenantriebe

Die Schlüsseltechnologie des neuen Sabre-Antriebs ist ein so genannter Vorkühler, eine extrem schnelle und zugleich sehr leichte Kühlvorrichtung. „Bei Mach 5 heizt sich die Luft, die in den Antrieb strömt, auf mehr als 1000 Grad Celsius auf“, erläuterte Ben Gallagher, der bei Reaction Engines für die Geschäftsentwicklung verantwortlich ist, in der britischen Fachzeitschrift „New Scientist“.

Dabei würde ein normaler Raketenantrieb schmelzen. „Deshalb kühlen wir die Luft innerhalb einer Hundertstelsekunde auf minus 150 Grad herunter“, verrät Gallagher. Wenn die Luft danach für die Verbrennung mit Wasserstoff komprimiert wird, bleibt sie ungefährlich.

Doch die genaue Funktionsweise des Vorkühlers ist ein Betriebsgeheimnis – so streng geheim, dass Reaction Engines sogar vorerst auf die Anmeldung von Patenten auf die Technologie verzichtet hat.

Dünne Röhrchen, gekühlt mit Helium

Bekannt ist bislang nur so viel: Die Luft wird über eine Vielzahl von dünnen Röhrchen geleitet. Diese werden mit Helium gekühlt und bilden so eine relativ große und zugleich sehr kalte Oberfläche. Dass das funktioniert, davon hat sich der Esa-Beobachter Mark Ford, Antriebsingenieur am Forschungszentrum ESTEC in den Niederlanden, bei den Tests überzeugt.

Er lobte die Ergebnisse als „vielversprechend“. Der Vorkühler habe dafür gesorgt, dass die Luft mit einer Temperatur von unter null Grad stabil durch die Maschine strömte. Damit, so sagt Ford, sei „die Tür geöffnet, das Jet-Zeitalter hinter sich zu lassen“.

Gegenüber dem älteren Konzept des sogenannten „Scramjets“ hat die Sabre-Technologie große Vorteile, insbesondere bei der Wirtschaftlichkeit. Ein Scramjet ist im Prinzip ein Motor ohne bewegliche Teile, der die Geschwindigkeit des Flugzeugs nutzt, um Luft für die Reaktion mit dem Treibstoff zu komprimieren.

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Das allerdings funktioniert erst ab vierfacher Schallgeschwindigkeit – und um die zu erreichen, müsste ein zweiter Raketenantrieb her. Doch wenn für unterschiedliche Abschnitte einer Flugreise unterschiedliche Antriebe benötigt werden, trägt der Jet eine Menge Ballast mit sich herum – und der kostet natürlich Treibstoff und damit viel Geld.

Die komplexeste Komponente ist fertig

Bis wirklich Flugpassagiere vom dem Sabre-Antrieb profitieren und mit fünffacher Schallgeschwindigkeit rund um den Globus geschickt werden können, wird es allerdings noch eine Weile dauern. Denn noch existieren sowohl der Antrieb als auch der superschnelle Flieger nur auf dem Papier. Fertig ist allein der Vorkühler, der allerdings als die komplexeste und wichtigste Komponente des neuen Antriebs gilt.

Auch die Finanzierung der Entwicklungskosten für die kommenden drei Jahre ist noch nicht gesichert: Die Firma Reaction Engines ist derzeit auf der Suche nach Investoren, die 250 Millionen Britische Pfund (umgerechnet rund 305 Millionen Euro) einbringen sollen. So viel dürfte allein die Entwicklung einer Miniaturversion des Triebwerks in den nächsten drei Jahren kosten.

Sobald die Finanzierung dafür steht, werde es nach Einschätzung des Unternehmens noch rund zehn Jahre dauern, bis der Raketenmotor für Flugzeuge marktfähig ist.

Tauglicher Flughafen gesucht

Neben dem Geld für die Entwicklung fehlt es bis auf weiteres auch an geeigneten Flughäfen, auf denen die Überschalljets starten und landen könnten. Auch die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Einsatz von Hyperschall-Raketenflugzeuge gilt es erst einmal zu schaffen – zweifelsohne eine mühevolle Aufgabe.

Hier hat sich aber bereits der britische Wissenschaftsminister David Willetts eingeschaltet: Er will von der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) ein Regelwerk erstellen lassen, in dem festgelegt ist, welche Merkmale ein Flughafen aufweisen muss, damit er für den Verkehr mit Überschallflugzeugen zugelassen werden kann.

Reaction Engines ist indes nicht das einzige Unternehmen, das Reisen in Überschalljets ermöglichen möchte. Es gibt auch andere Projekte, bei denen neue Triebwerke entwickelt werden, die Flüge mit fünffacher Schallgeschwindigkeit erlauben sollen.

Triebwerk, basierend auf der V1-Rakete

Dazu zählt unter anderen die Pulse Detonations Engine (PDE), ein Gemeinschaftsprojekt der Airbus-Muttergesellschaft EADS, der britischen Firma MDBA Missile Systems und dem Lavrentyev-Institut für Hydrodynamik im russischen Nowosibirsk.

Die PDE-Technik basiert letztlich auf dem Triebwerk der deutschen V1-Rakete aus dem zweiten Weltkrieg, dem ersten militärisch genutzten Marschflugkörper, der vor allem unter den Bewohnern Londons Angst und Schrecken verbreitete.

Bei diesem so genannten Pulsstrahlantrieb werden in kurzen, regelmäßigen Abständen kleine Treibstoffmengen mit Luft vermischt und in einem Kanal gezündet. Zugleich schließen sich auf der Vorderseite des Triebwerkes Ventile – auf diese Weise wirkt die Kraft der Explosionen nach hinten und treibt die Rakete wiederum nach vorn.

Dieses alte Prinzip wollen die Wissenschaftler und Ingenieure beim PDE-Projekt nun weiterentwickeln, um Hyperschall-Geschwindigkeit zu erreichen. Dazu dient ein spezieller Antrieb, der kontinuierliche Detonationswellen nutzt: Dabei wird der Druck der Treibstoffinjektion mehrere tausend Mal pro Sekunde verändert – also deutlich häufiger als bei bisherigen Pulsstrahltriebwerken.

Auf diese Weise verbrennt der Treibstoff vollständig und auf die erste Druckwelle folgt unmittelbar die nächste. Dieses Prinzip soll ausreichend viel Schub liefern, um Geschwindigkeiten im Hyperschall-Bereich erreichen zu können.

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