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Auf dem Scherbenhaufen der Beziehung

Marc Limpach, Fabienne Elaine Hollwege,  Petra Förster und Germain Wagner spielen in Fausto Paravidinos von Stefan Maurer inszenierte Stück "Exit" mögliche Beziehungen durch.

Marc Limpach, Fabienne Elaine Hollwege,  Petra Förster und Germain Wagner spielen in "Exit" mögliche Beziehungen durch.
Marc Limpach, Fabienne Elaine Hollwege,  Petra Förster und Germain Wagner spielen in "Exit" mögliche Beziehungen durch. Foto: Ricardo Vaz Palma

Von Vesna Andonovic

Zwei Männer, zwei Frauen: drei mögliche Variationen, um das ewige Spiel der Liebe durchzuexerzieren. Doch was Regisseur Stefan Maurer und sein Schauspielervierergespann Petra Förster, Fabienne Elaine Hollwege, Marc Limpach und Germain Wagner aus Fausto Paravidinos Stück „Exit“ machen, liegt nicht nur fernab aller Befürchtungen, die eine künstlerisch „ad nauseam“ wiedergekäute Ausgangssituation wecken könnte, sondern übertrifft – erfreulicherweise – die kühnsten Erwartungen. „Exit“, das derzeit als deutschsprachige Uraufführung (!) in einer Koproduktion des Kasematten- und des Escher Theaters in Bonneweg zu sehen ist, ist eines: ganz großes Theater ...

Namen brauchen sie keine, diese vier Vertreter beider Geschlechter, die da in anderthalb Stunden in einem mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks zwischen Aufbruchs- und Endzeitstimmung oszillierenden Stück das komplette Register der Gefühlsregungen und -eruptionen im satirisch durchsetzten Schnelldurchlauf absolvieren. Wieso auch, denn dies ist literarische Kür und nicht Pflicht des „Wunderkinds“ des italienischen Theaters, Fausto Paravidino, Jahrgang 1976, der kurzzeitig dem Schreiben den Rücken gekehrt hatte, um sich in der Fernsehserie „Romanzo criminale“ in der Rolle des Ranocchia den Kopf etwas zu lüften. Dass diese Auszeit ihm sichtlich gut bekommen ist und seine Feder dadurch nichts von ihrer Schärfe und Anmut eingebüßt hat, beweist „Exit“, das in seiner deutschsprachigen Uraufführung nun in Luxemburg und ebenfalls bald in Esch zu sehen ist.

Lachen als allerletzter Notausgang

In jeder der vier Figuren, die sein Stück dem Publikum hier auftischt, steckt ein Fetzen Selbsterlebtes – ein Begriff, der ebenso schnell wie natürlich im Selbst(v)erbrochenen seine gedankliche und emotionale Weiterführung findet. Denn sonderlich schmeichelhaft ist es wahrlich nicht, das Bild, das dem Zuschauer hier vorgehalten wird: Bis ins Karikatureske verzerrt es, dem Jahrmarktspiegel der Kindheit gleich, das (Selbst-)Bildnis.

Zum Glück bleibt – ebenso wie bei den Zerrspiegeln – noch ein mal herzliches, mal leicht säuerlich hochstoßendes Lachen als allerletzter Notausgang, um die unter der analytischen Lupe des Schreibens bis ins Dämonenhaft vergrößerten Fratzen zu ertragen. Wie stellte ausnehmend treffend der Chansonnier und Meister der subtil heranschleichenden Boshaftigkeit, Sebastian Kraemer, in seinem „Kein Liebeslied für dich“ fest, Tragik sei unterhaltsam, doch Glück kränke fürchterlich. Deshalb lacht man in „Exit“, und zwar nicht zu knapp: über das geregelte Zusammenleben, das die beflügelnden Schwingen der Liebe mit der bleiernen Schicht des Alltags überzieht und unweigerlich den Absturz aus dem siebten Himmel herbeiführt; über die vergebliche Flucht vor der unerbittlichen Zeit, bei der die Beziehung zu einem Jüngeren einen Moment der Unsterblichkeit gewährt; über Socken, die zum Todesstoß werden; über die inhärente Unvereinbarkeit von Wunsch und Realität.

Arschlöcher und großartige Personen

Dabei dreht Regisseur Stefan Maurer – ebenso regelmäßiger wie gern gesehener Gast auf den großherzoglichen Bühnen – den sprichwörtlichen Spieß ganz buchstäblich um, indem er den Zuschauerraum zur Bühne und die Bühne zum Zuschauerraum macht und die Beziehungskisten in einem mit Zeitungsstapeln überaus wirkungsvollen spartanisch gestalteten Dekor inszeniert, was zugleich Paravidinos mikrochirurgisch-präzisem Text den gebührenden Rahmen gibt. Immerhin, so viele Autoren gibt es nicht, die mit einem „Was für ein Arschloch“ Zuneigung und „Sie/er ist eine großartige Person“ Gleichgültigkeit auszudrücken vermögen.

Mit einer – auf der Bühne umso beeindruckenderen Eleganz und Schlagkraft – führt er durch eine sprachlich auf den Punkt gebrachte thematische Komplexität und ihre zahllosen Zeitsprünge, ohne dass das Publikum dabei auf der Strecke bleibt. Fabienne Elaine Hollwege, Marc Limpach und Germain Wagner schlüpfen mit bemerkenswerter Stichhaltigkeit und berührender Zurückhaltung „in die Haut“ der Charaktere, deren wesenhafter Banalität sie eine unweigerlich Empathie weckende Menschlichkeit abgewinnen können. Dass Maurer das Trio mit der deutschen Kollegin Petra Förster ergänzt, wirkt sich wie ein frischer Luftzug aus, dank dem alle Darsteller regelrecht „aufatmen“, sprich in einem feinen Herausarbeiten der Zwischentöne und Nuancen aufgehen können.

Am Ende nährt sich Paravidinos Beziehungsstück – „Dieses ganze Theater ohne Publikum“ – nicht nur von der messerscharfen Analyse und spitzen Feder ihres Autors, sondern auch vom Mut der Schauspieler und Zuschauer, sich den eigenen Kleingeist einzugestehen. Und ist man sicher nicht nach „Exit“ schlauer, so dürfte es hoffentlich – kurzzeitig – alle Anwesenden von der Arroganz der Abgeklärtheit auslösen. Schön – und beruhigend! –, dass wahres Glück nichts mit hingerissener Glückseligkeit zu tun hat ...

"Exit"

:

Mit

Petra Förster, Fabienne Elaine Hollwege, Marc Limpach, Germain Wagner

Regie und Bühne

Stefan Maurer

Eine Koproduktion des

Kasemattentheaters

mit dem

Théâtre d‘Esch

Am 21. 23. 28. und 30. Januar 2014, um 20 Uhr im Kasemattentheater. Tickets über Tel. 291 281 (Anrufbeantworter) und ticket@kasemattentheater.lu. Am 29. April, um 20 Uhr, im Escher Theater. Tickets über Tel. 54 03 87 und reservation@theatre.villeesch.lu.

Tickets über Tel 291 281 und ticket@kasemattentheater.lu.

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