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Bülter Nachbarn treffen sich an ausgebauter Schutzhütte

Treffen im Freiluft-Wohnzimmer

Heek

Montagehallen, meterhohe Zäune und Metalltore: Die Bült ist rein optisch nicht das, was sonst als typisch münsterländische Wohngegend gilt. Aber sie hat das wahrscheinlich schönste Freiluft-Wohnzimmer der Gegend zu bieten.

Christiane Nitsche

Köchin Lisa Zumdieck serviert den „Bänkern“ bei den Zusammenkünften leckere Häppchen. Im Kerzenschein sitzen die Anwohner der Bült in ihrem Freiluft-Wohnzimmer gemütlich zusammen.
Köchin Lisa Zumdieck serviert den „Bänkern“ bei den Zusammenkünften leckere Häppchen. Im Kerzenschein sitzen die Anwohner der Bült in ihrem Freiluft-Wohnzimmer gemütlich zusammen. Foto: Christiane Nitsche

In einer ausgebauten Schutzhütte bei der Bushaltestelle Zumdieck stehen massive Holzbänke um einen großen Tisch herum, durch dessen Platte in der Mitte ein Ofenrohr nach oben führt. Alles auf Maß gearbeitet. Auf dem Tisch Blumen und Kerzen, oben an Ketten aufgehängt ein wuchtiges Holzschild: Die Bänker. Mechthild Bendfeld ist eben dabei, die Kerzen anzuzünden. „Herzlich willkommen“, sagt sie.

Mechthild Bendfeld und ihr Mann Franz-Josef sind „Bänker“. Genau wie die Vortkamps, die Zumdiecks, die Reers und die Gellenbecks, die hier im Mischgebiet in der Bült verschiedene Unternehmen betreiben oder betrieben haben – und auch hier leben. Die Nachbarschaft ist weitläufig, die Wohnhäuser liegen mitunter wenig sichtbar weiter hinten auf dem Gelände.

„Wir haben irgendwann gemerkt, dass wir uns kaum mal sehen“, erzählt Klaudia Vortkamp. Anfangs hätten sie gemeinsam einen Wintergang unternommen, aber das fanden alle auf die Dauer zu wenig. 2011 war das. Damals fassten sie den Entschluss, die gemeinsame Hütte zu errichten, um sich einmal im Monat zu treffen – unabhängig von Wintergängen, Weggen wegbringen oder anderen traditionellen Nachbarschaftsfeiern. „Damit jeder kommen kann, wie er Lust hat“, sagt Klaudia Vortkamp.

Bendfelds stellten Holz von ihrem Bauernhof für Mobiliar und Deko, Gellenbecks sägten es in ihrer Tischlerei zu, Helmut und Rita Vortkamp sorgten für das Eisen fürs Gerüst der Hütte, der Gartenbaubetrieb von Klaudia und Alfons Vortkamp für das nötige Stück Grund an der Straße, und alle packten mit an. Aus den Bült-Bewohnern wurden „Die Bänker“, die sich am ersten Freitag im Monat hier treffen – sommers wie winters.

Reinhard Zumdieck trifft ein, einen geschlossenen Handkarren im Schlepp. „Den haben sie mir zum 50. Geburtstag geschenkt“, erzählt er. Das hölzerne Gefährt sieht aus wie eine mobile Partybar, mit Halterungen für Gläser, Wimpel und Klappe für Sitzpolster. Obenauf stehen Plastikcontainer mit allerlei Fingerfood.

Zumdiecks Frau Lisa ist Köchin. Sie sorgt regelmäßig für Leckereien bei den Treffen. Später wird sie Windbeutel mit Räucherfisch, kleine Pizzen und gefüllte Croissants reichen. Noch ist sie nicht da. „Lisa kocht“, erfährt jeder, der kommt, bis sie schließlich selbst erscheint, mit noch mehr leckeren Häppchen im Korb.

Nach und nach treffen alle ein. Die einen bringen einen Kasten Bier, andere haben Wein, Korn oder Sekt dabei. Für die Jüngsten gibt es Saft und Süßigkeiten. Der fünfjährige Paul Gellenbeck hat seinen Freund Klaas mitgebracht, der ganz selbstverständlich einen Platz auf der Bank bekommt. Bei den Männern. „Westfälische Bank“ flachst einer. Tatsächlich sitzen die Männer um zwei Ecken herum zusammen, die Frauen ihnen gegenüber.

Die Hütte steht immer offen. Und jeder, der sich hier zur Rast hinsetzen will, ist eingeladen, das zu tun. „Fremde und Freunde, setzt Euch nieder“, heißt es in einem Anschlag, der über den Bänken an der Wand hängt. „Ruht Euch gerne bei uns aus.“ Bloß den eigenen Müll soll jeder wieder mitnehmen, informieren die Bänker ihre Gäste. Und das funktioniert. „Hier gibt es weitum keinen einzigen Mülleimer“, sagt Mechthild Bendfeld. Aber einsammeln mussten sie bisher nichts.

Auf dem Holzofen in der Mitte haben sie schon Würstchen gebraten, „und Spiegelei“, wie Helmut Vortkamp lachend erzählt. Wiederholt öffnet er mit einem Haken die Ofenklappe und legt Holz nach. Der frühe Oktoberabend lässt spüren, dass der Sommer vorbei ist. Aber in der Hütte wird es schnell heimelig warm, obwohl die Front zur Straße komplett offen steht.

Früher hatte die Hütte gar keine Wände. Aber das war den Bänkern dann doch zu kalt. „Im letzen Winter haben wir sie zugemacht“, erzählt Vortkamp. „Und wenn es richtig friert, können wir auch die Straßenseite schließen“, sagt Mechthild Bendfeld. Eine transportable Wand macht es möglich.

Der regelmäßige Treff zeigt Wirkung: Inzwischen sehen sich die Bänker nicht mehr nur zum Klönen, Trinken und Essen an ihrem Stammtisch. Als es im Sommer heiß war, gab es eine Cocktailparty rund ums Planschbecken auf dem Hof der Bendfelds.

Und Kartoffeln geerntet haben sie in diesem Jahr auch. „Wir wollten den Kindern mal zeigen, wie das geht“, sagt Mechthild Bendfeld. Auf einem kleinen Stück Acker haben sie dazu im Frühsommer Kartoffeln gesetzt und im September auf traditionelle Weise geerntet. Thomas Bendfeld, der Sohn von Mechthild und Franz-Josef, hat dazu den alten Trecker der Familie rausgeholt. „Anschließend haben wir Folienkartoffeln im Feuer gebacken.“ An der Hütte.

Weihnachtsfeiern, Kinder-Stammtische, Landfrauen-Frühstück: Kaum eine Gelegenheit, die nicht auf den Bänken begangen werden könnte. Die eine oder andere Silberhochzeit war auch schon dabei.

Heute aber sind es Theres Vortkamp und Andre Reers, die ihre Nachbarn mit einem Grund zum Feiern überraschen. „Heut ist Verkündigungstag“, lacht Theres Vortkamp. Strahlend präsentiert sie den Ring an ihrem Finger, der es auch dem letzten deutlich macht: Die beiden wollen im nächsten Jahr heiraten.

Zumdiecks holen Gläser aus dem „Materialwagen“, Sekt macht die Runde. Das Brautpaar in spe und die Brauteltern müssen sich einige Frotzeleien anhören. Über Oma-Weggen wird spekuliert, über den Segen des Brautvaters, einen geeigneten Standort für einen Storch. Und Helmut Vortkamp überlegt: „Sollten wir nicht mal einen Vorfreudetag machen?“ Nächstmöglicher Termin: der erste Freitag im November.