SeemannschaftWenn die Sicht fehlt – Verhalten bei Nebel

Hauke Schmidt

 · 07.09.2023

Frühnebel auf der Elbe. Gerade im Spätsommer und Herbst keine Seltenheit
Foto: YACHT/N. Krauss
Nebel ist und bleibt eine der navigatorischen und seemännischen Herausforderungen. Mit welchen Maßnahmen die Crew am sichersten fährt

Dicke Suppe! Die Hafenausfahrt ist kaum auszumachen, der Wind bläst minimal. Eine Wettererscheinung, die auf See unangenehmer als jeder Sturm werden kann. Wer kann, bleibt im Hafen. Tritt der Nebel überraschend unterwegs auf, wird er zu einer der letzten großen Herausforderungen. Dank moderner Hilfsmittel ist zwar kein unerwarteter Landfall mehr zu befürchten, doch die Kollision mit einem schwimmenden Objekt könnte andere schwerwiegende Folgen haben.

Zum Wissen um diese Gefahr kommt der Panik-Faktor: Die meisten Menschen fühlen sich in ihrer Haut nicht wohl, sobald der meistgenutzte Sinn, das Sehen, eingeschränkt ist. Nur Starkregen oder dichter Schneefall sind noch größere Handicaps als Nebel, denn dann funktioniert selbst Radar nicht mehr zuverlässig, sogar der GPS-Empfang kann beeinträchtigt werden.

Ob Nebel allerdings wirklich gefährlich wird oder nur eine lästige Begleiterscheinung ist, hängt von vielen Faktoren ab. Neben der Sichtweite an sich spielt das Revier eine große Rolle, die Revierkenntnis und die Verkehrslage. Bei 300 Meter Sicht auf die Elbe – das lässt man besser bleiben. Die Schlei hingegen ist auch bei 100 Meter Sicht unter Umständen noch befahrbar.

Wie Nebel entsteht, lesen Sie in diesem Artikel:

Wo die Grenzen des GPS bei Nebel liegen

Im Großen und Ganzen sollte die Orientierung mithilfe von GPS auch in der dicksten Suppe noch gegeben sein – sofern man GPS hat. Ob man aber die Abhängigkeit einer einzigen, elektronischen Orientierungsmöglichkeit auf sich nimmt, muss jeder Skipper für sich entscheiden. Immerhin entfällt bei schlechter Sicht die Möglichkeit, mal eben per Kreuzpeilung die Position zu bestimmen. Kompass, Lot und Logge sind zwar eine Hilfe, aber nur, wenn Sie in etwa wissen, wo Sie sind. Im Notfall können Sie sich dann mit Unterstützung durch das Echolot an einer bekannten Tiefenlinie entlangtasten.

Meistgelesene Artikel

1

2

3

4

5

6

In engen Durchfahrten kann es allerdings auch mit Satellitenhilfe kritisch werden. Denn die Genauigkeit der Position im Plotter kann nicht optisch überprüft werden. Außerdem muss der Rudergänger auch entsprechend exakt den Daten des Plotters folgen können, um wirklich „blind“ eine Hafeneinfahrt zu treffen. In der Praxis sollte mit einer Abweichung von wenigstens 50 Metern zwischen der geplanten Kurslinie und dem tatsächlich gefahrenen Weg gerechnet werden. Und auch damit, dass die Karte, nach der geplant wurde, Abweichungen hat.

Was die Regeln bei Nebel verlangen

Nur unbequem oder doch Risiko, das hängt von den Umständen ab. In den Kollisionsverhütungsregeln (KVR) ist das Verhalten bei schlechter Sicht eindeutig festgelegt. In Regel 19 heißt es: „Jedes Fahrzeug muss mit sicherer Geschwindigkeit fahren, die den gegebenen Umständen und Bedingungen der verminderten Sicht angepasst ist.“ Zum Verhalten bei Annäherung ist zu lesen: „Jedes Fahrzeug, das anscheinend vorlicher als querab das Nebelsignal eines anderen Fahrzeuges hört, muss seine Fahrt auf das für die Erhaltung der Steuerfähigkeit geringstmögliche Maß verringern. Erforderlichenfalls muss es jegliche Fahrt wegnehmen und in jedem Fall mit äußerster Vorsicht manövrieren, bis die Gefahr einer Kollision vorüber ist.“

In der Praxis sieht es so aus: Wenn im eigenen geschützten Revier nur andere Segler unterwegs sind, hat man es mit Gegnern zu tun, die unter gleichen Bedingungen kämpfen. Das heißt, man sieht genauso gut oder schlecht, läuft auch ähnlich langsam und ist etwa gleich manövrierfähig. Da kann man es etwa so angehen wie auf der Straße: Bei intensivem Ausguck nur so manövrieren, dass innerhalb von weniger als der halben Sichtweite aufgestoppt oder ausgewichen werden kann. Auch dieses Vorgehen ist von den KVR empfohlen.

In Tidenrevieren sieht die Sache schon ganz anders aus. Denn durch Strom können Entgegenkommer sehr viel schneller auftauchen als erwartet: Beispielsweise läuft eine Yacht „bergauf“ vier Knoten durchs Wasser, macht bei zwei Knoten Tide noch zwei über Grund. Der Skipper fühlt sich durch die sehr langsam vorüberziehenden Pricken völlig sicher, schließlich würde der Strom ja noch beim „Bremsen“ helfen.

Das mag bei feststehenden Hindernissen zutreffen. Ein Entgegenkommer macht nun ebenfalls vorsichtige zwei Knoten, allerdings durchs Wasser; schließlich braucht er Ruderwirkung, um dem Priel zu folgen. Da der Strom schiebt, läuft dieses Schiff vier Knoten über Grund. Konsequenz: Statt mit den erwarteten vier Knoten nähern sich die beiden Schiffe einander mit deren sechs. Wer in Tidenrevieren zu Hause ist, kennt diesen Effekt, für andere kommt der „Raser“ überraschend.

Vorsicht bei “großen Pötten”

Wo sich nicht nur Yachten gegenüberstehen, muss freilich noch ganz anders kalkuliert werden: Ein 200 Meter langer Frachter mit Brücke achtern hat bei 400 Meter Sicht effektiv nur noch 200 Meter vor dem Bug. Andererseits bleibt dem dicken Pott auf diese Distanz kaum noch Gelegenheit zum Ausweichen. Und mit langsamer Fahrt ist das auch so eine Sache: Die Manövrierbarkeit wird dabei ganz schnell ganz schlecht.

Konkurrenz- und Zeitdruck führen oft dazu, dass Berufsschiffe trotz schlechter Sicht einfach mit elektronischer Hilfe weiterfahren. Das mag man nun gut oder weniger gut finden, ändern wird es nichts. Die Großen sehen sich untereinander ausreichend, als „kleines Ziel“ sollte man die Hauptschifffahrtswege möglichst meiden.

Welche Taktik bei Nebel sicher ist

Das beste Vorgehen in stark frequentierten Küstengewässern ist, sich dorthin zu verkriechen, wo kein vorbeifahrendes Schiff hinkommt, die vorgesehenen Schallsignale zu geben und an Ort und Stelle auf bessere Sicht zu warten. Natürlich schmeißt man den Haken nicht gerade im Fahrwasser weg – man möchte schließlich auf besseres Wetter warten und nicht auf den nächsten Dampfer, der einen überläuft. Eine alte Daumenregel für sichere Plätze lautet: Wo das Wasser flach ist, kommt kein großer Pott hin. Das gilt für Ankerplätze ebenso wie für Kurse.

Allzu flach ist aber auch nicht gut. Denn selbst wenn Nebel an der Küste meist mit Schwachwind einhergeht, können vorbeikommende Schiffe trotzdem gehörig Schwell erzeugen. Also sollte aus Sorge vor unliebsamen Begegnungen nicht in flacheres Wasser gefahren werden, als man es an der gleichen Stelle bei guter Sicht wagen würde.

Als GPS und Echolot noch nicht selbstverständlich waren, nutzten Segler vor dem Landfall im Nebel eine simple Methode: den Anker schon im tiefen Wasser über Bord fieren und dann so lange Richtung Küste laufen, bis er fasst. Dort blieb man dann bis zum Aufklaren. Dank Elektronik lässt sich heute ein passender Platz exakter finden. Es sollte eine Stelle gewählt werden, wo möglichst kein Durchgangsverkehr herrscht. Das kann eine Bucht sein oder einfach ein Bogen in der Tiefenlinie. Beim Ansteuern solcher Punkte muss natürlich sehr vorsichtig navigiert werden, schließlich könnten am angepeilten Platz oder auf dem Weg dahin schon andere Fahrzeuge auf bessere Verhältnisse warten

Auf keinen Fall in der Zufahrt zum nächsten Hafen oder in der Ansteuerungslinie markanter Wegepunkte ankern.

Die Berufsschifffahrt fährt auch bei Nebel nach Plan – und selten langsamer. Bekannte Kurse der „Dicken“, beispielsweise von Fährlinien, sollten daher von vornherein gemieden werden. Etwas neben dem direkten Weg sind weniger potenzielle Kollisionsgegner unterwegs. In der Karte vorgedruckte Wegepunkte sind ebenfalls nicht die erste Wahl, denn deren Koordinaten nutzen viele Skipper.

Wenn Ankern nicht möglich ist

Auf offener See hilft nur sehr wachsamer Ausguck. Dabei regelmäßig abwechseln, denn nach einiger Zeit sieht man im konturlosen Nebel alles Mögliche auf sich zukommen.

Manchmal ist vom Deck aus zu erkennen, dass der Masttopp offensichtlich in der Sonne glänzt, während unten kein Strahl ankommt. Die Idee, ein Crewmitglied über den Nebel ins Rigg zu ziehen, ist gar nicht so schlecht.

Die einwandfreie Kommunikation zwischen Ausguck und Rudergänger muss dabei sichergestellt sein, beispielsweise durch vorher abgesprochene Handzeichen. Oder durch Walkie-Talkies, die nicht viel kosten müssen. Wie dem auch sei – hohe Landmarken und große Schiffe sind von oben eventuell tatsächlich besser zu sehen. Es sollte aber immer mitkalkuliert werden, dass andere Hindernisse nicht unbedingt aus der Nebelbank herausragen: Tonnen, Motorboote, kleine Fischkutter, Netzbojen und flache Landzungen bleiben dem Mann im Mast verborgen.

Was Schallsignale bei Nebel bringen

Dem Menschen hilft noch ein anderer Sinn bei der Orientierung, das Hören. Aus diesem Grund gibt es Schallsignale, unterschiedliche für Dampfer, Segler und Ankerlieger. Die helfen aber nur, wenn sie benutzt und wahrgenommen werden können.

Für Yachten über zwölf Meter Länge sind entsprechende Schallsignalanlagen Pflicht. Kleinere brauchen sie nicht, sollten aber irgendetwas zum Krachmachen mitführen. Das kann eine Pressluftfanfare sein (mit genügend Reservekartuschen), im Notfall eignet sich auch die Bratpfanne. Wer vom Nebel am Ankerplatz überrascht wird, hat endlich mal ganz offiziell eine sinnvolle Verwendung für die Schiffsglocke. Übrigens sollen die Tonlagen von Nebelsignalen etwas über die Größe des Schiffes andeuten: je tiefer, desto größer. Darum haben zugelassene Yacht-Anlagen diesen nervend hohen Quietschton.

Der Motor einer Yacht ist dummerweise eine kräftige Schallquelle, die die Besatzung für leise Geräusche taub macht. Daher ist es im Nebel besser, sich nur unter Segeln fortzubewegen, auch wenn das bei Flaute sehr viel langsamer geht.

Wenn unbedingt der Motor laufen muss, dann mit einer Drehzahl, die möglichst wenig Lärm macht. Wie viel, das ist auszuprobieren. Standgas produziert nicht automatisch das Geräusch, welches sich am besten von den Nebelsignalen anderer Schiffe abhebt. Um sicherzugehen, keine Kollisionsgegner zu überhören, einen Horchposten auf dem Vorschiff positionieren, da die Maschine dort leiser ist als im Cockpit. Im Zweifelsfall den Motor zum Lauschen alle paar Minuten abstellen.

Wie man bei Nebel gesehen wird

Laut KVR sind die Navigationslichter zwischen Sonnenuntergang und -aufgang zu führen sowie bei schlechter Sicht. Das macht Sinn, denn auch bei hellem Tag ist ein Licht im Nebel auf größere Distanz zu erkennen als ein Yachtrumpf. Und mit der Farbe ist auch sofort klar, in welcher Richtung sich das Ziel bewegt.

Ein Radarreflektor muss ohnehin an Bord sein. Und der gehört bei Nebel nicht in die Backskiste, sondern ins Rigg. Ideal, weil das stärkste Echo erzeugend, sind die großen quaderförmigen. Die haben in der Regel an den Ecken Augen für Bändsel – was zum Setzen mit einer Spitze nach oben verleitet. Richtig ist aber die so genannte Regenfänger-Stellung, also mit einer Hahnepot über zwei gegenüberliegende Ecken, sodass ein Trichter nach oben zeigt. Das ergibt die stärkeren Reflexionen.

Wie Elektronik im Nebel helfen kann

Mit GPS, Radar und AIS hat Nebel auf See und an Küsten viel von seinem Schrecken verloren. Der Skipper weiß, wo er ist und was um ihn herum passiert – zumindest ungefähr. Wirklich gut ist man aber nur mit der Kombination der Techniken.

Bei der terrestrischen Navigation war es üblich, Seezeichen als Wegepunkte zu benutzen und auch wirklich bis dorthin zu fahren. Einmal, um an der Tonne den eventuell stehenden Strom zu sehen, und zweitens, um für den nächsten Schlag einen sicheren Ausgangspunkt zu haben.

Für die Routenplanung per GPS empfiehlt sich gerade bei schlechter Sicht ein etwas anderes Vorgehen: Die Wegepunkte sollten nicht genau auf Seezeichen, sondern ein Stück auf die sichere Seite daneben gesetzt werden – so ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass zwei Schiffe zur selben Zeit dieselbe Position ansteuern und der Wegepunkt zum Kollisionspunkt wird. Diese Taktik entzerrt übrigens bei jedem Wetter die Situation bei der Navigation auf beliebten Routen.

Radar ist natürlich die beste Ausrüstung für Nebel. Wer es hat, den nimmt die KVR-Regel 7b auch gleich in die Pflicht: „Um eine frühzeitige Warnung vor der Möglichkeit der Gefahr eines Zusammenstoßes zu erhalten, muss eine vorhandene Radaranlage gebraucht werden, und zwar einschließlich der Anwendung des Plottens oder eines gleichwertigen systematischen Verfahrens zur Überwachung georteter Objekte.“

Das heißt: Wer es hat, muss es auch aktiv benutzen – und nicht nur nebenbei laufen lassen. Wie hilfreich die elektronischen Augen im Ernstfall sind, hängt hauptsächlich vom Können des Bedieners ab. Also zuvor bei guter Sicht üben. Nur so kennt man die Stärken und Schwächen der eigenen Anlage und der eigenen Fähigkeiten. Doch selbst wenn die Yacht mit großem Radar ausgestattet ist und die Crew damit perfekt umgehen kann, sollte folgendes beachtet werden: damit rechnen, dass mögliche Kollisionsgegner kein Radar haben oder das Bild nicht sicher interpretieren können. Und mit Fahrzeugen, die nur minimale Echos liefern, beispielsweise Angelboote.

Ein AIS-Transponder bietet zwar eine Hilfe, aber keinen echten Sicherheitsgewinn. Denn erstens sind nicht alle Fahrzeuge entsprechend ausgestattet, und zweitens kann auf großen Schiffen die Anzeige von Yachten unterdrückt sein. Gerade in stark befahrenen Gebieten ist das sogar wahrscheinlich.

Trotz aller Hilfsmittel, Tricks und Vorsichtsmaßnahmen: Am sichersten kommt durch den Nebel, wer im Hafen bleibt. Ansonsten ist immer zwischen der Wetterentwicklung, der Sichtweite und den Verkehrsverhältnissen im Revier abzuwägen.

Schallsignale - wie Crews auf sich aufmerksam machen sollten

Schiffe ab zwölf Meter Länge müssen mit einer Schallsignalanlage ausgerüstet sein und sind verpflichtet, die unten aufgeführten Signale zu geben. Fahrzeuge in Fahrt unter zwölf Meter Länge dürfen stattdessen alle zwei Minuten irgendein kräftiges Schallsignal geben. Es ist aber auch für diese empfehlenswert, die richtigen Signale zu benutzen.

Schiffe unter Maschine

Mindestens alle zwei Minuten ein langer Ton (Buchstabe T). Ohne Fahrt zwei lange Töne (Buchstabe M)

Schiffe unter Segel, manövrierbehindert, fischend, schleppend

Mindestens alle zwei Minuten ein langer und zwei kurze Töne (Buchstabe D)

Ankerlieger

Jede Minute fünf Sekunden lang Läuten der Schiffsglocke. Bei Annäherung anderer Fahrzeuge zusätzlich ein kurzer, ein langer und ein kurzer Ton (Buchstabe R)


Das könnte Sie auch interessieren:


Meistgelesen in der Rubrik Segelwissen