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Wegweiser zur Geschichte<br />

MGFA<br />

Auslandseinsätze<br />

der Bundeswehr


Auslandseinsätze der Bundeswehr


Wegweiser zur Geschichte<br />

Herausgegeben vom<br />

Militärgeschichtlichen Forschungsamt


Wegweiser zur Geschichte<br />

Auslandseinsätze der Bundeswehr<br />

Im Aurag des<br />

Militärgeschichtlichen Forschungsamtes<br />

herausgegeben von<br />

Bernhard Chiari<br />

und<br />

Magnus Pahl<br />

FERDINAND SCHÖNINGH 2010<br />

Paderborn • München • Wien • Zürich


Umschlagabbildung: Fußpatrouille der Bundeswehr auf der Hauptstraße von<br />

Feyzabad (Bundeswehr/Stollberg)<br />

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek<br />

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation<br />

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische<br />

Daten sind im Internet über hp://dnb.d-nb.de abruar.<br />

Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem<br />

und alterungsbeständigem Papier ISO ∞ 9706<br />

© 2010 Ferdinand Schöningh, Paderborn<br />

(Verlag Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG,<br />

Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn)<br />

Internet: www.schoeningh.de<br />

Redaktion und Projektkoordination: Militärgeschichtliches Forschungsamt,<br />

Potsdam, Schrileitung<br />

Satz: Carola Klinke<br />

Karten und Grafiken: Daniela Heinicke<br />

Layout: Maurice Woynoski<br />

Bildrechte: Marina Sandig<br />

Lektorat: Roland G. Foerster, Kenzingen<br />

Druck: SKN Druck und Verlag GmbH & Co., Norden<br />

Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile sind urheberrechtlich<br />

geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich<br />

zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriliche Zustimmung des<br />

Verlages nicht zulässig.<br />

Printed in Germany<br />

ISBN 978-3-506-76914-5


Inhalt<br />

Grußwort 8<br />

Vorwort 10<br />

Einleitung 12<br />

I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

Agadir 1960: Der Erdbebeneinsatz<br />

in Marokko 25<br />

Bernhard Chiari<br />

Humanitärer Beitrag zum Peacekeeping:<br />

Die UN-Mission in Kambodscha 33<br />

Peter Hazdra<br />

Bosnien-Herzegowina:<br />

Von UNPROFOR zu EUFOR Althea 51<br />

Agilolf Keßelring<br />

Der Krieg der NATO gegen Jugoslawien<br />

und der Einsatz im Kosovo 1998/99 65<br />

Agilolf Keßelring<br />

Die Vereinten Nationen und der Nahost-Konflikt 81<br />

Thomas Breitwieser<br />

Von der Escort Navy zur Expeditionary Navy:<br />

Die Deutsche Marine, UNOSOM und<br />

Enduring Freedom 97<br />

Bernhard Chiari<br />

Die Beteiligung der Bundeswehr an der<br />

Operation EUFOR RD Congo 109<br />

Magnus Pahl<br />

Beobachtermissionen der Vereinten Nationen 121<br />

Armin Wagner<br />

Grenzüberschreitende Sicherheit?<br />

ISAF, Afghanistan und Pakistan 133<br />

Bernhard Chiari


II. Militär, Politik und Gesellscha<br />

Verfassungshistorische und verfassungsrechtliche<br />

Aspekte der Auslandseinsätze<br />

Thomas Breitwieser<br />

153<br />

Bundestag, Parlamentsarmee und Parteienstreit 167<br />

Winfried Nachtwei<br />

Europäische Entscheidungsfi ndung und<br />

Operationsplanung im Rahmen der Gemeinsamen<br />

Außen- und Sicherheitspolitik<br />

Jörg Hillmann<br />

Der lange Weg zu EUFOR Tschad:<br />

Die Europäische Union in Zentralafrika<br />

Frank Hagemann<br />

Regionale Anarchie in Subsahara-Afrika<br />

als internationales Problem<br />

Volker Ma hies<br />

181<br />

189<br />

199<br />

Militärische Intervention: Humanität<br />

oder Durchsetzung von Eigeninteressen? 207<br />

Conrad Sche er<br />

Die Praxis des zivilen Wiederau aus<br />

am Beispiel Afghanistan 217<br />

Katja Mielke und Conrad Sche er<br />

Piraterie auf See als Herausforderung für<br />

die Internationale Gemeinscha<br />

Gemeinscha<br />

L. Daniel Hosseus<br />

Deutschlands militärischer Beitrag zum Kampf<br />

gegen den internationalen Terrorismus<br />

Christian Freuding<br />

229<br />

239<br />

Die Bundeswehr auf dem Weg zur<br />

»Armee im Einsatz« 247<br />

Rudolf J. Schlaff er<br />

Historisches Erbe: Die Nationale Volksarmee<br />

der DDR und die »Dri e Welt« 259<br />

Klaus Storkmann


Interkulturelle Kompetenz<br />

im Auslandseinsatz 269<br />

Maren Tomforde<br />

Einsatzarmee und Erinnerung:<br />

Gedenkkulturen in der Bundeswehr 279<br />

Loretana de Libero<br />

Historisches Gedächtnis: Die archivische<br />

Überlieferung der Auslandseinsätze 289<br />

Andreas Kunz<br />

Anhang<br />

Übersicht der Auslandseinsätze 296<br />

Literatur und neue Medien 302<br />

Register 313


I. Historische Entwicklungen<br />

8<br />

Grußwort<br />

Seit dem Jahr 2005 erarbeitet das Militärgeschichtliche Forschungsamt<br />

(MGFA) mit seiner Reihe »Wegweiser zur Geschichte«<br />

historische und landeskundliche Ausbildungshilfen für die<br />

Einsatzvorbereitung und -unterstützung. Im Laufe der Zeit<br />

konnten die verantwortlichen Wissenschaler des MGFA ein umfangreiches<br />

Netzwerk auauen, das sie mit zivilen Forschungseinrichtungen<br />

und Fachleuten im In- und Ausland sowie mit unterschiedlichen<br />

Dienststellen der Bundeswehr verbindet. Dieses<br />

Netzwerk ermöglicht den raschen, unkomplizierten Zugriff auf<br />

historisch-politische Fachinformationen zu jenen Krisenregionen,<br />

in denen die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im<br />

Einsatz stehen. Die hohe Qualität der Publikationen wird durch<br />

einen aus Fachwissenschalern verschiedener Disziplinen zusammengesetzten<br />

»Wissenschalichen Beirat Einsatzunterstützung«<br />

sichergestellt, der die entsprechenden Projekte inhaltlich<br />

und konzeptionell begleitet.<br />

Die Reihe ist nicht zuletzt deshalb eine Erfolgsgeschichte,<br />

weil erstmals eine Ausbildungshilfe der Bundeswehr im Buchhandel<br />

so positiv aufgenommen worden ist und sich in der Praxis<br />

hervorragend bewährt hat. Ein wesentlicher Bestandteil des Konzeptes<br />

ist die Veröffentlichung kritischer und teils kontroverser<br />

Thesen. Sie spiegeln die komplexe Einsatzrealität wider, mit der<br />

sich Soldaten und politische Entscheidungsträger beim Umgang<br />

mit aktuellen Konflikten immer häufiger konfrontiert sehen. Die<br />

»Wegweiser« genießen das Vertrauen ihrer Leser, weil sie kritisch<br />

informieren und dabei auch problematische Aspekte des internationalen<br />

Engagements in Krisengebieten nicht ausklammern.<br />

Dem MGFA gratuliere ich zum milerweile zehnten »Wegweiser<br />

zur Geschichte«, der die Auslandseinsätze der Bundeswehr<br />

insgesamt behandelt. Das Buch beschreibt den zentralen<br />

Aurag der Streitkräe im Wandel und die damit verbundenen<br />

Herausforderungen für deren Struktur und Inneres Gefüge.<br />

Schließlich sind die Auslandseinsätze milerweile selbst Teil der<br />

mehr als 50-jährigen Geschichte der Bundeswehr und bilden so<br />

einen wichtigen Beitrag für das Selbstverständnis unserer Soldatinnen<br />

und Soldaten.


Grußwort<br />

Mein besonderer Dank für die Reihe »Wegweiser zur Geschichte«<br />

und damit für eine wichtige Dienstleistung, die an<br />

der Schnistelle zwischen Fachwissenscha, Politik, Öffentlichkeit<br />

und der Einsatzarmee Bundeswehr erbracht wird, gilt dem<br />

scheidenden Amtschef des MGFA, Oberst Dr. Hans Ehlert. Seinem<br />

Weitblick und seiner Initiative ist es zu verdanken, dass seit<br />

2005 die breite Palee von Unterstützungsleistungen der Streitkräebasis<br />

um eine Komponente erweitert werden konnte. Den<br />

»Wegweisern zur Geschichte« und dem MGFA insgesamt wünsche<br />

ich weiterhin Erfolg für ihre über die Bundeswehr hinaus<br />

wichtige Arbeit.<br />

Vizeadmiral Wolfram Kühn<br />

Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr<br />

und Inspekteur der Streitkräebasis<br />

9


10<br />

Vorwort<br />

Der nun vorliegende zehnte »Wegweiser zur Geschichte« beschäftigt<br />

sich mit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr insgesamt.<br />

Das Buch gibt einen Überblick über die Entwicklung, die die<br />

Streitkräe seit der Wiedervereinigung Deutschlands von einer<br />

Armee zur unmielbaren Landesverteidigung hin zu einer weltweit<br />

operierenden Armee im Einsatz durchlaufen haben. Neben<br />

Verlauf und Qualität ausgewählter Auslandseinsätze schildern<br />

die Autoren auch jenen Wandel, dem nationale politische Entscheidungsgremien<br />

sowie inter- und supranationale Organisationen,<br />

aber auch die deutsche Gesellscha mit Blick auf das<br />

Verständnis von Interventionen in Konfliktgebieten unterlagen.<br />

Und was in einer Veröffentlichung des Militärgeschichtlichen<br />

Forschungsamtes kaum verwundert: Die Beiträge vermieln ferner<br />

einen Eindruck davon, dass die Gründe für den zurückhaltenden<br />

Umgang mit militärischem Engagement im Ausland weit<br />

länger in die Vergangenheit zurückreichen als die Geschichte der<br />

deutschen Teilung.<br />

In seiner Gesamtheit behandelt dieser »Wegweiser« auch ein<br />

wesentliches Stück Geschichte der Bundeswehr und erhellt Aspekte<br />

militärischen Selbstverständnisses wie des deutschen Nationalbewusstseins<br />

gleichermaßen. Dessen Besonderheiten und<br />

Brüche äußern sich beispielsweise in der öffentlichen Auseinandersetzung<br />

um die »Normalität« bewaffneter Krisenintervention<br />

wie in Afghanistan oder um die Erfordernisse des weltweiten<br />

Kampfes gegen den internationalen Terrorismus. Insbesondere<br />

Soldaten, aber auch allen anderen sicherheitspolitisch interessierten<br />

Lesern soll der »Wegweiser« darüber hinaus die Möglichkeiten<br />

und Grenzen internationaler Konfliktlösung aufzeigen, in die<br />

die Parlamentsarmee Bundeswehr eingebunden ist. Die Gefährdung,<br />

der deutsche Soldaten im Rahmen ihrer Missionen unterliegen,<br />

verlangt dabei eine unvoreingenommene Diskussion. Der<br />

laufende Einsatz in Afghanistan, dessen Erfolg acht Jahre nach<br />

Vertreibung der Taliban und dem Petersberger Abkommen weiterhin<br />

aussteht, bringt in aller Deutlichkeit die Schwierigkeiten<br />

ans Licht, ganzheitliche, zivil-militärische Strategien zur Konfliktlösung<br />

und Stabilisierung zu entwickeln und zu implementieren.


Vorwort<br />

Die »Wegweiser« bilden eine Hilfe, um das Gespräch hierüber<br />

aufrichtig, ergebnisoffen und ohne Tabus zu führen.<br />

Der im März 2010 scheidende Amtschef des MGFA, Oberst<br />

Dr. Hans Ehlert, hat 2005 mit dem ihm eigenen Gespür die Einsatzunterstützung<br />

als neue Aufgabe für unser Haus erkannt und<br />

hierfür die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen. Das<br />

beauragte Projekeam konnte sich stets seiner Unterstützung<br />

sicher sein, wenn es darum ging, inhaltliche Positionen nach<br />

außen hin zu vertreten, gerade wenn diese nicht immer Zustimmung<br />

hervorriefen. Als Wissenschaler und militärischer<br />

Dienststellenleiter hat Hans Ehlert mit Herz und Verstand ein<br />

neuartiges Produkt an der Schnistelle zwischen Bundeswehr,<br />

Fachwissenscha und Öffentlichkeit etabliert, das sich milerweile<br />

hoher Wertschätzung erfreut. Den zehnten »Wegweiser<br />

zur Geschichte«, der in gewisser Weise auch eine Zusammenfassung<br />

der Reihe bietet und daneben den Blick auf mögliche zukünige<br />

Forschungsfelder im Zusammenhang mit der »Einsatzarmee<br />

Bundeswehr« richtet, überreichen wir ihm zum Abschied<br />

aus dem MGFA, verbunden mit den besten Wünschen für den<br />

bevorstehenden Ruhestand.<br />

Für das Zustandekommen des Buches danke ich zunächst<br />

den beiden Herausgebern. Dr. Bernhard Chiari leitet seit 2005<br />

das Modul Einsatzunterstützung (MEU). Auf seinen Schultern<br />

ruhten Konzeption und Erstellung des vorliegenden Bandes.<br />

Hauptmann Magnus Pahl M.A. hat sich als zweiter Herausgeber<br />

gleichfalls ebenso kreativ wie tatkräig in das Projekt mit eingebracht.<br />

In der Schrileitung des MGFA betreute Michael Thomae<br />

das Manuskript bis zur Druckreife, Oberst a.D. Dr. Roland G.<br />

Foerster (Kenzingen) übernahm das Lektorat. Dipl. Ing. Bernd<br />

Nogli und Daniela Heinicke bearbeiteten die Karten, Maurice<br />

Woynoski trug für die grafische Gestaltung des »Wegweisers«<br />

Sorge. Den Satz übernahm Carola Klinke, Dipl. Phil. Marina Sandig<br />

die Recherche der Bildrechte. Vor allem aber gilt mein Dank<br />

den Autorinnen und Autoren, die in ihren Beiträgen die vielschichtige<br />

Problematik der Auslandseinsätze greiar machen.<br />

Dr. Hans-Hubertus Mack<br />

Oberst i.G. und stellvertretender Amtschef<br />

11


I. Historische Entwicklungen<br />

12<br />

Einleitung<br />

Am 9. November 1990 fiel die Berliner Mauer. Ein knappes Jahr<br />

später folgte der Beitri der DDR zum Geltungsbereich des<br />

Grundgesetzes. Die Wiederherstellung der staatlichen Einheit<br />

Deutschlands brachte auch für die militärische Seite einen gewaltigen<br />

Umbruch und ebensolche Herausforderungen mit sich.<br />

Am 3. Oktober 1990 übernahm Bundesverteidigungsminister<br />

Gerhard Stoltenberg in Strausberg vom früheren DDR-Minister<br />

für Abrüstung und Verteidigung, Rainer Eppelmann, die Befehlsgewalt<br />

über die vormalige NVA. Die Bundeswehr umfasste<br />

von diesem Tag an 585 000 Soldaten – ca. 90 000 davon ehemalige<br />

Angehörige der NVA – und mehr als 230 000 Zivilbedienstete.<br />

Im Zwei-plus-Vier-Vertrag regelten die beiden deutschen Staaten<br />

sowie die vier ehemaligen Alliierten des Zweiten Weltkriegs die<br />

Bedingungen für die Wiedervereinigung. Im Laufe der folgenden<br />

Jahre verschmolzen zwei Bündnisarmeen zu gesamtdeutschen<br />

Streitkräen von zunächst 370 000 Mann.<br />

Die Wende machte einen tief greifenden Wandel hinsichtlich<br />

Umfang, Struktur und Ausrüstung der Bundeswehr erforderlich.<br />

Gewaltige Mengen an Waffen, Gerät und Munition aus<br />

NVA-Beständen mussten zerstört bzw. verwertet werden oder<br />

blieben für eine Übergangsphase weiter in Gebrauch. Daneben<br />

veränderte sich nach Auflösung der Sowjetunion und dem<br />

Ende des Blocksystems in Europa aber vor allem der Aurag<br />

der Streitkräe grundlegend. Haen Bundeswehr und NVA bis<br />

1989 ganz überwiegend Aufgaben im Rahmen der auf Europa<br />

konzentrierten Bündnisverteidigung der NATO bzw. des Warschauer<br />

Paktes wahrgenommen, entstand in den zwei folgenden<br />

Jahrzehnten eine Armee neuen Typs. Die Bundeswehr bestri<br />

weltweit Friedens- und Stabilisierungseinsätze im Rahmen der<br />

neu ausgerichteten NATO und der Vereinten Nationen. Schließlich<br />

gewann auch die Europäische Union (EU) zunehmend an<br />

außen- und sicherheitspolitischem Profil.<br />

Im Oktober 2009 standen fast 7600 Soldatinnen und Soldaten<br />

weltweit im Auslandseinsatz, davon alleine knapp 4300 im<br />

Rahmen der International Security Assistance Force (ISAF) in<br />

Afghanistan und mehr als 2100 beim seit 1999 laufenden Einsatz


Einleitung<br />

im Kosovo (KFOR). Die Bundeswehr umfasst insgesamt eine<br />

Friedensstärke von etwa 250 000 Soldaten und 75 000 zivilen<br />

Mitarbeitern und weist ein neues Auragsspektrum und Fähigkeitsprofil<br />

auf.<br />

Der militärische Wandlungs- oder Modernisierungsprozess,<br />

für die Bundeswehr zusammengefasst unter dem Begriff<br />

der »Transformation«, trat in Wechselwirkung mit einer umfassenden<br />

Diskussion des Sicherheitsbegriffes durch Politik<br />

und Gesellscha. Die außenpolitisch veränderte Rolle Deutschlands<br />

nach Ende des Kalten Krieges berührte Kernpunkte des<br />

Selbstverständnisses der »alten« Bundesrepublik und machte es<br />

notwendig, mit jahrzehntelang bestehenden Grundsätzen und<br />

Tabus zu brechen. Die Haltung der Bundesregierung zum Einsatz<br />

deutscher Streitkräe wandelte sich. Unter Bundeskanzler<br />

Helmut Kohl (1982-1998) bestand ein gesellschalicher Konsens<br />

darüber, die Bundeswehr nicht an Orten einzusetzen, an<br />

denen die Wehrmacht gewütet hae. In den 1990er-Jahren entwickelte<br />

sich unter dem Eindruck der Ereignisse auf dem Balkan<br />

eine neue Sichtweise. Die aus der Geschichte des »Drien<br />

Reiches« herrührende besondere Verantwortung Deutschlands<br />

wurde nun zunehmend als Verpflichtung gedeutet, gerade dort<br />

zu intervenieren, wo Völkermord drohe oder bereits im Gange<br />

sei. Erste Einsätze in den Jahren nach der Wiedervereinigung<br />

– so etwa die deutsche Beteiligung an der Mission der Vereinten<br />

Nationen in Somalia von 1992 bis 1994 (UNOSOM) – fanden<br />

in einem Klima innenpolitischer Verunsicherung über die<br />

zukünige sicherheitspolitische Rolle Deutschlands und unter<br />

ungeklärten rechtlichen Rahmenbedingungen sta. Erst ein Urteil<br />

des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994 stellte klar,<br />

dass die Bundeswehr sich an Maßnahmen kollektiver Friedenssicherung<br />

beteiligen könne, wenn der Deutsche Bundestag dem<br />

zustimme.<br />

Fünf Jahre später polarisierten der nach Bosnien-Herzegowina<br />

zweite Einsatz auf dem Balkan und damit eine neue Qualität<br />

militärischer Intervention die Öffentlichkeit. Die NATO führte<br />

1999 Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien, um Übergriffe<br />

gegen die albanische Bevölkerung in der Provinz Kosovo zu<br />

beenden. Dies bewerten in der Rückschau nicht alle Juristen als<br />

angemessen. Eine immer wieder vertretene wissenschaliche<br />

13


I. Historische Entwicklungen<br />

Meinung tendiert eher zur Völkerrechtswidrigkeit, da ein Mandat<br />

der Vereinten Nationen nicht vorgelegen habe. Und schließlich<br />

begann mit der Beteiligung an der International Security Assistance<br />

Force (ISAF), nach den Anschlägen vom 11. September<br />

2001 den Vereinigten Staaten von Amerika als Akt der Solidarität<br />

zugesagt, ein deutscher Einsatz, der endgültig alle Vorstellungen<br />

von der Rolle deutscher Streitkräe aus der Zeit des Kalten<br />

Krieges sprengte. Unter UN-Mandat (Resolution 1386 vom<br />

20. Dezember 2001) und geführt von der NATO, wandelte sich<br />

ISAF im Lauf von milerweile acht Jahren von einer Stabilisierungs-<br />

zu einer kriegsähnlichen Operation gegen einen zusammenhängend<br />

operierenden, militanten Gegner. Im Herbst 2009<br />

standen 67 000 ISAF-Soldaten aus 42 Staaten sowie 35 000 Kräe<br />

der Anti-Terror-Operation E F (OEF) in Afghanistan.<br />

Die überaus komplexe Thematik Auslandseinsätze macht<br />

einen breit angelegten, multiperspektivischen Zugang notwendig.<br />

Der Wandel der Bundeswehr von der reinen Bündnis- und<br />

Verteidigungs- zur Einsatzarmee berührt unterschiedliche Bereiche<br />

wie Militärpolitik, Strategieentwicklung und Operationsführung<br />

ebenso wie personelle, organisatorische, institutionelle,<br />

kommunikative und strukturelle Veränderungen des Militärs.<br />

Die Notwendigkeit, verstärkt innerhalb supranationaler Organisationen<br />

und Institutionen zu agieren, erforderte eine neue<br />

Spitzengliederung. Die Bundeswehr war mit einem gewandelten<br />

Kriegsbild und zunehmend asymmetrischen Bedrohungen konfrontiert.<br />

Statische Vorstellungen von einer Verteidigung gegen<br />

einen konventionell weit überlegenen Gegner an der innerdeutschen<br />

Grenze rückten hingegen rasch in weite Ferne. Insgesamt<br />

erreichten die in 20 Jahren zurückgelegten Entwicklungen eine<br />

Dimension, die als historisch zu bezeichnen ist. Sie bilden milerweile<br />

einen wesentlichen Beitrag zum Selbstverständnis und<br />

für die Tradition deutscher Streitkräe.<br />

Der vollzogene Wandel grei weit über den militärischen Bereich<br />

hinaus. Die Veränderung der sicherheitspolitischen Bedrohungslage<br />

seit dem Ende des Kalten Krieges verschae dem Primat<br />

des Politischen über das Militärische einen neuen Gehalt. Die<br />

von der Verfassung vorgeschriebene Billigung sämtlicher Einsätze<br />

durch den Deutschen Bundestag verlieh dem Begriff »Parla-<br />

14


Einleitung<br />

mentsarmee« zusätzliches Gewicht. Neue Wege entstanden in der<br />

Medien- und Parteiendemokratie bezüglich der politischen Entscheidungsbildung<br />

oder mit Blick auf die zivile und militärische<br />

Kooperation (CIMIC, Zusammenarbeit mit nichtstaatlichen und<br />

staatlichen Organisationen). Die völker- und staatsrechtlichen<br />

Grundlagen mussten angeglichen werden. Das Konzept der »Inneren<br />

Führung«, welches zum Ziel hat, die Streitkräe dauerha<br />

in die Zivilgesellscha zu integrieren, war den veränderten politischen<br />

und gesellschalichen Rahmenbedingungen anzupassen.<br />

Einsatzerfordernisse und -strukturen schlugen sich auf die Rekrutierung<br />

von militärischem Nachwuchs nieder und warfen die<br />

Frage auf, ob die aktuelle Wehrform der allgemeinen Wehrpflicht<br />

– insbesondere unter den Gesichtspunkten notwendiger Professionalität<br />

sowie der Wehrgerechtigkeit – noch zeitgemäß sei. Quer<br />

durch alle Dienstgradgruppen vollzog sich ein Generationswechsel<br />

von Angehörigen der »alten« Bundeswehr und der NVA hin<br />

zu Soldaten, die schon überwiegend unter den Bedingungen der<br />

Auslandseinsätze ausgebildet worden waren. Die Beweggründe,<br />

den Soldatenberuf zu ergreifen oder Wehrdienst zu leisten, veränderten<br />

sich grundlegend.<br />

Die deutsche Gesellscha begleitete die »Staatsbürger in<br />

Uniform« auf ihrem Weg teils mit freundlichem Desinteresse,<br />

teils mit kritischen Nachfragen nach der möglichen Militarisierung<br />

der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Die Wahrnehmung<br />

der »neuen« Bundeswehr kam in Diskussionen über<br />

Totengedenken, Heldenkult, Motivation oder Einsatzfolgen (z.B.<br />

Posraumatische Belastungsstörung, PTBS), aber auch über geschlechterspezifische<br />

Rollen in den Streitkräen zum Ausdruck.<br />

Schließlich hae die Transformation immer auch eine ökonomische<br />

Dimension: Der allmähliche Umbau der Bundeswehr<br />

hin zu einer weltweit einsetzbaren Streitmacht und die damit<br />

verbundenen Vorhaben in den Bereichen Rüstung, Infrastruktur<br />

oder Forschung wurden größtenteils durch die Umverteilung<br />

von Mieln des Verteidigungshaushaltes oder des Einzelplans 14<br />

gewährleistet. Deutschland musste sich auf dem internationalen<br />

Parke die Frage gefallen lassen, ob der selbstbewusst vorgebrachte<br />

Anspruch der europäischen Mielmacht auf einen ständigen<br />

Sitz im Sicherheitsrat seine Entsprechung auch in angemessenen<br />

Investitionen finde.<br />

15


I. Historische Entwicklungen<br />

Die im Folgenden abgedruckten 23 Beiträge vermieln eine<br />

Vorstellung von der Dimension des skizzierten Wandels. In<br />

einem ersten Abschni, überschrieben mit »Auslandseinsätze im<br />

Wandel«, werden beispielha neun Auslandseinsätze zwischen<br />

klassischem Peacekeeping der Vereinten Nationen und einer militärischen<br />

Intervention der NATO analysiert, wobei neben den<br />

Ansätzen und Akteuren bei der Konfliktlösung stets auch die jeweils<br />

zugrunde liegenden höchst unterschiedlichen Konfliktszenarien<br />

Betrachtung finden. Bernhard Chiari beschreibt zunächst<br />

die Geschichte humanitärer Auslandseinsätze, wie sie schon in<br />

der Zeit des Kalten Krieges für die Bundeswehr (und ebenso für<br />

die NVA) zum Tagesgeschä gehörten. Im Rahmen der Katastrophenhilfe<br />

erwiesen sich die deutschen Streitkräe bereits in<br />

der Frühphase ihres Bestehens als professionelle Partner, die in<br />

einem internationalen Umfeld und getragen von breiter innenpolitischer<br />

Zustimmung das Bild der Deutschen als den finanzkräigen,<br />

humanitär ausgerichteten, unaufdringlichen Helfern<br />

weitgehend ohne sicherheits- und militärpolitische Ambitionen<br />

festigten. Die Mission der Vereinten Nationen in Kambodscha<br />

(UNAMIC/UNTAC) stellt Peter Hazdra vor. Zunächst weitgehend<br />

unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit, sicherten dort<br />

nach der Unterzeichnung eines Friedensabkommens am 23. Oktober<br />

1991 (Zweite Pariser Kambodschakonferenz) fast 16 000<br />

Blauhelmsoldaten, 3600 Polizisten und rund 2500 zivile Beamte<br />

den Friedensprozess in einem durch Bürgerkrieg verwüsteten<br />

Land, unterstützt durch den Bundesgrenzschutz und ein Bundeswehrkontingent<br />

von insgesamt fast 450 Sanitätssoldaten.<br />

Eine neue Form der sicherheitspolitischen Herausforderung,<br />

noch dazu vor der Haustüre Europas, brachte der Krieg in Jugoslawien<br />

1991 bis 1995, an dessen Ende das Abkommen von<br />

Dayton und die Schaffung eines selbstständigen, gemeinsam<br />

von Bosniaken, bosnischen Kroaten und bosnischen Serben bewohnten<br />

Staates Bosnien-Herzegowina standen. Dessen Aufbau<br />

unter der Kontrolle eines zivilen »Hohen Repräsentanten«<br />

sowie die Ausgestaltung zweier Teilstaaten (Föderation Bosnien-<br />

Herzegowina und Republika Srpska) sicherten bedeutende<br />

militärische Kontingente der UNPROFOR, später IFOR, SFOR<br />

und schließlich seit 2004 der europäisch geführten EUFOR, jeweils<br />

unter substanzieller deutscher Beteiligung. Der Imple-<br />

16


Einleitung<br />

mentierung einer Nachkriegsordnung für Bosnien geht Agilolf<br />

Keßelring nach, um sich dann in einem weiteren Aufsatz der<br />

Intervention der NATO im Kosovo 1999 zuzuwenden. In dieser<br />

jugoslawischen Provinz beendete das Bündnis ab 1998 durch<br />

massive Luschläge offen sichtbare, massenhae Übergriffe<br />

serbischer Sicherheitskräe gegen die kosovo-albanische Bevölkerung.<br />

Nach dem folgenden Einmarsch von Bodentruppen<br />

der NATO in das Kosovo mussten neuerlich viele Menschen aus<br />

ihrer Heimat fliehen, denn nun richtete sich der angestaute Hass<br />

der Kosovo-Albaner und der radikalisierten »Befreiungsarmee<br />

Kosovo« (UÇK) gegen Vertreter des serbisch dominierten Gesamtstaates<br />

und »einfache« serbische Nachbarn gleichermaßen.<br />

Die Intervention zog langjährige, zunächst ergebnislose Versuche<br />

der Internationalen Gemeinscha nach sich, Kosovo eine stabile<br />

Ordnung und den dort lebenden Menschen gedeihliche Zukunsperspektiven<br />

zu geben. Die NATO-geführte Kosovo Force<br />

(KFOR) und die United Nations Interim Administration Mission<br />

in Kosovo (UNMIK) arbeiteten beinahe zehn Jahre lang daran,<br />

eine funktionierende multiethnische Verwaltung und Exekutive<br />

aufzubauen, bevor Kosovo schließlich am 17. Februar 2008 seine<br />

Unabhängigkeit erklärte.<br />

Thomas Breitwieser zeichnet die Aktivitäten der Vereinten<br />

Nationen im Nahen Osten nach, die bis in die Zeit der Staatsgründung<br />

Israels 1948 zurückreichen: Mit der United Nations<br />

Truce Supervision Organization (UNTSO) begann in diesem<br />

Jahr die Geschichte der Waffenstillstandsbeobachtermissionen.<br />

Verschiedene Peacekeeping-Einsätze bis hin zur seit 1978 aktiven<br />

United Nations Interim Force in Lebanon (UNIFIL) waren<br />

darauf angelegt, in einem ebenso hoch komplexen wie emotional<br />

aufgeladenen Konflikt zu vermieln – seit 2006 auch unter<br />

deutscher Beteiligung am Marinekontingent der UNIFIL vor der<br />

Küste Libanons.<br />

Mit UNOSOM II und dem deutschen Marineeinsatz am<br />

Horn von Afrika illustriert Bernhard Chiari den Wandel deutscher<br />

Seestreitkräe von der für den Einsatz in Nord- und Ostsee<br />

ausgelegten »Escort Navy« des Kalten Krieges zur weltweit<br />

operierenden »Expeditionary Navy«. Im Vordergrund stehen<br />

die seit den 1990er-Jahren grundlegend veränderten Einsatz-<br />

und Führungsstrukturen sowie tief greifende Änderungen bei<br />

17


I. Historische Entwicklungen<br />

der Ausrüstung der Floe: Einen ersten Meilenstein auf diesem<br />

Weg bildete die Operation S C 1994, als ein Einsatzverband<br />

deutsche Heereskräe evakuierte, die im Rahmen der<br />

UNOSOM in Somalia verwendet worden waren.<br />

Magnus Pahl legt den Fokus auf internationale Entscheidungs-<br />

und Führungsstrukturen. Mit der EUFOR RD Congo vollzieht<br />

er einen zeitlich begrenzten Unterstützungseinsatz nach, mit<br />

dem die Europäische Union im Sommer 2006 der seit November<br />

1999 im Lande befindlichen Mission de l’Organisation des Nations<br />

Unies en République Démocratique du Congo (MONUC)<br />

zu Hilfe kam. EUFOR sicherte in der Hauptstadt Kinshasa die<br />

anstehenden Parlaments- und Präsidentenwahlen ab. Während<br />

des – von einem Operation Headquarters in Potsdam aus geführten<br />

– Einsatzes erprobte die Union ihre Fähigkeiten, in Zentralafrika<br />

ausschließlich unter Rückgriff auf eigene Miel (und<br />

mit Deutschland als zweitgrößtem Truppensteller) zu operieren,<br />

stieß hierbei allerdings sowohl bei der »Force Generation« als<br />

auch bezüglich notwendiger Verlegekapazitäten und Logistik<br />

rasch an ihre Grenzen.<br />

Mit den Beobachtermissionen der UN stellt Armin Wagner<br />

eine weitere Form internationalen militärischen Engagements<br />

vor. Im März 2005 mandatierten die Vereinten Nationen ihre United<br />

Nations Mission in Sudan (UNMIS), um das von ethnischen,<br />

religiösen und ökonomischen Konflikten zerrissene afrikanische<br />

Land zu stabilisieren und einen zwischen der Regierung in<br />

Khartum und der Südsudanesischen Volksbefreiungsbewegung<br />

(SPLA/M) geschlossenen Friedensvertrag zu überwachen. Der<br />

Bundestag stimmte 2005 erstmalig der Entsendung von bis zu 75<br />

Soldatinnen und Soldaten zu und schuf damit die Voraussetzungen<br />

für den größten nationalen Einzelbeitrag zur Militärbeobachterkomponente<br />

der UNMIS. Die African Union Mission in Sudan<br />

(AMIS) in der westsudanesischen Provinz Darfur und deren<br />

Nachfolgemission UNAMID, eine Hybridmission der Vereinten<br />

Nationen und der Afrikanischen Union, verstärkte Deutschland<br />

u.a. durch Lutransportkapazitäten, Einzelpersonal in Stäben<br />

und Hauptquartieren sowie durch Ausrüstungshilfe. Schließlich<br />

standen deutsche Soldaten auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion<br />

im Einsatz: Die 1993 eingerichtete United Nations Observer<br />

Mission in Georgia (UNOMIG) überwachte bis zum Sommer<br />

18


Einleitung<br />

2009, mit einem deutschen Anteil von Militärbeobachtern und<br />

Sanitätspersonal, bis Juni 2009 die zwischen Georgien und Abchasien<br />

bestehende Sicherheitszone. Nach wie vor unterstützt<br />

wird eine OSZE-Mission in Georgien, die 2008 nach dem Ende<br />

des bewaffneten Konflikts zwischen Russland und Georgien um<br />

die Zukun der abtrünnigen georgischen Gebiete Abchasien und<br />

Südossetien zustande kam.<br />

Am Ende des ersten Abschnies wendet sich Bernhard Chiari<br />

mit der International Security Assistance Force (ISAF) in Afghanistan<br />

jener Mission zu, die seit 2001 wohl am eindringlichsten<br />

die Möglichkeiten und Grenzen internationaler Konfliktlösung<br />

verkörpert. Der Beitrag legt den Schwerpunkt weniger auf die<br />

militärischen Strukturen von ISAF sowie der parallel laufenden<br />

Anti-Terror-Operation E F. Am Beispiel Afghanistans<br />

und der pakistanischen Grenzgebiete wird vielmehr<br />

die Komplexität von Konflikt- und Bedrohungsszenarien veranschaulicht,<br />

denen sich die Internationale Gemeinscha bei<br />

ihren Versuchen gegenüber sieht, angemessene Formen von Stabilisierung<br />

und Peacekeeping zu entwickeln. Für das Land am<br />

Hindukusch, so der Befund, liegen dauerhae Friedenslösungen<br />

noch in weiter Ferne. Die vielfältigen Implikationen des Begriffs<br />

»Sicherheit« macht der Aufsatz ebenso deutlich wie den Teufelskreis<br />

zwischen Gewalt, militärischen Reaktionen und dem Wegbrechen<br />

ziviler Anstrengungen für den Wiederauau.<br />

Der zweite Abschni des Buches trägt die Überschri »Militär,<br />

Politik und Gesellscha«. 14 querschniliche Betrachtungen<br />

kreisen um das Thema der Auslandseinsätze. Thomas Breitwieser<br />

fragt eingangs nach den verfassungs- und völkerrechtlichen<br />

Aspekten neuer Formen des Peacekeeping. Die Entwicklung der<br />

Auslandseinsätze schildert er vor dem Hintergrund der juristischen<br />

Rahmenbedingungen, die dem Rechtsstaat seit Gründung<br />

der Bundesrepublik 1949 beim Einsatz seines Militärs – vor<br />

allem nach der Erfahrung des Nationalsozialismus – enge Grenzen<br />

auferlegten. Die Rolle des Deutschen Bundestags in der kontrovers<br />

geführten Auseinandersetzung um die Auslandseinsätze<br />

erläutert Winfried Nachtwei. Er führt aus, wie sehr politische<br />

Entscheidungen für oder gegen die Übernahme neuer Verantwortung<br />

verflochten sind mit innenpolitischer Profilierung, der<br />

Suche nach Mehrheiten und dem Kampf um Wählerstimmen.<br />

19


I. Historische Entwicklungen<br />

Bilden die westlichen Demokratien einerseits die größtmögliche<br />

Sicherheit gegen den unüberlegten oder missbräuchlichen Einsatz<br />

von Streitkräen, erschweren ihre Strukturen andererseits<br />

die Beschlussfassung. Angestrebte ganzheitliche Strategien bei<br />

der Konfliktlösung unterliegen ebenso wie die Bereitstellung der<br />

dafür notwendigen Miel nationalen Vorbehalten.<br />

Die Entscheidungsfindung in internationalen Bündnissen<br />

analysiert Jörg Hillmann am Beispiel der Europäischen Union<br />

(EU). In idealtypischer Weise vollzieht er die Prozesse des politischen<br />

und militärischen »Decision-Making« sowie der Operationsplanung<br />

nach und gibt Einblick in die Möglichkeiten<br />

und Grenzen der Gemeinscha und ihrer milerweile 27 Mitgliedstaaten,<br />

im Rahmen friedensschaffender oder -erhaltender<br />

Maßnahmen tätig zu werden. Komplexe Mechanismen der Beschlussfassung<br />

und »Force Generation« veranschaulicht Frank<br />

Hagemann im Folgenden am konkreten Beispiel des EU-Engagements<br />

in Zentralafrika. Eine Mission im Tschad und in der<br />

Zentralafrikanischen Republik (EUFOR Tchad/RCA) überbrückte<br />

zwischen März 2007 und März 2008 die Übergangsphase bis<br />

zum Anlaufen der UN-Mission MINURCAT in beiden Ländern.<br />

EUFOR Tchad/RCA, in deren Rahmen etwa 3700 Soldaten aus<br />

14 europäischen Staaten dienten, wurde vom Operational Headquarters<br />

(OHQ) der EU in Mont Valérien bei Paris vom irischen<br />

Operation Commander Generalleutnant Patrick Nash geführt.<br />

Ihr Aurag war die Verbesserung des Umfeldes insbesondere<br />

für Flüchtlinge, aber auch für Personal, das humanitäre Hilfe<br />

leistete. Hagemann zeichnet den mühsamen Weg nach, den das<br />

Bündnis vor dem Operationsbeginn zurücklegen musste.<br />

Die folgenden Aufsätze behandeln fünf spezielle Konfliktformen<br />

und damit die Bandbreite von Herausforderungen für<br />

die Internationale Gemeinscha. Volker Mahies beschreibt die<br />

Renaissance der gewaltsamen Problemlösung in Afrika. Dort bildeten<br />

sich seit dem Ende des Kalten Krieges rechtsfreie Räume,<br />

in denen militärische Miel den Kampf um Macht und Rohstoffe<br />

entscheiden. Während sich eine globale Informations- und<br />

»Weltgesellscha« entwickelt, herrschen hier archaische Formen<br />

der Auseinandersetzung vor. Regionale Konflikte werden andererseits<br />

zunehmend in ihren globalen Auswirkungen wahrgenommen,<br />

und ihre dauerhae Stabilisierung muss ausländisches<br />

20


Einleitung<br />

Engagement mit örtlichen Initiativen und Fähigkeiten verbinden.<br />

Conrad Scheer analysiert den Begriff der »humanitären Intervention«<br />

und wendet sich insbesondere dem Spannungsgefüge<br />

zu, das durch die gegenseitige Abhängigkeit zwischen militärischen<br />

Aufgaben – vor allem der Schaffung eines sicheren Umfeldes<br />

– und dem zivilen Wiederauau entsteht. Die Verantwortung<br />

für humanitäres Handeln und seine Entwicklung geht eine<br />

Verbindung mit handfesten Sicherheitsinteressen ein und lässt<br />

eine neue Interventionskultur entstehen. Diese findet ihren Ausdruck<br />

in Begriffen wie »Human Security«, »humanitäre Intervention«<br />

und »Zivil-Militärische Zusammenarbeit« (Civil-Military<br />

Cooperation, CIMIC). Die angesprochene Problematik reduzieren<br />

Katja Mielke und Conrad Scheer dann auf die Praxis der<br />

Entwicklungshilfe und die Rahmenbedingungen, unter denen<br />

sich die Auauarbeit von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen<br />

vollzieht. Am fiktiven Beispiel des Entwicklungshelfers<br />

Franz Hohmann in Afghanistan veranschaulichen sie die<br />

Situation der Helfer vor Ort und erläutern, nach welchen Regeln<br />

und Gesetzmäßigkeiten Projektarbeit stafindet.<br />

L. Daniel Hosseus beleuchtet den Zusammenhang zwischen<br />

Seehandel und Piraterie und damit ein vitales Sicherheitsinteresse<br />

europäischer Industrieländer. Mit den militärischen Bemühungen,<br />

die Seeräuberei entlang der zentralen Handelsrouten<br />

einzudämmen, benennt er eine maritime Herausforderung, mit<br />

der sich seefahrende Nationen seit der Antike auseinanderzusetzen<br />

haben. Christian Freuding ergänzt diesen Aufsatz um seine<br />

Überlegungen zum deutschen militärischer Beitrag im Kampf<br />

gegen den internationalen Terrorismus und damit gegen eine<br />

Erscheinung, die vor dem 11. September 2001 in Mieleuropa<br />

eine eher abstrakte Bedrohung bildete.<br />

Rudolf J. Schlaffer analysiert zusammenfassend die veränderten<br />

Anforderungen an die Bundeswehr, die sich seit den 1990er-<br />

Jahren in Out-of-area-Einsätzen befindet. Für die Bundeswehr<br />

bedeutete vor allem das Engagement im ehemaligen Jugoslawien<br />

die »Ankun in der Wirklichkeit«. Der grausame Bürgerkrieg im<br />

europäischen »Hinterhof« zog die Entwicklung neuer strategischer,<br />

operativer und taktischer Konzepte nach sich. Klaus Storkmann<br />

stellt die Frage, welches Erbe der Nationalen Volksarmee<br />

die Bundeswehr seit 1990 auf diesem Weg mit sich führte. Im<br />

21


I. Historische Entwicklungen<br />

Rahmen des Warschauer Paktes und im Westreit der sozialistischen<br />

und kapitalistischen Systeme vermied die DDR-Führung<br />

eine direkte Beteiligung von Soldaten oder ganzer Einheiten der<br />

Volksarmee an militärischen Konflikten. Dennoch leistete diese<br />

– etwa in den Ländern Schwarzafrikas – vielfältige Militärhilfe,<br />

deren Spuren bis heute nachwirken.<br />

Die beiden folgenden Aufsätze widmen sich dem inneren<br />

Gefüge der Armee im Einsatz. Maren Tomforde behandelt mit<br />

Interkultureller Kompetenz eine Kernfähigkeit der »neuen«<br />

Bundeswehr. Deren Angehörigen wird in der Konfrontation<br />

mit anderen Kulturen und Religionen entschlossenes und handlungssicheres<br />

Aureten abverlangt, verbunden mit ethischem<br />

Verantwortungsbewusstsein und sozialem Fingerspitzengefühl.<br />

Analog gilt dies für die zunehmende kulturelle und religiöse<br />

Vielfalt innerhalb der Streitkräe selbst sowie für die multinationale<br />

Zusammenarbeit mit Verbündeten und Partnern. Interkulturelle<br />

Kompetenz bedeutet vor diesem Hintergrund die<br />

Fähigkeit und Bereitscha, sich mit unterschiedlichen Kulturen,<br />

Lebenswelten und deren Besonderheiten angemessen auseinanderzusetzen<br />

sowie Auräge in fremdem Umfeld zu erfüllen.<br />

Tomforde beschreibt die Vermilung dieser Fähigkeit als bundeswehrgemeinsame<br />

Aufgabe, für die zur Zeit ein einheitliches<br />

Gesamtkonzept entsteht.<br />

Ausgehend vom »Ehrenmal« im Berliner Bendlerblock, eingeweiht<br />

am 8. September 2009, setzt sich Loretana de Libero mit den<br />

kontrovers diskutierten Versuchen der Bundeswehr auseinander,<br />

eine allgemein akzeptierte Form des Gedenkens an ihre Toten zu<br />

finden. Ein zentrales Dank- und Erinnerungszeichen hae es für<br />

die »Staatsbürger in Uniform« bisher nicht gegeben. Eine Übersicht<br />

über den Brauch kleinerer Erinnerungsorte, zumeist ebenfalls<br />

»Ehrenmale« genannt, der seit den 1990er-Jahren auch in den<br />

deutschen Feldlagern an Einsatzorten im Ausland gepflegt wird,<br />

verbindet de Libero mit Betrachtungen zu bundeswehrspezifischen<br />

und deutschen Formen des Gedenkens generell.<br />

Abschließend weist Andreas Kunz auf jene Auswirkungen<br />

hin, welche die »Transformation« und die revolutionären Veränderungen<br />

der IT-Technik auf die historische Überlieferung der<br />

Bundeswehr haben. Wurden Schristücke in den Streitkräen<br />

bis in die 1990er-Jahre hinein vorwiegend in Papierform erstellt,<br />

22


Einleitung<br />

erfolgt dies im Zeitalter der Auslandseinsätze zunehmend elektronisch<br />

und papierlos. Die Sicherung, Erfassung und dauerhae<br />

Speicherung einschlägiger Datenbestände bringt erhebliche<br />

konzeptionelle, organisatorische, rechtliche und inhaltliche<br />

Anforderungen mit sich. Kunz zeigt, dass der Bundeswehr ein<br />

Verlust ihres institutionellen Gedächtnisses droht, wenn für die<br />

Sammlung und Konservierung elektronischer »Akten« keine befriedigenden<br />

Lösungen gefunden werden.<br />

Ein drier Abschni fasst die im Buch angebotenen Informationen<br />

in leicht zugänglicher Form zusammen und macht sie über<br />

ein ausführliches Register zugänglich. Ein Zeitstrahl vermielt<br />

in chronologischer Abfolge Basisdaten über die Auslandseinsätze<br />

der Bundeswehr seit ihrer Gründung. Die Übersichtskarte am<br />

Ende des Bandes präsentiert diese auf einen Blick und ermöglicht<br />

so die geografische Verortung. Ausgewählte Literatur- und Filmtipps<br />

sollen Wege für das vertiefende Studium aufzeigen. Ständig<br />

aktualisierte Interneipps sowie alle Textbeiträge der Reihe<br />

»Wegweiser zur Geschichte« im <strong>PDF</strong>-Format finden Sie auf der<br />

Seite .<br />

Die Herausgeber freuen sich über Anregungen und Kritik,<br />

die wir im Rahmen möglicher Neuauflagen aufgreifen. Die Kontaktdaten<br />

des MGFA entnehmen Sie bie der letzten Umschlagseite.<br />

Bernhard Chiari<br />

23


In der Nacht vom 29. Februar auf den 1. März 1960 erschütterte ein gewaltiges<br />

Erdbeben die marokkanische Küstenstadt Agadir und machte<br />

große Teile dem Erdboden gleich. Zwischen 10 000 und 15 000 Menschen<br />

starben. Innerhalb kürzester Zeit lief eine europäische Hilfsaktion<br />

an. Die Bundesrepublik entsandte eine Sanitätseinheit nach Marokko,<br />

die dort ein Feldlazarett betrieb.<br />

Der erste Einsatz der jungen Bundeswehr im Ausland fand zu einem<br />

Zeitpunkt statt, zu dem sich die 1955 aus der Taufe gehobene Armee in<br />

ihrer Aufbau- und Konsolidierungsphase befand. Die Hilfeleistung in Marokko,<br />

von Politik und Bundeswehrführung als »Übung« deklariert, stand<br />

am Anfang einer großen Zahl vergleichbarer humanitärer Einsätze. Auf<br />

allen Kontinenten verteilte die Bundeswehr Hilfsgüter, half nach Erdbeben<br />

oder bei Dürrekatastrophen, schützte bei Hochwasser und bekämpfte<br />

Waldbrände. Die Öffentlichkeit unterschied solche Einsätze stets streng<br />

von ihrer Hauptaufgabe, Deutschland im Verbund der NATO gegen einen<br />

möglichen Angriff des Warschauer Paktes zu verteidigen. Die Bundesregierung<br />

sah in der humanitären Hilfe ein »spezifisches Instrument«, das<br />

»unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Nichteinmischung und<br />

ohne Rücksicht auf den ideologischen Standort der betroffenen Regierung«<br />

eingesetzt werden sollte. Dieses Instrument nutzte die Bonner Republik<br />

mitunter auch dort, wo eine formalisierte Zusammenarbeit mit den<br />

betroffenen Regierungen aufgrund des Ost-West-Konfliktes ausschied.<br />

Zentrales Fotolabor/Bundeswehr/Steve Urbanczyk


Agadir 1960:<br />

Der Erdbebeneinsatz in Marokko<br />

In außenpolitischen Fragen übte die Bonner Republik Diskretion<br />

und Zurückhaltung. Einfluss in Europa und in der übrigen Welt<br />

nahm Westdeutschland lediglich im Rahmen der festen Integration<br />

in die westliche Staatenwelt – vor allem in das Nordatlantische<br />

Bündnis oder in die Europäische Gemeinscha –, aber nicht<br />

im Alleingang. Ihre Wirtschasleistung, Finanzkra und die<br />

Bereitscha zur Unterstützung Notleidender jenseits nationaler<br />

Eigeninteressen trugen wesentlich zur positiven Wahrnehmung<br />

der Bundesrepublik in Europa bei. Als Erbin des »Drien Reiches«<br />

von ihren Nachbarn vielfach ungeliebt, war sie dennoch<br />

gern gesehen, weil sie sich friedlich und ambitionslos gab, nationale<br />

Interessen scheinbar hintanstellte und als verlässliche<br />

Partnerin galt. Konrad Adenauer verlieh diesem Konzept die<br />

Bezeichnung »Souveränität durch Integration«. Die junge Bundesrepublik<br />

grenzte sich strikt von der Politik des Nationalsozialismus<br />

ab und orientierte sich ebenso konsequent nach Westen.<br />

Gegenüber bewaffneter Macht und militärischen Machtmieln in<br />

der Außenpolitik zeigten weite Teile der Öffentlichkeit und des<br />

parlamentarisch-politischen Raumes eine tief liegende Skepsis.<br />

Bis in die 1990er-Jahre blieb es für wechselnde Regierungen ein<br />

wesentlicher Antrieb, humanitäre Hilfe zu leisten, das Ansehen<br />

Westdeutschlands in der Welt zu mehren und deren Vertrauen in<br />

ein geläutertes Deutschland zu gewinnen.<br />

Der erste Einsatz deutscher Soldaten im Ausland 1960 traf<br />

die Streitkräe in einer frühen Phase der Aufstellung und Konsolidierung.<br />

Vier Jahre zuvor, am 20. Januar 1956, hae Bundeskanzler<br />

Konrad Adenauer in Andernach die ersten freiwilligen<br />

Soldaten der Bundeswehr begrüßt. Quer durch alle gesellschalichen<br />

und sozialen Gruppen waren heige Debaen um die Gestalt<br />

eines zukünigen Verteidigungsbeitrags geführt worden.<br />

Diese standen unter dem Eindruck der noch frischen Erinnerung<br />

an das katastrophale Kriegsende und verliefen vor dem Hintergrund<br />

des aktuellen Ost-West-Konfliktes in Europa. In der nach<br />

einer Zisterzienser-Abtei in der Eifel benannten »Himmeroder<br />

Denkschri« haen Experten im Oktober 1950 der Bundesregie-<br />

25


picture-alliance/akg-images<br />

I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

rung Empfehlungen für die Struktur der künigen Streitkräe<br />

gegeben. Dabei legten sie den Schwerpunkt ganz auf die Ausplanung<br />

eines »deutschen Kontingentes« als Beitrag zu gesamteuropäischen<br />

Verteidigungskräen. Noch unter dem Eindruck der<br />

Dominanz des Militärs vor 1945 suchte man nach einer möglichst<br />

europäischen und »zivilen« Organisationsform für die Bundeswehr.<br />

Diese sollte eine Bündnisarmee ohne eigenen Generalstab<br />

mit nationalen operativen Befugnissen sein, außerdem durch die<br />

Wehrpflicht an der Entwicklung zum »Staat im Staat« gehindert<br />

werden. Ein ziviler Minister stand einer Parlamentsarmee vor,<br />

und auch möglichen Selbstständigkeitsbestrebungen der Teilstreitkräe<br />

schob man einen Riegel vor.<br />

Aus der Dienststelle Blank war im November 1955 ein Ministerium<br />

aufgewachsen, das zunächst in elf gleichrangige Fachabteilungen<br />

gegliedert war. Die vier militärischen Abteilungen<br />

Heer, Luwaffe und Marine sowie Streitkräe unterstanden wie<br />

die zivilen Abteilungen unmielbar der politischen Leitung. Das<br />

aber warf erhebliche Koordinierungsprobleme im Bereich der<br />

Streitkräe auf. Erst im Februar 1957<br />

erhielt der Leiter Abteilung Streitkräfte<br />

die Amtsbezeichnung Generalinspekteur.<br />

Dieser war gegenüber den<br />

Teilstreitkräen weisungsbefugt für<br />

Organisation, Führung, Ausbildung<br />

und Ausrüstung, erhielt jedoch weder<br />

den Oberbefehl über die Bundeswehr<br />

im Verteidigungsfall, noch führte er<br />

eine nationale Kommandobehörde<br />

oder stand einem Generalstab der<br />

Streitkräe vor. Dieser Funktionszuschni<br />

war in der deutschen Militärgeschichte<br />

ohne Vorbild. Im Oktober<br />

1956 löste Franz Josef Strauß seinen<br />

Amtsvorgänger und ersten Bundesminister<br />

der Verteidigung, Theodor<br />

Blank, ab und stand bis 1963 an der<br />

Spitze dieses Ressorts. Gemäß der<br />

26<br />

Protest gegen die Wiederbewaffnung, um 1956.


Agadir 1960<br />

Heeresstruktur 2 strebte die Bundesrepublik unter Strauß die<br />

Aufstellung von zwölf panzerstarken Heeresdivisionen und<br />

deren Unterstellung unter die NATO an, doch war die Masse der<br />

Verbände um 1960 nur bedingt einsatzfähig. In dieser Lage hae<br />

die Bundeswehr ihre erste Bewährungsprobe im Ausland zu bestehen.<br />

Betroffen war hauptsächlich der Sanitätsdienst, der sich<br />

erst seit 1956/57 im Auau befand.<br />

Die Erdbebenkatastrophe in Marokko 1960<br />

Das frühere Protektorat Marokko war 1956 von Frankreich und<br />

Spanien in die Unabhängigkeit entlassen worden. Neben Frankreich<br />

und Spanien unterhielten auch die Vereinigten Staaten von<br />

Amerika Stützpunkte auf marokkanischem Territorium. In der<br />

Nacht vom 29. Februar auf den 1. März 1960 erschüerte ein<br />

Erdbeben der Stärke 5,7 auf der Richterskala die etwa 50 000<br />

Einwohner zählende Stadt Agadir, ca. 500 km südwestlich der<br />

Hauptstadt Rabat an der Atlantikküste gelegen. Bis zu 15 000<br />

Menschen starben unter den Trümmern. Jeder drie Einwohner<br />

wurde verletzt, 90 Prozent der Bebauung zerstört. Eine durch<br />

das Beben ausgelöste Flutwelle verursachte zusätzliche Schäden.<br />

Die Katastrophe, auf die die marokkanischen Behörden in keiner<br />

Weise vorbereitet waren, setzte eine groß angelegte Hilfsaktion<br />

in Gang. Vor allem die ehemaligen Kolonialmächte Frankreich<br />

und Spanien, aber auch die USA kamen mit Truppen zu Hilfe.<br />

Angesichts des Ausmaßes der Zerstörung fasste die Bundesregierung<br />

am 1. März den Entschluss, ebenfalls Soldaten in das<br />

Unglücksgebiet zu entsenden.<br />

Erst von der Mie der 1960er-Jahre an verfügte die Bundeswehr<br />

in München über eine Sanitätskompanie, die als Teil der<br />

NATO-assignierten AMF (Allied Command Europe Mobile<br />

Force, ACE Mobile Force) Einsatzerfahrung an der Süd- und<br />

Nordflanke des Bündnisgebietes gesammelt hae. Entsprechend<br />

erhielt die Einheit aus München spezielle Ausrüstung und Ausbildung.<br />

Zum Zeitpunkt der Katastrophe in Marokko hingegen<br />

standen für die Krisenreaktion lediglich »normale« Sanitätsverbände<br />

bereit, die für den Einsatz im Rahmen der Bündnisverteidigung<br />

an der innerdeutschen Grenze vorgesehen waren. Am<br />

27


picture-alliance/dpa (Ausschnitt)<br />

I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

1. März um 21.00 Uhr – am Faschingsdienstag<br />

– wurde das Sanitätsbataillon<br />

5 in Brannenburg-Degerndorf<br />

alarmiert, das der 1956 in Grafenwöhr<br />

aufgestellten 5. Panzerdivision mit<br />

Stab in Wetzlar und Koblenz unterstand.<br />

Bereits am Aschermiwoch,<br />

dem 2. März, verlegte die 3. Kompanie<br />

des Bataillons auf den Flugplatz<br />

Wahn, um dort um 10.30 Uhr mit drei<br />

Maschinen vom Typ N des Lutransportgeschwaders 62<br />

in Richtung Agadir zu starten. Die Maschinen gehörten zu jenen<br />

Transportern, die ab Ende 1957 von Frankreich bescha und<br />

danach in Lizenzbau gefertigt wurden. Lkw transportierten das<br />

notwendige Material für den Hauptverbandplatz, Medikamente<br />

aus den Sanitätsdeports und Einsatzverpflegung wurden auf<br />

getrenntem Wege zugeführt. Feldbeen und Decken stellte das<br />

Rote Kreuz bereit. Der Kompaniechef stieß erst auf dem Flugfeld<br />

zu seiner Einheit, da er von einem Lehrgang direkt nach Wahn<br />

befohlen worden war. Manche Familien erfuhren vom Einsatz<br />

in Afrika zu einem Zeitpunkt, als sich ihre Angehörigen bereits<br />

in Marokko befanden. Zudem verdient der Umstand besondere<br />

Erwähnung, dass auch Grundwehrdienstleistende in Marsch gesetzt<br />

wurden, ohne um ihre Zustimmung zu einer Verwendung<br />

im Ausland befragt worden zu sein.<br />

Der Aurag der 3. Kompanie lautete, in Agadir einen Hauptverbandplatz<br />

aufzubauen und zu betreiben, um die Versorgung<br />

vor allem von Schwer- und Schwerstverletzten sicherzustellen.<br />

Die ersten Sanitäter trafen am 3. März in Marokko ein und muss-<br />

28<br />

Der frisch ernannte Generalleutnant Adolf<br />

Heusinger (1957-1961 erster Generalinspekteur),<br />

Bundesverteidigungsminister Theodor<br />

Blank und Generalleutnant Hans Speidel (v.l.n.r.)<br />

am 12. November 1955 vor dem damaligen<br />

Dienstsitz des Bundesverteidigungsministeriums,<br />

der Ermekeil-Kaserne in Bonn. Die ersten<br />

101 Soldaten der neuen deutschen Streitkräfte<br />

erhielten an diesem Tag von Minister Blank ihre<br />

Ernennungsurkunden.


Agadir 1960<br />

ten – nach einer zeitaufwendigen Zwischenlandung in Spanien<br />

– zunächst in Casablanca viele Stunden auf den Weiterflug warten.<br />

Das völlig überlastete Flugfeld in Agadir ließ es zunächst<br />

nicht zu, weitere Maschinen abzufertigen. Auf die Entsendung<br />

eines Vorkommandos hae man aus Zeitgründen verzichtet. Für<br />

den Betrieb des Hauptverbandplatzes standen fünf Ärzte, ein<br />

Apotheker sowie 45 Sanitätssoldaten zur Verfügung. Insgesamt<br />

umfasste das deutsche Kontingent am 7. März 103 Soldaten.<br />

Der Schwerpunkt der Hilfeleistung lag nicht wie ursprünglich<br />

geplant bei der operativen Behandlung von Verletzten. Französische<br />

und amerikanische Einheiten haen vor Ort einen Großteil<br />

der operativen Erstversorgung übernommen. Die Deutschen<br />

stellten mit einer Kapazität von 70 Been die Folgeversorgung<br />

sicher. Mit zunehmender Stehzeit übernahmen sie auch Aufgaben<br />

bei der Seuchenbekämpfung und betreuten einige der zahlreichen<br />

Flüchtlingslager. 20 schwere sowie 60 leichtere Operationen<br />

wurden durchgeführt, 100 Verletzte stationär aufgenommen<br />

und mehr als 1000 Patienten ambulant behandelt. Am 10. März<br />

wurde die Umwandlung des Feldlazares in ein ortsfestes Feldlazare<br />

angeordnet, und 13 Tage später befahl der Bundesminister<br />

der Verteidigung die Beendigung des Hilfseinsatzes. Am<br />

5. April erreichte das Frachtschiff »Möwe« Agadir, und eine gute<br />

Woche danach trafen die Sanitätssoldaten in Bremen ein, während<br />

ihr Lazare die marokkanischen Behörden übernahmen.<br />

Die Bundeswehr stand im Verlauf des Einsatzes vor erheblichen<br />

logistischen Herausforderungen, die sie insgesamt effektiv<br />

und flexibel bewältigte. Die Verbindung mit der Führung musste<br />

das Kontingent zunächst mit Hilfe schrilicher Nachrichten<br />

aufrechterhalten, welche die zwischen Einsatz- und Heimatland<br />

pendelnden N-Maschinen mitführten. Am 5. März<br />

brachte dann ein US-Transportflugzeug eine auf Lkw verlastete<br />

Funkstelle nach Marokko, die leistungsstark genug für die Verbindung<br />

mit Deutschland war.<br />

Das Lutransportgeschwader 62 stellte mit durchschnilich<br />

zwei Maschinen pro Tag die Versorgung zwischen Deutschland<br />

und Marokko sicher und beförderte bis zum 10. März insgesamt<br />

100 Tonnen Fracht. Neben die großen Entfernungen trat als Herausforderung<br />

die dezentrale Beschaffung spezieller Medikamente,<br />

die der Sanitätsdienst der Bundeswehr nicht bevorratete.<br />

29


picture-alliance/dpa/Lehmann<br />

I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

Innerhalb weniger Tage wurden sandfarbene Tropenuniformen<br />

geliefert, um den eingesetzten Soldaten die Arbeit bei Tagestemperaturen<br />

von bis zu 50 Grad zu erleichtern.<br />

Das III. Korps in Koblenz, dem die 5. Panzerdivision seit 1959<br />

unterstand, improvisierte eine frühe Form der Truppenbetreuung.<br />

In Agadir richtete man eine Betreuungseinrichtung unter<br />

Führung eines Kantinenunteroffiziers ein. Das Ministerium ließ<br />

Zeitungen und Zeitschrien sowie Radiogeräte nach Marokko<br />

schicken. Persönliche Post aus Deutschland wurde über den Marokkoeinsatzstab<br />

des BMVg nach Agadir befördert. Der Sanitätsdienst<br />

nahm sich der Familienbetreuung an und informierte die<br />

Angehörigen auf dem Wege von Rundschreiben über die Lage<br />

im Einsatzland. Das in Marokko verwendete Gerät – ausschließlich<br />

aus der originären Ausstaung eines Hauptverbandplatzes<br />

gemäß Stärke- und Ausrüstungsnachweisung (STAN) stammend<br />

– erwies sich als brauchbar für den Einsatz.<br />

30<br />

Die erste unter<br />

französischer Lizenz<br />

gebaute Transportmaschine<br />

vom Typ<br />

NORATLAS wurde am<br />

9. September 1958<br />

in Hamburg feierlich<br />

der Bundeswehr<br />

übergeben.<br />

Humanitäre Hilfe vs. militärische Einsätze?<br />

Die Hilfsaktion der Bundeswehr in Marokko war kein militärischer<br />

Einsatz im Sinne der Verfassung. Einen solchen häen erst<br />

die Feststellung des Verteidigungsfalles durch das Parlament<br />

und die Abwehr eines von der Sowjetunion geführten Angriffs<br />

des Warschauer Paktes nach sich gezogen. Das Bundesministerium<br />

der Verteidigung verlautbarte demgegenüber im März 1960,<br />

dass es in Agadir nicht um einen Ernstfall ginge, sondern es »ver-


Agadir 1960<br />

tretbar« erscheine, »den Einsatz der Bundeswehr als Übung zu<br />

betrachten«. Dass der Einsatz von Militär nicht als militärischer<br />

Einsatz gelten sollte, kam auch in der Zuteilung der Verantwortlichkeiten<br />

zum Ausdruck: Bis 1978 koordinierten nicht das Verteidigungsressort,<br />

sondern das Innenministerium und das Auswärtige<br />

Amt gemeinsam Aktionen der humanitären Hilfe. 1978<br />

ging die Zuständigkeit dann ganz an das Auswärtige Amt über.<br />

Zwischen 1960 und den Einsätzen in Somalia und Kambodscha<br />

1992 leistete die Bundeswehr in mehr als 130 weiteren Fällen<br />

humanitäre Hilfe im Ausland. Die Unternehmen umfassten<br />

ein breites Leistungsspektrum, das von der sanitätsdienstlichen<br />

Versorgung über den geschlossenen Einsatz von Pioniereinheiten<br />

(Erdbebenhilfe im italienischen Friaul 1976) bis hin zu Missionen<br />

der Luwaffe reichte, die in den 1980er-Jahren Hilfsgüter<br />

für notleidende Menschen nach Afrika transportierte. Pro Jahr<br />

führte die Bundeswehr im Durchschni mehr als drei derartige<br />

Einsätze durch, über 40 Prozent davon in Afrika, gut 30 Prozent<br />

in Europa, gefolgt von Asien und Südamerika (16 und neun Prozent).<br />

Inhaltlich lag der Schwerpunkt deutlich bei der Verteilung<br />

von Hilfsgütern, gefolgt von Unterstützungsleistungen nach<br />

Erdbeben und bei Dürrekatastrophen, Hochwasserhilfe und<br />

Waldbrandbekämpfung.<br />

Die Erdbebenhilfe in Marokko 1960 brachte der deutschen<br />

wie der internationalen Öffentlichkeit zu Bewusstsein, dass 15<br />

Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Bundeswehr<br />

bereitstand, einen Beitrag im Rahmen europäischer Verteidigungsstrukturen<br />

zu leisten. Dass die Bundesrepublik das Element<br />

des Militärischen gegenüber dem Ausland wie der eigenen<br />

Gesellscha stets eher schamha zu verbergen suchte, bildete<br />

eine Grundkonstante westdeutscher Politik seit 1949 – ebenso<br />

wie das Bestreben, das Ansehen der Bundesrepublik durch humanitäre<br />

Hilfe in aller Welt zu steigern.<br />

Bernhard Chiari<br />

31


Der heutige Staat Kambodscha geht auf das von indischen Kultureinflüssen<br />

geprägte Königreich Kambuja zurück, das vom 12. bis 14. Jahrhundert<br />

weite Teile Südostasiens beherrschte und die gewaltigen Tempelbauten<br />

von Angkor hervorbrachte. In den folgenden Jahrhunderten<br />

wurde Kambuja zunehmend von den mächtigen Nachbarn Thailand und<br />

Vietnam bedrängt, bis die Franzosen 1863 ein Protektorat errichteten.<br />

1941 bestieg der damals erst 19-jährige Prinz Norodom Sihanouk den<br />

Thron. Ihm gelang es 1953/54, sein Land ohne Blutvergießen in die Unabhängigkeit<br />

zu führen. Nach ersten Jahren der Prosperität wuchs der<br />

Widerstand gegen Sihanouks autoritäre Herrschaft, und Kambodscha<br />

wurde in den Vietnamkrieg hineingezogen. Es entwickelte sich ein blutiger<br />

Bürgerkrieg, der im April 1975 mit dem Sieg der kommunistischen<br />

Roten Khmer endete. Ihre Schreckensherrschaft, die mindestens eine<br />

Million Opfer forderte, fand erst zu Jahresbeginn 1979 durch eine Invasion<br />

vietnamesischer Truppen ein Ende. Diese setzten ein ihnen genehmes<br />

Regime in Phnom Penh ein. Damit begann ein neuer Guerillakrieg.<br />

Nach langen Verhandlungen unter internationaler Vermittlung schlossen<br />

die Bürgerkriegsparteien im Oktober 1991 die Pariser Friedensabkommen<br />

(Foto). Eine Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen (UNTAC)<br />

sicherte den Friedensprozess mit fast 16 000 Soldaten, 3600 Polizisten<br />

und rund 2500 zivilen Beamten. Der bis dahin beispiellose UN-Einsatz in<br />

Kambodscha schloss neben dem Bundesgrenzschutz auch ein Bundeswehrkontingent<br />

von insgesamt beinahe 450 Sanitätssoldaten ein.<br />

picture-alliance/dpa


Humanitärer Beitrag zum Peacekeeping:<br />

Die UN-Mission in Kambodscha<br />

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges keimte Widerstand<br />

gegen die französische Kolonialherrscha in Kambodscha auf.<br />

Der junge König Norodom Sihanouk erklärte das Land 1953 für<br />

unabhängig, was von den Franzosen auf der Genfer Indochinakonferenz<br />

von 1954 offiziell anerkannt wurde.<br />

Viele ältere Kambodschaner verehren Sihanouk heute noch<br />

als Gokönig, doch wies sein autoritäres Regime auch deutliche<br />

Schwächen auf: Inkompetenz, Korruption, Nepotismus, wirtschalicher<br />

Niedergang, wachsende soziale Gegensätze und Unterdrückung<br />

der Opposition, die sich sowohl von rechts (durch<br />

antimonarchistische Nationalisten) als auch von links durch die<br />

Bewegung der Roten Khmer zu regen begann (frz. Khmer Rouge;<br />

Khmer ist der Name des Staatsvolks Kambodschas, welches ca.<br />

90 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht, rot bezog sich auf<br />

ihre weltanschauliche Orientierung). Dazu kam die Aushöhlung<br />

der kambodschanischen Neutralität, indem Sihanouk dem Vietcong<br />

die Benützung des kambodschanischen Staatsgebietes als<br />

Aufmarsch-, Rückzugs- und Versorgungsgebiet (»Ho-Chi-Minh-<br />

Pfad«) gestaete. Letzteres brachte ihn in Konflikt mit den USA.<br />

Ab 1969 überzog die US-Luwaffe den Osten Kambodschas mit<br />

Bombenteppichen, bei denen mehr Sprengkörper abgeworfen<br />

wurden als im Zweiten Weltkrieg gegen Japan. Die Bombardierungen<br />

forderten 400 000 Tote und zwangen weite Teile der<br />

Bevölkerung entweder zur Flucht in die überfüllten Städte oder<br />

trieben sie in die Arme der kommunistischen Roten Khmer.<br />

Im März 1970 kam es zu einem von den USA sehr begrüßten<br />

Putsch rechtsgerichteter Militärs. Während der abgesetzte<br />

Sihanouk sich in Peking an die Spitze einer von Kommunisten<br />

dominierten Exilregierung stellte, riefen die neuen Machthaber<br />

in Phnom Penh unter der Führung von General Lon Nol die Republik<br />

aus und zogen das Land vollends in den zweiten Indochinakrieg<br />

hinein. Das finanziell und militärisch massiv von den<br />

USA unterstützte Militärregime verspielte jedoch jegliche Sympathien<br />

in der Bevölkerung, und die Roten Khmer kontrollierten<br />

bald drei Viertel des Landes.<br />

33


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

Am 17. April 1975 – zwei Wochen vor dem Fall Saigons<br />

– rückten die meist blutjungen Kämpfer der Roten Khmer<br />

schließlich in die Hauptstadt Phnom Penh ein und riefen das<br />

Demokratische Kampuchea (DK) aus. Premierminister wurde<br />

der geheimnisumwierte »Bruder Nummer 1« Pol Pot. Die an<br />

China angelehnten Roten Khmer – im Unterschied zu den neuen<br />

Machthabern in Vietnam, welche bald einen Freundschasvertrag<br />

mit der Sowjetunion abschlossen – gingen daran, die Gesellscha<br />

radikal im Sinne eines »Steinzeitkommunismus« umzugestalten.<br />

Sie vertrieben Millionen Menschen aus den Städten<br />

und zwangen sie zur Arbeit in landwirtschalichen Kollektiven.<br />

Intellektuelle wurden gezielt liquidiert, Privateigentum,<br />

Geld, Schulen und Religion abgescha und das Land von der<br />

Außenwelt abgeschnien. Der als nomineller Staatschef nach<br />

Phnom Penh zurückgekehrte Prinz Sihanouk wurde 1976 zum<br />

Rücktri gezwungen und unter Hausarrest gestellt. Insgesamt<br />

kamen während der dreieinhalbjährigen Terrorherrscha der<br />

Roten Khmer mindestens eine Million Menschen ums Leben. In<br />

den letzten Monaten der Khmer-Rouge-Herrscha wurden die<br />

Düsteres Erbe: Das Choeung Ek Genocidal Centre bei Phnom Penh zeigt Schädel<br />

von Opfern der Gewaltherrschaft. 2009 begann ein durch die UN unterstütztes<br />

Tribunal mit Prozessen gegen frühere Führer der Roten Khmer, angeklagt der<br />

Verbrechen gegen die Menschlichkeit.<br />

34<br />

picture-alliance/dpa/epa Bildfunk//Mak Remissa


Humanitärer Beitrag zum Peacekeeping<br />

Zustände immer chaotischer, und zahlreiche DK-Offiziere und<br />

-Kader flohen vor »Säuberungen« nach Vietnam, wo sie eine Befreiungsfront<br />

zum Sturz des Pol-Pot-Regimes gründeten. Viele<br />

sollten später mit den vietnamesischen Invasoren zurückkehren<br />

und eine führende Rolle in der neuen Regierung spielen (z.B.<br />

Heng Samrin, Hun Sen).<br />

Nachdem kambodschanische Truppen mehrmals tief auf vietnamesisches<br />

Staatsgebiet vorgedrungen waren, traten am 25. Dezember<br />

1978 vierzehn Divisionen der vietnamesischen Volksarmee<br />

zu einer Großoffensive an. Innerhalb weniger Wochen<br />

eroberten sie den größten Teil des Landes und setzten eine ihnen<br />

genehme Regierung unter Premierminister Heng Samrin ein. Außenminister<br />

wurde im Alter von 27 Jahren Hun Sen. Die Khmer<br />

Rouges mussten sich in die unwegsamen Berg- und Dschungelgebiete<br />

nahe der thailändischen Grenze zurückziehen. Mit ihnen<br />

flohen – teils gezwungenermaßen – Hunderausende Menschen,<br />

die in Lagern entlang der thailändischen Grenze Zuflucht fanden<br />

und dort auf internationale Hilfe angewiesen waren.<br />

Der vietnamesische Einmarsch in Kambodscha löste im Westen<br />

wie in China und bei vielen blockfreien Staaten Empörung<br />

aus. Eine Anklage Vietnams im Sicherheitsrat scheiterte am Veto<br />

der Sowjetunion, doch die UNO-Generalversammlung verurteilte<br />

die Invasion. Die Volksrepublik Kampuchea blieb ein internationaler<br />

Paria.<br />

Die vietnamesische Invasion bildete den Beginn eines jahrelangen<br />

erbierten Bürgerkrieges. Neben den Roten Khmer<br />

formierten sich noch zwei nichtkommunistische Widerstandsgruppen.<br />

Allesamt bestanden sie aus einem politischen und<br />

einem militärischen Flügel. Die von Vietnam eingesetzte und<br />

unterstützte Regierung der Volksrepublik Kambodscha (1989 in<br />

State of Cambodia umbenannt), seit 1985 unter Premierminister<br />

Hun Sen, hae zuletzt Regierungstruppen (Cambodian Peoples<br />

Armed Forces, CPAF) im Umfang von etwa 125 000 meist<br />

schlecht ausgebildeten und ausgerüsteten Wehrpflichtigen sowie<br />

bis zu 220 000 Angehörigen örtlicher Milizen und knapp 50 000<br />

Polizisten unter Waffen. Auf der anderen Seite standen die drei<br />

Widerstandsgruppen, die sich 1982 zu einer fragilen Koalition<br />

zusammengeschlossen und eine Exilregierung gebildet haen.<br />

Die weitaus schlagkräigste Fraktion des Widerstandes bildeten<br />

35


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

die Roten Khmer. Ihre Streitkräe, die National Army of Democratic<br />

Kampuchea (NADK), wurden auf 10 000 bis 15 000 Mann<br />

geschätzt. Dazu kamen die zunächst von Prinz Norodom Sihanouk<br />

und später von seinem Sohn Norodom Ranariddh geführte<br />

royalistische Gruppe Front Uni National pour un Cambodge<br />

Indépendant, Neutre, Pacifique et Cooperatif (FUNCINPEC)<br />

sowie die rechtsgerichtete, republikanisch orientierte, aber intern<br />

zerstriene Khmer Peoples National Liberation Front (KPNLF),<br />

jeweils mit (nach eigenen Angaben) etwa 5000 Kämpfern.<br />

Die drei Widerstandsgruppen teilten sich die Verwaltung der<br />

Flüchtlingslager in Thailand und nutzten sie – o mit Unterstützung<br />

oder zumindest Duldung durch das thailändische Militär –<br />

als Basen für den Untergrundkampf gegen die vietnamesischen<br />

Besatzer und ihre kambodschanischen »Marioneen«.<br />

36<br />

Internationale Vermilungsbemühungen und<br />

die Pariser Friedensabkommen von 1991<br />

Die ersten Bemühungen um eine friedliche Beilegung der Auseinandersetzungen<br />

in Kambodscha gehen auf das Jahr 1981 und<br />

eine weitgehend ergebnislose internationale Konferenz in New<br />

York zurück. Den nächsten signifikanten Versuch der Konfliktregulierung<br />

startete die ehemalige Kolonialmacht Frankreich,<br />

indem sie im August 1989 zu einer Tagung nach Paris lud (Erste<br />

Pariser Kambodschakonferenz), die aber ohne greiares Ergebnis<br />

zu Ende ging. Drei Monate später, nachdem Vietnam am<br />

26. September 1989 den Abzug seiner letzten Besatzungstruppen<br />

verkündet hae, präsentierte der australische Außenminister Gareth<br />

Evans einen Plan, der vorsah, dass die Vereinten Nationen<br />

für eine Übergangszeit die Regierung Kambodschas übernehmen<br />

sollten (ein solches Modell hae sich kurz zuvor in Namibia<br />

bewährt). Die weiteren Entspannungsbemühungen verliefen vor<br />

allem auf zwei Ebenen: Einerseits in regelmäßigen Treffen der<br />

fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder, andererseits in informellen<br />

Treffen der vier Bürgerkriegsparteien.<br />

Begünstigt wurde der Gang der Verhandlungen durch eine<br />

grundlegende Veränderung der globalen Machtverhältnisse: Die


Humanitärer Beitrag zum Peacekeeping<br />

neue liberale Außenpolitik der Sowjetunion unter Gorbatschow<br />

hae zu einer Aufweichung des Ost-West-Gegensatzes geführt<br />

und damit dem Sicherheitsrat neue Handlungsmöglichkeiten eröffnet.<br />

Gleichzeitig strebte die Volksrepublik China danach, ihre<br />

internationale Isolierung nach der brutalen Unterdrückung der<br />

Demokratiebewegung im Juni 1989 zu überwinden. Unter diesen<br />

Vorzeichen kam es auch zu einer Annäherung zwischen den<br />

Erbfeinden China und Vietnam, wobei beide Druck auf ihre Verbündeten<br />

– also die Roten Khmer bzw. die Regierung in Phnom<br />

Penh – ausübten.<br />

Nach langwierigen Verhandlungen akzeptierten die Bürgerkriegsparteien<br />

schließlich einen Friedensplan, der u.a. die<br />

Einrichtung eines Obersten Nationalrates (Supreme National<br />

Council, SNC) aus Vertretern der Bürgerkriegsparteien vorsah.<br />

Der SNC sollte die Regierung in Phnom Penh allerdings nicht<br />

ersetzen, sondern ihr lediglich zur Seite gestellt werden. Der<br />

Oberste Nationalrat erklärte am 24. September 1991 den Bürgerkrieg<br />

offiziell für beendet und ersuchte die Vereinten Nationen<br />

um schnellstmögliche Entsendung einer Vorausmission, die den<br />

Einsatz einer UNO-Übergangsverwaltung vorbereiten sollte.<br />

Der Generalsekretär empfahl darauin dem Sicherheitsrat die<br />

Einrichtung der United Nations Advance Mission in Cambodia<br />

(UNAMIC).<br />

Damit war der Weg frei für die feierliche Unterzeichnung<br />

eines Friedensabkommens am 23. Oktober 1991 zum Abschluss<br />

der Zweiten Pariser Kambodschakonferenz. Signatare waren<br />

neben den im SNC vertretenen Repräsentanten der vier Bürgerkriegsparteien<br />

weitere 18 Staaten (darunter die Nachbarländer)<br />

sowie der UNO-Generalsekretär Perez de Cuéllar.<br />

Das Vertragswerk bestand aus vier Einzeldokumenten. Das<br />

Abkommen über eine umfassende politische Regelung des Kambodschakonfliktes<br />

enthielt die zentralen Bestimmungen über<br />

Waffenstillstand und Demobilisierung, Wahlen, Flüchtlingsrückführung<br />

sowie die Prinzipien für eine neu auszuarbeitende<br />

Verfassung.<br />

Der SNC wurde zum Träger der nationalen Souveränität.<br />

Während einer Übergangsperiode bis zur Wahl einer konstituierenden<br />

Versammlung und der Verabschiedung einer neuen<br />

Verfassung delegierte der SNC weitreichende Befugnisse an die<br />

37


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

Vereinten Nationen. Diese wurden eingeladen, eine Übergangsverwaltung<br />

(United Nations Transitional Authority in Cambodia,<br />

UNTAC) mit einer zivilen und einer militärischen Komponente<br />

unter Leitung eines vom UN-Generalsekretär ernannten<br />

Sonderbeauragten einzurichten. Bei Meinungsverschiedenheiten<br />

mit dem SNC erhielt dieser Sonderbeauragte die letzte Entscheidungsbefugnis.<br />

Eine Mixed Military Working Group sollte<br />

hochrangige Militärs aller Streitparteien unter dem Vorsitz des<br />

UNTAC Force Commanders zusammenführen. UNTAC bildete<br />

mit einer Personalstärke von bis zu 22 000 Mann die bis dahin<br />

größte und mit Gesamtkosten von 1,6 Milliarden US-Dollar teuerste<br />

Peacekeeping-Operation der Vereinten Nationen.<br />

38<br />

Die Einrichtung der<br />

UNO-Übergangsverwaltung<br />

Die Vorausmission UNAMIC nahm am 9. November 1991 ihre<br />

Tätigkeit auf. Sie bestand im Wesentlichen aus einem kleinen<br />

zivilen Stab und 50 militärischen Verbindungsoffizieren sowie<br />

Fernmelde-, Lutransport- und Versorgungskräen. Hauptaufgabe<br />

von UNAMIC war die Überwachung des Waffenstillstandes<br />

und die Vermilung zwischen den verfeindeten Fraktionen.<br />

Anfang 1992 wurde das Mandat noch um Minenräumaufgaben<br />

und Aulärungsprogramme über die Minengefahr erweitert.<br />

Der Zeitplan für UNTAC lag im Februar 1992 vor. Am 28. Februar<br />

billigte ihn der Sicherheitsrat und setzte UNTAC für die<br />

Dauer von maximal 18 Monaten ein. Der Einsatz fiel unter Kapitel<br />

VI der UN-Charta, was bedeutete, dass die Mission keinerlei<br />

Zwangsbefugnisse erhielt und die Möglichkeit der Gewaltanwendung<br />

seitens der UN-Truppen auf das (vom UN-Generalsekretariat<br />

grundsätzlich extensiv interpretierte) Recht zur Selbstverteidigung<br />

beschränkt war. Im Januar 1992 ernannte der neue<br />

UNO-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali den japanischen<br />

Berufsdiplomaten Yasushi Akashi zu seinem Sonderbeauragten.<br />

Am 15. März 1992 löste UNTAC die UNAMIC ab.<br />

Das Mandat der UNTAC war aus den Bestimmungen der<br />

Pariser Friedensabkommen abgeleitet. Es umfasste die Förde-


Humanitärer Beitrag zum Peacekeeping<br />

rung der Menschenrechte, die Organisation und Durchführung<br />

freier Wahlen, den Auau einer zivilen Verwaltung sowie die<br />

Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung. Hinzu traten die<br />

Rückführung und Wiederansiedlung von Flüchtlingen und Vertriebenen,<br />

die Wiederherstellung der Infrastruktur sowie militärische<br />

Aufgaben.<br />

Dementsprechend bestand UNTAC aus sieben getrennten<br />

Komponenten (sechs zivilen und einer militärischen). Die Mission<br />

hae erstens für die Sicherung der Grundfreiheiten während<br />

der Übergangsperiode zu sorgen. Dies sollte durch Aulärungsprogramme,<br />

Überwachung der bestehenden Verwaltungseinrichtungen<br />

sowie die Untersuchung behaupteter Menschenrechtsverletzungen<br />

erreicht werden.<br />

UNTAC fiel zweitens die Aufgabe zu, landesweit die freie<br />

und faire Wahl von 120 Abgeordneten zu einer verfassunggebenden<br />

Versammlung vorzubereiten, die dann binnen drei Monaten<br />

eine Verfassung ausarbeiten und sich anschließend in eine<br />

gesetzgebende Versammlung umwandeln sollte. Die Basisarbeit<br />

der Wahlorganisation in den Distrikten oblag mehr als 400 United<br />

Nations Volunteers (UNVs), während der Abstimmung verstärkt<br />

durch 50 000 einheimische Wahlhelfer.<br />

Den drien Schwerpunkt bildete die Sicherstellung eines<br />

»neutralen politischen Umfeldes« für den Wahlprozess. Zu diesem<br />

Zweck wurden die bestehenden Verwaltungsstrukturen der<br />

Fraktionen einer abgestuen Kontrolle unterworfen. Dies betraf<br />

insbesondere jene Behörden, welche direkt den Ausgang der<br />

Wahlen häen beeinflussen können: Die fünf Schlüsselministerien<br />

für Auswärtige Angelegenheiten, Verteidigung, Finanzen, öffentliche<br />

Sicherheit und Information unterstanden der direkten<br />

Kontrolle durch UNTAC.<br />

Viertens unterlagen auch die örtlichen Polizeikräe der internationalen<br />

Überwachung: Etwa 3600 unbewaffnete Zivilpolizisten<br />

aus 31 Ländern versahen landesweit ihren Dienst in mehr als<br />

200 Polizeistationen.<br />

Fünens war UNTAC verantwortlich für die Rückführung<br />

und Wiederansiedlung von etwa 365 000 Flüchtlingen aus Lagern<br />

in Thailand sowie weiterer Zehntausender Vertriebener<br />

im Lande selbst. Dafür mussten Transportkapazitäten zur Verfügung<br />

gestellt und Durchgangslager eingerichtet werden. Der<br />

39


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

Plan sah aber auch vor, den Flüchtlingen in ihrer neuen Heimat<br />

eine Existenzgrundlage zu sichern, beispielsweise durch die Zuteilung<br />

von Land, die Ausgabe von Hausrat und Nahrungsmitteln<br />

(bis zur ersten Ernte) oder durch Reintegrationsprogramme.<br />

Die Repatriierungsaktion war eine der größten der jüngeren Geschichte,<br />

und sie war nur durch eine gemeinsame Anstrengung<br />

verschiedener Organisationen unter Führung des UNO-Flüchtlingshochkommissariats<br />

UNHCR möglich.<br />

Ein Wiederauauplan für die Übergangsperiode sollte<br />

sechstens die Grundbedürfnisse der Bevölkerung in dem völlig<br />

verwüsteten Land abdecken und die essenzielle Infrastruktur<br />

des Verkehrsnetzes, der Telekommunikation sowie des Gesundheits-<br />

und Erziehungswesens instand setzen. Während die<br />

Kosten der UNTAC anteilsmäßig auf die UN-Mitgliedstaaten<br />

aufgeteilt wurden, waren die Repatriierungs- und die Rehabilitierungskomponente<br />

auf freiwillige Beiträge angewiesen.<br />

Die siebente Komponente der UNTAC war die militärische.<br />

Sie war zahlenmäßig die bei Weitem stärkste. In ihren Aufgabenbereich<br />

fielen unter anderem:<br />

− die Überwachung des Waffenstillstandes und die Verifizierung<br />

des Abzugs aller ausländischen Streitkräe und Militärberater;<br />

− die Sicherstellung der Beendigung jeglicher auswärtiger Militärhilfe<br />

für die Konfliktparteien;<br />

− die Entwaffnung sämtlicher Kombaanten aller Fraktionen<br />

und ihre anschließende Unterbringung in bewachten Lagern<br />

(sogenannten Cantonments). Mindestens 70 Prozent der<br />

kantonierten Truppen sollten bis zu den Wahlen schriweise<br />

demobilisiert werden und ins zivile Leben zurückkehren,<br />

während die verbleibenden 30 Prozent zu einer neu formierten<br />

nationalen Armee Kambodschas unter dem Kommando<br />

der neu gewählten Regierung verschmolzen werden sollten;<br />

− Aufspüren und Beschlagnahme versteckter Waffenlager;<br />

− Unterstützung beim Minenräumen sowie Aulärung der<br />

Bevölkerung über die Minengefahr.<br />

An der Spitze der 15 900 Mann umfassenden UN-Truppe stand<br />

ein Force Commander, der australische Generalleutnant John<br />

Sanderson. Das Rückgrat des Kontingents bildeten zwölf Infanteriebataillone<br />

zu je 850 Mann, gestellt von Bulgarien, Bangla-<br />

40


Humanitärer Beitrag zum Peacekeeping<br />

desch, Frankreich, Ghana, Indien, Indonesien (zwei Bataillone),<br />

Malaysia, den Niederlanden, Pakistan, Tunesien und Uruguay.<br />

Ihnen oblag im Wesentlichen die Durchführung der Entwaffnung<br />

und Kantonierung der Streitkräe, wobei jedem Bataillon ein<br />

territorialer Verantwortungsbereich (Sektor) zugewiesen wurde.<br />

Hinzu kamen 485 Militärbeobachter (United Nations Military<br />

Observers, UNMOs) aus 25 Ländern, die vor allem Verbindung<br />

zu den ehemaligen Bürgerkriegsparteien zu halten, Waffenstillstandsverletzungen<br />

zu untersuchen sowie Grenzkontrollstellen<br />

und Verbindungsbüros in den Hauptstädten der Nachbarländer<br />

zu besetzen haen. Marinemilitärbeobachtern oblag die Überwachung<br />

der Küstengewässer und Binnenwasserwege – zum<br />

Teil mit Schlauchbooten, zum Teil mit ehemaligen CPAF-Booten,<br />

während Marineinfanteristen aus Chile, Uruguay und von den<br />

Philippinen die kambodschanische Marine entwaffnen und kantonieren<br />

sollten. Ein Fernmeldebataillon aus Australien sowie<br />

fünf Pionierbataillone aus China, Frankreich, Japan, Polen und<br />

Thailand stellten die Kommunikation und die Instandsetzung<br />

wichtiger Verkehrswege sicher. Eine 180 Mann starke Mine Clearance<br />

Training Unit übernahm die Ausbildung Tausender Kambodschaner<br />

zu Minenräumspezialisten. UNTAC verfügte über<br />

mehrere Feldlazaree, Versorgungs- und Transporteinheiten<br />

(gestellt von Kanada, Pakistan und Polen) und eine international<br />

zusammengesetzte Militärpolizei. Große Entfernungen und<br />

das schlechte Straßennetz erforderten eine relativ umfangreiche<br />

Lutransportkomponente, die vor allem aus Hubschraubern der<br />

Typen Mi-17, Mi-26 und P sowie aus C-130 und C-160 Transportmaschinen<br />

bestand.<br />

Das Scheitern der Entwaffnung und die<br />

Vorbereitung der Wahlen<br />

Schon der Beginn der UNO-Operation war geprägt von Verzögerungen<br />

und Pannen im Ablauf. Die ursprünglich vorgesehene<br />

und militärisch zweckmäßige Reihenfolge der Stationierung erstens<br />

von Pioniereinheiten zur Instandsetzung und Entminung<br />

der Verkehrswege und Stützpunkte, zweitens von Versorgungs-<br />

41


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

Deutsche Beteiligung an UNAMIC und UNTAC<br />

An der UNO-Mission beteiligten sich mit der Bundesrepublik<br />

Deutschland und Japan erstmals zwei Staaten, bei denen bisher die<br />

Verfassung ein solches Engagement auszuschließen schien. Bereits<br />

zwischen November 1991 und März 1992 hae eine Gruppe von Sanitätssoldaten<br />

der Bundeswehr das Personal der Vorausmission UN-<br />

AMIC medizinisch betreut und die sanitätsdienstliche Versorgung<br />

der nachfolgenden UNTAC vorbereitet. Am 8. April 1992 kam die<br />

Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl, anfangs kaum<br />

beachtet von der deutschen Öffentlichkeit, der Bie des UN-Generalsekretärs<br />

nach, UNTAC durch den Betrieb eines 60-Been-Hospitals<br />

zu unterstützen. Die politische Brisanz der Mission zeigte sich daran,<br />

dass das deutsche Kontingent nicht der UNTAC-Führung unterstellt<br />

wurde, sondern zunächst unter nationalem Befehl blieb. Dies zog im<br />

Verlauf des Einsatzes erhebliche Spannungen nach sich – zumal der<br />

deutsche Sanitätsstabsoffizier den gesamten, aus 20 Nationen rekrutierten<br />

Sanitätsdienst der UNTAC mit 171 Ärzten und mehr als 1000<br />

Mann Assistenzpersonal in 118 Sanitätseinrichtungen führte.<br />

Am 22. Mai 1992 begannen deutsche Sanitätskräe in einem weitgehend<br />

zerstörten Gebäude am Stadtrand Phnom Penhs mit dem Auau<br />

eines Lazares. UN-Erfahrungen und entsprechende Planungen fehlten,<br />

sodass man sich vor allem am Know-how der Münchner 2. Kompanie/Sanitätslehrbataillon<br />

851 orientierte, die im Rahmen der Allied<br />

Mobile Force (AMF) der NATO an deren Süd- und Nordflanke sowie<br />

bei zahlreichen humanitären Missionen außerhalb Europas zum Ein-<br />

42<br />

picture-alliance/dpa/Martin Athenstädt<br />

Bundesverteidigungsminister<br />

Volker Rühe (CDU)<br />

besucht am 29. Mai 1992<br />

Blauhelme in Phnom Penh.<br />

Der Beteiligung deutscher<br />

Soldaten an der UN-Mission<br />

hatte zuvor auch die oppositionelle<br />

SPD zugestimmt.


Humanitärer Beitrag zum Peacekeeping<br />

satz gekommen war. 350 Tonnen Material wurden nach Kambodscha<br />

transportiert, bevor am 8. Juni 130 Soldaten unter Führung eines Sanitätsstabsoffiziers<br />

den klinischen Betrieb aufnahmen. Da geeignete<br />

Tropenuniformen fehlten, musste die Bundeswehr auf französische<br />

Bekleidung zurückgreifen. Das Deutsche Feldhospital (German Field<br />

Hospital) umfasste zwei Beenstationen, eine Isolierstation sowie eine<br />

Intensivstation und sieben fachärztliche Abteilungen. Ein zusätzliches<br />

Medical Center versorgte das UN-Personal der Hauptstadt.<br />

Die einheimische Bevölkerung, die dem Hospital den ehrenvollen<br />

Namen »Haus der Engel« gab, profitierte in starkem Maße vom humanitären<br />

Einsatz der Bundeswehr: Drei Kontingente mit insgesamt<br />

445 Soldaten – ausschließlich Freiwillige – führten bis zum Ende der<br />

Mission am 30. Oktober 1993 fast 95 000 ambulante und beinahe 3500<br />

stationäre Behandlungen durch. Im Verlauf des Einsatzes war der<br />

erste im Ausland getötete deutsche Soldat zu beklagen: Unbekannte<br />

erschossen am 14. Oktober 1993 den 26-jährigen deutschen Sanitätsfeldwebel<br />

Alexander Arndt auf offener Straße. (bc)<br />

einheiten und driens der Infanteriebataillone wurde letztlich<br />

umgekehrt. Eine erste und entscheidende Abweichung von den<br />

Bestimmungen der Pariser Abkommen stellte die Weigerung der<br />

Roten Khmer dar, sich entwaffnen zu lassen und UNTAC Zutri<br />

zu den von ihnen kontrollierten Regionen zu gestaen, woraufhin<br />

auch die anderen Bürgerkriegsparteien eine substanzielle<br />

Entwaffnung ihrer Streitkräe ablehnten. So musste der offizielle<br />

Beginn des Kantonierungsprozesses um sieben Wochen auf den<br />

13. Juni 1992 verschoben werden. An diesem Tag fanden jedoch<br />

lediglich einige symbolische Zeremonien für die internationale<br />

Presse sta. Erst drei Monate später erklärten sich die Regierung<br />

sowie die beiden nichtkommunistischen Widerstandsgruppen<br />

bereit, als Geste des guten Willens insgesamt knapp 55 000 Soldaten<br />

kantonieren zu lassen und etwa ebenso viele Waffen abzugeben.<br />

UNTAC internierte diese Soldaten jedoch nicht in den<br />

Lagern, sondern schickte sie umgehend auf »Ernteurlaub«.<br />

Im Verlauf der folgenden Wochen diskutierte die UNO<br />

verschiedene Handlungsoptionen für die UNTAC bis hin zum<br />

Einsatz militärischer Gewalt gegen die Roten Khmer. Schließ-<br />

43


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

lich entschied sich der Sicherheitsrat trotz der völlig geänderten<br />

Rahmenbedingungen für die planmäßige Fortsetzung der Mission<br />

bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der diplomatischen<br />

Bemühungen, die Roten Khmer doch noch zum Einlenken zu<br />

bewegen. Die Wahlen wurden für Mai anberaumt – allerdings<br />

nur in jenen Gebieten, zu denen UNTAC Ende Januar 1993 Zugang<br />

besaß.<br />

Alle Verhandlungsbemühungen mit den Roten Khmer blieben<br />

erfolglos. Auch der Ausschluss der Roten Khmer von der<br />

Wiederauauhilfe und die Verhängung von Ausfuhrverboten<br />

für Tropenholz und Edelsteine sowie eines Erdölembargos durch<br />

SNC und UN-Sicherheitsrat zeigten keine Wirkung – vor allem<br />

aufgrund der lückenhaen Kontrolle durch UNTAC. Die Roten<br />

Khmer kündigten an, die Wahlen zu boykoieren. Am 13. April<br />

1993 verließen ihre Vertreter in SNC und Mixed Military Working<br />

Group die Hauptstadt Phnom Penh. Damit war der Kontakt<br />

zu UNTAC abgebrochen.<br />

Ab Ende 1992 versuchten die Roten Khmer massiv, ihre Einflusszonen<br />

zu vergrößern, wobei sich einzelne FUNCINPEC-Einheiten<br />

mit ihnen verbündeten. Die Guerillas beschossen Dörfer<br />

unter Kontrolle der Regierungstruppen mit Artillerie und verminten<br />

Straßen und Wege, vereinzelt kam es auch zu infanteristischen<br />

Angriffen. Immer wieder gelang es den Khmer Rouge,<br />

wichtige Verkehrsverbindungen des Landes zu unterbrechen.<br />

Sie begingen auch grausame Massaker an Angehörigen der vietnamesischen<br />

Minderheit, die sie als getarnte Agenten Vietnams<br />

ansahen. Zunehmend waren auch die UNO-Truppen selbst das<br />

Ziel von Übergriffen und Anschlägen, die insgesamt 21 Tote<br />

forderten. UNTAC-Chef Akashi lehnte aber jede Konfrontation<br />

mit den Roten Khmer ab, und UNTAC zog sich aus mehreren<br />

Landesteilen zurück. Durch das Scheitern bei der Befriedung des<br />

Landes wurden Anstrengungen der UNTAC in den verschiedensten<br />

Bereichen, von Minenräumung über Wiederauau bis<br />

zur Menschenrechtsarbeit, zunichte gemacht.<br />

Doch auch die Regierungsseite trug zur Eskalation der Gewalt<br />

bei: Regierungsnahe Kreise waren für Dutzende Anschläge<br />

gegen Büros und Funktionäre der FUNCINPEC und anderer<br />

Oppositionsparteien verantwortlich. Die SOC-Polizei unternahm<br />

dagegen nichts. In militärischer Hinsicht starteten die Re-<br />

44


Humanitärer Beitrag zum Peacekeeping<br />

gierungstruppen ihrerseits mehrere Offensiven, um die seit<br />

Unterzeichnung der Pariser Friedensabkommen an die NADK<br />

verlorenen Gebiete zurückzuerobern. In diesem Klima der Gewalt<br />

stieg auch die Kriminalität sprungha an, was zum Teil auf<br />

monatelange Verzögerungen bei den Soldzahlungen an Soldaten<br />

zurückzuführen war.<br />

Trotz widriger Umstände gelang es UNTAC zwischen<br />

5. Oktober 1992 und 31. Januar 1993, mehr als 4,7 Millionen<br />

Wähler zu registrieren. 20 Parteien wurden zur Wahl zugelassen.<br />

Die wichtigsten Parteien waren jene der Bürgerkriegsfraktionen:<br />

Die ehemals kommunistische Staatspartei des State<br />

of Cambodia trat als Cambodian Peoples Party (CPP) an, die<br />

KPNLF schickte die Buddhist Liberal Democratic Party (BLDP)<br />

ins Rennen, nur die FUNCINPEC kandidierte unter ihrem ursprünglichen<br />

Namen.<br />

Angesichts der angespannten Sicherheitslage billigte der Sicherheitsrat<br />

nun den Vorschlag des Generalsekretärs, auf die im<br />

ursprünglichen Operationsplan vorgesehene Reduzierung der<br />

militärischen Komponente zu verzichten und stadessen die<br />

volle Stärke bis nach den Wahlen aufrechtzuerhalten. Hauptaufgabe<br />

des Militärs war nunmehr die Sicherung der Wahlvorbereitung,<br />

des Wahlkampfes und des eigentlichen Urnengangs.<br />

In den letzten Wochen des Wahlkampfes verschäre sich<br />

die Situation nochmals dramatisch: Die Khmer-Rouge-Führer<br />

drohten unverhohlen damit, die Abstimmung in einem Blutbad<br />

enden zu lassen. Kein Tag verging ohne politisch motivierte Anschläge,<br />

immer öer auch gegen UNTAC-Einrichtungen. Das<br />

zivile Wahlpersonal weigerte sich, weiter in den Kampfgebieten<br />

zu arbeiten, und musste teilweise durch Militärbeobachter ersetzt<br />

werden. Dennoch erteilten die Vereinten Nationen all jenen<br />

Stimmen, die nach einer Verschiebung der Wahl riefen, eine<br />

klare Absage. UNTAC traf vielmehr Vorbereitungen, die Wahllokale<br />

gegen mögliche Angriffe zu schützen: Verteidigungsstellungen<br />

und Bunker wurden ausgebaut, zusätzliche gepanzerte<br />

Fahrzeuge, Splierschutzwesten und Helme bescha, schnelle<br />

Eingreiräe gebildet und sechs schwer bewaffnete B-<br />

H-Hubschrauber aus Australien eingeflogen. In gefährdeten<br />

Gebieten verteilte man bereits abgegebene Waffen erneut an jene<br />

drei Fraktionen, die sich an der Wahl beteiligten.<br />

45


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

46<br />

Die Wahlen und ihre Auswirkungen<br />

Die Wahlen in Kambodscha fanden zwischen 23. und 28. Mai<br />

1993 sta. Entgegen allen Prognosen verliefen sie ohne größere<br />

Zwischenfälle. Über die Gründe für den offenbar in letzter Minute<br />

erfolgten Sinneswandel der Roten Khmer kann allerdings nur<br />

spekuliert werden. Die Wahlbeteiligung übertraf alle Erwartungen.<br />

Beinahe 90 Prozent der 4,7 Millionen registrierten Wähler<br />

gaben ihre Stimme ab. Auch das Ergebnis brachte eine Überraschung:<br />

FUNCINPEC gewann mit 58 Sitzen in der verfassunggebenden<br />

Versammlung die relative Mehrheit vor der CPP mit 51,<br />

BLDP mit zehn Sitzen und einer rechtsgerichteten Splierpartei<br />

mit einem Sitz. Die restlichen Parteien gingen leer aus.<br />

UNTAC-Chef Akashi erklärte die Durchführung der Wahlen<br />

sowie die Stimmauszählung als »frei und fair«, doch die CPP war<br />

nicht gewillt, ihre Macht abzugeben. Sie bestand auf der Bildung<br />

einer Koalitionsregierung mit ihrer Beteiligung. FUNCINPEC<br />

stimmte dem – nicht zuletzt unter dem Druck des Königs und<br />

UN-Soldaten aus Ghana bewachen am 24. Mai 1993 in Phnom Penh den<br />

Abtransport einer Wahlurne. Kambodscha verankerte in einer neuen Verfassung<br />

die konstitutionelle Monarchie und ein pluralistisches demokratisches System. Der<br />

frühere König Norodom Sihanouk kehrte auf den Thron zurück.<br />

picture-alliance/dpa


Humanitärer Beitrag zum Peacekeeping<br />

der Internationalen Gemeinscha, die den Erfolg der Friedensmission<br />

nicht gefährdet sehen wollte – nach langem Zögern zu.<br />

Norodom Sihanouk setzte dafür gegen heigen Widerstand (vor<br />

allem seitens der USA) durch, dass Kambodscha wieder eine<br />

konstitutionelle Monarchie wurde.<br />

Während des politischen Tauziehens gab es signifikante<br />

Entwicklungen im militärischen Bereich: Am 10. Juni 1993<br />

beschlossen die Stabschefs der Streitkräe der CPAF und der<br />

zwei nichtkommunistischen Bürgerkriegsfraktionen, die in den<br />

Pariser Abkommen vorgesehene Vereinigung ihrer Streitkräfte<br />

zu einer einzigen Armee unter der Bezeichnung Cambodian<br />

Armed Forces (CAF). Vor dem Hintergrund der staatlichen<br />

Zahlungsunfähigkeit übernahm die UNO für die ersten Monate<br />

die Bezahlung der Soldaten (wie auch der Polizisten und<br />

der Verwaltungsbeamten), um die innere Sicherheit des Landes<br />

zu gewährleisten. Die Khmer Rouge nahmen unmielbar nach<br />

dem Ende der Wahlen ihre militärischen Aktivitäten wieder auf.<br />

Regierungstruppen antworteten im August mit einer großangelegten<br />

Offensive, bei der erstmals Soldaten aller drei ehemaligen<br />

Fraktionen gemeinsam gegen die Roten Khmer vorgingen.<br />

Am 24. September 1993 schließlich wurde Norodom Sihanouk<br />

wieder als König eingesetzt. Als erste Amtshandlung setzte<br />

er die neue Verfassung in Kra und ernannte die neue Regierung,<br />

in der FUNCINPEC-Führer Norodom Ranariddh formell<br />

erster, Hun Sen zweiter Premierminister wurde. Damit endete<br />

das Mandat der UN-Übergangsverwaltung.<br />

Bereits im August haen die Vereinten Nationen mit dem<br />

schriweisen Abzug des zivilen und militärischen Personals begonnen.<br />

Er wurde plangemäß mit 15. November abgeschlossen.<br />

Auf Wunsch von König Sihanouk verblieb noch ein Team aus 50<br />

militärischen Verbindungsoffizieren für sechs Monate im Lande.<br />

Die weiteren Anstrengungen der internationalen Gemeinscha<br />

konzentrierten sich auf den zivilen Wiederauau und die Beobachtung<br />

der Menschenrechte.<br />

47


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

48<br />

Bilanz<br />

Als größten Erfolg konnte sich UNTAC zweifelsohne die Vorbereitung<br />

und Durchführung der Wahlen an ihre Fahnen heen.<br />

Zwar gelang es nicht, das angestrebte »neutrale politische Umfeld«<br />

zu verwirklichen, doch der letztendlich friedliche Verlauf<br />

der Wahlen und die hohe Wahlbeteiligung waren ein eindrucksvolles<br />

Signal an die Welt, dass die kambodschanische Bevölkerung<br />

die ihr von UNTAC gebotene Chance auf einen Neubeginn<br />

wahrnahm. Allerdings wurde der Wille der Bevölkerung letztlich<br />

nicht respektiert, da die CPP ihre Machtposition nie aufgab.<br />

Selbst in den von FUNCINPEC geführten Ministerien trafen die<br />

CPP-Gefolgsleute die Entscheidungen. Heute ist Kambodscha<br />

ein Land mit rein formaler Demokratie, die sich in der regelmäßigen<br />

Abhaltung (fragwürdiger) Wahlen erschöp und Hun Sen<br />

de facto absolute Herrscha garantiert.<br />

Im militärischen Bereich waren die Defizite der UNTAC besonders<br />

augenscheinlich: Es kam kein dauerhaer Waffenstillstand<br />

zustande und die Entwaffnung und Demobilisierung der<br />

Streitkräe aller Fraktionen scheiterte. UNTAC gelang es auch<br />

nicht, eine wirksame Kontrolle der kambodschanischen Grenzen<br />

sicherzustellen. Das Scheitern der militärischen Bemühungen beeinträchtigte<br />

alle anderen Komponenten der Übergangsverwaltung<br />

und erschwerte insbesondere die Vorbereitung der Wahlen,<br />

die Reintegration der 365 000 repatriierten Flüchtlinge, die Überwachung<br />

der Zivilpolizei und der zivilen Verwaltungsstrukturen<br />

sowie die Förderung der Menschenrechte. Dennoch legte die<br />

Bildung der neuen Armee den Grundstein für die spätere Befriedung<br />

des Landes: Nach mehreren internen Spaltungen, Massendesertionen<br />

und einer Serie militärischer Niederlagen mussten<br />

die letzten verbliebenen Roten Khmer 1998 aufgeben.<br />

Bedeutsame Langzeiteffekte des UNTAC-Einsatzes zeigten<br />

sich auch und vor allem auf wirtschalichem Gebiet: Die Übergangsverwaltung<br />

löste einen Wirtschasboom aus, und nachdem<br />

das Land eine international anerkannte Regierung hae, flossen<br />

auch internationale Entwicklungshilfezahlungen. Heute besitzt<br />

Kambodscha eine ungleich bessere Infrastruktur als 1992, und<br />

die allgemeinen Wirtschasdaten der vergangenen Jahre weisen<br />

einen sehr positiven Trend auf. Allerdings gibt es auch negati-


Humanitärer Beitrag zum Peacekeeping<br />

ve Begleiterscheinungen: Der neue Wohlstand ist sehr ungleich<br />

verteilt, die Klu zwischen Arm und Reich, zwischen Stadt und<br />

Land wird immer größer.<br />

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass UNTAC zwar<br />

wesentliche ihrer Ziele nicht erreicht, aber doch eine Entwicklung<br />

in Gang gesetzt hat, die längerfristig zur Beendigung des<br />

Bürgerkriegs führte und die wirtschaliche und soziale Entwicklung<br />

Kambodschas einleitete.<br />

Peter Hazdra<br />

49


In Sarajevo herrschte im Dezember 1994 Krieg. In Teilen der Stadt<br />

konnte sich die Bevölkerung nur im Laufschritt bewegen. Die sogenannte<br />

Sniper Alley beschossen serbische Scharfschützen von den umliegenden<br />

Hochhäusern aus und töteten zahlreiche Zivilisten. Sarajevo war das<br />

Ziel andauernden Artilleriebeschusses.<br />

In Bosnien-Herzegowina kämpften seit April 1992 muslimische und<br />

kroatische bewaffnete Kräfte gemeinsam gegen die von der Jugoslawischen<br />

Armee (Vojska Jugoslavije, VJ) unterstützten Serben. Anfang<br />

1993 brach der sogenannte Zweite Krieg zwischen Bosniaken und Kroaten<br />

aus. Von 1992 bis September 1995 starben etwa 145 000 Menschen,<br />

darunter 17 000 Kinder auf dem bosnischen Schauplatz des »Jugoslawischen<br />

Nachfolgekrieges«. Die bosnische Hauptstadt war von April 1992<br />

bis Februar 1996 insgesamt 1425 Tage lang eingeschlossen. Heute<br />

leben im Großraum Sarajevo, der den gleichnamigen Kanton der Föderation<br />

sowie einen zur Republika Srpska gehörenden Ostteil umfasst,<br />

wieder eine halbe Million Menschen. Sarajevo, ehemals wichtiger Verwaltungssitz<br />

im Osmanischen Reich und in Österreich-Ungarn, kann auf<br />

seinem in Jahrhunderten gewachsenen kulturellen Reichtum aufbauen<br />

und nimmt Besucher durch südliches Flair und architektonische Vielfalt<br />

für sich ein.<br />

picture-alliance/dpa/Ch. Simon


Bosnien-Herzegowina:<br />

Von UNPROFOR zu EUFOR Althea<br />

Unmielbar nach den Unabhängigkeitserklärungen Sloweniens<br />

und Kroatiens im Juni 1991 versuchte die Regierung Jugoslawiens,<br />

die Auflösung des Staatswesens durch Einsatz der Jugoslawischen<br />

Volksarmee (JVA) zu verhindern. Diese bestand aus<br />

180 000 aktiven, zumeist wehrpflichtigen Soldaten, rund 1800<br />

Panzern, 3700 gepanzerten Kampffahrzeugen, 1000 Artilleriegeschützen<br />

sowie einer Luwaffe von etwa 450 Kampfflugzeugen.<br />

Den ca. 20 000 Mann starken Territorialstreitkräen Sloweniens<br />

gelang es in kurzen Kämpfen Ende Juni, die JVA bereits in den<br />

Kasernen zu überraschen und durch Straßenblockaden aufzuhalten.<br />

Am 7. Juli willigte die Regierung in Belgrad in einen Waffenstillstand<br />

ein und sagte den Rückzug aus dem Territorium<br />

Sloweniens unter Aufsicht internationaler Beobachter zu.<br />

»Antiterroreinheiten« des kroatischen Innenministeriums,<br />

die spätere Nationalgarde, übernahmen im selben Zeitraum die<br />

sich auf dem Gebiet der jugoslawischen Teilrepublik Kroatien<br />

befindlichen Territorialstreitkräe. Der kroatische Generalstab<br />

baute mit 2500 ethnisch kroatischen ehemaligen JVA-Offizieren<br />

eine kroatische Armee (Hrvatska vojska, HV) auf. Zu diesem<br />

Zeitpunkt hielt die JVA ein Viertel des Territoriums der ehemaligen<br />

kroatischen Teilrepublik besetzt. Unter dem Namen »Republika<br />

Srpska Krajina« etablierte die Regierung in Belgrad einen<br />

serbischen Satellitenstaat in den mehrheitlich von ethnischen<br />

Serben bewohnten Gebieten Kroatiens. Über 220 000 Kroaten<br />

wurden während dieser Zeit aus der Krajina vertrieben.<br />

Im Oktober 1991 bestand die HV aus 24 Brigaden mit über<br />

200 000 Mann. Mit ihrer Bewaffnung von 200 Beutekampfpanzern,<br />

150 gepanzerten Fahrzeugen, 400 Artilleriegeschützen<br />

und ohne nennenswerte Luwaffe erwies sie sich freilich der<br />

JVA gegenüber als deutlich unterlegen. Bis Januar 1992 wuchs<br />

die HV auf 230 000 Mann in 65 Brigaden an, während die JVA<br />

in eine massive Krise geriet: Vor allem die ethnisch kroatischen<br />

und bosniakischen (Muslime) Wehrpflichtigen aus dem Gebiet<br />

Bosniens desertierten. Präsident Alija Izetbegović hae erklärt,<br />

dass es »Recht und Pflicht« der Bürger Bosniens sei, den Dienst<br />

51


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

in den jugoslawischen Streitkräen zu verweigern. Hinzu kam,<br />

dass sich bis zum 15. Januar 1992 die europäischen Außenminister<br />

auf Betreiben der Bundesrepublik Deutschland einigten,<br />

die abtrünnigen ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken als<br />

selbstständige Staaten anzuerkennen. Dieses neue politische und<br />

militärische Kräeverhältnis führte zum sogenannten 15. Waffenstillstand.<br />

Dieser beendete den Krieg zwischen JVA und HV,<br />

doch gingen die Kämpfe in Kroatien bzw. zwischen Serben und<br />

Kroaten weiter – bald als eine Art Stellvertreterkrieg in Bosnien-<br />

Herzegowina.<br />

52<br />

Verlagerung des Krieges<br />

nach Bosnien-Herzegowina<br />

In Bosnien-Herzegowina wurde im Dezember 1991 nach dem<br />

Vorbild der »Republika Srpska Krajina« (Kroatien) die »Republika<br />

Srpska« als autonomes Serbengebiet unter Führung von<br />

Radovan Karadžić ausgerufen. Beiden Gebietseinheiten blieb<br />

jedoch die staatliche Anerkennung versagt. Mit UN-Sicherheitsratsresolution<br />

743 etablierte die Völkergemeinscha die<br />

United Nations Protection Force UNPROFOR (Croatia). Diese<br />

überwachte den Rückzug der JVA aus Kroatien, konnte jedoch<br />

beispielsweise nicht verhindern, dass der Generalstabschef des<br />

9. JVA-Korps (Knin), Ratko Mladić, dem Kommandeur der serbischen<br />

Territorialstreitkräe in der Krajina Offiziere unterstellte<br />

und schwere Waffen überließ. Während die regulären jugoslawischen<br />

Streitkräe abzogen, terrorisierten paramilitärische<br />

Verbände die Bevölkerung. Als Kämpfer für eine radikale, großserbische<br />

Ideologie traten die als »Tiger« bekannte »Serbische<br />

Freiwilligengarde« unter Željko Ražnatović (»Arkan«), die »Serbische<br />

Tschetnikbewegung« unter Vojislav Šešelj oder die »Weißen<br />

Adler« unter Mirko Jović auf.<br />

Die aus Kroatien zurückgezogenen Korps wurden in der<br />

Bosnischen Krajina, in Tuzla, Derventa und Brčko stationiert.<br />

Oberst Mladić erhielt den Titel eines Befehlshabers der Streitkräe<br />

der Republika Srpska (Vojska Republike Srpske, VRS). Im<br />

April kämpen auf der serbischen Seite in Bosnien-Herzegowi-


Bosnien-Herzegowina: Von UNPROFOR zu EUFOR Althea<br />

na etwa 90 000 Mann mit rund 8000 Kampfpanzern und 4000<br />

Geschützen, dazu etwa 100 Kampfflugzeugen sowie 50 Hubschraubern.<br />

Zur selben Zeit übernahmen gegenüber Izetbegović<br />

loyale Offiziere die Territorialstreitkräe Bosnien-Herzegowinas<br />

mit rund 75 000 Mann. Diese bildeten gemeinsam mit den rund<br />

35 000 »Grünen Bareen« der »Patriotska Liga« (Parteimiliz der<br />

Izetbegović-Partei SDA) die Armija Republike Bosne i Herzegovine<br />

(ARBiH). Die meist aus ethnischen Bosniaken bestehenden<br />

leichten Infanterieverbände formten ihrem Selbstverständnis<br />

nach eine reguläre Armee der Republik Bosnien-Herzegowina,<br />

die am 6. April 1992 von den Mitgliedstaaten der Europäischen<br />

Gemeinscha anerkannt worden war.<br />

Am 7. April erklärte sich die Republika Srpska für unabhängig,<br />

und am 8. April formierten sich auch im autonomen Kroatengebiet<br />

»Herzeg-Bosna« eigene Streitkräe, die Hrvatsko<br />

Vijeće Odbrane (HVO) mit 20 000 Mann unter General Milivoj<br />

Petković und mit direkten Verbindungen nach Zagreb. In der<br />

Gegend um die bosnische Hauptstadt Sarajevo kämpen ARBiH<br />

und HVO gemeinsam gegen die JVA (ab Mai Vojska Jugoslavije,<br />

VJ); bei Mostar traten Kroaten gegen Serben an und um Zvornik<br />

lieferten sich serbische und bosniakische Milizen heige Gefechte.<br />

Srebrenica wurde von serbischen Truppen eingeschlossen.<br />

Im Juni weiteten die Vereinten Nationen das Mandat der UN-<br />

PROFOR auf Bosnien-Herzegowina aus. Das UN-Flüchtlingshilfswerk<br />

(UNHCR) begann eine Lubrücke zur Versorgung der<br />

inzwischen eingeschlossenen Bevölkerung Sarajevos zu koordinieren.<br />

Lubrücke und Waffenembargo<br />

Anfang der 1990er-Jahre befand sich die Bundeswehr mien in<br />

einer Phase der Umgliederung und Reduzierung nach Auflösung<br />

bzw. Integration der Nationalen Volksarmee. Einen Einsatz<br />

deutscher Blauhelme lehnte die Bundesregierung schon aus diesem<br />

Grund ab, darüber hinaus aber auch wegen der historischen<br />

Bürde des Zweiten Weltkrieges – speziell in Jugoslawien. Rechtlich<br />

schuf erst das »Out-of-area-Urteil« des Bundesverfassungsgerichtes<br />

vom 12. Juli 1994 die Voraussetzungen für eine Beteili-<br />

53


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

gung deutscher Soldaten am Einsatz in Ex-Jugoslawien, indem<br />

es friedenserhaltende und friedensschaffende Missionen der<br />

Bundeswehr im Rahmen der Vereinten Nationen auf der Grundlage<br />

des Grundgesetzes, des NATO- und des WEU-Vertrages für<br />

zulässig erklärte.<br />

Vor diesem Hintergrund erhielt UNPROFOR kein deutsches<br />

Truppenkontingent. An UNPROFOR I beteiligte sich die Bundesrepublik<br />

Deutschland jedoch bereits mit der materiellen Ausrüstung<br />

von Nepalesen und Kenianern und an UNPROFOR II<br />

durch jene der Soldaten aus Pakistan und Bangladesch. Die Hilfe<br />

aus Deutschland umfasste Waffen, Gerät, Munition und persönliche<br />

Ausrüstungsgegenstände aus den Beständen der ehemaligen<br />

Nationalen Volksarmee. Darüber hinaus übernahm die<br />

Bundeswehr Lu- und Landtransporte für die Rotation dieser<br />

Kontingente sowie deren Materialnachschub.<br />

Vom 4. Juli 1992 bis 9. Januar 1996 nahm die Luwaffe mit<br />

bis zu sechs C-160 T an der Versorgung Sarajevos aus<br />

der Lu teil. Zwei Flüge pro Tag und Maschine von Falconara<br />

(Italien) nach Sarajevo mit jeweils acht Tonnen Hilfsgütern<br />

machten zwar nur einen kleinen Teil des transportierten Gesamtvolumens<br />

von insgesamt 6600 Tonnen aus. Dies schmälert<br />

indes nicht die persönliche Leistung der Besatzungen, zumal<br />

angesichts Heckenschützen und serbischer Flugabwehr dieser<br />

humanitäre Einsatz, der letztendlich den Fall der belagerten<br />

bosnischen Hauptstadt verhinderte, mit erheblichem persönlichem<br />

Risiko verbunden war.<br />

Als Folge der UN-Resolutionen gegen das ehemalige Jugoslawien<br />

begannen sowohl die NATO als auch die Westeuropäische<br />

Union (WEU) mit Überwachungsoperationen in der Adria<br />

zur Durchsetzung eines Handelsembargos. An der Operation<br />

S V der WEU nahm die Deutsche Marine mit<br />

drei auf Sardinien stationierten Aulärungsflugzeugen B-<br />

A teil. Hinzu kamen Zolleinheiten auf der Donau.<br />

Für den NATO-Einsatz M M stellte die Marine<br />

durchgehend rund 400 Soldaten auf zwei Zerstörern bzw. Fregaen.<br />

Erstes Schiff der Deutschen Marine im Einsatz in der<br />

Adria war der Zerstörer »Bayern« der Hamburg-Klasse. Seit<br />

Ende November 1992 operierten die Marinen dort mit erweiterten<br />

Boarding- und Durchsuchungsbefugnissen. Operationen<br />

54


Bosnien-Herzegowina: Von UNPROFOR zu EUFOR Althea<br />

mit den Bezeichnungen M G (NATO) und S<br />

F (WEU) verliefen zwar parallel, wurden jedoch untereinander<br />

koordiniert.<br />

Die Einsätze von Luwaffe und Marine wirkten sich direkt auf<br />

den Verlauf des Krieges aus. Kritiker merkten an, dass die Lubrücke<br />

nach Sarajevo der ARBiH zugute gekommen sei, während<br />

das Waffenembargo vor allem der serbischen Seite (VJ und VRS)<br />

genutzt habe, da diese bereits über schwere Waffen verfügte. Absolute<br />

Neutralität erwies sich auch in diesem Fall als unmöglich:<br />

Jede Art von Eingreifen oder Nicht-Eingreifen in bewaffneten<br />

Konflikten wirkt sich auf das Kräeverhältnis vor Ort aus.<br />

Folgen der serbischen Herbstoffensive<br />

Entsprechend der militärischen Kräeverhältnisse entwickelte<br />

sich auch die Lage in Bosnien-Herzegowina. Im Herbst 1992 gelang<br />

es der VRS, die kroatischen HV- und HVO-Verbände zum<br />

Rückzug aus Bosanski Brod zu zwingen und somit von bosnischem<br />

Gebiet zu vertreiben. Die Städte Bihać, Doboj, Maglaj,<br />

Sarajevo, Travnik, Tuzla und Zenica, die kaum über Fliegerabwehr<br />

verfügten, wurden massiv mit Artillerie und aus der Lu<br />

angegriffen. Ende des Jahres beherrschten die Serben 70 Prozent<br />

des Territoriums von Bosnien-Herzegowina, während sich die<br />

größeren Städte nach wie vor unter kroatischer oder bosniakischer<br />

Kontrolle befanden. Infolge des sogenannten Vance-Owen-<br />

Plans, der vorsah, Bosnien-Herzegowina in zehn jeweils durch<br />

eine Führungsnation (Serben, Kroaten, Bosniaken) beherrschte<br />

Provinzen aufzuteilen, versuchte der kroatische Verteidigungsminister<br />

in Bosnien-Herzegowina die ARBiH-Verbände der<br />

HVO zu unterstellen. Dies führte zum sogenannten »Krieg im<br />

Krieg« zwischen Kroaten und Bosniaken in Zentralbosnien.<br />

Mit nunmehr zwei Gegnern konfrontiert, mussten bosniakische<br />

Einheiten im April 1993 bei Cerska, Kamenica und Srebrenica<br />

schwere Verluste hinnehmen. Die Staatengemeinscha reagierte<br />

auf den zunehmenden Exodus von Bosniaken mit der UN-Sicherheitsratsresolution<br />

816. Diese erklärte die eingeschlossenen<br />

Städte Bihać, Goražde, Sarajevo, Srebrenica, Tuzla und Žepa zu<br />

»safe areas« (Schutzzonen).<br />

55


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

56<br />

NATO-Operationen Deny Flight<br />

und Sharp Guard<br />

Darüber hinaus wurde die NATO autorisiert, in einer »No Flight<br />

Zone« (NFZ) das Flugverbot gewaltsam durchzusetzen. Am<br />

12. April 1993 begann die Operation D F. Diese richtete<br />

sich in erster Linie gegen die serbische Luwaffe und Heeresflieger.<br />

Zu diesem Zeitpunkt besaßen diese eindeutig die Luüberlegenheit<br />

über Bosnien-Herzegowina und bestimmten das<br />

Kampfgeschehen. Erst nachdem die U.S. Air Force sechs Maschinen<br />

vom Typ G/J beim Abwerfen von Bomben über<br />

Novi Travnik aufgeklärt und vier abgeschossen hae, respektierten<br />

die VJ bzw. VRS die Flugverbotszone weitestgehend.<br />

Seit Herbst 1992 beteiligten sich auch deutsche Besatzungsmitglieder<br />

der fliegenden Luraumaulärung und Einsatzleitzentrale<br />

AWACS (Airborne Early Warning and Control System)<br />

an der kontinuierlichen Beobachtung des Konfliktgebietes. Im<br />

Rahmen der Aulärungsflüge über Bosnien-Herzegowina<br />

kamen mehr als 160 Soldaten der Luwaffe zum Einsatz, und<br />

bei der Operation D F 484 deutsche Soldaten – die deutschen<br />

Besatzungsanteile der AWACS mitgerechnet. Von März<br />

1993 bis 19. August 1995 versorgte die Luwaffe darüber hinaus<br />

gemeinsam mit den Lustreitkräen Frankreichs und Großbritanniens<br />

die eingeschlossene Bevölkerung Žepas und Srebrenicas<br />

durch den Abwurf von Hilfsgütern.<br />

Im Juni 1993 verschäre der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen<br />

nach dreiwöchigen serbischen Angriffen auf die zuvor<br />

zur »safe area« erklärte Stadt Žepa das Embargo gegen Jugoslawien<br />

(UN/SC 820). NATO und WEU verständigten sich auf ein<br />

kombiniertes Vorgehen. Dieses sah die Vereinigung der bis dato<br />

getrennten Operationen unter dem Kommando von Admiral<br />

Mario Angeli als Kommandeur der »Combined Task Force 440«<br />

vor. Zwei operative »Task Groups« kreuzten in der Adria. Zuletzt<br />

(1994-1996) wurde eine dieser Task Groups, die NATO<br />

Standing Force Mediterranean, vom deutschen Flotillenadmiral<br />

Frank Ropers geführt. Die Embargoüberwachung Operation<br />

S G dauerte bis 18. Juni 1996 an. Für diese Zeit liegt<br />

kein einziger Bericht eines erfolgreichen Blockadebruches vor.


Bosnien-Herzegowina: Von UNPROFOR zu EUFOR Althea<br />

Insgesamt wurden 74 000 Schiffe überwacht, nahezu 6000 auf<br />

See inspiziert und 1400 in Häfen geleitet und dort durchsucht.<br />

Operation Deliberate Force und<br />

die Rapid Reaction Force<br />

Nach dem Angriff auf die Stadt Žepa und der fortdauernden<br />

Belagerung Sarajevos beschloss die NATO, auf Anfrage der Vereinten<br />

Nationen Luschläge gegen solche Ziele durchzuführen,<br />

die die Sicherheit der UN-Schutzzonen bedrohten. Zur effektiven<br />

Durchsetzung des Schutzzonenkonzeptes beschloss der Nordatlantikrat<br />

im April 1994, dass ein Umkreis von 20 Kilometern als<br />

»military exclusion zones« auszuweisen und notfalls mit militärischen<br />

Mieln zu sichern sei. Nach der serbischen Offensive gegen<br />

Goražde erklärte die NATO erstmals solch eine Zone. Am 5. August<br />

bekämpe die U.S. Air Force ein 76-mm-Geschütz der VRS.<br />

Im November antwortete die NATO auf Luangriffe gegen Bihać<br />

mit der Bombardierung des serbischen Flugfeldes in Udbina (Krajina).<br />

Obwohl im UN-Sicherheitsrat China und Russland eine von<br />

den NATO-Staaten geforderte entsprechende UN-Resolution verhinderten,<br />

einigten sich NATO und UN im Oktober 1994 über die<br />

Durchführung gezielter Luschläge. Diese verhinderte vor Ort<br />

allerdings immer wieder der Missbrauch gefangener UN-Angehöriger<br />

als »menschliche Schutzschilde«. Vielen Beobachtern galt<br />

UNPROFOR zu diesem Zeitpunkt als gescheiterte Operation.<br />

Die Bundesregierung beschloss am 20. Dezember 1994, der<br />

NATO ein deutsches Kontingent von 2000 Soldaten sowie bis zu<br />

14 T für eine eventuelle Evakuierung der UNPROFOR zur<br />

Verfügung zu stellen. Ende Mai 1995 hielt die VRS 300 UN-Angehörige<br />

als Geiseln fest. Der Generalstabschef der VRS, Ratko<br />

Mladić, drohte mit deren Ermordung im Falle einer Fortführung<br />

der NATO-Luschläge. Spätestens in dieser Situation wurde<br />

deutlich, dass den Möglichkeiten des Schutzes der Zivilbevölkerung<br />

und der UNPROFOR in den »safe areas« lediglich aus<br />

der Lu Grenzen zu setzen waren. Während des serbischen Angriffes<br />

auf Srebrenica mussten jedoch entsprechende Flüge unterbleiben,<br />

da die VRS drohte, im Falle eines Lueinsatzes der<br />

57


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

NATO 30 zuvor gefangen genommene niederländische UNPRO-<br />

FOR-Soldaten zu erschießen. Die »safe area« Srebrenica fiel am<br />

11. Juli 1995. Das folgende Massaker an etwa 8000 in der Stadt<br />

verbliebenen Männern und Jungen ist hinreichend belegt.<br />

Die serbische Taktik, UNPROFOR-Soldaten als Geiseln zu<br />

nehmen und damit den Einsatz der NATO-Luwaffen zu verhindern,<br />

war nur wenige Tage später auch in Žepa zu beobachten.<br />

Und als dann am 28. August massivem serbischem Artilleriebeschuss<br />

in Sarajevo 38 Menschen zum Opfer fielen und sich<br />

die schrecklichen Ereignisse von Srebrenica und Žepa nun auch<br />

in der belagerten Hauptstadt zu wiederholen drohten, beschloss<br />

die NATO den Einsatz von Lustreitkräen gegen serbische militärische<br />

Ziele um Sarajevo sowie in Tuzla und Pale (Operation<br />

D F). Am 7. August 1995 flogen die ersten von<br />

insgesamt 14 deutschen ECR-T (Electronic Combat Reconnaissance)<br />

ihre Aulärungsmissionen. Bereits im Juni haen<br />

sich EU und NATO über die Aufstellung einer »Rapid Reaction<br />

Force« aus allen drei Teilstreitkräen geeinigt. Die Bundeswehr<br />

beteiligte sich mit insgesamt 530 Soldaten des Heeres, 550 der<br />

Marine und 650 der Luwaffe. Sie stellte im Rahmen der United<br />

Nations Protection Force (UNPTF) wesentliche Anteile eines<br />

deutsch-französischen Feldlazares in Trogir (Kroatien).<br />

58<br />

IFOR, SFOR und EUFOR<br />

Die Kampfeinsätze der NATO-Luwaffen brachten die Konfliktparteien<br />

an den Verhandlungstisch. Die bosnischen Serbengenerale<br />

Radovan Karadžić und Ratko Mladić sowie die Führung in<br />

Belgrad unter Slobodan Milošević lenkten ein und stimmten letztendlich<br />

einem Rückzug ihrer Truppen bei Sarajevo zu. Am 14. Dezember<br />

unterzeichneten die Präsidenten Bosnien-Herzegowinas,<br />

Kroatiens und Jugoslawiens in Paris das »General Framework<br />

Agreement for Peace in Bosnia and Herzegovina« – das nach dem<br />

Verhandlungsort benannte Abkommen von Dayton. Mit UN-Sicherheitsratsresolution<br />

1031 löste eine mit einem robusten Mandat<br />

ausgestaete Implementation Force (IFOR) die UNPROFOR<br />

ab. Deren wichtigste Auräge bestanden in der Überwachung des<br />

Waffenstillstandes sowie des Rückzugs schwerer Waffen und der


ullstein bild - dpa<br />

Bosnien-Herzegowina: Von UNPROFOR zu EUFOR Althea<br />

Am 14. Dezember 1995 wurde in Paris das Abkommen von Dayton formell in Kraft<br />

gesetzt. Slobodan Milošević (Bundesrepublik Jugoslawien), Franjo Tudjman (Kroatien)<br />

und Alija Izetbegović (Bosnien-Herzegowina) unterzeichneten im Beisein von<br />

Felipe González (Spanien), Bill Clinton (USA), Jacques Chirac (Frankreich), Helmut<br />

Kohl (Deutschland), John Major (Großbritannien) und Wiktor Tschernomyrdin<br />

(Russland) den Friedensvertrag.<br />

Entflechtung der Truppenverbände mit Hilfe einer Friedensplanlinie,<br />

der sogenannten Inter-Entity Boundary Line (IEBL).<br />

Die IFOR-Truppen inspizierten mehr als 800 Orte auf der<br />

Suche nach schweren Waffen, machten etwa 2500 Kilometer<br />

verminte Straßen passierbar und setzten über 60 zerstörte Brücken<br />

instand. Neben der Wiederherstellung der grundlegenden<br />

Infrastruktur (Flugplatz Sarajevo, Eisenbahnnetz, Straßen, Telefonnetz)<br />

sicherte die IFOR im September 1996 die ersten freien<br />

Wahlen in Bosnien-Herzegowina ab. Versorgung, Flüchtlingsrückkehr<br />

und ziviler Wiederauau durch verschiedene Nichtregierungsorganisationen<br />

und nicht zuletzt die Dokumentation<br />

von Kriegsverbrechen wurden überhaupt erst durch den Einsatz<br />

der 60 000 IFOR-Soldaten möglich.<br />

Die Bundeswehr stellte 2600 Männer und Frauen im deutschen<br />

Kontingent (GECONIFOR). Dieses gliederte sich in vier<br />

Einsatzverbände (Transport-, Einsatzunterstützungs-, Pionier-<br />

und Heeresfliegereinsatzverband). Das UNPT-Feldlazare in<br />

Trogir wurde Teil der IFOR. Mit ihren Sicherungskompanien<br />

(Panzeraulärer und Gebirgsjäger auf Radpanzer L bzw.<br />

F) verfügten die Einsatzverbände auch über Kampruppen.<br />

Die Operationen von Marine und Luwaffe dauerten – nun als<br />

Teil der IFOR – weiter an.<br />

59


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

Am 12. Dezember 1996 autorisierte UN-Sicherheitsratsresolution<br />

1088 die Ablösung der IFOR durch eine stark reduzierte<br />

»Stabilization Force« (SFOR). Die Einsätze in der Adria sowie<br />

die Aulärungsflüge der Luwaffe wurden beendet. Die Stärke<br />

der SFOR lag nun bei 32 000 Soldaten. Die NATO hae für<br />

die SFOR-Mission (nach wie vor unter der Bezeichnung »Joint<br />

Guard«) ursprünglich eine Dauer von 18 Monaten vorgesehen.<br />

Der Vertrag von Dayton<br />

Der Vertrag von Dayton mit der komplizierten Bezeichnung »The General<br />

Framework Agreement for Peace in Bosnia and Herzegovina«,<br />

unter Vermilung der USA und der EU am 21. November 1995 paraphiert,<br />

bildet die Grundlage für den heutigen Staat Bosnien-Herzegowina.<br />

Im Wesentlichen beinhaltet er die gegenseitige Anerkennung<br />

der Staaten Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Jugoslawien untereinander<br />

und die Respektierung der in elf Anhängen (engl. annexes)<br />

zum Vertrag geregelten Einzelbestimmungen, wie die Etablierung der<br />

Teilstaaten (engl. entities) Republika Srpska (RS) und Federacija Bosne<br />

i Hercegovine (Föderation). Letztere wurde wiederum in Kantone aufgeteilt,<br />

in der jeweils Kroaten oder Bosniaken die Bevölkerungsmehrheit<br />

bildeten. Die Konfliktparteien waren durch eine Teilstaatgrenze<br />

oder Friedensplanlinie (Inter-Entity Boundary Line, IEBL) getrennt.<br />

Annex 1 regelt die militärischen Aspekte des Friedens von Dayton.<br />

Diese beinhalten den Waffenstillstand, die Demobilisierung bzw. den<br />

Rückzug der Kriegsparteien, die Ablösung der United Nations Protection<br />

Force (UNPROFOR) durch den Einsatz der Implementation Force<br />

(IFOR) und den Austausch von Kriegsgefangenen. Annex 3 befasst<br />

sich mit der Demokratisierung, der Durchführung und Überwachung<br />

von Wahlen durch die OSZE, Annex 4 enthält die Verfassung des<br />

neuen Staates Bosnien-Herzegowina einschließlich der Grundrechte.<br />

Einen zentralen Punkt des Abkommens stellt die Flüchtlings- und<br />

Vertriebenenrückkehr (Annex 7) als Aufgabe des United Nations High<br />

Commissioner for Refugees (UNHCR) dar. Zur zivilen Implementierung<br />

des Vertrages scha Annex 10 das Amt eines High Representative,<br />

welcher durch sein Büro (Office of the High Representative, OHR)<br />

unterstützt wird, und die höchste Autorität zur Auslegung der zivilen<br />

Bestimmungen darstellt. Annex 11 etabliert internationale Polizeikräfte<br />

als International Police Task Force (IPTF).<br />

60<br />

picture-alliance/Russian Pictu


Bosnien-Herzegowina: Von UNPROFOR zu EUFOR Althea<br />

61


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

Die Operation lief jedoch unter abgestuer Reduzierung der<br />

Truppenstärke (2000: 24 000 Soldaten; 2004: 7000 Soldaten) als<br />

Operation J F bis Dezember 2004 weiter. Der Anteil der<br />

Bundeswehr stieg dabei an; Deutschland stellte zeitweise bis zu<br />

3300 Heeressoldaten, von denen etwa 2400 in Bosnien-Herzegowina<br />

– zumeist in Rajlovac bei Sarajevo – stationiert wurden. Im<br />

Wesentlichen spiegelten die deutschen SFOR-Kontingente die<br />

bereits im GECONIFOR vorhandenen Fähigkeiten wieder. Neu<br />

war der Einsatz jeweils einer Drohnenbaerie CL-289 bis 1999,<br />

um die durch den Abzug der T entstandene Lücke in<br />

der Luaulärung auszugleichen.<br />

62<br />

EUFOR Althea<br />

Mit EUFOR A übernahm die EU im Dezember 2004 den<br />

Bosnien-Einsatz von der NATO. Damit sollte der beruhigten<br />

Lage im Land Rechnung getragen werden. Aber auch der Wille<br />

der Europäischen Union, vor der eigenen Haustüre Flagge zu<br />

zeigen, sowie die neue Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik<br />

(GASP) spielten eine wichtige Rolle. Für Bosnien-Herzegowina<br />

schließlich verband sich der Wechsel mit der Hoffnung auf<br />

eine Heranführung an die Union und eine spätere EU-Mitgliedscha.<br />

EUFOR unterschied sich vom letzten SFOR-Kontingent nicht<br />

nur durch seine reduzierte Stärke von 6300 Soldaten, sondern<br />

auch durch ein Anwachsen der zivilen und polizeilichen Komponente.<br />

Bis 2007 gliederte sich EUFOR A in drei multinationale<br />

»Task Forces« mit jeweils 1000 bis 1400 Soldaten in Tuzla,<br />

Banja Luka und Mostar. Hinzu kamen etwa 500 Militärpolizisten<br />

in einer »Integrated Police Unit« (IPU) in Sarajevo sowie 2000 in<br />

»Liaison and Observation Teams« (LOT) überall im ganzen Land<br />

eingesetzte Beobachter, untergebracht in angemieteten Wohnhäusern.<br />

Die Bundeswehr stellte in dieser Struktur etwa 900 Soldaten.<br />

Ab Februar 2007 gliederte sich EUFOR A um. Die<br />

Truppenstärke war inzwischen auf etwa 2000 Soldaten reduziert<br />

worden. Die multinationalen Task Forces wurden aufgelöst und<br />

durch ein einziges Bataillon im Camp Butmir in Sarajevo ersetzt.<br />

Mit den LOT blieb jedoch die Präsenz der Truppe in der Fläche


Bosnien-Herzegowina: Von UNPROFOR zu EUFOR Althea<br />

erhalten, nun gesteuert durch »Regional Coordination Centres«<br />

(RCC) in Sarajevo, Tuzla, Banja Luka, Mostar und Zenica. Die<br />

IPU wurde in zwei Einsatzkompanien mit Gendarmeriekräen<br />

sowie ein aus sieben Untersuchungsteams bestehendes und zu<br />

verdeckten Ermilungen und Antiterroroperationen befähigtes<br />

»Spezialelement« umgewandelt. Das deutsche Kontingent besteht<br />

derzeit aus etwa 130 Soldaten, wobei RCC- und LOT-Häuser<br />

in Sarajevo, Goražde, Konjic und Foča unterhalten werden.<br />

In 17 Jahren wandelte sich die Gestalt des Bundeswehreinsatzes<br />

in Bosnien-Herzegowina von lugestützten Aulärungsflügen<br />

und seegestützter Blockadeüberwachung über die »Show<br />

of Force« gepanzerter Einsatzverbände des Heeres bis hin zur<br />

Präsenz leicht bewaffneter, mit der Bevölkerung in engem Kontakt<br />

stehender Verbindungselemente. Galt es 1995 die Konfliktparteien<br />

zum Frieden zu zwingen, so stehen heute die Vermilung,<br />

der Kampf gegen die Organisierte Kriminalität und der<br />

Wiederauau im Vordergrund.<br />

Bosnien-Herzegowina steht exemplarisch für den Umgang<br />

mit den »neuen Kriegen«, die sich nach Ende des Kalten Krieges<br />

in einem veränderten Sicherheitsumfeld vollziehen. Der<br />

Friedensprozess auf dem Balkan ist langwierig, komplex und<br />

noch nicht abgeschlossen. Nur kluge politische Entscheidungen<br />

können den bis heute notwendigen Einsatz militärischer Miel<br />

hoffentlich bald unnötig machen.<br />

Agilolf Keßelring<br />

63


Am 17. Februar 2008 proklamierte das Parlament des faktischen UN-<br />

Protektorats die staatliche Unabhängigkeit Kosovos. Ministerpräsident<br />

Hashim Thaçi (im Bild links, gemeinsam mit Präsident Fatmir Sejdiu und<br />

Jakup Krasniqi, Generalsekretär der aus der albanischen »Befreiungsarmee<br />

Kosovo«, UÇK, hervorgegangenen Demokratischen Partei, PDK,<br />

rechts am Rednerpult) sagte in der vom Fernsehen und von Lautsprechern<br />

übertragenen Sondersitzung der Volksvertretung: »Von heute an<br />

ist das Kosovo stolz, unabhängig und frei. Das Kosovo wird nie wieder<br />

von Belgrad beherrscht. Es wird ein demokratischer und multiethnischer<br />

Staat sein.«<br />

Knapp 96 Jahre nach der Eroberung des osmanischen Gebietes durch<br />

die serbische Armee und fast neun Jahre nach dem Abzug jugoslawischer<br />

Truppen aus der Region infolge der NATO-Luftschläge 1999 ging<br />

damit der sechste unabhängige Staat aus Titos zerfallenem Vielvölkerreich<br />

hervor, weiterhin begleitet durch die seit 1999 vor Ort befindliche<br />

KFOR bzw. die Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen UNMIK.<br />

Die kosovarischen Abgeordneten verpflichteten sich in ihrer Proklamation<br />

zur Verwirklichung des sogenannten Ahtisaari-Plans für eine überwachte<br />

Unabhängigkeit. Darin ist ein Katalog an Rechten für die serbische<br />

Volksgruppe und andere Minderheiten verankert. Abgeordnete der<br />

serbischen Minderheit blieben der Sitzung jedoch fern.<br />

picture-alliance/dpa/Armando Babani


Der Krieg der NATO gegen Jugoslawien<br />

und der Einsatz im Kosovo 1998/99<br />

Die Entwicklungen im Kosovo während der 1990er-Jahre und<br />

auch die Reaktionen der NATO bleiben unverständlich ohne die<br />

Kenntnis von deren Vorgeschichte in Bosnien-Herzegowina. Die<br />

»Kosovo-Frage«, also der territoriale Streit zwischen Serben und<br />

Albanern um das Gebiet der heutigen Republik Kosovo, lässt<br />

sich bis in das 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Immer wieder<br />

kam der Konflikt auch in Form bewaffneter Auseinandersetzungen<br />

zum Ausdruck.<br />

Der Zerfall Jugoslawiens bei gleichzeitiger (Re-)Nationalisierung<br />

der Politik zeigte sich im Kosovo bereits 1981, als bei<br />

Studenten- und Arbeiterprotesten die dortige albanische Mehrheitsbevölkerung<br />

eine eigene Teilrepublik Kosovo in Jugoslawien<br />

und teilweise auch eine »Wiedervereinigung« mit Albanien<br />

forderte. Die Demonstranten nahmen Bezug auf die am 10. Juni<br />

1878 gegründete »Liga von Prizren«, die 1881 durch türkisches<br />

Militär aufgelöst worden war: Der Zusammenschluss von Intellektuellen,<br />

die Autonomie für die albanischen Gebiete des Osmanischen<br />

Reiches forderten, gilt als Ursprung der albanischen Nationalbewegung.<br />

Nachdem serbische Polizeikräe 35 Studenten<br />

in Prishtina verletzten, entflammten im ganzen Kosovo sowie in<br />

Preševo und den albanischen Gebieten Mazedoniens nationale<br />

Proteste, welche nach Verhängung des Kriegsrechtes durch die<br />

Jugoslawische Volksarmee (JVA) blutig niedergeschlagen wurden.<br />

Amnesty International berichtete von 300 Toten, albanische<br />

Quellen von etwa 1000.<br />

1989 hob Belgrad den Autonomiestatus der serbischen Provinz<br />

»Kosovo und Metochien« (KOSMET) auf. Etwa ein Jahr<br />

später rief Ibrahim Rugova, Literaturprofessor und Gründer<br />

der »Demokratischen Liga«, die »Republik Kosova« aus – freilich<br />

noch im Rahmen des jugoslawischen Staates. Anders als die<br />

jugoslawischen Teilrepubliken Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina,<br />

denen man ein erhebliches Maß an Autonomie<br />

zubilligte, verfügte Kosovo aber über keine eigenen territorialen<br />

Streitkräe. Der gewaltlose Kurs Rugovas erklärt sich zu weiten<br />

Teilen aus dieser Tatsache.<br />

65


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

Kosovos »Premierminister« Bujar Bukoshi betrieb seit 1990<br />

die Aufstellung ebensolcher territorialer Verbände, der »Armatosura<br />

të Republikës së Kosovës« (FARK). Bis 1993 verhaete die<br />

serbische Polizei deren Führung. Das zur Finanzierung der FARK<br />

eingerichtete System der »homeland funds«, eine freiwillige Steuer<br />

der Kosovoalbaner in der amerikanischen und europäischen<br />

Diaspora, kam nun der etwa zeitgleich entstehenden Kosovo Befreiungsarmee<br />

(Ushtria Çlirimtare e Kosovës, UÇK) zugute.<br />

Während die Jugoslawische Volksarmee in der kroatischen<br />

Krajina kämpe, erklärte die Republik Kosovo im Oktober 1991<br />

nach dem Muster Sloweniens und Kroatiens – und noch vor Bosnien-Herzegowina<br />

– ihre Unabhängigkeit. In Bosnien-Herzegowina<br />

war bereits der Krieg ausgebrochen, als die – lediglich von<br />

Albanien anerkannte – Republik Kosovo Wahlen durchführte,<br />

boykoiert von der serbischen Minderheit. Ibrahim Rugova setzte<br />

sich als Präsident durch. Als eine seiner ersten Amtshandlungen<br />

beantragte er bei den Vereinten Nationen eine Ausweitung<br />

der UNPROFOR auf das Kosovo. Da Kosovo aber, anders als Slowenien,<br />

Kroatien und Bosnien, als Staat nicht anerkannt worden<br />

war, und mit dem serbischen Präsidenten Slobodan Milošević<br />

eine einvernehmliche Lösung für Bosnien-Herzegowina gesucht<br />

wurde, blieb diese Forderung unerfüllt. Auch vier Jahre später<br />

waren Rücksichten auf serbische Befindlichkeiten der Hauptgrund<br />

dafür, dass die Kosovo-Frage bei den Verhandlungen in<br />

Dayton (1995) ausgeklammert wurde.<br />

66<br />

Eskalation im Kosovo<br />

Der Einsatz der NATO Implementation Force (IFOR) in Bosnien-Herzegowina<br />

beendete die dortigen Gewaltakte. Viele der<br />

1991 in der Krajina rekrutierten und in Ostbosnien (Srebrenica,<br />

Žepa) eingesetzten serbischen Freischärler fanden ihren Weg in<br />

die Antiterroreinheiten (ATJ) der über 110 000 Mann starken und<br />

vor allem im Kosovo operierenden schweren Polizeikräe des<br />

serbischen Innenministeriums (Ministarvo Unutrasnjih Poslova,<br />

MUP). Im westlichen Exil bildete sich gleichzeitig die radikale<br />

UÇK heraus, welche die Unabhängigkeit des Kosovo nach<br />

dem Muster der IRA in Nordirland gewaltsam voranzubringen


Der Krieg der NATO gegen Jugoslawien<br />

trachtete und in ihren Bekennerschreiben Bezug auf die traditionellen<br />

kosovoalbanischen Formen des Widerstandes (Kaçak-Bewegung)<br />

nahm. Nach Anschlägen vor allem gegen die serbische<br />

MUP, aber auch gegen albanische »Kollaborateure«, trat die UÇK<br />

1997 erstmals öffentlich auf. Ihrem politischem Arm gelang es,<br />

150 000 Demonstranten gegen Serbien auf die Straße zu bringen.<br />

Die Macht der UÇK stieg deutlich an, als die albanische Armee<br />

infolge der sogenannten Pyramidenkrise zusammenbrach. Dubiose<br />

Anlagegesellschaen haen in großem Stil privates Kapital<br />

vernichtet und damit die Gefahr des Staatszerfalls heraueschworen.<br />

Handfeuerwaffen konnten unter diesen Umständen<br />

günstig im Nachbarland bescha werden.<br />

Als die UÇK vier serbische Polizisten ermordete, setzte Slobodan<br />

Milošević neben der MUP auch VJ-Einheiten mit »Bosnienerfahrung«<br />

gegen die aufständischen Albaner ein. Im März<br />

1998 griffen diese Truppen im Drenicagebiet (dem Kernland der<br />

UÇK) den Hof des UÇK-Gründers Adem Jashari an und töteten<br />

58 ihm nahe stehende Personen, darunter 18 Frauen und zehn<br />

Kinder unter 16 Jahren. Insgesamt fanden mehr als 100 Kosovoalbaner<br />

den Tod. Dieses als Drenica-Massaker bekannt gewordene,<br />

unverhältnismäßig brutale Vorgehen der serbischen<br />

und jugoslawischen Einsatzkräe führte indes keineswegs zur<br />

Niederschlagung der UÇK, sondern im Gegenteil zu einer Popularisierung<br />

ihrer Ziele. Adem Jashari, der mit seiner Familie<br />

im Kampf gegen die serbische Übermacht den Tod fand, wurde<br />

zur Ikone des kosovoalbanischen Widerstandes, dem es nachzueifern<br />

galt. So wuchs durch die serbische Gewaltpolitik beispielsweise<br />

die UÇK in Malishevë (serb. Mališevo) von Mai bis<br />

Juli 1998 von einer konspirativen Gruppe mit sieben Mitgliedern<br />

zu einer UÇK-Brigade von 2000 Kämpfern an.<br />

Verifikation und militärische Gewalt<br />

Während Rugova erfolglos mit Milošević verhandelte und sich<br />

damit in den Augen vieler Kosovoalbaner kompromiierte, verzeichnete<br />

die UÇK Erfolge. Bereits das Drenica-Massaker hae<br />

die Aufmerksamkeit der Staatengemeinscha auf das Kosovo<br />

gelenkt. Auf die serbische Offensive im Westkosovo antworteten<br />

67


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

die USA und die EU-Staaten nun mit Sanktionen gegen Jugoslawien.<br />

Die NATO führte in Mazedonien und Albanien das Lumanöver<br />

D F mit 84 Flugzeugen durch. Wenig<br />

später traf sich der amerikanische Sondergesandte Richard<br />

Holbrooke mit UÇK-Vertreten im Westkosovo. Durch diese Demonstration<br />

der Stärke gelang es, eine 200 Personen starke Kosovo<br />

Diplomatic Observer Mission (KDOM) durchzusetzen.<br />

68<br />

BOSNIEN<br />

und<br />

HERZEGOWINA<br />

KOSOVO<br />

2008<br />

Nachfolgestaaten auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens 2008.<br />

MGFA<br />

05788-07


Der Krieg der NATO gegen Jugoslawien<br />

Im September 1998 nahmen die Kämpfe zwischen VJ, MUP<br />

und UÇK an Intensität zu. Im Sommer war die UÇK aufgrund<br />

des starken Zulaufs von Rekruten dazu übergegangen, die Guerillataktik<br />

durch offenen Kampf um Ortschaen zu ersetzen. Dies<br />

hing auch damit zusammen, dass serbische Truppen vermehrt<br />

gegen die Zivilbevölkerung vorgingen, und die UÇK dies miels<br />

Guerillataktik nicht verhindern konnte. Insgesamt vermochte die<br />

UÇK der VJ gegenüber freilich kaum erfolgreichen Widerstand<br />

zu leisten. Dies erlaubten weder ihre mangelhae Ausrüstung<br />

nur mit Handfeuerwaffen noch ihr Ausbildungsstand, der die<br />

Planung und Führung zusammenhängender Gefechtshandlungen<br />

höchstens bis zur Kompanieebene ermöglichte. Im September<br />

1998 haen VJ und MUP bereits über 100 Dörfer im Kosovo<br />

zerstört. Mehr als 280 000 kosovoalbanische Flüchtlinge wurden<br />

zu diesem Zeitpunkt in Albanien und Mazedonien registriert.<br />

Hinzu kamen etwa 50 000 Binnenflüchtlinge in den Bergen und<br />

Wäldern des Kosovo.<br />

In dieser Lage forderte die UN-Sicherheitsratsresolution 1199<br />

vom 23. September 1998 die sofortige Einstellung der Feindseligkeiten<br />

zwischen serbischen und albanischen Gruppen im Kosovo,<br />

den Abzug der VJ und MUP sowie die Rückkehr aller Flüchtlinge.<br />

Die NATO verlieh dieser Resolution Wirksamkeit durch<br />

die erste Stufe der Mobilmachung ihrer Lustreitkräe (Activation<br />

Order – ACTORD for Limited Air Response and Phased Air<br />

Operations). Die deutsche Luwaffe zeigte hierfür verbindlich<br />

14 Aulärungs- und ECR-T (Electronic Combat Reconnaissance)<br />

an.<br />

Slobodan Milošević lenkte erst ein, nachdem der NATO-Rat<br />

am 8. Oktober 1998 Pläne für begrenzte Luoperationen gegen<br />

Jugoslawien gebilligt hae. Ergebnis war das sogenannte Holbrooke-Milošević-Abkommen<br />

vom 16. Oktober. Darin legten die<br />

Vertragspartner eine OSZE-Beobachtermission mit 2000 Verifikateuren<br />

(Kosovo Verification Mission, KVM) fest, die den Aurag<br />

erhielt, den Abzug der Truppen und die Rückkehr der Flüchtlinge<br />

zu überwachen. Die Bundesrepublik Deutschland stellte ein<br />

Zehntel des Personals. 80 Soldaten der Bundeswehr verrichteten<br />

ihren Dienst als unbewaffnete OSZE-Beobachter in Zivil. Die Federführung<br />

des deutschen KVM-Kontingentes lag beim Auswärtigen<br />

Amt, hinzu kamen außerdem 16 Polizeivollzugsbeamte des<br />

69


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

Bundes und der Länder. Bis Ende Februar 1999 verzeichnete die<br />

KVM mehr als 70 Leichenfunde – zumeist gewaltsam zu Tode<br />

gekommene Menschen albanischer ethnischer Zugehörigkeit.<br />

Teil des Holbrooke-Milošević-Abkommens bildete eine Übereinkun<br />

zwischen der NATO und dem Generalstab der VJ, der<br />

unbewaffneter Verifikation aus der Lu zustimmte. Hierzu stellte<br />

die Bundeswehr eine Drohnenbaerie CL-289 nach Tetovo<br />

(Mazedonien) sowie Aulärungsflugzeuge der Marine (B<br />

A) ab. Der Nordatlantikrat verabschiedete darüber hi-<br />

naus im Einklang mit der UN-Sicherheitsratsresolution 1203 den<br />

Operationsplan J G, der eine 1200 bis 1800 Soldaten<br />

starke Extraction Force (EXFOR) zum Schutz und zur Gewährleistung<br />

der Bewegungsfreiheit der KVM vorsah. 1500 Mann<br />

NATO-Truppen wurden schließlich im November ins mazedonische<br />

Tetovo verlegt – 190 von ihnen deutsche Heeressoldaten.<br />

Die Arbeit der KVM im Kosovo wurde vielfach behindert.<br />

So ging beispielsweise die MUP massiv gegen die Exhumierung<br />

von 21 Leichen in Abri e Epërme (serb. Gornje Obrinje) durch das<br />

EU Forensic Expert Team vor. Schließlich leiteten die Ereignisse<br />

in Folge des 15. Januar 1999, die später als Massaker von Reçak<br />

bekannt wurden, den Abzug der KVM ein. Das Dorf Reçak (serb.<br />

Račak) wurde nach Panzer- und Artilleriebeschuss durch die VJ<br />

von serbischen Soldaten und der MUP durchsucht. Als es der<br />

KVM schließlich gelang, sich Zugang zum Ort des Geschehens<br />

zu verschaffen, stellten die Angehörigen der Mission den Tod<br />

von 45 albanischen Dorewohnern fest. Die serbischen Behörden<br />

verhinderten jedoch eine zeitnahe und neutrale forensische<br />

Untersuchung. Der Streit um die Herausgabe der Leichen führte<br />

dazu, dass der Leiter der KVM, William Walker, den Vorwurf<br />

erhob, die serbische Polizei habe Spuren verwischt. Darauin<br />

wurde er in Jugoslawien zur »unerwünschten Person« erklärt.<br />

Etwa zeitgleich verliefen die Friedensverhandlungen von<br />

Rambouillet. Während die kosovoalbanische Delegation unter<br />

Führung des politischen Kopfes der UÇK, Hashim Taçi, dem<br />

Friedensplan der Balkan-Kontaktgruppe zustimmte, lehnte die<br />

serbische Delegation den militärischen Teil des Abkommens am<br />

19. März 1999 ab. Bereits abgezogene Verbände der VJ und MUP<br />

marschierten an der Provinzgrenze zum Kosovo auf und gingen<br />

dort erneut in Stellung. Bereits einen Tag später zog die KVM<br />

70


picture-alliance/dpa/Babani<br />

Der Krieg der NATO gegen Jugoslawien<br />

ab. Ihre Wirkung war durch die wiederholte Einschränkung der<br />

vertragsgemäß zugesicherten Bewegungsfreiheit ohnehin gering<br />

gewesen. Nun drohte durch die Ereignisse von Reçak ihre Arbeit<br />

zu einer Farce zu werden. Nach letzten ergebnislosen Verhandlungen<br />

zwischen dem US-Sondergesandten Richard Holbrooke<br />

und dem jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević am<br />

22. März erging am folgenden Tag der Einsatzbefehl für die Operation<br />

A F.<br />

Nach dem Rückzug der KVM ereignete sich eine Welle von<br />

Massakern an kosovoalbanischen Zivilisten. Die drastischsten<br />

Beispiele bilden die Kriegsverbrechen der VJ und MUP von Krushë<br />

e Madhe (serb. Velika Kruša) und Vushtrri (serb. Vučitrn) mit<br />

jeweils über 100 namentlich bekannten toten Zivilisten, darunter<br />

Babys, Kinder, Frauen und Greise. Angesichts der Erfahrungen<br />

aus Bosnien, wo etwa im Fall Srebrenicas und Žepas Geiselnahmen<br />

(»menschliche Schutzschilde«) drohende NATO-Luschläge<br />

verhindert haen, ist der rasche Abzug der unbewaffneten<br />

Flüchtlinge aus dem Kosovo strömen im März 1999 über die Grenzen nach<br />

Albanien und Mazedonien.<br />

71


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

KVM aus westlicher Perspektive als logischer Schri zur Erhaltung<br />

der militärischen Handlungsfähigkeit zu betrachten. Noch<br />

parallel zu den Verhandlungen von Rambouillet wurde die »Extraction<br />

Force« in Mazedonien deutlich aufgestockt (EXFOR II).<br />

Die Bundeswehr beteiligte sich mit 6000 Soldaten.<br />

Es ist erwähnenswert, dass sich eine signifikante Zahl von<br />

Morden an ethnisch albanischer Zivilbevölkerung durch VJ und<br />

MUP in den Folgetagen des 25. März und damit unmielbar<br />

nach Beginn der NATO-Luangriffe ereignete, die am 24. März<br />

einsetzten und die integrierten Luabwehrsysteme der VJ ausschalten<br />

sollten. Die häufig anzutreffende Behauptung, bei den<br />

Tötungen habe es sich um eine spontane Antwort der serbischen<br />

Bevölkerung auf die Luschläge gehandelt, erscheint allerdings<br />

abwegig. Gleiches gilt für die These der serbischen Propaganda,<br />

dass die Bombardements die Flüchtlingswelle ausgelöst häen.<br />

Im Rückblick wird vielmehr deutlich, dass an verschiedenen<br />

Stellen des Kosovo »ethnische Säuberungen« abliefen, gleichzeitig<br />

und mit deutlichen Anzeichen einer Systematik. Die jugoslawischen<br />

Sicherheitskräe vertrieben Zivilisten durch die Verbreitung<br />

von Terror und lösten eine Flüchtlingswelle von etwa<br />

800 000 albanischen Kosovaren nach Mazedonien und Albanien<br />

aus. Ob es einen konkreten »Hufeisenplan« der VJ gegeben hat,<br />

bleibt bis heute umstrien. Doch erbrachte der Internationale<br />

Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (International<br />

Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia, ICTY) eine erdrückende<br />

Beweislast für das koordinierte und systematische Vorgehen<br />

von VJ und MUP gegen die albanische Zivilbevölkerung<br />

einschließlich schwerster Verbrechen gegen die Menschlichkeit.<br />

72<br />

Krieg der NATO gegen Jugoslawien<br />

Im Verlauf der NATO-Luoperationen vom 24. März bis 10. Juni<br />

1999, die sich gegen die VJ und ihre Infrastruktur richteten, setzte<br />

der Supreme Allied Commander Europe (SACEUR), General<br />

Wesley Clark, etwa 1000 Kampfflugzeuge ein, darunter 14 deutsche<br />

T. Das Bündnis nutzte als Basis Lustützpunkte<br />

in Italien und gleichermaßen schwimmende Plaformen in der<br />

Adria wie den amerikanischen Flugzeugträger »Theodore Roo-


Der Krieg der NATO gegen Jugoslawien<br />

Kriegsverbrechen der UÇK<br />

Der ICTY verhandelt ebenso Kriegsverbrechen der UÇK. Prominentester<br />

Fall war der Prozess gegen den 2008 dann freigesprochenen ehemaligen<br />

kosovarischen Ministerpräsidenten und ranghohen UÇK-Kommandeur<br />

Ramush Haradinaj (Fall Haradinaj et al., IT-04-84). Die Anklageschri hebt<br />

u.a. die grausamen Praktiken<br />

in der Ha anstalt<br />

von Jabllanicë (Jablanica)<br />

unter Lahi Brahimaj hervor.<br />

Dort wurden Zivilisten<br />

als »serbische Spione«<br />

misshandelt, vergewaltigt<br />

und ermordet. Angeklagt<br />

und ebenfalls aus Mangel<br />

an Beweisen freigesprochen<br />

war auch der<br />

Kommandeur der UÇK-<br />

Spezialeinheit »Schwarze<br />

Adler«, Idriz Balaj, dessen<br />

Truppe für Vertreibungen<br />

und etwa 60 Tötungen von<br />

Serben, Kosovo-Albanern<br />

und Roma im April 1998 in<br />

Dubravë (Dubrava), Irzniq<br />

(Rznić), Ratishë (Ratiš) und<br />

Dashinoc (Dashinovac) ver-<br />

picture-alliance/dpa/Ksiazek<br />

Mit und nach dem Rückzug der jugoslawischen<br />

Armee verließen 1999 Zehntausende Serben<br />

aus Angst vor Racheakten mit voll beladenen<br />

Autos ihre Heimat. Wie hier in Mitrovicë (serb.<br />

Mitrovica) wurde ihr Auszug von der kosovoalbanischen<br />

Bevölkerung hämisch bejubelt. KFOR<br />

gelang es nicht in allen Fällen, Ausschreitungen<br />

gegen serbische Zivilisten zu verhindern.<br />

antwortlich gemacht wird. Zahlenmäßig sind die Kriegsverbrechen der<br />

UÇK weit geringer als diejenigen der serbischen Polizeikrä e und der VJ.<br />

Bezüglich ihrer Brutalität und Menschenverachtung stehen sie diesen allerdings<br />

in keiner Weise nach.<br />

sevelt«, die britische »Invincible« oder den französischen Träger<br />

»Foch«. Die Deutsche Marine beteiligte sich an den Seeoperationen<br />

mit der Frega e »Rheinland-Pfalz« sowie dem Flo endienstboot<br />

»Oker«. Insgesamt fl ogen NATO-Maschinen etwa<br />

38 000 Einsätze, davon übernahm die Bundeswehr knapp 500.<br />

Die Lu waff e verschoss etwa 200 H-Raketen.<br />

73


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

Ein US-Kampfflugzeug vom Typ F-15E STRIKE EAGLE hebt am 25. März 1999 vom<br />

italienischen Luftwaffenstützpunkt Aviano ab. Die Nato weitete ihre Luftangriffe in<br />

Jugoslawien aus. In dieser »Phase 2« versuchten NATO-Jets neben Luftabwehrstellungen<br />

auch Panzer, Geschütze und Einheiten jugoslawischer Truppen zu treffen.<br />

Am 31. März tauchten erstmals Tiefflieger über Belgrad auf.<br />

Die Hauptlast von A F trug die U.S. Air Force.<br />

Lenkflugkörper T wurden von U-Booten und Schiffen<br />

aus abgefeuert. Allein in den ersten beiden Angriffstagen flog die<br />

NATO über 400 Einsätze gegen die jugoslawische Luabwehr,<br />

Flughäfen, Radaranlagen, Kommandozentralen, Fernmeldeeinrichtungen<br />

und Munitionslager. Ab 27. März begann die zweite<br />

Phase der Angriffe mit Schwerpunkt auf Truppenansammlungen<br />

südlich von Belgrad.<br />

Während der Operation A F trugen auch die deutschen<br />

Heeressoldaten in Mazedonien und Albanien auf unterschiedliche<br />

Weise zum Einsatz im Kosovo bei. So lieferte die Drohnenbaerie<br />

von Tetovo aus Lubilder. Neben Luzielen konnten<br />

Schäden an der Infrastruktur aufgeklärt sowie Truppenbewegungen<br />

der VJ und Flüchtlingsströme festgestellt werden. Im mazedonischen<br />

Čegrane errichteten und betrieben Soldaten der EXFOR<br />

ein Lager für 40 000 Flüchtlinge. Die Luwaffe transportierte mehr<br />

als 1250 Tonnen Hilfsgüter ins Land. In Albanien bauten 500 deutsche<br />

Soldaten der NATO-geführten Albanian Force (AFOR) vier<br />

74<br />

picture-alliance/dpa/Consolidated US Air Force


Der Krieg der NATO gegen Jugoslawien<br />

Flüchtlingscamps mit insgesamt 25 000 Plätzen. Deutsche T-<br />

flogen über 1500 Tonnen Fracht nach Albanien.<br />

Vom Lukrieg zum Einsatz<br />

der Kosovo Force (KFOR)<br />

Nachdem sie den Luschlägen der NATO militärisch nichts entgegenzusetzen<br />

hae, lenkte die serbische Führung ein. Lokale<br />

Angriffe der UÇK trieben die Kräe der VJ aus der Deckung und<br />

somit in das Visier der NATO-Flugzeuge. Schließlich gelang es<br />

dem Westen, sich mit Moskau über einen Friedensplan für das<br />

Kosovo zu einigen. Somit erloschen die letzten Hoffnungen Slobodan<br />

Miloševićs auf ein Eingreifen des traditionellen Verbündeten<br />

Russland.<br />

Das Ahtisaari-Tschernomyrdin-Milošević-Abkommen vom<br />

2. Juni 1999 öffnete den Weg zu einer militärisch-technischen<br />

Übereinkun zwischen der NATO und der Bundesrepublik Jugoslawien,<br />

unterzeichnet im mazedonischen Kumanovo. Diese<br />

sah den Rückzug der VJ und der MUP sowie den Einsatz einer<br />

NATO-Friedenstruppe (Kosovo Force, KFOR) vor. Im UN-Sicherheitsrat<br />

kam die Resolution 1244 zustande. Deutschland übernahm<br />

neben Frankreich und Italien einen Sektor des Kosovo. Mit<br />

anfänglich 6000 deutschen Soldaten sowie weiteren 4000 Mann<br />

aus Bulgarien, Georgien, den Niederlanden, Russland, Slowakei,<br />

Schweden, Schweiz, Türkei und Österreich führte die Bundeswehr<br />

die Multinationale Brigade Süd (MNB S) mit Hautquartier<br />

in Prizren. Im Jahr 2002 verschmolz diese dann bei gleichzeitiger<br />

Reduzierung der Truppenstärken mit der italienisch geführten<br />

Westbrigade (MNB W) in Pejë (serb. Peć) zur Multinationalen<br />

Brigade Südwest.<br />

Gewaltsame Demonstrationen im März 2004 verdeutlichten,<br />

dass KFOR nur begrenzt imstande war, auf eine derartige<br />

Bedrohung angemessen zu reagieren. Erkannte Defizite bei der<br />

Ausbildung, der Ausrüstung und bezüglich der Einsatzgrundsätze<br />

führten zu einer Neuausrichtung der KFOR. Konzipiert<br />

als schwer bewaffnete, schlagkräige Truppe zur Überwachung<br />

des Militärisch-Technischen Abkommens, war KFOR mit den<br />

75


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

Die Interimsverwaltung der Vereinten Nationen<br />

im Kosovo (UNMIK)<br />

Kosovo Force (KFOR) und die auch nach der Unabhängigkeit weiter<br />

bestehende UNMIK verfolgen das gleiche Ziel: die Friedenssicherung.<br />

Dafür gibt es allerdings unterschiedliche Miel, Zuständigkeiten und<br />

Aufgabenbereiche. Während die KFOR für die Sicherheit im weiteren<br />

Sinne zuständig ist, hat UNMIK drei konkrete und in der Resolution<br />

festgeschriebene Zielsetzungen: Erstens ist die Mission vorübergehend<br />

für die Verwaltung des Kosovo zuständig – daher auch die Bezeichnung<br />

als Interimsverwaltung der Vereinten Nationen im Kosovo.<br />

Parallel dazu soll sie zweitens kosovarische Behörden auauen, um<br />

eine vollständige Selbstverwaltung zu ermöglichen.<br />

An der Spitze der UNMIK steht ein Sonderbeauragter des Generalsekretärs<br />

der Vereinten Nationen (Special Representative of the Secretary-General,<br />

SRSG). Dieses Amt hae von Juli 1999 bis Januar 2001<br />

der Franzose Bernard Kouchner inne. Er legte in dieser Zeit gewissermaßen<br />

den Grundstein für die Arbeit der UNMIK. Auf Kouchner folgten<br />

der Däne Hans Hækkerup (2001), der Deutsche Michael Steiner<br />

(Februar 2002 bis Juli 2003) und Harri Holkeri aus Finnland. Ab Juni<br />

2004 übte der Däne Søren Jessen-Petersen die Funktion aus, legte sie<br />

allerdings im Sommer 2006 nieder. Die UNMIK führte dann bis 2008<br />

der Deutsche Joachim Rücker, bis dato bei UNMIK verantwortlich<br />

für Privatisierung und wirtschalichen Wiederauau. Seit Juni 2008<br />

heißt der Sonderbeauragte Lamberto Zannier (Italien).<br />

Der Sonderbeauragte leitet die gesamte zivile Operation. Diese ruht<br />

auf vier Säulen, im internationalen Sprachgebrauch als »four pillars«<br />

bezeichnet. Die erste Säule, ursprünglich im Verantwortungsbereich<br />

des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen und verantwortlich<br />

für die Koordinierung humanitärer Hilfe, ist nunmehr für Polizei und<br />

Justiz zuständig. Pillar II, heute Bestandteil des Büros des Sondergesandten,<br />

wird als Zivilverwaltung (civil administration) bezeichnet.<br />

Die drie Säule unter Leitung der Organisation für Sicherheit und<br />

Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat die Unterstützung der Demokratisierung<br />

und den Auau von rechtsstaatlichen Institutionen zum<br />

Ziel. In den Aufgabenbereich der Europäischen Union fällt Pillar IV,<br />

vor allem der wirtschaliche Wiederauau.<br />

76


Der Krieg der NATO gegen Jugoslawien<br />

Als die UNMIK im Juni 1999 im Kosovo eintraf, sah sie sich vor die<br />

gewaltige Aufgabe gestellt, ein Territorium zu verwalten, in dem es<br />

keine einsatzfähige Polizei, kein Justizwesen und keine funktionsfähigen<br />

staatlichen Einrichtungen gab. Die Infrastruktur war veraltet und<br />

teilweise zerstört. Rund 900 000 Flüchtlinge waren, gewissermaßen<br />

über Nacht, in die Provinz zurückgekehrt. Die UNMIK nahm Einfluss<br />

auf sämtliche Lebensbereiche der Einwohner des Kosovo, indem sie<br />

die Befugnisse der Exekutive, der Legislative und der Judikative vereinte.<br />

77


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

Am 12. Juni 1999 überschritten u.a. deutsche Heereskräfte die Grenze der serbischen<br />

Provinz. Die »Kosovo Force« (KFOR) bestand ursprünglich aus Kontingenten<br />

von mehr als 40 Nationen. Ihre Personalstärke lag bei über 50 000 Soldaten,<br />

die Truppensteller gehörten mehrheitlich der NATO an. Die KFOR – im Foto deutsche<br />

Gefechtsfahrzeuge nahe der mazedonisch-jugoslawischen Grenze – schuf<br />

die Voraussetzungen für eine Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen (United<br />

Nations Interim Administration Mission in Kosovo, UNMIK).<br />

Jahren reduziert und »entpanzert« worden. Die Truppe verfügte<br />

jedoch nicht über ausreichende Kontakte zur Bevölkerung. Darüber<br />

hinaus mangelte es ihr an schweren Polizeieinheiten und<br />

entsprechenden Fähigkeiten bei der Eindämmung gewaltsamer<br />

Ausschreitungen (riot control).<br />

Im April 2005 entschloss sich die KFOR-Führung zur Bildung<br />

sogenannter Liaison Monitoring Teams (LMT) und griff<br />

damit die Vorbilder der LOT in Bosnien-Herzegowina oder der<br />

2001/02 erfolgreich in Mazedonien eingesetzten Field Liaison<br />

Teams (FLT) auf. Darüber hinaus wurde KFOR verstärkt zu Riot-<br />

Control-Aufgaben befähigt. Im Mai 2006 gingen aus der Multinationalen<br />

Brigade Südwest zwei multinationale Task Forces<br />

Süd und West hervor, um die Truppen trotz Reduzierung in der<br />

Fläche sichtbar zu machen. Noch wichtiger als die militärischen<br />

Maßnahmen erwies sich jedoch die Veränderung des politischen<br />

Umfeldes. Mit dem sogenannten Eide-Report schlug die Inter-<br />

78<br />

Bundeswehr/Detmar Modes


Der Krieg der NATO gegen Jugoslawien<br />

nationale Gemeinscha bezüglich der Statusfrage des Kosovo<br />

einen neuen Kurs ein. Bislang hae man von der kosovarischen<br />

provisorischen Regierung substanzielle Auauleistungen als<br />

Voraussetzung für die vollständige Unabhängigkeit der serbischen<br />

Provinz erwartet (standard before status). Nun sollten sich<br />

die Erlangung staatlicher Souveränität und die Schaffung eines<br />

rechtsstaatlichen Gemeinwesens parallel vollziehen (status and<br />

standard). Die international anerkannte Unabhängigkeit des Kosovo<br />

rückte damit in greiare Nähe.<br />

KFOR umfasste 2007 insgesamt 16 000 Soldaten, davon noch<br />

2800 Angehörige der Bundeswehr. Am 17. Februar 2008 proklamierte<br />

das Parlament des faktischen UN-Protektorats die staatliche<br />

Unabhängigkeit Kosovos. Damit veränderte sich zwar nicht<br />

die völkerrechtliche Grundlage für den laufenden Einsatz, aber<br />

dessen Qualität. Im Vordergrund für die heute (November 2009)<br />

noch etwa 12 600 Soldaten steht der Aurag, die staatlichen<br />

Organe im Kosovo selbst in den Stand zu versetzen, Sicherheit<br />

und Stabilität für alle Bewohner zu garantieren. Dies geschieht<br />

unter anderem durch Auau der militärisch organisierten Gendarmerietruppe<br />

Kosovo Security Force. KFOR trägt zum »state<br />

building« bei, das die internationale militärische Präsenz in noch<br />

nicht bestimmbarer Zukun überflüssig machen wird.<br />

Agilolf Keßelring<br />

79


Eine französische Artillerieeinheit während einer Übung nahe des Headquarters<br />

United Nations Interim Force in Lebanon (UNIFIL) in Naqoura,<br />

Süd-Libanon (Aufnahme vom 3. August 2009). Die Vereinten Nationen<br />

sind im Nahen Osten seit der Gründung des Staates Israel präsent.<br />

Mit der United Nations Truce Supervision Organization (UNTSO) begann<br />

1948 die Geschichte der Waffenstillstandsbeobachtermissionen.<br />

Eine United Nations Emergency Force (UNEF I) 1956 war – gefolgt<br />

von UNEF II 1973 – die erste militärisch geprägte Peacekeeping Force.<br />

Bürgerkriegsähnliche Zustände im Libanon führten 1958 zur Einsetzung<br />

der United Nations Oberserver Group in Lebanon (UNOGIL), der<br />

Jom-Kippur-Krieg 1973 zur Installierung der United Nations Disengagement<br />

Observer Force (UNDOF) 1974. Seit 1978 ist die United Nations<br />

Interim Force in Lebanon (UNIFIL) im Süden des Landes stationiert;<br />

sie soll unter anderem helfen, wieder eine effektive Staatsgewalt aufzubauen.<br />

Nach dem zweiten Libanonkrieg im Juli und August 2006 wurde<br />

UNIFIL auf bis zu 15 000 Mann (Juli 2009: 12 130 Soldaten) aufgestockt<br />

– und erstmals in der Geschichte der Vereinten Nationen gibt es seitdem<br />

Blauhelmsoldaten auf Kriegsschiffen, darunter auch die des deutschen<br />

Marinekontingents.<br />

picture-alliance/dpa/Hassan Bahsoun


Die Vereinten Nationen und<br />

der Nahost-Konflikt<br />

Der Konflikt zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn<br />

sowie den Palästinensern beschäigt die Vereinten Nationen<br />

(United Nations, UN) seit ihrer Gründung im Jahre 1945; er<br />

hat sich auf die Entwicklung der Konfliktregelung der Weltgemeinscha<br />

unmielbar ausgewirkt. So sind unter anderem<br />

das United Nations Special Commiee on Palestine (UNSCOP)<br />

und das Commiee on the Exercise of the Inalienable Rights of<br />

the Palestinian People (CEIRP) als Unterorgane der Generalversammlung,<br />

die Division for Palestinian Rights (DPR) in der<br />

Hauptabteilung für politische Angelegenheiten des Sekretariats<br />

der UN, die United Nations Relief and Work Agency for Palestine<br />

Refugees in the Near East (UNRWA) und das United Nations<br />

Information System on the Question of Palestine (UNIS-<br />

PAL) geschaffen worden. Neben diesen am Hauptsitz der UN in<br />

New York errichteten Institutionen gibt es deren Vertretungen<br />

in den Ländern des Nahen Ostens sowie insgesamt sechs, teils<br />

beendete, teils noch laufende UN-Operationen und -Missionen,<br />

die Gegenstand der folgenden Ausführungen sind.<br />

United Nations Truce Supervision<br />

Organization (UNTSO)<br />

Mit der Einrichtung der UNTSO beginnt die Geschichte der<br />

Waffenstillstandsbeobachtermissionen der UN. Am 14. Mai 1948<br />

wurde die Gründung des Staates Israel proklamiert. Als Reaktion<br />

darauf überschrien noch in der folgenden Nacht Trup-<br />

pen Ägyptens, Transjordaniens, Syriens, Libanons und Iraks die<br />

Grenzen des früheren britischen Mandatsgebietes Palästina. So<br />

wurde aus dem gewaltsamen Palästinakonflikt ein internationaler<br />

bewaffneter Konflikt. In den Resolutionen 49 und 50 vom 22.<br />

bzw. 29. Mai 1948 forderte der UN-Sicherheitsrat alle am Krieg<br />

beteiligten Staaten auf, ihren Truppen die Feuereinstellung zu<br />

befehlen. Zudem setzte er Militärbeobachter zur Unterstützung<br />

81


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

der zuvor geschaffenen Waffenstillstandskommission und des<br />

UN-Vermilers für Palästina ein. Auf die Entsendung einer UN-<br />

Friedenstruppe konnten sich die Mitglieder des Sicherheitsrates<br />

nicht verständigen. So kam es, dass der als Vermiler für Palästina<br />

bestellte schwedische Adlige Graf Folke Bernadoe sich ein<br />

eigenes Beobachterteam zusammenstellen musste: je 21 Angehörige<br />

der in der Waffenstillstandskommission vertretenen Staaten<br />

Belgien, Frankreich und USA, vier schwedische Stabsoffiziere<br />

sowie Generalleutnant Thord Bonde als Chef des Stabes. Darüber<br />

hinaus entsandten die USA zehn Mann zur Unterstützung,<br />

und der UN-Generalsekretär stellte 51 Mann Sicherheitspersonal<br />

zur Verfügung, die eigentlich das UN-Hauptquartier häen bewachen<br />

sollen. Daraus lässt sich ersehen, wie schwierig es war,<br />

eine solche nicht unmielbar von der UN-Charta vorgesehene<br />

Mission durchzuführen. Die später UNTSO genannte Organisation<br />

richtete ihr Hauptquartier zunächst in der israelischen<br />

Hafenstadt Haifa ein: Aufgaben und Kompetenzen sollten sich<br />

eindeutig von der in Jerusalem residierenden Waffenstillstandskommission<br />

unterscheiden; der Palästinavermiler verlegte seinen<br />

Sitz von Jerusalem auf die griechische Insel Rhodos.<br />

UNTSO existiert auch heute noch. Das Hauptquartier befindet<br />

sich in Jerusalem, während die Beobachtergruppen in Sektoren<br />

an den Grenzen Israels zu Libanon und zu Syrien sowie auf der<br />

Sinaihalbinsel stationiert sind. Zudem unterhält UNTSO Verbindungsbüros<br />

in der libanesischen Hauptstadt Beirut und der syrischen<br />

Hauptstadt Damaskus. Die UN haben die Stationierung von<br />

UNTSO auf dem Sinai trotz des ägyptisch-israelischen Friedensvertrages<br />

von 1979 nicht aufgegeben. Bis 1956 waren die UNTSO-<br />

Beobachter nur an einer Armbinde als Soldaten im Aurag der<br />

UN zu erkennen. Seither tragen sie ihre nationale Uniform, dazu<br />

ein Halstuch sowie Bare oder Helm im typischen Blau der UN.<br />

Das macht sie weithin erkennbar, schützt aber nicht immer vor<br />

Übergriffen. Die Beobachter sind unbewaffnet, müssen also bei<br />

jeder neu aufflammenden Feindseligkeit evakuiert werden.<br />

Besondere Bedeutung kam UNTSO in den Waffenstillstandsvereinbarungen<br />

nach dem Sechstagekrieg im Juni 1967 zu. Der<br />

Chef des Stabes der UNTSO, damals Generalleutnant Odd Bull<br />

aus Norwegen, handelte jene Demarkationslinie zwischen Syrien<br />

und Israel aus, die der UN-Sicherheitsrat später mit der Re-<br />

82


Die Vereinten Nationen und der Nahost-Konflikt<br />

solution 236 (1967) bestätigte. Weil auf dem Sinai keine UNTSO-<br />

Beobachter stationiert waren, erarbeitete der UN-Sicherheitsrat<br />

ein Konsenspapier – keine Resolution –, auf dessen Grundlage<br />

der UN-Generalsekretär den Chef des Stabes der UNTSO bat,<br />

mit den Konfliktparteien Ägypten und Israel die notwendigen<br />

Abkommen für eine Stationierung der UNTSO entlang des Suezkanals<br />

auszuhandeln. In der Folge konnten dort 90 Soldaten aus<br />

sechs Ländern stationiert werden.<br />

Die UN sahen und sehen in UNTSO immer auch eine Personalreserve,<br />

wenn für ein rasches Tätigwerden erfahrenes Personal<br />

benötigt wird. Einerseits unterstützte UNTSO die später in<br />

der Region eingerichteten Operationen und Missionen der UN,<br />

auf die noch einzugehen sein wird. Andererseits waren UNTSO-<br />

Angehörige auch in ganz anderen Regionen und Erdteilen eingesetzt,<br />

etwa 1960 unter dem Mandat der ONUC im Kongo, 1963<br />

für UNYOM im Jemen, 1989 in Mielamerika für ONUCA und<br />

für UNAVEM in Angola, schließlich 1992 für UNPROFOR im<br />

ehemaligen Jugoslawien und für UNOMOZ in Mosambik.<br />

United Nations Emergency Force (UNEF I)<br />

Während UNTSO eine reine Beobachtermission darstellt, war<br />

UNEF I die erste friedenserhaltende Streitkra. Mit UNEF I begann<br />

das militärisch geprägte Peacekeeping.<br />

In den bewaffneten Konflikt um den Suezkanal im Herbst<br />

1956 waren neben Israel auch die beiden ständigen Mitglieder<br />

des UN-Sicherheitsrates und Vetomächte Frankreich und Großbritannien<br />

verwickelt. Daher war der Sicherheitsrat unfähig, den<br />

Konflikt selbst beizulegen. Resolutionsentwürfe der USA und der<br />

Sowjetunion zur Konfliktbeendigung scheiterten jeweils an den<br />

Vetos Frankreichs und Großbritanniens. Da ein Veto jedoch nicht<br />

in Fragen der Geschäsordnung und des Verfahrens eingelegt<br />

werden kann, kam der Sicherheitsrat am 30. Oktober 1956 auf<br />

Grundlage der Resolution 377 (V) der UN-Generalversammlung<br />

vom 3. November 1950 (»Uniting for Peace«-Resolution) überein,<br />

eine Notfallsitzung der Generalversammlung zu beantragen.<br />

Nach mehreren Sitzungstagen beschloss dieses Gremium, in dem<br />

kein Mitglied ein Vetorecht besitzt, am 4. November 1956 die Re-<br />

83


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

solution 998 (ES-I). Der Klammerzusatz macht deutlich, dass es<br />

sich um eine Resolution aus der ersten Notfallsitzung (emergency<br />

session) und nicht um den Beschluss einer regulären Sitzung<br />

der UN-Generalversammlung handelt. Mit dieser Resolution, der<br />

im Übrigen noch drei weitere folgten, wurde der UN-Generalsekretär<br />

beauragt, binnen 48 Stunden einen Plan zur Aufstellung<br />

einer Kriseninterventionstruppe vorzulegen. Diese sollte »die Beendigung<br />

der Feindseligkeiten sichern und überwachen«. Zum<br />

Kommandeur der Truppe bestellte die UN-Generalversammlung<br />

mit der Resolution 1000 (ES-I) am 5. November 1956 den Chef<br />

des Stabes der UNTSO. Aus den Kriterien der Zusammenarbeit<br />

mit den Institutionen im Stationierungsraum entwickelte sich das<br />

Konzept der Stationierungsabkommen (Status of Forces Agreement,<br />

SOFA). Zur näheren Ausgestaltung des Mandats wurden<br />

Einsatzregeln (Rules of Engagement, ROE) und für den internen<br />

Betrieb die ständigen Verfahrensrichtlinien (Standing/Standard<br />

Operating Procedures, SOP) erlassen. Dies sind allgemein akzeptierte<br />

Verfahren, die heute auch in anderen Systemen gegenseitiger<br />

kollektiver Sicherheit angewendet werden.<br />

Dag Hammarskjöld selbst war es, der für UNEF I und alle späteren<br />

Friedenstruppen der UN das Blaue Bare und den Blauen<br />

Helm schuf. Auf diese Weise waren die Soldaten trotz ihrer jeweiligen<br />

nationalen Uniformen unverwechselbar als Angehörige<br />

der UN erkennbar. Als solche waren sie nur leicht bewaffnet<br />

und duren Gewalt auschließlich zur Selbstverteidigung und im<br />

Falle eines unmielbar gegen sie gerichteten Angriffs anwenden.<br />

In ihrem Stationierungs- und Einsatzraum (area of operations)<br />

genossen sie Bewegungsfreiheit (freedom of movement), konnten<br />

diese allerdings nicht erzwingen.<br />

UNEF I blieb von November 1956 bis Juni 1967 zuerst am<br />

Suezkanal, später an der von UNTSO ausgehandelten Demarkationslinie<br />

zwischen Ägypten und Israel auf der Sinaihalbinsel<br />

und schließlich im Gazastreifen und an der ägyptisch-israelischen<br />

Staatsgrenze stationiert, bis Ägypten am 18. Mai 1967<br />

ihren Abzug forderte. Sithu U Thant, der Nachfolger Dag Hammarskjölds<br />

im Amt des UN-Generalsekretärs, stimmte dem<br />

ägyptischen Begehren umgehend zu, wofür er sich intern heige<br />

Kritik gefallen lassen musste. Indirekt ebnete er mit diesem Verhalten<br />

den Weg für den Sechstagekrieg im Juni 1967.<br />

84


picture-alliance/dpa<br />

Die Vereinten Nationen und der Nahost-Konflikt<br />

Gemeinhin verbindet man mit der Stationierung von Blauhelmtruppen<br />

die Vorstellung, nur Landstreitkräe kämen für derartige<br />

Aufgaben infrage. Schon UNEF I indes belehrt uns eines<br />

Besseren: Zur Überwachung des 187 Kilometer langen Abschnis<br />

der Ostküste der Sinaihalbinsel vom Nordrand des Golfs von<br />

Akaba bis zur Südspitze mit der Straße von Tiran setzte UNEF I<br />

ihre Luaulärungseinheit ein.<br />

United Nations Observer Group<br />

in Lebanon (UNOGIL)<br />

Ein Beobachter hält<br />

die Zeitung »Daily<br />

News« in Händen,<br />

deren Schlagzeile den<br />

Ausbruch des Sechstagekrieges<br />

am 5. Juni<br />

1967 thematisiert. Am<br />

selben Tag trat der<br />

UN-Sicherheitsrat zu<br />

einer Krisensitzung<br />

zusammen.<br />

Im Juni 1958 veranlasste die beinahe bürgerkriegsähnliche Situation<br />

im Libanon eine mögliche Einmischung der Vereinigten<br />

Arabischen Republik (VAR), zu der sich Syrien und Ägypten<br />

zusammengeschlossen haen. Die erfolglosen Vermilungsbemühungen<br />

der Arabischen Liga bewogen den UN-Sicherheitsrat,<br />

eine drie Operation im Nahen Osten zu beschließen (Resolution<br />

128 vom 11. Juni 1958): die Aufstellung der UNOGIL.<br />

Zunächst rekrutierte sich ein Vorauskommando, das bereits am<br />

12. Juni in Beirut eintraf, aus Teilen der UNTSO. UNOGIL war<br />

mit einem vergleichsweise schwachen Mandat ausgestaet. Die<br />

Gruppe hae sich strikt auf die Beobachtung illegaler Grenz-<br />

85


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

übertrie und der Aktivitäten von Waffenschmugglern entlang<br />

der libanesisch-syrischen Grenze zu beschränken. Die Südgrenze<br />

zu Israel wurde von UNTSO überwacht und war ohnehin vom<br />

aktuellen Konflikt nicht unmielbar betroffen. UNOGIL sollte<br />

weder zwischen den libanesischen Aufständischen und der Regierung<br />

in Beirut vermieln, noch den Konflikt schlichten, noch<br />

Eindringversuche oder Waffenschmuggel unterbinden. Nicht<br />

einmal den eigenen Zugang in ihren Stationierungsraum duren<br />

die UN-Beobachter erzwingen. Bis Mie Juli 1958 war daher nur<br />

die Überwachung der Grenzregion aus der Lu möglich, denn<br />

die Aufständischen verweigerten anfangs den Zutri zu den von<br />

ihnen beherrschten Grenzgebieten.<br />

Konfliktverschärfend im gesamten Mileren und Nahen<br />

Osten wirkte der gegen das haschimitische Königshaus im Irak<br />

gerichtete Staatsstreich vom 14. Juli 1958. So bat der libanesische<br />

Präsident die USA um Beistand, um die Souveränität und<br />

territoriale Integrität des Landes zu schützen. Das jordanische<br />

Königshaus befürchtete die Einmischung der VAR und trug<br />

die Angelegenheit dem UN-Sicherheitsrat vor, während es sich<br />

gleichzeitig der Unterstützung durch eine britische Interven-<br />

tionsarmee versicherte. Die beiden Interventionen, die der Sicherheitsrat<br />

und die Generalversammlung immer als zusammenhängend<br />

betrachteten, führten zu einer drastischen Aufstockung<br />

der UNOGIL. Waren es anfangs nur 200 Beobachter gewesen,<br />

so stieg deren Zahl bis Mie November 1958 auf 591. Zugleich<br />

wuchs die Zahl der für die Aulärung aus der Lu eingesetzten<br />

Flugzeuge und Hubschrauber mit 18 bzw. sechs auf ein bis dahin<br />

in UN-Beobachtermissionen unerreichtes Ausmaß auf.<br />

Nachdem sich die Lage in der gesamten Region wieder entspannt<br />

hae und die beiden Interventionsarmeen abgezogen<br />

waren, stimmte Libanon dem Abzug der UNOGIL zu. Deren<br />

Einsatz endete am 9. Dezember 1958.<br />

86<br />

United Nations Emergency Force (UNEF II)<br />

Der arabisch-israelische Konflikt verschwand für einige Zeit aus<br />

den internationalen Schlagzeilen. Es dauerte sechs Jahre, bis sich<br />

zumindest Ägypten und Syrien von ihrer militärischen Nieder-


Die Vereinten Nationen und der Nahost-Konflikt<br />

lage im Sechstagekrieg 1967 erholt haen. Am 6. Oktober 1973,<br />

dem höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur, griffen überraschend<br />

ägyptische und syrische Truppen Israel an, dessen Armee<br />

zunächst schwere Verluste hinnehmen musste, ehe sich das Bla<br />

wendete, nicht zuletzt aufgrund amerikanischer Militärhilfe. Die<br />

UdSSR unterstützte hingegen die arabischen Staaten. Einmal<br />

mehr schien der UN-Sicherheitsrat blockiert, wenn auch diesmal<br />

nicht durch eine unmielbare Verstrickung zweier seiner<br />

ständigen Mitglieder in militärische Auseinandersetzungen,<br />

sondern durch das traditionelle Muster des Ost-West-Konflikts.<br />

In der zweiten Oktoberhäle 1973 spitzte sich die Lage dramatisch<br />

zu. Der ägyptische Präsident Anwar as-Sadat bat angesichts<br />

der drohenden militärischen Niederlage um Entsendung<br />

amerikanischer und sowjetischer Streitkräe in die Region, um<br />

die Kriegsparteien zu trennen. Während die UdSSR akzeptierte,<br />

lehnten die USA dieses Ansinnen ab. In dieser möglicherweise<br />

gefährlichsten Konfrontation der beiden Supermächte seit der<br />

Kubakrise schlugen einige Staaten, die mehrheitlich der Bewegung<br />

der Blockfreien angehörten, einen Resolutionsentwurf vor,<br />

der den Rückzug der israelischen und ägyptischen Kräe auf Positionen<br />

vorsah, die sie am 22. Oktober 1973 innegehabt haen.<br />

Der UN-Generalsekretär wurde darin ersucht, die UNTSO, die<br />

in Anbetracht des Krieges evakuiert worden war, erneut zu stationieren<br />

und mit einer zweiten Kriseninterventionstruppe die<br />

Konfliktparteien zu trennen.<br />

Am 25. Oktober 1973 übernahm der UN-Sicherheitsrat diesen<br />

Vorschlag mit 14 Stimmen in der Resolution 340 (1973). Der<br />

Vertreter der Volksrepublik China war der Abstimmung ferngeblieben.<br />

Im Unterschied zu UNEF I wurde UNEF II durch<br />

den Sicherheitsrat beschlossen. Wie politische Entwicklungen<br />

die Friedensbemühungen der UN beeinflussen, lässt sich an<br />

UNEF II gut studieren. Das Mandat von UNEF II wurde im<br />

Jahr 1974 zweimal nach dem inzwischen üblich gewordenen<br />

Verfahren auf einen entsprechenden Bericht des Generalse-<br />

kretärs an den Sicherheitsrat hin um sechs Monate verlängert.<br />

1975 verlangte Ägypten, die Verlängerung auf drei Monate zu<br />

beschränken, weil sich die Truppenentflechtungsverhandlungen<br />

festgefahren haen. Nachdem diese Gespräche erfolgreich abgeschlossen<br />

worden waren, konnte der Sicherheitsrat das Mandat<br />

87


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

der UNEF II mit Resolution 378 (1975) gleich um zwölf Monate<br />

verlängern. Das wiederholte sich dann routinemäßig 1976 und<br />

1977. Als die Verlängerung 1978 anstand, drohte die UdSSR mit<br />

der Einlegung ihres Vetos, weil sie die Bemühungen um einen<br />

Separatfrieden zwischen Ägypten und Israel unter Vermilung<br />

des amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter in Camp David,<br />

dem Landsitz der Präsidenten, ablehnte. Einer Verlängerung um<br />

neun Monate widersprach die UdSSR schließlich nicht. Als der<br />

Friedensvertrag zwischen Ägypten und Israel am 25. April 1979<br />

in Kra trat, konnten sich die Mitglieder des Sicherheitsrates<br />

nicht mehr auf eine Mandatsverlängerung für UNEF II verständigen.<br />

Folglich lief das Mandat im Juli 1979 aus.<br />

Es gelang von Anfang an nicht, das an sich notwendige Stationierungsabkommen<br />

(SOFA) mit Ägypten als Aufnahmestaat<br />

und Israel als weiterem Beteiligten abzuschließen. Deshalb einigten<br />

sich die UN mit den beiden Ländern darauf, das seinerzeit<br />

für UNEF I ausgehandelte SOFA, das eigentlich mit dem Ende<br />

der Operation erloschen war, auf die Stationierung von UNEF II<br />

sinngemäß anzuwenden.<br />

88<br />

United Nations Disengagement Observer<br />

Force (UNDOF) und die United Nations<br />

Interim Force in Lebanon (UNIFIL)<br />

Während die Beziehungen zwischen Ägypten und Israel sich<br />

allmählich normalisierten, blieb das Verhältnis zwischen Syrien<br />

und Israel weiterhin angespannt. Im März 1974 wurde die Lage<br />

zunehmend instabiler. Vermilungsbemühungen der USA führten<br />

zu einer Vereinbarung im Rahmen der Genfer Friedenskonferenz<br />

über den Mileren Osten. Gegenstand war der Rückzug<br />

israelischer und syrischer Truppen sowie die Einrichtung einer<br />

Zone, in deren Sektoren die beiden Gegner entweder gar keine<br />

oder nur geringe militärische Kräe stationieren duren. Die<br />

Vereinbarung enthielt auch die Bie an die UN, eine Beobachtertruppe<br />

zu entsenden. Mit Resolution 350 (1974) entsprach<br />

der Sicherheitsrat dieser Bie noch am Tage des Abschlusses<br />

der Vereinbarung, dem 31. Mai 1974. Dies war die Gründung


Die Vereinten Nationen und der Nahost-Konflikt<br />

89


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

der UNDOF. Sie ist seither in einem ca. 80 Kilometer langen<br />

Streifen innerhalb der entmilitarisierten Zone eingesetzt. Deren<br />

Breite variiert zwischen etwa zehn Kilometern im Zentrum und<br />

weniger als 1000 Metern im äußersten Süden, abhängig von<br />

den Geländeformationen der Golanhöhen. Einmal mehr stellte<br />

UNTSO das Personal der Initialisierungsphase, im konkreten<br />

Fall 90 Militärbeobachter unter Führung des peruanischen Generals<br />

Gonzalo Briceño Zevallo. Das Mandat der UNDOF war<br />

anfangs insbesondere von syrischer Seite regelmäßig infrage gestellt<br />

worden, um die Rückgabe des Golans und die Regelung<br />

der Wasserverteilung in der Region zu erzwingen. Seit 1976 wird<br />

es problemlos zweimal im Jahr um jeweils sechs Monate verlängert.<br />

Aktuell hat der Sicherheitsrat UNDOF mit Resolution 1875<br />

(2009) am 23. Juni 2009 bis zum 31. Dezember mandatiert.<br />

Der Süden des Libanons, zwischen dem Fluss Litani und der<br />

provisorischen israelisch-libanesischen Grenze (der sogenannten<br />

Blauen Linie), entzog sich auch nach dem offiziellen Ende<br />

des libanesischen Bürgerkriegs im Oktober 1976 weitgehend<br />

der tatsächlichen Staatsgewalt der Regierung in Beirut. Christliche<br />

Milizen bekämpen mit israelischer Hilfe die bewaffneten<br />

Teile der Libanesischen Nationalbewegung (Lebanese National<br />

Movement), einer lockeren Vereinigung von linksgerichteten<br />

und muslimischen Kräen, die ihrerseits von dem bewaffneten<br />

Flügel der Palästinensischen Befreiungsorganisation (Palestinian<br />

Liberation Organization, PLO) unterstützt wurde. Die PLO<br />

war im Südlibanon die stärkste militärische Kra jener Zeit.<br />

Ein PLO-Kommando tötete am 15. März 1978 auf israelischem<br />

Staatsgebiet 37 Israelis und verwundete über 70 weitere. Daraufhin<br />

drangen israelische Streitkräe in den Südlibanon ein und<br />

besetzten binnen weniger Tage das gesamte Gebiet zwischen der<br />

provisorischen Grenze und dem Fluss Litani mit Ausnahme der<br />

Stadt Tyrus sowie ihrer Umgebung. Die Regierung in Beirut legte<br />

beim UN-Sicherheitsrat umgehend Protest gegen die Verletzung<br />

der Souveränität und territorialen Integrität Libanons ein. Sie<br />

bestri, irgendetwas mit der PLO und ihren Machenschaen zu<br />

tun zu haben.<br />

Am 19. März 1978 beschloss der UN-Sicherheitsrat auf Vorschlag<br />

der USA die Resolution 425. Darin bestätigte er ausdrücklich<br />

die Souveränität und territoriale Integrität des Libanons und<br />

90


Die Vereinten Nationen und der Nahost-Konflikt<br />

forderte Israel zum Rückzug seiner Truppen auf. Zugleich schuf<br />

er das Mandat für eine dort einstweilen zu stationierende Truppe,<br />

die den Rückzug der israelischen Armee bestätigen, Frieden<br />

und Sicherheit im Südlibanon wiederherstellen und die libanesische<br />

Regierung darin unterstützen sollte, die Staatsgewalt<br />

über das Territorium wiederzuerlangen. Mit Billigung des Generalsekretärs<br />

der UN griff der Oberbefehlshaber der UNIFIL,<br />

Generalleutnant Emmanuel Erskine aus Ghana, auf Teile der<br />

UNTSO, der UNEF II und der UNDOF zurück, um seine Truppe<br />

möglichst schnell stationieren zu können. Schon im Juni 1978<br />

wurden die Teile der UNEF II und der UNDOF aufgrund der<br />

Resolution 427 (1978) durch Bataillone aus Iran, Irland und von<br />

den Fidschi-Inseln abgelöst. UNTSO-Beobachter arbeiteten hingegen<br />

unter der Bezeichnung Observer Group Lebanon (OGL)<br />

unter operativer Kontrolle (OPCON) des UNIFIL-Befehlshabers<br />

weiterhin mit dieser zusammen.<br />

Besondere Schwierigkeiten warf weniger das Mandat als die<br />

genaue Bestimmung des Einsatzraumes der UNIFIL auf. Die Resolution<br />

425 (1978) war in diesem Punkt bewusst vage geblieben,<br />

und auch der UN-Generalsekretär konnte in seinem Bericht an<br />

den Sicherheitsrat mit Rücksicht auf die unterschiedlichen Befindlichkeiten<br />

seiner Mitglieder keine Entscheidung treffen. Der<br />

Stationierung eines französischen Bataillons in und um Tyrus,<br />

der sogenannten Tyre pocket, widersetzte sich die PLO energisch<br />

mit dem Hinweis, dass UNIFIL nur dort stationiert werden<br />

dürfe, wo zuvor israelisches Militär gestanden habe. Da jedoch<br />

die Gegend um Tyrus von Israel nicht besetzt gewesen sei, dürfe<br />

UNIFIL dort nicht einrücken. Dieser Argumentation der PLO<br />

schlossen sich die Vertreter der arabischen Staaten bei den UN<br />

an, und so unterblieb letztlich eine Stationierung der UNIFIL in<br />

der Tyre pocket. Erst mit der 2006 beschlossenen Resolution 1701<br />

wurde die Tyre pocket in den nun vergrößerten Einsatzraum der<br />

erweiterten UNIFIL einbezogen.<br />

In dem bereits erwähnten Bericht an den Sicherheitsrat stellte<br />

der UN-Generalsekretär Richtlinien für UNIFIL auf, unter<br />

denen ein Punkt hervorgehoben zu werden verdient. Dort heißt<br />

es, UNIFIL führe nur Defensivwaffen und dürfe Gewalt nur zur<br />

Selbstverteidigung anwenden. Das Recht auf Selbstverteidigung<br />

umfasse auch den »Widerstand gegen gewaltsame Versuche,<br />

91


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

[UNIFIL] an der Auragserfüllung nach dem Mandat des Sicherheitsrates<br />

zu hindern«. Diesen Bericht des Generalsekretärs<br />

billigte der Sicherheitsrat mit Resolution 426 (1978).<br />

Bereits 1978 konnte eine Truppe der UN also auf gewaltsame<br />

Behinderungen der Auragserfüllung notfalls mit Waffengewalt<br />

unter Berufung auf das Recht zur Selbstverteidigung reagieren.<br />

Dies kann man als frühe Form der Befugnis betrachten, den Auftrag<br />

mit Waffengewalt durchzusetzen (mission defense). Allerdings<br />

sollte es noch bis zum Jahr 1993 dauern, ehe der Sicherheitsrat<br />

einer Blauhelmtruppe (mit Resolution 836), nämlich der<br />

UNPROFOR in Bosnien-Herzegowina, gestaete, auch tatsächlich<br />

aktiv militärisch den Einsatzaurag durchzusetzen.<br />

Der Rückzug der israelischen Truppen aus dem Südlibanon<br />

gestaltete sich schwierig. Einerseits drangen Kräe der PLO in<br />

das von Israel geräumte Gebiet ein. (Die PLO berief sich dabei<br />

auf ein vorgebliches Recht aus dem Vertrag von Kairo zwischen<br />

der PLO und Libanon vom 3. November 1969.) Andererseits<br />

übergab Israel in der letzten Phase des Rückzuges die geräumten<br />

Stellungen nicht an die UNIFIL, sondern an die christliche,<br />

sogenannte Südlibanesische Armee des Majors Haddad, den es<br />

als Repräsentanten der libanesischen Regierung betrachtete und<br />

unterstützte.<br />

Ab 1978 herrschte im Südlibanon knapp fünf Jahre lang eine<br />

höchst instabile Ruhe, immer wieder unterbrochen von mehr<br />

oder weniger heigen Gewaltausbrüchen. Im Juni 1982 marschierten<br />

die israelischen Streitkräe (Israel Defense Forces,<br />

IDF) unter Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht von Staaten<br />

nach Art. 51 der UN-Charta erneut in den Libanon ein. Sie<br />

stießen diesmal über den Litani hinaus bis in die Nähe der Landeshauptstadt<br />

Beirut vor. Der UN-Sicherheitsrat reagierte umgehend<br />

und forderte Israel – freilich vergebens – noch am selben<br />

Tag zum Rückzug seiner Truppen auf. Mit Resolution 516<br />

(1982) wurde die Beobachtergruppe Beirut (Observer Group<br />

Beyrouth, OGB) geschaffen, deren Aurag es war, die Lage in<br />

und um Beirut zu beobachten. UNIFIL selbst blieb drei Jahre hinter<br />

den israelischen Linien und musste sich während dieser Zeit<br />

und bis zum Jahr 2000 auf Schutz sowie humanitäre Hilfe für<br />

die Bevölkerung des Südlibanons beschränken. Die tatsächliche<br />

Kontrolle übten die Südlibanesische Armee und die IDF aus. Im<br />

92


Die Vereinten Nationen und der Nahost-Konflikt<br />

Der deutsche Beitrag zur UNIFIL-Mission<br />

Seit einem Bundestagsbeschluss vom 20. September 2006 ist die Bundeswehr<br />

auf Grundlage der UN-Resolutionen 1701 (2006) sowie 1773<br />

(2007) mit einem »robusten Mandat« im Nahen Osten eingesetzt<br />

– erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik. Dieses Mandat erlaubt<br />

neben der Notwehr die Anwendung militärischer Zwangsmaßnahmen<br />

zum Zwecke der Auragserfüllung.<br />

Die historische Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel<br />

diente bis in die Plenardebaen des Deutschen Bundestages Befürwortern<br />

wie Gegnern als Argument. Die Entscheidung für einen<br />

Bundeswehreinsatz sollte<br />

schließlich ein deutliches<br />

politisches Zeichen setzen:<br />

Deutschland stärkt nicht<br />

nur die Rolle der Vereinten<br />

Nationen, sondern ist<br />

auch bereit, mehr internationale<br />

Verantwortung<br />

zu übernehmen. Seither<br />

unterstützt die Marine<br />

im Aurag der UNO die<br />

Überwachung der Seewege<br />

vor der libanesischen<br />

Küste, um illegalen Waffenhandel<br />

zu unterbinden.<br />

Erschwert wird ein umfas-<br />

picture-alliance/ZB/Soeren Stache<br />

Ein Konvoi von Schiffen der UNIFIL in den<br />

Gewässern vor Beirut, im Vordergrund die<br />

deutsche Fregatte »Bayern«. Aufnahme<br />

vom 29. Februar 2008.<br />

sender Erfolg dieses Unternehmens durch die Beschränkung, verdächtige<br />

Schiffe zwar umleiten und durchsuchen, vorhandene Waffen<br />

jedoch nicht beschlagnahmen zu dürfen. Am 17. September 2008 verlängerte<br />

der Deutsche Bundestag das UNIFIL-Mandat bis Ende 2009.<br />

Die personelle, materielle, sanitätsdienstliche und logistische Abstützung<br />

des UNIFIL-Verbandes leistet eine rückwärtige Versorgungsbasis<br />

im Hafen von Limassol auf Zypern, rund 250 Kilometer von der<br />

libanesischen Küste entfernt. Auf Zypern sind ein Verbindungskommando,<br />

Marineschutzkräe und Kampfmielräumer stationiert. Die<br />

Bundeswehr nutzt den Militärflughafen der zypriotischen Luwaffe<br />

in Paphos. (sp, mp)<br />

93


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

April 2000 kündigte die israelische Regierung überraschend an,<br />

die IDF in Übereinstimmung mit den Resolutionen 425 (1978)<br />

und 426 (1978) im Juli 2000 aus dem Südlibanon abzuziehen. Der<br />

überhastete Rückzug war bereits am 25. Mai 2000 abgeschlossen.<br />

Damals legte die Kartografieabteilung der UN die Staatsgrenze<br />

zwischen Israel und Libanon verbindlich fest. Sie entspricht<br />

ziemlich genau der Blauen Linie. Israel hielt sich jedoch nicht<br />

exakt an diese Festlegung. Der von Israel errichtete Grenzzaun<br />

verlief teilweise auf libanesischem Staatsgebiet jenseits der Blauen<br />

Linie, und israelische Grenzpatrouillen nutzten Wege auf libanesischem<br />

Territorium.<br />

Der libanesischen Regierung gelang es in der Folgezeit auch<br />

mit Unterstützung durch UNIFIL nicht, die Staatsgewalt über<br />

den Südlibanon zu erringen und durchzusetzen. Zwar waren<br />

libanesische Streitkräe, Sicherheits- und Polizeiorgane dort<br />

stationiert. Die tatsächliche Macht aber übte zunehmend die<br />

Hisbollah aus, die den Platz der PLO eingenommen hae. Die<br />

Stärke der UNIFIL sank von etwa 8000 Mann im Jahr 2000 auf<br />

etwa 2000 Blauhelmsoldaten Mie 2006. Das Mandat wurde<br />

mehrfach der sich verändernden Lage angepasst. UNIFIL beschränkte<br />

sich auf die Präsenz entlang der Blauen Linie sowie<br />

auf Überwachungs- und humanitäre Aufgaben. UNTSO-Beobachter<br />

arbeiten mit UNIFIL bei der Überwachung des Waffenstillstands<br />

zusammen.<br />

Der Ausbruch neuer Feindseligkeiten am 12. Juli 2006 kam<br />

für UNIFIL nicht gänzlich überraschend, wenngleich niemand<br />

mit einer derartigen Intensität der Kämpfe gerechnet hae. Seit<br />

Januar hae UNIFIL einen stetigen Anstieg der Spannungen<br />

entlang der Blauen Linie gemeldet. Das ohnehin bis zum 31. Juli<br />

2006 befristete Mandat der UNIFIL verlängerte der Sicherheitsrat<br />

mit Resolution 1697 (2006) zunächst nur um einen Monat. Am<br />

11. August 2006 dehnte er dann mit Resolution 1701 nicht nur<br />

dieses Mandat um weitere zwölf Monate aus, sondern erhöhte<br />

auch die Truppenstärke von UNIFIL auf bis zu 15 000 Mann. Der<br />

Befugnis aus dem Bericht des UN-Generalsekretärs und der Resolution<br />

426 (1978), gewaltsamen Behinderungen des Aurages<br />

notfalls mit Waffengewalt entgegenzutreten, verlieh dies den<br />

nötigen Nachdruck. Mit Stand September 2009 sind rund 13 000<br />

Soldaten, Polizisten und zivile Kräe unter dem Kommando des<br />

94


Die Vereinten Nationen und der Nahost-Konflikt<br />

italienischen Generals Claudio Graziano für UNIFIL im Einsatz.<br />

Das mit Resolution 1884 (2009) am 27. August 2009 auf weitere<br />

zwölf Monate verlängerte Mandat endet am 31. August 2010.<br />

Im Rahmen der erweiterten UNIFIL haben sich die UN von<br />

ihrem bis dahin gepflegten Dogma »we do not ships« verabschiedet.<br />

Zum ersten Mal fahren Kriegsschiffe unter der blauen<br />

Flagge. Nachdem Deutschland das Kommando über die Maritime<br />

Task Force (MTF UNIFIL) erstmals bereits ab 15. Oktober<br />

2006 innegehabt hae, übergab der italienische Floillenadmiral<br />

Ruggiero Di Biase am 31. August 2009 das Kommando über den<br />

multinationalen Marineverband (MTF 448) an den deutschen<br />

Floillenadmiral Jürgen Mannhardt. Deutschland stellt im September<br />

2009 die Fregae »Schleswig-Holstein« (Brandenburg-<br />

Klasse), zwei Schnellboote, einen Tender sowie Marineschutzkräe.<br />

Von Beginn an war der Aurag der MTF UNIFIL auf zwei<br />

Ziele gerichtet. Die Seeraumüberwachung und Unterbindung<br />

des Waffenschmuggels entlang der gesamten libanesischen<br />

Küste ergänzen der Auau und die Ausbildung einer libanesischen<br />

Küstenwache sowie landeseigener Marinekräe. Dabei<br />

darf die MTF UNIFIL lediglich in internationalen Gewässern das<br />

Einsatzmandat voll ausüben, innerhalb der 12-Seemeilen-Zone<br />

hingegen nur mit Beteiligung libanesischer Kräe und innerhalb<br />

der 6-Seemeilen-Zone ausschließlich auf ausdrückliche Anforderung<br />

des Staates Libanon und mit Beteiligung libanesischer<br />

Kräe. Der Schwerpunkt verlagerte sich in den vergangenen drei<br />

Jahren von Unterbindungsoperationen (Maritime Interdiction<br />

Operations, MIO) hin zur Ausbildung der libanesischen Marine.<br />

In zunehmendem Maße operieren deren Einheiten selbstständig<br />

in den Territorialgewässern, während sich die MTF UNIFIL auf<br />

eine Beobachterrolle beschränkt. Dieser veränderten Situation<br />

entsprechend umfasst die MTF UNIFIL nur noch acht Schiffe<br />

und Boote, was ihre Ausbildungskapazitäten einschränkt. In<br />

entsprechende Schulungsvorhaben ist seit einiger Zeit auch die<br />

libanesische Zollbehörde mit einbezogen. Der Auau eines lückenlosen<br />

Küstenüberwachungsradars ergänzt den Schutz der<br />

Küste des Libanon.<br />

Thomas Breitwieser<br />

95


Die Fregatte »Rheinland-Pfalz« wird am 22. August 2009 beim Einlaufen<br />

in den Marinestützpunkt Wilhelmshaven begrüßt, rechts im Hintergrund<br />

die Fregatte »Hamburg«. Das Kampfschiff der Deutschen Marine kehrte<br />

nach siebenmonatiger Mission am Horn von Afrika in seinen Heimathafen<br />

zurück.<br />

Im Januar 2002 brachen von Wilhelmshaven aus deutsche Schiffe in<br />

den Indischen Ozean auf, um nach den verheerenden Anschlägen vom<br />

11. September 2001 als Teil eines internationalen Flottenverbandes den<br />

internationalen Terrorismus zu bekämpfen (Operation ENDURING FREE-<br />

DOM). Der maritime Beitrag, den die Bundesrepublik Deutschland seitdem<br />

am Horn von Afrika leistet, ist Ausdruck veränderter globaler Rahmenbedingungen<br />

und eines neuen Selbstverständnisses. Die sich seit<br />

den 1990er-Jahren grundlegend wandelnden Einsatz- und Führungsstrukturen<br />

sowie tief greifende Änderungen bei der Ausrüstung der Flotte<br />

spiegeln die neuen Aufträge der Deutschen Marine wider: Einen ersten<br />

Meilenstein auf diesem Weg bildete die Operation SOUTHERN CROSS 1994,<br />

als ein Einsatzverband deutsche Heereskräfte evakuierte, die im Rahmen<br />

der UNOSOM in Somalia verwendet worden waren.<br />

picture-alliance/dpa/Ingo Wagner


Von der Escort Navy zur Expeditionary<br />

Navy: Die Deutsche Marine, UNOSOM<br />

und Enduring Freedom<br />

Bis 1990 waren Landes- und Bündnisverteidigung im Rahmen<br />

der NATO, für die Bundesmarine also Geleitschutz auf hoher<br />

See und Operationen aus dem eigenen Küstenvorfeld heraus, die<br />

Hauptaufgaben, was den Einsatz in einem Ernstfall betraf. Seit<br />

dem Ende des Ost-West-Konfliktes sind Krisenbewältigung und<br />

Konfliktverhinderung in den Vordergrund getreten. Das Einsatzspektrum<br />

erstreckt sich milerweile von der Überwachung von<br />

Seegebieten über die Durchsetzung von Embargomaßnahmen<br />

bis hin zur maritimen Unterstützung von Heeres- oder Luwaffenkontingenten<br />

im Kriseneinsatz (Joint Operations). Ferner<br />

leistete die Marine im ersten Halbjahr 2007 erstmalig einen maritimen<br />

Beitrag im Kontext des Balegroup-Konzeptes der Europäischen<br />

Union (Maritime Task Force). All dies legt einen besonderen<br />

Schwerpunkt auf Fähigkeiten wie Führung, Aulärung<br />

und Nachrichtengewinnung, Evakuierungen, Unterstützung<br />

für andere Teilstreitkräe an Land und Aufgaben im Rahmen<br />

friedensfördernder Maßnahmen. Die neuen Einsatzszenarien<br />

unterstreichen die Bedeutung der zuvor schon unabdingbaren<br />

Reaktionsfähigkeit gegenüber Bedrohungen aus der Lu sowie<br />

überlegene Fähigkeiten zur Unter- und Überwasserseekriegführung,<br />

aber auch zum Erhalt der Operationsfreiheit bei Mineneinsatz.<br />

Die Feuerunterstützung von See aus gewinnt zunehmend<br />

an Gewicht.<br />

Die Einsätze der Deutschen Marine am Horn von Afrika seit<br />

Mie der 1990er-Jahre waren Ergebnis und Ausdruck geradezu<br />

revolutionärer Veränderungen der sicherheitspolitischen Lage,<br />

die sich in Deutschland und Europa nach dem Zusammenbruch<br />

des Warschauer Paktes vollzogen. Zwei Operationen bilden in<br />

der Rückschau Meilensteine eines neuen maritimen Denkens:<br />

Im Rahmen der Operation S C evakuierte erstens<br />

ein Einsatzverband im Frühjahr 1994 deutsche Heereskräe, die<br />

mit insgesamt 1400 Mann das Engagement der Vereinten Nationen<br />

in Somalia (UNOSOM II, insgesamt ca. 28 000 Soldaten<br />

und Polizisten) logistisch unterstützt und in der Gegend um<br />

97


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

die zentralsomalische Stadt Belet Uen humanitäre Hilfe geleistet<br />

haen, von Mogadischu über See ins kenianische Mombasa.<br />

Kurz nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 mandatierte<br />

zweitens am 16. November der Deutsche Bundestag unter<br />

anderem auf Grundlage des Art. 51 der Charta der Vereinten<br />

Nationen den Einsatz deutscher Streitkräe zur Unterstützung<br />

der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die<br />

USA. In der deutschen Öffentlichkeit kam zumindest S<br />

C – ebenso wie die gleichzeitige Heeresoperation in Somalia<br />

– einem sicherheitspolitischen Tabubruch gleich.<br />

98<br />

Operation Southern Cross, Somalia 1994<br />

Die maritime Operation S C fand 1994 während<br />

einer Phase sicherheitspolitischer Neuorientierung und Umstrukturierung<br />

der deutschen Streitkräe sta. Diese sahen sich<br />

mit unzureichender Ausrüstung sowie mit Führungsverfahren<br />

und Aulärungsmieln, die auf einen zentraleuropäischen<br />

Einsatzraum zugeschnienen waren, neuen Herausforderungen<br />

gegenüber. Die Bundesmarine führte mit S C<br />

einen anspruchsvollen maritimen Aurag durch, indem sie vor<br />

der Küste das im Ausland operierende eigene Heer unterstützte.<br />

Angesichts der kurzen Vorbereitungszeit waren weder die<br />

Zuführung besonderer Ausrüstung noch die Nachrüstung der<br />

eingesetzten Einheiten – etwa im Bereich des Fernmeldewesens<br />

– möglich. Bei der Durchführung musste, ebenso wie bei der<br />

Zusammenarbeit mit den Heereskräen, vielfach improvisiert<br />

werden.<br />

Grundlegende Unsicherheiten traten hinzu. Der Einsatz deutscher<br />

Minenabwehreinheiten vor Kuwait, zwischen April und<br />

Juli 1991 außerhalb des NATO-Vertragsgebietes durchgeführt,<br />

fand unter ungeklärten verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen<br />

sta. Auch als die Bundeswehr von Mai 1992 bis November<br />

1993 ein Krankenhaus im kambodschanischen Phnom Penh<br />

auaute und betrieb (vgl. den Beitrag von Peter Hazdra), war<br />

sie in einen friedensbewahrenden und friedensschaffenden Einsatz<br />

eingebunden, ohne dass es im Bundestag und in der deutschen<br />

Gesellscha grundlegende Übereinstimmung über einen


Von der Escort Navy zur Expeditionary Navy<br />

Wandel der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik gegeben<br />

häe. Die Unterstützung der Vereinten Nationen in Somalia ab<br />

August 1992 schließlich, zunächst in Form von Transportleistungen<br />

und Hilfsgütern, ab Mai 1993 dann mit einem verstärkten<br />

Nachschub- und Transportbataillon, lief unter dem Siegel einer<br />

»humanitären Aktion«. Die Operation, die im Februar 1994 endete,<br />

verfehlte insgesamt ihr politisches Ziel, nämlich im von Bürgerkrieg<br />

und Hunger gepeinigten Somalia stabile Verhältnisse<br />

zu schaffen. Erst nach der Rückkehr des deutschen Heereskontingentes<br />

stellte das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil<br />

vom 12. Juli 1994 klar, dass die Bundeswehr sich an Maßnahmen<br />

kollektiver Friedenssicherung beteiligen könne, wenn das deutsche<br />

Parlament dem zustimme.<br />

In dieser Situation erhielt im Januar 1994 das Floenkommando<br />

vom Bundesministerium der Verteidigung den Aurag,<br />

Verbindung zum II. Korps in Ulm herzustellen und ab dem<br />

13. Februar das deutsche Somalia-Kontingent von Mogadischu<br />

aus über See nach Mombasa und nach Dschibuti zu evakuieren<br />

– in der Phase der notwendigen Transportumläufe jeweils eine<br />

einfache Strecke von 500 bzw. 1100 Seemeilen. Der zunächst sehr<br />

eng gefasste Aurag wurde im Verlauf der Operation ständig<br />

erweitert und deckte schließlich fast die gesamte Bandbreite maritimer<br />

Unterstützungsmöglichkeiten ab, unter anderem Aulärung,<br />

Überwachung und Sicherung. Eine besondere Herausforderung<br />

bedeuteten die enge Zusammenarbeit und reibungslose<br />

Abstimmung mit den Heereskräen in Somalia. Die für den<br />

Einsatzverband vorgesehenen Fregaen »Köln« und »Karlsruhe«<br />

(Aufnahmekapazität jeweils 100 bis 150 Mann), der Versorger<br />

»Nienburg« (200 bis 250 Mann) und der Tanker »Spessart«<br />

waren in unterschiedlichen Regionen gebunden. Ihre Anmarschstrecken<br />

von bis zu 6000 Seemeilen legten die Schiffe, aus dem<br />

Mielmeer sowie aus Wilhelmshaven und Kiel abkommandiert,<br />

einzeln zurück. Für den Transport des Großgerätes musste die<br />

Bundeswehr drei zivile Frachter chartern.<br />

Die Einschiffung des Kontingents in Mogadischu erfolgte an<br />

der Pier sowie durch Hubschrauber und angesichts einer möglichen<br />

Bedrohung aus der Altstadt unter verstärkten Schutzmaßnahmen<br />

der beteiligten Marineeinheiten. Den Hafenbereich<br />

selbst sicherten Heereskräe. Nach der Verladung des letzten<br />

99


picture-alliance/dpa/Carsten Rehder<br />

I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

Der Beginn der Bundeswehr-Einsatzausbildung: UNOSOM II<br />

Der Somalia-Einsatz UNOSOM II, der 1993/94 mit zwei Kontingenten<br />

von ca. 1700 bzw. 1400 Soldaten durchgeführt wurde, brachte eine<br />

Reihe neuer Aufgaben mit sich. Der deutsche Unterstützungsverband<br />

musste personell rasch zusammengestellt und die Verlegung einer<br />

bis dahin gänzlich unüblichen Menge an Personal und Material in<br />

einen Teil der Welt organisiert werden, der für die Masse der Bundeswehrsoldaten<br />

außerhalb jeder Vorstellungskra lag. Das deutsche<br />

Kontingent wurde in Belet Uen, 350 Kilometer nordwestlich von Mogadischu,<br />

stationiert. Es sollte dort eine indische Brigade unterstützen,<br />

die freilich nie eintraf. So konzentrierte sich seine Leistung auf die humanitäre<br />

Unterstützung der Bevölkerung.<br />

Ein wichtiger Meilenstein wurde bei der Ausbildung der Einsatzkontingente<br />

erreicht: Da eine der wesentlichen Herausforderungen<br />

der Umgang mit fremden Kulturen sein würde, durchliefen alle Kontingentsoldaten<br />

an der Infanterieschule Hammelburg eine Vorausbildung.<br />

Zu jener Zeit war das eine noch unübliche Maßnahme.<br />

Bei dieser Ausbildung galt es, die bis dahin üblichen Verfahrensweisen<br />

an die Verhältnisse im Einsatzland anzupassen: zum Beispiel<br />

bei Patrouillenfahrten, beim Betreiben von Checkpoints und was das<br />

Verhalten in einem stark verminten Land angeht. Neu war auch das<br />

Einüben deeskalierenden Verhaltens beim Umgang mit einer Menschenmenge.<br />

Die bisher für ein Gefecht hoher Intensität im konventionellen<br />

Krieg vorherrschenden Ausbildungsroutinen mussten nach<br />

dem Mo o »fair, fi rm, and friendly« auf die geringstmögliche und<br />

notwendige Gewaltausübung heruntergefahren werden. Erstmals<br />

zeichnete sich ein Aufgabenprofi l ab, das die Bundeswehr bis heute<br />

bei stabilisierenden Einsätzen vorfi ndet. (mr)<br />

100<br />

Ein deutscher<br />

UNOSOM-Soldat in<br />

Belet Uen, Juli 1993.


Die Fregatte »Köln«<br />

läuft im Februar 1994<br />

in den Hafen von<br />

Mogadischu ein, um<br />

Heeressoldaten für<br />

den Rücktransport<br />

nach Deutschland<br />

an Bord zu nehmen.<br />

Von der Escort Navy zur Expeditionary Navy<br />

picture-alliance/dpa/<br />

Tim Brakemeier<br />

Großgerätes blieben dort etwa 180 Heeressoldaten zurück, die<br />

nur noch mit Handfeuerwaffen ausgerüstet waren und darum so<br />

rasch wie möglich mit den Bordhubschraubern der beiden Fregaen<br />

auf die Schiffe verbracht wurden.<br />

Parallel zur Verladung des deutschen Anteils zogen auch andere<br />

Nationen ihre UN-Kontingente ab. In Mogadischu kam es<br />

während der Operation täglich zu bewaffneten Auseinandersetzungen<br />

und Schießereien zwischen den Bürgerkriegsparteien,<br />

aber auch zu Handgranatenwürfen gegen UNOSOM und dem<br />

Einschlag einer schweren Mörsergranate in unmielbarer Nähe<br />

der Pier. Der Befehlshaber des Marineverbandes sah sich mit<br />

einer unklaren Sicherheitslage konfrontiert. Austausch und Abgleich<br />

entsprechender Informationen gestalteten sich zwischen<br />

Heer und Marine schwierig. Lange Meldewege auf dem Umweg<br />

über Deutschland führten zu erheblichen Verzögerungen.<br />

Zwischen dem 18. und 23. März transportierten die »Köln«<br />

und die »Karlsruhe« die letzten Heeressoldaten nach Dschibuti.<br />

Die schnell und präzise ablaufende Operation stellte auch im Vergleich<br />

der internationalen, vor Somalia eingesetzten Marinen das<br />

hohe Ausbildungsniveau der Besatzungen und die Einsatzbereitscha<br />

der deutschen Einheiten unter Beweis. Trotz vorhandener<br />

Probleme bei Ausrüstung, Kommunikation und Koordination<br />

war der Einsatz vor Mogadischu aus Sicht der Marine insgesamt<br />

eine erfolgreiche Premiere. S C schrieb ein wichtiges<br />

Stück Marinegeschichte.<br />

101


picture-alliance/dpa/Ingo Wagner<br />

I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

Das Einsatzgruppenkonzept der Deutschen Marine<br />

Die Grundlage für die Neuausrichtung der Marine legten die »Verteidigungspolitischen<br />

Richtlinien« (VPR, Mai 2003) und die »Weisung<br />

zur Weiterentwicklung der Streitkräe« (WWS, März 2004).<br />

Mielpunkt einer neuen, einsatzorientierten Floenstruktur war<br />

schließlich die Bildung zweier Einsatzfloillen im Sommer 2006.<br />

Für Krisenoperationen stellt die Marine zwei Einsatzgruppen bereit.<br />

Jede Einsatzgruppe umfasst eine Anzahl von Schiffen und Booten,<br />

aus der je nach Anforderungsprofil entsprechende Task Forces zusammengestellt<br />

werden. Die Führung auf See übernimmt ein eigener<br />

Einsatzstab. Heimat von zwei Fregaengeschwadern als Rückgrat<br />

maritimer Einsatzgruppen ist der Typstützpunkt Wilhelmshaven.<br />

Jede der acht vorhandenen Fregaen der Bremen-Klasse und vier<br />

der Brandenburg-Klasse mit jeweils etwa 200 Mann Besatzung verfügt<br />

über zwei Bordhubschrauber, See- und Luzielflugköper, Torpedorohre<br />

und konventionelle Geschütze mit entsprechenden Überwachungs-,<br />

Feuerleit- und Fernmeldemieln. Zwischen November 2004 und April<br />

2006 wurden dann mit drei Fregaen der Sachsen-Klasse die bislang<br />

größten Kampfschiffe in Dienst gestellt. Bis September 2008 liefen<br />

zwei leistungsstarke Korveen (Brandenburg-Klasse) mit jeweils<br />

Einsatzgruppenversorger »Frankfurt am Main« im Juni 2006 beim Auslaufen ins<br />

Mittelmeer.<br />

102


Von der Escort Navy zur Expeditionary Navy<br />

58 Mann Besatzung zu, drei weitere folgen in den nächsten Jahren.<br />

Die Deutsche Marine verfügt außerdem über zehn ältere Flugkörper-<br />

Schnellboote der Gepard-Klasse, ein U-Boot-Geschwader u.a. mit vier<br />

hochmodernen Booten der Klasse 212, über Minenabwehreinheiten<br />

und eine größere Anzahl von Versorgern und Hilfsschiffen. Insbesondere<br />

für internationale Einsätze nachgefragt ist die fliegerische Komponente<br />

mit dem Seefernaulärer B A (bis 2005) und<br />

seinem Nachfolgemodell P-3C O, aber auch mit Spezialflugzeugen<br />

wie der D DO 228 für die Ölaulärung.<br />

Als wesentliche Verstärkung der maritimen Fähigkeiten wirkte<br />

die Indienststellung der Einsatzgruppenversorger »Berlin« und<br />

»Frankfurt am Main«. Beide können unter anderem 8000 Kubikmeter<br />

Krastoff, 900 Kubikmeter Wasser, 225 Tonnen Verpflegung und 195<br />

Tonnen Munition aufnehmen. Integraler Bestandteil der Einsatzgruppenversorger<br />

ist außerdem ein in Containern untergebrachtes Marineeinsatz-Reungszentrum<br />

(MERZ), ein schwimmendes Krankenhaus<br />

zur weltweiten Erstversorgung und Stabilisierung von bis zu 45 Patienten.<br />

Die »Berlin« kam beispielsweise 2005 nach der Tsunami-Katastrophe<br />

vor Banda Aceh zum Einsatz.<br />

Enduring Freedom am Horn von Afrika<br />

Die Anti-Terror-Operation E F (OEF) stand<br />

2001 von Beginn an unter amerikanischer Führung. Bis heute<br />

koordinieren das U.S. Central Command (USCENTCOM) in<br />

Tampa/Florida sowie das U.S. Naval Command Central Region<br />

(USNAVCENT) in Bahrein für die maritimen Anteile den<br />

Einsatz und verfügen für das Operationsgebiet über die entscheidenden<br />

nachrichtendienstlichen Informationsmiel. Für<br />

die Deutsche Marine bestand eine Besonderheit darin, dass das<br />

in Aufstellung begriffene Einsatzführungskommando der Bundeswehr<br />

im Januar 2002 erstmals Führungsverantwortung in<br />

einem »scharfen« Einsatz übernahm. Ein deutscher Floenverband<br />

wurde innerhalb von nur vier Wochen ausgerüstet und<br />

vorbereitet. Als er nach Abschluss der operativen Planungen<br />

bereits auf dem Weg zum Horn von Afrika war, fand der Un-<br />

103


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

terstellungswechsel vom Floenkommando zum Einsatzführungskommando<br />

sta.<br />

Anders als bei S C war der Einsatz am Horn von<br />

Afrika im Rahmen von OEF – bei dem der Schwerpunkt insgesamt<br />

freilich in Afghanistan lag – aus deutscher Sicht eine reine<br />

Marineoperation, auch wenn dem Kommandeur des Einsatzkontingentes<br />

immer wieder auch Kräe anderer Teilstreitkräe<br />

und Organisationsbereiche unterstellt waren. Erstmals kam das<br />

»Einsatzgruppenkonzept« der Floe, obwohl in Deutschland<br />

noch nicht strukturell umgesetzt, in vollem Umfang zum Tragen.<br />

Eine weitere Besonderheit war, dass dies nicht innerhalb<br />

der NATO-Strukturen geschah, sondern im Rahmen einer internationalen<br />

Koalition, die zunächst aus 16 Ländern (davon<br />

neun Nicht-NATO-Staaten) bestand. Der Floenverband erhielt<br />

den Aurag, im Rahmen der Task Force 150 eine weit gefasste<br />

Seeraum-Überwachungsoperation (Maritime Interdiction Operation,<br />

MIO) durchzuführen, um dabei gezielt gegen erkannte<br />

terroristische Verbindungen vorzugehen. Über die diesbezügliche<br />

Lage im Einsatzgebiet – insbesondere über die lokalen Seeverbindungswege<br />

zwischen der Arabischen Halbinsel und dem<br />

Horn von Afrika, aber auch, was mögliche Bedrohungen der<br />

Task Force selbst durch terroristische Angriffe anging – lagen<br />

dem deutschen Kommandeur zu Operationsbeginn nur unzureichende<br />

Informationen vor. Dies machte erhebliche Anstrengungen<br />

im Bereich der Aulärung (Intelligence – Surveillance<br />

– Reconnaissance, ISR) notwendig.<br />

Am 2. Januar 2002 liefen die Fregaen »Köln« und »Emden«<br />

sowie das Trossschiff »Freiburg«, der Tanker »Spessart« und die<br />

Tender »Donau« und »Main« von Wilhelmshaven aus in den<br />

Indischen Ozean aus, später verstärkt durch die Fregae »Bayern«<br />

(Flaggschiff), den Einsatzgruppenversorger »Berlin« und<br />

das Floendienstboot »Alster«. Der deutsche Beitrag für OEF<br />

umfasste auch Seefernaulärungsflugzeuge vom Typ B<br />

A, die zunächst von einer Basis im kenianischen Mombasa<br />

und später von Dschibuti aus bis März 2005 etwa 450 Einsatzflüge<br />

und mehr als 4000 Flugstunden absolvierten. S K-<br />

Hubschrauber gelangten per Lutransport an den Golf von<br />

Aden, fünf Schnellboote wurden auf Dockschiffen nachgeführt<br />

und stellten bis Mie Februar 2002 ihre Einsatzbereitscha her.<br />

104


Von der Escort Navy zur Expeditionary Navy<br />

Bereits Ende Januar entstand in Dschibuti eine Marinelogistikbasis<br />

im Einsatzgebiet (MLBE) als nationaler Abstützungspunkt.<br />

Die deutsche Einsatzgruppe übernahm als Teil einer internationalen<br />

Task Group Überwachungsaufgaben in einem Seegebiet<br />

zehnmal so groß wie die Bundesrepublik Deutschland, das rund<br />

6000 Seemeilen Küstenlinie umfasst. Es erstreckt sich von Mombasa<br />

aus über die Ostküsten Somalias, Dschibutis, Eritreas und<br />

des Sudans bis ins Rote Meer und reicht über den Golf von Aden<br />

und die Arabische Halbinsel bis in den Persischen Golf. Am<br />

5. Mai 2002 übernahm mit Admiral Gofried Hoch erstmals ein<br />

deutscher Offizier die Funktion des Commander Task Force 150<br />

(CTF). Er führte damit im Rahmen von OEF die gesamte Teiloperation<br />

am Horn von Afrika.<br />

Seit dem Frühjahr 2002 nahm der Floenverband eine Vielzahl<br />

von Aurägen wahr. Die Einheiten überwachten terroristische<br />

Verbindungswege. Boarding teams der Koalitionsschiffe<br />

durchsuchten und überprüen – mit Zustimmung der Kapitäne<br />

– verdächtige Fahrzeuge; in der Zwölf-Meilen-Zone vor der<br />

Küste der Anrainerstaaten duren sie allerdings nicht operieren.<br />

Die Task Force 150 stellte außerdem den Geleitschutz für militärische<br />

Transporte sicher. Wichtige Schifffahrtslinien zwischen<br />

Europa und dem Indischen Ozean verlaufen durch den Golf<br />

von Aden, dem damit eine ähnliche Bedeutung für Handel und<br />

Rohstoffversorgung wie dem Suezkanal zukommt. Durch die<br />

Meerenge Bab el-Mandeb lief 2003 auch ein Großteil der amerikanischen<br />

und britischen Logistik für den Angriff auf den Irak.<br />

Täglich durchfahren sie 55 Schiffe. In der Straße von Hormus, die<br />

den Eingang zum Persischen Golf freigibt, sind es 75 täglich (vgl.<br />

den Beitrag von L. Daniel Hosseus).<br />

Der erste Einsatzzyklus des deutschen Verbandes dauerte<br />

bis zum 16. Mai 2002. An diesem Tag verlegte die vor allem im<br />

Golf von Aden eingesetzte Schnellbootgruppe planmäßig auf eigenem<br />

Kiel zurück nach Deutschland. Etwa einen Monat später<br />

begann der von nun an ständig wiederholte Wechsel der im<br />

Indischen Ozean operierenden Fregaen. Der deutsche Bundestag<br />

verlängerte das Mandat für die Beteiligung an OEF jährlich.<br />

Das Kontingent wurde wiederholt reduziert, im September 2009<br />

stellte Deutschland noch einen Seefernaulärer vom Typ P-3C<br />

O und insgesamt knapp 100 Soldaten.<br />

105


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

106<br />

Wohin steuert die Deutsche Marine?<br />

Im September 2006 titelte die »Frankfurter Allgemeine Zeitung«,<br />

die deutschen Soldaten, die im Rahmen der OEF Dienst leisteten,<br />

seien »Vergessen am Horn von Afrika«. Aufmerksamkeit fand<br />

die deutsche Beteiligung an der Anti-Terror-Operation E-<br />

F vor allem im Zusammenhang mit dem Drien<br />

Golrieg 2003, als der Vorwurf laut wurde, die Bundeswehr unterstütze<br />

im Golf von Aden direkt den amerikanisch-britischen<br />

Aufmarsch gegen den Irak. Seither nimmt die Öffentlichkeit die<br />

Operation eher als Routinedienst mit mäßiger Bilanz wahr: Niemand<br />

wisse – ebenso wenig wie vor der Küste des Libanon –,<br />

ob der Einsatz tatsächlich Waffenschmuggel und internationalen<br />

Terrorismus behindere. In Kilogramm messbare Erfolge der Task<br />

Force 150 scheinen eine solche Wahrnehmung zu unterstützen.<br />

Waffenfunde am Horn von Afrika beschränkten sich bislang auf<br />

kleine Mengen.<br />

Eine solche Argumentation verliert jedoch einerseits rasch<br />

den Ursprung des deutschen Engagements aus dem Blick, und<br />

sie darf andererseits nicht ausschließlich den Kampf gegen<br />

den Terrorismus in die Betrachtung einbeziehen. Der deutsche<br />

maritime Beitrag an der OEF war erstens zunächst ein Akt der<br />

Bündnissolidarität mit den Vereinigten Staaten nach den Terroranschlägen<br />

vom September 2001. Die deutsche Beteiligung ist im<br />

Gesamtzusammenhang eines Krieges zu sehen, der in Afghanistan,<br />

im Indischen Ozean und in seinen Randmeeren sowie einigen<br />

angrenzenden Küstenländern geführt wird. Deutschland<br />

übernahm hier vor allem in der Anfangsphase von OEF erhebliche<br />

Verantwortung auf See.<br />

Bereits nach wenigen Wochen des Einsatzes machte sich<br />

zweitens – freilich schwer in Zahlen bilanzierbar – vermehrt<br />

Sicherheit in der Region bemerkbar. Die Anrainerstaaten des<br />

durch Piraterie geplagten Seeraumes nahmen die internationalen<br />

Schiffe als Ansprechpartner wahr, die in Seenotfällen oder<br />

gegen Piraten zu Hilfe gerufen wurden. Deutsche Einheiten leisteten<br />

Unterstützung bei der humanitären Versorgung von »boat<br />

people« oder im April 2004 nach einer Hochwasserkatastrophe<br />

in Dschibuti. Gemeinsame Übungen mit der jemenitischen Küstenwache<br />

dienen letztlich dem Ziel, immer mehr Aufgaben im


Von der Escort Navy zur Expeditionary Navy<br />

Bereich Sicherheit an die Anrainerstaaten abzugeben. Insgesamt<br />

wirkte sich die internationale Präsenz stabilisierend aus, wenn<br />

auch, wie der Einmarsch äthiopischer Truppen in Mogadischu<br />

und die Vertreibung der islamistischen Milizen zu Weihnachten<br />

2006 zeigten, der Anti-Terror-Kampf bislang nicht für dauerhae<br />

Stabilität gesorgt hat.<br />

Die beeindruckende Leistungsbilanz der Deutschen Marine<br />

und die schwierigen politischen und wirtschalichen Rahmenbedingungen<br />

am Horn von Afrika geben allerdings durchaus<br />

Anlass darüber nachzudenken, welchen Weg die Entwicklung<br />

deutscher Seestreitkräe insgesamt nehmen wird. Diese befinden<br />

sich spätestens seit S C 1994 in Somalia zumindest<br />

auf halber Fahrt in Richtung einer weltweit ausgerichteten<br />

Expeditionary Navy. Die Frage schließlich, ob der Einsatz der<br />

Marine durch die Politik sinnvoll ist, muss letztere von Fall zu<br />

Fall und ständig neu entscheiden: Die Beispiele Somalia und<br />

Afghanistan machen überdeutlich, dass weder der »war against<br />

terrorism« noch die Friedensbemühungen der Vereinten Nationen<br />

jeweils mit militärischen Mieln allein Erfolge versprechen.<br />

Gleichzeitig macht OEF aber auch die Vorteile zuküniger<br />

Einsätze zur See klar. Vorabstationierungen (pre-deployment)<br />

von Seekriegsmieln können im Vorfeld von Krisen deeskalierend<br />

wirken und als Instrument möglicher politischer Willensdurchsetzung<br />

genutzt werden. Vielleicht liegt ein Schlüssel zum<br />

Erfolg mit Blick auf deutsches maritimes Engagement vor allem<br />

darin, sich bewusst zu werden, dass Schiffe dahin fahren, wo Gefahren<br />

sein werden, sta dorthin zu fahren, wo Gefahren waren.<br />

Dies erfordert die Nutzung der Gesamtheit zur Verfügung stehender<br />

Aulärungsmiel und die Vorlage stichhaltiger Analysen,<br />

die der Politik helfen, frühzeitige Positionsbestimmungen<br />

vorzunehmen und proaktive Entscheidungen herbeizuführen.<br />

Bernhard Chiari<br />

107


Mit der von Juli bis Dezember 2006 dauernden Mission EUFOR RD<br />

Congo absolvierte die Europäische Union (EU) nach der Operation<br />

ARTEMIS (2003) bereits ihren zweiten militärischen Einsatz im Land. Die<br />

EUFOR sollte vor allem in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa zu<br />

einem sicheren Umfeld für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen<br />

beitragen. Das Foto zeigt Anhänger des Kandidaten Joseph Kabila,<br />

nachdem der Oberste Gerichtshof am 27. November 2006 das Ergebnis<br />

der Präsidentenwahl bestätigt und Kabila zum Sieger erklärt hatte.<br />

Rund 2400 Soldaten aus 21 EU-Ländern, der Türkei und zeitweise der<br />

Schweiz dienten im Rahmen der EUFOR. Deutschland war mit durchschnittlich<br />

750 Männern und Frauen nach Frankreich der zweitgrößte<br />

Truppensteller.<br />

Die Mitgliedstaaten der EU versuchen seit 1993, ihre Außen- und<br />

Sicherheitspolitik zu koordinieren. Hierzu wurde 2003 ein Konzept<br />

vorgestellt, das auf den Erfahrungen und Modellen der Vorgängerorganisationen<br />

basiert. 2005 beschloss die Union zudem eine eigene<br />

Afrika-Strategie, die den »Schwarzen Kontinent« und seine vielfältigen<br />

Probleme in das Blickfeld Europas rückt.<br />

picture-alliance/dpa


Die Beteiligung der Bundeswehr an<br />

der Operation EUFOR RD Congo<br />

In der Demokratischen Republik Kongo tobten 1996/97 und von<br />

1998 bis 2002 zwei Bürgerkriege, denen – kaum beachtet von<br />

der Weltöffentlichkeit – Millionen von Menschen zum Opfer fielen.<br />

Im November 1999 reagierten die Vereinten Nationen auf<br />

die verheerende Lage mit der Entsendung der bis dahin größten<br />

Friedensmission MONUC (Mission de l’Organisation des<br />

Nations Unies en République Démocratique du Congo). Diese<br />

operierte in einem Land, das sechsmal so groß wie die Bundesrepublik<br />

Deutschland ist und mit rund 53 Millionen Einwohnern<br />

(2003) zu den bevölkerungsreichsten Staaten Afrikas zählt.<br />

Schon einmal, nach Erlangung der Unabhängigkeit von Belgien<br />

1960, waren für vier Jahre UNO-Truppen im Kongo eingesetzt<br />

gewesen.<br />

Das Pretoria-Abkommen vom 17. Dezember 2002, in dem<br />

Grundzüge einer Friedensregelung festgelegt wurden, und der<br />

Abschluss eines Friedensabkommens in Sun City (Südafrika) am<br />

2. April 2003 beendeten offiziell die bewaffneten Auseinandersetzungen:<br />

Die wichtigsten Konfliktparteien verständigten sich<br />

unter internationaler Vermilung auf eine Phase des politischen<br />

Übergangs, gekennzeichnet durch eine Interimsverfassung und<br />

die Einsetzung einer vorläufigen Regierung. Mit der Annahme<br />

einer neuen Verfassung auf dem Wege eines Referendums sowie<br />

der Neubesetzung wichtiger Positionen in den Behörden sollte<br />

der Prozess der Neuordnung im Kongo seinen Abschluss finden.<br />

Das Erbe zweier Bürgerkriege bestand in einem schwachen<br />

Staat mit kaum funktionierenden Rechtsstrukturen, Korruption,<br />

Misswirtscha, einer desolaten Infrastruktur und ethnischen<br />

Konflikten. Wirtschaliche Verteilungskämpfe zwischen Milizen,<br />

Machthabern der Provinzen und anderen kongolesischen<br />

wie ausländischen Akteuren ließen das zentralafrikanische Land<br />

auch nach dem Friedensabkommen nicht zur Ruhe kommen und<br />

verzögerten immer wieder den Friedensprozess. Insbesondere in<br />

den rohstoffreichen Ostprovinzen des Kongo flackerten nach Unterzeichnung<br />

des Friedensschlusses immer wieder Kämpfe auf.<br />

109


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

Dennoch kam es zu Fortschrien: Am 18. Dezember 2005 billigte<br />

eine deutliche Mehrheit der kongolesischen Bevölkerung<br />

eine neue Verfassung, auf deren Grundlage die Wahlgesetzgebung<br />

für die im April 2006 geplanten Parlaments- und Präsidentschaswahlen<br />

verabschiedet wurde. Zu diesem Zeitpunkt<br />

leisteten mehr als 18 000 UNO-Blauhelme der MONUC – mehrheitlich<br />

eingesetzt in den östlichen Unruheprovinzen, ca. 1500<br />

zum Schutz von UNO-Einrichtungen in Kinshasa – ihren Dienst<br />

im Kongo. Im Zuge der Wahlvorbereitung mussten sie verstärkt<br />

Präsenz zeigen und die kongolesischen Behörden logistisch unterstützen,<br />

um den Wahlprozess abzusichern. MONUC rechnete<br />

insbesondere für die Zeit nach Bekanntgabe des Ergebnisses mit<br />

Ausschreitungen zwischen den Anhängern der 33 Präsidentschaskandidaten.<br />

Vor allem die schwer bewaffneten Gefolgschaen<br />

der beiden Favoriten – des amtierenden Übergangspräsidenten<br />

Joseph Kabila und des Übergangsvizepräsidenten<br />

Jean-Pierre Bemba – stellten einen erheblichen Unsicherheitsfaktor<br />

dar.<br />

Vor diesem Hintergrund ersuchte UNO-Generalsekretär<br />

Kofi Annan um eine zeitweilige Aufstockung der MONUC-<br />

Truppen, fand im UN-Sicherheitsrat jedoch keine Mehrheit. Am<br />

27. Dezember 2005 wandte sich daher der Direktor der UN-Abteilung<br />

für Friedensoperationen, Jean-Marie Guéhenno, an die<br />

Ratspräsidentscha der EU und bat die Europäer um Bereitstellung<br />

militärischer Kräe. Mit EUSEC RD Congo (Beratungs-<br />

und Unterstützungsmission zur Förderung der Reform des Sicherheitssektors)<br />

und EUPOL Kinshasa (Unterstützungsmission<br />

im Rahmen der Ausbildung der kongolesischen Polizei) war<br />

die Union zu dieser Zeit bereits mit zwei Missionen im Kongo<br />

aktiv. Schließlich war die EU zwischen Juni und September 2003<br />

MONUC bereits einmal im Osten des Kongos militärisch zu<br />

Hilfe gekommen, und dies unter logistischer deutscher Beteiligung<br />

(Operation A).<br />

Die Anfrage nach zusätzlichen militärischen Mieln hae<br />

auch aufgrund der sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen<br />

gute Aussichten auf Erfolg: Am 12. Dezember 2005 hae der Europäische<br />

Rat beschlossen, den demokratischen Transformationsprozess<br />

im Kongo zu unterstützen. Außerdem verabschiedete die<br />

EU im gleichen Monat eine Afrika-Strategie, die den Einsatz mili-<br />

110


Die Beteiligung der Bundeswehr an EUFOR RD Congo<br />

tärischer und zivilmilitärischer Instrumente mit dem Ziel vorsah,<br />

Stabilität und Sicherheit in der Region Subsahara-Afrika herzustellen.<br />

Bei ihrer Sicherheitsstrategie hae die EU darüber hinaus<br />

schon 2003 grundsätzlich die maßgebliche Rolle der UNO für die<br />

internationale Sicherheit anerkannt und sich dazu verpflichtet,<br />

deren diesbezügliche Bemühungen zu unterstützen.<br />

Politischer Entscheidungsprozess<br />

und militärische Vorbereitungen<br />

Im Januar 2006 befasste sich das Politische und Sicherheitspolitische<br />

Komitee der EU (PSK) mit der Anfrage der Vereinten Nationen.<br />

Ende Januar 2006 – unmielbar nach dem deutsch-französischen<br />

Gipfel in Versailles – war verschiedenen Pressemeldungen<br />

zu entnehmen, dass die EU eine Sondierungsmission in den<br />

Kongo entsenden wolle. Tatsächlich liefen zu diesem Zeitpunkt<br />

erste militärische Erkundungen an, welche die Grundlage für<br />

ein »Option Paper« am 9. Februar bildeten. Mie März sprachen<br />

sich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische<br />

Staatspräsident Jacques Chirac öffentlich für einen Einsatz<br />

der EU im Kongo aus.<br />

Deutschland erklärte sich nach anfänglicher Skepsis schließlich<br />

sogar bereit, die Führungsverantwortung zu übernehmen,<br />

und stellte das damalige, durch einen deutschen Kernstab betriebene<br />

EU Operation Headquarters (OHQ) beim Einsatzführungskommando<br />

der Bundeswehr in Potsdam für die strategische<br />

Führung der Mission bereit. Andere EU-Staaten verfügten<br />

zwar ebenfalls über entsprechende Infrastruktur, schieden aber<br />

als Führungsnation aus: Großbritannien verwies auf sein hohes<br />

militärisches Engagement im Irak und in Afghanistan, Frankreich<br />

wollte – nachdem es 2003 die Operation A nahezu<br />

ausschließlich mit nationalen Kräen durchgeführt hae – nicht<br />

erneut Führungsverantwortung im Kongo übernehmen, schon<br />

um erst gar keine Zweifel an der Neutralität von EUFOR aufkommen<br />

zu lassen. Belgien machte geltend, dass es seit 1994<br />

generell keine Kampfverbände mehr in ehemalige Kolonien<br />

schicke.<br />

111


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

Juba<br />

REPUBLIK<br />

112<br />

SUDAN<br />

Gbadolite<br />

Port NIGERIA Calabar<br />

ZENTRALAFRIKAN.<br />

Harcourt<br />

BANGUI<br />

Brass Bonny Duala JAUNDE<br />

MALABO<br />

KAMERUN<br />

Isiro<br />

Buta<br />

Gemene<br />

Orientale<br />

Kongo<br />

Kribi<br />

UGANDA<br />

Bunia<br />

D E M O K R A T I S C H E<br />

Equateur Kisangani (Ituri)<br />

ÄQUATORIAL-<br />

Bata<br />

GUINEA<br />

SÃO TOMÉ UND<br />

Santo<br />

Antonio<br />

PRINCIPE<br />

KAMPALA<br />

Mbandaka<br />

LIBREVILLE<br />

Nord-<br />

Victoria-<br />

Kivu<br />

Goma KIGALI See<br />

Bukavu RUANDA<br />

R E P U B L I K<br />

Kindu Süd- BURUNDI<br />

Kasai- Kivu BUJUMBURA<br />

Oriental<br />

Maniema<br />

TANSANIA<br />

0°<br />

REPUBLIK<br />

KONGO<br />

Äquator<br />

GABUN<br />

Port Gentil<br />

Ozort<br />

Bandundu<br />

BRAZZAVILLE Ville de<br />

Kinshasa<br />

KINSHASA<br />

Boma Bas-Congo<br />

Matadi<br />

Bandundu<br />

A T L A N T I S C H E R<br />

Mayumba<br />

Occidental<br />

Kasai-<br />

Pointe Noire<br />

O Z E A N<br />

Tanganjika-<br />

See<br />

Kalemie<br />

Mbuji-Mayi<br />

Kananga<br />

Cabinda (zu Angola)<br />

Muanda<br />

Banana<br />

K O N G O<br />

Katanga<br />

Vervielfältigung mit Genehmigung des<br />

Geoinformationsdienstes der Bundeswehr<br />

(DGID) – Lizenz B-10A001<br />

Moero-<br />

See<br />

Kamina<br />

LUANDA<br />

Dilolo<br />

ANGOLA<br />

MALAWI<br />

Kolwezi<br />

Port Amboim<br />

Lubumbashi<br />

Sumbe<br />

SAMBIA<br />

0 250 500 km MGFA<br />

Luanshya<br />

Lobito<br />

05255-07<br />

Staatsgrenze<br />

Provinzgrenze<br />

Hauptstadt<br />

Verwaltungssitz der Provinz<br />

sonstiger Ort<br />

Hochseehafen<br />

Flughafen/-platz mit<br />

befestigter Startbahn


Die Beteiligung der Bundeswehr an EUFOR RD Congo<br />

Die Bundesregierung stellte fünf Bedingungen für ihr Engagement.<br />

Erstens musste die Regierung der Demokratischen<br />

Republik Kongo die Mission genehmigen und der UN-Sicherheitsrat<br />

sie zweitens mit einem robusten Mandat ausstaen. Um<br />

der Mission ein gesamteuropäisches Profil zu verleihen, forderte<br />

Deutschland driens die substanzielle Beteiligung weiterer EU-<br />

Mitgliedstaaten. EUFOR sollte viertens räumlich auf Kinshasa<br />

konzentriert (dies legte zwar nicht die UN-Resolution, aber das<br />

spätere Bundestagsmandat für die Bundeswehrkräe fest) und<br />

schließlich fünens auf vier Monate befristet werden.<br />

Neben dem OHQ in Potsdam sah die EU ein französisch geführtes<br />

Feldhauptquartier (Force Headquarters, FHQ) für die<br />

operative Führung der Mission vor. Ein Teil der EUFOR-Kräe<br />

sollte in Libreville, der Hauptstadt Gabuns, stationiert und erst<br />

im Krisenfall im Lutransport in den Kongo verlegt werden.<br />

Bereits im Vorfeld des Einsatzes zeichnete sich das deutsche Interesse<br />

ab: Der Einsatz von EUFOR dure die erst im Auau<br />

befindlichen gesamteuropäischen Kapazitäten nicht überstrapazieren,<br />

er sollte die Handlungsfähigkeit der EU unter Beweis<br />

stellen sowie mit der zeitlichen und räumlichen Begrenzung auf<br />

Kinshasa bzw. Gabun mögliche Risiken von vornherein gering<br />

halten.<br />

Angesichts des näherrückenden Wahltermins drängte die<br />

Zeit für die notwendigen politischen Entscheidungen und militärischen<br />

Vorbereitungen: Am 23. März 2006 stimmte der Europäische<br />

Rat der Entsendung einer militärischen Eingreiruppe<br />

zur Unterstützung der MONUC zu und teilte dies dem UN-Generalsekretär<br />

am 28. März 2006 offiziell mit. Der UN-Sicherheitsrat<br />

forderte darauin mit Resolution 1671 (2006) vom 25. April<br />

2006 europäische Kräe an und erteilte diesen ein entsprechendes<br />

Mandat. Zwei Tage später verabschiedete der Rat der EU die<br />

gemeinsame Aktion 2006/319/CFSP, welche die Entsendung der<br />

Militärmission vorsah, und bestimmte Generalleutnant Karl-<br />

Heinz Viereck zum »Operation Commander« – eine Position,<br />

für die Viereck bereits Ende März verbindlich nominiert worden<br />

war. Am 12. April war nach der Entsendung von Verstärkungspersonal<br />

aus zahlreichen Staaten und dem »Hochfahren« des<br />

Potsdamer OHQ das multinationale Hauptquartier einsatzbereit.<br />

Der bis Mie Mai in einem mühsamen multilateralen Abstim-<br />

113


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

mungsprozess erarbeitete Operationsplan bildete die Grundlage<br />

für den folgenden, von der Union erstmals in ihrer Geschichte<br />

autonom geführten Einsatz: Bislang hae die EU entweder auf<br />

entsprechende Fähigkeiten der NATO zurückgegriffen (beispielsweise<br />

A in Bosnien-Herzegowina) oder die Führung<br />

von Operationen übernommen, die in nationaler Verantwortung<br />

vorbereitet worden waren (A).<br />

Der Prozess der Truppenstellung gestaltete sich schwierig:<br />

Zwar waren sich die EU-Mitgliedstaaten im Grundsatz darüber<br />

einig, dass die EU einen Beitrag im Kongo zu leisten habe,<br />

bei der konkreten Bereitstellung eigener Kräe übten sie jedoch<br />

Zurückhaltung. Der Einsatz von Gefechtsverbänden der EU zur<br />

schnellen Krisenreaktion kam nicht infrage, da diese noch nicht<br />

ihre volle Einsatzbereitscha erreicht haen. Erst nach mehreren<br />

Wochen und zahlreichen informellen Konsultationen gelang<br />

die Kräegenerierung. 21 EU-Staaten, die Türkei und zeitweise<br />

die Schweiz beteiligten sich. Das etwa 2200 Soldatinnen und<br />

Soldaten zählende EUFOR-Kontingent setzte sich aus jeweils ca.<br />

einem Driel Franzosen und Deutschen sowie kleineren Anteilen<br />

aus der übrigen EU und der Türkei zusammen.<br />

Am 24. Mai 2006 beschloss das Bundeskabine den Einsatz,<br />

am 1. Juni stimmte der Bundestag mit großer Mehrheit zu. Der<br />

Aurag für EUFOR lautete im Kern, mögliche Störer des Wahlprozesses<br />

abzuschrecken und zur Schaffung eines sicheren<br />

Umfeldes in der Hauptstadt Kinshasa beizutragen. Gemäß UN-<br />

Resolution 1671 hae EUFOR ausschließlich auf Anfrage der<br />

Vereinten Nationen und auch dann nur in drier Reihe – hinter<br />

den kongolesischen Sicherheitskräen und MONUC – in Erscheinung<br />

zu treten. Neben der Unterstützung der UNO-Mission<br />

stellte sich EUFOR darauf ein, Zivilpersonen zu schützen, den<br />

Flughafen von Kinshasa zu sichern und in begrenztem Umfang<br />

Personen zu evakuieren. Medizinische Versorgung im Raum<br />

Kinshasa, Aulärung, Lutransport, Führungsunterstützung<br />

und Logistik rundeten das Aufgabenspektrum ab. Die Bevölkerung<br />

wurde von EUFOR miels einer gezielten Medienstrategie<br />

über Ziel und Zweck der Mission informiert.<br />

114


picture-alliance/dpa/Ulrike Koltermann<br />

Die Beteiligung der Bundeswehr an EUFOR RD Congo<br />

Der Verlauf des Einsatzes<br />

Die europäischen Kräe verlegten von Anfang Juni bis Ende<br />

Juli 2006 in die Demokratische Republik Kongo und Gabun.<br />

Am 29. Juli 2006 – nur einen Tag vor den Parlaments- und Präsidentschaswahlen<br />

– meldete EUFOR die volle Einsatzfähigkeit.<br />

780 deutsche Soldatinnen und Soldaten leisteten in Afrika einen<br />

Beitrag zur Absicherung des Wahlprozesses: 370 waren in Kinshasa<br />

stationiert, die übrigen 410 standen auf einem Stützpunkt<br />

in Gabun bereit, wo im Rahmen einer aus deutschen und niederländischen<br />

Lulandeeinheiten gebildeten Task Group eine<br />

schnelle Eingreifreserve gebildet worden war. Am 30. Juli 2006<br />

fanden nach 46 Jahren landesweit die ersten freien Wahlen sta.<br />

Bei einer Beteiligung von bis zu 85 Prozent in den Städten gaben<br />

die Einwohner ihre Stimme ab, ohne dass es zu nennenswerten<br />

Zwischenfällen kam. Bei der Abstimmung zur Nationalversammlung<br />

gewann das Kabila-Lager.<br />

Nach dem ersten Wahlgang zu den Präsidentschaswahlen,<br />

der keine Entscheidung brachte – die beiden Spitzenkandidaten<br />

Joseph Kabila und Jean-Pierre Bemba lagen Kopf an Kopf –,<br />

musste EUFOR militärisch eingreifen. Nun trat genau das Szenario<br />

ein, das die Entsendung politisch und militärisch motiviert<br />

Ein Verkäufer in Kinshasa hält<br />

ein Bild hoch, das dem Comic<br />

»Tim und Struppi im Kongo«<br />

nachempfunden ist und ein<br />

europäisches Militärfahrzeug<br />

zeigt.<br />

115


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

hae: Zwischen dem 20. und 22. August kam es in Kinshasa zu<br />

Schießereien zwischen Anhängern Kabilas und Bembas. Zwei<br />

Kompanien der MONUC und eine spanische EUFOR-Kompanie<br />

stellten sich zwischen beide Gruppen und schützten Bembas<br />

Wohnsitz vor Übergriffen. Das militärische Eingreifen ermöglichte<br />

es, einige Angehörige des Internationalen Komitees zur<br />

Begleitung des Transformationsprozesses, die sich zum Zeitpunkt<br />

der Auseinandersetzung in Bembas Residenz auielten,<br />

sicher aus der Gefahrenzone zu bringen. Im Zuge der Ereignisse<br />

verlegte EUFOR mehr als 200 Soldaten zur Erhöhung der militärischen<br />

Präsenz aus Gabun nach Kinshasa.<br />

Dieser Einsatz, der Jean-Pierre Bemba vermutlich das Leben<br />

reete, wirkte sich in zweierlei Hinsicht positiv aus: Er verschaffte<br />

der EU-Friedenstruppe zum einen Respekt und erhöhte zum<br />

anderen ihre Glaubwürdigkeit. EUFOR galt nunmehr in den<br />

Augen der meisten Kongolesen als neutral. Der zuvor weitverbreiteten<br />

Meinung, EUFOR unterstütze Kabila, wurde nach den<br />

August-Unruhen die Grundlage entzogen. Am 18. September<br />

spitzte sich die Lage von Neuem zu, als eine Bemba gehörende<br />

Fernsehstation in Flammen aufging. Auch hier wirkte EUFOR<br />

deeskalierend.<br />

Da beim ersten Anlauf der Präsidentenwahlen keiner der<br />

Kandidaten die absolute Mehrheit erreicht hae, mussten sich<br />

die beiden Erstplatzierten einer Stichwahl stellen. Organisatorische<br />

Verzögerungen führten dazu, dass der ursprüngliche<br />

Zeitplan nicht eingehalten werden konnte und die zweite Abstimmung<br />

erst am 29. Oktober stafand. Aus diesem ruhig verlaufenen<br />

Urnengang ging Kabila mit 58,05 Prozent der gültigen<br />

Stimmen als Sieger hervor. Das vorläufige Ergebnis wurde am<br />

15. November bekannt gegeben. Am 18. November erhob Bemba<br />

beim Obersten Gerichtshof dagegen Einspruch. Drei Tage später<br />

kam es zu gewalätigen Demonstrationen seiner Anhänger, die<br />

von MONUC-Kräen beendet werden konnten. Der Einspruch<br />

Bembas wurde am 27. November – nur drei Tage vor dem Abzug<br />

der EUFOR am 30. November – abgewiesen, ohne dass das Urteil<br />

erneute Unruhen auslöste. Als sich Joseph Kabila am 6. Dezember<br />

feierlich in das Amt des Staatspräsidenten einführen<br />

ließ, war die Rückverlegung der EUFOR-Angehörigen aus dem<br />

Kongo bereits in vollem Gange.<br />

116


Die Beteiligung der Bundeswehr an EUFOR RD Congo<br />

Laurent-Désiré Kabila und Joseph Kabila<br />

Kabila, am 27. November 1939 in Moba<br />

am Tanganjikasee (Provinz Süd-Katanga)<br />

geboren, gehörte in den 1950er-Jahren<br />

der Jugendorganisation der Partei<br />

Balubakat an, die für die Interessen<br />

des Volkes der Baluba (Luba) in Katanga<br />

eintrat und Patrice Lumumba<br />

nahestand. Nach der Unabhängigkeit<br />

des Landes war Kabila an mehreren<br />

Aufständen im Ostkongo beteiligt und<br />

führte in den 1960er-Jahren die Süd-<br />

Kivu- und Nordost-Katanga-Front. Die<br />

1967 von Kabila gegründete Parti de<br />

la Révolution Populaire (PRP) hae in<br />

diesem Gebiet ihren Schwerpunkt und<br />

bekämpe vom Osten aus die Regierung<br />

in Kinshasa. Nach militärischen<br />

Rückschlägen verließ Kabila das Land. Er setzte sich 1996 an die Spitze<br />

der neu gegründeten Alliance des Forces Démocratiques pour la<br />

Libération du Congo (AFDL). Nach mehrmonatigen Kämpfen setzte<br />

die AFDL im Mai 1997 dem Regime Joseph-Désiré Mobutus ein Ende.<br />

Kabila erklärte sich zum Präsidenten und übernahm die Macht. Er<br />

wurde am 16. Januar 2001 in Kinshasa ermordet.<br />

Im Präsidentenamt folgte auf Laurent-Désiré Kabila am 26. Januar<br />

2001 sein Sohn Joseph, geboren am 4. Juni 1971. Joseph Kabila kämpe<br />

gemeinsam mit seinem Vater in dessen Rebellenarmee. Seine militärische<br />

Ausbildung hae er in Uganda und Ruanda erhalten. Vor<br />

der Ermordung seines Vaters diente er – mit 30 Jahren bereits Generalmajor<br />

– in den kongolesischen Streitkräen und war an zahlreichen<br />

Operationen gegen die Guerillas im Osten des Landes beteiligt. Joseph<br />

Kabila erreichte im Dezember 2002 ein Friedensabkommen zwischen<br />

der Regierung und den Rebellen. Im März 2004 überstand er einen<br />

versuchten Staatsstreich durch Anhänger seines Amtsvorgängers Mobutu.<br />

Eine Allparteienregierung unter Kabilas Leitung veranlasste die<br />

freien Wahlen im Sommer 2006, aus denen Kabila als Sieger hervorging.<br />

(bc)<br />

117<br />

picture-alliance/dpa/Desirey Minkoh


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

118<br />

Nach der Mission<br />

In der deutschen Öffentlichkeit war vor, während und nach<br />

dem Kongoeinsatz der Bundeswehr die Meinung weitverbreitet,<br />

Deutschland sei wider Willen in das EUFOR-Abenteuer<br />

hineingezogen worden. Es habe – im Gegensatz zu anderen<br />

Truppenstellern – im Kongo keine eigenen politischen oder ökonomischen<br />

Ziele verfolgt. Der Bundesregierung gelang es nicht,<br />

dieses Bild glaubha zu korrigieren und die übergeordneten<br />

sicherheitspolitischen Hintergründe, die sehr wohl im Interesse<br />

der deutschen Außenpolitik lagen, zu vermieln. Zwar mag<br />

Subsahara-Afrika im Allgemeinen und der Kongo im Besonderen<br />

2006 nicht im Mielpunkt des deutschen außen- und sicherheitspolitischen<br />

Interesses gestanden haben. Als Gründungsstaat<br />

und jahrzehntelanger Motor der EU und ihrer Vorgängerinstitutionen<br />

hae sich Deutschland jedoch seit jeher für den Auau<br />

einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der<br />

EU eingesetzt. Die Union und Deutschland konnten sich der<br />

Bie der Vereinten Nationen kaum verweigern, ohne dass das<br />

Ansehen Europas und damit der Prozess der europäischen Integration<br />

Schaden genommen häen. Vor diesem Hintergrund<br />

bestand ein bestimmendes Motiv für die Teilnahme und schließlich<br />

die Übernahme der militärischen Führungsverantwortung<br />

Deutschlands auch in der institutionellen Erprobung von Instrumenten<br />

der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik,<br />

dem Kern der GASP.<br />

Der Einsatz trug diesem Konzept militärisch Rechnung: Die<br />

Mission war bewusst räumlich und zeitlich begrenzt worden,<br />

um das Risiko von Fehlschlägen zu minimieren. Die strikte Einhaltung<br />

der zeitlichen Begrenzung sowie die räumliche Konzentration<br />

der Bundeswehrkräe auf Kinshasa und Gabun erwiesen<br />

sich aus dieser Perspektive heraus als richtig. EUFOR hae während<br />

der Mission keine Opfer zu beklagen. Größere Spannungen<br />

zwischen den Konfliktparteien in der Hauptstadt konnten<br />

präventiv durch Abschreckung und durch das Eingreifen während<br />

der »August-Unruhen« vor Bembas Residenz vermieden<br />

werden. Mit EUFOR stellte die Union unter Beweis, dass sie als<br />

globaler Sicherheitsakteur grundsätzlich handlungsfähig ist. Ihr<br />

Konzept barg allerdings auch Risiken: Die peinliche Einhaltung


Die Beteiligung der Bundeswehr an EUFOR RD Congo<br />

des Abzugsplans, obwohl der tatsächliche Ablauf der Wahlen<br />

den ursprünglichen Terminen weit hinterherhinkte, sowie die<br />

Vorbereitungen für die Rückverlegung just zu dem Zeitpunkt,<br />

als die Ergebnisse der Stichwahl bekannt gegeben und der neue<br />

Präsident in sein Amt eingeführt wurden, standen sogar im Widerspruch<br />

zum Ziel der Mission, die ja gerade nach Bekanntgabe<br />

der Wahlergebnisse MONUC verstärken sollte. Die diesbezügliche<br />

Linie der Union war innenpolitischen Rücksichtnahmen,<br />

u.a. mit Blick auf Deutschland, aber nicht der Situation vor Ort<br />

geschuldet. Häen die Konfliktparteien in Kinshasa und in anderen<br />

Teilen des Kongo auf das Ergebnis der Stichwahl mit Waffengewalt<br />

geantwortet, häe EUFOR – wie kritische Beobachter<br />

anmerkten – nicht reagieren können und das Land verlassen<br />

müssen. Der Ernstfall blieb EUFOR glücklicherweise erspart.<br />

Auch wenn die bestimmenden Motive für den Einsatz von<br />

EUFOR im übergeordneten sicherheitspolitischen Bereich zu suchen<br />

sein düren, sollte die wesentliche Leistung der Operation,<br />

die Unterstützung von MONUC während des Wahlprozesses,<br />

gleichwohl nicht aus dem Blick geraten. Zwar konnte EUFOR<br />

angesichts überaus bescheidener militärischer Miel nur einen<br />

begrenzten Beitrag für Stabilität, Rechtsstaatlichkeit und »good<br />

governance« im Kongo leisten. Die Spannungen, die zu den<br />

Kongo-Kriegen nach 1996 führten, blieben ungelöst. Bis heute<br />

ist die sozioökonomische Lage angespannt. Auch die fragile Sicherheitslage<br />

im Osten macht die Präsenz von MONUC sowie<br />

ein europäisches Engagement auf längere Sicht notwendig. Mit<br />

Hilfe von EUFOR und der Einsetzung einer neuen Regierung<br />

konnte aber zumindest die Übergangsphase abgeschlossen und<br />

eine Perspektive für den demokratischen Neuanfang eröffnet<br />

werden.<br />

Magnus Pahl<br />

119


Unter dem Eindruck des gerade beendeten Zweiten Weltkrieges konstituierten<br />

sich im Oktober 1945 die Vereinten Nationen (United Nations,<br />

UN). Vor dem Hintergrund der millionenfachen Verluste an Menschenleben<br />

lag im Gedanken der Wahrung des Weltfriedens durch ein striktes<br />

Gewaltverbot bei gleichzeitiger Unverletzlichkeit staatlicher Souveränität<br />

das Gründungsmotiv der Weltorganisation. 1973 wurden auch die Bundesrepublik<br />

Deutschland und die DDR Vollmitglieder.<br />

Die Bundeswehr stellt seit den 1990er-Jahren Militärbeobachter und<br />

Stabsoffiziere für UN-Friedensmissionen, die sich seit ihren Anfängen<br />

im Jahr 1948 konzeptionell ständig weiterentwickelten. Das Foto vom<br />

April 2004 zeigt UN-Beobachter aus Deutschland, Bolivien und Russland<br />

sowie einen nationalen Beobachter der Sudan People‘s Liberation Army<br />

(SPLA) bei der Befehlsausgabe im Camp Rumbek des OCHA (Office for<br />

the Coordination of Humanitarian Affairs), Sudan.<br />

Bundeswehr/Marcus Rott


Beobachtermissionen der<br />

Vereinten Nationen<br />

Zur internationalen Konfliktbeilegung unterscheidet die UN-<br />

Charta Maßnahmen der friedlichen Streitschlichtung nach<br />

Kap. VI (Verhandlung, Vermilung, Vergleich, Untersuchung,<br />

Schiedsspruch usw.) und kollektive Zwangsmaßnahmen unter<br />

Einschluss von Gewalt nach Kap. VII. Konsens und Kompromiss<br />

mit den streitenden Parteien stehen also in den Mandaten<br />

nach Kap. VI zivilen Sanktionen und militärischer Gewalt<br />

nach Kap. VII gegenüber. Der Einsatz von Soldaten unter blauem<br />

Bare oder blauem Helm zur Überwachung von Waffenstillständen<br />

und Friedensprozessen erfolgte bis in die frühen<br />

1990er-Jahre grundsätzlich nicht nach Kap. VII, sondern immer<br />

unbewaffnet oder nur zur Selbstverteidigung ausgerüstet nach<br />

einem imaginären Kap. »sechseinhalb«. Denn in der Charta<br />

der Vereinten Nationen sind Friedenstruppen unter UN-Kommando<br />

eigentlich gar nicht vorgesehen. Inzwischen stützen<br />

sich viele Friedensmissionen auch auf UN-Polizei und ziviles<br />

Personal. Gleichwohl spielten Militärs aufgrund der geforderten<br />

Fachkompetenz und der praktischen Begleitumstände von<br />

Anfang an eine führende Rolle in UN-Missionen – und sie tun<br />

dies bis heute. Ihr zweiter Generalsekretär Dag Hammerskjöld<br />

brachte dies auf die viel zitierte Formel: »Peacekeeping is not a<br />

job for soldiers, but only soldiers can do it.«<br />

Auf ihre erste Beobachtermission, die UN Truce Supervision<br />

Organization (UNTSO), entsandten die Vereinten Nationen<br />

in den gerade begonnenen ersten Nahostkrieg im Juni 1948 ein<br />

Kontingent von internationalen Offizieren noch während der laufenden<br />

Kämpfe, um der Forderung nach Waffenruhe Nachdruck<br />

zu verleihen und die im Land aktive UN-Waffenstillstandskommission<br />

zu unterstützen. Darauf folgte 1949 eine Mission zur<br />

Überwachung der indisch-pakistanischen Grenze in Kaschmir<br />

(UN Military Observer Group in India and Pakistan, UNMOGIP).<br />

UNTSO und UNMOGIP dauern noch immer an. Am Ende der<br />

Suez-Krise 1956 kam es zum ersten »echten« Blauhelmeinsatz mit<br />

ganzen Truppenverbänden auf dem Sinai. Zur UN Emergency<br />

Force (UNEF I) gehörten bis zu 6000 Soldaten aus zehn Ländern.<br />

121


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

Von solchen Friedensmissionen hielt sich die Bundesrepublik<br />

bis Ende der 1980er-Jahre fern. Erst im Sommer 1989 entsandte<br />

Bonn 50 Beamte des Bundesgrenzschutzes nach Namibia, die<br />

– ebenso wie etwa 30 Polizisten aus der DDR – zum 1000 Mann<br />

starken Polizeikontingent der United Nations Transition Assistance<br />

Group (UNTAG) gehörten und freie Wahlen in dem südwestafrikanischen<br />

Land überwachen sollten. Für die Bundeswehr begannen<br />

UN-geführte Einsätze mit der Abstellung von Einzelpersonal für<br />

die UN Special Commission on Iraq (UNSCOM, 1991-1998; deutsche<br />

Beteiligung bis 1996) und im Kontingentsrahmen mit der Entsendung<br />

von Sanitätspersonal sowie eines Feldlazares nach Kambodscha<br />

1992/93 (UNAMIC/UNTAC; vgl. den Beitrag von Peter<br />

Hazdra). Truppenverbände sollte die Bundeswehr danach noch<br />

zweimal dem direkten Kommando der Vereinten Nationen unterstellen:<br />

1993/94 für die UN Operation in Somalia (UNOSOM II)<br />

und vor der libanesischen Küste als Teil der UN Interim Force in<br />

Lebanon (UNIFIL II) seit Oktober 2006 (vgl. die Beiträge von Bernhard<br />

Chiari, Von der Escort Navy, und Thomas Breitwieser, Die<br />

Vereinten Nationen und der Nahost-Konflikt). Außerdem wurde<br />

der Schnelle Einsatzverband der UN Protection Force (UNPRO-<br />

FOR) im ehemaligen Jugoslawien 1995 außer von Kampfflugzeugen<br />

noch von einem Kontingent der Bundeswehr unterstützt, das<br />

im Dezember des Jahres in der UN-mandatierten Implementation<br />

Force (IFOR) aufging (vgl. den Beitrag von Agilolf Keßelring, Der<br />

Krieg der NATO gegen Jugoslawien).<br />

Zu den Beobachterdelegationen und Truppenentsendungen<br />

treten Beratungs- und Unterstützungsmissionen der UN. Die UN<br />

Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA), im Frühjahr 2002<br />

eingerichtet, begleitete die Einberufung der verfassungsgebenden<br />

Loya Jirga (2004) und die Wahl des Staatspräsidenten (2004 und<br />

2009) sowie des Parlaments (2005) in dem Land am Hindukusch.<br />

Ihr Aurag gilt u.a. der Förderung rechtsstaatlicher Strukturen<br />

und der Koordination aller dort am Wiederauau des Landes und<br />

im humanitären Bereich arbeitenden UN-Agenturen und Nichtregierungsorganisationen.<br />

Um in militärischen Angelegenheiten zu<br />

beraten, gehören auch einige Offiziere zu UNAMA. Seit Mai 2004<br />

hat die Bundeswehr einen Stabsoffizier dorthin abgestellt, der jeweils<br />

ein Jahr auf Posten bleibt; eine anspruchsvolle Aufgabe in<br />

gegenwärtig exponierter Gefahrenlage.<br />

122


picture-alliance/dpa/Syed Jan Sabawoon<br />

Beobachtermissionen der Vereinten Nationen<br />

Im September 2009 waren in 15 Peacekeeping-Missionen<br />

der Vereinten Nationen – dazu zählt als politische Mission z.B.<br />

UNAMA trotz ihrer militärischen Beratergruppe nicht – knapp<br />

84 000 Soldaten im Einsatz. Gelegentlich wird deshalb auf eine<br />

Militarisierung der Friedenseinsätze nach dem Ende des Ost-<br />

West-Konflikts geschlossen. Tatsächlich aber ist im vergangenen<br />

Jahrzehnt eine doppelläufige Entwicklung festzustellen: Denn parallel<br />

zum verstärkten Einsatz von Militär werden die Missionen<br />

der UN komplexer und beinhalten Aufgaben der zivilen Friedenskonsolidierung<br />

sowie der Unterstützung staatlichen Wiederaufbaus.<br />

Dazu zählen beispielsweise die Entwaffnung und Eingliederung<br />

früherer Kombaanten ins Zivilleben, die Mithilfe bei<br />

nationalen Versöhnungsprozessen, die Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit,<br />

der Auau einer funktionierenden, demokratisch<br />

geprägten Justiz, Polizei und Armee sowie die Unterstützung von<br />

Wahlen. Das UN-Hauptquartier in New York hat auf diese neuen<br />

Anforderungen mit dem Konzept integrierter Missionen reagiert,<br />

die militärische Friedenssicherung und zivile Friedenskonsolidierung<br />

unter eine gemeinsame Führung stellen sollen.<br />

Kinder eines Kabuler Waisenhauses lassen Drachen steigen. Am 21. September<br />

2006 organisierte die UN Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) den International<br />

Day of Peace.<br />

123


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

124<br />

Die Bundeswehr und die Entwicklung<br />

des UN Peacekeeping<br />

Der Einsatz von unbewaffneten Offizieren als Militärbeobachter<br />

oder von leichtbewaffneten Truppen, die an Konfliktlinien<br />

zwischen verfeindeten Staaten als Puffer wirken (manchmal<br />

auch beide Komponenten zusammen), ist das Merkmal der<br />

sogenannten ersten Generation von Friedenseinsätzen. Als traditionelles<br />

oder klassisches Peacekeeping bezeichnet, besteht<br />

ihre Aufgabe in der Überwachung von Waffenstillständen. Die<br />

Konfliktparteien haben zuvor dem Einsatz von Blauhelmen ausdrücklich<br />

zugestimmt. Verletzungen vertraglicher Bestimmungen<br />

werden durch die UN-Beobachter gemeldet, doch sie greifen<br />

niemals selbst in die Konflikte ein. Die Anwendung von Gewalt<br />

geschieht ausschließlich zur Selbstverteidigung. Der Dienst der<br />

Militärbeobachter wird mit Feldstecher und Notizblock, nicht<br />

mit der Waffe geleistet.<br />

Das Engagement der Bundeswehr in solchen klassischen Beobachtermissionen<br />

begann mit der 1993 mandatierten UN Observer<br />

Mission in Georgia (UNOMIG), in die ab März 1994 deutsche<br />

Sanitäter und Militärärzte und in der Folge dann auch Militärbeobachter<br />

geschickt wurden. Die Angehörigen der Mission überwachten<br />

die Sicherheits- und die Verbotszone für schwere Waffen<br />

aus dem abchasischen Sezessionskrieg 1992/93 entlang des Inguri-<br />

Flusses. UNOMIG hat jedoch nicht nachhaltig zu einer Entspannung<br />

zwischen Abchasien und Georgien im Kodori-Tal beitragen<br />

können. Nach anderthalb Jahrzehnten wurde das Mandat der Mission<br />

wegen eines russischen Vetos im Juni 2009 nicht mehr verlängert.<br />

Die Vereinten Nationen und das Mitglied des Sicherheitsrats<br />

Russland konnten sich nicht über die weitere Ausgestaltung des<br />

Mandats einigen. In der Struktur war UNOMIG eine Mission der<br />

ersten Generation, ohne Blauhelmtruppen zum eigenen Schutz;<br />

an der Spitze stand daher auch kein Force Commander, sondern<br />

nach früherem Muster ein Chief Military Observer.<br />

Im Unterschied zu Georgien führte den militärischen Anteil<br />

der UN Mission in Ethiopia and Eritrea (UNMEE) ein solcher<br />

Truppenkommandeur. In den Jahren 2000 bis 2008 überwachte<br />

UNMEE den Waffenstillstand zwischen Äthiopien und Eritrea,


Beobachtermissionen der Vereinten Nationen<br />

auf operativer Ebene in enger Zusammenarbeit mit einem eigenen<br />

Kontingent der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU<br />

Liaison Mission in Ethiopia-Eritrea, OLMEE). Der Aurag von<br />

UNMEE bestand in der Kontrolle einer demilitarisierten Pufferzone<br />

entlang der gemeinsamen Staatsgrenze, ergänzt um ein<br />

humanitäres Minenräumprogramm. Von Februar 2004 bis März<br />

2008 beteiligte sich die Bundeswehr mit zwei Militärbeobachtern<br />

an dem Einsatz, danach mit noch einem. Wie UNOMIG ist auch<br />

UNMEE letzten Endes gescheitert. Der Grund ist nicht in der<br />

Blockadehaltung eines permanenten Sicherheitsratsmitgliedes<br />

zu suchen, sondern in der Weigerung Eritreas, weiterhin zu kooperieren.<br />

Erst gegen Ende der 1980er-Jahre erhielten UN-Friedenseinsätze<br />

eine neue Qualität. In ihrer zweiten Generation engagierten<br />

sich die Vereinten Nationen nicht mehr nur in der Überwachung,<br />

sondern auch in der Überwindung von Konflikten. Dieses sehr<br />

ambitionierte Multidimensional Peacekeeping zielt also auf die<br />

Lösung der politischen, gesellschalichen und wirtschalichen<br />

Ursachen von Krisen. Als gelungene Beispiele für diesen neuen<br />

Typus von Einsätzen gelten Missionen der frühen 1990er-Jahre<br />

in Afrika, Mielamerika und Südostasien, zum Beispiel unter<br />

Beteiligung der Bundeswehr in Kambodscha (UNTAC). Erfolge<br />

dort weckten Erwartungen in eine ersprießliche Zukun der<br />

UN-Friedensmissionen, die jedoch in neuen, fast zeitgleichen<br />

Einsätzen enäuscht wurden. Ins Bewusstsein der deutschen<br />

Politik und Öffentlichkeit traten hier vor allem die Kriege im<br />

vormaligen Jugoslawien. Aber auch der Völkermord in Ruanda<br />

und die grausamen bürgerkriegsähnlichen Zustände in Liberia,<br />

im Kongo und in Somalia verdeutlichten, dass die UN gerade bei<br />

gewaltsamen innerstaatlichen Konflikten – in denen keine Aussicht<br />

auf Vermilung und Verständigung bestand – mit ihren<br />

diplomatischen und militärischen Mieln am Ende waren. Für<br />

ein bewaffnetes Eingreifen in Somalia mandatierte daher der<br />

Sicherheitsrat die Truppen einer von den USA geführten freiwilligen<br />

Koalition (Unified Task Force, UNITAF), anschließend<br />

dann die Neuauflage der aus New York unmielbar geführten<br />

UNOSOM II nach Kap. VII der UN-Charta. Damit war die drie<br />

Generation der Friedenseinsätze, das sogenannte robuste Peacekeeping,<br />

geboren. In Somalia allerdings geschah, was dem ur-<br />

125


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

sprünglichen Gedanken von Friedensmissionen zuwiderläu:<br />

Die UN wurden zur Kriegspartei. Der Einsatz von UNOSOM II<br />

mündete aufgrund eines nicht durchsetzbaren Mandats und der<br />

Unerfahrenheit im Umgang mit Zwangsmaßnahmen in einem<br />

überstürzten Rückzug aus dem ostafrikanischen Land und<br />

endete als politisches Debakel. Dies wiederum ließ die Bereitscha<br />

westlicher Staaten sinken, in größerem Umfang Truppen<br />

für die Vereinten Nationen zu stellen. Die Missionen der drien<br />

Generation gelten heute als zumeist gescheitert. Als frühes Gegenbeispiel<br />

ist jedoch die UN Transitional Authority in Eastern<br />

Slavonia, Baranja and Western Sirmium (UNTAES) zu sehen, die<br />

zwischen Januar 1996 und Januar 1998 erfolgreich den Übergang<br />

des Mandatsgebietes aus lokaler serbischer Verwaltung zurück<br />

unter kroatische Hoheit verwaltete.<br />

Dennoch hat sich seit der Milleniumswende die Einsicht durchgesetzt,<br />

dass auch Mandate der zweiten und vierten Generation<br />

robust, also nach Kap. VII mandatiert sein sollten. Nur so werden<br />

UN-Missionen in die Lage versetzt, ihren Aurag gegebenenfalls<br />

gegen Widerstände durchzusetzen – insbesondere dann, wenn<br />

es um den Schutz von Zivilisten in Krisengebieten geht. Während<br />

der Amtszeit der Generalsekretäre Boutros Boutros-Ghali<br />

(1992-1996) und Kofi Annan (1997-2006) vollzog sich also ein<br />

allmählicher Wandel im Verständnis von Peacekeeping: Die UN<br />

beobachten und vermieln nicht mehr nur bei zwischenstaatlichen<br />

Konflikten, sondern intervenieren auch anlässlich innerstaatlicher<br />

Auseinandersetzungen, die den Weltfrieden gefährden können<br />

oder auf gravierende Weise Menschenrechtsverletzungen nach<br />

sich ziehen. Im Jahr 2005 trat daher das bis heute völkerrechtlich<br />

nicht unumstriene Prinzip der Responsibility to Protect (R2P) als<br />

Leitlinie des Handelns neben den klassischen Grundsatz der Staatensouveränität:<br />

Die vormals eherne Regel von der Unverletzlichkeit<br />

staatlicher Grenzen verliert demnach dort ihre Gültigkeit, wo<br />

Staaten Menschenrechte fundamental brechen.<br />

Die erwähnten Generationen lösten sich nicht etwa nacheinander<br />

ab, sondern entwickelten sich nebeneinander fort. In einer<br />

vierten Generation von Friedenseinsätzen, auch als Peace Support<br />

Operations bezeichnet, haben die Vereinten Nationen übergangsweise<br />

sogar administrative und exekutive Aufgaben der<br />

Regierungsgewalt übernommen. Erste Ansätze für diese Aufga-<br />

126


Beobachtermissionen der Vereinten Nationen<br />

benerweiterung gab es schon bei UNTAC in Kambodscha; drei<br />

UN-geführte Unternehmen dieser vierten Generation folgten.<br />

Während UNTAES in Ostslawonien und die Übergangsverwaltung<br />

der UN Transitional Authority in East Timor (UNTAET,<br />

1999-2002) ihre Mandate beendet haben, nimmt die 1999 eingerichtete<br />

UN Interim Administration Mission in Kosovo (UNMIK)<br />

diese Aufgabe bis heute wahr, unterstützt von der ebenfalls UNmandatierten<br />

Kosovo Force (KFOR) (vgl. den Beitrag von Agilolf<br />

Keßelring, Der Krieg der NATO gegen Jugoslawien).<br />

Das Beispiel UNMIS<br />

Die 2005 eingerichtete UN Mission in Sudan (UNMIS) ist die<br />

einzige verbliebene Friedensmission, in die Deutschland neben<br />

Stabspersonal derzeit Militärbeobachter entsendet. Die Höchstgrenze<br />

des Bundestagsmandats für diesen Einsatz liegt bei<br />

75 Soldaten. Ende 2009 waren in dem flächenmäßig größten afrikanischen<br />

Land allerdings nur etwas über 30 deutsche Soldaten<br />

aktiv, um die Umsetzung des Vertrags zwischen der Regierung<br />

in Khartum und der Sudan People’s Liberation Movement/Army<br />

(SPLM/A) zu überwachen. O als Auseinandersetzung zwischen<br />

dem arabisch-islamischen Norden und dem afrikanisch-christlichen<br />

Süden beschrieben, ist der Konflikt im Sudan weitaus komplexer<br />

und hat neben religiösen und historischen Wurzeln vor<br />

allem ökonomische Ursachen (Zugang zu Ölreserven und Aufteilung<br />

des daraus gewonnenen Einkommens). Nach fast 20 Jahren<br />

Bürgerkrieg näherten sich der Norden und der Süden des<br />

Landes ab 2002 einander an. Afrikanische Staaten und die UN<br />

vermielten und moderierten den Dialog.<br />

Noch vor Unterzeichnung des Comprehensive Peace Agreement<br />

(CPA) im Januar 2005 wurde mit der UN Advance Mission<br />

in Sudan (UNAMIS) eine politische Vorausdelegation entsandt,<br />

die ihr Augenmerk sowohl auf den Nord-Süd-Konflikt als auch<br />

auf die Lage in Darfur richtete. Die nach Unterzeichnung des<br />

CPA etablierte UNMIS integriert unter einem Dach eine militärische<br />

Komponente (bis zu 10 000 Soldaten, davon maximal 750<br />

Militärbeobachter – tatsächlich waren es im September 2009 nicht<br />

einmal 500), eine polizeiliche (bis zu 700 Polizisten) und eine zivi-<br />

127


picture-alliance/dpa<br />

I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

le (im September 2009 knapp 3500 Personen starke) Komponente.<br />

Jedoch verfügt UNMIS im Unterschied zur Vorausmission UN-<br />

AMIS lediglich über ein Mandat für die Lösung der Auseinandersetzung<br />

zwischen dem Norden und dem Süden des Landes.<br />

Soweit es den Schutz der UN, aber auch der sudanesischen Bevölkerung<br />

betri, ist UNMIS nach Kap. VII mandatiert.<br />

Nachdem der Nord-Süd-Konflikt in den letzten Jahren in<br />

den Schaen der Darfur-Problematik geraten war, ist er seit<br />

2008 wieder etwas stärker in das Interesse der Internationalen<br />

Gemeinscha gerückt: zunächst durch die Zerstörung der Stadt<br />

Abyei im Mai 2008 bei Kämpfen zwischen der SPLA und der<br />

Armee des Nordens; dann durch anhaltende blutige Übergriffe<br />

der Lord‘s Resistance Army, einer inzwischen zu mörderischen<br />

Banditen degenerierten Rebellengruppe aus Uganda, im äußersten<br />

Süden des Sudan; schließlich seit April 2009 durch noch<br />

immer andauernde, brutale Gewaltausbrüche zwischen unterschiedlichen<br />

Stämmen im Südosten.<br />

New York reagierte sehr schnell und betonte mit der Resolution<br />

des Sicherheitsrats 1870 im April 2009 noch einmal<br />

nachdrücklich das UNMIS-Mandat zum Schutz von Zivilisten.<br />

Jedoch setzt die geringe Zahl der zur Verfügung stehenden Blauhelme<br />

diesem Aurag in der Praxis enge Grenzen. Die politische<br />

Lage hat sich gegenwärtig insgesamt verschlechtert: Die Ergebnisse<br />

einer Volkszählung aus dem Jahr 2008 werden vom Süden<br />

nicht anerkannt, die gemäß CPA vorgesehenen Wahlen sind von<br />

2009 auf 2010 verschoben worden. Ob das für 2011 vorgesehene<br />

Referendum über die mögliche Unabhängigkeit des Südsudan<br />

128<br />

Ein Konvoi des<br />

UN World Food<br />

Programme<br />

(WFP) in der<br />

libyschen Wüste,<br />

aufgefahren in<br />

der Nähe der<br />

Grenze zum<br />

Tschad,<br />

November 2004.


Beobachtermissionen der Vereinten Nationen<br />

stafinden kann, erscheint unter diesen Vorzeichen eher zweifelha.<br />

Die Bundeswehr besetzt im UNMIS-Hauptquartier vier<br />

Dienstposten, darunter den Chief J2 (bei den UN verantwortlich<br />

für »Informationsanalyse«, also de facto das militärische Nachrichtenwesen,<br />

aber ohne eigene spezielle Aulärungskräe<br />

und -miel) und den Chief Monitoring & Verification, der für<br />

die Überwachung der Einhaltung der militärischen Bestimmungen<br />

des CPA zuständig ist. In Juba, der Hauptstadt des Südens,<br />

vertri in herausgehobener Verwendung ein deutscher Offizier<br />

im Dienstgrad Oberst den Force Commander. Die Mehrzahl der<br />

Bundeswehrsoldaten aber sind Militärbeobachter.<br />

Wie in vergleichbaren UN-geführten Operationen auch, handeln<br />

diese bei UNMIS außerhalb von NATO oder EU in einem<br />

internationalen Umfeld, in dem Truppenteile häufig aus Ländern<br />

kommen, mit denen die Bundeswehr sonst keine engeren<br />

militärischen Kontakte unterhält, etwa aus Südostasien, aus Süd-<br />

amerika oder aus Subsahara-Afrika. Unterschiedliche kulturelle,<br />

mentale und religiöse Hintergründe müssen bei der gemeinsamen<br />

Erfüllung des Aurags ebenso berücksichtigt werden wie<br />

die Besonderheiten des Einsatzlandes mit ihrer ethnischen und<br />

religiösen Vielfalt, dem o ungewohnten Klima und den aus<br />

westlicher Sicht schwer erträglichen Lebensbedingungen.<br />

Die Militärbeobachter tun jeweils zu zweit Dienst in einer<br />

der etwa 25 Team Sites. Diese wurden im Verantwortungsbereich<br />

von UNMIS in den Sektoren nördlich und südlich der<br />

vorläufigen Grenzlinie eingerichtet, die in Ost-West-Richtung<br />

quer durch den Sudan verläu. Im Alltag überwachen die Offiziere<br />

die Truppenentflechtung und -rücknahme von SPLA und<br />

Nordarmee auf jeweils ihre Seite der Grenzlinie, beobachten<br />

den Auau gemischter Nord-Süd-Einheiten als Nukleus einer<br />

zukünigen gemeinsamen sudanesischen Armee – falls im Referendum<br />

nicht für eine Trennung, sondern die künige Einheit<br />

des Landes votiert wird – und erstellen Profile zur sozialen Lage<br />

von Ortschaen im Einsatzraum, auf die dann UN-Hilfsagenturen<br />

zurückgreifen können.<br />

Schwerfällig ist 2008 ein zweites Engagement der Vereinten<br />

Nationen im Sudan angelaufen. Eine nur von den afrikanischen<br />

Staaten getragene Friedensmission in Darfur hae zuvor bereits<br />

129


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

wenig Durchsetzungskra gezeigt. Schon diese African Union<br />

Mission in Sudan (AMIS I 2004; AMIS II 2004-2007) wurde von<br />

der Bundeswehr unterstützt, so etwa beim Transport von Soldaten<br />

aus Gambia und Polizisten aus Ghana in die Krisenregion<br />

(vgl. den Beitrag von Frank Hagemann). Es gelang jedoch nicht,<br />

das UNMIS-Mandat auf den Darfur-Konflikt auszuweiten, denn<br />

die sudanesische Regierung wehrte sich gegen eine alleinige<br />

Verantwortung der UN in dem Gebiet. Daher ist die United Nations<br />

and African Union Mission in Darfur (UNAMID) – eine<br />

sogenannte Hybridmission, in der Vereinte Nationen und Afrikanische<br />

Union gemeinsam Verantwortung tragen – ein Schri<br />

über die Zusammenarbeit von UNMEE und OLMEE in Äthiopien-Eritrea<br />

hinaus. UNAMID folgt Kap. VII der UN-Charta: Doch<br />

die Umsetzung scheitert an der in Darfur noch weniger als im<br />

Süden des Sudan vorhandenen Fähigkeit der Blauhelme zum<br />

effektiven Handeln. Deutschland kann laut Bundestagsmandat<br />

bis zu 250 Soldaten als Stabs-, technisches oder fliegendes Personal<br />

in die Mission einbringen. In Wirklichkeit befand sich im<br />

Sommer 2008 nur ein einzelner deutscher Soldat dort im Einsatz;<br />

inzwischen sind es sieben, darunter allerdings keine Beobachter.<br />

Die Bundeswehr zählt diesen Einsatz daher ebenso wie UNAMA<br />

und EUSEC RD Congo – wo im Aurag der EU drei Bundeswehroffiziere<br />

die Reform des Sicherheitssektors begleiten – zu<br />

den Beratungs- und Unterstützungsmissionen.<br />

130<br />

Bundeswehr/Helge Treybig<br />

Die Bundesregierung<br />

unterstützte<br />

die Afrikanische<br />

Union bei der<br />

Durchführung der<br />

Überwachungsmission<br />

African<br />

Union Mission im<br />

Sudan (AMIS).<br />

Dabei kamen u.a.<br />

Lufttransportkräfte<br />

der Bundeswehr<br />

zum Einsatz.


Schlussbemerkung<br />

Beobachtermissionen der Vereinten Nationen<br />

Heute gilt als empirisch gesichert, dass UN-Friedenstruppen bei<br />

der Stabilisierung eines Friedensschlusses relativ erfolgreich wirken<br />

können, jedoch nicht zuvor bei der Beendigung von Kriegen<br />

mit militärischen Mieln und auch nicht während einer langfristigen<br />

Friedenskonsolidierung. Die Vereinten Nationen können<br />

demnach den Übergang zum Frieden militärisch unterstützen,<br />

aber sie können einen laufenden gewaltsamen Konflikt nicht<br />

dauerha eindämmen, denn: »there must be a peace to keep«.<br />

Und selbst wenn diese Voraussetzung gegeben sein sollte, sind<br />

Friedenstruppen lediglich in der Lage, die Bildung zivilstaatlicher<br />

Institutionen und den wirtschalichen Wiederauau flankierend<br />

zu sichern; sie können diesen Prozess nicht selbst in die<br />

Wege leiten. Gerade bei der Umsetzung von Friedensschlüssen<br />

kommt allerdings Militärbeobachtern eine entscheidende Funktion<br />

zu.<br />

Im »Weißbuch 2006 zur Sicherheitspolitik Deutschlands und<br />

zur Zukun der Bundeswehr« erklärt die deutsche Regierung,<br />

im Rahmen der Vereinten Nationen Mitverantwortung für die<br />

Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu<br />

übernehmen. Die Bereitscha der Bundesrepublik zu personalintensiven<br />

militärischen Verpflichtungen bei Friedensmissionen<br />

unter UN-Kommando ist zwar mit Ausnahme von UNIFIL eher<br />

gering; Priorität genießen die Verpflichtungen gegenüber NATO<br />

und EU. Dennoch ist der deutsche Beitrag zu UNMIS immerhin<br />

der personell stärkste unter den Militärbeobachtern; bei UNAMID<br />

ist Deutschland neben Frankreich sogar der wichtigste westliche<br />

Truppen- und Polizeisteller. Auch in Georgien war das Bundeswehrkontingent<br />

unter den mehr als 30 UNOMIG-Truppenstellern<br />

das größte der ganzen Mission. Da der Sicherheitsrat der<br />

Vereinten Nationen die letzte Instanz für die Rechtmäßigkeit internationaler<br />

Gewaltanwendung ist, legitimiert die Beteiligung<br />

gerade an UN-geführten Friedensmissionen das internationale<br />

Engagement Berlins völkerrechtlich auf stabilste Art und damit<br />

politisch besonders glaubwürdig.<br />

Armin Wagner<br />

131


Acht Jahre nach der Konferenz auf dem Petersberg bei Bonn ist Afghanistan<br />

weit entfernt von Frieden und Stabilität. Die Anzahl sicherheitsrelevanter<br />

Zwischenfälle – etwa Raketen- oder Mörserangriffe sowie<br />

Attacken mit Improvised Explosive Devices (IED) – lag am 1. September<br />

2009 mit rund 10 000 bereits deutlich höher als im gesamten Vorjahr<br />

(9300). Die Zahl der Selbstmordanschläge – bis 2005 in Afghanistan eine<br />

praktisch unbekannte Bedrohung – dürfte sich Ende 2009 erneut auf der<br />

Höhe des Vorjahres (ca. 130) bewegen.<br />

Gegnerische Militante Kräfte (Opposing Militant Forces, OMF) gehen<br />

gezielt gegen die afghanische Regierung und die International Security<br />

Assistance Force (ISAF) vor. Schwerpunkte der Übergriffe sind der Süden<br />

und Osten des Landes, auf den Verantwortungsbereich des deutsch geführten<br />

Regional Command North (RC North) hingegen entfallen nur wenige<br />

Prozent. 2009 kam es allerdings auch hier verstärkt zu Gefechten<br />

längerer Dauer und höherer Intensität. Die Eskalation verdeutlicht ein<br />

Beispiel: Am 4. September forderte der örtliche Kommandeur in Kundus<br />

Luftunterstützung an, um zwei von den Taliban entführte und am Ufer<br />

des Kundus-Flusses festgefahrene Sprittransporter zu bekämpfen. Beim<br />

Einsatz zweier Kampfflugzeuge vom Typ F-15 starben außer zahlreichen<br />

Taliban-Kämpfern auch afghanische Zivilisten. In Deutschland verstärkte<br />

der Vorfall die öffentliche Diskussion um die Zukunft der ISAF-Mission<br />

insgesamt und führte zu personellen Konsequenzen im Bundesministerium<br />

der Verteidigung.<br />

picture-alliance/dpa/Maurizio Gambarini


Grenzüberschreitende Sicherheit?<br />

ISAF, Afghanistan und Pakistan<br />

Glaubt man westlichen Medien, die in Afghanistan einen bevorstehenden<br />

Sieg der Taliban befürchten, so geht die Strategie der<br />

Extremisten auf, mithilfe gezielter Anschläge und immer professionellerer<br />

Propaganda den durch den Westen abgesicherten<br />

Wiederauau zum Scheitern zu bringen und die afghanische<br />

Regierung nachhaltig zu schwächen. Tatsächlich waren sowohl<br />

die Zentralregierung von Hamid Karsai als auch die militärische<br />

Präsenz der ISAF bislang nicht in der Lage, die gewaltbereite<br />

Opposition in Afghanistan zurückzudrängen.<br />

In den Südprovinzen tobte 2009 ein regelrechter Krieg. Als<br />

Schreckgespenst für die NATO gilt dort seit dem Frühjahr 2007<br />

das südafghanische Helmand. Große Teile der Provinz befanden<br />

sich bis zum Spätherbst dieses Jahres unter Kontrolle der Taliban.<br />

Diese setzten militärische Schwerpunkte nach Belieben. Allein<br />

in den nördlichen Distrikten Naw Zad, Musa Kala, Kajaki und<br />

Sangin kamen vermutlich 2000 ihrer Kämpfer zum Einsatz. Als<br />

Ergebnis gewaltsamer Auseinandersetzungen flohen mehrere<br />

Tausend Menschen aus der Region. Der Einfluss der Regierung<br />

beschränkte sich lediglich auf den Großraum der Provinzhauptstadt<br />

Lashkar Gar sowie auf wenige Ortschaen mit internationaler<br />

Truppenpräsenz. Die Stammesältesten haen kaum die<br />

Möglichkeit und vielfach nicht den Wunsch, den Goeskriegern<br />

nachhaltigen Widerstand entgegenzusetzen.<br />

2009 konnten die Taliban solche spektakulären Operationen<br />

nicht wiederholen. ISAF gelangen im Verbund mit afghanischen<br />

Sicherheitskräen militärische Erfolge gegen deren mangelha<br />

koordinierte Einheiten. Dennoch blieb mancherorts die Lage für<br />

die westlichen Kräe – nun zunehmend mit asymmetrischen Bedrohungsszenarien<br />

konfrontiert – prekär.<br />

In Kundus und im Westen des von Deutschland geführten<br />

Regional Command North nahm seit 2008 die Gewalt sogar<br />

deutlich zu. Selbst und gerade in der Hauptstadt Kabul ereigneten<br />

sich weltweit beachtete Anschläge. Standen Anfang 2007<br />

etwa 44 000 Soldaten unter dem Mandat von ISAF bzw. OEF<br />

(Operation E F) im Land, waren es im Oktober<br />

133


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

2009 etwa 67 000 ISAF-Soldaten aus 42 Staaten, geführt vom US-<br />

General Stanley A. McChrystal, sowie 35 000 OEF-Kräe.<br />

Die ekalierende Gewalt im Lande unterstrich auf dramatische<br />

Weise die Notwendigkeit einer Gesamtstrategie für Afghanistan.<br />

Die Entstehung eines funktionsfähigen afghanischen Zentralstaates,<br />

dessen Macht in alle Regionen reicht und der über verlässliche<br />

Sicherheitskräe verfügen kann, liegt trotz Teilerfolgen<br />

in manchen Bereichen – so etwa beim Auau der milerweile<br />

etwa 94 000 Mann starken Afghan National Army (ANA) oder<br />

im Bildungs- und Gesundheitswesen – insgesamt noch in ferner<br />

Zukun. Afghanistans staatliche Organe und seine Polizei leiden<br />

unter regionalen Machtkämpfen, Korruption, mangelnder<br />

Ausbildung und der Verstrickung ihrer Repräsentanten in die<br />

Strukturen der Organisierten Kriminalität. Fallweise schließt die<br />

Polizei lokale Abkommen mit militanten Gruppen, duldet deren<br />

Operationen oder verkau sogar Waffen an ihre Gegner.<br />

Nicht alle Afghanen nehmen den Kampf militanter Aufständischer<br />

ausschließlich als terroristische Bedrohung wahr. Über<br />

ethnische und soziale Grenzen hinweg gibt es Vorbehalte gegenüber<br />

einer westlich geprägten Politik des Wiederauaus, die<br />

als eine Gefahr für örtlich gewachsene Werte und traditionelle<br />

Vorstellungen empfunden wird. Einen modernen Zentralstaat<br />

lehnen manche Menschen ebenso als etwas von außen Aufgezwungenes,<br />

Fremdes ab, wie die Präsenz westlicher, nicht-muslimischer<br />

Soldaten. Bei dem Wunsch, die eigene, nach wie vor<br />

nach herkömmlichen Stammesgesetzen organisierte Kultur zu<br />

schützen, schwanken die Einstellungen regional, lokal oder individuell<br />

zwischen Unterstützung, Ablehnung und Bekämpfung.<br />

Die vorsichtige oder kritische Haltung gegenüber westlicher<br />

Präsenz kann dabei durchaus einhergehen mit einer positiven<br />

Bewertung konkreter und greiarer Auauarbeit.<br />

Zivile Opfer im Verlauf von Kampfeinsätzen schaffen Distanz<br />

und Ablehnung gegenüber der ISAF und der Internationalen<br />

Gemeinscha. Die ungelöste Problematik der Drogenwirtscha,<br />

fehlende ökonomische Alternativen sowie – aufseiten der Aufbauhelfer<br />

– mangelndes Verständnis für die traditionellen Funktionsmechanismen<br />

der afghanischen Gesellscha sowie die unzureichende<br />

Koordinierung des zivilen und militärischen Vorgehens<br />

verstärken die Spannung zwischen westlichen Vorstellungen von<br />

134


picture-alliance/dpa/Sabawoon<br />

ISAF, Afghanistan und Pakistan<br />

Staat und Gesellscha einerseits und dem »Afghan Face« andererseits.<br />

Die Internationale Gemeinscha hat sich die Beachtung kultureller<br />

Eigenheiten auf die Fahnen geschrieben, ohne die damit<br />

verbundenen Ansprüche in der Praxis immer einzulösen.<br />

ISAF und die Internationale Gemeinscha vor Ort sind Teil<br />

eines komplizierten Gesamtsystems, in dem die Machtverhältnisse<br />

ständig neu definiert werden. Noch 2005 herrschte ein<br />

instabiles politisches Gleichgewicht zwischen Zentralregierung<br />

und Provinzen. Durch die offensichtliche Schwäche Kabuls kontrollieren<br />

heute (November 2009) teils erneut regionale Machthaber<br />

und Warlords – nun legitimiert als Provinz- und Distriktgouverneure<br />

– sowie im Süden die Taliban das Geschehen. Der<br />

afghanischen Regierung und der ISAF gelingt es mancherorts<br />

nicht, dringend benötigte positive Signale im Sinne zunehmender<br />

Stabilität zu setzen.<br />

Hamid Karsai auf einer Wahlveranstaltung in Kabul, 7. August 2009. Das Plakat im<br />

Vordergrund zeigt den Kandidaten gemeinsam mit zwei wichtigen Gefolgsleuten:<br />

rechts Vizepräsident Abdul Karim Khalili, einer der Führer der von der Ethnie der<br />

Hasara dominierten Wahdat-Partei, links der Tadschike Mohammed Kasim Fahim,<br />

Verteidigungsminister in der afghanischen Übergangsregierung bis 2004.<br />

135


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

Staatschef Hamid Karsai erreichte in den unter erheblichen Sicherheitsvorkehrungen<br />

durchgeführten Präsidentenwahlen vom<br />

20. August 2009 zwar 54,6 Prozent der Stimmen und ließ seinen<br />

wichtigsten Herausforderer Abdullah Abdullah mit 27,8 Prozent<br />

deutlich hinter sich, konnte jedoch zunächst sein Amt nicht antreten.<br />

Eine von den Vereinten Nationen unterstützte Beschwerdekommission<br />

(ECC) verband den Vorwurf des Wahlbetrugs mit<br />

der Forderung nach Neuauszählung der Stimmen aus knapp zehn<br />

Prozent der afghanischen Wahllokale. Die teilweise Neuauszählung<br />

zeigte Karsai dann knapp unter der 50-Prozent-Marke. Aus<br />

der für diesen Fall vorgesehen Stichwahl zog sich Gegenkandidat<br />

Abdullah Anfang November zurück. Darauin bestätigte die Unabhängige<br />

Wahlkomission (IEC) Präsident Karsai im Amt.<br />

Verband bei der ersten demokratischen Präsidentenwahl 2004<br />

noch ein Großteil der Bevölkerung mit der Person Karsais große<br />

Hoffnungen auf rasche Stabilisierung und Wiederauau, so sind<br />

die Erwartungen zu Beginn der zweiten Amtszeit des Staatsoberhauptes<br />

eher verhalten. Im Vorfeld der Wahlen war Hamid Karsai<br />

verstärkt darum bemüht, die einstigen Kriegsfürsten in den afghanischen<br />

Machtpoker einzubinden. Dies und die Verschlechterung<br />

der Sicherheitslage förderten nicht gerade das Vertrauen in einen<br />

afghanischen Zentralstaat.<br />

136<br />

Faceen des Widerstands<br />

Landesweite Statistiken und globale Bewertungen der Sicherheitslage<br />

lenken ab von der großen Heterogenität Afghanistans.<br />

Spektakuläre Medienberichte lassen leicht in Vergessenheit geraten,<br />

wie ungleichmäßig sicherheitsrelevante Zwischenfälle<br />

verteilt sind. Intensität und Qualität des Widerstandes unterscheiden<br />

sich in verschiedenen Landesteilen grundlegend. Etwa<br />

70 Prozent der bekannten Zwischenfälle entfallen auf nur zehn<br />

Prozent der insgesamt fast 400 afghanischen Distrikte. Schwerpunkte<br />

sind die Gebiete im südlichen und östlichen Verlauf der<br />

Ringstraße sowie anderer wichtiger Nachschubrouten. Nahm die<br />

Anzahl der Übergriffe im RC North in Kundus und Faryab zu,<br />

blieb sie 2009 in anderen Provinzen des Nordens gleich oder ging<br />

sogar zurück. Dabei ist das individuelle Gefühl von »Sicherheit«


ISAF, Afghanistan und Pakistan<br />

oder »Unsicherheit« subjektiv, das Empfinden des Einzelnen<br />

kann sich deutlich von den Ergebnissen militärischer Analysen<br />

unterscheiden, und entsprechende Aussagen stehen stets auch im<br />

Zusammenhang mit Gesprächssituation und -partner: 76 Prozent<br />

der Afghanen, die Wissenschaler der Freien Universität Berlin<br />

beispielsweise in Kundus, Tachar, Baghlan und Badachschan befragten,<br />

gaben an, die Sicherheitslage habe sich dort in den zwei<br />

Jahren zuvor stark verbessert (Februar 2008).<br />

Die afghanische Regierung und die Internationale Gemeinscha<br />

sehen sich nicht einem flächendeckend strukturierten, abgestimmt<br />

operierenden Gegner, sondern vielmehr einer Vielzahl<br />

sich permanent verändernder Interessengruppen gegenüber.<br />

Diese umfassen vielfältige soziale und (schaen-)wirtschaliche<br />

Strukturen, Milieus und Akteure, die zeitweise und punktuell gemeinsame<br />

Interessen verfolgen, um sich wenig später gegenseitig<br />

zu bekämpfen.<br />

Versucht man die gewaltbereite Opposition zu strukturieren,<br />

so speist sich der Widerstand aus zwei Bereichen. Im<br />

Sprachgebrauch der ISAF sind dies erstens die bewaffneten<br />

Aufständischen der OMF, neuerdings auch als »insurgents«<br />

bezeichnet. Sie lehnen die Regierung in Kabul kategorisch ab<br />

und bekämpfen sie mit militärischen wie auch terroristischen<br />

Mieln. Zweitens zählen zur Opposition Personen und Gruppen<br />

»illegaler Parallelstrukturen«, die zum Teil mit staatlichen<br />

Amtsträgern, aber auch mit den OMF kooperieren. Die Existenz<br />

zumindest schwacher Staatlichkeit liegt allerdings in ihrem Interesse,<br />

weil das in Afghanistan bestehende administrative System<br />

insgesamt gute Rahmenbedingungen für die Verfolgung<br />

eigener Ziele bietet.<br />

Hinter den »illegalen Parallelstrukturen«, die in Afghanistan<br />

selbst Regierung und staatliche Verwaltung durchdringen, stehen<br />

Akteure wie Stammes- und Klanchefs oder Dorfälteste. Für ihre<br />

Klientel garantieren sie Sicherheit und ökonomisches Überleben.<br />

Während im Norden Afghanistans überwiegend die früheren Angehörigen<br />

der militärischen und administrativen Eliten dominieren,<br />

steht in den Süd-, Ost- und Westprovinzen eher der Einfluss<br />

der Stammesverbände und ihrer Führer im Vordergrund. Die<br />

Tätigkeit der Machthaber vollzieht sich zum Teil abseits legaler<br />

Sicherheits-, Verwaltungs- und Regierungsstrukturen. Neben der<br />

137


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

Nachhaltigkeit traditioneller Verhältnisse wirkt sich hier auch die<br />

Zerstörung der ohnehin schwach ausgeprägten Staatlichkeit in<br />

den Jahren der sowjetischen Besatzung und des Bürgerkriegs aus:<br />

Ihre Machtstellung haben die »power brokers« o schon zu sowjetischen<br />

Zeiten als Mudschaheddin im Kampf erworben.<br />

Der Reichtum lokaler Machthaber und damit ihre Fähigkeit,<br />

den eigenen Einflussbereich durch die Vergabe materieller Vergünstigungen<br />

und den Einsatz bewaffneter Gewalt nach außen<br />

wie innen zu sichern, basiert nach westlichem Verständnis überwiegend<br />

auf illegalen Machenschaen. Insbesondere in den<br />

Hochburgen von Mohnanbau und Opiumproduktion steht die<br />

Drogenwirtscha im Vordergrund. Andere Felder der Organisierten<br />

Kriminalität wie Schmuggel und Waffenhandel treten<br />

hinzu. Selbst von den Operationen des bewaffneten Widerstandes<br />

versuchen die lokalen Machthaber zu profitieren, indem sie<br />

im Rahmen der Beschaffung von Waffen und Munition Anspruch<br />

auf »Zölle« oder einen Teil der Lieferungen erheben, die eigenes<br />

Gebiet passieren. Ein beliebtes Miel, Gewinne abzuschöpfen,<br />

ist die Errichtung von Checkpoints an wichtigen Verkehrsverbindungen.<br />

Dort werden »Maut« erhoben und vor allem Einheimische<br />

ausgeraubt oder getötet.<br />

Die vergleichsweise niedrigen Gehälter innerhalb der staatlichen<br />

Behörden begünstigen die weitverbreitete Bestechung.<br />

Nicht selten üben stark kompromiierte Lokalpotentaten parallel<br />

zu ihren Geschäen selbst staatliche Ämter aus. Ein Beispiel<br />

für die schwer zu durchschauenden Verbindungen zwischen<br />

den OMF, der Organisierten Kriminalität und lokalen bzw. regionalen<br />

»power brokern« ist der RC North, wo häufig politisch<br />

motivierte Anschläge nicht von der in vielen Bereichen vorhandenen<br />

Alltagskriminalität zu unterscheiden sind.<br />

Die angesprochenen Kräe verfügen über ein erhebliches<br />

Gewaltpotenzial. Dieses setzen sie trotz anders lautender Erklärungen<br />

und Bekenntnisse gegebenenfalls kompromisslos ein. Zu<br />

den einschlägigen Verteilungskämpfen mit der größten Brisanz<br />

gehört jener um die im Land produzierten Drogen, die weiterhin<br />

an Bedeutung gewonnen haben und den überwiegenden Teil der<br />

afghanischen »Wirtschasleistung« ausmachen. Stören internationale<br />

Kräe das Umfeld lokaler Machthaber und gefährden<br />

damit deren Stellung und Verdienstmöglichkeiten, können ober-<br />

138


ISAF, Afghanistan und Pakistan<br />

flächliche Freundlichkeit und Akzeptanz jederzeit in offene Ablehnung<br />

bis hin zu gewaltsamen Angriffen umschlagen.<br />

Auch die massenhae Rückkehr von Flüchtlingen stellt ein Problem<br />

dar. Seit 2001 kamen insgesamt weit mehr als fünf Millionen<br />

Menschen in ihre angestammte Heimat zurück – etwa 45 Prozent<br />

ließen sich in den städtischen Zentren Kabul und Nangarhar nieder<br />

–, die heute etwa 20 Prozent der afghanischen Gesamtbevölkerung<br />

ausmachen. Die Heimkehrer fordern ihren o schon seit Jahren<br />

durch ortsansässige Familien belegten Besitz zurück, vor allem<br />

das knappe landwirtschalich nutzbare Land sowie Rechte bei<br />

der Wasserverteilung. Diese Konkurrenzsituation führt einerseits<br />

dazu, dass Flüchtlinge der ISAF gegenüber als angebliche Kämpfer<br />

der Taliban oder Urheber von Anschlägen diskreditiert werden.<br />

Häufig soll dadurch von illegalen Handlungen der Ortsansässigen<br />

abgelenkt werden. Andererseits bilden die am Rande der Gesellscha<br />

stehenden, benachteiligten Rückkehrer in der Tat ein ideales<br />

Rekrutierungspotenzial für radikale Gruppierungen: Manche von<br />

ihnen haben ihre Heimat schon vor mehr als 30 Jahren verlassen<br />

oder sind in den Flüchtlingslagern Pakistans oder Irans geboren<br />

und der afghanischen Gesellscha weitgehend entfremdet.<br />

Oppositionelle Militante Kräe (OMF)<br />

Der Sammelbegriff für die zweite große Fraktion des Widerstandes,<br />

die OMF, umfasst seit dem Ende der Taliban-Herrscha<br />

2001 alle Gruppen, die mit asymmetrischen und terroristischen<br />

Methoden bis hin zu offenen militärischen Angriffen gegen die<br />

Zentralregierung vorgehen. Westliche Einflüsse in Afghanistan<br />

lehnen sie ab. Sie verfolgen das Ziel, einen Staat zu errichten, der<br />

auf den Gesetzen des Islams basiert. Motivlage und Zusammensetzung<br />

sind jedoch selbst innerhalb einzelner Gruppierungen<br />

vielschichtig. Neben religiöse oder ideologische Überzeugungen<br />

treten positive Anreize wie Einfluss oder Geld, aber auch<br />

Zwangsmiel wie Druck und Einschüchterung. Eine trennscharfe<br />

Unterscheidung zwischen OMF und den bereits dargestellten<br />

»illegalen Parallelstrukturen« ist häufig nicht möglich.<br />

Die paschtunischen Siedlungsgebiete in Süd- und Ostafghanistan<br />

sowie im Norden Pakistans gelten als Kernland der OMF.<br />

139


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

Den militärischen Widerstand gegen die Regierung Karsai organisiert<br />

eine verhältnismäßig kleine Gruppe überzeugter und kaum<br />

von außen beeinflussbarer Führer. Sympathisanten finden sie o<br />

über die klassischen Rekrutierungspools der Flüchtlingslager<br />

und religiösen (Hoch-)Schulen (Medressen) in Pakistan. Neben<br />

religiöser Überzeugung fördern die meist desolate wirtschaliche<br />

und soziale Situation der Flüchtlinge, aber auch Verpflichtungen<br />

gegenüber Familie und Stamm oder persönliche Rachemotive<br />

den Zulauf. Alleine in Pakistan verzeichnen die Behörden immer<br />

noch offiziell 2,15 Millionen afghanische Flüchtlinge, während im<br />

zweitwichtigsten Aufnahmeland Iran bis heute 900 000 Flüchtlinge<br />

leben. In beiden Ländern düre die Dunkelziffer sogar um einiges<br />

höher liegen, zumal sich Flüchtlinge und Arbeitsmigranten<br />

kaum mehr voneinander trennen lassen.<br />

Den militanten Widerstand dominieren die Taliban (Singular<br />

talib, eigentlich Koranschüler in der Ausbildung zum Mullah),<br />

die Afghanistan zwischen 1996 und 2001 miels radikal-islamischer<br />

Gesetze beherrschten und heute erneut zu einer wichtigen<br />

Kra vor allem im Süden und Osten des Landes geworden sind.<br />

Ihr Hauptoperationsgebiet umfasst die Provinzen Helmand,<br />

Konar, Paktika, Sabul, Nurestan, Kandahar und Urusgan. Die<br />

Operation E F und der militärische Sieg der<br />

Nordallianz schwächten die Organisation zunächst empfindlich.<br />

Viele ihrer Führer kamen um. Von diesem Schlag erholten sich<br />

die Taliban jedoch weitgehend. Seit 2006 zeigt sich dies in einer<br />

steigenden Anzahl von Anschlägen gegen die Sicherheitskräe.<br />

Die aktuelle Aufstandsbewegung umfasst zum einen Anhänger<br />

des alten Taliban-Regimes. Zahlenmäßig weit stärker sind<br />

zum anderen Personen vertreten, welche die Goeskrieger weniger<br />

aus religiösen und politischen, sondern eher aus wirtschalichen<br />

Gründen oder aus einer allgemein antiwestlichen Haltung<br />

heraus unterstützen. Finanzielle Zuwendungen islamistischer<br />

Kreise aus der ganzen Welt sowie die landesüblichen Einnahmen<br />

aus Mohnanbau und Drogenhandel ermöglichen den Taliban<br />

Waffenkäufe, die großzügige Besoldung von Kämpfern und<br />

auch die Einflussnahme im innerafghanischen Machtpoker.<br />

Die Taliban besitzen die Fähigkeit, von Pakistan aus Operationen<br />

– einschließlich begleitender Informationskampagnen<br />

– in größerem Rahmen zielgerichtet zu planen. Hierfür steht ein<br />

140


DUSCHANBE<br />

Gefährdungsstufen in Afghanistan<br />

Sommer 2009<br />

Morghab<br />

Kundus<br />

Tachar<br />

Badachschan<br />

Dschusdschan<br />

Balch<br />

Hohes Risiko<br />

Erhebliches Risiko<br />

Nordgebiete<br />

Mittleres Risiko<br />

Niedriges Risiko<br />

Baghlan<br />

Samangan<br />

Sar-e Pol<br />

Nuristan<br />

Konar<br />

3<br />

2<br />

Faryab<br />

4<br />

Parwan<br />

Bamian<br />

KABUL 1<br />

Wardak<br />

5<br />

Badghis<br />

ISLAMABAD<br />

AK<br />

Nangarhar<br />

Dalkundi<br />

Herat<br />

6<br />

ISAF, Afghanistan und Pakistan<br />

NWFP<br />

7<br />

Ghor<br />

Ghasni<br />

Urusgan<br />

FATA<br />

Musa Kala<br />

Farah<br />

Paktika<br />

Sabul<br />

Helmand<br />

Punjab<br />

Belutschistan<br />

Kandahar<br />

Nimrus<br />

Staatsgrenze<br />

von Afghanistan<br />

andere Staatsgrenzen<br />

Demarkationslinie<br />

umstrittene Grenze<br />

Provinzgrenzen<br />

Provinznamen<br />

Kabul<br />

Kapisa<br />

Pandschir<br />

Laghman<br />

Logar<br />

Paktia<br />

Chost<br />

Federally Administrated<br />

Tribal Areas<br />

North West Frontier<br />

Province (unter<br />

Bundesverwaltung)<br />

Azad Kaschmir<br />

Siedlungsgebiet<br />

der Paschtunen<br />

Ghor<br />

1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

5<br />

6<br />

7<br />

FATA<br />

NWFP<br />

AK<br />

INDIEN<br />

MGFA<br />

05926-06<br />

141


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

System sogenannter Schuras (Singular Schura, islamische Ratsversammlung)<br />

zur Verfügung. Die Schuras (die wichtigsten angesiedelt<br />

in den pakistanischen Städten Quea und Peschawar)<br />

sind nicht mit dem westlichen Verständnis einer militärischen<br />

oder bürokratischen Auauorganisation zu begreifen, sondern<br />

spiegeln landestypische Formen von Problemlösung und Entscheidungsfindung<br />

wider. Ihre Beschlüsse weisen aber auf der<br />

Basis persönlicher Loyalitäten und Gefolgschaen einen hohen<br />

Grad an Verbindlichkeit und Durchschlagskra auf.<br />

In den zahlreichen Gefechten im Süden des Landes erlien<br />

die Einheiten der Aufständischen 2008 erhebliche Verluste. Sie<br />

verloren neben mehreren höheren Kommandeuren auch einen<br />

bedeutetenden Teil ihrer mileren Führungsschicht. Die Zunahme<br />

direkter Zusammenstöße hat auch mit einer verstärkten<br />

Präsenz von ISAF und der afghanischen Sicherheitskräe in der<br />

Fläche zu tun. Der erkennbare Übergang der OMF zu Methoden<br />

der asymmetrischen Kriegführung spiegelt nicht nur deren<br />

verstärkten Offensivwillen, sondern auch ihre Unterlegenheit in<br />

der offenen Auseinandersetzung mit regulärem Militär wider,<br />

das die neue US-Regierung unter Barack Obama 2010 nochmals<br />

substanziell verstärken wird.<br />

Anschläge, die sich gegen deutsche ISAF-Kräe im Norden<br />

Afghanistans richten, sind eher Ausdruck der komplizierten Verteilungskämpfe<br />

und Konflikte innerhalb der Bevölkerung. Direkte<br />

Angriffe der OMF gegen die ISAF bilden bei Betrachtung des<br />

gesamten RC North bislang die Ausnahme. Lokal operierende<br />

Aufständische konzentrieren sich vor allem auf den Raum Kundus<br />

sowie das Grenzgebiet zum RC West. Ende 2008 schlug die<br />

afghanische Regierung den dortigen Distrikt Ghowrmach, bis<br />

dahin Teil der Provinz Badghis und des italienisch geführten<br />

RC West, der Provinz Faryab und damit dem Verantwortungsbereich<br />

des unter deutscher Führung stehenden RC North zu.<br />

Der auf dem Landweg für die eigentlich zuständigen italienischen<br />

und spanischen ISAF-Truppen praktisch unerreichbare<br />

Landstrich im Grenzgebiet zwischen beiden Provinzen galt als<br />

Hochburg des Widerstandes und als Schlupfloch für in die Nordregion<br />

eindringende Kämpfer. Die Grenzverschiebung ermöglichte<br />

– zumindest phasenweise – eine verstärkte ISAF-Präsenz<br />

unter einheitlicher Führung.<br />

142


ISAF, Afghanistan und Pakistan<br />

Insgesamt ist für den Norden davon auszugehen, dass die<br />

Militanten bislang lediglich zur Durchführung punktueller<br />

Operationen fähig sind. Entsprechende Aktionen können nur<br />

mit Wissen und Zustimmung der örtlichen Machthaber stafinden.<br />

Diese verbindet mit militanten Akteuren mitunter die<br />

Ablehnung der Regierung in Kabul sowie der Internationalen<br />

Gemeinscha, doch werden beispielsweise nicht-paschtunische<br />

Akteure im RC North kaum zulassen, dass paschtunische<br />

Gruppen aus dem Westen oder Süden des Landes ihre eigene<br />

Handlungsfreiheit oder örtliche Macht- und Einflussbereiche<br />

einschränken.<br />

Minen und improvisierte Sprengfallen stellen im Norden die<br />

größte Gefahr dar. Bei ihrem Einsatz legen die OMF Flexibilität<br />

und Einfallsreichtum an den Tag. So reagierten sie 2009 auf den<br />

verstärkten Einsatz von in Fahrzeugen eingebauten »Jammern«,<br />

die die Funkfernauslösung von Bomben verhindern sollen, unter<br />

anderem mit einfachen, drahtausgelösten Sprengkörpern oder<br />

mit der Verlegung von Panzerminen, die auf Druck reagieren.<br />

Die pakistanischen Grenzgebiete als<br />

»Safe Haven« der OMF<br />

Die Sicherheit Afghanistans ist untrennbar mit der politischen<br />

Entwicklung des seit 1947 souveränen Nachbarn Pakistan verbunden.<br />

Spannungen des pakistanisch-afghanischen Verhältnisses<br />

rührten lange Jahre vor allem aus dem Anspruch Afghanistans,<br />

die Belange der pakistanischen Paschtunen zu vertreten.<br />

1955, 1961 und 1977/78 standen beide Staaten am Rande eines<br />

Krieges. Während der sowjetischen Besatzung unterstützte Pakistan<br />

dann aktiv den »Heiligen Krieg« der Mudschaheddin<br />

gegen die Invasoren. Die Regierung in Islamabad änderte ihre<br />

Politik in der Paschtunistan-Frage und förderte, unterstützt<br />

durch die USA, den militärischen Kampf paschtunischer Gruppen<br />

und deren Einfluss in Afghanistan. Dabei ging die pakistanische<br />

Hilfe vor allem an »islamische« Parteien wie die Hezb-e<br />

Islami Gulbuddin (HIG): Die Regierung hoe darauf, mit der<br />

Schaffung einer islamischen Bewegung ethnische Probleme im<br />

143


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

eigenen Land zu entschärfen oder zu umgehen, und trug so<br />

entscheidend zur Entstehung und Ausbreitung gewaltbereiter<br />

Netzwerke bei. Hinter der Unterstützung paschtunischer Gruppen<br />

stand auch der pakistanische Wunsch, in Kabul eine von Islamabad<br />

aus beeinflussbare Regierung zu errichten und so die<br />

guten Verbindungen zwischen Afghanistan und dem pakistanischen<br />

Rivalen Indien zu unterbrechen. Als es nach dem Ende der<br />

sowjetischen Besatzung nicht gelang, die HIG als führende Kra<br />

in Afghanistan zu etablieren, begann Pakistan mit der Unterstützung<br />

der Taliban, um der Willkürherrscha der afghanischen<br />

Warlords Grenzen zu setzen. Die Erfolge der Taliban wären ohne<br />

die massive Hilfe durch die pakistanische Armee und den Geheimdienst<br />

ISI nicht möglich gewesen. Erst die Anschläge vom<br />

11. September 2001 bewirkten die offizielle Abkehr Pakistans<br />

von seiner interventionistischen Politik in Afghanistan, doch<br />

bestehen die Verbindungen zwischen Armee und Geheimdienst<br />

und islamistischen Gruppierungen weiter.<br />

Von Pakistan aus wirken zahlreiche innergesellschaliche<br />

Konflikte sowie der Gegensatz mit Indien in der Kaschmir-Frage<br />

destabilisierend auf die gesamte Region. Religiöse und ethnische<br />

Auseinandersetzungen kennzeichnen das politische System der<br />

Atommacht Pakistan ebenso wie Verteilungs- und Machtkämpfe<br />

zwischen Parteien, Militärs und Feudalherren. Gewalt, Menschenrechtsverletzungen<br />

und weitverbreitete Bestechung lähmen<br />

den Auau eines leistungsfähigen und stabilen Staates.<br />

Über ethnische und politische Grenzen hinweg wirkt allerdings<br />

der Islam als verbindende Klammer der Gesellscha: Die islamische<br />

Identität kommt ebenso im Anspruch auf das mehrheitlich<br />

von Moslems besiedelte Kaschmir zum Ausdruck wie in der Einflussnahme<br />

auf die Entwicklung in Afghanistan.<br />

Trotz formal demokratischer Regierungsformen putschte<br />

sich das pakistanische Militär immer wieder an die Macht. Die<br />

Streitkräe, die sich auch als Schutzmacht der Muslime im Land<br />

definieren, besetzen eine innenpolitische Schlüsselstellung. Wiederholt<br />

bediente sich die pakistanische Regierung trotz der erklärten<br />

Unterstützung des US-geführten Anti-Terrorkampfes<br />

der Kräe des militanten Islamismus, um ihre Ziele bezüglich<br />

Kaschmir und Afghanistan zu verfolgen; sie sieht sich allerdings<br />

in jüngster Zeit selbst durch den Terror bedroht.<br />

144


ISAF, Afghanistan und Pakistan<br />

Trotz der guten Integration paschtunischer Eliten in Administration,<br />

Armee und Geheimdienst Pakistans – beispielsweise<br />

war der pakistanische Präsident von 1958 bis 1969, General Mohammed<br />

Ayub Khan, Paschtune – blieb die Frage paschtunischer<br />

Eigenständigkeit eine erhebliche Belastung für Pakistan wie Afghanistan.<br />

Die etwa 2600 Kilometer lange Grenze im Verlauf der<br />

Durand-Linie auf Höhen zwischen 600 und 7500 Meter spielt in<br />

der Wahrnehmung der Paschtunen kaum eine Rolle: Bis heute<br />

denken Stammeskrieger nicht in staatlichen Kategorien, sondern<br />

orientieren sich an ihren Siedlungsgebieten. Obwohl die pakistanischen<br />

Grenzgebiete immer wieder Schauplatz von Militäroperationen<br />

der pakistanischen Armee sowie in Einzelfällen der<br />

US-Streitkräe waren, erfüllen sie für Taliban und al-Qaida nach<br />

wie vor die Funktion eines »Safe Haven«. Faktisch entzieht sich<br />

das Grenzgebiet der Kontrolle durch den pakistanischen Staat,<br />

während grenzüberschreitende Operationen von afghanischem<br />

Territorium aus zu erheblichen diplomatischen Verwicklungen<br />

und Unmut in der ortsansässigen Bevölkerung führen.<br />

In den Grenzgebieten herrschen paschtunische Stämme, die in<br />

Pakistan nach den Pundschabis und den Sudhis die drigrößte Bevölkerungsgruppe<br />

stellen. Eine große Zahl von Flüchtlingen sowie<br />

der Machtanspruch lokaler und regionaler Potentaten begrenzen<br />

die Einflussmöglichkeiten der pakistanischen Regierung zusätzlich.<br />

Die paschtunischen Stammesgesellschaen sind in Pakistan<br />

noch fester gefügt als auf afghanischer Seite, da hier die katastrophalen<br />

Auswirkungen von Jahrzehnten des Bürgerkriegs fehlen.<br />

Viele Familien profitieren von der Drogenökonomie als einem<br />

der wenigen funktionierenden Erwerbszweige. In der Grenzregion<br />

liegt das Pro-Kopf-Einkommen nur etwa bei der Häle des<br />

pakistanischen Durchschnis. Mangelnde Zukunsperspektiven<br />

fördern die Landflucht der Bevölkerung. Dies vergrößert die sozialen<br />

Probleme in den Städten und lässt dort Slums entstehen,<br />

die ebenso wie die Flüchtlingslager ideale Rekrutierungsbasen<br />

für radikale Gruppierungen darstellen. Ohne finanzielle Unterstützung<br />

vor allem durch die USA, die keineswegs der Volkswirtscha<br />

zugute kam, sondern in die Aufrüstung des Militärs floss,<br />

wäre Pakistan wohl bereits bankro.<br />

Ebenso wie auf afghanischer Seite kämpfen auch in den<br />

pakistanischen Stammesgebieten militante Extremisten und<br />

145


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

Stammeskrieger gegen den Zentralstaat und jedwede »Verwestlichung«,<br />

als deren Hauptrepräsentant die Vereinigten Staaten<br />

angesehen werden. Sie beabsichtigen die Einführung der Scharia<br />

und gehen gegen westliche Musik, Mädchenschulen oder<br />

moderne Kleidung vor. Spektakuläre Anschläge gegen militärische<br />

oder zivile Ziele ereignen sich fast wöchentlich.<br />

Extremistische Gruppen planen ihre Operationen im pakistanisch-afghanischen<br />

Grenzgebiet und frischen in diesem Rückzugsraum<br />

ihre Kräe auf. Die große Eigenständigkeit dieser<br />

Grenzgebiete hat historische Gründe. Nach der Unabhängigkeit<br />

Indiens von Großbritannien haen paschtunische Separatisten<br />

zunächst die Schaffung eines selbstständigen Staates gefordert.<br />

Wichtige paschtunische Siedlungsgebiete wurden dann jedoch<br />

als Nordwestgrenzprovinz (North West Frontier Province,<br />

NWFP) sowie als Stammesgebiete unter Bundesverwaltung (Federally<br />

Administrated Tribal Areas, FATA) dem pakistanischen<br />

Staat eingegliedert (vgl. die Karte auf S. 141). Die dort garantierte<br />

Autonomie der Stämme reicht bis in die Zeit der britischen<br />

Herrscha zurück und sollte die Grenzregion zwischen dem<br />

damals noch ungeteilten Indien und Afghanistan stabilisieren.<br />

Den FATA kommt ein verfassungsmäßiger Sonderstatus zu; die<br />

pakistanische Regierung erkannte sie als Enklave an. Bis heute<br />

nehmen die pakistanische Polizei und die staatlichen Gerichte in<br />

den FATA faktisch keine hoheitlichen Aufgaben wahr. Die Streitkräe<br />

operierten hier überhaupt erstmals 2002 im Rahmen des<br />

US-geführten Kampfes gegen den Terrorismus.<br />

Im Swat-Tal (NWFP) gelang den Taliban im Februar 2009 die<br />

Einführung der Scharia und die Übernahme der Macht. Die pakistanische<br />

Regierung erkannte diesen Schri zunächst an, startete<br />

aber angesichts zunehmender Gewalt bereits wenige Wochen später<br />

eine groß angelegte Militäroperation im Swat-Tal. Diese endete<br />

im Sommer mit einem »Sieg« der pakistanischen Sicherheitskräfte,<br />

Hunderausende Menschen befanden sich auf der Flucht.<br />

Die meisten Militanten haben familiäre Bindungen in die Region,<br />

in der sie ihren bewaffneten Kampf durchführen. Lokale<br />

Gruppen in Pakistan operieren insgesamt überwiegend auf eigenem<br />

Territorium. Grenzüberschreitende Angriffe finden nur in<br />

Ausnahmefällen sta, doch planen afghanische Kommandeure<br />

der Taliban von Städten wie Peschawar und Quea aus Operati-<br />

146


Pakistanische Soldaten<br />

und zurückkehrende<br />

Flüchtlinge in Mingora,<br />

der größten Stadt des<br />

Swat-Tals (Aufnahme<br />

vom 13. August 2009).<br />

Die Regierung erklärte,<br />

die Militanten aus dem<br />

früheren Touristengebiet<br />

vertrieben zu<br />

haben, doch dürften die<br />

meisten Taliban-Führer<br />

Unterschlupf in den<br />

unzugänglichen Gebirgsregionen<br />

sowie in<br />

den Nachbardistrikten<br />

gefunden haben.<br />

ISAF, Afghanistan und Pakistan<br />

onen in ihren Herkun sgebieten. Auch die Führer der al-Qaida<br />

und anderer Terrororganisationen betreiben mit Zustimmung<br />

und als Gäste örtlicher Machthaber Ausbildungscamps und Medressen<br />

für die Rekrutierung von Nachwuchs.<br />

Die große Mehrzahl der Bevölkerung und der lokalen Stammesführer<br />

sieht sich mit den Militanten in einem ausgeprägten<br />

Antiamerikanismus verbunden, lehnt allerdings deren Methoden<br />

überwiegend ab. Fallweise bekämpfen Stammesmilizen mit<br />

Wissen oder Unterstützung der pakistanischen Regierung die<br />

Aufständischen, sie sehen diese Aktionen selbst allerdings meist<br />

als ein Mi el, um die pakistanische Regierung und ihre Sicherheitskrä<br />

e aus dem eigenen Einfl ussbereich hinauszudrängen.<br />

Die OMF ihrerseits gingen – ebenso wie in Afghanistan – in der<br />

Vergangenheit immer wieder gegen widerspenstige Stammesführer<br />

vor, bedrohten oder töteten Älteste, die mit Regierung<br />

und Militär zusammenarbeiteten.<br />

Grenzsicherung<br />

picture-alliance/dpa/Rashid Iqbal<br />

Die Grenze zu Afghanistan sichert Pakistan mit etwa 1100 permanenten<br />

Kontroll- und Beobachtungsposten, das Land ist jedoch<br />

zu einer wirksamen Überwachung nicht in der Lage. Die Schwierigkeiten<br />

eff ektiver Kontrolle illustriert der Umstand, dass nur<br />

147


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

drei von 100 Grenzgängern überhaupt einen Ausweis besitzen.<br />

Auf pakistanischer Seite tun überwiegend Einheiten des territorial<br />

organisierten Frontier Corps Dienst, das in der Nordwestprovinz<br />

(Hauptquartier in Peschawar) über rund 35 000 Mann und in<br />

Belutschistan (Hauptquartier in Que a) über etwa 40 000 Mann<br />

verfügt. Die paramilitärischen »Corps« (Regimenter) rekrutieren<br />

sich aus den Stämmen der Region. Zusammen mit Polizeikräften<br />

kann die pakistanische Regierung damit auf nahezu 100 000<br />

Mann an Sicherheitskrä en zurückgreifen, von denen jedoch nur<br />

ein kleiner Teil tatsächlich an der Grenze im Einsatz steht. Mit<br />

Ausnahme einiger Spezialverbände weisen diese einen niedrigen<br />

Ausbildungsstand auf und sind überwiegend nicht zur Bekämpfung<br />

der hoch motivierten Aufständischen in der Lage, zumal<br />

ihre Angehörigen selbst fest in die örtlichen Stammes- und Clanstrukturen<br />

integriert sind.<br />

Die Afghanische Grenzpolizei ( Afghan Border Police, ABP) auf<br />

der anderen Seite hat landesweit eine Soll-Stärke von 18 000 Mann,<br />

erreichte im Januar 2009 aber erst 12 000. Sie wird unterstützt<br />

durch Truppen der ISAF und der<br />

afghanischen Streitkrä e. Auch die<br />

ABP leidet unter erheblichen Defi -<br />

ziten bei Ausbildung und Ausrüstung,<br />

ihr Personal stammt überwiegend<br />

aus dem grenznahen Raum. In<br />

Einzelfällen profi tieren selbst ranghohe<br />

Offi ziere vom grenzüberschreitenden<br />

illegalen Handel. Monatelang<br />

148<br />

picture-alliance/dpa/ T. Mughal<br />

Anschlag in Islamabad: Ein Selbstmordattentäter<br />

zündete am 5. Oktober 2009 eine Bombe<br />

auf dem Gelände des Welternährungsprogramms<br />

( World Food Programme, WFP) in<br />

der pakistanischen Hauptstadt und riss fünf<br />

Menschen mit in den Tod. Die pakistanischen<br />

Taliban bekannten sich zu dem Anschlag<br />

gegen die Vereinten Nationen, die im Land<br />

die »amerikanische Agenda« unterstützten.<br />

Nach dem Angriff forderten die pakistanischen<br />

Behörden dazu auf, UNO-Büros in das<br />

abgeriegelte Diplomatenviertel der Stadt zu<br />

verlegen.


ISAF, Afghanistan und Pakistan<br />

ausbleibende Gehaltszahlungen erschweren die konsequente Verfolgung<br />

krimineller Elemente ebenso wie die Einflüsse der Stammesloyalität.<br />

Um der Sicherheitsproblematik im Grenzgebiet Herr zu werden,<br />

strebt die pakistanische Regierung unter dem am 25. März<br />

2008 vereidigten Premierminister Yousaf Raza Gilani verstärkt den<br />

Dialog mit verhandlungsbereiten Stämmen und den Abschluss<br />

tragfähiger Abkommen an. Zudem sollen die bislang vernachlässigten<br />

paschtunischen Stammesgebiete zukünig vermehrt von<br />

staatlicher Auauhilfe profitieren. Gleichzeitig fördert der Staat<br />

die Rückkehr der in den Grenzgebieten lebenden Flüchtlinge in<br />

ihre Heimat. Als integraler Bestandteil der staatlichen Strategie<br />

gilt schließlich weiterhin die gezielte militärische Bekämpfung gewaltbereiter<br />

Aufständischer.<br />

Im Rahmen einer Initiative zur verbesserten Bekämpfung<br />

militanter Strukturen im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet<br />

wurden an einigen Stellen die vorhandenen Grenzübergänge<br />

ausgebaut und Grenzzäune verstärkt. Darüber hinaus errichten<br />

Afghanistan, Pakistan und die USA gemeinsam betriebene »Joint<br />

Coordination Centers«, welche die Durchlässigkeit der Grenze<br />

verringern sollen. Ob die geplanten Maßnahmen die Präsenz des<br />

pakistanischen Staates in den Grenzgebieten tatsächlich verbessern<br />

können, bleibt abzuwarten. Neben fehlenden finanziellen<br />

Mieln wird staatliches Eingreifen dadurch erschwert, dass weder<br />

die zivile Regierung noch das pakistanische Militär Rückhalt in<br />

der Bevölkerung der Stammesgebiete genießen und als Handlanger<br />

des Westens abgelehnt werden.<br />

Mögliche Entwicklungen<br />

Mit der Verschärfung der Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtern<br />

sich die Arbeitsbedingungen der Nichtregierungsorganisationen<br />

(NGOs). Waren Angriffe der Taliban gegen diese<br />

Organisationen bislang eher die Ausnahme, so geraten sie nun –<br />

ebenso wie im Lande arbeitende Journalisten – ebenfalls ins Visier<br />

der Aufständischen. Drohungen – beispielsweise nachts hinterlassene<br />

Warnbriefe – und eine steigende Anzahl direkter Angriffe<br />

und Entführungen sprechen diesbezüglich eine deutliche Sprache.<br />

149


I. Auslandseinsätze im Wandel<br />

Das Wegbrechen von Auauleistungen träfe eine Bevölkerung,<br />

die in einem wirtschalich kaum entwickelten Raum meist unter<br />

ärmlichsten Bedingungen lebt.<br />

Obwohl in Afghanistan nach wie vor eine einheitliche Führung<br />

des Widerstandes fehlt, und dieser sich in Qualität und Intensität<br />

landesweit sehr stark unterscheidet, beeinträchtigen die<br />

Angriffe gegen den afghanischen Staat und ISAF/OEF in ihrer<br />

Summe die Glaubwürdigkeit der Staatsgewalt und der Internationalen<br />

Gemeinscha doch empfindlich. Die afghanische Regierung<br />

ebenso wie ISAF sind gezwungen, auf Provokationen zu<br />

reagieren, um nicht die Funktionsfähigkeit des »Modells Afghanistan«<br />

infrage zu stellen. Die Erfolge der Taliban im Süden haben<br />

diesbezüglich eine Signalwirkung vor allem im rein paschtunischen<br />

Siedlungsgebiet in Pakistan und Afghanistan, aber auch<br />

für den afghanischen Norden. Dort setzen die Kräe der ehemaligen<br />

Nordallianz bei einem weiteren Erstarken der Taliban im<br />

Süden wieder vermehrt auf den Auau eigener Strukturen, um<br />

der befürchteten Konkurrenz in den eigenen Einflussbereichen<br />

entgegenzuwirken. Dies läu dem erklärten Ziel der Internationalen<br />

Gemeinscha zuwider, eine zentralstaatliche Verwaltung<br />

aufzubauen.<br />

Hier zeigt sich ein grundsätzliches Dilemma: Einerseits ist ziviler<br />

Wiederauau ohne die dauerhae Präsenz der afghanischen<br />

Sicherheitskräe und der ISAF unmöglich. Militärische Miel<br />

müssen erkennbare Entwicklungsfortschrie absichern und die<br />

Voraussetzungen für die »Afghan Ownership«, die Übernahme<br />

staatlicher Verantwortung durch die Administration in Kabul<br />

sowie für den Abzug ausländischer Truppen schaffen. Die aktuelle,<br />

innerhalb der ISAF praktizierte Counter-Insurgency Doctrine der<br />

USA umschreibt dies mit der Begriffskee »Clear« (für die militärische<br />

Bekämpfung der Aufständischen), »Hold« (die dauerhae<br />

Präsenz in einer »befriedeten« Region) und »Build« (für den Aufbau<br />

funktionsfähiger staatlicher Strukturen). Zentrale Bedeutung<br />

kommt in diesem Zusammenhang der Ausbildung und Ausrüstung<br />

der milerweile in der Bevölkerung gut angesehenen ANA<br />

sowie der ANP (Afghan National Police) zu, die ohne substanzielle<br />

internationale Hilfe nicht gelingen kann.<br />

Ein ausgeweiteter Kampfeinsatz ru andererseits Gegenreaktionen<br />

regionaler und lokaler Netzwerke hervor und treibt die<br />

150


ISAF, Afghanistan und Pakistan<br />

Anzahl sicherheitsrelevanter Zwischenfälle weiter in die Höhe.<br />

Mielfristig könnte ein solches Vorgehen das Ende des bislang<br />

praktizierten Zweiklangs von militärischer Sicherung und zivilem<br />

Wiederauau hin zur militärischen Konfrontation bewirken.<br />

Die Internationale Gemeinscha geriete damit endgültig zur<br />

Konfliktpartei, in den Augen der Bevölkerung schlimmstenfalls<br />

zu einer Besatzungsarmee.<br />

In der jüngeren Vergangenheit beschäigte in diesem Zusammenhang<br />

die Beteiligung der Taliban an den Machtstrukturen<br />

mehrere Ratsversammlungen (Dschirgas) in Afghanistan und Pakistan.<br />

Hamid Karsai empfahl sich im Spätherbst 2008 seinen potenziellen<br />

Wählern mit der Aussage, Verhandlungen mit den Taliban<br />

notfalls auch gegen den Willen des Westens führen zu wollen,<br />

öffentlichkeitswirksam als starker Präsident. Die Einbindung der<br />

Militanten müsste allerdings teilweise außerhalb der von der Internationalen<br />

Gemeinscha vertretenen Strukturen erfolgen, da<br />

die Taliban einen Staat nach mehr oder weniger westlichem Muster<br />

strikt ablehnen. Einschlägige Gespräche, wie sie etwa Präsident<br />

Karsai im September 2008 nach saudi-arabischer Vermilung in<br />

Mekka führte, und wie sie selbst im Umfeld des neuen US-Präsidenten<br />

Barack Obama als strategische Option diskutiert werden,<br />

stellen einerseits ein erhebliches Risiko dar. Andererseits können<br />

sie – begleitet von permanentem militärischen Druck auf die Aufständischen<br />

– ein Fenster für Friedensverhandlungen öffnen.<br />

Afghanistan befindet sich heute an einem Scheidepunkt. Gelingt<br />

es der Regierung und der Internationalen Gemeinscha nicht,<br />

die laufenden Auseinandersetzungen in den Griff zu bekommen<br />

und alle ethnischen Gruppen sowie Teile der antiwestlich eingestellten<br />

Aufständischen in den afghanischen Staat einzubinden,<br />

besteht die Gefahr der weiteren Eskalation bis hin zu einem neuen<br />

Bürgerkrieg. Staat und Gesellscha mit »Afghan Face«, die dann<br />

eben auch landestypische Züge von Kultur und Problemlösung<br />

zeigen, setzen allerdings die Bereitscha der Internationalen Gemeinscha<br />

voraus, die Abweichung von westlichen Vorstellungen<br />

nicht als Misserfolg, sondern als Ausweg aus einer krisenhaen<br />

Situation zu begreifen.<br />

Bernhard Chiari<br />

151


Schon 1948 hatte es im Parlamentarischen Rat, der – bestehend aus<br />

65 Ländervertretern – am 1. September in Bonn zusammengetreten war<br />

und die Urfassung des Grundgesetzes formuliert hatte, Debatten um die<br />

Aufstellung und die Verwendung westdeutscher Streitkräfte gegeben.<br />

Die heftig und leidenschaftlich geführte Diskussion ging als »Kampf um<br />

den Wehrbeitrag« in die deutsche Zeitgeschichte ein. In den Jahren 1952<br />

und 1953 sah sich das Bundesverfassungsgericht erstmals zur Beschäftigung<br />

mit Art. 24 Abs. 2 GG (»Der Bund kann sich zur Wahrung des<br />

Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen;<br />

er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen,<br />

die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den<br />

Völkern der Welt herbeiführen und sichern«) und der Frage einer Verfassungsänderung<br />

oder -ergänzung gezwungen. Beinahe ausschließlich<br />

unter innenpolitischen Aspekten zog sich der gesellschaftliche Diskurs<br />

bis zur Verabschiedung der sogenannten Notstandsverfassung 1968 hin.<br />

Damals erhielt Art. 87a GG, der die Aufstellung sowie die Aufgaben der<br />

Streitkräfte regelt, seine heute gültige Fassung (vgl. Infokasten S. 156).<br />

picture-alliance/akg-images


Verfassungshistorische und<br />

verfassungsrechtliche Aspekte<br />

der Auslandseinsätze<br />

Die Diskussion um die Auslandseinsätze ist ohne die aus den<br />

Erfahrungen der Kaiserzeit, der Weimarer Republik und der<br />

Diktatur des »Drien Reiches« gespeiste, diffuse Angst vor dem<br />

Einsatz der Streitkräe im Innern nicht zu verstehen. Während<br />

der Inlandseinsatz sehr leidenschalich und intensiv in der gesamten<br />

Gesellscha diskutiert wurde, führte die Debae um die<br />

Auslandseinsätze nur ein verhältnismäßig kleiner Kreis von Politikern,<br />

Juristen und Soldaten. Für Letztere ging es in den frühen<br />

1990er-Jahren vor allem darum, ob der soldatische Eid überhaupt<br />

Verwendungen unter dem blauen Helm der Vereinten Nationen<br />

(UN) umfasse. Viele Soldaten der älteren Generation haen aus<br />

der Überzeugung heraus den Dienst aufgenommen, die Heimat<br />

und die Demokratie gegen den Feind aus dem Osten zu verteidigen.<br />

Sie haen wenig Verständnis dafür, unter Umständen ihr<br />

Leben auch in Asien oder in Afrika einsetzen zu müssen. Es bereitete<br />

ihnen große Mühe, die Worte »treu zu dienen« und »das<br />

Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen«<br />

mit den neuen Anforderungen in Einklang zu bringen.<br />

Ohne dass bereits Streitkräe aufgestellt waren, wurde die<br />

Bundesrepublik am 9. Mai 1955 in die NATO aufgenommen.<br />

Damit wurde die lange diskutierte Verfassungsergänzung notwendig,<br />

die mit der 2. Wehrnovelle vom 22. März 1956 Art. 87a<br />

GG in seiner Urfassung in das Grundgesetz einfügte. Damals<br />

lautete er: »Die zahlenmäßige Stärke der vom Bunde zur Verteidigung<br />

aufgestellten Streitkräe und die Grundzüge ihrer Organisation<br />

müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben.« Der<br />

»Kampf um den Wehrbeitrag« schien entschieden; der Weg zur<br />

Gründung der Bundeswehr war geebnet.<br />

Bereits in der ersten Fassung enthält Art. 87a GG zwei wesentliche<br />

Kriterien: 1. Die Streitkräe dienen der Verteidigung,<br />

und 2. Über den Haushaltsplan kontrolliert das Parlament zahlenmäßige<br />

Stärke und die Grundzüge der Organisation. Damit<br />

ist die Bundeswehr als Parlamentsheer verfassungsmäßig verankert.<br />

153


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

Das drie wesentliche Kriterium fehlt indes noch. Art. 87a<br />

GG lässt die Frage des Einsatzes der Streitkräe völlig offen.<br />

Dafür erhielt Art. 143 GG folgende Fassung: »Die Voraussetzungen,<br />

unter denen es zulässig wird, die Streitkräe im Falle<br />

eines inneren Notstandes in Anspruch zu nehmen, können nur<br />

durch ein Gesetz geregelt werden, das die Erfordernisse des<br />

Art. 79 erfüllt.« Aus der Verfassungssprache übersetzt heißt das:<br />

Die Inanspruchnahme – das Wort »Einsatz« hae man sorgfältig<br />

vermieden – der Streitkräe im Innern ist so lange verboten, bis<br />

eine weitere Verfassungsänderung oder -ergänzung sie gestaen<br />

wird. Obwohl der Begriff »Inanspruchnahme der Streitkräe«<br />

scheinbar jede Verwendung der Streitkräe im Innern verbot,<br />

setzte sich alsbald die Meinung durch, die rein technische und<br />

unbewaffnete Verwendung der Bundeswehr in der Erntehilfe<br />

oder bei Naturkatastrophen sei davon nicht erfasst.<br />

Als Anfang März 1960 ein verheerendes Erdbeben die marokkanische<br />

Stadt Agadir zerstörte, beauragte Verteidigungsminister<br />

Franz Josef Strauß die Lutransporruppe, Hilfseinsätze in die<br />

Erdbebenregion zu fliegen, und verlegte Sanitätskräe sowie Teile<br />

einer ABC-Abwehrkompanie dorthin. Die allererste Auslandsverwendung<br />

der Bundeswehr fand sogleich außerhalb des NATO-<br />

Bündnisgebietes sta. Über die Bewaffnung der verwendeten<br />

Kräe, und sei es auch nur zum Selbstschutz, wurde damals nicht<br />

diskutiert, so selbstverständlich schien die sofortige Hilfeleistung<br />

angesichts einer humanitären Katastrophe. Die »Inanspruchnahme«<br />

der Bundeswehr – um in der Diktion des Art. 143 GG zu bleiben<br />

– während der Hamburger Sturmflut 1962 gegen Marodeure<br />

und Plünderer wurde hingegen zumindest als verfassungsrechtlich<br />

bedenklich, wenn nicht verfassungswidrig angesehen. Denn<br />

die Feldjäger nahmen bewaffnet Polizeiaufgaben wahr.<br />

Der Begriff »Verteidigung« wird in Art. 87a GG oder andernorts<br />

im Grundgesetz nicht definiert. Durch die außen- und sicherheitspolitischen<br />

Entwicklungen seit 1949 scheint klar, dass<br />

das überkommene Verständnis von »Verteidigung« des Territoriums<br />

der Bundesrepublik im Bündnis gegen einen Feind aus<br />

dem Osten nun in der Verfassung verankert ist. Die aus Art. 5<br />

des NATO-Vertrages sich ergebende Möglichkeit, dass die Bundesrepublik<br />

um Beistand im Bündnis für einen anderen Staat<br />

gebeten wird und Streitkräe einsetzen könnte, ohne dass sie<br />

154


Jupp Wolter/Haus der Geschichte, Bonn<br />

Verfassungshistorische und verfassungsrechtliche Aspekte<br />

selbst angegriffen wird, findet keinerlei Beachtung. Nach dem<br />

Verständnis der Zeit – und im Übrigen bis zur Herstellung der<br />

Deutschen Einheit – hieß »Verteidigung im Bündnis« stets: »Die<br />

anderen für uns.« Noch Anfang der 1990er-Jahre erschien im<br />

»Deutschen Allgemeinen Sonntagsbla« eine Zeichnung des Karikaturisten<br />

Jupp Wolter. Der deutsche Michel sagt: »Ich? Nö, ich<br />

lasse verteidigen.«<br />

Die in Art. 143 GG vorgesehene Änderung und Ergänzung<br />

der Wehrverfassung erfolgte mit der sogenannten Notstandsverfassung<br />

am 24. Juni 1968. Damals gelangten nicht nur die Art. 80a<br />

und 115a bis l ins Grundgesetz, sondern auch Art. 87a GG in seiner<br />

aktuellen Fassung. Die bisherige Fassung des Art. 87a GG<br />

wurde zu Abs. 1 und in zwei Sätze aufgeteilt. Grundfunktion der<br />

Streitkräe ist und bleibt die Verteidigung.<br />

Im neuen Abs. 2 ist zum ersten Mal von »Einsatz« die Rede.<br />

Die Vorschri lautet: »Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräe<br />

nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich<br />

zulässt.« [Hervorhebungen durch den Verf.] Darüber<br />

hinaus gelang es, in den Abs. 3 und 4 des Art. 87a und in Art. 35<br />

Abs. 2 und 3 GG, die »Inanspruchnahme« der Streitkräe im Innern<br />

zu regeln.<br />

Das Wort »ausdrücklich« wurde überwiegend als Zitiergebot<br />

verstanden. Nur wenn im Grundgesetz eine Verwendung<br />

155


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

Art. 87a GG<br />

(1) Der Bund stellt Streitkräe zur Verteidigung auf. Ihre zahlenmäßige<br />

Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich<br />

aus dem Haushaltsplan ergeben.<br />

(2) Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräe nur eingesetzt<br />

werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt.<br />

(3) Die Streitkräe haben im Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle<br />

die Befugnis, zivile Objekte zu schützen und Aufgaben der<br />

Verkehrsregelung wahrzunehmen, soweit dies zur Erfüllung<br />

ihres Verteidigungsaurages erforderlich ist. Außerdem kann den<br />

Streitkräen im Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle der<br />

Schutz ziviler Objekte auch zur Unterstützung polizeilicher Maßnahmen<br />

übertragen werden; die Streitkräe wirken dabei mit den<br />

zuständigen Behörden zusammen.<br />

(4) Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die<br />

freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines<br />

Landes kann die Bundesregierung, wenn die Voraussetzungen des<br />

Art. 91 Abs. 2 vorliegen und die Polizeikräe sowie der Bundesgrenzschutz<br />

nicht ausreichen, Streitkräe zur Unterstützung der<br />

Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim Schutze von zivilen<br />

Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch<br />

bewaffneter Aufständischer einsetzen. Der Einsatz von Streitkräften<br />

ist einzustellen, wenn der Bundestag oder der Bundesrat es<br />

verlangen.<br />

der Streitkräe wörtlich aufgeführt war, etwa in Art. 35 Abs. 2<br />

und 3 GG, sollte der Einsatz außerhalb der Verteidigung verfassungsgemäß<br />

sein. Freilich war auch das Ausdrücklichkeitsgebot<br />

1968 eher mit dem Blick nach innen als mit dem Blick nach außen<br />

formuliert worden. Denn mangels voller Souveränität und Mitgliedscha<br />

in Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit<br />

gemäß Art. 24 Abs. 2 GG kam 1968 eine bewaffnete Verwendung<br />

der Bundeswehr außerhalb der Verteidigung im Bündnis ohnehin<br />

nicht in Betracht.<br />

Was dem Begriff »Einsatz« zugeordnet werden sollte, resultierte<br />

letztlich aus dem speziell deutschen Verständnis von<br />

Außen- und Sicherheitspolitik, das auf die verfassungsrechtliche<br />

156


picture-alliance/dpa/Blumenberg<br />

Verfassungshistorische und verfassungsrechtliche Aspekte<br />

Diskussion durchgeschlagen war. »Einsatz« sollte nur der »bewaffnete<br />

Einsatz von Streitkräen« sein, von Streitkräen mit<br />

Kampffähigkeit und Kampfaurag. Wann immer hingegen die<br />

besonderen Fähigkeiten der Streitkräe in den Bereichen Logistik,<br />

Informationstechnik, Sanitätsdienst und Pionierwesen oder<br />

lediglich ihr Material oder ihre Liegenschaen genutzt wurden,<br />

sollte es sich nicht um »Einsatz«, sondern um »Hilfeleistung«<br />

oder »Unterstützung« handeln.<br />

Diese Unterscheidung der Verwendungen ist ausschließlich<br />

vermeintlichen innenpolitischen Zwängen geschuldet und mag<br />

bis 1973 eine gewisse Berechtigung gehabt haben. Spätestens mit<br />

dem Beitri zu den Vereinten Nationen erscheint sie als verfassungspolitische<br />

Spitzfindigkeit. Vollends fragwürdig wird diese<br />

Unterscheidung bei Verwendung der Streitkräe unter zeitgenössischen<br />

Mandaten von Systemen gegenseitiger kollektiver Si-<br />

Am 3. Dezember 1962 verlieh Innensenator Helmut Schmidt in der Litzmann-Kaserne<br />

in Hamburg-Wandsbek die Dankmedaille der Freien und Hansestadt Hamburg<br />

an 400 Soldaten für deren Einsatz während der Flutkatastrophe im Februar 1962.<br />

157


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

cherheit, denn heute ist ein Fähigkeitsspektrum gefragt, das von<br />

der Anwendung militärischer Gewalt in friedensschaffenden<br />

Einsätzen bis hin zur Absicherung von Wahlen, dem Wiederauau<br />

staatlicher Strukturen und der Ausbildung von Militär<br />

reicht, mithin friedensschaffende und friedenskonsolidierende<br />

Komponenten in sich vereint.<br />

Deutsche Völkerrechtler mussten sich des Themas »Auslandseinsätze<br />

der Bundeswehr« erstmals 1972 annehmen. In jenem<br />

Jahr begannen die Verhandlungen über die Aufnahme der Bundesrepublik<br />

Deutschland und der Deutschen Demokratischen<br />

Republik in die Vereinten Nationen. Das außerhalb der Charta<br />

der Vereinten Nationen entstandene Modell des Peacekeeping<br />

war längst Völkergewohnheitsrecht geworden. Als Mitglied der<br />

Vereinten Nationen musste die Bundesrepublik Deutschland<br />

daher mit Anfragen rechnen, an der einen oder anderen Mission<br />

oder Operation unter dem blauen Helm teilzunehmen. Der damalige<br />

Leiter des Völkerrechtsreferats des Auswärtigen Amtes,<br />

Carl August Fleischhauer, hae bei der Vorbereitung der Aufnahme<br />

in die Vereinten Nationen dazu die allseits akzeptierte<br />

Position entwickelt, dass ein Einsatz der Bundeswehr außerhalb<br />

des NATO-Bündnisgebietes auch im Rahmen von UN-Operationen<br />

nicht infrage komme. Damit sollte verhindert werden, dass<br />

Angehörige der Bundeswehr Soldaten der Nationalen Volksarmee<br />

in Konfliktregionen bewaffnet gegenüberstünden.<br />

Diese Position übernahm zehn Jahre später der Bundessicherheitsrat<br />

in seinem Beschluss vom 3. November 1982.<br />

Danach sollten (bewaffnete) Einsätze der Bundeswehr außerhalb<br />

des Vertragsgebietes der NATO nur zulässig sein, wenn<br />

der Konflikt sich zugleich als Angriff auf die Bundesrepublik<br />

Deutschland darstelle. Sämtliche Bundesregierungen bis 1990<br />

machten sich diese Haltung zu eigen, wobei sie sich auch auf<br />

die fehlende volle Souveränität der Bundesrepublik Deutschland<br />

beriefen.<br />

Dabei war die Bundeswehr seit 1968 keineswegs untätig gewesen.<br />

Bis 1990 hat sie weit über 100 Hilfseinsätze in fast allen<br />

Erdteilen erfolgreich hinter sich gebracht. Zumeist waren Lutransportkräe,<br />

Heeresflieger, Sanitätskräe und Pioniere im<br />

Einsatz. Die westdeutsche Bevölkerung nahm diese weltweiten<br />

Hilfeleistungen mit freundlichem Desinteresse zur Kenntnis.<br />

158


Verfassungshistorische und verfassungsrechtliche Aspekte<br />

Von UNEF II zu Artemis<br />

Wie tiefgreifend sich das Verfassungsverständnis der Wörter<br />

»einsetzen« und »ausdrücklich« in 30 Jahren gewandelt hat, zeigen<br />

beispielha zwei Einsätze mit beinahe identischen Aufgaben.<br />

Am 18. September 1973 waren die Bundesrepublik Deutschland<br />

und die DDR in die Vereinten Nationen aufgenommen worden.<br />

Am 25. Oktober 1973 hae der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen<br />

mit Resolution 340 (1973) die United Nations Emergency<br />

Force II (UNEF II) ins Leben gerufen, um den Waffenstillstand<br />

zwischen Israel und Ägypten nach dem Jom-Kippur-Krieg abzusichern.<br />

Sogleich haen die Vereinten Nationen die Bundesrepublik<br />

ausdrücklich um Unterstützung gebeten, und die Bundesregierung<br />

hae sich zu logistischer Hilfe bereit erklärt. So<br />

transportierte die Luwaffe senegalesische Truppenkontingente<br />

für die Vereinten Nationen nach Ägypten. Dies düre der erste<br />

Einsatz der Bundeswehr auf der Grundlage eines Mandats der<br />

UNO gewesen sein. Laut Bulletin der Bundesregierung vom<br />

21. Dezember 1973 haen das Bundeskabine und der Haushaltsausschuss<br />

des Deutschen Bundestages diese Beteiligung beschlossen.<br />

Bereits damals gab es also eine Parlamentsbeteiligung<br />

im kleinen Rahmen und auf freiwilliger Basis.<br />

Die Position des Auswärtigen Amtes und der Bundesregierung<br />

zu derartigen Einsätzen soll damit nicht durchbrochen<br />

worden sein, auch wenn der Einsatz unbestreitbar außerhalb des<br />

NATO-Bündnisgebietes stafand. Die Flugzeuge und die Besatzungen<br />

seien nämlich nicht in UNEF II eingegliedert worden.<br />

Daher liege kein »Einsatz« im Sinne der Verfassung vor, sondern<br />

nur eine technische Verwendung.<br />

Die Unterscheidung hinsichtlich eines Einsatzes im Sinne<br />

des Grundgesetzes danach, ob Truppenkontingente in die Friedenstruppen<br />

der Vereinten Nationen eingegliedert werden, oder<br />

ob sie diese unterstützen sollen, erscheint nach dem Wortlaut<br />

des operativen Paragrafen 5 der Resolution 340 (1973) recht<br />

willkürlich. Er lautet in Übersetzung: »[Der Sicherheitsrat] ersucht<br />

alle Mitgliedstaaten, ihre volle Zusammenarbeit mit den<br />

Vereinten Nationen auf die Umsetzung dieser Resolution wie<br />

auch der Resolutionen 338 (1973) und 339 (1973) zu erstrecken.«<br />

Die Vereinten Nationen baten also alle Mitgliedstaaten um Zu-<br />

159


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

sammenarbeit bei der Umsetzung auch der neuesten Resolu-<br />

tion zum Nahost-Konflikt. »Zusammenarbeit« ist indes ein sehr<br />

weitgefasster Begriff. Während die einen UN-Mitglieder Truppenkontingente<br />

bereitstellen, sorgen andere dafür, dass diese<br />

Truppenkontingente auch ihren Einsatzraum erreichen. Das<br />

mag ein unterschiedlicher Grad der Zusammenarbeit sein, was<br />

Engagement und Dauer angeht, ändert freilich nichts daran,<br />

dass die Zusammenarbeit auf der Grundlage der Resolution 340<br />

(1973) geschieht. Ohne Mandat und ohne die Bie der Vereinten<br />

Nationen um Beteiligung häen Bundesregierung und Haushaltsausschuss<br />

den Einsatzbeschluss nicht gefasst. Sie stellten<br />

der UNO damit dringend benötigtes Personal und Material zur<br />

Verfügung, das diese selbst und die Republik Senegal nicht hatten.<br />

Entscheidend für die Frage des Einsatzes war, dass das mit<br />

der Ausführung beauragte Lutransportgeschwader 63 genau<br />

die Leistung erbrachte, die seinem militärischen Aurag entsprach,<br />

nämlich Soldaten und Ausrüstung von einem Ort an den<br />

anderen zu verlegen.<br />

Ein ganz ähnliches Szenario lag 30 Jahre später der deutschen<br />

Beteiligung an der Operation A der Europäischen<br />

Union in der Provinz Ituri im Nordosten der Demokratischen<br />

Republik Kongo vom 5. Juni bis 1. September 2003 zugrunde.<br />

Stationiert in Deutschland und in Entebbe in Uganda, transportierte<br />

die deutsche Luwaffe Nachschub für die französischen<br />

Bodentruppen von Europa nach Afrika und beteiligte sich am<br />

Betrieb der logistischen Basis. Mehrere Stabsoffiziere waren in<br />

den Operationsstab nahe Paris entsandt. In Köln-Wahn wurde<br />

das Lureungssystem A A 310 MEDEVAC bereitgehalten.<br />

Nach dem Bundestagsbeschluss duren bis zu 350 Militärpersonen<br />

eingesetzt werden. Tatsächlich waren es etwa 100.<br />

Niemand sprach indes von einer Unterstützung der EU-Operation<br />

A oder einer lediglich technischen Verwendung der<br />

Streitkräe. Ganz selbstverständlich beteiligte sich Deutschland<br />

an diesem ersten friedensschaffenden EU-Einsatz in Afrika, der<br />

ohne Mitwirkung der NATO auskam. Für einen Einsatz auf direkter<br />

Grundlage eines UN-Mandats kann jedoch kaum etwas<br />

anderes gelten als für einen Einsatz unter Gemeinsamer Aktion<br />

des Rates der Europäischen Union auf der Grundlage eines UN-<br />

Mandats.<br />

160


Verfassungshistorische und verfassungsrechtliche Aspekte<br />

Das voll souveräne Deutschland<br />

Die Herstellung der Deutschen Einheit durch den Grundlagenvertrag<br />

und das Erlangen voller Souveränität führten einmal<br />

mehr zu vielfältigen Diskussionen über den Einsatz deutscher<br />

Streitkräe im Ausland und dessen verfassungsrechtliche Zulässigkeit.<br />

Dass das bisherige Verständnis der Wehrverfassung auf<br />

neue Anforderungen keine Antworten bereithielt, wurde bereits<br />

deutlich, als die Türkei während des Zweiten Golrieges an<br />

den Bündnisfall nach Art. 5 des NATO-Vertrages rührte und die<br />

NATO um Unterstützung zur Abwehr eines möglichen Angriffs<br />

irakischer Truppen bat. Die türkische Regierung befürchtete irakische<br />

Vergeltungsschläge, weil die amerikanische Luwaffe Einsätze<br />

von türkischen Stützpunkten aus flog, um die völkerrechtswidrige<br />

Besetzung Kuwaits im Jahre 1990 rückgängig zu machen.<br />

Zwar stellte damals der NATO-Rat den Bündnisfall nicht fest, beschloss<br />

aber am 2. Januar 1991 die Verlegung von Teilen der Allied<br />

Mobile Force (AMF) in die Türkei. Und so fanden sich deutsche<br />

Angehörige der AMF in Erhac und Dyarbakir wieder.<br />

Nun zeigte sich, dass »Beistand« im Sinne des NATO-Vertrages<br />

nicht ausschließlich durch die Formulierung »zur Reung<br />

der Bundesrepublik« ergänzbar war, sondern dass Deutschland<br />

durchaus auch aufgefordert sein könnte, sich militärisch am<br />

Rande Europas und des Bündnisgebietes zu engagieren, ohne<br />

dass das eigene Territorium bedroht wurde.<br />

UNTAC und UNOSOM II<br />

Welche Mühen die Politik indes noch in den 1990er-Jahren darauf<br />

verwandte, der deutschen Bevölkerung Einsätze unter dem<br />

Mandat der Vereinten Nationen als Hilfeleistung und Unterstützung<br />

nahezubringen, zeigt die Beteiligung an der UNAMIC-<br />

Mission (Resolution 717 [1991] vom 16.10.1991; United Nations<br />

Advance Mission in Cambodia) und am UNTAC-Einsatz (Resolution<br />

745 [1992] vom 28.2.1992; United Nations Transitional Authority<br />

in Cambodia) in Kambodscha. Ab November 1991 waren<br />

etwa 15 Angehörige des Sanitätsdienstes für UNAMIC im Einsatz.<br />

Am 8. April 1992 beschloss die Bundesregierung, der Bie<br />

161


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

des Generalsekretärs der Vereinten Nationen zu entsprechen<br />

und sich mit Sanitätspersonal am UNTAC-Einsatz zu beteiligen.<br />

Von Mai 1992 bis November 1993 betrieb der Sanitätsdienst der<br />

Bundeswehr in Phnom Penh ein Militärkrankenhaus mit den Fähigkeiten<br />

eines Kreiskrankenhauses und insgesamt 60 Been, in<br />

dem zivilen und militärischen Angehörigen der UNTAC-Mission<br />

allgemeinärztliche sowie ambulante und stationäre fachärztliche<br />

Behandlung zuteil werden sollte. Der deutschen Öffentlichkeit<br />

wurde dieser Einsatz als humanitäre Hilfe für Kambodscha<br />

vermielt. Auch der größere Teil des 140-köpfigen Sanitätspersonals,<br />

soweit es nicht unmielbar im Stab der UNTAC Dienst<br />

tat, sah sich in dieser Helferrolle und behandelte alsbald so viele<br />

Kambodschanerinnen und Kambodschaner, dass kaum noch Kapazitäten<br />

für erkranktes UN-Personal blieben. Diese prekäre, nationalen<br />

Befindlichkeiten geschuldete Situation veranlasste die<br />

Vereinten Nationen schließlich zu scharfem Protest und führte<br />

beinahe zum unrühmlichen Ende der deutschen Beteiligung an<br />

UNTAC, häe die Bundesregierung nicht eingelenkt.<br />

Hae man die bisherigen Verwendungen deutscher Streitkräe<br />

zugunsten der Vereinten Nationen mit einigem sprachlichen<br />

Aufwand gerade noch als Unterstützungsleistungen und<br />

humanitäre Hilfe innenpolitisch rechtfertigen können, ohne an<br />

das Ausdrücklichkeitsgebot des Art. 87a Abs. 2 rühren zu müssen,<br />

wurde das nun zunehmend schwieriger. Nur drei Monate<br />

nach Beginn des UNTAC-Einsatzes begann die bis dahin größte<br />

Operation der Bundeswehr unter dem blauen Helm: Von August<br />

1993 bis März 1994 beteiligte sich Deutschland unter Resolution<br />

814 (1993) und dem Beschluss der Bundesregierung vom<br />

21. April 1993 mit einem verstärkten Nachschub- und Transportbataillon<br />

an der Operation UNOSOM II der Vereinten Nationen<br />

in Somalia. Stützpunkte waren Mogadischu und Belet Uen in Somalia<br />

sowie Mombasa in Kenia. Da der zu versorgende indische<br />

Infanterieverband nie in Somalia eintraf, fiel die Erfolgsbilanz<br />

etwas mager aus. Auch dieser Einsatz wurde der deutschen Öffentlichkeit<br />

als humanitäre Hilfe vermielt, nachdem schon im<br />

August 1992 eine Lubrücke von Kenia nach Somalia zur Linderung<br />

von Not und Leid der Zivilbevölkerung eingerichtet worden<br />

war, und die in Belet Uen stationierten Soldaten Brunnen<br />

bauten und Schulgebäude wiederherstellten.<br />

162


Verfassungshistorische und verfassungsrechtliche Aspekte<br />

Das Verfassungsurteil vom 12. Juli 1994<br />

Zu verfassungsrechtlichen Streitigkeiten, die schließlich zum<br />

zweiten Mal seit 1952/53 das Bundesverfassungsgericht mit Einsatzfragen<br />

der Streitkräe beschäigen sollten, führten jedoch<br />

vor allem jene Einsätze, die gleichsam vor der Haustür, auf dem<br />

Balkan, stafanden.<br />

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem wegweisenden<br />

Urteil vom 12. Juli 1994 Verfassungsgeschichte geschrieben.<br />

Dass die Entsendung von Truppenkontingenten unter dem Mandat<br />

von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit bereits aus<br />

Art. 24 Abs. 2 GG und nicht erst aus Art. 87a GG folge, war in dieser<br />

Deutlichkeit ebenso neu wie die Notwendigkeit, im Regelfall<br />

jeweils vorher einen konstitutiven Beschluss des Deutschen Bundestages<br />

herbeizuführen. Dies deshalb, weil es seit 1918 deutscher<br />

Verfassungstradition entspreche und trotz der Auebung<br />

des Art. 59a GG im Zuge der Notstandsverfassung nicht habe<br />

beseitigt werden sollen. Mit Berufung darauf, dass Art. 24 bereits<br />

in der Urfassung des Grundgesetzes enthalten war, und Art. 87a<br />

erst nach zweimaliger Grundgesetzergänzung seine derzeit geltende<br />

Fassung erhalten habe, die Beteiligung an Systemen gegenseitiger<br />

kollektiver Sicherheit aber auch die Beteiligung an<br />

Einsätzen umfasse, die von diesen mandatiert seien, wich das<br />

Bundesverfassungsgericht freilich den drängenden Fragen nach<br />

»Verteidigung« und »Einsatz« aus. Lediglich in einem Nebensatz<br />

erteilte es der Verklammerungsthese, derzufolge »Verteidigung«<br />

nach Art. 87a GG und »Verteidigungsfall« nach Art. 115a<br />

GG identisch seien, eine Absage. In der mündlichen Verhandlung<br />

haen diese Fragen hingegen eine große Rolle gespielt.<br />

Die Bundesregierung, die mit dem Ziel in das Verfahren gegangen<br />

war, ohne Parlamentsbeteiligung Beschlüsse zur Truppenentsendung<br />

fassen zu dürfen, erli eine empfindliche Niederlage.<br />

Die SPD, die schon 1968 im Zuge der Debae über die<br />

Notstandsverfassung für eine konstitutive Parlamentsbeteiligung<br />

eingetreten war, jedoch in Art. 80a GG nur ein Rückholrecht<br />

hae durchsetzen können, konnte das Urteil medial jedoch<br />

nicht als Erfolg umsetzen.<br />

Fast nebenbei führte das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung<br />

zum Wesen der NATO weiter und erklärte diese eben-<br />

163


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

falls zu einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit. Aus heutiger<br />

Sicht wirkt diese Einordnung äußerst weitsichtig, denn längst<br />

ist die NATO so etwas wie eine Regionale Abmachung im Sinne<br />

von Kapitel VIII der Charta und Auragnehmerin der Vereinten<br />

Nationen auf dem Balkan (IFOR, SFOR, KFOR) sowie in Afghanistan<br />

(ISAF) geworden. Zuletzt am 3. Juli 2007 bestätigte das Bundesverfassungsgericht<br />

diese Rechtsprechung, indem es Anträge der<br />

Fraktion der PDS/Die Linke in Verbindung mit einer weiteren deutschen<br />

Beteiligung am ISAF-Einsatz der NATO zurückwies.<br />

164<br />

Die Operation Allied Force<br />

Der umstrienste Einsatz der Bundeswehr war die Beteiligung<br />

des Einsatzgeschwaders 1 der deutschen Luwaffe an der Operation<br />

A F der NATO. Vor zehn Jahren führten die<br />

NATO und die Bundeswehr zum ersten Mal seit ihrer Gründung<br />

bzw. Aufstellung Krieg. Vom 24. März bis 10. Juni 1999 flog das<br />

Einsatzgeschwader 1 vom italienischen Piacenza aus über 500<br />

Einsätze im Luraum über der Bundesrepublik Jugoslawien.<br />

Nach weit überwiegender Auffassung handelte es sich bei A<br />

F um einen völkerrechts- und verfassungswidrigen Angriffskrieg,<br />

der mit dem in der Völkerrechtstheorie diskutierten Institut<br />

der Humanitären Intervention gerechtfertigt wurde. Gerade nach<br />

den Erfahrungen aus A F verfolgt man die Humanitäre<br />

Intervention kaum noch weiter. Sie ist inzwischen durch die sogenannte<br />

Schutzverantwortung des Sicherheitsrates der Vereinten<br />

Nationen (Responsibility to Protect, R2P) ersetzt worden. Bisher<br />

ist R2P allerdings nur ein politisches Instrument, völkerrechtliche<br />

Verbindlichkeit hat sie noch nicht erlangt.<br />

Während das Grundgesetz mit der detaillierten Regelung<br />

der Verwendung der Streitkräe im Inneren gemäß Art. 35 und<br />

Art. 87a GG sehr genau unterscheidet, ob Hilfeleistung, Verteidigung<br />

oder Einsatz vorliegen, bleibt es für die Verwendung der<br />

Streitkräe in anderen Szenarien außerhalb der Grundfunktion<br />

»Verteidigung« völlig offen. 1968 konnte sich der Verfassungsgesetzgeber<br />

bewaffnete weltweite Verwendungen der Streitkräe<br />

nicht vorstellen. Die westdeutsche Bundesrepublik war<br />

ja nicht einmal Mitglied der Vereinten Nationen. Die NATO


Verfassungshistorische und verfassungsrechtliche Aspekte<br />

agierte noch als klassisches Militärbündnis<br />

und nicht als gelegentliche<br />

Auragnehmerin der<br />

UNO oder als kriegführende Interventionsstreitmacht.<br />

An eine<br />

Gemeinsame Außen- und Sicher-<br />

heitspolitik oder eine Europäische<br />

Sicherheits- und Verteidigungsinitiative<br />

einer Europäischen<br />

Union, die sich als sicherheitspolitischer<br />

Akteur im Kaukasus, in<br />

Zentralasien, im Vorderen Orient<br />

und in Schwarz-Afrika versteht,<br />

war noch nicht zu denken.<br />

Unter diesen Gesichtspunkten<br />

ist es verständlich, wenn<br />

interessierte Kreise der Politik<br />

seit 2001 bei jeder sich bietenden<br />

Gelegenheit eine weitere<br />

Ergänzung des Grundgesetzes<br />

anmahnen. Im Hinblick auf die<br />

Völkerrechtsfreundlichkeit des<br />

Grundgesetzes, wie sie aus Art. 24<br />

bis 26 GG spricht, erscheint jedoch<br />

selbst eine klarstellende<br />

Regelung überflüssig, vielleicht<br />

sogar schädlich. Durch seine Offenheit dem sich in ständiger<br />

Entwicklung befindlichen Völkerrecht gegenüber ist das Grundgesetz<br />

bestens für künige Mandate und Szenarien gerüstet.<br />

Viel eher müsste die politische Klasse definieren, was deutsche<br />

Interessen in der Welt sind, und die außen- und sicherheitspolitischen<br />

Ziele strategisch bestimmen. Dies wird unter den<br />

Anforderungen neuer Konfliktszenarien, knapper werdender<br />

Ressourcen sowie der rasanten Entwicklung der Völkerrechtspolitik<br />

immer drängender.<br />

Thomas Breitwieser<br />

picture-alliance/Department of Defense/PH3 Renso Amariz<br />

ALLIED FORCE: Die »USS Gonzalez«<br />

feuert am 31. März 1999 in der Adria<br />

einen TOMAHAWK-Marschflugkörper ab.<br />

165


Bewaffnete Auslandseinsätze der Bundeswehr bedürfen der Zustimmung<br />

des Deutschen Bundestages (Parlamentsvorbehalt). So bestimmte es<br />

das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 12. Juli 1994. Damit hat<br />

das deutsche Parlament im Kernbereich heutiger Sicherheitspolitik, den<br />

Auslandseinsätzen, so weitgehende Befugnisse wie kaum eine andere<br />

Volksvertretung der Welt.<br />

Wie funktioniert die Parlamentsbeteiligung in der Praxis, wie wirkt sie<br />

sich aus? Auf welcher Informationsgrundlage und nach welchen Kriterien<br />

entscheiden die Abgeordneten? Welche Rolle spielen dabei parteipolitische<br />

Interessen? Wie wird die Wirksamkeit von Auslandseinsätzen<br />

bewertet? Wie weit sind sich die Parlamentarier der Konsequenzen ihrer<br />

Entscheidungen bewusst – gerade für die Soldaten und ihre Angehörigen?<br />

Was wissen sie überhaupt von den Einsatz- und Lebensbedingungen<br />

im Kosovo, in Nordafghanistan oder auf den Marineschiffen am Horn<br />

von Afrika? Wie trägt das Parlament der Tatsache Rechnung, dass die<br />

Bundeswehreinsätze immer Teil eines internationalen Engagements der<br />

Stabilisierung und Friedenskonsolidierung, von Staatsaufbau und Entwicklung<br />

sind? Wie weit hat sich die Parlamentsbeteiligung bewährt, wo<br />

gibt es Verbesserungsbedarf? Der Autor des folgenden Beitrags, Winfried<br />

Nachtwei, wirkte von 1994 bis 2009 im Verteidigungsausschuss,<br />

davon acht Jahre in der Oppositionsrolle sowie sieben Jahre in einer<br />

Koalition und damit in Regierungsmitverantwortung.<br />

picture-alliance/dpa/Steffen Kugler


Bundestag, Parlamentsarmee<br />

und Parteienstreit<br />

Auf die Tagesordnung des Bundestages kommt ein geplanter<br />

Auslandseinsatz der Bundeswehr durch Antrag der Bundesregierung.<br />

Dem geht ein wochen- bis monatelanger Prozess der<br />

politischen Willensbildung im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen,<br />

in den Spitzengremien von EU und/oder NATO sowie<br />

in der Bundesregierung voraus. Dabei geht es zunächst darum,<br />

auf internationaler Ebene einen Konsens über die Notwendigkeit<br />

eines Einsatzes herzustellen. Nach einer grundsätzlichen<br />

Einigung stehen die Definition des Aurages, die Operationsplanung<br />

und – o besonders schwierig – die Aufgaben- und<br />

Lastenverteilung zwischen den einsatzwilligen Nationen auf<br />

der Tagesordnung. Eine Resolution des UN-Sicherheitsrates und<br />

darauf gestützt ein Beschluss des NATO-Rates bzw. des Europäischen<br />

Rates bilden die ersten politischen Startschüsse für einen<br />

Auslandseinsatz (vgl. etwa die Beiträge von Jörg Hillmann und<br />

Frank Hagemann).<br />

In der Vergangenheit waren Bundesregierungen gut beraten,<br />

den Bundestag in Gestalt der Außen- und Verteidigungspolitiker<br />

der Fraktionen möglichst frühzeitig informell in diesen Prozess<br />

einzubeziehen. Umgekehrt haen vor allem die Obleute der<br />

Fraktionen in dieser Frühphase noch am ehesten die Möglichkeit,<br />

auf die Position der Bundesregierung Einfluss zu nehmen.<br />

Hier haben die Koalitionsfraktionen naturgemäß die größten<br />

Wirkungsmöglichkeiten. Ob sie diese auch nutzen, hängt von<br />

ihrem Selbstverständnis zwischen Loyalität und Eigenständigkeit<br />

gegenüber der Regierung ab.<br />

In jedem Fall kommt den Fraktionen die Aufgabe zu, mit Hilfe<br />

ihrer Fachpolitiker die Absicht eines Auslandseinsatzes im Vorfeld<br />

zu diskutieren und zu prüfen. Mit parlamentarischen Anfragen an<br />

die Bundesregierung, Briefen an die Minister usw. versuchen vor<br />

allem Oppositionsfraktionen ihre Informationsbasis zu verbreitern<br />

und abzusichern. Um die Leistbarkeit und Verantwortbarkeit<br />

eines geplanten Einsatzes abschätzen zu können, ist für die Verteidigungspolitiker<br />

der kompetente und ungeschminkte Rat der<br />

militärischen Fachleute von ganz besonderer Bedeutung.<br />

167


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

Bewährt haben sich in dieser Frühphase fraktionsinterne Beratungspapiere,<br />

die wesentliche Informationen zusammenfassen<br />

und Schlüsselfragen formulieren. In diesen Beratungsprozess<br />

werden auch Fachleute außerhalb des Parlaments einbezogen.<br />

Bei einer guten Vernetzung liegen bereits binnen weniger Tage<br />

zahlreiche kritisch-konstruktive Rückmeldungen von Regionalexperten,<br />

erfahrenen Soldaten, Diplomaten, Entwicklungshelfern,<br />

Polizisten und Wissenschalern vor. Wo es machbar war,<br />

kam es auch zu »Fact-Finding-Missions« einzelner Abgeordneter<br />

in ein küniges Einsatzgebiet. Im Vorfeld von EUROR RD<br />

Congo beispielsweise halfen Erkundungsreisen von Parlamentariern<br />

nach Kinshasa ganz wesentlich, die politische und die<br />

Sicherheitslage vor Ort differenzierter wahrnehmen zu können.<br />

Wichtige und zügige Beratung leisten die Stiung Wissenscha<br />

und Politik (SWP) mit ihren zeitnahen Studien und Fachgesprächen<br />

sowie das Zentrum Internationale Friedenseinsätze (ZIF),<br />

das den direkten und ressortübergreifenden Austausch mit Missionspraktikern<br />

ermöglicht.<br />

Soldaten des Wachbataillons der Bundeswehr vor der Kulisse des Reichstagsportals.<br />

Am 15. Mai 2001 fand im Ehrenhof des neuen Bundeskanzleramts die erste<br />

Probe für das Abschreiten der Ehrenformation bei Staatsbesuchen statt.<br />

168<br />

picture-alliance/dpa/Wolfgang Kumm


Bundestag, Parlamentsarmee und Parteienstreit<br />

Hilfreich für die Prüfung eines Einsatzvorhabens ist der parallele<br />

Austausch, manchmal Streit mit engagierten Kollegen in<br />

den jeweiligen Parteien. Gerade Konflikte mit grundsätzlichen<br />

Einsatzskeptikern üben einen o heilsamen Legitimationsdruck<br />

auf die »Entscheider« in den Fraktionen aus.<br />

Parlamentarische Beschlussfassung<br />

Die formelle Beteiligung des Parlaments an Einsatzbeschlüssen<br />

regelt seit dem 18. März 2005 das »Parlamentsbeteiligungsgesetz«.<br />

Das Gesetz fixierte und präzisierte, was sich bis dahin als<br />

Regierungs- und Parlamentspraxis herausgebildet hae. Demnach<br />

bedarf der »Einsatz bewaffneter Streitkräe« grundsätzlich<br />

der vorherigen konstitutiven (rechtsbegründenden) Zustimmung<br />

des Deutschen Bundestages. Nicht zustimmungspflichtig<br />

sind humanitäre Hilfsdienste und Hilfeleistungen im Ausland,<br />

sofern die Soldaten nicht in bewaffnete Unternehmungen einbezogen<br />

werden. Bei Einsätzen geringerer Intensität und Tragweite<br />

sowie bei bloßen Mandatsverlängerungen kann die Zustimmung<br />

im vereinfachten Verfahren, also ohne die mehrstufige<br />

parlamentarische Beratung erfolgen. Wenn eine Fraktion oder<br />

fünf Prozent der Abgeordneten es verlangen, muss der Bundestag<br />

voll befasst werden.<br />

Bei »Gefahr im Verzug«, beispielsweise bei Evakuierungen<br />

oder Geiselbefreiung, unterrichtet die Bundesregierung die Spitzen<br />

der Fraktionen streng vertraulich. Der Einsatz muss dann nachträglich<br />

vom Bundestag genehmigt werden. Dieses Verfahren er-<br />

fordert besonderes Vertrauen zwischen Regierung und Parlament.<br />

Das hat bisher vonseiten des Parlaments immer funktioniert.<br />

Routineverwendungen in ständigen Hauptquartieren und<br />

Stäben unterliegen nicht dem Parlamentsvorbehalt. Als zum<br />

Beispiel ab Sommer 2009 Angehörige des Stabes des 1. Deutsch-<br />

Niederländischen Korps aus Münster zum ISAF-Hauptquartier<br />

in Kabul entsandt wurden, war dies nicht zustimmungspflichtig.<br />

Das Parlament hat ein Rückholrecht für laufende Einsätze. Bisher<br />

wurde das Recht nicht in Anspruch genommen.<br />

Der Kabinesbeschluss wird federführend vom Auswärtigen<br />

Amt unter Mitwirkung der anderen zuständigen Ressorts,<br />

169


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

insbesondere Verteidigung, Justiz und Finanzen, formuliert. Der<br />

Beschluss macht Aussagen zum Aurag, zu Einsatzraum und<br />

-dauer, zu Fähigkeiten und Kräen (Obergrenzen), zu den Befugnissen<br />

im Einsatz und zu den Kosten. Parallel stellt die Bundesregierung<br />

dem Parlament weitere schriliche und mündliche<br />

Informationen zur Verfügung.<br />

Der Beschluss geht als Antrag der Bundesregierung an den<br />

Bundestag, der ihn öffentlich in erster Lesung im Plenum berät<br />

und dann an die Ausschüsse überweist, die unter Ausschluss der<br />

Öffentlichkeit tagen. Auf der Grundlage der Ausschussberatungen<br />

und Abstimmungen formuliert der federführende Auswärtige<br />

Ausschuss eine Beschlussempfehlung für den Bundestag, der<br />

in abschließender zweiter Lesung darüber berät und abstimmt.<br />

Das Parlament kann dem Antrag der Bundesregierung nur zustimmen<br />

oder ihn ablehnen, aber ihn nicht verändern. Allerdings<br />

vermag der Bundestag den Antrag zu ergänzen oder einzugrenzen:<br />

Etwa durch eine mit der Bundesregierung im Auswärtigen<br />

Ausschuss vereinbarte Protokollnotiz zur Nichtbeteiligung an<br />

direkter Drogenbekämpfung in Afghanistan oder durch einen politischen<br />

Entschließungsantrag zum Antrag der Bundesregierung,<br />

in dem Schrie der politischen Konfliktlösung gefordert werden.<br />

Die Abstimmung über Auslandseinsätze erfolgt immer namentlich,<br />

sodass im Sitzungsprotokoll für die Öffentlichkeit<br />

nachzulesen ist, wie ein Abgeordneter abgestimmt hat. Relativ<br />

o begründen deshalb Einzelne oder Gruppen von Abgeordneten<br />

ihr Abstimmungsverhalten in einer persönlichen Erklärung,<br />

die ebenfalls im Sitzungsprotokoll veröffentlicht wird (www.<br />

bundestag.de).<br />

Im Vergleich zu den Entscheidungsprozessen auf internationaler<br />

und Regierungsebene laufen die formellen parlamentarischen<br />

Beratungen in auffällig kurzer Zeit. Eine Zeitspanne<br />

von zwei Sitzungswochen, also lediglich acht bis 14 Tage, bildet<br />

keine Ausnahme. Was bei bloßen Mandatsverlängerungen unproblematisch<br />

erscheint, kann jedoch im Fall eines neuen und<br />

striigen Auslandseinsatzes die Ausschüsse und insbesondere<br />

die Fraktionen erheblich unter Zeitdruck setzen. Darunter leidet<br />

die Gründlichkeit der Beratungen, denn die meisten Parlamentarier<br />

haben in einer Sitzungswoche zeitgleich auch zahlreiche<br />

andere Themen zu bearbeiten.<br />

170


Bundestag, Parlamentsarmee und Parteienstreit<br />

Hoher Zeitdruck wirkt gerade deshalb besonders problematisch,<br />

weil Auslandseinsätze im Unterschied zu vielen anderen<br />

Beratungsthemen im Bundestag in hohem Maße als Gewissensentscheidungen<br />

gelten, die also in besonderer Weise nach einem<br />

selbstständigen Urteil des Einzelnen verlangen. Denn bei Auslandseinsätzen<br />

geht es um den Einsatz bewaffneter Streitkräe<br />

– und damit um ein besonders teures, riskantes und gegebenenfalls<br />

tückisches Miel staatlicher Politik, konkret um erhebliche<br />

Risiken für Leib und Leben der entsandten Soldaten.<br />

Das ist der Hintergrund dafür, warum sich bisher jede Bundesregierung<br />

darum bemühte, für Auslandseinsätze möglichst<br />

viel Zustimmung auch vonseiten der Opposition zu gewinnen,<br />

und sich nicht mit der »natürlichen« Mehrheit der eigenen Koalition<br />

begnügte. Diesen besonderen Konsensbedarf sehen auch<br />

alle diejenigen Fraktionen des Bundestages, die Auslandseinsätze<br />

nicht grundsätzlich ablehnen. Dem Parlament ist bewusst,<br />

wie wichtig eine große parlamentarische Mehrheit gerade auch<br />

für die in den Einsatz geschickten Soldaten ist. Parlamentarische<br />

Debaen zu Auslandseinsätzen sind deshalb vergleichsweise<br />

weniger von parteipolitischem Streit geprägt. Umso höher<br />

schlagen immer wieder die Wellen zwischen den grundsätzlichen<br />

Befürwortern von Auslandseinsätzen (CDU/CSU, SPD,<br />

FDP, Bündnis 90/Die Grünen) und ihren prinzipiellen Gegnern<br />

(Die Linke).<br />

Bei der Entscheidungsfindung des Bundestages und seiner<br />

Abgeordneten kommen verschiedene Beweggründe und Interessen<br />

zusammen. Auf der Sachebene geht es neben der völkerrechtlichen<br />

Legalität, der notwendigen Voraussetzung, zuerst um<br />

die sicherheitspolitische Dringlichkeit des Einsatzes und einer<br />

deutschen Beteiligung daran, um Sicherheitsinteressen und Verantwortung.<br />

Einige zentrale Fragen bestimmen immer wieder<br />

die Diskussion: Wie notwendig ist der Einsatz für die internationale<br />

kollektive Sicherheit, für die europäische und deutsche Sicherheit?<br />

Gibt es nichtmilitärische Alternativen und in welchem<br />

Maße sind sie ausgeschöp? Inwieweit steht hier ein Deutschland<br />

in der Pflicht, das ein verlässliches Mitglied von UN, EU<br />

und NATO sein will und als führende Handelsnation elementar<br />

auf internationale Sicherheit angewiesen ist? Im Unterschied zu<br />

manchen anderen Verbündeten spielen in der bundesdeutschen<br />

171


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

Debae um Auslandseinsätze nationale geostrategische und<br />

Einflussinteressen keine sonderliche Rolle, auch wenn sie häufig<br />

von Gegnern der Auslandseinsätze unterstellt werden.<br />

An zweiter Stelle stehen die Umsetzbarkeit, Erfolgschancen<br />

und Verantwortbarkeit zur Debae. Ist der Einsatz angesichts<br />

eigener Fähigkeiten und Kapazitäten überhaupt leistbar? Wenn<br />

ja, in welchem Umfang? Wieweit ist der Einsatz eingebeet in<br />

ein tragfähiges Konzept politischer Konfliktlösung und Stabilisierung,<br />

welches die Voraussetzung für eine Abzugsperspektive<br />

ist? Ist er im Hinblick auf absehbare Risiken gegenüber den eigenen<br />

Soldaten und ihren Angehörigen auch verantwortbar?<br />

Über die konkrete sicherheitspolitische Ebene hinaus können<br />

allgemeine politische und individuelle Erwägungen eine erhebliche<br />

Rolle spielen, so aufseiten einer Bundesregierung Solidarität<br />

und Glaubwürdigkeit im Bündnis sowie die Weiterentwicklung<br />

der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP).<br />

Bei Koalitionsfraktionen tri die Unterstützung der eigenen Regierung<br />

hinzu: Eine Zustimmungsverweigerung würde die Regierungsfähigkeit<br />

infrage stellen. Bei allen Fraktionen besteht<br />

das Grundinteresse an einem möglichst geschlossenen Abstimmungsverhalten,<br />

das als Ausweis von Handlungsfähigkeit gilt,<br />

und schließlich müssen Fraktionen und Abgeordnete Rücksicht<br />

auf die eigenen Wähler und allgemeine Stimmungslagen nehmen.<br />

Problematisch wird es, wo solche Beweggründe – in der Realität<br />

dann meist unausgesprochen – die sicherheitspolitischen Erwägungen<br />

dominieren.<br />

Die Meinungsbildung zu einem Auslandseinsatz beschränkt<br />

sich nicht auf den parlamentarischen Raum. Sie findet gleichzeitig<br />

in der Öffentlichkeit über die Medien und – mit unterschiedlicher<br />

Intensität – auch in den verschiedenen Parteien sta. Hier<br />

sind vor allem die außen- und verteidigungspolitischen Sprecher<br />

der Fraktionen wichtige Akteure und Multiplikatoren. Sie können<br />

zur Versachlichung der Debae auf einem Politikfeld beitragen,<br />

das den meisten Bürgern wenig vertraut, ja fremd ist.<br />

Bei Parteien, die Militäreinsätze grundsätzlich skeptischer<br />

gegenüberstehen, kann dies mit heigen Auseinandersetzungen<br />

einhergehen. Die Partei Bündnis 90/Die Grünen führte mehrere<br />

Sonderparteitage durch, um sich gegenüber anstehenden<br />

Einsätzen zu positionieren. Über die Konflikte um den Kosovo-<br />

172


picture-alliance/dpa/Tom Maelsa<br />

Bundestag, Parlamentsarmee und Parteienstreit<br />

Demonstration gegen die Bombenangriffe der US-Streitkräfte auf Afghanistan am<br />

13. Oktober 2001 in Berlin. Aus Protest gegen die Militärschläge gingen in der<br />

Hauptstadt weit mehr als 10 000 Menschen auf die Straße.<br />

Lukrieg 1999 und den ersten Afghanistaneinsatz im Rahmen<br />

der Operation E F wandten sich etliche Grünen-<br />

Anhänger von der Partei ab, die eine wesentliche Wurzel in der<br />

Friedensbewegung der 1980er-Jahre hat.<br />

Um die Entscheidungen über Auslandseinsätze systematischer<br />

und nachvollziehbarer zu machen, haben in den letzten<br />

Jahren Sicherheitspolitiker verschiedener Fraktionen Kriterien<br />

für Auslandseinsätze vorgelegt.<br />

Parlamentarische Kontrolle der Einsätze und<br />

Mandatsverlängerungen<br />

Das Bundesministerium der Verteidigung berichtet wöchentlich<br />

in seinen vertraulichen »Unterrichtungen des Parlaments« (UdP)<br />

den zuständigen Ausschüssen über besondere Vorkommnisse,<br />

insbesondere Sicherheitsvorfälle in den Einsatzgebieten. Das<br />

Auswärtige Amt informiert in größeren Abständen über Krisen-<br />

173


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

Die Bundestagsabgeordneten Birgit Homburger (FDP), Henning Otte (CDU), Rainer<br />

Arnold (SPD), Paul Schäfer (Die Linke) und Winfried Nachtwei (Bündnis 90/<br />

Die Grünen, v.l.n.r.) nehmen am 1. Oktober 2008 während ihres Besuches bei der<br />

Bundeswehr in Kundus an einer Patrouille teil. Der Bundestag beriet im Oktober<br />

über die Verlängerung des ISAF-Mandates um 14 Monate und die Aufstockung des<br />

Kontingents um 1000 auf bis zu 4500 Soldaten.<br />

regionen mit besonderem deutschem Engagement, über Afghanistan<br />

umfassend alle zwei, drei Monate. Die Unterrichtungen<br />

des Bundesinnenministeriums über polizeiliche Auslandseinsätze<br />

galten lange Zeit als besonders zurückhaltend.<br />

Die zuständigen Bundestagsausschüsse beraten sehr unterschiedlich<br />

über die Auslandseinsätze. Bei Weitem am häufigsten<br />

geschieht dies im Verteidigungsausschuss, der sich in jeder Sitzung<br />

etwa zwei Stunden mit den Einsätzen befasst. Hinzu kommen<br />

vertrauliche Obleuteunterrichtungen durch den Minister,<br />

alle paar Monate unter der Einstufung »Geheim« zum Beispiel<br />

über Einsätze von Spezialkräen. Um bestimmte Sachverhalte<br />

wie etwa den Stand des Polizeiauaus in Afghanistan oder den<br />

Bestand an geschützten Fahrzeugen in bestimmten Einsatzgebieten<br />

umfassend zu ermieln und der Öffentlichkeit zugänglich zu<br />

machen, richten vor allem die Oppositionsfraktionen parlamentarische<br />

Anfragen an die Bundesregierung. Vor Mandatsverlängerungen<br />

legt die Bundesregierung bilanzierende Berichte vor.<br />

174<br />

picture-alliance/dpa/Maurizio Gambarini


Bundestag, Parlamentsarmee und Parteienstreit<br />

Elementar für die Urteilsfähigkeit des Parlaments sind Besuche<br />

verantwortlicher Abgeordneter in den Einsatzgebieten.<br />

Sie liefern ein realitätsnäheres und plastisches Bild von den<br />

Bedingungen und der Situation. Natürlich bieten Kurzvisiten<br />

von wenigen Tagen nur begrenzte Einblicke, erst recht im großen<br />

Pulk einer Ministerreise. Und das Risiko, miels perfekter<br />

Besuchsorganisation etwas »vorgespielt« zu bekommen, ist unübersehbar.<br />

Der Erkenntnisgewinn kann dennoch, ein vielseitiges<br />

Besuchs- und Gesprächsprogramm vorausgesetzt, erheblich<br />

sein, wenn man sich vor Ort Zeit nimmt, genau hinhört,<br />

hinsieht, fragt, wenn man einen Besuch intensiv nachbereitet<br />

und vor allem einen Einsatzraum wiederholt besucht. Einzelne<br />

Abgeordnete machen ihre Erfahrungen mit Hilfe sorgfältiger<br />

Reiseberichte einem breiteren Publikum zugänglich (z.B.<br />

www.nachtwei.de).<br />

Problemfelder der parlamentarischen<br />

Kontrolle<br />

Einen ersten Problembereich stellt die Vermilung von Lagebildern<br />

dar. Stellungnahmen der Bundesregierung zu einzelnen<br />

Einsätzen sind nützlich, aber nicht ausreichend. In ihnen<br />

kommt die Perspektive der Führungsebene zum Ausdruck, wo<br />

Beschönigungen längst nicht immer vermieden werden. Der<br />

parlamentarische Einblick verschlechtert sich mit dem »Nebel<br />

des Krieges«, der bei wirklichen Kampfeinsätzen auch in Berlin<br />

hochsteigt. Diesen strukturellen Problemen können Parlamentarier<br />

nur entgegenwirken, indem sie sich intensiv um<br />

weitere Quellen bemühen. Kontakten zu Soldaten, Polizisten,<br />

Entwicklungsexperten usw. im Einsatz oder mit Einsatzerfahrung<br />

kommt in diesem Zusammenhang zentrale Bedeutung zu.<br />

Abgeordnete können nur dann ihre parlamentarische Kontrollpflicht<br />

ausüben, wenn ihnen auch die Soldaten und Offiziere<br />

vor Ort offen und ehrlich begegnen, eben als Staatsbürger in<br />

Uniform. Notwendig erscheint eine kontinuierliche, öffentliche<br />

Einsatzunterrichtung durch die Bundesregierung, wie sie etwa<br />

in den USA üblich ist.<br />

175


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

Die ersten 70 Bundeswehrsoldaten für die internationale Schutztruppe in Afghanistan<br />

(ISAF) besteigen am 8. Januar 2002 auf dem Militärflughafen Köln-Wahn ihre<br />

Transall-Maschinen.<br />

Einen zweiten kritischen Aspekt bringt die Frage nach der<br />

Wirksamkeit des jeweiligen Engagements mit sich. Die politischen<br />

Diskussionen über Auslandseinsätze kreisten lange Zeit<br />

in erster Linie um deren Rechtfertigung. Erst seit einigen Jahren<br />

wird verstärkt auch nach ihrer Wirksamkeit gefragt. Junge Soldaten,<br />

die jeden Tag in Kundus und anderswo Leib und Leben<br />

riskieren, fragen am eindringlichsten danach. Ohne Erfolgsaussichten<br />

macht auch das Notwendige auf die Dauer keinen Sinn.<br />

Mehrere Faktoren erschweren allerdings eine Wirksamkeitsanalyse:<br />

Kriseneinsätze sind immer multinational und multidimensional<br />

(diplomatische, militärische, polizeiliche, zivile<br />

Komponente), was erhebliche Schwierigkeiten bei dem Versuch<br />

mit sich bringt, die Effizienz eines deutschen militärischen Beitrages<br />

zu bewerten. Bilanzierende Berichte der Bundesregierung<br />

begnügen sich in der Regel mit Aktivitätsnachweisen (input)<br />

und allgemeinen politischen Einschätzungen. Seriöse Wirksamkeitsanalysen<br />

kommen schon deshalb nicht zustande, weil bisher<br />

keine überprüaren Zwischenziele (benchmarks) definiert<br />

wurden. Andere Nationen zeigen inzwischen, dass seriöse Wirk-<br />

176<br />

picture-alliance/dpa/Jörg Carstensen


Bundestag, Parlamentsarmee und Parteienstreit<br />

samkeitsbewertungen sehr wohl möglich sind (Kanada in Kandahar,<br />

Afghanistan). Seit Langem steht auch eine evaluierende<br />

Gesamtbilanz der Auslandseinsätze der letzten 16 Jahre, ihrer<br />

Leistungsfähigkeiten und Grenzen an.<br />

Einen drien Sonderfall bildet die Kontrolle von Spezialeinsätzen.<br />

Diese unterliegen striktester Geheimhaltung. Der Verteidigungsausschuss<br />

als Untersuchungsausschuss in Sachen des<br />

Deutschtürken Murat Kurnaz (von 2002 bis 2006 Häling im<br />

US-amerikanischen Sondergefängnis Guantánamo Bay und in<br />

Afghanistan angeblich von Soldaten des Kommandos Spezialkräe,<br />

KSK, misshandelt) sowie mit Blick auf den Einsatz des<br />

KSK in Afghanistan 2002 offenbarten, dass die schärfste Komponente<br />

des deutschen Afghanistaneinsatzes faktisch außerhalb<br />

einer seriösen parlamentarischen Kontrolle zur Anwendung<br />

kam. So war es möglich, dass das KSK jahrelang nicht wegen<br />

sicherheitspolitischer Dringlichkeit, sondern primär aus symbolpolitischen<br />

Erwägungen gegenüber den USA an der Operation<br />

E F teilnahm. Hier sind Mechanismen der direkten<br />

parlamentarischen Kontrolle überfällig. Darüber hinaus<br />

wird kritisiert, dass eine vollständige Geheimhaltung der KSK-<br />

Einsätze zum Schutz von Personen und Operationen nicht nötig<br />

sei, dafür aber Legendenbildung und Skandalgerüchte fördere.<br />

Viertens stellt sich immer wieder die Frage nach zivil-militärischer<br />

Ausgewogenheit: Militärische Stabilisierungseinsätze<br />

sollen ein sicheres Umfeld für den Auau schaffen und Zeit<br />

»kaufen« für politische Konfliktlösungen. Begünstigt durch den<br />

Parlamentsvorbehalt kreisen die parlamentarischen Debaen und<br />

noch mehr die öffentliche Wahrnehmung weit überproportional<br />

um die militärische Seite von Krisenengagement. Gegenüber dieser<br />

»Militärlastigkeit« haben es die anderen Ressorts sehr schwer,<br />

Aufmerksamkeit zu gewinnen und Ressourcen zu mobilisieren.<br />

Ein krasses Beispiel dafür bildet die Hilfe zum Polizeiauau in<br />

Nachkriegsgebieten: Was unbestrien eine Aufgabe von strategischer<br />

Bedeutung ist, wurde vom Bundestag über die Jahre kaum<br />

begleitet, geschweige denn gefördert und kontrolliert.<br />

Schließlich erscheint fünens der Aspekt des Zusammenwirkens<br />

(Kohärenz) in kritischem Licht: Die Erfahrungen gerade<br />

aus Stabilisierungseinsätzen zeigen übereinstimmend, dass<br />

deren Erfolg entscheidend von der Stimmigkeit der verfolgten<br />

177


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

Ziele und dem guten Zusammenwirken der internationalen<br />

und einheimischen, staatlichen und nichtstaatlichen Akteure<br />

abhängt. Den ersten entscheidenden Schri dahin bildet die Zusammenarbeit<br />

der zuständigen Ressorts der Bundesregierung<br />

– von der verbesserten Koordination bis zu Möglichkeiten ressortgemeinsamer<br />

Planung, Führung, Auswertung und vor allem<br />

Ausbildung. Ein erheblicher Nachholbedarf an ressortübergreifender<br />

Zusammenarbeit besteht aber auch aufseiten des Bundestages.<br />

Das Mitberatungsprinzip bei Bundestagsdrucksachen<br />

kann ausschussgemeinsame Beratungen zum Beispiel zu Fragen<br />

der Sicherheitssektorreform und der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit<br />

im Einsatz nicht ersetzen.<br />

178<br />

Auswirkungen und Perspektiven<br />

der Parlamentsbeteiligung<br />

Die Parlamentsbeteiligung hat sich grundsätzlich bewährt. Ohne<br />

sie wäre die im Vergleich zu 1995 erreichte Konsensbildung in<br />

Politik und Gesellscha zu Auslandseinsätzen nicht möglich<br />

gewesen. Gerade für die entsandten Soldaten kommt der parlamentarischen<br />

Legitimation entscheidende Bedeutung zu. Dass<br />

die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik trotz der vielen bisherigen<br />

Auslandseinsätze vergleichsweise zurückhaltend mit<br />

diesem Instrument umgeht, lässt sich nicht unwesentlich auf die<br />

Parlamentsbeteiligung zurückführen. Diese beförderte schon im<br />

Vorfeld die deutsche Absage an den Irakkrieg und trug dazu bei,<br />

dass es bisher zu keiner Ausweitung des Bundeswehreinsatzes<br />

auf den umkämpen afghanischen Süden kam.<br />

Die Begrenzung der Auslandseinsätze, die Einsatzausstaung<br />

und der bestmögliche Schutz der Soldaten stehen immer wieder<br />

im Mielpunkt von Parlamentsberatungen. In den letzten Jahren<br />

kam der Umgang mit Einsatzfolgen hinzu, vor allem mit den psychischen<br />

Verwundungen einer steigenden Anzahl von Soldaten.<br />

Demgegenüber gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber,<br />

ob sich das Parlament manchmal nicht zu sehr mit taktischen und<br />

Ausrüstungsfragen beschäige (»parlamentarischer Feldherrnhügel«)<br />

und darüber strategische Fragen vernachlässige.


Bundestag, Parlamentsarmee und Parteienstreit<br />

Unübersehbar ist, dass es auch dem Parlament nicht gelang,<br />

die vielfach vermisste breite sicherheits- und friedenspolitische<br />

Debae und Verständigung in Politik und Gesellscha voranzubringen.<br />

Die Klu zwischen den Einsatzerfahrungen und inzwischen<br />

auch Kriegserfahrungen von Soldaten und der hiesigen<br />

Zivilgesellscha wächst. Die bisherigen parlamentarischen<br />

»Vermilungsbemühungen« wirkten dem nur geringfügig entgegen.<br />

Zu wenig nutzte der Bundestag seine Möglichkeiten, den<br />

Rückstand bei den Fähigkeiten ziviler Krisenbewältigung zu<br />

überwinden. Dies aber ist elementar, um die deutschen Beiträge<br />

zu internationaler Friedenssicherung erfolgversprechender zu<br />

machen. Hier könnte der Vorschlag eines »umfassenden« oder<br />

»erweiterten« Mandats weiterhelfen, in dem nicht nur die militärischen<br />

Aufgaben und Fähigkeiten festgeschrieben werden,<br />

sondern auch zentrale Komponenten des zivilen Auaus.<br />

Parlamentsbeteiligung braucht keine Beschleunigung der<br />

Verfahren, sondern mehr Strategiebildung, Ressortgemeinsamkeit,<br />

Wirksamkeitsorientierung und öffentliche Kommunikationsfähigkeit.<br />

Als wesentlicher Teil des Primats der Politik gegenüber<br />

den Streitkräen steht der Deutsche Bundestag in der<br />

Pflicht, seine Fähigkeiten der Parlamentsbeteiligung bei Auslandseinsätzen<br />

zu verbessern – in Verantwortung für deutsche<br />

und europäische Sicherheit, in Verantwortung aber vor allem für<br />

die Soldaten, die Bundestag und Bundesregierung in belastende<br />

und riskante Einsätze befehlen.<br />

Winfried Nachtwei<br />

179


Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der Europäischen<br />

Union (EU) bildet die Grundlage für Europas internationales Handeln.<br />

Die Entscheidung über den Einsatz ziviler und militärischer Kräfte<br />

in diesem Rahmen trifft der (Minister-)Rat der EU auf zwischenstaatlicher<br />

Ebene. Die Kontrolle über Kernbereiche staatlicher Souveränität wie Außenpolitik,<br />

Sicherheit und Verteidigung haben die Regierungen im Gegensatz<br />

zu einer Reihe anderer Politikfelder bislang allerdings nicht an<br />

die EU abgetreten.<br />

Das Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK), der Militärausschuss<br />

der EU (EUMC) sowie der Militärstab der EU (EUMS) unterstützen<br />

den Rat der EU bei seiner Entscheidungsfindung. Eine wichtige<br />

Rolle für Planung und Ausgestaltung fällt außerdem dem Hohen Vertreter<br />

für die GASP zu. Von 1999 bis Dezember 2009 übte der Spanier<br />

Javier Solana in Personalunion dieses Amt und das des Generalsekretärs<br />

des Rates der EU aus. Das Bild zeigt Solana am 25. November<br />

2009 mit seiner Nachfolgerin als »Außenministerin«, der Engländerin<br />

Lady Catherine Ashton, die seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon<br />

am 1. Dezember außerdem die Funktion der stellvertretenden Kommissionspräsidentin<br />

wahrnimmt.<br />

Um auf internationale Krisen effizienter militärisch reagieren zu können,<br />

hat die EU eine schnelle Eingreiftruppe (EU-Battlegroups) aufgestellt.<br />

Neben militärischen verfügt sie zudem über zivile Fähigkeiten zur<br />

Krisenreaktion und unterscheidet sich darin zurzeit von allen anderen<br />

multinationalen Organisationen.<br />

picture-alliance/dpa/Julien Warnand


Europäische Entscheidungsfindung<br />

und Operationsplanung im Rahmen<br />

der Gemeinsamen Außen- und<br />

Sicherheitspolitik<br />

Im Dezember 2003 verabschiedete der Europäische Rat eine vom<br />

Hohen Vertreter für die GASP, Javier Solana, entwickelte Europäische<br />

Sicherheitsstrategie (ESS), die den Beinamen »Ein sicheres<br />

Europa in einer besseren Welt« (»A Secure Europe in a Beer<br />

World«) erhielt. Die ESS bildet den vorläufigen Gipfelpunkt der<br />

sich seit 1998 mehrenden Debaen über die Ausrichtung und<br />

Zielsetzung einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik<br />

(ESVP). Diese vollzogen sich vor dem Hintergrund des<br />

am 7. Februar 1992 unterzeichneten Vertrages von Maastricht<br />

über die Europäische Union.<br />

Mit der in der ESS abgegebenen Erklärung, Europa sei fortan<br />

ein globaler Mitgestalter, verband sich der Anspruch, dass<br />

die Union eine signifikante Verantwortung in der Welt spielen<br />

müsse. Die Europäische Sicherheitsstrategie definiert die zukünftige<br />

Rolle Europas im Zusammenspiel mit strategischen Partnern<br />

wie den Vereinten Nationen und der NATO insgesamt als<br />

aktiver, leistungsfähiger und geschlossener (»more active, more<br />

capable and more coherent«) als bisher. Den in diesem Zusammenhang<br />

genannten Hauptbedrohungen Terrorismus, Verbreitung<br />

von Massenvernichtungswaffen, Zunahme regionaler Konflikte<br />

und gesamtstaatlicher Zusammenbrüche sowie Anstieg der<br />

Organisierten Kriminalität will die Gemeinscha wirkungsvoll<br />

begegnen, indem sie zivile und militärische Kräe abgestimmt<br />

zum Einsatz bringt. In dieser Kernfähigkeit unterscheidet sie sich<br />

von allen anderen internationalen Organisationen. Sie ist diesbezüglich<br />

nicht mit der NATO als reinem Verteidigungsbündnis zu<br />

vergleichen, Parallelen können vielmehr am ehesten zu den Vereinigten<br />

Staaten von Amerika gezogen werden.<br />

Bereits im ersten »Headline Goal 2003« aus dem Jahr 1999<br />

hae sich die Europäische Union das ambitionierte militärische<br />

Ziel gesetzt, in 60 Tagen 60 000 Soldaten für ein Jahr durchhaltefähig<br />

in ein Einsatzgebiet verlegen zu können. Räumlich war ein<br />

181


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

Einsatzradius von 10 000 km um Brüssel definiert worden. Der<br />

sich anschließende Analyseprozess orientierte sich an den Fragestellungen:<br />

Was soll bis 2003 erreicht werden? Welche Fähigkeiten<br />

sind dazu erforderlich? Welche Kräe können und wollen die<br />

Mitgliedstaaten der Europäischen Union hierfür zur Verfügung<br />

stellen? Wo bestehen Defizite – was fehlt der Europäischen Union?<br />

Wie kann diesen Mängeln wirkungsvoll begegnet werden?<br />

Nach 2003 verabschiedeten die 25 EU-Mitgliedstaaten ein<br />

neues militärisches »Headline Goal« mit Zieldatum 2010. Ausdifferenzierter<br />

als zuvor wurden Szenare entwickelt, die militärisches<br />

Handeln auf einer Skala von militärischem Eingreifen<br />

mit hohem Wirkungsgrad bis zu humanitären Hilfeleistungen<br />

beschrieben. Die Reaktionszeit der Europäischen Union, d.h.<br />

der Zeitpunkt von der politischen Entscheidung für ein militärisches<br />

Eingreifen bis zur Einsatzbereitscha im Operationsgebiet,<br />

wurde auf höchstens 30 Tage festgelegt. Im Jahr 2007 kam unter<br />

portugiesischer Ratspräsidentscha ein Fortschriskatalog zustande,<br />

der das Potenzial der Gemeinscha erfasste und vorhandene<br />

Fähigkeitslücken aufzeigte.<br />

Eine Revision dieses Fortschriskatalogs im Jahr 2009 ließ<br />

keine wesentlichen Verbesserungen erkennen. In der Europäischen<br />

Union traten vergleichbare militärische Defizite zutage,<br />

wie sie auch in der NATO festgestellt wurden. (Bei 21 von 28<br />

NATO-Nationen handelt es sich zugleich um EU-Mitgliedstaaten.)<br />

So fehlt beispielsweise die Fähigkeit zum strategischen<br />

Lutransport, und auch hinsichtlich des taktischen Lutransports<br />

bleiben die vorhandenen Miel sehr begrenzt. Neben der<br />

– stets auf Freiwilligkeit fußenden – Bereitscha der Mitgliedstaaten,<br />

derartige Unzulänglichkeiten durch Eigeninitiative rüstungs-<br />

oder ausbildungstechnisch, personal- oder materialwirtschalich<br />

zu beheben, soll nun mit Hilfe der 2004 gegründeten<br />

Europäischen Verteidigungsagentur (European Defence Agency,<br />

EDA) der Versuch unternommen werden, Fähigkeitslücken gesamteuropäisch<br />

zu begegnen.<br />

Parallel zum militärischen entwickelte die Europäische<br />

Union auch einen zivilen »Headline-Goal-Prozess«, um personelle<br />

und materielle zivile Fähigkeitsmängel festzustellen. Ebenfalls<br />

szenarbasiert soll dies längerfristig die Durchführung ziviler<br />

Missionen der Europäischen Union verbessern.<br />

182


Europäische Entscheidungsfindung<br />

Krisenreaktionsfähigkeiten der EU<br />

Die ESS sowie die laufenden Headline-Goal-Prozesse konnten<br />

bislang Zweifel nicht ausräumen, ob die Europäische Union<br />

ihren Maximen tatsächlich gerecht zu werden vermag. Mit der<br />

Aufstellung von pro Halbjahr jeweils zwei verfügbaren sogenannten<br />

Balegroups – schnell verlegbare, kohärente und multinationale<br />

Gefechtsverbände für die Krisenreaktion – versucht<br />

die Europäische Union ihre militärische Handlungsfähigkeit<br />

zu verbessern. Innerhalb von zehn Tagen soll eine ca. 1500 Soldaten<br />

umfassende Balegroup im Krisengebiet einsetzbar sein<br />

– ergänzt durch Unterstützungsanteile und auf die Operation<br />

zugeschniene Zusatzverbände. Der hierzu erforderliche hohe<br />

Bereitschasgrad ist für die betreffenden Mitgliedstaaten personal-,<br />

material- und kostenintensiv und stellt daneben aufgrund<br />

des zumeist multinationalen Charakters auch eine besondere<br />

Herausforderung mit Blick auf Koordination und Führung dar.<br />

Neben dieser eher landzentrierten militärischen Reaktionsmöglichkeit,<br />

die allerdings durch See- und Lustreitkräe<br />

unterstützt werden kann, pflegt die Europäischen Union zwei<br />

Datenbasen, welche die Verfügbarkeit von See- und Lubereitschaskräen<br />

in festgelegten Zeiträumen erfassen.<br />

Insgesamt kann die Europäische Union also auf ein breites<br />

Spektrum militärischer und ziviler Fähigkeiten zurückgreifen,<br />

die entweder schon zur schnellen Krisenreaktion bereitstehen<br />

oder bereitgestellt werden können und damit dem politischen<br />

Willen der Gemeinscha nachhaltig Gewicht verleihen. Zu dieser<br />

Situation ist es allerdings bisher noch nicht gekommen, was<br />

bei einigen Mitgliedstaaten die Frage nach dem Sinn der Balegroups<br />

aufwarf, die ständig quasi Gewehr bei Fuß und »ready<br />

to be deployed« stehen. Brüssel beantwortet solche Kritik etwas<br />

lapidar mit dem Hinweis, dass es eben noch keine Krise gegeben<br />

habe, die den Einsatz europäischer Eingreiräe erfordert häe.<br />

Fest steht, dass eine schnelle militärische, aber auch eine rasche<br />

zivile Krisenreaktion eingespielter Verfahren bedarf, damit<br />

der Entscheidungs- und Planungsprozess zielgerichtet und effektiv<br />

ablaufen kann. Gleiches gilt für solche Missionen, die keine<br />

unverzügliche Reaktion erfordern und damit den Charakter einer<br />

»normalen« militärischen oder zivilen Intervention haben.<br />

183


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

184<br />

Entscheidungs- und Planungsprozesse<br />

Grundvoraussetzung allen Handelns ist der politische Wille der<br />

EU-Mitgliedstaaten, militärische und/oder zivile Fähigkeiten<br />

einzusetzen, um einer Krisensituation zu begegnen. Die Generierung<br />

dieses politischen Willens kann allerdings sehr unterschiedlich<br />

ablaufen: Durch eine UN-Sicherheitsresolution, mediengesteuert<br />

durch sich auauenden politischen Druck, von<br />

einem oder mehreren Mitgliedstaaten herbeigeführt oder auch<br />

nach der europaweiten Feststellung einer Krisensituation, beispielsweise<br />

nach einer Naturkatastrophe.<br />

Den Anstoß, die Frage zu beantworten, ob die Europäische<br />

Union einer Krise militärisch begegnen möchte, liefert ein sogenanntes<br />

Krisenmanagement-Konzept. Dieses beschreibt die<br />

Gesamtausrichtung und -zielsetzung einer möglichen Operation.<br />

Versehen mit einer Empfehlung des Militärausschusses<br />

(EUMC) legt das Politische Sicherheitskomitee (PSK), als ständiges<br />

Botschaergremium in Brüssel für alle Fragen der ESVP zuständig,<br />

dem Ministerrat eine endgültige Version des Konzepts<br />

zur Genehmigung vor. Nach Beschluss wird der Militärstab der<br />

EU (EUMS) über das Militärkomitee (EUMC) beauragt, militärstrategische<br />

Optionen zu entwickeln, also Möglichkeiten des<br />

Handelns aufzuzeigen, Vor- und Nachteile gegeneinander abzuwägen<br />

und der Politik Entscheidungsalternativen anzubieten.<br />

Die militärstrategischen Optionen werden zumeist sorgfältig<br />

durch Erkundungsmissionen vor Ort gespeist und können so ein<br />

realistisches Bild der Lage zeichnen.<br />

Das PSK empfiehlt letztlich dem Rat eine bevorzugte Handlungsoption.<br />

Die Entscheidung muss im Konsens erfolgen. Das<br />

bedeutet, dass 27 EU-Mitgliedstaaten im Rat der Europäischen<br />

Union zustimmen müssen – sei es aktiv oder durch Nicht-Einspruch.<br />

Zumeist geschieht dies in einem schrilichen Umspruchverfahren:<br />

Damit wird vermieden, dass alle Staats- und<br />

Regierungschefs nach Brüssel reisen müssen. Die Entscheidung<br />

zu handeln (»to take action«) wird in einer gemeinsamen Erklärung,<br />

der »joint action«, festgelegt. Sie bildet den Auakt für den<br />

nun einsetzenden militärischen Planungsprozess, welcher der<br />

ständigen politischen Kontrolle durch das PSK unterliegt. Nach<br />

Bestimmung eines Operation Commander (OpCdr) und der Be-


picture-alliance/dpa/Didier Noizet<br />

Europäische Entscheidungsfi ndung<br />

nennung eines Operation Headquarters (EU OHQ) laufen nach<br />

einem festgelegten Schema Planung, Streitkrä egenerierungsprozess<br />

und der personelle »Befüllungsmechanismus« für das<br />

jeweilige Hauptquartier an.<br />

Um militärische Einsätze zu führen, haben sich fünf Mitgliedstaaten<br />

bereiterklärt, der EU auf freiwilliger Basis im Bedarfsfall<br />

ein Hauptquartier zur Verfügung zu stellen. Es handelt sich um<br />

OHQ in Großbritannien (Northwood), Frankreich (Mont Valérien<br />

bei Paris), Italien (Centocello bei Rom), Griechenland (Larissa)<br />

und Deutschland (Potsdam). Einsatzerfahrung haben mi lerweile<br />

Deutschland mit der Operation zur Wahlsicherung im Kongo<br />

im Jahr 2006 und Frankreich mit EUFOR Tschad im Jahr 2008<br />

sammeln können (vgl. die Beiträge von Magnus Pahl und Frank<br />

Hagemann). Derzeit ist das britische OHQ in Northwood für die<br />

Operation A vor dem Horn von Afrika aktiviert.<br />

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy (Mitte rechts) begrüßt einen Veteranen des<br />

Zweiten Weltkriegs. Mit einer Zeremonie am 18. Juni 2008 auf dem Mont Valérien<br />

bei Paris gedachte Frankreich des 68. Jahrestags einer Radioansprache, in der<br />

General Charles de Gaulle von England aus zum Widerstand gegen die deutsche<br />

Besatzung aufgerufen hatte. Heute betreibt Frankreich auf dem Gelände der Festung<br />

sein EU OHQ, das europäische Militäroperationen in der ganzen Welt führen<br />

kann.<br />

185


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

Darüber hinaus hat die Europäische Union die Möglichkeit,<br />

auf die Planungs- und Führungskompetenzen des NATO OHQ<br />

bei SHAPE (Supreme Headquarters Allied Powers Europe) zurückzugreifen.<br />

Die Grundlage hierfür bilden besondere Vereinbarungen<br />

der EU mit der NATO (Berlin-Plus-Abkommen). Der<br />

Stellvertreter des Oberkommandierenden des NATO-Hauptquartiers<br />

Europa (Deputy SACEUR, Supreme Allied Commander<br />

Europe) wird in einem derartigen Fall automatisch zum<br />

Operation Commander. Derzeit ist das OHQ aktiviert und führt<br />

die Operation A (Nachfolgeoperation der NATO-Operation<br />

SFOR in Bosnien-Herzegowina). Die Europäische Union<br />

betreibt ferner ein eigenes aufwuchsfähiges Operationszentrum<br />

direkt in Brüssel (Operation Centre), das für kleinere Operationen<br />

genutzt werden kann. Diskussionen, ob langfristig ein eigenständiges<br />

EU OHQ in Brüssel entstehen soll, werden zurzeit<br />

noch ergebnisoffen geführt.<br />

Parallel zu den Aktivitäten in Brüssel laufen in jenen Mitgliedstaaten,<br />

die sich zur Teilnahme an einer Operation entschieden<br />

haben und nationale Streitkräe unter EU-Mandat stellen<br />

wollen, nationale Abstimmungs- und Genehmigungsprozesse.<br />

In Deutschland muss der Deutsche Bundestag zustimmen (vgl.<br />

den Beitrag von Winfried Nachtwei). Die Komplexität des hier<br />

nur grob umrissenen Gesamtprozesses lässt ahnen, wie schwierig<br />

sich Entscheidungs- und Planungsprozesse dann gestalten<br />

würden, wenn eine schnelle Krisenreaktion und der Einsatz<br />

einer Balegroup erforderlich sein sollten. Bestimmte Planungsschrie<br />

müssten entfallen und die Entscheidung des Rates auf<br />

Grundlage eines rasch zu erstellenden Krisenmanagement-Konzepts<br />

sowie einer militärstrategischen Option getroffen werden.<br />

Letzthin legt dann der Operation Commander nur noch seinen<br />

Operationsplan dem PSK zur Genehmigung vor und lässt die<br />

Balegroup in das Einsatzgebiet verlegen.<br />

Entscheidungs- und Planungsprozess der zivilen Missionen<br />

vollziehen sich nach gleichem Muster, jedoch mit wechselnden<br />

Akteuren. An die Stelle des Militärausschusses tri das Zivile<br />

Komitee (CivCom), der Operation Commander ist der Leiter des<br />

für die Führung ziviler Missionen eingerichteten Hauptquartiers<br />

in Brüssel (Civilian Planning and Conduct Capabilty, CPCC). In<br />

seine Verantwortung fallen zurzeit alle 14 laufenden zivilen Mis-<br />

186


Europäische Entscheidungsfindung<br />

sionen. Die Leitung im Einsatzgebiet obliegt dem sogenannten<br />

Head of Mission, zumeist ein erfahrener Diplomat oder ehemaliger<br />

Militär – vergleichbar einem Force Commander.<br />

Ausblick<br />

Anders als andere supranationale Organisationen kann die Europäische<br />

Union im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und<br />

Verteidigungspolitik gleichermaßen zivile und militärische Fähigkeiten<br />

zur Krisenreaktion einsetzen. Mit der Implementierung<br />

des am 13. Dezember 2007 unterzeichneten und am 1. Dezember<br />

2009 in Kra getretenen Vertrages von Lissabon wird sich an der<br />

europäischen Grundausrichtung nichts ändern. Das Abkommen<br />

bedeutet vielmehr einen weiteren Schri in Richtung eines gesamteuropäischen<br />

vernetzten Sicherheitsansatzes bei zunehmender<br />

Stärkung der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit.<br />

Die Mitgliedstaaten der Union sind sich allerdings darüber<br />

im Klaren, dass bei einer Bedrohung ihrer Außengrenzen oder<br />

bei einer sich abzeichnenden umfangreichen kriegerischen Auseinandersetzung<br />

keine andere Organisation als die NATO dazu<br />

imstande sein wird, wirksam einzuschreiten. Der Bündnisfall<br />

nach Art. 5 des NATO-Vertrags, das ständig aktivierte NATO<br />

HQ SHAPE sowie das transatlantische Militärpotenzial bieten<br />

die einzige Gewähr, auch einer größeren Krise Herr zu werden.<br />

Entscheidungs- und Planungsprozesse verlaufen dabei in vergleichbaren<br />

Strukturen wie in der EU.<br />

Jörg Hillmann<br />

187


Am 28. Januar 2008 gab der Rat der Europäischen Union (EU) offiziell<br />

den Startschuss für eine militärische Operation in Zentralafrika unter<br />

dem französischen Namen »EUFOR Tchad/RCA«. Die Vorbereitungen<br />

für die europäische Friedensmission (im Bild eine schwedische Patrouille)<br />

waren bereits im Juli 2007 angelaufen, konnten jedoch erst nach langen<br />

und schwierigen Verhandlungen in Brüssel abgeschlossen werden.<br />

Einmal mehr zeigte sich, dass der Planungs- und Entscheidungsprozess<br />

für militärische Operationen der EU – nicht anders als in der NATO<br />

– komplex und zeitaufwendig ist. Während die Kompetenzen für eine<br />

Reihe von Politikfeldern (beispielsweise für Landwirtschaft und Binnenmarkt)<br />

bereits 1993 mit dem Vertrag von Maastricht an die EU übertragen<br />

wurden, bewahrten die Mitgliedstaaten ihre nationalen Rechte in Kernbereichen<br />

staatlicher Souveränität, wie etwa bei der Außenvertretung und<br />

dem Einsatz der Streitkräfte. Die gemeinsame Außen-, Sicherheits- und<br />

Verteidigungspolitik der EU ist dementsprechend »intergovernemental«<br />

angelegt. Nicht die Kommission, sondern die im (Minister-)Rat der EU<br />

vertretenden Regierungen der Mitgliedstaaten treffen hierbei einstimmig<br />

alle Entscheidungen.<br />

picture-alliance/dpa/Swedish Defence Forces/Marcus Olsson


Der lange Weg zu EUFOR Tschad:<br />

Die Europäische Union in Zentralafrika<br />

Der Krieg in Darfur (Sudan) löste eine humanitäre Tragödie mit<br />

mindestens 200 000 Toten und mehr als 2,5 Millionen Flüchtlingen<br />

aus. Die Gewalt nahm 2003 ihren Anfang, als eine Rebellenbewegung<br />

die sudanesische Regierung unter Präsident<br />

Hassan Omar al-Bashir der Unterdrückung der schwarzafrikanischen<br />

Bevölkerung zugunsten arabischer Afrikaner bezichtigte.<br />

Seitdem destabilisierte der Konflikt zwischen verschiedenen<br />

schwarzafrikanischen Rebellengruppen auf der einen und den<br />

sudanesischen Streitkräen und afroarabischen Milizen auf der<br />

anderen Seite nicht nur Darfur, sondern auch die angrenzenden<br />

Regionen. Neben zahllosen Flüchtlingen überquerten schwarzafrikanische<br />

Zaghawa-Milizen die Grenze, um den Osten<br />

Tschads und den Nordosten der Zentralafrikanischen Republik<br />

(ZAR) als Rückzugsräume zu nutzen. Im Gegenzug unterstützte<br />

die sudanesische Regierung Rebellengruppen im Tschad, wo die<br />

kleine ethnische Minderheit der Zaghawa über eine Mehrheit<br />

von 97 Prozent der Bevölkerung herrscht. Als Folge der überlappenden<br />

Konflikte hielten sich 2007 etwa 200 000 Darfur-Vertriebene<br />

und 150 000 Binnenflüchtlinge im Osten Tschads sowie<br />

weitere 200 000 Flüchtlinge im Nordosten der ZAR auf.<br />

Vor diesem Hintergrund beschloss die Internationale Gemeinscha<br />

im Frühjahr 2007 den Auau einer 20 000 Soldaten<br />

umfassenden Hybridmission der Vereinten Nationen (UN) und<br />

der Afrikanischen Union (AU) in Darfur. Diese erhielt die Bezeichnung<br />

UNAMID (United Nations – African Union Mission<br />

in Darfur). Zur gleichen Zeit wurde der Ruf nach einer parallelen<br />

Stabilisierungsoperation in den angrenzenden Regionen Tschads<br />

und der ZAR laut. Der französische Außenminister Bernard<br />

Kouchner schlug darauin eine EU-geführte militärische Operation<br />

zur Unterstützung der Vereinten Nationen vor.<br />

Während die französische Initiative in New York auf Interesse<br />

stieß, zeigten die Mitgliedstaaten der EU in Brüssel von Beginn<br />

an große Zurückhaltung. Einen Grund hierfür bildeten Bedenken<br />

– geäußert freilich meist hinter vorgehaltener Hand –, dass möglicherweise<br />

nationale Interessen hinter dem französischen Vor-<br />

189


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

schlag stehen könnten. Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich<br />

kritisierte zwar seit den 1980er-Jahren das Regime im Tschad<br />

unter Präsident Idriss Deby im Hinblick auf die Demokratisierung<br />

und die Einhaltung der Menschenrechte. Dessen ungeachtet<br />

stellte Frankreich mit einer 1100 Soldaten umfassenden<br />

Truppenpräsenz (Operation E) militärische Hilfe in den<br />

Bereichen Luunterstützung, Logistik und Aulärung bereit<br />

und sicherte so die Überlegenheit der tschadischen Regierungstruppen<br />

gegenüber den Rebellen.<br />

Eine weitere Sorge in Brüssel betraf den Aufwuchs der UN/<br />

AU-Hybridmission. Viele EU-Mitgliedstaaten beteiligten sich<br />

am internationalen Engagement in Darfur. Da schon UNAMID<br />

erheblichen Problemen bei der Generierung der erforderlichen<br />

Kräe gegenüberstand, schien der parallele Auau einer weiteren<br />

militärischen Operation Kräe zu binden, die dann in Darfur<br />

fehlen würden. Dementsprechend gelang es der französischen<br />

Regierung im Juni 2007 zunächst nicht, in der EU Zustimmung<br />

für ein schnelles militärisches Eingreifen im Tschad und der ZAR<br />

zu gewinnen.<br />

EUFOR Tschad, Aufnahme vom 6. September 2008.<br />

190<br />

picture-alliance/dpa/Maxppp/Sebastien Nogier


Der lange Weg zu EUFOR Tschad<br />

In Brüssel gingen Vertreter des Ratssekretariats und der Kommission<br />

der EU daran, ein Krisenmanagementkonzept (KMK) zu<br />

erarbeiten. Dabei handelt es sich um ein Grundlagendokument<br />

im Rahmen der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik,<br />

das ein strategisches »Design« für das zivile und militärische<br />

Engagement der EU in einer bestimmten Krisenregion mit<br />

langfristiger Perspektive entwickelt. Der französische Außenminister<br />

reiste währenddessen nach N’Djamena und rang dort Präsident<br />

Deby die Zustimmung zur Verlegung einer europäischen<br />

Friedenstruppe (EUFOR) in den Osten Tschads ab. Anschließend<br />

beauragte der UN-Sicherheitsrat in New York, wiederum auf<br />

französische Initiative, die Ausarbeitung eines multidimensionalen<br />

internationalen Einsatzkonzeptes. Dieses umfasste eine<br />

humanitäre, eine polizeiliche und eine militärische Komponente.<br />

Die Vereinten Nationen erhielten die Verantwortung für die<br />

Unterstützung der tschadischen Regierung beim Auau einer<br />

neuen Polizeitruppe. Die EU-Mission sollte im Osten Tschads<br />

und im Nordosten der ZAR die Flüchtlingslager schützen und<br />

dort humanitäre Hilfe leisten. Eine drie militärische Komponente<br />

hae das zivile, humanitäre und polizeiliche Engagement<br />

in der Region abzusichern und zu unterstützen. Auf dieser<br />

Grundlage stimmte schließlich der Rat der EU am 24. Juli 2007<br />

der Entsendung europäischer Truppen nach Zentralafrika zu.<br />

Strategische Planung für EUFOR Tschad<br />

Trotz dieser Grundsatzentscheidung bestanden weiterhin vielfältige<br />

Bedenken gegen die nun zu planende EU-Operation.<br />

Insbesondere die Vorbereitung der Mission durch Frankreich<br />

im Frühsommer 2007 hae in einigen Hauptstädten Anlass zu<br />

Irritationen gegeben und vorhandene Vorbehalte eher bestärkt<br />

als beseitigt. Zwar stellte sich kein Mitgliedstaat gegen die Initiative<br />

der Regierung in Paris, aber das militärische Engagement<br />

der EU in Zentralafrika wurde von vornherein auf ein Jahr begrenzt.<br />

Die beiden wichtigsten Partner Frankreichs, Deutschland<br />

und Großbritannien, haen zudem bereits eine Woche vor der<br />

Ratsentscheidung signalisiert, dass sie sich nicht mit Truppen<br />

an der Operation beteiligen würden. Demgegenüber bekunde-<br />

191


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

192


Der lange Weg zu EUFOR Tschad<br />

te Frankreich seine Bereitscha, mit rund 1500 Mann den Kern<br />

einer europäischen Friedenstruppe zu stellen.<br />

Gemäß dem am 12. September 2007 beschlossenen KMK sollte<br />

die militärische Operation als Teil eines umfassenden zivil-militärischen<br />

Ansatzes der EU einen abgestimmten europäischen Beitrag<br />

zur Lösung der Krise in Darfur und den angrenzenden Regionen<br />

leisten. Das EU-Engagement umfasste erstens die politische<br />

Unterstützung von UN und AU bei der Wiederbelebung des stockenden<br />

Friedensprozesses in Darfur, zweitens die Beschleunigung<br />

des Aufwuchses von UNAMID und driens die verstärkte<br />

Bereitstellung humanitärer Hilfe einschließlich eines militärisch<br />

gesicherten Zugangs zu den Krisengebieten. In diesem Kontext<br />

stellte die EU kurzfristig zehn Millionen Euro für die Ausbildung<br />

und Verlegung der tschadischen Polizeitruppe bereit. Darüber<br />

hinaus flossen knapp 440 Millionen Euro in Maßnahmen zur Stabilisierung<br />

der an Darfur angrenzenden Regionen bis 2013. Auf<br />

dieser Grundlage plante die EU eine militärische Brückenoperation<br />

im Osten Tschads und im Nordosten der ZAR für die Dauer<br />

eines Jahres. Eng koordiniert mit den Vereinten Nationen war es<br />

das strategische Ziel von EUFOR Tschad, einen Beitrag zur Verbesserung<br />

der Sicherheitslage in der Krisenregion zu leisten.<br />

Das KMK betonte die Neutralität und Unparteilichkeit von<br />

EUFOR. Der Aurag schloss ausdrücklich die Überwachung der<br />

Grenzen sowie die Intervention bei Auseinandersetzungen zwischen<br />

Rebellen und Regierungstruppen aus. EUFOR sollte vielmehr<br />

»Zivilisten in Gefahr« schützen, die Bereitstellung humanitärer<br />

Hilfe durch UN und Hilfsorganisationen erleichtern und<br />

die Sicherheit und Bewegungsfreiheit der internationalen Helfer<br />

in der Krisenregion gewährleisten. Zwei Wochen nach der Ratsentscheidung<br />

vom 12. September 2007 beschloss der UN-Sicherheitsrat<br />

die Durchführung einer multidimensionalen Mission in<br />

Tschad und der ZAR unter dem Namen MINURCAT (United<br />

Nations Mission in Central African Republic and Chad), welche<br />

300 Polizeibeamte, 50 Verbindungsoffiziere und eine Reihe ziviler<br />

Kräe umfassen sollte. Gleichzeitig wurde die Durchführung<br />

der Operation EUFOR Tchad/RCA unter Kap. VII der Charta der<br />

UN (»allowing use of force if necessary«) autorisiert.<br />

Der Rat der EU stimmte darauin am 15. Oktober 2007 der gemeinsamen<br />

Aktion zu. Zuvor hae Frankreich bereits angeboten,<br />

193


picture-alliance/dpa/Olivier Hoslet<br />

II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

das strategische Hauptquartier<br />

(Operation Headquarters,<br />

OHQ) in Mont Valérien bei<br />

Paris, das operative Hauptquartier<br />

(Force Headquarters,<br />

FHQ) im Einsatzgebiet<br />

sowie mit Brigadegeneral<br />

Jean-Philippe Ganascia auch<br />

den Force Commander zu stellen. Um der Operation ein europäisches<br />

Gesicht zu geben, wurde der irische Generalleutnant<br />

Patrick Nash zum EU Operation Commander in Paris ernannt.<br />

Nash übernahm damit die Verantwortung für die nun folgende<br />

militärstrategische Planung und den Prozess der Kräegenerierung.<br />

194<br />

Der Operation Commander der<br />

EUFOR Tschad, der irische General<br />

Patrick Nash, auf einer Pressekonferenz<br />

in Brüssel, 18. März 2009.<br />

Wiederkehrende Probleme:<br />

Kräegenerierung und Finanzierung<br />

Die Reaktionen Deutschlands, Großbritanniens und weiterer<br />

Mitgliedstaaten ließen bereits im Vorfeld erkennen, dass der<br />

Prozess der Kräegenerierung – wie so o bei multinationalen<br />

Einsätzen – eine große Herausforderung darstellen würde. Erste<br />

informelle Anfragen in den europäischen Hauptstädten haen<br />

wenig ermutigende Ergebnisse erbracht. Bei der Erarbeitung<br />

militärstrategischer Optionen für EUFOR Tschad musste dies<br />

berücksichtigt werden. Der Rat der EU genehmigte daher lediglich<br />

die Ausplanung einer begrenzten Operation mit etwa 4000<br />

Soldaten. In Anbetracht des riesigen Operationsgebietes sollte<br />

die geringe Truppenstärke durch hohe Lubeweglichkeit und<br />

weiträumige Aulärung ausgeglichen werden.<br />

Der Abschluss der Truppenbereitstellung war ursprünglich<br />

für Ende Oktober vorgesehen. Doch zu diesem Zeitpunkt haen


Der lange Weg zu EUFOR Tschad<br />

die Mitgliedstaaten gerade einmal 2500 Soldaten, darunter 1500<br />

aus Frankreich, zugesagt. Während der nächsten drei Monate<br />

kam der Kräegenerierungsprozess praktisch zum Stillstand,<br />

obwohl sich sowohl General Nash als auch französische Regierungsvertreter<br />

intensiv um weitere Angebote bemühten. Erst die<br />

füne Truppenstellerkonferenz im Januar 2008 brachte schließlich<br />

den Durchbruch, als Frankreich 600 zusätzliche Soldaten<br />

und weitere, für die Mission kritische militärische Miel in Aussicht<br />

stellte. EUFOR konnte sich damit auf etwa 3700 Soldaten<br />

aus 14 Mitgliedstaaten stützen. 2100 stammten aus Frankreich,<br />

400 aus Irland, 350 aus Polen, 200 aus Schweden, Österreich entsandte<br />

180 und Belgien 120.<br />

Dennoch war das Ergebnis der Kräegewinnung für die EU<br />

und ihre Mitgliedstaaten ernüchternd. Die Regierung in Paris<br />

hae ihre Zielmarke von 50 Prozent nichtfranzösischer Truppen<br />

deutlich verfehlt. Zudem mangelte es EUFOR weiterhin an<br />

wesentlichen miitärischen Fähigkeiten, so u.a. an strategischen<br />

Reserven, Hubschraubern, weitreichenden Aulärungsmieln<br />

sowie Transport- und Sanitätskräen. Bis zuletzt hae man in<br />

Paris die Hoffnung gehabt, dass am Ende Deutschland bestehende<br />

Lücken schließen werde. Als sich abzeichnete, dass die<br />

Bundesregierung nicht von ihrer einmal geäußerten Linie abweichen<br />

würde, erwartete man in Paris zumindest ein Entgegenkommen<br />

bei der Finanzierung der Operation. Stadessen machten<br />

Deutschland, Großbritannien und weitere Mitgliedstaaten<br />

deutlich, dass sie die Gemeinschaskosten für die Union auf<br />

etwa 100 Millionen Euro begrenzt sehen wollten – davon etwa<br />

21 Prozent von Deutschland zu tragen. Bei einem geschätzten<br />

Gesamtaufwand von etwa 500 Millionen Euro fürchtete die französische<br />

Regierung nun zu Recht, auf dem Löwenanteil der Kosten<br />

sitzen zu bleiben. Als man sich schließlich nach langwierigen<br />

Gesprächen auf Gemeinschaskosten in Höhe von 120 Millionen<br />

Euro einigte, waren diese Befürchtungen Realität geworden.<br />

In Paris herrschte Enäuschung, wohl nicht zuletzt aufgrund<br />

der hartnäckigen deutschen Weigerung, Kräe und Geldmiel<br />

zur Verfügung zu stellen. Zumindest waren nun aber die Voraussetzungen<br />

für den Start der Operation geschaffen. Und da<br />

fast alle Mitgliedstaaten sich mit Personal in den Hauptquartieren<br />

beteiligten, war es auch gelungen, EUFOR – trotz des hohen<br />

195


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

französischen Anteils – ein europäisches Aussehen zu verleihen.<br />

Auch Deutschland und Großbritannien stellten jeweils vier<br />

Stabsoffiziere nach Mont Valérien ab.<br />

196<br />

Hoher Aufwand, mäßiger Ertrag<br />

Die Ratsentscheidung vom 28. Januar 2008 war nicht nur der<br />

Startschuss für die Verlegung der EUFOR, sondern auch für eine<br />

Rebellenoffensive gegen die tschadische Hauptstadt. Aufständische<br />

führten mit rund 300 Fahrzeugen und 1500 Kämpfern einen<br />

Streifzug von der sudanesischen Grenze nach N‘Djamena durch,<br />

drangen in die Stadt ein und belagerten für 36 Stunden den Palast<br />

von Präsident Deby. Aufgrund der bedrohlichen Sicherheitslage<br />

verstärkte Frankreich seine national geführten Truppen und<br />

evakuierte rund 800 europäische Staatsbürger aus dem Land.<br />

Französische Soldaten griffen zwar nicht direkt in die Kämpfe<br />

ein, unterstützten jedoch die tschadische Armee mit Logistik<br />

und Aulärung.<br />

Für EUFOR erwies sich die Präsenz des französischen Militärs<br />

als problematisch. Während die EU immer wieder ihre<br />

Überparteilichkeit betont hae, erwog die größte truppenstellende<br />

Nation die Möglichkeit eines bewaffneten Eingreifens<br />

gegen die Rebellenkoalition. Dies sorgte bei einigen anderen<br />

Truppenstellern für Irritationen und stellte darüber hinaus auch<br />

den französischen Force Commander vor eine neue Herausforderung.<br />

EUFOR musste eine klare Trennlinie gegenüber der<br />

französischen Operation E ziehen, um gegenüber den<br />

Konfliktparteien, der Internationalen Gemeinscha und der Zivilbevölkerung<br />

die Glaubwürdigkeit der EU zu erhalten.<br />

In den nächsten Monaten konnte EUFOR trotz erheblicher<br />

logistischer Probleme den Aufwuchs der eigenen Kräe erfolgreich<br />

abschließen. Am 15. März 2008 meldete General Nash die<br />

Einsatzbereitscha des ersten von insgesamt drei Bataillonen<br />

der Einsatzkräe, sechs Monate später die vollständige Verfügbarkeit<br />

des Kontingents. In den folgenden Monaten konnten, ungeachtet<br />

fortbestehender Fähigkeitslücken, der Aufwuchs von<br />

MINURCAT im gesamten Operationsgebiet und die Verlegung<br />

erster Elemente der neuen tschadischen Polizeitruppe sicherge-


Der lange Weg zu EUFOR Tschad<br />

stellt werden. EUFOR trug punktuell zur Verbesserung der Sicherheitslage<br />

in den Grenzgebieten bei und ermöglichte rund<br />

10 000 Flüchtlingen die Rückkehr in ihre Heimatdörfer. Im Verlauf<br />

der Operation stellten der französische Kommandeur und<br />

seine Soldaten zudem die Neutralität der EUFOR glaubwürdig<br />

unter Beweis. Angesichts der gewaltigen Ausdehnung des Operationsgebietes<br />

blieb freilich die Sicherheitslage insgesamt fragil.<br />

Im Osten Tschads dauerten heige Kämpfe zwischen Rebellen<br />

und Regierungstruppen an. Die Auseinandersetzungen bedrohten<br />

die örtliche Bevölkerung, Flüchtlinge und humanitären Helfer<br />

gleichermaßen. So starben im Jahr 2008 bei 120 Angriffen<br />

gegen internationale Hilfsorganisationen sechs Menschen.<br />

Dennoch erfüllte das Unternehmen einen wichtigen politischen<br />

Zweck. Von Beginn an war klar gewesen, dass ein Jahr<br />

nach Herstellung der ersten Einsatzbereitscha eine internationale<br />

Folgemission den Aurag der EUFOR übernehmen sollte.<br />

Nach intensiven Verhandlungen stimmte schließlich die tschadische<br />

Regierung dem Auau einer militärischen Komponente<br />

von MINURCAT mit 5200 Soldaten zu. Da Präsident Deby einen<br />

UN-Einsatz noch im Sommer 2007 vehement abgelehnt hae,<br />

war dies ein wichtiger politischer Erfolg für die Internationale<br />

Gemeinscha. Am 15. März 2009 übernahm MINURCAT den bis<br />

dato von den Europäern erfüllten Aurag, wobei rund 2000 europäische<br />

Soldaten ihren Dienst unter neuer Flagge fortsetzten.<br />

Die Operation EUFOR Tschad war damit beendet.<br />

Wenngleich eine abschließende Bewertung verfrüht erscheint,<br />

lässt sich doch feststellen, dass die Planung der europäischen<br />

Operation unter einem grundlegenden Problem li. Die<br />

politische Entscheidung für EUFOR Tschad wurde gefällt, obwohl<br />

es keine Einigkeit über Strategie und Gesamtansatz des europäischen<br />

Engagements gab. Die Operation, welche eigentlich<br />

einen Beitrag zur Lösung der Krise in Darfur leisten sollte, zielte<br />

tatsächlich viel eher darauf ab, eine weitere Destabilisierung<br />

der Nachbarregionen zu verhindern. In dieser Hinsicht leistete<br />

EUFOR Tschad einen wichtigen Beitrag zur Linderung der Krisenfolgen,<br />

jedoch nicht zur Beseitigung von deren Ursachen.<br />

Frank Hagemann<br />

197


Trauernde Menschen stehen am 10. April 2009 in Kigali an der Gedenkstätte<br />

des ruandischen Genozids von 1994 hinter den Särgen von Ermordeten.<br />

Am 15. Jahrestag des Völkermords wurden dort die sterblichen<br />

Überreste von 150 Menschen beerdigt. Über 250 000 Tote liegen zentral<br />

in Kigali begraben, jährlich kommen nach Angaben der Gedenkstätte<br />

etwa 1000 weitere Opfer des Genozids hinzu.<br />

In Afrika und in anderen Teilen der Welt erlebt die gewaltsame Lösung<br />

von Konflikten eine Renaissance. Seit dem Ende des Kalten Krieges<br />

sind rechtsfreie Räume entstanden, in denen der Kampf um die<br />

Macht mit militärischen Mitteln geführt wird. Während in manchen Gebieten<br />

archaische Formen der Auseinandersetzung vorherrschen, wächst<br />

die Internationale Gemeinschaft zu einer »Weltgesellschaft« zusammen,<br />

die sich kommunikationstechnisch, politisch und wirtschaftlich immer<br />

enger vernetzt. Regionale Konflikte werden mehr denn je in ihren globalen<br />

Auswirkungen wahrgenommen; sie zu lösen, bedarf es zunehmend<br />

internationaler Mechanismen. Gleichzeitig wird immer deutlicher, dass<br />

eine dauerhafte Stabilisierung nicht allein auf ausländischem Engagement<br />

basieren kann.<br />

picture-alliance/dpa/epa-Bildfunk


Regionale Anarchie in Subsahara-Afrika<br />

als internationales Problem<br />

Der anfänglichen Euphorie über eine »neue Weltordnung« nach<br />

Ende des Kalten Krieges folgte schon bald die Ernüchterung und<br />

die Rede von der Herausbildung einer »neuen Weltunordnung«.<br />

Angesichts zahlreicher Kriege in der Drien Welt, aber auch in<br />

Teilen Europas und der ehemaligen Sowjetunion sowie unter dem<br />

Eindruck zerfallener und zerfallender Staaten, »ethnischer Säuberungen«,<br />

humanitärer Katastrophen und Völkermord, wachsenden<br />

Migrationsdrucks und zunehmender Umweltzerstörung<br />

wurden nunmehr eine »neue Unübersichtlichkeit« sowie Elemente<br />

von Anarchie und Chaos wahrgenommen. Im Weltmaßstab<br />

stellte man eine regional ungleiche Verteilung von Krieg<br />

und Frieden fest, uneinheitliche soziale, ökonomische und politische<br />

Entwicklungen sowie unterschiedliche Grade der »Zivilisierung«<br />

von Gesellschaen.<br />

Die politischen, sozialen und ökonomischen Phänomene, die<br />

seit dem Ende des Ost-West-Konflikts omals als »Anarchie«<br />

(wörtlich: Herrschaslosigkeit, Mangel an Ordnung) wahrgenommen<br />

und beschrieben worden sind, setzen sich in der Regel<br />

aus verschiedenen Elementen zusammen: Erstens sind dies Unterentwicklung<br />

und Armut als Folge schwieriger oder gescheiterter<br />

Modernisierungs- und Transformationsprozesse. Hierzu<br />

gehören Massenverelendung, Verstädterung mit Tendenzen zur<br />

Verslumung, die Brutalisierung und Kriminalisierung des Alltagslebens,<br />

Terror-Regime, Menschenrechtsverletzungen und<br />

politische Verfolgung. Zweitens zählt dazu der »Zerfall« von<br />

Staaten, die es nicht oder schwerlich schaffen, ihr Gewaltmonopol<br />

durchzusetzen und elementare Staatsfunktionen zu erfüllen.<br />

Driens sind »Kriegsherrentum« und »staatsfreie Räume« in<br />

zerfallenen Staaten und zerbrochenen Gesellschaen zu erwähnen.<br />

Aus der Auflösung des Gewaltmonopols resultiert in der<br />

Regel eine »kriminelle Anarchie«, basierend auf der Willkürherrscha<br />

lokaler Kriegsherren (»Warlords«) und ihrer Milizen<br />

sowie auf kriminalisierten Schaenwirtschaen in Gestalt von<br />

Schmuggel, Waffenhandel, Raub, Erpressung und Ressourcenplünderung.<br />

Dies führt viertens zu langjährigen regionalen und<br />

199


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

internationalen Bürgerkriegen mit zerstörerischen Folgen für die<br />

Infrastruktur und den sozialen Zusammenhalt ganzer Länder.<br />

Solche Kriege rufen umfassende Sozialkatastrophen wie Massenhunger<br />

und Massenflucht, Seuchen, »ethnische Säuberungen«<br />

und Völkermord hervor, nicht selten verbunden mit akuten<br />

oder schleichenden Natur- und Öko-Katastrophen wie Dürren,<br />

Überschwemmungen und Waldzerstörung.<br />

200<br />

Von der lokalen Krise zum<br />

internationalen Problem<br />

Vielerlei Faktoren wirken offenbar zusammen: Eine lokale Krise<br />

oder Katastrophe wird zu einem globalen Problem, was dann<br />

die Internationale Gemeinscha zum Handeln bewegt. Die Interessen<br />

von Nachbarstaaten, Regionalorganisationen und raumfernen<br />

Mächten scheinen ebenso eine Rolle zu spielen wie ein<br />

problemlösungsorientierter »Aktionismus« internationaler Organisationen,<br />

namentlich der Vereinten Nationen (UNO), von Regierungen<br />

und nichtstaatlichen Hilfsorganisationen. Schließlich<br />

ist auf die wichtige Rolle der Medien bei der Wahrnehmung von<br />

Krisen und Katastrophen sowie bei der Beeinflussung der öffentlichen<br />

Meinung und der Politik hinzuweisen.<br />

Seit den 1990er-Jahren haben die UNO und ihr Sicherheitsrat<br />

eine deutlich aktivere Rolle bei der internationalen Krisenprävention<br />

und Konfliktbearbeitung übernommen: Sie entsenden<br />

Friedensmissionen, führen humanitäre Interventionen durch<br />

und vermieln auf diplomatischer Ebene. Diese global ausgelegte<br />

Verantwortung für die Krisenregionen der Erde lässt sich für<br />

die großen Industrienationen durchaus auch interessenpolitisch<br />

begründen. In der heutigen »Weltrisikogesellscha« mit ihren<br />

vielfältigen gegenseitigen Abhängigkeiten können sie eine Chaotisierung<br />

in Teilbereichen des internationalen Systems nicht hinnehmen,<br />

selbst wenn sich diese räumlich eingrenzen ließe. Denn<br />

eine Abschoung gegenüber Folgewirkungen regionaler Krisen<br />

und Katastrophen (z.B. in Gestalt von Migration, Umweltzerstörung,<br />

Terrorismus) ist, wie die letzten Jahre gezeigt haben, nicht<br />

möglich.


Regionale Anarchie in Subsahara-Afrika<br />

An die Stelle langfristiger Entwicklungs- und Strukturpolitik<br />

ist zusehends ein kurzfristiges Krisen- und Katastrophenmanagement<br />

sowie die humanitäre Nothilfe getreten. Allerdings<br />

wird diese Hilfe keineswegs allen Krisenregionen und Hilfsbedürigen<br />

gleichermaßen zuteil: Vielmehr verfährt sie sehr wählerisch<br />

und setzt Prioritäten nach nicht immer nachvollziehbaren<br />

Kriterien. Beschlüsse der Großmächte im UN-Sicherheitsrat,<br />

UN-Blauhelmoperationen und die Einflussnahme von Interessengruppen<br />

in den Industrieländern düren dabei ebenso von<br />

Bedeutung sein wie die Medienberichterstaung, der Zugang zu<br />

den Krisengebieten und die Sicherheitslage vor Ort. So wurde<br />

beispielsweise der Kongo trotz seiner verheerenden humanitären<br />

Situation gegenüber anderen Krisenregionen von der Weltgemeinscha<br />

vernachlässigt.<br />

Subsahara-Afrika als Region der »Anarchie«?<br />

Immer neue Nachrichten über Unfrieden und Unsicherheit prägen<br />

das von den Medien gepflegte »katastrophische Afrikabild«:<br />

Armut, Hunger, Krieg, Flüchtlingselend und Aidsseuche machen<br />

den Kontinent zu einem Paradebeispiel für Sozialkatastrophen<br />

und wirtschaliche Unterentwicklung. Dieses Bild vom<br />

»Chaos Afrika« unterstellt, dass die Region südlich der Sahara<br />

eine »wabernde« Konfliktmasse sei, aus der heraus sich immer<br />

neue Auseinandersetzungen entzünden. Afrika ist jedoch kein<br />

monolithisches Gebilde, sondern ein Kontinent, der sich aus<br />

höchst unterschiedlichen Welten zusammensetzt, die weiter<br />

auseinanderliegen als Sizilien und die Shetlands – nicht nur geografisch.<br />

Auch wurzeln die afrikanischen Kriege nicht einfach<br />

in blutrünstigen, urzeitlichen Stammesfehden, sondern ihre<br />

Ursachen lassen sich ebenso politisch begründen und präzise<br />

auseinanderhalten wie jene europäischer Kriege. So sind etwa<br />

die schrecklichen Ereignisse in Ruanda 1994 keineswegs als ein<br />

chaotisches Gemetzel zu erklären, sondern als ein gut geplanter<br />

und organisierter Völkermord an Tutsi und Hutu-Oppositionellen,<br />

an dem die herrschenden Eliten aus machtpolitischen und<br />

ökonomischen Gründen ein Interesse gehabt haben. Im Lichte<br />

der jugoslawischen Tragödie in Europa ist durchaus zu würdi-<br />

201


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

Neue Kriege und Staatszerfall<br />

Weltweit sind Konflikte seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert durch<br />

das Verschwimmen der herkömmlich bekannten Grenzen zwischen<br />

»Krieg« und »Frieden« geprägt, so etwa die Kriege auf dem Balkan<br />

der 1990er-Jahre, die Konflikte im Kaukasus und in Afghanistan sowie<br />

in Nahost einschließlich des Irakkrieges (nach Beendigung der »regulären«<br />

Operationen). Man kann sie wie der Politologe Herfried Münkler<br />

mit dem Modebegriff »Neue Kriege« bezeichnen. Ein bestimmtes<br />

Muster dieser »Neuen Kriege« scheint bei den Staatszerfallkriegen in<br />

Afrika gegeben, und hier besonders in und um den Kongo. Ab 1990<br />

entstand ein Zerwürfnis, das von Uganda und Ruanda ausgehend auf<br />

Burundi und den Ostkongo übergriff und sich 1994 zum grauenhaen<br />

Genozid in Ruanda ausweitete.<br />

Die »Neuen Kriege« sind von der Vielzahl der Akteure gekennzeichnet.<br />

Neben regulären Armeen der Konfliktparteien und ausländischen<br />

Interventionstruppen sind ethnisch geprägte Milizen, kriminelle Banden,<br />

paramilitärische Verbände sowie Söldner und Sicherheitsunternehmen<br />

involviert. Allerdings sind die Übergänge von regulären<br />

Armeen zu Rebellenorganisationen o fließend. So wird häufig von<br />

einer Mischform, den sogenannten Sobels (halb Soldat, halb Rebell),<br />

gesprochen.<br />

Die mit den »Neuen Kriegen« eng verbundenen Kampandlungen<br />

werden auch als »asymmetrische Kriegführung« bezeichnet. Hier stoßen<br />

Armeen im klassischen Sinn auf irreguläre Gegner. Da man »klassischen<br />

Operationen« und »Schlachten« meist auswich, wird auch vom<br />

»Krieg geringer Intensität« (Low Intensity Conflict, LIC) gesprochen.<br />

Angesichts der hohen Opferzahlen vor allem bei der beteiligten Bevölkerung<br />

(»Kollateralschäden«) ist dieser Terminus allerdings ebenso<br />

unscharf wie der Ausdruck »asymmetrische Kriegführung«.<br />

Was die »Neuen Kriege« ausmacht, ist die enge Verzahnung von<br />

Krieg, Bürgerkrieg, Guerillaoperationen, Terrorismus, Organisiertem<br />

Verbrechen sowie gezielten Menschenrechtsverletzungen der Konfliktparteien,<br />

etwa durch grausame Verstümmelung von Gegnern und<br />

Bevölkerung, die Rekrutierung von Kindersoldaten sowie die Anwendung<br />

von massiver sexueller Gewalt als Kriegsmaßnahme.<br />

Häufig kommt es dabei vor, dass die Angehörigen ein- und derselben<br />

Gruppierung in verschiedenen Konfliktphasen nacheinander<br />

202


picture-alliance/dpa/Abdelhak Senna<br />

Regionale Anarchie in Subsahara-Afrika<br />

Rebellentruppe, Regierungsverband, Soldateska eines Warlords oder<br />

selbst Flüchtlinge sind, so in und um Ruanda im Jahr 1994.<br />

In Auseinandersetzungen dieser Art entstehen aufgrund anhaltender<br />

und sich geografisch ausbreitender Feindseligkeiten abseits und quer<br />

zu den staatlich kontrollierten Gebieten Warlord-Zonen, die politisch,<br />

militärisch und wirtschalich autonom sind. In solchen parastaatlichen<br />

Räumen spielt neben der Erhebung von Abgaben und Steuern von der<br />

örtlichen Bevölkerung die Ausbeutung von Bodenschätzen sowie der<br />

Missbrauch humanitärer Hilfe eine Rolle. Dazu kommt die Möglichkeit<br />

einer Finanzierung durch internationales Kapital, das im Netzwerk<br />

zwischen beteiligten Regierungen, Personen und Unternehmen<br />

global verschoben werden kann. Dasselbe gilt für die Belieferung mit<br />

Rüstungsgütern. Somit geht die Privatisierung der Gewalt einher mit<br />

einer veränderten Kriegswirtscha unter den Bedingungen der Globalisierung.<br />

Da die staatlichen Systeme ausgehöhlt sind, können Verantwortungsträger<br />

der jeweiligen Gewaltorganisation schwerlich nach<br />

den Maßstäben öffentlich-rechtlicher Besoldung entlohnt werden. Entsprechend<br />

greifen in »schwachen Staaten« anderweitige Vergütungssysteme<br />

in Form von Korruption. Hier öffnet sich ein weites Spektrum:<br />

Neben Entlohnung durch Geld spielen Naturalien eine wichtige Rolle,<br />

etwa Schürfrechte an Bodenschätzen. An der Spitze dieser Skala stand<br />

wohl die rücksichtslose Selbstbereicherung eines Joseph Désiré Mobutu<br />

in der Demokratischen Republik Kongo. (mr)<br />

Mit seinem<br />

Maschinengewehr<br />

posiert dieser<br />

Kindersoldat am<br />

2. September 1998<br />

in Kalemie für den<br />

Fotografen.<br />

203


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

gen, dass es manchen afrikanischen Ländern gelungen ist, ethnisch-kulturell<br />

unterschiedliche Bevölkerungsgruppen unter<br />

schwierigsten Bedingungen über Jahrzehnte hinweg ohne größere<br />

Eklats zusammenzuhalten. Doch werden Fortschrie und<br />

Leistungen im Bereich der friedlichen Konfliktbewältigung, der<br />

Demokratisierung und der Wirtschasreform von der internationalen<br />

Medien-Öffentlichkeit leider weit weniger beachtet als<br />

Kriege und Katastrophen.<br />

Eine differenzierende zeitgeschichtliche Kriegsbilanz macht<br />

deutlich, dass es in Afrika antikoloniale und antirassistische Befreiungskämpfe<br />

gegeben hat, nachfolgend auch Grenz- und Ressourcenkonflikte<br />

sowie vielfältige und langjährige Bürgerkriege<br />

in Gestalt von Separations- und Antiregimekriegen. Während<br />

des Ost-West-Konflikts nahmen manche dieser Auseinandersetzungen<br />

Züge von Stellvertreterkriegen an. Seit den 1980er-Jahren<br />

verband sich das Bild vom kriegerischen »Chaos Afrika« mit<br />

einer wirtschalichen und politischen Entwicklungskrise. Die<br />

Mehrzahl der ärmsten Staaten der Erde befindet sich hier. Mit<br />

dem Wegfall externer Unterstützung nach dem Ende des Kalten<br />

Krieges verschären sich in vielen Ländern Afrikas gesellschaliche<br />

Widersprüche und Verteilungskämpfe. Durch weitverbreitete<br />

Familien- und Klientelwirtscha diente der Staat immer<br />

weniger dem Allgemeinwohl, vielmehr wurde er gleichsam privatisiert,<br />

und Einzelpersonen machten ihre Interessen geltend.<br />

Es kam vermehrt zu kriegerischem Staatszerfall, sozialen Auflösungsprozessen<br />

sowie zur Ausbildung von auf Ressourcenplünderung<br />

basierenden Gewaltmärkten und Kriegsökonomien.<br />

In diesen Machtkämpfen wurden ethnische Unterschiede und<br />

Klanbindungen von den jeweiligen Führungseliten häufig bewusst<br />

politisiert, manipuliert und instrumentalisiert.<br />

Die Internationale Gemeinscha befasste sich auf sehr unterschiedliche<br />

Weise mit den Kriegen und humanitären Katastrophen<br />

in Afrika. Ein erster großer UN-Blauhelmeinsatz fand in der<br />

ersten Häle der 1960er-Jahre im gerade unabhängig gewordenen<br />

Kongo sta, in dem es zu Wirren, Machtkämpfen und Abspaltungstendenzen<br />

gekommen war. Auch bei der friedlichen Beilegung<br />

ehemaliger Stellvertreterkriege im südlichen Afrika spielten<br />

die Vereinten Nationen eine wichtige Rolle. In der ersten Häle<br />

der 1990er-Jahre kam es zu ihrem spektakulären und gescheiterten<br />

204


Regionale Anarchie in Subsahara-Afrika<br />

Einsatz in Somalia. In Westafrika (Liberia, Sierra Leone, Elfenbeinküste)<br />

billigte und legitimierte die UNO zunächst das Eingreifen<br />

der westafrikanischen Staatengemeinscha ECOWAS, bevor sie<br />

dann nachfolgend eine aktivere Rolle in den dortigen Friedensprozessen<br />

übernahm. Der Völkermord in Ruanda fand im Jahre 1994<br />

unter den Augen der dortigen UN-Blauhelmmission sta. In den<br />

langjährigen Konflikten im Sudan (Südsudan, Darfur) engagiert<br />

sich die UNO erst seit Kurzem. Der größte UN-Einsatz weltweit<br />

und in Afrika findet derzeit in Gestalt der MONUC wiederum<br />

im Kongo sta (vgl. den Beitrag von Magnus Pahl).<br />

Afrika ist ebenso wenig wie andere Krisenregionen auf der<br />

Welt ein internationaler »Sozialfall«, doch muss die Krisenbewältigung<br />

von innen kommen und soziokulturell wie sozioökonomisch<br />

und politisch vor Ort verwurzelt sein. Solche Eigenanstrengungen<br />

müssen massiv durch internationale Solidarität<br />

und Hilfestellung abgestützt werden. Die Chance chronisch<br />

instabiler und katastrophenanfälliger Gesellschaen liegt neben<br />

der Förderung von effektiver Staatlichkeit vor allem darin, lokale<br />

Selbsthilfebestrebungen, soziale Bewegungen und Demokratisierungsprozesse<br />

zu stärken. Aus humanitären Gründen<br />

ebenso wie im Sinne langfristiger Eigeninteressen können die<br />

einflussreicheren Mitglieder der Internationalen Gemeinscha<br />

die aufgezeigten Entwicklungen einer größeren Zahl von Gesellschaen<br />

und Subregionen nicht hinnehmen, auch wenn sich<br />

diese mehrheitlich außerhalb des Kernbereichs der Weltpolitik<br />

und Weltwirtscha befinden. Allerdings sollte dabei die friedenspolitische<br />

Kontroll- und Steuerungsfähigkeit der Internationalen<br />

Gemeinscha nicht überschätzt werden. Doch andernfalls<br />

würden regionale Turbulenzen und Katastrophen auch auf die<br />

Machtzentren und Prosperitätszonen der Erde negativ ausstrahlen,<br />

beispielsweise in Gestalt wachsenden Migrationsdrucks,<br />

ökologischer Rückwirkungen oder terroristischer Übergriffe.<br />

Volker Mahies<br />

205


Mit dem Ende des Kalten Krieges geriet das politische System weltweit<br />

ins Wanken: So erodierte in vielen Regionen das nationalstaatliche Gefüge<br />

aufgrund von Globalisierungs- und Lokalisierungstendenzen. Für die<br />

Öffentlichkeit wurde offensichtlich, dass das Prinzip des Nationalstaats<br />

vielerorts nie die Stabilität erreicht hatte, die ihm allgemein zugeschrieben<br />

worden war. Seit den 1990er-Jahren nahmen Anzahl und Intensität innerstaatlicher<br />

Konflikte sprunghaft zu.<br />

Gewaltsame Auseinandersetzungen hielten über die Medien Eingang<br />

in die Wohnzimmer des Global Village. Die westliche Welt sah durch die<br />

offensichtlichen Konfliktfolgen – etwa kaum zu kanalisierende Migrationsströme<br />

oder die Entstehung von Ressourcenengpässen usw. – zunehmend<br />

ihre Lebensstandards gefährdet. Die Verantwortung für humanitäres<br />

Handeln und Entwicklung (das Foto vom 29. November 2008 zeigt<br />

Maxima, Prinzessin der Niederlande, auf der International Conference<br />

on Financing for Development in Doha, Qatar) paarte sich zunehmend<br />

mit handfesten Sicherheitsinteressen, was eine neue Interventionskultur<br />

entstehen ließ. So nahm das Engagement der Internationalen Gemeinschaft<br />

durch Peacebuilding-Interventionen zu. Wenngleich es sich bei diesen<br />

nicht um ein völlig neues Phänomen handelt, so stellt deren Anzahl<br />

und ihre Qualität doch eine neue Dimension des politischen Handelns dar,<br />

das sich in Kernbegriffen wie »Human Security«, »humanitäre Intervention«<br />

und »Zivil-Militärische Zusammenarbeit« (Civil-Military Cooperation,<br />

CIMIC) niederschlägt.<br />

picture-alliance/dpa/epa Noushad Thekkayil


Militärische Intervention: Humanität oder<br />

Durchsetzung von Eigeninteressen?<br />

Die außenpolitischen Konzeptionen der USA, vieler europäischer<br />

Staaten wie auch inter- und supranationaler Organisationen<br />

sahen schon Anfang der 1990er-Jahre militärische Interventionen<br />

als probates Miel an, um gewaltsamen Konflikten Einhalt zu<br />

gebieten. Dies lässt sich etwa an der sprunghaen Zunahme bewaffneter<br />

Einflussnahme ablesen: Der UN-Sicherheitsrat autorisierte<br />

in den ersten 43 Jahren seit dem Zweiten Weltkrieg 13 friedenssichernde<br />

Missionen, die gleiche Anzahl kam allein in den 43<br />

Monaten zwischen 1988 und 1992 hinzu. Jedoch nahm nicht nur<br />

die Quantität entsprechender Operationen rasant zu, sondern es<br />

änderten sich auch deren Aufgabenschwerpunkte. Bis zum Ende<br />

des Kalten Krieges beschränkte sich Peacekeeping primär auf die<br />

Überwachung von Waffenstillständen zwischen Staaten (z.B. auf<br />

dem Sinai oder auf Zypern). Im Laufe der 1990er-Jahre entwickelten<br />

sich dann – meist unter Führung der UN – komplexe Peacebuilding-Einsätze.<br />

Die Passivität niederländischer UN-Blauhelme<br />

angesichts des Massakers von Srebrenica stellte diesbezüglich<br />

den einschneidenden Wendepunkt dar. Der Aurag veränderte<br />

sich vom Monitoring hin zu aktiven Kampandlungen, um<br />

gewaltsame Konflikte zu beenden und Frieden zu stien. Friedensmissionen<br />

der Internationalen Gemeinscha sind heute zunehmend<br />

durch ein breit ausgelegtes militärisches Mandat sowie<br />

durch die Integration gesellschalicher und staatlicher Aufgaben<br />

gekennzeichnet. Ihr Spektrum reicht von UN-legitimierten militärischen<br />

Interventionen, in denen UN-Blauhelme die militärischen<br />

Aufgaben übernehmen (Bosnien seit 1992, Somalia 1992-1993),<br />

bis hin zu UN-gerechtfertigten Einsätzen, in denen von den UN beauragte<br />

Nicht-UN-Truppen dies tun (ISAF in Afghanistan; IFOR<br />

bzw. SFOR in Bosnien nach 1995). Hinzu treten des Weiteren multilaterale<br />

militärische Operationen, die nicht über ein UN-Mandat<br />

verfügen (NATO und EU im Kosovo 1999) und schließlich<br />

unilaterale Interventionen, gleichfalls ohne Mandatierung durch<br />

die UN (USA im Irak seit 2003, Äthiopien in Somalia seit 2006).<br />

Die vergangenen zwei Jahrzehnte verdeutlichen, dass die<br />

Grenzen zwischen einer Belassung des Souveränitätsstatus und<br />

207


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

der völligen Objektwerdung betroffener Staaten fließend sind:<br />

Manche Interventionen ließen das jeweilige Schutzgebiet auf<br />

einen unverkennbaren Protektoratstatus herabsinken (Kosovo<br />

1999-2008, Timor Leste 1999-2002), in anderen Szenarien bildeten<br />

sich Mischformen wie in Bosnien-Herzegowina aus, wo ein<br />

von der Europäischen Union eingesetzter Hoher Repräsentant<br />

über Vetobefugnisse gegenüber einer demokratisch gewählten<br />

Exekutive verfügt. In Afghanistan und im Irak wurde die Souveränität<br />

durch die Einsetzung einer Übergangsregierung gleich<br />

nach der Intervention de jure wieder hergestellt, faktisch verblieb<br />

aber die Entscheidungsgewalt schon angesichts der militärischen<br />

Präsenz und der eingesetzten finanziellen Miel bei den intervenierenden<br />

Mächten. Schließlich sind solche Länder zu nennen, in<br />

denen der Staat selbst aus der Position seiner Schwäche heraus<br />

partiell oder zeitweise ein Eingreifen von außen befürwortete.<br />

In diesen Fällen wurde zwar die staatliche Souveränität de jure<br />

nicht angetastet, doch de facto an internationale Akteure abgegeben.<br />

Ein Beispiel hierfür ist die Demokratische Republik Kongo<br />

(vgl. den Beitrag von Magnus Pahl).<br />

Zweifelsohne stehen Interventionen und die damit einhergehende<br />

Einschränkung staatlicher Unabhängigkeit in einem unauflösbaren<br />

Widerspruch zu dem Ansinnen, eine liberale Staats-<br />

und Gesellschasordnung durchzusetzen. Besatzungsregime<br />

stellen im Lande selbst »Nichtdemokratien« dar, die allenfalls<br />

»demokratieorientiert« sein können. In einer neuen, in Entstehung<br />

begriffenen Interventionskultur verschwimmen zudem<br />

die Grenzen zwischen Sicherheit und Entwicklung, zwischen<br />

zivilem und militärischem Bereich. Dies soll an den drei Feldern<br />

»Human Security«, »humanitäre Intervention« und »Zivil-Militärische<br />

Zusammenarbeit« deutlich gemacht werden.<br />

208<br />

Human Security<br />

1994 veröffentlichte das Entwicklungsprogramm der Vereinten<br />

Nationen (United Nations Development Programme, UNDP)<br />

einen ersten Bericht zu Human Security. Seitdem fand eine institutionelle<br />

Verfestigung dieses Begriffs sta, die sich in unterschiedlichen<br />

Konzeptionen, politischen Netzwerken sowie in


picture-alliance/dpa/Jimin Lai<br />

Militärische Intervention<br />

der Einrichtung von Instituten und Kommissionen niederschlug.<br />

Human Security kombiniert die »harte« Sicherheit mit dem »weichen«<br />

Begriff des Menschlichen. Damit vermischen sich bereits<br />

auf der konzeptionellen Stufe die Ebenen von Entwicklung und<br />

Sicherheit. Dem Begriff liegen weniger ein analytisches Konzept<br />

als vielmehr gemeinsame politische und moralische Werte zugrunde,<br />

verankert in einer liberalen Weltordnung. Human Security<br />

stellt die Sicherheit der Menschen in den Vordergrund,<br />

die nun nicht mehr allein an physischer Unversehrtheit festgemacht<br />

wird, sondern auch an Faktoren wie Armut, Gesundheit<br />

und Umwelt – die klassisch mit dem Begriff der Entwicklung<br />

verbunden sind. Folgerichtig wird »Unterentwicklung« – etwa<br />

durch Armut oder Umweltkatastrophen – als Sicherheitsrisiko<br />

wahrgenommen.<br />

Diese Unbestimmtheit über die Zusammenhänge von Sicherheit<br />

und Entwicklung schlug sich in einer Weiterentwicklung des<br />

Konzepts nieder, nach der menschliche Sicherheit sowohl »freedom<br />

from fear« als auch »freedom from want« umfasst. Hierbei<br />

bezieht sich »freedom from fear« auf alle »klassischen« Bedro-<br />

Mädchenschule in der afghanischen Hauptstadt Kabul, Aufnahme vom<br />

15. Januar 2002.<br />

209


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

hungen wie Krieg und Gewalt, während »freedom from want«<br />

entwicklungsbezogene Kriterien in den Vordergrund stellt, die<br />

in etwa den Vorgaben der Millennium Goals entsprechen (acht<br />

Entwicklungsziele in den Bereichen Armutsbekämpfung, Bildung,<br />

Geschlechtergleichheit, Gesundheit, Umwelt sowie Partnerscha<br />

zwischen Staaten und Erdteilen, welche die UN bis<br />

2015 erreichen wollen).<br />

Eine Verbindung zwischen Sicherheit und Entwicklung<br />

bildet der Wert der individuellen Freiheit. Entsprechend der<br />

Durchsetzung einer liberalen Weltordnung treten die Belange<br />

des Einzelnen gegenüber jenen staatlicher Souveränität in den<br />

Vordergrund. Die Konjunktur eines solchen Werteverständnisse<br />

muss vor dem Hintergrund der Failed-States-Debae gesehen<br />

werden. So zeigten die Bürgerkriege, die seit den 1990er-Jahren<br />

zu beobachten waren, dass Staatlichkeit außerhalb der OSZE-<br />

Welt ihre Legitimation nicht durch ihre Bürger erfährt und<br />

zudem durch korrupte Strukturen geprägt ist. Viele Konflikte<br />

tragen nicht nur die Gefahr des Staatszusammenbruchs und der<br />

Gewalteskalation in sich, sondern die betreffenden Länder nehmen<br />

ihre Verantwortung gegenüber den eigenen Bürgern nicht<br />

ausreichend wahr.<br />

Obgleich der Human-Security-Diskurs den Einzelnen in den<br />

Vordergrund stellt, bleibt freilich doch der Staat der eigentliche<br />

Bezugsrahmen, indem in effektive und ineffektive Staatswesen<br />

unterteilt wird. Die Schaffung menschlicher Sicherheit zielt nach<br />

wie vor auf die Herstellung von Staatlichkeit, die sich an liberalen<br />

Paradigmen ausrichtet. Dennoch kommt dem Human-Security-Ansatz<br />

gerade im Hinblick auf die Schnistelle zwischen<br />

Entwicklungsverständnis und Interventionspolitiken herausragende<br />

Bedeutung zu. Werden Regierungen – etwa bei der Armutsbekämpfung<br />

oder auf dem Bildungs- und Gesundheitssektor<br />

– ihrer Verantwortung nicht gerecht, zieht ein derartiges<br />

Modell die Souveränität des Staats im Sinne des Individuums in<br />

Zweifel. Human Security fordert in diesem Fall die Verantwortung<br />

globaler Entwicklungs- und Sicherheitsorganisationen für<br />

die Freiheit und selbstbestimmte Entwicklung von Individuen<br />

geradezu ein.<br />

210


Humanitäre Interventionen<br />

Militärische Intervention<br />

Wenngleich Interventionen auch während des Kalten Krieges<br />

stafanden, so ist ihre Legitimierung über einen Wertediskurs<br />

doch grundsätzlich neu. Vor dem Hintergrund der Verbindung<br />

von Unterentwicklung und gewaltsamen Konflikten spielt heute<br />

die Etikeierung internationaler Stabilisierungsoperationen als<br />

»humanitär« eine zentrale Rolle. Beispiele für »humanitäre Interventionen«<br />

sind Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Somalia,<br />

Timor Leste, Sierra Leone, die Demokratische Republik Kongo<br />

oder Haiti. Die Souveränität eines Staates wird der Einhaltung<br />

universeller Menschenrechte oder dem Ansinnen, das blanke<br />

Überleben von Menschen zu schützen, untergeordnet. Militärische<br />

Intervention erfolgt im Namen der Menschlichkeit, um<br />

Menschenleben zu reen und eine gewisse Lebensqualität aufrechtzuerhalten.<br />

Das Paradigma der Human Security avancierte<br />

zum konzeptionellen Rückgrat der Idee von der Responsibility<br />

to Protect (R2P, vgl. den Beitrag von Thomas Breitwieser), also<br />

der Verpflichtung, weltweit gegen Unrecht und Gewalt einzuschreiten.<br />

Damit findet eine Ausdehnung von Treuhandscha<br />

auf ganze politische Systeme sta.<br />

In der Tatsache, dass sich militärisches Eingreifen gegenwärtig<br />

gern mit dem Etike des Humanitären schmückt, sehen viele<br />

Kritiker einen Akt der Propaganda. So kann eine Intervention,<br />

die den Schutz von Menschen in den Vordergrund stellt, weit<br />

eher auf einen Rückhalt in der Bevölkerung an der »Heimatfront«<br />

hoffen als eine, die den puren Akt des Militärischen betont.<br />

Es wird bemängelt, dass mit humanitären Gründen vielfach<br />

die wahren Interessen der intervenierenden Mächte – die<br />

vom Eigenschutz bis hin zu ökonomischen und geostrategischen<br />

Zielen reichen können – verschleiert würden, und ein normativer<br />

Zustand, nämlich wie ein Staat zu handeln habe, absolut<br />

gesetzt werde.<br />

Auch ist zu fragen, wer letztlich entscheidet, wann einer Regierung<br />

die Fähigkeit oder der Wille abgesprochen werden, ihre<br />

Bürger zu schützen, und wo die Schwellenwerte liegen, die ein<br />

Eingreifen im Namen des Humanitären erforderlich machen.<br />

Das multilaterale Entscheidungsgremium UN, auf das in diesem<br />

Zusammenhang gerne verwiesen wird, stellt in Wahrheit jeden-<br />

211


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

falls keinen neutralen, überparteiischen Akteur dar, da nationalstaatliche<br />

Interessen seine Beschlüsse dominieren. Nur in wenigen<br />

Fällen – etwa in Afghanistan – gelangte der Rat zu einem<br />

einheitlichen Votum, was die Genehmigung einer Intervention<br />

angeht. In Ruanda 1994, Darfur seit 2003 oder Myanmar 2007<br />

kam ein solches Votum selbst in offensichtlichen Fällen des Versagens<br />

von Staaten oder ihres bewussten Verstoßes gegen Menschenrechte<br />

nicht zustande, da die Internationale Gemeinscha<br />

hierfür nicht den nötigen Willen aurachte. Und in den USA,<br />

China oder Russland düre schon aufgrund der Machtverhältnisse<br />

militärisches Eingreifen selbst dann unterbleiben, sollten<br />

einem dieser Staaten eklatante Menschenrechtsverletzungen<br />

nachgewiesen werden.<br />

Darüber hinaus bleibt undeutlich, welche Qualität von Lebensschutz<br />

»humanitäre Interventionen« beinhalten. Der Begriff<br />

selbst suggeriert zunächst, dass der Militäreinsatz allein der Rettung<br />

des »nackten Lebens« dient. Die bekannten Fallbeispiele<br />

mit ihrer jeweiligen Eigendynamik verdeutlichen jedoch, dass<br />

Peacekeeping sich immer häufiger in ein Peacemaking verwandelt:<br />

Die Intervention beschränkt sich nicht auf die Beendigung<br />

von Kämpfen, sondern zielt auf eine Überwindung der zugrunde<br />

liegenden Konflikte ab, was in der Regel mit der Schaffung<br />

eines »demokratischen Friedens« und/oder mit State building<br />

einhergeht.<br />

Und schließen sich militärische und humanitäre Handlungen<br />

nicht grundsätzlich aus? Militärische Operationen haben den<br />

Schutz von Menschenleben zum Ziel, nehmen hierfür jedoch die<br />

Gefährdung anderer Menschen in Kauf. Welches Menschenleben<br />

besitzt eine höhere Wertigkeit, und wie lässt sich diese Überlegung<br />

mit der Kategorie des Humanitären insgesamt in Einklang<br />

bringen?<br />

212<br />

Zivil-Militärische Zusammenarbeit<br />

Während die Grenzen zwischen zivilen und militärischen Anteilen<br />

von Interventionen zusehends verschwimmen, entwickelte<br />

sich eine weitere aktuelle Debae. Das Schlagwort »Keine Entwicklung<br />

ohne Sicherheit, keine Sicherheit ohne Entwicklung«


Grenzpolizisten lernen in<br />

Masar-e Scharif Lesen und Schreiben.<br />

Deutschland unterstützt im Norden<br />

des Landes die Ausbildung der<br />

afghanischen Exekutive (Aufnahme<br />

vom 28. September 2008).<br />

Militärische Intervention<br />

wurde zum Mantra einer<br />

neuen Interventionskultur.<br />

Fraglich bleibt bei dieser Diskussion<br />

jedoch, um wessen<br />

Sicherheit und Entwicklung es<br />

geht und wer überhaupt definiert,<br />

was Sicherheit und Entwicklung<br />

bedeuten.<br />

Die Notwendigkeit, zivile<br />

und militärische Stabilisierung<br />

miteinander zu verschmelzen<br />

und ein kohärentes Vorgehen<br />

aus einer Hand zu gewährleisten,<br />

unterstreichen auch die<br />

jüngsten richtungweisenden<br />

Veröffentlichungen von EU, picture-alliance/dpa/Maurizio Gambarini<br />

NATO und UN. Einvernehmlich<br />

wird das Zusammengehen von Außen-, Sicherheits- und<br />

Entwicklungspolitik in integrierte Ansätze gefordert, obgleich<br />

diese in der Praxis militärischen Zielsetzungen meist unter- bzw.<br />

nachgeordnet sind. Integrierte Missionen basieren auf der Annahme,<br />

dass Entwicklung und Menschenrechte untrennbar mit<br />

dem Ziel verbunden sind, Frieden und Sicherheit herzustellen.<br />

Der Ansatz steht ganz im Zeichen eines »neuen Humanitarismus«,<br />

der dem klassischen Denken der humanitären Hilfe eine<br />

Absage erteilt und jedes Handeln innerhalb komplexer Konfliktszenarien<br />

als politisch und damit in gewisser Weise auch<br />

parteiisch begrei. Ein Beispiel für integrierte Missionen bilden<br />

die Provincial Reconstruction Teams (PRTs) in Afghanistan, wo<br />

militärische und zivile Akteure gemeinsam und gemäß unterschiedlicher<br />

nationaler Konzepte der Entsendeländer zur Stabilisierung<br />

beitragen.<br />

213


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

Die Grundannahme Zivil-Militärischer Zusammenarbeit lautet,<br />

dass Entwicklungsorganisationen und Militär sich gegenseitig<br />

durch ihre Arbeit abstützen und beide über die Gewinnung<br />

der Bevölkerung zum Erfolg der Interventionsmission beitragen.<br />

Hieraus ergeben sich in der Praxis vielfältige Probleme. Erstens<br />

werden Entwicklungsorganisationen nun Teil der Intervention:<br />

Grundlegende Prinzipien von Unparteilichkeit, Neutralität und<br />

Unabhängigkeit, denen sich viele Nichtregierungsorganisationen<br />

(Non-Governmental Organizations, NGOs) verpflichtet fühlen,<br />

können nicht mehr aufrechterhalten werden, wenn Auauhelfer<br />

im Tross der Interventionstruppen unterwegs sind. Viele<br />

NGOs stehen dort sogar zwangsläufig an vorderster Front, wenn<br />

es um den Auau von Staatlichkeit und moderner Zivilgesellscha<br />

geht: Ihrer Einbindung in Interventionen können sich die<br />

Organisationen schon deshalb kaum erwehren, weil ihre Finanzierung<br />

meist von den Projektmieln der großen Geber abhängig<br />

ist.<br />

Zweitens gerät bei der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit<br />

ein sozialethisches Verständnis von Entwicklung als Akt der<br />

Selbstlosigkeit ins Hintertreffen. Es geht nicht mehr darum, die<br />

Lebensbedingungen der am meisten betroffenen Bevölkerungsgruppen<br />

zu verbessern, vielmehr richtet sich Unterstützung zunächst<br />

an jene, die für die Sicherheit der zivilen und militärischen<br />

Interventionskräe von größtem Belang sind. Force Protection<br />

– und nicht die humanitäre oder entwicklungsbezogene Notwendigkeit<br />

– wird zum Ausgangspunkt für Projektarbeit. Entwicklungshilfe<br />

und Wiederauau laufen Gefahr, zum Vehikel<br />

der militärischen Agenda zu werden. Auf der anderen Seite sieht<br />

das Militär, das sich meist nicht als politische Partei, sondern als<br />

neutraler Akteur versteht, seine Aufgabe darin, ein sicheres Umfeld<br />

für Entwicklungsorganisationen zu schaffen.<br />

Driens verschwimmen die Grenzen zwischen Entwicklungsorganisationen<br />

und Militär. So verfügt beispielsweise die<br />

Bundeswehr über CIMIC-Kräe, die mit Hilfe ziviler Kleinprojekte<br />

zu einem sicheren Umfeld für die Einsatzkontingente<br />

beitragen sollen. Betrachtet man die Art der geleisteten Auauarbeit,<br />

ähnelt CIMIC auf den ersten Blick einer zivilen Organisation.<br />

Zivil-Militärische Zusammenarbeit nach militärischer<br />

Logik verfolgt jedoch nicht in erster Linie humanitäre Ziele,<br />

214


Militärische Intervention<br />

sondern will die Bevölkerung beeinflussen und die Informationsgewinnung<br />

erleichtern. CIMIC könnte im Grunde auch den<br />

»psychological operations« zugeordnet werden. Schließlich<br />

fällt es Entwicklungsorganisationen im Alltag schwer, sich vom<br />

Militär abzugrenzen, wenn CIMIC-Einheiten oder deren zivile<br />

Mitarbeiter sich nichtmilitärischer Symbole bedienen wie ziviler<br />

Kleidung, weißer Fahrzeuge usw.<br />

Stellte in den 1980er-Jahren Entwicklung noch in vielen regionalen<br />

Kontexten geradezu das Gegenteil zu militärischen<br />

Handlungen dar, verschwimmen in den letzen Jahren die Grenzen<br />

zwischen beiden Bereichen. Zunehmend wird geradezu ein<br />

kausaler Zusammenhang zwischen militärisch zu leistender Sicherheit<br />

und zivil zu leistender Entwicklung hergestellt. Gerade<br />

der Wandel internationaler Interventionen von rein militärischen<br />

Missionen hin zu Friedens- und Staatsbildungsprojekten trug zu<br />

diesem Wandel bei. In diesem Zusammenhang wird Entwicklung<br />

bewusst eingesetzt, um politische Ziele zu erreichen, die<br />

von den Interessen der Gebergemeinscha definiert werden.<br />

Conrad Scheer<br />

215


Integraler Bestandteil des Petersberger Afghanistan-Abkommens von<br />

2001 war die internationale Aufbauhilfe. Schwerpunkte deutschen Engagements<br />

liegen unter anderem in den Bereichen Energie- und Wasserversorgung,<br />

Wirtschaftsentwicklung sowie Grund- und Berufsbildung. Bis<br />

heute stellen trotz bedeutender Erfolge die große Anzahl rückkehrender<br />

Flüchtlinge, schwache inländische Partnerinstitutionen, Korruption sowie<br />

Gewalt und Rechtlosigkeit die Aufbauhelfer in Afghanistan vor große Herausforderungen.<br />

Zahlreiche internationale Geber sowie mehrere Tausend<br />

Nichtregierungsorganisationen (Non-Governmental Organizations,<br />

NGOs) bewegen sich in einem komplexen, nur schwer koordinierbaren<br />

Umfeld. Dieses orientiert sich außer am Aufbaubedarf ebenso an den<br />

Mechanismen der Mitteleinwerbung und -vergabe.<br />

Ein Beispiel für stetig voranschreitenden Wiederaufbau ist das von<br />

jahrzehntelangem Krieg gezeichnete afghanische Bildungssystem – im<br />

Bild Unterricht über die Minengefahr an einer Schule in Kundus. Etwa<br />

drei Viertel der afghanischen Schulen waren 2001 entweder zerstört oder<br />

schwer beschädigt. Frauen blieb während der Taliban-Herrschaft der Zugang<br />

zu Bildung generell verschlossen, und für viele Mädchen liegt der<br />

Schulbesuch bis heute in unerreichbarer Ferne: Fehlende Lehranstalten<br />

nebst qualifiziertem Personal, Angriffe der Taliban, weite Schulwege und<br />

mitunter auch die Ablehnung durch die eigenen Väter verhindern in manchen<br />

Regionen selbst elementare Schulbildung.<br />

picture-alliance/dpa/Maike Albrecht


Die Praxis des zivilen Wiederauaus<br />

am Beispiel Afghanistan<br />

Einhergehend mit der militärischen Intervention begann der Wiederauau<br />

Afghanistans. Die internationale Gebergemeinscha<br />

sagte hierfür seit 2001 über 15 Milliarden US-Dollar zu; auf der<br />

Geberkonferenz in Paris im Juni 2008 wurden weitere 20 Milliarden<br />

US-Dollar versprochen. Allerdings gibt es eine Kontroverse<br />

darüber, wie viel Geld bislang tatsächlich bei der afghanischen<br />

Bevölkerung ankam. Zunächst muss zwischen den Geldern, die<br />

zugesagt, die bereitgestellt und die abgerufen wurden, unterschieden<br />

werden. Zudem haben die Projekte unterschiedliche<br />

Laufzeiten, weshalb eine Kalkulation der bereits verausgabten<br />

Miel nahezu unmöglich ist.<br />

Bisherige Wiederauauprojekte offenbaren Licht und Schaen.<br />

Neben erfolgreichen und öffentlichkeitswirksamen Einzelvorhaben<br />

bestimmt der Eindruck, es werde insgesamt zu wenig getan, und<br />

dass die Erwartungen der Afghanen bislang kaum erfüllt werden<br />

konnten, die allgemeine Wahrnehmung. Viele Projekte und Programme<br />

leiden unter der bedrohlichen Sicherheitslage, fehlenden<br />

Kapazitäten, mangelnder Koordinierung wie auch dem enormen<br />

Druck der Geberländer. Bezüglich der damit verbundenen Gesamtproblematik<br />

ein umfassendes und objektives Bild zu zeichnen,<br />

das den Leistungen des Wiederauaus und einzelner Organisationen<br />

gerecht wird, erscheint nahezu unmöglich. Stadessen sollen<br />

im Folgenden anhand eines fiktiven Projektumfeldes die Rahmenbedingungen<br />

und Schwierigkeiten aufgezeigt werden, welche die<br />

alltägliche Entwicklungszusammenarbeit einer Nichtregierungsorganisation<br />

bestimmen. Personen und Organisationen sind frei<br />

erfunden, die dargestellten Probleme jedoch nicht, obgleich sie für<br />

die folgenden Ausführungen stark verdichtet wurden.<br />

Auauhelfer Franz Hohmann<br />

Franz Hohmann ist voller Tatendrang. Er kam vor etwa zehn<br />

Wochen mien im Winter in Nordafghanistan an und hat sich<br />

bereits im Gästehaus seiner Organisation eingerichtet. Strom<br />

217


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

gibt es nur vom Generator, der mit teuerem Diesel läu; die Wasserleitungen<br />

frieren fast immer ein. Franz Hohmann ist gelernter<br />

Buchhalter. Da er noch einmal etwas Sinnvolles in seinem Leben<br />

machen wollte, bewarb er sich um eine Stelle bei einer Entwicklungsorganisation.<br />

Nun hat er einen Zweijahresvertrag in der<br />

Tasche mit der Option auf eine einjährige Verlängerung. Damit<br />

stehen die Aussichten gut, nach dem »Afghanistan-Abenteuer«<br />

direkt in den Vorruhestand und in Pension zu gehen. Hohmanns<br />

Aufgabe besteht darin, als Projektleiter den Bau von Brunnen<br />

und Schulen wie auch Weiterbildungsmaßnahmen zu organisieren.<br />

Das ihm zur Verfügung stehende Budget von 1,2 Millionen<br />

Euro hat sein Arbeitgeber bei der Europäischen Stiung für<br />

Entwicklung (ESE) über eine Ausschreibung eingeworben. Die<br />

Summe muss in den nächsten drei Jahren ausgegeben werden.<br />

Die Zielvorgaben wurden vor zwei Jahren von Beratern der ESE<br />

festgelegt und seitdem nicht mehr angepasst, obgleich sich die<br />

Realitäten im Lande rasant verändert haben.<br />

So weiß Hohmann, dass ein ähnlich gelagertes Vorgängerprojekt<br />

in einer Nachbarprovinz kürzlich aufgrund von Sicherheitsproblemen<br />

eingestellt werden musste. Auch in der Provinz,<br />

in der Hohmann arbeitet, wurde einige Tage vor seiner Ankun<br />

auf die Projektfahrzeuge einer europäischen NGO geschossen.<br />

Jetzt herrscht Bewegungsverbot. Hohmann sitzt bereits seit zwei<br />

Tagen in seinem Büro fest und darf sich nur innerhalb der Stadt<br />

aualten. Nach wie vor ist unklar, ob die Fahrzeuge gezielt angegriffen<br />

wurden, oder ob es sich eher um einen »Dumme-Jungen-Streich«<br />

handelte. Die Geheimdienste vor Ort – sowohl der<br />

afghanische wie der Bundesnachrichtendienst und ihre internationalen<br />

Pendants – halten sich bedeckt. Hohmann, der bislang<br />

noch nicht im Ausland gearbeitet hat, fragt sich insgeheim, wie<br />

weit man ihren Vertretern überhaupt trauen kann.<br />

Der Landeskoordinator seiner NGO, Detlef Franke, der im<br />

Zentralbüro in Kabul sitzt, versicherte Hohmann, man könne<br />

sich auf die Frühwarnsysteme relativ gut verlassen; eine Alternative<br />

gebe es ja doch nicht. So lautet die Marschroute aus Kabul:<br />

»Ein regelmäßiger Besuch beim Provincial Reconstruction Team<br />

(PRT) und der Informationsaustausch mit Kollegen anderer Organisationen<br />

sowie die Einhaltung der strikten Sicherheitsvorschrien<br />

der Organisation sind für Sie unumgänglich.« In der<br />

218


picture-alliance/ZB/Karlheinz Schindler<br />

Die Praxis des zivilen Wiederaufbaus<br />

Werbung in den Straßen Kabuls, Aufnahme vom Sommer 2005.<br />

Vorbereitung auf seinen Auslandsaufenthalt hae Hohmann gehört,<br />

er solle seine eigene Sicherheit verbessern, indem er das Vertrauen<br />

der afghanischen Nachbarn und des Personals gewinnt.<br />

Das ist leichter gesagt als getan! Denn woher weiß man, ob die<br />

Nachbarn einem wohlgesonnen sind? Die Stimmung scheint zu<br />

kippen. Die Deutschen können sich trotz ihrer Ausnahmestellung<br />

in Afghanistan – aufgrund von Entwicklungsprojekten, die<br />

sie seit den 1960er-Jahren durchgeführt haben, und der unter<br />

Afghanen gepriesenen vermeintlichen gemeinsamen arischen<br />

Abstammung – nicht mehr sicher sein.<br />

Die Unzufriedenheit in der gesamten afghanischen Bevölkerung<br />

– nicht nur im Süden – nimmt spürbar zu, so hört man.<br />

Allein die Gründe dafür leuchten Hohmann nicht so richtig ein.<br />

Es ist doch viel geschehen: Asphaltierte Straßen verbinden die<br />

wichtigsten Städte, Schulen wurden gebaut, Trinkwasser- und<br />

Frauenförderungsprojekte angestoßen. Trotzdem haben Selbstmordaentate,<br />

die sich ursprünglich nur gegen Militär und<br />

Polizei richteten, nun zunehmend auch die Gemeinde der Entwicklungshelfer<br />

verunsichert. So diskutieren sie viel darüber, ob<br />

sie, die doch unter erheblichen Entbehrungen und Risiken den<br />

Wiederauau Afghanistans nach vorne treiben, ebenfalls zu<br />

219


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

den Zielen von Taliban und al-Qaida gehören oder nicht. Franz<br />

Hohmann beschließt, darüber nicht weiter nachzudenken, sonst<br />

könne man ja gar nicht mehr vor die Tür gehen. Um das Nötigste<br />

auf dem Basar einzukaufen, schickt er ohnehin seine afghanischen<br />

Mitarbeiter – mit der Ausrede, er habe zu viel zu tun. Und<br />

in der Tat ist die Sechs-Tage-Woche der Normalzustand. Auch<br />

arbeitet Hohmann häufig bis spät in die Nacht, da es kaum Freizeitmöglichkeiten<br />

gibt.<br />

Schließlich muss man sich ja auch dem eigentlichen Aurag<br />

widmen: der Forcierung des Wiederauaus. Wenn das gelingt,<br />

werden die Menschen dankbar sein und einen beschützen, beruhigt<br />

sich Hohmann. Jedoch, in den zwei Monaten, die er milerweile<br />

im Land ist, ahnt er, dass dies so einfach nicht ist, denn er<br />

hat bereits gemerkt: Alles ist politisch in Afghanistan. Vor Ort bewegt<br />

er sich inmien lokaler Interessenskoalitionen, über deren<br />

Funktionsweise er nur Vermutungen anstellen kann. Gleichzeitig<br />

ist das ausländische Militär mit Patrouillen sowie mit Trupps<br />

der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit (Civil-Military Cooperation,<br />

CIMIC) in seinem Projektgebiet unterwegs. Von denen<br />

gilt es sich abzugrenzen, sagt die Zentrale seiner Organisation:<br />

»Eine Verwechslung mit der Bundeswehr, selbst mit deren Aufbauteams<br />

der CIMIC kann für Sie tödlich sein. Das Militär wird<br />

doch zunehmend als Besatzungsmacht wahrgenommen ...«, so<br />

hat es ihm Franke in seinem letzten Telefonat eingeschär.<br />

Logos an den Autos wie an den Büros wurden abmontiert;<br />

darüber hinaus haben fast alle internationalen Organisationen<br />

milerweile gepanzerte Fahrzeuge. Sein eigener Arbeitgeber,<br />

der bislang das Tragen von Waffen auf dem Bürogelände strikt<br />

abgelehnt hat, überlegt, ob man nun doch bewaffnete Sicherheitskräe<br />

anstellen sollte; denn einige internationale Organisationen<br />

wurden bereits überfallen und ausgeraubt. Zusätzliche<br />

Sicherheitsmaßnahmen beruhigen nur teilweise. So erkennt das<br />

geübte Auge ein gepanzertes Fahrzeug an dessen Wuchtigkeit;<br />

auch sollen die Taliban bereits reagiert haben, indem sie die<br />

Sprengkra ihrer Bomben verstärken.<br />

Neben der ständigen Sicherheitsdiskussion, die in nahezu<br />

jedem Gespräch auommt, ist Hohmann vor allem von den<br />

»entwicklungspolitischen Wichtigtuern«, wie er sie nennt – den<br />

immer wieder einfliegenden Gebern, den politischen Aufpassern<br />

220


Die Praxis des zivilen Wiederaufbaus<br />

deutscher Ministerien und den vielen Koordinatoren, die kaum<br />

noch zuzuordnen sind –, genervt. Jeder macht unentwegt Druck<br />

und erinnert daran, dass bewilligte Miel möglichst schnell abfließen<br />

müssen. Gestern hae sich doch tatsächlich ein Vertreter<br />

der ESE, ein »Bürschchen« von nicht einmal 30 Jahren, zu dem<br />

Satz hinreißen lassen: »Herr Hohmann, ich zähle auf Sie. Ihr Projekt<br />

muss ein Erfolg werden – um jeden Preis.«<br />

Der »Neue Markt« des Wiederauaus<br />

Beim Wiederauau Afghanistans sind riesige Summen im Spiel<br />

– sowohl für die Afghanen, aber auch für die beteiligten Organisationen.<br />

Einen großen Teil der finanziellen Miel verschlingen<br />

die internationalen Gehälter und die Logistik. Daher betrachten<br />

die Afghanen die NGOs als diejenigen, die sich selbst bereichern<br />

und vorhandene Gelder nicht an die Bedürigen weiterleiten.<br />

Die hohen Kosten, die internationale Entwicklungshelfer, Consultants,<br />

ein Projektbüro und ein Fuhrpark notwendigerweise<br />

verursachen, sind der einfachen Bevölkerung in der Tat kaum<br />

zu vermieln. Innerhalb der Organisation, so Hohmanns Erfahrung,<br />

erlauben reichhaltige Projektmiel die Zahlung von<br />

Schmiergeldern, die es überhaupt erst ermöglichen, im lokalen<br />

Umfeld zu operieren.<br />

Hohmann hat bei seiner Vorbereitung gehört – und dies<br />

wurde ihm in Gesprächen nach seiner Ankun bestätigt –, dass<br />

das durchschniliche Monatseinkommen eines Afghanen ca.<br />

50 US-Dollar beträgt, aber Gehälter in internationalen Organisationen<br />

erheblich höher sind. So dachte er, dass Monatslöhne<br />

von 600 Dollar für Ingenieure und 500 Dollar für Übersetzer eine<br />

angemessene Bezahlung seien, und hat sich diesbezüglich auch<br />

noch einmal bei seinem Regionalkoordinator rückversichert.<br />

Nicht bedacht hae er dabei, dass die An- und Abwerbung von<br />

Personal ebenfalls ein Politikum geworden ist. Seit zwei Monaten<br />

bemüht er sich vergeblich, ein funktionsfähiges Projekeam<br />

aufzubauen: An Bewerbern mangelt es nicht, allerdings lässt ihre<br />

Qualifikation zu wünschen übrig. Die Gehaltsvorstellungen sind<br />

dagegen überproportional hoch. Warum, fragt sich Hohmann,<br />

gibt es bei den zig verschiedenen Organisationen, die vor Ort<br />

221


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

vertreten sind, keine gegenseitigen Absprachen über die Höhe<br />

der Bezahlung? Gerade hat ihm eine internationale Organisation<br />

seinen Übersetzer Amanullah, zu dem er Vertrauen aufgebaut<br />

hae, abgeworben.<br />

Zeitdruck und drohender Mielabfluss lösen jeweils eine<br />

kurzfristige Personaljagd aus, bei der die finanzkräigste Organisation<br />

die bessere Bilanz vorweisen kann. »Aber damit nicht<br />

genug«, erklärt Jonas Zake, ein Entwicklungshelfer, der bereits<br />

zwei Jahre in Kabul für eine NGO gearbeitet hat und nun seit vier<br />

Monaten für eine andere Organisation in Nordafghanistan tätig<br />

ist: »Der Personalbedarf und die Jagd nach einigermaßen qualifizierten<br />

Afghanen führen dazu, dass jeder afghanische Mitarbeiter<br />

ständig mit Bewerbungen und Lebenslauf-Aktualisierungen am<br />

Arbeitsplatz-PC zu tun hat. Viele ›Locals‹ sind auf dem Sprung<br />

zum nächsten Job, der bessere Rahmenbedingungen bietet. Dies<br />

bewirkt eine hohe Personalfluktuation und zusätzlichen Druck,<br />

selbst mielmäßig qualifizierte Kräe an sich zu binden.« Nachdem<br />

er dies gehört hat, versteht Hohmann auch, warum sich<br />

viele Kollegen scheuen, in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter<br />

zu investieren, da sie davon ausgehen, sie nicht langfristig halten<br />

zu können. Auch führt die hohe Personalfluktuation dazu, dass<br />

»Privatgeschäe« der Mitarbeiter selbst dann ignoriert oder wissentlich<br />

geduldet werden, wenn Projektressourcen mit im Spiel<br />

sind. »Stichwort Korruption«, ergänzt Zake.<br />

In Hohmanns Projekt ist vorgesehen, dass die Baumaßnahmen<br />

zusammen mit der afghanischen NGO »Afghan Face«<br />

durchgeführt werden sollen. Hohmann hat bezüglich des afghanischen<br />

Partners ein mulmiges Gefühl. Die Organisation scheint<br />

stark in die vor Ort bestehenden Machtstrukturen verstrickt zu<br />

sein. Der Leiter von »Afghan Face« etwa ist der Bruder eines<br />

wichtigen Kommandeurs. Auch von Kollegen hat Hohmann<br />

eher abschätzige Bemerkungen über die Einrichtung gehört.<br />

Wenngleich sich »Afghan Face« in ihrem »Mission Statement«<br />

mit den üblichen Begriffen des Entwicklungsjargons wie »Zivilgesellscha«,<br />

»Partizipation«, »Gleichberechtigung« und »Gemeinnützigkeit«<br />

schmückt, funktioniert sie doch wie ein Wirtschasunternehmen:<br />

Als das zuständige, zivil-militärische PRT<br />

die Initiative startet, eine Polizeistation am Rande der Stadt zu<br />

bauen, willigt »Afghan Face« sofort ein. Ein Kollege von Hoh-<br />

222


Die Praxis des zivilen Wiederaufbaus<br />

mann hae mit der NGO vor zwei Jahren bereits die Errichtung<br />

einer Schule in einem weit entfernten Distrikt vereinbart. Da<br />

das Gebiet aus Sicherheitsgründen nicht besucht werden kann,<br />

konnte bis heute nicht überprü werden, ob die Schule entsprechend<br />

der vorgegebenen Standards tatsächlich gebaut wurde.<br />

Jonas Zakes Erfahrungen<br />

Jonas Zake ist einer der wenigen, der bereits seit Längerem in<br />

Afghanistan arbeitet. Zake war direkt nach dem Politikstudium<br />

aufgebrochen. Teils aus Neugier, aber hauptsächlich aufgrund<br />

der Karriereaussichten hat er als Praktikant in einer deutschen<br />

NGO angefangen. Aus dem Praktikanten ist schnell ein Projektmanager<br />

geworden, mit ordentlichem Gehalt und regelmäßigen<br />

Heim- oder Urlaubsflügen. Hierüber erhoe er sich den schnellen<br />

Aufstieg in einer internationalen Organisation, vorzugsweise<br />

den Vereinten Nationen. Nach zwei Jahren Kabul und der zunehmenden<br />

Verschlechterung der Sicherheitslage in der Stadt<br />

verflüchtigte sich selbst die Freude an der Party(sub)kultur, die<br />

sich dort unter Jung und Alt der Internationalen Gemeinscha<br />

in den ersten sechs Jahren der Intervention herausgebildet hae.<br />

Deshalb hat sich Zake für eine internationale NGO entschieden,<br />

die eine der Durchführungsorganisationen für das Nationale Solidaritätsprogramm<br />

(NSP) ist.<br />

Das Programm versetzt flächendeckend alle ländlichen Gemeinden<br />

in die Lage, die dringendsten Infrastrukturprojekte vor<br />

Ort selbst zu definieren und mithilfe der durch die Regierung<br />

verwalteten, jedoch aus dem Ausland stammenden Finanzmiel<br />

zu realisieren. Bei dem NSP, dem Zake nun in seiner Funktion<br />

als Projektmanager verpflichtet ist, geht es darum, dass Gemeinden<br />

auf demokratische Weise lokale Räte wählen sollen, die Entwicklungsbedürfnisse<br />

definieren, für deren Realisierung dann<br />

die NGO zu sorgen hat. Zakes Vorgänger scheint seine Monate<br />

in Afghanistan hauptsächlich darauf verwendet zu haben, sich<br />

um einen besseren Job zu bemühen. So hat er vor Kurzem den<br />

Posten verlassen, weil er in Kenia etwas Vergleichbares gefunden<br />

hat. Manchmal beschleicht Zake, der selbst keine Kenntnisse<br />

der Landessprachen hat, das Gefühl, dass seine Mitarbeiter<br />

223


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

Zerstörungen in Kabul, Aufnahme von 2002.<br />

die Ziele und Prinzipien des NSP selbst nicht richtig verstanden<br />

haben; wie sollen es denn dann erst die lokalen Vertreter in den<br />

Gemeinden verstehen? Ein unangenehmer Gedanke.<br />

Sind denn Ideen und Konzepte wie Demokratie und Geschlechtergleichheit<br />

überhaupt vermielbar? Gerade was die Beteiligung<br />

von Frauen in den örtlichen Räten betri, reicht es Zake<br />

milerweile aus, wenn auf dem Papier weibliche Namen stehen:<br />

Wie die Entscheidungen zustande kommen und welche Rolle die<br />

Frauen dann tatsächlich auf den entsprechenden Versammlungen<br />

spielen, will er lieber gar nicht wissen, um das Projekt nicht<br />

zu delegitimieren und damit zu gefährden. Das NSP, das 2003<br />

gestartet wurde, hinkt milerweile drei volle Jahre hinter dem ursprünglichen<br />

Zeitplan her. Der Druck von den Gebern auf Zake<br />

und seine Kollegen ist entsprechend hoch. Gleichzeitig sind sie<br />

mit einer immer größeren Unzufriedenheit in der Bevölkerung<br />

konfrontiert und somit dreifach gefordert – Miel müssen abfließen,<br />

die Statistik braucht weitere NSP-Gemeinden, die Landbevölkerung<br />

verlangt nach Strom, Wasser, Schulen, Brücken usw.<br />

Für Hohmann ist Zake der Experte, wenn es um direkte Begegnungen<br />

mit der afghanischen Landbevölkerung geht. Zake<br />

hae das Glück, während seiner Anfangszeit in Afghanistan im<br />

224<br />

picture-alliance/dpa/epa Niedringhaus


Die Praxis des zivilen Wiederaufbaus<br />

Frühjahr 2006 in verschiedene ländliche Gegenden zu kommen.<br />

Hohmann vermutet, dass Zake aufgrund dieser Erfahrung eine<br />

gewisse Aufgeschlossenheit und Empathie gegenüber der Bevölkerung<br />

mitbringt, die ihm – wenn er ehrlich ist – manchmal<br />

leichtsinnig erscheint. Die Ereignisse der letzten Jahre – etwa<br />

das Aentat auf dem Basar in Kundus im Mai 2007, das viele<br />

Menschenleben kostete – haben die Wahrnehmung der Internationalen<br />

verändert: Wem kann man noch trauen? Wie sich<br />

noch ohne Schutz guten Gewissens »unter das Volk« mischen?<br />

Zake schwärmt davon, wie gastfreundlich die Afghanen sind,<br />

und wie o er zum Essen, Obst und Tee bleiben musste, selbst<br />

in den ärmsten Familien. Heute seien die Menschen, die man in<br />

den ländlichen Regionen tri, weitgehend hoffnungslos und<br />

desillusioniert hinsichtlich der Perspektiven, die NGO-Vertreter<br />

versprechen, sagt Zake. Die Behauptung: »Hier waren schon so<br />

viele Leute, die immer ähnliche Fragen gestellt haben, immer<br />

haben wir alles erzählt, und nichts hat es uns gebracht«, wird<br />

dann häufig mit dem Nachsatz versehen: »Wir sind jetzt müde,<br />

haben zu tun und wollen uns nicht mehr mit euch abgeben.«<br />

Der Vorwurf, der darin mitschwingt, lässt sich für Hohmann<br />

aufgrund Zakes weiteren Schilderungen sehr gut nachvollziehen:<br />

Die Frustration gründet sich einerseits auf unprofessionelle<br />

Datenerhebungen, die doppelt und dreifach stafinden, obwohl<br />

ihre Ergebnisse doch auch von Organisationen vor Ort sehr gut<br />

untereinander ausgetauscht werden könnten. Andererseits machen<br />

sich nicht gehaltene Versprechungen der NGOs – ob nun<br />

tatsächlich ausgesprochen, angedeutet oder nur durch Wunschdenken<br />

der Bevölkerung entstanden – und enäuschte Erwartungen<br />

bemerkbar, denen jedenfalls nicht präventiv entgegengewirkt<br />

wurde.<br />

»Lange«, sagt Zake in diesem Zusammenhang, »habe ich mit<br />

der Entscheidung gerungen, ob Teilnehmer an Fortbildungsmaßnahmen<br />

Tagegeld für ihre Bereitscha, ›sich entwickeln zu lassen‹,<br />

bekommen sollen. Milerweile entscheide ich das fallspezifisch.<br />

Werden die Teilnehmer für die Dauer der Maßnahme an<br />

der Ausübung ihrer regulären Tätigkeit gehindert (z.B. Bauern<br />

bei der Feldarbeit), sodass ihnen dieses Einkommen entgeht, ist<br />

es nur angemessen, den Verlust zu kompensieren. Ebenso nachvollziehbar<br />

sind Kosten für Transport und Verpflegung.« Zake<br />

225


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

sei jedoch omals Zeuge gewesen, wie einzelne Organisationen<br />

deutlich überhöhte Pauschalsummen an Projekeilnehmer ausgezahlt<br />

häen, was seiner Meinung nach zu einem weitgehend<br />

verzerrten Verständnis des internationalen Engagements vor Ort<br />

führe.<br />

Hohmann steht momentan vor demselben Dilemma, wobei<br />

die Realität, wie er findet, immer noch um einiges komplexer<br />

ist: Nicht nur, dass er auf lokaler Ebene mobilisieren muss, um<br />

Bedarf und Interesse an Trinkwasserleitungen auszuloten. In<br />

seinen Zieldistrikten ist die Implementierung des NSP noch in<br />

vollem Gange. Praktisch heißt dies für ihn, dass er in einigen<br />

Gemeinden NSP-Räte als Ansprechpartner vorfindet, welche die<br />

dortigen Bewohner repräsentieren und sich bereit erklären, Hohmanns<br />

Projekt organisatorisch zu begleiten. Allerdings musste<br />

er jüngst feststellen, dass es auch viele Gemeinden gibt, in denen<br />

diese formal demokratisch gewählten Räte höchst umstrien<br />

sind, und man deshalb kaum von repräsentativen Organen sprechen<br />

kann. Mit wem sollte man in so einem Fall zusammenarbeiten?<br />

Schließlich gibt es noch die Gemeinden, in denen bislang<br />

keine NSP-Räte gewählt wurden, wo noch nicht einmal klar ist,<br />

was oder wer denn genau die Gemeinde ausmacht, geschweige<br />

denn wer ihre repräsentativen Vertreter sind. Sollte man in jeder<br />

Moschee nachfragen und sich informieren? Wenn dort jemand<br />

mit einem langen schwarzen Turban auaucht, gehört er dann<br />

zu den Taliban? Wenn das Gästehaus, in dem man zum Tee und<br />

auf ein Gespräch eingeladen wird, als das eines einflussreichen<br />

örtlichen Führers vorgestellt wird, bin ich dann sicher? – fragt<br />

sich Hohmann.<br />

226<br />

Franz Hohmann als Einzelkämpfer<br />

Hohmann fühlt sich als Einzelkämpfer. Der Verlust seines Dolmetschers<br />

Amanullah ist ein herber Rückschlag, obwohl er dessen<br />

Entscheidung, aufgrund des höheren Gehalts zu einer anderen<br />

NGO zu wechseln, nachvollziehen kann. Das rein materielle<br />

Kriterium macht es irgendwie leichter, diesen Stellenwechsel<br />

nicht persönlich zu nehmen. Wenn es nur einfacher wäre, Ersatz<br />

zu finden. Aus Kabul, wo es noch am ehesten qualifizierte Leute


Die Praxis des zivilen Wiederaufbaus<br />

gibt, möchte keiner in die Provinz. Häufig scheut sich die kleine<br />

urbane Bildungselite auch vor dem Kontakt mit den einfachen<br />

Leuten, welche die Zielgruppe von Hohmanns Projekten<br />

darstellt. Amanullah hat für ihn nicht nur rein technische Übersetzungsarbeit<br />

erledigt; vielmehr war er Hohmanns wichtigste<br />

Orientierungshilfe im interkulturellen Umfeld, indem er ihm<br />

viele Hintergründe über das Verhalten und die Einstellung der<br />

Afghanen vermielte.<br />

So versteht Hohmann jetzt beispielsweise besser, dass die<br />

Darstellung der Afghanen in vielen Büchern, die er gelesen hat,<br />

hochgradig idealisiert zu sein scheint, und in der Realität kaum<br />

gemeinschaliche Solidarität oder langfristiges »Entwicklungsdenken«<br />

anzutreffen sind. Gerade was Maßnahmen im Entwicklungssektor<br />

angeht, sieht Hohmann das Grundproblem zunehmend<br />

in der Vermilung: Afghanen scheint nicht klar zu sein,<br />

dass ihr Brunnen oder die Schule vom deutschen Steuerzahler<br />

finanziert wird. Die unkonditionierten Nothilfemaßnahmen und<br />

Aktivitäten von NGOs während des Krieges haben die Wahrnehmung<br />

befördert, dass der Westen unendliche Gelder zur Verfügung<br />

hat und diese endlos nach Afghanistan hineinpumpen<br />

kann. Solange wir nicht darangehen, diese Nehmermentalität<br />

durch anders gesteuerte Anreize zu verändern, denkt Hohmann,<br />

kommen wir mit der Stabilisierung und dem Wiederauau<br />

nicht weiter.<br />

Dennoch wird Franz Hohmann morgen früh wieder aufstehen<br />

und hoffen, durch sein Projekt die Entwicklung Afghanistans<br />

ein kleines Stück voranzubringen. Schließlich sind es Leute<br />

wie er, die dazu beitragen, langfristig positive Veränderungen<br />

durch die Projekte zu bewirken, so problematisch sich ihre Implementierung<br />

auch gestalten mag.<br />

Katja Mielke und Conrad Scheer<br />

227


Marinesoldaten des Mobile Protection Elements (MPE) der Fregatte<br />

»Karlsruhe« am 23. Dezember 2008 in Dschibuti. Seit September hatte<br />

die Europäische Union (EU) Anstrengungen unternommen, um gemäß<br />

Resolution 1816 (2008) des UN-Sicherheitsrates vom 2. Juni 2008, welche<br />

die Internationale Gemeinschaft zur Eindämmung der Piraterie vor<br />

der Küste Somalias auffordert, den Schutz des dortigen Schiffsverkehrs<br />

zu koordinieren. Am 8. Dezember entsandte die Union im Rahmen der<br />

Mission EU NAVFOR Somalia (Operation ATALANTA) zunächst französische<br />

und britische Kriegsschiffe in den Indischen Ozean. In den folgenden<br />

Monaten überwachten Kriegsschiffe das Seegebiet vor Somalia,<br />

wehrten mehrere Piratenangriffe auf Handelsschiffe u.a. durch den Einsatz<br />

von Soldaten der Marineschutzkräfte oder Bordhubschraubern ab,<br />

vertrieben die Angreifer oder setzten sie gefangen. Im September 2009<br />

beteiligten sich acht EU-Staaten sowie Norwegen an ATALANTA.<br />

Am 19. Dezember 2008 beschloss der Deutsche Bundestag eine<br />

Beteiligung der Bundeswehr mit bis zu 1400 Soldaten. Das vorerst bis<br />

Ende 2010 begrenzte Mandat deckt das Seegebiet und den Luftraum<br />

bis 500 Seemeilen vor Somalia und seinen Nachbarländern ab. Im Mai<br />

2009 standen zeitweise drei Fregatten, zwei Versorgungsschiffe und<br />

ein Seefernaufklärer der Deutschen Marine im Einsatz. Seit Juni 2009<br />

umfasst deren Auftrag auch den Einsatz von Vessel Protection Detachments<br />

(VPD) auf gefährdeten Handelsschiffen. Daneben führt die NATO<br />

seit August 2009 die Marineoperation OCEAN SHIELD zur Bekämpfung der<br />

Piraterie im Golf von Aden durch.<br />

picture-alliance/dpa/Gero Breloer


Piraterie auf See als Herausforderung<br />

für die Internationale Gemeinscha<br />

Der Welthandel wird vorwiegend auf dem Seeweg abgewickelt.<br />

Rohstoffe, Verbrauchsgüter, Maschinen: Vom deutschen Bier in<br />

Containern über Fabrikanlagen auf Schwergutschiffen bis hin zu<br />

Getreide, Rohöl oder Eisenerz auf riesigen Massengutfrachtern<br />

ist alles dabei. Lufracht rechnet sich meist nur für hochwertige<br />

Artikel oder Güter, die schnell ankommen müssen. Der Warentransport<br />

mit Eisenbahn und LKW ist geografisch o unmöglich<br />

oder zu teuer. Erst die Schifffahrt, an der deutsche Unternehmen<br />

global marktführend beteiligt sind, ermöglicht den Welthandel.<br />

Die kürzeste Strecke zwischen den wichtigen Handelszentren<br />

in Fernost und Europa führt entlang des Horns von Afrika<br />

durch den Suezkanal. Somit liegt das Horn an einem der wichtigsten<br />

Handelswege der Welt. Zugleich gilt das Gebiet als eine<br />

der gefährlichsten Regionen für die Schifffahrt.<br />

Seeverkehr durch das Rote Meer<br />

und den Golf von Aden<br />

Am einfachsten lässt sich die wirtschaliche Bedeutung des<br />

Seewegpunktes Horn von Afrika am südlichen Ende des Roten<br />

Meeres durch eine für die Gebührenberechnung erhobene Statistik<br />

des Suezkanals illustrieren. Im Jahr 2008 wurden fast 723 Millionen<br />

Tonnen Ladung durch den Kanal transportiert. Die Tendenz<br />

ist steigend; in den 1990er-Jahren lag das Volumen noch<br />

bei ungefähr 300 Millionen. Mit Abstand den größten Anteil des<br />

Suezkanalverkehrs bestreiten Containerschiffe mit gut einem<br />

Driel der 21 415 Durchfahrten im Jahr 2008, gefolgt von Massengutschiffen<br />

und Tankern mit jeweils einem Fünel.<br />

Der Kanal bildet eine lebenswichtige Verbindung zwischen<br />

dem europäischen Wirtschasraum und Fernost. Etwa 60 Prozent<br />

des Suezverkehrs entstammt nord- und südeuropäischen<br />

Häfen oder ist für dort bestimmt. Am anderen Ende der Strecken<br />

liegen China, Japan und Korea, also Staaten, die zu den wichtigs-<br />

229


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

ten Handelspartnern Deutschlands zählen, und mit denen der<br />

Warenaustausch in den letzten Jahren stark zugenommen hat.<br />

Weitere Seewege, die am Horn von Afrika vorbeiführen, verbinden<br />

den Persischen Golf und Ostafrika mit Europa.<br />

Auch das für die Weltwirtscha notwendige Erdöl muss das<br />

Horn passieren. Gut 60 Prozent der sicher gewinnbaren Welterdölvorräte<br />

und etwa 40 Prozent der Welterdgasvorräte liegen in<br />

den Golfstaaten. 90 Prozent der Ölexporte aus dem Persischen<br />

Golf (etwa 15 Millionen Barrel am Tag) werden per Schiff abtransportiert.<br />

Die Tanker, die Öl und Gas nach Europa sowie<br />

nach Nord- und Südamerika bringen, umschiffen dabei das Horn<br />

von Afrika. Sie passieren es in nördlicher Richtung, wenn es zum<br />

Suezkanal oder zur Sumed Ölpipeline geht, die ebenfalls das<br />

Rote Meer und das Mielmeer verbindet; in südlicher Richtung,<br />

wenn das Kap der Guten Hoffnung umrundet werden soll.<br />

Die Passagierschifffahrt am Horn macht nur einen bescheidenen<br />

Anteil des Verkehrs aus. Im Roten Meer gibt es einige<br />

Fährverbindungen, beispielsweise zwischen Saudi-Arabien und<br />

Ägypten. Kreuzfahrtunternehmen bieten Fahrten von Ägypten<br />

Schlagader des maritimen Handelsverkehrs: Durch den Suezkanal wurden 2008<br />

beinahe 723 Millionen Tonnen Fracht transportiert. Das Foto zeigt den Blick vom<br />

Hafen auf das Stadtzentrum Port Said, Unterägypten.<br />

230<br />

picture-alliance/Bildagentur Huber/Gräfenhain


Piraterie auf See<br />

durch das Rote Meer zu den arabischen Städten am Persischen<br />

Golf oder auch Reisen zu den Seychellen, Komoren oder nach<br />

Madagaskar an. Doch das Schiffsauommen ist relativ gering:<br />

Im Jahr 2008 durchfuhren nur 80 Passagierschiffe den Suezkanal.<br />

Ihre Zahl läge sicherlich höher, wenn die Sicherheitslage in der<br />

Region besser wäre.<br />

Die regionalen Handelsfloen bestehen – mit Ausnahme<br />

jener Saudi-Arabiens und Ägyptens – aus wenigen kleinen Einheiten<br />

unterschiedlichen Typs. Die Handelsfloen von Saudi-<br />

Arabien und Ägypten erreichen mit 62 bzw. 67 Einheiten (jeweils<br />

2008) einen nennenswerten Umfang. Zum Vergleich: Deutsche<br />

Register erfassen derzeit knapp 400 Schiffe verschiedener Typen<br />

unter deutscher Flagge sowie fast 3000 Schiffe deutscher Eigner,<br />

die unter fremder Flagge fahren.<br />

Häfen in der Region<br />

Die Häfen am Horn von Afrika variieren hinsichtlich ihrer Ausstaung<br />

und Leistungsfähigkeit erheblich. In Somalia fehlt notwendige<br />

Infrastruktur weitgehend. Ladung muss mit schiffseigenem<br />

Gerät bewegt werden. Das gilt für Berbera ebenso wie für<br />

den Hafen Mogadischu, der nach mehreren Jahren Schließung<br />

im August 2006 von den Machthabern wieder für den internationalen<br />

Seeverkehr geöffnet wurde. Demgegenüber kann Salalah<br />

in Oman auf einen modernen Containerterminal, Liegeplätze für<br />

Stückgutfrachter und eine Ölpier zurückgreifen.<br />

Früher einer der geschäigsten Orte an der Strecke von Europa<br />

nach Indien und Fernost, versucht der Haupthafen Jemens,<br />

Aden, wieder an alte Zeiten anzuknüpfen. Der Komplex soll<br />

modernisiert werden. Er verfügt bereits über gute Containeranlagen<br />

ebenso wie über einen Öl- und einen Fischereihafen. Auch<br />

für die Bebunkerung (das Betanken) von Schiffen wird er genutzt.<br />

Jedoch behindert die starke Konkurrenz in Saudi-Arabien<br />

und Oman das Wachstum. Terroristische Anschläge auf das US-<br />

Kriegsschiff »USS Cole« im Jahr 2000 und auf den Tanker »Limburg«<br />

2003 schreckten Reeder davon ab, Aden anzulaufen.<br />

Einige Bedeutung als Stützpunkt für Handelsschifffahrt<br />

und Marine besitzt der Freihafen Dschibuti. Dieser interessan-<br />

231


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

Der Küstenverkehr am Horn von Afrika<br />

Der Seeverkehr am Horn von Afrika teilt sich im Wesentlichen in den<br />

Transitverkehr großer, stählerner Seeschiffe und den sehr traditionell<br />

betriebenen Küstenverkehr auf. Die Schiffstypen im Transitverkehr<br />

sind Tanker, große Containerschiffe, Schü- und Stückgutschiffe<br />

sowie spezialisierte Fahrzeuge wie Kühl- und Kreuzfahrtschiffe. Sie<br />

passieren mit 15 bis 20 Knoten das Seegebiet am Horn von Afrika auf<br />

ihren langen Reisen, weil sie den Umweg um Afrika herum vermeiden<br />

wollen. Mit den Konflikten in der Region haben sie nur reaktiv zu<br />

tun. Ihre Kurse und Geschwindigkeiten sind über Stunden und Tage<br />

sehr konstant, jeder Hafenaufenthalt wird im Sinne der entstehenden<br />

Kosten optimiert.<br />

Im Gegensatz dazu hat der regionale Küstenverkehr generell Abgangs-<br />

und Zielhäfen, die innerhalb des Einsatzgebietes des Koalitionsverbandes<br />

liegen, der seit Frühjahr 2002 am »Horn« patrouilliert<br />

(»Task Force 150«). Die hölzerne Dhau mit zwei Decks ist der am<br />

häufigsten anzutreffende Schiffstyp. Sie wird in dieser Gegend seit<br />

Jahrhunderten genutzt, ist breit gebaut, 15 bis 60 Meter lang und war<br />

traditionell mit einem »Lateinersegel« – einem dreieckigen Gaffelsegel<br />

– getakelt. Heute verfügen die meisten Dhaus über einen Dieselantrieb.<br />

Dhaus in der Lagune von Sur, Oman.<br />

232<br />

picture-alliance/dpa/Rainer Hackenberg


Piraterie auf See<br />

Sie werden als Fischerboote, Frachter oder Fähren eingesetzt. Dabei<br />

fahren sie 4 bis 10 Knoten langsam, o scheinbar ziellos und kreuzen<br />

regelmäßig die Kurse der Transitschiffe. Kapitän und Seeleute sind zumeist<br />

bierarme Muslime, die sich ihren Lebensunterhalt so verdienen,<br />

wie es ihre Vorfahren seit Jahrhunderten getan haben. Als Fracht führen<br />

die Dhaus grundsätzlich alles mit, was handel- und transportierbar ist:<br />

Kleinbusse aus Saudi-Arabien, Matratzen aus Pakistan, Gewürze aus<br />

Oman, Vieh aus Somalia oder Weihrauch und Khat aus dem Jemen.<br />

In den letzten Jahren werden aber auch immer wieder Flüchtlinge aus<br />

Afrika auf ihrem Weg nach Arabien auf den Schiffen gefunden.<br />

Die sozialen, hygienischen, nautischen und technischen Bedingungen<br />

an Bord sind für Mieleuropäer unvorstellbar: Die Seeleute und<br />

ihre Passagiere laufen o barfuß herum und haben größtenteils keine<br />

feste Koje. Der Proviant wird meist ungekühlt auf dem Oberdeck<br />

mitgeführt und dort am offenen Feuer zubereitet. Toileen sind weitgehend<br />

unbekannt, manchmal ragen Plumpsklos über den Achtersteven.<br />

Dort sind darüber hinaus bisweilen auch Leinen angebracht, an<br />

denen die Wäsche der Besatzung im Kielwasser »gewaschen« wird.<br />

Zahlreiche Seeleute kauen Khat, um Hunger und Durst zu betäuben.<br />

An nautischer Ausrüstung sind normalerweise nur ein Magnetkompass,<br />

o veraltete Seekarten und nur selten brauchbare Handbücher<br />

vorhanden. Über Radar verfügen einige dieser Schiffe, über Funk und<br />

GPS sowie Reungs- und Signalmiel jedoch nur wenige. Die Kenntnis<br />

westlicher Sprachen ist meist nur rudimentär ausgeprägt, entsprechend<br />

schwierig gestaltet sich die Kommunikation mit Kriegsschiffen<br />

der Koalition. (ck)<br />

te Containerumladeplatz und Proviantierungsstandort stellt für<br />

den Staat Dschibuti eine der wichtigsten Einnahmequellen dar.<br />

Für das benachbarte landumschlossene Äthiopien, mit Dschibuti<br />

per Eisenbahn verbunden, ist er besonders zu Krisenzeiten, in<br />

denen Eritrea seine Häfen für äthiopische Ladung schließt, lebenswichtig.<br />

Eritrea kann mit Massawa und Asab auf zwei größere Häfen<br />

zurückgreifen. Massawa hält mehrere Liegeplätze bereit, an<br />

denen vor allem Stückgut, trockenes Massengut und lebende<br />

Tiere verladen werden. Im Jahr 2003 wurde hier eine Freihan-<br />

233


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

delszone ausgewiesen. Doch der Mangel an Arbeitskräen und<br />

die unsichere Elektrizitätsversorgung behindern den wirtschalichen<br />

Fortschri. Asab liegt 450 km südöstlich und bietet zusätzlich<br />

Ölumschlageinrichtungen.<br />

Wichtigster Hafen des Sudan ist Port Sudan, wo eine von<br />

China Ende der 1990er-Jahre in Betrieb genommene, 1600 Kilometer<br />

lange Ölpipeline endet, die Port Sudan mit den Ölfeldern<br />

im Süden des Landes verbindet. Zudem weist der Sudan, flächenmäßig<br />

der größte Staat Afrikas, reiche Bodenschätze auf.<br />

Insgesamt jedoch beschränkt die angespannte innenpolitische<br />

Lage den Außenhandel und somit die Bedeutung Port Sudans<br />

für die internationale Schifffahrt.<br />

Dschidda übertri fast alle Häfen im Nahen Osten an Größe.<br />

Dort wird ein Großteil der Importe und Exporte Saudi-Arabiens<br />

abgewickelt. Dschidda bildet zugleich einen wichtigen Umschlagplatz<br />

für die Bündelung von Ladung zwischen Europa<br />

und Asien. Das Terminal verfügt über eine moderne Ausstaung<br />

und umfassende Weranlagen. Der Bau eines drien Containerumschlagplatzes<br />

wurde 2006 in Aurag gegeben.<br />

Insgesamt kommt den Häfen in der Region überwiegend örtliche<br />

Bedeutung zu oder sie spielen eine gewisse Rolle als Umla-<br />

234<br />

Port Sudan<br />

Massawa<br />

Beirut<br />

Haifa<br />

Assab<br />

Dschidda<br />

Basra<br />

Aden<br />

Salalah<br />

Seehandelsströme<br />

im Indischen Ozean<br />

Karachi<br />

Bombay<br />

Dschibuti<br />

Berbera<br />

Colombo<br />

Frachtmengen im<br />

Jahr (in Mio. m<br />

I n d i s c h e r O z e a n<br />

Mogadischu<br />

0 500 1 000 1 500 km<br />

3 )<br />

bis 100<br />

bis 300 © MGFA<br />

05565-02


Piraterie auf See<br />

de- und Proviantierungsstandorte entlang der wichtigen Strecke<br />

zwischen Europa und dem Fernen Osten. Im eher dünn besiedelten<br />

Hinterland fehlen große Wirtschasräume, die einen intensiven<br />

Güterverkehr auslösen. Innenpolitische Probleme schränken<br />

mancherorts die technische Weiterentwicklung der Häfen und<br />

den wirtschalichen Fortschri insgesamt zusätzlich ein.<br />

Piraterie<br />

Das internationale Seevölkerrecht definiert »Piraterie« bzw.<br />

»Seeräuberei« als rechtswidrige Gewalat, die sich auf hoher See<br />

bzw. an einem Ort außerhalb der Jurisdiktion eines Küstenstaates<br />

abspielt. Ein Raubüberfall auf ein Schiff, das in unmielbarer<br />

Küstennähe vor Anker oder in den Hoheitsgewässern eines<br />

Staates liegt, gilt also aus rechtlicher Sicht nicht als Piraterie. Im<br />

Augenblick des Überfalls mögen solche Feinheiten belanglos<br />

sein. Jedoch ergibt sich aus ihnen, welche Sicherheitsdienste aus<br />

welchem Staat Hilfe leisten müssen. Piraterie umfasst übrigens<br />

Delikte aller Art – vom einfachen Diebstahl von Ausrüstungsgegenständen<br />

bis hin zur Kaperung und Entführung von Schiff,<br />

Besatzung und Ladung.<br />

Eine Ursache für die Verbreitung räuberischer Aktivitäten<br />

auf See waren schon immer die sozialen und wirtschalichen<br />

Bedingungen an Land. Diese spiegeln sich bisweilen auch im<br />

Zustand der Exekutive eines Staates wider. Unzureichende Ausrüstung<br />

der Polizei, Korruption und Erpressung können dazu<br />

führen, dass hoheitliche Aufgaben gar nicht oder nur mangelha<br />

wahrgenommen werden. In Sonderfällen, wie in Kriegs- und<br />

Bürgerkriegsgebieten, kommt es vor, dass die staatliche Ordnung<br />

gänzlich zusammenbricht.<br />

Die überwiegende Zahl der Übergriffe und Beraubungen besteht<br />

aus Gelegenheitsstraaten ohne hohe kriminelle Energie.<br />

Das Organisierte Verbrechen spielt nur in Einzelfällen eine Rolle.<br />

Zeitungsüberschrien wie »Seeräuber erobern die Weltmeere«<br />

verzerren die Wirklichkeit: 2008 wurden bei einer Welthandelsfloe<br />

von etwa 92 000 Schiffen nur 293 Überfälle oder versuchte<br />

Überfälle gemeldet, darunter fielen auch einfache Diebstähle<br />

von Ausrüstungsgegenständen.<br />

235


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

Spektakulärer Fall von Piraterie: Am 4. April 2009 kaperten somalische Piraten<br />

das deutsche Containerschiff »Hansa Stavanger«, das sich auf dem Weg ins kenianische<br />

Mombasa befand, ca. 400 Seemeilen vor der somalischen Küste. Der<br />

Frachter und seine 24-köpfige internationale Besatzung wurden am 6. April in Richtung<br />

des Hafens Haradhere verschleppt, etwa 400 km nordöstlich der somalischen<br />

Hauptstadt Mogadischu gelegen. Eine vom Krisenstab des Auswärtigen Amtes geplante<br />

gewaltsame Befreiung der Geiseln durch Bundespolizei oder Bundeswehr<br />

kam nicht zustande. Die deutsche Fregatte »Mecklenburg-Vorpommern« näherte<br />

sich der »Hansa Stavanger« bis auf Sichtweite, konnte aber nicht eingreifen, weil<br />

die Piraten mit der Tötung ihrer Geiseln drohten. Nach langen Verhandlungen verließen<br />

die Entführer am 3. August 2009 das Schiff, nachdem die Reederei sich zur<br />

Zahlung von 2,75 Millionen US-Dollar bereit erklärt hatte. Das Foto vom 5. August<br />

zeigt die »Hansa Stavanger«, begleitet von der Fregatte »Brandenburg«, auf dem<br />

Weg nach Mombasa.<br />

Gleichwohl gibt es Regionen, in denen sich Zwischenfälle<br />

ballen, und dies mit deutlich steigender Tendenz. Das Horn<br />

von Afrika zählt dazu. Weltweit verdoppelte sich die Anzahl der<br />

gemeldeten Piratenüberfälle im ersten Halbjahr 2009 gegenüber<br />

dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum von 114 auf 240. Alleine<br />

auf den Golf von Aden und die Ostküste Somalias entfielen 86<br />

bzw. 44 Zwischenfälle. Insgesamt enterten meist schwer bewaffnete<br />

Piraten 78 Schiffe, beschossen 75 und kidnappten 31 Wasserfahrzeuge,<br />

wobei sie mehr als 560 Besatzungsmitglieder als<br />

Geiseln nahmen. 19 Matrosen wurden verletzt, sieben entführt<br />

236<br />

picture-alliance/dpa/DB Eunavfor


Piraterie auf See<br />

und sechs getötet. Nach sechs Besatzungsmitgliedern suchen die<br />

Behörden bis heute vergebens, sie gelten als vermisst. Das Auswärtige<br />

Amt ebenso wie etwa das IMB Piracy Reporting Centre<br />

(PRC) in Kuala Lumpur warnen vor dem sehr großen Risiko<br />

von Piratenangriffen und Kaperungen. Eine Registrierung beim<br />

Maritime Security Centre der internationalen Streitkräe wird<br />

dringend empfohlen. Für Schiffe in der Region bedeutet das<br />

Warten auf Konvois und das Einhalten von Sicherheitsabständen<br />

zur Küste zusätzliche Reisetage. Für den Betreiber von Liniendiensten<br />

können Zusatztage den Einsatz zusätzlicher Schiffe<br />

– mit allen damit verbundenen Kosten – erfordern, sollen doch<br />

wöchentliche Verbindungen gewährleistet werden.<br />

Verstärktes Sicherheitsbewusstsein ebenso wie die Präsenz<br />

internationaler Seestreitkräe in der Region und die intensivierte<br />

Zusammenarbeit zwischen Handelsschifffahrt und »den Grauen«,<br />

den Marineeinheiten, zeigen zumindest teilweise Erfolg: Somalische<br />

Piraten verlagern ihre Operationsgebiete aus dem Golf von<br />

Aden in das südliche Rote Meer und an die Ostküste von Oman.<br />

Die Anzahl von Angriffen vor der somalischen Ostküste ging im<br />

Sommer 2009 deutlich zurück, Folge der internationalen Marinepräsenz<br />

ebenso wie widriger Wierungsbedingungen. Das Anlaufen<br />

somalischer Häfen und Küstengewässer ist allerdings für<br />

Handelsschiffe nach wie vor mit hohen Risiken verbunden.<br />

Das Horn von Afrika liegt an einem der strategisch wichtigsten<br />

Verkehrswege des Welthandels. Der regionale Verkehr<br />

ist dabei eher begrenzt, obgleich einige Häfen eine bedeutende<br />

Rolle bei der Bündelung der Warenströme und der Proviantierung<br />

der Schiffe einnehmen. Die instabile Sicherheitslage in Somalia<br />

fördert noch die ohnehin bedrohlichen Überfälle auf die<br />

Schifffahrt. Dank der Präsenz internationaler Streitkräe, etwa<br />

auch der Deutschen Marine, ist die Lage insgesamt sicherer. Von<br />

jedem Erfolg bei der Bekämpfung der Piraterie profitieren alle<br />

Beteiligten: Besatzungen, Reeder, Handel, Industrie und Verbraucher<br />

– und zwar auf der ganzen Welt.<br />

L. Daniel Hosseus<br />

237


Am 12. September 2001 erklärte die Nordatlantische Allianz erstmals in<br />

ihrer Geschichte den Bündnisfall. Fast zeitgleich klassifizierte Bundeskanzler<br />

Gerhard Schröder die terroristischen Angriffe auf New York – im<br />

Bild das brennende World Trade Center – und Washington als »Kriegserklärung<br />

gegen die gesamte zivilisierte Welt« und sicherte den Vereinigten<br />

Staaten Deutschlands »uneingeschränkte Solidarität« zu. Damit<br />

hatte der Kanzler die Weichenstellung auch für einen militärischen Beitrag<br />

zum US-geführten »War on Terror« vorgenommen.<br />

Als Schröder nur wenige Wochen später die Mandatierung der<br />

deutschen Beteiligung zur Operation ENDURING FREEDOM (OEF) mit der<br />

Vertrauensfrage verbinden musste, um sich die Zustimmung der Regierungsfraktionen<br />

zu sichern, wurde der Unterschied zwischen deklamierter<br />

Bündnissolidarität und der tatsächlichen Bereitschaft offenkundig,<br />

diese auch durch den Einsatz von Streitkräften zu operationalisieren.<br />

In diesem Spannungsbogen nutzten seither unterschiedlich zusammengesetzte<br />

Bundesregierungen immer wieder die Ausgestaltung des deutschen<br />

OEF-Beitrages, das »Wie«, als Variable und Verhandlungsfeld,<br />

um die parlamentarische Zustimmung zum grundsätzlichen »Ob« zu<br />

erhalten. Im Gegensatz hierzu blieb die Beteiligung an der maritimen<br />

Operation ACTIVE ENDEAVOUR (OAE) bis heute ein unaufgeregtes Stiefkind<br />

des deutschen militärischen Beitrags zum Kampf gegen den internationalen<br />

Terrorismus.<br />

picture-alliance/dpa/Hubert Boesl


Deutschlands militärischer Beitrag<br />

zum Kampf gegen den internationalen<br />

Terrorismus<br />

Die Zielsetzung ihrer militärischen Reaktion auf die verheerenden<br />

Terrorangriffe des 11. September hae die Regierung Bush<br />

mit E F auf eine griffige Formel gebracht. In<br />

einem Krisenbogen, der sich von der arabischen Halbinsel über<br />

Miel- und Zentralasien bis nach Nordost-Afrika erstreckt, sollten<br />

Führungs- und Ausbildungseinrichtungen von Terroristen<br />

ausgeschaltet, diese bekämp, gefangen genommen und vor<br />

Gericht gestellt sowie Sympathisanten dauerha von der Unterstützung<br />

terroristischer Aktivitäten abgehalten werden. Die<br />

am 7. Oktober 2001 begonnene Operation verfolgt das Ziel, extremistischen<br />

Gruppierungen ihre Bewegungs- und Handlungsfreiheit<br />

zu nehmen und sie miel- bis langfristig so unter Druck<br />

zu setzen, dass ihnen die Ausplanung und Durchführung von<br />

Angriffen in den Dimensionen von New York und Washington<br />

unmöglich ist.<br />

Bereits am Tag nach den Angriffen hae der Sicherheitsrat der<br />

Vereinten Nationen die Terrorakte als Bedrohung für den Weltfrieden<br />

und die internationale Sicherheit qualifiziert. Mit der expliziten<br />

Bekräigung des Rechts zur individuellen und kollektiven<br />

Selbstverteidigung stellte er auch das Vorliegen einer materiellen<br />

Angriffssituation fest. Seine bündnispolitische Entsprechung fand<br />

dieser Rückgriff auf Art. 51 der UN-Charta in der erstmaligen Erklärung<br />

des Bündnisfalls durch die NATO (12. September, präzisiert<br />

am 4. Oktober). Es handelte sich dabei um einen vorrangig<br />

politischen Akt, der auf Initiative der Allianz beruhte.<br />

Unterstützt wird OEF jedoch nicht nur durch die Mitglieder<br />

der Nordatlantischen Allianz. So verweist das für die Operationsführung<br />

verantwortliche, in Tampa, Florida, ansässige<br />

U.S. Central Command (USCENTCOM) auf über 60 Koalitionspartner,<br />

von denen allerdings nur ca. 40 Nationen einen – qualitativ<br />

wie quantitativ sehr unterschiedlichen – militärischen Beitrag<br />

leisten. Umgekehrt bleibt die Bereitscha der USA begrenzt,<br />

ihre Partner transparent und mitverantwortlich in die Operati-<br />

239


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

onsführung einzubinden. Bis heute besitzt E F<br />

de facto den Charakter eines »we will call if we need you-war«<br />

der US-Streitkräe. Die Führungsorganisation des Einsatzes ist<br />

an keiner Stelle mit den NATO-Strukturen verwoben.<br />

Im Gegensatz hierzu erfolgt die Führung der Marineoperation<br />

OAE durch die dafür vorgesehenen militärischen NATO-<br />

Kommandobehörden. Die Entsendung der ständigen Marine-<br />

Einsatzverbände des Bündnisses (Standing NATO Maritime<br />

Group, SNMG) in das östliche Mielmeer nach dem 11. September<br />

versteht sich ausdrücklich als Unterstützung für OEF zur See<br />

und begann bereits vor der »Schwesteroperation« am 6. Oktober<br />

2001. OAE hat zum Ziel, den zivilen wie militärischen Schiffsverkehr<br />

vor terroristischen Angriffen zu schützen und besonders<br />

gefährdete Seewege zu überwachen. Einheiten des Bündnisses<br />

erhalten durch ihre Präsenz die stabile Sicherheitslage in einem<br />

Operationsraum aufrecht, der zunächst auf das östliche Mielmeer<br />

beschränkt war. Im Februar 2003 wurde dieses Gebiet um<br />

das westliche Mielmeer und die Straße von Gibraltar erweitert.<br />

Der dort geografisch bedingten, besonderen Gefährdung<br />

durch terroristische Angriffe sollte mit der militärischen Eskortierung<br />

des Schiffsverkehrs begegnet werden. Die Teiloperation<br />

der Task Force Strait of Gibraltar in dieser kritischen Meerenge<br />

wurde im Mai 2004 wieder beendet. Nach der Ausdehnung des<br />

Operationsgebiets auf das gesamte Mielmeer im März 2004<br />

sind neben den Nationen des Mielmeerdialogs sowie weiteren<br />

Partnerländern seit 2006 bzw. 2007 auch die Schwarzmeeranrainer<br />

Russland und Ukraine in OAE eingebunden. Dennoch<br />

wurde die vorgeschlagene Erweiterung des OAE-Operationsgebiets<br />

auf das Schwarze Meer durch die Allianz nicht weiter<br />

verfolgt.<br />

Obwohl die Bundesregierung OAE zu Recht in einen inhaltlichen<br />

Zusammenhang mit OEF stellt, fanden die seit Oktober<br />

2001 geleisteten deutschen OAE-Beiträge erst nach der Erweiterung<br />

des Einsatzes auf die Straße von Gibraltar und einer Veränderung<br />

der Einsatzaufgaben (2003) Aufnahme in das jährlich<br />

zu erneuernde Bundestagsmandat. Dieses bildet seitdem die<br />

nationale Rechtsgrundlage für die Durchführung beider Operationen.<br />

240


Kampf gegen den internationalen Terrorismus<br />

Art und Umfang des deutschen Beitrags<br />

zu den Operationen Active Endeavour und<br />

Enduring Freedom<br />

»Bündnisnormalität« spiegelt sich auch im Umfang der deutschen<br />

Beteiligung an A E (eine Fregae und/oder<br />

ein Tender) wider. Der Beitrag der Bundeswehr orientiert sich<br />

seit Operationsbeginn im Oktober 2001 an der generellen Ausplanung<br />

der jeweils eingesetzten Standing NATO Maritime Group<br />

(SNMG). Lageabhängig und zeitlich begrenzt werden deren Fähigkeiten<br />

u.a. auch durch deutsche U-Boote ergänzt. Darüber hinaus<br />

hae die Bundeswehr für die Eskortieraufgaben durch die<br />

Straße von Gibraltar weitere Schnellboote und Tender eingesetzt.<br />

Je nach Aufgabenverteilung innerhalb der SNMG schwankt der<br />

personelle Umfang des deutschen Kontingents zwischen 25 und<br />

250 Soldaten.<br />

Seit Mie 2008 entwickelt sich OAE zunehmend von einer<br />

plaform- zu einer netzwerkgestützten Operation weiter. Heute<br />

steht weniger die permanente physische Präsenz von Kriegsschiffen,<br />

sondern eher der komplexe Informationsaustausch<br />

über die Lageentwicklung in den betroffenen Seegebieten auch<br />

mit nicht-militärischen Organisationen und Nicht-NATO-Staaten<br />

im Mielpunkt des Interesses. Zunehmend nutzen deutsche<br />

Einheiten Transfers, so etwa an das Horn von Afrika, um zeitlich<br />

begrenzt unter OAE-Mandat zu fahren und damit einen deutschen<br />

Beitrag zu leisten.<br />

Wesentlich vielfältiger gestaltet sich der Anteil der Bundeswehr<br />

an der Operation E F. Der bei der Erstmandatierung<br />

im November 2001 bewilligte Kontingentumfang<br />

von 3900 Soldaten hae die Bereitstellung von Fähigkeiten<br />

zur ABC-Abwehr, zur sanitätsdienstlichen Versorgung, für die<br />

Durchführung von Operationen der Spezialkräe und zum Lutransport<br />

sowie von See- bzw. Seelustreitkräen und Unterstützungskräen<br />

vorgesehen. Unklar blieb damals, inwieweit es<br />

sich dabei um eine konkrete Anforderung seitens der US-Regierung,<br />

eine auf Arbeitsebene bereits vorabgestimmte Anfrage aus<br />

Washington oder ein Initiativangebot Berlins handelte. Die Bundesregierung<br />

hae jedenfalls ein Paket geschnürt, das es immer<br />

241


picture-alliance/dpa/Yasser al-Zayyat<br />

II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

wieder ermöglichte, Umfang wie auch Art der OEF-Beteiligung<br />

flexibel außenpolitischer Erwartungshaltung und innenpolitischem<br />

Druck anpassen zu können.<br />

Dass dabei selbst vorsichtiges Manövrieren zwischen den<br />

Klippen der Bündnissolidarität und der Abhängigkeit von Wählerstimmen<br />

dennoch ein hohes Risiko mit sich bringen kann,<br />

politisch zu stranden, zeigte exemplarisch die Debae um den<br />

deutschen ABC-Abwehrverband im Vorfeld der Offensive I<br />

F 2003. Hier hae die Bundesregierung zunächst eine<br />

bündnispolitische »Neutralstellung« gewählt, indem sie eine<br />

hochspezialisierte Fähigkeit bereitstellte, die einerseits den USA<br />

hochwillkommen war, deren Profil jedoch ungeachtet der zunächst<br />

noch offenen deutschen Positionierung zur Irak-Frage<br />

stets als »defensive Fähigkeit« (Verteidigungsminister Rudolf<br />

Scharping) qualifiziert werden konnte. Allerdings erwies sich<br />

die Vorstationierung des deutschen Teilkontingentes im Februar<br />

2002 im Camp Doha (Kuwait) als Bumerang, als Gerhard Schröder<br />

und sein Außenminister Joschka Fischer ab Sommer diesen<br />

Jahres versuchten, auf internationaler Bühne eine Gegenposition<br />

zur amerikanischen Interventionspolitik zu organisieren. Zwar<br />

erklärte der Bundeskanzler öffentlich, ein Abzug dieses Teilkontingentes<br />

im Falle eines amerikanisch geführten Feldzuges gegen<br />

Saddam Hussein läge »in der Konsequenz«. Intern gestand Schröder<br />

jedoch ein, dass ein deutscher Bundeskanzler »zwanzig Jahre<br />

lang« nicht nach Washington reisen könne, würde Deutschland<br />

seine Soldaten am Vorabend der Operation aus Kuwait zurückrufen.<br />

Zu diesem bündnispolitischen Eklat ließ es Berlin dann auch<br />

nicht kommen. Verteidigungsminister Peter Struck, der soeben<br />

sein Amt neu angetreten hae, fand schließlich die argumenta-<br />

242<br />

Deutsche und amerikanische<br />

Soldaten bei<br />

einer gemeinsamen<br />

ABC-Abwehrübung im<br />

Camp Doha, Kuwait,<br />

4. März 2002.


Kampf gegen den internationalen Terrorismus<br />

tive Aushilfe der vom Mandat erfassten »humanitären Hilfe«,<br />

um die fortdauernde Stationierung des Verbandes zu begründen.<br />

Die ABC-Spezialisten, unmielbar nach Kriegsbeginn bei einem<br />

irakischen Raketenangriff auf Kuwait im März 2003 einmal eingesetzt,<br />

wurden erst wenige Wochen nach dem offiziell erklärten<br />

Kriegsende im Sommer desselben Jahres rückverlegt.<br />

Die inhaltlich und dem Umfang nach breite Rahmensetzung<br />

des OEF-Mandats diente in den Folgejahren auch der Großen<br />

Koalition immer wieder als Manövrierraum und Verhandlungsmasse,<br />

um trotz zunehmender Skepsis in Parlament und Öffentlichkeit<br />

durch schriweise Zugeständnisse die mehrheitliche<br />

Zustimmung des Bundestags zur Fortführung des deutschen<br />

Engagements sicherzustellen. So beendete die Bundesregierung<br />

den Afghanistaneinsatz deutscher Spezialkräe unter OEF-Mandat<br />

im Oktober 2005, nachdem die Kritik an der Operation zugenommen<br />

hae und in der Öffentlichkeit (letztlich haltlose) Vorwürfe<br />

einer Misshandlung des Deutsch-Türken Murat Kurnaz<br />

durch KSK-Soldaten in Afghanistan erhoben worden waren. Und<br />

indem die Bundesregierung seit 2006 schriweise die Mandatsobergrenze<br />

auf derzeit 800 Soldaten (Stand: 1. November 2009)<br />

reduzierte und die Möglichkeit des Spezialkräeeinsatzes 2008<br />

endgültig aus dem jährlich zu erneuernden Bundestagsmandat<br />

herausnahm, sollte dies den OEF-Kritikern Entgegenkommen demonstrieren<br />

und ihnen gleichzeitig die prinzipielle Zustimmung<br />

zur Fortsetzung des deutschen militärischen Engagements im<br />

Kampf gegen den internationalen Terrorismus »abkaufen«. Auch<br />

die mehrfach durch die Bundesregierung eingeführte, wenig<br />

plausible Koppelung zwischen einer Absenkung der personellen<br />

Obergrenze bei der deutschen OEF-Beteiligung und einer Anhebung<br />

beim ISAF-Mandat unterstreicht, dass die inhaltliche Ausgestaltung<br />

des OEF-Beitrags nicht selten eher politischem Kalkül<br />

als militärischen Überlegungen folgte.<br />

Lediglich der deutsche Marineanteil an OEF bewegt sich seit<br />

Beginn der Operation mit festem Kurs und in vergleichsweise<br />

ruhigem politischem Fahrwasser. Seit Januar 2002 ist eine Task<br />

Force der Marine am Horn von Afrika sowie in den daran angrenzenden<br />

Seegebieten zur Seeraumüberwachung sowie zum<br />

Schutz der Verkehrswege gegen terroristische Angriffe eingesetzt<br />

(vgl. den Beitrag von L. Daniel Hosseus). Logistisch stützt sich<br />

243


Bundeswehr/J.F. Holst<br />

II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

dieser Einsatz auf Dschibuti ab, bis Ende September 2003 starteten<br />

deutsche Flugzeuge vom kenianischen Flughafen Mombasa<br />

aus. Die Bundeswehr beteiligt sich an der maritimen OEF-Teiloperation<br />

in wechselndem Umfang mit Fregaen, Schnell- und<br />

Minensuchbooten, dem Floendienstboot, Versorgungseinheiten<br />

sowie Seefernaulärern. Die Zusammensetzung des deutschen<br />

Beitrags ändert sich im vier- bis sechsmonatigen Rhythmus. Regelmäßig<br />

steht der internationale Marineverband am Horn von<br />

Afrika (Task Force 150) auch unter deutschem Kommando (vgl.<br />

den Beitrag von Bernhard Chiari, Von der Escort Navy).<br />

244<br />

Ausblick<br />

Blick aus dem Cockpit<br />

eines Hubschraubers<br />

vom Typ SEA LYNX auf<br />

die Fregatte »Emden«,<br />

25. Mai 2008. Die<br />

»Emden« überwachte im<br />

Rahmen der Operation<br />

ENDURING FREEDOM<br />

das Arabische Meer<br />

und die Gewässer um<br />

das Horn von Afrika.<br />

Acht Jahre nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und mit<br />

Beginn der neuen Legislaturperiode stellt sich die Frage nach der<br />

weiteren deutschen militärischen Beteiligung am Kampf gegen<br />

den internationalen Terrorismus. Unumstrien bleibt sicherlich<br />

die Fortführung der Operation A E. Diese erfüllt<br />

ihre – zugegebenermaßen begrenzten – operationellen Ziele und<br />

wird mit der Einbindung von Nicht-NATO-Staaten auch ihrem explizit<br />

militärpolitischen Zweck gerecht. Mit ihrem neuen Einsatzkonzept<br />

ist A E zudem ausgesprochen »ressourcenfreundlich«<br />

angelegt. Hier steht in absehbarer Zeit lediglich<br />

die Entscheidung an, ob es für die weitere Beteiligung noch eines<br />

Bundestagsmandats (Kriterium: bewaffneter Einsatz) bedarf.<br />

Im Gegensatz hierzu kommt der Frage nach dem weiteren<br />

deutschen OEF-Engagement unverändert hohe politische Brisanz


Kampf gegen den internationalen Terrorismus<br />

zu. Das Mandat diente in den vergangenen Jahren immer wieder<br />

als »Steinbruch«, um mit Zugeständnissen beim ungeliebten,<br />

»bösen« OEF-Einsatz Entgegenkommen für die Ausgestaltung<br />

der »guten« ISAF-Mission bzw. die generelle Zustimmung zur<br />

Fortsetzung des OEF-Mandats zu erwirken. Das im Herbst 2008<br />

verabschiedete Bundestagsmandat weist nun sowohl in Umfang<br />

wie auch inhaltlich, beim »Wie«, kaum noch Verhandlungsspielraum<br />

auf. Die frisch ins Amt gewählte Bundesregierung wird<br />

sich daher mit einer grundsätzlichen Diskussion um eine Fortführung<br />

des deutschen OEF-Beitrages, dem »Ob«, konfrontiert<br />

sehen. Dies geschieht zu einem Zeitpunkt, zu dem die US-Regierung<br />

konzeptionell wie begrifflich vom »War on Terror« abrückt,<br />

ihre Anstrengungen im Rahmen der OEF in Afghanistan in das<br />

ISAF-Engagement integriert und sich die internationale maritime<br />

Operationsführung am Horn von Afrika zunehmend auf die<br />

Bekämpfung der Piraterie konzentriert.<br />

Aus operationeller Sicht gäbe es sicherlich Argumente, die<br />

internationale Akzentverschiebung von der Terrorismus- zur<br />

Pirateriebekämpfung nach- oder mitzuvollziehen. Anführen ließen<br />

sich beispielsweise eine klare Schwerpunktsetzung zugunsten<br />

der derzeit offensichtlicheren Bedrohung sowie effektivere<br />

Einsatzregeln. Dennoch ist auch von der konservativ-liberalen<br />

Bundesregierung eine Fortführung des deutschen OEF-Beitrages<br />

zu erwarten. Neben der Notwendigkeit, den Abschreckungseffekt<br />

im Sinne des ursprünglichen Operationsziels langfristig<br />

aufrechtzuerhalten, düren hierfür allerdings vorrangig militärpolitische<br />

Aspekte den Ausschlag geben. Eine Beendigung des<br />

deutschen Engagements im Rahmen der OEF oder auch dessen<br />

Reduzierung auf die Gestellung von Verbindungskommandos<br />

zu den verantwortlichen US-Hauptquartieren würden die Vereinigten<br />

Staaten als neuerliches Zeichen deutschen bündnispolitischen<br />

Wankelmuts interpretieren. Einer Bundesregierung, die<br />

sich im Koalitionsvertrag die Stärkung des deutsch-amerikanischen<br />

Vertrauensverhältnisses auf die Fahnen geschrieben hat,<br />

kann hieran nicht gelegen sein.<br />

Christian Freuding<br />

Der Beitrag gibt ausschließlich die persönlichen Ansichten des Verfassers wieder<br />

und berücksichtigt die Entwicklungen bis Ende Oktober 2009.<br />

245


Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten sich zwei deutsche Staaten mit<br />

unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Systemen. Die nationalsozialistische<br />

Vergangenheit und der Ost-West-Systemkonflikt blockierten<br />

die Übernahme außen- und sicherheitspolitischer Verantwortung<br />

durch die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische<br />

Republik im Rahmen militärischer Einsätze. Das Ende des Kalten Krieges<br />

brachte für Deutschland zwei wichtige Zäsuren: die Vereinigung der beiden<br />

deutschen Staaten und die Auflösung des Warschauer Paktes.<br />

Der Zusammenfall beider Ereignisse führte zu einer Neudefinition der<br />

NATO als politisches und militärisches Bündnis. Ohne Zweifel waren die<br />

gravierenden Veränderungen für Deutschland im Ergebnis positiv. Auch<br />

für die Bundeswehr brachten sie einschneidende Herausforderungen.<br />

Die NVA wurde aufgelöst, deren Personal und Material zum Teil in die<br />

Bundeswehr integriert. Gleichzeitig entwickelte man, wie auch die NATO<br />

dies tat, die nationalen strategischen und operativen Konzepte weiter<br />

und passte sie an die neue Realität an. Schließlich brach in Jugoslawien<br />

auch noch ein Bürgerkrieg aus: Das Foto zeigt den damaligen Bundesverteidigungsminister<br />

Volker Rühe am 13. Dezember 1996 im Bonner<br />

Bundestag mit Generälen seines Stabes. Der Bundestag billigte im Verlauf<br />

der Debatte mit breiter Mehrheit die deutsche Beteiligung an der<br />

neuen internationalen Bosnien-Friedenstruppe SFOR und nahm damit<br />

erstmals in der Geschichte der Bundeswehr eine direkte Verwicklung<br />

deutscher Soldaten in Kampfhandlungen in Kauf.<br />

picture-alliance/dpa/Martin Athenstädt


Die Bundeswehr auf dem Weg<br />

zur »Armee im Einsatz«<br />

Nach 1990 machten die dramatisch veränderten politischen<br />

Rahmenbedingungen für Deutschland in mehrfacher Hinsicht<br />

eine Neudefinition seiner eigenen Rolle erforderlich. Der schlafende<br />

europäische Riese erwachte und kehrte auf die Weltbühne<br />

zurück. Gerade im Hinblick auf die Mitgliedschaen in den<br />

supranationalen Organisationen wurde dies mehr als deutlich:<br />

Das vereinigte Deutschland etikeierte sich zunächst selbst als<br />

Friedensmacht und beansprucht seither einen ständigen Sitz<br />

im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. In der Vergangenheit<br />

hae die NATO-Mitgliedscha vor allem dem Schutz vor der<br />

Sowjetunion gedient. Diese Aufgabe entfiel mit der Selbstauflösung<br />

des Warschauer Paktes. Bislang hae die Bundesrepublik<br />

als Sicherheitsimporteur maßgeblich von der NATO profitiert, in<br />

den 1990er-Jahren wurde dagegen aus dem bisherigen Nutznießer<br />

ein – zunächst widerwilliger – Exporteur von Sicherheit.<br />

Die außenpolitischen Veränderungen wirkten sich auch auf<br />

die innenpolitischen Verhältnisse aus. Die Gesellscha der Bundesrepublik<br />

musste, anfangs widerstrebend und mit fast naivem<br />

Desinteresse, ihren Wehrwillen und ihre Wehrmotivation über<br />

die Landesverteidigung hinaus auf Interventions- und Stabilisierungsmissionen<br />

ausrichten. Dabei schien weniger das fundamental<br />

veränderte politische und militärische Umfeld die Öffentlichkeit<br />

zu bewegen, vielmehr standen vergangenheitspolitische<br />

und ethische Implikationen im Vordergrund. Teils stark emotional<br />

geführte Diskussionen offenbarten, dass auch nach mehr als<br />

35 Jahren ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung immer<br />

noch keinen Frieden mit ihren Streitkräen schließen konnte.<br />

Die damalige politische Leitung und militärische Führung entschloss<br />

sich vor diesem Hintergrund, einen Prozess der schriweisen<br />

Gewöhnung an »Out-of-area-Einsätze« einzuleiten.<br />

Das neue militärische Engagement außerhalb Deutschlands<br />

brachte nicht nur politische, soziale und moralische Belastungen,<br />

sondern ebenso nicht unwesentliche finanzielle Bürden.<br />

Neben der Entwicklungshilfe und den Mitgliedsbeiträgen an<br />

internationale Organisationen kam der Steuerzahler nun zudem<br />

247


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

für die Auslandseinsätze der Bundeswehr auf – auch wenn die<br />

Kosten aus dem Verteidigungshaushalt selbst erwirtschaet<br />

werden mussten. Die Bundeswehrstärke ging seit 1990 kontinuierlich<br />

zurück, und die Höhe der zugewiesenen Finanzmiel reduzierte<br />

sich in den 1990er-Jahren erheblich, um erst Jahre später<br />

wieder leicht anzusteigen. Die Bundeswehrführung hae somit<br />

kaum finanzielle Spielräume für höhere Investitionen, vielmehr<br />

schränkte die prekäre Lage die strategischen Fähigkeiten, operativen<br />

Möglichkeiten und taktischen Manövrierräume noch<br />

zusätzlich ein. Deutschland stand nach 1990 außen- und sicherheitspolitisch<br />

an einem Scheidepunkt.<br />

248<br />

Von der »alten« zu einer<br />

»neuen« Bundeswehr<br />

Bis 1989/90 waren die politischen und militärischen Lager in der<br />

Welt eindeutig festgelegt. Zwar bestand während des Kalten<br />

Krieges mehrfach die Gefahr eines konventionellen und atomaren<br />

Krieges zwischen den Machtblöcken, aber stets beschwor<br />

das militärische Gleichgewicht die endzeitliche Vision der potenziellen<br />

eigenen Vernichtung herauf. Gewaltsame regionale<br />

Konflikte oder Stellvertreterkriege wurden in Afrika oder Asien,<br />

aber nicht mehr in Europa geführt. Hier herrschte eine stabilisierende<br />

Pasituation, die den Krieg auf die weithin unsichtbare<br />

Ebene der Geheimdienste verlagerte. Die Bundesrepublik und<br />

die DDR arrangierten sich in einer phasenweise mehr oder weniger<br />

distanzierten Koexistenz.<br />

Mit dem Ende dieser Ära und der Vereinigung beider deutschen<br />

Staaten änderte sich die Situation der Bundesrepublik in<br />

fast sämtlichen Politikfeldern und Lebensbereichen. Auch eine<br />

uneingeschränkte Übernahme der Verantwortung aus der Vergangenheit<br />

war damit verbunden. Die »Kohl-Doktrin« schrieb<br />

fest, keinen Einsatz deutscher Streitkräe in den Ländern zu<br />

leisten, in denen nationalsozialistische Organisationen und die<br />

Wehrmacht während des Zweiten Weltkrieges gewütet haen.<br />

Diese an der unseligen deutschen Vergangenheit orientierte<br />

Verhaltensweise sollte den europäischen Nachbarn wie der rest-


Die Bundeswehr auf dem Weg zur »Armee im Einsatz«<br />

lichen Welt demonstrieren, dass sich Deutschland seiner Verantwortung<br />

bewusst war und kein unnötiges Misstrauen durch<br />

neue militärische Krademonstrationen erzeugen wollte.<br />

Die sicherheitspolitische Situation in den 1990er-Jahren bestimmten<br />

vier Akteure: zum einen die Vereinten Nationen, die<br />

sich hauptsächlich in der Rolle der Friedenswahrung und der<br />

Erhaltung eines Status quo sahen; zum anderen die Europäische<br />

Union/WEU, die einen europäischen Beitrag bei der Konfliktlösung<br />

anstrebten. Kontaktgruppen fungierten als Konsultationsgremien,<br />

und schließlich übernahm die NATO im Wesentlichen<br />

die Durchsetzungsoptionen, um stabilisieren und intervenieren<br />

zu können. Deutschland war bei den Auslandseinsätzen der<br />

Bundeswehr Mitglied in allen Gremien und beteiligte sich intensiv<br />

an den Entscheidungsprozessen wie auch an den Durchsetzungsoptionen<br />

für die jeweiligen Krisengebiete.<br />

Der Kosovo-Krieg als erneute Zäsur<br />

Der Dayton-Vertrag von 1995 beendete zwar den Krieg in Bosnien<br />

und Herzegowina. Er schrieb aber auch in gewissem Maße<br />

die Grenzlinien ethnischer Säuberungen fest. Zudem klammerte<br />

man absichtlich das Kosovo aus den Verhandlungen mit den<br />

Bürgerkriegsparteien aus. Ein positiver Verlauf der Implementierung<br />

und Stabilisierung in Bosnien würde sich, so die Hoffnung,<br />

auch auf die serbische Unruheprovinz auswirken. Das<br />

mindestens seit 1980 eskalierende Kosovo-Problem blieb jedoch<br />

bestehen (zur Entwicklung in Bosnien, Herzegowina und Kosovo<br />

vgl. die Beiträge von Agilolf Keßelring). Die Folge war 1999 ein<br />

Krieg der NATO ohne UN-Mandat gegen die damalige Bundesrepublik<br />

Jugoslawien, die nur noch aus den Republiken Serbien<br />

und Montenegro bestand. Die Angriffe wurden von der Propaganda<br />

einer ausgedehnten Informations- und Medienkampagne<br />

eingeleitet und begleitet. Nach einem mehrwöchigen Lukrieg,<br />

der vor allem die Infrastruktur Serbiens zerstörte, akzeptierte<br />

der jugoslawische Präsident Slobodan Milošević schließlich<br />

NATO-Truppen im Kosovo. Nach den umfangreichen militärischen<br />

Operationen im Rahmen der IFOR und SFOR in Bosnien<br />

zeigte sich die NATO innerhalb kurzer Zeit zu einem weiteren<br />

249


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

Umstrittener Einsatz: Die Luftschläge der NATO, die die jugoslawische Regierung<br />

zum Rückzug aus der Provinz Kosovo bewegen sollten, trafen auch die Zivilbevölkerung.<br />

Einwohner von Belgrad versuchten, als lebender Schutzwall die zentrale<br />

Brücke über die Save vor der Zerstörung zu bewahren.<br />

Interventions-, Implementierungs- und Stabilisierungseinsatz<br />

fähig. Und die Bundeswehr zählte nach der U.S. Army erneut zu<br />

den größten Truppenstellern, beteiligte sich diesmal jedoch von<br />

Beginn an am Lukrieg und dann mit Kampfverbänden an Bodenoperationen.<br />

Die Übernahme eines eigenen Verantwortungsbereiches,<br />

einer »Area of Responsibilty« (AOR), trug diesem politischen<br />

und militärischen Gewicht innerhalb der NATO und in<br />

der Internationalen Gemeinscha Rechnung.<br />

Die neuen Einsätze erforderten eine Veränderung der außenpolitischen<br />

Orientierung. Die zunächst Anfang der 1990er-Jahre<br />

als Richtlinie geltende »Kohl-Kinkel-Doktrin« wurde durch den<br />

Anpassungsprozess mit IFOR und SFOR zu einer »Schröder-<br />

Fischer-Doktrin« bei KFOR. Die Begründung, dass es keinen<br />

Einsatz der Bundeswehr an den Orten geben könne, an denen<br />

Verbrechen des Nationalsozialismus verübt worden waren, veränderte<br />

sich zu einem Einsatz dort, wo ein Völkermord drohte<br />

oder bereits im Gange war. Zu beiden Orientierungen äußerte<br />

Bundeskanzler Gerhard Schröder 1999 in den Medien auf die<br />

250<br />

picture-alliance/dpa/epa Srdjan Suki


Die Bundeswehr auf dem Weg zur »Armee im Einsatz«<br />

Frage, ob man deutsche Truppen in Regionen schicken dürfe, in<br />

denen Deutsche im Zweiten Weltkrieg grausam gewütet haen:<br />

»Dass wir es nicht dürfen, ist eine These, die ich sehr ernst nehme.<br />

Aber für mich gilt das umgekehrte Argument: Weil wir dort in<br />

der Tat verbrecherisch tätig gewesen sind, ist es auch eine besondere<br />

Verantwortung der Deutschen, sich für die Menschenrechte,<br />

gegen Deportationen, gegen Brutalitäten einzusetzen. Unsere<br />

Vergangenheit, in der wir für die falschen politischen Ziele interveniert<br />

haben, gebietet für mich, dass wir nicht abseits stehen,<br />

wenn andere für die richtigen Ziele eintreten.«<br />

Noch während des Zweiten Golf-Kriegs 1991 herrschte ein<br />

nationaler Konsens darüber, dass der Einsatz von Bundeswehrsoldaten<br />

außerhalb des Bündnisgebietes, noch dazu im Rahmen<br />

von Kampandlungen, nicht infrage kommen sollte. Der Kosovo-Krieg<br />

umfasste dagegen alle Optionen, selbst eine bewaffnete<br />

militärische Interventionsoperation innerhalb der NATO. Der<br />

hauptsächlich von der politischen Linken in Deutschland vorgetragene<br />

Vorwurf, es handele sich bei dem Kosovo-Krieg um<br />

einen Verstoß gegen geltendes Völkerrecht und eine kriminelle<br />

Handlung, offenbarte einen tief gehenden Dissens. Die NATO<br />

wurde im öffentlichen Diskurs nicht selten mit Westdeutschland<br />

und die Bundesrepublik Jugoslawien mit der ehemaligen DDR<br />

gleichgesetzt. Die entsprechende Analogie lautete: So wie die<br />

Treuhandgesellscha die DDR zerschlagen habe, so zerschlage<br />

nun die NATO Restjugoslawien. Die Diskussion offenbarte, dass<br />

ein nationaler Kriegskonsens nur über humanitäre Ziele zu erreichen<br />

war. »Völkermord«, »Deportationen«, »Konzentrationslager«,<br />

»Hufeisenplan« oder alte nationale Vorurteile wurden<br />

genauso aktiviert wie eine »humanitäre Rechtfertigungsebene«<br />

oder eine »humanitäre Intervention«, die sich angeblich aus<br />

dem Völkerrecht ableiten ließen. Öffentliche und politische<br />

Debaen bestätigten, dass die Vergangenheitsbewältigung der<br />

Deutschen noch lange nicht abgeschlossen war. Die politischen<br />

Entscheidungsträger hegten begründete Zweifel, ob es gelänge,<br />

die deutsche Bevölkerung auf ihrem neuen außenpolitischen<br />

Weg mitzunehmen. Gleichwohl war die außen- und besonders<br />

die bündnispolitische Konstellation seit 1993 bereits eindeutig<br />

auf Teilhabe an der globalen Verantwortung wie an den entsprechenden<br />

Lasten ausgerichtet: Dem noch Anfang der 1990er-Jahre<br />

251


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

Genozid – Völkermord<br />

Die Bezeichnung Genozid, gebildet aus Griechisch génos (Herkun,<br />

Abstammung, Volk) und Lateinisch caedere (hinmetzeln, morden),<br />

wurde erstmals 1943 vom polnischen Anwalt Raphael Lemkin für<br />

einen Gesetzesentwurf zur Bestrafung von nationalsozialistischen<br />

Verbrechen an den europäischen Juden verwendet. Lemkin bezog sich<br />

dabei auch auf den Völkermord an den Armeniern im Osmanischen<br />

Reich während des Ersten Weltkriegs. Heute ist Völkermord ein im<br />

Völkerstrafrecht sowie in nationalen Rechtsordnungen verankerter<br />

Tatbestand. Eine am 12. Januar 1951 in Kra getretene Konvention der<br />

UNO (beschlossen am 9. Dezember 1948) behandelt die Verhütung<br />

und Bestrafung des Völkermordes. Sie beschreibt als Genozid solche<br />

Handlungen, die nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppen<br />

ganz oder teilweise zerstören sollen. Dazu zählen die direkte Gewaltanwendung,<br />

aber ausdrücklich auch die Auferlegung existenzbedrohlicher<br />

Lebensbedingungen, die Verhinderung von Geburten oder<br />

die Verschleppung von Kindern. Um den Tatbestand des Völkermords<br />

zu erfüllen, ist bereits die nachgewiesene Absicht ausreichend. (bc)<br />

international geäußerten Verdacht des Mangels an Bündnistreue<br />

wollte sich das vereinigte Deutschland nicht mehr aussetzen,<br />

auch wenn nicht wenige Bürger des Landes die Militäreinsätze<br />

kritisch sahen oder ganz ablehnten.<br />

Überlegungen über die neue Rolle der Bundesrepublik<br />

waren Teil einer breiteren, international wie national geführten<br />

Auseinandersetzung. Mit der Bundeswehr sollte und wollte man<br />

weltweit Verantwortung übernehmen. Der ehemalige Berater<br />

von US-Vizepräsident Richard Cheney, Robert Kagan, charakterisierte<br />

jedoch mangelnde europäische militärische Fähigkeiten<br />

und damit auch den deutschen Beitrag provokant: »Americans<br />

are from Mars and Europeans are from Venus.« Ähnlich kommentierte<br />

der renommierte Politologe John Petersen in der Überschri<br />

eines Aufsatzes die Schwäche Europas: »America fights<br />

the wars, Europe does the dishes?«<br />

Was die Deutschen und die Bundeswehr angeht, so mögen<br />

diese Bewertungen zum Teil aus amerikanischer Perspektive<br />

durchaus zutreffen. Jedoch muss eine Armee im Hinblick auf<br />

252


Die Bundeswehr auf dem Weg zur »Armee im Einsatz«<br />

ihren Aurag gemessen werden, und dieser wird in der Bundesrepublik<br />

Deutschland von der Bundesregierung vorgegeben<br />

und vom Deutschen Bundestag bestätigt. Die Soldaten der Bundeswehr<br />

konnten zweifellos schon während des Bürgerkrieges<br />

im ehemaligen Jugoslawien kämpfen. Denn sie wurden ausgebildet,<br />

um kämpfen zu können. Freilich duren und sollten<br />

sie es nicht, um vor allem die eigenen Verluste zu minimieren<br />

und die Bürger behutsam an die Wirklichkeit heranzuführen. In<br />

der Bundesrepublik Deutschland war es notwendig, über den<br />

Umweg des »Helfers in Uniform« auch wieder den »Kämpfer«<br />

zu etablieren. Schließlich können aber selbst auf dem militärischen<br />

Sektor die USA nicht ohne die Europäer und die Europäer<br />

schon gar nicht ohne die USA erfolgreich intervenieren. Beide<br />

bilden sowohl im Kampf als auch in der Durchhaltefähigkeit<br />

eine Art von Symbiose.<br />

Anfangs wurde IFOR auf zwölf Monate ausgelegt, SFOR<br />

dann auf 18 Monate und immer wieder verlängert, um schließlich<br />

im Jahr 2004 mit der Operation A der EU die Verantwortung<br />

für Bosnien-Herzegowina zu übertragen. Nunmehr engagiert<br />

sich Deutschland dort seit fast 15 Jahren militärisch, und<br />

ein Ende ist immer noch nicht in Sicht. Gleiches gilt für das Kosovo<br />

und für Afghanistan. Dort, wo nachhaltig interveniert, implementiert,<br />

stabilisiert und aufgebaut werden soll, kann eine »Exit<br />

Strategy« nur auf Jahre angelegt sein. (Für den überschaubaren<br />

Ein deutscher Kampfpanzer<br />

LEOPARD pas- Licovski<br />

siert am 12. Juni 1999<br />

im kosovarischen<br />

Han i Elezit (serb.:<br />

Djeneral Janković)<br />

die mazedonisch-jugoslawische<br />

Grenze. picture-alliance/dpa/epa<br />

253


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

Einsatz im Kongo 2006 galten andere Prämissen: Von einer nachhaltigen<br />

Stabilisierung, die nicht beabsichtigt worden war, konnte<br />

dort auch keine Rede sein. Vgl. den Beitrag von Magnus Pahl.)<br />

Militärisch-strategische Fähigkeiten allein garantieren beileibe<br />

keine Durchhaltefähigkeit, wenn sie nicht von einer Mehrheit<br />

der Gesellscha getragen werden. Auch operative und taktische<br />

Maßnahmen stoßen schnell an ihre Grenzen, wenn sie nicht in<br />

ein gesamtstrategisches Konzept eingebeet sind. Dies wiederum<br />

umfasst vor allem eine gleichermaßen zivile wie militärische<br />

»Exit Strategy« und damit eine politische Gesamtaufgabe.<br />

Immer wieder stellen die Medien die Frage, ob denn der Aufwand<br />

des militärischen Einsatzes dessen Nutzen lohne. Meist<br />

wird mit Blick auf militärische Operationen vorschnell resümiert,<br />

dass gemessen an den Kosten wenig Sichtbares herausgekommen<br />

sei. Ein auf den ersten Blick unschlagbares Argument, das<br />

aber schon in der Grundannahme hinkt. Moderne multinationale<br />

militärische Operationen haben niemals den Aurag, den strukturellen<br />

und infrastrukturellen Wiederauau des Einsatzlandes<br />

zu gewährleisten. Vorgesehen sind lediglich – ohne daraus jedoch<br />

einen einklagbaren Automatismus ableiten zu können – begleitende<br />

und unterstützende Maßnahmen für zivile staatliche und<br />

nichtstaatliche Organisationen. Im Fall der zivilen Auauleistungen<br />

wäre die Kosten-Nutzen-Rechnung viel eher anzustellen.<br />

Bei IFOR beispielsweise war die Aufgabe der in das ehemalige<br />

Jugoslawien entsandten Truppenteile, die Kräe der multi-<br />

Gespaltene Gesellschaft: Friedensaktivisten demonstrieren am 22. März 2008<br />

beim traditionellen Ostermarsch in München.<br />

254<br />

picture-alliance/dpa/Matthias Schrader


Die Bundeswehr auf dem Weg zur »Armee im Einsatz«<br />

nationalen Friedenstruppe zu unterstützen. Die Beteiligung von<br />

IFOR-Truppenverbänden am Wiederauau war weder national<br />

noch im NATO-Rahmen vorgesehen, mehr noch dure die Friedenstruppe<br />

nicht mit Aufgaben überlastet werden, die den zivilen<br />

Kräen zugerechnet wurden. Dies galt im Übrigen auch für<br />

»humanitäres Minenräumen«, das allein in der Verantwortung ziviler<br />

Organisationen und Unternehmen lag: Das deutsche IFOR-<br />

Kontingent beseitigte Minen hauptsächlich zum Eigenschutz.<br />

Der militärische Aurag der IFOR oder SFOR lautete, weitgehend<br />

stabile Rahmenbedingungen für die Arbeit der zivilen<br />

Organisationen herzustellen. Sicherheitsproduktion und Rüstungskontrolle<br />

konnten jedoch nicht so einfach medienwirksam<br />

präsentiert werden wie beispielsweise der Bau einer neuen<br />

Schule oder ein frisch gebohrter Brunnen. Moderne militärische<br />

Operationen der Bundeswehr waren hingegen nicht human,<br />

sie waren selten sichtbar produktiv und vor allem nicht billig<br />

– weder finanziell noch an menschlichen Verlusten. Wer Militär<br />

einsetzt, um außenpolitisch Macht zu projizieren, der nimmt<br />

nun einmal auch Verluste in Kauf.<br />

Zusammenfassung<br />

Das Koordinatensystem in der Bundesrepublik Deutschland,<br />

in der NATO und in der Bundeswehr veränderte sich in den<br />

1990er-Jahren grundlegend: von der postheroischen Gesellscha<br />

der alten Bonner zur neoheroischen der neuen Berliner Republik,<br />

von einem Beistandsbündnis im Kalten Krieg zu einer Interventionsallianz,<br />

von Ausbildungs- und Defensivstreitkräen<br />

zu einer internationalen Eingreif- und Stabilisierungstruppe. Die<br />

Bundeswehr schae den Sprung von der »kollektiven Verteidigung«<br />

zur »kollektiven Sicherheit«. Ihr blieb im gewandelten internationalem<br />

Umfeld auch nichts anders übrig, da nur die Wahl<br />

zwischen »Out of area« oder »Out of business« bestand.<br />

Wenn auch die Thesen Kagans einer gewissen Logik folgen,<br />

so fehlt ihnen doch eine Auseinandersetzung mit der veränderten<br />

Rolle moderner Streitkräe. Natürlich müssen Soldaten kämpfen<br />

können, aber dies ist nur eine Seite der Medaille. Es stellt sich<br />

vielmehr die Frage, was nach dem unmielbaren Kampf kommt.<br />

255


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

Den kleinen oder asymmetrischen Krieg gibt es nicht erst seit<br />

Kurzem. Auf den Kaiser der Franzosen Napoléon Bonaparte,<br />

dessen »Grande Armée« in Spanien in einem Guerillakrieg hohe<br />

Verluste erlien hae, geht der Spruch zurück: »Krieg ist leichter<br />

angefangen als beendet.« Moderne Streitkräe müssen im Rahmen<br />

von multinationalen Militäreinsätzen genauso wie internationale<br />

Organisationen zur Prävention (Konfliktverhütung),<br />

Intervention (Konfliktbewältigung) und Postvention (Konfliktnachsorge:<br />

Stabilisierung, Wiederauau) fähig sein. So gesehen<br />

bringen die US-Streitkräe und ihre europäischen Bündnispartner,<br />

hier vor allem die Bundeswehr, gleichsam symbiotische Fähigkeiten<br />

ein. Alle Seiten müssen aber in der Lage sein, die Rolle<br />

des anderen zumindest in Teilen übernehmen zu können.<br />

Im Ergebnis bleiben die Teilhabe an politischen Entscheidungen<br />

sowie eine gerechte und den jeweiligen Fähigkeiten<br />

entsprechende Lastenteilung der zentrale Bündniszweck. In das<br />

Zentrum rücken jedoch zunehmend wieder die militärischen<br />

Fähigkeiten von Streitkräen, was eine große deutsche Tageszeitung<br />

für den deutschen Fall wie folgt sarkastisch umschreibt:<br />

»Jahrzehntelang sollte die Bundeswehr kämpfen können, um<br />

niemals kämpfen zu müssen. In Zukun droht der Armee das<br />

Gegenteil: Kämpfen zu müssen, ohne es zu können.«<br />

Für die Bundeswehr begann in den 1990er-Jahren die »Stunde<br />

der Wahrheit« zu schlagen; sie brachte auch vitale Veränderungen<br />

mit sich. Die Wandlung der außen- und innenpolitischen<br />

Prämissen erforderte eine neue Ausrichtung der Streitkräe.<br />

Vier wesentliche Voraussetzungen dieser Dekade gilt es daher<br />

festzuhalten. Erstens war die Bundeswehr zu Beginn der 1990er-<br />

Jahre eine reine Verteidigungsstreitkra innerhalb des NATO-<br />

Bündnisses, die aufgrund des bis dahin gültigen Aufgabenspektrums<br />

über sehr eingeschränkte strategische Fähigkeiten<br />

verfügte. Damit waren auch die operativen Möglichkeiten und<br />

die Durchhaltefähigkeit außerhalb der Landesgrenzen mehr als<br />

begrenzt. Erst mit der Anpassung der deutschen Außenpolitik<br />

an die neue Rolle im internationalen Machtgefüge mussten sich<br />

zweitens auch das Auragsspektrum und das Fähigkeitsprofil<br />

der Bundeswehr wandeln. Die Verbrechen des nationalsozialistischen<br />

Regimes fungierten bei der außenpolitischen Standortbestimmung<br />

als Paradigma. Zwischen 1990 und 2000 entwickelte<br />

256


Die Bundeswehr auf dem Weg zur »Armee im Einsatz«<br />

sich die Bundeswehr driens von Krisenpräventions- über Krisenpostventionsstreitkräen<br />

zu einer Interventionsarmee. Solch<br />

eine fundamentale Umstellung von einer Abschreckungsarmee<br />

in der Lethargie des ausgehenden Kalten Krieges zu Streitkräften<br />

im Auslandseinsatz war in diesem kurzen Zeitraum nur<br />

durch den grausamen Bürgerkrieg auf dem Balkan möglich. Der<br />

Wandel der Bundeswehr erreichte schließlich viertens durch die<br />

gesellschalichen Vorbehalte und die Vorsicht der politischen<br />

Entscheidungsträger bis zum Jahr 1999 das Stadium einer Armee<br />

des »doing the dishes and not yet ready for cooking the dinner«.<br />

Spätestens seit dem Afghanistaneinsatz wurde diese Stufe überschrien.<br />

Rudolf J. Schlaffer<br />

257


Das Hamburger Magazin »Der Spiegel« zeigte im März 1980 auf seinem<br />

Titel vier NVA-Soldaten in Großaufnahme und wählte, grafisch wie ein<br />

Ärmelband der Wehrmacht gestaltet, die Schlagzeile »Honeckers Afrika-Korps«.<br />

In seiner Titelgeschichte berichtete »Der Spiegel« über die<br />

militärischen Aktivitäten der DDR-Streitkräfte auf dem Schwarzen Kontinent.<br />

Tatsächlich gibt es entgegen solcher zeitgenössischer Pressemeldungen<br />

westlicher Medien keine Hinweise auf Einsätze von Kampfeinheiten<br />

oder -verbänden der Nationalen Volksarmee (NVA) im Ausland. Im Wettstreit<br />

der sozialistischen und kapitalistischen Systeme agierte die DDR-<br />

Führung vorsichtig: Eine direkte Beteiligung von Soldaten der Volksarmee<br />

oder ganzer Einheiten an militärischen Auseinandersetzungen hätte<br />

vermutlich weitreichende politische Folgen gehabt. Dieses Wagnis wollten<br />

die DDR und ihre Streitkräfte – von den nachfolgend dargelegten<br />

Ausnahmen abgesehen – nicht eingehen. Gemessen an Umfang und<br />

Auftrag ihrer Personalabstellungen war die NVA keine »Armee im Einsatz«.<br />

Dennoch finden sich bis heute weltweit Spuren früheren militärischen<br />

Engagements der DDR vor allem in den Staaten der sogenannten<br />

Dritten Welt.<br />

SPIEGEL 10/1980


Historisches Erbe: Die Nationale<br />

Volksarmee der DDR und<br />

die »Drie Welt«<br />

Neben dem »Spiegel« widmete auch das amerikanische Magazin<br />

»Time« den militärischen Aktivitäten der Deutschen Demokratischen<br />

Republik im Jahre 1980 einen eigenen Bericht. Die New<br />

Yorker Redaktion wählte dafür den prägnanten Titel »Hier kommen<br />

Europas Kubaner«. Der »Time«-Artikel und die »Spiegel«-<br />

Titelgeschichte sind nur zwei von zahlreichen Pressemeldungen<br />

in den 1970er- und frühen 1980er-Jahren über DDR-Militärhilfen.<br />

Im Dezember 1978 druckte beispielsweise der Berliner »Tagesspiegel«<br />

unter Berufung auf den bayerischen Ministerpräsidenten<br />

und CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß die Meldung,<br />

allein in Angola befänden sich 5000 »Soldaten der DDR-Armee«,<br />

vor allem »Elitetruppen wie etwa Fallschirmjäger«. 2000 von<br />

ihnen seien »gegenwärtig bei einer Offensive im Einsatz«. Die<br />

»Welt« hae im Februar 1980 die Gesamtzahl der DDR-Militärexperten<br />

in Afrika mit rund 30 000 angegeben. Und schon der<br />

bekannte Spielfilm »Die Wildgänse kommen« aus dem Jahr 1977<br />

mit Roger Moore, Richard Burton und Hardy Krüger zeigte eine<br />

in einem afrikanischen Land spielende Szene, in der bei einem<br />

Söldnerangriff ein Soldat der NVA auf einem Wachturm getötet<br />

wird – unschwer zu erkennen an seiner Uniformmütze. In dem<br />

gestürmten Camp treffen die Kämpfer neben Afrikanern und<br />

Kubanern auch auf zwei DDR-Offiziere. Waren die Streitkräe<br />

der DDR tatsächlich im weltweiten Einsatz?<br />

DDR und NVA als gesuchte Partner<br />

Mehrfach erbaten afrikanische und arabische Staaten in Ostberlin<br />

den Einsatz von NVA-Personal – gewünscht wurden vor allem<br />

Militärberater, Ausbilder und Kampfpiloten. Sambias Präsident<br />

Kenneth Kaunda und sein Verteidigungsminister Gray Zulu<br />

baten beispielsweise 1979 und 1980 wiederholt um militärische<br />

Hilfe der DDR für ihr Land. NVA-Piloten sollten mit ihren Maschinen<br />

den sambischen Luraum schützen. Der DDR-Vertei-<br />

259


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

digungsminister, Armeegeneral Heinz Hoffmann, lehnte sofort<br />

ab: Er habe den Einsatz von Piloten und Flugzeugen als »nicht<br />

realisierbar« zurückgewiesen, meldete der Minister im Juni 1979<br />

an Erich Honecker.<br />

Ebenfalls 1979 äußerte der Vorsitzende der simbabwischen<br />

Befreiungsbewegung »Zimbabwe African Peoples Union«<br />

(ZAPU), Joshua Nkomo, bei seinem Besuch in der DDR den<br />

Wunsch nach dem Einsatz von NVA-Offizieren in den ZAPU-<br />

Camps Sambias. Dort bildete die ZAPU, unterstützt durch die<br />

UdSSR, China und Nordkorea, Guerilleros für den Kampf in<br />

Simbabwe (dem ehemaligen Rhodesien) aus. In seinem Bericht<br />

an Honecker verwarf Hoffmann in diesem Fall die Entsendung<br />

von Militär ebenfalls als »politisch nicht vertretbar«.<br />

Auch über die Einzelfälle Sambia und Simbabwe hinaus stand<br />

die Regierung der DDR Bien und Anfragen nach militärischem<br />

Personal durch Dristaaten skeptisch gegenüber. Der Schriverkehr<br />

zwischen Verteidigungsministerium und SED-Spitze belegt<br />

diese zurückhaltende Position. Die Staats- und Parteiführung<br />

sah ebenso wie ihre Spitzenmilitärs die – sicherlich nicht unbegründete<br />

– Gefahr, mit ihren Soldaten in regionale Konflikte und<br />

Der Präsident der Republik Sambia, Kenneth David Kaunda, schreitet bei seinem<br />

Staatsbesuch in der DDR mit Erich Honecker am 24. August 1980 die Ehrenformation<br />

ab.<br />

260<br />

ullstein bild - Bildarchiv


Die Nationale Volksarmee der DDR und die »Dritte Welt«<br />

Kriege hineingezogen zu werden. Eine unmielbare Beteiligung<br />

der NVA an Kampandlungen häe vermutlich weitreichende<br />

Folgen gehabt, politische wie militärische. Derlei Auslandseinsätze<br />

stellten somit ein unkalkulierbares Risiko dar, ein derartiges<br />

Wagnis waren die DDR und die Führung ihrer Streitkräe<br />

nicht bereit einzugehen.<br />

Dennoch agierte die DDR in diesem Punkt widersprüchlich.<br />

Wenn auch nicht mit Kampfpiloten, stärkeren Einheiten oder gar<br />

Verbänden, zeigte die NVA durchaus militärische Präsenz im<br />

Ausland: Bis 1970 waren nach einer vertraulichen Meldung des<br />

DDR-Verteidigungsministers an Walter Ulbricht beispielsweise<br />

15 Offiziere und Unteroffiziere der Volksmarine zum Auau<br />

einer Küstenverteidigung nach Sansibar entsandt worden. Einzelne<br />

– zumeist auf wenige Wochen begrenzte – Personalabstellungen<br />

von Beratern und »Spezialisten« erfolgten nach Angola<br />

und in den Irak. Größeren Umfang nahmen die Einsätze von Offizieren<br />

und Transportfliegern in Mosambik und Äthiopien an.<br />

Berater und Transportflieger in Mosambik<br />

Zu den wichtigsten Empfängern militärischer Hilfe der DDR<br />

zählte Mosambik – zunächst in Form von Material, später auch<br />

durch Ausbildungsunterstützung. In dem Land im Süden Afrikas<br />

tobten über drei Jahrzehnte hinweg Kriege und Bürgerkriege.<br />

Der junge mosambikanische Staat musste sich nach seiner<br />

1975 erlangten Unabhängigkeit in einem langjährigen und blutigen<br />

Krieg der Angriffe einer bewaffneten Opposition erwehren.<br />

Dabei strahlte der Ost-West-Konflikt ideologisch bis ins südliche<br />

Afrika aus: Die Regierung Mosambiks positionierte sich<br />

an der Seite der sozialistisch regierten Staaten. Südafrika und<br />

– zumindest indirekt – die Vereinigten Staaten unterstützten die<br />

bewaffneten Rebellen. Im Dezember 1984 töteten oppositionelle<br />

Guerillakämpfer neben anderen Ausländern auch acht zivile<br />

Entwicklungshelfer aus der DDR. Die ostdeutschen Landwirtschasexperten<br />

waren auf dem Weg zur Arbeit auf einer Staatsfarm<br />

überfallen worden.<br />

Als Reaktion darauf entsandte die NVA im Jahr 1985 mehrere<br />

Gruppen zum Teil hochrangiger Offiziere – darunter zwei Ge-<br />

261


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

Mosambik war einer der wichtigsten Partner der DDR in Afrika. Im Bild Erich<br />

Honecker und Präsident Samora Machel bei ihrem Treffen in Berlin 1983.<br />

nerale – nach Mosambik, um den Generalstab sowie Kommandostäbe<br />

und Einheiten vor Ort zu beraten. Aufgabe der bis zu<br />

einem halben Jahr im Land eingesetzten Offiziere war vor allem<br />

die Verbesserung des Schutzes von mehr als 700 DDR-Entwicklungshelfern.<br />

Daneben sollte die militärische Leistungsfähigkeit<br />

der mosambikanischen Streitkräe gesteigert werden. Ab Ende<br />

1985 hielten sich ständig drei – dem Militäraaché zugeordnete<br />

– NVA-Offiziere als Berater in Mosambik auf. In diesem Zusammenhang<br />

stand der Einsatz eines Transportflugzeuges der DDR-<br />

Lustreitkräe von 1986 bis 1990: Die in der Hauptstadt Maputo<br />

stationierte Maschine versorgte die eingesetzten Entwicklungshelfer<br />

und sollte bei Verschärfung der Sicherheitslage deren Evakuierung<br />

sicherstellen.<br />

Über den Einsatz von NVA-Offizieren in Mosambik hinaus<br />

trat die Regierung des Landes 1985 und 1986 mehrfach mit<br />

dem Wunsch nach Militärausbildern an die DDR heran. Im Juni<br />

1986 ließ Armeegeneral Heinz Kessler, Hoffmanns Nachfolger<br />

262<br />

ullstein bild - Bildarchiv


Die Nationale Volksarmee der DDR und die »Dritte Welt«<br />

als Verteidigungsminister, SED-Generalsekretär Honecker und<br />

Egon Krenz wissen, dass auch er ein derartiges Engagement ablehne:<br />

Die Tätigkeit von »Instrukteuren« bei der Schulung von<br />

Soldaten im Ausland bewertete er aus politischen Gründen als<br />

»nicht zweckmäßig«. Zuvor hae bereits im Januar 1986 Krenz<br />

die Entsendung von NVA-Beratern nach Mosambik verworfen.<br />

Neben Bedenken hinsichtlich der Gefahr, in die dortigen Kämpfe<br />

und Kriege verwickelt zu werden, nahm Ostberlin Rücksicht auf<br />

das internationale Ansehen der DDR, weil es mögliche negative<br />

westliche Pressemeldungen und politische Reaktionen befürchtete.<br />

Über die Stationierung der Transportflieger und die Beratertätigkeit<br />

hinaus sind keine Einsätze der NVA in Mosambik<br />

bekannt.<br />

Lutransport- und Sicherungspersonal<br />

im Einsatz in Äthiopien<br />

Transportflugzeuge der NVA kamen aber auch in Äthiopien zum<br />

Einsatz. Zwischen 1984 und 1988 wurden zunächst vier, später<br />

nur noch eine Maschine am Horn von Afrika stationiert. Zur Linderung<br />

der Folgen einer schweren Dürrekatastrophe hae die<br />

Regierung in Addis Abeba im Oktober 1984 Hilfeersuchen an<br />

zahlreiche Länder gerichtet. Beginnend im November des Jahres<br />

beteiligte sich die DDR mit zunächst je zwei Maschinen der<br />

NVA-Transportfliegerkräe sowie der zivilen Fluggesellscha<br />

Interflug an einer internationalen Lubrücke zur Bekämpfung<br />

der Hungersnot in Äthiopien. Zur Einsatzstaffel gehörten zunächst<br />

41 Mann, davon 22 Offiziere und Unteroffiziere der NVA,<br />

sowie 19 Beschäigte der Interflug. Geheimhaltung in dieser<br />

Sache genoss hohe Priorität; die Herkun der Flugzeuge und<br />

Besatzungen sollte verschleiert werden. Ein Befehl des Kommandeurs<br />

der DDR-Lustreitkräe/Luverteidigung legte dazu<br />

kurz und knapp fest, die Maschinen seien in der »Variante Zivile<br />

Lufahrt« auf ihren Einsatz vorzubereiten, die Kennungsgeräte<br />

auszubauen und die Luwaffensoldaten mit zivilen Dienstpässen<br />

auszustaen. Zwei leichte Militärtransporter des Typs<br />

A AN-26 erhielten über Nacht die Lackierung der zivi-<br />

263


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

Ungewöhnlicher Schnappschuss: Eine NVA-Transportmaschine vom Typ ANTONOV<br />

AN-26 und eine TRANSALL der Luftwaffe 1985 im Einsatz in Äthiopien.<br />

len DDR-Fluggesellscha Interflug. Selbst auf dem Essgeschirr<br />

und der technischen Ausrüstung wurden die NVA-Kennzeichen<br />

übermalt. Das Personal führte keine Uniformen mit. Nichts durfte<br />

auf eine Zugehörigkeit zu den DDR-Streitkräen schließen<br />

lassen.<br />

Fast zeitgleich mit den DDR-Flugzeugen starteten auch drei<br />

C-160 T der Luwaffe der Bundeswehr nach Äthiopien.<br />

Sie wurden in Dire Dawa stationiert und beflogen die gleichen<br />

Gebiete wie die NVA-Staffel. Der gleichzeitige Einsatz von<br />

Transportfliegern aus beiden deutschen Staaten war wiederholt<br />

ein wichtiger Punkt in den Wochenmeldungen der NVA-Staffel<br />

sowie Anlass zu Fernschreiben und Meldungen des DDR-Botschaers<br />

und des Militäraachés aus Addis Abeba nach Ostberlin.<br />

Im Gegensatz zu ihren ostdeutschen Kameraden traten die<br />

Transportflieger der Bundeswehr in Äthiopien offen als solche<br />

auf.<br />

Von ihrer Basis in Assab führten die A in den ersten<br />

Wochen Hilfsflüge vor allem nach Asmara, Axum und Makele<br />

(Mekele) durch. Später starteten sie zumeist in Richtung Addis<br />

Abeba, Dire Dawa, Gode und Kebre Dehar. Erschwert wurde<br />

der Einsatz durch Kriege und Bürgerkriege, die in mehreren<br />

Regionen Äthiopiens tobten: Mengistu Haile Mariam hae 1974<br />

zusammen mit anderen Offizieren Kaiser Haile Selassie gestürzt<br />

und stand seit 1977 als Staatsoberhaupt einem kommunistischen<br />

264<br />

Dietmar Plath/Aero International


Die Nationale Volksarmee der DDR und die »Dritte Welt«<br />

Regime vor, das seine Gegner mit kompromissloser Brutalität<br />

verfolgte. Die Basis Assab und einige der Zielorte der A-<br />

lagen sogar im besonders hart umkämpen Krisen- und<br />

Kriegsgebiet Eritrea. Die Maschinen transportierten Lebensmittel<br />

sowie Medikamente, Bekleidung, Wolldecken, Rohre, Kochgeschirr,<br />

Kfz-Reifen, Werkzeuge, Macheten und Zelte. Sie kamen<br />

jedoch auch im Rahmen umstriener Umsiedlungsprogramme<br />

von Bauern zum Einsatz, mit denen die äthiopische Regierung<br />

die Landwirtscha umzugestalten suchte. Die strikte Geheimhaltung<br />

hae allerdings im Verlauf der Operation allmählich<br />

dem Bedürfnis zu weichen, die Hilfsaktionen vermehrt für die<br />

Presse- und Propagandaarbeit zu nutzen. Die Transportflüge der<br />

NVA endeten zunächst im Oktober 1985.<br />

Auf Bien der politischen Führung in Addis Abeba und nach<br />

persönlicher Entscheidung Erich Honeckers nahmen NVA-Transportmaschinen<br />

Anfang April 1986 ihre Tätigkeit in Äthiopien<br />

wieder auf. Im Unterschied zu ihrer ersten Mission waren zwei<br />

Maschinen des Typs AN-26 jedoch diesmal als »Einsatzstaffel der<br />

NVA der DDR« kenntlich. Das beteiligte Personal trat befehlsgemäß<br />

offen als Angehörige der DDR-Lustreitkräe/Luverteidigung<br />

auf. Sta den Flugzeugen zivile Tarnung zu verpassen,<br />

zeigte man nunmehr – stationiert auf einem Lustützpunkt in<br />

der Hauptstadt Addis Abeba – militärische Präsenz.<br />

Die drie Äthopien-Mission eines A-Transporters<br />

setzte im Juni 1987 ein. Von Addis Abeba aus haen vier Mann<br />

Besatzung und zwei Mann Bodenpersonal mit dieser Maschine<br />

die Betreuung und Versorgung von DDR-Entwicklungshelfern<br />

und Ärzteteams im Landesinneren sicherzustellen. Zudem wurden<br />

1987/88 NVA-Offiziere in geringer Zahl als Sicherungsgruppe<br />

für eine von der DDR betriebene Krankenstation in Metema<br />

eingesetzt.<br />

Ausbildung in der DDR sta Einsätze vor Ort<br />

Entgegen den eingangs als Beispiele aufgeführten westlichen<br />

Pressemeldungen fehlen – sieht man von den genannten Fällen<br />

sowie vereinzelten Beratungs- und Ausbildungsmissionen ab<br />

– Hinweise auf weitere Operationen von NVA-Kampfeinheiten<br />

265


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

oder -verbänden in der Drien Welt. Gemessen an Umfang und<br />

Aurag der Personalabstellungen war die NVA in der Tat keine<br />

»Armee im Einsatz«.<br />

Sta, wie von den Regierungen in Brazzaville, Maputo, Lusaka<br />

und Tripolis gewünscht, Soldaten der Drien Welt an Ort und<br />

Stelle auf den Einsatz vorzubereiten, bot die NVA dagegen Ausbildungsleistungen<br />

in der DDR an. Die Partner nahmen solche<br />

Offerten dankend an. Beginnend ab Mie der 1970er-Jahre wurden<br />

afrikanische, arabische, südostasiatische und lateinamerikanische<br />

Militärs in den DDR-Streitkräen geschult. Das größte<br />

Kontingent stellte die damalige Volksrepublik Kongo, gefolgt<br />

von Vietnam, Syrien und Nicaragua. Auch Äthiopien, Libyen,<br />

Mosambik, Sambia und Simbabwe schickten – wenn auch in<br />

geringerem Umfang – angehende Offiziere in die DDR. In der<br />

großen Mehrzahl wurden Offizieranwärter ausgebildet, daneben<br />

auch Unteroffizierschüler mit technischem Profil, vereinzelt<br />

auch Offiziere bis zum Dienstgrad Major und Spezialisten wie<br />

Kampfschwimmer. Hinter der Betreuung ausländischer Militärs<br />

stand nicht zuletzt die politische Absicht, Multiplikatoren zu gewinnen,<br />

die nach Rückkehr in ihre Heimatländer Erfahrungen<br />

und erworbenes Wissen – auch um die Vorzüge und Leistungsfähigkeit<br />

des sozialistischen Systems in der DDR – weitergeben<br />

sollten.<br />

266<br />

»Erbe« der NVA nach 1990?<br />

Die engen Verbindungen des Militärs in der DDR zu bestimmten<br />

afrikanischen, arabischen, südostasiatischen und lateinamerikanischen<br />

Armeen pflegte die Bundeswehr nach 1990 nicht weiter.<br />

Schon wegen der grundlegend veränderten Weltlage nach Ende<br />

des Ost-West-Konflikts fehlte der hierfür notwendige politische<br />

Wille. Erst im Zuge der nach dem 11. September 2001 deutlich<br />

gestiegenen Aufmerksamkeit gegenüber Afrika wurden die Beziehungen<br />

zu dortigen Streitkräen wiederbelebt oder intensiviert.<br />

Im Juli 2009 empfing beispielsweise Verteidigungsminister<br />

Franz Josef Jung seinen angolanischen Amtskollegen in Berlin<br />

und unterstrich damit die sicherheitspolitische Perspektive bilateraler<br />

Beziehungen.


Die Nationale Volksarmee der DDR und die »Dritte Welt«<br />

Im Zuge ihrer weitweiten militärischen Verpflichtungen<br />

könnte die Bundeswehr mancherorts durchaus an ein »Erbe«<br />

der NVA anknüpfen. Die vor 1990 in der DDR ausgebildeten<br />

Offiziere sind in ihren Heimatländern zwischenzeitlich vielfach<br />

in gehobene oder höhere Führungspositionen aufgestiegen. Sie<br />

entwickelten während ihrer bis zu fünf Jahre dauernden Aufenthalte<br />

omals eine bis heute währende Affinität zu Deutschland,<br />

zu deutscher Kultur und nicht zuletzt zum deutschen Militär.<br />

Dies und die damalige fundierte Sprachausbildung schaffen<br />

Gemeinsamkeiten bis in die Gegenwart. Möglicherweise treffen<br />

Bundeswehrangehörige bei aktuellen oder künigen Begegnungen<br />

im Einsatz auf afrikanische oder arabische Offiziere, die Ausbildungsgänge<br />

in der NVA durchlaufen haben. Ganz konkret<br />

profitierte bereits das deutsche ISAF-Kontingent in Afghanistan<br />

vom »Erbe« der DDR: Mehrere seinerzeit in den ostdeutschen<br />

Streitkräen ausgebildete afghanische Offiziere waren dort als<br />

Sprachmiler eingesetzt.<br />

Klaus Storkmann<br />

267


Die Bundeswehr sieht in der Interkulturellen Kompetenz (IK) eine der<br />

Schlüsselqualifikationen für die Streitkräfte des 21. Jahrhunderts. Ein der<br />

jeweiligen Kultur angemessener Umgang mit der Bevölkerung der Einsatzgebiete<br />

wirkt stabilisierend und verbessert den Schutz der stationierten<br />

Soldaten. Interkulturelle Störungen und Probleme führen demgegenüber<br />

dazu – dies belegen zahlreiche Beispiele der Vergangenheit und<br />

Gegenwart –, dass die Durchführung des Auftrags und Menschenleben<br />

gefährdet sind.<br />

Projekte scheitern beispielsweise aufgrund mangelnder Vertrautheit<br />

mit komplexen soziokulturellen Gegebenheiten wie auch an der Unkenntnis<br />

örtlicher Kommunikationsformen. Misstrauen und Ablehnung<br />

gegenüber als »Besatzern« empfundenen Soldaten können dabei fatale<br />

Folgen haben. Es kann geschehen, dass Handlungen von Individuen<br />

strategische Relevanz erlangen und den Gesamterfolg oder -misserfolg<br />

eines Einsatzes mitbestimmen. Ereignisse auf der Mikroebene (z.B. die<br />

»Totenkopffotos« deutscher Soldaten in Afghanistan) vermögen einen<br />

direkten Einfluss auf die Makroebene auszuüben.<br />

picture-alliance/ZB/Peter Endig


Interkulturelle Kompetenz<br />

im Auslandseinsatz<br />

Im Kontakt mit der – häufig verschiedene Kulturen und Ethnien<br />

umfassenden – Bevölkerung der Einsatzregionen sollten<br />

Soldaten, um kompetent handeln zu können, Eigenschaen wie<br />

(Ambiguitäts-)Toleranz, Einfühlungsvermögen, Rollendistanz,<br />

Kommunikationsfähigkeit und die Fähigkeit zum Mitgefühl,<br />

Kontaktfreudigkeit, Verhaltensflexibilität, Unvorgenommenheit,<br />

Respekt, Offenheit sowie einen geringen Ethnozentrismus mitbringen<br />

– d.h. die Fähigkeit, über den eigenen kulturellen Tellerrand<br />

hinauszudenken. Sie müssen sich obendrein ihrer eigenen<br />

kulturellen Prägung bewusst sein, um sich fremdkulturellen<br />

Wert- und Deutungsmustern sowie Verhaltensweisen gegenüber<br />

öffnen zu können. Angesichts eines derart komplexen Anforderungsprofils,<br />

das zusätzlich zu militärischen Fähigkeiten erworben<br />

oder mitgebracht werden muss, stellt sich die berechtigte<br />

Frage, ob die Soldaten der Bundeswehr solchen Anforderungen<br />

überhaupt gerecht werden können und müssen.<br />

Für das Konzept der Interkulturellen Kompetenz existiert<br />

eine große Vielfalt an Definitionen. Übereinstimmung besteht<br />

weitestgehend darin, dass IK als eine Subkompetenz sozialer<br />

Kompetenz anzusehen ist. Erstere befähigt einen Menschen,<br />

Fremdes nicht nur aus dem eigenen Blickwinkel bzw. vor dem<br />

eigenen kulturellen Hintergrund zu betrachten, sondern wertneutral<br />

an Begegnungen mit dem Fremden heranzugehen.<br />

Menschen mit unterschiedlichen Orientierungssystemen treffen<br />

aufeinander, die aufgrund der eigenen kulturellen Prägung ihre<br />

Umwelt und Mitwelt unterschiedlich wahrnehmen und deuten.<br />

Probleme in interkulturellen Überschneidungssituationen kommen<br />

dann auf, wenn die kulturelle Orientierung beider Seiten<br />

deutlich voneinander abweicht, und sich beide Seiten ihrer eigenen<br />

kulturellen Prägung nicht bewusst sind. Bei Interkultureller<br />

Kompetenz handelt es sich also nicht nur um einen Zugang zu<br />

fremden Kulturen, sondern auch immer wieder um die bewusste<br />

Auseinandersetzung mit der eigenen kulturellen Prägung.<br />

Nachfolgende IK-Definition lässt sich aus dieser Einsicht ableiten:<br />

Interkulturelle Kompetenz ist die in einem längerfristigen<br />

269


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

Lernprozess erreichte Fähigkeit, im mielbaren oder unmielbaren<br />

Umgang mit Menschen anderer Kulturkreise einen möglichst<br />

hohen Grad an Verstehen und Verständnis zu erreichen.<br />

Sollen Interkulturelle Kompetenzen ausgebildet werden,<br />

muss auf drei Ebenen gearbeitet werden: auf der Ebene der Kognition<br />

(Wissensvermilung, so etwa Bewusstsein der eigenen<br />

Kultur, Kenntnisse der fremden Kultur, Sprachkenntnisse), der<br />

Konation (Verhaltensübungen, z.B. im Bereich Flexibilität, Körpersprache,<br />

Ambiguitätstoleranz) und auf der Ebene des Affekts<br />

(Erhöhung der Motivation, Einfühlungsvermögen, Interesse am<br />

Fremden, geringer Ethnozentrismus). Es liegt auf der Hand, dass<br />

diese komplexen Fähigkeiten nicht in kürzester Zeit entwickelt<br />

werden können, sondern im Verlauf eines längeren Lernprozesses<br />

erworben werden müssen. Dabei gilt es, gleichermaßen<br />

kulturallgemeine als auch kulturspezifische, also auf eine bestimmte<br />

Kultur ausgerichtete Wissensinhalte und Kompetenzen<br />

zu vermieln.<br />

Für die IK-Lehre in der Bundeswehr bedeutet dies, dass sich<br />

die interkulturelle Vorbereitung auf Auslandseinsätze nicht in<br />

der Bereitstellung kulturspezifischen Wissens oder von Handlungsanweisungen<br />

(»dos and don’ts«) erschöpfen darf. Vielmehr<br />

Frauen in Afghanistan, Aufnahme von 2009.<br />

270<br />

Bundeswehr/Dieter Baumann


Interkulturelle Kompetenz<br />

sollten schon von einem frühen Zeitpunkt an die kulturallgemeinen<br />

Fähigkeiten bei Soldaten in einem längerfristigen Ausbildungsprozess<br />

gefördert werden. In der Praxis fragen Männer<br />

und Frauen, die in den Einsatz gehen, freilich eher nach schnell<br />

zu erfassenden Lehrinhalten, wie sie etwa Taschenkarten vermitteln.<br />

Sogenannte Kultur-Taschenkarten sind jedoch umstrien,<br />

da sie den Soldaten eine (falsche) Handlungssicherheit vortäuschen,<br />

die kulturelle Kurzinformationen über ein Land gar nicht<br />

bieten können. Befürworter der Taschenkarten führen andererseits<br />

ins Feld, es sei besser, wenigstens ein gewisses Basiswissen<br />

zu vermieln, auf das die Spezialisten dann auauen können.<br />

Diese Diskussion verweist auf eine grundlegende Frage: Kann<br />

allen Einsatzsoldaten ein breites Verständnis von Kultur im Allgemeinen<br />

und eine differenzierte Sichtweisen auf lokale Kulturen<br />

im Besonderen vermielt werden oder erfordert die Auseinandersetzung<br />

mit Kultur einen längerfristigen Prozess, der beim<br />

Militär auf mehreren Ebenen durchlaufen werden muss?<br />

Interkulturelle Ausbildung in der Bundeswehr<br />

Um Interkulturelle Kompetenz innerhalb der Streitkräe als eigenständiges<br />

Lehrfach einzuführen, entwarf der Psychologische<br />

Dienst der Bundeswehr bereits 1998 ein IK-Sensibilisierungs-<br />

und Orientierungstraining, das allerdings nie in die Praxis umgesetzt<br />

wurde. Ende der 1990er-Jahre war die Zeit offensichtlich<br />

noch nicht reif für die Erkenntnis, wie relevant sogenannte »so<br />

skills« für den Erfolg von Auslandseinsätzen sein können. Es<br />

handelte sich um kein typisches Bundeswehr-Phänomen; auch<br />

in anderen Streitkräen wurden die Brisanz und Notwenigkeit<br />

der Auseinandersetzung mit diesem Thema erst in den letzten<br />

Jahren erkannt. Seither fand IK schriweise Eingang in die offiziellen<br />

Lehr- und Ausbildungspläne.<br />

Seit 2005 bilden IK-Lehre und -Trainings einen (wenn auch<br />

kleinen) Bestandteil der »Modularen Truppenausbildung«. Das<br />

»Konzept für einsatzvorbereitende Ausbildung für Konfliktverhütung<br />

und Krisenbewältigung (EAKK)« liefert hierfür die<br />

Grundlage (vgl. Weißbuch 2006). Inhalte dieses Konzepts fließen<br />

erstmals (stundenweise) in die Unterrichte der Grundausbildung<br />

271


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

mit ein, vertie in der einsatzvorbereitenden Auauausbildung<br />

EAKK, in der Führerschulung und im Rahmen spezialisierter Module.<br />

Ferner bieten Ausbildungseinrichtungen wie die Führungsakademie<br />

der Bundeswehr, die Akademie der Bundeswehr für<br />

Information und Kommunikation und das Zentrum Innere Führung<br />

einschlägige Lehrveranstaltungen an. Weitere Dienststellen<br />

wie das Amt für Geoinformationswesen der Bundeswehr, das<br />

Militärgeschichtliche Forschungsamt, die Gruppe Wehrpsychologie,<br />

das Sozialwissenschaliche Institut der Bundeswehr sowie<br />

das Zentrum Operative Information setzen sich mit IK in Form<br />

von Lehre, Forschung und IK-Beratung auseinander oder liefern<br />

hierfür einschlägige Grundlagen. Da innerhalb der Bundeswehr<br />

die bisher vorhandenen Trainings- und Lehransätze nicht in einer<br />

vereinheitlichten Gesamtplanung aufeinander abgestimmt sind,<br />

wurde Ende 2008 am Zentrum Innere Führung die »Zentrale<br />

Koordinierungsstelle Interkulturelle Kompetenz« eingerichtet.<br />

Sie soll in Zukun als Ansprechpartner für alle IK-Fragen in der<br />

Bundeswehr fungieren und zu einer Professionalisierung und<br />

Harmonisierung entsprechender Anstrengungen beitragen.<br />

Vorhandene Konzepte verstehen IK bislang weitestgehend<br />

nicht als Ergebnis eines längerfristigen Lernprozesses, sondern<br />

als einen im Crashkurs vermielbaren, kulturspezifischen Lerninhalt.<br />

In der Praxis beschränken sich IK-Ausbildungen nicht<br />

selten auf die Aufzählung allgemeiner landeskundlicher Daten,<br />

die dann häufig auch noch einen langen Ausbildungstag beenden.<br />

O fehlen kompetente Ausbilder oder IK-Experten, sodass<br />

Lerninhalte nicht fachkundig weitervermielt werden können.<br />

Obwohl die Bedeutung der IK in der Bundeswehr weitestgehend<br />

erkannt zu sein scheint, steht dieses »weiche Thema« – vielfach<br />

aus nachvollziehbaren praktischen Überlegungen und Zwängen<br />

– von seiner Priorität her deutlich hinter anderen militärischen<br />

Ausbildungsinhalten wie »riot control«, »mine awareness« oder<br />

Schießübungen entlang international geltender »rules of engagement«<br />

zurück. Schon vor diesem Hintergrund stellt sich die<br />

Frage, inwieweit eine kulturallgemeine IK-Lehre bereits vorher<br />

vermielt werden sollte, ansta sie als Teil der ohnehin überfrachteten<br />

Kontingentvorbereitung »abzuarbeiten«. Die Zeit der<br />

Offizierausbildung und insbesondere die des Studiums bietet<br />

272


Interkulturelle Kompetenz<br />

bei entsprechender Schwerpunktsetzung die Chance, um beim<br />

militärischen Nachwuchs Interkulturelle Kompetenzen Schri<br />

für Schri aufzubauen.<br />

Ein weiterer Problemkreis betri das »kulturelle Gedächtnis«<br />

der Auslandskontingente. Erfahrungen werden weder<br />

strukturiert gesammelt noch ausgewertet. Kontakte mit der<br />

Bevölkerung in einer Einsatzregion lassen sich später o nicht<br />

mehr nachvollziehen. Kritische Begegnungssituationen in der<br />

Vergangenheit gehen als Lernbeispiele oder prototypische Szenarien<br />

verloren. Ein reicher Schatz an informellem IK-Wissen,<br />

das sich die Einsatzsoldaten vor Ort aneignen, unterliegt keiner<br />

systematischen Auswertung.<br />

IK im Einsatzland: Umgang<br />

mit vielfachen Herausforderungen<br />

Einsatzsoldaten stehen insbesondere vor der Notwendigkeit,<br />

theoretisch Erlerntes anzuwenden und in einen ihrer Kultur angemessenen<br />

Umgang mit der Bevölkerung münden zu lassen.<br />

Generell muss dabei zwischen einem indirekten und direkten<br />

Kulturkontakt unterschieden werden. Lediglich zehn bis 40 Prozent<br />

der Soldaten (je nach Einsatzgebiet) verlassen täglich das<br />

Feldlager und stehen im Kontakt mit ihrem lokalen Umfeld. Es<br />

fällt schwer zu beurteilen, welche Situation mehr belastet: Die<br />

Monotonie eines Feldlagers, die von Routine oder (Horror-)Geschichten<br />

über vergangene Kriege und Bürgerkriege geprägt ist,<br />

oder die Erfahrung von Soldaten, die direkt mit deren Folgen,<br />

unterschiedlichen Kulturen, Gefahren, Not und Elend konfrontiert<br />

sind. In beiden Fällen kommt Interkulturellen Kompetenzen<br />

jedoch erhebliche Bedeutung zu. So bestätigen kursierende<br />

Erzählungen über laufende oder abgeschlossene Konflikte, aber<br />

auch über die angeblichen Eigenschaen der Gesellscha des<br />

Einsatzlandes bei Militärangehörigen mit mangelnder IK-Vorausbildung<br />

Vorurteile und negative Einstellungen gegenüber<br />

Lebensweisen fremder Kulturen. Fehlende Verbindungen zur<br />

»Gesellscha außerhalb des Zauns« tragen – gepaart mit Unwis-<br />

273


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

Feier zur Einweihung einer neuen Schule in Sarjangl, Afghanistan, August 2008.<br />

sen – zum Teufelskreis zwischen einem erhöhten Bedrohungsgefühl<br />

sowie mangelnder Selbst- und Fremdreflexion bei.<br />

Jene Kontingentangehörigen, die außerhalb des Feldlagers<br />

tätig sind, werden selbstredend in einem besonderen Maße<br />

durch interkulturelle Überschneidungssituationen gefordert.<br />

Es bleibt eine Herausforderung, mit dem Fremden umzugehen:<br />

erst recht, wenn nicht klar ist, wer Freund und Feind ist, und<br />

wie die Gefahrenlage aussieht. Soldaten fehlt (im Gegensatz<br />

zu NGO-Mitarbeitern) während einer viermonatigen Kontingentzeit<br />

omals die Zeit, um sich in die lokale(n) Kultur(en)<br />

intensivst hineinzufinden. Patrouillen kommen in ein Dorf,<br />

müssen Gespräche führen und sich gleichzeitig um die Sicherheit<br />

ihrer Kameraden sorgen. Angesichts überdehnter Einsatzräume<br />

fehlen häufig die Voraussetzungen, um durch regelmäßige<br />

Präsenz Vertrauen aufzubauen und die »richtigen« Leute<br />

und Ansprechpartner zu identifizieren. Einsatzsoldaten erleben<br />

wirtschaliche und technologische Entwicklungsunterschiede<br />

sowie kriminelle und korrupte Strukturen, geprägt durch jahrzehntelangen<br />

Krieg. Selbst Gesellschaen gegenüber, in denen<br />

der geringe Wert eines menschlichen Lebens zu den täglichen<br />

274<br />

Bundeswehr/Martin Stollberg


Interkulturelle Kompetenz<br />

Erfahrungen zählt, gilt es einen kulturoffenen Blick zu bewahren.<br />

Fremde Gesprächsmuster (indirekt, umschreibend, informell)<br />

aufzugreifen, fällt Soldaten aus Deutschland schwer, wo<br />

direkte, geradlinige, gleichzeitig aber auch formelle Kommunikationsformen<br />

vorherrschen.<br />

Der Einsatz geht einher mit zahlreichen Herausforderungen<br />

und fundamentalen Fragen: Wie offen muss ich gegenüber dem<br />

Fremden sein, wenn ich von den Einheimischen immer wieder<br />

beschossen oder betrogen werde? Wie kann ich mich auf die<br />

fremde Kultur einlassen, wenn ich als Bundeswehrsoldat den<br />

Eid geschworen habe, »Recht und Freiheit des deutschen Volkes«<br />

zu verteidigen? Welche Ziele verfolgt Deutschland in einem<br />

kulturell so fremden und komplexen Land wie etwa Afghanistan,<br />

und was kann die Bundeswehr dort eigentlich leisten?<br />

Soldaten aus Deutschland werden in den multinational<br />

ausgerichteten Friedensmissionen zu denjenigen gezählt, die<br />

am ehesten die »Köpfe und Herzen« der Menschen vor Ort gewinnen.<br />

Für manche von ihnen bleibt es jedoch unverständlich,<br />

warum sie überhaupt Interkulturelle Kompetenz aufweisen und<br />

damit in »Vorleistung« gegenüber der einheimischen Bevölkerung<br />

treten müssen. In ihrer Selbstwahrnehmung opfern sie<br />

unter Umständen solchen Ländern (Lebens-)Zeit und Kra, die<br />

von Krieg, Korruption und »mielalterlichen« Traditionen geprägt<br />

sind. Unverständlich bleibt, warum zusätzlich zur erbrachten<br />

Hilfeleistung auch noch interkulturelle Sensibilität erwartet<br />

wird, wo doch andererseits die Gegenseite ihre Helfer und deren<br />

eigene Werte o nicht beachtet.<br />

Die Tatsache, dass Bundeswehrsoldaten ein relativ hohes Ansehen<br />

bei der einheimischen Bevölkerung genießen, gründet sich<br />

nicht nur auf die – wie gezeigt – bislang nicht gerade optimale<br />

IK-Vorausbildung. Mindestens drei weitere Umstände beeinflussen<br />

das Handeln der Soldaten. Erstens lässt sich »sensibles« Auftreten<br />

mit der Angst erklären, »etwas vor Ort falsch zu machen<br />

und dadurch Probleme in Deutschland zu bekommen«. Zweitens<br />

trägt die Last »historischer Schuld« aus der Zeit des Nationalsozialismus<br />

zu dem Wunsch bei, nicht als Besatzer, sondern<br />

als »Helfer« aufzutreten. Driens erkennen die Soldaten durch<br />

einen guten, unterstützenden Kontakt zur einheimischen Bevölkerung<br />

einen Sinn auch in teilweise problematischen Einsätzen.<br />

275


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

Weibliche Soldaten im Gespräch mit afghanischen Frauen, Aufnahme von 2007.<br />

Dieses Bündel an Motivationen trägt – zusammen mit der IK-<br />

Ausbildung – zu kultursensiblem Verhalten bei.<br />

276<br />

Interkulturelle Kompetenz:<br />

Eine Anforderung an alle Ebenen<br />

Alle Soldaten müssen – auch wenn sie oder die Führung es eigentlich<br />

nicht wollen – ein gewisses Grundwissen an Interkultureller<br />

Kompetenz sowie Verständnis für die Kultur(en) des Einsatzlandes<br />

mitbringen. Ansonsten laufen sie Gefahr, kulturelle Besonderheiten<br />

zu missachten, ihre Sicherheit ernstha zu gefährden<br />

und/oder im (in-)direkten Kontakt Vorurteile und Unverständnis<br />

zu entwickeln. Bisher konzentriert sich die IK-Ausbildung auf<br />

die Zeit vor dem Dienst im fremden Land. Im Einsatz selbst wird<br />

nur die Führung der Truppe durch Interkulturelle Einsatzberater<br />

(IEB) unterstützt und in kulturelle Besonderheiten eingewiesen.<br />

Eine derartige Beratung häen jedoch auch viele Soldaten nötig,<br />

die tagtäglich mit der örtlichen Bevölkerung zu tun haben.<br />

Bundeswehr/Markus Kurczyk


Interkulturelle Kompetenz<br />

Dem einzelnen Einsatzsoldaten wird ein hohes Maß an Interkultureller<br />

Kompetenz abverlangt, ohne dass IK tatsächlich auf<br />

allen Ebenen der militärischen Hierarchie die gebotene Wertschätzung<br />

und Unterstützung erführe. Männer und Frauen vor<br />

Ort befinden sich in einer »interkulturellen Zwiersituation«: Sie<br />

sollen IK unter Beweis stellen – aber nur so viel, wie in Kurzveranstaltungen<br />

vor dem Einsatz vermielt werden kann und<br />

für den Erhalt der eigenen Sicherheit notwendig erscheint. Auf<br />

der politisch-strategischen Makroebene, welche die Zielvorgaben<br />

und Inhalte des Mandats definiert und damit den Rahmen<br />

für die Soldaten im Einsatzland absteckt, spielt der »kulturelle<br />

Blick« demgegenüber häufig gar keine Rolle. Einsätze wurden<br />

und werden eher von Strategen und Technokraten geplant, für<br />

die Informationen über lokale Lebenswelten, Strukturen und<br />

Bedürfnisse bestenfalls zweitrangig sind. Für die Nachhaltigkeit<br />

von Stabilisierungsmaßnahmen reicht es jedoch nicht, wie es u.a.<br />

das Beispiel Afghanistans auf schmerzhae Weise aufzeigt, nur<br />

oberflächlich die »Herzen und Köpfe« der Menschen vor Ort zu<br />

gewinnen. Der Erfolg hängt vielmehr davon ab, die lokale Bevölkerung<br />

in die Planung und Durchführung zuküniger Einsätze<br />

einzubinden und eine Übereinstimmung zwischen der politischstrategischen<br />

sowie der individuellen Ebene des Einsatzsoldaten<br />

zu erreichen. Interkulturelle Kompetenz stellt somit eine Fähigkeit<br />

dar, die nicht nur im Einsatzland auf der Mikroebene, sondern<br />

auch auf der Makroebene über die Sicherheit der Soldaten<br />

vor Ort und letztlich über den Erfolg von Stabilisierungsoperationen<br />

entscheidet.<br />

Maren Tomforde<br />

277


»Den Toten unserer Bundeswehr«, so beginnt die Inschrift am neuen<br />

»Ehrenmal« im Berliner Bendlerblock, das am 8. September 2009 eingeweiht<br />

wurde. Das Ehrenmal soll allen Bundeswehrangehörigen gewidmet<br />

sein, die in den letzten 50 Jahren in Ausübung ihres Dienstes »für<br />

Frieden, Recht und Freiheit« gestorben sind. Ein zentrales Dank- und<br />

Erinnerungszeichen hatte es für die »Staatsbürger in Uniform« in der langen,<br />

über 50-jährigen Geschichte der Bundeswehr bisher nicht gegeben.<br />

Mit dem Großprojekt reagierte das Bundesministerium der Verteidigung<br />

auf Wünsche und Bedürfnisse in der Truppe. In Liegenschaften der deutschen<br />

Streitkräfte fanden sich nämlich bislang nur kleinere Erinnerungsorte,<br />

zumeist ebenfalls »Ehrenmale« genannt. Dieser Gedenkbrauch<br />

wurde seit den 1990er-Jahren auch in die deutschen Feldlager an Einsatzorten<br />

im Ausland getragen. Jetzt, da das »Ehrenmal der Bundeswehr«<br />

eingeweiht ist, lohnt sich ein kurzer Blick auf seine Entstehungsgeschichte,<br />

auf Formen bundeswehrspezifischen Gedenkens, aber auch<br />

auf soldatische Erinnerungsorte in den Kasernen der Republik.<br />

picture-alliance/dpa/Hannibal Hanschke


Einsatzarmee und Erinnerung:<br />

Gedenkkulturen in der Bundeswehr<br />

Nachdem der Bundesminister der Verteidigung zu Beginn des<br />

Jahres 2006 Überlegungen zu einem »Firmendenkmal« öffentlich<br />

kundgetan hae, entwickelte sich rasch eine rege Debae.<br />

Allerdings lässt sich feststellen, dass es in der fast vierjährigen<br />

Diskussion um das Bundeswehr-Ehrenmal zumeist nicht um die<br />

Toten ging, derer gedacht werden sollte. In Artikeln, Reden und<br />

Interviews jedweder politischer Couleur wurde gerungen um die<br />

Rolle der Bundeswehr in der Demokratie, um Sinn und Zweck der<br />

Auslandseinsätze, um Ängste vor einer möglichen Militarisierung<br />

der Gesellscha oder vor einer Heroisierung des Soldatentods.<br />

Befürchtet, gelegentlich gar eindringlich gefordert, wurde ein soldatischer<br />

bzw. bürgerlicher »Totenkult«, der den Tod instrumentalisieren<br />

und künige Kampfeinsätze legitimieren sollte. Der Streit<br />

um den geeigneten Standort der neuen Gedenkstäe, um Prestige<br />

und Design schien mitunter wichtiger als aktuelle Probleme der<br />

Einsatzarmee, wie etwa eine angemessene Versorgung von Versehrten<br />

und Hinterbliebenen, wie Fragen nach dem Rechtsschutz<br />

der Soldaten in einem Krisenszenario oder der Sicherstellung<br />

einer angemessenen materiellen Ausstaung.<br />

Die Bundeswehr, die unter Parlamentsvorbehalt steht, führt<br />

keinen Krieg. Denn im rechtstheoretischen Sinne zeichnet sich<br />

ein legitimer Krieg dadurch aus, dass souveräne Staaten allein<br />

über das Gewaltmonopol verfügen und zwischenstaatliche<br />

Konflikte mit regulären Streitkräen ausgetragen werden.<br />

Nichtstaatlichen Akteuren wird daher auch das Recht zur Gewaltausübung<br />

abgesprochen. Die Bundeswehr nimmt an internationalen<br />

Friedens- und Hilfsmissionen teil oder unterstützt im<br />

Rahmen eines UN-Mandats auch der Stabilisierung dienende<br />

Operationen im Einsatzgebiet, wie beispielsweise die jüngst von<br />

der afghanischen Armee geführte Operation O, eine gegen<br />

die Taliban in der Region um Kundus gerichtete Offensive. Verteidigungsminister<br />

Franz Josef Jung (CDU) wies am 2. Juli 2009<br />

im ZDF-Morgenmagazin darauf hin, dass es sich hierbei um ein<br />

Vorgehen der afghanischen Regierung gegen Aufständische im<br />

Innern handele, von einem Krieg daher keine Rede sein könne,<br />

279


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

und die Gegner keine Kombaanten, sondern »Verbrecher« und<br />

»Terroristen« seien.<br />

Da sich deutsche Einsatz-Kontingente rechtlich gesehen nicht<br />

im Krieg befinden, hat das Bundesministerium der Verteidigung<br />

bis zum Oktober 2008 die im Auslandseinsatz ums Leben gekommenen<br />

Bundeswehrangehörigen folgerichtig nicht als »Gefallene«<br />

bezeichnet. Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister<br />

der Verteidigung Christian Schmidt (CSU) hae sich darüber<br />

hinaus mit deutlichen Worten gegen einen emotional aufgeladenen<br />

Sprachgebrauch gewandt, wie er von einigen Verbandsvertretern<br />

oder Politikern zu hören war, die vom »Krieg«, in dem wir<br />

uns befänden, vom »höchsten Opfer«, das erbracht worden sei,<br />

und einer »Wahrheit«, die verschleiert würde, redeten. Solch heldisches<br />

Pathos, das immer wieder nicht nur durch die Gazeen<br />

der Republik geistert, erscheint angesichts der Trauer, der Nöte<br />

und Bedürfnisse der Betroffenen in der Tat fehl am Platz.<br />

Nach dem Anschlag vom 20. Oktober 2008 in Kundus, dem<br />

zwei Bundeswehrsoldaten des ISAF-Kontingents zum Opfer fielen,<br />

änderte die politische Führung ihre bisherige Sprachregelung.<br />

Seit Ende Oktober 2008 gilt offiziell derjenige Soldat als »im Einsatz<br />

für den Frieden gefallen«, der im Rahmen militärischer Einsätze<br />

durch Einwirkung eines Gegners getötet wird. Allerdings wird das<br />

Verb »fallen« in und außerhalb der Bundeswehr derzeit nicht in<br />

diesem engeren Sinne verwandt: Der Begriff »Gefallene« bezeichnet<br />

in Wort und Schri unterschiedslos alle im Auslandseinsatz<br />

verunglückten, verstorbenen oder getöteten Bundeswehrangehörigen.<br />

Dieser Sprachgebrauch<br />

weicht übrigens<br />

von gängigen Praktiken<br />

in der deutschen Militärgeschichte<br />

ab, wurde<br />

doch in Wortwahl und<br />

280<br />

picture-alliance/dpa/Franz-Peter Tschauner<br />

Angehörige nehmen am<br />

29. Juni 2005 auf dem militärischen<br />

Teil des Flughafens<br />

Köln-Wahn Abschied von zwei<br />

in Afghanistan getöteten<br />

Bundeswehrsoldaten.


Einsatzarmee und Erinnerung<br />

Symbolik immer strikt zwischen Kriegs- und Friedenszeiten unterschieden.<br />

Ein Soldat galt entweder als »im Krieg gefallen« oder<br />

»im Dienst verunglückt«. Und selbst im Krieg wurden diejenigen<br />

nicht als »gefallen« bezeichnet, die Tage später ihren im Gefecht<br />

erlienen Verwundungen erlagen, sondern als »verstorben« vermerkt.<br />

Das Erinnerungszeichen in Berlin ist jenen rund 3000 Soldatinnen,<br />

Soldaten und zivilen Angehörigen der Armee gewidmet,<br />

die seit 1955 während ihres Dienstes oder durch ihren Einsatz im<br />

In- und Ausland zu Tode gekommen sind. Es handelt sich nicht,<br />

wie o fälschlich in der Presse verbreitet wird, um ein Soldatendenkmal<br />

für die Gefallenen der Bundeswehr. Und nur derer<br />

symbolisch zu gedenken, die im Ausland getötet wurden, würde<br />

in der Tat bedeuten, die »Staatsbürger in Uniform«, die zum Beispiel<br />

bei einem Hilfseinsatz im Innern, etwa der Flutkatastrophe<br />

in Hamburg 1962, ihr Leben verloren haben, als »Tote zweiter<br />

Klasse« zu diffamieren. Ein von manchen Interessengruppen gefordertes<br />

Ab- und Ausgrenzen, Hierarchisieren oder Aufrechnen<br />

könnte zu einem bedenklichen Sonderbewusstsein in der Armee<br />

führen, das nur bestimmten Toten Verehrung zugesteht. Im Tod<br />

wären dann nicht alle gleich, was das Gedenken angeht: Die in der<br />

Iller ertrunkenen 15 Rekruten des Lulandejägerbataillons 19 aus<br />

der Anfangszeit der Bundeswehr etwa stünden gegen die Soldaten,<br />

die in Afghanistan Selbstmordanschlägen zum Opfer fielen.<br />

Auch die Forderung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge<br />

e.V. nach einem »ewigen Ruherecht« für die Toten der Einsätze<br />

auf eigens angelegten Soldatenfriedhöfen, deren Auflösung<br />

sich nach derzeitigem Verständnis grundsätzlich verbietet, ist der<br />

Sache nicht dienlich und würde in der Öffentlichkeit nur das Bild<br />

von einer Sonderrolle des Militärs befördern. Zudem ist fraglich,<br />

ob die Familienangehörigen eines Getöteten oder Verunglückten<br />

einem solchen Ansinnen zustimmen würden.<br />

Totengedenken in der Bundeswehr<br />

Bei Betrachtung der Gedenkpraxis in der Bundeswehr fällt auf,<br />

dass die bereits bestehenden Formen in der Truppe selbst, die ja<br />

vielfach auf Eigeninitiative zurückgehen, sehr schlicht gehalten<br />

281


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

sind. In bundesdeutschen Standorten existieren zahlreiche Beispiele<br />

gelebter Erinnerung. Neben christlichen Ritualen wie etwa<br />

der Gedenkandacht oder dem militärischen Zeremoniell wie dem<br />

Gedenkappell zu Jahrestagen finden sich Formen, die bisweilen<br />

auch auf die Wertorientierung der deutschen Streitkräe verweisen:<br />

Als identitätsstiend wird seit jeher die Benennung von Kasernen<br />

nach verstorbenen Vorbildern angesehen. Die Bundeswehr<br />

besitzt zumindest einen Kasernenpatron aus den eigenen Reihen:<br />

Im sächsischen Delitzsch ist die Unteroffizierschule des Heeres<br />

seit 1992 nach dem Feldwebel Erich Boldt (1933-1961, Panzerpionierkompanie<br />

70) benannt. Erich Boldt starb, als er während der<br />

Ausbildung zwei Soldaten vor einer detonierenden Sprengladung<br />

schützen wollte. Der Jahrgangsbeste der Feldwebellehrgänge an<br />

der Pionierschule erhält zudem den »Feldwebel-Boldt-Gedächtnis-Preis«,<br />

gestiet 1982 vom Bund Deutscher Pioniere e.V. Nach<br />

Oberleutnant Ludger Hölker (1934-1964, Jagdbombergeschwader<br />

32) ist 1977 das Auditorium Maximum der Offizierschule der<br />

Luwaffe im bayerischen Fürstenfeldbruck benannt (»Ludger-<br />

Hölker-Saal«). Sein Geschwader ehrte ihn 1984 mit einer Straßenbenennung<br />

in der Schwabstadl-Kaserne in Lechfeld. Der Pilot<br />

hae sein Leben eingesetzt, um eine Flugkatastrophe in Straßberg<br />

zu verhindern.<br />

Eine gängige Form militärischer Erinnerungskultur ist zum<br />

einen der Findling, zum anderen der obeliskartige Gedenkstein.<br />

Diese Wahl ist so neu nicht, folgen doch die Soldaten den bekannten<br />

Beispielen aus Städten und Gemeinden. Der einfache<br />

Stein, der zumeist nur eine Tafel mit Namen der Verstorbenen<br />

aufweist, lenkt nicht von seiner eigentlichen Funktion des Trauern<br />

und Erinnerns ab. Diese Form verweist darüber hinaus auf<br />

einen grundsätzlichen Umstand: Das moderne Totengedenken<br />

in der Bundeswehr dient nicht dazu, den Einsatz militärischer<br />

Miel politisch zu legitimieren, auch wenn dies in der Presse<br />

bisweilen mit Blick auf das Ehrenmal in Berlin eingefordert oder<br />

geargwöhnt wird. Eine solche Zielsetzung wäre zweifelsohne<br />

bedenklich, würde es doch bedeuten, dass erst der Tod des<br />

Soldaten dem jeweiligen Aurag einen Sinn geben oder gar die<br />

Existenz einer Armee rechtfertigen würde. Auf das »Wofür« des<br />

militärischen Dienens hat nicht ein Ehrenmal Antwort zu geben,<br />

denn dies hieße, den Tod von Soldaten zu instrumentalisieren.<br />

282


Einsatzarmee und Erinnerung<br />

Das internationale Engagement der Bundeswehr als einer Armee<br />

im Bündnis, das von humanitären bis zu bewaffneten Einsätzen<br />

reicht, gründet auf einem Verteidigungskonzept unter dem Primat<br />

der Politik, das die Wahrung von Frieden, Recht und Freiheit<br />

als verfassungsmäßigen Aurag fordert. Im Soldatengesetz heißt<br />

es: »Der Soldat hat die Pflicht, der Bundesrepublik Deutschland<br />

treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen<br />

Volkes tapfer zu verteidigen« (ZDv 14/5 § 7). Sinn und Notwendigkeit<br />

des Aurags müssen vermielt werden, dies hat aber im<br />

Rahmen der Politisch-Historischen Bildung und nicht im Dunkel<br />

einer Ehrenhalle zu erfolgen.<br />

Seit 1993 starben im Auslandseinsatz mehr als 80 Soldaten.<br />

Sie kamen im Wesentlichen durch Fremdeinwirkung ums Leben<br />

oder waren Opfer von Terroranschlägen. Der erste bei einem<br />

Auslandseinsatz (UNTAC) getötete Soldat war der 26-jährige<br />

Sanitätsfeldwebel Alexander Arndt, der am 14. Oktober 1993 in<br />

Phnom Penh auf offener Straße erschossen wurde. In der Bundeswehr-Publizistik<br />

wird die Erinnerung an ihn bis heute wachgehalten.<br />

In der Berliner Blücher-Kaserne steht zudem seit Oktober<br />

2007 ein Gedenkstein zur Erinnerung an Arndt, den das<br />

jetzige Lazareregiment 31 gestiet hat. Auf dem Gelände der<br />

Burgwald-Kaserne im hessischen Frankenberg erinnert das Bataillon<br />

Elektronische Kampfführung 932 mit einem Basaltstein<br />

an vier Soldaten des ISAF-Kontingents, die bei einem Sprengstoffaentat<br />

am 7. Juni 2003 in Kabul getötet wurden. Auf dem<br />

Stein findet sich eine Tafel mit den Namen der Toten.<br />

In den Einsatzgebieten selbst wurden ebenfalls angemessene<br />

Gedenkformen gefunden, die sich dem Pathos verweigern:<br />

Im deutschen Feldlager Rajlovac (Camp Capitaine Carreau) in<br />

Bosnien-Herzegowina entstand auf dem »Europaplatz« ein Erinnerungszeichen<br />

an die im Einsatzland gestorbenen Angehörigen<br />

der Bundeswehr. Nach der Truppenreduzierung der EUFOR und<br />

der Aufgabe des Lagers fand der Stein im August 2007 auf dem<br />

Gelände der deutschen Botscha im nahen Sarajevo einen neuen<br />

Standort. Eine Straße im kosovarischen Feldlager Prizren trägt<br />

den Namen des ersten im KFOR-Einsatz verunglückten Soldaten,<br />

Oberstabsarzt Dr. Sven Eckelmann (1999). In diesem Feldlager<br />

befindet sich außerdem ein Gedenkstein, auf dem neben<br />

Bundeswehrangehörigen auch Soldaten aus anderen Nationen<br />

283


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

aufgeführt werden, die während des Dienstes im Kosovo ums<br />

Leben kamen. Die Widmung lautet: »In memory of the soldiers<br />

who gave their lives for the mission in Kosovo.« In Afghanistan<br />

schließlich stehen zur Zeit mehrere Erinnerungszeichen, darunter<br />

eines im Feldlager Camp Warehouse in Kabul mit der Inschri<br />

»Den Toten zu Ehren«, eines im Feldlager Camp Marmal<br />

in Masar-e Scharif oder das Mal mit einer von der Stadt Berlin<br />

gestieten Plastik, dem Berliner Bären, der sich seit 2003 auf dem<br />

Gedenkstein des deutschen ISAF-Kontingents am Kabul International<br />

Airport befindet.<br />

Die Inschri des Bundeswehr-Denkmals lautet in goldener<br />

Schri auf goldenem Grund: »Den Toten unserer Bundeswehr<br />

/ Für Frieden, Recht und Freiheit«. Die Wortwahl erinnert an<br />

eine Gedenkformel am »Ehrenmal des deutschen Heeres«, das<br />

1972 auf der Festung Ehrenbreitstein in Koblenz errichtet wurde.<br />

Gedachte die Bundeswehr an diesem Ort bis 1994 ausschließlich<br />

der Gefallenen früherer deutscher Heere, wurde die Stäe<br />

schließlich umgestaltet und als zentrale Widmung die ganzheitliche<br />

Formel geprägt: »Den Toten des Deutschen Heeres«. Seit<br />

2006 wird vor Ort mit einer schlichten Stele zusätzlich an die<br />

»im Dienst und Einsatz zu Tode gekommenen Angehörigen des<br />

Heeres der Bundeswehr« gedacht. Folgende Inschri steht auf<br />

dem kleinen, hellen Stein geschrieben: »Den Heeressoldaten /<br />

der Bundeswehr, / die für Frieden, Recht und Freiheit / ihr Leben<br />

ließen«. Das Kuratorium hae am 17. November 2005 beschlos-<br />

284<br />

Fabrice Sohier<br />

Das Ehrenmal für die verstorbenen<br />

und getöteten ISAF- und<br />

Polizeiangehörigen aller beteiligten<br />

Nationen im Feldlager<br />

Camp Warehouse bei Kabul.<br />

Der Marmorblock trägt die Inschrift<br />

»Den Toten zu Ehren«.<br />

An der Ziegelsteinmauer dahinter<br />

sind Gedenktafeln mit<br />

Namen und Nationalität angebracht.


Einsatzarmee und Erinnerung<br />

sen, dass »das Ehrenmal durch eine Stele zu erweitern [sei], um<br />

Angehörigen und Kameraden Gefallener des Heeres der Bundeswehr<br />

im Rahmen des Ehrenmals einen Ort des Gedenkens,<br />

Besinnens und der Identifikation zu schaffen«.<br />

Angesichts einer 50-jährigen Erfolgsgeschichte sind demgegenüber<br />

im Ehrenmal der Bundeswehr die Toten vergangener<br />

deutscher Armeen zu Recht nicht einbezogen. Längst überfällig<br />

mag es dem Betrachter erscheinen, dass sich die Streitkräe<br />

der Bundesrepublik endlich auf sich selbst besinnen, zumal ihre<br />

Toten in vielen alten Denkmalen – vor allem in den drei Nachkriegs-Ehrenmalen<br />

der Teilstreitkräe Heer, Luwaffe und Marine<br />

– erst spät überhaupt einbezogen und auch dann immer nur<br />

»mitgedacht« wurden. »Mitgedacht« werden Bundeswehrsoldaten<br />

übrigens seit einigen Jahren nun auch auf alten wie neugesetzten<br />

Kriegerdenkmälern für »Helden« des Ersten und »Opfer«<br />

des Zweiten Weltkriegs wie beispielsweise im bayerischen Freyung<br />

oder Reischach. Der Anstoß zur Erweiterung entsprechender<br />

Widmungen scheint sowohl aus dem kirchlichen wie militärischen<br />

Umfeld zu kommen. So regte etwa das Kommando<br />

Schnelle Einsatzkräe Sanitätsdienst im ostfriesischen Leer Anfang<br />

Juli 2009 bei der Stadtverwaltung an, das alte Weltkriegsmal<br />

um eine Gedenktafel für im Dienst umgekommene Bundeswehrsoldaten<br />

zu ergänzen. Erinnerungszeichen von Bundeswehreinheiten,<br />

die losgelöst sind vom Weltkriegsgedenken, scheint es in<br />

Städten und Gemeinden bisher nicht zu geben.<br />

Allein an diesen Beispielen zeigt sich, wie wichtig Historisch-Politische<br />

Bildung ist, denn nur das Wissen um Geschichte<br />

kann späteren Generationen helfen, zwischen einem Siegesmal<br />

der kaiserlichen Armee, den Nachkriegs-Denkmälern für Wehrmachtsoldaten<br />

und den Erinnerungsstäen einer Parlamentsarmee<br />

zu unterscheiden.<br />

Das Berliner »Ehrenmal der Bundeswehr«<br />

Die Bundeswehr gedenkt ihrer Toten – aber wird das Ehrenmal<br />

des Architekten Andreas Meck, das, so die Broschüre des Bundesministeriums<br />

der Verteidigung, öffentliches Erinnern und persönliches<br />

Trauern ermöglichen soll, dieser Parlamentsarmee gerecht?<br />

285


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

Einen Sakralkörper<br />

aus Gold<br />

und Bronze, ähnlich<br />

einem griechischen<br />

Tempel klassischer<br />

Zeit, stellt<br />

das Ehrenmal dar:<br />

Elf Pfeiler besitzt es<br />

an seinen 32 Meter<br />

langen Seiten, keine<br />

jedoch an seiner<br />

Schmalseite, aber immerhin fünf Fahnenstangen, und, wie der<br />

Architekt in der offiziellen Broschüre ausführt, eine »Cella«. Im<br />

antiken Tempel war die Cella zumeist ein fensterloser Raum, in<br />

dem das überlebensgroße Göerbild thronte. Die moderne Cella<br />

ist ebenfalls ohne Fenster und ganz in Schwarz gehalten. Von<br />

einem Oberlicht beleuchtet, dient nach der im Sommer 2008 überarbeiteten<br />

Konzeption nunmehr eine Bruchsteinkante als Ablage<br />

für Blumen und Kränze. Namen von Toten werden über eine<br />

LED-Projektion fünf Sekunden lang an die Wand geworfen. Über<br />

diese Menschen, die Umstände ihres Todes, erfahren wir hingegen<br />

nichts. Der Architekt sucht auf der sakralen Klaviatur von<br />

Licht und Dunkel zu spielen. Dem schwarzen Raum wird eine<br />

goldschimmernde Wand gegenübergestellt, der Besucher soll aus<br />

dem Dunkel der Cella in das helle Gold der »Hoffnung« treten,<br />

das nach Meck allen Kulturen eigen sein soll. Bei näherer Betrachtung<br />

erweist sich die scheinbar glae, geschlossene Bronzehaut<br />

des Baukörpers als ein Netz von ausgestanzten, gebrochenen,<br />

seltsamerweise auch einigen ganzen Erkennungsmarken. Sie sollen<br />

so den Soldatentod symbolisieren. In den Grundstein wurde<br />

neben der Urkunde, dem Faksimile des Grundgesetzes, einem<br />

Ehrenkreuz in Gold, Geldmünzen und Tageszeitungen auch eine<br />

Erkennungsmarke eingelassen.<br />

Was die Symbolik des Gefallenentodes, die somit bis in den<br />

Grundstein wirkt, mit den mehr als 3000 Toten der Bundeswehr<br />

zu tun hat, bleibt offen. Die toten Soldaten und zivilen Bundes-<br />

286<br />

picture-alliance/dpa/Christian Hager<br />

Kieler Förde, im Hintergrund<br />

das Marine-Ehrenmal<br />

in Laboe.


Einsatzarmee und Erinnerung<br />

wehrangehörigen, derer nunmehr in und mit einem Denkmal<br />

in Berlin gedacht werden soll, sind nicht auf einem Schlachtfeld<br />

»gefallen« oder haben gar, wie es in früheren Kriegen hieß, in<br />

Schützengräben »den Heldentod erlien«. Anders verhält es sich<br />

diesbezüglich mit Erinnerungszeichen in den Vereinigten Staaten:<br />

In Atlantic City (New Jersey) steht seit dem Jahr 2000 das<br />

»Korean War Memorial«. Als Teil eines größeren Ensembles hält<br />

dort eine überlebensgroße Plastik, »The Mourning Soldier«, in<br />

ihrer linken Hand mehrere Erkennungsmarken. Wohlgemerkt,<br />

es handelt sich bei diesem Denkmal um eine Erinnerungsstäe<br />

für die Gefallenen einer kriegerischen Auseinandersetzung.<br />

Als eine »Armee ohne Pathos« haben sich aufgeschlossene<br />

Militärreformer der Gründerphase wie Wolf Graf von Baudissin<br />

die Bundeswehr gedacht. »Grundlegend Neues« sollte geschaffen<br />

werden, so die klassisch gewordene Forderung der »Himmeroder<br />

Denkschri« aus dem Jahre 1950. Goldenes Gepränge<br />

vergangener Zeiten passt folglich nicht zu einer nüchternen Parlamentsarmee,<br />

daher ist zu begrüßen, dass sta des ursprünglich<br />

geplanten Goldkleides ein »feldgraues« Äußeres für das »Ehrenmal<br />

der Bundeswehr« gewählt wurde. Über Geschmack lässt<br />

sich bekanntlich streiten: Was dem einen eine ästhetische Pein,<br />

ist dem anderen eine angemessene Form des Erinnerns. Dennoch<br />

scheint der Entwurf für ein gewisses Unvermögen zu stehen,<br />

sich dem Soldatentod auf zeitgemäße Art anzunähern. Wie<br />

tröstlich mag wohl für jemanden ein »Kleid« gebrochener, gar<br />

ganzer Erkennungsmarken sein, der ein Familienmitglied durch<br />

Unfall, Freitod oder bei einem Terroranschlag verloren hat?<br />

In der Lulande-/Transportschule in Altenstadt wurde im<br />

September 2008 ein schlichter Gedenkstein enthüllt. Auf ihm stehen<br />

die Namen der 19 Soldaten, die seit 1958 bei Sprungunfällen<br />

und im Flugeinsatz ums Leben gekommen sind. Den Lebenden<br />

und den Toten wurde hier ein angemessener Ort der Erinnerung<br />

geschaffen, der sich auf das Wesentliche konzentriert. In der modernen<br />

Bundeswehr existieren vielfältige Erinnerungskulturen,<br />

deren steinerne Formen vor allem für eines stehen: Sie würdigen<br />

die Toten, sie nennen ihre Namen – nicht mehr und nicht weniger.<br />

Loretana de Libero<br />

287


Die Bundeswehr unternimmt heute weltweit Friedens- und Stabilisierungseinsätze<br />

im Rahmen der NATO, der Vereinten Nationen und der<br />

Europäischen Union (EU). Im Oktober 2009 standen fast 7600 Soldatinnen<br />

und Soldaten im Auslandseinsatz. Davon dienten mehr als 2100 im<br />

Kosovo (KFOR) und alleine knapp 4300 im Rahmen der International Security<br />

Assistance Force (ISAF) in Afghanistan – im Bild Bundeskanzlerin<br />

Angela Merkel bei einer Videokonferenz mit Soldaten im Camp Marmal<br />

in Masar-e Scharif (Einsatzführungskommando der Bundeswehr, 26. Juli<br />

2006).<br />

Der militärische Wandlungs- oder Modernisierungsprozess, zusammengefasst<br />

unter dem Begriff der »Transformation«, hat weitreichende<br />

Auswirkungen auf die Struktur der Bundeswehr, auf die Art und Weise<br />

ihrer Auftragserfüllung, aber auch auf die Form ihres »historischen Gedächtnisses«.<br />

Für das Bundesarchiv-Militärarchiv, das Schriftgut aus<br />

dem Verteidigungsressort dauerhaft sichert und nutzbar macht, stellt<br />

dies eine große Herausforderung dar: Wurde Schriftverkehr in den Streitkräften<br />

bis in die 1990er-Jahre hinein vorwiegend in Papierform erstellt,<br />

weitergegeben und schließlich aufbewahrt, erfolgt dies im Zeitalter der<br />

Auslandseinsätze zunehmend elektronisch – verbunden mit erheblichen<br />

Herausforderungen für die Archivierung.<br />

picture-alliance/dpa/Michael Hanschke


Historisches Gedächtnis: Die archivische<br />

Überlieferung der Auslandseinsätze<br />

Die im Jahre 2003 vom damaligen Verteidigungsminister Peter<br />

Struck vorgelegten Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR)<br />

knüpfen zwar an den in Art. 87a des Grundgesetzes niedergelegten<br />

Aurag der Landesverteidigung an, erweitern ihn aber<br />

auch um militärische Einsätze zur Prävention von Krisen und<br />

Konflikten, zu deren Eindämmung wie auch zu ihrer Nachsorge.<br />

»Verteidigung« kann dieser Definition nach an jedem Platz<br />

der Welt stafinden, von dem aus Gefahren für die Sicherheit<br />

Deutschlands drohen.<br />

Ausgehend von dem in den VPR niedergelegten Aufgabenspektrum<br />

gibt die am 9. August 2004 erlassene Konzeption der<br />

Bundeswehr (KdB) den Rahmen für die Anpassung der Streitkräe<br />

an das neue Auragsprofil vor. Diese dauerha angelegte<br />

und deshalb von früheren Reformen zu unterscheidende Transformation<br />

zielt auf die Verbesserung und den dauerhaen Erhalt<br />

der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr ab.<br />

Rüstungspolitische Großvorhaben verdeutlichen den fundamentalen<br />

Wandel deutscher Streitkräe. So beförderte am 22. Juli<br />

2008 eine russische Trägerrakete den letzten von fünf deutschen<br />

Radarsatelliten in eine 500 Kilometer hohe Umlauahn und vervollständigte<br />

damit das seit 2006 im Auau befindliche deutsche<br />

Satellitenaulärungssystem SAR-L 5. Die SAR-Technik<br />

(Synthetic Aperture Radar) ermöglicht von Licht- und Weerverhältnissen<br />

unabhängige Aufnahmen von der Erdoberfläche. Gemeinsam<br />

mit dem französischen optischen Satelliten H II<br />

bildet SAR-L 5 den Kern des europäischen Satellitenaulärungsverbundes.<br />

Das System wird durch eine zum Kommando<br />

Strategische Aulärung gehörende Bodenstation in Gelsdorf bei<br />

Bonn gesteuert. Die Gesamtkosten belaufen sich auf schätzungsweise<br />

eine dreiviertel Milliarde Euro. Mit der vollständigen Inbetriebnahme<br />

von SAR-L kann die Bundeswehr innerhalb<br />

kurzer Zeit an jedem Punkt der Erde Objekte von weniger als<br />

einem Meter Größe aulären.<br />

Des Weiteren erfolgte im Juni dieses Jahres der »Roll-out«<br />

des ersten A A400M. Nach vielfältigen Verzögerungen sol-<br />

289


ullstein bild – CARO/Trappe<br />

II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

len nun ab 2011 60 Stück des Militärtransporters an die Bundeswehr<br />

ausgeliefert werden. Das neue Flugzeug kann Hubschrauber,<br />

mehrere Rad- oder Panzerfahrzeuge sowie Soldatinnen und<br />

Soldaten in Kompaniestärke in einem Radius von über 3000 Kilometern<br />

ohne Zwischenstopp befördern. Mehrere Maschinen werden<br />

als Lutanker ausgerüstet, um den unabhängigen Einsatz<br />

deutscher Lustreitkräe in großer Entfernung von der heimatlichen<br />

Basis sicherzustellen (derzeitiges Beschaffungsvolumen des<br />

deutschen A400M-Programms: 9 Milliarden Euro). Auch die Beschaffung<br />

von etwa 600 allweertauglichen Lu-Boden-Marschflugkörpern<br />

vom Typ T ist in der Geschichte der Bundeswehr<br />

ein qualitativ neues Rüstungsprojekt. Sie können aus einer<br />

Entfernung von bis zu 350 km abgefeuert und mit ihrer 500 kg<br />

schweren Gefechtsladung selbst stark verbunkerte Ziele zerstören<br />

(Beschaffungskosten: ca. 0,57 Milliarden Euro).<br />

Während nach der Bundestagswahl 2009 die Diskussion um<br />

die Wehrpflicht im Mielpunkt der öffentlichen Wahrnehmung<br />

steht, nähert sich das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr schriweise<br />

jenem amerikanischer, britischer oder französischer Einsatz-<br />

und Interventionstruppen an. Dieser Prozess hat weitreichende<br />

Auswirkungen auf die Struktur der deutschen Armee<br />

und auf die Art und Weise ihrer Aufgabenwahrnehmung. Auch<br />

das »historische Gedächtnis« der Streitkräe befindet sich im<br />

radikalsten Umbruch ihrer Geschichte. Die damit verbundenen<br />

Herausforderungen für die archivischen Kernaufgaben, die<br />

dauerhae Sicherung und die Nutzbarmachung militärischen<br />

Schrigutes, werden hier in ihren Grundzügen beschrieben.<br />

290<br />

Alltägliche Stabsarbeit<br />

im Camp Warehouse<br />

bei Kabul 2004. Die<br />

in Papierform entstehenden<br />

Akten rücken<br />

gegenüber den elektronisch<br />

abgelegten<br />

Daten zunehmend in<br />

den Hintergrund.


Die archivische Überlieferung der Auslandslandseinsätze<br />

Umgestaltung der IT-Technik:<br />

Eine Herkulesaufgabe<br />

Ein Kernelement der Transformation bildet die (Weiter-)Entwicklung<br />

adäquater Kommunikations- und IT-Strukturen. Das im<br />

Jahre 2006 zwischen dem Bund, Siemens Business Services und<br />

IBM Deutschland geschlossene Vertragswerk »Herkules« dient<br />

der Modernisierung und Standardisierung des Grundbetriebes<br />

der IT innerhalb der Bundeswehr und der Wehrverwaltung. Das<br />

Ziel besteht darin, ein medienbruchfreies, flächendeckendes und<br />

leistungsstarkes Kommunikationsnetz aller festen und mobilen<br />

Teile der Bundeswehr zu schaffen. Es handelt sich dabei um das<br />

derzeit größte Projekt in Public-Private-Partnership in Europa<br />

mit einem Finanzierungsvolumen von 7,1 Milliarden Euro bei<br />

einer Vertragslaufzeit von zehn Jahren.<br />

Das parallel dazu im Auau befindliche IT-System der Bundeswehr<br />

setzt sich funktional aus zwei Subsystemen zusammen,<br />

dem Informationssystem Unterstützung BW (»weiße IT«) und<br />

dem Führungsinformationssystem BW (»grüne IT«). Für das Informationssystem<br />

Unterstützung BW wird auf der Basis kommerzieller<br />

Sowareprodukte für alle administrativen und logistischen<br />

Prozesse eine Standard-Anwendungs-Produkt-Familie<br />

(SASPF) entwickelt. SASPF soll – in Kombination mit marktüblichen<br />

Fabrikaten für Zentrale Dienste (Intranet, Mail-/Kommunikationsdienste,<br />

Office-Pakete usw.) – die derzeit rund 300 im<br />

Einsatz befindlichen älteren Fachanwendungssysteme ablösen,<br />

die in den wenigsten Fällen untereinander kompatibel sind und<br />

deren Wartungs- und Regenerationsaufwand hoch ist.<br />

Bis 2016 sollen in den Hauptprozessen Bundeswehrplanung,<br />

Controlling, Rechnungswesen, Personal, Organisation, Rüstung/<br />

Logistik, Infrastruktur/Umwelt, Individualausbildung und Gesundheitsversorgung<br />

für insgesamt 90 Teilprojekte SASPF realisiert<br />

werden. Mit geschätzten 425 000 Personaldatensätzen<br />

für Soldatinnen und Soldaten sowie zivile Mitarbeiter wird das<br />

entstehende System zur Personalbearbeitung eines der größten<br />

Personalbewirtschaungssysteme weltweit sein. Zudem halten<br />

elektronische Vorgangsbearbeitungssysteme Einzug. Die<br />

D-konforme Sowarelösung F befindet sich in der<br />

291


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

Pilotierung für das Bundesministerium der Verteidigung. Sie<br />

soll dort schon bald die in hohem Maße unstrukturierten Arbeitsprozesse<br />

effizienter gestalten und bestehende Defizite in<br />

der Schrigutverwaltung überwinden. Diese äußern sich nicht<br />

zuletzt in Gestalt von unzähligen, parallel zu den Registraturen<br />

bestehenden Bearbeiterablagen mit einem File-Server-Speicherbedarf<br />

von über 18 Terabyte (Stand 2006).<br />

292<br />

Integrierte Informationssysteme,<br />

dezentrale Daten<br />

Vernetzte Operationsführung (NetOpFü) liegt als Leitidee dem<br />

Auau des Führungsinformationsystems BW (FüInfoSysBW)<br />

zugrunde. Damit sind tiefgreifende Auswirkungen auf Führungsprozesse,<br />

Auau- und Ablauforganisationen sowie Technologie<br />

verbunden, deren Konsequenzen für die militärische<br />

Überlieferungsbildung kaum absehbar sind.<br />

Die Vernetzung von Aulärungs-, Führungs- und Waffensystemen<br />

soll überall und zu jeder Zeit Echtzeitinformationen<br />

bereitstellen und dadurch einen entscheidenden Beitrag zur Einsatzeffizienz<br />

der Streitkräe liefern. Die Bundeswehr schreitet<br />

zügig beim Auau eines streitkräegemeinsamen, führungsebenenübergreifenden<br />

und wegen der multinationalen Einbindung<br />

der deutschen Streitkräe interoperablen Kommunikations- und<br />

Informationsverbundes voran. Allein um mit den modernen Armeen<br />

der Bündnispartner Schri zu halten, wird diese Dynamik<br />

eher zu- denn abnehmen. Das Ziel der Vernetzten Operationsführung<br />

ist die Integration von Personen, Stellen, Truppenteilen und<br />

Einrichtungen sowie Aulärungsmieln und Waffensystemen in<br />

einen statisch wie mobil zur Verfügung stehenden Kommunikationsverbund,<br />

der sich auf redundante, breitbandige (d.h. übertragungsstarke)<br />

und global verfügbare Verbindungen stützt. Schon<br />

jetzt kommunizieren beispielsweise deutsche Marineeinheiten, die<br />

im Rahmen der Operation E F vor dem Horn von<br />

Afrika patrouillieren, über das NATO-Führungsinformationssystem<br />

Maritime Command and Control Information System mit dem<br />

Floenkommando in Glücksburg, das wiederum als Knotenpunkt


Die archivische Überlieferung der Auslandslandseinsätze<br />

Künftig ist selbst der Einzelschütze in die »Vernetzte<br />

Operationsführung« eingebunden – im Bild ein Soldat<br />

an der Infanterieschule Hammelburg, der seinen<br />

»Personal Data Assistant« bedient (Sommer 2006).<br />

des Wide Area Network (WAN) der Bundeswehr<br />

die Verbindung an die nationalen<br />

Hauptquartiere (Einsatzführungskommando<br />

in Potsdam, Kommando Operative Führung<br />

Eingreiräe in Ulm) herstellt.<br />

Die Überlieferung aus der Vernetzten<br />

Operationsführung, d.h. die dauerhae<br />

Sicherung von Informationen, beruht<br />

auf dezentraler Datenhaltung. Die Datenübertragung<br />

erfolgt verschlüsselt, der Zugang<br />

zum Führungsinformationssystem ullstein bild - Giribas<br />

ist abhängig von den Erfordernissen der<br />

Geheimhaltung und der Datensicherheit. Das Netzwerk soll den<br />

Austausch unterschiedlicher Daten gewährleisten (Bild, Video,<br />

Text, Sprache, Geoinformationen) und eine umfangreiche Palee<br />

von Fachanwendungen und standardisierten Werkzeugen<br />

integrieren. Datenbanken und Geoinformationssysteme sind<br />

seine tragenden Säulen. Um die Interoperabilität des Führungsinformationssystems<br />

mit den Systemen, Einheiten und Dienststellen<br />

verbündeter Streitkräe sicherzustellen, lehnt sich die<br />

Bundeswehr bei der Modellierung der IT-Architekturen eng<br />

an das NATO Architecture Framework (NAF) an. Das Kerndatenmodell<br />

Bundeswehr (KDMBw) stützt sich auf internationale<br />

Standardisierungsergebnisse und dient als Grundlage für die<br />

Beschreibung von Datenelementen in Architekturen.<br />

Zwang zur Standardisierung – neue<br />

Informationsstrukturen<br />

Der interoperabilitätsbedingte Zwang zur Standardisierung arbeitet<br />

den spezifischen Belangen der Archivare zu. Gleichzeitig<br />

sehen diese sich aber mit der Herausforderung konfrontiert, wie<br />

293


II. Militär, Politik und Gesellschaft<br />

in einem bundeswehrüberspannenden digitalen Informations-<br />

und Kommunikationsverbund die in kaum vorstellbarem Umfang<br />

anfallenden digitalen Informationen überhaupt strukturiert und<br />

vorgehalten werden sollen. Das eingangs gezeigte Foto aus der<br />

Operationszentrale des Einsatzführungskommandos in Schwielowsee<br />

macht deutlich: die Zukun ist längst in der Gegenwart<br />

angekommen.<br />

Die Palee der offenen Fragen mit archivischer Relevanz ist<br />

breit gefächert: Die Hürden deutscher, EU-, NATO- sowie weiterer<br />

nationaler Geheimhaltungsvorschrien, kurzlebige Organisationsstrukturen<br />

und ein im Vergleich zu nicht-militärischen<br />

Dienststellen extremes Maß an personeller Fluktuation lassen<br />

erahnen, welchen überdurchschnilichen personellen, zeitlichen<br />

und materiellen Aufwand die systematische und zielorientierte<br />

Sammlung produzierten »Schrigutes« erfordert. Bislang liegen<br />

kaum entsprechende Erfahrungen vor.<br />

Eine weitere Besonderheit unterscheidet die Überlieferung der<br />

Bundeswehr von jener des zivilen Bereichs. Multinationalität bildet<br />

das bestimmende Prinzip der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.<br />

Auslandseinsätze der Bundeswehr erfolgen im<br />

multinationalen Rahmen, d.h. innerhalb von NATO oder EU oder<br />

unter der Führung der Vereinten Nationen. Die Bundesrepublik<br />

stellt Heeres-, Luwaffen- und Marineeinheiten für die NATO<br />

Response Force sowie als Beitrag zum Balegroup-Konzept der<br />

Europäischen Union. Als Folge dieser Entwicklungen verschmelzen<br />

nationale militärische Organisationsstrukturen zu multinationalen<br />

Komplexen, Zuständigkeiten und Verantwortliche wechseln<br />

turnusgemäß oder ad hoc, insgesamt aber unbeständig und<br />

ohne festes Muster. Die Führung multinationaler Einsatzverbände<br />

wechselt, die nationalen Kontingente wechseln ebenso.<br />

Wie kann sichergestellt werden, dass späteren Benutzern kein<br />

»Flickenteppich« historischer Quellen, sondern eine aus deutscher<br />

Perspektive homogene und geschlossene Überlieferung vorgelegt<br />

werden kann? Wo und wie ist innerhalb des Hierarchie- und Organisationsgefüges<br />

überhaupt der archivwürdige Teil einer Überlieferung<br />

auszumachen? Zur Verdeutlichung: Erschließen sich die<br />

Ursachen für den Beinahe-Beschuss israelischer Einheiten durch<br />

die vor der libanesischen Küste patrouillierende Fregae »Niedersachsen«<br />

im Frühjahr 2007 hinreichend aus den zusammengefass-<br />

294


Die archivische Überlieferung der Auslandslandseinsätze<br />

Bundeswehrsoldaten arbeiten auf<br />

dem Truppenübungsplatz in Stetten<br />

am kalten Markt während der vom<br />

Kommando Operative Führung<br />

Eingreifkräfte geleiteten multinationalen<br />

Stabsrahmenübung EUROPEAN<br />

ENDEAVOUR 2008 an ihren<br />

Dienstrechnern.<br />

picture-alliance/dpa/Patrick Seeger<br />

ten Meldungen und Berichten der politischen Führungsebene?<br />

Welche Quellen werden benötigt um zu klären, warum die KFOR-<br />

Truppe im Kosovo im März 2004 vom Ausbruch öffentlicher Gewalt<br />

bis hin zur Handlungsunfähigkeit überrascht wurde? Die<br />

Sicherung freier Wahlen in der Demokratischen Republik Kongo<br />

durch 780 Bundeswehrsoldaten in einem EU-geführten Einsatz,<br />

die öffentliche Kontroverse über die Form militärischen Engagements<br />

Deutschlands in Afghanistan oder die aktuelle Diskussion<br />

um eine aktive Rolle der Deutschen Marine bei der Bekämpfung<br />

von Piraterie in internationalen Gewässern machen deutlich, wie<br />

komplex die Ereignisse sind, die Historiker später aus der Rückschau<br />

zu bewerten haben.<br />

Welches sind die Standards für die Überlieferung von Operationen,<br />

die im Zusammenhang mit dem Einsatz militärischer<br />

Gewalt erfolgen, wie sie das Zentrum für Transformation der<br />

Bundeswehr in seiner Zukunsanalyse bis zum Jahre 2035 vorzudenken<br />

versucht? Nie waren die konzeptionellen, organisatorischen,<br />

rechtlichen und inhaltlichen Anforderungen höher,<br />

was die dauerhae Sicherung der militärischen Überlieferung<br />

angeht. Es geht darum, die Transformation der Bundeswehr als<br />

Armee im Einsatz für die Nachwelt in aussagekräiger und benutzbarer<br />

Form zu dokumentieren.<br />

Andreas Kunz<br />

295


Anhang<br />

296<br />

Auslandseinsätze der Bundeswehr<br />

Zeitraum Land/Region Operation<br />

Jan. bis März 2009 Tschad EUFOR Tschad<br />

seit Dez. 2008 Horn von Afrika Atalanta<br />

seit Jan. 2008 Sudan (Darfur) UNAMID<br />

seit Sept. 2006 Libanon UNIFIL II<br />

Juli 2006 bis Dez. 2006 Kongo EUFOR RD Congo<br />

Okt. 2005 bis Dez. 2007 Sudan AMIS<br />

seit April 2005 Sudan UNMIS<br />

seit Dez. 2004 Bosnien-Herzegowina EUFOR Althea<br />

Febr. 2004 bis Juli 2008 Äthiopien/Eritrea UNMEE<br />

Juli 2003 bis Sept. 2003 Kongo Artemis<br />

seit März 2002 Afghanistan UNAMA<br />

Febr. 2002 bis Juli 2003 Kuwait Enduring Freedom<br />

seit Jan. 2002 Afghanistan ISAF<br />

seit Nov. 2001 Deutschland (Basis) STRATAIRMEDEVC<br />

seit Nov. 2001 Horn von Afrika Enduring Freedom<br />

seit Okt. 2001 Mi elmeer Active Endeavour<br />

Aug. 2001 bis Dez. 2003 Mazedonien Essential Harvest/Amber Fox/<br />

Allied Harmony/Concordia<br />

Okt. 1999 bis Febr. 2000 Ost-Timor Interfet<br />

seit Juni 1999 Kosovo KFOR<br />

März 1999 bis Juni 1999 Kosovo Allied Force<br />

April bis August 1999 Albanien AFOR<br />

Dez. 1998 bis Juni 1999 Mazedonien EXFOR<br />

März 1997 Albanien Libelle<br />

Aug. 1995 bis Dez. 2004 Bosnien-Herzegowina UNPROFOR/IFOR/SFOR<br />

Juli 1995 bis Dez. 1995 Kroatien UNPF<br />

Juli 1994 bis Dez. 1994 Ruanda UNAMIR<br />

März 1994 bis Juni 2009 Georgien UNOMIG<br />

Aug. 1993 bis März 1994 Somalia UNOSOM II<br />

Juli 1992 bis Jan. 1996 Bosnien-Herzegowina Lu brücke/Deny Flight<br />

Juni 1992 bis Juni 1996 Jugoslawien/Adria Sharp Guard<br />

Okt. 1991 bis Nov. 1993 Kambodscha UNAMIC/UNTAC<br />

Aug. 1991 bis Sept. 1996 Irak UNSCOM<br />

Juli 1991 Persischer Golf Minenräumoperation<br />

Jan. 1991 bis März 1991 Türkei AMF Air<br />

1990 bis 1991 Jordanien, Saudi-<br />

Arabien, Katar<br />

ABC-Abwehr


Humanitäre Hilfseinsätze im In- und Ausland<br />

Jahr Land/Region Grund<br />

2005 Pakistan Erdbeben<br />

2004 Sudan Hilfsflüge<br />

2004 Südostasien Tsunami<br />

2002 Deutschland Hochwasser Elbe<br />

2000 Mosambik Hochwasser<br />

1999 Albanien Flüchtlingshilfe<br />

1999 Mazedonien Flüchtlingshilfe<br />

1999 Türkei Erdbeben<br />

1999 Griechenland Erdbeben<br />

1999 Österreich Lawinenunglück<br />

1998 Eritrea/Äthiopien Evakuierung<br />

1998 Sudan Hungerhilfe<br />

1998 Griechenland Brandbekämpfung<br />

1998 Kroatien Brandbekämpfung<br />

1998 Österreich Grubenunglück<br />

1997 Deutschland Hochwasser Oder<br />

1997 Türkei Brandbekämpfung<br />

1997 Polen Hochwasser Oder<br />

1995 Deutschland Hochwasser Rhein<br />

1994 Griechenland Brandbekämpfung<br />

1994 Albanien Flutkatastrophe<br />

1994 Türkei Erdbeben<br />

1993 Griechenland Brandbekämpfung<br />

1992 Russland Winterhilfe<br />

1992 Türkei Erdbeben<br />

1992 Somalia Hungerhilfe<br />

1991 Albanien Humanitäre Hilfe<br />

1991 Kenia Humanitäre Hilfe<br />

1991 Türkei Kurdenhilfe<br />

1991 Iran Kurdenhilfe<br />

1990 Portugal Ölverschmutzung<br />

1990 Rumänien Hungerhilfe<br />

1990 Tunesien Überschwemmung<br />

1990 Liberia Bürgerkrieg<br />

Einsätze der Bundeswehr<br />

297


Anhang<br />

Jahr Land/Region Grund<br />

1990 Iran Erdbeben<br />

1990 Griechenland Brandbekämpfung<br />

1990 UdSSR Hungerhilfe<br />

1989 Namibia Wahlunterstützung<br />

1989 Sudan Dürre<br />

1989 Uganda Dürre<br />

1989 Panama Hungerhilfe<br />

1989 Rumänien Humanitäre Hilfe<br />

1989 Namibia Wahlunterstützung<br />

1988 UdSSR [Armenien] Erdbeben<br />

1987 Kenia Humanitäre Hilfe<br />

1987 Dschibuti Hilfe nach Bombenanschlag<br />

1986 Kamerun Hilfe nach Vulkangas-Katastrophe<br />

1986 Griechenland Erdbeben<br />

1986 El Salvador Erdbeben<br />

1985 Sudan Dürre<br />

1985 Türkei Busunglück<br />

1985 Kolumbien Vulkanausbruch<br />

1984 Äthiopien Dürre<br />

1983 Uganda Hungerhilfe<br />

1983 Mauretanien Hungerhilfe<br />

1983 Italien Brandbekämpfung auf Sardinien<br />

1982 Jemen Dürre<br />

1982 Uganda Hungerhilfe<br />

1982 Pakistan Hungerhilfe<br />

1981 Italien Erdbeben<br />

1981 Pakistan Hungerhilfe<br />

1981 Uganda Hungerhilfe<br />

1981 Griechenland Erdbeben<br />

1980 Nicaragua Hungerhilfe<br />

1980 Somalia Hungerhilfe<br />

1980 Mali Hungerhilfe<br />

1980 Uganda Hungerhilfe<br />

1980 Pakistan Hungerhilfe<br />

1980 Sudan Hungerhilfe<br />

1980 Algerien Erdbeben<br />

1980 Somalia Erdbeben<br />

1980 Mosambique Dürre<br />

298


Jahr Land/Region Grund<br />

1980 Italien Erdbeben<br />

1979 Uganda Hungerhilfe<br />

1979 China Notstand<br />

1979 Nicaragua Erdbeben<br />

1979 Malaysia Hurrikan<br />

1979 Deutschland Schneekatastrophe<br />

1978 Mali Hungerhilfe<br />

1978 Syrien Hungerhilfe<br />

1978 Israel Notstand<br />

Einsätze der Bundeswehr<br />

1978 Algerien humanitäre Hilfe nach Unruhen<br />

1978 Malaysia humanitäre Hilfe nach Unruhen<br />

1978 Spanien Explosionsunglück<br />

1978 Sudan Überschwemmung<br />

1978 Iran Erdbeben<br />

1977 Rumänien Erdbeben<br />

1977 Tschad Dürre<br />

1977 Indien Unweerkatastrophe<br />

1976 Guatemala Erdbeben<br />

1976 Italien Erdbeben<br />

1976 Türkei Erdbeben<br />

1975 Pakistan Hungerhilfe<br />

1975 Deutschland Brandbekämpfung<br />

1975 Angola Hungerhilfe<br />

1975 Ghana Hungerhilfe<br />

1975 Portugal Erdbeben<br />

1974 Ägypten Transport von UN-Truppen<br />

1974 Tschad Dürre<br />

1974 Äthiopien Dürre<br />

1974 Niger Dürre<br />

1974 Mali Dürre<br />

1974 Sudan Dürre<br />

1974 Mauretanien Dürre<br />

1974 Obervolta (Heute: Burkina Faso) Dürre<br />

1974 Honduras Dürre<br />

1974 Somalia Dürre<br />

1974 Zypern Notstand<br />

1974 Brasilien Hungerhilfe<br />

1974 Deutschland Schwalbenreung<br />

299


Anhang<br />

Jahr Land/Region Grund<br />

1973 Ägypten Transport von UN-Truppen<br />

1973 Sudan Dürre<br />

1973 Äthiopien Dürre<br />

1973 Mali Dürre<br />

1973 Algerien Dürre<br />

1973 Tunesien Dürre<br />

1973 Niger Dürre<br />

1973 Tschad Dürre<br />

1973 Obervolta (Heute: Burkina Faso) Dürre<br />

1973 Mauretanien Dürre<br />

1973 Senegal Hungerhilfe<br />

1973 Pakistan Hungerhilfe<br />

1973 Nigeria Hungerhilfe<br />

1973 Somalia Hungerhilfe<br />

1972 Nicaragua Humanitäre Hilfe<br />

1971 Türkei Erdbeben<br />

1971 Chile Hochwasser<br />

1971 Italien Fährunglück<br />

1971 Indien Hungerhilfe<br />

1971 Pakistan Hungerhilfe<br />

1970 Tunesien Hochwasser<br />

1970 Nicaragua Hochwasser<br />

1970 Algerien Hochwasser<br />

1970 Türkei Hochwasser<br />

1970 Peru Hochwasser<br />

1970 Jemen Hochwasser<br />

1970 Pakistan Dürre<br />

1970 Nigeria Hochwasser<br />

1969 Algerien Hilfsaktion<br />

1969 Tunesien Hilfsaktion<br />

1968 Iran Erdbeben<br />

1968 Italien Erdbeben<br />

1968 Biafra Hungerhilfe<br />

1966 Türkei Erdbeben<br />

1966 Italien Hochwasser<br />

1966 Griechenland Notstand<br />

1965 Algerien Hilfsaktion<br />

1963 Südjemen Dürre<br />

300


Jahr Land/Region Grund<br />

1963 Algerien Überschwemmung<br />

1962 Deutschland Hochwasser Hamburg<br />

1961 Niger Hungerhilfe<br />

1961 Zypern Notstand<br />

1960 Angola Hungerhilfe<br />

1960 Marokko Erdbeben<br />

Einsätze der Bundeswehr<br />

301


Anhang<br />

Soweit vorhanden, sind bei Buchtiteln die deutschen Übersetzungen aufgeführt.<br />

Die genannten Werke sind zum Teil im Buchhandel vergriffen. Bie wenden Sie<br />

sich in diesem Fall an Bibliotheken oder suchen Sie nach antiquarischen Ausgaben<br />

(z.B. bei www.zvab.com oder www.eurobuch.com). Angehörige der Bundeswehr<br />

können Publikationen des MGFA wie den »Wegweiser zur Geschichte« kostenlos<br />

anfordern (Bezugsquellen und weitere Informationen auf hp://www.mgfa.de/<br />

html/einsatzunterstuetzung/).<br />

Allgemeines ...............................................................................................................<br />

Abenheim, Donald, Bundeswehr und Tradition. Die Suche nach dem gültigen<br />

Erbe des deutschen Soldaten, München 1989<br />

Armee im Einsatz. Grundlagen, Strategien und Ergebnisse einer Beteiligung der<br />

Bundeswehr. Hrsg. von Hans-Joachim Gießmann und Armin Wagner, Baden-<br />

Baden 2009<br />

Auslandseinsätze der Bundeswehr: Leitfragen, Entscheidungsspielräume und<br />

Lehren (= SWP-Studie S 27/2007). Hrsg. von Stefan Mair, Berlin 2007<br />

Beck, Daniel, Auslandseinsätze deutscher Streitkräe, Hamburg 2008<br />

Bernecker, Arabelle, Internationales Konfliktmanagement am Beispiel des Krieges<br />

in Bosnien, 1992-1995, Frankfurt a.M. 2001<br />

Die Blauhelme. Im Einsatz für den Frieden. Hrsg. von Ernst Koch, Frankfurt a.M.,<br />

Bonn 1991<br />

Bundeswehr und Tradition. Zur Debae um das künige Geschichts- und Traditionsverständnis<br />

in den Streitkräen. Hrsg. von Andreas Prüfert, Baden-Baden<br />

2000<br />

Bundeswehr – Die nächsten 50 Jahre. Anforderungen an deutsche Streitkräe im<br />

21. Jahrhundert. Hrsg. von Joachim Krause und Jan C. Irlenkaeuser, Opladen<br />

2006<br />

Die Bundeswehr 1955-2005. Rückblenden – Einsichten – Perspektiven. Hrsg. von<br />

Frank Nägler, München 2007<br />

Bundeswehr im Einsatz. Katalog zur Ausstellung anlässlich des 15. Jahrestages der<br />

ersten Parlamentsmandatierung von bewaffneten Einsätzen der Bundeswehr<br />

im Ausland. Hrsg. vom Bundesministerium der Verteidigung, Berlin 2009<br />

Burghardt, Diana, Für ein effizientes Friedensengagement: Das Konzept der Integrierten<br />

Missionen, Bonn 2007 (= BICC Konzeptpapiere)<br />

Chauvistré, Eric, Wir Gutkrieger. Warum die Bundeswehr im Ausland scheitern<br />

wird, Frankfurt a.M., New York 2009<br />

Conze, Eckhart, Die Suche nach Sicherheit. Eine Geschichte der Bundesrepublik<br />

Deutschland von 1949 bis in die Gegenwart, München 2009<br />

Deutsche Sicherheitspolitik. Herausforderungen, Akteure und Prozesse. Hrsg. von<br />

Sven Böckenförde und Bernhard Gareis, Opladen, Farmington Hills, MI 2009<br />

Doyle, Michael, und Nicholas Sambanis, Making War and Building Peace: United<br />

Nations Peace Operations, Princeton, NJ 2006<br />

Einsatz der Bundeswehr im Ausland. Rechtsgrundlagen und Rechtspraxis. Hrsg.<br />

von Dieter Weingärtner, Baden-Baden 2006<br />

Eisele, Manfred, Die Vereinten Nationen und das internationale Krisenmanagement,<br />

Frankfurt a.M. 2000<br />

Entschieden für Frieden. 50 Jahre Bundeswehr. Hrsg. von Klaus-Jürgen Bremm<br />

u.a., Freiburg 2005<br />

Europa ohne Sicherheit. Chancen und Risiken der Europäischen Sicherheits- und<br />

Verteidigungspolitik. Hrsg. von Erich Reiter, Wien 2007<br />

302


Literatur und neue Medien<br />

Die Europäische Union im Kampf gegen den Terrorismus: Sicherheit vs. Freiheit?<br />

Hrsg. von Erwin Müller und Patricia Schneider, Baden-Baden 2006<br />

Flechtner, Stefanie, In neuer Mission. Auslandseinsätze und die deutsche Sicherheitspolitik,<br />

Berlin 2007 (= Kompass 2020. Deutschland in den internationalen<br />

Beziehungen: Ziele, Instrumente, Perspektiven)<br />

Forsteneichner, Günter F.C., Auslandseinsätze der Bundeswehr, Sulzbach, Ts.,<br />

Bonn 2006 (= isp-Sonderhe IV)<br />

Freuding, Christian, Streitkräe als Instrument deutscher Außen- und Sicherheitspolitik<br />

seit Mie der neunziger Jahre, Hamburg 2007<br />

Den Frieden gewinnen: Zur Konsolidierung von Friedensprozessen in Nachkriegsgesellschaen.<br />

Hrsg. von Mir A. Ferdowski und Volker Mahies, Bonn 2003<br />

Friedensethik im Einsatz: ein Handbuch der Evangelischen Seelsorge in der Bundeswehr.<br />

Hrsg. von Hartwig von Schubert, Gütersloh 2009<br />

Friedensgutachten 2009. Hrsg. von Jochen Hippler u.a., Münster 2009<br />

Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, 5 Bde in 6 Teilen. Hrsg. von Karl<br />

Dietrich Bracher u.a., Stugart, Wiesbaden 1983-1987<br />

Görtemaker, Manfred, Geschichte der Bundesrepublik Deutschland: Von der<br />

Gründung bis zur Gegenwart, Frankfurt a.M. 2004<br />

Hacke, Christian, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Von Konrad<br />

Adenauer bis Gerhard Schröder, 2., aktualisierte Aufl., Berlin 2004<br />

Haendorn, Helga, Deutsche Außenpolitik zwischen Selbstbeschränkung und<br />

Selbstbehauptung, Stugart 2001<br />

Handbuch Militär und Sozialwissenscha. Hrsg. von Sven Bernhard Gareis und<br />

Paul Klein, Wiesbaden 2004<br />

Hoffmann, Oskar, Deutsche Blauhelme bei UN-Missionen. Politische Hintergründe<br />

und rechtliche Aspekte, München 1993<br />

Der Islam in der Gegenwart. Hrsg. von Werner Ende und Udo Steinbach, Bonn<br />

2005<br />

Jünemann, Annee, und Niklas Schöring, Die Sicherheits- und Verteidigungspolitik<br />

der »Zivilmacht Europa«. Ein Widerspruch in sich?, Frankfurt a.M. 2002<br />

(= HFSK-Report 13/2002)<br />

Kaldor, Mary, Neue und alte Kriege: Organisierte Gewalt im Zeitalter der Globalisierung,<br />

Frankfurt a.M. 2007<br />

Kennedy, Paul, Parlament der Menschheit. Die Vereinten Nationen und der Weg<br />

zur Weltregierung, München 2007<br />

Krüger, Heiko, Kosovo, Abchasien, Südossetien und das internationale Sezessionsrecht,<br />

Berlin 2009<br />

Kümmel, Gerhard, Asymmetrische Konflikte und Terrorismusbekämpfung. Prototypen<br />

zuküniger Kriege, Baden-Baden 2003<br />

de Libero, Loretana, Tradition in Zeiten der Transformation: Zum Traditionsverständnis<br />

der Bundeswehr im frühen 21. Jahrhundert, Paderborn u.a. 2006<br />

Limpert, Martin, Auslandseinsatz der Bundeswehr, Berlin 2002<br />

Limpert, Martin, Parlamentsheer unter exekutivem Befehl, Berlin 2008<br />

Münkler, Herfried, Der Wandel des Krieges: von der Symmetrie zur Asymmetrie,<br />

Weilerwist 2006<br />

Naumann, Klaus, Einsatz ohne Ziel? Die Politikbedürigkeit des Militärischen,<br />

Hamburg 2008<br />

Ooyen, Robert Christian van, Die neue Welt des Krieges und das Recht. Out-ofarea-Einsätze<br />

der Bundeswehr im verfassungsfreien Raum. In: Internationale<br />

Politik und Gesellscha, 5 (2002), S. 90-110<br />

303


Anhang<br />

Philippi, Nina, Bundeswehrauslandseinsätze als außen- und sicherheitspolitisches<br />

Problem des geeinten Deutschland, Frankfurt a.M. 1997<br />

Rauch, Andreas M., Auslandseinsätze der Bundeswehr, Baden-Baden 2006<br />

Regelsberger, Elfriede, Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU (GASP):<br />

Konstitutionelle Angebote im Praxistest 1993-2003, Baden-Baden 2004<br />

Schöllgen, Gregor, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Von den<br />

Anfängen bis zur Gegenwart, München 1999<br />

Schröder, Florian, Das parlamentarische Zustimmungsverfahren zum Auslandseinsatz<br />

der Bundeswehr in der Praxis, Köln u.a. 2005<br />

Schröder, Stephanie, Zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Krisenprävention in<br />

der europäischen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Konzepte,<br />

Kapazitäten, Kohärenzprobleme, Berlin 2006<br />

Sicherheit versus Freiheit? Hrsg. von Andreas von Arnauld und Michael Starck,<br />

Berlin 2008<br />

Sicherheits- und verteidigungspolitisches Meinungsklima in der Bundesrepublik<br />

Deutschland. Hrsg. von Thomas Bulmahn u.a., Strausberg 2008 (= Sozialwissenschaliches<br />

Institut der Bundeswehr; Forschungsbericht 84)<br />

Die Sicherheitspolitik der EU im Werden. Bedrohungen, Aktivitäten, Fähigkeiten.<br />

Hrsg. von Hans-Georg Erhart und Burkard Schmi, Baden-Baden 2004<br />

Sigloch, Daniel, Auslandseinsätze der deutschen Bundeswehr. Verfassungsrechtliche<br />

Möglichkeiten und Grenzen, Hamburg 2006<br />

Streitkräe zähmen, Sicherheit schaffen, Frieden gewinnen. Hrsg. von Hans J.<br />

Gießmann und Götz Neuneck, Baden-Baden 2008<br />

Vereint marschieren – Marcher uni. Die deutsch-französische Sicherheitskooperation<br />

als Paradigma europäischer Streitkräe? Hrsg. von Sven Bernhard Gareis<br />

und Nina Leonhard, Wiesbaden 2008<br />

Volger, Helmut, Geschichte der Vereinten Nationen, München 2008<br />

Von Kambodscha bis Kosovo. Auslandseinsätze der Bundeswehr seit Ende des<br />

Kalten Krieges. Hrsg. von Peter Goebel, Frankfurt a.M., Bonn 2000<br />

Weber, Mahias, Der UNO-Einsatz in Somalia – Die Problematik einer humanitären<br />

Intervention, Denzlingen 1997<br />

Wiefelspütz, Dieter, Der Auslandseinsatz der Bundeswehr und das Parlamentsbeteiligungsgesetz,<br />

Frankfurt a.M. 2008<br />

Wizelman, Leah, Wenn der Krieg nicht endet. Schicksale von traumatisierten<br />

Soldaten und ihren Angehörigen, Bonn 2009<br />

Wölfle, Markus, Die Auslandseinsätze der Bundeswehr und die Auswirkungen<br />

auf die Rolle der Bundesrepublik Deutschland im internationalen System. Ein<br />

Vergleich von Rollenkonzept und Rollenverhalten unter besonderer Berücksichtigung<br />

des Zivilmachtskonzepts, Bonn 2005<br />

Wolfrum, Edgar, Die geglückte Demokratie. Geschichte der Bundesrepublik<br />

Deutschland von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, Stugart 2006<br />

Zentralasien (Afghanistan und Usbekistan) ..............................................................<br />

Afghanistan – A Country Without a State? Hrsg. von Christine Nölle-Karimi,<br />

Conrad Scheer und Reinhard Schlagintweit, Frankfurt a.M. u.a. 2002<br />

Afghanistan Research and Evaluation Unit (AREU). The A to Z Guide to Afghanistan<br />

Assistance, 2nd ed., Kabul 2003<br />

The Afghanistan Challenge: Hard Realities and Strategic Choices. Ed. by Hans-<br />

Georg Erhart und Charles Pentland, Montreal 2009<br />

Binder, Franz, Mielasien. Tor zwischen zwei Welten, München 2004<br />

304


Literatur und neue Medien<br />

Böhm, Peter, Tamerlans Erben. Zentralasiatische Annäherungen, Wien 2005<br />

Dupree, Louis, Afghanistan, Princeton, NJ 1973<br />

Elger, Ralf, Kleines Islam-Lexikon. Geschichte – Alltag – Kultur, Bonn 2003<br />

Ende, Werner, Udo Steinbach und Renate Laut, Der Islam in der Gegenwart,<br />

München 2005<br />

Fundamentalism Reborn? Afghanistan and the Taliban. Ed. by William Maley,<br />

New York 2001<br />

Giese, Ernst, und Jenniver Sehring, Destabilisierungs- und Konfliktpotenzial prognostizierter<br />

Umweltveränderungen in der Region Zentralasien bis 2020/2050,<br />

Gießen, Berlin 2006<br />

Grötzbach, Erwin, Afghanistan. Eine geographische Landeskunde, Darmstadt 1990<br />

Grützmacher, Christoph, Islamistischer Terrorismus als Sicherheitsproblem in<br />

Asien. Kampf im Namen Allahs?, Hamburg 2008<br />

Halbach, Uwe, Usbekistan als Herausforderung für westliche Zentralasienpolitik,<br />

Berlin 2006 (= SWP-Studie, 26)<br />

Haussig, Hans-Wilhelm, Die Geschichte Zentralasiens und der Seidenstraße in<br />

islamischer Zeit, Darmstadt 1994<br />

Höllmann, Thomas O., Die Seidenstrasse, München 2004<br />

Kaim, Markus, ISAF ausbauen – OEF beenden. Zur Debae um die Bundeswehr-<br />

Mandate in Afghanistan, Berlin 2007 (= SWP-Aktuell 43)<br />

Lange, Sascha, Die Bundeswehr in Afghanistan: Personal und technische Ausstattung<br />

in der Einsatzrealität, Berlin 2008 (= SWP-Studie S 09/2008)<br />

List, Dörthe, Regionale Kooperation in Zentralasien. Hindernisse und Möglichkeiten,<br />

Gießen 2005<br />

Machtmosaik Zentralasien. Traditionen, Restriktionen, Aspirationen. Hrsg. von<br />

Manfred Sapper, Volker Weichsel und Andrea Huterer, Berlin 2007 (= Osteuropa,<br />

8/9); unter gleichem Titel erschienen in der Schrienreihe der Bundeszentrale<br />

für politische Bildung, Bd 656, Bonn 2007<br />

Maley, William, Rescuing Afghanistan, London 2006<br />

Merey, Can, Die afghanische Misere: warum der Westen am Hindukusch zu scheitern<br />

droht, Weinheim 2008<br />

Noetzel, Timo, und Martin Zapfe, Aufstandsbekämpfung als Aurag. Instrumente<br />

und Planungsstrukturen für den ISAF-Einsatz, Berlin 2008 (= SWP-Studie<br />

S 13/2008)<br />

Pierce, Richard A., Russian Central Asia, 1867-1917. A Study in Colonial Rule,<br />

Berkeley, Los Angeles, CA 1960<br />

Rashid, Ahmed, Descent Into Chaos: How the War Against Islamic Extremism Is<br />

Being Lost in Pakistan, Afghanistan and Central Asia, London 2008<br />

Rashid, Ahmed, Taliban: Afghanistans Goeskrieger und der Dschihad, München 2002<br />

Sadyrbek, Mahabat, Die Zentralasienstrategie der EU. Neues »Great Game« oder<br />

Chance für die Region?, Hamburg 2009<br />

Scheer, Conrad, Kleine Geschichte Afghanistans, München 2004<br />

Schmunk, Michael, Die deutschen Provincial Reconstruction Teams. Ein neues<br />

Instrument zum Nation-Building, Berlin 2005 (= SWP-Studie S 033/2005)<br />

Sehring, Jenniver, Kooperation bei Wasserkonflikten. Die Bemühungen um nachhaltiges<br />

Wassermanagement in Zentralasien, Mainz 2002<br />

Wegweiser zur Geschichte. Afghanistan. Hrsg. von Bernhard Chiari, 3., überarb.<br />

und erw. Aufl., Paderborn u.a. 2009<br />

Wegweiser zur Geschichte. Usbekistan. Hrsg. von Bernhard Chiari und Magnus<br />

Pahl, Paderborn u.a. 2009<br />

305


Anhang<br />

Wegweiser zur Geschichte. Pakistan. Hrsg. von Bernhard Chiari und Conrad<br />

Scheer, Paderborn u.a. 2010<br />

Zentralasien. Hrsg. von Gavin Hambly, Frankfurt a.M. 1966<br />

Zentralasien und Islam. Hrsg. von Andrea Strasser, Hamburg 2002<br />

Zentralasien. 13. bis 20. Jahrhundert. Hrsg. von Bert Fragner und Andreas Kappeler,<br />

Wien 2006<br />

Zentralasien. Geschichte, Politik, Wirtscha. Ein Lexikon. Hrsg. von Marie-Carin<br />

von Gumppenberg und Udo Steinbach, München 2007<br />

Kaukasus ...................................................................................................................<br />

Auch, Eva-Maria, und Uwe Halbach, Kaukasus-Region, München 2003 (= Informationen<br />

zur politischen Bildung, aktuell)<br />

Baberowski, Jörg, Der Feind ist überall. Stalinismus im Kaukasus, München 2003<br />

The Baku-Tbilisi-Ceyhan Pipeline. Oil Window to the West. Ed. by Frederick Starr<br />

and Svante Cornell, Washington, DC 2005<br />

Brennpunkt Südkaukasus. Auruch trotz Krieg, Vertreibung und Willkürherrscha?<br />

Hrsg. von Gerhard Mangold, Wien 1999<br />

Coppieters, Bruno, Westliche Sicherheitspolitik und der Konflikt zwischen Georgien<br />

und Abchasien, Köln 1999 (= Bericht des Bundesinstituts für ostwissenschaliche<br />

und internationale Studien, 12)<br />

Grobbe-Hagel, Karl, Tschetschenien. Russlands langer Krieg, Köln 2001<br />

Gruska, Ulrike, Separatismus in Georgien. Möglichkeiten und Grenzen friedlicher<br />

Konfliktregelung am Beispiel Abchasien, Hamburg 2005<br />

Halbach, Uwe, Erdöl und Identität im Kaukasus. Regionalkonflikte zwischen<br />

ethnischer Mobilisierung und ökonomischem Interesse, Bonn 2002<br />

Hoffmann, Joachim, Kaukasien 1942/43. Das deutsche Heer und die Orientvölker der<br />

Sowjetunion, Freiburg i.Br. 1991 (= Einzelschrien zur Militärgeschichte, 35)<br />

Kappeler, Andreas, Russland als Vielvölkerreich. Entstehung, Geschichte, Zerfall,<br />

München 2001<br />

Der Kaukasus. Geschichte – Kultur – Politik. Hrsg. von Marie-Carin von Gumppenberg<br />

und Udo Steinbach, München 2008<br />

Der Krieg im Schaen. Russland und Tschetschenien. Hrsg. von Florian Hassel,<br />

Frankfurt a.M. 2003<br />

Russland und der postsowjetische Raum. Hrsg. von Roland Götz und Uwe<br />

Halbach, Baden-Baden 2003.<br />

Torke, Hans-Joachim, Einführung in die Geschichte Russlands, München 1997<br />

Wegweiser zur Geschichte. Kaukasus. Hrsg. von Bernhard Chiari, Paderborn u.a.<br />

2008<br />

Naher Osten ..............................................................................................................<br />

Achcar, Gilbert, und Michael Warschawski, Der 33-Tage-Krieg. Israels Krieg gegen<br />

die Hisbollah im Libanon und seine Folgen, Hamburg 2007<br />

Asseburg, Muriel, Die EU und der Friedensprozess im Nahen Osten, Berlin 2003<br />

(= SWP-Studie)<br />

Beck, Martin, Friedensprozess im Nahen Osten. Rationalität, Kooperation und<br />

politische Rente im Vorderen Orient, Wiesbaden 2002<br />

Clauss, Manfred, Das alte Israel. Geschichte, Gesellscha, Kultur, München 1999<br />

Fiedler, Heinz, und Karl-Heinz Volkert, Deutschland, Europa und der Nahe<br />

Osten, Frankfurt a.M. 2003<br />

Flores, Alexander, Die arabische Welt: Ein kleines Sachlexikon, Stugart 2003<br />

Geschichte der arabischen Welt. Hrsg. von Heinz Halm, 5. Aufl., München 2004<br />

306


Literatur und neue Medien<br />

Göksel, Timur, UNIFIL – Peacekeepers in the Line of Fire, Beirut 2007<br />

Hourani, Albert, Die Geschichte der arabischen Völker, Frankfurt a.M. 2000<br />

Kleines Islamlexikon. Geschichte, Alltag, Kultur. Hrsg. von Ralf Elger, München 2006<br />

O‘Ballance, Edgar, Civil War in Lebanon, 1975-1992, New York 1998<br />

Roer, Gernot, und Schirin Fahti, Nahostlexikon. Der israelisch-palästinensische<br />

Konflikt von A-Z, Heidelberg 2001<br />

Schreiber, Friedrich, und Michael Wolffsohn, Nahost. Geschichte und Struktur des<br />

Konflikts, Opladen 1995<br />

Segev, Tom, Es war einmal in Palästina. Juden und Araber vor der Staatsgründung<br />

Israels, München 2005<br />

Steininger, Rolf, Der Nahostkonflikt, Frankfurt a.M. 2003<br />

Wegweiser zur Geschichte. Naher Osten. Hrsg. von Bernhard Chiari und Dieter<br />

H. Kollmer, 2. Aufl., Paderborn u.a. 2009<br />

Wolffsohn, Michael, Wem gehört das Heilige Land? Die Wurzeln des Streits zwischen<br />

Juden und Arabern, München 2002<br />

Wullkopf, Frank, Die UNIFIL (1978-1998) als Beispiel für mangelhae Effizienz<br />

friedenssichernder Operationen der Vereinten Nationen, Münster 2001<br />

Balkan (Bosnien-Herzegowina und Kosovo) .............................................................<br />

Albanien zwischen Kreuz und Halbmond. Hrsg. von Werner Daum, München 1998<br />

Am Rande Europas? Der Balkan – Raum und Bevölkerung als Wirkungsfelder militärischer<br />

Gewalt. Hrsg. von Bernhard Chiari und Gerhard P. Groß, München 2009<br />

Bartl, Peter, Albanien. Vom Mielalter bis zur Gegenwart, Regensburg 1995<br />

Biermann, Rafael, Lehrjahre im Kosovo. Das Scheitern der internationalen Krisenprävention<br />

vor Kriegsausbruch, Paderborn u.a. 2006<br />

Boeckh, Katrin, Serbien. Montenegro. Geschichte und Gegenwart, Regensburg<br />

2009 (= Ost- und Südosteuropa. Geschichte der Länder und Völker)<br />

Bosnien und Herzegowina. Europas Balkanpolitik auf dem Prüfstand. Hrsg. von<br />

Erich Reiter und Predrag Jureković, Baden-Baden 2006<br />

Die Bundeswehr im Kosovo. Aurag und Ausrüstung. Hrsg. von Thomas A.<br />

Meuter, Bonn 2002<br />

Calic, Marie-Janine, Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, erw. Neuausg.,<br />

Frankfurt a.M. 1996<br />

Dayton. Perspektiven europäischer Sicherheit. Hrsg. von der Stiung Wissenscha<br />

und Politik. Forschungsinstitut für internationale Politik und Sicherheit,<br />

Ebenhausen 1996 (= SWP-IP 2946, Februar 1996)<br />

Džihič, Vedran, und Helmut Kramer, Der Kosovo nach der Unabhängigkeit.<br />

Hehre Ziele, enäuschte Hoffnungen und die Rolle der internationalen<br />

Gemeinscha, Berlin 2008<br />

Drakulić, Slavenka, Keiner war dabei. Kriegsverbrechen auf dem Balkan vor<br />

Gericht, Wien 2004<br />

Friedrich, Roland, Die deutsche Außenpolitik im Kosovo-Konflikt, Wiesbaden 2005<br />

Fritzler, Marc, Stichwort Bosnien, München 1994<br />

Gerolymatos, André, The Balkan Wars. Conquest, Revolution and Retribution<br />

from the Ooman Era to the Twentieth Century and Beyond, New York 2002<br />

Glenny, Misha, The Balkans. Nationalism, War and the Great Powers, 1804-1999,<br />

New York 2000<br />

Hösch, Edgar, Geschichte der Balkanländer von der Frühzeit bis zur Gegenwart,<br />

4. Aufl., München 2000<br />

Jertz, Walter, Krieg der Worte – Macht der Bilder. Manipulation oder Wahrheit im<br />

Kosovo-Konflikt?, Bonn 2001<br />

307


Anhang<br />

Der Jugoslawien-Krieg. Handbuch zu Vorgeschichte, Verlauf und Konsequenzen.<br />

Hrsg. von Dunja Melčić, 2. akt. und erw. Auflage, Wiesbaden 2007<br />

Kosovo, Kosova. Mythen, Daten, Fakten. Hrsg. von Karl Kaser, Wolfgang Petritsch<br />

und Robert Pichler, Klagenfurt u.a. 1999<br />

Der Kosovo-Konflikt. Ursachen, Akteure, Verlauf. Hrsg. von Konrad Clewing und<br />

Jens Reuter, München 2000<br />

Kramer, Helmut, und Vedran Džihič, Die Kosovo-Bilanz. Scheitert die internationale<br />

Gemeinscha?, Münster 2005<br />

Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Hrsg. von Edgar Hösch, Karl Nehring<br />

und Holm Sundhaussen, Wien 2004<br />

Loquai, Heinz, Der Kosovo-Konflikt. Wege in einen vermeidbaren Krieg. Die Zeit<br />

von November 1997 bis März 1999, Baden-Baden 2000<br />

Malcolm, Noel, Geschichte Bosniens, Frankfurt a.M. 1996<br />

Malcolm, Noel, Kosovo. A Short History, London 1998<br />

Münster – Versailles – Dayton. Konfliktlösung gestern – heute – morgen. Hrsg.<br />

von Günter Gehl, Weimar 2000<br />

Peacebuilding and Civil Society in Bosnia-Herzegovina: Ten Years aer Dayton.<br />

Ed. by Martina Fischer, Berlin 2007<br />

Schmider, Klaus, Partisanenkrieg in Jugoslawien 1941-1944, Hamburg u.a. 2002<br />

Schmi, Jens Oliver, Kosovo. Kurze Geschichte einer zentralbalkanischen Landscha,<br />

Köln u.a. 2008<br />

Sundhaussen, Holm, Geschichte Jugoslawiens 1918-1980, Stugart 1982<br />

Sundhaussen, Holm, Geschichte Serbiens. 19.-21. Jahrhundert, Wien u.a. 2007<br />

Wegweiser zur Geschichte. Bosnien-Herzegowina. Hrsg. von Agilolf Keßelring,<br />

2. Aufl., Paderborn u.a. 2007<br />

Wegweiser zur Geschichte. Kosovo. Hrsg. von Bernhard Chiari und Agilolf Keßelring,<br />

3., durchges. und erw. Aufl., Paderborn u.a. 2008<br />

Subsahara-Afrika (Horn von Afrika, Demokratische Republik Kongo, Tschad und<br />

Sudan) .......................................................................................................................<br />

Afrika I. Hrsg. von der Bundeszentrale für Politische Bildung, Bonn 2001 (= Informationen<br />

zur Politischen Bildung, 264)<br />

Afrika. Mythos und Zukun. Hrsg. von Katja Böhler und Jürgen Hoeren,<br />

Freiburg i.Br. 2003<br />

Das Afrika-Lexikon. Ein Kontinent in 1000 Stichwörtern. Hrsg. von Jacob E. Mabe,<br />

Wuppertal, Weimar 2004<br />

Ansprenger, Franz, Geschichte Afrikas, München 2002<br />

Bierli, Urs, Die »Wilden« und die »Zivilisierten«. Grundzüge einer Geistes- und<br />

Kulturgeschichte der europäisch-überseeischen Begegnung, München 1991<br />

Debiel, Thomas, UN-Friedensoperationen in Afrika. Weltinnenpolitik und die<br />

Realität von Bürgerkriegen, Bielefeld 2003<br />

Islamism and its Enemies in the Horn of Africa. Ed. by Alex de Waal, Bloomington,<br />

IN 2004<br />

Edgerton, Robert, The Troubled Heart of Africa: A History of the Congo, New<br />

York 2002<br />

Ehrhart, Hans-Georg, EUFOR Tchad/RCA: Zwischenbilanz und Empfehlungen<br />

für eine effektivere Konfliktlösung. In: Integration, 1 (2009), S. 399-404<br />

Ehrhart, Hans-Georg, Nichts wie weg? Zum Ende des EU-Militäreinsatzes im<br />

Kongo, Hamburg 2006 (= Hamburger Informationen zur Friedensforschung<br />

und Sicherheitspolitik, 41)<br />

308


Literatur und neue Medien<br />

Krisenmanagement in Afrika. Erwartungen – Möglichkeiten – Grenzen. Hrsg. von<br />

Walter Feichtiger und Gerald Hainzl, Wien u.a. 2009<br />

Ghebresillasie, Girma, Kalter Krieg am Horn von Afrika. Regional-Konflikte. Äthiopien<br />

und Somalia im Spannungsfeld der Supermächte 1945-1991, Baden-Baden 1999<br />

Grimm, Sven, Die Europäische Afrikapolitik – Europas Rolle in einer randständigen<br />

Region, Hamburg 2003<br />

Grimm, Sven, und Nina Kielwein, Die Afrika-Strategie der Europäischen<br />

Union – Kohärenz gegenüber einem vielschichtigen Kontinent im Wandel?,<br />

Bonn 2005<br />

Harding, Leonhard, Geschichte Afrikas im 19. und 20. Jahrhundert,<br />

München 1999<br />

Iliffe, John, Geschichte Afrikas, München 2003<br />

Johnson, Dominic, Kongo: Kriege, Korruption und die Kunst des Überlebens,<br />

Frankfurt a.M. 2008<br />

Kleines Afrika-Lexikon. Politik – Wirtscha – Kultur. Hrsg. von Rolf Hofmeier<br />

und Andreas Mehler, Bonn 2005<br />

Krisenregion Horn von Afrika. Hrsg. von Stefan Brüne und Volker Mahies,<br />

Hamburg 1990<br />

Marx, Christoph, Geschichte Afrikas. Von 1800 bis zur Gegenwart, Paderborn 2004<br />

Mahies, Volker, Äthiopien, Eritrea, Somalia, Djibouti. Das Horn von Afrika, 3.,<br />

überarb. und erw. Aufl., München 1997<br />

Mahies, Volker, Kriege am Horn von Afrika. Historischer Befund und friedenswissenschaliche<br />

Analyse, Berlin 2005 (= Bewaffnete Konflikte nach dem<br />

Ende des Ost-West-Konfliktes, 19)<br />

Münkler, Herfried, Die neuen Kriege, 5. Aufl., Reinbek bei Hamburg 2002<br />

Das nachkoloniale Afrika. Politik, Wirtscha, Gesellscha. Hrsg. von Rainer<br />

Tetzlaff und Cord Jacobeit, Wiesbaden 2005 (= Grundwissen Politik, 35)<br />

Öhm, Manfred, Sudan. Politischer Übergang ohne Machtwechsel, Bonn 2006<br />

(= FES-Analyse)<br />

Pabst, Martin, Tschad: EUFOR im Wilden Osten. In: Europäische Sicherheit,<br />

57 (2008), H. 4, S. 31-34<br />

Reiter, Erich, Der Kongoeinsatz der EU, Wien 2003<br />

Schreiber, Wolfgang, Kongo-Kinshasa (Kivu, Ituri). Bewaffnete Konflikte, Hamburg<br />

2003<br />

Tull, Denis M., Die Tschad-Krise und die Operation EUFOR Tschad/ZAR. In: SWP<br />

Aktuell A15 (2008)<br />

Wegweiser zur Geschichte. Demokratische Republik Kongo. Hrsg. von Bernhard<br />

Chiari und Dieter H. Kollmer, 3., überarb. Aufl., Paderborn u.a. 2008<br />

Wegweiser zur Geschichte. Horn von Afrika. Hrsg. von Dieter H. Kollmer und<br />

Andreas Mückusch, Paderborn u.a. 2007<br />

Wegweiser zur Geschichte. Sudan. Hrsg. von Bernhard Chiari, Paderborn u.a. 2007<br />

Erinnerungsliteratur ...................................................................................................<br />

Barschow, Boris, Kabul, ich komme wieder, Lüneburg 2007 [Schilderung der<br />

Einsatzrealität von ISAF. Barschow, ZDF-Redakteur und Reporter, war 2007<br />

als Chefredakteur verantwortlich für die Herausgabe der NATO-Zeitung<br />

Sada-e-Azadi, Stimme der Freiheit]<br />

Bauer, Herbert R., Medizinmann auf Friedensmission: Erlebnisse eines Bundeswehrsoldaten<br />

im Kaukasus, Leipzig 2007 [der Autor war mehrfach im<br />

Rahmen der UNOMIG im Einsatz in Georgien und zählte zu den 2003 im<br />

Kodori-Tal entführten UN-Beobachtern]<br />

309


Anhang<br />

Buwi, Detlef, Erfahrungen des Bundesgrenzschutzes aus der UNTAG-Friedensmission<br />

in Namibia. In: Die Blauhelme. Im Einsatz für den Frieden. Hrsg. von<br />

Ernst Koch, Frankfurt a.M., Bonn 1991, S. 229-245<br />

Carew, Tom, In den Schluchten der Taliban – Erfahrungen eines britischen<br />

Elitesoldaten in geheimer Mission, Bern u.a. 2001 [Erzählung in der Art eines<br />

Abenteuerromans]<br />

Conte, Carl, Treffpunkt Kabul. Reisen durch das neue Afghanistan, Norderstedt<br />

2006 [erzählt die Suche eines Vaters nach seinem Sohn, den Rahmen bilden<br />

das heutige Afghanistan und die ISAF-Mission]<br />

Erös, Reinhard, Tee mit dem Teufel. Als deutscher Militärarzt in Afghanistan,<br />

Hamburg 2004 [Geschichte eines Bundeswehrarztes, der vor 15 Jahren nach<br />

Afghanistan ging, um Kriegsopfern zu helfen]<br />

Erös, Reinhard, Unter Taliban, Warlords und Drogenbaronen. Eine deutsche<br />

Familie kämp für Afghanistan, Hamburg 2008 [Einblick des früheren Sanitätsoffiziers<br />

der Bundeswehr in die Praxis der Auauarbeit]<br />

Groos, Heike, Ein schöner Tag zum Sterben. Als Bundeswehrärztin in Afghanistan,<br />

Frankfurt a.M. 2009 [Groos berichtet von ihren Einsätzen in Afghanistan,<br />

bei denen sie u.a. verwundete Soldaten nach einem Selbstmordanschlag versorgen<br />

musste. Kritisiert Politik, Bundeswehrführung, Gesellscha und Behörden]<br />

Hörstel, Christoph R., Sprengsatz Afghanistan: Die Bundeswehr in tödlicher<br />

Mission, München 2007 [umstriene Analyse zur Lage in Afghanistan,<br />

die auch einen »Friedensfahrplan« beinhaltet. Der Autor, der sich seit den<br />

1980er-Jahren in Afghanistan aufgehalten hat, war 2001 während des Sturzes<br />

der Taliban als Journalist in Kabul und ist Gründer einer Regierungs- und<br />

Unternehmensberatung]<br />

Holl, Norbert Heinrich, Mission Afghanistan. Erfahrungen eines UNO-Diplomaten,<br />

München 2002 [autobiografischer Rückblick]<br />

Karbe von Stünzner, Karl-Christoph, Erfahrungen einer Beobachtermission<br />

– UNOMIG. In: Von Kambodscha bis Kosovo. Auslandseinsätze der Bundeswehr<br />

seit Ende des Kalten Krieges. Hrsg. von Peter Goebel, Frankfurt a.M.,<br />

Bonn 2000, S. 308-315<br />

Karich, Christoph, Bewährung im Grünen Meer, Berlin 2009 [Thriller, der Autor ist<br />

Marineoffizier: Im Jahr 2015 läu Lena Jensen, Erste Schiffseinsatzoffizierin der<br />

hochmodernen Fregae »Stugart«, auf eine Einsatzfahrt ins Rote Meer aus]<br />

Koelbl, Susanne, und Olaf Ihlau, Krieg am Hindukusch: Menschen und Mächte<br />

in Afghanistan. München 2009 [aktualisierte und überarbeitete Ausgabe des<br />

Buches »Geliebtes, dunkles Land. Menschen und Mächte in Afghanistan«<br />

von einer Auslandsreporterin und dem ehem. Auslandschef des »Spiegel«-<br />

Magazins]<br />

Kozlowski, Gunnar, Erfahrungen eines Militärbeobachters der Vereinten<br />

Nationen aus dem südlichen Sudan. In: Europäische Sicherheit, 58 (2009), 11,<br />

S. 74-77<br />

Kuhlen, Kay, Um des lieben Friedens willen. Als Peacekeeper im Kosovo, 4., überarb.<br />

Aufl., Eschede 2009 [Stabsoffizier erzählt anschaulich und mit Humor über Alltag<br />

und dienstliche Tätigkeit in einem multinationalen NATO-Hauptquartier]<br />

Petersen, Bria, Einsatz am Hindukusch. Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan,<br />

Freiburg i.Br., Basel, Wien 2005 [legt den Schwerpunkt auf den Alltag<br />

deutscher ISAF-Soldaten]<br />

Randnotizen – Hundert Mann und ein Befehl: Als Berufssoldat in Afghanistan, als<br />

Mensch in der Heimat – ein Tagebuch zweier Welten. Hrsg. von Uwe D. und<br />

310


Literatur und neue Medien<br />

Simone Uetz, Isny im Allgäu 2008 [Einsatztagebuch mit persönlichen Notizen,<br />

Fotos und Interviewaussagen eines Hauptfeldwebels der Feldjägertruppe]<br />

Rier, Markus, Das Kodori-Tal als »Hot Spot« der UNOMIG. In: Europäische<br />

Sicherheit, 57 (2008), 9, S. 14-19<br />

Schulze, Helmut R., Afghanistan. Bilder aus einer anderen Welt, Speyer 2007<br />

[Katalog einer Ausstellung im Historischen Museum der Pfalz, u.a. mit Fotos,<br />

die den Alltag deutscher ISAF-Soldaten zeigen]<br />

Wenzel, Susanne, Das Kosovo entdecken. Kultur und Natur zwischen Amselfeld<br />

und Albanischen Alpen, Berlin 2005 [Reiseführer, informiert umfassend über<br />

das Land, stellt Einsatz KFOR, UNMIK und beginnende Selbstverwaltung dar]<br />

Winner, Erwin, Abgerissene Tage …, Frankfurt a.M. 2001 [Romanautor zeichnet<br />

die Auslandseinsätze der Bundeswehr nach]<br />

Wohlgethan, Achim, mit Dirk Schulze, Endstation Kabul: Als deutscher Soldat in<br />

Afghanistan – ein Insiderbericht [top secret], Berlin 2008 [Fallschirmjäger-<br />

Stabsunteroffizier über seinen Einsatz in Kabul. Wohlgethan übt Kritik an<br />

Ausrüstung und Führung]<br />

Wohlgethan, Achim, Operation Kundus: Mein zweiter Einsatz in Afghanistan.<br />

Berlin 2009 [Insiderbericht über den zweiten Afghanistan-Einsatz des Autors<br />

im Raum Kundus]<br />

Filme ..........................................................................................................................<br />

Die 9. Kompanie (9 rota), Russland 2005. Regie: Fjodor Bondartschuk [kommerziell<br />

äußerst erfolgreicher Film über das Scheitern des Afghanistan-Feldzugs; zeigt<br />

in schonungsloser Weise junge Rekruten, die in der Ausbildung geschunden<br />

werden und dann als Zielscheiben für afghanische Mudschaheddin dienen]<br />

Bestie Krieg (The Beast), USA 1988. Regie: Kevin Reynolds [erschüernder Anti-<br />

Kriegsfilm, der die sowjetische Besatzung Afghanistans sowie die Gräueltaten<br />

beider Parteien thematisiert]<br />

Black Hawk Down, Regie: Ridley Sco, USA 2001 [umstriener Kriegsfilm über<br />

die Ereignisse des 3. Oktober 1993 in Mogadischu, als amerikanische GI’s<br />

versuchten, somalische Funktionäre gefangen zu nehmen]<br />

Guerreros, Spanien 2002. Regie: Daniel Calparsoro [junge spanische KFOR-Soldaten<br />

erleben 1999 im Grenzgebiet zwischen Kosovo und Serbien die Schrecken<br />

des offiziell beendeten Krieges]<br />

Im Fadenkreuz (Behind Enemy Lines), USA 2001. Regie: John Moore [bei einem<br />

Aulärungsflug an der Grenze von Bosnien-Herzegowina wird ein amerikanischer<br />

Kampet abgeschossen. Spannender, aber nur bedingt realistischer<br />

Kriegsfilm mit Schauplatz Bosnien]<br />

Das Jahr nach Dayton, Österreich 1997. Regie: Nikolaus Geyrhalter [preisgekrönter<br />

Dokumentarfilm über den Beginn des Wiederauaus]<br />

Das Kommando, Deutschland 2005. Regie: Thomas Bohn [Fernsehdrama mit<br />

Robert Atzorn und Iris Berben, das sich kritisch mit der Rolle des KSK im<br />

Afghanistankonflikt auseinandersetzt]<br />

Mörderischer Frieden, Deutschland 2007. Regie: Rudolf Schweiger [nach Thomas<br />

Bohns Fernsehdrama »Das Kommando« mit Robert Atzorn, das eine<br />

Spezialeinheit bei einer Kommando-Aktion im Kaukasus zeigt, ist »Mörderischer<br />

Frieden« der erste Kinofilm über Auslandseinsätze der Bundeswehr:<br />

Feldwebel und Unteroffizier geraten 1999 in einem fiktiven Kosovo-Dorf<br />

zwischen die Fronten der albanisch-serbischen Auseinandersetzungen, eine<br />

Liebesgeschichte mit der schönen Serbin Mirjana darf nicht fehlen. Die Kritik<br />

rügte den Streifen als »schlichtes Filmchen«, das den Kosovo-Konflikt stark<br />

311


Anhang<br />

vereinfache, lobte Schweiger aber dafür, in Deutschland endlich die Erfahrung<br />

der Auslandseinsätze mit filmischen Mieln greiar zu machen.]<br />

Nacht vor Augen, Deutschland 2007/2008. Regie: Brigie Bertele [beklemmende<br />

Studie über einen aus Afghanistan heimkehrenden Bundeswehrsoldaten, der<br />

unter dem Posraumatischen Stresssyndrom leidet]<br />

Operation Afghanistan – Die Bundeswehr im Einsatz, Deutschland 2008. Regie:<br />

Bernd Bussman [schildert in sechs Episoden – »Die Ausbildung«, »Der Aufbruch«,<br />

»Die Patrouille«, »Der Anschlag«, »Auf gefährlichen Wegen«, »Die<br />

Heimkehr« – den Einsatz der Bundeswehrangehörigen und thematisiert den<br />

Umgang der Soldatenfamilien damit]<br />

Der Preis für den Frieden, Frankreich 2004, Regie: Paul Cowan [preisgekrönter<br />

Dokumentarfilm über die UNO-Mission MONUC]<br />

Soldatenglück und Goes Segen, Deutschland 2002. Regie: Ulrike Franke und Michael<br />

Loeken [Langzeitbeobachtung des Alltags deutscher KFOR-Soldaten im Kosovo]<br />

Der Stern des Soldaten, Frankreich/Deutschland/Afghanistan 2008. Regie: Christophe<br />

de Ponfilly [der junge russische Wehrpflichtige Nikolai fällt in die Hände<br />

der Mudschaheddin]<br />

Warriors, Großbritannien 1999. Regie: Gareth Neame [englische UNPROFOR-Soldaten<br />

erleben die Auswirkungen des Krieges und haben Probleme, nach dem<br />

Einsatz zu einem normalen Leben zurückzufinden]<br />

Willkommen zuhause, Deutschland 2009. Regie: Andreas Senn [Fernsehproduktion<br />

für die ARD: Die Geschichte eines durch einen Anschlag traumatisierten Afghanistan-Heimkehrers<br />

feierte »Die Welt« als »Sternstunde des Fernsehens«]<br />

Internettipps ...............................................................................................................<br />

Bie nutzen Sie für die Internetrecherche die ständig aktualisierten Webtipps des<br />

Militärgeschichtlichen Forschungsamtes: hp://www.mgfa.de/html/einsatzunterstuetzung/<br />

Neben nützlichen Weblinks finden Sie auf diesen Seiten auch die Beiträge der<br />

Reihe »Wegweiser zur Geschichte« sowie Karten und Diagramme im <strong>PDF</strong>-Format.<br />

Bie beachten Sie: Wir haben keinerlei Einfluss auf die Gestaltung und die Inhalte<br />

verlinkter Seiten. Trotz sorgfältiger Auswahl können wir nicht immer für die<br />

Ausgewogenheit der angebotenen Fremdbeiträge garantieren. Für entsprechende<br />

Hinweise sowie alle Anregungen, Korrekturen und Ergänzungsvorschläge an<br />

MGFAMEU@bundeswehr.org sind wir dankbar.<br />

312


Autorinnen und Autoren<br />

Leitender Regierungsdirektor Thomas Breitwieser, Bundeswehrdisziplinaranwalt<br />

beim Bundesverwaltungsgericht, Leipzig<br />

(ThomasBreitwieser@bundeswehr.org)<br />

Dr. Bernhard Chiari (bc), Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam<br />

(BernhardChiari@bundeswehr.org)<br />

Oberstleutnant i.G. Dr. Christian Alexander Freuding, BMVg, Planungsstab,<br />

Berlin (ChristianAFreuding@bmvg.bund.de)<br />

Oberstleutnant i.G. Dr. Frank Hagemann, U.S. Naval Postgraduate<br />

School, Monterey, CA (FrankHagemann@o2online.de)<br />

Dr. Peter Hazdra, Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement<br />

der Landesverteidigungsakademie, Wien; zahlreiche<br />

Ausländseinsätze (Peter_Hazdra@hotmail.com)<br />

Kapitän zur See Dr. Jörg Hillmann, Deutsche Militärische Vertretung<br />

zum Militärausschuss der NATO, EU und WEU, Brüssel<br />

(JoergHillmann@bmvg.bund.de)<br />

L. Daniel Hosseus, B.A., M.A., Verband Deutscher Reeder, Hamburg<br />

(Hosseus@reederverband.de)<br />

Fregaenkapitän Christoph Karich (ck), Abteilung J2, Einsatzführungskommando<br />

der Bundeswehr, Schwielowsee (CKarich@web.de)<br />

Dr. Agilolf Keßelring, Historiker, Helsinki (Agilolf@hotmail.de)<br />

Dr. Andreas Kunz, Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg i.Br.<br />

(A.Kunz@bundesarchiv.de)<br />

Prof. Dr. Volker Mahies, Hamburg (VolkerMahies@t-online.de)<br />

Prof. Dr. Loretana de Libero, Militärgeschichtliches Forschungsamt,<br />

Potsdam (LoretanadeLibero@bundeswehr.org)<br />

Katja Mielke M.A., Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF),<br />

Universität Bonn (KMielke@uni-bonn.de)<br />

Winfried Nachtwei, Mitglied des Deutschen Bundestages 1994-2009,<br />

langjährige Ausschusstätigkeiten u.a. im Verteidigungsausschuss,<br />

Berlin (Post@nachtwei.de)<br />

Hauptmann Magnus Pahl M.A. (mp), Militärgeschichtliches Forschungsamt,<br />

Potsdam (MagnusPahl@bundeswehr.org)<br />

Oberleutnant Dipl. Pol. Sandra Pillath (sp), FlaRakGruppe 26, Husum<br />

(SandraPillath@bundeswehr.org)<br />

Dr. Martin Rink (mr), Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam<br />

(MartinRink@bundeswehr.org)<br />

Dr. habil. Conrad Scheer, Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF),<br />

Universität Bonn (C.Scheer@uni-bonn.de)<br />

Oberstleutnant Dr. Rudolf Schlaffer, Militärgeschichtliches Forschungsamt,<br />

Potsdam (RudolfSchlaffer@bundeswehr.org)<br />

Major Klaus Storkmann M.A., Militärgeschichtliches Forschungsamt,<br />

Potsdam (KlausStorkmann@bundeswehr.org)<br />

Dr. Maren Tomforde, Führungsakademie der Bundeswehr,<br />

Fachbereich Sozialwissenschaen, Hamburg<br />

(MarenTomforde@bundeswehr.org)<br />

Oberstleutnant i.G. Dr. Armin Wagner, Bundespräsidialamt, Berlin<br />

(Armin.Wagner@bpra.bund.de)


Der zehnte Band der Reihe »Wegweiser zur Geschichte« beschäftigt<br />

sich mit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr.<br />

23 Beiträge vermitteln einen Überblick über die Entwicklung, die<br />

die Streitkräfte seit der Wiedervereinigung Deutschlands von einer<br />

reinen Bündnisarmee hin zu einer weltweit operierenden Armee<br />

im Einsatz durchgemacht haben. Neben Verlauf und Qualität<br />

ausgewählter Auslandseinsätze schildern die Autoren auch<br />

jenen Wandel, dem nationale politische Entscheidungsstrukturen<br />

sowie inter- und supranationale Organisationen, aber auch<br />

die deutsche Gesellschaft mit Blick auf das Verständnis von Interventionen<br />

in Konfliktgebieten unterlagen.<br />

Der vorliegende »Wegweiser« behandelt ein wesentliches Stück<br />

Tradition der Bundeswehr und erhellt Aspekte militärischen<br />

Selbstverständnisses wie des deutschen Nationalbewusstseins<br />

gleichermaßen. Darüber hinaus soll er in kritischer Weise die<br />

Möglichkeiten und Grenzen internationaler Konfliktlösung aufzeigen,<br />

in die die Parlamentsarmee Bundeswehr eingebunden ist.<br />

Der laufende Einsatz in Afghanistan, dessen Erfolg neun Jahre<br />

nach Vertreibung der Taliban und dem Petersberger Abkommen<br />

weiterhin aussteht, bringt in aller Deutlichkeit die Schwierigkeiten<br />

ans Licht, ganzheitliche, zivil-militärische Strategien zur<br />

Konfliktlösung und Stabilisierung zu entwickeln und zu implementieren.<br />

Der »Wegweiser« bildet eine Hilfe, um das Gespräch<br />

hierüber unvoreingenommen und ergebnisoffen zu führen.<br />

Eine Publikation des<br />

Militärgeschichtlichen Forschungsamtes<br />

im Verlag Ferdinand Schöningh


Anregungen, Nachfragen und Kritik richten Sie bitte an:<br />

Militärgeschichtliches Forschungsamt (MGFA)<br />

Modul Einsatzunterstützung<br />

Dr. Bernhard Chiari<br />

Zeppelinstraße 127/128<br />

14471 Potsdam<br />

Telefon (0331) 9714 550<br />

BwKz (90) 8529 550<br />

Fax (0331) 9714 507<br />

E-Mail MGFAMEU@bundeswehr.org<br />

www.mgfa.de<br />

Die Bundeswehr im Ausland seit 1990<br />

Deutschland<br />

STRATAIRMEDEVAC<br />

seit November 2001<br />

Kroatien<br />

UNPF<br />

Juli bis Dezember 1995<br />

Jugoslawien/Adria<br />

Op. Sharp Guard<br />

Juni 1992 bis Juni 1996<br />

Mittelmeer<br />

Op. Active Endeavour<br />

seit Oktober 2001<br />

Tschad<br />

EUFOR Tschad/RCA<br />

Januar bis März 2009<br />

Sudan<br />

UNAMID<br />

Darfur–seit Januar 2008<br />

AMIS<br />

Dez. 2004<br />

Okt. 2005 bis Dezember 2007<br />

UNMIS<br />

seit April 2005<br />

Kongo<br />

EUFOR RD Congo<br />

Juli bis Dezember 2006<br />

EUSEC RD Congo<br />

seit Juni 2005<br />

Artemis<br />

Juni bis September 2003<br />

Bosnien-Herzegowina<br />

EUFOR/Op. Althea<br />

seit Dezember 2004<br />

Mazedonien<br />

UNPROFOR/IFOR/<br />

SFOR<br />

Op. Essential Harvest/<br />

Amber Fox/Allied<br />

Harmony/Concordia<br />

Aug. 1995 bis Dezember 2004<br />

Aug. 2001 bis Dezember 2003<br />

Luftbrücke<br />

EXFOR<br />

Juli 1992 bis Januar 1996<br />

Dezember 1998 bis Juni 1999<br />

Op. Deny Flight<br />

April 1993 bis Dezember 1995<br />

Albanien<br />

AFOR<br />

Kosovo<br />

April bis August 1999<br />

KFOR<br />

Op. Libelle<br />

seit Juni 1999<br />

März 1997<br />

Op. Allied Force<br />

März bis Juni 1999<br />

Georgien<br />

UNOMIG<br />

März 1994 bis Juni 2009<br />

Türkei<br />

AMF Air<br />

Januar bis März 1991<br />

Afghanistan<br />

UNAMA<br />

Libanon<br />

seit März 2002<br />

UNIFIL II<br />

seit September 2006 Irak<br />

Kuwait<br />

Op. Enduring Freedom<br />

ISAF<br />

seit Januar 2002<br />

UNSCOM<br />

Febr. 2002 bis Juli 2003<br />

Aug. 1991 bis Sept. 1996<br />

Persischer Golf<br />

Minenräumoperation<br />

Juli 1991<br />

Äthiopien/Eritrea<br />

UNMEE<br />

Februar 2004 bis Juli 2008<br />

Ruanda<br />

UNAMIR<br />

Juli bis Dezember 1994<br />

Horn von Afrika<br />

Op. Enduring Freedom<br />

seit November 2001<br />

EU NAVFOR<br />

Op. Atalanta<br />

seit Dezember 2008<br />

Somalia<br />

UNOSOM II<br />

August 1993 bis März 1994<br />

Zeichenerklärung<br />

Sanitätsdienst der Bw<br />

Vereinte Nationen<br />

NATO<br />

Europäische Union<br />

Afrikanische Union<br />

UNOMIG<br />

März bis Juni 2009<br />

Einsatzgebiet<br />

Name der Mission<br />

Zeitraum des Einsatzes<br />

Kambodscha<br />

UNAMIC/UNTAC<br />

Oktober 1991 bis November 1993<br />

Ost-Timor<br />

INTERFET<br />

Oktober 1999 bis Februar 2000<br />

© MGFA<br />

06215-05

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