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Wenn Covid nicht weggeht

Von Simon Rosner

Politik
Nach wie vor ist es nicht seriös zu taxieren, wie viele Personen nach einer Genesung persistente Probleme haben.
© stock.adobe.com / freshidea

Schwere, dauerhafte Verläufe von Post-Covid bleiben die Ausnahme. Die Diagnose ist oft schwierig.


Vor zwei Jahren wurden dem internationalen Codierungssystem für Krankheiten zwei Codes hinzugefügt: U09.9 sowie U10.9. Dahinter verbirgt sich der "Post-Covid-19-Zustand" sowie das "multisystemische Entzündungssyndrom in Verbindung mit Covid-19". Darunter fällt, was umgangssprachlich als "Long-Covid" bezeichnet wird. Seit Anfang März 2021 diese Codierung eingeführt wurde, verzeichnete die Österreichische Gesundheitskasse knapp 90.400 Arbeitsunfähigkeitsmeldungen aufgrund dieser Codes. Sehr lange Krankenstände sind die Ausnahme, aber rund 1.000 Betroffene waren doch länger als sechs Monate im Krankenstand, davon waren Anfang Februar noch etwa 400 Personen arbeitsunfähig.

Long-Covid umfasst aber mehr, als diese Codes abdecken. Laut Leitlinie der Ögam, der Gesellschaft für Allgemeinmedizin, fallen auch langwierige akute Covid-Verläufe bis zu zwölf Wochen darunter. Das war vor Verfügbarkeit der Impfung nicht selten der Fall, als das Virus bei Infizierten oft Lungenentzündungen auslöste. Eine schwere Pneumonie kann lange nachwirken. Ab der zwölften Woche wird von Post-Covid gesprochen, wobei es auch Wochen der Beschwerdefreiheit geben kann.

Nach wie vor ist es nicht seriös zu taxieren, wie viele Personen nach einer Genesung persistente Probleme haben. Für die Gesundheitspolitik wäre es wichtig, um planen zu können, wie viele Nachbehandlungen benötigen und in welcher Form, wie viele spezialisierte Ambulanzen und Rehabilitationsangebote notwendig sind.

Bei den Daten der Gesundheitskasse handelt es sich um Meldungen von Krankenständen, nicht um Personen. Wer sich also mehrfach krank meldet, was durchaus plausibel ist, wird auch mehrfach gezählt. In den Zahlen der ÖGK scheinen nur unselbständig Beschäftigte auf, also weniger als die Hälfte der Bevölkerung, vor allem aber: Beschwerden führen nicht immer zu Krankenständen.

Das beobachtet auch Udo Zifko, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie und Vorstand der Neurologie am Evangelischen Krankenhaus in Wien, in dem eine Post-Covid-Ambulanz eingerichtet wurde. "Der Großteil ist arbeitsfähig", sagt Zifko. Das heißt, die Patienten suchen in der Regel zwar erstmals die Ambulanz auf, wenn sie im Krankenstand sind, bleiben aber oft über das Ende der Arbeitsunfähigkeit hinaus in Behandlung. "Ein Viertel ist berufstätig mit Beschwerden und schafft es irgendwie", sagt Zifko. Nur ganz wenige Personen seien über Monate so stark beeinträchtigt, dass sie bleibend arbeitsunfähig seien.

Große Bandbreite der Symptome und Stärke

Wie viele von Beschwerden geplagt werden, dass sie deshalb Ärzte konsultieren, kann die ÖGK mangels Erfassung nicht sagen. In Deutschland ist die Datenlage besser. In Bayern waren 2021 rund 70.000 und in den ersten drei Quartalen 2022 etwa 120.000 Personen wegen Post-Covid (nur Diagnosecode: U09.9) im niedergelassenen Bereich in Behandlung. Umgelegt auf das kleinere Österreich entsprächen diese Zahlen 130.000 Personen, die aus diesem Grund einen Arzt aufsuchen.

Auffällig ist, dass es im Vorjahr mehr wurden. Zu beachten ist aber der zeitliche Verzug von zumindest drei Monaten. Das heißt, dass ins Jahr 2022 jene Betroffene fallen, die sich im Herbst davor mit dem Delta-Virus infizierten, das pathogener, also "krankmachender", war. Zur "Wiener Zeitung" heißt es zudem aus Bayern, dass ein Grund für den Anstieg auch die höhere Sensibilität der Ärzteschaft sein könnte.

Über die Art und den Schweregrad der Symptome geben die Daten aus Bayern keine Auskunft. Die Bandbreite ist groß, von leichter Störung des Geschmacksinns bis zu chronischer Fatigue, also extremer Müdigkeit und Erschöpfung, die Betroffene den Alltag nicht mehr bewältigen lassen.

Laut ÖGK-Daten dauerten bis Anfang Februar 1.049 Krankenstände über ein halbes Jahr, wobei davon 395 noch liefen. Die positive Nachricht: Seit Anfang Dezember ist die Zahl der aktiven Krankenstände über ein halbes Jahr etwas gesunken. In 199 Fällen bestand die Arbeitsunfähigkeit länger als ein Jahr, wobei davon noch 63 Personen arbeitsunfähig sind. Im Dezember waren es 47.

Die "Wiener Zeitung" hat seit September die Zahlen der Krankenstände regelmäßig abgefragt. Aus der Entwicklung geht eine signifikante Abnahme der Meldungen hervor. Waren es bis September 2022 durchschnittlich pro Monat 4.500 Krankenstände aufgrund von Post-Covid, waren es danach rund 1.100.

In der Ambulanz des Evangelischen Krankenhauses hat dies auch Zifko registriert. Er bleibt aber vorsichtig. "Ich kann es nicht mit Zahlen belegen, aber mein Eindruck ist, dass schwere Fälle eher weniger werden. Das würde auch mit der wissenschaftlichen Literatur zusammenpassen", sagt er. Die fortgeschrittene Immunität und die Omikron-Varianten haben die Situation auch hinsichtlich der länger andauerenden Beschwerden verändert. Zum Beispiel sind die komplexen Lungenentzündungen, die in der ersten Pandemie-Phase in den Spitälern dominierten, selten geworden. Das bedeutet logischerweise auch, dass die dadurch ausgelösten Folgeprobleme abgenommen haben.

Die Schwierigkeit der Objektivierung

Udo Zifko im Evangelischen Krankenhaus sieht aufgrund seiner Spezialisierung vor allem Patienten mit neurologischen und psychischen Symptomen. "Gerade im neurologischen Bereich lässt sich die Diagnose schwer objektivieren", sagt Zifko. Man sieht die Symptome, aber oft nichts darüber hinaus, weder im Blut noch in bildgebenden Verfahren. Zu ihm kämen mehr Frauen als Männer, eher jüngere Personen, meistens zwischen 25 und 50 Jahren, berichtet er. "Das gängigste Krankheitsbild sind Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen." Auch Depressionen sieht Zifko häufig, wie er sagt.

Oft gelte es bei der Diagnose herauszufinden, ob der Zustand tatsächlich von Covid ausgelöst wurde oder eine andere Störung vorliege, die sich durch "Long-Covid" nun einen Namen gefunden habe, so Zifko. Er ist auch Gutachter am Arbeitsgericht. Post-Covid spielt mittlerweile auch eine Rolle bei Berufsunfähigkeiten, doch Zahlen gibt es nicht. Denn erfasst wird nur die Hauptdiagnose, zum Beispiel das Chronische Fatigue-Syndrom (G93.3). Ob es in Verbindung mit einer Covid- oder einer Influenza-Erkrankung steht, ist für die Pensionsversicherung nicht bedeutsam.

Long-Covid hat als Begriff bald ausgedient

Beschwerden nach viralen Infektionen sind nicht unbekannt, eben auch nach Grippe. Es wurde nur bisher wenig beforscht. "Vom Ablauf und der Symptomatik ist es vergleichbar, der Unterschied ist aber die Ballung", sagt Zifko. Derzeit wird übrigens die Long-Covid-Leitlinie von Grund auf überarbeitet, wobei künftig allgemein von einem postviralen Zustand gesprochen werden dürfte, eben weil sich dieses Phänomen nicht nur auf Covid-19 beschränkt.

In die Ambulanz von Zifko kommen übrigens auch Patientinnen und Patienten mit Beschwerden, die diese in Verbindung mit der Impfung bringen. "Ich schätze, auf zehn bis zwölf Personen wegen Post-Covid kommt eine wegen der Impfung." Auch dabei sei die Diagnose sehr schwierig. "Vielleicht stimmt es, aber es lässt sich eben nur schwer objektivieren." Für die Betroffenen ist das oft mühsam und frustrierend.

Zu möglichen Ursachen wird weltweit intensiv geforscht, immer wieder tauchen neue Ansätze auf, aber die Evidenz ist nicht sehr homogen. Es sind bisher Hypothesen. In der aktuellen Leitlinie werden Gewebeschäden, die Persistenz von Virusbestandteilen und die chronische (Hyper-/Auto-) Inflammation wörtlich als "diskutierte Auslöser" genannt.