Sicher bei HochwasserRichtig festmachen – worauf es wirklich ankommt

Mike Peuker

 · 15.12.2023

Die Liegeplätze in den Sportboot­häfen an der Ostseeküste sind meist Boxen zwischen Steg und Dalben
Foto: YACHT/M. Peuker
Tipps und Tricks: optimal festmachen vor dem Hochwasser
Auf der Ostsee werden Segler von den Gezeiten nicht behelligt. Mit Hochwasser müssen sie trotzdem gelegentlich umgehen – erst kürzlich sorgte die Jahrhundert-Sturmflut für Schaden und Schrecken. Beherzigt man einige Tricks, ist die Yacht im Hafen jedoch bei nahezu allen Bedingungen sicher

Die Ostsee-Sturmflut 2023 hat in mehreren Yachthäfen eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Angesichts der Gewalt dieser Naturkatastrophe stellt sich die Frage, ob es überhaupt möglich gewesen wäre, Schäden zu vermeiden. Kann etwas zum Schutz der Boote unternommen werden, wenn Hafenmolen überspült werden und Schwimmstege loskommen? Wenn Festmacher reißen und Schiffe in Böen von mehr als 70 Knoten frei umherdriften?

In der Nachbetrachtung ist gleichwohl festzustellen, dass mehrere der havarierten Yachten hätten gerettet werden können, wären sie richtig festgemacht oder noch besser in einen geschützten Hafen verholt worden. Während beispielsweise im Maasholmer Gemeindehafen desaströse Verhältnisse mit Totalverlusten im zweistelligen Bereich eintraten, gab es nur eine halbe Seemeile um die Ecke mehr als 50 freie Plätze im Hafen der Modersitzki-Werft, der gut gegen Wind aus Ost geschützt ist. Dort waren nahezu keine Schäden zu beklagen. Ähnliches galt für Häfen an der West- und Ostseite der Kieler Förde.

Gibt es keine solche Option, bleibt nur, das Boot bestmöglich festzumachen. Dabei gilt es, vor einer angesagten Sturmflut nicht nur den enormen Winddruck zu beachten. Vor allem dessen Kombination mit extrem ansteigendem Wasserstand stellt Eigner vor enorme Herausforderungen, denn solche Situationen wie die im aktuellen Fall der Ostsee-Sturmflut sind bislang ohne erlebtes Beispiel. Wir zeigen im Folgenden, welche Grundprinzipien in den gängigsten Liegeplatzsituationen beachtet werden sollten.

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1. In der Box an Steg und Dalben

Im Normalfall sind die meisten Boote hier an vier Leinen fest. Die achteren Festmacher werden mit eingespleißten oder geknoteten Augen über zwei Dalben gelegt, die beiden Vorleinen finden ihren Platz auf Klampen am Steg, und die ausgewählte Box ist länger als das Schiff.

Die Festmacher sind keine ausrangierten Fallen oder Schoten, sondern für ihren Zweck optimiertes Tauwerk. Bruchlast und Reck müssen zu Schiffsgröße und -gewicht passen. Derlei Leinen sind einerseits stabil, andererseits aber elastisch genug, um Boot und Nerven der Crew zu schonen.

Häufig werden die Vorleinen auf Slip belegt. Das ist aus verschiedenen Gründen von Nachteil. Die Festmacher haben weniger Reck, schamfilen an den Klampen auf dem Steg und nehmen bei jeder Bootsbewegung mehr Schaden. Und schließlich können sie auch nicht vom Steg aus gefiert werden, wenn sich der Wasserstand verändert. In einigen Häfen ist das Belegen auf Slip daher auch – zu recht – per Hafenordnung verboten.

Kentergefahr: Wann welche Maßnahmen ergriffen werden müssen

Je besser die Länge der Leine, ihre Führung sowie Ruckdämpfer und Reck aufeinander abgestimmt sind, desto ruhiger ist es für Boot und Besatzung. Sind keine Ruckdämpfer zur Hand, können die Vorleinen mit ein wenig Improvisation über liegende Fender geführt werden, was den Komfort an Bord erheblich verbessern kann.

Alternativ seien Gewichte an den achteren Festmachern genannt, die das Ruckverhalten verbessern. Positiver Nebeneffekt : Je höher das Schiff aufschwimmt, desto weiter rutschen die Gewichte Richtung Dalben und helfen dort, die Leinen unten zu halten.

Steht ein extremes Wetterereignis wie das zurückliegende Jahrhunderthochwasser mit Sturm und außergewöhnlich hohen Wasserständen ins Haus, reichen die geschilderten Maßnahmen allerdings nicht aus. Der steigende Wasserspiegel hob die Boote ja um mehr als zwei Meter an. Früher oder später geraten die vier ausgebrachten Leinen in einer solchen Situation unter einen immer stärker werdenden Zug.

Einstellungssache: Die richtige Länge der Festmacher bestimmen

Dieser Effekt ist umso ausgeprägter, je kürzer die Box ist, denn desto steiler ist in dem Fall der Zugwinkel der Leinen. Liegen die Achterleinen dann ohne weitere Sicherung nur mit einem großen Auge auf den Heckpfählen, werden sie spätestens in dem Moment abspringen, wenn der Wasserstand die Höhe der Dalbenenden erreicht. Tatsächlich wird das in der Praxis aufgrund der verschiedenen weiteren Einflüsse, etwa der im aufkommenden Schwell zunehmenden Schiffsbewegungen, deutlich früher passieren. Abgesehen von der Tatsache, dass das Heck des Schiffs nun nicht mehr ortsfest ist, bahnt sich damit gleich das nächste Problem an: Die vorderen Festmacher werden das Boot, zumindest solange sie nicht brechen, sukzessive unter Wasser ziehen.

Ein Szenario, das bis zum Kentern führen kann, wie mehrere Fälle in der vergangenen Sturmflut gezeigt haben. Sollten die Festmacher hingegen der Belastung nicht standhalten und brechen, dann geht das Schiff auf Drift durch den Hafen. Meist mit ähnlich verheerenden Folgen.

Der Ausweg aus dem Dilemma sind lange Boxen und lange Leinen. Wenn möglich, sollte die Box wenigstens drei bis fünf Meter länger als das Boot sein. Die Leinenlänge lässt sich mit einem einfachen Trick ermitteln. Und zwar mit Teleskop-Bootshaken und Zollstock auf dem Vorschiff. Soll das Wasser zwei Meter höher als normal steigen, werden auch die Klampen des Schiffs um dieses Maß höher liegen als vorher. Stellt man also den entsprechend abgelängten Bootshaken neben die Klampe, befindet sich an dessen oberem Ende der Punkt, an dem sie bei dem prognostizierten Hochwasser in etwa liegen wird. Nimmt man jetzt die Leinen von den Klampen und lässt sie über den eingestellten Bootshaken laufen, findet man die Stelle, die wieder auf der Klampe belegt werden muss, damit die Leine später nicht unter hohe Spannung gerät.

Richtig: Die Vor- und Achterleinen sind so abgelängt, dass sie bei dem angesagten Wasserhöchststand nicht unter große Spannung geraten. Den Abstand zu Steg und Dalben regulieren vorher die ausgebrachten SpringsFoto: YACHTRichtig: Die Vor- und Achterleinen sind so abgelängt, dass sie bei dem angesagten Wasserhöchststand nicht unter große Spannung geraten. Den Abstand zu Steg und Dalben regulieren vorher die ausgebrachten SpringsFalsch: Die Festmacher wurden nur so weit gefiert, dass das Schiff nicht gegen Steg und Dalben stößt. Das reicht im Beispiel aber nicht aus. Bei steigendem Wasser brechen die Leinen, oder Klampen reißen aus Deck oder StegFoto: YACHTFalsch: Die Festmacher wurden nur so weit gefiert, dass das Schiff nicht gegen Steg und Dalben stößt. Das reicht im Beispiel aber nicht aus. Bei steigendem Wasser brechen die Leinen, oder Klampen reißen aus Deck oder Steg

Springs setzen: je länger, desto besser

Das Gleiche macht man am Heck und geht dabei von über Kreuz gelegten Achterleinen aus. Wenn möglich, werden deren Enden hinter den Klampen zusätzlich auf Winschen in der Nähe belegt. So ist das Boot auch bei Versagen der Klampen noch an den Winschen fest. Das Motto heißt : Redundanz erhöht die Sicherheit.

Allerdings wird das Schiff nun, solange der maximal erwartete Wasserstand noch nicht erreicht ist, gegen Dalben oder Steg treiben, da jetzt viel zu viel Lose in den Leinen ist. Es braucht Springs, um dieses Problem aus der Welt zu schaffen. Und die müssen so lang wie möglich sein. Damit das Boot in dieser Situation nicht gegen den Steg treibt, legt man eine lange Leine von einem Heckdalben zur Mittelklampe des Schiffs, besser noch zur Bugklampe.

Diese Leine wird so abgelängt, dass das Boot den Steg gerade eben nicht berühren kann. Das Gleiche macht man auf der anderen Seite sozusagen umgekehrt, um zu verhindern, dass das Schiff wegen der viel zu langen Vorleinen rückwärts gegen die Dalben treibt. Durch die Länge dieser Springs und deren erheblich flacheren Winkel zum Boot können sie große Wasserstandsänderungen mitmachen.

Da sich Klampen am Boot und am Steg losreißen können, sollten die Festmacher auf möglichst viele Punkte verteilt werden

Um den Bug in der Boxenmitte zu halten, können, sofern keine Nachbarlieger im Weg sind, zusätzlich sehr lange Vorleinen angebracht werden, die im möglichst stumpfen Winkel vom Vorschiff zu einer weiter entfernten Klampe am Steg führen. Auch hier gilt : Je länger, desto besser können sie das kommende Hochwasser ausgleichen.

So ist das Boot gut auf Hochwasser vorbereitet. Hat man genug Platz, Leinen, Klampen und Winschen, spricht nichts dagegen, Festmacher zu doppeln oder zusätzliche Leinen von einer Mittelklampe oder vom Mastfuß aus zum Steg zu legen. Viel hilft in diesem Fall auch viel.

Bei vorhergesagtem Extremwetter muss davon ausgegangen werden, dass neben den eigenen Klampen auch Befestigungspunkte am Steg versagen können. Daher bietet es sich an, nicht wie üblich nur auf zwei Klampen zu setzen, sondern die Last auf viele Punkte zu verteilen. Vielleicht kann man die Leinen gleich um den ganzen Steg oder eine seiner Stützen legen, hier ist Kreativität gefragt. Schließlich muss – insbesondere bei solch unkonventionelleren Festmachpunkten, mit geeigneten Maßnahmen verhindert werden, dass die Leinen schamfilen.

Länge läuft: Damit das Boot aufschwimmen kann, braucht es Platz und lange Festmacher

Ebenso wichtig ist es zu bedenken, dass die Leinen auch bei dem höchst anzunehmenden Wasserstand nicht loskommen dürfen. Während das bei Klampen am Steg unproblematisch ist, erfordert dieser Punkt der Vorbereitung bei den Heckpfählen sehr sorgfältiges Vorgehen. Egal ob die Dalben mit glattem Kunststoff überzogene Stahlrohre oder stumpfe Holzdalben sind, die Heckleinen müssen darauf halten. Vielfach sind die Pfähle mit Metallwinkeln oder Ähnlichem am oberen Ende versehen. Unter normalen Umständen werden die Leinen darübergelegt, damit sie nicht ins Wasser fallen. Steht extremes Hochwasser bevor, bietet es sich an, die Heckleinen unter diesen Winkeln zu positionieren.

Um die achteren Festmacher am Pfahl zu befestigen, kommt oft eine durch sich selbst gezogene Schlinge zum Einsatz. Unter Zug stehend, hält dieser Knoten auch recht gut, bei Nichtbelastung kann er sich aber lockern und verrutschen. Besser ist ein Stopperstek mit zwei halben Schlägen.

Zusätzlich kann man die Heckleinen beschweren. Gewichte, Ketten oder randvolle Kanister sind gut geeignet. Mit zunehmendem Wasserstand rutschen sie Richtung Dalben, büßen dabei ihre Funktion als Ruckdämpfer zwar ein, helfen aber, die Festmacher auf den Pfählen zu halten.


2. Längsseits an Steg oder Pier

Diese Situation ist bei einer Sturmflut nur mit ablandigem oder Wind von vorn ratsam. Im Prinzip gelten dabei die gleichen Grundsätze wie beim Festmachen in der Box. Auch hier liegt das Geheimnis in den langen Leinen. Wie man die richtig belegt, ist bei den Fischern im Englischen Kanal zu sehen, die sich dort mit mehreren Metern Tidenhub arrangieren müssen.

Die Vorspring läuft von der vorderen Klampe des Bootes zu einem Punkt an Land, der sich möglichst weit hinter dem Schiff befindet. Die Achterspring umgekehrt von der achteren Klampe zu einem Punkt weit vor dem Boot.

Von den jetzt noch freien Klampen auf der ablandigen Seite des Schiffs sollten zusätzliche lange Leinen nach vorn und hinten am Steg geführt werden.

Möglichst viele verschiedene Leinen auf möglichst viele Klampen an Boot und Steg verteilen

Längsseits an der Pier oder dem Steg gilt es ebenfalls, dem Schiff durch lange Leinen möglichst viel Bewegungsfreiheit zu geben, wenn Hochwasser zu erwarten istFoto: YACHTLängsseits an der Pier oder dem Steg gilt es ebenfalls, dem Schiff durch lange Leinen möglichst viel Bewegungsfreiheit zu geben, wenn Hochwasser zu erwarten ist

Auch hier gilt es, möglichst viele verschiedene Leinen auf möglichst viele Klampen an Boot und Steg zu verteilen, um Redundanzen für Fälle von Materialversagen zu schaffen. Ergänzt werden die Festmacher durch zwei Leinen, die im rechten Winkel vom Steg zum Boot führen und verhindern sollen, dass sich das Schiff zu weit vom Steg entfernt. Ihre Länge wird wieder mit der Bootshaken-Methode ermittelt.

Insbesondere wenn längsseits festgemacht wird, sollte das Boot sorgfältig abgefendert werden. Sofern unterschiedlich dicke Fender vorhanden sind, kommt es auf deren richtige Verteilung an: Dicke Fender vorn und hinten, zur Schiffsmitte hin wird ihr Durchmesser dann immer kleiner.

Damit sie optimal fixiert sind, werden die Fender, wenn möglich, am Steg und nicht an der Reling befestigt.


3. Im Päckchen

Auf Päckchenliegen, zumindest mit mehreren Segelbooten, sollte bei bevorstehenden

Schwerwetterereignissen möglichst verzichtet werden. Selbst wenn die Schiffe versetzt vertäut werden, also Heck an Bug und umgekehrt, wäre die Gefahr bei Starkwind und Welle zu groß, dass sich die Riggs in die Quere kommen und beschädigt werden.


4. Am Schwimmsteg

Die scheinbar besten Plätze bei Hochwasser sind nur sicher, solange der betreffende Steg auch tatsächlich an Ort und Stelle bleibt. Während der Ostsee-Sturmflut konnten die Schwimmstege mancherorts den Naturgewalten jedoch nicht trotzen und rissen sich los oder schwammen schlicht aus ihrer Verankerung. Wenn ungewöhnlich hohe Wasserstände prognostiziert werden, ist es daher ratsam zu prüfen, ob ein Schwimmsteg diesen standhält.

Fazit : Auch auf eine Jahrhundertsturmflut können Eigner ihre Schiffe vorbereiten. Neben dem nötigen Glück kann das dazu beitragen, sie unbeschadet zu überstehen.


5. Bonus: die wichtigsten Faustregeln bei Hochwasser

  • Schiff in eine lange Box verlegen
  • Bug in den Wind
  • Vor- und Achterleinen gemäß dem zu erwartenden Wasserstand verlängern
  • Ruckdämpfer einbauen
  • Redundanzen für Ausfälle schaffen: zusätzliche Leinen von mehreren Punkten an Bord zu verschiedenen Stellen an Land ausbringen
  • Alle Leinen so lang wie möglich
  • Windangriffsfläche aufs Mindestmaß verkleinern und etwa Sprayhood, Persenning und die Segel abschlagen
  • Alle Fender ausbringen
  • Landstrom-Kabel abschlagen Ein Video zum Thema „Sturmsicher festmachen“ hat der Autor auf seinem Youtube-Kanal veröffentlicht

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