Lippenblütengewächse (Lamiaceae)


Die Lippenblütengewächse (Lamiaceae) gehören mit rund 7170 Arten zu den artenreichsten Familien weltweit.[7] Sie sind fast über die ganze Erde verbreitet und haben nahezu alle Lebensräume, bis auf die aquatischen, besiedelt. In Europa handelt es sich um Kräuter, Stauden oder Halbsträucher. Außerhalb Europas treten auch Bäume z. B. Clerodendrum trichotomum (Japanische Losbaum) auf.[1]



Bekannt ist diese Familie für ihre vielen Heil- und Gewürzpflanzen. Hohe Gehalte an ätherischen Ölen sind für den typischen Geruch und Geschmack verantwortlich. Darüber hinaus enthalten sie komplexe Cocktails von Polyphenolen und zahlreiche Bitterstoffe. Diese Mischungen sekundärer Pflanzenstoffe machen sie zu wertvollen und vielseitigen Heilpflanzen.




Viele altbekannte Gewürz- und Heilpflanzen gehören zur Familie der Lippenblütengewächse. Fotos: M. Neitzke



Auch in der Kosmetikindustrie spielt die Familie der Lippenblütengewächse eine wichtige Rolle. Mit rund 135 Arten ist sie nach den Korbblütlern (Asteraceae), den Hülsenfruchtgewächsen (Fabaceae) und den Rosengewächsen (Rosaceae) die viert wichtigste Pflanzenfamilie für die Kosmetikindustrie. Allerdings sind dies nur ungefähr 1,8 % der weltweit vorkommenden Arten dieser Familie. Von den bisher verwendeten Arten sind nur knapp 20 % in Mitteleuropa beheimatet. Angesichts der sehr viel höheren Zahl von Arten, die als Heilpflanzen in der Phytotherapie und Traditionellen Medizin vieler Länder, auch bei der Behandlung von Hautproblemen genutzt werden, ist davon auszugehen, dass das Potential dieser Familie durch die Kosmetikindustrie noch nicht ausgenutzt ist.




Die Artenvielfalt der Familie der Lippenblütengewächse wird auch in der Kosmetik- und Körperpflegeindustrie genutzt. Fotos: M. Neitzke



Familienmerkmale


Das auffälligste Merkmal dieser Familie ist wohl die Blütenform und erklärt auch den Trivialnamen dieser Familie „Lippenblütengewächse“.[1] Die fünf unterschiedlich geformten Blütenblätter sind derart miteinander verwachsen, dass eine zweiseitig symmetrische Blüte entsteht. Das bedeutet, dass es nur eine Spiegelebene (Symmetrieebene) gibt, die die Blüte in zwei spiegelgleiche Hälften teilt. Da die Symmetrieachse vertikal, also senkrecht von oben nach unten verläuft, entstehen ein oberer und unterer Teil, die beide voneinander verschieden sind. Da diese an die Ober- und Unterlippe eines Mauls erinnern, bezeichnet man diese Blütenform als Lippenblume mit einer Ober- und Unterlippe.




Die Form der Blüte der Goldnessel, einem Vertreter der Familie der Lippenblütengewächse erinnert an die Lippen eines Mauls oder Mundes. Fotos: M. Neitzke





Die Unterlippe dient als mal mehr oder weniger komfortabler Landeplatz für die bestäubenden Insekten. (links: Klebriger Salbei (Salvia glutinosa) mit einer Ackerhummel (Bombus pascuorum), rechts: Echte Goldnessel (Lamium galeobdolon) mit Ackerhummel. Fotos: M. Neitzke



In Europa erkennt man die Familie ohne große Probleme an einer Kombination aus vier Merkmalen.

•      zygomorphe bzw. dorsiventrale Blüte

•      vierteiliger Fruchtknoten

•      vierkantiger Stängel (v.a. bei den krautigen Arten)

•      kreuzgegenständige (dekussierte) Blattstellung



Blütenaufbau


Der Blütenbau der Lippenblütengewächse zeigt folgende charakteristische Merkmale:

  • Die Blüten sind in Kelch und Krone gegliedert.
  • Der Kelch besteht aus 5 verwachsenen, meist grünen Kelchblättern.
  • Der Kelch kann radiär, zweilippig (Helmkraut ( Scutellaria spec. )) oder selten sogar einlippig (Majoran (Origanum majorana)) sein.
  • Die Krone besteht aus 5 verwachsenen Kronblättern. (Die Fünfzipfligkeit des Kelches weist darauf hin, dass das Perianth insgesamt nach der Fünfzahl gebaut ist).
  • Die Krone ist bis auf einige Ausnahmen zygomorph.
  • Die unteren Abschnitte der Kronblätter sind zu einer Röhre verwachsenen, die oberen Abschnitte bilden einen meist 2lippigen Saum.
  • Der Kronsaum gliedert sich bei den meisten Arten in eine Ober- und Unterlippe.
  • Die Oberlippe besteht aus 2, die Unterlippe aus 3 verwachsenen Kronblättern.
  • Die Blüten sind in der Regel zwittrig.
  • In der Regel gibt es 4 Staubblätter, 2 lange und 2 kurze, das 5. ist reduziert
  • Die Staubblätter sind im unteren Abschnitt mit der Krone verwachsen.
  • Der Fruchtknoten ist oberständig.
  • Die beiden Fruchtblätter sind verwachsen und durch eine falsche Scheidewand zweigeteilt. Dadurch entstehen 4 Kammern. Jede Kammer umschließt eine Samenanlage. Bei der Reife zerfällt er in vier 1samige Teilfrüchte (= Klausen).
  • Der Griffel ist zwischen den Klausen inseriert und weist zwei freie Narben auf.



Das Beispiel der Blüte der Weißen Taubnessel (Lamium album) zeigt, dass die Blütenhülle der Lippenblütengewächse (Lamiaceae) aus einem grünen, bei der Weißen Taubnessel fünfzipfeligen Kelch und einer in Form und Farbe deutlich von diesem verschiedenen Blütenkrone besteht. Foto: M. Neitzke


Der Bau der Blütenkrone der Lippenblütengewächse wird als zygomorph bzw. dorsiventral bezeichnet. Die fünf unterschiedlich geformten Blütenblätter sind derart miteinander verwachsen, dass eine Blüte mit nur einer Symmetrieeben entsteht, die die Blüte in zwei spiegelgleiche Hälften teilt. Zwei Blütenblätter sind zur Oberlippe und drei zur Unterlippe verwachsen.



Die weiße Blütenkrone der Weißen Taubnessel (Lamium album) ist zygomorph bzw. dorsiventral. Sie besitzt nur eine Symmetrieebene (rote Linie), die die Blüte in zwei deckungsgleiche Hälften teilt. Foto: M. Neitzke



Die Bezeichnung "dorsiventral" beschreibt die Tatsache, dass durch den Bau der Blüte mit Ober- und Unterlippe, eine Oberseite oder Rücken (lat. dorsum) und eine Unter- bzw. Bauchseite (lat. venter) entsteht, die sich unterscheiden.


Zygomorphe oder dorsiventrale Blüte der Echten Goldnessel (Lamium galeobdolon).  Foto: M. Neitzke


Die unteren Abschnitte der Kronblätter sind zu einer Röhre, der Kronröhre verwachsen. In der Regel sind 4 Staubblätter (das mittlere ist ausgefallen), 2 lange und 2 kurze vorhanden.  Manchmal sind nur 2 Staubblätter ausgebildet.[3] 

An der Blüte der Weißen Taubnessel ist deutlich die Kronröhre und der zweilippige Saum, bestehend aus Ober- und Unterlippe zu erkennen. Die 4 Staubblätter und der Griffel ragen aus der Kronröhre heraus. Foto: M. Neitzke

Die Stellung der Narbe und der sich nach unten öffnenden Staubbeutel (Antheren) unter der Oberlippe ermöglicht, dass diese von den Besuchern mit dem Kopf, Brust und Rücken berührt werden. Sie können dabei Pollen in ihrem Haarkleid aufnehmen und zur nächsten Blüte transportieren oder Fremdpollen auf der Narbe abladen. Fotos: M. Neitzke



Der Fruchtknoten ist oberständig. An seiner Basis befinden sich die Nektarien.[5] Der Fruchtknoten ist zweiblättrig, lässt aber schon zur Blütezeit eine tiefe Vierteilung erkennen. Die Frucht ist also in 4 Nüsschen (Klausen) geteilt. Der Griffel ist zwischen den Klausen eingesenkt.[3]


Der Fruchtknoten steht bei den Lippenblütengewächsen oberständig. Der lange Griffel mit der zweiteiligen Narbe ist zwischen den Klausen eingesenkt. Foto: M. Neitzke




Blick in die Blüte der Echten Goldnessel (Lamium galeobdolon) nach Entfernung der Unterlippe. Ein Haarring schützt den Nektar vor Nektarräubern. Foto: M. Neitzke


Die Länge der Blütenkronröhre entscheidet darüber, welche Insekten an den Nektar an der Basis des Fruchtknotens gelangen können.


An den Nektar am Ende der langen Blütenkronröhre (Agastache mexicana) gelangt nur das Taubenschwänzchen (Macroglossum stellaterum) mit seinem 25-28 cm langen Rüssel. Den kleinen Schwebfliegen mit ihren kurzen Rüsseln bleibt nur der Pollen der aus der Kronröhre herausragenden Staubblätter. Fotos: M. Neitzke


Abweichungen von diesem zweilippigen Aufbau finden wir bei den Gattungen Teucrium (Gamander) und Ajuga (Günsel). Bei diesen Gattungen erscheint die Krone scheinbar 1lippig, da die Oberlippe stark verkürzt ist wie bei der Gattung Ajuga oder scheinbar fehlt wie bei der Gattung Teucrium.



Blüten des Echten Gamanders (Teucrium chamaedrys) mit scheinbar 5zipfliger Unterlippe und scheinbar fehlender Oberlippe. Foto: M. Neitzke



Bei der Gattung Teucrium (Gamander) ist die Oberlippe tief gespalten. Die beiden Hälften sind der Unterlippe seitlich angewachsen, so dass die Unterlippe daher scheinbar 5zipflig erscheint und Oberlippe scheinbar fehlt.


Blüten des Salbei-Gamanders (Teucrium scorodonia) mit scheinbar fehlender Oberlippe. Foto: M. Neitzke




Blüten des Kriechenden Günsels (Ajuga reptans) mit stark reduzierter Oberlippe. Foto: M. Neitzke


Bei einigen ursprünglichen Gattungen, wie z.B. der Gattung Mentha (Minze)  und Lycopus  (Wolfstrapp) ist die Krone fast radiärsymmetrisch.

 

Acker-Minze (Mentha arvensis), Abb. C. A. M. Lindman (1901-1905)

Wolfstrapp (Lycopus europaeus), Abb. C. A. M. Lindman (1901-1905)

Bei der Gattung Mentha (Minze) erscheint die Krone fast radiär. Sie ist etwa bis zur Hälfte 4spaltig. Die Oberlippe ist ungeteilt und jeder der drei Lappen der Unterlippe fast gleich.


Auf den Blüten der Wasserminze (Mentha aquatica) haben sich die Dunkle Erdhummel (Bombus terrestris) und eine Hummel-Waldschwebfliege (Volucella bombylans, links auf der linken Abbildung bzw. oben auf der rechten Abbildung), eine Schwebfliege, die in ihrer Zeichnung Hummeln imitiert, niedergelassen. Die Hummel-Waldschwebfliege (Volucella bombylans) sieht der Dunklen Erdhummel (Bombus terrestris) zum Verwechseln ähnlich. Fotos. M. Neitzke





Eine fast radiärsymmetrische, vierzählige Blüte tritt auch beim Wolfstrapp (Lycopus europaeus) auf. Eine Gemeine Sumpfschwebfliege (Helophilus pendulus) versucht den Nektar am Grund der Blüte zu trinken (rechts). Fotos: M. Neitzke



Auffällige Eigentümlichkeiten von Krone und Kelch, die auch zur Namensgebung der entsprechenden Gattungen beigetragen haben, sind z.B. Ausstülpungen der Unterlippe der Krone des Hohlzahns (Galeopsis) oder schildförmige Schuppen auf der Kelchoberseite (Scutellaria = Helmkraut).





An den Unterlippen der weißen Blüten des stechenden Hohlzahns (Galeopsis tetrahit) sind deutlich die an Reißzähne eines Raubtieres erinnernden Ausstülpungen zu erkennen. Fotos: M. Neitzke

Die hohlen, zahnartige Ausstülpungen der Unterlippe der Gattung Galeopsis (Hohlzahn) dienen als Kopfführung der Blütenbesucher, vor allem Bienen, und sind für den deutschen Namen dieser Gattung „Hohlzahn“ verantwortlich. 


Blüten des Gewöhnlichen Helmkrauts (Scutellaria galericulata) mit der charakteristischen Schuppe auf der Oberseite des Kelches. Foto: M. Neitzke

Der Gattungsname „Scutellaria“ leitet sich von lat. scutella = Schüsselchen ab, wegen der charakteristischen oberseitigen Kelchschuppe. Denselben Bezug hat der Artname „galericulata“, der sich von lateinisch galea = Helm ableitet.[4]




Während die Ackerhummel (Bombus pascuorum) mit ihrem langen Rüssel den Nektar am Grund der Blüte des Helmkrauts erreichen kann, kann sich die Winter-Schwebfliege (Episyrphus balteatus) nur an dem Pollen bedienen. Fotos: M. Neitzke


Früchte der Lippenblütengewächse


Der Fruchtknoten der Lippenblütengewächse ist oberständig und tief vierteilig.[6]


Ein Blick in den Kelch der Weißen Taubnessel (Lamium album) zeigt die tiefe Vierteilung des Fruchtknotens.  Foto: M. Neitzke

Bei der Reife zerfällt die Fruchtknoten in 4 Teilfrüchte (Klausen), die einen ölhaltigen Anhang (Elaiosom) tragen, der gerne von Ameisen gefressen wird. Sie schleppen die Früchte in ihre Nester und tragen dadurch zur Verbreitung bei.


Früchte der Weißen Taubnessel (Lamium album) mit Ölkörper. Die reifen Teilfrüchte werden von dem sich verengenden Kelch nach oben gedrückt und vom Wind herausgeschüttelt. Ihre Verbreitung besorgen Ameisen. Foto: M. Neitzke

Die Samen von Arten der Gattung Thymus werden wegen ihrer ölhaltigen Elaiosome gern von Ameisen in ihre Nester eingeschleppt, in denen dann das Elaiosom verzehrt wird. Der Same, an dem sie nicht interessiert sind, wird dann wieder aus dem Nest geschleppt. Deshalb findet man häufig Thymianpflanzen auf Ameisennestern.

Blütenstände der Lippenblütengewächse


Die Blüten stehen oft in Scheinquirlen (gegenständige Zymen). Bei den Zymen handelt es sich meistens um Doppelwickel.

•      Die Scheinquirle können entfernt in der Achsel von Hochblättern stehen (z.B. Lamium, Mentha)

•      die Scheinquirle können zu kugeligen (kopfig-doldigen) Blütenständen (z.B. Mentha (Minze), Prunella (Braunelle), Thymus   

        (Thymian), Origanum majorana (Majoran)),

•      zu ährenförmgien Gesamtblütenständen (z.B. Salvia (Salbei), Stachys (Ziest))

•      oder zu rispigen Gesamtblütenständen (z.B. Origanum vulgare (Dost)) vereinigt sein.

       Dieser Blütenstandstyp wird als Thyrse bezeichnet.




Die Blüten stehen bei der Weißen Taubnessel (Lamium album) in aus Doppelwickeln (Zymen) aufgebauten Scheinquirlen in den Achseln von laubblattähnlichen Hochblättern. Man spricht von Scheinquirlen, da sie nur scheinbar wie bei einem echten Quirl rings um den Stängel angeordnet sind. Fotos: M. Neitzke





Bei den Teilblüten-ständen (Zymen) handelt es sich um Doppelwickel. Foto: M. Neitzke

Der Aufbau der Zyme aus Doppelwickeln ist bei der Taubnessel (Lamium spec.) aufgrund der sehr kurzen Stiele der Blüten und des Blütenstands schlecht zu erkennen. Besser zu sehen ist dies bei der Echten Melisse (Melissa officinalis), vor allem an den vorjährigen Blütenständen, die nur noch aus den vertrockneten Kelchen bestehen.


Vorjähriger Blütenstand der Zitronen-Melisse (Melissa officinalis). An den Knoten entspringen auf zwei sich gegenüberliegenden Seiten des Stängels zwei Teilblütenstände (Zymen). Beide Zymen bilden Scheinquirl. Foto: M. Neitzke





Die Anordnung der Blüten in Quirlen erleichtert den Insektenbesuch erheblich. Diese können energiesparend in einem Scheinquirl von einer zur nächsten Blüte wechseln wie an einem Buffet.



Eine Ackerhummel wandert in einem Scheinquirl, wie an einem Büffet, von Blüte zu Blüte. Fotos: M. Neitzke





Blütenstand der Gemeinen Braunelle (Prunella vulgaris). Die in der Regel sechsblütigen Scheinquirle bilden eine deutlich abgesetzte, dichte, oft kopfige Scheinähre. Foto: M. Neitzke





Beim Wiesensalbei (Salvia pratensis) stehen die Scheinquirle  mehr oder weniger entfernt an der Blütenstandsachse und bilden eine unterbrochene, gestreckte Scheinähre. Fotos: M. Neitzke






Beim Gewöhnlichen Dost (Origanum vulgare) stehen die Blüten in lang gestielten gegenständigen Zymen, die eine lockere Rispe bilden. Fotos: M. Neitzke

Die Tragblätter können wie bei der Kammminze (Elsholtzia spec.) alle in einer Ebene angeordnet und von den Laubblättern stark verschieden sein.

Bei der Echten Kammminze (Elsholtzia ciliata) sind die breit eiförmigen, scharf zugespitzten Tragblätter der Zymen alle in einer Ebene angeordnet und decken sich mit ihren Rändern. Die Zymen sind stark einseitswendig. Die Krone ist nur schwach 2lippig.[7]  Fotos: M. Neitzke 



Stängel der Lippenblütengewächse


Typisch für die Familie der Lippenblütengewächse ist ein vierkantiger Stängel.




Ein Querschnitt durch den Stängel des Kriechenden Günsels (Ajuga reptans) zeigt eines der 4 Merkmale der Familie der Lamiaceae (Lippenblütler): den vierkantigen Stängel. Foto: M. Neitzke


Blattstellung und Blattform der Lippenblütengewächse


  • Laubblätter fast immer stängelständig
  • nur selten fast alle Laubblätter in einer grundständigen Blattrosette z.B. Horminum (Drachenmaul)
  • kreuzgegenständige Blattstellung (selten wechselständig oder quirlständig)
  • in der Regel einfach
  • nur selten gefiedert z.B. Teucrium botrys (Trauben-Gamander)
  • keine Nebenblätter (Stipeln)
  • Blätter gestielt oder sitzend z.B. Teucrium scordium (Lauch-Gamander)
  • Blattrand ganzrandig z.B. Günsel (Ajuga) bis doppelt gezähnt z.B. Taubnessel (Lamium)



Der Spross der Weißen Taubnessel (Lamium album) zeigt die für die Familie der Lamiaceae typische kreuzgegenständige (dekussierte) Blattstellung. Bei einer kreuzgegenständigen Blattstellung stehen an einem Knoten je 2 Blätter einander gegenüber, das darauffolgende Paar ist um 90° versetzt am Stängel angeordnet. Zwei aufeinanderfolgende Blattpaare bilden also, wenn sie in eine Ebene projiziert werden, ein Kreuz. Diese Art der Blattstellung verhindert eine gegenseitige Beschattung der Blätter. Foto: M. Neitzke

Das Drachenmaul (Horminum pyrenaicum) gehört zu den wenigen Pflanzen innerhalb der Familie der Lippenblütengewächse bei der die Laubblätter fast alle in einer Rosette angeordnet sind. Fotos: M. Neitzke



Exkurs: Hebelmechanismus bei der Gattung Salbei (Salvia)


Die Gattung Salbei ist in ihrem Blütenbau innerhalb der Lippenblütler am stärksten an Fremdbestäubung angepasst. Die Blüten haben dazu einen Mechanismus entwickelt, der als sog. Hebelmechanismus oder auch als Schlagbaummechanismus bezeichnet wird. Dieser Mechanismus soll am Beispiel des Klebrigen Salbeis (Salvia glutinosa) erläutert werden.



Der Klebrige Salbei (Salvia glutinosa) ist eine gelb blühende Salbeiart, die in Schlucht- und Auenwäldern, an Waldrändern und auf Waldschlägen wächst. Foto: M. Neitzke

Die Staubblätter dieser Gattung haben eine merkwürdige Veränderung durchlaufen. Die Anzahl der Staubblätter und Staubbeutel ist reduziert. Zunächst einmal sind von den in der Regel 4 vorhandenen Staubblättern zwei verkümmert. Auch die beiden fruchtbaren Staubblätter weichen in ihrem Bau stark von dem Aufbau eines normalen Staubgefäßes, an dem man Staubfaden (Filament) und 2 Staubsäckchen (Antheren) mit Mittelband (Konnektiv) unterscheidet, ab. Das Mittelband (Konnektiv) ist die Fortsetzung des Staubfadens und verbindet die beiden Staubeutelhälften, die Theken. Während nun der Staubfaden (Filament) stark verkürzt und in der Blütenkronröhre verborgen ist, ist die eine Hälfte des Mittelbandes stark verlängert und reicht in die Oberlippe hinein. Diese trägt am Ende eine fertile Staubeutelhälfte (Theke).


Blick von unten in die Blüte des Klebrigen Salbeis (Salvia glutinosa). Eine Hälfte der Oberlippe wurde entfernt, um den Blick auf die Staubblätter und die Konstruktion der sog. „Hebelvorrichtung“ frei zu geben. Foto: M. Neitzke

Die wie Staubfäden aussehenden Gebilde unter der Oberlippe, sind also nicht zwei Staubbeutel auf langen Filamenten, sondern zwei Staubbeutelhälften (Theken) auf je einem langen, tragenden Mittelbandteil (Konnektivteil). Der andere Teil des Mittelbandes ist dagegen sehr kurz. Das zu diesem Teil gehörende Staubsäckchen (jeder Staubbeutel besteht ja aus zwei Hälften (Theken) und dem Konnektiv) verkümmert so stark, dass es kaum noch nachweisbar ist. Der untere Teil dieses kurzen Mittelbandabschnittes ist zu einer löffelartigen Platte verbreitert. Sie versperren den Eingang zum Blütenschlund und damit zum Nektar. Der eigentliche, kurze Staubfaden ist durch ein Gelenk drehbar mit dem Mittelband verbunden. Durch diese Umbildungen des Mittelbandes und die gelenkige Verbindung desselben mit dem Filament entsteht ein zweiarmiger Hebel. Wenn nun ein Insekt, z.B. eine Hummel oder Biene, an den am Blütengrund (am Fruchtknoten) befindlichen Nektar gelangen will, stößt es an die verbreiterten Enden der unteren Mittelbandhälften (untere Hebelarme) und der Hebelmechanismus wird in Tätigkeit gesetzt. Die unteren Hebelarme bewegen sich nach hinten und oben, und die beiden langen Hebelarme mit den Staubsäckchen bewegen sich nach unten Richtung Insektenrücken und der Pollen wird auf dem Rücken des Insektes abgestreift. Zieht sich das Insekt zurück, lässt der Druck auf die unteren Hebelarme nach und die Staubbeutel bewegen sich wieder nach oben unter die Oberlippe der Blüte.






Drückt ein Insekt bei der Suche nach Nektar am Grund der Blüte gegen die zu Druckplatten umgebildeten Enden der kurzen Hälfen des Mittelbandes, schwingen diese nach hinten und oben. Gelichzeitig bewegen sich die die Staubbeutelhälften tragenden Abschnitte des Mittelbandes nach unten. Der Pollen kann so auf dem Rücken eines Insektes abgeladen werden. Foto: M. Neitzke

Die Blüten sind vormännlich, d.h. die Staubbeutel in einer Blüte reifen vor dem Stempel. Dringt also eine Hummel in eine junge Blüte mit reifen Staubbeuteln ein, wird ihr Rücken und Hinterteil mit Pollen eingepudert. In älteren Blüten senkt sich der Griffel bogig nach unten. Bringt eine Hummel auf ihrem Rücken von einer jüngeren Blüte Pollen mit, so kann er nun von den Narbenlappen aufgenommen werden.[3, 6, 7, 9]



Der Griffel wächst erst nach der Pollenreife aus der Oberlippe heraus und biegt die Narbe soweit nach unten, dass sie in Höhe des Insektenrückens kommt. Der mitgebrachte Pollen wird so an der Narbe abgestreift.[6] Foto: M. Neitzke

Eine Ackerhummel (Bombus pascuorum) löst bei der Suche nach Nektar in der Blüte des Klebrigen Salbeis den sog. Hebelmechanismus aus. Fotos: M. Neitzke

Literatur:


  1. Bayton, R. & Maughan, S. (2018): Pflanzenfamilien. Haupt, Bern.
  2. Bresinsky, A., Körner, C., Kadereit, J. W., Neuhaus, G. & Sonnewald, U. (2002): Strasburger – Lehrbuch der Botanik. 35. Aufl. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg.
  3. Danert, S., Fukarek, F. Hammer, K., Hanelt, P., Keller, J., Kruse J., Gladis, Th. & J. Schultze-Motel (1994): Urania-Pflanzenreich – Blütenpflanzen 2., Urania- Verlag, Leipzig, Jena, Berlin, 609 S.
  4. Düll, R. & Kutzelnigg, H. (1994): Botanisch-ökologisches Exkursionstaschenbuch. Quelle & Meyer, Wiesbaden.
  5. Fragniè, Y., Ruch, N., Kozlowski, E., & G. Kozlowski (2018): Botanische Grundkenntnisse auf einen Blick. Haupt, Bern.
  6. Graf, J. (1975): Tafelwerk zur Pflanzensystematik. J.F. Lehmanns Verlag, München. 161 S.
  7. Heß, D. (1990): Die Blüte. 2. Aufl. Ulmer, Stuttgart, 458 S.
  8. Jäger, E.J. (Hrsg.) (2011): Rothmaler - Exkursionsflora von Deutschland. Gefäßpflanzen: Grundband. 20. Aufl., Springer Spektrum, Berlin Heidelberg.
  9. Kugler, H. (1970): Blütenökologie, Gustav Fischer Verlag, Stuttgart, 345 S.
  10. Lindman, C.A. M. (1901-1905): Bilder ur Nordens Flora.
  11. Senghas, K. & Seybold, S. (2003): Schmeil – Fitschen - Flora von Deutschland. 92. Aufl., Quelle & Meyer Verlag, Wiebelsheim.
  12. Weberling, F. (1981): Morphologie der Blüten und Blütenstände. Eugen Ulmer, Stuttgart, 391 S.
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