Leicht gefallen sei ihnen der Umzug nicht, sagt Katharina Funck. Das schöne Reihenhaus in Findorff, der viele Platz, die nette Nachbarschaft, der grüne Bürgerpark gleich gegenüber. 21 Jahre hat die Familie hier gelebt. „Aber irgendwann haben wir gesagt: Ist doch Quatsch, dass wir mit so wenigen Leuten auf so vielen Quadratmetern wohnen“, sagt Funck.
Erst waren sie zu sechst; zwei Erwachsene und vier Kinder. Dann zog nach und nach der Nachwuchs aus, bis nur noch die Jüngste übrig war. Sechseinhalb Zimmer für drei Leute, „so viel Platz brauchen wir nicht“. Also zogen Katharina Funck und ihr Mann, beide Mitte 50, gemeinsam mit der jüngsten Tochter, die vermutlich auch nicht mehr allzu lange zu Hause wohnen wird, um. Jetzt leben sie auf 80 Quadratmetern statt auf 135.
Die 55 eingesparten Quadratmeter bezeichnen Experten als „unsichtbaren Wohnraum“. Daniel Fuhrhop ist einer von ihnen, er nennt sich Wohnwendeökonom. Ihn treibt die Frage um, wie vorhandener Wohnraum effizienter als bisher genutzt werden kann. Manche Kollegen von ihm sagen auch: wie er gerechter verteilt werden kann. Fuhrhop gefällt diese Formulierung nicht so gut, er findet sie „moralisierend“. Den Menschen vorschreiben, auf wie vielen Quadratmetern sie zu leben haben, will er nicht.
Daniel Fuhrhop nennt sich einen Wohnwendeökonom. Mit Hilfe der von ihm entwickelten Formel 3U&VW lassen sich nach seiner Einschätzung jedes Jahr bis zu 100.000 bestehende Wohnungen in Deutschland zusätzlich nutzen.
Andere haben damit weniger Probleme. Es ist erst wenige Wochen her, dass ein Forscherteam der Universität Regensburg vorgeschlagen hat, Wohnraum umzuverteilen. Von alt zu jung. Die Annahme: Ältere Menschen belegen Wohnraum, den in dieser Größenordnung andere, zum Beispiel junge Familien, viel nötiger haben.
Darüber gibt es Zahlen: Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln hat festgestellt, dass sechs Prozent der Haushalte in Großstädten zu beengt leben, gleichzeitig aber auch sechs Prozent in zu großen Wohnungen. Bei Haushalten mit Personen über 70 Jahren sind es sogar neun Prozent. Die Wissenschaft spricht vom Remanenzeffekt, wenn Haushalte auch dann nicht umziehen, obwohl die Kinder ausgezogen sind, der Partner gestorben ist oder Paare sich getrennt haben. Außerdem gilt als erwiesen: Je älter der Mensch, desto geringer seine Neigung, sich wohnlich zu verändern.
Menschen über 65 haben pro Kopf am meisten Wohnraum
Das Statistische Bundesamt hat errechnet, dass in Haushalten mit Bewohnern, die über 65 sind, pro Kopf am meisten Wohnraum zur Verfügung steht. Mehr als jeder vierte Alleinlebende aus dieser Gruppe wohnt auf mindestens 100 Quadratmetern. Insgesamt steht der Generation Ü65 pro Kopf durchschnittlich knapp 69 Quadratmeter Wohnraum zur Verfügung, bei den 25- bis 44-Jährigen sind es dagegen nur 44,7 Quadratmeter. Darüber, wie man an dieser Stelle umsteuern kann, ist eine sehr emotionale Diskussion im Gange.
Die Regensburger Forscher machen den Vorschlag, günstige Mieten in alten Verträgen steigen zu lassen, damit die älteren Mieter quasi gezwungen sind, in „angemessene“, sprich kleinere Wohnungen umzuziehen. Zwar sieht dieser Ansatz vor, diejenigen, die sich die gegebenenfalls höheren Mieten im neuen Zuhause nicht leisten können, finanziell über ein Wohngeld zu unterstützen. Die Entrüstung folgte trotzdem prompt. „Zynisch und infam“ nannte etwa Caren Lay, Wohnungspolitische Sprecherin der Linken-Fraktion im Bundestag, den Vorstoß.
Auch Wirtschaftswissenschaftler Fuhrhop distanziert sich: „Das widerspricht meinem Empfinden von sozialer Gerechtigkeit.“ Er wählt einen anderen Weg. Fuhrhop, der vor zwei Jahren Oberbürgermeister in Oldenburg werden wollte, hat eine Formel entwickelt, 3U&VW, die verspricht, jedes Jahr 100.000 Wohnungen im Bestand zu „mobilisieren“, wie er es nennt.
Wenn Fuhrhop Vorträge zu dem Thema hält, hat er gerne eine Handpuppe dabei, die eine ältere verwitwete Dame verkörpern soll, die in einer großen Wohnung lebt. Im Zwiegespräch mit ihr zerlegt Fuhrhop seine Formel 3U&VW. Das erste U: Untermieter vermitteln. Dabei geht es darum, Generationen zusammenzuführen. „Homeshare“, das Zuhause zu teilen, sei in Großbritannien oder Frankreich etabliert, sagt Fuhrhop. Eine, und das ist wichtig, professionelle Agentur vermittelt junge Mieter. Jung und Alt helfen sich gegenseitig im Alltag. Die Jungen etwa kaufen ein, pflegen den Garten und zahlen dafür entweder keine oder nur eine geringe Miete oder übernehmen die Nebenkosten. „In Deutschland“, sagt Fuhrhop, „ließen sich jährlich 30.000 Paare zusammenbringen.“
„Bremer Punkt“ ist ein Erfolgsmodell
Das zweite U: Umzug in eine kleinere Wohnung. „Ich will aber in meinem gewohnten Umfeld bleiben“, sagt Fuhrhops Handpuppe bei Vorträgen an dieser Stelle. Fuhrhop erzählt ihr dann von einem Erfolgsmodell, das aus Bremen kommt. Die Gewoba hat an inzwischen zwölf Standorten in der Stadt den „Bremer Punkt“ gebaut. Das ist ein quadratischer Neubau in der Nachbarschaft, ein Würfel, 14 mal 14 Meter groß, viergeschossig mit der Möglichkeit, 22 Grundrisstypen in 60 Varianten zu kombinieren, von der 30-Quadratmeter-Wohnung bis zur Sechs-Zimmer-Variante. Knapp ein Drittel der neuen Mieter in den Bremer Punkten habe vorher in einer größeren Wohnung nebenan gewohnt, sagt Fuhrhop. Er findet diese Quote „sensationell“.
Das dritte U: Umbauen. „Aus 140 Quadratmetern lassen sich eine Familien- und eine Seniorenwohnung machen“, sagt Fuhrhop. Ein zweites Bad, ein zweiter Eingang, „wenn man auf diese Weise 70 oder 80 Quadratmeter abtrennen und vermieten kann, hat es sich schon gelohnt“.
Das V: die Vermittlung leerstehender Wohnungen an Sozialmieter. Damit, sagt Fuhrhops Handpuppe, habe sie früher aber keine guten Erfahrungen gemacht. Die Miete sei nicht immer pünktlich gezahlt worden, die Räume seien verwohnt gewesen. Fuhrhop stellt sich deshalb eine soziale Wohnraumvermietung vor, wie sie beispielhaft die Stadt Karlsruhe betreibt. Die Kommune garantiert dem Vermieter die Mietzahlungen, steuert einen Zuschuss zur Renovierung bei und kümmert sich, wenn es im Alltag Probleme gibt. 60 bestehende Wohnungen würden auf diese Weise in Karlsruhe jedes Jahr aktiviert, sagt Fuhrhop. Das Potenzial für ganz Deutschland schätzt er auf 15.000 pro Jahr.
Schließlich das W wie gemeinschaftliches Wohnen. Zwar spart gemeinschaftliches Wohnen nicht automatisch Fläche ein. Wenn zum Beispiel neben der eigenen Wohnung noch Gemeinschafts-, Veranstaltungs-, Werk- oder Fitnessräume gebaut würden, könne die Gesamtfläche sogar wachsen, sagt Fuhrhop. Aus diesem Grund plädiert er für sogenannte Clusterwohnungen, in der sich die Bewohner zum Beispiel Küche und Essbereich teilen – so wie in Oldenburg. Es ist eines von Fuhrhops Lieblingsbeispielen: In Oldenburg hätten sich acht Personen aus sechs Haushalten für ein Gemeinschaftsprojekt entschieden. Das Ergebnis: Fünf Einfamilienhäuser wurden frei, die Gesamtwohnfläche reduzierte sich von zuvor über 800 Quadratmetern auf unter 600.
Katharina Funck und ihr Mann sind aus dem Reihenhaus in Findorff in ein Mehrgenerationenhaus nach Walle gezogen. Eine bewusste Entscheidung, „weil wir unbedingt in einer Gemeinschaft leben wollen“, sagt Funck. Diesen Aspekt betont auch Fuhrhop, wenn er seine Ideen vorstellt. „Die Älteren werden immer mehr“, sagt er, „da stellt sich auch die Frage von Einsamkeit. Allein das ist Grund genug, um sich um diese Gruppe von Menschen zu kümmern.“ An der entsprechenden Formel dafür, 3U&VW, wird es aus seiner Sicht nicht scheitern.