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Geruchsbelästigung qualifizieren - umtec

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Umwelt Perspektiven Nr. 3, 2006<br />

Instrumentelle Geruchsanalytik unterstützt die menschliche Nase<br />

<strong>Geruchsbelästigung</strong><br />

<strong>qualifizieren</strong><br />

Wer kennt die Situation nicht? Man sitzt auf dem Balkon und möchte den schönen<br />

Sommerabend geniessen, da steigt einem der Geruch der nahe gelegenen Fabrik in<br />

die Nase. Oder der Gemeinschaftskompostieranlage. Oder des Schlachthofs. Was<br />

tun?<br />

VON JEAN-MARC STOLL,MARKUS<br />

HANGARTNER UND ANDREAS BÜELER<br />

Der Beispiele sind viele, die Auswirkungen<br />

sind aber immer die<br />

gleichen: Lästige Geruchsimmissionen<br />

haben weit reichende Auswirkungen,<br />

sowohl für die Anwohner<br />

als auch für die Betriebe:<br />

� massive Einbusse der Wohn- und<br />

Lebensqualität<br />

� Wertverminderung von Grundstücken<br />

� Einsprachen bei Bau- und Erweiterungsgesuchen<br />

� erschwerte Ansiedlung von Neubetrieben<br />

Die Anwohner beschweren sich bei<br />

der Umweltbehörde. Das Problem<br />

wird in den Medien diskutiert. Die<br />

Behörde gerät unter Handlungsdruck.<br />

Verhärtungen der Fronten und juristische<br />

Streitereien sind vorprogrammiert.<br />

In diesen Fällen sind reproduzierbare<br />

Erhebungsverfahren sowie<br />

Beurteilungskriterien äusserst hilfreich.<br />

Grenzwerte für Gerüche?<br />

Das Umweltschutzgesetz schreibt<br />

vor, dass der Mensch nicht nur vor<br />

schädlichen, sondern auch vor lästigen<br />

Einwirkungen geschützt werden soll.<br />

Die Luftreinhalte-Verordnung (LRV)<br />

gibt keine klare Hilfestellung. Es werden<br />

lediglich «übermässige Immissionen»<br />

verbal definiert (Artikel 5,<br />

Absatz 5b): «Immissionen sind über-<br />

Prof. Dr. Jean-Marc Stoll<br />

Chemiker Uni Zürich, Institutspartner, Institut<br />

für Umwelt- und Verfahrenstechnik<br />

(Umtec), Rapperswil.<br />

Dr. Markus Hangartner<br />

Chemiker ETH, Fachexperte für Geruchsmessung,<br />

Institut für Umwelt- und Verfahrenstechnik.<br />

Andreas Büeler<br />

Dipl. Ing. FH, Institut für Umwelt- und<br />

Verfahrenstechnik.<br />

mässig, falls auf Grund einer Erhebung<br />

feststeht, dass diese eine Mehrheit<br />

der betroffenen Bevölkerung<br />

erheblich in ihrem Wohlbefinden<br />

stören.»<br />

Die revidierte Geruchsempfehlung<br />

des heutigen Bundesamtes für Umwelt<br />

(Bafu) vom Oktober 2005 (Entwurf)<br />

gibt Handlungsanweisungen.<br />

Erheblichkeit von<br />

<strong>Geruchsbelästigung</strong>en<br />

Die subjektive Belästigung ist keine<br />

einfache Wirkungsgrösse und entzieht<br />

sich weitgehend der medizinischen<br />

Erhebung. Verschiedene<br />

Faktoren bestimmen das Ausmass der<br />

Belästigung, so zum Beispiel die Stärke<br />

der Wahrnehmung, angenehmer<br />

oder unangenehmer Eindruck, Einstellung<br />

zur Quelle und vor allem das<br />

Gefühl des Ausgeliefertseins. Der<br />

Mensch ist jedoch in der Lage, eine integrative<br />

Beurteilung vorzunehmen<br />

und sein Gefühl der Belästigung auf<br />

einer einfachen Skala abzubilden: Es<br />

hat sich gezeigt, dass bei Mittelwerten<br />

von kleiner drei auf dieser Selbsteinstufungsskala<br />

die Belästigung als «keine»<br />

bis «gering» zu beurteilen ist und<br />

bei einem Wert von über fünf sofortige<br />

Massnahmen zu treffen sind (vgl.<br />

Abbildung 1). Im mittleren Bereich<br />

36 Juni 2006, Umwelt Perspektiven, Postfach, 8127 Forch<br />

Abbildung 1:<br />

Wie stark<br />

riecht es?<br />

Abbildung 2: Wie stark riecht es?<br />

zwischen drei und fünf ist wohl eine<br />

Geruchsbelastung vorhanden, sie ist<br />

aber aus der Sicht der Betroffenen<br />

noch zumutbar. Damit lassen sich die<br />

Erheblichkeit respektive die Übermässigkeit<br />

von <strong>Geruchsbelästigung</strong>en<br />

quantifizieren.<br />

Objektive Erfassung<br />

Die Methode der Belästigungsbefragung<br />

hat aber ihre Grenzen, vor allem<br />

in der Planungsphase einer Anlage<br />

oder wenn die Wohnhäuser erst<br />

erstellt werden sollen oder nur wenige<br />

Bewohner ansässig sind.In diesem Falle<br />

wird die Häufigkeit von anlagenspezifischen<br />

Geruchswahrnehmungen<br />

als Hilfsgrösse ermittelt.<br />

Ortsfremde Probanden begeben<br />

sich nach einem vorher festgelegten<br />

Stichprobenkonzept in ein belastetes<br />

Gebiet. Dabei werden an verschiedenen<br />

Kontrollpunkten die Geruchswahrnehmungen<br />

mit Hilfe eines<br />

elektronischen Datenerfassungsgeräts<br />

protokolliert. Die Standardisierung<br />

dieser Methode ist in der Geruchsempfehlung<br />

festgelegt.<br />

Zur Beurteilung von Geruchsimmissionen<br />

muss die so genannte Geruchsstunde<br />

definiert werden: Wenn<br />

während mindestens sechs Minuten<br />

pro Stunde Geruchsimmissionen aufgezeichnet<br />

werden, wird die Stunde als<br />

volle Geruchsstunde gezählt. Ist der


Wert darunter, wird diese Zeit vernachlässigt.<br />

Die Anteile der Geruchsstunden<br />

für unangenehme Gerüche an<br />

der Gesamtzeit dürfen im Normalfall<br />

folgende Werte nicht überschreiten:<br />

� reine Wohnzone: 10%<br />

� Mischzone: 15%<br />

� Industriezonen: 20%<br />

Geruchsqualität<br />

Bei der Beschreibung von Geruchseindrücken<br />

stellt man fest, dass<br />

es praktisch keine Benennungen für<br />

Gerüche gibt. Gerüche sind sozusagen<br />

begriffsfremd. Es bleibt nichts anderes<br />

übrig, als mit bereits bekannten, ähnlichen<br />

Gerüchen zu vergleichen oder<br />

die Wirkung zu beschreiben. Es riecht<br />

zum Beispiel nach Rosen, oder ein<br />

Geruch wirkt betäubend. Die Geruchsqualität<br />

ist die Gesamtheit aller<br />

Geruchsstoffe, die einen Geruch ausmachen.<br />

sen Streuungen unterworfen. Die<br />

Europäischen Standardisierungsbemühungen,<br />

die in der Norm DIN EN<br />

13725 festgelegt sind, haben diese<br />

Streubreite wesentlich verkleinert. In<br />

dieser Norm wird gefordert, dass<br />

in regelmässigen Abständen an<br />

Vergleichsmessungen teilgenommen<br />

wird. Das Institut für Umwelt- und<br />

Verfahrenstechnik (Umtec) an der<br />

Hochschule für Technik Rapperswil<br />

Abbildung 3: Ausprägung einzelner Komponenten der Geruchsliste eines Abwassers zur<br />

Bestimmung der Geruchsqualität (Ausschnitt).<br />

Eine einfache Methode, um ein<br />

Geruchsprofil eines bestimmten Geruchs<br />

zu erzeugen, besteht darin, diesen<br />

Geruchseindruck mit Begriffen zu<br />

vergleichen. Dafür wurde eine Liste<br />

mit 146 Geruchsbegriffen geschaffen<br />

(vgl. Abbildung 3).<br />

Emissionsmessungen<br />

Die Emissionsmessung von Gerüchen<br />

ist Gegenstand der klassischen<br />

Olfaktometrie. Üble Gerüche werden<br />

beispielsweise vor Ort in geruchsneutralen<br />

Kunststoffsäcken «eingefangen»<br />

und ins Labor gebracht. Dort<br />

wird die Probe im Olfaktometer gezielt<br />

verdünnt und den Probanden<br />

zum «Erschnüffeln» der Wahrnehmungsgrenze<br />

zugeführt (vgl. Abbildung<br />

4). Das Verdünnungsverhältnis<br />

wird als Mass für die Geruchsstoffkonzentration<br />

verwendet. So wird die<br />

Geruchsschwelle bestimmt.<br />

Eine Messmethode mittels Versuchspersonen<br />

ist naturgemäss gros-<br />

Abbildung 4: Probanden im Einsatz an einem<br />

Olfaktometer.<br />

hat im Juni 2005 an einem solchen<br />

Ringversuch für Olfaktometrie teilgenommen<br />

(vgl. Abbildung 5). Ziel war,<br />

die Leistungsfähigkeit bei der präzisen<br />

Bestimmung von Geruchsstoffkonzentrationen<br />

im internationalen Vergleich<br />

zu überprüfen. Dazu mussten<br />

von vier verschiedenen, unbekannten<br />

Gerüchen die Geruchsstoffkonzentrationen<br />

mittels Olfaktometrie bestimmt<br />

werden. Das Umtec gehört zu<br />

den 18 von 47 teilnehmenden Labors,<br />

welche sämtliche Proben korrekt bestimmt<br />

haben.<br />

Diese Resultate belegen die Kompetenz<br />

des Umtec im Bereich der Geruchsmessungen.<br />

Elektronische und<br />

menschliche Nase<br />

Die bereits beschriebenen Messungen<br />

von Gerüchen durch Testpersonen<br />

sind sehr aufwändig.Insbesondere von<br />

den kantonalen Vollzugsbehörden<br />

wird deshalb immer wieder der dringende<br />

Wunsch nach Instrumentalanalytik<br />

zur Geruchsmessung geäussert.<br />

Eines der mittelfristigen Ziele des<br />

Umtec ist die Entwicklung solcher Instrumentalanalytik<br />

zur Geruchsmessung.<br />

Im Gegensatz zu Geräten der<br />

chemischen Schadstoffanalytik enthalten<br />

so genannte Elektronische Nasen<br />

(EN) nicht einen stoffspezifischen<br />

Sensor, sondern eine<br />

Vielzahl von stoffunspezifischenSensoren,deren<br />

individuelle<br />

elektrische Leitfähigkeit<br />

sich durch die Adsorption<br />

von Gasen<br />

verändert.<br />

Zur Messung wird<br />

das zu untersuchende<br />

Gasgemisch über die<br />

Sensoren geleitet, und<br />

die Software des Gerätes<br />

speichert anschliessend<br />

das von<br />

den Sensoren gemes-<br />

Abbildung 6 zeigt die Geruchseindrücke der Probanden<br />

und die Signale der Elektronischen Nase.<br />

Juni 2006, Umwelt Perspektiven, Postfach, 8127 Forch<br />

Abbildung 5: Ergebnisse<br />

des Ringversuchs Olfaktometrie<br />

vom Juni 2005.<br />

37


Abblidung 7 zeigt die Elektronische Nase im<br />

Umtec-Labor.<br />

sene «Leitfähigkeitsmuster» ab. Dieses<br />

Leitfähigkeitsmuster ist jeweils<br />

spezifisch für das analysierte Gasgemisch.<br />

Wird später ein unbekanntes<br />

Gasgemisch mit der EN gemessen, so<br />

kann das Leitfähigkeitsmuster dieses<br />

Gasgemisches mit den in der Datenbank<br />

abgespeicherten Leitfähigkeitsmustern<br />

verglichen werden. Elektronische<br />

Nasen (vgl. Abblidung 7) sind<br />

also nicht in der Lage, einen Geruch<br />

wirklich zu «messen», sie können aber<br />

abgespeicherte Geruchseindrücke<br />

«wiedererkennen».<br />

Gaschromatographie<br />

Mit Hilfe eines Gaschromatographen<br />

werden Gase aufgetrennt.<br />

Zusätzlich zu herkömmlichen Detektoren<br />

kann an einem «Schnüffel-Anschluss»<br />

die menschliche Nase als Detektor<br />

genutzt werden (Abbildung 9).<br />

Das Umtec besitzt einen so ausgerüsteten<br />

Gaschromatographen. Hiermit<br />

können geruchsaktive Komponenten<br />

gleichzeitig mit der instrumentellen<br />

Analyse beschnuppert werden.<br />

Wenigstens mittelfristig wird die<br />

klassische Geruchsmessung sicherlich<br />

nicht von den instrumentellen Analysemethoden<br />

verdrängt. Vielmehr werden<br />

sich beide Methoden ergänzen.<br />

Durch Geruchsmessungen mit Probanden<br />

können beispielsweise standortspezifische<br />

Grenzwerte definiert<br />

werden, deren Einhaltung erst später<br />

mit der Elektronischen Nase kontrolliert<br />

wird.<br />

Nicht nur zur Überwachung von<br />

Geruchsemissionen, sondern auch in<br />

der Industrie finden sich Anwendungen<br />

für Geruchsanalytik. In laufenden<br />

Projekten wird der Einsatz von Elektronischen<br />

Nasen zur Produktionskontrolle<br />

untersucht.<br />

Abbildung 8: zeigt das Chromatogramm und «Olfaktogramm» einer Abwasserprobe.<br />

Abbildung 9: Erschnüffeln der geruchsaktiven<br />

Komponenten eines<br />

Gasgemischs am «Sniffing Port»<br />

des Gaschromatographen.<br />

Fachstelle für Geruchsmessungen<br />

An der Hochschule für Technik Rapperswil<br />

betreibt das Institut für Umwelt- und Verfahrenstechnik<br />

(Umtec) eine Fachstelle für<br />

Geruchsmessungen. Diese besteht aus der<br />

einzigartigen Kombination der verschiedenen<br />

Methoden zur Erfassung und Beurteilung<br />

von Gerüchen. Unabhängigkeit<br />

und Kompetenz bei der objektiven Erfassung<br />

von Umgebungsgerüchen bilden eine<br />

wichtige Voraussetzung für eine faire<br />

Einigung im Streit zwischen Anlagenbetreibern,<br />

Anwohnern und Umweltbehörden.<br />

www.<strong>umtec</strong>.ch<br />

Fazit<br />

Es gibt kein Pauschalrezept zur<br />

Bekämpfung von Geruchsemissionen.<br />

Für jeden Betrieb können die Massnahmen,<br />

welche zur besten Lösung<br />

führen, unterschiedlich aussehen. Folgende<br />

Möglichkeiten bestehen:<br />

� Kaminerhöhung<br />

� Nachverbrennung<br />

� chemische Wäsche<br />

� Aktivkohlefilter<br />

� Biofilter<br />

� Maskierungsmittel<br />

Alle diese Methoden haben spezifische<br />

Vor- und Nachteile. Eine Verbrennung<br />

der geruchsbehafteten Luft<br />

wird man zum Beispiel nur dann installieren,<br />

falls bereits ein Verbrennungsprozess<br />

besteht, beispielsweise<br />

in einer Kaffeerösterei oder Kehrichtverbrennungsanlage.<br />

Für einen Biofilter<br />

müssen die Geruchsstoffe kontinuierlich<br />

anfallen. Auch die Kosten für<br />

die benötigte Landfläche spielen in<br />

diesem Fall eine bedeutende Rolle.<br />

Auf der Suche nach der besten Lösung<br />

können Pilotanlagen eingesetzt werden,<br />

bevor man sich zur grossen Investition<br />

entscheidet. Deren Wirksamkeit<br />

kann mittels olfaktometrischer Messung<br />

festgestellt werden.<br />

Für eine allgemein verbindliche<br />

Festlegung von Emissionsgrenzwerten<br />

für Gerüche fehlen die gesetzlichen<br />

Grundlagen. Eine Vielzahl von<br />

Messungen bei verschiedenen Geruchsemittenten<br />

hat zu einem pragmatischen<br />

Beurteilungssystem für<br />

Geruchsemissionen geführt (Bafu-<br />

Empfehlung zur Beurteilung von Gerüchen<br />

2005).<br />

Je nach topografischer Situation<br />

kann ein Betrieb einer Klasse zugeordnet<br />

werden. Liegen die gemessenen<br />

Werte in einem Betrieb unterhalb<br />

eines angegebenen Bereiches, können<br />

Immissionen ausgeschlossen werden;<br />

oberhalb muss mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />

mit lästigen Immissionen gerechnet<br />

werden.<br />

Juni 2006, Umwelt Perspektiven, Postfach, 8127 Forch<br />

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