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Predigt Karfreitag 2010 Dekan Jörg Dittmar, Kempten

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<strong>Karfreitag</strong> <strong>2010</strong> - 2. Kor 5,14b-21 (Versöhnung mit Gott) Seite 1<br />

<strong>Predigt</strong> <strong>Karfreitag</strong> <strong>2010</strong><br />

<strong>Dekan</strong> <strong>Jörg</strong> <strong>Dittmar</strong>, <strong>Kempten</strong><br />

____________________________________________________________<br />

Alle Rechte vorbehalten. Nur zum privaten Gebrauch<br />

L: Gnade sei mit euch und Friede von Gott,<br />

unserem Vater,<br />

und dem Herrn Jesus Christus und dem Geist der Freiheit.<br />

G: Amen.<br />

Liebe Gemeinde!<br />

Wir hören als <strong>Predigt</strong>text für diesen <strong>Karfreitag</strong> ein paar Sätze aus dem 2. Brief des Paulus an die Gemeinde<br />

in Korinth (Kapitel 5):<br />

Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selbst und rechnete ihnen ihre Sünden nicht an<br />

und hat unter uns das Wort von der Versöhnung aufgerichtet. So sind wir nun Botschafter an Christi<br />

Statt, denn Gott ermahnt durch uns. So bitten wir nun an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit<br />

Gott! Denn er hat den, der ohne Sünde war, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die<br />

Gerechtigkeit werden, die vor Gott gilt.<br />

Liebe Gemeinde,<br />

da verlegt sich einer aufs Bitten, Betteln und Flehen. Haben Sie´s herausgehört? Steif, kompliziert,<br />

hochtheologisch, umringt von so Granitblock-Worten wie „Sünde“ und „Gerechtigkeit“ kommt da plötzlich<br />

Herzblut des Paulus in den Text: Da bittet uns einer - flehentlich: „Lasst Euch versöhnen mit Gott!“<br />

Der Paulus hier an dieser Stelle erinnert mich an ein Kind, das zwischen seinen streitenden Eltern steht und<br />

bettelt: „Bitte versöhnt euch doch wieder!“ Dass es in einer Ehe mal Krach gibt, dass mal Fetzen fliegen oder<br />

Teller, dass sich ein Paar mal alle angestaute Wut und Enttäuschung an den Kopf wirft - das kommt vor und<br />

ist ganz normal und muss wohl gelegentlich sein. Aber ich weiß noch, wie es für mich als kleiner Knirps war,<br />

wenn meine Eltern Krach hatten: Meine Welt war am untergehen, der Boden unter meinen Füßen bebte. Ich<br />

hatte nackte Angst, dass einer für immer geht, wenn die Haustür scheppernd ins Schloss fiel und plötzlich so<br />

eine böse Stille eintrat. „Versöhnt euch doch wieder!“ - hilflose Bitte eines Kindes, das noch nicht wusste, wie<br />

die Erwachsenen das machen mit der Versöhnung. Ich kann von Glück sagen, dass ich´s immer wieder<br />

miterlebt habe, wie meine Eltern das gemacht haben mit der Versöhnung: Phasen des Schweigens, „Stille<br />

Messe“, dann ein Umeinander-Schleichen, Friedensangebote, Entschuldigungen, langes Reden im<br />

verschlossenen Wohnzimmer, vorsichtiges Miteinander bei Alltagsgeschäften, kleine Geschenke und<br />

Aufmerksamkeiten, ein langer gemeinsamer Spaziergang, ein Abendessen - so ungefähr lief sie ab: die<br />

Dramaturgie der Versöhnung.<br />

„Lasst Euch versöhnen mit Gott!“ bittet uns Paulus. Und wie kommt diese flehentliche Bitte bei uns an?<br />

Da jedenfalls gleicht sich die Szenerie nicht: Dass Mensch und Gott sich in lautstarkem Wortwechsel und<br />

offenem Streit zueinander befinden, das ist eher die Ausnahme. Der Normalfall ist Schweigen und Stille -<br />

vielleicht sogar Funkstille. Haben wir denn ein Problem mit Gott? Hat Gott ein Problem mit uns? Gibt´s denn<br />

da überhaupt einen Versöhnungsbedarf? Und wenn schon: Ist das irgendwie wichtig? Uns Menschen gelingt<br />

das ja gar nicht so schlecht, ein gerüttelt Maß gestörter und unheiler Beziehungen mit uns herumzutragen.<br />

Ich erinnere mich an Beerdigungen, wo das manchmal aufgebrochen ist: stahlhart gewordene<br />

Unversöhnlichkeiten zwischen Eltern und Kindern, Geschwistern oder Ehepaaren. Und wenn einer stirbt, tritt<br />

das ganze Elend, in dem man sich eingerichtet hatte, noch einmal überdeutlich hervor. Vielleicht gab´s keine<br />

Chance zur Versöhnung, vielleicht hat sie auch niemand gesucht - diese Chance. Was weiß man schon als<br />

Pfarrer, wenn man in so ein Familiensystem kommt? Nie genug, um Urteile zu fällen. Jedenfalls kann man<br />

sich´s einrichten in einem Leben - auch ohne Versöhnung. Und wenn nun auch Gott ein Problem mit uns hat<br />

- na, dann soll er sich halt hinten anstellen.<br />

Die Bibel freilich wird nicht müde zu erzählen, dass Gott die gestörte Beziehung zu seinem Geschöpf Mühe<br />

macht und keine Ruhe lässt. Irgendwas ist das schief gegangen, ganz gründlich. Irgendwie hat sich da<br />

Misstrauen eingeschlichen zwischen Gott und Mensch, Konkurrenzgefühle, Grenzüberschreitungen gab´s -<br />

schon im Paradies. Und das muss man dem Gott der Bibel lassen - er findet sich mit dieser gestörten<br />

Beziehung nicht ab. Er kommt nicht zur Ruhe. Mal will er alles auf „Anfang“ stellen und schickt die große Flut<br />

- eine grauenvolle und völlig nutzlose Idee, wie sich herausstellt. Dann versucht er, mit Einzelnen ins Reine<br />

zu kommen - Abraham zum Beispiel. Und er versucht es mit Regeln: Gebote und Gesetze sollen den Bund


<strong>Karfreitag</strong> <strong>2010</strong> - 2. Kor 5,14b-21 (Versöhnung mit Gott) Seite 2<br />

zwischen Gott und seinem Volk schützen, dass Vertrauen wachsen kann. Weil aber auch das nicht klappt,<br />

schickt Gott seine Propheten, die mahnen und drohen und klagen. Schließlich - so heißt es dann im Neuen<br />

Testament - sandte Gott seinen Sohn. Doch statt zu einer Versöhnung kommt es zu einer Zuspitzung. Eine<br />

Zuspitzung, die dramatischer und katastrophaler nicht sein könnte: Er wird zum Tod verurteilt und ans Kreuz<br />

genagelt - dieser Jesus von Nazareth, von dem Gott sagte: Das ist mein lieber Sohn, an dem ich<br />

Wohlgefallen habe.<br />

Im Ereignis der Kreuzigung spitzt sich beides überdeutlich zu: Die Not, die Gott mit uns Menschen hat. Und<br />

die Not, die wir Menschen mit Gott haben.<br />

Die Not, die Gott mit seinen Menschenkindern hat - die ist ja in der <strong>Karfreitag</strong>s-Geschichte mit Händen zu<br />

greifen: Da wird eines dieser Menschenkinder zu Tode gequält; und die einen schwingen die Rute, die<br />

anderen den Hammer. Die einen urteilen und die anderen waschen ihre Hände in Unschuld. Die einen<br />

gießen ihre Häme aus und die anderen fühlen sich noch fromm dabei. Die einen verstecken sich und die<br />

anderen erstarren in Ohnmacht. Die einen gehen weg und die anderen würfeln um ein bisschen Stoff. „Es<br />

reute Gott, dass er Menschen gemacht hatte, als er ihre Sünde sah“ heißt es in der Sintflut-Geschichte.<br />

Wörtlich übersetzt: Gott stöhnte vor Weh! Kann man sich das irgendwie vorstellen, wie es ist, wenn dieser<br />

Schöpfer seinen Geschöpfen beim Kreuzigen zusehen muss? Und wenn es da einen im Himmel gibt, dann<br />

hat er im Lauf der Weltgeschichte alle denkbaren Steigerungen dieser Grausamkeiten mit ansehen müssen.<br />

Ja, Gott hat seine Not mit den Menschen.<br />

Aber wir Menschen haben auch unsere Not mit Gott. Gerade wenn man Anteil nimmt an der Geschichte<br />

Jesu und sich hinein fühlt in die Passionsgeschichte: Unabweisbar und unerträglich stellt sich die Frage:<br />

Warum? Warum greift er nicht ein? Warum lässt er das geschehen? Warum fährt er nicht dieses eine Mal<br />

wenigstens aus dem Himmel und fällt den Mördern in die Hände, stopft den Spöttern das Maul, rüttelt die<br />

Gleichgültigen auf? Was ist das für ein Vater, der seinen Sohn so im Stich lässt. Da muss doch der Zweifel<br />

zur Gewissheit werden: dieser Gott hilft nicht, ist nicht, hört nicht. Und so fließt in diese Not an Gott all das<br />

mit ein, was in meinem Leben an Gebeten unerhört blieb, an Hoffnungen enttäuscht wurden und an<br />

Vertrauen verloren ging.<br />

Wie katastrophal unversöhnt Mensch und Gott sind - das mahnt das Kreuz Jesu. Als Szene und Bild ist das<br />

Kreuz Jesu jene flehentliche Bitte, die Paulus in Worte fasst: „Lasst euch versöhnen mit Gott!“ Ja, es ist als<br />

Bild der erste Schritt zur Versöhnung, weil es schonungslos aufdeckt, welche Not wir aneinander haben:<br />

Mein Gott mit mir und ich mit meinem Gott - schreiend zugespitzt.<br />

Wer mit offenen Augen und offenem Herzen vor dem Kreuz Christi steht, der wird begreifen, dass die<br />

„Beziehungskiste“ zwischen mir und meinem Gott nicht etwas ist, was ich unter „ferner liefen...“ auch mal<br />

anpacken kann, wenn ich dafür noch Zeit habe. Sondern an dieser Beziehung entscheidet sich, ob ich mein<br />

Leben verfehle oder es gewinne. Denn dann wird auch klar, wie es eins ohne das andere nicht gibt:<br />

Versöhnung mit mir selbst, Versöhnung mit meinem Nächsten, Versöhnung mit meinem Schicksal und<br />

Versöhnung mit meinem Gott. Da hängt eins am anderen.<br />

Und wie geht das nun - das mit der Versöhnung? Was ist unser Anteil, wenn wir es wirklich wollten? Das<br />

erklärt uns Paulus leider nicht. Was er zu sagen weiß, ist, dass Gott auf eine ziemlich komplizierte Weise<br />

sich durchgerungen hat, seinen Beitrag zur Versöhnung zu leisten: Er will uns keine Schuld mehr vorwerfen,<br />

er will keine Sünde mehr aufrechnen. Er will uns nicht mehr gegenübersitzen auf einem erhöhten<br />

Richterthron, er will uns nicht mehr angreifen mit Anklagen und Vorwürfen. Er will uns so gegenübertreten<br />

wie Jesus Menschen begegnet ist: offen, schutzlos, ja bereit, unsere Würde und Schönheit zu sehen.<br />

Und unser Anteil? Ich denke tatsächlich, dass auch wir einen mühsamen und verschlungenen Weg gehen<br />

müssen, Gott zu vergeben. Es genügt nicht, nur demütig der Empfänger seiner Vergebung zu sein. Wir<br />

müssen Gott vergeben, dass er anders ist, als wir ihn gerne hätten. Dass er uns so geschaffen hat, wie wir<br />

sind. Dass diese Welt so ist, wie sie ist - das muss man Gott erst mal vergeben. Und das schmerzt und das<br />

kostet - kostet Illusionen und Allmachtsphantasien.<br />

Ja, das klingt ungewohnt. Und doch glaube ich, dass das wirklich unser Anteil an der Versöhnung ist: Gott<br />

vergeben. Und das heißt doch vor allem: Gott noch eine Chance geben in meinem Leben und nicht nur eine.<br />

Sonst wär´s keine Vergebung, sondern ein Ultimatum.<br />

„Lasst Euch versöhnen mit Gott!“ Und wie geht das nun? Jetzt greif´ ich auf den Anfang zurück und darauf,<br />

wie ich das irgendwann bei meinen Eltern erlebt habe. Vielleicht ist sie ganz ähnlich - die Dramaturgie der<br />

Versöhnung mit Gott: Auf die Phase des Schweigens und der „Stillen Messe“ folgt das Umeinander-<br />

Schleichen, Friedensangebote, Entschuldigungen, langes Reden im stillen Kämmerlein, ein vorsichtiges


<strong>Karfreitag</strong> <strong>2010</strong> - 2. Kor 5,14b-21 (Versöhnung mit Gott) Seite 3<br />

Miteinander in Alltagsgeschäften, kleine Geschenke und Aufmerksamkeiten wechselseitig, ein gemeinsamer<br />

Spaziergang betend, ein Abendessen bei Brot und Wein.<br />

Ach so: Und was wäre mit Gott zu bereden auf einem betenden Versöhnungspaziergang? Was man eben<br />

beredet auf Versöhnungsspaziergängen: Man spricht sich aus über Erwartungen und Enttäuschungen.<br />

Was darf Gott von mir erwarten? Was erwarte ich von ihm?<br />

Und wie wollen wir umgehen mit Enttäuschungen, dass unser Vertrauen keinen Schaden nimmt?<br />

Ich verspreche: Ich will immer noch „Mein Gott, mein Gott“ rufen, wenn ich mich verlassen fühle.<br />

Und Gott verspricht: Du kannst nie tiefer fallen als in meine Hand.<br />

AMEN.<br />

L: Und der Friede Gottes,<br />

der höher ist als alle Vernunft,<br />

bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.<br />

G: Amen.<br />

Verfasser:<br />

<strong>Jörg</strong> <strong>Dittmar</strong>, <strong>Dekan</strong><br />

Evang.-Luth. <strong>Dekan</strong>atsbezirk <strong>Kempten</strong>/Allgäu

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