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Debatte über Türkeifrage

Juncker und CSV sind unterschiedlicher Meinung

Jean-Claude Juncker will die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei fortführen - damit vertritt der EU-Kommissionschef eine andere Meinung als seine Partei in der Heimat. Die CSV bleibt indes bei ihrer Forderung eines "Stopps" der Verhandlungen.

Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (Mitte), hier mit Ehrenstaatsminister Jacques Santer (links), vertritt in der Türkeifrage eine andere Meinung als Laurent Mosar (rechts) und die aktuelle CSV-Fürhung.
Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (Mitte), hier mit Ehrenstaatsminister Jacques Santer (links), vertritt in der Türkeifrage eine andere Meinung als Laurent Mosar (rechts) und die aktuelle CSV-Fürhung.  Foto: Gerry Huberty

(CBu) - Ein einseitiger Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sei ein "schwerwiegender außenpolitischer Fehler", sagt Jean-Claude Juncker. In einem Interview mit der ARD spricht sich der Präsident der Europäischen Kommission gegen entsprechende Forderungen aus. Zuvor hatte sich unter anderem der österreichische Bundeskanzler Christian Kern für einen Stopp der Beitrittsverhandlungen ausgesprochen.

Juncker zog seinerseits aber auch eine "rote Linie". Eine Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei hätte jedenfalls den sofortigen Stopp der Beitrittsverhandlungen zur Folge.

Auch in Luxemburg gibt es Forderungen nach einem Verhandlungsstopp. So hatte sich der außenpolitische Sprecher der CSV, Laurent Mosar, jüngst in einem Meinungsbeitrag des "Luxemburger Wort" eindeutig in der Frage geäußert. "Europa muss die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei unterbrechen und auf unbestimmte Zeit auf Eis legen", so Junckers Parteikollege. "Die Erdogan-Türkei befindet sich auf dem Weg in eine Diktatur. Erdogan selbst hat damit Ankaras EU-Beitrittskandidatur de facto vom Verhandlungstisch gefegt."

Mosar und CSV bleiben bei ihrer Position

Auf Nachfrage bleibt Mosar bei seiner Meinung. "Das Vorgehen der türkischen Regierung im Bereich der Menschenrechte ist nicht mehr zu akzeptieren", so Mosar. Er betont allerdings, dass er nicht den Abbruch der Verhandlungen zwischen EU und Türkei gefordert habe, sondern lediglich, dass man die Gespräche "auf Eis legt". Mosar nennt es eine "Atempause", die sich wegen der jüngsten Entwicklungen am Bosporus aufdränge.

Ein solcher Verhandlungsstopp bedeute nicht, dass die Verhandlungen nicht zu einem späteren Zeitpunkt weitergeführt werden könnten, so Mosar weiter. Dies setze allerdings voraus, dass sich die Situation in puncto Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaat spürbar verbessere. Die CSV spreche sich auch nicht kategorisch gegen einen EU-Beitritt der Türkei aus. "Solange Erdogan an der Macht ist, habe ich da aber meine Zweifel", sagt Mosar. Der CSV-Politiker betont auch, dass die seit über zehn Jahren laufenden Verhandlungen die besagten umstrittenen Themen bisher ohnehin ausgeklammert hätten.

Mosar: "Warnungen reichen nicht mehr aus"

Laurent Mosar betont ferner, dass er im Namen der ganzen CSV-Fraktion spreche. Man sei angesichts der Reaktion auf den Putsch in Ankara gemeinsam zur Überzeugung gelangt, dass man ein Signal setzen müsse, so Mosar hinsichtlich parteiinterner Beratungen. "Die EU beruft sich immer auf die eigenen Werte, doch wenn diese Werte in Gefahr sind, muss man auch klare Haltung zeigen", so der außenpolitische Sprecher der CSV-Fraktion.

Dass Kommissionschef und CSV-Mitglied Jean-Claude Juncker sich in dieser Frage für genau das gegenteilige Signal ausspricht, verwundert Mosar nicht. Einerseits sei Juncker als Kommissionspräsident in einer anderen Rolle als die nationalen Regierungen. Andererseits sei es auch kein Drama, dass die Partei hier anderer Meinung als Juncker ist.

Mosar fordert allerdings eine klare Haltung der gesamten EU: "Die immer gleichen, gut gemeinten Warnungen der EU-Kommission zeigen offensichtlich keine Wirkung." Irgendwann würden Worte allein nicht mehr ausreichen. "Wer A sagt, muss irgendwann auch B sagen", so Mosar zur Begründung der CSV-Haltung, die in dieser Frage in den Chor der skeptischen Stimmen in der EU - etwa die österreichische Regierung oder die bayerische CSU - einstimmt.

Marc Angel: "Der Dialog muss weitergehen"

Nicht nur Juncker, sondern auch die luxemburgische Regierung spricht sich bisher gegen einen Stopp der Beitrittsverhandlungen aus. Außenminister Jean Asselborn (LSAP) will bisher trotz der "Säuberungsaktionen" nach dem Putsch des 15. Juli an den Verhandlungen festhalten. Andere Vertreter der Koalitionsparteien, etwa Eugène Berger (DP), Claude Adam (Déi Gréng) oder Alex Bodry (LSAP) haben sich in der Vergangenheit aber auch schon skeptischer geäußert. Niemand von ihnen hat bisher aber wie Mosar ausdrücklich einen Stopp der Verhandlungen gefordert.

Marc Angel (LSAP), der Vorsitzende der außenpolitischen Kommission im Parlament, fordert seinerseits auch, dass man die Verhandlungen weiterführt. Er sei zwar auch skeptisch, ob die Gespräche mit der aktuellen Führung in Ankara zu einem positiven Ergebnis führen könnten. "Der Dialog muss aber weitergehen, auch um überhaupt noch ein Druckmittel in der Hand zu haben", so Angel. Der LSAP-Politiker fordert denn auch, dass man in den Verhandlungen jetzt erst recht die "heiklen Kapitel" von Justiz, Demokratie und Grundrechten ansprechen müsse.

Bettel: Türkei aktuell nicht beitrittsfähig

Gewissermaßen eine Synthese der kontroversen Positionen formuliert schließlich Premier Xavier Bettel (DP). Einen Verhandlungsstopp hält er „zum jetzigen Zeitpunkt für einen Fehler“. „Nur indem wir diese Verhandlungen weiterführen und die Tür nicht verschließen, können wir eine Verbesserung des Rechtsstaates in der Türkei erreichen“, so Bettel auf Nachfrage. Dennoch könne die Türkei, „mit den Gegebenheiten wie wir sie heute vorfinden“, kein Mitglied der EU werden.

Die Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei dauern schon seit über zehn Jahren an. Schon im Dezember 1999 wurde der Türkei der Status des Beitrittskandidaten zuerkannt. Seit Oktober 2005 wird offiziell verhandelt. In den insgesamt 35 Beitrittskapiteln wurde man sich bisher nur in einem Bereich (Wissenschaft und Forschung) vorläufig einig. Die Verhandlungen in den meisten anderen Kapiteln liegen dagegen de facto schon seit mehreren Jahren auf Eis.

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