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60 Jahre Römische Verträge

Eine zerbrechliche Wertegemeinschaft

Solidarität stand 1957 im Zentrum, als Deutschland, Frankreich, Italien und die Benelux-Länder die Römischen Verträge abschlossen - aus denen die EU entstand. Heute wird sie bei vielen Brüsseler Entscheidungen vermisst.

Foto: Guy Jallay

KNA- Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die christlichen Werte das, was die EU-Gründerväter Konrad Adenauer, Robert Schuman und Alcide de Gasperi verband. Auch 60 Jahre nach Unterzeichnung der Römischen Verträge von 1957 beschreibt sich die EU gern als eine "Wertegemeinschaft". Das Adjektiv "christlich" taucht dabei immer seltener auf. Eigentlich verwunderlich, denn der Kontakt zwischen christlichen Organisationen und EU ist rege.

Die Konferenz Europäischer Kirchen (KEK), die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die EU-Bischofskommission COMECE bringen sich in Brüssel regelmäßig bei Debatten ein. Papst Franziskus war nach Johannes Paul II. das zweite katholische Kirchenoberhaupt, das 2014 vor dem EU-Parlament sprach. 2016 wurde er in Anwesenheit der politischen EU-Elite mit dem Karlspreis ausgezeichnet. Und am 24. März wird er die EU-Staats- und Regierungschefs zum 60-jährigen Jubiläum der RömischenVerträge im Vatikan empfangen.

Rom, 25. März 1957: Regierungschefs und Aussenminister aus den sechs Gründerstaaten unterzeichnen die Römischen Verträge im Kapitol.
Rom, 25. März 1957: Regierungschefs und Aussenminister aus den sechs Gründerstaaten unterzeichnen die Römischen Verträge im Kapitol. Foto: AFP

Wirft man einen Blick auf die tatsächlichen Entscheidungen der EU in den vergangenen Jahren, so scheint das Adjektiv "christlich" eher nebensächlich geworden zu sein. Schon seit Jahren steht das Thema Migration immer wieder auf der Tagesordnung. Bei der Umsiedlung von Flüchtlingen aus Griechenland und Italien sowie der Neuansiedlung gibt es kleine Fortschritte - doch beide Programme laufen nur zaghaft an. Die Einigung auf ein gemeinsames europäisches Asylsystem gestaltet sich schwierig; und über größere Programme zur legalen Einreise von Flüchtlingen wird nur als Konzept gesprochen. Bei all diesen Themen mangelt es besonders an einer christlichen Tugend: der Solidarität. Monatelang stritten EU-Regierungschefs bereits über "flexible" und "effiziente" Solidarität. Konkrete Ergebnisse gibt es bislang nicht.

Sozialpolitik hinkt hinterher

Ein weiteres für viele christlichen Organisationen wichtiges Thema ist die Sozialpolitik: Einklang von Familie und Arbeit, gerechte Verteilung des Wohlstands, Kampf gegen Armut. Bisher machte die EU-Kommission in diesem Bereich nicht viele Vorschläge. Und doch nannte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker eine Debatte über die soziale Dimension Europas zuletzt "essenziell". Im April soll es Vorschläge zur EU-Säule der sozialen Rechte geben. Große Sprünge sind freilich nicht zu erwarten, da viele soziale Politikbereiche in nationaler Kompetenz liegen. Etwas positiver sieht die Bilanz bei der Umweltpolitik aus.

Als Erfolg kann das Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 aus christlicher Perspektive gewertet werden. Der internationale Dachverband katholischer Hilfswerke CIDSE trat damals für eine Begrenzung der Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad ein. Auch wenn es bei der Umsetzung noch hakt, so ist es doch ein Hoffnungsschimmer.

Fünf Optionen für die Zukunft

Doch in welche Richtung geht die EU der 28, bald 27? Juncker hat den Regierungschefs fünf Optionen vorgeschlagen: mehr Europa, weniger, nur Binnenmarkt, verschiedene Geschwindigkeiten oder so weiter wie bisher. Über seinen Vorschlag schrieb Juncker ein Zitat Schumans aus seiner Erklärung vom 9. Mai 1950: "Europa lässt sich nicht mit einem Schlag herstellen und auch nicht durch eine einfache Zusammenfassung: Es wird durch konkrete Tatsachen entstehen, die zunächst eine Solidarität der Tat schaffen."

Solidarität im Zentrum

Solidarität im Zentrum: bestimmt kein Zufall, denn mit den fünf Szenarien fordert er eine richtungsweisende Entscheidung der Regierungschefs. 2007, beim 50-jährigen Jubiläum der Römischen Verträge , unterstrichen führende europäische Politiker und Kirchenvertreter noch die Bedeutung des Christentums für die europäische Einigung. Zehn Jahre später ist dringend zu fragen, welche christlichen Werte die 28 Mitgliedstaaten noch verbinden.

Nicht nur bei EU-Gipfeln hat man den Eindruck, dass die Interessen der einzelnen dominieren. Gemeinschaft, Vertrauen und Zuversicht scheinen ausgedient zu haben. Der Vorsitzende der EU-Bischofskommission COMECE, Kardinal Reinhard Marx, glaubt dennoch oder gerade deshalb, dass die Kirche eine wichtige Rolle bei der Überwindung der vielfältigen Krisen in der EU einnehmen kann. Beim Jahrestreffen der delegierten Bischöfe aus den 28 EU-Mitgliedstaaten im Herbst sagte er: "Unsere Mission für Europa ist noch nicht vollendet."

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