Blutalkohol 2010.pdf - BADS (Bund gegen Alkohol und Drogen im ...
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Steintor-Verlag<br />
GmbH<br />
Verlagsort Lübeck<br />
Vol. 47 No. 1–6 . Jahrgang 2010<br />
ALCOHOL, DRUGS AND BEHAVIOR<br />
Herausgegeben vom<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong> <strong>gegen</strong> <strong>Alkohol</strong> <strong>und</strong> <strong>Drogen</strong><br />
<strong>im</strong> Straßenverkehr e. V., B.A.D.S.<br />
Gemeinnützige Vereinigung zur Ausschaltung<br />
des <strong>Alkohol</strong>s <strong>und</strong> anderer<br />
berauschender Mittel aus dem<br />
Straßenverkehr<br />
Zugleich Publikationsorgan<br />
der Deutschen Gesellschaft<br />
für Verkehrsmedizin<br />
GW ISSN 0006-5250<br />
1<br />
In Verbindung mit<br />
Prof. Dr. med. J. Gerchow (Frankfurt am Main)<br />
Ehemaliger Schriftleiter<br />
Prof. Dr. med. U. Heifer (Bonn)<br />
Prof. Dr. iur. F. Dencker (Münster)<br />
Prof. Dr. rer. nat. Dipl.-Chem. R. K. Müller (Leipzig)<br />
Generalb<strong>und</strong>esanwalt a. D. K. Nehm (Hamburg)<br />
Präsident Deutscher Verkehrsgerichtstag<br />
Prof. Dr. med. V. Dittmann (Basel)<br />
Präsident Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin<br />
Wissenschaftlicher Beirat<br />
Prof. Dr. med. H. Bratzke (Frankfurt am Main)<br />
Prof. Dr. rer. nat. T. Daldrup (Düsseldorf)<br />
Prof. Dr. med. W. Eisenmenger (München)<br />
Prof. Dr. med. H.-T. Haffner (Heidelberg)<br />
Prof. Dr. rer. nat. Dr. med. habil. G. F. Kauert<br />
(Frankfurt am Main)<br />
Richter am <strong>B<strong>und</strong></strong>esgerichtshof K. R. Maatz (Karlsruhe)<br />
Prof. Dr. med. R. Mattern (Heidelberg)<br />
Prof. Dr. rer. nat. Dipl.-Chem. M. R. Möller (Homburg/Saar)<br />
Prof. Dr. med. S. Pollak (Freiburg i. Br.)<br />
Prof. Dr.-Ing. A. Slemeyer (Gießen-Friedberg)<br />
Schriftleitung/Editors<br />
Prof. Dr. med. K. Püschel<br />
Universität Hamburg<br />
Prof. Dr. iur. Dr. phil. U. Scheffler<br />
Dr. iur. D.-M. Halecker<br />
Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)<br />
in Zusammenarbeit mit<br />
Rechtsanwalt D. Benjamin (Schwedt / Oder)<br />
C 6194 F
BLUTALKOHOL<br />
ALCOHOL, DRUGS AND BEHAVIOR<br />
BAND 47<br />
JAHRGANG 2010<br />
In Verbindung mit<br />
Professor Dr. med. J. Gerchow (Frankfurt am Main), Prof. Dr. med. K. Heifer (Bonn), Prof. Dr. iur.<br />
F. Dencker (Münster), Prof. Dr. rer. nat. Dipl.-Chem. R. K. Müller (Leipzig), Generalb<strong>und</strong>esanwalt a. D.<br />
K. Nehm (Karlsruhe), Präsident Deutscher Verkehrsgerichtstag, Prof. Dr. med. V. Dittmann (Basel),<br />
Präsident Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin<br />
Wissenschaftlicher Beirat<br />
Prof. Dr. med. H. Bratzke (Frankfurt am Main), Prof. Dr. rer. nat. Th. Daldrup (Düsseldorf), Prof. Dr.<br />
med. W. Eisenmenger (München), Prof. Dr. med. H.-T. Haffner (Heidelberg), Prof. Dr. rer. nat. Dr.<br />
med. habil. G. F. Kauert (Frankfurt am Main), Richter am <strong>B<strong>und</strong></strong>esgerichtshof K. R. Maatz (Karlsruhe),<br />
Prof. Dr. med. R. Mattern (Heidelberg), Prof. Dr. rer. nat. Dipl.-Chem. M. R. Möller (Homburg/Saar),<br />
Prof. Dr. med. St. Pollak (Freiburg i. Br.), Prof. Dr.-Ing. A. Slemeyer (Gießen)<br />
herausgegeben vom<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong> <strong>gegen</strong> <strong>Alkohol</strong> <strong>und</strong> <strong>Drogen</strong> <strong>im</strong> Straßenverkehr e.V., B.A.D.S.<br />
Gemeinnützige Vereinigung zur Ausschaltung des <strong>Alkohol</strong>s <strong>und</strong> anderer berauschender Mittel<br />
aus dem Straßenverkehr<br />
Schriftleitung/Editors<br />
Prof. Dr. med. Klaus Püschel<br />
Universität Hamburg<br />
Prof. Dr. iur. Dr. phil. Uwe Scheffler<br />
Dr. iur. Dela-Madeleine Halecker<br />
Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)<br />
unter Zusammenarbeit mit<br />
Rechtsanwalt Dan Benjamin (Schwedt/Oder)<br />
ZUGLEICH PUBLIKATIONSORGAN<br />
DER DEUTSCHEN GESELLSCHAFT<br />
FÜR VERKEHRSMEDIZIN<br />
STEINTOR-VERLAG GMBH
2<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Inhalt des 47. Bandes<br />
Inhalt des 47. Bandes<br />
Heft 1/2010<br />
G. Skopp, R. Mattern,<br />
Zum Stellenwert des Nachweises von Cannabinoiden <strong>im</strong> Haar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1<br />
M. Berg, D. Glaser, W. Schubert,<br />
Ein Blick auf den „Tunnelblick“: Ein Aufmerksamkeitsdefizit<br />
infolge schädlichem <strong>Alkohol</strong>konsum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10<br />
Zur Information<br />
Verkehrsminister einigen sich auf UN-Verkehrssicherheitsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22<br />
ETSC urges Irish government to lower drink drive l<strong>im</strong>it . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25<br />
Kanada: <strong>Alkohol</strong> am Steuer – Gespräche statt passiver Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26<br />
Verlängerung der Laufzeit „Zweite Ausbildungsphase“ <strong>im</strong> Rahmen der Fahranfängerausbildung . . 27<br />
Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28<br />
Heft 2/2010<br />
H. Meyer<br />
Verkehrs-Intervention in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61<br />
Dokumentation I<br />
48. Deutscher Verkehrsgerichtstag vom 27. bis 29. Januar 2010 in Goslar<br />
Bericht über die Eröffnungsveranstaltung <strong>und</strong> die Arbeitskreise<br />
(Benjamin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89<br />
Arbeitskreis VI: „Idiotentest“ auf dem Prüfstand<br />
Die medizinisch-psychologische Untersuchung:<br />
Untersuchungsanlässe, inhaltliche Anforderungen, Reformansätze (Geiger) . . . . . . . . . . . . . . . . . 95<br />
Die MPU in der heutigen Form bedarf einer Korrektur! (Hillmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105<br />
„Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung“ auf dem Prüfstand<br />
(Schubert – Kurzfassung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113<br />
Die medizinisch-psychologische Untersuchung aus Sicht der wissenschaftlich f<strong>und</strong>ierten<br />
Psychologischen Diagnostik (Schmidt-Atzert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114<br />
Zur Information<br />
Kleine Anfrage zur geplanten Vereinfachung der Punktesystematik des Verkehrszentralregisters . . . 125<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esministerium plant neues Verkehrssicherheitsprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129<br />
Blutprobe ohne Richtervorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131<br />
<strong>Alkohol</strong> <strong>und</strong> Energy-Drinks bilden gefährliche Mischung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132<br />
Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133<br />
Heft 3/2010<br />
W. Schubert<br />
„Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung“ auf dem Prüfstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161<br />
Dokumentation II<br />
48. Deutscher Verkehrsgerichtstag vom 27. bis 29. Januar 2010 in Goslar<br />
(<strong>im</strong> Anschluss an BA 2010, 89 ff.)<br />
Arbeitskreis V: Ausnahmen vom Entzug der Fahrerlaubnis <strong>und</strong> vom Fahrverbot<br />
Europarechtliche Vorgaben für Ausnahmen vom Entzug der Fahrerlaubnis<br />
<strong>und</strong> vom Fahrverbot (Backmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189<br />
Ausnahmen vom Entzug der Fahrerlaubnis <strong>und</strong> vom Fahrverbot (Schäpe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194<br />
Seite
Inhalt des 47. Bandes 3<br />
Ausnahmen vom Entzug der Fahrerlaubnis <strong>und</strong> vom Fahrverbot –<br />
verkehrspsychologische Aspekte (Uhle) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198<br />
Aus dem Arbeitskreis VII: Unfallrisiko „Junge Fahrer“<br />
Bisherige Maßnahmen zur Erhöhung der Fahranfängersicherheit:<br />
Eine Bilanz (Sturzbecher) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218<br />
Presseinformation zu den weiteren Referaten des Arbeitskreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234<br />
Zur Information<br />
Großbritannien: Autofahrer für strengere <strong>Alkohol</strong>- <strong>und</strong> <strong>Drogen</strong>richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236<br />
USA: <strong>Alkohol</strong> verantwortlich für steigende Unfallzahlen bei jungen Autofahrerinnen . . . . . . . . . . . . 237<br />
Eintragungen in das Verkehrszentralregister – Auszug aus dem Jahresbericht 2009 des<br />
Kraftfahrt-<strong>B<strong>und</strong></strong>esamtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238<br />
BASt: Begleitetes Fahren ab 17 senkt Unfallrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243<br />
„<strong>Blutalkohol</strong>best<strong>im</strong>mung beschleunigen“ – B.A.D.S. fordert mehr Rechte für Polizei . . . . . . . . . . . . 244<br />
Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245<br />
Heft 4/2010<br />
I. Sch<strong>im</strong>mel, S. Drobnik, J. Röhrich, J. Becker, S. Zörntlein, R. Urban<br />
Passive Cannabisexposition unter realistischen Bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269<br />
M. Schrot, K. Püschel, C. Edler<br />
Berauscht vom Champagnerbad? – Fehlanzeige:<br />
Keine <strong>Alkohol</strong>resorption durch die intakte Haut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275<br />
Zur Information<br />
Frankreich: Härtere Strafen für Verkehrssünder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282<br />
Straßenverkehrsunfälle <strong>im</strong> Jahr 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283<br />
Rauschgiftsituation in Deutschland 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286<br />
Kleine Anfrage zu Nationalen Aktionsprogrammen zur <strong>Alkohol</strong>prävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288<br />
„Begleitetes Fahren mit 17“ soll gesetzlich verankert werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292<br />
<strong>Alkohol</strong>sensor zum Patent angemeldet – Kombisystem sorgt für Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294<br />
6. Gemeinsames Symposium der DGVP <strong>und</strong> DGVM – Ankündigung – . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295<br />
Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296<br />
Anhang<br />
Supplement – Symposium des B.A.D.S.: „Vorsätzliche <strong>und</strong> fahrlässige Trunkenheitsfahrten:<br />
strafrechtliche Abgrenzung sowie zivil- <strong>und</strong> versicherungsrechtliche Auswirkungen“<br />
Beiträge<br />
Vorsatz <strong>und</strong> Fahrlässigkeit bei Trunkenheitsfahrten (Eisenmenger) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup - 3<br />
Zum Vorsatz bei der Trunkenheitsfahrt (Maatz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup - 8<br />
Die strafrechtliche Problematik von Vorsatz <strong>und</strong> Fahrlässigkeit bei<br />
Trunkenheitsdelikten (Janeczek) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup - 14<br />
Die vorsätzliche Trunkenheitsfahrt gemäß § 316 StGB –<br />
eine Ausnahme oder doch eher die Regel? (Scheffler/Halecker) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup - 19<br />
Vorsätzliche <strong>und</strong> fahrlässige Trunkenheitsfahrten (Tischler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup - 25<br />
Heft 5/2010<br />
K. Püschel, S. Klipp<br />
Editorial: Der Einsatz atemalkoholgesteuerter Wegfahrsperren<br />
in Deutschland – Expertengespräch in der BASt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315<br />
Seite<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
4<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Inhalt des 47. Bandes<br />
P. R. Marques<br />
Ignition Interlocks: Review of the Evidence . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318<br />
S. Klipp<br />
Der Einsatz atemalkoholgesteuerter Wegfahrsperren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328<br />
H. Geiger<br />
Der Einsatz von <strong>Alkohol</strong>-Interlocks aus verwaltungsrechtlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334<br />
H. Schöch<br />
Kr<strong>im</strong>inologische, strafrechtliche <strong>und</strong> kr<strong>im</strong>inalpolitische<br />
Aspekte von <strong>Alkohol</strong>-Interlocks in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340<br />
Zur Information<br />
Innenministerkonferenz:<br />
Blutprobenentnahme nach § 81a Abs. 2 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345<br />
ETSC: 4th Road Safety PIN Report . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350<br />
9. Deutscher Verkehrsexpertentag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355<br />
Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356<br />
Anhang<br />
Supplement II – Gemeinsames Symposium der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie<br />
e.V. (DGVP) <strong>und</strong> der Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin e.V. (DGVM)<br />
Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II - 2<br />
Editorial (Wilhelm/Dittmann/Schubert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II - 8<br />
Abstracts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II - 9<br />
Heft 6/2010<br />
A. Dettling, D. Cakeljic, T. Gut, H. T. Haffner<br />
Änderungen der taktilen Wahrnehmung unter <strong>Alkohol</strong>einfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377<br />
P. Brieler, M. Zentgraf<br />
Kurs zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung gem. § 70 FeV für alkoholauffällige<br />
Kraftfahrer: Programm IFT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383<br />
Zur Diskussion<br />
Beurteilungskriterien für die Begutachtung der körperlichen <strong>und</strong> geistigen Eignung<br />
von Kraftfahrzeugführern – „Rechtsgutachterliche Stellungnahme“ der Kanzlei Quaas <strong>und</strong> Partner . 394<br />
Einleitende Ausführungen (Mattern/Schubert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395<br />
Anmerkungen der DGVP <strong>und</strong> DGVM – Ständiger Arbeitskreis Beurteilungskriterien –<br />
(Brenner-Hartmann/Mattern/Schubert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397<br />
Rechtliche Qualität <strong>und</strong> Verbindlichkeit der Beurteilungskriterien (Müller) . . . . . . . . . . . . . . . . . 401<br />
Zur Information<br />
89. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin – Kurzbericht (Käferstein) . . . . . . . 404<br />
Wissen um <strong>Alkohol</strong>-L<strong>im</strong>its für Kfz-Lenker EU-weit gering . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408<br />
Forschern gelingt Nachweis von Amphetaminen in Atemluft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409<br />
Studie: Überschreitung des Grenzwertes für das <strong>Alkohol</strong>abbauprodukt<br />
Ethylglucuronid (EtG) in Urintests? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410<br />
Seite
Inhalt des 47. Bandes<br />
Verkehrswacht-Fachtagung 2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411<br />
Kraftfahrtb<strong>und</strong>esamt: Fahrerlaubnismaßnahmen <strong>im</strong> Jahr 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412<br />
49. Deutscher Verkehrsgerichtstag 2011– Ankündigung – . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414<br />
Laudatio<br />
„Senator-Lothar-Danner-Medaille“ in Gold für Landespolizeipräsidenten Bernd Merbitz,<br />
stellvertretend für die Verkehrssicherheitsarbeit der Polizei <strong>im</strong> Freistaat Sachsen (Gerhardt) . . . . . . . 416<br />
Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419<br />
5<br />
Seite<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
6 Autorenverzeichnis<br />
Agius, R.; siehe auch Dufaux, Kahl, Nadulski . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 16, 17<br />
Andersen, H.; siehe auch Iwersen-Bergmann, Mueller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 21<br />
Backmann, Jan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189<br />
Baligand, L.; siehe auch Böckelmann, Darius, Kielstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 19<br />
Becker, Jürger; siehe auch Drobnik, Röhrich, Sch<strong>im</strong>mel, Urban, Zörntlein . . . . . . . . . . . . . 269<br />
Benjamin, Dan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89<br />
Berg, M.; siehe auch Schubert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 23<br />
Berg, Michael; siehe auch Glaser, Schubert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Bittighofer, P. M.; siehe auch Daub, Daubenhauer, Durst, Edinger, Grüner, Hagen,<br />
Härtig, Henkel-Hancok, Horras-Hun, Hügle, Hütter, Netzel, Peters, Schaaf, Wagner,<br />
10<br />
Wilhelm, Zöllner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 37<br />
Böckelmann, I.; siehe auch Baligand, Darius, Kielstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 19<br />
Bönninger, J.; siehe auch Golz, Hofmann, Schüppel, Trautmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 18<br />
Brenner-Hartmann, Jürgen; siehe auch Mattern, Schubert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397<br />
Brieler, Paul; siehe auch Zentgraf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383<br />
Britta, G.; siehe auch Hagenmeyer, Meinken, Muttray . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 30<br />
Buhmann, C.; siehe auch Hierling, Maintz, Zangemeister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 30<br />
Cakeljic, D.; siehe auch Dettling, Gut, Haffner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377<br />
Danckworth, H.-P.; siehe auch Toppel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 38<br />
Darius, S.; siehe auch Baligand, Böckelmann, Kielstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Daub, W.; siehe auch Bittighofer, Daubenhauer, Durst, Edinger, Grüner, Hagen, Härtig,<br />
Henkel-Hancok, Horras-Hun, Hügle, Hütter, Netzel, Peters, Schaaf, Wagner,<br />
Sup II – 19<br />
Wilhelm, Zöllner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Daubenhauer, W.; siehe auch Bittighofer, Daub, Durst, Edinger, Grüner, Hagen, Härtig,<br />
Henkel-Hancok, Horras-Hun, Hügle, Hütter, Netzel, Peters, Schaaf, Wagner,<br />
Sup II – 37<br />
Wilhelm, Zöllner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 37<br />
Dettling, Andrea; siehe auch Cakeljic, Gut, Haffner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377<br />
Diehl-Schmid, J. ; siehe auch Ernst, Förstl, Krapp, Kurz, Schuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 17<br />
Drobnik, Stefanie; siehe auch Becker, Röhrich, Sch<strong>im</strong>mel, Urban, Zörntlein . . . . . . . . . . . . 269<br />
Dufaux, B.; siehe auch Agius, Kahl, Nadulski . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Durst, W.; siehe auch Bittighofer, Daub, Daubenhauer, Edinger, Grüner, Hagen, Härtig,<br />
Henkel-Hancok, Horras-Hun, Hügle, Hütter, Netzel, Peters, Schaaf, Wagner,<br />
Sup II – 16, 17<br />
Wilhelm, Zöllner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Edinger, P.; siehe auch Bittighofer, Daub, Daubenhauer, Durst, Grüner, Hagen, Härtig,<br />
Henkel-Hancok, Horras-Hun, Hügle, Hütter, Netzel, Peters, Schaaf, Wagner,<br />
Sup II – 37<br />
Wilhelm, Zöllner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 37<br />
Edler, Caroline; siehe auch Püschel, Schrot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275<br />
Eisenmenger, Wolfgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup 3<br />
Eller, S.; siehe auch Wienhausen-Wilke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 31<br />
Ernst, Julia; siehe auch Diehl-Schmid, Förstl, Krapp, Kurz, Schuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 17<br />
Förstl, H.; siehe auch Diehl-Schmid, Ernst, Krapp, Kurz, Schuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 17<br />
Fuchs, J.; siehe auch Golz, Haueisen, Heinze, Sommer, Trutschel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 24<br />
Geiger, Harald . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95, 334<br />
Geißler, B .; siehe auch Hagenmeyer, Muttray, Weirich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 14<br />
Gerhardt, Peter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416<br />
Glaser, Doreen; siehe auch Berg, Schubert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10<br />
Golz, Martin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 13<br />
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Autorenverzeichnis 7<br />
Autorenverzeichnis<br />
Seite<br />
Golz, Martin ; siehe auch Krajewski, Schnieder, Sommer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 15<br />
Golz, Martin; siehe auch Bönninger, Hofmann, Schüppel, Trautmann . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 18<br />
Golz, Martin; siehe auch Fuchs, Haueisen, Heinze, Sommer, Trutschel . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 24<br />
Golz, Martin; siehe auch Heinze, Krajewski, Laufenberg, Schnupp, Sommer . . . . . . . . . . . Sup II – 25<br />
Golz, Martin; siehe auch Krajewski, Schnupp, Schenka . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 26<br />
Golz, Martin; siehe auch Schnupp, Sommer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 22<br />
Golz, Martin; siehe auch Sommer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 27<br />
Golz, Martin; siehe auch Sommer, Trutschel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Grüner, C.; siehe auch Bittighofer, Daub, Daubenhauer, Durst, Edinger, Hagen, Härtig,<br />
Henkel-Hancok, Horras-Hun, Hügle, Hütter, Netzel, Peters, Schaaf, Wagner,<br />
Sup II – 28<br />
Wilhelm, Zöllner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 37<br />
Gut, T.; siehe auch Cakeljic, Dettling, Haffner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377<br />
Haffner, Hans Thomas; siehe auch Cakeljic, Dettling, Gut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Hagen, R.; siehe auch Bittighofer, Daub, Daubenhauer, Durst, Edinger, Grüner, Härtig,<br />
Henkel-Hancok, Horras-Hun, Hügle, Hütter, Netzel, Peters, Schaaf, Wagner,<br />
377<br />
Wilhelm, Zöllner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 37<br />
Hagenmeyer, L.; siehe auch Britta, Meinken, Muttray . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 30<br />
Hagenmeyer, L.; siehe auch Geißler, Muttray, Weirich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 14<br />
Halecker, Dela-Madeleine; siehe auch Scheffler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Härtig, E.; siehe auch Bittighofer, Daub, Daubenhauer, Durst, Edinger, Grüner,<br />
Hagen, Henkel-Hancok, Horras-Hun, Hügle, Hütter, Netzel, Peters, Schaaf,<br />
Sup 19<br />
Wagner, Wilhelm, Zöllner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 37<br />
Haueisen, J.; siehe auch Fuchs, Golz, Heinze, Sommer, Trutschel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 24<br />
Heinze, C.; siehe auch Fuchs, Golz, Haueisen, Sommer, Trutschel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 24<br />
Heinze, C.; siehe auch Golz, Krajewski, Laufenberg, Schnupp, Sommer . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Henkel-Hancok, C.; siehe auch Bittighofer, Daub, Daubenhauer, Durst, Edinger,<br />
Grüner, Hagen, Härtig, Horras-Hun, Hügle, Hütter, Netzel, Peters, Schaaf,<br />
Sup II – 25<br />
Wagner, Wilhelm, Zöllner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 37<br />
Hermann, D.; siehe auch Kniest, Mann, Skopp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 21<br />
Hierling, J.; siehe auch Buhmann, Maintz, Zangemeister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 30<br />
Hilger, N.; siehe auch Kollbach, Rudinger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 20<br />
Hillmann, Frank-Roland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105<br />
Hofmann, L.; siehe auch Bönninger, Golz, Schüppel, Trautmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Horras-Hun, G.; siehe auch Bittighofer, Daub, Daubenhauer, Durst, Edinger, Grüner,<br />
Hagen, Härtig, Henkel-Hancok, Hügle, Hütter, Netzel, Peters, Schaaf, Wagner,<br />
Sup II – 18<br />
Wilhelm, Zöllner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Hügle, I.; siehe auch Bittighofer, Daub, Daubenhauer, Durst, Edinger, Grüner,<br />
Hagen, Härtig, Henkel-Hancok, Horras-Hun, Hütter, Netzel, Peters, Schaaf,<br />
Sup II – 37<br />
Wagner, Wilhelm, Zöllner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Hütter, C.; siehe auch Bittighofer, Daub, Daubenhauer, Durst, Edinger, Grüner,<br />
Hagen, Härtig, Henkel-Hancok, Horras-Hun, Hügle, Netzel, Peters, Schaaf,<br />
Sup II – 37<br />
Wagner, Wilhelm, Zöllner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 37<br />
Iwersen-Bergmann, S.; siehe auch Andersen, Mueller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 21<br />
Janeczek, Christian . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup 14<br />
Jankowski, W. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 32<br />
Jänsch, M.; siehe auch P<strong>und</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 34<br />
Käferstein, Herbert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404<br />
Kahl, H.-G.; siehe auch Agius, Dufaux, Nadulski . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 16, 17<br />
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Autorenverzeichnis<br />
Autorenverzeichnis<br />
Seite<br />
Kaltenegger, A. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 40<br />
Keller, T.; siehe auch Monticelli, Priemer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 29<br />
Kielstein, V.; siehe auch Baligand, Böckelmann, Darius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 19<br />
Klipp, S<strong>im</strong>one . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328<br />
Klipp, S<strong>im</strong>one; siehe auch Püschel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315<br />
Kniest, A.; siehe auch Hermann, Mann, Skopp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 21<br />
Kollbach, B.; siehe auch Hilger, Rudinger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 20<br />
Krajewski, J. ; siehe auch Golz, Schnupp, Schenka . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 26<br />
Krajewski, J.; siehe auch Golz, Heinze, Laufenberg, Schnupp, Sommer . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 25<br />
Krajewski, Jarek; siehe auch Golz, Schnieder, Sommer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 15<br />
Krapp, S.; siehe auch Diehl-Schmid, Ernst, Förstl, Kurz, Schuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 17<br />
Kurz, A.; siehe auch Diehl-Schmid, Ernst, Förstl, Krapp, Kurz, Schuster . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 17<br />
Laufenberg, T.; siehe auch Golz, Heinze, Krajewski, Schnupp, Sommer . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 25<br />
Maatz, Kurt Rüdiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup 8<br />
Maintz, L.; siehe auch Buhmann, Hierling, Zangemeister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 30<br />
Mann, K.; siehe auch Hermann, Kniest, Skopp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 21<br />
Marques, Paul R. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318<br />
Mattern, Rainer; siehe auch Schubert, Brenner-Hartmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395, 397, Sup II – 9<br />
Mattern, Rainer; siehe auch Skopp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1<br />
Meinken, K.; siehe auch Britta, Hagenmeyer, Muttray . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 30<br />
Meyer, Harald . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61<br />
Möhler, W: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 41<br />
Monticelli, F.; siehe auch Keller, Priemer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 29<br />
Mueller, A.; siehe auch Andersen, Iwersen-Bergmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 21<br />
Müller, Dieter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401<br />
Mülmann, M. J. A. von . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 39<br />
Muhrer, E.; siehe auch Reinprecht, Schröder, Vollrath . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 36<br />
Muhrer, E.; siehe auch Reinprecht, Vollrath . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 25<br />
Muttray, A.; siehe auch Britta, Hagenmeyer, Meinken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 30<br />
Muttray, Axel; siehe auch Geißler, Hagenmeyer, Weirich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 14<br />
Nadulski, Thomas; siehe auch Agius, Dufaux, Kahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 16, 17<br />
Nechtelberger, F.; siehe auch Nechtelberger M., Scheiblecker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 15<br />
Nechtelberger, Martin; siehe auch Nechtelberger F., Scheiblecker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Netzel, H.; siehe auch Bittighofer, Daub, Daubenhauer, Durst, Edinger, Grüner,<br />
Hagen, Härtig, Henkel-Hancok, Horras-Hun, Hügle, Hütter, Peters, Schaaf, Wagner,<br />
Sup II – 15<br />
Wilhelm, Zöllner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 37<br />
Orth, Maritta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Peters, T.; siehe auch Bittighofer, Daub, Daubenhauer, Durst, Edinger, Grüner,<br />
Hagen, Härtig, Henkel-Hancok, Horras-Hun, Hügle, Hütter, Netzel, Schaaf, Wagner,<br />
Sup II – 12<br />
Wilhelm, Zöllner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 37<br />
Priemer, F.; siehe auch Keller, Monticelli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 29<br />
Püschel, Klaus; siehe auch Edler, Schrot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275<br />
Püschel, Klaus; siehe auch Klipp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315<br />
P<strong>und</strong>, B.; siehe auch Jänsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 34<br />
Reinprecht, K.; siehe auch Muhrer, Schröder, Vollrath . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 36
Autorenverzeichnis 9<br />
Autorenverzeichnis<br />
Seite<br />
Reinprecht, K.; siehe auch Muhrer, Vollrath . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 25<br />
Röhrich, Jörg; siehe auch Becker, Drobnik, Sch<strong>im</strong>mel, Urban, Zörntlein . . . . . . . . . . . . . . . 269<br />
Rudinger, G.; siehe auch Hilger, Kollbach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Schaaf, J.; siehe auch Bittighofer, Daub, Daubenhauer, Durst, Edinger, Grüner, Hagen,<br />
Härtig, Henkel-Hancok, Horras-Hun, Hügle, Hütter, Netzel, Peters, Wagner,<br />
Sup II – 20<br />
Wilhelm, Zöllner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 37<br />
Schäpe, Markus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194<br />
Scheffler, Uwe; siehe auch Halecker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup 19<br />
Scheiblecker, R.; siehe auch Nechtelberger F., Nechtelberger M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 15<br />
Schenka, C.; siehe auch Golz, Krajewski, Schnupp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 26<br />
Sch<strong>im</strong>mel, Iris; siehe auch Becker, Drobnik, Röhrich, Urban, Zörntlein . . . . . . . . . . . . . . . 269<br />
Schmidt-Atzert, Lothar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114<br />
Schnieder, S.; siehe auch Golz, Krajewski, Sommer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 15<br />
Schnupp, T.; siehe auch Golz, Heinze, Krajewski, Laufenberg, Sommer . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 25<br />
Schnupp, T.; siehe auch Golz, Krajewski, Schenka . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 26<br />
Schnupp, T.; siehe auch Golz, Sommer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 22<br />
Schöch, Heinz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340<br />
Schröder, M.; siehe auch Muhrer, Reinprecht, Vollrath . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 36<br />
Schrot, Maike; siehe auch Püschel, Edler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275<br />
Schubert, Wolfgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113<br />
Schubert, Wolfgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161<br />
Schubert, Wolfgang; siehe auch Berg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 23<br />
Schubert, Wolfgang; siehe auch Berg, Glaser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10<br />
Schubert, Wolfgang; siehe auch Brenner-Hartmann, Mattern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395, 397, Sup II – 9<br />
Schüppel, U.; siehe auch Bönninger, Golz, Hofmann, Trautmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 18<br />
Schützhofer, B.; siehe auch Torner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 33<br />
Schuster, T.; siehe auch Diehl-Schmid, Ernst, Förstl, Krapp, Kurz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 17<br />
Skopp, Gisela; siehe auch Hermann, Kniest, Mann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 21<br />
Skopp, Gisela; siehe auch Mattern, . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1<br />
Sommer, D.; sieh auch Golz, Schnupp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 22<br />
Sommer, D.; siehe auch Fuchs, Golz, Haueisen, Heinze, Trutschel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 24<br />
Sommer, D.; siehe auch Golz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 27<br />
Sommer, D.; siehe auch Golz, Heinze, Krajewski, Laufenberg, Schnupp . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 25<br />
Sommer, D.; siehe auch Golz, Krajewski, Schnieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 15<br />
Sommer, D.; siehe auch Golz, Trutschel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 28<br />
Stephan, Egon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 11<br />
Sturzbecher, Dietmar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218<br />
Tischler, Franz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup 25<br />
Toppel, L.; siehe auch Danckworth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 38<br />
Torner, F.; siehe auch Schützhofer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 33<br />
Trautmann, T.; siehe auch Bönninger, Golz, Hofmann, Schüppel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 18<br />
Trutschel, U.; siehe auch Fuchs, Golz, Haueisen, Heinze, Sommer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 24<br />
Trutschel, U.; siehe auch Golz, Sommer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 28<br />
Turetschek, C. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 36<br />
Uhle, Axel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
10<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Autorenverzeichnis<br />
Autorenverzeichnis<br />
Seite<br />
Urban, Reinhard; siehe auch Becker, Drobnik, Röhrich, Sch<strong>im</strong>mel, Zörntlein . . . . . . . . . . . 269<br />
Vollrath, M.; siehe auch Muhrer, Reinprecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 25<br />
Vollrath, M.; siehe auch Muhrer, Reinprecht, Schröder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 36<br />
Voss, K.-F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Wagner, H.; siehe auch Bittighofer, Daub, Daubenhauer, Durst, Edinger, Grüner, Hagen,<br />
Härtig, Henkel-Hancok, Horras-Hun, Hügle, Hütter, Netzel, Peters, Schaaf,<br />
Sup II – 35<br />
Wilhelm, Zöllner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 37<br />
Weirich, O. siehe auch Geißler, Hagenmeyer, Muttray . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 14<br />
Wienhausen-Wilke, V.; siehe auch Eller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Wilhelm, Barbara; siehe auch Bittighofer, Daub, Daubenhauer, Durst, Edinger, Grüner,<br />
Hagen, Härtig, Henkel-Hancok, Horras-Hun, Hügle, Hütter, Netzel, Peters, Schaaf,<br />
Sup II – 31<br />
Wagner, Zöllner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 10, 37<br />
Zangemeister, W.H.; siehe auch Buhmann, Hierling, Maintz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 30<br />
Zentgraf, Maritta; siehe auch Brieler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Zöllner, I.; siehe auch Bittighofer, Daub, Daubenhauer, Durst, Edinger, Grüner,<br />
Hagen, Härtig, Henkel-Hancok, Horras-Hun, Hügle, Hütter, Netzel, Peters, Schaaf,<br />
383<br />
Wagner, Wilhelm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sup II – 37<br />
Zörntlein, Siegfried; siehe auch Becker, Drobnik, Röhrich, Sch<strong>im</strong>mel, Urban . . . . . . . . . . . 269
Entscheidungsregister<br />
Entscheidungsregister<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgericht <strong>und</strong> oberste <strong>B<strong>und</strong></strong>esgerichte<br />
I. <strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgericht<br />
BVerfG (Kammer) Beschluss vom 11.06.2010 – 2 BvR 1046/08 – 356<br />
II. <strong>B<strong>und</strong></strong>esgerichtshof<br />
BGH Beschluss vom 10.12.2009 – 4 StR 503/09 – 296<br />
III. <strong>B<strong>und</strong></strong>esverwaltungsgericht<br />
BVerwG Urteil vom 25.02.2010 – 3 C 15/09 – 251<br />
Ordentliche Gerichte<br />
I. Kammergericht/Oberlandesgericht<br />
GK Berlin Beschluss vom 15.01.2010 – 2 Ss 277/09-3 Ws (B) 726/09 – 133<br />
OLG Bamberg Beschluss vom 21.08.2009 – 2 Ss OWi 713/09 – 134<br />
OLG Bamberg Beschluss vom 20.11.2009 – 2 Ss OWi 1283/09 – 136<br />
OLG Brandenburg Beschluss vom 10.06.2009 – 2 Ss 17/09 – 33<br />
OLG Brandenburg Beschluss vom 02.12.2009 – 1 Ws 229/09 – 299<br />
OLG Brandenburg Beschluss vom 13.07.2010 – (2) 53 Ss 40/10 (21/10) – 426<br />
OLG Braunschweig Beschluss vom 27.01.2010 – Ss (OWi) 219/09 – 298<br />
OLG Celle Beschluss vom 25.01.2010 – 322 SsBs 315/09 – 303<br />
OLG Celle Beschluss vom 11.08.2010 – 32 Ss 101/10 – 425<br />
OLG Düsseldorf Beschluss vom 30.06.2010 – III-1 RVs 59/10,<br />
1 RVs 59/10 – 428<br />
OLG Frankfurt am Main Beschluss vom 14.10.2009 – 1 Ss 310/09 – 30<br />
OLG Hamm Beschluss vom 10.09.2009 – 4 Ss 316/09 – 302<br />
OLG Hamm Beschluss vom 14.09.2009 – 2 Ss 319/09 OLG Hamm – 39<br />
OLG Hamm Beschluss vom 15.10.2009 – 2 Ss OWi 737/09 OLG Hamm – 37<br />
OLG Hamm Beschluss vom 27.10.2009 – 3 Ss OWi 451/09 – 28<br />
OLG Hamm Beschluss vom 19.11.2009 – 5 Ss OWi 401/09 – 301<br />
OLG Hamm Beschluss vom 11.02.2010 – 3 Ss OWi 319/09 – 245<br />
OLG Hamm Beschluss vom 29.06.2010 – III-3 RVs 45/10,<br />
3 RVs 45/10 – 433<br />
OLG Jena Beschluss vom 27.11.2009 – 1 Ss 314/09 – 361<br />
OLG Jena Beschluss vom 21.01.2010 – 1 Ss 296/09 – 247<br />
OLG Köln Beschluss vom 03.07.2009 – 83 Ss 51/09 – 141<br />
OLG Köln Beschluss vom 05.02.2010 – 1 RVs 25/10 – 296<br />
OLG Köln Beschluss vom 03.08.2010 – III-1 RVs 142/10,<br />
1 RVs 142/10 – 429<br />
OLG Naumburg Beschluss vom 06.07.2010 – 2 Ss 85/10 – 432<br />
OLG Oldenburg Beschluss vom 03.11.2009 – 1 Ss 167/09 – 28<br />
OLG Oldenburg Beschluss vom 15.04.2010 – 2 SsBs 59/10 – 304<br />
OLG Schleswig Urteil vom 26.10.2009 – 1 Ss OWi 92/09 (129/09) – 137<br />
OLG Stuttgart Beschluss vom 17.04.2009 – 2 Ss 159/09 – 139<br />
OLG Stuttgart Beschluss vom 02.07.2010 – 4 Ss 369/10 – 360<br />
OLG Stuttgart Beschluss vom 23.09.2010 – 5 Ss 471/10 – 431<br />
OLG Zweibrücken Beschluss vom 16.08.2010 – 1 SsBs 2/10 – 420<br />
OLG Zweibrücken Beschluss vom 23.09.2010 – 1 SsBs 6/10 – 419<br />
II. Landgericht<br />
LG Arnsberg Beschluss vom 03.11.2009 – 2 Qs 87/09 – 35<br />
LG Frankfurt (Oder) Beschluss vom 15.10.2009 – 21 Qs 152/09 – 36<br />
LG Hamburg Beschluss vom 06.05.2010 – 603 Qs 165/10 – 306<br />
11<br />
Seite<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
12 Entscheidungsregister<br />
LG Hildeshe<strong>im</strong> Beschluss vom 15.09.2009 – 26 Qs 101/09 – 363<br />
III. Amtsgericht<br />
AG Frankfurt a. M. Urteil vom 18.01.2010 – 998 OWi 2022-955 Js-OWi<br />
20697/09 – 435<br />
AG Lüdinghausen Urteil vom 08.12.2009 – 9 Ds-82 Js 5515/09-156/09 – 142<br />
AG Lüdinghausen Urteil vom 02.03.2010 – 9 Ds 82 Js 3375/09-111/09,<br />
9 Ds 111/09 – 250<br />
AG Lüdinghausen Urteil vom 14.09.2010 – 9 Ds 82 Js 3172/10-86/10,<br />
9 Ds 86/10 - 435<br />
AG Recklinghausen Urteil vom 13.05.2009 – 28 Ds-12 Js 582/08-96/09 – 39<br />
AG Schwelm Urteil vom 23.06.2009 – 60 OWi 770 Js 464/08<br />
(129/08) – 37<br />
AG Tiergarten Urteil vom 10.02.2010 – (310 Cs) 3033 PLs 10607/09<br />
(144/09) – 248<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Verwaltungsgerichte<br />
Seite<br />
I. Verwaltungsgerichtshof/Oberverwaltungsgericht<br />
VGH Baden-Württemberg Beschluss vom 27.10.2009 – 10 S 2024/09 – 41<br />
VGH Baden-Württemberg Beschluss vom 21.01.2010 – 10 S 2391/09 – 149<br />
VGH Baden-Württemberg Beschluss vom 04.02.2010 – 10 S 2773/09 – 255<br />
VGH Baden-Württemberg Beschluss vom 22.02.2010 – 10 S 2702/09 – 257<br />
VGH Baden-Württemberg Beschluss vom 03.05.2010 – 10 S 256/10 – 310<br />
VGH Baden-Württemberg Beschluss vom 21.06.2010 – 10 S 4/10 – 364<br />
VGH Bayern Beschluss vom 19.04.2010 – 11 ZB 09.2982 – 308<br />
VGH Bayern Beschluss vom 09.06.2010 – 11 CS 10.786 – 368<br />
VGH Bayern Beschluss vom 26.07.2010 – 11 CS 10.1278 – 441<br />
VGH Hessen Beschluss vom 04.12.2009 – 2 B 2138/09 – 154<br />
VGH Hessen Urteil vom 06.10.2010 – 2 B 1076/10 – 436<br />
OVG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 03.11.2009 – 1 S 205/09 – 40<br />
OVG Bremen Beschluss vom 20.04.2010 – 1 B 23/10 – 265<br />
OVG Niedersachsen Beschluss vom 16.12.2009 – 12 ME 234/09 – 143<br />
OVG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 13.10.2009 – 16 B 1067/09 – 259<br />
OVG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 20.01.2010 – 16 B 814/09 – 145<br />
OVG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 01.06.2010 – 16 B 428/10 – 371<br />
OVG Rheinland-Pfalz Beschluss vom 29.01.2010 – 10 B 11226/09.OVG – 264<br />
OVG Rheinland-Pfalz Urteil vom 18.03.2010 – 10 A 11244/09.OVG – 261<br />
OVG Rheinland-Pfalz Urteil vom 18.06.2010 – 10 A 10411/10.OVG – 366<br />
OVG Rheinland-Pfalz Beschluss vom 23.06.2010 – 10 B 10545/10 – 440<br />
OVG Sachsen Beschluss vom 13.10.2009 – 3 B 314/09 – 48<br />
OVG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 09.10.2009 – 3 M 324/09 – 46<br />
OVG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 16.10.2009 – 3 M 575/08 – 43<br />
II. Verwaltungsgericht<br />
VG Ansbach Beschluss vom 21.10.2009 – AN 10 S 09.01799 – 55<br />
VG Ansbach Beschluss vom 25.02.2010 – AN 10 S 10.00086 – 313<br />
VG Augsburg Urteil vom 19.07.2010 – Au 7 K 09.888 – 374<br />
VG Berlin Beschluss vom 23.10.2009 – 20 L 208/09 – 57<br />
VG Bremen Beschluss vom 26.04.2010 – 5 K 126/10 – 312<br />
VG Bremen Beschluss vom 08.06.2010 – 5 V 684/10 – 372<br />
VG Bremen Beschluss vom 04.08.2010 – 5 V 912/10 – 442<br />
VG Freiburg Beschluss vom 25.03.2010 – 1 K 280/10 – 266<br />
VG Gelsenkirchen Beschluss vom 30.09.2009 – 7 L 1006/09 – 159<br />
VG Gelsenkirchen Beschluss vom 28.01.2010 – 7 L 4/10 – 160
Entscheidungsregister<br />
13<br />
Seite<br />
VG Gelsenkirchen Beschluss vom 07.05.2010 – 7 L 427/10 – 372<br />
VG Karlsruhe Beschluss vom 29.10.2009 – 5 K 1853/09 – 53<br />
VG Leipzig Beschluss vom 21.01.2010 – 1 L 1833/09 – 156<br />
VG München Beschluss vom 28.09.2009 – M 6b S 09.3560 – 59<br />
VG Osnabrück Beschluss vom 17.06.2010 – 6 B 42/10 – 375<br />
VG Saarlouis Beschluss vom 21.10.2009 – 10 L 888/09 – 51<br />
VG Saarlouis Beschluss vom 05.11.2009 – 10 L 847/09 – 50<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
14<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
Die auf einen *) folgenden Leitsätze sind von der Schriftleitung formuliert worden.<br />
1. – Feststellung der Schuldfähigkeit bei BAK von 3 ‰ –<br />
1. Bei einem <strong>Blutalkohol</strong>gehalt von r<strong>und</strong> 3 g Promille kann eine Schuldfähigkeit des Angeklagten<br />
jedenfalls dann nicht ohne Hinzuziehung eines medizinischen Sachverständigen ausreichend<br />
sicher festgestellt werden, wenn der Angeklagte eine Lebervorschädigung aufwies <strong>und</strong><br />
längere Zeit alkoholabstinent gelebt hatte oder wenn er zugleich nicht unerheblich mit einem<br />
Betäubungsmittelwirkstoff (hier: THC) intoxiert war.<br />
*) 2. Bei Berechnung des <strong>Blutalkohol</strong>wertes ist bei der Rückrechnung vom Zeitpunkt der<br />
Blutentnahme auf die Tatzeit neben dem stündlichen Abbauwert von 0,2 ‰ zusätzlich ein einmaliger<br />
Sicherheitszuschlag von 0,2 ‰ anzusetzen.<br />
Oberlandesgericht Oldenburg, Beschluss vom 03. November 2009............................................... 28<br />
2. – Fahrverbot bei Ordnungswidrigkeiten in Tatmehrheit, Tatidentität –<br />
1. Stehen zwei Ordnungswidrigkeiten, die jeweils mit einem Fahrverbot geahndet werden<br />
könnten, in Tatmehrheit, so kann in dem diese Taten gleichzeitig aburteilenden Urteil nur auf ein<br />
Fahrverbot erkannt werden.<br />
*) 2. Eine unlösbare innere Verknüpfung zweier Handlungen, die über die bloße Gleichzeitigkeit<br />
ihrer Ausführung hinausginge, liegt nicht vor, wenn der Täter mit einem Kraftfahrzeug unter<br />
Wirkung berauschender Mittel fährt <strong>und</strong> hierbei Betäubungsmittel ohne einen erkennbaren<br />
Beziehungs- bzw. Bedingungszusammenhang als Teil seines persönlichen Gewahrsams mit sich<br />
führt.<br />
Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 27. Oktober 2009 ........................................................ 28<br />
3. – Blutprobenentnahme unter Verstoß <strong>gegen</strong> § 81a Abs. 2 StPO, erforderliche Feststellungen<br />
bei Berücksichtigung von Nachtrunk –<br />
*) 1. Gefahr <strong>im</strong> Verzug i. S.v. § 81a Abs. 2 StPO ist zu verneinen, wenn nach dem Ergebnis des<br />
Atemalkoholtests der untersuchte Fahrzeugführer stark alkoholisiert war (hier: 2,0 Promille).<br />
2. Der Hinweis, eine richterliche Entscheidung sei zu einem best<strong>im</strong>mten Zeitpunkt (hier: Atemalkoholtest<br />
um 21.20 Uhr) nicht zu erlangen, kann Gefahr <strong>im</strong> Verzug nicht begründen, weil<br />
dem korrespondierend die verfassungsrechtliche Verpflichtung der Gerichte besteht, die Erreichbarkeit<br />
eines Ermittlungsrichters, auch durch die Einrichtung eines Eil- oder Notdienstes, zu<br />
sichern.<br />
3. Ein Beweisverwertungsverbot ist bei Verstoß <strong>gegen</strong> § 81a Abs. 2 StPO insbesondere dann<br />
anzunehmen, wenn die Durchführung der Maßnahme auf einer bewusst fehlerhaften bzw. objektiv<br />
willkürlichen Annahme der Eingriffsbefugnis durch den Polizeibeamten beruht. Ein irrtümlicher<br />
Verstoß <strong>gegen</strong> die gesetzliche Zuständigkeitsregelung führt da<strong>gegen</strong> – jedenfalls,<br />
wenn ein hypothetischer Ersatzeingriff rechtmäßig wäre – nicht zu einem Beweisverwertungsverbot.<br />
4. Mangels – den handelnden Polizeibeamten bekannter – Erreichbarkeit eines Richters kann<br />
es nicht als willkürlich oder grob fehlerhaft angesehen werden, wenn die Ermittlungsbeamten<br />
ihre Eilkompetenz nach § 81a Abs. 2 StPO annehmen <strong>und</strong> selbst die Entnahme der Blutprobe<br />
anordnen. Dies gilt erst recht, wenn ein Nachtrunk <strong>im</strong> Raume steht.<br />
5. Will der Tatrichter einen Nachtrunk berücksichtigen, so hat er zunächst die Tatzeitblutalkoholkonzentration<br />
zu ermitteln, die der Angeklagte ohne Nachtrunk gehabt hätte. Von diesem Wert<br />
ist sodann die durch den Nachtrunk max<strong>im</strong>al verursachte <strong>Blutalkohol</strong>konzentration abzuziehen.<br />
Das tatrichterliche Urteil muss dabei nachprüfbar erkennen lassen, ob bei der Berechnung der<br />
durch den Nachtrunk verursachten max<strong>im</strong>alen <strong>Blutalkohol</strong>konzentration die günstigsten möglichen<br />
Werte zugr<strong>und</strong>e gelegt worden sind.<br />
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 14. Oktober 2009 .................................... 30<br />
Seite
Rechtsprechungsübersicht<br />
15<br />
Seite<br />
4. – Kein Rückschluss aus BAK auf vorsätzliche Begehung des § 316 StGB –<br />
1. Bei der Trunkenheit <strong>im</strong> Verkehr kann die Annahme einer vorsätzlichen Tat nicht allein auf<br />
die Höhe der BAK gestützt werden.<br />
*) 2. Jedoch n<strong>im</strong>mt derjenige, der eine St<strong>und</strong>e vor Fahrtantritt mehr als vier Liter Bier oder<br />
zwei Liter Wein oder einen halben Liter Schnaps trinkt, seine daraus resultierende Fahruntüchtigkeit<br />
zumindest billigend in Kauf.<br />
Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 10. Juni 2009 .......................................... 33<br />
5. – Zuständigkeit für Beschwerde <strong>gegen</strong> Beschluss nach § 111a StPO –<br />
Eine Beschwerde <strong>gegen</strong> die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ist nach Erhebung der<br />
öffentlichen Klage von dem nunmehr zuständigen Gericht als Antrag zu behandeln, <strong>im</strong> Sinne des<br />
Beschwerdevorbringens zu entscheiden. Erst die dann ergehende Entscheidung ist beschwerdefähig.<br />
Landgericht Arnsberg, Beschluss vom 03. November 2009 .......................................................... 35<br />
6. – Aufhebung Beschluss nach § 111a Abs. 1 StPO –<br />
*) 1. Die Ergebnisse einer in Tschechien erfolgten Blutprobenentnahme wegen Verdachts<br />
einer Trunkenheitsfahrt in Abwesenheit des Arztes <strong>und</strong> unter unzureichender Dokumentation des<br />
Verfahrensweges zur Erlangung des Analyseergebnisses sind nicht verwertbar.<br />
2. Das Ausbrechen des Fahrzeuges bei leichtem Kurvenverlauf <strong>und</strong> feuchter, indes griffiger<br />
Fahrbahnoberfläche stellt keinen typischen alkoholbedingten Fahrfehler dar, soweit andere Ursachen<br />
wie Übermüdung des Fahrers als mögliche <strong>und</strong> plausible Unfallursache in Betracht zu ziehen<br />
sind.<br />
Landgericht Frankfurt (Oder), Beschluss vom 15. Oktober 2009 .................................................. 36<br />
7. – Verwertbarkeit einer AAK-Messung <strong>im</strong> Falle der Nichteinhaltung der 20-minütigen<br />
Wartezeit –<br />
*) Im Falle der Nichteinhaltung der vor Beginn einer Atemalkoholmessung einzuhaltenden<br />
Wartezeit von 20 Minuten kann zumindest bei einer deutlichen Überschreitung des Gefahrengrenzwertes<br />
durch Hinzuziehung eines Sachverständigen geklärt werden, ob <strong>und</strong> gegebenenfalls<br />
in welchem Umfang sich die Unterschreitung der Wartezeit seit Trinkende ausgewirkt hat.<br />
Amtsgericht Schwelm, Urteil vom 23.Juni 2009,<br />
Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 15. Oktober 2009 ........................................................ 37<br />
8. – Keine Tatidentität gemäß § 264 StPO bei § 29 Abs. 1 BtMG <strong>und</strong> § 316 StGB –<br />
*) Ein Strafklageverbrauch infolge Tatidentität gemäß § 264 StPO ist bei Einstellung eines<br />
Verfahrens gem. § 153a StPO wegen des Erwerbs von Betäubungsmitteln gem. § 29 Abs. 1<br />
BtMG <strong>und</strong> der zur Verurteilung gelangten Tat – Führen eines Kraftfahrzeugs in alkoholbedingten<br />
fahruntüchtigen Zustand, wobei <strong>im</strong> Blut ebenfalls Kokain <strong>und</strong> Cannabisprodukte festgestellt<br />
worden sind – zu verneinen, weil der Erwerb von Betäubungsmittel mit deren Inbesitznahme<br />
abgeschlossen ist <strong>und</strong> die nachfolgende Trunkenheitsfahrt sich demnach als ein selbständiger<br />
geschichtlicher Vorgang darstellt.<br />
Amtsgericht Recklinghausen, Urteil vom 13. Mai 2009,<br />
Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 14. September 2009 .................................................... 39<br />
9. – Kein Verwertungsverbot bei Verstoß <strong>gegen</strong> § 81a Abs. 2 StPO <strong>im</strong> behördlichen<br />
Fahrerlaubnisentziehungsverfahren –<br />
*) Das Straßenverkehrsgesetz (StVG) <strong>und</strong> die Fahrerlaubnisverordnung (FeV) sehen für die<br />
Anordnung von ärztlichen Untersuchungen <strong>und</strong> Begutachtungen keinen Richtervorbehalt vor.<br />
Die Annahme eines Verwertungsverbots einer unter Verstoß <strong>gegen</strong> den Richtervorbehalt nach<br />
§ 81a StPO entnommenen Blutprobe geriete daher in einen Wertungswiderspruch, weil solche<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
16<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
Fälle, die ihren Ausgang in einem straf- oder bußgeldrechtlich ahndungsfähigen Verkehrsverstoß<br />
nehmen, anders behandelt würden als solche, bei den die Behörde nach § 11 Abs. 6 <strong>und</strong> 8 FeV<br />
aufgr<strong>und</strong> sonstiger Erkenntnisse selbst Zweifeln an der Kraftfahreignung nachgeht.<br />
Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03. November 2009 ...................... 40<br />
10. – Anerkennung einer EU-Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Inland –<br />
1. Mitteilungen des Gemeinsamen Zentrums der deutsch-tschechischen Polizei- <strong>und</strong> Zollzusammenarbeit<br />
über die Erteilung einer Fahrerlaubnis oder die Ausstellung eines Führerscheins<br />
in der Tschechischen Republik sind gr<strong>und</strong>sätzlich als vom Ausstellermitgliedstaat herrührende<br />
unbestreitbare Informationen <strong>im</strong> Sinne der Urteile des Europäischen Gerichtshofs vom<br />
26. 06. 2008 (Rs. C-329/06 <strong>und</strong> C-343/06 [BA 2008, 255] sowie C-334/06 bis C-336/06) anzusehen.<br />
2. Ist der Aufnahmemitgliedstaat berechtigt, eine in einem anderen EU-Mitgliedstaat erteilte<br />
Fahrerlaubnis nicht anzuerkennen, so berechtigt ein später in diesem Mitgliedstaat ausgestellter<br />
Führerschein den Inhaber nur dann zum Führen von Kraftfahrzeugen <strong>im</strong> Inland, wenn vor der<br />
Ausstellung eine erneute Prüfung der Fahreignung des Betroffenen erfolgt ist.<br />
3. § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV ist auf den Fall entsprechend anwendbar, dass ein (Ersatz-)Führerschein<br />
den Inhaber wegen des Fehlens einer vorangegangenen Überprüfung seiner Fahreignung<br />
nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen <strong>im</strong> Inland berechtigt.<br />
4. Auch nach der neuesten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Auslegung der<br />
Richtlinie 91/439/EWG (Beschl. v. 09. 07. 2009, C-445/08 [BA 2009, 408]) sind Behörden <strong>und</strong><br />
Gerichte des Aufnahmemitgliedstaates berechtigt, bei Behörden des Ausstellermitgliedstaates<br />
Informationen über die Umstände der Erteilung einer Fahrerlaubnis einzuholen. Es ist Sache des<br />
nationalen Gerichts des Aufnahmemitgliedstaates zu prüfen, ob die erlangten Informationen als<br />
vom Ausstellermitgliedstaat herrührende unbestreitbare Informationen zu qualifizieren sind.<br />
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 27. Oktober 2009.......................... 41<br />
11. – Bindungswirkung § 3 Abs. 4 StVG, Fahrverbot § 25 StVG/Entziehung der Fahrerlaubnis<br />
§ 3 StVG, gelegentlicher Cannabiskonsum, Trennungsvermögen –<br />
1. Zur Bindungswirkung bezüglich der Fahreignung des Fahrerlaubnisinhabers bei einer Verurteilung<br />
nach § 24a StVG.<br />
2. Ein Fahrverbot nach § 25 StVG <strong>und</strong> die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 StVG<br />
stellen keine Doppelbestrafung dar.<br />
*) 3. Nur dann, wenn der Strafrichter <strong>im</strong> Rahmen des § 69 StGB die Eignung zum Führen von<br />
Kraftfahrzeugen zu beurteilen hatte <strong>und</strong> nachprüfbar tatsächlich auch beurteilt hat, ist die Verwaltungsbehörde<br />
an diese Entscheidung nach Maßgabe des § 3 Abs. 4 StVG gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
geb<strong>und</strong>en.<br />
4. An dem erforderlichen Trennungsvermögen zwischen <strong>Drogen</strong>konsum <strong>und</strong> Fahren eines<br />
Kraftfahrzeuges gemäß Ziff. 9.2.2 der Anlage 4 fehlt es <strong>im</strong>mer dann, wenn der Kraftfahrer objektiv<br />
unter dem Einfluss einer Cannabiskonzentration am Straßenverkehr teilgenommen hat, bei<br />
der nach wissenschaftlichen Erkenntnissen davon ausgegangen werden muss, dass sich das Risiko<br />
von Beeinträchtigungen, die negative Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit haben, signifikant<br />
erhöht hat.<br />
Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 16. Oktober 2009 ................................ 43<br />
12. – Voraussetzungen für Vorliegen der Grenzwerte gemäß § 13 S. 1 Nr. 2 c FeV –<br />
Abgesehen von den sog. Nachtrunkfällen ist bei der Beurteilung der Frage, ob die in § 13 Satz 1<br />
Nr. 2 c FeV genannten Grenzwerte erreicht sind, maßgeblich, ob die vor der Fahrt (oder während<br />
der Fahrt) konsumierte <strong>Alkohol</strong>menge nach Abschluss der Resorptionsphase zum Erreichen der<br />
jeweiligen Werte führt.<br />
Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 09. Oktober 2009 ................................ 46<br />
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Rechtsprechungsübersicht<br />
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13. – MPU-Anordnung wegen wiederholter Zuwiderhandlung <strong>im</strong> Straßenverkehr unter<br />
<strong>Alkohol</strong>einfluss gemäß § 13 S. 1 Nr. 2 b FeV –<br />
*) Der Annahme wiederholter Zuwiderhandlungen <strong>im</strong> Straßenverkehr unter <strong>Alkohol</strong>einfluss<br />
nach § 13 Satz 1 Nr. 2 b FeV steht selbst ein Zeitraum von mehreren Jahren zwischen den alkoholbedingten<br />
Verkehrsverstößen nicht ent<strong>gegen</strong>, solange die einzelnen Verkehrsverstöße noch<br />
verwertbar sind.<br />
Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 13. Oktober 2009 ...................................... 48<br />
14. – Fahreignung nach durchgeführter Methadon-Behandlung –<br />
1. Eine positive Beurteilung der Fahreignung von Personen, die sich in einer lege artis durchgeführten<br />
Methadon-Substitution befinden, ist nur in seltenen Ausnahmefällen möglich, wenn<br />
besondere Umstände dies <strong>im</strong> Einzelfall rechtfertigen. Hierzu gehört u. a., dass die Freiheit von<br />
Beigebrauch anderer psychoaktiver Substanzen, inklusive <strong>Alkohol</strong>, seit mindestens einem Jahr<br />
durch geeignete, regelmäßige, zufällige Kontrollen (z. B. Urin, Haar) während der Therapie<br />
nachgewiesen ist.<br />
2. Ist die Freiheit des Beigebrauchs anderer psychoaktiver Substanzen nicht nachgewiesen<br />
<strong>und</strong> daher von der fehlenden Fahreignung auszugehen, kann die Wiedererlangung der Fahreignung<br />
nur durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten nachgewiesen werden, auch wenn<br />
die Methadon-Behandlung zwischenzeitlich erfolgreich abgeschlossen wurde.<br />
Saarländisches Verwaltungsgericht, Beschluss vom 05. November 2009 ...................................... 50<br />
15. – Entziehung der Fahrerlaubnis bei <strong>Drogen</strong>-Mischkonsum <strong>und</strong> Bindungswirkung gemäß<br />
§ 3 Abs. 3 StVG –<br />
1. Zur Befugnis zur Entziehung der Fahrerlaubnis bei Mischkonsum von <strong>Alkohol</strong> <strong>und</strong> Cannabis<br />
<strong>und</strong> Teilnahme am Straßenverkehr mit [einem] Kraftfahrzeug.<br />
2. Zur Auslegung von § 3 Abs. 3 StVG i. V. m. § 69 Abs. 1 StGB, wenn ein polizeilich eingeleitetes<br />
Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes <strong>gegen</strong> das BtMG noch nicht abgeschlossen ist.<br />
*) 3. Mit der Einstellung eines Strafverfahrens bezogen auf den Straftatbestand der Trunkenheit<br />
nach § 316 StGB entfällt die Bindungswirkung der Straßenverkehrsbehörde an den Vorrang<br />
eines anhängigen einschlägigen Ermittlungs- bzw. Strafverfahrens.<br />
Saarländisches Verwaltungsgericht, Beschluss vom 21. Oktober 2009.......................................... 51<br />
16. – Anerkennung einer EU-Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Inland –<br />
1. Nach verbreiteter Auffassung ist § 28 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 FeV richtlinienkonform dahin<br />
anzuwenden, dass das Innehaben eines ordentlichen Wohnsitzes <strong>im</strong> Inland bei Erteilung der mitgliedstaatlichen<br />
Fahrerlaubnis allein nicht genügt, die Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen<br />
<strong>im</strong> Inland entfallen zu lassen; erforderlich sein soll außerdem, dass zuvor eine inländische<br />
Fahrerlaubnis entzogen oder sonst beschränkt worden ist.<br />
2. Liegt ein solcher Fall nicht vor, besteht kein überwiegendes öffentliches Interesse daran,<br />
den Inhaber der mitgliedstaatlichen Fahrerlaubnis vorläufig zu hindern, <strong>im</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esgebiet Kraftfahrzeuge<br />
zu führen.<br />
3. Die Pflicht, einen von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein nach sofort vollziehbarer<br />
Feststellung der Nichtberechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen <strong>im</strong> Inland unverzüglich<br />
der entscheidenden Behörde vorzulegen, ist von Gesetzes wegen sofort vollziehbar.<br />
Verwaltungsgericht Karlsruhe, Beschluss vom 29. Oktober 2009.................................................. 53<br />
17. – Anerkennung einer EU-Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Inland –<br />
*) 1. § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i. V. m. § 47 Abs. 2 FeV sind auf den Fall einer nicht <strong>im</strong> Sinne des<br />
§ 28 FeV anzuerkennenden Fahrerlaubnis entsprechend anzuwenden.<br />
2. Die Anordnung einer isolierten Sperre für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Sinne<br />
von § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB ist als eine <strong>im</strong> Sinne von § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV „entzugsähnliche<br />
Maßnahme“ anzusehen.<br />
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Rechtsprechungsübersicht<br />
3. Bei nach dem 19. Januar 2009 erteilten Fahrerlaubnissen ist auf die Anerkennungsregelungen<br />
der Richtlinie 2006/126/EG, insbesondere deren Nichtanerkennungsregelungen in Art. 11<br />
Abs. 4 abzustellen, welche sich nunmehr als Regel-Verpflichtung <strong>und</strong> nicht mehr als eng auszulegende<br />
Ausnahmeregelung vom allgemeinen Anerkennungsprinzip darstellen, womit ein tragendes<br />
Argument der Rechtsprechung des EuGH weggefallen ist.<br />
Verwaltungsgericht Ansbach, Beschluss vom 21. Oktober 2009.................................................... 55<br />
18. – Voraussetzungen für gelegentlichen Cannabiskonsum i. S. d. § 14 Abs. 1 S. 3 FeV –<br />
1. Gelegentlicher Cannabiskonsum i. S. d. § 14 Abs. 1 S. 3 FeV ist anzunehmen, wenn Cannabis<br />
mindestens zwe<strong>im</strong>al in voneinander unabhängigen Konsumakten eingenommen wurde.<br />
2. Ein gelegentlicher Cannabiskonsum lässt sich nicht allein damit belegen, dass der Betroffene<br />
auf die polizeiliche Frage nach dem „letzten“ Konsum – die begrifflich darauf hindeutet, dass<br />
es vorher schon weiteren Konsum gegeben haben kann – antwortete <strong>und</strong> nicht zugleich betonte,<br />
dass es auch der einzige Konsum gewesen sei.<br />
3. Ein <strong>im</strong> Zusammenhang mit einem aktuellen Cannabiskonsum festgestellter THC-Carbonsäurewert<br />
von 33,6 ng/ml lässt für sich genommen nicht darauf schließen, dass der Betroffene<br />
gelegentlich Cannabis konsumiert.<br />
4. Die gelegentliche Einnahme von Cannabis ist gemäß § 14 Abs. 1 S. 3 FeV tatbestandliche<br />
Voraussetzung, nicht zulässiger Gegenstand einer medizinisch-psychologischen Untersuchung,<br />
weshalb in Fällen, in denen unklar ist, ob tatsächlich nur eine einmalige Einnahme vorlag, nur die<br />
Anordnung einer ärztlichen Untersuchung in Betracht kommt.<br />
Verwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 23. Oktober 2009........................................................ 57<br />
19. – Wegfall der Fahreignung aufgr<strong>und</strong> des Konsums von Speed –<br />
*) Bereits der einmalige Konsum sog. harter <strong>Drogen</strong> (hier: Speed) hat <strong>im</strong> Regelfall die Fahrungeeignetheit<br />
zur Folge. Eine positive Beurteilung der Fahreignung setzt in diesem Fall sowohl<br />
eine nachgewiesene Änderung des Konsumverhaltens (einjährige Abstinenz) als auch einen<br />
stabilen Einstellungswandel voraus, d. h. eine Prognose, dass die Verhaltensänderung auf Dauer<br />
ist. Es muss hinreichend wahrscheinlich sein, dass der Betroffene auch in Zukunft die notwendige<br />
Abstinenz einhält.<br />
Verwaltungsgericht München, Beschluss vom 28. September 2009 .............................................. 59<br />
20. – Voraussetzungen für fahrlässigen Verstoß <strong>gegen</strong> § 24a Abs. 2 StVG –<br />
**) 1. Für die fahrlässige Verwirklichung des Tatbestandes des § 24a Abs. 2 <strong>und</strong> 3 StVG muss<br />
dem Betroffenen nachgewiesen werden, dass er die Möglichkeit fortdauernder Wirkung des<br />
Rauschmittelkonsums entweder erkannt hat oder zumindest hätte erkennen können <strong>und</strong> müssen.<br />
Fahrlässig handelt danach, wer in zeitlicher Nähe zum Fahrtantritt <strong>Drogen</strong> konsumiert hat <strong>und</strong><br />
gleichwohl <strong>im</strong> Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt, ohne sich bewusst zu machen, dass der<br />
Rauschmittelwirkstoff noch nicht vollständig unter den analytischen Grenzwert abgebaut ist.<br />
2. Ein von dem Betroffenen eingeräumter Konsum von Cannabis vier Tage vor dem Tatzeitpunkt<br />
begründet nicht ohne weiteres den Vorwurf der Fahrlässigkeit.<br />
Kammergericht Berlin, Beschluss vom 15. Januar 2010 ................................................................ 133<br />
21. – Zur Bedeutung der sog. Wartezeit bei Atemalkoholmessung –<br />
Die Einhaltung einerWartezeit von 20 Minuten zwischen Trinkende <strong>und</strong> erster Messung der<br />
Atemalkoholkonzentration (AAK) mit dem Gerät „Dräger Alcotest 7110 Evidential“ ist<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich ausreichend.<br />
Oberlandesgericht Bamberg, Beschluss vom 21. August 2009 ...................................................... 134<br />
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22. – Kein Verwertungsverbot bei polizeilich angeordneter Blutentnahme nach<br />
§ 81a Abs. 2 StPO –<br />
Der Verwertung eines Sachverständigengutachtens über die <strong>Blutalkohol</strong>konzentration des<br />
Betroffenen steht nicht ent<strong>gegen</strong>, wenn <strong>im</strong> Zeitpunkt der polizeilich angeordneten Blutentnahme<br />
wegen Gefährdung des Untersuchungserfolges ein Ermittlungsrichter schon deshalb unerreichbar<br />
ist, weil in dem betreffenden <strong>B<strong>und</strong></strong>esland (hier: Bayern) ein richterlicher Bereitschaftsdienst<br />
lediglich <strong>im</strong> Zeitraum zwischen 6.00 Uhr <strong>und</strong> 21.00 Uhr eingerichtet ist.<br />
Oberlandesgericht Bamberg, Beschluss vom 20. November 2009 ................................................ 136<br />
23. – Unverwertbarkeit einer unter Verstoß <strong>gegen</strong> den Richtervorbehalt gemäß<br />
§ 81a Abs. 2 StPO gewonnenen Blutprobe –<br />
Bei Taten <strong>im</strong> Zusammenhang mit <strong>Alkohol</strong> <strong>und</strong> <strong>Drogen</strong> darf die Polizei nur in Ausnahmefällen<br />
die Entnahme von Blutproben nach § 81a Abs. 1 StPO anordnen. Ein Verstoß <strong>gegen</strong> den Richtervorbehalt<br />
führt zur Unverwertbarkeit der Ergebnisse der Blutuntersuchung.<br />
Oberlandesgericht Schleswig, Urteil vom 26. Oktober 2009.......................................................... 137<br />
24. – Kein Rückschluss aus nachträglichen Ausfallerscheinungen auf vorsätzliche Trunkenheit<br />
<strong>im</strong> Verkehr –<br />
*) 1. Allein aus nachträglichen Ausfallerscheinungen können keine Rückschlüsse auf das vorsätzliche<br />
Führen eines Fahrzeuges in alkoholbedingt fahrunsicherem Zustand gezogen werden.<br />
2. Ebenso kann die mangelnde Beeinträchtigung hinsichtlich Denkablauf, Bewusstsein <strong>und</strong><br />
Verhalten nicht als tragender Beweis für eine vorsätzliche Trunkenheit <strong>im</strong> Verkehr gewertet werden.<br />
Eine Diskrepanz zwischen dem subjektiven Verhaltensbild <strong>und</strong> dem Ergebnis der Atemalkoholmessung<br />
– welchem auch insoweit nur Indizwirkung zukommt – kann sich nämlich aus<br />
dem sogenannten „Nüchternschock“ ergeben, der besonders nahe liegt, wenn der Täter – wie hier<br />
– einen Unfall verursacht hat.<br />
Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss vom 17. April 2009 .......................................................... 139<br />
25. – Erforderliche Feststellungen zur Best<strong>im</strong>mung des Schuldgehalts einer Trunkenheitsfahrt –<br />
*) 1. Bereits <strong>im</strong> Falle der Verurteilung wegen einer folgenlosen Trunkenheitsfahrt ist der Tatrichter<br />
regelmäßig verpflichtet, neben der Höhe der <strong>Blutalkohol</strong>konzentration <strong>und</strong> der Schuldform<br />
weitere Umstände festzustellen, die geeignet sind, den Schuldumfang näher zu best<strong>im</strong>men <strong>und</strong><br />
einzugrenzen. Dazu zählen insbesondere die Umstände der <strong>Alkohol</strong>aufnahme (Trinken in Fahrbereitschaft)<br />
sowie der Anlass <strong>und</strong> die Gegebenheiten der Fahrt (z. B. die Fahrweise, die Art –<br />
Verkehrsverhältnisse – <strong>und</strong> Länge der zurückgelegten Strecke).<br />
2. Wenn außer der Angabe von Tatzeit, Tatort <strong>und</strong> <strong>Blutalkohol</strong>wert keine weiteren, für den<br />
Schuldumfang wesentlichen Feststellungen möglich sind, weil der Angeklagte schweigt <strong>und</strong><br />
Beweismittel dafür entweder nicht zur Verfügung stehen oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand<br />
zu beschaffen wären, so ist dies <strong>im</strong> Urteil hinreichend klarzustellen. In einem solchen Fall<br />
ist für die Strafzumessung ein entsprechend geringer Schuldumfang ohne wesentliche Besonderheiten<br />
zugr<strong>und</strong>e zu legen.<br />
Oberlandesgericht Köln, Beschluss vom 03. Juli 2009 .................................................................. 141<br />
26. – Ausnahme einer Fahrzeugart von der Festsetzung einer Sperrfrist nach<br />
§ 69a Abs. 2 StGB –<br />
1. Ausschlaggebend für das Ausnehmen einer Fahrzeugart von der Sperre ist das Vorliegen<br />
einer Gefahrenabschirmung.<br />
2. An einer ausreichenden Gefahrenabschirmung fehlt es, wenn keinerlei Kontrollen des<br />
Arbeitgebers vor Fahrtantritt mit der auszunehmenden Fahrzeugart stattfinden.<br />
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Rechtsprechungsübersicht<br />
3. An einer Gefahrenabschirmung fehlt es auch, wenn bei einer hypothetischen BAK-Berechnung<br />
auf den Zeitpunkt des üblichen Fahrtantritts mit den auszunehmenden Fahrzeugarten sich<br />
noch ein BAK-Wert von 0,7 Promille ergibt – allenfalls geringste Restalkoholmengen von weniger<br />
als 0,3 ‰ sind hier zur Zeit des üblichen Fahrtantritts tolerierbar.<br />
Amtsgericht Lüdinghausen, Urteil vom 08. Dezember 2009.......................................................... 142<br />
27. – Verwertbarkeit einer unter Verstoß <strong>gegen</strong> den Richtervorbehalt gewonnenen Blutprobe <strong>im</strong><br />
behördlichen Fahrerlaubnisentziehungsverfahren –<br />
1. Für den Bereich des Fahrerlaubnisrechts ist weder <strong>im</strong> Straßenverkehrsgesetz noch in der<br />
Fahrerlaubnis-Verordnung ein ausdrückliches Verwertungsverbot für nicht richterlich angeordnete<br />
körperliche Untersuchungen best<strong>im</strong>mt.<br />
2. Die Fahrerlaubnisbehörde darf daher <strong>im</strong> überwiegenden Interesse an dem Schutz hochrangiger<br />
Rechtsgüter einer großen Zahl von Verkehrsteilnehmern in einem auf Entziehung der Fahrerlaubnis<br />
gerichteten Verwaltungsverfahren auch ein unter Verstoß <strong>gegen</strong> den Richtervorbehalt<br />
des § 81a StPO gewonnenes Ergebnis einer Blutprobenuntersuchung berücksichtigen, wenn aus<br />
diesem ohne weiteres eine fehlende Kraftfahreignung des Betroffenen hervorgeht.<br />
Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 16. Dezember 2009 ........................ 143<br />
28. – Anerkennung einer EU-Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Inland –<br />
1. Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG (3. Führerscheinrichtlinie) ist jedenfalls für ab<br />
dem 19. Januar 2009 erteilte ausländische Fahrerlaubnisse anwendbar.<br />
2. Nach Art. 11 Abs. 4 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2006/126/EG kommt es für die Befugnis,<br />
EU-ausländischen Fahrerlaubnissen für das <strong>B<strong>und</strong></strong>esgebiet die Anerkennung zu versagen, nicht<br />
mehr auf einen Verstoß <strong>gegen</strong> das Erfordernis eines Wohnsitzes <strong>im</strong> Ausstellerstaat an.<br />
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20. Januar 2010 .......................... 145<br />
29. – Anerkennung einer EU-Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Inland –<br />
1. Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG – 3. Führerscheinrichtlinie – ist am 19. Januar<br />
2009 in Kraft getreten. Im Regelungsbereich des Art. 11 Abs. 4 RL 2006/126/EG finden weder<br />
die Fristen des Art. 16 Abs. 1 <strong>und</strong> 2 RL 2006/126/EG Anwendung noch kommt Bestandsschutz<br />
nach Art. 13 Abs. 2 RL 2006/126/EG in Betracht.<br />
2. Die restriktive Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, wonach Art. 8 Abs. 4 der<br />
Richtlinie 91/439/EWG – 2. Führerscheinrichtlinie – ein eng auszulegender Ausnahmetatbestand<br />
zum Gr<strong>und</strong>satz der <strong>gegen</strong>seitigen Anerkennung von Fahrerlaubnissen ist, ist auf Art. 11 Abs. 4<br />
UAbs. 2 RL2006/126/EG nach dessen nach Wortlaut, Systematik <strong>und</strong> Entstehungsgeschichte<br />
voraussichtlich nicht übertragbar.<br />
3. § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV ist mit den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben des Art. 11<br />
Abs. 4 UAbs. 2 RL 2006/126/EG auch insoweit vereinbar, als die bestandskräftige Versagung<br />
der Neuerteilung einer Fahrerlaubnis der Entziehung der deutschen Fahrerlaubnis gleichgestellt<br />
wird.<br />
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 21. Januar 2010 ............................ 149<br />
30. – Anerkennung einer EU-Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Inland –<br />
1. § 28 Abs. 4 Satz 1 FeV ist gemeinschaftskonform dahingehend auszulegen, dass für eine<br />
Aberkennung des Rechts, von einer EU-Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Inland Gebrauch zu machen, die<br />
tatbestandlichen Voraussetzungen der Nr. 2 <strong>und</strong> Nr. 3 dieser Vorschrift kumulativ vorliegen<br />
müssen.<br />
2. Auch wenn der neue Art. 11 Abs. 4 der 3. Führerscheinrichtlinie zur Bekämpfung des<br />
„Führerscheintourismus“ neu gefasst worden ist, ist nach der Rechtsprechung des Europäischen<br />
Gerichtshofs jedenfalls derzeit nicht erkennbar, dass dieser angesichts der wörtlichen Übereinst<strong>im</strong>mung<br />
der Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 4 der 2. Führerscheinrichtlinie <strong>und</strong> des Art. 11<br />
Abs. 4 der 3. Führerscheinrichtlinie seine Rechtsprechung zur Anerkennung von EU-Führerscheinen<br />
<strong>im</strong> Hinblick auf das Vorliegen eines ordentlichen Wohnsitzes ändern würde. Es muss<br />
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deshalb bis zu einer ausdrücklichen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 11<br />
Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG davon ausgegangen werden, dass seine Rechtsprechung zum<br />
Wohnsitzprinzip auch für diese Vorschrift weiter gilt.<br />
Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 04. Dezember 2009 ...................................... 154<br />
31. – Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Einnahme von Methamphetamin trotz Unterschreitung<br />
des Grenzwertes für § 24a Abs. 2 StVG –<br />
Eine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen wegen der Einnahme von Betäubungsmitteln<br />
(hier: Methamphetamin) i. S. d. § 3 Abs. 1 StVG i. V. m. § 46 FeV i. V. m. § 4 Abs. 1 FeV<br />
i. V. m. Nr. 9.1 der Anlage 4 FeV liegt auch dann vor, wenn die von der sog. Grenzwertkommission<br />
beschlossenen Grenzwerte zu § 24a Abs. 2 StVG nicht erreicht werden, da es allein auf die<br />
Frage der „Einnahme“ ankommt.<br />
Verwaltungsgericht Leipzig, Beschluss vom 21. Januar 2010 ........................................................ 156<br />
32. – Entziehung der Fahrerlaubnis wegen einmaligen Konsums sog. harter <strong>Drogen</strong> –<br />
*) Bereits der einmalige Konsum sogenannter harter <strong>Drogen</strong> (hier: Kokain) rechtfertigt <strong>im</strong><br />
Regelfall die Annahme der Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen.<br />
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Beschluss vom 30. September 2009 ...................................... 159<br />
33. – MPU-Anordnung wegen 4 Jahre zurückliegender Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad –<br />
Die Fahrerlaubnis-Verordnung schreibt keine zeitliche Grenze für die Anordnung einer medizinisch-psychologischen<br />
Untersuchung (hier: gemäß § 13 S. 1 Nr. 2 c FeV wegen Führen eines<br />
Fahrrades mit einer BAK 2,46 ‰) vor, so dass sich eine solche gr<strong>und</strong>sätzlich nach den Tilgungsfristen<br />
für die Eintragungen <strong>im</strong> Verkehrszentralregister nach § 29 StVG richtet.<br />
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Beschluss vom 28. Januar 2010 ............................................ 160<br />
34. – Voraussetzungen für Verstoß <strong>gegen</strong> § 24a Abs. 2 StVG <strong>und</strong> Beschränkung des<br />
Einspruchs auf Rechtsfolgenausspruch –<br />
*) 1. Die tatbestandliche Verwirklichung von § 24a Abs. 2 StVG setzt den Nachweis der<br />
betreffenden Substanz in einer Konzentration voraus, die eine Beeinträchtigung der Fahrsicherheit<br />
zumindest als möglich erscheinen lässt <strong>und</strong> damit die in § 24a Abs. 2 S. 2 StVG aufgestellte<br />
gesetzliche Vermutung rechtfertigt. Das ist nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft jedenfalls<br />
dann der Fall, wenn zumindest der in der Empfehlung der Grenzwertkommission vom<br />
20. 11. 2002 (BA 2005, 160) empfohlene Nachweisgrenzwert erreicht ist, der für THC (Cannabis)<br />
derzeit bei 1 ng/ml liegt.<br />
2. Eine gr<strong>und</strong>sätzlich gemäß § 67 Abs. 2 OWiG zulässige Beschränkung des Einspruchs auf<br />
den Rechtsfolgenausspruch ist unwirksam, wenn der wegen eines Verstoßes <strong>gegen</strong> § 24a Abs. 2<br />
StVG erlassene Bußgeldbescheid keine Angaben dazu enthält, in welchen konkreten Konzentrationen<br />
Tetrahydrocannabinol sowie Benzoylecgonin <strong>im</strong> Blut des Betroffenen nachgewiesen worden<br />
sind, weil in der Folge ungeklärt bleibt, ob überhaupt von einer beeinträchtigenden Wirkung<br />
der <strong>im</strong> Blut des Betroffenen nachgewiesenen Mengen berauschender Mittel auf dessen Fahrtüchtigkeit<br />
ausgegangen werden kann.<br />
Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 11. Februar 2010 ........................................................ 245<br />
35. – Fahrlässiger Verstoß <strong>gegen</strong> § 24a Abs. 2 StGB, Fahrverbot bei Zeitablauf von 2 Jahren,<br />
Entbehrlichkeit von Feststellung zu wirtschaftlichen Verhältnissen –<br />
*) 1. Für die Annahme eines fahrlässigen Verstoßes <strong>gegen</strong> § 24a Abs. 2 StGB genügt es, wenn<br />
von dem potenziellen Vorstellungsbild des Täters der Umstand umfasst ist, dass der <strong>Drogen</strong>wirkstoff<br />
u. U. noch nicht bis zur Wirkungslosigkeit abgebaut ist, wobei er die Unberechenbarkeit<br />
von Rauschdrogen in Rechnung zu stellen hat.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
22<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
2. Der Zeitablauf von 2 Jahren <strong>und</strong> mehr seit der Tat (hier: Verstoß <strong>gegen</strong> § 24a Abs. 2 StVG)<br />
führt nicht ohne weiteres dazu, dass von einem Fahrverbot abzusehen ist. Maßgeblich sind auch<br />
dann die Umstände des Einzelfalles – insbesondere die Gründe, aus denen sich die Aburteilung<br />
derart hinausgezögert hat (hier: Aufenthaltsermittlung des Betroffenen), die Schwere des Verkehrsverstoßes<br />
sowie das Verhalten des Betroffenen nach der Tat.<br />
3. Ausnahmsweise sind Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen auch bei einer<br />
Geldbuße über 250,– € entbehrlich, wenn die Geldbuße 500 € nicht übersteigt, die wirtschaftlichen<br />
Verhältnisse nicht erkennbar vom Durchschnitt abweichen <strong>und</strong> es sich bei der festgesetzten<br />
Geldbuße um den <strong>im</strong> Bußgeldkatalog best<strong>im</strong>mten Regelsatz handelt.<br />
Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 21. Januar 2010 ...................................................... 247<br />
36. – <strong>Drogen</strong>bedingte Fahruntüchtigkeit i.S.d. § 316 StGB –<br />
Ein Kraftfahrer, bei dem 352 ng/ml Benzoylecgonin, ein Abbauprodukt von Cocain, <strong>im</strong> Serum<br />
zur Tatzeit festgestellt wurde <strong>und</strong> bei dem der nach der Empfehlung der Grenzwertekommission<br />
für Cocain ermittelte verbindliche Grenzwert an Benzoylecgonin um mehr als das 4,6-fache<br />
übertroffen ist, ist <strong>im</strong> Sinne von § 316 StGB fahruntauglich, ohne dass es auf den Nachweis von<br />
Ausfallerscheinungen oder Fahrfehlern ankommt.<br />
Amtsgericht Tiergarten, Urteil vom 10. Februar 2010.................................................................... 248<br />
37. – Absehen von Entziehung der Fahrerlaubnis trotz Regelvermutung nach<br />
§ 69a Abs. 2 StGB –<br />
1. Von der Regelfahrerlaubnisentziehung nach einer Trunkenheitsfahrt kann jedenfalls dann<br />
abgesehen werden, wenn seit der Tat <strong>und</strong> der Führerscheinsicherstellung 10 Monate vergangen<br />
sind <strong>und</strong> der Angeklagte in dieser Zeit durch intensive verkehrspsychologische Maßnahmen<br />
(hier: IVTHö) seine Fahreignung wiederhergestellt hat.<br />
2. In einem solchen Fall ist jedoch ein „deklaratorisches“ Fahrverbot nach § 44 Abs. 1 S. 2<br />
StGB festzusetzen.<br />
Amtsgericht Lüdinghausen, Urteil vom 02. März 2010.................................................................. 250<br />
38. – Anerkennung einer EU-Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Inland –<br />
Dem Inhaber eines ausländischen EU-Führerscheins kann das Recht aberkannt werden, von<br />
dieser Fahrerlaubnis <strong>im</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esgebiet Gebrauch zu machen, wenn Ermittlungen bei den Behörden<br />
des Ausstellermitgliedstaates von dort herrührende unbestreitbare Informationen ergeben,<br />
dass der Fahrerlaubnisinhaber zum Zeitpunkt der Ausstellung seinen ordentlichen Wohnsitz<br />
nicht <strong>im</strong> Ausstellermitgliedstaat hatte.<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esverwaltungsgericht, Urteil vom 25. Februar 2010 .............................................................. 251<br />
39. – Anerkennung einer EU-Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Inland –<br />
1. Der Gr<strong>und</strong>satz der <strong>gegen</strong>seitigen Anerkennung einer in einem Mitgliedstaat der Europäischen<br />
Gemeinschaft erteilten Fahrerlaubnis ist auch <strong>im</strong> Rahmen des § 29 FeV zu berücksichtigen.<br />
2. Wird ein Führerschein in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft ohne erneute<br />
Eignungsprüfung umgeschrieben oder umgetauscht, vermittelt er dem Inhaber keine weitere<br />
Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen <strong>im</strong> Inland als die Fahrerlaubnis, die in dem<br />
umgetauschten früheren Führerschein dokumentiert wurde.<br />
3. Eine Fahrerlaubnis, die von einem Mitgliedstaat vor Ablauf einer in einem anderen Mitgliedstaat<br />
verhängten Sperrfrist erteilt wird, ist <strong>im</strong> Anwendungsbereich der Richtlinie RL 91/439/EWG<br />
auch dann nicht anzuerkennen, wenn kein Verstoß <strong>gegen</strong> das Wohnsitzprinzip vorliegt.<br />
*) 4. Bereits die (einmalige) Einnahme von Betäubungsmitteln <strong>im</strong> Sinne des Betäubungsmittelgesetzes<br />
mit Ausnahme von Cannabis schließt die Fahreignung aus, ohne dass es auf das<br />
Unvermögen ankommt, zwischen Konsum <strong>und</strong> Fahren zu trennen.<br />
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 04. Februar 2010 .......................... 255<br />
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Rechtsprechungsübersicht<br />
23<br />
Seite<br />
40. – Anerkennung einer EU-Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Inland –<br />
Stellt eine Fahrerlaubnisbehörde – ohne die sofortige Vollziehung anzuordnen – fest, dass eine<br />
EU-Fahrerlaubnis nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen <strong>im</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esgebiet berechtigt <strong>und</strong> weist<br />
sie in der Entscheidung auf die Strafbarkeit weiterer Verkehrsteilnahme hin, so liegt ein faktischer<br />
Vollzug eines feststellenden Verwaltungsaktes vor. Rechtsschutz hier<strong>gegen</strong> ist in entsprechender<br />
Anwendung von § 80 Abs. 5 VwGO durch die Feststellung zu gewähren, das der eingelegte<br />
Widerspruch aufschiebende Wirkung hat; eine Abwägung zwischen öffentlichem Vollzugsinteresse<br />
<strong>und</strong> dem individuellen Aussetzungsinteresse wie sonst <strong>im</strong> Anwendungsbereich von<br />
§ 80 Abs. 5 VwGO findet nicht statt.<br />
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. Februar 2010 .......................... 257<br />
41. – Anerkennung einer EU-Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Inland –<br />
1. § 28 Abs. 4 FeV ist auch auf Fahrerlaubnisse anzuwenden, die in einem EU- oder EWR-<br />
Staat <strong>im</strong> Wege des Umtauschs eines Führerscheins aus einem Drittstaat erworben worden sind.<br />
2. Einer Entziehung der Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Inland durch ein Gericht oder durch eine Fahrerlaubnisbehörde<br />
i. S. v. § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV ist der Fall gleichzustellen, in dem der<br />
Betroffene, ohne <strong>im</strong> Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein, unter Benutzung von Kraftfahrzeugen<br />
Verkehrsdelikte begangen hat, die <strong>im</strong> Falle des Besitzes einer Fahrerlaubnis mit an Sicherheit<br />
grenzender Wahrscheinlichkeit zur Entziehung dieser Fahrerlaubnis geführt hätten.<br />
3. N<strong>im</strong>mt der Betroffene einen Fahrerlaubnisantrag zurück, nachdem <strong>im</strong> Erteilungsverfahren<br />
eine ihm aufgegebene ärztliche oder medizinisch-psychologische Begutachtung ein negatives<br />
Ergebnis erbracht oder er eine solche Untersuchung verweigert hat, ist der Fall wie die bestandskräftige<br />
Versagung einer beantragten Fahrerlaubnis i. S. v. § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV zu bewerten.<br />
4. Der vom EuGH geforderte Vorrang des Anerkennungsgr<strong>und</strong>satzes nach Art. 1 Abs. 2 Richtlinie<br />
91/439/EWG besteht gemäß Art. 8 Abs. 6 der Richtlinie 91/439/EWG nicht <strong>im</strong> Hinblick auf<br />
eine EU- bzw. EWR-Fahrerlaubnis, die deren Inhaber durch den Umtausch eines in einem Drittstaat<br />
erworbenen Führerscheins erlangt hat.<br />
5. Soweit der Senat die Befugnis zur Aberkennung des Rechts, von einer <strong>im</strong> EU-/EWR- Ausland<br />
erworbenen Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Inland Gebrauch zu machen, von einer Aufforderung zum<br />
Nachweis der vermeintlich wiedererlangten Fahreignung abhängig gemacht hat, gilt das nicht für<br />
Umtauschfälle i. S. v. Art. 8 Abs. 6 Richtlinie 91/439/EWG, in denen die umtauschende Fahrerlaubnisbehörde<br />
eines EU-/EWR-Staates die Fahreignung des Betroffenen nicht einmal rud<strong>im</strong>entär<br />
geprüft hat.<br />
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18. Oktober 2009 ........................ 259<br />
42. – Anerkennung einer EU-Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Inland –<br />
§ 28 Abs. 4 Nr. 2 der Fahrerlaubnisverordnung in der bis zum 18. Januar 2009 geltenden Fassung<br />
gelangt nicht schon dann zur Anwendung, wenn sich derVerstoß <strong>gegen</strong> das Wohnsitzerfordernis<br />
gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchstabe b der Richtlinie 91/439/EWG aus dem vom Mitgliedstaat<br />
ausgestellten Führerschein oder anderen von diesem Staat herrührenden unbestreitbaren Informationen<br />
ergibt. Vielmehr ist zusätzlich erforderlich, dass dem betreffenden EU-Fahrerlaubnisinhaber<br />
in Deutschland vor der Führerscheinausstellung die Fahrerlaubnis entzogen oder seine<br />
Fahrerlaubnis eingeschränkt, ausgesetzt oder aufgehoben worden war (Aufgabe der bisherigen<br />
Rechtsprechung, gr<strong>und</strong>legend Beschluss vom 23. Januar 2009, BA 2009, 352).<br />
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18. März 2010 .......................................... 261<br />
43. – Verwertbarkeit einer unter Verstoß <strong>gegen</strong> § 81a Abs. 2 StPO entnommenen Blutprobe <strong>im</strong><br />
behördlichen Fahrerlaubnisentziehungsverfahren –<br />
Im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren ist auch das Ergebnis der toxikologischen Untersuchung<br />
einer unter Verstoß <strong>gegen</strong> den Richtervorbehalt nach § 81a StPO entnommenen Blutprobe<br />
zu berücksichtigen.<br />
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 29. Januar 2010 .................................. 264<br />
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Rechtsprechungsübersicht<br />
44. – Teilnahme am Aufbauseminar zur Entkräftung einer negativen Beurteilung der Kraftfahreignung<br />
–<br />
Fehlt einem Verkehrsteilnehmer wegen gelegentlichen Cannabiskonsums sowie der fehlenden<br />
Fähigkeit, Konsum <strong>und</strong> Fahren zu trennen, die Kraftfahreignung, ist die Teilnahme an einem<br />
Aufbauseminar für drogenauffällige Fahranfänger für sich genommen nicht geeignet, die negative<br />
Beurteilung in Zweifel zu ziehen.<br />
Oberverwaltungsgericht Bremen, Beschluss vom 20. April 2010 .................................................. 265<br />
45. – Voraussetzung für Bindungswirkung gemäß § 3 Abs. 3, 4 StVG, Annahme der Fahrungeeignetheit<br />
bei Substituierten –<br />
1. Eine Bindungswirkung des Strafverfahrens bzw. des Strafurteils <strong>gegen</strong>über der Fahrerlaubnisbehörde<br />
gemäß § 3 Abs. 3 <strong>und</strong> Abs. 4 StVG setzt voraus, dass <strong>im</strong> Strafverfahren eine Entziehung<br />
der Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB in Betracht kommt. Dies best<strong>im</strong>mt sich gemäß der<br />
Rechtsprechung des BGH (Großer Senat für Strafsachen, Beschl. v. 27. 04. 2005 – GSSt 2/04 –<br />
NJW 2005, 1957 [= BA 2005, 311]) danach, ob die Anlasstat tragfähige Rückschlüsse darauf<br />
zulässt, dass der Täter bereit ist, die Sicherheit des Straßenverkehrs seinen eigenen kr<strong>im</strong>inellen<br />
Interessen unterzuordnen.<br />
*) 2. Bereits der einmalige Konsum eines anderen Betäubungsmittels <strong>im</strong> Sinne von § 1 Abs. 1<br />
BtMG als Cannabis begründet regelmäßig die Fahrungeeignetheit des Betreffenden. Es ist<br />
jedoch möglich, dass bei Substituierten ein Ausnahmefall vorliegt <strong>und</strong> die vorgenannte Regel<br />
nicht gilt. Allerdings bedarf es insoweit stets der positiven Feststellung der Fahreignung durch<br />
ein medizinisch-psychologisches Gutachten.<br />
Verwaltungsgericht Freiburg (Breisgau), Beschluss vom 25. März 2010 ...................................... 266<br />
46. – Versuchte Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß §§ 315c Abs. 1 Nr. 1 a,<br />
Abs. 2, 22 StGB –<br />
*) Ist der Angeklagte infolge seiner <strong>Alkohol</strong>isierung ent<strong>gegen</strong> der Fahrtrichtung in die Kraftfahrstraße<br />
eingefahren <strong>und</strong> hat er dabei eine (konkrete) Gefährdung des Gegenverkehrs zumindest<br />
billigend in Kauf genommen, so kommt eine Strafbarkeit nach §§ 315c Abs. 1 Nr. 1 a,<br />
Abs. 2, 22 StGB in Betracht. Anderenfalls wird eine Strafbarkeit nach § 316 StGB zu erwägen<br />
sein.<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esgerichtshof, Beschluss vom 10. Dezember 2009 ................................................................ 296<br />
47. – Voraussetzungen für Verurteilung wegen Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) bzw.<br />
vorsätzlichen Vollrausches (§ 323a StGB) –<br />
*) 1. Im Falle der Verurteilung wegen einer Trunkenheitsfahrt ist der Tatrichter regelmäßig<br />
verpflichtet, auch Umstände festzustellen, die geeignet sind, den Schuldumfang näher zu best<strong>im</strong>men<br />
<strong>und</strong> einzugrenzen. Dazu zählen neben der Höhe der <strong>Blutalkohol</strong>konzentration insbesondere<br />
die Umstände der <strong>Alkohol</strong>aufnahme (Trinken in Fahrbereitschaft) sowie der Anlass <strong>und</strong> die<br />
Gegebenheiten der Fahrt. Wenn außer der Angabe von Tatzeit, Tatort <strong>und</strong> <strong>Blutalkohol</strong>wert keine<br />
weiteren, für den Schuldumfang wesentlichen Feststellungen möglich sind, so ist dies <strong>im</strong> Urteil<br />
hinreichend klarzustellen. In einem solchen Fall ist für die Strafzumessung ein entsprechend<br />
geringer Schuldumfang ohne wesentliche Besonderheiten zugr<strong>und</strong>e zu legen. Die genannten<br />
Gr<strong>und</strong>sätze gelten auch, wenn die Trunkenheitsfahrt nicht zu einer Verurteilung nach § 316<br />
StGB, sondern zum Schuldspruch wegen Vollrauschs (§ 323a StGB) führt.<br />
2. Eine Verurteilung wegen vorsätzlichen Vollrauschs setzt voraus, dass der Täter wusste oder<br />
billigend in Kauf nahm, er werde durch das Rauschmittel in einen Rauschzustand in dem für<br />
§ 323a StGB erforderlichen Schweregrad geraten, wobei dieser Schuldvorwurf während der<br />
gesamten Dauer des Sichberauschens fortbestehen muss.<br />
3. Für die innere Tatseite des § 323a StGB ist nicht erforderlich, dass für den Täter vorhersehbar<br />
ist, dass er <strong>im</strong> Rausch irgendwelche Ausschreitungen strafbarer Art begehen wird.<br />
Oberlandesgericht Köln, Beschluss vom 05. Februar 2010 ............................................................ 296<br />
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48. – Voraussetzungen für Verstoß <strong>gegen</strong> § 24a Abs. 2 StVG –<br />
*) Der Umstand, dass ein Betroffener i. S. d. § 24a Abs. 2 StVG ein Kraftfahrzeug <strong>im</strong> Straßenverkehr<br />
„unter der Wirkung“ berauschender Mittel geführt hat, stellt keine objektive Bedingung<br />
der Strafbarkeit dar. Die fortbestehende Rauschwirkung zur Tatzeit ist daher Tatbestandsmerkmal,<br />
auf das sich die subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen erstrecken müssen. Für eine Verurteilung<br />
wegen eines fahrlässigen Verstoßes bedarf es mithin der tatrichterlichen Überzeugung,<br />
dass der Betroffene die Möglichkeit fortdauernder Wirkung des Haschischkonsums hätte erkennen<br />
können <strong>und</strong> müssen.<br />
Oberlandesgericht Braunschweig, Beschluss vom 27. Januar 2010 .............................................. 298<br />
49. – Beurteilung der Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis durch das<br />
Beschwerdegericht <strong>im</strong> Rahmen eines § 111a StPO-Beschlusses –<br />
1. Liegt ein mit der Revision angefochtenes Urteil vor, kommt den Feststellungen des Tatrichters<br />
zu den Voraussetzungen des § 69 StGB für die zu treffende Beschwerdeentscheidung zwar<br />
keine Bindungs-, aber eine Indizwirkung zu, da das Tatgericht auf Gr<strong>und</strong> der durchgeführten<br />
Hauptverhandlung über eine größere Sachnähe <strong>und</strong> bessere Erkenntnismöglichkeiten verfügt als<br />
das Beschwerdegericht, das sich nur auf den Akteninhalt stützen kann (OLG Koblenz, 1. Strafsenat,<br />
Beschluss vom 06. April 2006, 1 Ws 217/06).<br />
*) 2. Der bloße bisherige Zeitablauf seit dem Tatvorwurf bis zum Urteil (hier: zwei Jahre <strong>und</strong><br />
zwei Monate) rechtfertigt nicht zwangsläufig die Annahme, der durch die Tatbegehung indizierte<br />
Eignungsmangel i. S. d. § 69 Abs. 1 StGB sei in dem Zeitpunkt der tatrichterlichen Entscheidung<br />
entfallen.<br />
Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 02. Dezember 2009.................................. 299<br />
50. – Umfang der Beweiswürdigung bei Verurteilung wegen Verstoßes <strong>gegen</strong> § 24a Abs. 2 StVG,<br />
Notwendigkeit der Beiordnung eines Pflichtverteidigers –<br />
*) 1. Das Verschulden des eigenen Verteidigers, der offenbar infolge eines eigenen oder eines<br />
Büroversehens die an ihn erfolgte, mit Empfangsbekenntnis belegte Zustellung eines Urteils<br />
nicht zur Kenntnis bzw. nicht zum Anlass für die Fertigung einer fristgemäßen Rechtsbeschwerdebegründung<br />
genommen hat, ist dem Betroffenen nicht zuzurechnen.<br />
2. Die in den Urteilsgründen gemäß § 71 Abs. 1 OWiG i. V. m. §§ 261, 267 StPO darzulegende<br />
Beweiswürdigung muss auch in Bußgeldsachen (hier: Verstoß <strong>gegen</strong> § 24a Abs. 2 StVG) so<br />
beschaffen sein, dass sie dem Rechtsbeschwerdegericht eine rechtliche Überprüfung ermöglicht;<br />
das Urteil muss deshalb erkennen lassen, auf welche Tatsachen das Gericht seine Überzeugung<br />
gestützt hat, wie sich der Betroffene eingelassen hat <strong>und</strong> ob das Gericht dieser Einlassung (<strong>und</strong><br />
warum) folgt <strong>und</strong> inwieweit es seine Einlassung für widerlegt ansieht.<br />
3. Bei dem Vorwurf des Führens eines Kraftfahrzeuges unter der berauschenden Wirkung von<br />
Cannabis i. S. d. § 24a Abs. 2 StVG sind angesichts der Frage der für die Verwirklichung des<br />
objektiven <strong>und</strong> subjektiven Tatbestandes erforderlichen Feststellungen umfangreiche <strong>und</strong> komplizierte<br />
Erwägungen anzustellen, weshalb die Beiordnung eines Pflichtverteidigers <strong>im</strong> Einzelfall<br />
geboten sein kann.<br />
4. Ein zu erwartendes Fahrverbot, auch bei einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG, reicht<br />
allein nicht aus, die Mitwirkung eines Verteidigers zu gebieten.<br />
Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 19. November 2009 .................................................... 301<br />
51. – Verstoß <strong>gegen</strong> Richtervorbehalt gemäß § 81a Abs. 2 StPO <strong>und</strong> Notwendigkeit eines<br />
richterlichen Eildienstes während der Nachtzeit –<br />
*) Für die Frage eines Verstoßes <strong>gegen</strong> den Richtervorbehalt ist es unerheblich, ob ein Organisationsverschulden<br />
der Justiz darin gesehen werden könnte, dass ein richterlicher Eildienst<br />
nicht auch für die Zeit zwischen 21:00 Uhr <strong>und</strong> 6:00 Uhr eingerichtet worden ist. Zwar ist der<br />
3. Senat des OLG Hamm für den Bezirk des LG Bielefeld von der Notwendigkeit eines solchen<br />
Eildienstes ausgegangen (Urteil vom 18. 08. 2009 – 3 Ss 293/08). Nach Ansicht des hiesigen<br />
Senats können diese, <strong>im</strong> Rahmen einer Wohnungsdurchsuchung zur Nachtzeit ergangenen Ent-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
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Rechtsprechungsübersicht<br />
scheidung <strong>und</strong> die dort angestellten Überlegungen jedoch nicht auf die Anordnung einer<br />
Blutentnahme gemäß § 81a StPO übertragen werden.<br />
Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 10. September 2009 .................................................... 302<br />
52. – Verstoß <strong>gegen</strong> Richtervorbehalt gemäß § 81a Abs. 2 StPO <strong>und</strong> Notwendigkeit eines<br />
richterlichen Eildienstes während der Nachtzeit –<br />
1. Der Umstand, dass die die Blutentnahme bei Gefahr in Verzug anordnende Ermittlungsperson<br />
nicht zuvor versucht hat, den zuständigen Staatsanwalt zu erreichen, ist von vornherein nicht<br />
geeignet, eine Verletzung des § 81a Abs. 2 StPO <strong>und</strong> ein Verwertungsverbot zu begründen.<br />
*) 2. Der Senat geht bislang <strong>im</strong> Einklang mit der Rechtsprechung des <strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgerichts<br />
davon aus, dass es der Einrichtung eines richterlichen Eildienstes während der Nachtzeit,<br />
wie sie sich aus § 104 Abs. 3 StPO ergibt, <strong>im</strong> Regelfall nicht bedarf.<br />
Oberlandesgericht Celle, Beschluss vom 25. Januar 2010.............................................................. 303<br />
53. – Verstoß <strong>gegen</strong> Richtervorbehalt gemäß § 81a Abs. 2 StPO <strong>und</strong> Notwendigkeit eines<br />
richterlichen Eildienstes während der Nachtzeit –<br />
Das Ergebnis einer Blutprobenuntersuchung unterliegt nicht deshalb einem Verwertungsverbot,<br />
weil der Entnahme der Blutprobe – wegen fehlenden richterlichen Bereitschaftsdienstes zur<br />
Nachtzeit – keine richterliche Anordnung vorausgegangen war.<br />
Oberlandesgericht Oldenburg, Beschluss vom 15. April 2010 ...................................................... 304<br />
54. – Fahrunsicherheit i. S. d. § 316 StGB <strong>und</strong> Festhalterecht der Polizei bei Blutprobenentnahme<br />
nach § 81a Abs. 2 StPO –<br />
*) 1. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist jeder Kraftfahrer, der einen <strong>Blutalkohol</strong>gehalt<br />
von 1,1 ‰ oder mehr hat, nicht mehr in der Lage, ein Kraftfahrzeug sicher zu führen. Dabei<br />
genügt es, wenn der Fahrer zur Zeit der Fahrt so viel <strong>Alkohol</strong> <strong>im</strong> Körper hatte, dass der <strong>Blutalkohol</strong>gehalt<br />
zu irgendeinem Zeitpunkt nach Beendigung der Fahrt auf den Grenzwert oder mehr<br />
ansteigt.<br />
2. Die Anordnung einer Blutentnahme ist zwangsweise durchsetzbar. Hierzu darf ein Beschuldigter<br />
vorübergehend festgehalten <strong>und</strong> dem nächsten geeigneten <strong>und</strong> erreichbaren Arzt vorgeführt<br />
werden. Das gilt auch dann, wenn die Anordnung zur Entnahme der Blutprobe nicht vom<br />
Richter, sondern von der Staatsanwaltschaft oder ihren Ermittlungspersonen getroffen worden<br />
ist.<br />
Landgericht Hamburg, Beschluss vom 06. Mai 2010 .................................................................... 306<br />
55. – MPU-Anordnung <strong>gegen</strong>über Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis –<br />
*) 1. Der Inhaber einer durch einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erteilten<br />
Fahrerlaubnis darf durch die Behörde des Aufnahmestaats auf seine Fahreignung überprüft werden,<br />
wenn er nach dem Erwerb der ausländischen Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Inland auch nur einmal nachteilig<br />
<strong>im</strong> Straßenverkehr in Erscheinung getreten ist, sofern ein solches Verhalten von einigem<br />
Gewicht ist. Ist das der Fall, können auch vor der Erteilung der ausländischen Fahrerlaubnis liegende<br />
Auffälligkeiten berücksichtigt werden.<br />
2. Auch eine Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 1 StVG stellt eine Zuwiderhandlung <strong>im</strong><br />
Sinne des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV <strong>und</strong> zugleich eine Auffälligkeit von einigem Gewicht<br />
dar, die Anlass zur Überprüfung der Fahreignung des Inhabers einer EU-Fahrerlaubnis geben<br />
kann.<br />
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 19. April 2010 ............................................ 308<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
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56. – Bindungswirkung gemäß § 3 Abs. 4 S. 1 StVG –<br />
1. Die in § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG angeordnete Bindung der Verwaltungsbehörde an die Beurteilung<br />
der Kraftfahreignung in einem Strafurteil steht nicht nur der Entziehung der Fahrerlaubnis,<br />
sondern auch vorbereitenden Aufklärungsmaßnahmen wie der Anforderung eines Gutachtens<br />
auf der Gr<strong>und</strong>lage von § 13 Satz 1 Nr. 2 b FeV ent<strong>gegen</strong> (wie BVerwG, Urteil vom<br />
15. 07.1988 – 7 C 46.87 – BVerwGE 80, 43; Beschluss des Senats vom 17. 11. 2008 –<br />
10 S 2719/08 – ZfSch 2009, 178).<br />
2. Die Bindungswirkung tritt nicht ein, wenn die Fahrerlaubnisbehörde einen umfassenderen<br />
Sachverhalt als das Strafgericht zu beurteilen hat. Dies ist dann nicht der Fall, wenn die Fahrerlaubnisbehörde<br />
die Gutachtensanforderung nur auf strafgerichtliche Vorverurteilungen stützt, die<br />
das Strafgericht in seinem letzten Urteil bei der Strafzumessung zu Lasten des Führerscheininhabers<br />
berücksichtigt hat.<br />
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 03. Mai 2010 ................................ 310<br />
57. – Entziehung der Fahrerlaubnis wegen gelegentlichen Cannabiskonsums<br />
<strong>und</strong> mangelnden Trennungsvermögens –<br />
*) 1. Neuere wissenschaftliche Untersuchungen sprechen <strong>gegen</strong> die Annahme, dass bei einer<br />
THC-Konzentration von unter 2 ng/ml eines Kraftfahrzeugführers noch nicht von einer signifikanten<br />
Erhöhung des Risikos einer Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit durch die negativen<br />
Auswirkungen des Cannabiskonsums auf den Betroffenen auszugehen ist. Im Falle des Führens<br />
eines Kraftfahrzeuges mit einem THC-Wert von 1,9 ng/ml ist deshalb von einem mangelnden<br />
Trennungsvermögen i. S. d. Ziffer 9.2.2 der Anlage 4 der FeV auszugehen.<br />
2. § 4 Abs. 3 StVG gilt nur für das Strafverfahren, weshalb die Einstellung eines Bußgeldverfahrens<br />
wegen Verstoßes <strong>gegen</strong> § 24a Abs. 2 StVG eine Bindungswirkung <strong>im</strong> behördlichen Fahrerlaubnisentziehungsverfahren<br />
nach § 3 Abs. 3, 4 StVG nicht begründet.<br />
Verwaltungsgericht Bremen, Beschluss vom 26. April 2010.......................................................... 312<br />
58. – Nichtvorlage einer MPU aus finanziellen Gründen –<br />
*) Wird <strong>im</strong> Verwaltungsverfahren mit beachtlichen Darlegungen darauf hingewiesen, dass ein<br />
gemäß § 13 S. 1 Nr. 2 c FeV gefordertes medizinisch-psychologisches Gutachten zumindest<br />
auch aus finanziellen Gründen nicht (fristgemäß) vorgelegt werden könne, so muss die Fahrerlaubnisbehörde<br />
diesen Hinweisen weiter nachgehen, sei es etwa durch die Anforderung von<br />
Nachweisen oder durch die gemeinsame Abklärung von Möglichkeiten, die finanzielle Leistungsfähigkeit<br />
<strong>und</strong> die Belange der Verkehrssicherheit zur Deckung zu bringen. Andernfalls ist<br />
der Schluss aus der Nichtvorlage des geforderten Gutachtens auf eine mangelnde Fahreignung<br />
gemäß § 11 Abs. 8 FeV nicht gerechtfertigt.<br />
Verwaltungsgericht Ansbach, Beschluss vom 25. Februar 2010 .................................................... 313<br />
59. – Verstoß <strong>gegen</strong> Richtervorbehalt bei Blutprobenentnahme nach § 81a Abs. 2 StPO –<br />
*) 1. Im Fall der Blutentnahme nach § 81a Abs. 1 <strong>und</strong> Abs. 2 StPO müssen die Ermittlungsbehörden<br />
zunächst regelmäßig versuchen, eine Anordnung des zuständigen Richters zu erlangen,<br />
bevor sie selbst eine Blutentnahme anordnen. Nur bei Gefährdung des Untersuchungserfolgs<br />
durch die mit der Einholung einer richterlichen Entscheidung einhergehenden Verzögerung<br />
besteht auch eine Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> – nachrangig – ihrer Ermittlungspersonen.<br />
Die Gefahrenlage muss dann mit auf den Einzelfall bezogenen Tatsachen begründet<br />
werden, die in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind, sofern die Dringlichkeit nicht<br />
evident ist.<br />
2. Die Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch die vorherige Einholung einer richterlichen<br />
Anordnung ist in jedem Einzelfall konkret zu überprüfen <strong>und</strong> festzustellen.<br />
3. Von Verfassungs wegen ist sicherzustellen, dass die Fachgerichte den ihnen vorliegenden<br />
Einzelfall prüfen <strong>und</strong> nicht aus generellen Erwägungen den Richtervorbehalt nach § 81a Abs. 2<br />
StPO „leer laufen“ lassen.<br />
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28<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
4. Der Verstoß <strong>gegen</strong> § 81a StPO gebietet es nicht zwingend, ein Verwertungsverbot hinsichtlich<br />
des gewonnenen Beweismittels anzunehmen. Dies ist <strong>im</strong> Einzelfall von dem dafür zuständigen<br />
Strafgericht zu prüfen.<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgericht, Beschluss vom 11. Juni 2010 .............................................................. 356<br />
60. – Verwertbarkeit einer Atemalkoholprobe bei Nichteinhaltung der Kontrollzeit von<br />
10 Minuten –<br />
Ist bei der Messung des <strong>Alkohol</strong>s in der Atemluft die Kontrollzeit von 10 Minuten nicht eingehalten,<br />
weil sich in der M<strong>und</strong>höhle eine Fremdsubstanz befand, kann das Messergebnis gleichwohl<br />
verwertbar sein, wenn der Grenzwert von 0,25 mg/l nicht unerheblich (etwa 20 %) überschritten<br />
ist <strong>und</strong> ein Sicherheitsabschlag vorgenommen wird. In diesen Fällen bedarf es der Hinzuziehung<br />
eines Sachverständigen (abweichend von OLG Hamm, Beschluss vom 24. Januar<br />
2008, 2 Ss OWi 37/08, VRS 114, 292 [= BA 2008, 198]).<br />
Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss vom 02. Juli 2010 ............................................................ 360<br />
61. – Lauf der Frist des § 69a Abs. 3 StGB, isolierte Anfechtbarkeit der Entziehung der<br />
Fahrerlaubnis –<br />
1. Die 3-Jahres-Frist des § 69a Abs. 3 StGB berechnet sich ab Rechtskraft der die frühere<br />
Sperre anordnenden Entscheidung.<br />
*) 2. Ist die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen i. S. d. § 69 Abs. 1 StGB auf<br />
einen Charaktermangel zurückzuführen, so stehen Straf- <strong>und</strong> Maßregelausspruch gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
in einer so engen <strong>gegen</strong>seitigen Abhängigkeit, dass sich ein Angriff <strong>gegen</strong> die Anordnungen nach<br />
§§ 69, 69a StGB auch auf die Strafzumessung erstreckt. Etwas anderes kann allenfalls dann gelten,<br />
wenn der Anordnung ein Regelbeispiel <strong>im</strong> Sinne des § 69 Abs. 2 StGB zu Gr<strong>und</strong>e liegt, bei<br />
dem aufgr<strong>und</strong> der verwirklichten Straftat ohne weiteres von der Ungeeignetheit zum Führen von<br />
Kraftfahrzeugen auszugehen ist.<br />
Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 27. November 2009................................................ 361<br />
62. – Kostentragungspflicht für Sachverständigengutachten zur Entkräftung des Vorwurfs nach<br />
§ 316 StGB, Strafverfolgungsentschädigung für Sicherstellung des Führerscheins –<br />
*) 1. Wird dem Verurteilten zunächst eine Trunkenheitsfahrt gemäß § 316 StGB zur Last<br />
gelegt <strong>und</strong> erfolgt sodann seine Entlastung durch ein Sachverständigengutachten dergestalt, dass<br />
er nur noch wegen einer Ordnungswidrigkeit wegen Führen eines Kraftfahrzeuges mit einer<br />
<strong>Alkohol</strong>konzentration von 0,5 ‰ oder mehr verurteilt worden ist, so können dem Verurteilten die<br />
Kosten des Gutachtens nicht auferlegt werden.<br />
2. Eine Entschädigung für die polizeiliche Sicherstellung seines Führerscheins nach § 5<br />
Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StrEG scheidet aus, wenn sich der Verurteilte durch einen Nachtrunk zurechnen<br />
lassen muss, einen erheblichen Tatverdacht der Trunkenheitsfahrt durch <strong>Alkohol</strong>genuss vor<br />
<strong>und</strong> nach der Fahrt selbst geschaffen <strong>und</strong> damit die <strong>gegen</strong> ihn gerichtete strafprozessuale Maßnahme<br />
grob fahrlässig verursacht zu haben.<br />
Landgericht Hildeshe<strong>im</strong>, Beschluss vom 15. September 2009 ...................................................... 363<br />
63. – Verwertbarkeit einer Blutprobe trotz Verstoß <strong>gegen</strong> § 81a Abs. 2 StPO <strong>im</strong> behördlichen<br />
Fahrerlaubnisentziehungsverfahren –<br />
1. Ein strafprozessuales Verwertungsverbot begründet nicht zwangsläufig auch ein Verwertungsverbot<br />
<strong>im</strong> Verwaltungsverfahren.<br />
2. Die Fahrerlaubnisbehörde darf in einem Fahrerlaubnisentziehungsverfahren auch das<br />
Ergebnis der Untersuchung einer Blutprobe berücksichtigen, die unter Verstoß <strong>gegen</strong> den Richtervorbehalt<br />
des § 81a Abs. 2 StPO entnommen wurde.<br />
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 21. Juni 2010 ................................ 364<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
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Rechtsprechungsübersicht<br />
29<br />
Seite<br />
64. – Anerkennung einer EU-Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Inland –<br />
1. Der Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis ist gemäß § 28 Abs. 4 Nr. 2 FeV i. d. F. vom<br />
09. 08. 2004 bzw. § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 FeV i. d. F. vom 07. 01. 2009 nicht zum Führen entsprechender<br />
Kraftfahrzeuge <strong>im</strong> Inland berechtigt, wenn auf der Gr<strong>und</strong>lage sich durch Ermittlungen<br />
der zuständigen deutschen Behörden <strong>und</strong> Gerichte ergebender vom Ausstellermitgliedstaat<br />
herrührender unbestreitbarer Informationen feststeht, dass der Fahrerlaubnisinhaber zum Zeitpunkt<br />
des Erwerbs der Fahrerlaubnis seinen ordentlichen Wohnsitz nicht <strong>im</strong> Ausstellermitgliedstaat<br />
hatte.<br />
2. Ein Verstoß <strong>gegen</strong> das Wohnsitzerfordernis gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der 2. bzw. Art. 7<br />
Abs. 1 Buchst. e der 3. Führerscheinrichtlinie steht auf der Gr<strong>und</strong>lage vom Ausstellermitgliedstaat<br />
herrührender unbestreitbarer Informationen fest, wenn bei Heranziehung allein der Informationen,<br />
die vom Ausstellermitgliedstaat stammen, das Fehlen eines Wohnsitzes so sehr wahrscheinlich<br />
ist, dass kein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch noch<br />
zweifelt.<br />
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18. Juni 2010 ............................................ 366<br />
65. – MPU-Anordnung nach § 13 S. 1 Nr. 2 b FeV unter Berücksichtigung <strong>im</strong> Ausland<br />
begangener Zuwiderhandlungen –<br />
*) 1. Für die Anordnung eines medizinischpsychologischen Gutachtens aufgr<strong>und</strong> wiederholt<br />
begangener Zuwiderhandlungen <strong>im</strong> Straßenverkehr unter <strong>Alkohol</strong>einfluss gemäß § 13 Satz 1<br />
Nr. 2 Buchst. b FeV genügen gr<strong>und</strong>sätzlich auch <strong>im</strong> Ausland begangene Zuwiderhandlungen,<br />
wenn diese in gleichem Maße hinreichend nachgewiesen sind, wie dies bei entsprechenden<br />
Zuwiderhandlungen <strong>im</strong> Inland gefordert werden müsste.<br />
2. Ein Fahrerlaubnisinhaber muss den Entzug der Fahrerlaubnis dann hinnehmen, wenn hinreichend<br />
Anlass zu der Annahme besteht, dass aus seiner aktiven Teilnahme am öffentlichen<br />
Straßenverkehr eine Gefahr für dessen Sicherheit resultiert. Dieses Risiko muss deutlich über<br />
demjenigen liegen, das allgemein mit der Zulassung von Personen zum Führen von Kraftfahrzeugen<br />
<strong>im</strong> öffentlichen Straßenverkehr verb<strong>und</strong>en ist.<br />
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 09. Juni 2010 .............................................. 368<br />
66. – Regelmäßiger Cannabiskonsum i. S. d. Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV –<br />
1. Die gewohnheitsmäßige Einnahme von Cannabis kann nur dann als regelmäßig <strong>im</strong> Sinne<br />
von Nr. 9.2.1 Anlage 4 zur FeV angesehen werden, wenn sie nicht deutlich seltener als täglich<br />
erfolgt.<br />
2. Nr. 9.2 Anlage 4 zur FeV regelt die Auswirkungen der Einnahme von Cannabis auf die<br />
Kraftfahreignung abschließend; Nr. 9.4. Anlage 4 zur FeV ist daneben nicht anwendbar.<br />
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01. Juni 2010 .............................. 371<br />
67. – Annahme mangelnden Trennungsvermögens i. S. d. Ziff. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV,<br />
Nachweis der <strong>Drogen</strong>abstinenz –<br />
*) 1. Ein festgestellter THC-Wert von 33,0 ng/ml übersteigt den zu § 24a Abs. 2 StVG durch<br />
die Grenzwertkommission festgesetzten Wert von 1 ng/g bzw. ml bei weitem <strong>und</strong> rechtfertigt<br />
daher die Annahme eines mangelnden Trennungsvermögens i. S. d. Ziff. 9.2.2 der Anlage 4 zur<br />
FeV <strong>im</strong> Sinne eines zeitnahen Konsums mit entsprechender Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit.<br />
2. Für den Nachweis, dass der Betreffende nunmehr den Konsum von Cannabis <strong>und</strong> Fahren<br />
trennen kann bzw. drogenfrei lebt, schreibt die Fahrerlaubnis-Verordnung zwingend eine medizinisch-psychologische<br />
Untersuchung vor (§ 14 Abs. 2 FeV); ein Zertifikat des TÜV Nord über<br />
den Nachweis der <strong>Drogen</strong>abstinenz genügt insoweit nicht.<br />
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Beschluss vom 07. Mai 2010 ................................................ 372<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
30<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
68. – Tilgung von Eintragungen <strong>im</strong> Verkehrszentralregister –<br />
*) Sind mehrere Entscheidungen nach § 28 Abs. 3 Nr. 1 bis 9 StVG über eine Person in das<br />
Verkehrszentralregister eingetragen, ist die Tilgung einer Eintragung nach § 29 Abs. 6 StVG<br />
zwar gr<strong>und</strong>sätzlich erst zulässig, wenn für alle betreffenden Eintragungen die Voraussetzungen<br />
der Tilgung vorliegen. Allerdings hemmen die <strong>im</strong> Verkehrszentralregister eingetragenen Ordnungswidrigkeiten<br />
lediglich die Tilgung von Entscheidungen wegen anderer Ordnungswidrigkeiten,<br />
hin<strong>gegen</strong> jedoch nicht die Tilgungsfrist einer eingetragenen Straftat.<br />
Verwaltungsgericht Bremen, Beschluss vom 08. Juni 2010 .......................................................... 372<br />
69. – Anordnung einer ärztlichen Untersuchung gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV –<br />
*) Der Besitz einer Ecstasy-Tablette hat nicht zwingend die Anordnung einer ärztlichen<br />
Begutachtung zur Überprüfung der Fahreignung zur Folge, da der Gesetzgeber mit § 14 Abs. 1<br />
Satz 2 FeV gezeigt hat, dass er in diesem Fall die Anordnung einer ärztlich Untersuchung in das<br />
Ermessen der Behörde stellt. Werden jedoch neben der Ectasy-Tablette <strong>im</strong> Rahmen einer Hausuntersuchung<br />
auch Konsumutensilien für Betäubungsmittel sichergestellt, so begründen diese<br />
Umstände in ihrer Gesamtschau die Annahme, dass der Betroffene selbst auch diese Betäubungsmittel<br />
konsumiert <strong>und</strong> führen daher zwingend zu der Anordnung einer ärztlichen Begutachtung.<br />
Verwaltungsgericht Augsburg, Urteil vom 19. Juli 2010 ................................................................ 374<br />
70. – MPU-Anordnung bei Methadonsubstitution –<br />
1. Bei langjähriger <strong>und</strong> hochdosierter Methadonsubstitution ist eine medizinisch-psychologische<br />
Begutachtung des Fahrerlaubnisinhabers auch dann erforderlich, wenn dessen behandelnder<br />
Arzt einen entsprechenden Therapieerfolg bestätigt <strong>und</strong> negative Auswirkungen der Substitution<br />
auf die Fahreignung verneint.<br />
*) 2. Bei Methadon handelt es sich um ein Betäubungsmittel <strong>im</strong> Sinne des Betäubungsmittelgesetzes<br />
(vgl. Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG), weshalb dessen Einnahme die Kraftfahreignung<br />
gemäß Nr. 9.1 der Anlage 4 gr<strong>und</strong>sätzlich ausschließt; auf die Frage, ob der Betroffene unter dem<br />
Einfluss dieses Betäubungsmittels ggf. ein Kraftfahrzeug <strong>im</strong> Straßenverkehr geführt hat, kommt<br />
es dabei nicht an.<br />
Verwaltungsgericht Osnabrück, Beschluss vom 17. Juni 2010 ...................................................... 375<br />
71. – Richtervorbehalt gemäß § 81a Abs. 2 StPO, Notwendigkeit eines richterlichen Notdienstes<br />
zur Nachtzeit –<br />
Unabhängig von der Anzahl der nächtlich auftretenden Fälle gebietet es der Richtervorbehalt<br />
nach § 81a Abs. 2 StPO nicht, einen richterlichen Notdienst auch zur Nachtzeit einzurichten.<br />
Oberlandesgericht Zweibrücken, Beschluss vom 23. September 2010 .......................................... 419<br />
72. – Richtervorbehalt gemäß § 81a Abs. 2 StPO, informatorische Vernehmung bei Verdacht<br />
einer <strong>Drogen</strong>fahrt –<br />
1. Kein Verwertungsverbot hinsichtlich einer Blutprobe, die <strong>im</strong> Bezirk des Pfälzischen Oberlandesgerichts<br />
Zweibrücken <strong>im</strong> November 2008 an einem Werktag um 15.40 Uhr auf polizeiliche<br />
Anordnung entnommen worden ist, obwohl Gefahr <strong>im</strong> Verzug nicht vorgelegen hat.<br />
2. Einzelfall einer noch ohne Beschuldigtenbelehrung zulässigen polizeilichen Befragung bei<br />
Verdacht einer <strong>Drogen</strong>fahrt.<br />
Oberlandesgericht Zweibrücken, Beschluss vom 16. August 2010 ................................................ 420<br />
73. – Richtervorbehalt gemäß § 81a Abs. 2 StPO, Formalerfordernisse an entsprechende<br />
Verfahrensrüge –<br />
1. Wird mit der Revision gerügt, das Ergebnis der Untersuchung einer ohne richterliche<br />
Anordnung entnommenen Blutprobe hätte nicht verwertet werden dürfen, so muss nicht nur dar-<br />
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Rechtsprechungsübersicht<br />
31<br />
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gelegt werden, wann der Verwertung des Sachverständigengutachtens widersprochen wurde,<br />
sondern auch, dass dies spätestens nach der ersten Einführung des Gutachtens <strong>im</strong> Rahmen einer<br />
(evtl. auch später ausgesetzten) Hauptverhandlung geschehen ist.<br />
2. Die fehlende Erreichbarkeit eines Richters für die Anordnung der Blutentnahme auch am<br />
Wochenende stellt einen justiziellen Organisationsmangel dar, der zu einem Beweisverwertungsverbot<br />
führen könnte.<br />
Oberlandesgericht Celle, Beschluss vom 11. August 2010 ............................................................ 425<br />
74. – Vorsätzliche Trunkenheitsfahrt, Richtervorbehalt gemäß § 81a Abs. 2 StPO, AAK als<br />
Indiz für relative Fahruntüchtigkeit –<br />
*) 1. Eine vorsätzliche Tatbegehung <strong>im</strong> Sinne des § 316 Abs. 1 StGB ist nur dann gegeben,<br />
wenn der Täter seine Fahrunsicherheit kennt oder mit ihr zumindest rechnet <strong>und</strong> sie billigend in<br />
Kauf n<strong>im</strong>mt, gleichwohl aber am öffentlichen Straßenverkehr teiln<strong>im</strong>mt.<br />
2. Eine vorsätzliche Trunkenheit <strong>im</strong> Verkehr kann nicht bereits aus einer hohen <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
zur Tatzeit geschlossen werden. Vielmehr müssen noch weitere Umstände hinzukommen,<br />
die den Schluss rechtfertigen, der Täter habe seine Fahruntüchtigkeit gekannt <strong>und</strong> dennoch<br />
am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen.<br />
3. Haben die Ermittlungsbehörden aufgr<strong>und</strong> einer Dienstanweisung bei der Anordnung einer<br />
Blutprobe zur Feststellung der <strong>Alkohol</strong>konzentration wegen der Geschwindigkeit des <strong>Alkohol</strong>abbaus<br />
<strong>im</strong> Blut regelmäßig von Gefahr <strong>im</strong> Verzug auszugehen, erweist sich dies als bewusste<br />
Umgehung des Richtervorbehalts gemäß § 81a Abs. 2 StPO.<br />
4. Für die Feststellung einer relativen Fahruntüchtigkeit kann der Atemalkoholwert ein<br />
gewichtiges Indiz darstellen, das in der Gesamtschau mit anderen Anzeichen einer alkoholbedingten<br />
Fahruntüchtigkeit der Beweiswürdigung durch den Tatrichter zugänglich ist.<br />
Oberlandesgericht Brandenburg, Beschluss vom 13. Juli 2010...................................................... 426<br />
75. – Vorsätzliche Trunkenheitsfahrt gemäß § 316 StGB –<br />
*) Die vorsätzliche Deliktsbegehung bei einer Trunkenheitsfahrt kann nicht bereits aus einer<br />
hohen <strong>Blutalkohol</strong>konzentration des Täters zur Tatzeit geschlossen werden. Hierfür bedarf es<br />
vielmehr der Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Täterpersönlichkeit,<br />
der Trinkgewohnheiten – namentlich in zeitlichem Zusammenhang mit dem Fahrtantritt<br />
– sowie des Täterverhaltens während <strong>und</strong> nach der Trunkenheitsfahrt.<br />
Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschluss vom 30. Juni 2010 ........................................................ 428<br />
76. – Annahme relativer Fahruntüchtigkeit i. S. d. § 316 StGB –<br />
*) 1. Die tatrichterliche Würdigung der Umstände, aus denen eine relative Fahruntüchtigkeit<br />
gefolgert wird, ist zwar der Nachprüfung durch das Revisionsgericht weitestgehend entzogen.<br />
Rechtsfehlerhaft ist es jedoch, wenn diese Beweiswürdigung augenfällige Lücken enthält <strong>und</strong><br />
gewichtige Umstände, deren Erörterung sich geradezu aufdrängen musste, völlig außer Betracht<br />
lässt.<br />
2. Beachtlich <strong>im</strong> Sinne des Nachweises relativer Fahruntüchtigkeit ist ein Fahrfehler nur dann,<br />
wenn das Gericht die Überzeugung gewinnt, der Fahrfehler wäre dem Angeklagten ohne alkoholische<br />
Beeinträchtigung nicht unterlaufen.<br />
Oberlandesgericht Köln, Beschluss vom 03. August 2010 ............................................................ 429<br />
77. – Vorsorgliche Entziehung einer ausländischen Fahrerlaubnis gemäß § 69b StGB,<br />
Anerkennung EU-Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Inland –<br />
1. Die vorsorgliche Entziehung einer ausländischen Fahrerlaubnis, die der Angeklagte nur<br />
möglicherweise besitzt, ist nicht zulässig.<br />
*) 2. Nach der europarechtskonformen Regelung des § 28 Abs. 4 Nr. 2 FeV n. F. berechtigt<br />
eine EU- oder EWR-Fahrerlaubnis in aller Regel nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen <strong>im</strong><br />
Inland, wenn der Berechtigte ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitglied-<br />
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Rechtsprechungsübersicht<br />
staat herrührender unbestreitbarer Informationen seinen ordentlichen Wohnsitz zum Zeitpunkt<br />
der Fahrerlaubniserteilung in der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik Deutschland hatte.<br />
Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss vom 23. September 2010.................................................. 431<br />
78. – Annahme von Schuldfähigkeit bei Tatzeit-BAK von ≥ 3,0 Promille –<br />
Bei einer Tatzeitblutalkoholkonzentration von 3,0 Promille <strong>und</strong> mehr muss der Tatrichter die<br />
Schuldfähigkeit unter Berücksichtigung aller wesentlichen objektiven <strong>und</strong> subjektiven Umstände<br />
des Erscheinungsbildes <strong>und</strong> des Verhaltens des Täters vor, während <strong>und</strong> nach der Tat prüfen.<br />
Die Annahme der Schuldfähigkeit ist näher zu begründen <strong>und</strong> hat sich in der Regel auf sachverständige<br />
Feststellungen zu stützen.<br />
Oberlandesgericht Naumburg, Beschluss vom 06. Juli 2010.......................................................... 432<br />
79. – <strong>Drogen</strong>bedingte relative Fahruntüchtigkeit i. S. d. §§ 315c Abs. 1 Nr. 1a, 316 StGB –<br />
*) Anders als be<strong>im</strong> <strong>Alkohol</strong>konsum eines Kraftfahrers ist eine Fahruntüchtigkeit i. S. d. §§ 316<br />
StGB <strong>und</strong> 315c Abs. 1 Nr. 1 a) StGB nach Genuss von <strong>Drogen</strong> allein aufgr<strong>und</strong> eines positiven<br />
Wirkstoffspiegels <strong>im</strong> Blut nach dem <strong>gegen</strong>wärtigen Stand der Wissenschaft (noch) nicht zu<br />
begründen. Der Nachweis kann gr<strong>und</strong>sätzlich nur aufgr<strong>und</strong> des konkreten rauschmittelbedingten<br />
Leistungsbildes des Betreffenden <strong>im</strong> Einzelfall geführt werden. Dazu bedarf es außer des positiven<br />
Blutwirkstoffbef<strong>und</strong>es regelmäßig weiterer aussagekräftiger Beweisanzeichen.<br />
Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 29. Juni 2010 .............................................................. 433<br />
80. – Wegfall des Eignungsmangel i. S. d. § 69 Abs. 1 StGB –<br />
Erwirbt ein wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis Angeklagter nach der Tat eine neue Fahrerlaubnis,<br />
so kann bei nachfolgender mehr als 3-monatiger unbeanstandeter Teilnahme am<br />
öffentlichen Straßenverkehr der sich eigentlich aus der Tat ergebende Eignungsmangel weggefallen<br />
sein. Es kann dann aber geboten sein, ein Fahrverbot nach § 44 StGB festzusetzen.<br />
Amtsgericht Lüdinghausen, Urteil vom 14. September 2010 ........................................................ 435<br />
81. – Verwertbarkeit einer AAK-Messung –<br />
*) Das Ergebnis einer Atemalkoholmessung ist <strong>im</strong> Falle einer fehlenden Belehrung über die<br />
Freiwilligkeit der Teilnahme nicht verwertbar.<br />
Amtsgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 18. Januar 2010........................................................ 435<br />
82. – MPU-Anordnung gemäß § 13 S. 1 Nr. 2 c FeV ggü. Ersttäter (Radfahrer) ohne<br />
Fahrerlaubnis –<br />
1. Hat ein Radfahrer mit einem <strong>Blutalkohol</strong>gehalt von 1,6 Promille oder mehr am Straßenverkehr<br />
teilgenommen, so bestehen berechtigte Zweifel an seiner Eignung zum Führen eines nicht<br />
erlaubnispflichtigen Fahrzeugs, die eine Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens gem.<br />
§§ 3 Abs. 2, 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c) FeV rechtfertigen. Dies gilt auch bei einem sog. Ersttäter,<br />
der nicht <strong>im</strong> Besitz einer Fahrerlaubnis für Kraftfahrzeuge ist (a. A. OVG Rheinland-Pfalz,<br />
Beschluss vom 25. 09. 2009 – 10 B 10930/09 -, DAR 2010, 35 = NZV 2010, 54 = NJW 2010, 457<br />
= BA 2009, 437).<br />
*) 2. Fehlende finanzielle Mittel stellen in aller Regel keinen ausreichenden Gr<strong>und</strong> dar, um die<br />
Vorlage eines zu Recht verlangten Fahreignungsgutachtens zu unterlassen, ohne dass dem<br />
Betroffenen einer solchen Anordnung die Rechtsfolge des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV ent<strong>gegen</strong>gehalten<br />
werden kann.<br />
Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 06. Oktober 2010 ................................................ 436<br />
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83. – MPU-Anordnung wegen wiederholten Führen eines Kfz unter <strong>Alkohol</strong>einfluss <strong>im</strong> Falle<br />
einer bereits getilgten Tat –<br />
1. Ist eine Eintragung über eine gerichtliche Entscheidung <strong>im</strong> Verkehrszentralregister getilgt,<br />
hat sich der Betroffene insoweit <strong>im</strong> Sinne der Verkehrssicherheit bewährt.<br />
2. Geht daher ein zur Klärung von Eignungszweifeln bei <strong>Alkohol</strong>problematik beigebrachtes<br />
medizinisch-psychologisches Gutachten von einem wiederholten Führen eines Kraftfahrzeuges<br />
unter <strong>Alkohol</strong>einfluss aus, obwohl eine der beiden mit einem Bußgeld geahndeten Taten getilgt<br />
ist, beruht das Gutachten auf einer fehlerhaften Tatsachengr<strong>und</strong>lage.<br />
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 23. Juni 2010 ...................................... 440<br />
84. – Wegfall der Fahreignung aufgr<strong>und</strong> einmaligen Amphetamin-Konsums –<br />
*) Bereits der einmalige Konsum von Amphetamin schließt <strong>im</strong> Regelfall die Fahreignung aus.<br />
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 26. Juli 2010 .............................................. 441<br />
85. – MPU-Anordnung wegen Verdachts des <strong>Alkohol</strong>missbrauchs nach § 13 Nr. 2 e FeV –<br />
*) 1. Für eine Gutachtenanforderung nach § 13 Nr. 2 Buchst. e FeV muss ein früherer <strong>Alkohol</strong>missbrauch<br />
nachgewiesen sein <strong>und</strong> Tatsachen müssen die Annahme seiner Fortdauer begründen.<br />
2. Die die Annahme von <strong>Alkohol</strong>missbrauch begründenden Tatsachen, etwa eine konkrete<br />
<strong>Alkohol</strong>auffälligkeit, müssen nicht <strong>im</strong> direkten Zusammenhang mit einer Teilnahme am<br />
Straßenverkehr stehen. Für die Gutachtenanforderung genügt es, wenn konkrete Anhaltspunkte<br />
dafür bestehen, dass der Betroffene zwischen einem schädlichen <strong>Alkohol</strong>konsum <strong>und</strong><br />
einer Teilnahme am Straßenverkehr nicht hinreichend sicher trennen kann, d. h. wenn aufgr<strong>und</strong><br />
der Gesamtumstände Zweifel an seinem Trennungsvermögen bestehen.<br />
Verwaltungsgericht Bremen, Beschluss vom 04. August 2010 ...................................................... 442<br />
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Rechtsprechungsübersicht<br />
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A<br />
Abtrennbarkeit endogen/exogen 1<br />
Adaptive Signalanalyse Sup II-26<br />
<strong>Alkohol</strong> 10, Sup II-19, Sup II-20<br />
<strong>Alkohol</strong>auffällige Kraftfahrer 318, 328, 383<br />
<strong>Alkohol</strong>-Biomarker 318<br />
<strong>Alkohol</strong> Interlock 318, 328, 334, 340<br />
<strong>Alkohol</strong>sanktionen Sup II-40<br />
<strong>Alkohol</strong>wirkung Sup II-29<br />
Alter Sup II-19<br />
ältere Kraftfahrer Sup II-21<br />
Alertness-Managment Sup II-31<br />
Alzhe<strong>im</strong>er-Demenz Sup II-17<br />
Anzeichen <strong>und</strong> Warnsignale Sup II-33<br />
Äthanol 275<br />
atemalkoholgesteuerte Wegfahrsperre 318, 328<br />
Auflage zur Fahrerlaubnis 334<br />
Aufmerksamkeit 10<br />
B<br />
Baden <strong>im</strong> <strong>Alkohol</strong> 275<br />
bedingte Fahreignung 334<br />
bedingte Fahrerlaubnis 340<br />
Begutachtung 161<br />
Begutachtungs-Leitlinien Sup II-9<br />
beschränkte Entziehung der Fahrerlaubnis 340<br />
Beurteilungskriterien Sup II-9, 394<br />
Bewährungsweisung 340<br />
Bewusstseinsbildung Sup II-33<br />
<strong>Blutalkohol</strong> 377<br />
Blut- <strong>und</strong> Urinkonzentrationen 269<br />
Buprenorphin Sup II-21<br />
C<br />
Cannabinoide 1<br />
Champagnerbad 275<br />
coffee shop 269<br />
Compensatory Tracking Task Sup II-26<br />
Computational Intelligence Sup II-25<br />
Computergestützte Intelligenz Sup II-26<br />
D<br />
dermale <strong>Alkohol</strong>resorption 275<br />
Dosis-Konzentrations-Beziehung Sup II-21<br />
<strong>Drogen</strong> Sup II-21<br />
E<br />
Einflussfaktoren Sup II-21<br />
Evaluation 61, Sup II-20, 383<br />
Exploration 161<br />
Sachregister<br />
Sachregister<br />
(Die Zahlen verweisen auf die erste Seite der Originalarbeiten)<br />
Fahreignung 161<br />
Fahreignungsdiagnostik Sup II-9<br />
Fahren unter <strong>Alkohol</strong>einfluss Sup II-20<br />
Fahrerassistenz Sup II-25<br />
Fahrerassistenzsysteme Sup II-18<br />
Fahrermüdigkeit Sup II-28<br />
Fahrerzustand Sup II-28<br />
Fahrleistung Sup II-18<br />
Fahrs<strong>im</strong>ulator Sup II-25, Sup II-28<br />
Fahrverhalten Sup II-17, Sup II-25<br />
Fahrtüchtigkeit Sup II-21<br />
Fahrzeugtechnik Sup II-18<br />
Flugzeugführer Sup II-39<br />
Fremdbeobachtung Sup II-25<br />
Frontotemporale Demenz Sup II-17<br />
F<br />
G<br />
Gegenmaßnahmen Sup II-33<br />
Ges<strong>und</strong>heitsmanagement Sup II-32<br />
H<br />
Haaranalyse 1, Sup II-21<br />
Haftung Sup II-32<br />
Handlungsausführung Sup II-18<br />
I<br />
Interventionsmaßnahmen 61<br />
K<br />
Kolonnenverkehr Sup II-41<br />
Kraftfahreignung 383<br />
Kurse 383<br />
L<br />
Legalbewährung 61, 383<br />
Lenkbewegung Sup II-25<br />
LKW-Fahrer Sup II-31<br />
M<br />
Medikamente Sup II-21<br />
Medizinisch-Psychologische Untersuchung 161,<br />
334<br />
Methadon Sup II-21<br />
Methodik Sup II-23<br />
35<br />
Seite<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
36<br />
Monotonie Sup II-41<br />
MPU 61, 383<br />
Müdigkeit am Steuer Sup II-33<br />
Müdigkeitserkennung Sup II-25<br />
Mustererkennung Sup II-15<br />
N<br />
Nachweis von Metaboliten 1<br />
Neglect Sup II-19<br />
0,8 Promille Sup II-40<br />
O<br />
Online-Schlaftraining Sup II-32<br />
Okulomotorik Sup II-41<br />
P<br />
passive Cannabisexposition 269<br />
periphere Wahrnehmung Sup II-19<br />
Phonetisch-akustische Merkmale Sup II-15<br />
Prävention Sup II-31<br />
Präventation bei <strong>Alkohol</strong>fahrten 340<br />
Pr<strong>im</strong>ärprävention Sup II-32<br />
Promillegrenze 161<br />
Pupillenoscillationen Sup II-29<br />
Pupillografie Sup II-31<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Q<br />
Qualitätskriterien 61<br />
Qualitätsmanagement 61, 161<br />
R<br />
Rehabilitation 161, 318, Sup II-20<br />
Rückfall 318<br />
Rückfallquote 61, 383<br />
Sachregister<br />
S<br />
Schlafhygiene Sup II-41<br />
Schläfrigkeit Sup II-26, Sup II-31<br />
Schläfrigkeitsdetektion Sup II-25<br />
Schläfrigkeitsmessung Sup II-15<br />
Sek<strong>und</strong>ärprävention 328<br />
Sek<strong>und</strong>enschlaf Sup II-32, Sup II-33, Sup II-39<br />
Signalerkennungstheorie Sup II-23<br />
Signalverarbeitung Sup II-15, Sup II-25<br />
Spurhaltemaße Sup II-25<br />
Support Vector Machine Sup II-15<br />
Support-Vektor-Maschinen Sup II-26<br />
T<br />
Taktile Wahrnehmung 377<br />
Test Sup II-23<br />
Testssystem 10<br />
THC 269<br />
THC-Metabolite 269<br />
Trunkenheitsfahrer 318, 328<br />
Tunnelblick 10<br />
U<br />
Unfälle Sup II-17, Sup II-21<br />
Unfallflucht 377<br />
Seite<br />
V<br />
Vergleichende Studie Sup II-17<br />
Verhaltensänderung Sup II-40<br />
Verkehrsauffassungstest Sup II-19<br />
Verkehrspsychologische Maßnahmen Sup II-40<br />
Verkehrssicherheit Sup II-20, Sup II-23, Sup II-40<br />
Verkehrstherapie 61<br />
Vigilanz Sup II-23<br />
Z<br />
Zentrales Sehfeld Sup II-41
Seiten 1–9<br />
Skopp / Mattern,<br />
Zum Stellenwert des Nachweises von Cannabinoiden <strong>im</strong> Haar<br />
Aus dem Institut für Rechtsmedizin <strong>und</strong> Verkehrsmedizin des Universitätsklinikums Heidelberg<br />
(GESCHÄFTSF. DIREKTOR: PROF. DR. MED. R. MATTERN)<br />
GISELA SKOPP, RAINER MATTERN<br />
Zum Stellenwert des Nachweises von Cannabinoiden <strong>im</strong> Haar<br />
Importance of the detection of cannabinoids in hair<br />
Einleitung<br />
Haare lagern Fremdstoffe – darunter auch psychoaktive Substanzen – ein <strong>und</strong> konservieren<br />
sie über längere Zeiträume. Diese Information, die der Nachweis von <strong>Drogen</strong>rückständen<br />
in Haaren zur Erkennung <strong>und</strong> groben zeitlichen Einschätzung einer länger zurückliegenden<br />
oder länger andauernden Aufnahme bietet, hat als Sachbeweis bei Gerichten,<br />
Ausländerbehörden <strong>und</strong> Fahreignungsbegutachtungsstellen inzwischen einen hohen Stellenwert<br />
erlangt [17]. Im Strafverfahren kann es für den Angeklagten unter Gesichtspunkten<br />
der Schuldfähigkeit wichtig sein, den Nachweis eines zurückliegenden Rauschmittelkonsums<br />
zu führen; <strong>im</strong> Gegenteil dazu wollen Betroffene nachweisen, dass der Verdacht<br />
eines gelegentlichen oder gar regelmäßigen Konsums nicht zu erhärten ist, wenn es um die<br />
Erteilung der Fahrerlaubnis oder die Beantragung einer Einreisegenehmigung geht.<br />
Die anfänglich überschießenden Erwartungen an die Aussagemöglichkeiten einer<br />
Untersuchung von Haaren auf einen Konsum illegaler <strong>Drogen</strong> sind heute einer konstruktiven<br />
Diskussion gewichen, wobei nicht zuletzt methodische Fortschritte die Nachweismöglichkeiten<br />
verbessert <strong>und</strong> das Spektrum nachweisbarer Substanzen erheblich erweitert<br />
haben [14, 17]. Dennoch gibt es <strong>im</strong>mer wieder kontroverse Meinungen, die die Haaranalyse<br />
in Frage stellen, <strong>und</strong> die vor allem auf einer <strong>und</strong>ifferenzierten Interpretation der quantitativen<br />
Messergebnisse <strong>und</strong> einer Fehleinschätzung der tatsächlichen Aussagekraft von<br />
Analysen am Untersuchungsmaterial Haar beruhen.<br />
Im Rahmen einer Fahreignungsbegutachtung ergeben sich häufig folgende wesentliche<br />
Fragestellungen:<br />
– Kann bei einem negativen Ergebnis von einer Abstinenzphase ausgegangen werden?<br />
– Kann bei einem positiven Ergebnis eine Kontamination – insbesondere bei <strong>Drogen</strong>,<br />
die vorzugsweise geraucht werden – ausgeschlossen werden?<br />
Diese Fragen sollen für Cannabis anhand von Literaturdaten <strong>und</strong> Ergebnissen eigener<br />
Untersuchungen erörtert werden. Gründe hierfür sind die hohe Prävalenz des Cannabiskonsums,<br />
die <strong>im</strong> Vergleich zu anderen <strong>Drogen</strong> wie Cocain oder Amphetaminen äußerst<br />
geringen Konzentrationen an Cannabinoiden <strong>im</strong> Haar <strong>und</strong> die teilweise zu unkritischen<br />
Erwartungen, was die Eindeutigkeit mancher Ergebnisse angeht.<br />
Nachweis von Cannabinoiden <strong>und</strong> Bef<strong>und</strong>e <strong>im</strong> Haar<br />
Hauptsubstanzen <strong>im</strong> Haar sind derzeit Tetrahydrocannabinol (THC), Cannabidiol<br />
(CBD) <strong>und</strong> Cannabinol (CBN), ein Artefakt bzw. Oxidationsprodukt des THC. Je nach<br />
Rasse bzw. Chemotyp enthalten Hanfpflanzen unterschiedliche Mengen an THC <strong>und</strong> CBD<br />
[3]. Tatsächlich liegen in der Pflanze überwiegend die nicht psychotrop wirksamen Vorläufersubstanzen<br />
Tetrahydrocannabinolsäure A (THCA A) <strong>und</strong> CBD-Säure vor, die bei Lagerung,<br />
<strong>im</strong> Alkalischen oder be<strong>im</strong> Erhitzen zu THC bzw. CBD decarboxylieren. THCA A<br />
1<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
2<br />
wird be<strong>im</strong> Rauchen nur unvollständig in THC überführt [4] <strong>und</strong> konnte bereits in Serum<strong>und</strong><br />
Urinproben von Cannabiskonsumenten nachgewiesen werden [8], über einen Nachweis<br />
in Haaren wurde jüngst berichtet [1]. Der erfolgreiche Nachweis der THCA A gelang<br />
nach Extraktion in Methanol, nicht jedoch bei der üblichen Aufarbeitung nach alkalischer<br />
Hydrolyse [15], bedingt durch die thermische Instabilität der Säure, insbesondere in alkalischem<br />
Medium. Neben THC gehen auch CBN <strong>und</strong> CBD in den Rauch über [35].<br />
Der Nachweis eines Cannabiskonsums in Haaren ist wegen der äußerst geringen Konzentrationen<br />
bereits aus analytischer Sicht schwierig. Die Konzentration an THC übersteigt<br />
nur in Einzelfällen 5 ng/mg Haar <strong>und</strong> beträgt überwiegend deutlich weniger 1 ng/mg<br />
Haar [10, 14]. Im Vergleich dazu liegen in Haaren von Cocainkonsumenten etwa 100- bis<br />
1000-fach höhere Konzentrationen an Cocain vor [25]. Der <strong>im</strong> Blut bei Anwesenheit von<br />
THC häufiger nachweisbare Metabolit 11-Hydroxy-THC konnte bisher <strong>im</strong> Haar bei einer<br />
Nachweisgrenze von 250 pg/mg Haar nicht identifiziert werden [36]. THC-Carbonsäure,<br />
die in Blut- <strong>und</strong> Urinproben regelmäßig <strong>und</strong> oft in hohen Konzentrationen best<strong>im</strong>mt werden<br />
kann, liegt <strong>im</strong> Haar lediglich <strong>im</strong> pg- bis fg-Bereich vor [5, 14, 24, 31]. Die Konzentrationen<br />
an CBD <strong>und</strong> CBN <strong>im</strong> Haar sind teilweise höher als die Konzentrationen an THC<br />
[2, 13].<br />
Wesentliche Gründe für die geringen Konzentrationen an Cannabinoiden <strong>im</strong> Haar sind<br />
u. a. ihre neutralen bis sauren Eigenschaften <strong>und</strong> ihre praktisch fehlende Affinität zu den<br />
Melaninen, den Haarpigmenten. Im Tierversuch an Long-Evans-Ratten ergaben sich in<br />
unterschiedlich pigmentierten Fellarealen keine Konzentrationsunterschiede an THC <strong>und</strong><br />
THC-Carbonsäure [31].<br />
Während bei Blutproben eine Menge von ca. 1 g in die Analyse eingesetzt werden kann,<br />
sind es bei der Haaranalyse nur 10–50 mg, entsprechend etwa 1/20–1/100 des Probenmaterials<br />
<strong>im</strong> Vergleich zu Blut. Daher stellt der sichere Nachweis von Cannabinoiden <strong>im</strong> Haar<br />
spezielle Anforderungen an die technische Ausstattung eines Labors. Für die Best<strong>im</strong>mung<br />
von THC-Carbonsäure sind Analysensysteme wie GC/MS/MS oder GC/MS mit negativer<br />
chemischer Ionisation erforderlich – Techniken, die speziell ausgestatteten Labors für Einzelfälle<br />
vorbehalten sind. In der Regel wird <strong>im</strong> Haar THC best<strong>im</strong>mt; die in den Beurteilungskriterien<br />
zur Fahreignung angegebene Best<strong>im</strong>mungsgrenze von 0,02 ng THC/mg<br />
Haar wird von den neueren GC/MS Systemen auch erreicht [26]. Nach den Untersuchungen<br />
von Pragst <strong>und</strong> Sachs [21] ist eine Best<strong>im</strong>mungsgrenze von 0,02 oder gar 0,01 ng<br />
THC/mg Haar erforderlich, um nicht nur einen regelmäßigen, sondern auch einen gelegentlichen<br />
Konsum der Cannabisdroge erfassen zu können. Neben THC werden in einigen<br />
Labors auch CBN <strong>und</strong> CBD mitbest<strong>im</strong>mt, mit dem THC vergleichbaren Best<strong>im</strong>mungsgrenzen.<br />
Immunoassays für den Nachweis von Cannabinoiden sind in der Regel auf THC-Carbonsäure<br />
standardisiert <strong>und</strong> als hinweisgebendes Verfahren für Haare daher nicht einsetzbar;<br />
geeignete <strong>im</strong>munologische Testverfahren müssen eine hohe Kreuzreaktivität <strong>und</strong> die<br />
notwendige Sensitivität <strong>gegen</strong>über THC, CBD <strong>und</strong> CBN aufweisen, weiterhin darf die<br />
Haarmatrix das Testergebnis nicht beeinflussen [15].<br />
Die Komplexität des Untersuchungsmaterials Haar <strong>im</strong> Vergleich zu Urin oder Blut <strong>und</strong><br />
die hieraus resultierenden hohen Anforderungen an Probenaufarbeitung <strong>und</strong> Analysenmethode<br />
erfordern eine umfassende Validierung aller Teilschritte des gesamten Verfahrens,<br />
entsprechend Anhang C zur Richtlinie der Gesellschaft für Toxikologische <strong>und</strong> Forensische<br />
Chemie zur Qualitätssicherung bei forensisch-toxikologischen Untersuchengen [16].<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Skopp / Mattern,<br />
Zum Stellenwert des Nachweises von Cannabinoiden <strong>im</strong> Haar
Skopp / Mattern,<br />
Zum Stellenwert des Nachweises von Cannabinoiden <strong>im</strong> Haar<br />
Untersuchungen <strong>im</strong> Rahmen der Fahreignungsbegutachtung sollten ausschließlich von für<br />
die Haaranalyse akkreditierten Labors durchgeführt werden. Neben den hohen analytischen<br />
Anforderungen stellt die Beurteilung der Analysenergebnisse eine besondere<br />
Herausforderung dar <strong>und</strong> wird z. B. in den Übersichtsartikeln von Musshoff <strong>und</strong> Madea<br />
[15] bzw. Pragst <strong>und</strong> Balikova [20] eingehender erörtert.<br />
Einige wenige Untersuchungen befassten sich mit der Konsumhäufigkeit <strong>und</strong> den Konzentrationen<br />
an THC oder weiteren Cannabinoiden <strong>im</strong> Haar. Die aus retrospektiven Befragungen<br />
von <strong>Drogen</strong>konsumenten resultierenden Ergebnisse sind in Tabelle 1 zusammengefasst.<br />
THC (ng/mg) THC-COOH (pg/mg) Rückschlüsse (Ref. 7,10) Referenz<br />
Angaben (Ref. 30)<br />
0,1 – 1,0 – wöchentlich bis täglich 10<br />
> 1,0 _ täglich bzw. stark<br />
0,03 – 0,074 0,1 – 1,5 1 – 5 Mal/Woche 7<br />
0,003 – > 0,1 0,1 – 7,3 täglich<br />
0,10 – 0,71 _ 0,25 – 5 g Cannabis/Tag 30<br />
Tab. 1: Cannabinoidkonzentrationen (ng THC/mg Haar, pg THC-COOH/mg Haar) <strong>und</strong> Rückschlüsse auf das<br />
bzw. Angaben zum Konsumverhalten, –: keine Messwerte.<br />
Weiterhin konnte bei Dauerkonsumenten gezeigt werden, dass eine grobe Abschätzung<br />
der Konsummenge über die Summe der THC-, CBN- <strong>und</strong> CBD-Konzentrationen <strong>im</strong> Haar<br />
vorgenommen werden kann, sofern es sich um Natur belassene Haare handelt [30]. Eine<br />
erste kontrollierte Studie aus dem Jahr 2006 ergab, dass sich der Haaranalysenwert von<br />
Cannabiskonsumenten durch kontrolliertes Rauchen von 2 weiteren Joints nicht signifikant<br />
erhöhte, dass täglich rauchende Studienteilnehmer jedoch zuverlässig <strong>und</strong> signifikant<br />
häufiger als nicht täglich rauchende Personen detektiert werden konnten. In dieser Studie<br />
betrug die Detektionsrate (THC <strong>und</strong>/oder THC-Carbonsäure) bei täglichem Konsum<br />
85 %, bei gelegentlichem Konsum nur noch 52 % [7]. Dies steht <strong>im</strong> Einklang mit der<br />
Beobachtung, dass sich ein Konsum von 1–2 Joints pro Monat derzeit (noch) nicht zuverlässig<br />
aufdecken lässt.<br />
Natürliche Einflussfaktoren auf den Gehalt an Cannabinoiden <strong>im</strong> keratinisierten Haar<br />
Haare, insbesondere Kopfhaare, unterliegen zahlreichen, unvermeidbaren, Umwelt bedingten<br />
Einflüssen. Natürliche <strong>und</strong> Hygiene bedingte Einflüsse wie mechanische Beanspruchung<br />
durch Bürsten <strong>und</strong> Kämmen, Einwirkung natürlicher Strahlung, von Wärme<br />
<strong>und</strong> Wasser führen zu einer Haaralterung (Verwitterung) mit mikroskopisch sichtbaren <strong>und</strong><br />
von der Kopfhaut in Richtung zur Haarspitze fortschreitenden Schäden der Cuticula, seltener<br />
der darunter liegenden Cortexzellen [22]. Die Cuticulazellen stellen die wichtigste<br />
Barriere des Haares <strong>gegen</strong>über physikalischen <strong>und</strong> chemischen Noxen dar. Wird diese geschädigt,<br />
so n<strong>im</strong>mt das Rückhaltevermögen des Haares für eingelagerte Substanzen ab,<br />
während Stoffe aus der Umwelt leichter aufgenommen werden können. Daher lässt sich an<br />
Haaren, auch wenn sie ausschließlich hygienischen Maßnahmen unterzogen wurden, bei<br />
weitgehend konstanter Konsumfrequenz eine Abnahme der Fremdstoffkonzentration entlang<br />
der Strähne in Richtung zur Spitze hin beobachten [17, 22].<br />
Die wissenschaftliche Literatur enthält für Cannabis nur wenige Publikationen zu dieser<br />
Thematik. Es gibt lediglich eine Studie, bei der nach 3-maligem Waschen der Haare mit<br />
3<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
4<br />
einer wässrigen Pufferlösung keine Abnahme an THC registriert werden konnte [36].<br />
Be<strong>im</strong> Testen eines <strong>im</strong> Internet angebotenen Spezialhaarwaschmittels zum Herauswaschen<br />
sog. „Verunreinigungen“ nahm der THC-Gehalt authentischer Proben nach einmaliger Anwendung<br />
um durchschnittlich 36 % ab; THC konnte allerdings in allen behandelten Proben<br />
noch nachgewiesen werden [23].<br />
Haare erfahren bei einer Einwirkung von UV-Strahlung merkbare Veränderungen <strong>im</strong><br />
Aussehen <strong>und</strong> in den Fasereigenschaften. Die Haare werden zur Spitze hin kontinuierlich<br />
heller <strong>und</strong> fühlen sich spröde an. Unter intensiver Bestrahlung kommt es zu Modifikationen<br />
an Haarpigmenten, zu einer Spaltung von Disulfidbrücken <strong>und</strong> einer Oxidation von<br />
Proteinen mit der Folge eines geringeren Vernetzungsgrades der Haarfaser. Die Oxidation<br />
von Lipiden geht mit einer partiellen Zerstörung des Zellmembrankomplexes einher, der<br />
als Verb<strong>und</strong>struktur das gesamte Haar durchzieht.<br />
Die Auswirkungen einer Exposition bei natürlichen Witterungsbedingungen <strong>im</strong> Sommer<br />
wurden exper<strong>im</strong>entell untersucht. Nach 8–10 wöchiger Exposition authentischer Haarproben<br />
war THC nur noch in 3 von ehemals 12 positiven Proben nachweisbar [12, 27, 29]. Die<br />
Untersuchung ergab gleichzeitig, dass CBD <strong>und</strong> CBN bei Einwirkung von Sonnenlicht<br />
stabiler als THC sind. CBD ließ sich in 8 von ehemals 10, <strong>und</strong> CBN in 4 von 4 positiven<br />
Proben nach Belichtung detektieren. Neben dem geringeren Rückhaltevermögen verwitterter<br />
Haare ist auch ein photooxidativer Abbau aller 3 Verbindungen zu vermuten [12, 27].<br />
Es wird daher empfohlen, keine Deckhaare für die Analyse zu asservieren, ggf. die Haarprobe<br />
lichtmikroskopisch auf Schäden zu prüfen <strong>und</strong> das Freizeitverhalten oder längere<br />
Aufenthalte <strong>im</strong> Freien zu erfragen. Der zusätzliche Nachweis von CBD <strong>und</strong> CBN ist zumindest<br />
als Plausibilitätskontrolle anzusehen.<br />
Auswirkungen kosmetischer Behandlungsmaßnahmen auf den<br />
Cannabinoidgehalt <strong>im</strong> Haar<br />
Bleich-, Färbe- <strong>und</strong> Dauerwellbehandlungen des Haares führen zu tiefgreifenden, morphologischen<br />
Veränderungen des Haarschafts [28]. Bei intensiver <strong>und</strong>/oder häufiger Anwendung<br />
werden die Cuticula, teilweise bis zum Verlust von Zellen, <strong>und</strong> auch der darunter<br />
liegende Cortex geschädigt. Der Vernetzungsgrad der Faser <strong>und</strong> ihr Rückhaltevermögen<br />
für eingelagerte <strong>Drogen</strong>moleküle nehmen ab [18, 22].<br />
Während es für andere <strong>Drogen</strong> einige kontrollierte Untersuchungen zu dieser Problematik<br />
gibt, ist die Datenlage für Cannabinoide äußerst mager. Bisher liegt lediglich eine<br />
Untersuchung an gesträhntem Haar vor, in dem erwartungsgemäß niedrigere Konzentrationen<br />
an THC in den gefärbten <strong>und</strong> gebleichten Anteilen nachweisbar waren [9].<br />
Während sich Färbungen gut anhand von Haarquerschnitten durch Einfärbung der Cuticulazellen,<br />
zusätzlich auch des Cortex, beurteilen lassen, können Dauerwellbehandlungen<br />
bisher nicht sicher erkannt werden. Schäden an der Haarprobe sollten verifiziert <strong>und</strong> für<br />
die Nachvollziehbarkeit des Analysenbef<strong>und</strong>es auch dokumentiert werden.<br />
Zur möglichen Abgrenzung einer Kontamination<br />
Bei <strong>Drogen</strong> wie Cannabis, die vorzugsweise geraucht werden, ist die Möglichkeit einer<br />
externen Kontamination der Haare evident. Von einer passiven Exposition können Nichtraucher<br />
betroffen sein, am stärksten betroffen ist jedoch der Raucher selbst, da er, vergleichbar<br />
be<strong>im</strong> Rauchen einer Zigarette, dem Joint am nächsten ist [17]. Etwa 6–53 % des<br />
be<strong>im</strong> Rauchen freigesetzten THC gelangen in den Nebenstrom eines Joints <strong>und</strong> damit<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Skopp / Mattern,<br />
Zum Stellenwert des Nachweises von Cannabinoiden <strong>im</strong> Haar
Skopp / Mattern,<br />
Zum Stellenwert des Nachweises von Cannabinoiden <strong>im</strong> Haar<br />
direkt in die Umwelt [6]. Externe Antragungen aus der Umwelt können bei der abschnittweisen<br />
Untersuchung einer Haarprobe die zeitliche Zuordnung eines Konsums erschweren.<br />
Neuere Untersuchungen ergaben ein wahrscheinliches Wachstumsfenster von<br />
1,1 ± 0,2 cm/Monat für Kopfhaare [17], Angaben zum Wachstum von Körperhaaren finden<br />
sich bei Pragst <strong>und</strong> Sachs [21] bzw. Pötsch <strong>und</strong> Skopp [17].<br />
Hinsichtlich der Waschbarkeit einer Antragung aus Marihuanarauch konnte unsere<br />
Arbeitsgruppe zeigen, dass zuvor drogenfreies, durch Beräucherung stark kontaminiertes<br />
Haar durch 3-maliges, 15-minütiges Waschen mit Methanol vollständig dekontaminiert<br />
werden konnte [33]. Allerdings führte dieses Waschprotokoll nur bei Natur belassenem,<br />
nicht geschädigtem Haar zu einer vollständigen Dekontamination.<br />
Um eine Antragung von THC aus dem Rauch bei der späteren Analyse weitgehend ausschließen<br />
zu können, sind daher eine kompetente Einschätzung der Haarmorphologie<br />
(Schäden durch Bleichen, Färben, Dauerwelle, Verwitterung, etc.), ein validiertes Waschprotokoll<br />
<strong>und</strong> die Untersuchung der Waschlösungen wichtige Voraussetzungen. Tsanaclis<br />
<strong>und</strong> Wicks [34] untersuchten z. B. neben dem Haar auch die Waschlösung <strong>und</strong> schlugen<br />
vor, bei einem Konzentrationsverhältnis in der Waschlösung zu den Haaren von mehr<br />
als 0,5 eher von einer Kontamination als von einem <strong>Drogen</strong>missbrauch auszugehen. Als<br />
Waschflüssigkeit für die Exper<strong>im</strong>ente wurde Methanol verwendet, das bei einer Vorschädigung<br />
des Haares nicht <strong>im</strong>mer zu einem befriedigenden Ergebnis führte [33].<br />
Während eine sichere Abtrennbarkeit exogener von endogenen anorganischen Stoffen<br />
nach den Untersuchungen von Kijewski [11] nicht möglich ist, scheint die Anwendung<br />
geprüfter Waschprotokolle <strong>und</strong> die Best<strong>im</strong>mung von Metaboliten für organische Stoffe<br />
bessere Möglichkeiten der Trennbarkeit zu eröffnen.<br />
Nachweis von THC-Carbonsäure – eine sichere Differenzierung zwischen<br />
Kontamination <strong>und</strong> aktivem Konsum?<br />
THC-Carbonsäure konnte bisher <strong>im</strong> Gegensatz zu THC, CBN <strong>und</strong> CBD nicht <strong>im</strong> Rauch<br />
von Cannabisprodukten nachgewiesen werden. Da der Metabolit durch körpereigene Enzyme<br />
gebildet wird, kann sein Nachweis als Hinweis für einen aktiven Konsum angesehen<br />
werden.<br />
Wie bereits oben erwähnt, sind die Konzentrationen an THC-Carbonsäure < 10 pg/mg,<br />
d. h. sie sind <strong>im</strong> Vergleich zu THC um den Faktor 100–1000 geringer. Es ist daher nicht erstaunlich,<br />
dass die vor dem Jahr 2000 publizierten Werte für THC-Carbonsäure <strong>im</strong> Haar in<br />
Frage gestellt wurden. Erst <strong>im</strong> Jahr 2000 konnte nach aufwändiger HPLC-Aufreinigung<br />
der Extrakte <strong>und</strong> Messung mittels eines Massenspektrometers mit negativer chemischer<br />
Ionisation eine Nachweisgrenze von 0,3 pg THC-Carbonsäure/mg Haar erreicht werden<br />
[24]. Eine alternative Detektionsmethode ist die Tandemmassenspektrometrie (GC/MS/<br />
MS), mit der jüngst eine Absenkung der Nachweisgrenzen auf 0,1 pg THC-Carbonsäure/mg<br />
Haar möglich war [7]. In dieser Untersuchung wurden insgesamt 53 Proben von<br />
38 Cannabiskonsumenten untersucht. In 2 Proben konnten ausschließlich THC, in 14 Proben<br />
nur THC-Carbonsäure, <strong>und</strong> in 18 Proben beide Substanzen best<strong>im</strong>mt werden. 19 der<br />
Proben enthielten trotz Cannabiskonsums weder THC noch THC-Carbonsäure. Ein negativer<br />
Bef<strong>und</strong> für THC-Carbonsäure ist nach dieser Untersuchung kein eindeutiger Abstinenznachweis.<br />
Die Richtlinie der Substance Abuse and Mental Health Services Administration sieht für<br />
den Nachweis der THC-Carbonsäure <strong>im</strong> Haar eine Entscheidungsgrenze von 0,05 pg/mg<br />
5<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
6<br />
vor. Auch in der international renommierten <strong>und</strong> hinsichtlich der Analysengeräte opt<strong>im</strong>al<br />
ausgestatteten Arbeitsgruppe um Huestis [7] wurde diese Nachweisgrenze nicht erreicht.<br />
Es scheint, dass ein weiterer Fortschritt erst durch eine entscheidende Weiterentwicklung<br />
der heute verfügbaren Massenspektrometer gemeistert werden kann, wobei kein Zweifel<br />
besteht, dass die Grenzen des derzeit technisch Machbaren in wenigen Jahren überschritten<br />
sein können.<br />
Eine größere Hürde stellt die Tatsache dar, dass der Einbau von Fremdsubstanzen in das<br />
Haar bis heute nur unvollständig geklärt ist [19]. Der Haarfollikel ist ein geeignetes Objekt<br />
für Metabolisierungsstudien an epithelialem Gewebe, da er mit zahlreichen Enzymen, darunter<br />
auch den Enzymen, die die Metabolisierung von THC zu THC-Carbonsäure katalysieren,<br />
ausgestattet ist. Insofern ist auch eine Biotransformation von THC zu THC-<br />
Carbonsäure in der Haut <strong>und</strong> <strong>im</strong> Haarfollikel prinzipiell denkbar. Dies könnte positive<br />
THC-Carbonsäure Bef<strong>und</strong>e bei nicht nachweisbarem THC <strong>im</strong> Haar, wie von der Arbeitsgruppe<br />
um Huestis berichtet, erklären [7]. Sowohl die Haut als auch der Haarfollikel sind<br />
Eintrittspforten für fremde Substanzen in den Organismus. Stinchcomb et al. [32] konnten<br />
durch Diffusionsversuche an humanen Hautpräparationen zeigen, dass THC, CBD <strong>und</strong><br />
CBN die Haut von außen nach innen gut durchdringen. Solange durch entsprechende Versuche<br />
nicht gezeigt werden kann, dass THC-Carbonsäure ausschließlich über das Blut in<br />
das Haar gelangt, oder aber direkt aus THC – aus dem Blut <strong>und</strong> nicht aus einer externen<br />
Quelle – in der Haarwurzel entsteht, ist eine sichere Trennbarkeit exogener von endogenen<br />
Rückständen noch nicht bewiesen.<br />
Kriterien für die Praxis<br />
Ein positiver THC-Bef<strong>und</strong> <strong>im</strong> Haar belegt einen Cannabiskonsum nur, wenn<br />
– ein validiertes Waschprogramm angewendet wurde, das geeignet ist, Cannabinoide<br />
aus der Umwelt vollständig vom Haar zu entfernen;<br />
– die Besonderheiten des Probenmaterials <strong>und</strong> die Fallumstände mit berücksichtigt wurden.<br />
Die Aussage, ein positiver THC- oder THC-Carbonsäurebef<strong>und</strong> belege „mit Wahrscheinlichkeit“<br />
einen Cannabis-Konsum, ist für den Einzelfall wissenschaftlich nicht vertretbar,<br />
insbesondere bei vorgeschädigtem Haar.<br />
Ein negativer THC-Bef<strong>und</strong>, ebenso ein negativer THC-Carbonsäurebef<strong>und</strong>, schließt<br />
nach dem derzeitigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse einen gelegentlichen<br />
Konsum von Cannabisprodukten <strong>im</strong> Einzelfall nicht aus. CBD <strong>und</strong> CBN sollten bei der<br />
Analyse mit berücksichtigt werden.<br />
Die verschiedenen Bemühungen, Strategien zur Differenzierung einer exogenen Antragung<br />
von einer endogenen Einlagerung zu entwickeln <strong>und</strong> der erst jüngst geführte Nachweis<br />
von THCA A <strong>im</strong> Haar zeigen deutlich, dass Forschungsbedarf besteht.<br />
Analysenwerte müssen <strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Kontext der Fallumstände <strong>und</strong> unter Berücksichtigung<br />
des eingesetzten Materials durch in der Haaranalyse <strong>und</strong> Haarmorphologie erfahrene<br />
Personen interpretiert werden; sie dürfen auf keinen Fall isoliert betrachtet werden. Nur<br />
die Beachtung aller Besonderheiten kann verhindern, die für zahlreiche Fragestellungen<br />
relevante <strong>und</strong> hilfreiche Analyse von Haaren auf Betäubungsmittelrückstände in Frage zu<br />
stellen.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Skopp / Mattern,<br />
Zum Stellenwert des Nachweises von Cannabinoiden <strong>im</strong> Haar
Skopp / Mattern,<br />
Zum Stellenwert des Nachweises von Cannabinoiden <strong>im</strong> Haar<br />
Zusammenfassung<br />
Die Haaranalyse hat u. a. auch in der Fahreignungsbegutachtung einen hohen Stellenwert erlangt. Wesentliche<br />
Fragen betreffen die Sicherheit des Nachweises einer Abstinenz <strong>und</strong> den Ausschluss einer Kontamination. Diese<br />
Fragen werden für Cannabis erörtert.<br />
Hauptsubstanzen <strong>im</strong> Haar sind THC, CBN <strong>und</strong> CBD. Die Konzentrationen an THC sind häufig < 1 ng/mg<br />
Haar <strong>und</strong> die Gehalte an THC-Carbonsäure liegen <strong>im</strong> pg- bis fg-Bereich. Während THCA A kürzlich <strong>im</strong> Haar<br />
nachgewiesen werden konnte, gelang dies für 11-Hydroxy-THC bisher nicht. Die <strong>im</strong> Vergleich zu Blut geringe<br />
Probenmenge <strong>und</strong> die niedrigen Konzentrationen von Cannabinoiden <strong>im</strong> Haar erschweren die Analyse; der Nachweis<br />
von THC-Carbonsäure ist speziell ausgestatteten Labors in Einzelfällen vorbehalten. Ein sporadischer Konsum<br />
der Cannabisdroge kann derzeit anhand der Haaranalyse nicht zuverlässig aufgedeckt werden.<br />
Die Auswirkungen von UV-Licht auf den Rückgang der Gehalte an THC, CBD <strong>und</strong> CBN <strong>im</strong> Haar ist etwas<br />
eingehender untersucht worden. CBD <strong>und</strong> CBN sollten auf Gr<strong>und</strong> ihrer höheren Stabilität <strong>gegen</strong>über UV-Licht<br />
mit in die Analyse einbezogen werden. Haarkosmetische Behandlungen dürften zu einer Reduktion der <strong>Drogen</strong>rückstände<br />
<strong>im</strong> Haar führen; hier bedarf es weiterer Forschung.<br />
Die sichere Abtrennbarkeit exogener von endogenen <strong>Drogen</strong>molekülen ist für <strong>Drogen</strong> wie Cannabis, die vorzugsweise<br />
geraucht werden, eine wesentliche Voraussetzung für die Bef<strong>und</strong>interpretation. Starke Kontaminationen<br />
sind waschbar, sofern Natur belassenes <strong>und</strong> nicht in seiner Struktur geschädigtes Haar vorliegt. Dass eine<br />
Körperpassage – <strong>und</strong> damit ein aktiver Konsum – durch Nachweis der THC-Carbonsäure bewiesen werden<br />
könne, muss durch weitere Untersuchungen erst noch erhärtet werden.<br />
Auf jeden Fall müssen Analysenwerte <strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Kontext der Fallumstände <strong>und</strong> unter Berücksichtigung des<br />
eingesetzten Materials durch erfahrene Personen interpretiert werden.<br />
Schlüsselwörter<br />
Cannabinoide – Haaranalyse – Abtrennbarkeit endogen/exogen – Nachweis von Metaboliten<br />
Summary<br />
Testing hair for drugs of abuse has become an <strong>im</strong>portant issue, for example, in case of driving licence granting.<br />
Major questions facing objective evidence of abstinence and exclusion of external contamination are addressed<br />
with the example of Cannabis.<br />
Major cannabiniods present in hair are THC, CBN and CBD. Mostly, the concentration level of THC in hair is<br />
lower than 1 ng/mg and THC carboxylic acid is in the pg to fg range. Recently, THCA A has been detected in hair,<br />
whereas 11-hydroxy-THC has not been identified yet. Analysis of cannabinoids in hair is challenging due to their<br />
low concentration in hair spec<strong>im</strong>ens and the generally low quantity of hair available for analysis. Accordingly,<br />
analysis of THC carboxylic acid is restricted to laboratories which are equipped to these particular needs. At present,<br />
an intermittent use of cannabis may go <strong>und</strong>etected.<br />
THC in hair is more affected by solar radiation than CBD and CBN; hence, analysis should cover also CBD<br />
and CBN. The influence of dying, bleaching or permanent waving has not sufficiently been studied at present.<br />
Contamination of hair by marihuana smoke may completely be removed by washing provided that hair has not<br />
been damaged by hair care habits or cosmetic treatment. If detection of THC carboxylic acid may provide irrevocable<br />
evidence of cannabis use needs still further investigation.<br />
Anyway, results from hair analysis drug should never be interpreted in isolation; the condition of the sample<br />
<strong>und</strong>er investigation as well as all information available should be considered by skilled personnel.<br />
Keywords<br />
cannabinoids – hair analysis – differentiation endogenous/exogenous – detection of metabolites<br />
Literatur<br />
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BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Skopp / Mattern,<br />
Zum Stellenwert des Nachweises von Cannabinoiden <strong>im</strong> Haar
Skopp / Mattern,<br />
Zum Stellenwert des Nachweises von Cannabinoiden <strong>im</strong> Haar<br />
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Anschrift der Verfasser<br />
Prof. Dr. rer. nat. Gisela Skopp<br />
Prof. Dr. med. Rainer Mattern<br />
Institut für Rechtsmedizin <strong>und</strong> Verkehrsmedizin<br />
Universitätsklinikum Heidelberg<br />
Voßstraße 2<br />
69115 Heidelberg<br />
Email: gisela.skopp@med.uni-heidelberg.de<br />
rainer.mattern@med.uni-heidelberg.de<br />
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9<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
10<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Berg / Glaser / Schubert,<br />
Ein Blick auf den „Tunnelblick“: Ein Aufmerksamkeitsdefizit<br />
infolge schädlichen <strong>Alkohol</strong>genusses Seiten 10–20<br />
1 ) Institut für Testentwicklung <strong>und</strong> -anwendung, Berlin<br />
2 ) DEKRA Automobil GmbH, Fachbereich Verkehrspsychologie, Berlin<br />
3 ) Universität Köln<br />
MICHAEL BERG 1 ), DOREEN GLASER 2 ), WOLFGANG SCHUBERT 3 )<br />
Ein Blick auf den „Tunnelblick“: Ein Aufmerksamkeitsdefizit<br />
infolge schädlichen <strong>Alkohol</strong>genusses<br />
A look to the “tunnel vision”: An attention deficit<br />
as a result of substance abuse<br />
Einleitung<br />
Die nachfolgende Untersuchung wurde als Reanalyse mittels Daten aus amtlich anerkannten<br />
Begutachtungsstellen für Fahreignung sowie an einer verkehrsunauffälligen<br />
Stichprobe vorgenommen. Die Frage nach Beeinträchtigungen, die das sichere Führen von<br />
Kraftfahrzeugen in Frage stellen können, ist sehr häufig der Gr<strong>und</strong> dafür, dass bei einer<br />
Fahreignungsbegutachtung psychometrische Testverfahren eingesetzt werden. Die meisten<br />
behördlich veranlassten Fragestellungen dieser Art – etwa 56 % <strong>im</strong> Jahr 2008 [8] –<br />
betreffen alkoholbedingte Auffälligkeiten. In diesem Zusammenhang wird häufig nach<br />
psychofunktionalen Beeinträchtigungen gefragt. Die dafür relevanten Test<strong>gegen</strong>stände<br />
sind nach allgemeiner Auffassung Aufmerksamkeits- <strong>und</strong> Gedächtnisleistungen. Bei fortlaufenden<br />
Testungen mit einem Testsystem zur Erfassung von Funktionen der Aufmerksamkeit<br />
konnte beobachtet werden, dass es bei alkoholbezogenen Fragestellungen in nicht<br />
wenigen Fällen zu einem drastischen Leistungsabfall von der selektiven zur verteilten Aufmerksamkeit<br />
kommt. Eine Analogie zu dem von Buikhuisen <strong>und</strong> Jongmann dargestellten<br />
„Tunnelblick“ [7] bot sich an.<br />
Die Untersuchung, der man die Entdeckung des „Tunnelblicks“ zuschreibt, fand in den<br />
1960er Jahren statt. Die Versuchsteilnehmer waren erfahrene Kraftfahrer. Eine Exper<strong>im</strong>entalgruppe,<br />
die vor dem Versuch alkoholische Getränke zu sich nahm, <strong>und</strong> eine Kontrollgruppe,<br />
die bei dem Versuch nüchtern war, sahen einen Film, der aus der Sicht eines<br />
Pkw-Fahrers während der Fahrt alltäglich vorkommende Gefahrensituationen <strong>im</strong> Straßenverkehr<br />
zeigte. Die Augenbewegungen der Versuchspersonen wurden dabei aufgezeichnet.<br />
In den Verkehrsfilm wurde anschließend die Abfolge der Fixationspunkte kopiert. Es<br />
zeigten sich unter anderem deutliche Unterschiede <strong>im</strong> Fixationsverhalten von Exper<strong>im</strong>ental-<br />
<strong>und</strong> Kontrollgruppe: Während die nüchternen Fahrer flächendeckend <strong>und</strong> nahezu<br />
lückenlos die jeweils neu ins Bild kommenden Objekte fixierten, waren die Fixationspunkte<br />
der alkoholisierten Fahrer mehr oder weniger auf die Bildmitte eingeengt („Tunnelblick“).<br />
Bei einer <strong>Blutalkohol</strong>konzentration von 0,5 bis 0,8 Promille wurden verkehrsrelevante<br />
oder sogar potenziell gefährliche Verkehrssituationen <strong>und</strong> Bewegungen in der<br />
Peripherie nicht mehr so häufig angeblickt wie bei nüchternen Fahrern.<br />
Buikhuisen <strong>und</strong> Jongman [7] haben den Bef<strong>und</strong> in der Hauptsache als Wahrnehmungstatsache,<br />
die mit der <strong>Alkohol</strong>isierung zusammenhängt, dargestellt, wenngleich auch – sozusagen<br />
zusätzlich – eine Beeinträchtigung der distributiven Aufmerksamkeit erwähnt<br />
wurde. Später sek<strong>und</strong>är argumentierende Autoren nahmen an, dass es die Augenmuskeln
Berg / Glaser / Schubert,<br />
Ein Blick auf den „Tunnelblick“: Ein Aufmerksamkeitsdefizit<br />
infolge schädlichen <strong>Alkohol</strong>genusses<br />
sind, die durch <strong>Alkohol</strong>konsum geschädigt werden <strong>und</strong> demzufolge zu träge auf Ereignisse<br />
am Rande des Gesichtsfelds reagieren, so dass der Fixationspunkt, der das betrachtete<br />
Bildereignis an die Stelle des schärfsten Sehens transportiert, mehr oder weniger in der<br />
(objektiven) Bildmitte bleibt. Diese Interpretation der aufgezeichneten Blickfolge wurde<br />
zusätzlich dadurch erhärtet, dass der <strong>Alkohol</strong>konsum bei dem Exper<strong>im</strong>ent auch die Konvergenz<br />
der Sehachsen beeinträchtigte, als „Doppelbild“ bekannt.<br />
Später wurde diese Interpretation u. a. von Moskowitz <strong>und</strong> Sharma [11] angezweifelt,<br />
<strong>und</strong> Beeinträchtigungen <strong>im</strong> Bewusstsein, insbesondere Defizite bei verteilter Aufmerksamkeit,<br />
kamen als verursachend ins Blickfeld. Die hier dargestellte Untersuchung soll<br />
weitere Evidenz für diese Interpretation erbringen.<br />
Selektive <strong>und</strong> verteilte Aufmerksamkeit<br />
Aufmerksamkeit stellt keine „eigene“ Leistungskategorie kognitiver Prozesse dar. Während<br />
Wahrnehmung, Gedächtnis, bildliche Vorstellung <strong>und</strong> Klassifikation dazu dienen, Information<br />
zu erhalten, ist Aufmerksamkeit eine Basisfunktion, die Ressourcen für die inhaltsstiftenden<br />
Prozesse bereitstellt, <strong>und</strong> zwar auf unterschiedliche Weise.<br />
In der Neuropsychologie ist man zu Taxonomien gelangt [17], die eine möglichst vollständige<br />
Einordnung aller Aufmerksamkeitsfunktionen anstreben. Traditionell wurde dies<br />
anhand von Läsionen best<strong>im</strong>mter Hirnregionen untersucht, validiert an einhergehenden<br />
Ausfällen <strong>im</strong> Verhaltensbereich, später auch anhand „funktionell“ bildgebender Verfahren,<br />
ebenfalls validiert am Verhalten, z. B. Leistungen in bislang vorhandenen, traditionellen<br />
Testverfahren. So unterscheidet man nach einem neueren Modell [19] Aspekte der Intensität<br />
(Alertness <strong>und</strong> Daueraufmerksamkeit/Vigilanz, kurzfristige <strong>und</strong> längerfristige Aktivierung<br />
von Aufmerksamkeit bzw. deren Aufrechterhaltung) <strong>und</strong> der Selektivität (selektive<br />
<strong>und</strong> verteilte Aufmerksamkeit), jeweils mit Unterfunktionen.<br />
Die allgemeine exper<strong>im</strong>entelle Psychologie kommt durch systematische Variation von<br />
Bedingungen auf der Verhaltensebene zu Theorien <strong>und</strong> Modellen darüber, wie Aufmerksamkeit<br />
unter dem Aspekt der Informationsverarbeitung wirkt, unabhängig von den anatomischen<br />
<strong>und</strong> physiologischen Gegebenheiten. Für die Frage nach dem „Tunnelblick“ sind<br />
von daher zwei Anforderungstypen zu unterscheiden, die von der Situation her abgrenzbare<br />
Funktionen der Aufmerksamkeitszuwendung hergeben. Als solche lassen sich in Anlehnung<br />
an Neumann [12] etwas verdichtet annehmen:<br />
• das Abschirmen von Reiz- <strong>und</strong> Reaktionsmustern <strong>gegen</strong> Störeinflüsse (selektive Aufmerksamkeit),<br />
hypothetisch das, was be<strong>im</strong> „Tunnelblick“ funktioniert, <strong>und</strong><br />
• das Integrieren von Merkmalen <strong>und</strong> Reaktionen in die zu vollziehenden Reaktionen<br />
<strong>und</strong> Handlungen (verteilte Aufmerksamkeit), hypothetisch das, was be<strong>im</strong> „Tunnelblick“<br />
nicht funktioniert.<br />
Beide Funktionen bilden insofern ein System, als ihre Schwierigkeit von gleichen Bedingungen<br />
der räumlichen <strong>und</strong> inhaltlichen „Entfernung“ abhängt. Ist ein Reiz <strong>gegen</strong> einen<br />
anderen abzuschirmen, dann verringert sich die Schwierigkeit mit zunehmender räumlicher<br />
Entfernung beider Reize. Sind beide zu integrieren, erhöht sie sich [18]. Beide Funktionen,<br />
sowohl das Separieren wie auch das Integrieren, werden umso schwieriger, je größer<br />
die Ähnlichkeit zwischen den zu separierenden/integrierenden Reizd<strong>im</strong>ensionen ist<br />
[20].<br />
Die eingangs erwähnte vorangegangene Beobachtung, wonach ein Leistungsabfall von<br />
der selektiven zur verteilten Aufmerksamkeit ersichtlich wurde, bezieht sich auf eine Test-<br />
11<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
12<br />
situation, die als selektive Aufmerksamkeit eine merkmalsselektive (nicht-räumlich selektive)<br />
Aufmerksamkeit erfordert, <strong>und</strong> als verteilte Aufmerksamkeit jene, bei der s<strong>im</strong>ultan<br />
dargebotene Merkmale in eine Abfolge von Reaktionen, eine insgesamt entworfene Handlungskette,<br />
zu integrieren sind. In der Regel werden unter dem Begriff „verteilte Aufmerksamkeit“<br />
oder „Aufmerksamkeitsteilung“ auch die (voneinander verschiedenen) Reaktionen<br />
s<strong>im</strong>ultan abgefordert. Der Gedanke, ob diese Variante die einzig mögliche ist, wird in<br />
dieser Arbeit aufgegriffen.<br />
Ziel der nachfolgend dargestellten Untersuchung ist es, den beobachteten Leistungsabfall<br />
von der selektiven zur verteilten Aufmerksamkeit empirisch zu prüfen, dessen Bedeutung<br />
<strong>im</strong> Diagnostikprozess erörtern <strong>und</strong> weitere Evidenz für die Interpretation von<br />
Moskowitz <strong>und</strong> Sharma [11] bringen.<br />
Hypothesen<br />
Wenn Beeinträchtigungen als Leistungsabfall vorliegen, deren Verursachung durch<br />
<strong>Alkohol</strong>missbrauch überwiegend wahrscheinlich ist, dann zeigen sich diese in einer Art<br />
„Tunnelblick“, dem es auch unter merkmalsselektivem Aspekt noch gelingt, die „Konzentration“<br />
auf ein zu beachtendes Merkmal zu lenken <strong>und</strong> dieses <strong>gegen</strong> den störenden Einfluss<br />
(Interferenz) eines anderen, auch hochgradig ähnlichen <strong>und</strong> zudem räumlich min<strong>im</strong>al<br />
entfernten Merkmals, abzuschirmen. Das wäre dann kein Tunnel-„Blick“, der den visuellen<br />
Fokus, den Fixationspunkt <strong>und</strong> seine Streuung betrifft, sondern etwas Ähnliches, den<br />
Aufmerksamkeitsfokus [13] betreffend.<br />
Verwendet man vergleichbare Testanforderungen, die es gestatten, sinnvoll interpretierbare<br />
intraindividuelle Differenzen, z. B. der Reaktionszeit, zu bilden, dann sollte bei denjenigen<br />
Differenzen, die über eine Standardabweichung hinausgehen, der Leistungsabfall<br />
von der selektiven zur verteilten Aufmerksamkeit signifikant häufiger vorkommen als umgekehrt.<br />
Der Leistungsabfall in dieser Teilstichprobe sollte sich auch in einem Anstieg der<br />
Fehler zeigen.<br />
Methodik<br />
Beschreibung der Stichprobe<br />
Die Gesamtstichprobe besteht aus 1225 Daten von Personen, deren psychofunktionale<br />
Leistungsvoraussetzungen <strong>im</strong> Zusammenhang mit einer Medizinisch-Psychologischen<br />
Untersuchung erfasst wurden sowie einer <strong>im</strong> Rahmen von Normierungsuntersuchungen<br />
erhobenen Stichprobe verkehrsunauffälliger Personen 4 ). In Abbildung 1 ist zunächst die<br />
Zusammensetzung der Gesamtstichprobe dargestellt. „<strong>Alkohol</strong>bezogene Auffälligkeit“<br />
bzw. „betäubungsmittelbezogene Auffälligkeit“ betrifft den Anlass zur Beibringung eines<br />
Medizinisch-Psychologischen Gutachtens. Bei derartigen Anlässen wird behördlicherseits<br />
zudem in der Mehrzahl der Fälle nach Beeinträchtigungen der psychofunktionalen Leistungsfähigkeit<br />
gefragt. Für die Stichprobe der Personen, die wegen alkoholbezogener<br />
Auffälligkeiten eine Medizinisch-Psychologische Untersuchung absolvieren, ist jedoch zu<br />
beachten, dass das Vorhandensein von Beeinträchtigungen, selbst in den Fällen, wo behördlicherseits<br />
nach ebensolchen gefragt wird, nicht allgemein vorausgesetzt werden<br />
kann, etwa wenn die Trinkgewohnheiten geändert wurden oder trotz fortgesetzten <strong>Alkohol</strong>missbrauchs<br />
psychofunktionale Beeinträchtigungen (noch) nicht feststellbar sind.<br />
Somit ist die Eingangsvariable „alkoholbedingte Beeinträchtigung“ diejenige, die der<br />
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Berg / Glaser / Schubert,<br />
Ein Blick auf den „Tunnelblick“: Ein Aufmerksamkeitsdefizit<br />
infolge schädlichen <strong>Alkohol</strong>genusses
Berg / Glaser / Schubert,<br />
Ein Blick auf den „Tunnelblick“: Ein Aufmerksamkeitsdefizit<br />
infolge schädlichen <strong>Alkohol</strong>genusses<br />
Untersuchung eher den Charakter eines Feldversuchs gibt. Wenn der erwartete Effekt dennoch<br />
Signifikanz aufweist, würde diese in einem gezielten Laborversuch mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />
sehr viel deutlicher beobachtbar sein. Die Bezeichnung „keine Auffälligkeit“<br />
bezieht sich auf diejenigen Personen der Stichprobe, die weder mit alkoholbezogenen<br />
noch mit betäubungsmittelbezogenen Auffälligkeiten in Erscheinung getreten<br />
sind.<br />
Abb. 1: Zusammensetzung der Gesamtstichprobe nach Auffälligkeit <strong>und</strong> Geschlecht.<br />
Entsprechend der Hypothesen wurden nur diejenigen Testpersonen (keine Auffälligkeit<br />
vs. alkoholbezogene Auffälligkeit) in die Auswertung einbezogen, bei denen die Reaktionszeit-Differenz<br />
zwischen den Subtests für verteilte <strong>und</strong> selektive Aufmerksamkeit vorzeichenunabhängig<br />
größer als eine Standardabweichung ist (siehe dazu Tabelle 1).<br />
Gruppenzugehörigkeit bei 1SD-Differenzkriterium<br />
Auffälligkeit innerhalb des ausserhalb des gesamt<br />
1SD-Bereichs 1SD-Bereichs<br />
keine Auffälligkeit 499 80 579<br />
alkoholbezogene Auffälligkeit 431 130 561<br />
gesamt 930 210 1140<br />
Tab. 1: Teilstichprobe, gebildet nach dem 1SD-Differenzkriterium.<br />
Versuchsmaterial<br />
Die Untersuchung wurde mit dem thematischen Testsystem Corporal [6], das auf einem<br />
neuen Konstruktionsprinzip, dem Konstituentenansatz beruht, durchgeführt [2, 3, 4, 5].<br />
Ein thematisches Testsystem unterscheidet sich von traditionellen Testsystemen 5 ) dadurch,<br />
dass die Einzeltests zur Erfassung verschiedener Teilgebiete oder „Spielarten“ des Ge-<br />
13<br />
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14<br />
samt<strong>gegen</strong>standes definitiv Querverbindungen aufweisen, weil sie durch gezielte Bedingungsvariation<br />
auseinander hervorgehen. Das hat den Vorteil einer präzisen Unterscheidbarkeit<br />
der verschiedenartigen Testanforderungen (mithin einer zulässigen <strong>und</strong> sinnvoll<br />
interpretierbaren Differenzbildung zwischen ihnen) auf der Basis einer sehr hohen Vergleichbarkeit<br />
(nicht: Gleichheit) durch Konstanthalten der Rest- oder modifizierenden Variablen,<br />
d.h. derjenigen, die nicht die Spezifik der jeweiligen Anforderung ausmachen. Das<br />
wären z. B. der Antwortvektor (das „Repertoire“ an möglichen Antwortreaktionen) oder<br />
die apparativen Modalitäten der Antworteingabe (be<strong>im</strong> Corporal stets dasselbe Tastengerät).<br />
Der Itempool be<strong>im</strong> Corporal wird aus zwei Reizfiguren gebildet: einer Gr<strong>und</strong>figur, ein<br />
„Corporalswinkel“, der in eine von vier Richtungen zeigen (Orientierung) <strong>und</strong> zugleich<br />
eine von vier Positionen (Lokation) einnehmen kann, <strong>und</strong> einem Kreuz mit exakt gleicher<br />
Komplexität, berechnet als struktureller Informationsgehalt [10], das nur die Lokation als<br />
Merkmal trägt. Beide Merkmalsd<strong>im</strong>ensionen – Orientierung <strong>und</strong> Lokation – haben die vier<br />
Ausprägungen oben, links, unten <strong>und</strong> rechts, welche auch den einheitlichen Antwortvektor<br />
ergeben. Abbildung 2 zeigt die für diese Untersuchung verwendeten Tests aus dem<br />
Subsystem Corporal A, Subtesteinheit (STE) 4 (InterOrientierung) <strong>und</strong> 7 (DualC). Bei<br />
STE 4 (Inter-Orientierung) zur Erfassung selektiver Aufmerksamkeit war – <strong>gegen</strong> die<br />
Interferenzwirkung von Lokation auf Orientierung – auf die Orientierung der Figur zu reagieren,<br />
bei STE 7 (DualC) zur Erfassung verteilter Aufmerksamkeit zuerst auf die Richtung<br />
des Winkels – wiederum <strong>gegen</strong> die Interferenzwirkung von Lokation auf Orientierung<br />
– dann auf die Position des Kreuzes. Da letztere als stets <strong>gegen</strong>überliegend bezugssystembildend<br />
wirkt [9], wird die Interferenzwirkung für die erste Reaktion noch<br />
verstärkt.<br />
Bei der selektiven Aufmerksamkeit ist die Orientierung <strong>gegen</strong> die Interferenzwirkung<br />
der Lokation abzuschirmen, bei der verteilten Aufmerksamkeit sind beide Merkmale in<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Berg / Glaser / Schubert,<br />
Ein Blick auf den „Tunnelblick“: Ein Aufmerksamkeitsdefizit<br />
infolge schädlichen <strong>Alkohol</strong>genusses<br />
Reagiere<br />
Abb. 2: Die zwei verwendeten Testanforderungen aus „Corporal A“.
Berg / Glaser / Schubert,<br />
Ein Blick auf den „Tunnelblick“: Ein Aufmerksamkeitsdefizit<br />
infolge schädlichen <strong>Alkohol</strong>genusses<br />
einen Handlungsablauf zu integrieren. Die Antwortalternativen <strong>und</strong> das Tastengerät für die<br />
Antworteingabe sind für alle Anforderungen <strong>und</strong> Merkmale gleich.<br />
Für die selektive Aufmerksamkeit wurde hier also die schwierigste „Entfernungs-“Bedingung<br />
gesetzt: interferierende Merkmale mit gleicher Position. Unter verteilter Aufmerksamkeit<br />
wird nicht selten die Fähigkeit verstanden, gleichzeitig Aufgaben unterschiedlicher<br />
Sinnesmodalitäten zu bearbeiten. Es folgt jedoch aus dem weiter oben<br />
beschriebenen Bedingungs-Wirkungssystem, dass es zulässig ist, für die verteilte Aufmerksamkeit<br />
die max<strong>im</strong>ale Ähnlichkeitsbedingung zu wählen: gleiche Sinnesmodalität<br />
<strong>und</strong> gleicher Antwortvektor. Dass es ferner zulässig ist, bei der verteilten Aufmerksamkeit<br />
beide Reaktionen sequentiell abzufordern, folgt aus Untersuchungen, in denen das Interst<strong>im</strong>ulus-Intervall<br />
(ISI) – der zeitliche Abstand von Reizen bei Dual-Task-Items – variiert<br />
wurde [14, 15]. Die Bedingung bleibt über einen großen Zeitbereich hinweg ohne Wirkung<br />
auf die Reaktionszeit. Darüber hinaus ist für die Dual-Anforderung nachweisbar, dass<br />
beide Reaktionen nicht einzeln entworfen <strong>und</strong> ausgeführt werden, sondern als Handlungssequenz:<br />
Für die zweite Reaktion bedarf es <strong>gegen</strong>über der ersten Reaktion die Hälfte der<br />
Zeit für die erste Reaktion. Das bedeutet, dass die Reaktionen auf beide Merkmale in einer<br />
Handlungskette integriert werden.<br />
Ergebnisse<br />
Sofern <strong>im</strong> Leistungsprofil intraindividuelle Unterschiede auftreten, die bezüglich der<br />
Differenz DualC-InterOr über eine Standardabweichung hinausgehen, ist der Abfall in die<br />
genannte Richtung signifikant häufiger als umgekehrt (siehe Tabelle 2 bzw. Abbildung 3).<br />
In der Tabelle 3 sind allgemein die statistischen Kennwerte (u. a. Mittelwert, Standardabweichung<br />
<strong>und</strong> Signifikanz α der Reaktionszeit-Differenz DualC-InterOr) sowie in<br />
Tabelle 4 die Signifikanzen nach verschiedenen Testkriterien dargestellt. Damit ist der<br />
Bef<strong>und</strong> mindestens auf dem 5 %-Niveau gesichert.<br />
Gruppenzugehörigkeit bei 1SD-Differenzkriterium<br />
Auffälligkeit<br />
verteilt → selektiv selektiv → verteilt gesamt<br />
keine Auffälligkeit Anzahl<br />
Standardisierte<br />
46 34 80<br />
Residuen 1,2 –1,2<br />
alkoholbezogene Auffälligkeit Anzahl<br />
Standardisierte<br />
55 75 130<br />
Residuen –1,0 0,9<br />
gesamt 101 109 210<br />
Tab. 2: Anzahl von Differenzen mit Reaktionszeiten des 1SD-Intervalls bei Personen ohne Auffälligkeiten <strong>und</strong><br />
Personen mit wahrscheinlich alkoholbezogenen Beeinträchtigungen.<br />
15<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
16<br />
Zur Veranschaulichung des gesicherten Effekts auf der Rohwert-Ebene zeigt Abbildung 4<br />
die mittleren Reaktionszeiten für InterOrientierung <strong>und</strong> DualC bei der für den Häufig-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Berg / Glaser / Schubert,<br />
Ein Blick auf den „Tunnelblick“: Ein Aufmerksamkeitsdefizit<br />
infolge schädlichen <strong>Alkohol</strong>genusses<br />
Abb. 3: Anzahl von Differenzen mit Reaktionszeiten außerhalb des 1SD-Intervalls bei Personen ohne Auffälligkeiten<br />
<strong>und</strong> Personen mit wahrscheinlich alkoholbezogenen Beeinträchtigungen.<br />
Gepaarte Differenzen<br />
DualC-InterOr < 0<br />
DualC-InterOr > 0<br />
M SD E(M)<br />
CI (95 %)<br />
Oben Unten<br />
t df α (2-seitig)<br />
DualC-InterOrientierung 726,48 354,25 12,02 702,89 750,06 60,45 868 ,000<br />
Tab. 3: Mittlere Reaktionszeit in ms: Test bei gepaarten Stichproben; M: Mittelwert, SD: Standardabweichung,<br />
E: Standardfehler, CI: Konfidenzintervall, t: t-Test-Wert für die Mittelwertdifferenz, df: Freiheitsgrade,<br />
α: Irrtumswahrscheinlichkeit.<br />
Wert df αasympt (2-seitig)<br />
αexakt (2-seitig)<br />
αexakt (1-seitig)<br />
Chi-Quadrat nach Person 4,579(b) 1 ,032<br />
Kontinuitätskorrektur(a) 3,990 1 ,046<br />
Likelihood-Quotient 4,591 1 ,032<br />
Exakter Test nach Fisher ,034 ,023<br />
Zusammenhang linear-mit-linear 4,557 1 ,033<br />
Anzahl der gültigen Fälle 210<br />
Tab. 4: Chi-Quadrat-Tests; df: Freiheitsgrad, α: Irrtumswahrscheinlichkeit, (a) wird nur für eine 2 x 2-Tabelle<br />
berechnet, (b) 0 Zellen (0 %) haben eine erwartete Häufigkeit kleiner 5, die min<strong>im</strong>ale erwartete Haufigkeit<br />
ist 38,48.
Berg / Glaser / Schubert,<br />
Ein Blick auf den „Tunnelblick“: Ein Aufmerksamkeitsdefizit<br />
infolge schädlichen <strong>Alkohol</strong>genusses<br />
keitsvergleich (vgl. Abbildung 3) nach dem 1SD-Differenzkriterium gebildeten Teilstichprobe<br />
sowie Abbildung 5 die absolute Anzahl der Fehler für InterOrientierung <strong>und</strong> DualC.<br />
Abb. 4: Mittlere Reaktionszeiten [ms] für InterOrientierung <strong>und</strong> DualC bei Personen ohne Auffälligkeit <strong>und</strong><br />
Personen mit wahrscheinlich alkoholbedingten Beeinträchtigungen.<br />
Abb. 5: Anzahl der Fehler bei InterOrientierung <strong>und</strong> DualC bei Personen ohne Auffälligkeit <strong>und</strong><br />
Personen mit wahrscheinlich alkohlobedingten Beeinträchtigungen.<br />
Diskussion<br />
Der in den Ergebnissen dargestellte Bef<strong>und</strong> kann durch eine Art „Tunnelblick“ erklärt<br />
werden, der tatsächlich nicht die von Buikhuisen <strong>und</strong> Jongman [7] dargestellte Wahrnehmung,<br />
sondern die Aufmerksamkeit betrifft. Dass man be<strong>im</strong> Fahren unter <strong>Alkohol</strong>einfluss<br />
17<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
18<br />
fast nur noch auf die Fahrbahnmitte „sieht“, sollte dann bedeuten, dass man sich auf diese<br />
„konzentriert“. Der visuelle Fokus wird auf einen wesentlichen Umgebungsausschnitt gerichtet<br />
<strong>und</strong> <strong>gegen</strong> den Einfluss zu vieler anderer Umgebungsmerkmale abgeschirmt, die in<br />
alkoholisiertem Zustand in der erforderlichen Zeit nicht mehr mit einbezogen werden können.<br />
Insofern wäre das ein räumliches Fokussieren <strong>und</strong> <strong>im</strong> Effekt durchaus noch mit einer<br />
Wahrnehmungsstörung vereinbar.<br />
Bei der merkmalsselektiven Aufmerksamkeit, wie in dieser Untersuchung geschehen,<br />
wird sich ebenfalls auf ein einziges Merkmal „konzentriert“ <strong>und</strong> dieses <strong>gegen</strong> ein anderes<br />
Merkmal abgeschirmt, das jedoch die gleiche Position innehat wie das zu beachtende.<br />
Gegenüber der räumlich fokussierten Aufmerksamkeit erhöht sich zwar die Reaktionszeit,<br />
jedoch ist dieser Effekt sowohl bei Personen ohne Auffälligkeiten als auch bei Personen<br />
mit alkoholbezogenen Auffälligkeiten als Wirkung der Interferenz nachzuweisen; also<br />
nicht als gestört durch z. B. (früheren) schädlichen <strong>Alkohol</strong>konsum. Der „Tunnelblick“ als<br />
Aufmerksamkeitsdefizit erhält somit eine neue, merkmalsselektive D<strong>im</strong>ension.<br />
Die verteilte Aufmerksamkeit ist nach unseren Ergebnissen <strong>im</strong> Zustand einer wahrscheinlich<br />
alkoholbedingten Beeinträchtigung insofern gestört, als ein zweites Merkmal<br />
nicht mehr in dem Maße in die Gesamtreaktion einbezogen werden kann, wie es Personen<br />
ohne alkoholbezogene Auffälligkeiten gelingt. Nach dem Modell multipler Ressourcen<br />
[20] müssen die Verarbeitungsressourcen innerhalb einer Sinnesmodalität (hier sogar<br />
innerhalb eines Bezugssystems) geteilt werden, so dass die Verarbeitungskapazität bei<br />
Dual-Task-Anforderungen kleiner ist als bei Einzelreaktionen. Die <strong>Alkohol</strong>wirkung könnte<br />
in diesem Sinne als zusätzlich kapazitätsmindernd angesehen werden.<br />
Der Bef<strong>und</strong> dürfte auch deshalb interessant sein, weil es sich um eine andere Spielart<br />
verteilter Aufmerksamkeit handelt als in den weiter oben genannten Taxonomien als prototypisch<br />
angesehen. Bei der „üblichen“ Auslegung von verteilter Aufmerksamkeit ist auf<br />
zwei oder mehr Informationsquellen gleichzeitig zu reagieren, jeweils auf unterschiedliche<br />
Art. Mit diesem Zugang haben Moskowitz <strong>und</strong> Sharma [11] die Versuchspersonen an<br />
einem Per<strong>im</strong>eter auf ein zentrales <strong>und</strong> ein peripheres Signal zugleich reagieren lassen. Auf<br />
periphere optische Reize war mit einem Tastendruck zu reagieren, auf einen zentral blinkenden<br />
Reiz durch Zählen der „blinks“. Unter <strong>Alkohol</strong>einfluss ergaben sich signifikant<br />
mehr nicht entdeckte periphere Reize, jedoch keine höheren Reaktionszeiten auf entdeckte.<br />
Das bedeutet auch, nicht die motorische Reaktion ist gestört, sondern tatsächlich<br />
das Teilen der Aufmerksamkeit.<br />
Dass unter unserer sequentiellen Reaktionsbedingung <strong>im</strong> DualC – Beachten eines zweiten<br />
Merkmals mit Wechsel des Bezugssystems von Orientierung auf Lokation <strong>und</strong> Einhaltung<br />
der Reihenfolge be<strong>im</strong> Reagieren – die Reaktionszeiten steigen, steht nicht <strong>im</strong> Widerspruch<br />
dazu. Die Reaktion R i auf zwei Merkmale S 1 <strong>und</strong> S 2 erfolgt keineswegs in der<br />
Sequenz S 1, R 1, S 2, R 2, sondern als S 1, S 2, R 12. Das heißt, die Reaktion auf zwei Merkmale<br />
wird als Handlungskette kognitiv entworfen <strong>und</strong> motorisch ausgeführt. Der kognitive<br />
Handlungsentwurf enthält die Integrationsleistung S 1, S 2. Deshalb ist das, was in unserem<br />
Bef<strong>und</strong> als Reaktionszeit bezeichnet wird, jener Zeitbedarf, der den Aufwand für die Integrationsleistung<br />
<strong>und</strong> die erste Reaktion enthält. Die Zeit für die zweite Reaktion Rt 2 ist wie<br />
beschrieben wesentlich kürzer als Rt 1 <strong>und</strong> demzufolge eher eine Schätzung der Reaktionszeit<br />
<strong>im</strong> engeren Sinne. Die hier dargestellte Beeinträchtigung dürfte die kognitive Integrationsleistung<br />
als sequentielle Bezugssetzung von S 1 <strong>und</strong> S 2 betreffen, in diesem Sinne auch<br />
ein Verteilen von Aufmerksamkeit auf zwei Merkmale.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Berg / Glaser / Schubert,<br />
Ein Blick auf den „Tunnelblick“: Ein Aufmerksamkeitsdefizit<br />
infolge schädlichen <strong>Alkohol</strong>genusses
Berg / Glaser / Schubert,<br />
Ein Blick auf den „Tunnelblick“: Ein Aufmerksamkeitsdefizit<br />
infolge schädlichen <strong>Alkohol</strong>genusses<br />
Nicht <strong>im</strong> Widerspruch dazu, doch mit höheren Erklärungswert, wird die Fähigkeit zur<br />
Aufmerksamkeitsteilung auch einer zentralen Exekutive des (Kurzzeit-)Arbeitsgedächtnisses<br />
[1] bzw. einem „Supervisory Attentional System“ [16] zugeschrieben. Das beträfe<br />
be<strong>im</strong> Subtest DualC des Corporal den Wechsel der Merkmalsd<strong>im</strong>ension bei gleichem Antwortvektor<br />
<strong>und</strong> das Einhalten der Reihenfolge. Die <strong>Alkohol</strong>wirkung würde dann darin<br />
bestehen, dass die Reaktionen eher unmittelbar ausgeführt werden, ohne diese Überwachungsfunktion.<br />
Das müsste zur Folge haben, dass es zwei typische Arten von Fehlern<br />
gibt: Zum einen das Ausbleiben des Wechsels zwischen Orientierung <strong>und</strong> Lokation, zum<br />
anderen das Nicht-Einhalten der Reihenfolge Orientierung <strong>und</strong> Lokation. Diese Untersuchungen<br />
sowie auch die Betrachtung neurophysiologischer <strong>und</strong> organischer Korrelate sind<br />
weiteren Studien vorbehalten.<br />
Die hier vorgestellten, vornehmlich in der Gr<strong>und</strong>lagenforschung anzusiedelnden, Ergebnisse<br />
weisen eine hohe praktischer Relevanz auf, da sie helfen, diagnostische Prozesse<br />
zu verbessern <strong>und</strong> differenzierte Rehabilitationsmöglichkeiten aufzuzeigen. So besteht ein<br />
Nutzen u. a. darin, psychofunktionale Leistungsbeeinträchtigungen in Zukunft stärker auf<br />
deren Ursachengefüge zu beziehen, z. B. deutlich sagen zu können, dass es sich bei festgestellten<br />
Beeinträchtigungen um alkoholbedingte Beeinträchtigungen als Folge eines früheren<br />
schädlichen <strong>Alkohol</strong>konsums handelt.<br />
Unter methodischem Aspekt weist der hier berichtete Bef<strong>und</strong> auf die diagnostische Bedeutung<br />
intraindividueller Variabilität hin, die bisher kaum Beachtung findet. Es scheint<br />
nämlich sinnvoll, „Beeinträchtigung“ (auch) an der intraindividuell ansonsten möglichen<br />
Leistungsfähigkeit zu messen. Das wäre ein Vergleich einer Testperson mit sich selbst, ein<br />
Messen an einer ipsativen Norm. Dieser diagnostische Vorteil ist allerdings direkt nur in<br />
einem System vergleichbarer Anforderungen zugänglich.<br />
Zusammenfassung<br />
An einer Stichprobe von Personen mit alkoholbezogenen Auffälligkeiten <strong>im</strong> Straßenverkehr konnte bezüglich<br />
der Aufmerksamkeit gezeigt werden, dass ein deutlicher Leistungsabfall von der selektiven zur verteilten Aufmerksamkeit<br />
hin beobachtbar ist. Der Bef<strong>und</strong> ist auf dem 5 %-Niveau signifikant. Zu erklären wäre dieser Bef<strong>und</strong><br />
durch eine Art „Tunnelblick“, der in diesem Falle nicht die von Buikhuisen <strong>und</strong> Jongman (1971) dargestellte<br />
Wahrnehmung, sondern die Aufmerksamkeit betrifft. Es gelingt eben noch, den Aufmerksamkeitsfokus auf<br />
eine Merkmalskombination zu richten <strong>und</strong> <strong>gegen</strong> alles Andere abzuschirmen, jedoch nicht, in eine Antwortsequenz<br />
ein zweites Merkmal zu integrieren <strong>und</strong> darüber hinaus die geforderte Reihenfolge einzuhalten.<br />
Schlüsselwörter<br />
Aufmerksamkeit – Tunnelblick – Testssystem – <strong>Alkohol</strong><br />
Summary<br />
In a sample of persons with alcohol offences in road traffic a serious decrease of performance from selective<br />
to divides attention could be observed, suggesting that a decrease of performance concerning attentional functions<br />
is given at all. The difference is significant on the 5 % level. This finding can be explained by a kind of „tunnel<br />
view“ concerning not perceptual but attentional functions. It is possible to a<strong>im</strong> the focus of attention at a<br />
single combination of object features but not to integrate a second feature into the set of responses by a given<br />
sequence.<br />
19<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
20<br />
Keywords<br />
attention – tunnel vision – test system – substance abuse<br />
Literatur<br />
[1] Baddeley A (1986) Working memory. Oxford University Press, Oxford<br />
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Diagnostik, Beltz, Weinhe<strong>im</strong> <strong>und</strong> Basel, S. 40–82<br />
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Verhaltenstherapie & Verhaltensmedizin 4: 295–310<br />
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[6] Berg M (2007) Corporal – Testsystem zur Erfassung kognitiver Funktionen. Institut für Testentwicklung<br />
<strong>und</strong> -anwendung, Berlin<br />
[7] Buikhuisen W, Jongman R W (1971) Der Einfluß des <strong>Alkohol</strong>s auf das Wahrnehmen von Verkehrssituationen.<br />
Eine exper<strong>im</strong>entelle Untersuchung. Dr. Arthur Tetzlaff-Verlag, Frankfurt am Main<br />
[8] <strong>B<strong>und</strong></strong>esanstalt für Straßenwesen (BASt) (2009) Statistik der Medizinisch-Psychologischen Untersuchungen<br />
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[9] Geißler H G (1976) Bezugssysteme <strong>und</strong> visuelle Informationeverarbeitung. In: Klix F. (Hrsg.) Psychologische<br />
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[11] Moskowitz H A, Sharma S (1974) Effects of alcohol on peripheral vision as a function of attention. Human<br />
Factors 16 (2): 174–180<br />
[12] Neumann O (1992) Theorien der Aufmerksamkeit: von Metaphern zu Mechanismen. Psychologische R<strong>und</strong>schau<br />
43: 83–101<br />
[13] Posner M I, Nissen M J, Ogden W C (1978) Attended and unattended processing modes: The role of set<br />
for spatial location. In: Pick H L, Saltzman E (Eds.) Modes of perceiving and processing of information,<br />
Lawrence Earlbaum, Hillsdale, NJ, pp. 137–157<br />
[14] Sanders A F (1972) Foreperiod duration and the t<strong>im</strong>ecourse of preparation. Acta Psychologica 36 (1): 60–71<br />
[15] Sanders A F (1998) Elements of Human Performance: Reaction Processes and Attention in Human Skill.<br />
Lawrence Erlbaum Associates, Mahwah, NJ<br />
[16] Shallice T (1982) Specific <strong>im</strong>pairments of planning. Philosophical Transactions of the Royal Society London<br />
B 198: 199–209<br />
[17] Sturm W (2005) Aufmerksamkeitsstörungen. Hogrefe, Göttingen<br />
[18] Tversky A, Gati I (1982) S<strong>im</strong>ilarity, separability, and the triangle inequality. Psychological Review 89 (2):<br />
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[19] Van Zomeren A H, Brouwer W H (1994) Clinical Neuropsychology of Attention. Oxford Press, New York<br />
[20] Wickens C D (1984) Processing resources in attention. In: Parasuraman R, Davies R (Eds.) Varieties of<br />
attention), Academic Press, New York, pp. 63–101<br />
Fußnoten<br />
1 ) Institut für Testentwicklung <strong>und</strong> -anwendung, Berlin.<br />
2 ) DEKRA Automobil GmbH, Fachbereich Verkehrspsychologie, Berlin.<br />
3 ) Universität Köln.<br />
4 ) Kein Merkmalsträger„alkoholbezogene Auffälligkeit“.<br />
5 ) Sogenannte Testbatterien, in denen eine Menge von Einzeltests zusammengefasst werden.<br />
Anschrift für die Verfasser<br />
PD Dr. Michael Berg<br />
Institut für Testentwicklung <strong>und</strong> -anwendung (I.T.E.A.)<br />
Kavalierstraße 17<br />
13187 Berlin<br />
E-Mail: itea@aol.com<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Berg / Glaser / Schubert,<br />
Ein Blick auf den „Tunnelblick“: Ein Aufmerksamkeitsdefizit<br />
infolge schädlichen <strong>Alkohol</strong>genusses
Der Weber<br />
zeichnet sich aus durch eine rechtsprechungsorientierte<br />
<strong>und</strong> beson -<br />
ders übersichtliche Erläuterung<br />
des Betäubungsmittelgesetzes einschließlich<br />
der praxisrelevanten<br />
Verordnungen. Der Anhang enthält<br />
den Wortlaut weiterer häufig be -<br />
nötigter Vorschriften.<br />
Die 3. Auflage<br />
verarbeitet 9 Novellen zum<br />
Betäubungsmittelrecht, darunter<br />
■ 8. <strong>und</strong> 9. Zuständigkeits -<br />
anpassungs verordnung<br />
■ 18. bis 22. Verordnung zur<br />
Änderung betäubungsmittel -<br />
rechtlicher Vorschriften mit<br />
Modifikationen der Anlagen<br />
des BtMG<br />
■ Änderungen der Betäubungs -<br />
mittel-Verschreibungs verord -<br />
nung.<br />
Darüber hinaus sind die neueren<br />
rechtspolitischen Entwicklungen<br />
berücksichtigt, etwa zu den Themen<br />
der <strong>Drogen</strong>konsumräume, des<br />
<strong>Drogen</strong>missbrauchs <strong>im</strong> Straßen -<br />
verkehr sowie der europarechtlichen<br />
Einflüsse.<br />
Praktisch unentbehrlich<br />
für Strafverteidiger, Strafrichter,<br />
Staatsanwälte <strong>und</strong> Sachverständige.<br />
Kommentiert Trends.<br />
Der Autor<br />
Dr. Klaus Weber schreibt auf der Gr<strong>und</strong>lage seiner<br />
langjährigen Erfahrungen als Ministerial beamter,<br />
Abteilungsleiter <strong>und</strong> Leiter einer Staats anwaltschaft<br />
sowie zuletzt als Präsident des Landgerichts<br />
Traunstein.<br />
Fax-Coupon<br />
Expl. 978-3-406-58081-9<br />
Weber, Betäubungsmittelgesetz (BtMG)<br />
3. Auflage. 2009. XXVI, 1490 Seiten. In Leinen € 76,–<br />
Name<br />
Straße<br />
PLZ/Ort<br />
Datum/Unterschrift 155110<br />
Bei schriftlicher oder telefonischer Bestellung haben Sie das Recht, Ihre Bestellung innerhalb von<br />
2 Wochen nach Absendung ohne Begründung in Textform (z.B. Brief, Fax, Email) zu widerrufen.<br />
Die rechtzeitige Absendung des Widerrufs innerhalb dieser Frist genügt. Die Frist beginnt nicht<br />
vor Erhalt dieser Belehrung. Der Widerruf ist zu richten an den Lieferanten (Buchhändler, beckshop.de<br />
oder Verlag C.H.Beck, c/o Nördlinger Verlags auslieferung, Augsburger Str. 67a,<br />
86720 Nördlingen). Im Falle eines Widerrufs sind beiderseits empfangene Leistungen zurückzugewähren.<br />
Kosten <strong>und</strong> Gefahr der Rücksendung trägt der Lieferant. Zu denselben Bedingungen<br />
haben Sie auch ein Rückgaberecht für die Erstlieferung innerhalb von 14 Tagen seit Erhalt.<br />
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22 Zur Information<br />
Verkehrsminister einigen sich auf UN-Verkehrssicherheitsplan<br />
Auf der ersten UN-Verkehrssicherheitskonferenz vom 19. bis 20. November 2009 in<br />
Moskau verabschiedeten Verkehrsminister aus 150 Ländern einen gemeinsamen Plan zur<br />
Reduzierung der Verkehrsunfallzahlen weltweit. Bis zum Jahr 2020 sollen Aufklärung <strong>und</strong><br />
Erziehung ebenso wie Kontrolle <strong>und</strong> Sanktionen zu einer deutlichen Verbesserung der Unfallbilanzen<br />
führen.<br />
Nach Angaben der UN ereignen sich jährlich über 90 Prozent der 1,27 Millionen tödlichen<br />
Verkehrsunfälle weltweit in ärmeren Ländern. Jedes zweite Unfallopfer ist ein Fußgänger,<br />
Motorrad- oder Radfahrer.<br />
Die „Moskau-Deklaration“ umfasst eine „Decade of Action for Road Safety“, deren Ziel<br />
es ist, die Zahl der Verkehrsunfälle bis zum Jahr 2020 um die Hälfte zu senken. Verkehrssicherheitsarbeit<br />
auf nationaler Ebene soll besonders den Schutz schwächerer Verkehrsteilnehmer<br />
verfolgen. Angestrebt wird außerdem eine internationale Zusammenarbeit auf<br />
Basis vergleichbarer Standards bei der Verarbeitung von Unfalldaten.<br />
Für die nächsten Jahre rechnet die UN <strong>im</strong> Straßenverkehr mit einem massiven Anstieg<br />
der Zahlen bei Unfallopfern <strong>und</strong> Schwerverletzten von bis zu 60 Prozent. Durch die neuen<br />
Pläne sollen fünf Millionen Menschenleben <strong>und</strong> 50 Millionen Verletzte gerettet werden.<br />
Ein Zwischenbericht ist für 2015 geplant.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Zur Information<br />
Seiten 22–27<br />
(Aus einer Online-Mitteilung des Deutschen Verkehrssicherheitsrates, DVR,<br />
vom 24. November 2009)<br />
First Global Ministerial Conference on Road Safety: T<strong>im</strong>e for Action<br />
Moscow, 19–20 November 2009<br />
Moscow Declaration<br />
We, the Ministers and heads of delegations as well as representatives of international, regional and sub-regional<br />
governmental and nongovernmental organizations and private bodies gathered in Moscow, Russian Federation,<br />
from 19–20 November 2009 for the First Global Ministerial Conference on Road Safety,<br />
Acknowledging the leadership of the Government of the Russian Federation in preparing and hosting this First<br />
Global Ministerial Conference on Road Safety and the leadership of the Government of the Sultanate of Oman in<br />
leading the process for adoption of related United Nations General Assembly resolutions,<br />
Aware that as described in the 2004 World Health Organization/World Bank World report on road traffic injury<br />
prevention and subsequent publications, road traffic injuries are a major public health problem and leading<br />
cause of death and injury aro<strong>und</strong> the world and that road crashes kill more than 1.2 million people and injure or<br />
disable as many as 50 million a year, placing road traffic crashes as the leading cause of death for children and<br />
young people aged 5–29 years,<br />
Concerned that more than 90 % of road traffic deaths occur in low-income and middle-income countries and<br />
that in these countries the most vulnerable are pedestrians, cyclists, users of motorised two- and three-wheelers<br />
and passengers on unsafe public transport,<br />
Conscious that in addition to the enormous suffering caused by road traffic deaths and injuries to vict<strong>im</strong>s and<br />
their families, the annual cost of road traffic injuries in low-income and middle-income countries runs to over<br />
USD 65 billion exceeding the total amount received in development assistance and representing 1–1.5 % of gross<br />
national product, thus affecting the sustainable development of countries,<br />
Convinced that without appropriate action the problem will only worsen in the future when, according to projections,<br />
by the year 2020 road traffic deaths will become one of the leading causes of death particularly for lowincome<br />
and middle-income countries,
Zur Information<br />
Underlining that the reasons for road traffic deaths and injuries and their consequences are known and can be prevented<br />
and that these reasons include inappropriate and excessive speeding; drinking and driving; failure to appropriately<br />
use seat-belts, child restraints, helmets and other safety equipment; the use of vehicles that are old, poorly<br />
maintained or lacking safety features; poorly designed or insufficiently maintained road infrastructure, in particular<br />
infrastructure which fails to protect pedestrians; poor or unsafe public transportation systems; lack of or insufficient<br />
enforcement of traffic legislation; lack of political awareness and lack of adequate trauma care and rehabilitation,<br />
Recognizing that a large proportion of road traffic deaths and injuries occur in the context of professional activities,<br />
and that a contribution can be made to road safety by <strong>im</strong>plementing fleet safety measures,<br />
Aware that over the last thirty years many high-income countries have achieved substantial reductions in road<br />
traffic deaths and injuries through sustained commitment to well-targeted, evidence-based injury prevention programmes,<br />
and that with further effort, fatality free road transport networks are increasingly feasible, and that<br />
high- income countries should, therefore, continue to establish and achieve ambitious road casualty reduction targets,<br />
and support global exchange of good practices in road injury prevention,<br />
Recognizing the efforts made by some low- and middle-income countries to <strong>im</strong>plement best practices, set ambitious<br />
targets and monitor road traffic fatalities,<br />
Acknowledging the work of the United Nations system, in particular the long standing work of the United Nations<br />
Regional Commissions and the leadership of the World Health Organization, to advocate for greater political<br />
commitment to road safety, increase road safety activities, promote best practices, and coordinate road safety<br />
issues within the United Nations system,<br />
Also acknowledging the progress of the United Nations Road Safety Collaboration as a consultative mechanism<br />
whose members are committed to road safety and whose activities include providing governments and civil<br />
society with guidance on good practice to support action to tackle major road safety risk factors,<br />
Acknowledging the work of other stakeholders, including intergovernmental agencies; regional financial institutions,<br />
nongovernmental and civil society organizations, and other private bodies,<br />
Acknowledging the role of the Global Road Safety Facility established by the World Bank as the first f<strong>und</strong>ing<br />
mechanism to support capacity building and provide technical support for road safety at global, regional and<br />
country levels,<br />
Acknowledging the report of the Commission for Global Road Safety Make roads safe: a new priority for sustainable<br />
development which links road safety with sustainable development and calls for increased resources<br />
and a new commitment to road infrastructure safety assessment,<br />
Acknowledging the findings of the report of the International Transport Forum and the Organisation for Economic<br />
Co-operation and Development Towards zero: ambitious road safety targets and the safe system approach<br />
and its recommendation that all countries regardless of their level of road safety performance move to a safe system<br />
approach to achieve ambitious targets,<br />
Acknowledging the findings of the World Health Organization/UNICEF World report on child injury prevention<br />
which identifies road traffic injuries as the leading cause of all unintentional injuries to children and describes<br />
the physical and developmental characteristics which place children at particular risk,<br />
Recognizing that the solution to the global road safety crisis can only be <strong>im</strong>plemented through multi-sectoral<br />
collaboration and partnerships among all concerned in both public and private sectors, with the involvement of<br />
civil society,<br />
Recognizing that road safety is a ‘cross cutting’ issue which can contribute significantly to the achievement of<br />
the Millennium Development Goals and that capacity building in road traffic injury prevention should be fully integrated<br />
into national development strategies for transport, environment and health, and supported by multilateral<br />
and bilateral institutions through a better aligned, effective, and harmonized aid effort,<br />
Conscious that global results are the effect of national and local measures and that effective actions to <strong>im</strong>prove<br />
global road safety require strong political will, commitment and resources at all levels: national and sub-national,<br />
regional and global,<br />
Welcoming the World Health Organization’s Global status report on road safety – the first country by country<br />
assessment at global level – which identifies gaps and sets a baseline to measure future progress,<br />
Also welcoming the results of the projects <strong>im</strong>plemented by the United Nations regional commissions to assist<br />
low-income and middle-income countries in setting their own road traffic casualty reduction targets, as well as<br />
regional targets,<br />
Determined to build on existing successes and learn from past experiences,<br />
Hereby resolve to:<br />
1. Encourage the <strong>im</strong>plementation of the recommendations of the World report on road traffic injury prevention,<br />
2. Reinforce governmental leadership and guidance in road safety, including by designating or strengthening<br />
lead agencies and related coordination mechanisms at national or sub-national level;<br />
3. Set ambitious yet feasible national road traffic casualty reduction targets that are clearly linked to planned<br />
investments and policy initiatives and mobilize the necessary resources to enable effective and sustainable<br />
<strong>im</strong>plementation to achieve targets in the framework of a safe systems approach;<br />
23<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
24 Zur Information<br />
4. Make particular efforts to develop and <strong>im</strong>plement policies and infrastructure solutions to protect all road<br />
users in particular those who are most vulnerable such as pedestrians, cyclists, motorcyclists and users of<br />
unsafe public transport, as well as children, the elderly and people living with disabilities;<br />
5. Begin to <strong>im</strong>plement safer and more sustainable transportation, including through land-use planning initiatives<br />
and by encouraging alternative forms of transportation;<br />
6. Promote harmonization of road safety and vehicle safety regulations and good practices through the <strong>im</strong>plementation<br />
of relevant United Nations resolutions and instruments and the series of manuals issued by<br />
the United Nations Road Safety Collaboration;<br />
7. Strengthen or maintain enforcement and awareness of existing legislation and where needed <strong>im</strong>prove<br />
legislation and vehicle and driver registration systems using appropriate international standards;<br />
8. Encourage organizations to contribute actively to <strong>im</strong>proving work-related road safety through adopting the<br />
use of best practices in fleet management;<br />
9. Encourage collaborative action by fostering cooperation between relevant entities of public administrations,<br />
organizations of the United Nations system, private and public sectors, and with civil society;<br />
10. Improve national data collection and comparability at the international level, including by adopting the<br />
standard definition of a road death as any person killed <strong>im</strong>mediately or dying within 30 days as a result of<br />
a road traffic crash and standard definitions of injury; and facilitating international cooperation to develop<br />
reliable and harmonized data systems;<br />
11. Strengthen the provision of prehospital and hospital trauma care, rehabilitation services and social reintegration<br />
through the <strong>im</strong>plementation of appropriate legislation, development of human capacity and <strong>im</strong>provement<br />
of access to health care so as to ensure the t<strong>im</strong>ely and effective delivery to those in need;<br />
Invite the United Nations General Assembly to declare the decade 2011–2020 as the “Decade of Action for<br />
Road Safety” with a goal to stabilize and then reduce the forecast level of global road deaths by 2020;<br />
Decide to evaluate progress five years following the First Global Ministerial Conference on Road Safety;<br />
Invite the international donor community to provide additional f<strong>und</strong>ing in support of global, regional and<br />
country road safety, especially in low- and middle-income countries; and<br />
Invite the UN General Assembly to assent to the contents of this declaration.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
The role of the drinking driver in traffic accidents<br />
(THE GRAND RAPIDS STUDY)<br />
R. F. Borkenstein<br />
R. F. Crowther, R. P. Shumate, W. B. Ziel, R. Zylman<br />
1974:<br />
Second Edition prepared especially for BLUTALKOHOL<br />
(Re-edited by R. F. Borkenstein)<br />
CENTER FOR STUDIES OF LAW IN ACTION<br />
DEPARTMENT OF FORENSIC STUDIES<br />
(formerly Department of Police Administration)<br />
INDIANA UNIVERSITY<br />
BLOOMINGTON, INDIANA U.S.A.<br />
132 pages, stitched, 14,33 €, US $ 20,–<br />
Steintor-Verlag GmbH, Grapengießerstraße 30, 23556 Lübeck,<br />
Postfach 32 48, 23581 Lübeck<br />
20 November 2009<br />
Moscow, Russian Federation
Zur Information<br />
ETSC urges Irish government to lower drink drive l<strong>im</strong>it<br />
European Transport Safety Council 1 ) urges the Irish Government to introduce its life saving<br />
legislation, which will provide for a new lower drink drive l<strong>im</strong>it. The drink drive l<strong>im</strong>it<br />
is currently 0.08 g/dL in Ireland, making it the highest in the EU with Malta and the UK.<br />
The proposed lower l<strong>im</strong>it of 0.05 for drivers and 0.02 for professional and novice drivers<br />
will also bring Ireland into line with the other EU member states and the European Commission’s<br />
recommendation 2 ).<br />
Speaking from Brussels, Mr. Antonio Avenoso, Executive Director of the European<br />
Transport Safety Council (ETSC) said: “We cannot <strong>und</strong>erest<strong>im</strong>ate what a significant milestone<br />
this is for both the Irish Government and the Irish people. Minister Noel Dempsey<br />
T.D. and his colleagues should lower the drink drive l<strong>im</strong>it, a move that can and will only<br />
lead to safer roads, fewer lives lost and more injuries prevented. By keeping the current<br />
BAC l<strong>im</strong>it, Ireland risks to soon stand alone among EU countries with irresponsibly high<br />
legal l<strong>im</strong>it.”<br />
“There is overwhelming evidence to support lowering the drink-drive l<strong>im</strong>it from 0.08 to<br />
0.05. For example, in Switzerland, the l<strong>im</strong>it was reduced from 0.08 to 0.05 on 1st<br />
January 2005. The period 2006 to 2008 saw 44 % less alcohol related road deaths<br />
than the period 2002 to 2004 3 ). A s<strong>im</strong>ilar drop in alcohol related deaths occurred also in<br />
Austria, whose l<strong>im</strong>it was reduced from 0.08 to 0.05 in 1998”, he added.<br />
“Ireland has made great strides in becoming one of the top performing countries in the<br />
EU for road safety. In just 8 years, the country has seen a 32 % reduction in the number of<br />
road deaths, from 411 in 2001 to 279 in 2008. However, many other EU countries have<br />
begun to <strong>im</strong>prove their track record on road safety and Ireland will have to continue <strong>im</strong>plementing<br />
<strong>im</strong>portant and proven road safety measures if it does not want to be left behind.<br />
With 63 deaths per million on Irish roads, Ireland comfortably sits below the EU average<br />
of 79 deaths per million.”<br />
“But despite recent <strong>im</strong>provements in Ireland’s road safety record, it is still est<strong>im</strong>ated that<br />
up to 100 people die from alcohol related collisions on Irish roads every year. 100 people<br />
who need not have died and whose families continue to grieve for what could have been a<br />
preventable tragedy. Lowering the l<strong>im</strong>it is the right choice and I applaud the Irish Government<br />
for choosing to do so,” Mr. Avenoso concluded.<br />
(Aus einer Online-Mitteilung des European Transport Safety Council, ETSC,<br />
vom 23. Oktober 2009)<br />
1 ) The European Transport Safety Council (ETSC) is a Brussels-based independent non-profit making organisation<br />
dedicated to the reduction of the number and severity of transport crashes in Europe. The ETSC seeks to<br />
identify and promote research-based measures with a high safety potential. It brings together 42 national and<br />
international organisations concerned with transport safety from across Europe. See http://www.etsc.eu<br />
2 ) European Community. Commission Recommendation 2001/116/EC of 17 January 2001 on the max<strong>im</strong>um permitted<br />
blood alcohol content (BAC) for drivers of motorised vehicles. (Official Journal of the European Communities,<br />
No. L 43, 14 February 2001, pp. 31–33).<br />
3 ) Alcohol-related deaths relatively decreased by 24 %, as the number of non-alcohol related deaths fell down by<br />
26 % between 2006 to 2008 and 2002 to 2004.<br />
25<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
26 Zur Information<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Kanada: <strong>Alkohol</strong> am Steuer – Gespräche statt<br />
passiver Aufklärung * )<br />
Eine Studie kanadischer Wissenschaftler kommt zu dem Ergebnis, dass motivierende<br />
Gesprächsführung eine bessere Wirkung erzielen kann als passive Aufklärungsprogramme.<br />
Fahren unter <strong>Alkohol</strong>einfluss ist eine der Hauptunfallursachen <strong>im</strong> Straßenverkehr. Viele<br />
wiederholt auffällige Autofahrer verweigern die Teilnahme an Sucht- oder Präventionsprogrammen.<br />
Unfälle <strong>im</strong> Straßenverkehr sind die Haupttodesursache bei Jugendlichen.<br />
<strong>Alkohol</strong> ist bei einem Drittel dieser Unfälle <strong>im</strong> Spiel. Während die Mehrzahl der Fahrer,<br />
die einmalig wegen <strong>Alkohol</strong> am Steuer verurteilt wurden, an Präventionsprogrammen teiln<strong>im</strong>mt,<br />
umgehen Wiederholungstäter die obligatorischen Programme.<br />
Für die Studie untersuchten die Forscher zwei Gruppen von Fahrern mit <strong>Alkohol</strong>problemen:<br />
Eine Gruppe absolvierte eine 30-minütige Sitzung, in der die so genannte „motivierende<br />
Gesprächsführung“ zum Einsatz kam. Aktives Zuhören, Wertschätzung <strong>und</strong> Akzeptanz<br />
des Problems standen <strong>im</strong> Vordergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> Lösungsstrategien wurden gemeinsam mit<br />
den Betroffenen entwickelt. Die andere Gruppe nahm an einem passiven Aufklärungsgespräch<br />
teil, das über Gefahren <strong>und</strong> Folgen von <strong>Alkohol</strong> <strong>im</strong> Straßenverkehr informierte. In<br />
Abständen von sechs Monaten wurden bei beiden Gruppen eventuelle Rückfälle dokumentiert.<br />
Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass motivierende Gesprächsführung <strong>und</strong> das Setzen<br />
persönlicher Ziele weitaus effektiver sind als passive Aufklärungsgespräche. Es sei für<br />
die betroffene Person leichter, eigene Ziele zu verfolgen <strong>und</strong> zu akzeptieren als Vorgaben,<br />
die von außen gesetzt werden.<br />
(Aus einer Online-Mitteilung des Deutschen Verkehrssicherheitsrates – DVR –<br />
vom 24. November 2009)<br />
* ) Die Ergebnisse der Studie von Thomas G. Brown et. al. werden voraussichtlich in der Februar-Ausgabe 2010<br />
des Fachmagazins „Alcoholism: Clinical & Exper<strong>im</strong>ental Research“ unter dem Titel „Brief Motivational<br />
Interviewing for DWI Recidivists Who Abuse Alcohol and Are Not Participating in DWI Intervention:<br />
A Randomized Controlled Trial“ veröffentlicht. Online kann der Beitrag bereits unter<br />
http://www3.interscience.wiley.com/journal/123188858/abstract eingesehen werden.
Zur Information<br />
Verlängerung der Laufzeit „Zweite Ausbildungsphase“<br />
<strong>im</strong> Rahmen der Fahranfängerausbildung<br />
Über die Weiterführung der <strong>im</strong> Rahmen der Fahranfängerfortbildungsmaßnahmen laufenden<br />
Modellversuche „Zweite Ausbildungsphase“ <strong>und</strong> „Begleitetes Fahren ab 17“ soll<br />
gemeinsam auf der Gr<strong>und</strong>lage einer wissenschaftlichen Evaluation, deren Ergebnisse <strong>im</strong><br />
Laufe des Jahres 2010 vorliegen, entschieden werden. Das Konzept der „Zweiten Ausbildungsphase“<br />
ist jedoch nur bis zum 31.12. 2009 befristet, das „Begleitete Fahren ab 17“<br />
hin<strong>gegen</strong> bis zum 31.12. 2010.<br />
Um in einem gemeinsamen Konzept nach § 6 Abs. 1 bzw. § 48b FeV über die Weiterführung<br />
dieser beiden Maßnahmen entscheiden zu können, ist eine Verlängerung der Laufzeit<br />
der „Zweiten Ausbildungsphase“ um ein Jahr notwendig.<br />
Aus diesem Gr<strong>und</strong> hat das <strong>B<strong>und</strong></strong>esministerium für Verkehr, Bau <strong>und</strong> Stadtentwicklung<br />
mit der Verordnung zur Änderung von Verordnungen über die Fahranfängerfortbildung<br />
(BR-Drucksache 814/09) vom 05. November 2009 Folgendes beschlossen:<br />
In Artikel 3 der Verordnung über die freiwillige Fortbildung von Inhabern der Fahrerlaubnis<br />
auf Probe <strong>und</strong> zur Änderung der Gebührenordnung für Maßnahmen <strong>im</strong> Straßenverkehr<br />
vom 16. Mai 2003 (BGBl. I S. 709) werden die Wörter „<strong>und</strong> mit Ablauf des<br />
31. Dezember 2009 außer Kraft“ gestrichen.<br />
Der Fahranfängerfortbildungsverordnung vom 16. Mai 2003 (BGBl. I S. 709), die durch<br />
Artikel 8b der Verordnung vom 25. April 2006 (BGBl. I S. 988) geändert worden ist, wird<br />
folgender § 9 angefügt:<br />
„§ 9<br />
Außerkrafttreten<br />
Diese Verordnung tritt am 31. Dezember 2010 außer Kraft.“<br />
(Aus der BT-Drucksache 814/09 vom 05. November 2009)<br />
27<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
28 Rechtsprechung<br />
01. 1. Bei einem <strong>Blutalkohol</strong>gehalt von r<strong>und</strong> 3 g<br />
Promille kann eine Schuldfähigkeit des Angeklagten<br />
jedenfalls dann nicht ohne Hinzuziehung eines<br />
medizinischen Sachverständigen ausreichend sicher<br />
festgestellt werden, wenn der Angeklagte eine<br />
Lebervorschädigung aufwies <strong>und</strong> längere Zeit alkoholabstinent<br />
gelebt hatte oder wenn er zugleich<br />
nicht unerheblich mit einem Betäubungsmittelwirkstoff<br />
(hier: THC) intoxiert war.<br />
*) 2. Bei Berechnung des <strong>Blutalkohol</strong>wertes ist<br />
bei der Rückrechnung vom Zeitpunkt der Blutentnahme<br />
auf die Tatzeit neben dem stündlichen Abbauwert<br />
von 0,2 ‰ zusätzlich ein einmaliger Sicherheitszuschlag<br />
von 0,2 ‰ anzusetzen.<br />
Oberlandesgericht Oldenburg,<br />
Beschluss vom 03. November 2009 – 1 Ss 167/09 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Das Amtsgericht Delmenhorst – Schöffengericht –<br />
hat die Angeklagten am 29. Januar 2009 wegen gemeinschaftlich<br />
versuchten schweren Raubes in Tateinheit<br />
mit gemeinschaftlich gefährlicher Körperverletzung<br />
<strong>und</strong> gemeinschaftlicher Sachbeschädigung, den<br />
Angeklagten K. zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren<br />
<strong>und</strong> den Angeklagten M. zu einer Freiheitsstrafe von<br />
2 Jahren <strong>und</strong> 6 Monaten verurteilt. Die von den Angeklagten<br />
<strong>gegen</strong> dieses Urteil eingelegten Berufungen<br />
hat das Landgericht Oldenburg am 27. Mai 2009 mit<br />
der Maßgabe verworfen, dass sie wegen vollendeten<br />
gemeinschaftlich begangenen schweren Raubes in<br />
Tateinheit mit gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung<br />
in Tateinheit mit gemeinschaftlicher<br />
Sachbeschädigung verurteilt werden.<br />
Gegen dieses Urteil haben die Angeklagten K.<br />
<strong>und</strong> M. jeweils Revision eingelegt, mit denen sie die<br />
Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts rügen.<br />
Die Rechtsmittel sind zulässig <strong>und</strong> teilweise begründet.<br />
Aus den Gründen:<br />
Die vom Angeklagten K. erhobene Aufklärungsrüge,<br />
mit der geltend gemacht wird, das Landgericht<br />
habe ein medizinisches Sachverständigengutachten<br />
einholen müssen, das seine Schuldunfähigkeit ergeben<br />
hätte, ist zulässig erhoben <strong>und</strong> begründet. Das Landgericht<br />
hat insoweit ent<strong>gegen</strong> § 244 Abs. 2 StPO seine<br />
Beweisaufnahme nicht auf alle Beweismittel erstreckt,<br />
die für die Entscheidung von Bedeutung waren. Angesichts<br />
des von ihm festgestellten sehr hohen <strong>Blutalkohol</strong>wertes<br />
des Angeklagten von ca. 3 ‰ <strong>im</strong> Zeitpunkt<br />
der Tat bei bestehender Lebervorschädigung <strong>und</strong> vorangegangener<br />
zweijähriger <strong>Alkohol</strong>abstinenz drängte<br />
sich die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens<br />
zur Klärung einer in Betracht kom-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Rechtsprechung<br />
Die mit einem *) bezeichneten Leitsätze sind von der Schriftleitung formuliert worden.<br />
Seiten 28–60<br />
menden (vgl. BGH NJW 1989, 779) Schuldunfähigkeit<br />
des Angeklagten so sehr auf, dass dem zur Wahrheitsermittlung<br />
nachzugehen war, ohne dass es eines<br />
dahingehenden Beweisantrages oder einer Beweisanregung<br />
des Angeklagten bedurft hätte.<br />
Die vom Angeklagten M. erhobene Sachrüge ist<br />
hinsichtlich des Schuld- <strong>und</strong> Strafausspruches begründet.<br />
Bei Berechnung des <strong>Blutalkohol</strong>wertes hat das<br />
Landgericht übersehen, dass bei der Rückrechnung<br />
vom Zeitpunkt der Blutentnahme auf die Tatzeit neben<br />
dem stündlichen Abbauwert von 0,2 ‰ zusätzlich ein<br />
einmaliger Sicherheitszuschlag von 0,2 ‰ anzusetzen<br />
ist (vgl. Fischer, StGB, § 20 Rdn. 13 m. w. Nachw.).<br />
Bei Einbeziehung eines solchen Zuschlags hätte sich<br />
ein <strong>Blutalkohol</strong>wert des Angeklagten zum Tatzeitpunkt<br />
von 3 ‰ ergeben. Dieser sehr hohe Wert legt die<br />
Möglichkeit nahe, dass der Angeklagte zur Tatzeit<br />
nicht mehr schuldfähig war. Dies hat das Landgericht<br />
zwar geprüft, allerdings nur lückenhaft <strong>und</strong> deshalb<br />
rechtsfehlerhaft. Denn es hat insoweit lediglich auf<br />
den Eindruck abgestellt, den die Zeugen M., B. <strong>und</strong> S.<br />
vor <strong>und</strong> nach der Tat vom Angeklagten hatten. Wegen<br />
der ebenfalls festgestellten nicht unbeträchtlichen<br />
THC-Intoxikation des Angeklagten M. in Verbindung<br />
mit dem sehr hohen <strong>Blutalkohol</strong>wert konnte das Landgericht<br />
allein aufgr<strong>und</strong> dieser Zeugenaussagen, zumal<br />
diese wenig konkret waren, aber nicht ausreichend sicher<br />
eine Schuldunfähigkeit des Angeklagten ausschließen.<br />
Eine sichere Feststellung, dass der Angeklagte<br />
nicht schuldunfähig war, konnte nach Lage des<br />
Falles vielmehr nur mit Hilfe eines medizinischen<br />
Sachverständigen erlangt werden.<br />
Auf den aufgezeigten Rechtsfehlern können die<br />
Schuld- <strong>und</strong> der Strafaussprüche beruhen. Denn <strong>im</strong><br />
Falle einer festgestellten Schuldunfähigkeit hätten die<br />
Angeklagten nicht wie geschehen verurteilt werden<br />
können.<br />
Das angefochtene Urteil war deshalb in den die<br />
revisionsführenden Angeklagten betreffenden Schuld<strong>und</strong><br />
Strafaussprüchen mit den zugehörigen Feststellungen<br />
aufzuheben, ohne dass es noch eines Eingehens<br />
auf die weiteren Revisionsrügen, soweit sie sich <strong>gegen</strong><br />
den Schuld- bzw. Strafausspruch richten, bedurfte.<br />
(Mitgeteilt vom 1. Strafsenat des Oberlandesgerichtes<br />
Oldenburg)<br />
02. 1. Stehen zwei Ordnungswidrigkeiten, die<br />
jeweils mit einem Fahrverbot geahndet werden<br />
könnten, in Tatmehrheit, so kann in dem diese<br />
Taten gleichzeitig aburteilenden Urteil nur auf ein<br />
Fahrverbot erkannt werden.<br />
*) 2. Eine unlösbare innere Verknüpfung zweier<br />
Handlungen, die über die bloße Gleichzeitigkeit
ihrer Ausführung hinausginge, liegt nicht vor, wenn<br />
der Täter mit einem Kraftfahrzeug unter Wirkung<br />
berauschender Mittel fährt <strong>und</strong> hierbei Betäubungsmittel<br />
ohne einen erkennbaren Beziehungsbzw.<br />
Bedingungszusammenhang als Teil seines persönlichen<br />
Gewahrsams mit sich führt.<br />
Oberlandesgericht Hamm,<br />
Beschluss vom 27. Oktober 2009 – 3 Ss OWi 451/09 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässigen<br />
Führens eines Kraftfahrzeuges unter Wirkung<br />
berauschender Mittel (Morphin, Kokain <strong>und</strong> Benzoylecgonin)<br />
in zwei Fällen zu Geldbußen von jeweils 750<br />
Euro verurteilt <strong>und</strong> <strong>gegen</strong> ihn zwei Fahrverbote von jeweils<br />
drei Monaten unter Gewährung der sog. „Viermonatsfrist“<br />
verhängt.<br />
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr<br />
der Betroffene am 25. 09. 2008 <strong>und</strong> am 28. 09. 2008<br />
öffentliche Straßen mit einem PKW, wobei er unter<br />
Wirkung der o. g. berauschenden Mittel stand.<br />
Gegen das Urteil wendet sich der Betroffene mit der<br />
Rechtsbeschwerde <strong>und</strong> rügt die Verletzung formellen<br />
<strong>und</strong> materiellen Rechts.<br />
Die Sache war zur Fortbildung des Rechts gem.<br />
§ 80a Abs. 3 OWiG dem Bußgeldsenat in der Besetzung<br />
mit drei Richtern zu übertragen. Die Frage, ob<br />
zwei in Tatmehrheit zueinander stehende Ordnungswidrigkeiten<br />
in einem Urteil (neben zwei Geldbußen<br />
auch) mit zwei (dre<strong>im</strong>onatigen) Fahrverboten geahndet<br />
werden können oder ob vielmehr in einem Urteil<br />
wegen mehrerer Taten nur auf ein einheitliches Fahrverbot<br />
erkannt werden kann, stellt eine Rechtsfrage<br />
dar, die vorliegend entscheidungserheblich, klärungsbedürftig<br />
<strong>und</strong> abstraktionsfähig ist. Der Umstand, dass<br />
bereits einige Oberlandesgerichte diese Frage <strong>im</strong> letztgenannten<br />
Sinne entschieden haben, steht einer Übertragung<br />
zur Fortbildung des Rechts nicht ent<strong>gegen</strong>, da<br />
diese auch dann angängig ist, wenn es erst vereinzelte<br />
obergerichtliche Entscheidungen zu der Rechtfrage<br />
gibt <strong>und</strong> die Entscheidung zur Festigung der Rechtsprechung<br />
beiträgt (vgl. KG Berlin NZV 1992, 162;<br />
OLG Hamm NJW 1972, 1061). So verhält es sich hier.<br />
Die nachfolgend geschilderte Rechtsprechung zu der<br />
aufgezeigten Frage gilt es zu festigen, zumal bisher<br />
– soweit ersichtlich – eine Entscheidung des hiesigen<br />
Oberlandesgerichts hierzu noch nicht ergangen ist.<br />
Aus den Gründen:<br />
Die Rechtsbeschwerde hat auf die Sachrüge hin geringfügigen<br />
Erfolg.<br />
1. Die Verhängung zweier Fahrverbote von jeweils<br />
drei Monaten begegnet durchgreifenden rechtlichen<br />
Bedenken. Stehen zwei Ordnungswidrigkeiten, die jeweils<br />
mit einem Fahrverbot geahndet werden könnten,<br />
in Tatmehrheit, so kann nach der bisher ergangenen<br />
obergerichtlichen Rechtsprechung in dem diese Ordnungswidrigkeiten<br />
gleichzeitig aburteilenden Urteil<br />
nur auf ein Fahrverbot erkannt werden (vgl. BayObLG<br />
Beschl. v. 21.11.1995 – 1 ObOWi 595/95 – juris; OLG<br />
Rechtsprechung<br />
29<br />
Brandenburg VRS 106, 212, 213; OLG Düsseldorf<br />
NZV 1998, 298; OLG Düsseldorf NZV 1998, 512,<br />
513; Göhler-Gürtler OWiG 15. Aufl. § 20 Rdn. 6 <strong>und</strong><br />
Göhler-Seitz a. a. O. § 66 Rdn. 24). Dies wird auf drei<br />
Argumente gestützt (OLG Brandenburg VRS 106,<br />
212, 213):<br />
– Parallele zum Strafrecht: Dort darf neben einer<br />
Gesamtstrafe auch nur auf ein Fahrverbot erkannt werden.<br />
– Die Funktion des Fahrverbots als Denkzettel- <strong>und</strong><br />
Besinnungsmaßnahme verlangt eine Gesamtbetrachtung<br />
aller zu ahndenden Ordnungswidrigkeiten <strong>und</strong><br />
damit die Prüfung – <strong>und</strong> eventuelle Anordnung – nur<br />
eines Fahrverbots.<br />
– Da das Gesetz nicht erlaubt, zwei gleichzeitig<br />
rechtskräftig gewordene Fahrverbote nacheinander zu<br />
vollstrecken, wäre es sinnlos, mehrere Fahrverbote<br />
nebeneinander anzuordnen.<br />
Der Senat schließt sich dieser Ansicht an. Zwar vermag<br />
das Argument der Parallele zum Strafrecht wenig<br />
zu überzeugen, da dort nach den Regelungen der §§ 53 f.<br />
StGB auch eine Gesamtstrafe, also eine einheitliche<br />
Hauptsanktion, <strong>im</strong> Falle der Tatmehrheit gebildet<br />
wird, während <strong>im</strong> Ordnungswidrigkeitenrecht nach<br />
§ 20 OWiG das Kumulationsprinzip gilt, so dass die<br />
beiden Sanktionssysteme insoweit gar nicht vergleichbar<br />
sind. Die weiteren Argumente der zitierten Rechtsprechung<br />
überzeugen aber. Das Fahrverbot hat Denkzettel-<br />
<strong>und</strong> Besinnungsfunktion. Wie der Rahmen von<br />
ein bis drei Monaten Dauer (§ 25 Abs. 1 StVG) zeigt,<br />
geht der Gesetzgeber davon aus, dass diese Funktion<br />
in diesem Rahmen auch zu erzielen ist, ein längerfristiges<br />
Fahrverbot insoweit also nicht erforderlich ist<br />
(BayObLG a. a. O.). Gr<strong>und</strong>sätzlich würden zwei in<br />
einem Erkenntnis verhängte Fahrverbote auch zeitgleich<br />
vollstreckt werden, denn sie würden beide mit<br />
der Rechtskraft der Entscheidung wirksam, was eine<br />
doppelte Anordnung sinnlos machen würde. Auch in<br />
dem Falle der Gewährung der sog. „Viermonatsfrist“<br />
(§ 25 Abs. 2a StVG) – wie hier – gilt nichts anderes.<br />
Auch hier würden die Fahrverbote mit Ablieferung<br />
des Führerscheins oder spätestens vier Monate nach<br />
Rechtskraft wirksam werden. Entsprechendes gilt<br />
gem. § 25 Abs. 5 StVG bei ausländischen Fahrerlaubnissen.<br />
Aus § 25 Abs. 2a S. 2 StVG lässt sich nichts<br />
anderes herleiten, da diese Vorschrift die Verhängung<br />
von Fahrverboten in unterschiedlichen Verfahren betrifft<br />
(„weitere Fahrverbote rechtskräftig verhängt“;<br />
i. E. auch OLG Brandenburg a. a. O.). Schließlich<br />
spricht <strong>gegen</strong> eine Kumulation von Fahrverboten<br />
auch, dass eine solche gesetzlich nicht ausdrücklich<br />
vorgesehen ist. Der Umstand, dass dies nicht der Fall<br />
ist, während in § 20 OWiG bezüglich der Geldbußen<br />
insoweit eine ausdrückliche Regelung getroffen<br />
wurde, zeigt, dass eine Kumulation von Fahrverboten<br />
auch nicht möglich sein soll. Dass die Bußgeldbehörde<br />
dies alles ggf. unterlaufen könnte, indem sie für jede<br />
Ordnungswidrigkeit getrennte Bußgeldbescheide erlässt<br />
(vgl. dazu Bohnert in KK-OWiG 3. Aufl. § 20<br />
Rdn. 7) steht dem nicht ent<strong>gegen</strong>. In diesen Fällen<br />
könnte, wenn bereits ein Fahrverbot rechtskräftig ver-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
30 Rechtsprechung<br />
hängt war, ggf. bei der Ahndung der weiteren Ordnungswidrigkeit<br />
berücksichtigt werden, ob nicht insoweit<br />
bereits die Denkzettel- <strong>und</strong> Besinnungsfunktion<br />
durch das erste Fahrverbot erreicht wird.<br />
Der Senat konnte das zweite Fahrverbot gem. § 79<br />
Abs. 6 OWiG selbst in Wegfall bringen, da eine andere<br />
Entscheidung als die getroffene insoweit nicht<br />
in Betracht kam.<br />
2. Die weitergehende Rechtsbeschwerde ist offensichtlich<br />
unbegründet i. S. v. § 79 Abs. 3 OWiG i.V. m.<br />
§ 349 Abs. 2 StPO. Die Überprüfung des angefochtenen<br />
Urteils aufgr<strong>und</strong> der Rechtsbeschwerderechtfertigung<br />
hat keine Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen<br />
ergeben. Näherer Erörterung bedarf nur Folgendes:<br />
Das Amtsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass das<br />
Strafverfahren, dem der Besitz von Betäubungsmitteln<br />
bei den hier verfahrens<strong>gegen</strong>ständlichen Taten zu<br />
Gr<strong>und</strong>e lag, einer gesonderten Verfolgung <strong>und</strong> Aburteilung<br />
der vorliegenden Ordnungswidrigkeiten nicht<br />
ent<strong>gegen</strong>steht. Ein Verfolgungshindernis wegen eines<br />
Verstoßes <strong>gegen</strong> das Doppelverfolgungsverbot besteht<br />
nicht. Es handelt sich um zwei sachlich-rechtliche<br />
Taten, die auch gr<strong>und</strong>sätzlich prozessual selbständig<br />
sind. Eine unlösbare innere Verknüpfung zweier<br />
Handlungen, die über die bloße Gleichzeitigkeit ihrer<br />
Ausführung hinausginge, liegt nicht vor, wenn der<br />
Täter mit einem Kraftfahrzeug unter Wirkung berauschender<br />
Mittel fährt <strong>und</strong> hierbei Betäubungsmittel<br />
ohne einen erkennbaren Beziehungs- bzw. Bedingungszusammenhang<br />
als Teil seines persönlichen Gewahrsams<br />
mit sich führt (BGH NStZ 2004, 694, 695<br />
[= BA 2005, 242]; vgl. auch: Senatsbeschluss vom<br />
14.07.2009 – 3 Ss OWi 355/09 –).<br />
Die Annahme, dass der Betroffene bei den Fahrten<br />
unter der Wirkung berauschender Mittel (§ 24a StVG)<br />
stand, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die bei<br />
ihm ermittelten Konzentrationen der in der Anlage zu<br />
§ 24a StVG genannten berauschenden Substanzen<br />
lagen (mit Ausnahme der Kokainkonzentration bei der<br />
zweiten Tat) jeweils (z. T. deutlich) über den Grenzwerten<br />
der Grenzwertkommission (vgl. dazu Hentschel/König/Dauer<br />
StVG § 24a Rdn. 21a).<br />
Auch die Bußgeldbemessung begegnet keinen<br />
rechtlichen Bedenken. Da <strong>im</strong> Verkehrszentralregister<br />
bereits mehrere Entscheidungen nach §§ 316, 315c<br />
Abs. 1 Nr. 1 lit. a StGB eingetragen waren, war vom<br />
Regelsatz von 750 Euro gem. Ziff. 242.2 BKatV auszugehen.<br />
Die Feststellungen zu den persönlichen <strong>und</strong><br />
wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen reichen<br />
aus <strong>und</strong> stehen der Anwendung des Regelsatzes nicht<br />
ent<strong>gegen</strong>. Dem Betroffenen stehen monatlich etwa<br />
1500 Euro, abzgl. 200 Euro Unterhaltszahlungen, zur<br />
Verfügung. Insoweit ist die Ahndung der beiden Verstöße<br />
mit dem Regelsatz von jeweils 750 Euro (wegen<br />
der Voreintragungen) ersichtlich nicht übermäßig. Der<br />
Betroffene kann die Geldbußen, auf deren Zahlung er<br />
sich mit zeitlichem Vorlauf einstellen kann, aus seinem<br />
laufenden Einkommen erbringen, ohne selbst hilfsbedürftig<br />
zu werden.<br />
Dass der Betroffene von seiner polnischen Fahr-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
erlaubnis – so seine unwiderlegte Einlassung – in<br />
Deutschland ohnehin keinen Gebrauch machen darf,<br />
steht einer Anordnung eines Fahrverbots nicht ent<strong>gegen</strong>.<br />
Ein Fahrverbot kann auch dann angeordnet<br />
werden, wenn der Betroffene gar keine Fahrerlaubnis<br />
besitzt (vgl. Hentschel/König/Dauer a. a. O. § 25<br />
Rdn. 11, 31), was das Amtsgericht auch zutreffend begründet<br />
hat.<br />
03. *) 1. Gefahr <strong>im</strong> Verzug i. S. v. § 81a Abs. 2<br />
StPO ist zu verneinen, wenn nach dem Ergebnis<br />
des Atemalkoholtests der untersuchte Fahrzeugführer<br />
stark alkoholisiert war (hier: 2,0 Promille).<br />
2. Der Hinweis, eine richterliche Entscheidung<br />
sei zu einem best<strong>im</strong>mten Zeitpunkt (hier: Atemalkoholtest<br />
um 21.20 Uhr) nicht zu erlangen, kann<br />
Gefahr <strong>im</strong> Verzug nicht begründen, weil dem korrespondierend<br />
die verfassungsrechtliche Verpflichtung<br />
der Gerichte besteht, die Erreichbarkeit eines<br />
Ermittlungsrichters, auch durch die Einrichtung<br />
eines Eil- oder Notdienstes, zu sichern.<br />
3. Ein Beweisverwertungsverbot ist bei Verstoß<br />
<strong>gegen</strong> § 81a Abs. 2 StPO insbesondere dann anzunehmen,<br />
wenn die Durchführung der Maßnahme<br />
auf einer bewusst fehlerhaften bzw. objektiv<br />
willkürlichen Annahme der Eingriffsbefugnis<br />
durch den Polizeibeamten beruht. Ein irrtümlicher<br />
Verstoß <strong>gegen</strong> die gesetzliche Zuständigkeitsregelung<br />
führt da<strong>gegen</strong> – jedenfalls, wenn ein hypothetischer<br />
Ersatzeingriff rechtmäßig wäre – nicht zu<br />
einem Beweisverwertungsverbot.<br />
4. Mangels – den handelnden Polizeibeamten bekannter<br />
– Erreichbarkeit eines Richters kann es<br />
nicht als willkürlich oder grob fehlerhaft angesehen<br />
werden, wenn die Ermittlungsbeamten ihre<br />
Eilkompetenz nach § 81a Abs. 2 StPO annehmen<br />
<strong>und</strong> selbst die Entnahme der Blutprobe anordnen.<br />
Dies gilt erst recht, wenn ein Nachtrunk <strong>im</strong> Raume<br />
steht.<br />
5. Will der Tatrichter einen Nachtrunk berücksichtigen,<br />
so hat er zunächst die Tatzeitblutalkoholkonzentration<br />
zu ermitteln, die der Angeklagte<br />
ohne Nachtrunk gehabt hätte. Von diesem Wert ist<br />
sodann die durch den Nachtrunk max<strong>im</strong>al verursachte<br />
<strong>Blutalkohol</strong>konzentration abzuziehen. Das<br />
tatrichterliche Urteil muss dabei nachprüfbar erkennen<br />
lassen, ob bei der Berechnung der durch<br />
den Nachtrunk verursachten max<strong>im</strong>alen <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
die günstigsten möglichen Werte<br />
zugr<strong>und</strong>e gelegt worden sind.<br />
Oberlandesgericht Frankfurt am Main,<br />
Beschluss vom 14. Oktober 2009 – 1 Ss 310/09 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Durch Urteil des Amtsgerichts Hünfeld wurde die<br />
Angeklagte am 24. 06. 2009 wegen eines fahrlässig begangenen<br />
Vergehens der Trunkenheit <strong>im</strong> Straßenverkehr<br />
zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je
10,00 Euro verurteilt. Ihr wurde die Fahrerlaubnis entzogen<br />
<strong>und</strong> der ihr am 30. 01. 2008 vom Landrat des<br />
Landkreises O1 erteilte Führerschein eingezogen. Die<br />
Verwaltungsbehörde wurde angewiesen, ihr vor Ablauf<br />
von 10 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.<br />
Gegen dieses Urteil richtet sich die form- <strong>und</strong> fristgerecht<br />
eingelegte <strong>und</strong> in gleicher Weise begründete<br />
Revision der Angeklagten, mit der sie materielles<br />
Recht rügt <strong>und</strong> mit der Verfahrensrüge geltend macht,<br />
die gutachterlichen Feststellungen zur Höhe der <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
hätten nicht verwertet werden<br />
dürfen, da der die Blutentnahme anordnende Polizeibeamte<br />
<strong>gegen</strong> den Richtervorbehalt gemäß § 81a<br />
Abs. 2 StPO verstoßen habe.<br />
Die Verfahrensrüge ist in der Sache unbegründet.<br />
Ein Beweisverwertungsverbot besteht nicht.<br />
Die Revision führt jedoch mit der Sachrüge zur Aufhebung<br />
des Urteils.<br />
Aus den Gründen:<br />
Die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht<br />
führt in ihrer Stellungnahme vom 11. 09. 2009 zur Unbegründetheit<br />
der Verfahrensrüge <strong>und</strong> zur Sachrüge<br />
aus:<br />
„2) Die erhobene Rüge wäre zudem unbegründet.<br />
a) Allerdings bestand ein Beweiserhebungsverbot,<br />
denn die Voraussetzungen, unter denen der<br />
Polizeibeamte die Entnahme der Blutprobe bei der<br />
Angeklagten hätte anordnen dürfen, lagen nicht vor.<br />
Die Anordnung der Blutentnahme darf gemäß<br />
§ 81a Abs. 2 StPO nur durch den zuständigen Richter,<br />
bei Gefährdung des Untersuchungserfolges<br />
durch die mit der Einholung einer richterlichen Entscheidung<br />
einhergehende Verzögerung auch durch<br />
die Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> – nachrangig – ihrer Ermittlungspersonen<br />
erfolgen. Der Richtervorbehalt<br />
hat seinen Gr<strong>und</strong> darin, dass es sich bei der Entnahme<br />
einer Blutprobe um einen Eingriff in das durch<br />
Art. 2 Abs. 2 S. 1 Gr<strong>und</strong>gesetz geschützte Gr<strong>und</strong>recht<br />
der körperlichen Unversehrtheit handelt, auch<br />
wenn der Eingriff nach § 81a Abs. 1 Satz 2 StPO<br />
nur durch einen Arzt <strong>im</strong> Rahmen der Regeln ärztlicher<br />
Kunst erfolgen darf. Der Richtervorbehalt –<br />
auch der einfachgesetzliche – zielt auf eine vorbeugende<br />
Kontrolle der Maßnahme in ihren konkreten<br />
<strong>gegen</strong>wärtigen Voraussetzungen durch eine unabhängige<br />
<strong>und</strong> neutrale Instanz. Die Strafverfolgungsbehörden<br />
müssen daher grds. versuchen, eine Anordnung<br />
des zuständigen Richters zu erlangen,<br />
bevor sie selbst eine Blutentnahme anordnen. Die<br />
Gefährdung des Untersuchungserfolges muss mit<br />
Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall<br />
bezogen <strong>und</strong> in den Ermittlungsakten zu dokumentieren<br />
sind, sofern die Dringlichkeit nicht evident<br />
ist. Das Bestehen einer solchen Gefährdung unterliegt<br />
der vollständigen, eine Bindung an die von<br />
der Exekutive getroffenen Feststellungen <strong>und</strong> Wertungen<br />
ausschließenden gerichtlichen Überprüfung<br />
(vgl. BVerfG NJW 2007, 1345, 1346 m. w. N.<br />
[= BA 2008, 71]; OLG Hamburg, Beschluss vom<br />
Rechtsprechung<br />
31<br />
04. 02. 2008, NJW 2008, 2597, 2598 [= BA 2008,<br />
198]).<br />
Die formellen Voraussetzungen der Anordnung<br />
lagen hier nicht vor. Zwar war ein zureichender Tatverdacht<br />
<strong>im</strong> Hinblick auf eine Trunkenheitsfahrt gegeben.<br />
Für die handelnden Polizeibeamten bestand<br />
aufgr<strong>und</strong> des ihnen mitgeteilten Sachverhaltes <strong>und</strong><br />
dem bei der Angeklagten durchgeführten Atemalkoholtest,<br />
der eine Atemalkoholkonzentration von 2,0<br />
Promille ergab, der konkrete Tatverdacht der Trunkenheitsfahrt.<br />
Gefahr <strong>im</strong> Verzug i. S. v. § 81a Abs. 2 StPO war<br />
vorliegend jedoch nicht gegeben. Die Angeklagte<br />
war ausweislich des Ergebnisses des Atemalkoholtests<br />
(2,0 Promille) stark alkoholisiert. Bei diesem<br />
Ermittlungsbild hätte der Polizeibeamte davon ausgehen<br />
müssen, dass der mögliche Abbau der <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
während der Zeitdauer bis zur<br />
Erlangung einer richterlichen Entscheidung nicht<br />
zum Beweisverlust führen werde.<br />
Dem steht auch nicht ent<strong>gegen</strong>, dass der Atemalkoholtest<br />
nach 21.20 Uhr erfolgte. Der Hinweis,<br />
eine richterliche Entscheidung sei zu einem best<strong>im</strong>mten<br />
Zeitpunkt nicht zu erlangen, kann Gefahr<br />
<strong>im</strong> Verzug nicht begründen, weil dem korrespondierend<br />
die verfassungsrechtliche Verpflichtung der<br />
Gerichte besteht, die Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters<br />
auch durch die Einrichtung eines<br />
Eil- oder Notdienstes, zu sichern (vgl. BVerfGE 103,<br />
142, 155; Thüringer Oberlandesgericht VRS 116,<br />
105, 108 [= BA 2009, 214]).<br />
b) Wie das Tatgericht <strong>im</strong> Ergebnis zutreffend<br />
festgestellt hat, führt hier das Beweiserhebungsverbot<br />
nicht zu einem Beweisverwertungsverbot.<br />
Dem Strafverfahrensrecht ist ein allgemein geltender<br />
Gr<strong>und</strong>satz, wonach jeder Verstoß <strong>gegen</strong><br />
Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales<br />
Verwertungsverbot nach sich zieht, fremd (vgl.<br />
BGHSt 44, 243, 249; BGH StV 2007, 338).<br />
Der Gesetzgeber hat die Frage, unter welchen<br />
Voraussetzungen bei Missachtung des Richtervorbehaltes<br />
ein Verwertungsverbot hinsichtlich der<br />
rechtswidrig erlangten Beweismittel anzunehmen<br />
ist, nicht entschieden (vgl. BGH StV a. a. O.). Die<br />
Frage ist nach inzwischen gefestigter, verfassungsgerichtlich<br />
gebilligter (vgl. zuletzt BVerfG NJW<br />
2008, 3053 [= BA 2008, 386] obergerichtlicher <strong>und</strong><br />
höchstrichterlicher Rechtsprechung jeweils nach<br />
den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach<br />
der Art des Verbots <strong>und</strong> dem Gewicht des Verstoßes<br />
unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu<br />
entscheiden (vgl. BGHSt a. a. O.; BGH StV a. a. O.).<br />
Dabei muss beachtet werden, dass die Annahme<br />
eines Verwertungsverbots, auch wenn die StPO<br />
nicht auf Wahrheitsfindung ‚um jeden Preis’ gerichtet<br />
ist, eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts<br />
einschränkt, nämlich den Gr<strong>und</strong>satz,<br />
dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen<br />
<strong>und</strong> dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf<br />
alle Tatsachen <strong>und</strong> Beweismittel zu erstrecken hat,<br />
die von Bedeutung sind. Daran gemessen bedeutet<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
32 Rechtsprechung<br />
ein Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme, die<br />
nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift<br />
oder aus übergeordneten wichtigen Gründen <strong>im</strong><br />
Einzelfall anzuerkennen ist (vgl. BGHSt a.a.O.;<br />
BGH StV a. a. O.). Maßgeblich mit beeinflusst wird<br />
das Ergebnis der demnach vorzunehmenden Abwägung<br />
vom Gewicht des infrage stehenden Verfahrensverstoßes,<br />
welches wesentlich von der Bedeutung<br />
der <strong>im</strong> Einzelfall betroffenen Rechtsgüter<br />
best<strong>im</strong>mt wird (vgl. BGHSt a. a. O.; BGH StV<br />
a. a. O.; BGH NJW 2007, 2269; OLG Stuttgart<br />
– 1 Ss 532/07 –; Meyer-Goßner, a. a. O., § 81a<br />
Rn. 32).<br />
In Sonderfällen schwerwiegender Rechtsverletzungen,<br />
die durch das besondere Gewicht der jeweiligen<br />
Verletzungshandlung bei grober Verkennung<br />
der Rechtslage geprägt sind, darf der Staat aus Eingriffen<br />
ohne Rechtsgr<strong>und</strong>lage keinen Nutzen ziehen,<br />
da dies <strong>gegen</strong> den Gr<strong>und</strong>satz eines fairen Verfahrens<br />
verstoßen würde (vgl. BGH StV a. a. O.).<br />
Ein Beweisverwertungsverbot ist danach insbesondere<br />
dann anzunehmen, wenn die Durchführung der<br />
Maßnahme auf einer bewusst fehlerhaften bzw. objektiv<br />
willkürlichen Annahme der Eingriffsbefugnis<br />
durch den Polizeibeamten beruht (vgl. BVerfG<br />
NJW 2007, 1425; NJW 2006, 2684; BGH NStZ-RR<br />
2007, 242; BGH NJW 2007, 2269; OLG Stuttgart<br />
a. a. O.). Ein irrtümlicher Verstoß <strong>gegen</strong> die gesetzliche<br />
Zuständigkeitsregelung führt da<strong>gegen</strong> – jedenfalls,<br />
wenn ein hypothetischer Ersatzeingriff<br />
rechtmäßig wäre – nicht zu einem Beweisverwertungsverbot<br />
(vgl. BGH NStZ-RR 2007, 242;<br />
Meyer-Goßner, a. a. O., § 81a Rn. 32).<br />
Eine gesetzliche Vorschrift, die für den zu beurteilenden<br />
Fall ein Beweisverwertungsverbot ausdrücklich<br />
anordnet, existiert nicht.<br />
Die Voraussetzungen, unter denen aus übergeordneten<br />
wichtigen Gründen <strong>im</strong> Einzelfall auch<br />
ohne ausdrückliche Vorschrift ein Beweisverwertungsverbot<br />
anzuerkennen ist, liegen ebenfalls nicht<br />
vor.<br />
Von Bedeutung ist insoweit zunächst, dass die<br />
Anordnung der getroffenen Eilmaßnahme (Blutentnahme)<br />
der Polizei nicht schlechthin verboten, sondern<br />
in Eilfällen gestattet ist. Obwohl die Voraussetzungen<br />
des § 81a Abs. 2 StPO nicht vorlagen, hatte<br />
die Verletzung des Richtervorbehalts deshalb aus<br />
objektiver Sicht geringeres Gewicht, als wenn, wie<br />
etwa <strong>im</strong> Fall des § 100b Abs. 1 StPO (Telekommunikationsüberwachung),<br />
der Polizei die Anordnung<br />
von Eingriffen der betreffenden Art gänzlich untersagt<br />
ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom<br />
12. 03. 2009 – 3 Ss 31/09 –; Thüringer OLG VRS<br />
116, 105, 109).<br />
Ferner ist zu berücksichtigen, dass die materiellen<br />
Voraussetzungen für eine Blutentnahme fraglos<br />
vorlagen, mithin nur ein formaler Rechtsverstoß gegeben<br />
ist. Im Hinblick auf den Tatverdacht wäre ein<br />
richterlicher Anordnungsbeschluss aller Voraussicht<br />
nach ergangen.<br />
Ergänzend ist zu berücksichtigen, dass sich als<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
betroffene Rechtsgüter das hochrangige Interesse<br />
an der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs<br />
nach § 316 StGB <strong>und</strong> das – unter einfachem Gesetzesvorbehalt<br />
stehende – Gr<strong>und</strong>recht des Angeklagten<br />
auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2<br />
Satz 1 GG <strong>gegen</strong>über standen. Während der Straftatbestand<br />
der Trunkenheit <strong>im</strong> Verkehr dem Schutz<br />
der Sicherheit des Straßenverkehrs <strong>und</strong> damit<br />
(wegen des dahinter stehenden Schutzes insbesondere<br />
von Leben <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit anderer Verkehrteilnehmer)<br />
dem Schutz hoher Rechtsgüter dient,<br />
stellt der Eingriff, dem sich der Angeklagte unterziehen<br />
musste, lediglich eine geringfügige Beeinträchtigung<br />
der körperlichen Unversehrtheit dar<br />
(vgl. Thüringer OLG, a. a. O.).<br />
Ein Beweisverwertungsverbot wäre daher allenfalls<br />
bei willkürlicher Annahme von Gefahr <strong>im</strong> Verzug<br />
oder bei Vorliegen eines nach dem Maßstab<br />
objektiver Willkür besonders schwerwiegenden Fehlers<br />
anzunehmen (BGH NJW 2007, 2269, 2271 f.).<br />
Beides ist hier nicht der Fall.<br />
Weder aus den Urteilsfeststellungen noch aus<br />
dem Revisionsvorbringen ergibt sich, dass die handelnden<br />
Polizeibeamten den Richtervorbehalt bewusst<br />
<strong>und</strong> gezielt umgangen bzw. ignoriert oder<br />
die den Richtervorbehalt begründende Rechtslage<br />
gröblich verkannt haben.<br />
Aus dem Revisionsvorbringen ergibt sich, dass<br />
die Polizeibeamten <strong>im</strong> Hinblick auf die Uhrzeit <strong>und</strong><br />
der dadurch bedingten Nichterreichbarkeit eines<br />
Richters von dem Versuch, einen solchen zu erreichen,<br />
abgesehen haben. Mangels – den handelnden<br />
Polizeibeamten somit bekannter – Erreichbarkeit<br />
eines Richters kann es nicht als willkürlich oder<br />
grob fehlerhaft angesehen werden, wenn die Ermittlungsbeamten<br />
ihre Eilkompetenz nach § 81a Abs. 2<br />
StPO angenommen <strong>und</strong> selbst die Entnahme der<br />
Blutprobe angeordnet haben, zumal vorliegend ein<br />
Nachtrunk <strong>im</strong> Raume stand (vgl. OLG Hamm, Beschluss<br />
vom 24. 03. 2009 – 3 Ss 53/09 – [BA 2009,<br />
282]).<br />
Ebenso vermag der Umstand, dass die Polizeibeamten<br />
auch nicht versucht haben, zumindest den<br />
staatsanwaltschaftlichen Bereitschaftsdienst zu erreichen,<br />
von vornherein keine Verletzung des § 81a<br />
Abs. 2 StPO zu begründen. Eine Verletzung des<br />
Richtervorbehaltes des § 81a Abs. 2 StPO <strong>und</strong><br />
die damit verb<strong>und</strong>ene mögliche Verletzung des<br />
Beschuldigten in seinem Gr<strong>und</strong>recht aus Art. 19<br />
Abs. 4 GG auf effektiven Rechtsschutz setzt nach<br />
der Rechtsprechung des <strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgerichts<br />
(NJW 2007, 1345; NJW 2008, 2053) voraus, dass<br />
die Anordnungskompetenz des Richters <strong>und</strong> nicht<br />
etwa die eines Ermittlungsbeamten, sei es des<br />
Staatsanwaltes, sei es einer seiner Ermittlungspersonen<br />
i. S. d. § 152 GVG, missachtet bzw. unterlaufen<br />
worden ist. Zwar mag die Anordnung der Blutprobenentnahme<br />
bei Gefahr <strong>im</strong> Verzug i. S. v. § 81a<br />
Abs. 2 StPO zunächst dem Staatsanwalt selbst <strong>und</strong><br />
– nachrangig – seinen Ermittlungspersonen zustehen,<br />
doch ist dieses Rangverhältnis, da allein <strong>im</strong> Be-
eich der Ermittlungsbehörden <strong>und</strong> damit den Bereich<br />
der Exekutive betreffend, für die Frage der<br />
Verletzung des Richtervorbehaltes von vornherein<br />
bedeutungslos (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom<br />
24. 03. 2009 – 3 Ss 53/09 –).<br />
Das angefochtene Urteil hält hin<strong>gegen</strong> auf die in<br />
allgemeiner Form erhobene Rüge der Verletzung<br />
materiellen Rechts der rechtlichen Überprüfung<br />
nicht stand.<br />
Die zur <strong>Blutalkohol</strong>konzentration getroffenen<br />
Feststellungen bieten keine tragfähige Gr<strong>und</strong>lage<br />
für eine Überprüfung auf Rechtsfehler.<br />
Das Amtsgericht hat festgestellt, dass die Begutachtung<br />
der der Angeklagten um 22.02 Uhr <strong>und</strong> um<br />
22.33 Uhr entnommenen Blutproben <strong>Blutalkohol</strong>konzentrationen<br />
von 1,81 <strong>und</strong> 1,70 Promille ergaben.<br />
Da die Angeklagte sich unwiderlegbar dahingehend<br />
eingelassen habe, dass sie nach der Fahrt<br />
Wein <strong>und</strong> mit Kräutern aufgesetzten Wodka getrunken<br />
hätte, wozu ihr bis zum Eintreffen der Polizeibeamten<br />
nur acht Minuten geblieben wären, sei zugunsten<br />
der Angeklagten von geringem Nachtrunk<br />
<strong>und</strong> einer <strong>Blutalkohol</strong>konzentration zur Zeit der<br />
Fahrt von mindestens 1,3 bis 1,4 Promille <strong>und</strong> damit<br />
von absoluter Fahruntüchtigkeit auszugehen.<br />
Dem Urteil kann nicht entnommen werden, wie<br />
das Gericht die Feststellung bezüglich des angenommen<br />
Tatzeitblutalkoholwertes getroffen hat.<br />
Will der Tatrichter – wie hier – einen Nachtrunk<br />
berücksichtigen, so hat er zunächst die Tatzeitblutalkoholkonzentration<br />
zu ermitteln, die die Angeklagte<br />
ohne Nachtrunk gehabt hätte. Dies ist vorliegend<br />
erfolgt.<br />
Von diesem Wert ist sodann die durch den Nachtrunk<br />
max<strong>im</strong>al verursachte <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
abzuziehen. Die <strong>Blutalkohol</strong>konzentration, die<br />
sich aus dem Genuss einer best<strong>im</strong>mten <strong>Alkohol</strong>menge<br />
ergibt, kann in der Weise errechnet werden,<br />
dass die wirksame <strong>Alkohol</strong>menge (in Gramm)<br />
durch das mit dem sog. Reduktionsfaktor multiplizierte<br />
Körpergewicht (in kg) geteilt wird. Es bedarf<br />
daher der Feststellung des Körpergewichts <strong>im</strong> Tatzeitpunkt,<br />
der Best<strong>im</strong>mung des Reduktionsfaktors<br />
<strong>und</strong> der Mitteilung der aufgenommenen <strong>Alkohol</strong>menge<br />
in Gramm. Hinsichtlich des Körpergewichts<br />
ist dabei zugunsten des Angeklagten vom Mindestgewicht<br />
auszugehen, da die durch Nachtrunk verursachte<br />
<strong>Blutalkohol</strong>konzentration um so höher ist, je<br />
geringer das Körpergewicht ist. Wenn der individuelle<br />
Reduktionsfaktor nicht festgestellt ist, muss<br />
der Sachverständige darlegen, welcher Reduktionsfaktor<br />
bei dem Angeklagten als niedrigster Wert in<br />
Betracht kommt <strong>und</strong> zugunsten des Angeklagten<br />
davon ausgehen (vgl. OLG Frankfurt/M., Beschluss<br />
vom 20. 05.1996 – 3 Ss 132/96 – <strong>und</strong> vom<br />
13. 11. 2001 – 3 Ss 306/01 –; OLG Köln VRS 66,<br />
352, 353 [= BA 1984, 368]).<br />
Das tatrichterliche Urteil muss also nachprüfbar<br />
erkennen lassen, ob bei der Berechnung der durch<br />
den Nachtrunk verursachten max<strong>im</strong>alen <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
die günstigsten möglichen Werte<br />
zugr<strong>und</strong>e gelegt worden sind.<br />
Rechtsprechung<br />
33<br />
Diese erforderlichen Feststellungen fehlen vorliegend.<br />
Die Ausführungen in dem angefochtenen<br />
Urteil zum Nachtrunk <strong>und</strong> die angenommene Tatzeitblutalkoholkonzentration<br />
von ‚mindestens 1,3<br />
bis 1,4 Promille’ sind unzureichend <strong>und</strong> nicht geeignet,<br />
dem Revisionsgericht die erforderliche Überprüfung<br />
auf Rechtsfehler zu ermöglichen.<br />
Das angefochtene Urteil beruht auch auf dem<br />
aufgezeigten Darlegungsmangel. Denn es ist nicht<br />
auszuschließen, dass sich bei Beachtung der vorgenannten<br />
Gr<strong>und</strong>sätze eine niedrigere Tatzeitblutalkoholkonzentration<br />
ergeben könnte, als das Amtsgericht<br />
angenommen hat, <strong>und</strong> dies auch Auswirkungen<br />
auf die Beurteilung der Fahruntüchtigkeit hat.<br />
Es bedarf deshalb der Aufhebung des angefochtenen<br />
Urteils bereits <strong>im</strong> Schuldspruch <strong>und</strong> Zurückverweisung<br />
der Sache.“<br />
Dem tritt der Senat bei.<br />
Nach alledem war das angefochtenen Urteil aufzuheben<br />
<strong>und</strong> die Sache zur neuen Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung,<br />
auch über die Kosten der Revision, an eine<br />
andere Abteilung des Amtsgerichts Hünfeld zurückzuverweisen<br />
(§§ 349 Abs. 4, 353, 354 Abs. 2 StPO).<br />
04. 1. Bei der Trunkenheit <strong>im</strong> Verkehr kann die<br />
Annahme einer vorsätzlichen Tat nicht allein auf<br />
die Höhe der BAK gestützt werden.<br />
*) 2. Jedoch n<strong>im</strong>mt derjenige, der eine St<strong>und</strong>e<br />
vor Fahrtantritt mehr als vier Liter Bier oder zwei<br />
Liter Wein oder einen halben Liter Schnaps trinkt,<br />
seine daraus resultierende Fahruntüchtigkeit zumindest<br />
billigend in Kauf n<strong>im</strong>mt.<br />
Brandenburgisches Oberlandesgericht,<br />
Beschluss vom 10. Juni 2009 – 2 Ss 17/09 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten am<br />
06. Mai 2008 wegen fahrlässiger Trunkenheit <strong>im</strong> Straßenverkehr<br />
zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu<br />
je 34,00 Euro. Weiterhin wurde der Führerschein des<br />
Angeklagten eingezogen, seine Fahrerlaubnis entzogen<br />
<strong>und</strong> eine Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis<br />
von 6 Monaten ausgesprochen. Die da<strong>gegen</strong><br />
eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das<br />
Landgericht mit dem angefochtenen Urteil mit der<br />
Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Angeklagte<br />
einer vorsätzlichen Trunkenheitsfahrt schuldig<br />
sei. Das Urteil enthält die folgenden Feststellungen:<br />
„Am Samstag, den 12. 01. 2008 befuhr der Angeklagte<br />
mit seinem PKW… die <strong>B<strong>und</strong></strong>esstraße 1.<br />
Gegen 0.10 Uhr befuhr der Angeklagte, obwohl er<br />
zuvor erhebliche Mengen <strong>Alkohol</strong> getrunken hatte<br />
<strong>und</strong> daher eine Fahruntüchtigkeit in Kauf nahm, die<br />
Ortslage …, wo er wegen unangepasster Geschwindigkeit<br />
kontrolliert wurde.<br />
Die bei dem Angeklagten um 01.20 Uhr entnommene<br />
Blutprobe ergab eine <strong>Blutalkohol</strong>konzentra-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
34 Rechtsprechung<br />
tion von 2,37 mg/g. Der 188 cm große <strong>und</strong> 80 kg<br />
schwere Angeklagte hatte bei mittlerer Konstitution<br />
zum Zeitpunkt der ärztlichen Untersuchung Ausfallerscheinungen.<br />
Nach Untersuchung des blutabnehmenden<br />
Arztes Dr. … war sein Gang schleppend bei<br />
unsicherer Kehrtwendung. Der Drehnystagmus war<br />
bei kleiner Auslenkung feinschlägig <strong>und</strong> sein Augenzucken<br />
größer als 10 Sek<strong>und</strong>en. Seine Skleren<br />
waren gerötet <strong>und</strong> sein Bewusstsein benommen.<br />
Insgesamt war seine St<strong>im</strong>mung bei verlangsamtem<br />
Denkablauf schwerfällig <strong>und</strong> stumpf. Zugleich<br />
konnte er bei deutlicher Sprache die ‚Finger-Finger‘<br />
<strong>und</strong> ‚Nasen-Finger‘-Probe sicher bewältigen. Nach<br />
Einschätzung des Arztes stand er deutlich unter <strong>Alkohol</strong>einfluss.<br />
Bei der Tat war der Angeklagte in<br />
seiner Schuldfähigkeit nicht aufgehoben, jedoch<br />
vermindert.“<br />
Zur rechtlichen Würdigung enthält das Urteil die<br />
folgenden Ausführungen:<br />
„Die Kammer ist zu der Überzeugung gekommen,<br />
dass die hohe <strong>Alkohol</strong>konzentration <strong>im</strong> Blut<br />
des Angeklagten <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>ene Kenntnis<br />
von den genossenen <strong>Alkohol</strong>mengen <strong>und</strong> Arten<br />
bei ihm zu dem Bewusstsein geführt hat, dass er bei<br />
Fahrtantritt jedenfalls die Möglichkeit einer Fahruntüchtigkeit<br />
in Kauf genommen haben muss.<br />
Die bei ihm um 01.20 Uhr festgestellte <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
von 2,37 ‰ ergibt nach der Widmarkformel<br />
(Tröndle/Fischer StGB, 54. Aufl. § 20<br />
Rn. 14) unter Berücksichtigung einer Körpergröße<br />
von 188 cm <strong>und</strong> einem Gewicht von 80 kg bei<br />
einem Reduktionsfaktor von 0,76 eine <strong>Alkohol</strong>dosis<br />
bei einer Trinkzeit von 1 St<strong>und</strong>e von min<strong>im</strong>al 166 g<br />
bis max<strong>im</strong>al 222 g, je nach Zugr<strong>und</strong>elegung des Resorptionsdefizites<br />
von 0,1 % bis 0,3 % <strong>und</strong> eines<br />
Abbauwertes von 0,1 ‰ bis 0,2 ‰. Bei einem <strong>Alkohol</strong>gehalt<br />
von Bier von 5 % (40 g/l), Wein von<br />
ca. 10 % (79 g/l) oder Schnaps von 38 % (300 g/l)<br />
müssten damit min<strong>im</strong>al 4,1 l Bier, ca. 2,1 l Wein<br />
oder ca. 0,5 l Schnaps binnen 1 Std. getrunken worden<br />
sein. Bei längerer Trinkdauer – auch mit Unterbrechungen<br />
– entsprechend höhere Mengen. Jedem<br />
Erwachsenen, jedenfalls jedem Absolventen einer<br />
Fahrschule, ist bekannt, welche Wirkungen die Einnahme<br />
von <strong>Alkohol</strong> auf die Fahrtüchtigkeit entfaltet,<br />
insbesondere, dass diese Mengen die Fahrtüchtigkeit<br />
erheblich beeinträchtigen. Insbesondere<br />
kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die erheblichen<br />
Mengen, die der Angeklagte gegebenenfalls<br />
mit Unterbrechungen <strong>und</strong> über den Tag verteilt getrunken<br />
haben muss, bei dem Angeklagten das Wissen<br />
geschaffen hat, eben diese Mengen getrunken<br />
zu haben. Es gibt keine Veranlassung anzunehmen,<br />
dass der Angeklagte die <strong>Alkohol</strong>mengen unbewusst<br />
zu sich genommen hat. Auch die fortschreitende<br />
Wirkung des <strong>Alkohol</strong>s auf die Kritikfähigkeit bis<br />
zur Annahme verminderter Schuldfähigkeit führt<br />
nicht dazu, dass diese Kenntnis verloren geht, mag<br />
der Angeklagte auch oder wieder annehmen zu wollen<br />
das Gefühl zu haben, noch oder wieder fahrtüchtig<br />
zu sein.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Bedingter Vorsatz ist anzunehmen, wenn der Eintritt<br />
des tatbestandlichen Erfolges als möglich <strong>und</strong><br />
nicht ganz fernliegend erkannt wird, wenn die Verwirklichung<br />
des Tatbestandes billigend in Kauf genommen<br />
wird oder sich auch nur damit abgef<strong>und</strong>en<br />
wird, auch wenn gehofft wird, dass der Erfolg nicht<br />
eintritt. Bei bewusster Fahrlässigkeit hin<strong>gegen</strong> ist<br />
der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandverwirklichung<br />
nicht einverstanden <strong>und</strong> vertraut<br />
darauf, dass der Erfolg nicht eintreten wird.<br />
Der Angeklagte hat hier in Kenntnis des Wissens<br />
um die von ihm konsumierten <strong>Alkohol</strong>mengen <strong>und</strong><br />
damit in Kenntnis eines jedenfalls möglichen Erfolgseintritts<br />
gehandelt <strong>und</strong> sich bei Fahrtantritt<br />
damit jedenfalls abgef<strong>und</strong>en. Eine bewusste Fahrlässigkeit<br />
mit der ernsthaften Hoffnung, dass der Erfolg<br />
nicht eintritt, kann bei diesen Mengen nicht angenommen<br />
werden.<br />
Hier kommt zudem hinzu, dass es sich bei dem<br />
Angeklagten als Servicetechniker um einen intelligenten<br />
Mann mit entsprechenden Fähigkeiten zur<br />
Selbsteinschätzung handeln muss. Auch wurde er<br />
kurz nach Mitternacht kontrolliert, was die Vermutung<br />
nahe legt, dass der <strong>Alkohol</strong>konsum zuvor,<br />
einem Freitag, stattgef<strong>und</strong>en hat. Sollte er jedoch<br />
diese erheblichen Mengen <strong>im</strong> Verlauf des Vorabends<br />
zu sich genommen haben, spricht bereits der<br />
kurze Zeitraum dafür, dass ein Verlust dieses Wissens<br />
nicht eingetreten sein kann. Aber auch die Annahme,<br />
er habe über den Tag verteilt, etwa weil er<br />
seiner Arbeit nicht nach nachgegangen ist, dann jedoch<br />
noch erheblich höhere Mengen zu sich genommen,<br />
kann nicht dazu führen, dass er sich <strong>im</strong> Sinne<br />
einer bewussten Fahrlässigkeit fahrtüchtig ‚gefühlt‘<br />
haben kann. Denn gerade wenn er entweder über<br />
den gesamten Tat verteilt getrunken oder mit einer<br />
Unterbrechung getrunken hat, kann er nicht ernsthaft<br />
darauf vertraut haben, fahrtüchtig zu sein.“<br />
Hier<strong>gegen</strong> richtet sich die in jeweils zulässiger<br />
Weise eingelegte <strong>und</strong> begründete Revision des Angeklagten,<br />
der die Verletzung sachlichen Rechts rügt.<br />
Aus den Gründen:<br />
Das Rechtsmittel des Angeklagten ist begründet.<br />
Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen tragen<br />
den Schuldspruch wegen vorsätzlicher Trunkenheit<br />
<strong>im</strong> Verkehr nicht.<br />
Das Landgericht hat – wie die <strong>im</strong> Urteil wiedergegebene<br />
rechtliche Würdigung zeigt – die Annahme einer<br />
vorsätzlichen Tat allein auf die Höhe der <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
des Angeklagten bei der Trunkenheitsfahrt<br />
gestützt. Dies ist nicht möglich. Aus der <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
allein kann nicht ohne Hinzutreten<br />
weiterer Umstände auf vorsätzliches Handeln geschlossen<br />
werden (BGH, DAR 1996, 175; VRS 65,<br />
359; OLG Hamm, BA 2007, 317; OLG Frankfurt a. M.,<br />
NJW, 1996, 1358 [= BA 1996, 301]; OLG Karlsruhe,<br />
NZV 1999, 301; OLG Köln, DAR 1999, 88; OLG<br />
Naumburg, BA 2001, 457; OLG Saarbrücken, StraFo<br />
2001, 203 [= BA 2001, 458]; OLG Zweibrücken, ZfS<br />
2001, 334, Fischer, StGB, 56. Aufl., § 316 Rdnr. 46
m. w. N.; a. A. wohl OLG Koblenz, StraFo 2001, 220,<br />
das einem hohen <strong>Alkohol</strong>isierungsgrad eine Indizwirkung<br />
zuspricht, die bei Nichtvorliegen entlastender<br />
Umstände für die Verurteilung wegen einer Vorsatztat<br />
genügen soll). Es gibt keinen Erfahrungssatz, dass derjenige,<br />
der in erheblichen Mengen <strong>Alkohol</strong> getrunken<br />
hat, seine Fahruntüchtigkeit erkennt. Mit steigender<br />
<strong>Alkohol</strong>isierung verringert sich auch die Erkenntnis<strong>und</strong><br />
Kritikfähigkeit, sodass die Fähigkeit, die eigene<br />
Fahruntüchtigkeit zu erkennen, in einer zwar den<br />
Vorwurf der Fahrlässigkeit begründenden, jedoch den<br />
Vorsatz ausschließenden Weise beeinträchtigt sein<br />
kann (Senat vom 29. Juni 1999 – 2 Ss 38/99 – <strong>und</strong> vom<br />
23. November 1995 – 2 Ss 51/95 –). Um auf eine vorsätzliche<br />
Begehungsweise schließen zu können, müssen<br />
weitere darauf hinweisende Umstände hinzutreten.<br />
Dabei kommt es auf die vom Tatgericht näher festzustellende<br />
Erkenntnisfähigkeit des Fahrzeugführers bei<br />
Fahrtantritt an. Erforderlich ist die Berücksichtigung<br />
aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Täterpersönlichkeit,<br />
des Trinkverlaufs wie auch dessen<br />
Zusammenhang mit dem Fahrtantritt sowie das Verhalten<br />
des Täters während <strong>und</strong> nach der Fahrt (OLG<br />
Hamm, a. a. O.).<br />
Der Senat hat sich wiederholt zu dieser Frage geäußert<br />
<strong>und</strong> stets <strong>im</strong> Sinne der vorgenannten, ganz überwiegenden<br />
obergerichtlichen Rechtsprechung entschieden<br />
(Senat vom 13. November 2008 – 2 Ss 66/08 –,<br />
vom 08. April 2008 – 2 Ss 27/08 –, vom 08. Januar<br />
2002 – 2 Ss 60/01 –, vom 30. Mai 2000 – 2 Ss 39/00 –,<br />
vom 15. Februar 2000 – 2 Ss 4/00 –, vom 29. Juni 1999<br />
– 2 Ss 38/99 – sowie vom 23. November 1995 – 2 Ss<br />
51/95 –). Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest.<br />
Die Argumentation des Landgerichts, die <strong>im</strong> Wesentlichen<br />
auf der Rückrechnung von der <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
des Angeklagten auf Art <strong>und</strong> Menge der<br />
von ihm – möglicherweise – konsumierten alkoholischen<br />
Getränke beruht, ist nicht schlüssig. Zwar ist<br />
auch der Senat der Auffassung, dass derjenige, der eine<br />
St<strong>und</strong>e vor Fahrtantritt mehr als vier Liter Bier trinkt,<br />
seine daraus resultierende Fahruntüchtigkeit zumindest<br />
billigend in Kauf n<strong>im</strong>mt. Gleiches gelte für denjenigen,<br />
der mehr als zwei Liter Wein oder einen halben<br />
Liter Schnaps trinkt. Der Schwachpunkt dieser Argumentation<br />
ist aber, dass das Landgericht über den Zeitpunkt<br />
der <strong>Alkohol</strong>aufnahme <strong>und</strong> die Art <strong>und</strong> Menge<br />
der genossenen alkoholischen Getränke gerade keine<br />
Feststellungen getroffen hat. Die diesbezüglichen Ausführungen<br />
des Landgerichts sind bloße Vermutungen.<br />
Zu Recht weist die Revision darauf hin, dass auch andere<br />
Geschehensabläufe denkbar sind, die nicht ohne<br />
weiteres den Schluss auf ein zumindest bedingt vorsätzliches<br />
Handeln des Angeklagten zulassen. So ist es<br />
ebenso möglich, dass der Angeklagte auf einer privaten<br />
Feier alkoholische Mixgetränke konsumiert hat,<br />
deren <strong>Alkohol</strong>gehalt er nicht kannte. Ebenso ist es<br />
möglich, dass der Angeklagte nach Beendigung der<br />
<strong>Alkohol</strong>aufnahme einige St<strong>und</strong>en geschlafen <strong>und</strong> sich<br />
dann vor Fahrtantritt keine Gedanken über seine alkoholische<br />
Beeinflussung gemacht hatte.<br />
Rechtsprechung<br />
35<br />
05. Eine Beschwerde <strong>gegen</strong> die vorläufige Entziehung<br />
der Fahrerlaubnis ist nach Erhebung der<br />
öffentlichen Klage von dem nunmehr zuständigen<br />
Gericht als Antrag zu behandeln, <strong>im</strong> Sinne des<br />
Beschwerdevorbringens zu entscheiden. Erst die<br />
dann ergehende Entscheidung ist beschwerdefähig.<br />
Landgericht Arnsberg,<br />
Beschluss vom 03. November 2009 – 2 Qs 87/09 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Durch Beschluss des Amtsgerichts – Ermittlungsrichter<br />
– Arnsberg vom 29. 07. 2009 ist dem Beschuldigten<br />
gemäß § 111a StPO vorläufig die Fahrerlaubnis<br />
entzogen worden. Gegen diesen Beschluss richtet sich<br />
die am 01.10. 2009 eingegangene Beschwerde des Beschuldigten<br />
vom 30. 09. 2009. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft<br />
Arnsberg hat das Amtsgericht Werl am<br />
01.10. 2009 Strafbefehl erlassen, <strong>gegen</strong> den der Beschuldigte<br />
rechtzeitig Einspruch eingelegt hat.<br />
Das Amtsgericht – Strafrichter – Werl hat der Beschwerde<br />
am 29. 10. 2009 nicht abgeholfen <strong>und</strong> die<br />
Sache der Kammer vorgelegt.<br />
Aus den Gründen:<br />
Die Beschwerde des Beschuldigten vom 30. 09. 2009<br />
ist <strong>gegen</strong>standslos geworden, da sie als solche prozessual<br />
überholt ist.<br />
Mit dem der Erhebung der Anklage gleichstehenden<br />
Antrag auf Erlass eines Strafbefehls wird für die zu<br />
treffenden Entscheidungen über die vorläufige Entziehung<br />
der Fahrerlaubnis das Gericht zuständig, bei dem<br />
diese Antragsschrift eingereicht worden ist, hier das<br />
Amtsgericht Werl. Zugleich entfällt die Zuständigkeit<br />
des Ermittlungsrichters bei dem Amtsgericht, das die<br />
vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis angeordnet<br />
hat (vgl. Meyer-Goßner, StPO, § 162, Rdnr. 19; OLG<br />
Düsseldorf DAR 2001, 374).<br />
Eine Beschwerde <strong>gegen</strong> die Entscheidung zur vorläufigen<br />
Entziehung der Fahrerlaubnis ist bei einem<br />
solchen Zuständigkeitswechsel von dem nunmehr zuständigen<br />
Gericht als Antrag zu behandeln, <strong>im</strong> Sinne<br />
des Beschwerdebegehrens zu entscheiden. Das gilt<br />
selbst dann, wenn bei demselben Amtsgericht sich lediglich<br />
die Zuständigkeit vom Ermittlungsrichter zum<br />
Strafrichter verschiebt (vgl. OLG Düsseldorf a. a. O.;<br />
OLG Celle, StraFo 2001, 134). Erst die nunmehr ergehende<br />
Entscheidung des in der Hauptsache zuständigen<br />
Richters ist beschwerdefähig (vgl. OLG Celle<br />
a. a. O. m. w. N.). Es kann dahingestellt bleiben, ob<br />
der „Nichtabhilfebeschluss“ des Strafrichters vom<br />
29. 10. 2009 eine anfechtbare Entscheidung in diesem<br />
Sinne darstellt, weil er in Verkennung der eigenen originären<br />
Zuständigkeit ergangen ist. Denn <strong>gegen</strong> den<br />
Beschluss vom 29. 10. 2009 liegt eine Beschwerde<br />
nicht vor, so dass eine Entscheidung der Kammer nicht<br />
veranlasst ist.<br />
Nur vorsorglich weist die Kammer darauf hin, dass<br />
Strafverfahren, in denen eine vorläufige Entziehung<br />
der Fahrerlaubnis angeordnet wird, mit besonderer Beschleunigung<br />
durchgeführt werden sollen.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
36 Rechtsprechung<br />
06. *) 1. Die Ergebnisse einer in Tschechien<br />
erfolgten Blutprobenentnahme wegen Verdachts<br />
einer Trunkenheitsfahrt in Abwesenheit des Arztes<br />
<strong>und</strong> unter unzureichender Dokumentation des Verfahrensweges<br />
zur Erlangung des Analyseergebnisses<br />
sind nicht verwertbar.<br />
2. Das Ausbrechen des Fahrzeuges bei leichtem<br />
Kurvenverlauf <strong>und</strong> feuchter, indes griffiger Fahrbahnoberfläche<br />
stellt keinen typischen alkoholbedingten<br />
Fahrfehler dar, soweit andere Ursachen<br />
wie Übermüdung des Fahrers als mögliche <strong>und</strong><br />
plausible Unfallursache in Betracht zu ziehen<br />
sind.<br />
Landgericht Frankfurt (Oder),<br />
Beschluss vom 15. Oktober 2009 – 21 Qs 152/09 –<br />
Zum Sachverhalt<br />
Mit Beschluss vom 28. 09. 2009 hat das Amtsgericht<br />
Fürstenwalde die Fahrerlaubnis des Beschwerdeführers<br />
gern. § 111a StPO vorläufig entzogen <strong>und</strong> den<br />
Führerschein beschlagnahmt. Hier<strong>gegen</strong> richtet sich<br />
die Beschwerde vom 08. 10. 2009.<br />
In seiner Nichtabhilfeentscheidung verweist das<br />
Amtsgericht Fürstenwalde zur Begründung auf sein<br />
Urteil vom 28. 09. 2009, mit dem es den Beschwerdeführer<br />
wegen vorsätzlicher Trunkenheit <strong>im</strong> Verkehr zu<br />
einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 50 € verurteilt<br />
hat. Gegen dieses Urteil hat der Beschwerdeführer<br />
zwischenzeitlich Berufung eingelegt.<br />
Ausweislich der Gründe des Urteils ist das Amtsgericht<br />
von folgendem Sachverhalt überzeugt:<br />
„Am 31.10.2008 hielt sich der Angeklagte berufsbedingt<br />
in Tschechien auf, um hier neue Geschäftskontakte<br />
zu knüpfen.<br />
Gegen 19.20 Uhr befuhr der Angeklagte in St. die<br />
Straße der 1. Kategorie Nr. 26 aus Richtung O. kommend.<br />
Vor Fahrtantritt hatte der Angeklagte so viel<br />
<strong>Alkohol</strong> zu sich genommen, dass er absolut fahruntüchtig<br />
war. Seine absolute Fahrunlüchtigkeit nahm<br />
der Angeklagte zumindest billigend in Kauf. Er war<br />
allein in dem Fahrzeug <strong>und</strong> führte keine alkoholischen<br />
oder sonstigen Getränke mit.<br />
Aufgr<strong>und</strong> seiner absoluten Fahruntüchtigkeit<br />
vermochte der Angeklagte sein Kraftfahrzeug nicht<br />
mehr den Verkehrsbedingungen angemessen zu<br />
führen <strong>und</strong> kam aufgr<strong>und</strong> einer Fehleinschätzung<br />
des Kurvenverlaufs <strong>und</strong> der hierfür angemessenen<br />
Geschwindigkeit bei leicht feuchter, aber griffiger<br />
<strong>und</strong> sauberer Fahrbahn in einer leichten Rechtskurve<br />
ins Schleudern. Sein Fahrzeug brach nach links<br />
aus <strong>und</strong> schleuderte über die Gegenfahrbahn <strong>und</strong><br />
einen unbefestigten Grünstreifen sowie den dahinter<br />
gelegenen Gehweg <strong>und</strong> kam nach ca. 40 Metern<br />
zur Hälfte auf diesem, zur anderen Hälfte auf einer<br />
daneben gelegenen, begrünten Vertiefung zum Stehen.<br />
Das Fahrzeug wurde – ebenso wenig wie andere<br />
Personen oder Sachen – hierdurch zwar nicht<br />
beschädigt, war aber aufgr<strong>und</strong> des Verharrens der<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Antriebsräder auf rutschigem Gr<strong>und</strong> nicht mehr manövrierfähig.“<br />
Seine Überzeugungsbildung zur absoluten Fahruntüchtigkeit<br />
des Beschwerdeführers begründet das<br />
Amtsgericht wie folgt:<br />
„Zwar sind die Ergebnisse der Blutuntersuchung<br />
auf Ethanolkonzentration nicht verwendbar. Ent<strong>gegen</strong><br />
den in der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik Deutschland einzuhaltenden<br />
Gr<strong>und</strong>sätze erfolgte bereits die Blutentnahme<br />
nicht durch einen Arzt, sondern nur in dessen<br />
Abwesenheit. Darüber hinaus ist der Verfahrensweg<br />
zur Erlangung des Analyseergebnisses nicht hinreichend<br />
dokumentiert. Es fehlt sowohl an Information<br />
über die Anzahl der unterschiedlichen Analysen als<br />
auch an der Dokumentation ihrer Ergebnisse. Die<br />
Untersuchung ist auch nicht nachholbar, weil die<br />
Reste der Probe nach der Untersuchung – wie in<br />
Tschechien üblich – vernichtet wurden.<br />
Auch das Ergebnis der Atemalkoholmessung ist<br />
gerichtsbekannt mit großen Unsicherheiten behaftet<br />
<strong>und</strong> kann allenfalls als Indiz dafür herangezogen<br />
werden, dass der Angeklagte größere Mengen <strong>Alkohol</strong><br />
konsumiert hatte. Eine Abweichung von bis zu<br />
0,5 Promille zwischen dem derart ermittelten <strong>und</strong><br />
dem tatsächlichen <strong>Blutalkohol</strong>gehalt ist allerdings<br />
nicht auszuschließen.<br />
Allerdings ergibt sich die <strong>Alkohol</strong>isierung des<br />
Angeklagten bereits aus den Feststellungen des Polizeibeamten<br />
hinsichtlich des <strong>Alkohol</strong>geruchs in der<br />
Atemluft sowohl be<strong>im</strong> ersten als auch be<strong>im</strong> zweiten<br />
Kontakt, als auch aus dem Unfallhergang selbst.<br />
Denn der Angeklagte war nicht in der Lage eine einfache<br />
Verkehrssituation zu bewältigen, fuhr mit offenbar<br />
überhöhter Geschwindigkeit in den Kurvenbereich<br />
ein <strong>und</strong> war bei drohendem Ausbrechen des<br />
Fahrzeugs offensichtlich alkoholbedingt nicht in<br />
der Lage, das Fahrzeug abzufangen. Dieser Unfallhergang<br />
stellt einen typischen alkoholbedingten<br />
Fahrfehler dar. Denn aus dem Verlauf ergibt sich<br />
zum einen eine alkoholbedingte Enthemmung, die<br />
sich darüber hinaus auch in dem Nachtatverhalten<br />
des Angeklagten zeigt, der sich zwecks Weiterfahrt<br />
in alkoholisiertem Zustand von den Beamten freischleppen<br />
lassen wollte, zum anderen eine erhebliche<br />
Verminderung der Reaktionsfähigkeit <strong>und</strong> der<br />
Fähigkeit, einfache Verkehrssituationen richtig einzuschätzen.<br />
Andere Ursachen sind auszuschließen. Sie sind<br />
weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Insbesondere<br />
war der Fahrbahnbelag griffig <strong>und</strong> sauber <strong>und</strong><br />
das Fahrzeug selbst technisch einwandfrei.“<br />
Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung<br />
vom 28. 09. 2009 hat der Zeuge D., ein<br />
tschechischer Polizeibeamter, unter anderem bek<strong>und</strong>et,<br />
der Beschwerdeführer habe nach <strong>Alkohol</strong> gerochen,<br />
er habe keine Ausfallerscheinungen gehabt, indes<br />
etwas müde gewirkt. Der Sachverständige Dr. K.<br />
bek<strong>und</strong>ete laut desselben Protokolls, die Messwerte<br />
könnten nicht nachvollzogen werden. Die Untersuchung<br />
entspreche nicht den deutschen Standards. Die
Toleranz zwischen Atem- <strong>und</strong> Bluttests sei außergewöhnlich<br />
hoch.<br />
Aus den Gründen:<br />
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.<br />
Zum <strong>gegen</strong>wärtigen Zeitpunkt sind dringende Gründe<br />
für die Annahme, dass die Fahrerlaubnis entzogen<br />
werden wird (§ 111a Abs. 1 StPO), nicht vorhanden. Ein<br />
dringender Tatverdacht <strong>und</strong> ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit,<br />
dass das Gericht den Beschuldigten für<br />
ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen halten<br />
<strong>und</strong> ihm daher die Fahrerlaubnis entziehen werde,<br />
kann nicht angenommen werden. Insbesondere kann<br />
<strong>gegen</strong>wärtig nicht hinreichend sicher davon ausgegangen<br />
werden, dass sich der Beschwerdeführer – wie<br />
vom Amtsgericht in seinem angefochtenen Urteil vom<br />
28. 09. 2009 angenommen – der Trunkenheit <strong>im</strong> Verkehr<br />
(§ 316 StGB) schuldig gemacht hat (§ 69 Abs. 2<br />
Ziff. 2 StGB).<br />
Der Beschwerdeführer hat sich zur Sache nicht eingelassen.<br />
Zu Recht geht auch das Amtsgericht zunächst<br />
davon aus, dass nach den glaubhaften Feststellungen<br />
des Sachverständigen Dr. K. weder der<br />
gemessene Atemalkoholwert (1,88 Promille) noch der<br />
Messwert der <strong>Blutalkohol</strong>konzentration (2,38 Promille)<br />
verwertbar seien. Selbst wenn der gemessene<br />
Atemalkoholwert als Indiz herangezogen wird, begegnet<br />
der Rückschluss des Amtsgerichts, das Ausbrechen<br />
des Fahrzeuges beruhe darauf, dass der Beschwerdeführer<br />
„offensichtlich“ alkoholbedingt nicht in der<br />
Lage gewesen sei, das Fahrzeug sicher zu führen, erheblichen<br />
Bedenken. Selbst wenn der Unfallhergang<br />
bei leichtem Kurvenverlauf <strong>und</strong> feuchter, indes griffiger<br />
Fahrbahnoberfläche einen typischen alkoholbedingten<br />
Fahrfehler darstellte, sind ent<strong>gegen</strong> der<br />
Annahme des Amtsgerichts andere Ursachen nicht<br />
auszuschließen. So hat der Zeuge D. ausdrücklich<br />
bek<strong>und</strong>et, der Beschwerdeführer habe einen etwas<br />
müden Eindruck gemacht. Insbesondere die Auseinandersetzung<br />
mit dieser möglichen <strong>und</strong> plausiblen Unfallursache<br />
unterbleibt <strong>im</strong> angefochtenen Urteil. Im<br />
Übrigen macht der protokollierte Antrag der Vertreterin<br />
der Staatsanwaltschaft in der mündlichen Verhandlung<br />
am 28. 09. 2009 deutlich, dass auch die Anklagebehörde<br />
eine Strafbarkeit des Beschwerdeführers<br />
gemäß § 316 StGB nach der Beweisaufnahme nicht<br />
festzustellen vermochte, sondern nur eine Ordnungswidrigkeit<br />
annahm.<br />
(Mitgeteilt von Rechtsanwalt Markus Michalczyk,<br />
Frankfurt/Oder)<br />
07. *) Im Falle der Nichteinhaltung der vor Beginn<br />
einer Atemalkoholmessung einzuhaltenden<br />
Wartezeit von 20 Minuten kann zumindest bei<br />
einer deutlichen Überschreitung des Gefahrengrenzwertes<br />
die mit der Nichteinhaltung der Wartezeit<br />
verb<strong>und</strong>enen Schwankungen durch Hinzuziehung<br />
eines Sachverständigen geklärt werden, ob<br />
Rechtsprechung<br />
37<br />
<strong>und</strong> gegebenenfalls in welchem Umfang sich die<br />
Unterschreitung der Wartezeit seit Trinkende ausgewirkt<br />
hat.<br />
1. Amtsgericht Schwelm,<br />
Urteil vom 23. Juni 2009<br />
– 60 OWi 770 Js 464/08 (129/08) –<br />
2. Oberlandesgericht Hamm,<br />
Beschluss vom 15. Oktober 2009<br />
– 2 Ss OWi 737/09 OLG Hamm –<br />
1. Amtsgericht Schwelm<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Am 11. 02. 2008 befuhr die Betroffene mit dem Pkw<br />
um 22.55 Uhr öffentliche Straßen in W., nämlich die<br />
Z-straße. Sie hatte zuvor <strong>Alkohol</strong> getrunken. Die Betroffene<br />
führte das Fahrzeug mit einer Atemalkoholkonzentration<br />
von 0,36 mg/l.<br />
Die Atemalkoholmessung wurde vorgenommen<br />
durch das bis zum 09. 07. 2008 geeichte Gerät Dräger<br />
Alcotest 7110 Evidential, Typ MK III.<br />
Das Messgerät wurde um 23.09 Uhr gestartet, die<br />
Messungen wurden um 23.11 Uhr <strong>und</strong> um 23.14 Uhr<br />
vorgenommen. Zwischen 22.55 Uhr <strong>und</strong> dem Ende<br />
der Messung hatte die Betroffene keine Möglichkeit,<br />
irgendwelche Substanzen zu sich zu nehmen.<br />
Aus den Gründen:<br />
Die Betroffene, die sich zur Sache nicht eingelassen<br />
hat, führte daher ein Kraftfahrzeug mit einer Atemalkoholkonzentration<br />
von 0,25 mg/l oder mehr.<br />
Diese Feststellungen beruhen auf den Bek<strong>und</strong>ungen<br />
des Zeugen POM V., dem schriftlich erstatteten <strong>und</strong> erörterten<br />
Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing.<br />
U., dem erörterten Messprotokoll <strong>und</strong> dem erörterten<br />
Eichschein.<br />
Da die einschreitenden Polizeibeamten vorliegend<br />
lediglich eine Wartezeit von 14 Minuten zwischen dem<br />
festgestellten Verkehrsverstoß <strong>und</strong> dem Beginn der<br />
Messung eingehalten, mithin die vom Hersteller des<br />
Messgerätes empfohlene Wartezeit von 20 Minuten<br />
nicht beachtet haben, hat die Betroffene die Auffassung<br />
vertreten, dass die Messung fehlerhaft <strong>und</strong> nicht<br />
zu verwenden sei.<br />
Daraufhin hat das Gericht dem Sachverständigen<br />
den Auftrag erteilt, zu untersuchen, ob trotz der dargestellten<br />
Umstände die Überschreitung des Atemalkoholgrenzwertes<br />
von 0,25 mg/l mit an Sicherheit<br />
grenzender Wahrscheinlichkeit angenommen werden<br />
kann, insbesondere, ob ein Sicherheitsabschlag von<br />
dem festgestellten Atemalkoholwert vorzunehmen<br />
ist.<br />
Dabei war sich das Gericht der hier maßgeblichen<br />
Rechtsprechung des <strong>B<strong>und</strong></strong>esgerichtshofes <strong>und</strong> des<br />
Oberlandesgerichts Hamm bewusst.<br />
So hat der <strong>B<strong>und</strong></strong>esgerichtshof mit Beschluss vom<br />
03. 04. 2001 – 4 StR 507/00 – [BA 2001, 280] ausgeführt,<br />
dass bei der Best<strong>im</strong>mung der Atemalkoholkonzentration<br />
<strong>im</strong> Sinne von § 24a Abs. 1 StVG unter<br />
Verwendung eines Atemalkoholmessgerätes, das die<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
38 Rechtsprechung<br />
Bauartzulassung für die amtliche Überwachung des<br />
Straßenverkehrs erhalten hat, der gewonnene Messwert<br />
ohne Sicherheitsabschläge verwertbar ist, wenn<br />
das Gerät unter Einhaltung der Eichfrist geeicht <strong>und</strong><br />
die Bedingungen für ein gültiges Messverfahren gewahrt<br />
sind. Zu diesen zu beachtenden Verfahrensbest<strong>im</strong>mungen<br />
gehören ein Zeitablauf seit Trinkende von<br />
mindestens 20 Minuten, eine Kontrollzeit von 10 Minuten<br />
vor der Messung, eine Doppelmessung <strong>im</strong> Zeitabstand<br />
von max<strong>im</strong>al fünf Minuten <strong>und</strong> die Einhaltung<br />
der zulässigen Variationsbreite zwischen den Einzelwerten.<br />
Nur wenn <strong>im</strong> Einzelfall konkrete Anhaltspunkte<br />
für einen Messfehler bestehen oder behauptet<br />
werden können, hat das Gericht <strong>im</strong> Rahmen seiner<br />
Aufklärungspflicht oder auf einen entsprechenden Beweisantrag<br />
hin dem nachzugehen.<br />
Mit Beschluss vom 23. 08. 2004 – 2 Ss OWi 357/04<br />
– hat der 2. Strafsenat des OLG Hamm unter Verweis<br />
auf eine Entscheidung des OLG Celle (NZV 2004, 318<br />
[= BA 2004, 267]) in einem dem vorliegenden Sachverhalt<br />
vergleichbaren Fall die Auffassung vertreten,<br />
dass die fehlende Beachtung der Wartezeit von 20 Minuten<br />
dann unschädlich sei, wenn jedenfalls eine Kontrollzeit<br />
von 10 Minuten vor der Messung eingehalten<br />
worden sei, in der der Betroffene keine Substanzen<br />
durch M<strong>und</strong> oder Nase zu sich genommen hat. Diese<br />
sei das wesentlich bedeutendere Kriterium. Die ermittelte<br />
Messung könne ohne Sicherheitsabschläge<br />
zur Feststellung der zur Tatzeit vorliegenden Atemalkoholkonzentration<br />
zugr<strong>und</strong>e gelegt werden.<br />
Dem ist der 3. Strafsenat des OLG Hamm ent<strong>gegen</strong>getreten<br />
(Beschluss vom 24. 08. 2006 – 3 Ss OWi<br />
308/06) <strong>und</strong> hat die Auffassung vertreten, die Messung<br />
sei gr<strong>und</strong>sätzlich nicht verwertbar, wenn die Wartezeit<br />
von 20 Minuten nicht eingehalten worden sei. Allerdings<br />
hat der Senat ausdrücklich keine Entscheidung<br />
für solche (Ausnahme-)Fälle getroffen, in denen die<br />
Atemalkoholkonzentration die Grenze von 0,25 mg/l<br />
sehr deutlich überschreitet <strong>und</strong> ggf. durch einen eventuelle<br />
Schwankungen gesichert ausschließenden Sicherheitsabschlag,<br />
dessen Höhe zunächst durch einen<br />
Sachverständigen zu klären wäre, herbeigeführt werden<br />
kann. Insoweit sah sich das Gericht angesichts des<br />
festgestellten Atemalkoholwertes von 0,36 mg/l, der<br />
deutlich über der Grenze von 0,25 mg/l lag, nicht gehindert,<br />
sich sachverständigenseits beraten zu lassen,<br />
um zu eruieren, ob <strong>und</strong> ggf. mit welchem Sicherheitsabschlag<br />
die Messung verwertbar ist.<br />
Das Gericht ist auf Gr<strong>und</strong> der Beweisaufnahme<br />
davon überzeugt, dass die obigen Feststellungen zutreffend<br />
sind.<br />
Der Sachverständige U. hat in seinem Gutachten<br />
ausgeführt, dass keine Bedenken <strong>gegen</strong> die Richtigkeit<br />
der Messung vorlägen. Das Messergebnis sei auch<br />
nicht durch die zeitlichen Abläufe verfälscht worden.<br />
Das Messgerät sei in der Lage, etwaige Sprünge der<br />
Atemalkoholkonzentration, die in der sog. Anflutungsphase<br />
in den ersten 20 Minuten direkt nach dem Ende<br />
der <strong>Alkohol</strong>konsumierung auftreten könnten, zu erkennen.<br />
In einem solchen Fall würde kein gültiges<br />
Messergebnis ermittelt werden können. Anhaltspunkte<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
<strong>gegen</strong> die Sachk<strong>und</strong>e des Sachverständigen liegen<br />
nicht vor.<br />
Die Betroffene führte ein Kraftfahrzeug mit einer<br />
Atemalkoholkonzentration von 0,25 mg/l oder mehr.<br />
Das Gericht ist aufgr<strong>und</strong> des Sachverständigengutachtens,<br />
der Bek<strong>und</strong>ungen des Zeugen, des erörterten<br />
Messprotokolls <strong>und</strong> des Eichscheins davon überzeugt,<br />
dass der Messwert ohne Sicherheitsabschläge verwertbar<br />
ist. Das Gerät hat die Bauartzulassung für die amtliche<br />
Überwachung des Straßenverkehrs erhalten <strong>und</strong><br />
war unter Einhaltung der Eichfrist geeicht. Zwar<br />
waren nicht alle Vorgaben für ein gültiges Messverfahren<br />
gewahrt, da – wie ausgeführt – die Wartezeit von<br />
20 Minuten zwischen dem Vorfall <strong>und</strong> einem möglichen<br />
Trinkende nicht eingehalten worden war. Allerdings<br />
hatte die Betroffene mehr als zehn Minuten<br />
zwischen dem Verkehrsverstoß <strong>und</strong> dem Beginn der<br />
Messung keine Möglichkeit, irgendwelche Substanzen<br />
zu sich zu nehmen.<br />
Anhaltspunkte für eine Verfälschung der Messergebnisse<br />
durch sonstige Störfaktoren sind auszuschließen.<br />
Dass der frühzeitige Beginn der Messung ein zum<br />
Nachteil der Betroffenen fehlerhaftes Messergebnis<br />
bewirkt hat, ist nach Überzeugung des Gerichts auf<br />
Gr<strong>und</strong> des Gutachtens auszuschließen. Der Gutachter<br />
hat insoweit nachvollziehbar dargelegt, dass eine<br />
Messverfälschung sich aus technischer Sicht plausibel<br />
nicht darstellen lasse. Hätte die Betroffene unmittelbar<br />
vor dem Anhalten durch die einschreitenden Polizeibeamten<br />
noch <strong>Alkohol</strong> zu sich genommen <strong>und</strong> sich<br />
damit noch bei Beginn der Messung in der Anflutungsphase<br />
bef<strong>und</strong>en, hätte der in diesem Stadium der<br />
Resorption <strong>im</strong> Körper zu erwartende sprunghafte Anstieg<br />
der <strong>Alkohol</strong>konzentration dazu geführt, dass das<br />
Messgerät dergestalt abweichende Messergebnisse ermittelt,<br />
dass ein gültiges Endergebnis gar nicht zustande<br />
gekommen wäre. Dies war vorliegend nicht der<br />
Fall. Insoweit sah das Gericht – wie der Sachverständige<br />
– keine Notwendigkeit, den festgestellten Atemalkoholwert<br />
um einen Sicherheitsabschlag zu reduzieren.<br />
Der Wert der Atemalkoholkonzentration ist <strong>im</strong><br />
Übrigen zutreffend ermittelt worden. Die weiteren<br />
Verfahrensbest<strong>im</strong>mungen wurden beachtet. Die Kontrollzeit<br />
von zehn Minuten vor der Atemalkoholkonzentrationsmessung<br />
wurde eingehalten. Die Betroffene<br />
war um 22.55 Uhr gefahren, die Messungen fanden<br />
statt um 23.11 <strong>und</strong> 23.14 Uhr. Es lag also auch eine<br />
Doppelmessung <strong>im</strong> Zeitabstand von max<strong>im</strong>al fünf Minuten<br />
<strong>und</strong> Einhaltung der zulässigen Variationsbreite<br />
zwischen den Einzelmesswerten vor.<br />
Zugunsten der Betroffenen geht das Gericht von<br />
fahrlässiger Begehungsweise aus.<br />
Unter Berücksichtigung des Vorwurfs, der der Betroffenen<br />
zu machen ist, der Bedeutung der Ordnungswidrigkeit<br />
<strong>und</strong> ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse hat<br />
das Gericht die Regelbuße nach dem b<strong>und</strong>eseinheitlichen<br />
Tatbestandskatalog in Höhe von 250,– € festgesetzt.<br />
Außerdem hat das Gericht ein Fahrverbot festgesetzt,<br />
§ 25 Abs. 1 Satz 2 StVG. Von einem Fahrverbot
konnte auch nicht abgesehen werden. Bei einer Verurteilung<br />
nach § 24a StVG rechtfertigen nach allgemeiner<br />
Meinung nur Härten ganz außergewöhnlicher Art<br />
oder sonstige das äußere <strong>und</strong> innere Tatbild beherrschende<br />
außergewöhnliche Umstände das Absehen<br />
von der Verhängung des Regelfahrverbots (vergleiche<br />
zum Beispiel OLG Hamm, NZV 1995, 496). Derartige<br />
Umstände sind nicht ersichtlich <strong>und</strong> auch nicht vorgetragen<br />
worden. Gegebenenfalls eintretende wirtschaftliche<br />
<strong>und</strong> berufliche Folgen muss ein Betroffener als<br />
selbstverschuldet hinnehmen (OLG Hamm NZV<br />
2001, 486 [= BA 2000, 513]). Der Betroffenen wurde<br />
die Viermonatsfrist nach § 25 Abs. 2a StVG gewährt.<br />
2. Oberlandesgericht Hamm<br />
A u s d e n G r ü n d e n (Verwerfung der Rechtsbeschwerde):<br />
Die Verurteilung der Betroffenen wegen eines fahrlässigen<br />
Verstoßes <strong>gegen</strong> § 24a Abs. 1 StVG weist<br />
keine Rechtsfehler auf.<br />
Das Amtsgericht ist zutreffend von einem Nachweis<br />
des Vorliegens einer Atemalkoholkonzentration von<br />
mindestens 0,25 mg/l ausgegangen.<br />
Zwar ist die Wartezeit von 20 Minuten zwischen<br />
Trinkende <strong>und</strong> Beginn der Messung nicht eingehalten<br />
worden. Die Frage, welche Konsequenzen aus der<br />
Nichteinhaltung der Wartezeit zu ziehen sind, wird in<br />
der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich<br />
beantwortet. Während zum Teil hieraus eine Unverwertbarkeit<br />
des Messergebnisses gefolgert wird (vgl.<br />
OLG Dresden, VRS 108, 279f [= BA 2006, 404]; Thüringer<br />
Oberlandesgericht, Beschluss vom 01. September<br />
2005, 1 Ss 211/05, DAR 2006, 225) ist der Senat in<br />
Übereinst<strong>im</strong>mung mit anderen Obergerichten der Auffassung,<br />
dass zumindest bei einer deutlichen Überschreitung<br />
des Gefahrengrenzwertes, die mit der<br />
Nichteinhaltung der Wartezeit verb<strong>und</strong>enen Schwankungen<br />
durch Hinzuziehung eines Sachverständigen<br />
geklärt werden können, ob <strong>und</strong> gegebenenfalls in welchem<br />
Umfang sich die Unterschreitung der Mindestzeit<br />
seit Trinkende ausgewirkt hat (vgl. OLG Karlsruhe,<br />
Beschluss vom 05. Mai 2006, 1 Ss 32/06, NJW<br />
2006, 1988 [= BA 2006, 410]).<br />
So liegt der Fall auch hier. Das Amtsgericht hat eine<br />
Atemalkoholkonzentration von 0,36 mg/l festgestellt,<br />
welche damit um mehr als 40 % über der Gefahrengrenze<br />
liegt.<br />
Bei dieser Sachlage hat das Amtsgericht beanstandungsfrei<br />
unter Hinzuziehung eines Sachverständigen<br />
überprüft, ob <strong>und</strong> gegebenenfalls mit welchem Sicherheitsabschlag<br />
das Messergebnis verwertbar ist.<br />
(Mitgeteilt von Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht<br />
Hans-Joach<strong>im</strong> Regul, Hamm)<br />
08. *) Ein Strafklageverbrauch infolge Tatidentität<br />
gemäß § 264 StPO ist bei Einstellung eines<br />
Verfahrens gem. § 153a StPO wegen des Erwerbs<br />
von Betäubungsmitteln gem. § 29 Abs. 1 BtMG <strong>und</strong><br />
Rechtsprechung<br />
39<br />
der zur Verurteilung gelangten Tat – Führen eines<br />
Kraftfahrzeugs in alkoholbedingten fahruntüchtigen<br />
Zustand, wobei <strong>im</strong> Blut ebenfalls Kokain <strong>und</strong><br />
Cannabisprodukte festgestellt worden sind – zu<br />
verneinen, weil der Erwerb von Betäubungsmittel<br />
mit deren Inbesitznahme abgeschlossen ist <strong>und</strong> die<br />
nachfolgende Trunkenheitsfahrt sich demnach als<br />
ein selbständiger geschichtlicher Vorgang darstellt.<br />
1. Amtsgericht Recklinghausen,<br />
Urteil vom 13. Mai 2009 – 28 Ds-12 Js 582/08-96/09 –<br />
2. Oberlandesgericht Hamm,<br />
Beschluss vom 14. September 2009<br />
– 2 Ss 319/09 OLG Hamm –<br />
1. Amtsgericht Recklinghausen<br />
Aus den Gründen:<br />
Am 29.11.2008 erhielten die Polizeibeamten C.<br />
<strong>und</strong> D. <strong>gegen</strong> 05.10 Uhr einen Einsatz zur Gaststätte<br />
„...“ in R. Zum Einsatz erhielten sie durch die Zeugin<br />
W. den Hinweis, dass ihr Fre<strong>und</strong>, der Angeklagte, soeben<br />
mit dem Pkw unter deutlichem <strong>Alkohol</strong>einfluss<br />
weggefahren sei. Den Polizeibeamten wurde sodann<br />
die Wohnanschrift des Angeklagten genannt. Das<br />
Fahrzeug konnte <strong>gegen</strong>über der Wohnanschrift des<br />
Angeklagten parkend festgestellt werden. Nachdem<br />
die Polizeibeamten an der Wohnungstür des Angeklagten<br />
geklingelt hatte, öffnete dieser die Wohnungstür.<br />
Der Angeklagte war offensichtlich stark alkoholisiert.<br />
Gegenüber den Polizeibeamten gab er an, mit einem<br />
Taxi nach Hause gefahren zu sein, wie das Auto vor die<br />
Tür gekommen sei, könne er sich nicht erklären. Auf<br />
dem Tisch der Wohnung befanden sich ganz offensichtlich<br />
Betäubungsmittelutensilien, insbesondere<br />
drei Brocken, bestehend aus Kokain, in einer durchsichtigen<br />
Zigarettenschachtelfolie. Auf Befragen gab<br />
der Angeklagte zu, Betäubungsmittel konsumiert zu<br />
haben. Nunmehr wurde die Entnahme von Blut angeordnet<br />
<strong>und</strong> zwar zur Feststellung von <strong>Alkohol</strong> <strong>und</strong><br />
<strong>Drogen</strong> <strong>im</strong> Blut. Die später festgestellte <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
für die Entnahmezeit um 06.10 Uhr betrug<br />
1,55 ‰. Im Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin<br />
der Universitätsklinik der H.-H.-Universität D.<br />
durch Prof. Dr. R. hat ein für Cannabisprodukte <strong>und</strong><br />
Kokain positives Ergebnis ergeben.<br />
Diese Feststellungen beruhen auf der nunmehr geständigen<br />
Einlassung des Angeklagten, der eingeräumt<br />
hat, das Fahrzeug geführt zu haben. Er ist jedoch dennoch<br />
der Auffassung, dass er sich nicht strafbar gemacht<br />
habe. Die Staatsanwaltschaft habe in der Anklageschrift<br />
vom 02. 03. 2009 wegen der erwähnten <strong>Blutalkohol</strong>konzentration,<br />
die zur absoluten Fahruntüchtigkeit<br />
führe, festgestellt, dass ein positiver Bef<strong>und</strong> für<br />
Kokainmetabolite <strong>und</strong> Cannabinoide vorgelegen hat.<br />
Bezüglich dieses Vorwurfes sei davon auszugehen,<br />
dass ein nunmehr <strong>gegen</strong> den Angeklagten abgetrennt<br />
geführtes Strafverfahren gem. § 153a StPO zunächst<br />
vorläufig <strong>und</strong> nunmehr entgültig eingestellt worden<br />
sei. Aus diesem Gr<strong>und</strong>e sei ein Strafklageverbrauch<br />
eingetreten, der Angeklagte könne für diesen Vorfall<br />
sodann nicht mehr bestraft werden.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
40 Rechtsprechung<br />
Die Auffassung teilt das Gericht nicht. Der Angeklagte<br />
hat das Fahrzeug <strong>im</strong> Zustand absoluter Fahruntüchtigkeit<br />
aufgr<strong>und</strong> des zuvor genossenen <strong>Alkohol</strong>s geführt.<br />
Dieses Fahren unter <strong>Alkohol</strong>einfluss ist von dem<br />
Fahren unter möglicherweise zusätzlichem Einfluss von<br />
Betäubungsmitteln als isoliert anzusehen. Anders wäre<br />
die Situation sicherlich, wenn davon ausgegangen werden<br />
könnte, dass die absolute Fahruntüchtigkeit aufgr<strong>und</strong><br />
des zuvor genossenen Btm-Konsums vorgelegen<br />
habe. Dies ist jedoch nicht der Fall. Daher ist das Gericht<br />
der Auffassung, dass ein Strafklageverbrauch nicht<br />
eingetreten ist, so dass der Angeklagte wegen Trunkenheit<br />
<strong>im</strong> Straßenverkehr zu verurteilen war.<br />
Bei der Strafzumessung war zu Gunsten des Angeklagten<br />
von der nunmehr geständigen Einlassung des<br />
Angeklagten auszugehen. Insgesamt ist das Gericht<br />
daher der Auffassung, dass eine Geldstrafe von 40<br />
Tagessätzen zu jeweils 10,– Euro <strong>gegen</strong> ihn als angemessen<br />
festzusetzen war.<br />
Darüber hinaus war ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen,<br />
der Führerschein war einzuziehen. Unter Berücksichtigung<br />
der seit dem Vorfall verstrichenen Zeit<br />
sowie unter Berücksichtigung der weiteren vorgenannten<br />
Strafzumessungsgesichtspunkte war das Gericht<br />
der Auffassung, dass eine weitere Sperrfrist von<br />
noch 6 Monaten angemessen ist.<br />
2. Oberlandesgericht Hamm<br />
A u s d e n G r ü n d e n (Verwerfung der -<br />
Revision):<br />
Wie die Generalstaatsanwaltschaft bereits zutreffend<br />
ausgeführt hat, ist ein Strafklageverbrauch durch<br />
die Einstellung des Verfahrens gem. § 153a StPO<br />
wegen des Erwerbs von Betäubungsmitteln gem. § 29<br />
Abs. 1 BtMG <strong>und</strong> der zur Verurteilung gelangten Tat –<br />
Führen eines Kraftfahrzeugs in alkoholbedingten fahruntüchtigen<br />
Zustand, wobei <strong>im</strong> Blut ebenfalls Kokain<br />
<strong>und</strong> Cannabisprodukte festgestellt worden sind – nicht<br />
gegeben.<br />
Das Strafverfahren hatte den Vorwurf des Erwerbs<br />
von Betäubungsmitteln zum Gegenstand. Diese Tat<br />
ist mit der Inbesitznahme der Betäubungsmittel abgeschlossen,<br />
so dass die nachfolgende Trunkenheitsfahrt<br />
einen selbständigen geschichtlichen Vorgang darstellt,<br />
demgemäß keine Tatidentität gem. § 264 StPO besteht.<br />
Etwas anderes ergäbe sich ent<strong>gegen</strong> der Revision<br />
selbst in dem Fall nicht, wenn das eingestellte Verfahren<br />
wegen des Vorwurfs des unerlaubten Besitzes von<br />
Betäubungsmitteln geführt worden wäre.<br />
Zwischen dem unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln<br />
<strong>und</strong> einer anschließenden Fahrt unter der Wirkung<br />
berauschender Mittel besteht verfahrensrechtlich<br />
keine Tatidentität i. S. d. § 264 StPO, wenn der Betäubungsmittelbesitz<br />
in keinem inneren Beziehungs- bzw.<br />
Bedingungszusammenhang mit dem Fahrvorgang<br />
steht (vgl. BGH, NStZ 2004, 694 [= BA 2005, 242];<br />
OLG Hamm, Beschluss vom 23. November 2005 –<br />
1 Ss 367/05 –).<br />
Soweit die Revision auf die Entscheidung BGHSt<br />
23, 141, 151 hinweist, ist anzumerken, dass es sich<br />
zwar um eine ähnliche Thematik, jedoch um eine vollkommen<br />
andere Fallgestaltung handelt, in der es um<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
die Frage der Tatidentität <strong>im</strong> Falle einer Straßenverkehrsgefährdung<br />
mit anschließender Unfallflucht geht.<br />
(Mitgeteilt von Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht<br />
Hans-Joach<strong>im</strong> Regul, Hamm)<br />
09. *) Das Straßenverkehrsgesetz (StVG) <strong>und</strong><br />
die Fahrerlaubnisverordnung (FeV) sehen für die<br />
Anordnung von ärztlichen Untersuchungen <strong>und</strong><br />
Begutachtungen keinen Richtervorbehalt vor. Die<br />
Annahme eines Verwertungsverbots einer unter<br />
Verstoß <strong>gegen</strong> den Richtervorbehalt nach § 81a<br />
StPO entnommenen Blutprobe geriete daher in<br />
einen Wertungswiderspruch, weil solche Fälle, die<br />
ihren Ausgang in einem straf- oder bußgeldrechtlich<br />
ahndungsfähigen Verkehrsverstoß nehmen,<br />
anders behandelt würden als solche, bei den die Behörde<br />
nach § 11 Abs. 6 <strong>und</strong> 8 FeV aufgr<strong>und</strong> sonstiger<br />
Erkenntnisse selbst Zweifeln an der Kraftfahreignung<br />
nachgeht.<br />
Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg,<br />
Beschluss vom 03. November 2009 – 1 S 205/09 –<br />
Aus den Gründen:<br />
Die Beschwerde ist unbegründet. Das Beschwerdevorbringen,<br />
anhand dessen der angefochtene Beschluss<br />
zu überprüfen ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO),<br />
rechtfertigt eine Änderung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts<br />
nicht, den Antrag auf Wiederherstellung<br />
der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs<br />
des Antragstellers <strong>gegen</strong> die für sofort vollziehbar<br />
erklärte Fahrerlaubnisentziehungsverfügung des Antragsgegners<br />
vom 22. April 2009 abzulehnen.<br />
Die Entscheidung stützt sich <strong>im</strong> Wesentlichen darauf,<br />
dass die Entziehung der Fahrerlaubnis auf der<br />
Gr<strong>und</strong>lage von § 3 Abs. 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1<br />
<strong>und</strong> 2 Fahrerlaubnisverordnung – FeV – i.V. m. Nr. 9.1<br />
sowie 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV offensichtlich rechtmäßig<br />
sei, weil der Antragsteller sich durch die Einnahme<br />
von Kokain <strong>und</strong> die regelmäßige Einnahme<br />
von Cannabis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen<br />
erwiesen habe. Der Antragsteller sei als<br />
Führer eines Kraftfahrzeuges <strong>im</strong> öffentlichen Straßenverkehr<br />
am 01. März 2009 in B. unter dem Einfluss<br />
von Betäubungsmitteln festgestellt worden, die<br />
ihm entnommene Blutprobe habe <strong>im</strong> gaschromatografisch-massenspektrometrischenUntersuchungsverfahren<br />
einen Nachweis des Wirkstoffs des Cannabis<br />
(63,1 ng/ml THC <strong>im</strong> Serum) <strong>und</strong> der Cannabis-Abbauprodukte<br />
(327 ng/ml THC-COOH; 31,5 11-OH-THC)<br />
ergeben, was bei massiver aktueller Beeinflussung für<br />
einen regelmäßigen Konsum von Cannabis spreche<br />
(Grenzwert ≥ 150 ng/ml THC-COOH, vgl. Beschlüsse<br />
des Senats vom 08. August 2008 – OVG 1 S 148.08 –<br />
<strong>und</strong> vom 17. September 2008 – OVG 1 S 163.08 –,<br />
OVG Bbg., Beschluss vom 13. Dezember 2004 – 4 B<br />
206/04 –). Außerdem habe die Blutprobe eine offenbar<br />
schon länger zurückliegende Einnahme von Kokain
ergeben (12,3 ng/ml des Kokain-Abbauproduktes<br />
Benzoylecgonin). Der Antragsteller, der bei der Verkehrskontrolle<br />
angab, am Vorabend Cannabis geraucht<br />
zu haben, hat mit dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz<br />
geltend gemacht, dass die ihm unter Verstoß<br />
<strong>gegen</strong> den Richtervorbehalt nach § 81a StPO entnommene<br />
Blutprobe <strong>im</strong> verwaltungsbehördlichen Verfahren<br />
nicht verwertet werden dürfe. Dem ist das Verwaltungsgericht<br />
in dem angefochtenen Beschluss<br />
ent<strong>gegen</strong>getreten. Ein strafprozessuales Verwertungsverbot<br />
könnte für das Verwaltungsverfahren allenfalls<br />
eingeschränkte Gültigkeit haben, da es nicht der Bestrafung<br />
des Betroffenen, sondern dem Schutz der Allgemeinheit<br />
vor ungeeigneten Kraftfahrern diene. Dies<br />
rechtfertige nach der Rechtsprechung des <strong>B<strong>und</strong></strong>esverwaltungsgerichts<br />
(Urteil vom 18. März 1982 –<br />
7 C 69.81 – BVerwGE 65, 157) die Verwertung eignungsrelevanter<br />
Erkenntnisse aus Untersuchungen<br />
<strong>und</strong> Begutachtungen als neue Tatsachen auch dann,<br />
wenn die Untersuchung oder das Gutachten selbst zu<br />
Unrecht angeordnet worden seien.<br />
Mit dem Beschwerdevorbringen vertieft der Antragsteller<br />
seinen Einwand mit dem Gedanken, dass<br />
auch die Strafverfolgungsbehörden <strong>und</strong> die Strafgerichte<br />
das öffentliche Interesse am Schutz der Allgemeinheit<br />
vor der Begehung von Straftaten zu beachten<br />
hätten <strong>und</strong> sich sowohl die Strafverfolgung als auch<br />
das Verwaltungshandeln als staatliches Verhalten mit<br />
Zwangscharakter darstelle, so dass letztlich die gleichen<br />
Maßstäbe zu gelten hätten. Diese Ausführungen<br />
stellen die Verwertbarkeit der durch die hier entnommene<br />
Blutprobe erlangten Erkenntnisse nicht in Frage.<br />
Der Senat hat sich mit solcher Argumentation bereits<br />
wiederholt auseinandergesetzt <strong>und</strong> dabei darauf hingewiesen,<br />
dass die Rechtsordnung keineswegs die Anforderungen<br />
an die Sachverhaltsaufklärung <strong>im</strong> – repressiven<br />
– strafrechtlichen Ermittlungsverfahren <strong>und</strong><br />
<strong>im</strong> – präventiven, der Gefahrenabwehr dienenden –<br />
Verwaltungsverfahren der Fahrerlaubnisbehörde gleich<br />
ausgestaltet habe, denn das Straßenverkehrsgesetz <strong>und</strong><br />
die Fahrerlaubnisverordnung sehen für die Anordnung<br />
von ärztlichen Untersuchungen <strong>und</strong> Begutachtungen<br />
keinen Richtervorbehalt vor. Die Annahme eines Verwertungsverbots<br />
geriete daher in einen Wertungswiderspruch,<br />
weil solche Fälle, die ihren Ausgang in<br />
einem straf- oder bußgeldrechtlich ahndungsfähigen<br />
Verkehrsverstoß nehmen, anders behandelt würden als<br />
solche, bei den die Behörde nach § 11 Abs. 6 <strong>und</strong> 8 FeV<br />
aufgr<strong>und</strong> sonstiger Erkenntnisse selbst Zweifeln an der<br />
Kraftfahreignung nachgeht (vgl. zuletzt Beschlüsse des<br />
Senats vom 30. Juni 2009 – OVG 1 S 103.09 – <strong>und</strong> vom<br />
14. Oktober 2009 – OVG 1 S 130.09 – ).<br />
10. 1. Mitteilungen des Gemeinsamen Zentrums<br />
der deutsch-tschechischen Polizei- <strong>und</strong> Zollzusammenarbeit<br />
über die Erteilung einer Fahrerlaubnis<br />
oder die Ausstellung eines Führerscheins in der<br />
Tschechischen Republik sind gr<strong>und</strong>sätzlich als vom<br />
Ausstellermitgliedstaat herrührende unbestreitba-<br />
Rechtsprechung<br />
41<br />
re Informationen <strong>im</strong> Sinne der Urteile des Europäischen<br />
Gerichtshofs vom 26. 06. 2008 (Rs. C-329/06<br />
<strong>und</strong> C-343/06 [BA 2008, 255] sowie C-334/06 bis<br />
C-336/06) anzusehen.<br />
2. Ist der Aufnahmemitgliedstaat berechtigt, eine<br />
in einem anderen EU-Mitgliedstaat erteilte Fahrerlaubnis<br />
nicht anzuerkennen, so berechtigt ein später<br />
in diesem Mitgliedstaat ausgestellter Führerschein<br />
den Inhaber nur dann zum Führen von<br />
Kraftfahrzeugen <strong>im</strong> Inland, wenn vor der Ausstellung<br />
eine erneute Prüfung der Fahreignung des Betroffenen<br />
erfolgt ist.<br />
3. § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV ist auf den Fall entsprechend<br />
anwendbar, dass ein (Ersatz-)Führerschein<br />
den Inhaber wegen des Fehlens einer vorangegangenen<br />
Überprüfung seiner Fahreignung nicht zum<br />
Führen von Kraftfahrzeugen <strong>im</strong> Inland berechtigt.<br />
4. Auch nach der neuesten Rechtsprechung<br />
des Europäischen Gerichtshofs zur Auslegung der<br />
Richtlinie 91/439/EWG (Beschl. v. 09. 07. 2009,<br />
C-445/08 [BA 2009, 408]) sind Behörden <strong>und</strong> Gerichte<br />
des Aufnahmemitgliedstaates berechtigt, bei<br />
Behörden des Ausstellermitgliedstaates Informationen<br />
über die Umstände der Erteilung einer Fahrerlaubnis<br />
einzuholen. Es ist Sache des nationalen<br />
Gerichts des Aufnahmemitgliedstaates zu prüfen,<br />
ob die erlangten Informationen als vom Ausstellermitgliedstaat<br />
herrührende unbestreitbare Informationen<br />
zu qualifizieren sind.<br />
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg,<br />
Beschluss vom 27. Oktober 2009 – 10 S 2024/09 –<br />
Aus den Gründen:<br />
Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, aber<br />
nicht begründet.<br />
Gegenstand der Entscheidung des Landratsamtes<br />
A.-D.-Kreis vom 17. 06. 2009 ist der Sache nach der<br />
dem Antragsteller am 03. 09. 2008 in der Tschechischen<br />
Republik ausgestellte (Ersatz-)Führerschein.<br />
Über die (Nicht-)Anerkennung der diesem Führerschein<br />
zugr<strong>und</strong>e liegende Fahrerlaubnis <strong>im</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esgebiet<br />
hat das Landratsamt bereits am 18. 08. 2008 entschieden.<br />
Die Ermächtigungsgr<strong>und</strong>lage für den feststellenden<br />
Verwaltungsakt vom 17. 06. 2009 folgt aus<br />
einer entsprechenden Anwendung des auf Fahrerlaubnisse<br />
bezogenen § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV.<br />
Der dem Antragsteller in der Tschechischen Republik<br />
am 03.09.2008 ausgestellte – zweite – Führerschein<br />
nennt auf der Seite 1 in der Rubrik 4b das<br />
Datum „03. 09. 2018“. Aus dieser Angabe folgt aber<br />
ent<strong>gegen</strong> der Beschwerdebegründung nicht, dass es<br />
sich bei diesem Führerschein „um einen völligen Neuerwerb<br />
einer Fahrerlaubnis gehandelt“ hat. Der zweiseitige<br />
tschechische Führerschein entspricht den Vorgaben<br />
des Anhangs 1a der Richtlinie 91/439/EWG.<br />
Danach betrifft die Angabe in der Rubrik 4b das<br />
Datum, an dem der Führerschein ungültig wird. Vom<br />
Führerschein ist aber das diesem Dokument zugr<strong>und</strong>e<br />
liegende Recht zu unterscheiden, Kraftfahrzeuge einer<br />
best<strong>im</strong>mten Klasse führen zu dürfen. In der deutschen<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
42 Rechtsprechung<br />
Fassung der Richtlinie 91/439/EWG wird diese Befugnis<br />
als „Fahrerlaubnis“ bezeichnet. Dies entspricht<br />
der innerstaatlichen Rechtslage (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 3<br />
StVG sowie § 22 Abs. 4 Satz 7 <strong>und</strong> § 25 FeV). Aber<br />
auch z. B. in der englischen Fassung dieser Richtlinie,<br />
die sprachlich gr<strong>und</strong>sätzlich nicht zwischen dem<br />
Recht <strong>und</strong> dem diese Befugnis bescheinigenden Dokument<br />
unterscheidet („driving licence“), kommt diese<br />
Differenzierung zum Ausdruck. Dies zeigt sich insbesondere<br />
bei den Vorgaben zur Rubrik 10 des EG-Musters<br />
des Führerscheins nach Anhang 1a der Richtlinie<br />
91/439/EWG. Danach ist nach der deutschen Fassung<br />
der Richtlinie für jede (Unter-)Klasse das Datum der<br />
ersten Fahrerlaubniserteilung anzugeben, das bei jeder<br />
späteren Ersetzung oder jedem späteren Umtausch erneut<br />
einzutragen ist. Ersetzung <strong>und</strong> Umtausch beziehen<br />
sich dabei nicht auf die unverändert bestehende<br />
Befugnis (Fahrerlaubnis), sondern auf das diese Berechtigung<br />
belegende Dokument (Führerschein), das<br />
Veränderungen unterworfen ist. Die Trennung zwischen<br />
dem Recht <strong>und</strong> dem Dokument kommt in der<br />
englischen Fassung der Richtlinie durch die Formulierung<br />
„date of first issue of each (sub)category (this date<br />
must be repeated on the new licence in the event of subsequent<br />
replacement or exchange)“ zum Ausdruck.<br />
In den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs vom<br />
26. 06. 2008 (Rs. C-329/06 <strong>und</strong> C-343/06 [BA 2008,<br />
255] sowie C-334/06 bis C-336/06) wird diese der<br />
Richtlinie 91/439/EWG zugr<strong>und</strong>e liegende Unterscheidung<br />
durch die Verwendung des Begriffspaars<br />
„Fahrberechtigung“ <strong>und</strong> „Führerschein“ deutlich.<br />
Durch die Eintragung des Datums „23. 06. 2006“ in<br />
der Rubrik 10 des Führerscheins vom 03. 09. 2008 hat<br />
die tschechische Behörde dieser Vorgabe der Richtlinie<br />
entsprochen. Denn an diesem Tag ist dem Antragsteller<br />
in der Tschechischen Republik nach den dortigen Vorschriften<br />
die Fahrerlaubnis der Klasse B erteilt worden.<br />
Ursprünglich hatte der Europäische Gerichtshof in<br />
seinem Urteil vom 29. 04. 2004 (C-476/01, Kapper<br />
[BA 2004, 450]) die Best<strong>im</strong>mungen der Richtlinie<br />
91/439/EWG so ausgelegt, dass den Mitgliedstaaten<br />
die Berücksichtigung eines Verstoßes <strong>gegen</strong> das<br />
Wohnsitzerfordernis dieser Richtlinie untersagt war.<br />
Diese Rechtsprechung hat der Gerichtshof aber in<br />
seinen Urteilen vom 26. 06. 2008 (Rs. C-329/06 <strong>und</strong><br />
C-343/06 sowie C-334/06 bis C-336/06) zur Auslegung<br />
der Art. 1 Abs. 2, 7 Abs. 1 sowie Art. 8 Abs. 2<br />
<strong>und</strong> 4 der Richtlinie 91/439/EWG wieder aufgegeben.<br />
Danach kann der Aufnahmemitgliedstaat die Anerkennung<br />
einer <strong>im</strong> EU-Ausland erteilten Fahrberechtigung<br />
ablehnen, wenn auf der Gr<strong>und</strong>lage von Angaben <strong>im</strong><br />
Führerschein oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat<br />
herrührenden unbestreitbaren Informationen feststeht,<br />
dass zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins<br />
sein Inhaber, auf den <strong>im</strong> Hoheitsgebiet des<br />
Aufnahmemitgliedstaates eine Maßnahme des Entzugs<br />
einer früheren Fahrerlaubnis angewendet worden<br />
ist, seinen ordentlichen Wohnsitz <strong>im</strong> Sinne von Art. 7<br />
Abs. 1 der Richtlinie 91/439/EWG nicht <strong>im</strong> Hoheitsgebiet<br />
des Ausstellermitgliedstaats hatte.<br />
Wie sich auch den Erwägungsgründen der Richtlinie<br />
91/439/EWG (z. B. Nr. 1, 4 <strong>und</strong> 10) entnehmen<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
lässt, dient diese auch der Erhöhung der Verkehrssicherheit.<br />
Bezugspunkt der Verpflichtung zur Anerkennung<br />
einer <strong>im</strong> EU-Ausland erteilten Fahrberechtigung<br />
<strong>im</strong> Inland ist entsprechend dieser Zielsetzung der<br />
Richtlinie allein diejenige Verwaltungsentscheidung<br />
des Ausstellermitgliedstaates, bei der die Fahreignung<br />
des Inhabers tatsächlich überprüft worden ist. Ein Dokument<br />
(Führerschein) des Ausstellermitgliedstaates,<br />
das nicht auf der erneuten Prüfung der Fahreignung<br />
des Betroffenen nach Art. 7 der Richtlinie<br />
91/439/EWG beruht, sondern lediglich die zu einem<br />
früheren Zeitpunkt erteilte Fahrerlaubnis dokumentiert,<br />
begründet nicht die Anerkennungspflicht des<br />
Aufnahmemitgliedstaates (vgl. BVerwG, Urt. v.<br />
29.01.2009 – 3 C 31.07 –, Rn. 19 f. [BA 2009, 348]<br />
unter Hinweis auf die Urteile des EuGH vom<br />
26. 06. 2008, Rs. C-329/06 <strong>und</strong> C-343/06 sowie<br />
C-334/06 bis C-336/06, Rn. 52 <strong>und</strong> Rn. 49).<br />
Ausgehend von diesen Gr<strong>und</strong>sätzen berechtigt auch<br />
der dem Antragsteller am 03. 09. 2008 in der Tschechischen<br />
Republik ausgehändigte – zweite – Führerschein<br />
diesen nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen der<br />
Klasse B <strong>im</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esgebiet.<br />
Hinsichtlich der Fahrberechtigung des Antragstellers,<br />
die erstmals in dem am 23. 06. 2006 in der Tschechischen<br />
Republik erteilten Führerschein dokumentiert<br />
worden ist, bestand für die <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik<br />
Deutschland nach den oben genannten Urteilen des<br />
Europäischen Gerichtshofs vom 26. 06. 2008 keine<br />
Anerkennungspflicht. Denn in diesem Führerschein ist<br />
in der Rubrik Nr. 8 der inländische Wohnort des Antragstellers<br />
eingetragen. Unerheblich ist, dass das von<br />
der Richtlinie 91/439/EWG vorgeschriebene Wohnortprinzip<br />
in der Tschechischen Republik erst nach der<br />
Erteilung der Fahrerlaubnis (am 01.07. 2006) eingeführt<br />
worden ist. Maßgeblich ist allein, dass die Fahrerlaubnis<br />
unter Verstoß <strong>gegen</strong> die – auch für die<br />
Tschechische Republik verbindlichen – gemeinschaftsrechtlichen<br />
Vorgaben erteilt worden ist (vgl. BVerwG,<br />
Urt. v. 11.12. 2008 – 3 C 26.07 –, Rn. 34, DAR 2009,<br />
213 [= BA 2009, 229]). Von der Ermächtigung des<br />
Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG in der Gestalt<br />
der Auslegung durch die Urteile des Gerichtshofs<br />
vom 26. 06. 2008 hatte der Verordnungsgeber zulässigerweise<br />
durch § 28 Abs. 4 FeV Gebrauch gemacht, so<br />
dass die Ablehnung der Anerkennung dieser Fahrerlaubnis<br />
keines Einzelaktes einer deutschen Verwaltungsbehörde<br />
bedurfte.<br />
In Bezug auf den Antragsteller waren bereits zum<br />
Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis in der<br />
Tschechischen Republik die Voraussetzungen von<br />
§ 28 Abs. 4 Nr. 2 <strong>und</strong> 3 FeV a. F. erfüllt. Zum einen<br />
hatte der Antragsteller zum Zeitpunkt der Erteilung<br />
der Fahrerlaubnis seinen ordentlichen Wohnsitz <strong>im</strong><br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esgebiet. Zum anderen war dem Antragsteller<br />
durch den noch verwertbaren Strafbefehl des Amtsgerichts<br />
Ulm vom 10. 05. 2005 die Fahrerlaubnis nach<br />
§ 69 StGB entzogen worden. Durch seine Verfügung<br />
vom 18. 08. 2008 hat das Landratsamt die fehlende Berechtigung<br />
des Antragstellers festgestellt.<br />
Der zweite dem Antragsteller in der Tschechischen<br />
Republik ausgehändigte Führerschein vom
03. 09. 2008 beruht nicht auf einer erneuten Überprüfung<br />
der Fahreignung des Antragstellers, sondern dokumentiert<br />
lediglich – erneut – die <strong>im</strong> Juni 2006 erworbene<br />
<strong>und</strong> von der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik Deutschland<br />
zulässigerweise nicht anerkannte Fahrberechtigung.<br />
Bei der Frage, ob ein weiterer <strong>im</strong> Ausstellermitgliedstaat<br />
erteilter – zweiter – Führerschein den Inhaber<br />
zum Führen von Kraftfahrzeugen der entsprechenden<br />
Klasse <strong>im</strong> Inland berechtigt, dürfen zumindest die<br />
jenigen Erkenntnisquellen verwertet werden, die der<br />
Europäische Gerichtshof in seinen Urteilen vom<br />
26. 06. 2008 als zulässige Hinweise hinsichtlich der<br />
Nichtanerkennung einer <strong>im</strong> EU-Ausland erworbenen<br />
Fahrerlaubnis wegen des Verstoßes <strong>gegen</strong> das Wohnsitzerfordernis<br />
der Richtlinie 91/439/EWG angesehen<br />
hat. Verwertbar sind danach zumindest Angaben <strong>im</strong><br />
Führerschein selbst oder andere vom Ausstellermitgliedstaat<br />
herrührende unbestreitbare Informationen.<br />
Hier ergibt sich die tatsächliche Gr<strong>und</strong>lage für die<br />
rechtliche Unbeachtlichkeit des zweiten Führerscheins<br />
vom 03. 09. 2008 jedenfalls aus der zu berücksichtigenden<br />
Stellungnahme des Gemeinsamen Zentrums<br />
der deutsch-tschechischen Polizei- <strong>und</strong> Zollzusammenarbeit<br />
vom 15. 06. 2009.<br />
Rechtsgr<strong>und</strong>lage dieser Einrichtung ist der den Prozessbevollmächtigten<br />
des Antragstellers übersandte<br />
Vertrag zwischen der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik Deutschland<br />
<strong>und</strong> der Tschechischen Republik über die Zusammenarbeit<br />
der Polizeibehörden <strong>und</strong> der Grenzschutzbehörden<br />
in den Grenzgebieten vom 19. 09. 2000. Nach<br />
Art. 4 Abs. 1 des Vertrages („Besondere Formen der<br />
Zusammenarbeit“) leisten die in Art. 2 des Vertrages<br />
genannten Behörden einander in den Grenzgebieten<br />
<strong>im</strong> Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten zur Abwehr<br />
von Gefahren für die öffentliche Sicherheit <strong>und</strong><br />
Ordnung Hilfe. Sofern die ersuchte Behörde für die<br />
Erledigung des Ersuchens nicht zuständig ist, wird dieses<br />
an die hierfür zuständige innerstaatliche Behörde<br />
weitergeleitet (Art. 4 Abs. 1 Satz 2 des Vertrages). Gegenstand<br />
eines Hilfeersuchens nach Art. 4 Abs. 1 des<br />
Vertrages können nach Abs. 3 Informationen zu Führerscheinen<br />
(Buchst. b) oder Informationen aus polizeilichen<br />
Ermittlungen <strong>und</strong> Unterlagen sowie aus Informationssystemen,<br />
Registern <strong>und</strong> sonstigen Sammlungen<br />
nach Maßgabe der Rechtsvorschriften der Vertragsstaaten<br />
(Buchst. j) sein. Auch aus der Regelung in<br />
Art. 5 des Vertrages über die „Zusammenarbeit in gemeinsam<br />
besetzten Dienststellen“ ergibt sich, dass es<br />
sich dabei nicht etwa um eine supranationale Einrichtung<br />
handelt. Vielmehr arbeiten Bedienstete der beiden<br />
Vertragsstätten in gemeinsamen Einrichtungen lediglich<br />
zusammen, unterstehen aber ausschließlich der<br />
Weisungs- <strong>und</strong> Disziplinargewalt ihrer jeweiligen nationalen<br />
Behörde (vgl. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 des Vertrages).<br />
Dementsprechend stammen die Auskünfte über<br />
die Wohnsitznahme des Antragstellers in der Tschechischen<br />
Republik <strong>und</strong> die dort erfolgte Erteilung einer<br />
Fahrerlaubnis der Klasse B sowie die Aushändigung<br />
von zwei Führerscheinen (23. 06. 2006 sowie<br />
03. 09. 2008) von Behörden der Tschechischen Republik.<br />
Auch in der Mitteilung des Gemeinsamen Zentrums<br />
vom 15. 06. 2009 wird deutlich zum Ausdruck<br />
Rechtsprechung<br />
43<br />
gebracht, dass die Tschechische Polizei die vom Landratsamt<br />
erbetenen Überprüfungen durchgeführt hat.<br />
Zu einer solchen Anfrage be<strong>im</strong> Ausstellermitgliedstaat<br />
hinsichtlich der Umstände der Erteilung von Fahrerlaubnissen<br />
<strong>und</strong> Führerscheinen ist eine deutsche Fahrerlaubnisbehörde<br />
berechtigt, wenn es um die Anerkennung<br />
einer <strong>im</strong> EU-Ausland erworbenen Fahrberechtigung<br />
<strong>im</strong> Inland geht (vgl. EuGH, Beschl. v.<br />
09. 07. 2009, C-445/08, Wierer, Rn. 59 f. [BA 2009,<br />
408]). Damit handelt es sich bei der Auskunft vom<br />
15. 06. 2009 um vom Ausstellermitgliedstaat herrührende<br />
unbestreitbare Informationen. Nach der danach<br />
verwertbaren Mitteilung des Gemeinsamen Zentrums<br />
vom 15. 06. 2009 ist der <strong>im</strong> Juni 2006 ausgestellte<br />
Führerschein <strong>im</strong> September 2008 lediglich wegen der<br />
„Änderung von Angaben“ – geändert wurde in erster<br />
Linie der Eintrag in der Rubrik Nr. 8 (Wohnort) – ersetzt<br />
worden <strong>und</strong> beruht nicht auf einer erneuten Überprüfung<br />
der Fahreignung des Antragstellers.<br />
Auch der Hinweis auf die Ausführungen <strong>im</strong> Urteil<br />
des Senats vom 20. 03. 2009 (– 10 S 95/08 –) verhilft<br />
der Beschwerde nicht zum Erfolg. Denn diese betreffen<br />
die hier nicht gegebene Fallkonstellation, dass der<br />
Fahrerlaubnisinhaber zum Zeitpunkt der Erteilung der<br />
Fahrerlaubnis tatsächlich seinen Wohnsitz in den Ausstellermitgliedstaat<br />
verlegt hatte.<br />
(Mitgeteilt vom 10. Senat des Verwaltungsgerichtshofs<br />
Baden-Württemberg)<br />
11. 1. Zur Bindungswirkung bezüglich der Fahreignung<br />
des Fahrerlaubnisinhabers bei einer Verurteilung<br />
nach § 24a StVG.<br />
2. Ein Fahrverbot nach § 25 StVG <strong>und</strong> die Entziehung<br />
der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 StVG<br />
stellen keine Doppelbestrafung dar.<br />
*) 3. Nur dann, wenn der Strafrichter <strong>im</strong> Rahmen<br />
des § 69 StGB die Eignung zum Führen von<br />
Kraftfahrzeugen zu beurteilen hatte <strong>und</strong> nachprüfbar<br />
tatsächlich auch beurteilt hat, ist die Verwaltungsbehörde<br />
an diese Entscheidung nach Maßgabe<br />
des § 3 Abs. 4 StVG gr<strong>und</strong>sätzlich geb<strong>und</strong>en.<br />
4. An dem erforderlichen Trennungsvermögen<br />
zwischen <strong>Drogen</strong>konsum <strong>und</strong> Fahren eines Kraftfahrzeuges<br />
gemäß Ziff. 9.2.2 der Anlage 4 fehlt es<br />
<strong>im</strong>mer dann, wenn der Kraftfahrer objektiv unter<br />
dem Einfluss einer Cannabiskonzentration am<br />
Straßenverkehr teilgenommen hat, bei der nach<br />
wissenschaftlichen Erkenntnissen davon ausgegangen<br />
werden muss, dass sich das Risiko von Beeinträchtigungen,<br />
die negative Auswirkungen auf die<br />
Verkehrssicherheit haben, signifikant erhöht hat.<br />
Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt,<br />
Beschluss vom 16.10.2009 – 3 M 575/08 –<br />
Aus den Gründen:<br />
Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
44 Rechtsprechung<br />
Die mit der Beschwerdebegründung vorgebrachten<br />
Einwände, auf deren Prüfung der Senat gem. § 146<br />
Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, geben zu einer<br />
Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung keinen<br />
Anlass.<br />
Soweit die Beschwerdeschrift eine Aufhebung des<br />
angefochtenen Gerichtsbeschlusses für gerechtfertigt<br />
hält, weil dieser keinen Tatbestandsteil enthalte <strong>und</strong><br />
das Amtsgericht Halle-Saalkreis erwähne, das in dieser<br />
Sache nicht tätig geworden sei, greifen diese Einwände<br />
nicht durch. [wird ausgeführt]<br />
Weiter wendet der Antragsteller ein, auf eine Nichteignung<br />
zum Führen von Kraftfahrzeugen könne nur<br />
aus der Verletzung von § 315c StGB geschlossen werden,<br />
nicht hin<strong>gegen</strong> aufgr<strong>und</strong> einer Verkehrsordnungswidrigkeit<br />
nach § 24a StVG, der er <strong>im</strong> Urteil des<br />
Amtsgerichts München vom 18. Oktober 2007 für<br />
schuldig bef<strong>und</strong>en worden sei. Die Feststellung <strong>im</strong><br />
vorgenannten Urteil, dass eine drogenbedingte Fahruntüchtigkeit<br />
in der Hauptverhandlung nicht habe festgestellt<br />
werden können, entfalte Bindungswirkung.<br />
Das Vorbringen des Antragstellers rechtfertigt indes<br />
nicht die Annahme, dass die Frage der (Nicht)Eignung<br />
des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen<br />
vom Gericht damit ausdrücklich positiv oder negativ<br />
beantwortet worden sei (vgl. BVerwG, Urt. v.<br />
15. 07. 1988 – 7 C 46/87 – BVerwGE 80, 43). Die Feststellung<br />
<strong>im</strong> Urteil des Amtsgerichts München vom<br />
18. Oktober 2007, „dass eine drogenbedingte Fahruntüchtigkeit<br />
in der Hauptverhandlung nicht mit der erforderlichen<br />
Sicherheit festgestellt werden konnte“,<br />
macht vielmehr deutlich, dass sich Zweifel an der<br />
zur Verwirklichung des Straftatbestandes nach § 316<br />
StGB erforderlichen Fahrunsicherheit zu Gunsten des<br />
Antragstellers ausgewirkt haben <strong>und</strong> sich eine Maßregelentscheidung<br />
gem. § 69 StGB, ob sich „aus der Tat“<br />
ergibt, dass der Antragsteller zum Führen von Kraftfahrzeugen<br />
ungeeignet ist bzw. aufgr<strong>und</strong> einer rechtswidrigen<br />
Tat i. S. des § 69 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 StGB in<br />
der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen<br />
anzusehen ist, überhaupt nicht gestellt hat.<br />
Eine Bindungswirkung bezüglich der Fahreignung des<br />
Antragstellers liegt hier nicht vor, zumal § 267 Abs. 6<br />
StPO den Strafrichter zu einer besonderen Begründung<br />
verpflichtet, wenn er entweder ent<strong>gegen</strong> einem in<br />
der Verhandlung gestellten Antrag oder aber in solchen<br />
Fällen von einer Entziehung der Fahrerlaubnis absieht,<br />
in denen diese Maßregel nach der Art der Straftat in<br />
Betracht gekommen wäre (vgl. BVerwGE 80, 43). Im<br />
Übrigen hat das <strong>B<strong>und</strong></strong>esverwaltungsgericht (Urt. v.<br />
27. 09. 1995 – 11 C 34/94 – BVerwGE 99, 249) selbst<br />
für den Fall einer rechtskräftigen Verurteilung wegen<br />
Trunkenheit <strong>im</strong> Verkehr nach § 316 StGB festgestellt:<br />
„Nur dann, wenn der Strafrichter <strong>im</strong> Rahmen des<br />
§ 69 StGB die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen<br />
zu beurteilen hatte <strong>und</strong> nachprüfbar tatsächlich<br />
auch beurteilt hat, ist die Verwaltungsbehörde<br />
an diese Entscheidung nach Maßgabe des § 4 Abs. 3<br />
StVG gr<strong>und</strong>sätzlich geb<strong>und</strong>en. In allen anderen Fällen<br />
– wie hier – ist die zuständige Straßenverkehrsbehörde<br />
berechtigt <strong>und</strong> verpflichtet, in eigener Zu-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
ständigkeit unter Berücksichtigung aller Umstände<br />
des Einzelfalles <strong>und</strong> der Gesamtpersönlichkeit zu<br />
prüfen, ob einem Fahrerlaubnisinhaber die notwendige<br />
Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeuges<br />
fehlt.“<br />
Letzteres gilt erst recht <strong>im</strong> Falle einer Verurteilung<br />
nach § 24a StVG (wie hier), welche folgenlose Kfz-<br />
Fahrten unter der Einwirkung best<strong>im</strong>mter Rauschmittel<br />
erfasst, nach deren Einnahme der Betroffene zwar<br />
nicht nachweisbar fahrunsicher i. S. des § 316 StGB<br />
ist, so dass eine strafrechtliche Verfolgung hiernach<br />
entfällt, die aber allgemein geeignet sind, die Verkehrs-<br />
<strong>und</strong> Fahrsicherheit zu beeinträchtigen. Zum objektiven<br />
Tatbestand des § 24a Abs. 2 StVG gehört<br />
lediglich das Führen eines Kraftfahrzeuges unter der<br />
Wirkung eines der in der Anlage zu § 24a StVG<br />
genannten berauschenden Mittels (vgl. Jagow/Burmann/Heß,<br />
Straßenverkehrsrecht, 20. Aufl. 2008, § 24 a<br />
StVG Rdnrn. 5, 5 a). Die Fahreignung ist für den abstrakten<br />
Gefährdungstatbestand, bei dem es auf eine tatsächliche<br />
Beeinträchtigung der Fahrsicherheit oder<br />
Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer <strong>im</strong> Einzelfall<br />
nicht ankommt, nicht entscheidungsrelevant. Erforderlich<br />
ist lediglich die Feststellung einer Substanz<br />
i. S. des § 24a Abs. 2 Satz 1 StVG in einer Konzentration,<br />
die eine Beeinträchtigung der Fahrsicherheit zumindest<br />
als möglich erscheinen lässt (vgl. OLG Köln,<br />
Beschl. v. 30. 06. 2005 – 8 Ss OWi 103/05 – DAR<br />
2005, 646 unter Verweis auf BVerfG, Beschl. v.<br />
21.12. 2004 – 1 BvR 2652/03 – NJW 2005, 349).<br />
Weiter macht die Beschwerdeschrift geltend, der Antragsteller<br />
sei anlässlich der Verkehrskontrolle am 14.<br />
Mai 2007 nicht durch Fahrfehler aufgefallen <strong>und</strong> habe<br />
eingeräumt, 20 St<strong>und</strong>en vor der Verkehrskontrolle einmalig<br />
Marihuana zur Entspannung geraucht zu haben.<br />
Dies alles begründe allenfalls eine entfernte Möglichkeit<br />
eines Eignungsmangels <strong>und</strong> rechtfertige nicht die<br />
Anforderungen eines MPU-Gutachtens. Zudem habe er<br />
die Kosten für das MPU-Gutachten nicht aufbringen<br />
können, weil er noch die Kosten für das Verfahren vor<br />
dem Amtsgericht München ratenweise abzahle.<br />
Auch diese Einwände greifen nicht durch.<br />
Zunächst kann ausweislich der dem Gericht vorliegenden<br />
Verwaltungsvorgänge nicht von einem einmaligen<br />
<strong>Drogen</strong>konsum ausgegangen werden. Ausweislich<br />
des Protokolls über die Hauptverhandlung vor<br />
dem Amtsgericht München vom 18. Oktober 2007 erklärte<br />
der Antragsteller:<br />
„Der letzte <strong>Drogen</strong>konsum war am Sonntagnachmittag<br />
um 15.00 Uhr. Danach kann ich gut schlafen.<br />
Ich mache das nur, wenn ich zuhause bin. Ich habe<br />
2 Gramm auf das ganze Wochenende verteilt konsumiert.“<br />
Der Sachbericht des PM S. zur Verkehrskontrolle<br />
am 14. Mai 2007 enthält folgende Feststellungen:<br />
„Auf den Konsum von <strong>Drogen</strong> angesprochen<br />
antwortete Herr A. zunächst, das letzte Mal vor<br />
einem halben Jahr Marihuana konsumiert zu haben.<br />
Bei einer erneuten Nachfrage räumte er ein, das<br />
letzte Mal am Wochenende (11., 12., 13. 05. 07)<br />
Marihuana zur Entspannung geraucht zu haben“.
Diese Angaben decken sich mit den handschriftlichen<br />
Angaben des PM S. <strong>im</strong> „Polizeilicher Bericht –<br />
<strong>Drogen</strong> <strong>im</strong> Straßenverkehr“ unter Ziffer 6: „Bei der<br />
Überprüfung seiner Fahruntüchtigkeit gab Herr A. an,<br />
am Wochenende (11., 12., 13. 05. 07) Marihuana konsumiert<br />
zu haben“ sowie unter Ziffer 16: „letzter BtM-<br />
Konsum lt. eigenen Angaben: 13. 05. 07, 14.00 – 15.00<br />
<strong>und</strong> am 12. 05. 07, 11. 05. 07“.<br />
Auch hat der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers<br />
in seinen Schriftsätzen vom 2. Januar 2008<br />
<strong>und</strong> 14. Januar 2008 an den Antragsgegner sowie <strong>im</strong><br />
Widerspruchsschreiben vom 03. Juni 2008 <strong>gegen</strong> die<br />
streit<strong>gegen</strong>ständliche Ordnungsverfügung vom 27.<br />
Mai 2008 zwar einen chronischen Konsum verneint,<br />
die angebliche Einmaligkeit des Konsums aber nicht<br />
erwähnt. Letzteres hat der Prozessbevollmächtigte des<br />
Antragstellers – soweit ersichtlich – erstmals mit seinem<br />
Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz vom 04. August<br />
2008 behauptet.<br />
Der Senat hat bei dieser Sachlage keine Veranlassung,<br />
eine „gelegentliche“ Einnahme von Cannabis<br />
i.S. von § 46 Abs. 3, 14 Abs. 1 Satz 4 FeV i. V. m.<br />
Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 <strong>und</strong> 14 FeV<br />
(als Voraussetzung für die Anordnung der Beibringung<br />
eines medizinisch-psychologischen Gutachtens) in<br />
Zweifel zu ziehen, die jedenfalls nach mindestens zwei<br />
voneinander unabhängigen Konsumakten bejaht werden<br />
kann (so OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v.<br />
16. Juni 2009 – 1 S 17.09 – BA 2009, 356; BayVGH,<br />
Beschl. v. 25. 11.2008 – 11 CS 08.2238 – juris; Beschl.<br />
v. 25. 01. 2006 – 11 CS 05.1453 – DAR 2006, 349<br />
[= BA 2006, 422]; VGH Bad.-Württ., Beschl.<br />
v. 29. 09. 2003 – 10 S 1294/03 – DÖV 2004, 129<br />
[= BA 2004, 185]; a. A. OVG Hamburg, Beschl.<br />
v. 23. 06. 2005 – 3 Bs 87/05 – VRS 2005, 214<br />
[= BA 2006, 165], wonach schon die einmalige Einnahme<br />
von Cannabis für eine „gelegentliche“ Einnahme<br />
i. S. des § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV ausreichen soll).<br />
Auch der Einwand, der Antragsteller sei bei der Verkehrskontrolle<br />
am 14. Mai 2007 nicht durch einen<br />
Fahrfehler aufgefallen, ist nicht entscheidungserheblich.<br />
Soweit die Anforderungen an die Beibringung<br />
eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gem.<br />
§ 46 Abs. 3 i. V. m. § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV zudem an<br />
weitere Tatsachen, die Zweifel an der (Fahr)Eignung<br />
begründen, anknüpft, regelt Ziffer 9 der Anlage 4,<br />
unter welchen Umständen der Betäubungsmittelkonsum<br />
zur Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen<br />
führt. Nach Nr. 9.2.2 lässt die gelegentliche Einnahme<br />
von Cannabis die Eignung nur dann unberührt,<br />
wenn der Fahrerlaubnisinhaber zwischen dem <strong>Drogen</strong>konsum<br />
<strong>und</strong> dem Führen eines Kraftfahrzeuges<br />
trennen kann, kein zusätzlicher Gebrauch von <strong>Alkohol</strong><br />
oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen sowie<br />
keine Persönlichkeitsstörung <strong>und</strong> kein Kontrollverlust<br />
eingetreten ist.<br />
Hieran gemessen kann sich der Antragsteller <strong>im</strong> Ergebnis<br />
der Verkehrskontrolle vom 14. Mai 2007 nicht<br />
mit Erfolg auf das erforderliche Vermögen, zwischen<br />
<strong>Drogen</strong>konsum <strong>und</strong> Fahren eines Kraftfahrzeuges zu<br />
trennen, berufen. Denn an einer solchen Trennung<br />
Rechtsprechung<br />
45<br />
fehlt es <strong>im</strong>mer dann, wenn der Kraftfahrer objektiv<br />
unter dem Einfluss einer Cannabiskonzentration am<br />
Straßenverkehr teilgenommen hat, bei der nach wissenschaftlichen<br />
Erkenntnissen davon ausgegangen<br />
werden muss, dass sich das Risiko von Beeinträchtigungen,<br />
die negative Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit<br />
haben, signifikant erhöht hat. Bei der be<strong>im</strong><br />
Antragsteller festgestellten THC-Konzentration von<br />
2,3 ng/ml besteht nach der aktuellen Rechtsprechung<br />
der Obergerichte (vgl. hierzu: OVG Berlin-Brandenburg,<br />
Beschl. v. 16. 06. 2009, a. a. O., m. w. N.) kein<br />
Anlass, das fehlende Trennungsvermögen in Zweifel<br />
zu ziehen.<br />
Rechtliche Bedenken <strong>gegen</strong> die Rechtmäßigkeit der<br />
Anordnung des medizinisch-psychologischen Gutachtens<br />
ergeben sich auch nicht deshalb, weil der Antragsteller<br />
vorträgt, er habe die Kosten hierfür nicht aufbringen<br />
können.<br />
Insoweit bestehen bereits Zweifel an der Richtigkeit<br />
dieser Behauptung. Im Verwaltungsverfahren hat sich<br />
der Antragsteller hierauf nicht berufen, sondern vielmehr<br />
mit Schreiben vom 25. Februar 2008 um einen<br />
Aufschub des Abgabetermins des MPU-Gutachtens<br />
gebeten, da er die Termine zur Erbringung von drei Laborwerten<br />
wegen seiner Montagetätigkeit nicht fristgemäß<br />
wahrnehmen könne. Im Übrigen ist die Behauptung,<br />
unter Hinweis auf die ratenweise Abzahlung<br />
der Kosten für das Verfahren vor dem Amtsgericht<br />
München, die Gutachtenskosten nicht aufbringen zu<br />
können, völlig unsubstantiiert geblieben <strong>und</strong> nicht ansatzweise<br />
belegt bzw. glaubhaft gemacht worden. Das<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esverwaltungsgericht hat bereits mit Urteil vom<br />
12. März 1985 (– 7 C 26/83 – BVerwGE 71, 93) festgestellt,<br />
dass die Fahrerlaubnisbehörde gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
auch dann nicht gehindert ist, aus der Nichtbeibringung<br />
eines zu Recht angeforderten Eignungsgutachtens<br />
negative Schlüsse zu ziehen, wenn der Fahrerlaubnisinhaber<br />
sich auf mangelnde finanzielle Leistungsfähigkeit<br />
beruft; eine abweichende Bewertung sei nur „unter<br />
ganz best<strong>im</strong>mten Umständen“ geboten, für die dem<br />
Fahrerlaubnisinhaber die volle Darlegungs- <strong>und</strong> Beibringungslast<br />
obliege. Diesen Anforderungen wird das<br />
Beschwerdevorbringen nicht gerecht.<br />
Soweit die Beschwerdeschrift ausführt, der Antragsteller<br />
sei nach Ergehen der Entziehungsverfügung vom<br />
27. Mai 2008 vier Monate verkehrsrechtlich nicht negativ<br />
in Erscheinung getreten, ändert dies nichts an dem<br />
Umstand, dass er sich der Überprüfung seiner Fahreignung<br />
durch Beibringung des behördlich geforderten<br />
medizinisch-psychologischen Gutachtens entzogen hat<br />
<strong>und</strong> die Fahrerlaubnisbehörde danach gem. § 11 Abs. 8<br />
FeV berechtigt ist, bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung<br />
des Betroffenen zu schließen. Im Übrigen<br />
rechtfertigt der Umstand, dass der Antragsteller verkehrsrechtlich<br />
nicht auffällig wurde, weder den Schluss,<br />
dass er seine Cannabiseinnahme aufgegeben hat noch<br />
zumindest, dass er mittlerweile sicher zwischen Konsum<br />
<strong>und</strong> Fahren zu trennen vermag <strong>und</strong> insoweit eine<br />
dauerhafte Verhaltensänderung eingetreten ist.<br />
Soweit der Antragsteller eine unzureichende Ermessensausübung<br />
des Antragsgegners <strong>und</strong> eine unterlasse-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
46 Rechtsprechung<br />
ne Würdigung seiner Gesamtpersönlichkeit unter Berücksichtigung<br />
aller Umstände, die für <strong>und</strong> <strong>gegen</strong> seine<br />
Fahreignung sprechen, vor Entzug der Fahrerlaubnis<br />
einwendet, verkennt der Antragsteller, dass er infolge<br />
der Nichtbeibringung des geforderten MPU-Gutachtens<br />
eine Klärung der aufgetretenen Zweifel an seiner<br />
Fahreignung gerade verhindert hat. Erweist sich der<br />
Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen<br />
von Kraftfahrzeugen, hat ihm die Fahrerlaubnisbehörde<br />
die Fahrerlaubnis (zwingend) zu entziehen (vgl.<br />
§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 Satz 1<br />
FeV). § 11 Abs. 8 FeV ermöglicht es der Fahrerlaubnisbehörde<br />
<strong>im</strong> Interesse der Verkehrssicherheit rechtliche<br />
Folgen aus der mangelnden Mitwirkungsbereitschaft<br />
des Fahrerlaubnisinhabers zu ziehen.<br />
Ohne Erfolg bleibt auch das Vorbringen der Beschwerdeschrift,<br />
die Vollzugsanordnung lege das besondere<br />
<strong>und</strong> überwiegende Vollzugsinteresse nicht dar<br />
<strong>und</strong> berücksichtige nicht in angemessener Weise die<br />
Tätigkeit des Antragstellers als Berufskraftfahrer. Angesichts<br />
des Umstandes, dass sich der Antragsteller<br />
etwa sieben Jahre verkehrsrechtlich einwandfrei verhalten<br />
habe, sprächen keine gewichtigen Gründe für<br />
seine (Fahr)Ungeeignetheit <strong>und</strong> die Annahme sei nicht<br />
gerechtfertigt, er werde als Führer eines Kraftfahrzeuges<br />
gerade während des schwebenden Verfahrens den<br />
Straßeverkehr gefährden.<br />
Es bestehen – auch mit Blick auf die Berufstätigkeit<br />
des Antragstellers – keine rechtlichen Bedenken, von<br />
einem Überwiegen des öffentlichen Interesses am Sofortvollzug<br />
auszugehen, weil ein Fahrerlaubnisinhaber,<br />
der unter Verletzung der ihm obliegenden Mitwirkungspflichten<br />
die berechtigten Zweifel an seiner<br />
Kraftfahreignung nicht ausräumen konnte, bereits deshalb<br />
unverzüglich von der weiteren Teilnahme am<br />
Straßenverkehr auszuschließen ist (so OVG LSA,<br />
Beschl. v. 08. 02. 2005 – 1 M 442/04 –).<br />
Der Senat sieht auch keine Veranlassung für das<br />
vom Antragsteller beantragte Vorlageverfahren an den<br />
Europäischen Gerichtshof nach Art. 234 EGV.<br />
Ein Fahrverbot nach § 25 StVG (wie hier) <strong>und</strong> die<br />
verwaltungsrechtliche Entscheidung über die Entziehung<br />
der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 StVG stellen<br />
keine – wie der Antragsteller behauptet – Doppelbestrafung<br />
für ein <strong>und</strong> dasselbe Delikt dar. Das sich bereits<br />
aus Art. 103 Abs. 3 GG ergebende Doppelbestrafungsverbot<br />
„ne bis in idem“ verbietet allein die<br />
wiederholte Sanktionierung eines Verhaltens, also das<br />
repressive Einschreiten des Staates zu Strafzwecken.<br />
Sein Regelungsgehalt erstreckt sich da<strong>gegen</strong> nicht auf<br />
die – hier streit<strong>gegen</strong>ständliche – verwaltungsrechtliche<br />
Maßnahme der Gefahrenabwehr. Ein unter Strafe<br />
gestellter Rechtsverstoß, der die Behörde zugleich auf<br />
das Bestehen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit<br />
aufmerksam macht, kann daher auch nach der Verbüßung<br />
einer verhängten Strafe ein weiteres sicherndes,<br />
präventives Einschreiten veranlassen (vgl. VG<br />
Dresden, Urt. v. 24. 06. 2003 – 14 K 2007/02 – juris).<br />
Die durch die Verwaltungsbehörde ausgesprochene<br />
Entziehung der Fahrerlaubnis dient nur dem Schutz<br />
der Allgemeinheit vor ungeeigneten Kraftfahrern <strong>und</strong><br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
stellt deshalb keine Strafe dar (so BVerwG, Urt. v.<br />
29.11.1974 – VII C 102.72 – DAR 1975, 138). Anhaltspunkte<br />
dafür, dass sich aus EG-Recht Abweichendes<br />
in Bezug auf dieses nationale Recht ergeben könnte,<br />
legt die Beschwerdeschrift weder substantiiert dar,<br />
noch ist dies sonst ersichtlich. Vielmehr ist der Richtlinie<br />
2009/112/EG der Kommission vom 25. August<br />
2009 zur Änderung der Richtlinie 91/439/EWG des<br />
Rates über den Führerschein (ABl. der Europäischen<br />
Union, L 223/26 v. 26.08.2009) unter Satz 1 Abs. (1)<br />
zu entnehmen:<br />
„Die Mindestanforderungen an die Fahrtüchtigkeit<br />
sind nicht vollständig vereinheitlicht. Die Mitgliedsstaaten<br />
können gemäß Anhang III Nummer 5<br />
der Richtlinie 91/439/EWG Vorschriften erlassen,<br />
die strenger sind als die europäischen Mindestanforderungen“.<br />
Die unter Art. 1 geregelte Änderung des Anhangs<br />
III der Richtlinie 91/439/EWG betrifft das Sehvermögen<br />
(Nr. 6), die Zuckerkrankheit (Nr. 10) <strong>und</strong> die Epilepsie<br />
(Nr. 12). Eine (weitere) Vereinheitlichung in<br />
Bezug auf <strong>Drogen</strong>konsum ergibt sich hieraus nicht.<br />
Auch lässt sich bisher die in der Fragestellung der<br />
Beschwerdeschrift gemachte Voraussetzung einer erstmaligen<br />
Einnahme von Cannabis nicht feststellen, so<br />
dass schon aus diesem Gr<strong>und</strong>e nicht von der Entscheidungserheblichkeit<br />
der aufgeworfenen Frage ausgegangen<br />
werden kann.<br />
12. Abgesehen von den sog. Nachtrunkfällen ist<br />
bei der Beurteilung der Frage, ob die in § 13 Satz 1<br />
Nr. 2 c FeV genannten Grenzwerte erreicht sind,<br />
maßgeblich, ob die vor der Fahrt (oder während<br />
der Fahrt) konsumierte <strong>Alkohol</strong>menge nach Abschluss<br />
der Resorptionsphase zum Erreichen der<br />
jeweiligen Werte führt.<br />
Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt,<br />
Beschluss vom 09. Oktober 2009 – 3 M 324/09 –<br />
Aus den Gründen:<br />
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht<br />
hat zu Recht den Erlass der vom Antragsteller<br />
begehrten einstweiligen Anordnung, welche<br />
auf die (vorläufige) Erteilung einer Fahrerlaubnis der<br />
Klassen B <strong>und</strong> BE gerichtet ist, abgelehnt.<br />
Die vorliegend <strong>gegen</strong>über dem Antragsteller gemäß<br />
§ 13 Satz 1 Nr. 2 c FeV getroffene Anordnung, ein medizinisch-psychologisches<br />
Gutachten beizubringen, ist<br />
– wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt<br />
hat – nach der <strong>im</strong> Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes<br />
nur gebotenen summarischen Prüfung nicht<br />
zu beanstanden. § 13 Satz 1 Nr. 2 c FeV stellt darauf<br />
ab, dass ein Fahrzeug – nicht notwendigerweise ein<br />
Kraftfahrzeug – <strong>im</strong> Straßenverkehr mit einer <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
(BAK) von 1,6 Promille oder mehr<br />
oder einer Atemalkoholkonzentration (AAK) von<br />
0,8 mg/l oder mehr geführt wurde. Sind diese Voraussetzungen<br />
erfüllt, hat die Behörde vor der Wiederertei-
lung der Fahrerlaubnis ein medizinisch-psychologisches<br />
Gutachten zu fordern, ohne dass ihr dabei ein Ermessen<br />
zustünde.<br />
Das Verwaltungsgericht ist zunächst rechtsfehlerfrei<br />
davon ausgegangen, dass der Antragsteller am<br />
30. März 2008 in F./Brandenburg ein Fahrzeug mit<br />
einer <strong>Blutalkohol</strong>konzentration von mindestens 1,6<br />
Promille geführt hat. Es hat sich dabei zutreffend auf<br />
den Bef<strong>und</strong>bericht des Brandenburgischen Landesinstitutes<br />
für Rechtsmedizin vom 01. April 2008 stützen<br />
können, wonach die am 30. März 2008 um 5.08 Uhr<br />
be<strong>im</strong> Antragsteller entnommene Blutprobe eine Ethanolkonzentration<br />
von 1,62 Promille aufweist. Das Verwaltungsgericht<br />
hat weiter rechtsfehlerfrei davon abgesehen,<br />
ein <strong>im</strong> Rahmen einer Atemalkoholmessung<br />
unmittelbar nach Beendigung der Fahrt um 4.15 Uhr<br />
ermitteltes sog. Vortestergebnis von 1,47 Promille<br />
(wohl <strong>Blutalkohol</strong>konzentration) zugunsten des Antragstellers<br />
heranzuziehen. Ein sog. Nachtrunkereignis,<br />
also ein Konsum von <strong>Alkohol</strong> zwischen Fahrtende<br />
<strong>und</strong> der Entnahme der Blutprobe, ist hier unstreitig<br />
nicht gegeben.<br />
Die innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist<br />
vorgetragenen Einwände des Antragstellers sind nicht<br />
geeignet, die Feststellungen des Verwaltungsgerichts<br />
nachhaltig in Frage zu stellen. Der Antragsteller führt<br />
zur Begründung seiner Beschwerde unter Hinweis auf<br />
den <strong>im</strong> Polizeibericht vom 30. März 2008 genannten<br />
Wert von 1,47 Promille aus, dass bei ihm bei Fahrtende<br />
am 30. März 2008 um 4.15 Uhr weder eine Atemalkoholkonzentration<br />
von 0,8 mg/l noch eine <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
von 1,6 Promille nachgewiesen<br />
worden sei. Wie sich aus einem Vergleich der Atemalkoholprobe<br />
mit der um 5.08 Uhr entnommenen Blutprobe<br />
ergebe, welche einen Wert von 1,62 Promille<br />
ausweise, habe er sich bei Fahrtende noch in einer<br />
„Anflutungsphase“ bef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> zu diesem Zeitpunkt<br />
die in § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 c FeV genannten Grenzwerte<br />
(noch) nicht erreicht. Ferner sei die Auffassung<br />
des Verwaltungsgerichts unzutreffend, dass das Ergebnis<br />
der Atemalkoholprobe nicht verwertbar sei, da die<br />
Atemalkoholmessung nicht mit dem besonders messgenauen<br />
Gerät Dräger 7110 Evidential durchgeführt<br />
worden sei. Die Polizei in Brandenburg führe Atemalkoholmessungen<br />
nur mit diesem Gerät durch. Insoweit<br />
sei es unerheblich, dass die <strong>im</strong> Polizeibericht für Messungen<br />
mit dem Gerät Dräger 7110 Evidential ausdrücklich<br />
vorgesehene Rubrik frei geblieben sei.<br />
Hierzu ist zunächst festzustellen, dass der gemessene<br />
Atemalkoholwert <strong>im</strong> Polizeibericht nicht aufgeführt<br />
ist, sondern vielmehr sogleich die Umrechnung eines<br />
gemessenen Atemalkoholwertes in einen <strong>Blutalkohol</strong>wert<br />
vorgenommen wurde. Der dabei angesetzte Umrechnungsfaktor<br />
ist <strong>im</strong> Polizeibericht nicht benannt.<br />
Soweit der Antragsteller selbst die Umrechnung eines<br />
<strong>Blutalkohol</strong>wertes von 1,47 Promille in einem Atemalkoholwert<br />
von 0,735 mg/l vorn<strong>im</strong>mt, zeigt er bereits<br />
nicht auf, dass eine solche Umrechnung (Konversion)<br />
zulässig ist. Es ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung<br />
(vgl. BGH, Beschl. v. 03. 04. 2001 – 4 StR<br />
507/00 – NJW 2001, 1952 m. w. N. [= BA 2001, 280])<br />
Rechtsprechung<br />
47<br />
<strong>und</strong> in der rechtsmedizinischen Literatur (vgl. zuletzt<br />
Janker, DAR 2009, S. 1 f.; Haffner/Graw, NZV 2009,<br />
209 f., jeweils mit zahlreichen Nachweisen) anerkannt,<br />
dass eine mathematisch genaue Konversion von<br />
AAK-Werten in BAK-Werte (<strong>und</strong> umgekehrt) nicht<br />
möglich ist. Gr<strong>und</strong> hierfür ist, dass die Atemalkoholkonzentration<br />
in ihrem zeitlichen Verlauf der arteriellen<br />
<strong>Blutalkohol</strong>konzentration (Lungenblut) <strong>und</strong> nicht<br />
der venösen (Blutprobe) folgt <strong>und</strong> dass die Umrechnung<br />
der aus dem Blutserum gewonnenen venösen<br />
<strong>Blutalkohol</strong>konzentration auf die <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
des Vollblutes individuellen Schwankungen<br />
unterliegt. So ist in Untersuchungen festgestellt worden,<br />
dass z. B. bei einem gemessenen AAK-Wert von<br />
0,4 mg/l der tatsächliche BAK-Wert zwischen 0,29<br />
<strong>und</strong> 1,32 Promille beträgt. Vor dem Hintergr<strong>und</strong> dieser<br />
beachtlichen Schwankungsbreite ist bislang auch davon<br />
abgesehen worden, die Atemalkoholanalyse als<br />
alleiniges Beweismittel zur sicheren Feststellung der<br />
Fahruntüchtigkeit <strong>im</strong> Sinne der einschlägigen Strafvorschriften<br />
anzuerkennen (vgl. zum Vorgehenden:<br />
Janker, DAR 2009, S. 3). Lediglich bei der Feststellung<br />
einer Ordnungswidrigkeit <strong>im</strong> Sinne des § 24a<br />
StVG werden Messungen mit dem Atemalkoholmessgerät<br />
Dräger Alcotest 7110 Evidential, welches (als<br />
bislang einziges Gerät) für die amtliche Überwachung<br />
des Straßenverkehrs geeicht <strong>und</strong> bauartzugelassen ist,<br />
ohne weitere Abzüge herangezogen (vgl. BayVGH,<br />
Beschl. v. 05. 06. 2009 – 11 CS 09.69 – juris; zur Funktion:<br />
de.wikipedia.org/wiki/Alcotest). Die Behauptung<br />
des Antragstellers, dass zum Zeitpunkt der Trunkenheitsfahrt<br />
von der Polizei des Landes Brandenburg<br />
keine anderen Geräte als das Dräger Alcotest 7110<br />
Evidential zur Atemalkoholbest<strong>im</strong>mung verwandt<br />
worden sind, wird nicht belegt <strong>und</strong> steht zumindest<br />
auch nicht (völlig) <strong>im</strong> Einklang mit Feststellungen in<br />
Entscheidungen der Strafgerichte des Landes Brandenburg,<br />
wonach Atemalkoholmessungen (zumindest<br />
<strong>im</strong> Juni 2008) <strong>im</strong> Land Brandenburg auch mit dem mobilen,<br />
mittlerweile nicht mehr vertriebenen Handgerät<br />
Dräger Alcotest 7410 als sog. Vortestgerät durchgeführt<br />
worden sind (vgl. LG Cottbus, Beschl. v.<br />
28. 08. 2008 – 24 Qs 223/08 – juris [= BA 2009, 105]).<br />
Insoweit legt der Antragsteller bereits nicht dar, dass<br />
seine Auffassung, dass die <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
<strong>im</strong> Zeitpunkt des Fahrtendes unter dem Wert von 1,6<br />
Promille gelegen war, aus dem vorhandenen Akteninhalt<br />
ableitbar sein könnte. Auch seine Behauptung, er<br />
habe sich bei Fahrtende um 4.15 Uhr (wegen kurz vor<br />
Fahrtbeginn konsumierten <strong>Alkohol</strong>s) noch in der sogenannten<br />
Anflutungsphase bef<strong>und</strong>en, wird nicht näher<br />
dargelegt. Der Antragsteller räumt selbst ein, dass er<br />
sich an die St<strong>und</strong>en vor der Fahrt nicht mehr erinnern<br />
könne.<br />
Im Weiteren ist es für den Tatbestand des § 24a<br />
StVG bzw. die Erfüllung des Tatbestandes des § 316<br />
StGB unerheblich, ob die für diese Normen relevanten<br />
Gefahrengrenzwerte während der Fahrt oder erst nach<br />
Fahrtende erreicht werden. Maßgeblich ist allein, ob<br />
die vor der Fahrt (oder während der Fahrt) konsumierte<br />
<strong>Alkohol</strong>menge nach Abschluss der Resorptionspha-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
48 Rechtsprechung<br />
se (Anflutungsphase) zum Erreichen der jeweiligen<br />
Grenzwerte führt (vgl. bereits Wortlaut des § 24a<br />
StVG: „<strong>im</strong> Körper hat, die zu einer solchen Atem-<br />
oder <strong>Blutalkohol</strong>konzentration führt“; zum Erreichen<br />
des Grenzwertes in § 316 StGB: BGH, Beschl. v.<br />
19. 08. 1971 – 4 StR 574/70 –, NJW 1971, 1997).<br />
Hintergr<strong>und</strong> dieser Rechtsprechung bzw. Wertung des<br />
Gesetzgebers ist der Umstand, dass in der medizinischen<br />
Wissenschaft Einigkeit darüber besteht, dass das<br />
Max<strong>im</strong>um der Hirnleistungsstörungen <strong>und</strong> auch der<br />
überwiegenden Anzahl der psycho-sensorischen <strong>und</strong><br />
psychomotorischen Leistungsausfälle dem Gipfel der<br />
<strong>Blutalkohol</strong>konzentration zeitlich vorausgeht. Es ist<br />
wissenschaftlich unbestritten, dass die Anflutungswirkung<br />
des sich bereits <strong>im</strong> Körper befindlichen <strong>Alkohol</strong>s<br />
auf den Grenzwert oder auf einen höheren Wert hin<br />
nach Trinkende den <strong>Blutalkohol</strong>konzentrationsfehlbetrag<br />
bis zum Grenzwert zumindest ausgleicht (vgl.<br />
BGH, Beschl. v. 11.12.1973 – 4 StR 130/73 – NJW<br />
1974, 246 [= BA 1974, 136]).<br />
Der Antragsteller legt nicht dar, dass für die Frage,<br />
wann die <strong>Blutalkohol</strong>konzentration von 1,6 Promille<br />
<strong>im</strong> Sinne des § 13 Satz 1 Nr. 2 c FeV erreicht sein<br />
muss, eine abweichende Beurteilung angezeigt sein<br />
könnte. Nach der Wertung des Verordnungsgebers begründet<br />
vielmehr eine Trunkenheitsfahrt bei Vorliegen<br />
einer BAK von mindestens 1,6 Promille Zweifel an<br />
der Kraftfahreignung des Betroffenen. Dies beruht<br />
darauf, dass nach dem aktuellen Stand der <strong>Alkohol</strong>forschung<br />
schon das Erreichen einer BAK ab 1,6 Promille<br />
auf deutlich normabweichende Trinkgewohnheiten<br />
<strong>und</strong> eine ungewöhnlich hohe Giftfestigkeit hindeutet<br />
(vgl. BVerwG, Urt. v. 21. 05. 2008 – 3 C 32.07 – NJW<br />
2008, 2601 [= BA 2008, 410]). Bereits das Erreichen<br />
einer <strong>Blutalkohol</strong>konzentration von 1,0 Promille setzt<br />
eine <strong>Alkohol</strong>gewöhnung/Toleranzbildung voraus (vgl.<br />
Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, Kommentar<br />
zu den Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung,<br />
2. Aufl. 2005, S. 133 f. zu Ziffer 1.3.1). Von<br />
der durchschnittlich alkoholgewöhnten Bevölkerung<br />
werden <strong>Blutalkohol</strong>konzentrationen von 1,6 Promille<br />
<strong>und</strong> mehr aufgr<strong>und</strong> des Erreichens einer physiologischen<br />
Barriere überhaupt nicht erreicht (vgl. Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan,<br />
a. a. O., S. 132<br />
f. zu Ziffer 1.2.1). Bereits die bloße Inbetriebnahme<br />
eines Kraftfahrzeuges, welche die Vornahme koordinierter<br />
komplexer Handlungen verlangt, mit einer<br />
<strong>Blutalkohol</strong>konzentration von 1,6 Promille <strong>und</strong> mehr<br />
setzt ein hohes Maß an Giftfestigkeit voraus<br />
(vgl. Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, a. a. O.,<br />
S. 136 f. zu Ziffer 1.5.).<br />
Dass mit einer entsprechenden <strong>Alkohol</strong>gewöhnung<br />
ein erhöhtes Gefährdungspotenzial einhergeht, bestätigen<br />
auch die Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung,<br />
die als Niederschlag sachverständiger Erfahrung<br />
von Gewicht sind. In ihrer Ziffer 3.11 befassen<br />
sich diese Leitlinien mit <strong>Alkohol</strong>missbrauch <strong>und</strong> -abhängigkeit<br />
als Mängel, die die Eignung zum Führen<br />
von Kraftfahrzeugen ausschließen. Danach ist die Annahme<br />
eines chronischen <strong>Alkohol</strong>konsums mit besonderer<br />
Gewöhnung <strong>und</strong> Verlust der kritischen Einschät-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
zung des Verkehrsrisikos gerechtfertigt, wenn bei<br />
Kraftfahrern <strong>im</strong> Straßenverkehr Werte um oder über<br />
1,5 Promille angetroffen werden. Bei solchen Menschen<br />
pflegt in der Regel ein <strong>Alkohol</strong>problem vorzuliegen,<br />
das die Gefahr weiterer <strong>Alkohol</strong>auffälligkeit <strong>im</strong><br />
Straßenverkehr in sich birgt. Häufiger <strong>Alkohol</strong>konsum<br />
führt zur Gewöhnung an die Giftwirkung <strong>und</strong> damit<br />
zur Unfähigkeit einer realistischen Einschätzung der<br />
eigenen <strong>Alkohol</strong>isierung <strong>und</strong> des dadurch ausgelösten<br />
Verkehrsrisikos. Bei einem Fahrerlaubnisinhaber, der<br />
sich mit hoher <strong>Blutalkohol</strong>konzentration am Straßenverkehr<br />
beteiligt <strong>und</strong> damit eine Verkehrsstraftat begeht,<br />
ist in der Regel bei vernünftiger lebensnaher<br />
Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründet, er<br />
werde in alkoholisiertem Zustand nicht stets die nötige<br />
Selbstkontrolle aufbringen, vom Führen eines Kraftfahrzeuges<br />
abzusehen. Die Teilnahme am Straßenverkehr<br />
in erheblich alkoholisiertem Zustand lässt häufig<br />
den Schluss zu, dass der Betreffende auch künftig betrunken<br />
am Straßenverkehr teilnehmen könnte. Wegen<br />
der durch die allgemeine Verfügbarkeit von <strong>Alkohol</strong><br />
begünstigten hohen Rückfallgefahr sind strenge Maßstäbe<br />
anzulegen, bevor eine positive Prognose zum<br />
Führen von Kraftfahrzeugen gestellt werden kann.<br />
Voraussetzung ist der – hier nicht gegebene – Nachweis<br />
einer ausreichenden Veränderung des Trinkverhaltens,<br />
die stabil <strong>und</strong> motivational gefestigt sein muss<br />
(vgl. zum Vorgehenden: BVerwG, Urt. v. 21. 05. 2008,<br />
a. a. O.).<br />
Soweit der Antragsteller weiter beanstandet,<br />
dass das medizinisch-psychologische Gutachten der<br />
DEKRA vom 26. März 2009, von der er nur das Deckblatt<br />
vorgelegt hat, fehlerhaft erstellt worden sei, ist<br />
dieser Einwand ebenfalls unbeachtlich. Verlangt die<br />
Fahrerlaubnisbehörde vor der Wiedererteilung der<br />
Fahrerlaubnis zu Recht die Vorlage eines medizinischpsychologischen<br />
Gutachtens, liegt es allein in der<br />
Rechtssphäre des Antragstellers (vgl. § 11 Abs. 6<br />
Satz 2 <strong>und</strong> 5 FeV), ein Gutachten vorzulegen, welches<br />
die Zweifel an seiner Kraftfahreignung ausräumt. Dies<br />
ist vorliegend nicht geschehen, da sich aus dem nur<br />
vorgelegten Deckblatt des Gutachtens der DEKRA<br />
nicht ergibt, ob die Zweifel an der Kraftfahreignung<br />
des Antragstellers ausgeräumt sind.<br />
13. *) Der Annahme wiederholter Zuwiderhandlungen<br />
<strong>im</strong> Straßenverkehr unter <strong>Alkohol</strong>einfluss<br />
nach § 13 Satz 1 Nr. 2 b FeV steht selbst ein Zeitraum<br />
von mehreren Jahren zwischen den alkoholbedingten<br />
Verkehrsverstößen nicht ent<strong>gegen</strong>, solange<br />
die einzelnen Verkehrsverstöße noch verwertbar<br />
sind.<br />
Sächsisches Oberverwaltungsgericht,<br />
Beschluss vom 13. Oktober 2009 – 3 B 314/09 –<br />
Aus den Gründen:<br />
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.<br />
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht festgestellt,<br />
dass der Antragsgegner rechtmäßig <strong>gegen</strong>über dem
Antragsteller wegen wiederholter Zuwiderhandlungen<br />
<strong>im</strong> Straßenverkehr unter <strong>Alkohol</strong>einfluss gemäß § 46<br />
Abs. 3 <strong>und</strong> § 13 Satz 1 Nr. 2 b FeV die Vorlage eines<br />
medizinisch-psychologischen Gutachtens angeordnet<br />
<strong>und</strong> nach dessen nicht fristgerechter Beibringung<br />
gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf seine Nichteignung<br />
zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen hat, woraufhin<br />
die Fahrerlaubnisbehörde ihm gemäß § 3<br />
Abs. 1 Satz 1 StVG i. V m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV die<br />
Fahrerlaubnis entziehen durfte. Erfolglos wendet der<br />
Antragsteller hier<strong>gegen</strong> ein, dass es an der tatbestandlich<br />
nach § 13 Satz 1 Nr. 2 b FeV für die Gutachtensanordnung<br />
erforderlichen wiederholten Zuwiderhandlung<br />
fehle, da seine Fahrt vom 13. 12. 2000 mit einer<br />
<strong>Blutalkohol</strong>konzentration von 1,52 ‰ nach § 29 StVG<br />
der Tilgung unterliege <strong>und</strong> deshalb nach § 29 Abs. 8<br />
Satz 1 StVG nicht mehr verwertet werden dürfe. Die<br />
später eingetragene Ordnungswidrigkeit der Fahrt mit<br />
einer Atemalkoholkonzentration von 0,46 mg/l am<br />
28. 08. 2004 hindere die Löschung von Strafeinträgen<br />
nicht.<br />
Das Verwaltungsgericht hat zu diesem – bereits erstinstanzlich<br />
erfolgten – Sachvortrag zutreffend festgestellt,<br />
dass die mit Strafbefehl des Amtsgerichts Borna<br />
vom 30. 01. 2001 ausgesprochene Verurteilung des<br />
Antragstellers wegen fahrlässiger Trunkenheit <strong>im</strong> Verkehr<br />
nach § 316 StGB gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 1 StVG<br />
rechtmäßig in das Verkehrszentralregister eingetragen<br />
worden ist <strong>und</strong> wegen des noch nicht gegebenen Ablaufs<br />
der zehnjährigen Tilgungsfrist nach § 29 Abs. 1<br />
Satz 2 Nr. 3 StVG keinem Verwertungsverbot nach<br />
§ 29 Abs. 8 Satz 1 StVG unterliegt. Der Antragsteller<br />
verkennt die in den gesetzlichen Regelungen zu den<br />
Tilgungsfristen <strong>und</strong> zum Verwertungsverbot zum Ausdruck<br />
kommende gesetzgeberische Wertung. Eine Differenzierung<br />
nach Höhe des Strafmaßes bei der Best<strong>im</strong>mung<br />
der Tilgungsfristen in § 29 Abs. 1 StVG<br />
erfolgt nicht mehr. Die Festlegung der Tilgungsfrist<br />
auf generell zehn Jahre bei <strong>Alkohol</strong>straftaten hat der<br />
Gesetzgeber wegen der besonders hohen <strong>und</strong> lang andauernden<br />
Rückfallwahrscheinlichkeit bei <strong>Alkohol</strong>tätern<br />
für erforderlich gehalten (vgl. BR-Drucks. 812/96<br />
S. 54, 77). Dementsprechend hat der Senat wiederholt<br />
entschieden, dass selbst ein Zeitraum von mehreren<br />
Jahren zwischen den alkoholbedingten Verkehrsverstößen<br />
nicht der Annahme wiederholter Zuwiderhandlungen<br />
<strong>im</strong> Straßenverkehr unter <strong>Alkohol</strong>einfluss nach<br />
§ 13 Satz 1 Nr. 2 b FeV ent<strong>gegen</strong>steht, solange die<br />
einzelnen Verkehrsverstöße noch verwertbar sind<br />
(vgl. SächsOVG, Beschl. v. 24. 07. 2008 – 3 B 18/08 –<br />
m. w. N., zitiert nach juris).<br />
Soweit der Antragsteller meint, der Anordnung<br />
stehe die auf dem medizinisch-psychologischen Gutachten<br />
aus dem Jahre 2001 <strong>und</strong> der sich anschließenden<br />
Nachschulungsmaßnahme beruhende positive<br />
Eignungseinschätzung mit der nachfolgenden Neuerteilung<br />
der Fahrerlaubnis ent<strong>gegen</strong>, verkennt er, dass<br />
die weitere Trunkenheitsfahrt vom 28. 08. 2004 einen<br />
neuen Umstand darstellt, der zum damaligen Begutachtungszeitpunkt<br />
noch nicht in Bezug auf die frühere<br />
Trunkenheitsfahrt gewürdigt werden konnte (ebenso<br />
Rechtsprechung<br />
49<br />
bei Verkehrsverstößen, die vor <strong>und</strong> nach Ausstellung<br />
eines EU-Führerscheins begangen wurden <strong>und</strong> erst gemeinsam<br />
den Fahrerlaubnisentzug rechtfertigen: Senatsbeschl.<br />
v. 28. 05. 2008 – 3 BS 424/07 –, unveröffentlicht).<br />
Diese Ordnungswidrigkeit nach § 24a<br />
Abs. 1 StVG – hier das Führen eines Kraftfahrzeugs<br />
mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,46 mg/l –<br />
ist, wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt<br />
hat <strong>und</strong> auch von der Beschwerde nicht angezweifelt<br />
wird, nach § 28 Abs. 2 Nr. 1 StVG rechtmäßig in das<br />
Verkehrszentralregister eingetragen worden <strong>und</strong> kann<br />
mangels Bestehens eines Verwertungsverbots nach<br />
§ 29 Abs. 8 StVG dem Antragsteller auch ent<strong>gegen</strong>gehalten<br />
werden. Damit liegt ent<strong>gegen</strong> der Beschwerde<br />
die Voraussetzung der wiederholten Zuwiderhandlung<br />
<strong>im</strong> Straßenverkehr unter <strong>Alkohol</strong>einfluss nach § 46<br />
Abs. 1 Satz 1 i.V. m. § 13 Nr. 2 b FeV vor. Da § 11<br />
Abs. 8 Satz 1 FeV der Fahrerlaubnisbehörde kein Ermessen<br />
einräumt, sondern einen Gr<strong>und</strong>satz der Beweiswürdigung<br />
enthält, der auf der Überlegung beruht,<br />
dass bei gr<strong>und</strong>loser Gutachtensverweigerung die<br />
Vermutung berechtigt ist, der Fahrerlaubnisinhaber<br />
wolle einen ihm bekannten Eignungsmangel verbergen<br />
(Senatsbeschl. v. 03. 07. 2008 – 3 B 149/08 –, unveröffentlicht,<br />
mit Verweis auf: OVG RP, Beschl. v.<br />
03. 06. 2008 – 10 B 10356/08 –, zitiert nach Juris,<br />
sowie auf BVerwG, Urt. v. 09. 06. 2005, NJW 2005,<br />
3440 ff. [= BA 2006, 52]; OVG NRW, Beschl. v.<br />
10. 07. 2002, VRS 105, 76 ff. [= BA 2003, 462]; Senatsbeschl.<br />
v. 08.11.2001, DAR 2002, 234 f. [= BA<br />
2002, 372]), gilt ein solcher Eignungsmangel für den<br />
Zeitpunkt der Gutachtensverweigerung bzw. des Ablaufs<br />
der Vorlagefrist als nachgewiesen. Steht dies<br />
kraft gesetzlicher Vermutung fest, bedarf es seitens des<br />
Antragsgegners keines Gutachtens mehr, um diesen<br />
nachzuweisen (§ 11 Abs. 7 FeV).<br />
Soweit der Antragsteller sich darauf beruft, dass es<br />
an dem für die Anordnung des Sofortvollzugs erforderlichen<br />
öffentlichen Vollzugsinteresse fehle, da er<br />
seit dem 28. 08. 2004 nicht wieder auffällig geworden<br />
sei <strong>und</strong> die Fahrerlaubnisbehörde bis dato keine Maßnahmen<br />
ergriffen habe, vermag dies der Beschwerde<br />
ebenfalls nicht zum Erfolg zu verhelfen. Ist der Antragsteller<br />
nach der oben getroffenen Feststellung als<br />
ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen,<br />
so erscheint die von ihm ausgehende Gefahr für<br />
die Allgemeinheit zu groß, als dass sie bis zu einer Entscheidung<br />
in der Hauptsache hingenommen werden<br />
könnte. Die Anordnung verstößt insbesondere auch<br />
nicht <strong>gegen</strong> das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Die Entziehung<br />
der Fahrerlaubnis dient der Erhöhung der<br />
Sicherheit <strong>im</strong> Straßenverkehr <strong>und</strong> damit insbesondere<br />
dem Schutz von Leben, Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Eigentum<br />
der Verkehrsteilnehmer (vgl. BVerfG, Beschl. v.<br />
21.12. 2004, NJW 2005, 349, 350 [= BA 2005, 156 mit<br />
Anm. Scheffler/Halecker] zu § 24a Abs. 2 StVG). Die<br />
wegen der besonders hohen <strong>und</strong> lang andauernden<br />
Rückfallwahrscheinlichkeit bei <strong>Alkohol</strong>tätern gegebene<br />
erhebliche Gefährdung dieser Rechtsgüter (vgl.<br />
BR-Drucks. a. a. O.) rechtfertigt regelmäßig zugleich<br />
auch die Anordnung des Sofortvollzugs der Entzie-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
50 Rechtsprechung<br />
hungsverfügung selbst dann, wenn zwischen dem Verkehrsverstoß<br />
<strong>und</strong> dem Erlass der Entziehungsverfügung<br />
mehrere Jahre vergangen sind <strong>und</strong> der Sofortvollzug<br />
der Entziehungsverfügung mit erheblichen<br />
Beeinträchtigungen für den Betroffenen verb<strong>und</strong>en<br />
ist. Etwaigen zwischenzeitlichen Veränderungen<br />
<strong>im</strong> Trinkverhalten des Fahrerlaubnisinhabers <strong>und</strong><br />
einer damit möglicherweise nicht mehr gegebenen Gefahr<br />
für die Sicherheit des Straßenverkehrs wird bereits<br />
durch das Begutachtungssystem nach § 13 FeV<br />
Rechnung getragen (vgl. BR-Drucks. 443/98 S. 260).<br />
Da der Antragsteller diese ihm von der Fahrerlaubnisbehörde<br />
entsprechend den gesetzlichen Best<strong>im</strong>mungen<br />
gegebene Möglichkeit des Nachweises seiner Fahreignung<br />
nicht genutzt hat, verstößt es ent<strong>gegen</strong> der<br />
Beschwerde auf Gr<strong>und</strong> des <strong>im</strong> Zweifel vorrangigen<br />
Schutzes der oben genannten Rechtsgüter der Verkehrsteilnehmer<br />
nicht <strong>gegen</strong> das Verhältnismäßigkeitsprinzip,<br />
dass der Antragsgegner den Sofortvollzug<br />
der Entziehungsverfügung angeordnet hat,<br />
wenngleich dies zu erheblichen privaten <strong>und</strong> beruflichen<br />
Beeinträchtigungen bei ihm führt.<br />
14. 1. Eine positive Beurteilung der Fahreignung<br />
von Personen, die sich in einer lege artis durchgeführten<br />
Methadon-Substitution befinden, ist nur in<br />
seltenen Ausnahmefällen möglich, wenn besondere<br />
Umstände dies <strong>im</strong> Einzelfall rechtfertigen. Hierzu<br />
gehört u. a., dass die Freiheit von Beigebrauch anderer<br />
psychoaktiver Substanzen, inklusive <strong>Alkohol</strong>,<br />
seit mindestens einem Jahr durch geeignete, regelmäßige,<br />
zufällige Kontrollen (z. B. Urin, Haar)<br />
während der Therapie nachgewiesen ist.<br />
2. Ist die Freiheit des Beigebrauchs anderer<br />
psychoaktiver Substanzen nicht nachgewiesen <strong>und</strong><br />
daher von der fehlenden Fahreignung auszugehen,<br />
kann die Wiedererlangung der Fahreignung nur<br />
durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten<br />
nachgewiesen werden, auch wenn die Methadon-Behandlung<br />
zwischenzeitlich erfolgreich abgeschlossen<br />
wurde.<br />
Saarländisches Verwaltungsgericht,<br />
Beschluss vom 05. November 2009 – 10 L 847/09 –<br />
Aus den Gründen:<br />
Mit seinem Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO begehrt<br />
der Kläger die Wiederherstellung der aufschiebenden<br />
Wirkung seiner erhobenen Klage <strong>gegen</strong> den<br />
Bescheid der Antragsgegnerin vom 20. 04. 2006 in der<br />
Gestalt des aufgr<strong>und</strong> mündlicher Verhandlung vom<br />
29. 04. 2008 <strong>und</strong> Beratung vom 30. 07. 2009 ergangenen<br />
Widerspruchsbescheides des Stadtrechtsausschusses<br />
der Antragsgegnerin, durch den die Fahrerlaubnis<br />
des Antragstellers entzogen <strong>und</strong> diesem die Ablieferung<br />
seines Führerscheins innerhalb einer Woche nach<br />
Rechtskraft der Entscheidung aufgegeben wurde,<br />
nachdem durch den vorgenannten Widerspruchsbescheid<br />
zugleich die sofortige Vollziehung angeordnet<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
worden ist. Der Antrag ist zulässig, insbesondere statthaft<br />
gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO, hat aber in<br />
der Sache keinen Erfolg.<br />
Rechtsgr<strong>und</strong>lage für die Entziehung der Fahrerlaubnis<br />
sind die §§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, 46 Abs. 1 Satz 1<br />
<strong>und</strong> 2, Abs. 3, 14 Abs. 2 Nr. 2 <strong>und</strong> 11 Abs. 8 FeV.<br />
Ausgehend hiervon ist der Stadtrechtsausschuss <strong>im</strong><br />
Widerspruchsbescheid zu Recht davon ausgegangen,<br />
dass der Antragsteller jedenfalls bis zur Beendigung<br />
des – nach langjähriger Suchterkrankung aufgr<strong>und</strong> der<br />
Einnahme insbesondere von Heroin durchgeführten –<br />
Methadon-Programms <strong>im</strong> Oktober 2008 zum Führen<br />
von Kraftfahrzeugen nicht geeignet war. Bei Methadon<br />
handelt es sich um ein Betäubungsmittel <strong>im</strong> Sinne<br />
des Betäubungsmittelgesetzes (vgl. die Anlage III zu<br />
§ 1 Abs. 1 BTMG), so dass dessen Einnahme gemäß<br />
Ziffer 9.1 der Anlage 4 zur FeV <strong>im</strong> Regelfall die Eignung<br />
zum Führen von Kraftfahrzeugen ausschließt.<br />
Dabei kommt es nach der gesetzlichen Wertung der<br />
FeV nicht darauf an, ob dieses Mittel „missbräuchlich“<br />
oder aufgr<strong>und</strong> ärztlicher Verschreibung konsumiert<br />
wurde, sondern allein darauf, ob es überhaupt eingenommen<br />
wurde (vgl. OVG des Saarlandes, Beschlüsse<br />
vom 27. 03. 2006, 1 W 12/06 [BA 2007, 59], <strong>und</strong> vom<br />
20. 09. 2005, 1 W 12/05; VG des Saarlandes, Urteil<br />
vom 02. 04. 2008, 10 K 53/07).<br />
Zwar ist „in seltenen Ausnahmefällen“ eine positive<br />
Beurteilung der Fahreignung von Personen, die sich in<br />
einer lege artis durchgeführten Methadon-Substitution<br />
befinden, möglich, wenn „besondere Umstände dies<br />
<strong>im</strong> Einzelfall“ rechtfertigen. Dies setzt aber unter anderem<br />
voraus, dass die Freiheit von Beigebrauch anderer<br />
psychoaktiver Substanzen, inklusive <strong>Alkohol</strong>, seit<br />
mindestens einem Jahr durch geeignete, regelmäßige,<br />
zufällige Kontrollen (z. B. Urin, Haar) während der<br />
Therapie nachgewiesen ist (vgl. hierzu die Begutachtungs-Leitlinien<br />
zur Kraftfahreignung des gemeinsamen<br />
Beirats für Verkehrsmedizin be<strong>im</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esministerium<br />
für Verkehr, Bau- <strong>und</strong> Wohnungswesen <strong>und</strong><br />
be<strong>im</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esministerium für Ges<strong>und</strong>heit, Berichte der<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esanstalt für Straßenwesen, Mensch <strong>und</strong> Sicherheit,<br />
Heft M 115, Bremerhaven 2000, Abschnitt<br />
3.12.1)<br />
Diese Voraussetzungen können <strong>im</strong> Fall des Antragstellers<br />
nicht festgestellt werden. Zwar wurde in dem<br />
Gutachten des Dr. … vom 19.12. 2003 behauptet, dass<br />
weitere Betäubungsmittel nicht eingenommen werden,<br />
nachgewiesen wurde die Freiheit des Beigebrauchs<br />
weiterer Betäubungsmittel indes durch das Gutachten<br />
nicht. In der Krankenakte des Dr. ..., die der Antragsgegnerin<br />
<strong>im</strong> Oktober 2005 auszugsweise zur Kenntnis<br />
gelangt ist, ist nämlich unter dem 10.11.2003 vermerkt,<br />
dass der Antragsteller bei einer Urin-Kontrolle<br />
positiv auf MTD <strong>und</strong> THC getestet wurde. Zwar vermag<br />
das Ergebnis dieses Urin-Schnelltestes allein sicherlich<br />
nicht den gesicherten Nachweis zu erbringen,<br />
dass der Antragsteller tatsächlich THC-haltige Substanzen<br />
konsumiert hat. Die Feststellungen sind jedoch<br />
in jedem Fall geeignet, erhebliche Zweifel an der Freiheit<br />
des Beigebrauchs anderer psychoaktiver Substanzen<br />
zu begründen, so dass der insoweit zu fordern-
de Nachweis nicht erbracht ist. Die diesbezüglichen –<br />
<strong>im</strong> Übrigen unsubstantiierten – Ausführungen des Antragstellers<br />
zu der Fehlerhaftigkeit des durch den behandelnden<br />
Arzt zur ärztlichen Kontrolle eingesetzten<br />
Urin-Schnelltestes führen daher in der Sache nicht<br />
weiter. Ebenso wenig ergibt sich eine andere Beurteilung<br />
aus der Laboruntersuchung des Laborzentrums ...<br />
hinsichtlich der am 11.11.2003 eingegangenen Urinprobe<br />
des Antragstellers, da sich hieraus ergibt, dass<br />
das <strong>Drogen</strong>screening ausschließlich auf Methadon erfolgt<br />
<strong>und</strong> das Vorliegen von THC gerade nicht untersucht<br />
worden ist. Soweit nach dem Gutachten Dr. ...<br />
am 13.10. 2003, am 31.10. 2003, am 14.11.2003 <strong>und</strong><br />
am 28.11.2003 abgegebene Urinproben des Antragstellers<br />
auch hinsichtlich THC negativ getestet worden<br />
sind, vermögen diese Bef<strong>und</strong>e den Vermerk vom<br />
10.11.2003 über die THC-positive Urin-Kontrolle<br />
schon deshalb nicht zu widerlegen, weil Urinuntersuchungen<br />
lediglich Aufschluss über kurzzeitig vor der<br />
Abgabe erfolgtes Konsumverhalten erbringen. Auch<br />
soweit sich der Antragsteller auf das ärztliche Attest<br />
des Facharztes für Innere Medizin L. vom 04. 05. 2008<br />
bezieht, vermag dies die Freiheit des Beigebrauchs anderer<br />
psychoaktiver Substanzen nicht nachzuweisen,<br />
da sich die dort angesprochenen wiederholten Urin-<br />
Kontrollen nicht auf THC-haltige Substanzen beziehen.<br />
Vermag demnach weder das Gutachten des Dr. ...<br />
vom 19.12. 2003 noch sonst vorgelegte ärztliche Bescheinigungen<br />
den Nachweis der Freiheit des Beigebrauchs<br />
von anderen psychoaktiven Substanzen zu erbringen<br />
<strong>und</strong> hat sich der Antragsteller in der Folgezeit<br />
strikt geweigert, das Fehlen des Beigebrauchs anderer<br />
psychoaktiver Stoffe in der gebotenen Form nachzuweisen,<br />
ist ohne weitere Begutachtung davon auszugehen,<br />
dass der Antragsteller bis zur Beendigung der Methadon-Behandlung<br />
<strong>im</strong> Oktober 2008 nicht geeignet<br />
war, ein Kraftfahrzeug zu führen.<br />
Hieraus folgt zugleich, dass zur Klärung der Frage,<br />
ob bei dem Antragsteller nach der Beendigung der Methadon-Behandlung<br />
eine Abhängigkeit noch besteht,<br />
gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV zwingend<br />
die Beibringung eines medizinisch-psychologischen<br />
Gutachtens anzuordnen ist. Dies hat der Stadtrechtsausschuss<br />
mit Schreiben vom 04.11.2008 –<br />
auch in formell ordnungsgemäßer Weise – getan, so<br />
dass die Antragsgegnerin aufgr<strong>und</strong> der Weigerung des<br />
Antragstellers, das geforderte medizinisch-psychologische<br />
Gutachten vorzulegen, gemäß § 11 Abs. 8 FeV<br />
auf seine Nichteignung schließen darf.<br />
Soweit der Antragsteller hier<strong>gegen</strong> einwendet, es<br />
werde nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Substitutionstherapie<br />
inzwischen erfolgreich absolviert sei,<br />
weitere Urin-Untersuchungen vom 05. 05. 2009,<br />
18. 06. 2009 <strong>und</strong> 21.09. 2009 die Freiheit von Beigebrauch<br />
belegten, zudem Bescheinigungen des Facharztes<br />
für Innere Medizin L. vom 14. 05. 2009 sowie<br />
des Allgemeinarztes B. vom 28. 09. 2009 <strong>und</strong><br />
05.10. 2009 das Fehlen eines <strong>Drogen</strong>abusus bzw. die<br />
Abstinenz von <strong>Alkohol</strong> <strong>und</strong> <strong>Drogen</strong> bestätigten <strong>und</strong> er<br />
<strong>im</strong> Übrigen seit über sieben Jahren beanstandungslos<br />
Rechtsprechung<br />
51<br />
am Straßenverkehr teilnehme, verkennt der Antragsteller,<br />
dass vorliegend nach der gesetzlichen Regelung<br />
die Wiedererlangung der Fahreignung – wie dargelegt<br />
– zwingend nur durch die Beibringung eines<br />
medizinisch-psychologischen Gutachtens nachgewiesen<br />
werden kann.<br />
(Mitgeteilt von der 10. Kammer des Saarländischen<br />
Verwaltungsgerichts)<br />
15. 1. Zur Befugnis zur Entziehung der Fahrerlaubnis<br />
bei Mischkonsum von <strong>Alkohol</strong> <strong>und</strong> Cannabis<br />
<strong>und</strong> Teilnahme am Straßenverkehr mit [einem]<br />
Kraftfahrzeug.<br />
2. Zur Auslegung von § 3 Abs. 3 StVG i. V. m.<br />
§ 69 Abs. 1 StGB, wenn ein polizeilich eingeleitetes<br />
Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes <strong>gegen</strong> das<br />
BtMG noch nicht abgeschlossen ist.<br />
*) 3. Mit der Einstellung eines Strafverfahrens<br />
bezogen auf den Straftatbestand der Trunkenheit<br />
nach § 316 StGB entfällt die Bindungswirkung der<br />
Straßenverkehrsbehörde an den Vorrang eines anhängigen<br />
einschlägigen Ermittlungs- bzw. Strafverfahrens.<br />
Saarländisches Verwaltungsgericht,<br />
Beschluss vom 21. Oktober 2009 – 10 L 888/09 –<br />
Aus den Gründen:<br />
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden<br />
Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom<br />
14. 09. 2009 <strong>gegen</strong> die Verfügung des Antragsgegners<br />
vom 07. 09. 2009, durch die dem Antragsteller unter<br />
Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis<br />
entzogen <strong>und</strong> die Abgabe des Führerscheins innerhalb<br />
von einer Woche nach Zustellung dieser Verfügung<br />
aufgegeben wurde, ist zulässig, insbesondere<br />
statthaft gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO, hat<br />
aber in der Sache keinen Erfolg.<br />
Rechtsgr<strong>und</strong>lage für die Entziehung der Fahrerlaubnis<br />
ist § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 Satz 1<br />
FeV. Vorliegend sind nach derzeitigem Erkenntnisstand<br />
die Voraussetzungen einer fehlenden Eignung<br />
des Antragstellers zum Führen eines Kraftfahrzeuges<br />
nach Ziffer 9.2.2 der Anlage 4 der FeV mit hinreichender<br />
Wahrscheinlichkeit festgestellt.<br />
Aus dem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin<br />
der Universität S. vom 02. 07. 2009 ergibt sich, dass<br />
die dem Antragsteller am 16. 07. 2009 anlässlich einer<br />
Verkehrskontrolle in B. entnommene Blutprobe Spuren<br />
von etwa 0,0005 mg/l Tetrahydrocannabinol <strong>und</strong><br />
den Wert von 0,023 mg/l Tetrahydrocannabinol-Carbonsäure<br />
aufweist. Die anhand der Blutprobe weiter<br />
vorgenommene <strong>Blutalkohol</strong>best<strong>im</strong>mung des Instituts<br />
für Rechtsmedizin der Universität S. vom 25. 06. 2009<br />
ergab eine <strong>Alkohol</strong>konzentration von 0,62 Promille <strong>im</strong><br />
Blut des Antragstellers zum Zeitpunkt der Verkehrskontrolle,<br />
bei der der Antragsteller einen Klein-LKW<br />
geführt hat <strong>und</strong> bei der zugleich festgestellt worden ist,<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
52 Rechtsprechung<br />
dass die Fingerspitzen des Antragstellers bei Aushändigung<br />
der Papiere stark zitterten <strong>und</strong> die Pupillen<br />
stark verengt waren, ein Test auf die Veränderung der<br />
Pupillen negativ verlief <strong>und</strong> die Reaktion des Antragstellers<br />
zu Beginn des Kontrollgespräches verzögert<br />
gewesen ist, woraus sich der Verdacht auf die Beeinflussung<br />
durch Betäubungsmittel ergab, wie dies aus<br />
dem Polizeibericht vom 23. 06. 2009 hervorgeht.<br />
Hieraus ergibt sich eindeutig ein Führen des fraglichen<br />
Kraftfahrzeuges unter für die Verhängung eines<br />
Bußgeldes relevantem <strong>Alkohol</strong>einfluss, wobei zugleich<br />
feststeht, dass der Antragsteller zeitnah hierzu<br />
Cannabis konsumiert hat, was zumindest eine gelegentliche<br />
Einnahme von Cannabis <strong>im</strong> Sinne von Ziff.<br />
9.2.2 der Anlage 4 zur FeV belegt. Ein Konsum von<br />
Cannabis am Vorabend des Tages der Verkehrskontrolle<br />
wird von dem Antragsteller ausweislich des Schriftsatzes<br />
seiner Prozessbevollmächtigten vom 02.10. 2009<br />
zudem nicht bestritten, auch wenn er aus der geringen<br />
Menge an Tetrahydrocannabinol gefolgert wissen will,<br />
dass er über das für den Konsum von Cannabis unschädliche<br />
Trennungsvermögen <strong>im</strong> Sinne der Ziff.<br />
9.9.2 der Anlage 4 zur FeV verfügt. Damit kann er aber<br />
nicht gehört werden, da die hier maßgebende Ziffer<br />
von einer Eignung gerade dann nicht mehr ausgeht,<br />
wenn be<strong>im</strong> Führen eines Kraftfahrzeuges sowohl <strong>Alkohol</strong>werte<br />
als auch Werte, die für die zeitnahe Einnahme<br />
von Cannabis sprechen, festgestellt werden.<br />
Dabei ist insbesondere von Bedeutung, dass der festgestellte<br />
<strong>Blutalkohol</strong>wert <strong>gegen</strong> die Tauglichkeit des<br />
Antragstellers zum Führen eines Kraftfahrzeuges zum<br />
Zeitpunkt der Verkehrskontrolle spricht. Von daher<br />
kommt es nicht auf die Frage an, wie es zu beurteilen<br />
wäre, wenn bei dem Antragsteller die für ihn festgestellten<br />
Werte für Cannabis <strong>und</strong> seiner Abbauprodukte<br />
neben einer <strong>Blutalkohol</strong>konzentration unter 0,5 Promille<br />
festgestellt worden wären <strong>und</strong> ob auch in diesem<br />
Falle ein zur Entziehung der Fahrerlaubnis berechtigender<br />
Mischkonsum <strong>im</strong> hier angenommenen Sinne<br />
vorläge oder die Fahrerlaubnisbehörde vor der Entziehung<br />
eine ärztliche bzw. medizinisch-psychologische<br />
Untersuchung des Antragstellers <strong>im</strong> Sinne des Verhältnismäßigkeitsgr<strong>und</strong>satzes<br />
hätte anordnen müssen.<br />
Die ohne vorherige weitere Ermittlung erfolgte<br />
sofortige Entziehung der Fahrerlaubnis rechtfertigt<br />
sich angesichts der dargestellten Umstände nicht zuletzt<br />
auch unter Berücksichtigung der vom Antragsgegner<br />
zur Begründung der Antragserwiderung vom<br />
28. 09. 2009 herangezogene frühere einschlägige Verurteilung<br />
des Antragstellers wegen Trunkenheit <strong>im</strong><br />
Straßenverkehr <strong>und</strong> Entziehung der Fahrerlaubnis<br />
unter dem Einfluss von Cannabis gemäß dem Urteil<br />
des Amtsgerichts Saarbrücken vom 21. 01. 2008. Mithin<br />
stellt sich die Entziehung der Fahrerlaubnis auch<br />
nicht als – wie der Antragsteller meint – unverhältnismäßig<br />
dar.<br />
Schließlich kann sich der Antragsteller auch nicht<br />
auf § 3 Abs. 3 StVG berufen, wonach die Fahrerlaubnisbehörde<br />
den Sachverhalt, der Gegenstand eines<br />
Strafverfahrens ist, solange nicht in einem Entziehungsverfahren<br />
berücksichtigen darf, wie <strong>gegen</strong> den<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Inhaber der Fahrerlaubnis ein Strafverfahren anhängig<br />
ist, in dem die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69<br />
StGB in Betracht kommt (vgl. dazu etwa den Beschluss<br />
des Gerichts vom 18. 01.1993, 5 F 114/92, ZfS<br />
1993, 107).<br />
Was eine Bestrafung wegen des Verdachts der Trunkenheit<br />
<strong>im</strong> Straßenverkehr gemäß § 316 StGB anbelangt,<br />
ergibt sich aus der vom Antragsgegner vorgelegten<br />
Einstellungsmitteilung der Staatsanwaltschaft<br />
Saarbrücken wegen eines Verkehrsvergehens gemäß<br />
§ 316 StGB vom 25. 08. 2009, dass das fragliche Verfahren<br />
zum Zeitpunkt des Ergehens des Bescheides am<br />
07. 09. 2009 bereits eingestellt war. Mit der Einstellung<br />
des Strafverfahrens zu diesem Zeitpunkt war also<br />
bezogen auf den Straftatbestand der Trunkenheit nach<br />
§ 316 StGB, wie er Bestandteil des § 69 Abs. 2 Nr. 2<br />
StGB ist, die Bindungswirkung der Straßenverkehrsbehörde<br />
an den Vorrang eines anhängigen einschlägigen<br />
Ermittlungs- bzw. Strafverfahrens entfallen. Dabei<br />
kann es nicht darauf ankommen, ob der Antragsgegner<br />
zum Zeitpunkt des Erlassens seines Bescheides bereits<br />
über die Einstellung des Verfahrens informiert war<br />
oder ob er ungeachtet der Kenntnis der Einstellung des<br />
Verfahrens das Risiko der Nichtbeachtung von § 3<br />
Abs. 3 StVG eingegangen ist.<br />
Anders stellt sich die Situation auch nicht hinsichtlich<br />
des von der Landespolizeidirektion ausweislich<br />
des Vermerks vom 23. 06. 2009 eingeleiteten Ermittlungsverfahrens<br />
wegen Verstoßes <strong>gegen</strong> §§ 1, 3, 29<br />
BtMG dar. Zwar liegt insoweit eine Mitteilung über<br />
den weiteren Verlauf des Verfahrens nicht vor. Eine<br />
Bindungswirkung <strong>im</strong> Sinne von § 3 Abs. 3 StVG bezogen<br />
auf § 69 Abs. 1 StGB scheidet aber ersichtlich<br />
aus. Eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69<br />
Abs. 1 StGB erfordert nämlich, dass sich aus der Tat<br />
ergibt, dass ein Kraftfahrzeugführer zum Führen von<br />
Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Jenseits der Regelvermutung<br />
der Ungeeignetheit in § 69 Abs. 2 StGB erfordert<br />
die Frage, ob aufgr<strong>und</strong> eines anhängigen Ermittlungs-<br />
oder Strafverfahrens die Entziehung der<br />
Fahrerlaubnis nach § 69 Abs. 1 StGB gemäß § 3<br />
Abs. 3 Satz 1 StVG in Betracht kommt, eine auf den<br />
Zeitpunkt der Einleitung des Strafverfahrens bzw.<br />
Ermittlungsverfahrens abzustellende Prognose (vgl.<br />
dazu Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht,<br />
20. Auflage 2008, § 3 StVG, Rdnr. 10).<br />
Nach der diesbezüglich ergangenen Rechtsprechung<br />
der Strafgerichte sind indes Belange der Verkehrssicherheit<br />
selbst dann nicht ohne weiteres berührt,<br />
wenn der Täter <strong>im</strong> Kraftfahrzeug Rauschgift<br />
transportiert, weil ein allgemeiner Erfahrungssatz,<br />
dass Transporteure von Rauschgift <strong>im</strong> Falle von Verkehrskontrollen<br />
zu besonders riskanter Fahrweise entschlossen<br />
seien, nicht bestehe. In dem Falle nämlich,<br />
in dem die Tat für den Verkehr nicht spezifisch ist,<br />
kann sich die Ungeeignetheit des Täters aus ihr nur ergeben,<br />
wenn konkrete Umstände der Tatausführung <strong>im</strong><br />
Zusammenhang mit einer Gesamtwürdigung von Tat<br />
<strong>und</strong> Täter Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er bereit<br />
ist, zur Erreichung seiner – auch nicht kr<strong>im</strong>inellen –<br />
Ziele die Sicherheit des Verkehrs zu beeinträchtigen
(vgl. dazu Weber, BtMG, 3. Auflage 2009, vor §§ 29 ff.<br />
Rdn 1460 f., 1464, m. w. N. zur Rechtsprechung des<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esgerichtshofs).<br />
Derartige Gesichtspunkte sind vorliegend indes<br />
schlechterdings nicht erkennbar, zumal höchst fraglich<br />
ist, ob die Einleitung eines Strafverfahrens wegen Verstoßes<br />
<strong>gegen</strong> das Betäubungsmittelgesetz, wie es von<br />
der Polizeibehörde vorliegend angestoßen worden ist,<br />
überhaupt gerechtfertigt war, nachdem sich aus der<br />
Verkehrskontrolle keinerlei Anhaltspunkte auch nur<br />
für den Besitz von Cannabis zum Tatzeitpunkt ergeben<br />
haben <strong>und</strong> in eine Gesamtwürdigung <strong>im</strong> o.a. Sinne hier<br />
einbezogen werden muss, dass der Antragsteller subjektiv<br />
davon ausgeht, den Genuss von Cannabis <strong>und</strong><br />
die Teilnahme am Straßenverkehr als Führer eines<br />
Kraftfahrzeuges zu trennen in der Lage zu sein.<br />
Schließlich kann der Antragsteller auch aus der angeführten<br />
Entscheidung des OVG des Saarlandes vom<br />
30. 09. 2002, 9 W 25/02 [BA 2003, 166], nichts zu seinen<br />
Gunsten herleiten, da es dort um die Frage des<br />
regelmäßigen Cannabiskonsums gegangen ist <strong>und</strong> <strong>im</strong><br />
Übrigen <strong>im</strong> Zeitpunkt der Entziehungsverfügung eine<br />
mehrmonatige, gutachterlich bestätigte Abstinenzzeit<br />
vorgelegen hat.<br />
Hat demnach der Antragsgegner zu Recht die fehlende<br />
Eignung des Antragstellers zum Führen eines Kraftfahrzeuges<br />
gemäß Ziffer 9.2.2 der Anlage 4 der FeV<br />
festgestellt, ist nach den dargelegten gesetzlichen Best<strong>im</strong>mungen<br />
zwingend die Fahrerlaubnis zu entziehen.<br />
(Mitgeteilt von der 10. Kammer des Saarländischen<br />
Verwaltungsgerichtes)<br />
16. 1. Nach verbreiteter Auffassung ist § 28<br />
Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 FeV richtlinienkonform dahin<br />
anzuwenden, dass das Innehaben eines ordentlichen<br />
Wohnsitzes <strong>im</strong> Inland bei Erteilung der mitgliedstaatlichen<br />
Fahrerlaubnis allein nicht genügt,<br />
die Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen<br />
<strong>im</strong> Inland entfallen zu lassen; erforderlich sein<br />
soll außerdem, dass zuvor eine inländische Fahrerlaubnis<br />
entzogen oder sonst beschränkt worden ist.<br />
2. Liegt ein solcher Fall nicht vor, besteht kein<br />
überwiegendes öffentliches Interesse daran, den Inhaber<br />
der mitgliedstaatlichen Fahrerlaubnis vorläufig<br />
zu hindern, <strong>im</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esgebiet Kraftfahrzeuge<br />
zu führen.<br />
3. Die Pflicht, einen von einem Mitgliedstaat ausgestellten<br />
Führerschein nach sofort vollziehbarer<br />
Feststellung der Nichtberechtigung zum Führen<br />
von Kraftfahrzeugen <strong>im</strong> Inland unverzüglich der<br />
entscheidenden Behörde vorzulegen, ist von Gesetzes<br />
wegen sofort vollziehbar.<br />
Verwaltungsgericht Karlsruhe,<br />
Beschluss vom 29. Oktober 2009 – 5 K 1853/09 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Der <strong>im</strong> Jahr 1968 geborene Antragsteller, der zuvor<br />
nie <strong>im</strong> Besitz einer inländischen Fahrerlaubnis war, er-<br />
Rechtsprechung<br />
53<br />
warb am 19. 10. 2005 eine tschechische Fahrerlaubnis.<br />
Als Wohnort ist <strong>im</strong> tschechischen Führerschein<br />
„.../<strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik Deutschland“ angegeben. Im Januar<br />
2009 wurde <strong>gegen</strong> ihn ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren<br />
wegen Führens von Kraftfahrzeugen in<br />
Deutschland eingeleitet. Auf Anfrage des Landratsamts<br />
... teilte die Polizeidirektion ... mit, dass <strong>gegen</strong><br />
den Antragsteller in den Jahren 1989 bis 1998, in<br />
einem Fall auch <strong>im</strong> Jahr 2007, eine Vielzahl von<br />
strafrechtlichen Ermittlungsverfahren geführt worden<br />
seien. Das letzte Verfahren wegen Kreditbetrugs habe<br />
zu einer Einstellung gemäß § 153a StPO geführt. 1998<br />
sei der Kläger zwe<strong>im</strong>al wegen Verstößen <strong>gegen</strong> das<br />
Betäubungsmittelgesetz verurteilt worden, einmal zu<br />
einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> vier Monaten<br />
<strong>und</strong> einmal zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen<br />
zu 30 DM. In dem vom Landratsamt eingeholten<br />
Führungszeugnis des <strong>B<strong>und</strong></strong>esamts für Justiz nach § 31<br />
BZRG vom 11. 03. 2009 ist allein eine Verurteilung<br />
wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs<br />
mit Nötigung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen<br />
zu je 10 EUR Geldstrafe <strong>und</strong> einem Monat Fahrverbot<br />
durch das Amtsgericht Augsburg vom 29. 11. 2006<br />
(Tatzeit 22. 09. 2006) enthalten. Das Kraftfahrt-<strong>B<strong>und</strong></strong>esamt<br />
teilte mit, dass der Kläger außerdem vom<br />
Amtsgericht ... am 11.02. 2004 <strong>und</strong> am 04.10. 2005 jeweils<br />
wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (mit einem<br />
Kleinkraftrad) zu einer Geldstrafe von 60 bzw. 80 Tagessätzen<br />
verurteilt worden sei.<br />
Mit Verfügung vom 28. 07. 2009 stellte das Landratsamt<br />
fest, dass die dem Antragsteller am<br />
19. 10. 2005 erteilte tschechische Fahrerlaubnis der<br />
Klasse B ihn nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen<br />
auf dem Gebiet der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik Deutschland berechtige<br />
(Nr. 1), <strong>und</strong> forderte ihn auf, seinen tschechischen<br />
Führerschein innerhalb einer Woche vorzulegen,<br />
damit ein Vermerk über die getroffene Feststellung<br />
eingetragen werden könne (Nr. 2): ferner ordnete<br />
es die sofortige Vollziehung von Nr. 1 der Verfügung<br />
an (Nr. 3) <strong>und</strong> drohte für den Fall, dass der<br />
Antragsteller seiner Verpflichtung nach Nr. 2 nicht<br />
fristgerecht nachkommen werde, die Wegnahme des<br />
Führerscheins an (Nr. 4).<br />
In der Verfügung wird zur Anordnung der sofortigen<br />
Vollziehung von Nr. 1 ausgeführt: Die sofortige<br />
Vollziehung dieser Verfügung sei erforderlich, um zu<br />
verhindern, dass der Antragsteller be<strong>im</strong> Führen von<br />
Kraftfahrzeugen die Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung des Straßenverkehrs<br />
gefährde.<br />
Der Antragsteller legte am 07. 08. 2009 Widerspruch<br />
ein. Zugleich hat er vorläufigen Rechtsschutz<br />
beantragt.<br />
Aus den Gründen:<br />
Der statthafte (§ 80 Abs. 5 mit Abs. 2 Satz 1 Nr. 3<br />
<strong>und</strong> 4, Satz 2 VwGO, § 12 LVwVG) <strong>und</strong> auch sonst<br />
zulässige Antrag hat Erfolg. Dem Antragsteller ist der<br />
begehrte vorläufige Rechtsschutz zu gewähren.<br />
Soweit das Landratsamt die sofortige Vollziehung<br />
von Nr. 1 der angefochtenen Verfügung angeordnet<br />
hat, kommt allerdings keine Wiederherstellung der<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
54 Rechtsprechung<br />
aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs in Betracht.<br />
Vielmehr ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung<br />
aufzuheben; denn das Landratsamt hat das besondere<br />
Interesse an der sofortigen Vollziehung des<br />
Verwaltungsakts nicht dem (formellen) Erfordernis<br />
des § 80 Abs. 3 VwGO entsprechend begründet. Dafür<br />
reicht sein Hinweis nicht aus, der Antragsteller würde<br />
ansonsten be<strong>im</strong> Führen von Kraftfahrzeugen die Sicherheit<br />
<strong>und</strong> Ordnung des Straßenverkehrs gefährden.<br />
Denn diese Begründung lässt in keiner Weise erkennen,<br />
worin eine vom Antragsteller ausgehende Gefahr<br />
für die Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung des Straßenverkehrs<br />
bestehen soll, die es rechtfertigte, die aufschiebende<br />
Wirkung des Widerspruchs zu beseitigen. Dem Begründungserfordernis<br />
genügt hätte es etwa, wenn das<br />
Landratsamt ausgeführt hätte, dass wegen einer fehlenden<br />
bzw. nicht erwiesenen Eignung des Antragstellers<br />
zum Führen von Kraftfahrzeugen in Deutschland<br />
mit Rücksicht auf die sonst anderen Verkehrsteilnehmern<br />
drohenden Gefahren für Leib <strong>und</strong> Leben dem Sofortvollzug<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich Vorrang vor dem privaten<br />
Interesse des Inhabers einer ausländischen Fahrerlaubnis<br />
einzuräumen sei, in Deutschland vorläufig am öffentlichen<br />
Straßenverkehr teilnehmen zu können (vgl.<br />
etwa OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 01. 07. 2009 –<br />
10 B 10450/09 – juris Rdnr. 2).<br />
Die Kammer bemerkt gleichwohl, dass der Antrag<br />
hinsichtlich Nr. 1 der angefochtenen Verfügung auch<br />
bei einer dem Erfordernis des § 80 Abs. 3 VwGO genügenden<br />
Begründung Erfolg gehabt hätte. Dies ergibt<br />
sich aus Folgendem:<br />
In der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ist<br />
bislang nicht geklärt, ob § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV<br />
in der Fassung der Dritten Verordnung zur Änderung<br />
der Fahrerlaubnisverordnung vom 07. 01. 2009 (BGBl.<br />
I S. 29) seinem Wortlaut entsprechend in allen Fällen<br />
gilt, in denen der Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis<br />
ausweislich des Führerscheins oder vom<br />
Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer<br />
Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung der<br />
Fahrerlaubnis seinen ordentlichen Wohnsitz <strong>im</strong> Inland<br />
hatte oder ob die Vorschrift richtlinienkonform dahin<br />
anzuwenden ist, dass die Berechtigung zum Führen<br />
von Kraftfahrzeugen <strong>im</strong> Inland mit einer EU-Fahrerlaubnis<br />
nur für die Fälle eingeschränkt wird, in denen<br />
vor der Erteilung der EU-Fahrerlaubnis die Fahrerlaubnis<br />
<strong>im</strong> Inland vorläufig oder rechtskräftig von<br />
einem Gericht oder sofort vollziehbar oder bestandskräftig<br />
von einer Verwaltungsbehörde entzogen worden<br />
war (vgl. § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV). Es entspricht<br />
verbreiteter Auffassung, dass das maßgebliche Gemeinschaftsrecht<br />
(Art. 8 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie<br />
91/439/EWG dazu EuGH, Urt. v. 26. 06. 2008<br />
– C-334/06 – juris, insbes. Rdnrn. 68, 69) eine Ausnahme<br />
vom Gr<strong>und</strong>satz der Anerkennung mitgliedstaatlicher<br />
Fahrerlaubnisse nur zulässt, wenn der<br />
Erteilung der EU-Fahrerlaubnis eine innerstaatliche<br />
Einschränkung, Aussetzung, ein Entzug oder eine Aufhebung<br />
der Fahrerlaubnis vorausgegangen war (Hess.<br />
VGH, Beschl. v. 18. 06. 2009 – 2 B 255/09 – [BA 2009,<br />
354]; VG Augsburg, Urt. v. 28. 08. 2009 – Au 7 K<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
08.1717; a. A. OVG Rhl.-Pf., Beschl. v. 23. 01.2009 –<br />
10 B 11145/08 – juris [= BA 2009, 352]). Der Bayerische<br />
Verwaltungsgerichtshof beurteilt die Frage als<br />
offen (Bayer. VGH, Beschl. v. 26. 02. 2009 – 11 C<br />
09.296 – juris, Rdnr. 20, <strong>und</strong> Beschl. v. 22. 06. 2009 –<br />
11 CE 09.1089 –, juris Rdnr. 20). Eine abschließende<br />
Klärung dieser schwierigen Rechtsfrage muss einem<br />
Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.<br />
Sind die Erfolgsaussichten <strong>im</strong> Hauptsacheverfahren<br />
für den Antragsteller jedoch zumindest offen, besteht<br />
kein überwiegendes öffentliches Interesse daran, den<br />
Antragsteller allein wegen des Umstands, dass er die<br />
Fahrerlaubnis in Tschechien <strong>und</strong> nicht an seinem<br />
Wohnsitz bzw. sonst in Deutschland erworben hat,<br />
vorerst daran zu hindern, <strong>im</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esgebiet Kraftfahrzeuge<br />
zu führen. Ein solches überwiegendes öffentliches<br />
Interesse ist zwar regelmäßig anzunehmen, wenn<br />
eine EU-Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Anschluss an eine Entziehung<br />
der Fahrerlaubnis in Deutschland erworben<br />
wurde (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v.<br />
01.07. 2009 – 10 B 10450/09 – a. a. O. sowie VGH<br />
Bad.-Württ., Beschl. v. 17. 07. 2008 – 10 S 1688/08 –<br />
VBlBW 2008, 486 = juris, Rdnr. 7 [= BA 2008, 328]).<br />
In diesen Fällen kann der Inhaber der EU-Fahrerlaubnis<br />
allerdings sein Suspensivinteresse auch nicht auf<br />
einen gemeinschaftsrechtlich begründeten Anspruch<br />
auf Anerkennung der Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Inland stützen,<br />
jedenfalls hat dieses Interesse bei geringer Erfolgsaussicht<br />
in der Hauptsache wenig Gewicht. Anders verhält<br />
es sich in Fällen wie dem vorliegenden, in denen Einiges<br />
dafür spricht, dass der Inhaber der mitgliedstaatlichen<br />
Fahrerlaubnis letztlich einen Anspruch auf Anerkennung<br />
derselben hat.<br />
Diese Folgenabwägung kann nicht anders ausfallen,<br />
wenn man zusätzlich die Umstände des Einzelfalles in<br />
den Blick n<strong>im</strong>mt. Zwar spricht Überwiegendes dafür,<br />
dass der Antragsteller die tschechische Fahrerlaubnis<br />
erworben hat, weil er befürchten musste, dass ihm<br />
bei einem Antrag auf Erteilung der Fahrerlaubnis in<br />
Deutschland jedenfalls seine mit Geldstrafen bzw.<br />
einem einmonatigen Fahrverbot geahndeten Verkehrsstraftaten<br />
aus jüngerer Zeit vorgehalten <strong>und</strong> womöglich<br />
zum Anlass genommen worden wären, seine<br />
Eignung durch ein medizinisch-psychologisches Gutachtens<br />
zu belegen. Jedoch steht, anders als in den Fällen<br />
der missbräuchlichen Beschaffung einer EU-<br />
Fahrerlaubnis nach Entziehung der Fahrerlaubnis, die<br />
fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen<br />
<strong>im</strong> Inland nicht aufgr<strong>und</strong> einer vollziehbaren oder bestandskräftigen<br />
Entscheidung vorläufig bzw. endgültig<br />
fest.<br />
Dass der Antragsteller <strong>im</strong> Ergebnis vorläufig ohne<br />
inländische bzw. zweifelsfrei für das Inland anerkannter<br />
mitgliedstaatlicher Fahrerlaubnis am Straßenverkehr<br />
<strong>im</strong> Inland teilnehmen kann, ist Folge des nach<br />
dem Gemeinschaftsrecht nur von engen Ausnahmen<br />
durchbrochenen Gr<strong>und</strong>satzes der Anerkennung mitgliedstaatlicher<br />
Fahrerlaubnisse.<br />
Hinsichtlich des Gebots, den Führerschein vorzulegen<br />
(Nr. 2 der Verfügung), ist die aufschiebende Wirkung<br />
des Widerspruchs anzuordnen.
Insoweit entfällt die aufschiebende Wirkung des<br />
Widerspruch zwar nicht gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1<br />
Nr. 4 VwGO. Das folgt schon daraus, dass sich die Anordnung<br />
der sofortigen Vollziehung in Nr. 3 der Verfügung<br />
ausdrücklich allein auf die Feststellung der<br />
Nichtberechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen<br />
gemäß Nr. 1 der Verfügung bezieht. Auch § 80 Abs. 2<br />
Satz 1 Nr. 3 VwGO ist nicht einschlägig. Insbesondere<br />
kann sich die Vollziehbarkeit einer Anordnung zur<br />
Vorlage des Führerscheins nicht aus § 47 Abs. 1 Satz 2,<br />
Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 FeV ergeben (so aber Bayer.<br />
VGH, Beschl. v. 09. 06. 2005 – 11 CS 05.478, VM<br />
2006 Nr. 29; Dauer, in: Hentschel u. a., Straßenverkehrsrecht,<br />
40. Aufl., § 47 FeV Anm. 1; a. A. OVG<br />
Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 30. 03. 2007 – 1 S 31.07 –<br />
SVR 2008, 277 m. w. N.). Denn § 80 Abs. 2 Satz 1<br />
Nr. 3 VwGO erfordert ein formelles Gesetz; dem genügt<br />
eine b<strong>und</strong>esrechtliche Verordnung wie die Fahrerlaubnisverordnung<br />
nicht. Auch fehlte es § 47 Abs. 1<br />
Satz 2, Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 FeV ansonsten nicht<br />
etwa an einem sinnvollen Gehalt. Zu diesem gehört<br />
etwa auch, dass ein Verstoß <strong>gegen</strong> die durch § 47<br />
Abs. 1 Satz 2 FeV unmittelbar begründete Pflicht zur<br />
unverzüglichen Vorlage des Führerscheins bußgeldbewehrt<br />
ist (§ 75 Nr. 10 FeV).<br />
17. *) 1. § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i.V.m. § 47 Abs. 2<br />
FeV sind auf den Fall einer nicht <strong>im</strong> Sinne des<br />
§ 28 FeV anzuerkennenden Fahrerlaubnis entsprechend<br />
anzuwenden.<br />
2. Die Anordnung einer isolierten Sperre für die<br />
Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Sinne von<br />
§ 69a Abs. 1 Satz 3 StGB ist als eine <strong>im</strong> Sinne von<br />
§ 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV „entzugsähnliche Maßnahme“<br />
anzusehen.<br />
3. Bei nach dem 19. Januar 2009 erteilten Fahrerlaubnissen<br />
ist auf die Anerkennungsregelungen<br />
der Richtlinie 2006/126/EG, insbesondere deren<br />
Nichtanerkennungsregelungen in Art. 11 Abs. 4 abzustellen,<br />
welche sich nunmehr als Regel-Verpflichtung<br />
<strong>und</strong> nicht mehr als eng auszulegende Ausnahmeregelung<br />
vom allgemeinen Anerkennungsprinzip<br />
darstellen, womit ein tragendes Argument<br />
der Rechtsprechung des EuGH weggefallen ist.<br />
Verwaltungsgericht Ansbach,<br />
Beschluss vom 21. Oktober 2009 – AN 10 S 09.01799 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Mit Urteil des Amtsgerichts … vom 08. März 2005,<br />
rechtskräftig seit 15. Juni 2006, wurde der Antragsteller<br />
(u. a.) wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis<br />
zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt.<br />
Ferner wurde eine isolierte Sperre gemäß § 69a<br />
Abs. 1 Satz 3 StGB von (letztlich) sechs Monaten angeordnet.<br />
Im Juli 2009 informierte die Polizei die Fahrerlaubnisbehörde<br />
darüber, dass der Antragsteller am 14. Juni<br />
2009 einer Kontrolle unterzogen worden sei. Dabei<br />
Rechtsprechung<br />
55<br />
habe er eine tschechische Fahrerlaubnis der Klassen A<br />
<strong>und</strong> B vom 28. April 2009 vorgelegt. Aus der dem<br />
polizeilichen Bericht beigelegten Kopie der tschechischen<br />
Fahrerlaubnis ergibt sich, dass als Wohnsitz der<br />
Ort „…“ [Tschechien] eingetragen ist.<br />
Auf Antrag der Fahrerlaubnisbehörde teilte das<br />
Kraftfahrtb<strong>und</strong>esamt am 31. Juli 2009 mit, dass <strong>im</strong> Verkehrszentralregister<br />
die Verurteilung vom 08. März<br />
2005 eingetragen ist.<br />
Mit einem dem Antragsteller am 04. August 2009<br />
zugestellten Schreiben informierte die Fahrerlaubnisbehörde<br />
den Antragsteller dahingehend, dass er ent<strong>gegen</strong><br />
der allgemeinen gr<strong>und</strong>sätzlichen Regelung des<br />
§ 28 Abs. 1 FeV nicht berechtigt sei, in Deutschland<br />
Kraftfahrzeuge zu führen, denn diese Berechtigung<br />
gelte nach § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV nicht für Inhaber,<br />
denen die Fahrerlaubnis in Deutschland vorläufig oder<br />
rechtskräftig von einem Gericht entzogen worden<br />
sei. Nachdem der Antragsteller mit Entscheidung vom<br />
08. März 2005 wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt<br />
worden sei <strong>und</strong> diese Maßnahme <strong>im</strong> Verkehrszentralregister<br />
eingetragen <strong>und</strong> noch nicht getilgt sei,<br />
sei der Antragsteller kraft Gesetzes nicht zum Führen<br />
von Kraftfahrzeugen in Deutschland berechtigt. Zur<br />
Vermeidung einer kostenpflichtigen förmlichen Anordnung<br />
werde dem Antragsteller die Gelegenheit gegeben,<br />
binnen sieben Tagen nach Zustellung dieses<br />
Schreibens den tschechischen Führerschein zur Eintragung<br />
der fehlenden Fahrberechtigung vorzulegen.<br />
Mit Bescheid vom 24. August 2009, dem Antragsteller<br />
zugestellt am 27. August 2009, wurde dieser<br />
verpflichtet, seinen tschechischen Führerschein zur<br />
Anbringung eines Vermerks über die Ungültigkeit der<br />
tschechischen Fahrerlaubnis in der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik<br />
Deutschland vorzulegen. Insoweit wurde die sofortige<br />
Vollziehung angeordnet.<br />
Gegen diesen Bescheid ließ der Antragsteller am<br />
24. September 2009 Anfechtungsklage erheben <strong>und</strong><br />
weiterhin beantragen, die aufschiebende Wirkung der<br />
erhobenen Anfechtungsklage wiederherzustellen.<br />
Aus den Gründen:<br />
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.<br />
1. Rechtsgr<strong>und</strong>lage für die angefochtene Anordnung<br />
ist § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i. V. m. § 47 Abs. 2<br />
FeV in entsprechender Anwendung.<br />
Eine entsprechende Anwendung dieser Vorschriften<br />
auf den Fall einer nicht <strong>im</strong> Sinne des § 28 FeV anzuerkennenden<br />
Fahrerlaubnis ist deshalb zulässig <strong>und</strong> geboten,<br />
da der Regelungszweck dieser Vorschriften –<br />
Vermeidung eines falschen Anscheins der Berechtigung<br />
zum Führen eines Kraftfahrzeuges <strong>im</strong> Inland –<br />
nicht nur nach einer Entziehung bzw. Aberkennung<br />
des Rechts von einer ausländischer Fahrerlaubnis in<br />
Deutschland Gebrauch machen zu dürfen, besteht,<br />
sondern gleichermaßen auch in den Fällen, in denen<br />
mangels Anerkennungsfähigkeit die ausländische Fahrerlaubnis<br />
von vorneherein nicht das Recht vermittelt,<br />
in Deutschland ein Kraftfahrzeug zu führen. Insbesondere<br />
gilt dies dann, wenn sich der Inhaber einer derartigen<br />
ausländischen Fahrerlaubnis „berühmt“, von die-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
56 Rechtsprechung<br />
ser Fahrerlaubnis auch in Deutschland Gebrauch machen<br />
zu dürfen. Es ist auch kein schützenswertes Interesse<br />
des Antragstellers oder ein sonstiger Gr<strong>und</strong> ersichtlich<br />
dafür, zwischen den administrativen Folgen<br />
einer schon von Gesetzes wegen bestehenden Nichtanerkennungsfähigkeit<br />
<strong>und</strong> den Folgen einer durch Einzelakt<br />
gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 StVG erfolgten Aberkennung<br />
einen Unterschied zu machen. In beiden<br />
Fällen ist ein entsprechender Vermerk unerlässlich für<br />
den effektiven Vollzug des Fahrerlaubnisrechts.<br />
2. Auch liegen zur Überzeugung des Gerichts die<br />
Voraussetzungen für die fehlende Anerkennungsfähigkeit<br />
gemäß § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV vor.<br />
2.1 Eine <strong>im</strong> Sinne von § 28 Abs. 4 Satz 3 FeV noch<br />
verwertbare Maßnahme liegt in Gestalt der Anordnung<br />
einer isolierten Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB<br />
<strong>im</strong> Strafurteil vom 08. März 2005 vor.<br />
Diese strafgerichtliche Entscheidung ist gemäß § 28<br />
Abs. 3 Nr. 2 StVG in das Verkehrszentralregister einzutragen<br />
<strong>und</strong> unterliegt gemäß § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3<br />
i. V. m. Nr. 2 a StVG einer 10-jährigen Tilgungsfrist ab<br />
dem Tag des ersten Urteils. Selbst bei Außerachtlassung<br />
des hinausgeschobenen Beginns der Tilgungsfrist<br />
gemäß § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG war die Tilgungsfrist<br />
zum hier maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheidserlasses<br />
noch nicht abgelaufen.<br />
Dem entspricht auch die hier vorliegende Auskunft<br />
des Kraftfahrtb<strong>und</strong>esamtes vom 24. Juli 2009.<br />
Klarstellend ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die<br />
<strong>im</strong> angefochtenen Bescheid angeführte Verurteilung<br />
vom 05. November 1991 jedenfalls seit dem 04. November<br />
2006 nicht mehr <strong>im</strong> vorgenannten Sinne verwertbar<br />
ist (§ 65 Abs. 9 Satz 1 StVG i. V. m. den<br />
vorgenannten Tilgungsregelungen, vgl. hierzu auch<br />
BayVGH vom 26. 02. 2009 – Az.: 11 C 09.296, insbesondere<br />
RdNrn. 39 bis 41).<br />
2.2 Die hier somit noch <strong>im</strong> oben genannten Sinne<br />
verwertbare Anordnung einer isolierten Sperre ist aber<br />
auch eine Maßnahme <strong>im</strong> Sinne von § 28 Abs. 4 Satz 1<br />
Nr. 3 FeV, da sie den dort (u. a.) genannten Entzugsmaßnahmen<br />
nach dem Sinne der Regelung gleichartig<br />
ist.<br />
Sämtlichen in der vorgenannten Vorschrift bezeichneten<br />
Maßnahmen (Entziehung, Versagung, Verzicht)<br />
ist es gemein, dass hiermit eine verfahrensgesicherte<br />
(bestandskräftige, rechtskräftige oder kraft eigenen<br />
Zugeständnisses) formalisierte Aussage über das Fehlen<br />
der Eignung getroffen wurde.<br />
Dies ist jedoch auch bei der Anordnung einer so genannten<br />
„isolierten Sperre“ nach § 69a Abs. 1 Satz 3<br />
StGB der Fall. So setzt etwa die Entziehung der Fahrerlaubnis<br />
nach § 69 StGB (welche zweifellos eine<br />
Maßnahme <strong>im</strong> Sinne von § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV<br />
darstellt) gemäß § 69 Abs. 1 Satz 1 a. E. StGB voraus,<br />
dass sich – aus der Begehung der abgeurteilten Straftat<br />
– ergeben hat, dass der Betroffene zum Führen von<br />
Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Zwingende Rechtsfolge<br />
einer derartigen Entziehung der Fahrerlaubnis ist<br />
dann gemäß § 69a Abs. 1 Satz 1 StGB die Anordnung<br />
einer Sperre für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis.<br />
Kann einem Straftäter aber mangels Innehabens einer<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Fahrerlaubnis eine solche nicht mehr entzogen werden,<br />
sieht § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB vor, dass trotzdem<br />
eine, dann „isolierte“, Sperre anzuordnen ist. Aus der<br />
Zusammenschau dieser Vorschriften ergibt sich aber<br />
denklogisch, dass auch die Anordnung einer isolierten<br />
Sperrfrist die Feststellung der Nichteignung als Voraustatbestand<br />
enthält.<br />
Es ist deshalb gerechtfertigt, die Anordnung einer<br />
isolierten Sperre für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis<br />
<strong>im</strong> Sinne von § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB als<br />
eine <strong>im</strong> Sinne von § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV „entzugsähnliche<br />
Maßnahme“ anzusehen (vgl. zur möglichen<br />
Annahme einer „versagungsähnlichen Maßnahme“<br />
für den Fall einer fiktiven Antragsrücknahme<br />
BayVGH a. a. O. RdNr. 27).<br />
2.3 Der Verneinung der Anerkennungsfähigkeit<br />
gemäß § 28 Abs. 4 FeV in der seit 19. Januar 2009 gültigen<br />
Fassung steht <strong>im</strong> vorliegenden Fall auch nicht die<br />
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ent<strong>gegen</strong>,<br />
da bei nach dem 19. Januar 2009 erteilten Fahrerlaubnissen<br />
auf die Anerkennungsregelungen der<br />
Richtlinie 2006/126/EG, insbesondere deren Nichtanerkennungsregelungen<br />
in deren Art. 11 Abs. 4 abzustellen<br />
ist, welche sich nunmehr als Regel-Verpflichtung<br />
<strong>und</strong> nicht mehr als eng auszulegende Ausnahmeregelung<br />
vom allgemeinen Anerkennungsprinzip darstellen,<br />
womit ein tragendes Argument (vgl. hierzu<br />
jüngst die verb<strong>und</strong>enen Rechtssachen C-329/06 <strong>und</strong><br />
C-343/06 vom 26. Juni 2008 [BA 2008, 255] <strong>und</strong> die<br />
dort in RdNr. 60 in Bezug genommene vorangegangene<br />
Rechtsprechung in den Sachen Kapper <strong>und</strong> Halbritter)<br />
der Rechtsprechung des EuGH weggefallen ist.<br />
Aus diesem Gr<strong>und</strong>e kann auch nicht dem Vortrag<br />
des Antragstellers gefolgt werden, dass die Vorschrift<br />
des § 28 Abs. 4 FeV n. F. <strong>gegen</strong> die Rechtsprechung<br />
des EuGH verstoße bzw. über die Regelungen des Art.<br />
11 Abs. 4 Richtlinie 2006/126/EG hinausgehe. Auch<br />
der bayerische Verwaltungsgerichtshof geht in seiner<br />
Entscheidung vom 26. Februar 2009 (Az. 11 C 09.296,<br />
insbesondere deren RdNrn. 45 ff.) wohl davon aus,<br />
dass für Fahrerlaubnisse, welche ab dem 19. Januar<br />
2009 erteilt wurden, durch die nunmehr verpflichtende<br />
Regelung des Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG<br />
<strong>gegen</strong>über der „Kann-Regelung“ des Art. 8 Abs. 4<br />
Satz 1 der Richtlinie 91/439/EWG eine gr<strong>und</strong>legende<br />
Änderung der Rechtslage eingetreten ist.<br />
Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> kann auch nicht der Ansicht<br />
des Antragstellers gefolgt werden, dass die derzeitige<br />
Regelung des § 28 Abs. 4 FeV wegen fehlender<br />
Übergangsregelungen unter dem Gesichtspunkt des<br />
Vertrauensschutzes rechtswidrig sei, denn insbesondere<br />
<strong>im</strong> Falle des Antragstellers war selbst zum Zeitpunkt<br />
des von ihm reklamierten Beginns der Ausbildung<br />
in Tschechien die zugr<strong>und</strong>e liegende Richtlinie<br />
2006/126/EG schon lange, insbesondere wohl in den<br />
interessierten Kreisen, bekannt, da diese bereits <strong>im</strong><br />
Amtsblatt der Europäischen Union vom 30. Dezember<br />
2006 veröffentlicht wurde. Es kommt deshalb ent<strong>gegen</strong><br />
dem Antragstellervorbringen auch nicht darauf an,<br />
ob Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG überhaupt<br />
vertrauensschutzrelevante Regelungen enthält.
Abschließend ist noch darauf hinzuweisen, dass<br />
Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126/EG den Änderungen<br />
in § 28 FeV unter dem Aspekt der Ermöglichung<br />
einer Neuregelung auch in zeitlicher Hinsicht<br />
nicht ent<strong>gegen</strong>steht. Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie gewährt<br />
nur Bestandsschutz, soweit nicht Regelungen<br />
wie gerade Art. 11 Abs. 4 i. V. m. Art. 18 ausdrücklich<br />
Vorschriften über die Nichtanerkennung ausländischer<br />
Fahrerlaubnisse enthalten <strong>und</strong> somit eine Durchbrechung<br />
eines uneingeschränkten Bestandsschutzes bereits<br />
unmittelbar in der Richtlinie 2006/126/EG geregelt<br />
ist (siehe hierzu auch Amtliche Begründung zur<br />
Dritten Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnisverordnung<br />
vom 07. Januar 2009, Verkehrsblatt 2009,<br />
125, 129).<br />
18. 1. Gelegentlicher Cannabiskonsum i. S. d. § 14<br />
Abs. 1 S. 3 FeV ist anzunehmen, wenn Cannabis<br />
mindestens zwe<strong>im</strong>al in voneinander unabhängigen<br />
Konsumakten eingenommen wurde.<br />
2. Ein gelegentlicher Cannabiskonsum lässt sich<br />
nicht allein damit belegen, dass der Betroffene auf<br />
die polizeiliche Frage nach dem „letzten“ Konsum<br />
– die begrifflich darauf hindeutet, dass es vorher<br />
schon weiteren Konsum gegeben haben kann – antwortete<br />
<strong>und</strong> nicht zugleich betonte, dass es auch<br />
der einzige Konsum gewesen sei.<br />
3. Ein <strong>im</strong> Zusammenhang mit einem aktuellen<br />
Cannabiskonsum festgestellter THC-carbonsäurewert<br />
von 33,6 ng/ml lässt für sich genommen nicht<br />
darauf schließen, dass der Betroffene gelegentlich<br />
Cannabis konsumiert.<br />
4. Die gelegentliche Einnahme von Cannabis ist<br />
gemäß § 14 Abs. 1 S. 3 FeV tatbestandliche Voraussetzung,<br />
nicht zulässiger Gegenstand einer medizinisch-psychologischen<br />
Untersuchung, weshalb in<br />
Fällen, in denen unklar ist, ob tatsächlich nur eine<br />
einmalige Einnahme vorlag, nur die Anordnung<br />
einer ärztlichen Untersuchung in Betracht kommt.<br />
Verwaltungsgericht Berlin,<br />
Beschluss vom 23. Oktober 2009 – 20 L 208/09 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Der Antragsteller wendet sich <strong>gegen</strong> die für sofort<br />
vollziehbar erklärte Entziehung seiner Fahrerlaubnis.<br />
Bei einer Verkehrskontrolle am 20. August 2008 <strong>im</strong><br />
Zusammenhang mit der ordnungswidrigen Benutzung<br />
einer Busspur mit einem Kleinkraftrad wurde der Antragsteller<br />
wegen träger Pupillenreaktion auf <strong>Drogen</strong>genuss<br />
angesprochen <strong>und</strong> gab an, einen Joint geraucht<br />
zu haben. Bei der Untersuchung der entnommenen<br />
Blutprobe mittels Gaschromatographie-Tandemmassenspektrometrie<br />
wurden 2,1 ng/ml THC (Tetrahydrocannabinol),<br />
der Wirkstoff des Haschisch, 33,6 ng/ml<br />
THC-carbonsäure, der Hauptmetabolit des THC, <strong>und</strong><br />
0,9 ng/ml 11-Hydroxy-THC, ein Metabolit des THC,<br />
nachgewiesen. Im Untersuchungsbericht wird dazu<br />
ausgeführt, dass THC-Plasmakonzentrationen von<br />
Rechtsprechung<br />
57<br />
2-3 ng/ml oder mehr für einen aktuellen Cannabiskonsum<br />
<strong>und</strong> somit für eine mögliche Cannabisbeeinflussung<br />
sprechen.<br />
Mit Schreiben vom 30. Oktober 2008 forderte das<br />
Landesamt den Antragsteller auf, zur Feststellung seiner<br />
Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen das medizinisch-psychologische<br />
Gutachten einer amtlich anerkannten<br />
Begutachtungsstelle für Fahreignung vorzulegen,<br />
in dem die Frage beantwortet werde, inwieweit<br />
bei ihm ein <strong>Drogen</strong>problem <strong>und</strong> Abhängigkeit bestehe<br />
<strong>und</strong> seine Kraftfahreignung beeinträchtigt sei. Der Antragsteller<br />
legte das geforderte Gutachten nicht vor.<br />
Mit Bescheid vom 07. Januar 2009 entzog das Landesamt<br />
dem Antragsteller die Fahrerlaubnis <strong>und</strong> ordnete<br />
die sofortige Vollziehung an. Den Widerspruch<br />
des Antragstellers wies das Landesamt mit Widerspruchsbescheid<br />
vom 08. April 2009 zurück. Der Antragsteller<br />
hat am 08. Juni 2009 Klage erhoben <strong>und</strong><br />
zugleich den vorliegenden Antrag auf Gewährung vorläufigen<br />
Rechtsschutzes gestellt.<br />
Aus den Gründen:<br />
Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende<br />
Wirkung seiner Klage <strong>gegen</strong> den Bescheid des Landesamtes<br />
für Bürger- <strong>und</strong> Ordnungsangelegenheiten<br />
vom 07. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides<br />
des Landesamtes für Bürger- <strong>und</strong> Ordnungsangelegenheiten<br />
vom 08. April 2009 wiederherzustellen<br />
bzw. anzuordnen, ist gemäß § 80 Abs. 5<br />
Satz 1 VwGO hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis<br />
zulässig <strong>und</strong> begründet.<br />
Hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis hat<br />
der Antragsgegner zwar in formeller Hinsicht die Anordnung<br />
der sofortigen Vollziehung ordnungsgemäß<br />
<strong>im</strong> Sinne des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO begründet. Jedoch<br />
überwiegt in materieller Hinsicht das Interesse<br />
des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner<br />
Klage das Interesse des Antragsgegners an der sofortigen<br />
Vollziehung des angegriffenen Verwaltungsaktes.<br />
Nach der <strong>im</strong> Rahmen des Verfahrens des vorläufigen<br />
Rechtsschutzes nur gebotenen summarischen<br />
Prüfung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs <strong>im</strong><br />
Hauptsacheverfahren bestehen ernstliche Zweifel an<br />
der Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung.<br />
Rechtsgr<strong>und</strong>lage für die Entziehung der Fahrerlaubnis<br />
ist § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG in Verbindung mit § 46<br />
Abs. 1 Satz 1 FeV. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde<br />
die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren<br />
Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen<br />
erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken<br />
begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum<br />
Führen eines Kraftfahrzeuges ungeeignet ist, finden<br />
nach § 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 bis 14 FeV entsprechende<br />
Anwendung. Nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV<br />
kann die Beibringung eines medizinisch-psychologischen<br />
Gutachtens angeordnet werden, wenn gelegentliche<br />
Einnahme von Cannabis vorliegt <strong>und</strong> weitere<br />
Tatsachen Zweifel an der Eignung begründen. Gelegentlicher<br />
Cannabiskonsum ist anzunehmen, wenn<br />
Cannabis mindestens zwe<strong>im</strong>al in voneinander unabhängigen<br />
Konsumakten eingenommen wurde (vgl.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
58 Rechtsprechung<br />
BayVGH, Beschluss vom 13. Juni 2008 – 11 CS<br />
08.633 – <strong>und</strong> OVG Brandenburg, Beschluss vom<br />
13. Dezember 2004 – OVG 4 B 206.04 – [BA 2006,<br />
161], jeweils zitiert nach Juris; Beschluss der Kammer<br />
vom 27. November 2008 – VG 20 A 271.08 –). In Fällen,<br />
in denen die vorliegenden Erkenntnisse lediglich<br />
den Schluss auf einen einmaligen Konsum – <strong>und</strong> zwar<br />
ausschließlich von Cannabis – zulassen, kommt hin<strong>gegen</strong><br />
die Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen<br />
Gutachtens nicht in Betracht.<br />
Dies gilt selbst dann, wenn <strong>im</strong> Hinblick auf die Teilnahme<br />
am Straßenverkehr unter Einfluss von Cannabis<br />
eine fehlende Trennung von Konsum <strong>und</strong> Fahren<br />
bestand <strong>und</strong> insofern weitere Tatsachen vorliegen, die<br />
Zweifel an der Eignung begründen. Da die gelegentliche<br />
Einnahme tatbestandliche Voraussetzung, nicht<br />
zulässiger Gegenstand einer medizinisch-psychologischen<br />
Untersuchung ist, kommt in Fällen, in denen unklar<br />
ist, ob tatsächlich nur eine einmalige Einnahme<br />
vorlag, nur die Anordnung einer ärztlichen Untersuchung<br />
in Betracht (OVG Brandenburg, Beschluss vom<br />
13. Dezember 2004 – 4 B 206.04 –, zitiert nach juris<br />
noch zu § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV, der mit Wirkung vom<br />
30. Oktober 2008 zu Satz 3 der Vorschrift wurde).<br />
Im vorliegenden Fall kann bei summarischer Prüfung<br />
die gelegentliche Einnahme von Cannabis nicht<br />
angenommen werden. Zwar ist in dem <strong>im</strong> Verwaltungsvorgang<br />
befindlichen polizeilichen Tätigkeitsbericht<br />
festgehalten, der Antragsteller habe am Ort angegeben,<br />
„gelegentlich Haschisch zu konsumieren“. In<br />
seinem vorläufigen Rechtsschutzantrag hat der Antragsteller<br />
aber vorgetragen, keinesfalls <strong>gegen</strong>über<br />
dem Polizeibeamten eingeräumt zu haben, gelegentlich<br />
Haschisch zu konsumieren. Er hat diese Behauptung<br />
dahin konkretisiert, dass er auf die Frage des<br />
Polizeibeamten, wann der letzte Konsum erfolgte,<br />
wahrheitsgemäß eingeräumt habe, auf seiner Geburtstagsfeier<br />
einen Joint geraucht zu haben. Danach sei er<br />
nach seinem Geburtstag gefragt worden <strong>und</strong> habe den<br />
16. August angegeben. Er sei jedoch nicht gefragt worden,<br />
wann die Geburtstagsfeier stattgef<strong>und</strong>en habe <strong>und</strong><br />
zu welchem Zeitpunkt der Joint tatsächlich geraucht<br />
worden sei. Damit hat der Antragsteller den Ablauf der<br />
Befragung vor Ort näher wiedergegeben <strong>und</strong> zugleich<br />
erläutert, wie die Angabe in dem genannten Tätigkeitsbericht<br />
zustande gekommen sein soll. Es erscheint <strong>im</strong><br />
Hinblick darauf jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass<br />
die – <strong>im</strong> Übrigen wenig konkrete – Angabe des Polizeibeamten<br />
über den gelegentlichen Konsum von<br />
Haschisch in dem Tätigkeitsbericht aufgr<strong>und</strong> eines<br />
Missverständnisses oder unklar formulierter Fragen<br />
zustande gekommen ist. Dies gilt auch deshalb, weil<br />
in der Ordnungswidrigkeitenanzeige vom 10. Oktober<br />
2008 notiert ist, dass der Antragsteller angegeben<br />
habe, am 18. August 2008 letztmalig <strong>Drogen</strong> konsumiert<br />
zu haben. In einem weiteren <strong>im</strong> Ordnungswidrigkeitenvorgang<br />
enthaltenen polizeilichen Tätigkeitsbericht<br />
ist ausgeführt, dass der Antragsteller<br />
angegeben habe, das letzte Mal an seinem Geburtstag<br />
(18. 08. 08) einen Joint geraucht zu haben, <strong>und</strong> einen<br />
Dauerkonsum verneinte. Dem<strong>gegen</strong>über ist <strong>im</strong> poli-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
zeilichen Protokoll über die Blutentnahme eingetragen<br />
„letzter Joint am 16. 08. 08“; <strong>im</strong> ärztlichen Bericht ist<br />
angekreuzt, dass auf Befragen die Einnahme von THC<br />
in den letzen 24 St<strong>und</strong>en vor der Blutentnahme angegeben<br />
wurde. Auch wenn die Frage nach dem „letzten“<br />
Konsum begrifflich darauf hindeutet, dass es vorher<br />
schon weiteren Konsum gegeben haben kann, ist nicht<br />
erwiesen, dass der Antragsteller sie auch so verstanden<br />
hat. Im Rahmen der Befragungen ging es jedenfalls erkennbar<br />
darum, festzustellen, wann er vor dem Vorfall<br />
Cannabis eingenommen hatte. Dass er <strong>im</strong> Rahmen der<br />
Beantwortung dieser Frage zugleich indirekt Angaben<br />
über die Häufigkeit des Konsums machen würde,<br />
musste ihm nicht zwangsläufig bewusst sein. Ohne entsprechende<br />
konkrete Fragen nach etwaigem weiterem<br />
früherem Konsum konnte er vielmehr davon ausgehen,<br />
dass es <strong>im</strong> Zusammenhang mit der Befragung vor<br />
Ort <strong>und</strong> bei der Blutentnahme um den Konsum ging,<br />
der aktuell zu untersuchen war. Allein der Umstand,<br />
dass er auf die Frage nach dem letzten Konsum antwortete<br />
<strong>und</strong> nicht zugleich betonte, dass es auch der<br />
einzige Konsum gewesen sei, belegt daher keinen gelegentlichen<br />
Konsum. Aufgr<strong>und</strong> der unterschiedlichen<br />
Angaben in den vorliegenden Unterlagen ist zudem<br />
nicht klar, von welchem Tag des letzten Konsums der<br />
Polizeibeamte selbst ausging. Schließlich lässt der<br />
festgestellte THC-carbonsäurewert von 33,6 ng/ml <strong>im</strong><br />
Hinblick darauf, dass aktueller Cannabiskonsum vorlag,<br />
nicht für sich genommen darauf schließen, dass<br />
der Antragsteller gelegentlich Cannabis konsumiert<br />
(vgl. auch dazu OVG Brandenburg, Beschluss vom<br />
13. Dezember 2004 – 4 B 206.04 –, zitiert nach juris).<br />
Stand demnach ein gelegentlicher Cannabiskonsum<br />
des Antragstellers nicht fest, sondern war lediglich<br />
dem Verdacht auf gelegentlichen Cannabiskonsum<br />
nachzugehen, war die vorliegend angeordnete<br />
Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens<br />
rechtswidrig, so dass aus der Nichtvorlage<br />
nicht auf die fehlende Eignung geschlossen werden<br />
konnte.<br />
Auch wenn <strong>im</strong> Rahmen einer mündlichen Verhandlung<br />
durch Vernehmung des Polizeibeamten eine weitere<br />
Aufklärung möglich erscheint, wären damit die<br />
Erfolgsaussichten der Klage lediglich offen. Im vorliegenden<br />
Fall kann aber dem öffentlichen Interesse an<br />
der sofortigen Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis<br />
kein Vorrang <strong>gegen</strong>über dem Aussetzungsinteresse<br />
des Antragstellers eingeräumt werden. Zwar hat<br />
die Abwehr von Gefahren, die durch die Teilnahme<br />
von nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen geeigneten<br />
Fahrern am Straßenverkehr entstehen können, erhebliches<br />
Gewicht <strong>und</strong> wiegt in der Regel schwerer als das<br />
private Interesse des Einzelnen, weiterhin am motorisierten<br />
Straßenverkehr teilnehmen zu können. Vorliegend<br />
fehlt es aber gerade an deutlichen Anzeichen<br />
dafür, dass der Antragsteller nicht zum Führen von<br />
Kraftfahrzeugen geeignet ist. Denn solange nicht einmal<br />
gelegentliche Einnahme von Cannabis mit hinreichender<br />
Sicherheit gegeben ist, ist auch nach Nummer<br />
9.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung die<br />
Eignung nicht ausgeschlossen.
19. *) Bereits der einmalige Konsum sog. harter<br />
<strong>Drogen</strong> (hier: Speed) hat <strong>im</strong> Regelfall die Fahrungeeignetheit<br />
zur Folge. Eine positive Beurteilung<br />
der Fahreignung setzt in diesem Fall eine nachgewiesene<br />
Änderung des Konsumverhaltens (einjährige<br />
Abstinenz) als auch einen stabilen Einstellungswandel<br />
voraus, d. h. eine Prognose, dass die<br />
Verhaltensänderung auf Dauer ist. Es muss hinreichend<br />
wahrscheinlich sein, dass der Betroffene<br />
auch in Zukunft die notwendige Abstinenz einhält.<br />
Verwaltungsgericht München,<br />
Beschluss vom 28. September 2009 – M 6b S 09.3560 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Der Antragsteller erwarb 1997 die Fahrerlaubnis<br />
der Klassen B, BE, C1, C1E, L, M <strong>und</strong> S; 1999 erwarb<br />
er die Fahrerlaubnis der Klasse A hinzu. Im September<br />
2006 teilte die Verkehrspolizeiinspektion A. der Antragsgegnerin<br />
mit, dass der Antragsteller <strong>im</strong> Juni 2006<br />
<strong>gegen</strong> 12.05 Uhr als Führer eines Kraftfahrzeugs einer<br />
Kontrolle unterzogen worden sei. Er habe drogentypische<br />
Auffälligkeiten wie extrem glasige <strong>und</strong> tränende<br />
Augen gezeigt <strong>und</strong> zunächst angegeben, „vor ca. 7<br />
Tagen“ Speed konsumiert zu haben. Im Verlauf der<br />
Kontrolle habe er die Zeitspanne seit dem letzten Konsum<br />
schrittweise bis auf 2 Tage reduziert. Die vom<br />
Institut für Rechtsmedizin der Universität A. durchgeführte<br />
toxikologische Untersuchung der dem Antragsteller<br />
<strong>im</strong> Juni 2006 um 13.11 Uhr entnommenen Blutprobe<br />
belegt die Aufnahme von Methamphetamin<br />
durch den Antragsteller. Die quantitative Best<strong>im</strong>mung<br />
ergab 3,7 μg/L Methamphetamin. Dies ist laut Gutachten<br />
eine vergleichsweise niedrige Konzentration, die<br />
durch eine „gering dosierte <strong>und</strong>/oder einige Zeit zurückliegende<br />
Aufnahme“ erklärbar ist.<br />
Nach Vorlage eines unauffälligen <strong>Drogen</strong>screenings<br />
<strong>und</strong> eines unauffälligen Bef<strong>und</strong>berichts über eine<br />
Haaranalyse, die den Zeitraum Mitte Oktober 2007 bis<br />
Ende Januar 2008 abdeckte, forderte die Antragsgegnerin<br />
den Antragsteller zur Teilnahme an einem bis<br />
Ende September 2008 dauernden <strong>Drogen</strong>kontrollprogramm<br />
mit drei Urinscreenings auf. Dieser Aufforderung<br />
kam der Antragsteller nach.<br />
Mit Schreiben vom 02. Oktober 2008 wurde der Antragsteller<br />
weiterhin aufgefordert, gem. § 46 Abs. 3<br />
i. V. m. § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV binnen 3 Monaten ein<br />
psychologisches Gutachten einer amtlich anerkannten<br />
Begutachtungsstelle für Fahreignung über seine Eignung<br />
zum Führen von Kraftfahrzeugen beizubringen.<br />
Gleichzeitig wurde der Antragsteller darauf hingewiesen,<br />
dass auf seine Nichteignung zum Führen von<br />
Kraftfahrzeugen geschlossen <strong>und</strong> ihm die Fahrerlaubnis<br />
entzogen werde, falls er sich weigern sollte, sich<br />
begutachten zu lassen oder das geforderte Gutachten<br />
nicht fristgerecht vorlege. Dennoch legte der Antragsteller<br />
das geforderte Gutachten bis heute nicht vor.<br />
Deshalb entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller<br />
nach vorheriger Anhörung mit Bescheid vom<br />
10. März 2009 die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen<br />
aller Klassen. Gegen diesen Bescheid legte<br />
Rechtsprechung<br />
59<br />
der Bevollmächtigte des Antragstellers am 14. April<br />
2009 Widerspruch ein <strong>und</strong> stellte bei dem Bayerischen<br />
Verwaltungsgericht München den Antrag, die aufschiebende<br />
Wirkung des Widerspruchs wieder herzustellen.<br />
Aus den Gründen:<br />
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig,<br />
aber unbegründet.<br />
Der Antragsteller hat nämlich durch den Konsum<br />
von Speed <strong>im</strong> Mai bzw. Juni 2006 seine Eignung zum<br />
Führen von Kraftfahrzeugen verloren <strong>und</strong> bis zu dem<br />
für die Beurteilung der Sach- <strong>und</strong> Rechtslage maßgeblichen<br />
Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts den<br />
von ihm geforderten Nachweis für die Wiedererlangung<br />
der Eignung in Form eines psychologischen Gutachtens<br />
nicht erbracht. Im Einzelnen:<br />
Der Konsum von Speed durch den Antragsteller<br />
wird belegt durch die Angaben des Antragstellers bei<br />
seiner Vernehmung <strong>und</strong> das toxikologische Gutachten<br />
des Instituts für Rechtsmedizin der Universität A. Aufgr<strong>und</strong><br />
dieses <strong>Drogen</strong>konsums hat der Antragsteller<br />
seine Fahreignung verloren (vgl. § 46 Abs. 1 Satz 2<br />
FeV i. V.m. Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV). In Nr. 9.1<br />
der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung wird nämlich<br />
ausgeführt, dass die Eignung zum Führen von<br />
Kraftfahrzeugen bei Einnahme von Betäubungsmitteln<br />
<strong>im</strong> Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen<br />
Cannabis, vgl. hierzu Nr. 9.2.1 <strong>und</strong> Nr. 9.2.2<br />
der Anlage 4) nicht besteht. Die Konsumfrequenz des<br />
Antragstellers ist dafür belanglos. Bereits der einmalige<br />
Konsum von Betäubungsmitteln <strong>im</strong> Sinne des Betäubungsmittelgesetzes<br />
(ausgenommen Cannabis) hat<br />
nämlich <strong>im</strong> Regelfall gemäß Nr. 9.1 der Anlage 4 zur<br />
Fahrerlaubnis-Verordnung die Fahrungeeignetheit zur<br />
Folge (vgl. BayVGH vom 14. 02. 2006 11 ZB 05.1406<br />
m. w. N.). Auf einen Zusammenhang zwischen der<br />
Einnahme <strong>und</strong> dem Führen von Kraftfahrzeugen<br />
kommt es bei einer Einnahme derartiger (harter) <strong>Drogen</strong><br />
– anders als bei gelegentlichem Cannabiskonsum<br />
– nicht an (vgl. BayVGH vom 11.11. 2004 11 CS<br />
04.2814 [BA 2006, 414]; VG München vom<br />
08. 06. 2005 6b S 05.1905 m. w. N.).<br />
Besondere persönliche Eigenschaften des Antragstellers<br />
bzw. Umstände, aus denen sich ergibt, dass <strong>im</strong><br />
Fall des Antragstellers der Betäubungsmittelkonsum<br />
ent<strong>gegen</strong> der in § 46 Abs. 1 FeV i. V. m. Nr. 9.1 der Anlage<br />
4 zur FeV zum Ausdruck gebrachten Regel ausnahmsweise<br />
nicht zum Verlust der Fahreignung geführt<br />
hat, sind für das Gericht nicht erkennbar.<br />
Eine aus diesem Gr<strong>und</strong> verlorene Fahreignung kann<br />
nicht durch bloßen Zeitablauf wiedererlangt werden;<br />
vielmehr kann in materieller Hinsicht – vorbehaltlich<br />
eines hier nicht erkennbaren Ausnahmefalls <strong>im</strong> Sinne<br />
der Vorbemerkung 3 zur Anlage 4 der FeV – die wegen<br />
Betäubungsmittelkonsums verlorengegangene Fahreignung<br />
gemäß Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV frühestens<br />
nach einjähriger, nachgewiesener Abstinenz<br />
wiedererlangt werden. Diese Forderung nach einer<br />
einjährigen Abstinenz gilt nicht nur für den Fall der<br />
Abhängigkeit, sondern ist jedenfalls in entsprechender<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
60 Rechtsprechung<br />
Anwendung „in allen Fällen eines die Fahreignung<br />
ausschließenden Betäubungsmittelkonsums (...) zu erheben“<br />
(BayVGH vom 02. 07. 2003 11 CS 03.1249,<br />
VG München vom 31.05. 2005 M 6a S 05.1551<br />
m. w. N.). Nach einer zum Ausschluss der Fahreignung<br />
führenden Einnahme von Betäubungsmitteln <strong>im</strong> Sinne<br />
des Betäubungsmittelgesetzes setzt eine positive Beurteilung<br />
der Fahreignung in materieller Hinsicht aber<br />
nicht nur eine nachgewiesene Änderung des Konsumverhaltens,<br />
sondern auch einen stabilen Einstellungswandel<br />
voraus, d.h. eine Prognose, dass die Verhaltensänderung<br />
auf Dauer ist. Es muss hinreichend<br />
wahrscheinlich sein, dass der Betroffene auch in<br />
Zukunft die notwendige Abstinenz einhält (oder für<br />
den Sonderfall des Cannabis-Konsums zumindest<br />
zwischen dem nur gelegentlichen Konsum <strong>und</strong> der<br />
Teilnahme am Straßenverkehr trennen kann). Hierzu<br />
bedarf es gr<strong>und</strong>sätzlich einer psychologischen<br />
Bewertung auf Basis einer (medizinisch-)psychologischen<br />
Begutachtung (vgl. BayVGH vom 02. 04. 2003<br />
11 CS 03.298; vom 09. 05. 2005 11 CS 04.2526).<br />
Nach dem Verlust der Fahreignung wegen des Konsums<br />
von Speed <strong>und</strong> der nachgewiesenen <strong>Drogen</strong>abstinenz<br />
über einen Zeitraum von einem Jahr fehlt bei<br />
dem Antragsteller noch eine Prognose darüber, ob er<br />
seine persönliche Einstellung zu Betäubungsmitteln<br />
<strong>und</strong> sein Verhalten dauerhaft in einer Weise geändert<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
hat, die es als überwiegend wahrscheinlich erscheinen<br />
lässt, dass er auch künftig auf die Einnahme von harten<br />
<strong>Drogen</strong> wie Speed verzichten wird. Für diesen Fall<br />
schreibt § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV die Beibringung eines<br />
medizinisch-psychologischen Gutachtens vor. Da aber<br />
– wie ausgeführt – die Abstinenz des Antragstellers<br />
über einen Zeitraum von einem Jahr bereits mittels regelmäßiger<br />
Urinscreenings nachgewiesen worden ist,<br />
konnte die Antragsgegnerin aus Gründen der Verhältnismäßigkeit<br />
von der nochmaligen Anforderung eines<br />
medizinischen Gutachtens bzw. des medizinischen<br />
Teils einer medizinisch-psychologischen Untersuchung<br />
Abstand nehmen. Die Anforderung einer isolierten<br />
psychologischen Begutachtung ist deshalb<br />
nicht zu beanstanden.<br />
Dieses Gutachten wurde vom Antragsteller bis zum<br />
heutigen Tag nicht beigebracht, obwohl er von der Antragsgegnerin<br />
auf die Folgen einer nicht fristgerechten<br />
Beibringung des geforderten Gutachtens hingewiesen<br />
worden war. Der Antragsteller hat damit den von ihm<br />
geforderten, ihm obliegenden Nachweis nicht erbracht,<br />
dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen wieder<br />
geeignet ist. Deshalb durfte die Antragsgegnerin<br />
bei ihrer Entscheidung nach § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV<br />
gem. § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung des Antragstellers<br />
schließen.
Seiten 61–88<br />
Meyer,<br />
Verkehrs-Intervention in Deutschland<br />
Universität Bamberg, Private Universität für Ges<strong>und</strong>heitswissenschaften, Medizinische Informatik <strong>und</strong> Technik,<br />
Hall / Österreich<br />
HARALD MEYER<br />
Verkehrs-Intervention in Deutschland * )<br />
Empirische Bef<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Zukunftsperspektiven<br />
Intervention methods for traffic offenders in Germany * )<br />
Empirical results and perspectives for the future<br />
1. Interventionsmaßnahmen müssen unterscheidbar sein<br />
– weil sie verschieden sind<br />
Im Zuge der Europäisierung der Maßnahmen zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit<br />
wird es auch bei den vielfältigen Interventionsmaßnahmen eine Selektion <strong>und</strong> Vereinheitlichung<br />
geben. Deutliche Hinweise auf diese Entwicklung findet man <strong>im</strong> Heft 196 der<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esanstalt für Straßenwesen (BASt) <strong>und</strong> <strong>im</strong> kürzlich erschienenen Beitrag von Klipp<br />
<strong>und</strong> Bukasa [20, S. 188 f, vgl. auch 32, S. 2]. In Deutschland z. B. tummelt sich eine schier<br />
unüberschaubare Masse von Anbietern unterschiedlichster Maßnahmen bei Führerscheinproblemen.<br />
Man fragt sich unwillkürlich, wie sich die potenzielle Klientin / der potenzielle<br />
Klient in dieser Angebotsflut zurechtfinden soll. Die angebotenen Maßnahmen unterscheiden<br />
sich nämlich nicht nur hinsichtlich der gesetzlichen Verankerung, sondern auch<br />
hinsichtlich Aufbau, Dauer, Kosten, Qualifikation des Personals usw., selbstverständlich<br />
auch hinsichtlich ihrer Qualität. Sie decken, wie die Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit<br />
gezeigt haben, die gesamte Qualitätsbandbreite ab, von reiner Beutelschneiderei über<br />
die zu Recht <strong>im</strong>mer wieder inkr<strong>im</strong>inierte, aber anscheinend nicht auszurottende MPU-Vorbereitung,<br />
vulgo „Idiotentestvorbereitung“, bis hin zu wissenschaftlich seriöser <strong>und</strong> effektiver<br />
Intervention.<br />
Es wird in jüngerer Zeit – besonders auch <strong>im</strong> Hinblick auf die zu erwartende europaweite<br />
Vereinheitlichung der Maßnahmen zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit – sehr<br />
gerne vom „deutschen System“ gesprochen <strong>und</strong> von dessen Vorbildwirkung für die anderen<br />
europäischen Staaten. Mittlerweile ist nicht mehr zu übersehen, dass dieses System<br />
auch Schwachstellen hat, die es in der Außensicht abwerten. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> erscheint<br />
es auch <strong>im</strong> Interesse des Gesamtsystems geboten, eine klare, auch für Nicht-Insider<br />
nachvollziehbare Unterscheidung seiner einzelnen Bestandteile vorzunehmen <strong>und</strong><br />
insbesondere die Qualität dieser Bestandteile kritisch zu hinterfragen, der gesetzlich geregelten,<br />
ebenso wie der gesetzlich nicht geregelten. Ein Schwerpunktthema ist, wie sich zeigen<br />
wird zwangsläufig, die Gegenüberstellung der Nachschulung nach § 70 FeV <strong>und</strong> der<br />
sog. „Verkehrstherapie“. Die Beschränktheit der Vergleichsmöglichkeiten wird gemildert<br />
* ) Wegen logistischer Probleme liegen zwischen dem Beginn der Arbeit an dieser Publikation <strong>und</strong> ihrer Veröffentlichung<br />
mehr als zwei Jahre. An der Aktualität des Themas hat sich in der Zwischenzeit nichts geändert.<br />
Neuere Veröffentlichungen <strong>und</strong> Entwicklungen sind in den Text aufgenommen. So vor allem auch die kürzlich<br />
in Kraft getretene Änderung der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) <strong>und</strong> die zweite Auflage der Beurteilungskriterien.<br />
Während der Arbeit an diesem Beitrag erschienen auch die „Leitsätze Verkehrspsychologischer<br />
Therapie“ des vom <strong>B<strong>und</strong></strong>esverband Niedergelassener Verkehrspsychologen (BNV) initiierten Arbeitskreises.<br />
Allerdings ist die Diskussion um die dort vorgetragene Auffassung erst in Gang gekommen. Daher bleibt der<br />
Autor <strong>im</strong> vorliegenden Text bei der bisherigen Bezeichnung „Verkehrstherapie“.<br />
61<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
62<br />
durch die Tragweite der Schlussfolgerungen <strong>und</strong> Zukunftsperspektiven, die sich aus dem<br />
Vergleich ergeben.<br />
2. Qualitätsrelevante Unterscheidungsmerkmale<br />
Welche Informationen würden einerseits dem potenziellen Klienten 1 ) helfen, sich <strong>im</strong><br />
Wirrwarr der Interventionsangebote zurechtzufinden 2 ) <strong>und</strong> wären andererseits auch geeignet,<br />
Interventionsmaßnahmen nach Qualitätsgesichtspunkten zu ordnen? Offenbar sind<br />
das Informationen über folgende Merkmale:<br />
– die explizit genannten Ziele der Maßnahme<br />
– die Inhalte <strong>und</strong> Vorgehensweisen<br />
– die Erreichbarkeit der Maßnahmenträger für Klienten<br />
– die fachliche <strong>und</strong> die persönliche Qualifikation des Personals, das die Maßnahme<br />
durchführt<br />
– die Dauer <strong>und</strong> die Kosten der Interventionsmaßnahme<br />
– die tatsächlich erhobenen <strong>und</strong> für das Qualitätsmanagement verwendeten Qualitätskriterien<br />
– die Evaluationsmethoden <strong>und</strong> Ergebnisse<br />
– der Grad der externen Kontrolle der Maßnahme<br />
Dass diese Merkmale für potenzielle Klienten hilfreich sind, versteht sich vermutlich<br />
ohne weitere Erklärung. Dass sie auch die für eine fachliche Qualitätseinschätzung notwendigen<br />
<strong>und</strong> hinreichenden Informationen liefern, zeigen die folgenden Überlegungen<br />
auf: Die Qualität von Interventionsmaßnahmen umfasst wesentlich zwei Aspekte, Ergebnis-<br />
<strong>und</strong> Prozessqualität. Der anerkanntermaßen wichtigste Qualitätsaspekt ist ihre Ergebnisqualität,<br />
ihr Beitrag zur Verkehrssicherheit <strong>und</strong> zur Gewährleistung der individuellen<br />
Mobilität, wobei die Verkehrssicherheit als Rechtsanspruch der individuellen Mobilität<br />
übergeordnet ist [31, S. 188 f]. Über diesen Qualitätsaspekt informieren<br />
– die explizit genannten Ziele der Maßnahme,<br />
– die fachliche Qualifikation des Personals,<br />
– die tatsächlich erhobenen Qualitätskriterien,<br />
– die Evaluationsmethoden <strong>und</strong> Ergebnisse, sowie<br />
– der Grad der externen Kontrolle der Maßnahme.<br />
Die Prozessqualität einer Interventionsmaßnahme hängt davon ab, wie gut es ihr gelingt,<br />
für den Klienten ein opt<strong>im</strong>ales Verhältnis von Aufwand <strong>und</strong> Ertrag zu gewährleisten.<br />
Merkmale der Prozessqualität sind<br />
– die Inhalte <strong>und</strong> Vorgehensweisen,<br />
– die Erreichbarkeit der Maßnahmenträger für Klienten,<br />
– die fachliche <strong>und</strong> die persönliche Qualifikation des Personals,<br />
– die Dauer <strong>und</strong> die Kosten der Interventionsmaßnahme <strong>und</strong> selbstverständlich auch<br />
– die durch Evaluation belegte Nachhaltigkeit der Maßnahme.<br />
Es ist interessant, den Stellenwert von Ergebnis- <strong>und</strong> Prozessqualität <strong>und</strong> die <strong>gegen</strong>seitigen<br />
Beziehungen dieser beiden Qualitätsaspekte, bei Klienten, Behörden (Verkehrspolizei,<br />
Führerscheinstellen <strong>und</strong> Gerichten), BfF’s als privaten Organisationen mit öffentlichem<br />
Auftrag <strong>und</strong> bei den Anbietern von Interventionsmaßnahmen kurz zu beleuchten.<br />
Um die Antwort vorweg zu nehmen: Wir finden kaum ein ausgewogenes Verhältnis dieser<br />
beiden Qualitätsaspekte.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Meyer,<br />
Verkehrs-Intervention in Deutschland
Meyer,<br />
Verkehrs-Intervention in Deutschland<br />
Durch die Brille der meisten Klienten präsentieren sich Ergebnis- <strong>und</strong> Prozessqualität<br />
zunächst – d. h. be<strong>im</strong> Erstkontakt <strong>und</strong> während der ersten Sitzungen – kurz <strong>und</strong> knapp so:<br />
als möglichst hohe Wahrscheinlichkeit, die Fahrerlaubnis bei möglichst geringem Aufwand<br />
<strong>und</strong> Kosten wieder zu bekommen. 3 ) Die anderen Prozessqualitätsmerkmale treten<br />
zunächst dahinter zurück. Im weiteren Verlauf, allerdings nur bei erfolgreich verlaufendem<br />
Interventionsprozess, wandelt sich diese Sichtweise, ändert sich das Zerrbild. Es findet<br />
gewissermaßen eine Umkehrung der Zielhierarchie statt: Der Klient beginnt zu begreifen,<br />
dass er sein ursprüngliches Hauptziel, seine individuelle Mobilität, nur erreichen<br />
kann, indem er dem Rechtsanspruch der Allgemeinheit auf Verkehrssicherheit genügt,<br />
einem Rechtsanspruch, von dem auch er profitiert. Schwerpunkt ist von da an auch für ihn<br />
die Lösung der Probleme, die den Verlust der Fahrerlaubnis verursacht haben. Aus der Vorbereitung<br />
auf die MPU wird die Arbeit an der eigenen Persönlichkeit, <strong>im</strong> günstigsten Fall<br />
also eine Verkehrs-Psychotherapie. Dabei erfahren dann auch die bisher weniger beachteten<br />
Qualitätsmerkmale <strong>im</strong>mer stärkere Beachtung, die Inhalte <strong>und</strong> Vorgehensweisen, die<br />
Erreichbarkeit, die Qualifikation <strong>und</strong> die Nachhaltigkeit. Wie gesagt, dieser Sinneswandel<br />
be<strong>im</strong> Einen setzt hohe interventionistische Kompetenz be<strong>im</strong> Anderen voraus. Davon mehr<br />
<strong>im</strong> übernächsten Absatz.<br />
Anders der Stellenwert von Ergebnis- <strong>und</strong> Prozessqualität bei vielen Behörden: Hier<br />
scheint häufig noch die tradierte Einstellung ihre Wirkung zu zeigen, dass der auffällige<br />
Verkehrsteilnehmer, dem der Führerschein entzogen wurde, an seinem Unglück selbst<br />
schuld sei <strong>und</strong> er sich daher auch gefälligst selbst um sein Problem kümmern solle.<br />
Für diese Einstellung spielt Prozessqualität keine Rolle. Zu vermuten ist allerdings, dass<br />
Verfechter dieser Einstellung gerade dadurch ihr dominantes Ziel, die Verwirklichung<br />
des Rechtsanspruchs auf Verkehrssicherheit, gefährden, denn sie nehmen unerwünschte<br />
„Nebenwirkungen“ ihres von dieser Einstellung geprägten Verhaltens in Kauf: die verbreitete<br />
Angst vor der MPU, das Fahren ohne Führerschein, den <strong>im</strong>mer noch grassierenden<br />
Führerscheintourismus <strong>und</strong> die Betrügereien, wo Gutgläubigen mit dem Versprechen,<br />
ihnen die Fahrerlaubnis ohne MPU zu besorgen, das Geld aus der Tasche gezogen wird. Es<br />
wäre daher ein Meilenstein auf dem Weg zu mehr Verkehrssicherheit in Deutschland,<br />
wenn diese Instanzen der Prozessqualität mehr Beachtung schenkten, z. B. in ihrem Informationsverhalten<br />
nach Entzug der Fahrerlaubnis <strong>und</strong> in ihrem Umgang mit den Anbietern<br />
von Interventionsmaßnahmen unterschiedlichster Couleur <strong>und</strong> Qualität. Insgesamt gesehen<br />
scheint sich dieser Qualitätsaspekt erst langsam durchzusetzen. Erkennbar verbesserten<br />
in den letzten Jahren vor allem BfF’s ihre Prozessqualität <strong>und</strong> bauten mehr K<strong>und</strong>enorientierung<br />
auf – vorausgesetzt, sie waren nicht geb<strong>und</strong>en, „Zuträgerdienste“ an Anbieterorganisationen<br />
zu leisten. Inwieweit dies eine Folge des Konkurrenzdrucks unter der<br />
ständig wachsenden Zahl von Anbietern war oder einer geänderten Einstellung <strong>gegen</strong>über<br />
der Klientel entsprang, kann <strong>und</strong> braucht nicht geklärt werden. Festzuhalten ist, dass zu<br />
dieser positiven Entwicklung derzeit noch keine Ergebnisse veröffentlicht sind, die den<br />
Grad der Zielerreichung dokumentieren. Es muss jedoch befürchtet werden, dass die Neufassung<br />
der FeV, die es verbietet, in einer Person sowohl Begutachtung als auch Beratung<br />
durchzuführen, die Prozessqualität der BfF’s beschneiden wird.<br />
Nicht unähnlich dem „naiven“ Klienten be<strong>im</strong> Erstkontakt scheint das Verhältnis von Ergebnis-<br />
<strong>und</strong> Prozessqualität bei vielen Anbietern von Interventionsmaßnahmen zu sein: Im<br />
Interesse sowohl eines zu erwartenden gesamteuropäischen Verkehrssicherheitskonzepts<br />
als auch <strong>im</strong> Interesse einer Aufwertung des „deutschen Systems“ wäre zu verlangen, dass<br />
63<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
64<br />
Anbieter mit nachweislich schlechter Ergebnisqualität oder die sich darum nicht kümmern,<br />
keine Zukunftschance haben; ja man dürfte solche Anbieter überhaupt nicht antreffen.<br />
Die Realität sieht jedoch anders aus: Für den unvorbelasteten „Mann auf der Straße“<br />
ist es selbstverständlich, dass alle Maßnahmenträger die Erhöhung der Verkehrssicherheit<br />
oder zukünftiges verkehrssicheres Verhalten entweder ausschließlich oder doch an erster<br />
Stelle ihrer Tätigkeitsziele explizit nennen. Falls er sich aber die Mühe macht, <strong>im</strong> Internet<br />
genauer nachzuforschen, wird er auf einen Sachverhalt stoßen, der ein ganz anderes Licht<br />
auf die derzeitige „Angebotsszene“ in Deutschland wirft: Verkehrssicherheit oder verkehrssicheres<br />
Verhalten ist nicht <strong>im</strong>mer <strong>und</strong> nicht bei jedem Anbieter das erklärte pr<strong>im</strong>äre<br />
Interventionsziel. Lassen wir einmal die große Gruppe von Maßnahmen außer Acht, deren<br />
Anlass <strong>und</strong> Ziel durch Gesetz oder Verordnung geregelt ist (die Maßnahmen nach §§ 35,<br />
36, 70 <strong>und</strong> 71 FeV). Dann stellt sich heraus, dass ein großer Teil der restlichen Anbieter<br />
nicht die Erhöhung der Verkehrssicherheit als explizites Ziel nennt, sondern die Vorbereitung<br />
auf die MPU, so als würde es in erster Linie oder ausschließlich darum gehen, möglichst<br />
schnell <strong>und</strong> mit möglichst wenig Aufwand eine positive MPU <strong>und</strong> damit die Fahrerlaubnis<br />
wiederzuerhalten. Man findet diese Anbieter <strong>im</strong> Internet unter Schlagworten wie<br />
– MPU-Hilfe<br />
– MPU-Vorbereitung<br />
– MPU-Beratung<br />
– Idiotentest-Beratung<br />
usw. usw.<br />
Vom Standpunkt des Marketing aus ist das eine Erfolgsstrategie, verspricht sie doch eine<br />
sehr profitable „Lenkung der K<strong>und</strong>enströme“: Wie bereits ausgeführt, die überwiegende<br />
Klientel ist zunächst pr<strong>im</strong>är extrinsisch motiviert, will also nichts anderes, als ihren Führerschein<br />
so schnell <strong>und</strong> so einfach wie möglich zurückbekommen. Die MPU ist hierbei<br />
die Hürde, die es zu nehmen gilt. An die Wiederherstellung ihrer Fahreignung, also an<br />
ihren persönlichen Beitrag zur Verkehrssicherheit, verschwendet diese Klientel mehrheitlich<br />
zunächst einmal keinen Gedanken. Eine Werbekampagne, die auf dem pr<strong>im</strong>ären<br />
Motiv „Führerschein zurück“ aufsetzt, ist daher marketingmäßig ein Volltreffer: Sie begibt<br />
sich auf eine Stufe mit der egozentrisch denkenden Mehrheit der Klienten <strong>und</strong> verspricht<br />
diesen die Erfüllung ihrer Motive, ohne mehr von ihnen zu verlangen. Da<strong>gegen</strong> ist gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
nichts einzuwenden, vorausgesetzt, die Verkehrssicherheit bleibt dabei nicht auf<br />
der Strecke. Genau das aber ist zu befürchten: Es dürfte kaum gelingen, einen Klienten, der<br />
mit dem Versprechen „eingefangen“ wurde, sein pr<strong>im</strong>äres, egozentrisches Ziel zu erfüllen,<br />
dann vom eingefahrenen Weg seiner Erwartungen auf den wesentlich unbequemeren Weg<br />
der Arbeit an sich selbst umzuleiten. Der Verdacht ist berechtigt, dass der Anbieter mit diesem<br />
Klienten ganz entsprechend dessen Erwartungen verfahren wird, also nichts machen<br />
wird als reine MPU-Vorbereitung. Besagter „Mann auf der Straße“ wird daher mit dem<br />
Verweis auf sein Recht auf Verkehrssicherheit verlangen, dass der Anbieter die bestehenden<br />
Zweifel mit empirischen Belegen ausräumt. Er wird dann allerdings ernüchtert feststellen,<br />
dass gerade dieser Anbieter keine Evaluationsergebnisse vorlegt. Und er wird gespannt<br />
abwarten, ob vielleicht die europäische Vereinheitlichung hier einen Fortschritt<br />
bringt. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass mit ähnlichen Stratigien stellenweise<br />
auch gesetzlich geregelte Maßnahmen beworben werden, konkret die verkehrspsychologische<br />
Beratung nach § 71 FeV, so als gehe es dort ausschließlich um die Reduktion<br />
des Flensburger Punktekontos.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Meyer,<br />
Verkehrs-Intervention in Deutschland
Meyer,<br />
Verkehrs-Intervention in Deutschland<br />
3. Verlässliche Daten über qualitätsrelevante Merkmale:<br />
Wer stellt sie bereit <strong>und</strong> wer nicht?<br />
Die Hoffnung, der Zielsetzung dieses Aufsatzes entsprechend, anhand der Merkmale in<br />
Abschnitt 2 die Maßnahmen <strong>und</strong> Maßnahmeträger in Deutschland miteinander zu vergleichen,<br />
ihre Besonderheiten, Stärken <strong>und</strong> Schwächen hervorzuheben, etwa um dem potenziellen<br />
Klienten verlässliche Informationen an die Hand zu geben, die ihm die Entscheidung<br />
erleichtern, an wen er sich wenden soll, <strong>und</strong> die ihn etwas unabhängiger von mehr oder weniger<br />
eigennützig informierenden „Beratern“ 4 ) machen, diese Hoffnung zerschlägt sich<br />
schnell. Durchforstet man nämlich die Selbstdarstellungen der Anbieter nach Informationen<br />
über diese Merkmale, dann stellt sich heraus, dass nur wenige übrig bleiben, die genügend<br />
Informationen bereitstellen. Insgesamt gesehen findet man die meisten Informationen zu<br />
den Inhalten <strong>und</strong> Vorgehensweisen <strong>und</strong> mehr oder weniger explizit auch zu den Maßnahmezielen.<br />
Spärlicher sind da schon die Informationen über die fachliche <strong>und</strong> persönliche<br />
Qualifikation des Personals 5 ), die tatsächlich erhobenen Qualitätskriterien <strong>und</strong> über die<br />
Evaluationsergebnisse – vermutlich deshalb, weil keine Evaluationen durchgeführt werden.<br />
Zur Gruppe von Angeboten, die über Vorgehensweise, Qualitätsziele <strong>und</strong> die Qualifikation<br />
des Personals vollständig informieren, gehört z. B.<br />
– die verkehrspsychologische Beratung nach § 71 FeV.<br />
Die Qualitätsziele, die Vorgehensweise <strong>und</strong> die Qualifikation der Berater sind genau<br />
festgelegt, die Evaluationsergebnisse wurden auf der Mitgliederversammlung <strong>im</strong> Juni<br />
2009 vorgestellt. Ähnlich umfangreiche Informationen, zum Teil auch über Evaluationsergebnisse,<br />
haben wir zu folgenden Maßnahmen:<br />
– die Gruppenmaßnahme nach dem Modell BUSS, das allerdings nicht mehr praktiziert<br />
wird<br />
– die akkreditierten Kurse zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung nach § 70 FeV<br />
– die Verkehrstherapie nach dem Modell IVT HÖ<br />
– die Verkehrstherapie der Mitglieder des BNV e.V.<br />
– die Verkehrstherapie von PRO-NON e.V.<br />
Die weitaus überwiegende Zahl der Anbieter jedoch entzieht sich einem Vergleich. Sie<br />
informieren nicht oder nur lückenhaft, insbesondere fehlen Informationen über Evaluationsmethoden<br />
<strong>und</strong> Ergebnisse. Zu diesen Maßnahmen zählen bemerkenswerterweise<br />
auch gesetzlich verankerte Interventionen:<br />
– die Aufbauseminare nach § 35 FeV<br />
– die besonderen Aufbauseminare nach § 36 FeV<br />
Hier sind zwar die Qualifikationsvoraussetzungen geregelt, Angaben über Vorgehensweise,<br />
Inhalte, Qualitätskriterien <strong>und</strong> Evaluationsergebnisse fehlen jedoch. Wie nicht anders<br />
zu erwarten, hält sich der Großteil der gesetzlich nicht geregelten Maßnahmen, der<br />
sog. „freie Markt“, mit Detailinformationen zurück:<br />
– die Maßnahmen der vielfältigen Selbsthilfegruppen, karitativen Organisationen <strong>und</strong><br />
Suchtberatungsstellen<br />
– die meisten Produkte, die man <strong>im</strong> google unter den bereits genannten Schlagwörtern<br />
findet. Anbieter sind nicht nur Einzelpersonen oder kleine Organisationen, dazu gehören<br />
auch große Unternehmen <strong>und</strong> deren Tochterfirmen.<br />
Zwangsläufig konzentriert sich der Aufsatz daher auf die Gegenüberstellung der Maßnahmen<br />
<strong>und</strong> Maßnahmenträger, von denen ausreichende Informationen über die qualitäts-<br />
65<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
66<br />
relevanten Merkmale, vor allem aber wissenschaftlichen Kriterien genügende Studien zur<br />
Ergebnisqualität tatsächlich verfügbar sind, mit anderen Worten, auf die Gegenüberstellung<br />
von Verkehrstherapie <strong>und</strong> akkreditierten Kursen nach § 70 FeV. Wir ergänzen diese<br />
Gegenüberstellung durch MPU-Evaluationsergebnisse – nicht weil damit ein Vergleich<br />
mit Interventionsergebnissen empfohlen werden soll, dieser ist aus formalen <strong>und</strong> inhaltlichen<br />
Gründen unmöglich, sondern weil diese (frühen) Evaluationsstudien beispielgebend<br />
für viele nachfolgende Evaluationsstudien waren. Leider wurde der Impetus von den<br />
heutigen BfF’s nicht aufgenommen, es liegen keine aktuellen Ergebnisse über Rückfallquoten<br />
nach positiver MPU vor. Infolge dessen können wir uns zwar ein zutreffendes Bild<br />
über die Rückfallquoten nach positiver MPU in den 70-er <strong>und</strong> 80-er Jahren machen, unter<br />
den damals geltenden Rahmenbedingungen. Uns fehlt jedoch jegliche Kenntnis über die<br />
Rückfallquoten unter den Bedingungen heutiger Gesetzeslage (z. B. Promille-Grenze),<br />
heutiger Beurteilung, sowie eines völlig anderen Anbieter-Marktes von Interventionsmaßnahmen.<br />
4. Verkehrstherapie <strong>und</strong> Kurse nach § 70 FeV <strong>im</strong> Vergleich<br />
4.1 Ziele, Inhalte, Vorgehensweise <strong>und</strong> Qualifikation des Personals<br />
Die Gegenüberstellung anhand dieser Merkmale führt bereits zwei wesentliche Unterschiede<br />
vor Augen, die sicherlich in der gleichen Art auch zu den Gruppenangeboten zwischen<br />
Verkehrstherapie <strong>und</strong> dem freien Markt bestehen:<br />
1. Vorgehensweise: § 70 Kurse sind Gruppenmaßnahmen mit vorgegebenem Programmablauf.<br />
Verkehrstherapie hin<strong>gegen</strong> ist ausschließlich auf den Einzelfall <strong>und</strong><br />
dessen Problematik ausgerichtet. Sie folgt keinem starren Programmablauf.<br />
2. Anforderungen an die fachliche <strong>und</strong> persönliche Qualifikation des Personals: Verkehrstherapie<br />
<strong>und</strong> § 70 Maßnahmen verlangen gleichlautend das Diplom in Psychologie<br />
<strong>und</strong> gr<strong>und</strong>legende Kenntnisse <strong>im</strong> Verkehrsrecht. Bei den geforderten Zusatzqualifikationen<br />
bestehen Unterschiede: Verkehrstherapeuten müssen eine Ausbildung<br />
in einer anerkannten Psychotherapie haben, weil sie eine Heilbehandlung durchführen.<br />
Dem<strong>gegen</strong>über besteht auf Seiten der Nachschulung lediglich die Forderung<br />
einer Ausbildung als Kursleiter in Kursen für Kraftfahrer, die Zuwiderhandlungen<br />
<strong>gegen</strong> verkehrsrechtliche Vorschriften begangen haben. Diese beiden Zusatzqualifikationen<br />
entsprechen einander nicht.<br />
Vermutlich bewirken diese Unterschiede auch Unterschiede in Inhalt <strong>und</strong> Vorgehensweise,<br />
<strong>und</strong> das Gesamt dieser Unterschiede liefert mögliche Erklärungen für die deutlichen<br />
Unterschiede in den Evaluationsergebnissen, von denen später die Rede sein wird.<br />
4.2 Ergebnisqualität<br />
Das wichtigste <strong>und</strong> letztendlich entscheidende Kriterium, anhand dessen sich die Ergebnisqualität<br />
einer Maßnahme messen <strong>und</strong> mit anderen Maßnahmen vergleichen lässt, ist das<br />
verkehrssichere Verhalten, operationalisiert durch die Legalbewährung. Darunter wird <strong>im</strong><br />
Folgenden der Prozentsatz der Personen verstanden, die nach Wiedererteilung der Fahrerlaufnis<br />
innerhalb eines vorgegebenen Bewährungszeitraums noch <strong>im</strong> Besitz der Fahrerlaubnis<br />
sind, bzw. nicht wieder fahrauffällig geworden sind. Unter „Rückfallwahrscheinlichkeit“<br />
oder „Rückfallquote“ versteht man üblicherweise den komplementären<br />
Prozentsatz. Ein Vergleich von Interventionsmethoden anhand ihrer Ergebnisqualität ist<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Meyer,<br />
Verkehrs-Intervention in Deutschland
Meyer,<br />
Verkehrs-Intervention in Deutschland<br />
daher in der Regel ein Vergleich anhand der Ergebnisse empirischer Untersuchungen zur<br />
Legalbewährung.<br />
Gegen die Legalbewährung als Qualitätskennwert werden <strong>im</strong>mer wieder Bedenken vorgebracht:<br />
Eines der Hauptargumente betrifft das sog. „Dunkelfeld“, den Umfang normwidrigen,<br />
nicht geahndeten Verhaltens oder die ominöse „Dunkelziffer“, das Verhältnis aus<br />
Dunkelfeld <strong>und</strong> „Hellfeld“, dem Umfang des geahndeten normwidrigen Verhaltens. Kritiker<br />
der Legalbewährung argumentieren, das Dunkelfeld/die Dunkelziffer mache die Legalbewährung<br />
zu einem irreliablen Durchschnittswert <strong>und</strong> invalidiere sie als Qualitätskennwert.<br />
Zwar ist der Tatbestand des Dunkelfelds/der Dunkelziffer unbestritten, <strong>und</strong> es<br />
ist auch klar, dass das Problem die zahlenmäßige Schätzung des Dunkelfelds ist, denn das<br />
Hellfeld lässt sich den VZR-Statistiken entnehmen, <strong>und</strong> die Dunkelziffer ist lediglich eine<br />
Funktion von Dunkel- <strong>und</strong> Hellfeld. Was hat es also mit der Schätzung des Dunkelfelds auf<br />
sich <strong>und</strong> welche Konsequenzen haben die Schätzprobleme hierbei für die Anwendung der<br />
Legalbewährung als Kriterium der Ergebnisqualität?<br />
Zu den Schätzproblemen: An erster Stelle ist festzuhalten, dass – soweit dem Autor des<br />
vorliegenden Beitrags Literatur zugänglich ist – wissenschaftlich diskutierte Zahlenangaben<br />
nur zum Dunkelfeld be<strong>im</strong> Fahren unter <strong>Alkohol</strong> (über 0.8 Promille!) vorliegen, Angaben<br />
zum Fahren unter <strong>Drogen</strong> bestenfalls in Ansätzen [vgl. 12 <strong>und</strong> die Veröffentlichungen<br />
von Polizeidienststellen <strong>und</strong> Ministerien], zu sonstigen Verkehrsverstößen überhaupt<br />
nicht. Bedenken <strong>gegen</strong> die Legalbewährung als Qualitätskennwert bei den letztgenannten<br />
Deliktgruppen entbehren daher – zumindest bis jetzt noch – der empirischen Gr<strong>und</strong>lage.<br />
Beschränken wir uns also auf <strong>Alkohol</strong>fahrten: Die beiden für die BRD relevantesten, empirisch<br />
erhobenen Zahlenangaben von Iffland [12] <strong>und</strong> von der Forschergruppe des „Deutschen<br />
Roadside Survey“ [41], liegen numerisch weit auseinander: 1 zu 60 vs. 1 zu 600. Zur<br />
Ursachenfrage hat Müller [25] eine sehr differenzierte Methodenkritik dieser beiden Studien<br />
<strong>und</strong> einiger Vorläuferstudien vorgenommen. Er konnte belegen, dass selbst in diesem<br />
ausgiebig erforschten Detailbereich die Höhe des Dunkelfelds überhaupt nicht verlässlich<br />
berechnet ist. Schuld daran sind vor allem Stichprobenprobleme, Mängel der zeitlichen<br />
<strong>und</strong> der örtlichen Repräsentativität <strong>und</strong> Unterschiede in der Methode der Erfassung der <strong>Alkohol</strong>menge<br />
bei der Fahrerstichprobe. Tatsache ist nämlich, dass das Dunkelfeld sowohl<br />
tageszeitlich <strong>und</strong> saisonal als auch regional <strong>und</strong> anlassbezogen schwankt. Um also eine<br />
repräsentative Schätzung des Dunkelfelds zu erhalten, müsste eine Stichprobe gezogen<br />
werden, die zumindest bezüglich des kartesischen Produktes von Tageszeit <strong>und</strong> Stadt/vs.<br />
Land, also mindestens bezüglich 10 Merkmalskombinationen ein verkleinertes Modell der<br />
Gr<strong>und</strong>gesamtheit des Verkehrsaufkommens in Deutschland darstellt, wenn man dem Vorschlag<br />
von Iffland [12, Tab. 1] folgt <strong>und</strong> die Tageszeit in 5 Klassen einteilt. Wahrscheinlich<br />
müsste man noch eine dritte Variable berücksichtigen, das <strong>B<strong>und</strong></strong>esland, womit insgesamt<br />
160 Merkmalskombinationen zu berücksichtigen wären. Darüber hinaus dürfte die <strong>Alkohol</strong>probe<br />
nicht auf freiwilliger Basis erfolgen, sondern sie müsste, wie be<strong>im</strong> „Deutschen<br />
Roadside Survey“, ausnahmslos durchgeführt werden. Keine der Studien ist in diesem<br />
Sinne auch nur annähernd repräsentativ. Nicht zuletzt kommt noch die Einschränkung<br />
dazu, dass diese Studien, wenn überhaupt, dann nur auf die Verhältnisse in den 90-er Jahren<br />
verallgemeinerbar gewesen sein konnten; die geänderten Promillegrenzen sind darin<br />
nicht berücksichtigt, ebenso wenig die, für den therapeutisch arbeitenden Verkehrspsychologen<br />
täglich erfahrbare, Einstellungsänderung zum Fahren unter <strong>Alkohol</strong>. Gerade diese<br />
könnte den Einfluss der o. g. Variablen der Tageszeit, des Ortes <strong>und</strong> der Erfassungsme-<br />
67<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
68<br />
thode beträchtlich eingeschränkt haben, sodass die früher wahrscheinlich bestehende, auf<br />
diese Variablen zurückführbare Streuung des Dunkelfelds heute nicht mehr besteht. Anders<br />
dürfte die Situation z. B. bei Geschwindigkeitsdelikten sein. Hier stellt der Therapeut<br />
keine Einstellungsänderung der Klientel zu ihrem Fahrverhalten fest, was vermuten lässt,<br />
dass das Dunkelfeld hier während der letzten Jahre weniger abgenommen hat als be<strong>im</strong><br />
Fahren mit <strong>Alkohol</strong> – wenn es überhaupt abgenommen hat. Auch kann vermutet werden<br />
[vgl. 13], dass das Dunkelfeld bei anderen <strong>Drogen</strong> infolge der intensiven Schulung der Polizeibeamten<br />
(z. B. das Schulungsprogramm für Polizeibeamte der BASt <strong>und</strong> der Universität<br />
des Saarlands, Inst. f. Rechtsmedizin) <strong>und</strong> infolge der Aufklärungsmaßnahmen für die<br />
besonders gefährdete Zielgruppe der Jugendlichen abnehmen wird; das Hellfeld jedenfalls<br />
n<strong>im</strong>mt zu, wie die offiziellen Statistiken belegen (z. B. www.polizei-stuttgart.de oder<br />
www.inneres.bremen.de). Aber die Gedanken über die Veränderung des Dunkelfelds sind<br />
Spekulationen. Fazit ist, dass keine allgemeingültigen, validen Angaben über die derzeitige<br />
Höhe des Dunkelfelds verfügbar sind, weder bei <strong>Drogen</strong> <strong>und</strong> sonstigen Verkehrsverstößen,<br />
noch nicht einmal bei <strong>Alkohol</strong>. Das mit dem Hinweis auf das Dunkelfeld/die Dunkelziffer<br />
vorgebrachte Argument, es handle sich bei der Legalbewährung um einen<br />
irreliablen, irrepräsentativen Durchschnittswert, ist demnach seinerseits kritisch auf seine<br />
Repräsentativität zu prüfen.<br />
Nun zu den Konsequenzen der Schätzprobleme für die Anwendung der Legalbewährung<br />
als Kriterium der Ergebnisqualität: Das Argument der Kritiker bezieht sich auf einen sog.<br />
„bias“, auf die systematische Abweichung der Legalbewährung die sich aus dem Hellfeld<br />
ergibt, von der Legalbewährung, die sich aus dem Dunkelfeld ergäbe, würde man es kennen.<br />
Es ist also ein systematischer Fehler, womit die Kritiker argumentieren, also nichts,<br />
was die Reliabilität <strong>und</strong> damit auch die Validität 6 ) dieser Messgröße „Legalbewährung“<br />
beeinträchtigt. Außerdem kann man mit diesem bias bei der Qualitätsprüfung von Interventionsmaßnahmen<br />
relativ leicht umgehen: Es gab <strong>und</strong> gibt bei dieser Qualitätprüfung<br />
drei mögliche Designs:<br />
1. Besteht die Qualitätsprüfung <strong>im</strong> Vergleich der Legalbewährungsquoten einer trainierten<br />
Gruppe mit einer untrainierten (die übliche Evaluationsmethode für Nachschulungsmaßnahmen<br />
nach § 70 FeV), so kann unterstellt werden, dass der bias in beiden Gruppen<br />
gleich stark wirksam ist <strong>und</strong> daher das Ergebnis des Gruppenvergleichs nicht beeinträchtigt<br />
– sofern die Vergleichsstichproben bezüglich der zuvor genannten Einflussfaktoren auf<br />
das Dunkelfeld ähnlich zusammengesetzt sind.<br />
2. Ebenso wenig beeinträchtigt er den Qualitätsvergleich zweier verschiedener Interventionsmaßnahmen,<br />
z. B. der Verkehrstherapie mit den § 70 Kursen.<br />
3. Besteht die Qualitätsprüfung <strong>im</strong> Vergleich einer trainierten Gruppe mit einem fix vorgegebenen<br />
Kriterium, z. B. einer geforderten Legalbewährungsquote von X % innerhalb<br />
eines best<strong>im</strong>mten Bewährungszeitraumes (die übliche Evaluationsmethode bei der Verkehrstherapie),<br />
so kann der bias dadurch el<strong>im</strong>iniert werden, dass man als Kriterium X eine<br />
empirische Statistik heranzieht, die das KBA in Flensburg zur Verfügung stellt, z. B. den<br />
Prozentsatz der VZR-Eintragungen innerhalb eines gewissen Beobachtungszeitraumes bei<br />
bis dato unauffälligen Verkehrsteilnehmern. Die Auswertungen von Schade [27] zum habituellen<br />
Verkehrsrisiko bei Personen ohne VZR-Vorbelastung können hier als Vorbild<br />
dienen. Dieses vorgegebene Kriterium enthält den bias genauso wie die Legalbewährungsquote<br />
der trainierten Gruppe. Selbstverständlich könnte man, der Fairness des Vergleichs<br />
zuliebe, dieses vorgegebene Kriterium getrennt für <strong>Alkohol</strong>- <strong>und</strong> Punktetäter be-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Meyer,<br />
Verkehrs-Intervention in Deutschland
Meyer,<br />
Verkehrs-Intervention in Deutschland<br />
rechnen <strong>und</strong> überdies getrennt für jede Ausprägung des kartesischen Produkts von Tageszeit,<br />
Stadt/Land <strong>und</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esland. Letzteres aber doch nur, wenn neuere empirische Untersuchungen<br />
zweifelsfrei belegen, dass die Diskrepanz zwischen Hell- <strong>und</strong> Dunkelfeld auch<br />
heute noch signifikant von diesen intervenierenden Variablen abhängt. Auch wäre diese<br />
Unterteilung nach Tageszeit, Stadt/Land <strong>und</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esland nur für jene Anbieter von Interventionsmaßnahmen<br />
hilfreich, die regional tätig sind. Für alle b<strong>und</strong>esweit tätigen Anbieter<br />
dürfte je ein länderübergreifendes Kriterium für <strong>Alkohol</strong>-/<strong>Drogen</strong> <strong>und</strong> Punktetäter genügen.<br />
Selbstverständlich ist die Legalbewährung nur eine Möglichkeit, den Erreichungsgrad<br />
des Qualitätsziels „Beitrag zur Verkehrssicherheit <strong>und</strong> zur individuellen Mobilität“ zu<br />
operationalisieren. Als ergänzende oder alternative Kriterien bzw. Operationalisierungen<br />
werden genannt: Das Wissen über die Wirkung von <strong>Alkohol</strong> <strong>und</strong> <strong>Drogen</strong>, über den<br />
Zusammenhang zwischen Geschwindigkeit <strong>und</strong> Bremsweg usw., <strong>und</strong> das Ausmaß der<br />
Einstellungsänderungen. Diese Kriterien 7 ) werden üblicherweise operationalisiert durch<br />
Fragebögen, die MPU-Erfolgsquote, ggf. das Abschlussgespräch am Ende der Therapie<br />
bzw. der Nachschulung. Sie sind jedoch „weicher“ als die Legalbewährung, a) weil sie bestenfalls<br />
als notwendige Voraussetzungen für zukünftiges verkehrssicheres Verhalten gelten<br />
können, nicht aber als hinreichende <strong>und</strong> b) weil die Validität ihrer Operationalisierung<br />
durch Fragebögen gering bzw. empirisch nicht belegt, durch das Abschlussgespräch <strong>und</strong><br />
durch das MPU-Ergebnis empirisch nicht geprüft ist 8 ). Im Vergleich damit zeichnet die<br />
Legalbewährung ihre größere Resistenz <strong>gegen</strong> Fälschungsversuche des Klienten aus <strong>und</strong><br />
ihr unmittelbarer Bezug auf das Kriterium „verkehrssicheres Verhalten“, das seinerseits<br />
<strong>gegen</strong>über allen möglichen anderen Kriterien den Vorzug des unmittelbarsten Bezugs zum<br />
Ziel „Verkehrssicherheit <strong>und</strong> individuelle Mobilität“ aufweist.<br />
Was also <strong>im</strong>mer man <strong>gegen</strong> die Legalbewährung einwenden mag, sie ist als Qualitätskennwert<br />
für das Ziel Verkehrssicherheit konkurrenzlos. Daran ist die Frage zu beantworten:<br />
• Welche Maßnahme erfüllt die legit<strong>im</strong>en Erwartungen der Öffentlichkeit an die Verkehrssicherheit<br />
auf Deutschlands Straßen?<br />
Bereits in der internen Festlegung, welcher konkrete Wert der Legalbewährungs- oder<br />
Rückfallquote diese Erwartungen erfüllt, unterscheiden sich Verkehrstherapie <strong>und</strong> § 70<br />
Kurse, wie Tab. 1 zeigt. Sie unterscheiden sich aber auch <strong>im</strong> Design der Evaluationsstudien:<br />
69<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
70<br />
Vermeiden weiterer Verkehrsauffälligkeiten<br />
[35]<br />
BNV, IVT Hö: Keine expliziten Angaben über<br />
geforderte Zielerreichungsgrade.<br />
PRO-NON e.V.: Die Rückfallquote<br />
(Bewährungszeitraum 3 – 5 Jahre) darf nicht<br />
höher sein als 5 % [23]<br />
Die Unterschiede in den internen Zielvorgaben <strong>und</strong> <strong>im</strong> Design sind auf die Tatsache zurückzuführen,<br />
dass die § 70 Kurse nach den Richtlinien der BASt akkreditiert sind <strong>und</strong><br />
diese ihrerseits dem Vorbild der Alkoeva- <strong>und</strong> Evagut-Studien folgen, während die Verkehrstherapie<br />
dieser Tradition nicht folgt. Sie interessiert sich nicht für den Vergleich<br />
der Legalbewährung ihrer Klienten mit einer Kontrollgruppe, sondern für die absolute<br />
Höhe der Legalbewährung. Dies mit dem Argument, dass die legit<strong>im</strong>en Erwartungen der<br />
Öffentlichkeit wohl kaum mit dem Nachweis befriedigt werden können, dass „behandelte“<br />
Klienten signifikant weniger häufig rückfällig werden als „unbehandelte“. Diese<br />
Öffentlichkeit will die Gewissheit, dass z. B. ein <strong>Alkohol</strong>täter, der nach abgeschlossener<br />
Intervention <strong>und</strong> positiver MPU die Fahrerlaubnis wieder erhalten hat, sich nie mehr betrunken<br />
hinters Steuer setzt. Und wenn absolute Gewissheit nicht möglich ist, so wird doch<br />
erwartet, dass das Gefährdungspotenzial, das von diesem Menschen ausgeht, die Grenze<br />
des Tolerierbaren nicht überschreitet. Es darf angenommen werden, dass diese Grenze des<br />
Tolerierbaren deutlich niedriger liegt als bei einer Rückfallquote von 19 % bei <strong>Alkohol</strong>auffälligen<br />
<strong>und</strong> von 33 % bei Punkteauffälligen. In diesem Zusammenhang sei auf die<br />
Veröffentlichung einer Projektgruppe der BASt hingewiesen [9], die bereits 1980 die<br />
Notwendigkeit betont hat, zwischen Wirkung <strong>und</strong> Erfolg von Nachschulungskursen zu<br />
unterscheiden: Ein Kurs mag anhand seiner Evaluationsergebnisse als wirksam eingestuft<br />
werden, ohne aber als erfolgreich zu gelten, weil für die Bewertung als „erfolgreich“ härtere<br />
Kriterien gelten. Mit anderen Worten: Das Design für die Evaluation der § 70- <strong>und</strong> an-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Meyer,<br />
Verkehrs-Intervention in Deutschland<br />
Verkehrstherapie Nachschulung nach § 70 FeV<br />
Einstichprobendesign: Berechnung der<br />
Rückfallquote <strong>im</strong> Bewährungszeitraum, bei<br />
PRO-NON Prüfung, ob die Maßnahme die festgesetzte<br />
max<strong>im</strong>ale Rückfallquote über- oder<br />
unterschreitet [23]<br />
Interne Zielvorgaben<br />
Design<br />
BASt Leitfaden [6]: Die Rückfallquote<br />
(Bewährungszeitraum mindestens 3 Jahre) der<br />
Kursteilnehmer darf nicht signifikant schlechter<br />
sein als die Rückfallquote der Kontrollgruppe<br />
(positiv begutachtete Teilnehmer medizinischpsychologischer<br />
Untersuchungen, parallelisiert<br />
bezüglich Deliktspezifität, BAK-Wert, Vorgeschichte,<br />
Regionalität, Alter, Geschlecht). Allerdings<br />
sollte sie nicht signifikant höher ausfallen<br />
als die nachfolgend aufgeführten Referenzwerte:<br />
– <strong>Alkohol</strong>auffällige: 18.8 %<br />
– Punktetäter: 32.6 %<br />
Kontrollgruppendesign:<br />
– EG: Fahrauffällige mit negativer MPU <strong>und</strong><br />
Kurszuweisung<br />
– KG: Fahrauffällige mit positiver MPU ohne<br />
Kurszuweisung<br />
– EG <strong>und</strong> KG sind teilweise parallelisiert<br />
Die Kurse sind nach ihrer ersten Evaluation jeweils<br />
bis zum Ablauf von 15 Jahren nachzuevaluieren.<br />
Tab. 1: Unterschiede zwischen Verkehrstherapie <strong>und</strong> Kursen nach § 70 FeV in den internen Zielvorgaben <strong>und</strong><br />
<strong>im</strong> Design.
Meyer,<br />
Verkehrs-Intervention in Deutschland<br />
dere Gruppenmaßnahmen <strong>und</strong> die Rückfallquoten von 19 bzw. 33 % in drei Jahren Legalbewährungszeitraum<br />
mögen geeignet sein, die Hypothese der Nicht-Wirksamkeit zu<br />
widerlegen, mehr aber auch nicht.<br />
Vorreiter bei der Evaluation der Verkehrstherapie war die Organisation IVTHö, die<br />
bereits <strong>im</strong> Jahre 1994 erste Ergebnisse zur Legalbewährung veröffentlichte [7, 11]. Dieser<br />
folgte PRO-NON e.V. mit einer ersten anonymen Umfrage <strong>im</strong> Jahre 2000. Deren Ergebnisse<br />
wurden nachfolgend zunächst an einer Zufallsauswahl von 77 Klientinnen <strong>und</strong><br />
Klienten <strong>und</strong> 2005 noch einmal an einer weiteren, vom KBA ausgewerteten Zufallsstichprobe<br />
bestätigt [23]. 2004 hat der BNV ebenfalls eine Evaluationsstudie durchgeführt [4].<br />
Die <strong>im</strong> Anhang detailliert aufgeführten Zahlen zu den § 70 Maßnahmen <strong>und</strong> die ergänzenden<br />
Angaben zur MPU stammen hauptsächlich von den bereits genannten Alkoeva- <strong>und</strong><br />
Evagut-Studien [14,15,16,18,42,43,44]. Tab. 2 fasst diese Ergebnisse zusammen.<br />
Legalbewährungszeitraum<br />
3 Jahre 5 Jahre 10 Jahre<br />
Positive MPU 12 – 27 % 20 – 35 % ≈ 36 %<br />
Negative MPU <strong>und</strong> Nachschulung bei<br />
<strong>Alkohol</strong> ≈ 14 % ≈ 21 %<br />
Negative MPU <strong>und</strong> Nachschulung bei<br />
Punktetätern ≈ 14 % ≈ 21 %<br />
Verkehrstherapie lt. IVT Hö, BNV<br />
<strong>und</strong> PRO-NON e.V. 2 – 4 % ≈ 04 %<br />
Tab. 2: Evaluationsergebnisse in der Zusammenfassung: Rückfallquoten von Nachschulungsmaßnahmen nach<br />
§ 70 FeV <strong>und</strong> von Verkehrstherapie.<br />
Die Anmerkungen zu diesen Zahlen <strong>und</strong> die Schlussfolgerungen daraus betreffen natürlich<br />
an erster Stelle den Vergleich Verkehrstherapie vs. Nachschulung in Gruppen, dann<br />
aber auch die Qualität des Gesamtsystems der Interventionsmaßnahmen in Deutschland.<br />
Anmerkung 1: Auf den ersten Blick scheinen die Ergebnisse die Überlegenheit der Verkehrstherapie<br />
überzeugend zu belegen, zumindest, was die Ergebnisqualität angeht. Sie<br />
belegen nicht nur die Annahme der Überlegenheit der Verkehrstherapie über die § 70<br />
Kurse, sondern auch die Überlegenheit über die Gruppenmaßnahmen auf dem freien<br />
Markt. Es kann nämlich angenommen werden, dass die § 70 Kurse in der Ergebnisqualität<br />
die Produkte des freien Marktes übertreffen. Wäre dem nicht so, gäbe es für die Anbieter<br />
auf dem freien Markt keinen Gr<strong>und</strong>, ihre Evaluationsergebnisse nicht zu veröffentlichen<br />
(sofern sie überhaupt welche haben). Es kann daher unterstellt werden, dass die in Tab. 2<br />
zutage tretenden Qualitätsunterschiede zwischen Verkehrstherapie <strong>und</strong> den § 70 Kursen in<br />
noch stärkerem Maße zwischen Verkehrstherapie <strong>und</strong> den Angeboten des freien Marktes<br />
bestehen.<br />
Anmerkung 2: Man kann natürlich darüber diskutieren, ob diese Ergebnisse die Überlegenheit<br />
der Verkehrstherapie tatsächlich so unzweifelhaft dokumentieren, wie es scheint;<br />
weil ja die referierten Ergebnisse aus unterschiedlichen Epochen mit jeweils unterschiedlichen<br />
Rahmenbedingungen stammen (vgl. die Quellenangaben zu den Zahlen <strong>im</strong> Anhang)<br />
<strong>und</strong> deshalb nicht direkt vergleichbar sind. Dazu fünf Argumente <strong>und</strong> Überlegungen:<br />
71<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
72<br />
Erstens widerlegen die Ergebnisse die herausragende Leistungsfähigkeit der Verkehrstherapie<br />
nicht, sondern sie bestätigen sie auch ohne einen Vergleich mit anderen Interventionsmethoden.<br />
Zweitens ist an einem Zweifel <strong>gegen</strong>über dem direkten Zahlenvergleich<br />
vor allem folgendes unbestreitbar: Er legt ein Versäumnis offen; das Versäumnis nämlich,<br />
in Anbetracht der sich ändernden gesetzlichen <strong>und</strong> personellen Situation jeweils aktuelle<br />
Daten über den Zielerreichungsgrad der Maßnahmen vorzulegen. Die erste Schlussfolgerung<br />
lautet daher:<br />
• Evaluationen müssen in regelmäßigen Abständen wiederholt werden, so dass sie ein<br />
genaues Abbild der Ergebnisqualität einer Interventionsmaßnahme unter den jeweils<br />
gültigen gesetzlichen <strong>und</strong> personellen Rahmenbedingungen darstellen.<br />
Bemerkenswert ist, dass der Leitfaden der BASt [6] die Evaluation zwar vorschreibt,<br />
dass er aber nicht verpflichtet, die Evaluationsergebnisse zu veröffentlichen. Daraus ergibt<br />
sich ein drittes Argument, das wiederum die Begründung für den Zweifel an der Vergleichbarkeit<br />
infrage stellt: Tatsache ist, dass die veröffentlichten Evaluationsergebnisse<br />
von § 70 Kursen deutlich besser ausfallen als die Vorgaben des Akkreditierungsleitfadens<br />
der BASt. Es kann daher vermutet werden, dass es auch Anbieter von akkreditierten Kursen<br />
gibt, deren Ergebnisse schlechter ausfallen als die in Tab. 2 zitierten 9 ). Andernfalls<br />
wäre es nicht verständlich, warum der Leitfaden bei den in Tab. 1 angeführten Referenzwerten<br />
bleibt. Es darf daher angenommen werden, dass die Referenzwerte der BASt die<br />
Ergebnisqualität der § 70 Kurse objektiv widerspiegeln <strong>und</strong> dass – mit Blick auf Anmerkung<br />
1 – diese Referenzwerte von den Angeboten des freien Marktes nicht erreicht werden.<br />
Im Vergleich damit erweist sich die Verkehrstherapie tatsächlich als best practice.<br />
Viertens geht es nicht so sehr um den direkten Zahlenvergleich als vielmehr um die Kernfrage,<br />
ob 19 bzw. 33 % Rückfallquote in drei Jahren Legalbewährungszeitraum die legit<strong>im</strong>en<br />
Verkehrssicherheits-Erwartungen der breiten Öffentlichkeit befriedigen, <strong>und</strong> ob mit<br />
diesen Rückfallquoten die Selbstverpflichtung erfüllt werden kann, bis 2010 die Zahl der<br />
Verkehrstoten zu halbieren. Die bereits zitierte Projektgruppe der BASt [9] hat richtig festgestellt,<br />
es geht um zwei Kriterien unterschiedlicher Schärfe, anhand derer eine Maßnahme<br />
zu bewerten ist. Die Entscheidung ist übrigens <strong>im</strong>mer noch offen, ab wann eine Maßnahme<br />
als Erfolg einzustufen ist. Fünftens darf der Disput über die Vergleichbarkeit der<br />
Evaluationsergebnisse das eigentliche Problem nicht überdecken, dass die allermeisten<br />
Anbieter, vor allem der freie Markt, überhaupt keine Evaluationszahlen veröffentlichen.<br />
Mit anderen Worten:<br />
• Über die Ergebnisqualität eines nicht unerheblichen Teils des deutschen Systems liegen<br />
überhaupt keine Informationen vor!<br />
Bevor man sich also in einer rückwärts gerichteten Diskussion verliert, sollte man vorwärts<br />
gerichtet die ursprüngliche Schlussfolgerung erweitern <strong>und</strong> fordern:<br />
• Alle Anbieter von Interventionsmaßnahmen müssen in regelmäßigen Abständen evaluieren<br />
<strong>und</strong> die Evaluationsergebnisse veröffentlichen, so dass diese Ergebnisse ein<br />
genaues Abbild der Qualität einer Interventionsmaßnahme unter den jeweils gültigen<br />
gesetzlichen <strong>und</strong> personellen Rahmenbedingungen darstellen.<br />
Sechstens schließlich darf eine Diskussion über den direkten Zahlenvergleich nicht dazu<br />
verführen, alles be<strong>im</strong> Alten zu lassen, sondern man sollte sich dem Thema in Anmerkung 3<br />
verstärkt widmen.<br />
Anmerkung 3: Die Evaluationszahlen lassen es angezeigt erscheinen, nach den Ursachen<br />
dafür zu forschen, dass sowohl die Gruppenmaßnahmen nach § 70 als auch die des<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Meyer,<br />
Verkehrs-Intervention in Deutschland
Meyer,<br />
Verkehrs-Intervention in Deutschland<br />
freien Marktes bestenfalls die Nicht-Wirksamkeits-Hypothese widerlegen, wahrscheinlich<br />
aber nicht den Erwartungen der Öffentlichkeit entsprochen haben / entsprechen. Es ist<br />
nicht Ziel dieses Beitrags, alle möglichen Ursachen aufzudecken, sondern nur die vermutlich<br />
wichtigsten, <strong>und</strong> daraus die notigen Schlussfolgerungen für das deutsche <strong>und</strong> für ein<br />
gesamteuropäisch integriertes Interventionssystem zu ziehen.<br />
An vorderster Stelle ist der Prozessscharakter der Verkehrsauffälligkeit zu nennen: Das<br />
Besondere an allen Interventionssystemen, auch am deutschen, ist der zwar <strong>im</strong>mer mitgedachte<br />
(vgl. das Modell PASS [1, 32]), in der Praxis bisher aber nur ungenügend berücksichtigte<br />
Tatbestand, dass in den allermeisten Fällen hinter dem Phänomen der entdeckten<br />
Verkehrsauffälligkeit (s. Dunkelfeld) ein mehr oder weniger weit fortgeschrittener intrapsychischer<br />
Prozess vermutet werden muss, der Krankheitswert erreichen kann <strong>und</strong> der<br />
unter anderen auch diese Verkehrsauffälligkeit verursacht hat. Genau so wenig, wie z. B.<br />
ein Waschzwang oder eine Bul<strong>im</strong>ie, entsteht die gewohnheitsmäßige Missachtung der Verkehrsregeln<br />
oder ein <strong>Alkohol</strong>-/<strong>Drogen</strong>missbrauch von heute auf morgen. Und genau so<br />
wenig, wie sich dieser Waschzwang oder diese Bul<strong>im</strong>ie nur auf das äußere Phänomen erstreckt,<br />
genau so wenig erstreckt sich jener Prozess nur auf das Verhalten <strong>im</strong> Straßenverkehr;<br />
vielfach leiden darunter der Beruf, die Familie <strong>und</strong> der oder die Betroffene insgesamt.<br />
Zwar gibt es auch den oder die Fahrauffällige, die nur einmal oder nur selten<br />
verkehrsgefährdendes Verhalten zeigen. Aber auch bei diesen ist vorerst nicht entscheidbar,<br />
ob es sich um den Ausdruck einer psychischen Störung handelt, die zukünftig weitere<br />
Auffälligkeiten wahrscheinlich macht, oder um situative Überreaktionen, die nicht einer<br />
psychischen Störung zugeordnet werden können.<br />
Jede Interventionsmaßnahme trifft demnach auf einen best<strong>im</strong>mten Prozesszustand, <strong>und</strong><br />
der Interventionserfolg ist eine Funktion des kartesischen Produkts von Prozesszustand<br />
<strong>und</strong> Eigenheit der Interventionsmaßnahme oder, um es in Anlehnung an Kurt Lewin durch<br />
eine Formel auszudrücken: Erfolg = f(P, I). Und die Frage nach der Wirksamkeit von Interventionsmaßnahmen<br />
müsste korrekt so lauten: Welche Interventionsmaßnahme ist in welcher<br />
Phase des Prozesses indiziert?<br />
Wie gesagt, mitgedacht ist dieser Prozesscharakter vermutlich <strong>im</strong>mer. So hat z. B. die<br />
gesetzlich geregelte Verkehrsintervention in der BRD je nach Prozesszustand eine andere<br />
Gestalt: als Aufbauseminar, besonderes Aufbauseminar, verkehrspsychologische Beratung<br />
nach § 71 FeV <strong>und</strong> Nachschulung nach § 70 FeV. Ob die Eingriffsschwellen für diese<br />
Maßnahmen erfolgversprechend gesetzt sind, oder welche Art von Intervention indiziert<br />
ist, wenn die genannten Maßnahmen nicht greifen (also nach negativer MPU), darüber<br />
lässt sich der Gesetzgeber bemerkenswerter Weise nicht aus. Den Prozesscharakter genügend<br />
berücksichtigen hieße aber, sich viel intensiver diesem Thema der Passung von Prozessstand<br />
<strong>und</strong> Intervertionsmaßnahme zu widmen <strong>und</strong> die Maßnahmenempfehlungen danach<br />
auszurichten. Die beiden Vermutungen über die Ergebnisunterschiede von Nachschulung<br />
<strong>und</strong> Verkehrstherapie <strong>und</strong> die Schlussfolgerungen daraus versuchen dies.<br />
Vermutung 1, der starre Programmablauf <strong>und</strong> die Qualifikation der Trainer: § 70 Kurse<br />
sind Gruppenmaßnahmen mit einem Programmablauf, der deshalb als „starr“ zu bezeichnen<br />
ist, weil er aus einer Abfolge fest vorgegebener Module besteht. Sie werden von Trainern<br />
durchgeführt, die in der Regel keine therapeutische Ausbildung vorweisen können.<br />
Zwar verlangt der Akkreditierungsleitfaden der BASt die Beschreibung des spezifischen,<br />
dem Kurs zugr<strong>und</strong>e liegenden Persönlichkeitskonzepts <strong>und</strong> die Darstellung der für den<br />
Kurs relevanten psychologischen Theorien <strong>und</strong> Konstrukte der Einstellungsänderung <strong>und</strong><br />
73<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
74<br />
Verhaltensmodifikation. Aber der Verdacht besteht, dass ein solches Konzept von therapeutisch<br />
unausgebildeten Trainern <strong>und</strong> mit einem starren Programm tatsächlich nicht umgesetzt<br />
werden kann. Viel wahrscheinlicher ist, dass diese Gruppenmaßnahmen eher als<br />
„Nachschulung“ aufzufassen sind, gewissermaßen als „Intervention ohne Tiefenwirkung“.<br />
Die Ergebnisse in Tab. 2 belegen, dass eine derartige Maßnahme bei einer Klientel, bei<br />
der viele Anzeichen auf einen fortgeschrittenen Prozess hindeuten (z. B. die VZR-Eintragungen),<br />
lediglich als nicht wirkungslos, nicht aber als erfolgreich eingestuft werden kann.<br />
Die Verkehrstherapie hat von Seiten der Klientel die deutlich schlechteren Erfolgsvoraussetzungen:<br />
Die Klientel besteht überwiegend aus Personen mit einer oder mehreren negativen<br />
MPU’s <strong>und</strong>/oder mit einer lang zurückreichenden „Karriere“ des <strong>Alkohol</strong>- oder<br />
<strong>Drogen</strong>missbrauchs oder der Missachtung von Verkehrsregeln. Es handelt sich also um<br />
Personen, bei denen ein fortgeschrittener, vielfach verstärkter <strong>und</strong> generalisierter intrapsychischer<br />
Prozess als empirisch belegt gelten muss. Und trotzdem ist die Verkehrstherapie<br />
erfolgreicher als die Gruppenmaßnahmen. Der Gr<strong>und</strong> liegt in der Verkehrstherapie selbst:<br />
Sie ist in der Wirkungsplanung ausschließlich auf den Einzelfall <strong>und</strong> dessen Problematik<br />
ausgerichtet. Sie folgt keinem starren Programmablauf. Schulung <strong>und</strong> Information sind<br />
ein Teil der Verkehrstherapie, vergleichbar der ärztlichen Beratung <strong>und</strong> Information.<br />
Kennzeichnend für die Verkehrstherapie <strong>und</strong> damit auch den eigentlichen Unterschied zu<br />
den § 70 Kursen <strong>und</strong> den sonstigen Angeboten des freien Marktes ausmachend ist die Heilbehandlung:<br />
Die Verkehrstherapie besteht in der Anwendung wissenschaftlich anerkannter<br />
Psychotherapie-Verfahren auf psychische Störungen, die – nach ICD diagnostizierbar<br />
– zu unterschiedlichen Auffälligkeiten <strong>im</strong> Verhalten führen. Zu diesen gehören auch Verhaltensauffälligkeiten,<br />
die behördlicherseits den Verdacht mangelnder Fahreignung begründen,<br />
z. B. Fahren unter <strong>Alkohol</strong>, Missachtung der Straßenverkehrsregeln. Ziel <strong>und</strong><br />
Aufgabe der Verkehrstherapie ist nicht pr<strong>im</strong>är, diese Verhaltensauffälligkeiten zu beseitigen<br />
oder die behördlichen Zweifel an der Fahreignung auszuräumen. Ziel <strong>und</strong> Aufgabe der<br />
Verkehrstherapie ist vielmehr, die verursachenden psychischen Störungen zu beseitigen.<br />
Das Verschwinden der Verhaltensauffälligkeiten, die den behördlichen Zweifel an der Fahreignung<br />
begründen, ist die zwangsläufige Folge der erfolgreichen Therapie. Daher<br />
braucht die Verkehrstherapie in vielen Fällen den ungestörten Kontakt zwischen Klient<br />
<strong>und</strong> Therapeut. Erst dadurch entsteht eine Beziehung der Offenheit, die vermutlich bei Anwesenheit<br />
anderer kaum hergestellt werden kann, auch wenn es sich bei diesen Anderen<br />
ebenfalls um Betroffene handelt. Und diese Intensität des Kontakts <strong>und</strong> des Eingehens auf<br />
den Einzelfall setzt die Flexibilität des Programmablaufs zwingend voraus, ja sie wäre mit<br />
einem starren Programmablauf mit fix vorgegebenen Modulen, wie bei Gruppenmaßnahmen,<br />
überhaupt nicht möglich. Die vielfach ins Feld geführten Argumente für die Gruppenmaßnahmen,<br />
z. B. die Möglichkeit, die Gruppensituation zu Gunsten des Einzelnen<br />
auszunutzen, kommen nach den vorliegenden Evaluationsergebnissen in den § 70 Kursen<br />
nicht zum Tragen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass das Gruppenmodell<br />
BUSS [17] deutlich bessere Ergebnisse erzielte als andere Nachschulungsmodelle. Allerdings<br />
setzte die Interventionsmaßnahme BUSS viel früher ein als die üblichen Nachschulungsmaßnahmen<br />
<strong>und</strong> sie war deutlich aufwändiger.<br />
Vermutung 2: Die Zielgruppe für Nachschulungen <strong>und</strong> sonstige Gruppenmaßnahmen ist<br />
zu breit gestreut: Nach der heutigen Gesetzeslage können MPU-Gutachter die Wiedererlangung<br />
der Fahrerlaubnis von der Teilnahme an einer § 70 Maßnahme abhängig machen.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Meyer,<br />
Verkehrs-Intervention in Deutschland
Meyer,<br />
Verkehrs-Intervention in Deutschland<br />
Der Begutachtete erhält nach bestätigter Teilnahme in der Regel ohne Weiteres seine Fahrerlaubnis<br />
wieder. Die Frage der Validität dieser Zuweisungen durchzieht, mehr oder weniger<br />
explizit angesprochen, wie ein roter Faden alle Studien zur Evaluation von Kursen für<br />
verkehrsauffällige Kraftfahrer. In der Logik der vorgeschlagenen Betrachtungsweise Erfolg<br />
= f(P,I), besteht eine Zuweisung aus zwei Teilen, aus der Einschätzung des Prozesszustandes<br />
<strong>und</strong> der Einschätzung des zukünftigen Erfolgs einer § 70 Maßnahme bei diesem<br />
Prozesszustand. Validitätsmängel können daher zwei Ursachen haben. Welche Ursachen<br />
dominieren, wissen wir nicht. Denn, obwohl unmittelbar einsichtig die Rückfallquoten<br />
auch davon abhängen, liegen keine empirischen Ergebnisse zur Validität dieser Zuweisung<br />
vor. Da aber das Korrektiv einer abschließenden MPU unterbleibt, schlagen Validitätsmängel<br />
der Zuweisungspraxis ungehindert auf die Verkehrssicherheit <strong>und</strong> auf die Rückfallquoten<br />
durch.<br />
Aus diesem Ansatz der Passung von Prozesszustand <strong>und</strong> Interventionsmaßnahme <strong>und</strong><br />
den darauf beruhenden Vermutungen über die Ergebnisunterschiede bei Gruppenmaßnahmen<br />
<strong>und</strong> Verkehrstherapie ergeben sich für die zukünfige Verkehrssicherheitsarbeit unmittelbar<br />
zwei Aufgabengebiete <strong>und</strong> Herausforderungen mit hohem Erledigungsbedarf:<br />
Die erste besteht darin, in die Vielfalt der Interventionsmaßnahme nach folgendem Prinzip<br />
mehr Ordnung zu bringen: Um einen nachhaltigen Effekt zu erzielen, muss die Intervention<br />
dem Prozesszustand angemessen sein. Es ist kritisch zu prüfen, bei welchem<br />
Prozesszustand welche Maßnahme tatsächlich noch erfolgreich sein kann. Die für alle<br />
Maßnahmenträger verpflichtende Evaluation liefert hierzu die relevante empirische Information.<br />
Die zweite Herausforderung besteht darin, eine valide Zuweisungsdiagnostik zu entwikkeln,<br />
die, vernünftigerweise behördlich angeordnet, unmittelbar nach der Verkehrsauffälligkeit<br />
greift <strong>und</strong> dem Klienten die für ihn passende Intervention empfiehlt. Sie sollte<br />
mindestens valide genug sein, um zwischen der Indikation für Gruppen- <strong>und</strong> Einzelmaßnahmen<br />
zu trennen. Selbstverständlich müsste diese Diagnostik <strong>und</strong> Beratung objektiv<br />
<strong>und</strong> frei von sonstigen Geschäftsinteressen sein, was regelmäßig nachzuweisen wäre.<br />
Gemessen an diesen dringend anstehenden Aufgaben zeigt das deutsche Interventinssystem<br />
Licht <strong>und</strong> Schatten: Was das Gesamt der Interventionsmaßnahmen angeht, so könnte<br />
es eine sehr begrüßenswerte <strong>und</strong> europafähige Intention sein, über eine nach differenziert<br />
diagnostiziertem Prozesszustand abgestufte Palette von Interventionsmaßnahmen zu verfügen.<br />
Die Palette der Interventionsmaßnahmen ist vorhanden, aber es fehlt die valide<br />
Zuweisungsdiagnostik. Die gesetzlichen Zuweisungskriterien für Aufbauseminare <strong>und</strong><br />
besondere Aufbauseminare sind ebenso wenig validitätsgeprüft wie die gutachterlichen<br />
Zuweisungen zu § 70 Maßnahmen. Der Zugang zu den gesetzlichen nicht geregelten Maßnahmen<br />
ist gänzlich willkürlich. Abgesehen also von den gesetzlich geregelten Zuweisungen,<br />
deren Validität nicht geprüft ist, haben wir in Deutschland ein eher den Gesetzen des<br />
freien Marktes als dem Pr<strong>im</strong>at der Verkehrssicherheit <strong>und</strong> der Entsprechung von Bedarf<br />
<strong>und</strong> Angebot genügendes Interventionswesen. Als Fortschritt ist zu werten, dass die Sektion<br />
Verkehrspsychologie des BDP Konsequenzen aus den Evalutionsergebnissen der § 71<br />
Beratung gezogen <strong>und</strong> eine Herabsetzung der Eingriffsschwelle für diese Beratung beantragt<br />
hat, um so diese Maßnahme dem Prozesszustand der Klientel besser anzupassen. Auf<br />
der anderen Seite bestärken viele Indizien den Verdacht, dass BfF’s mit Tochtergesellschaften,<br />
die für § 70 Kurse akkreditiert sind oder die auf dem freien Markt agieren, diese<br />
verstärkt mit Klienten versorgten, für die eigentlich eine intensivere Auseinandersetzung<br />
75<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
76<br />
mit ihren Störungen angezeigt gewesen wäre. Ein Fortschritt, weil mit dem Prozessgedanken<br />
unmittelbar zusammenhängend, ist die Intention des Modells PASS (vgl. [1, 32]), die<br />
Klientel früher als bisher der geeignete Maßnahme zuzuführen. Als Hemmschuh erweien<br />
sich hier Verwaltungs- <strong>und</strong> wettbewerbsrechtliche Vorschriften <strong>und</strong> nicht zuletzt auch Datenschutzüberlegngen,<br />
die es in der Exekutive <strong>und</strong> den Führerscheinbehörden zu verbieten<br />
scheinen, Klienten unmittelbar nach einer Fahrauffälligkeit oder nach Entzug der Fahrerlaubnis<br />
auf mögliche geeignete Interventionsangebote hinzuweisen. Ein Fortschritt in<br />
Richtung auf eine valide Zuweisungsdiagnostik ist die eng mit den Bestrebungen für einen<br />
früheren interventionistischen Eingriff zusammenhängende Forderung, die Eingriffsschwelle<br />
für die MPU nach unten zu verlegen <strong>und</strong> (vgl. [21, 32]). Allerdings sind auch hier<br />
die Hürden gewaltig: Seit der in der Neufassung der FeV ausgesprochenen Trennung von<br />
Begutachtung <strong>und</strong> Beratung (<strong>B<strong>und</strong></strong>esgesetzblatt vom 29. 07. 2008) ist völlig unklar, wer<br />
die konkreten Aufgaben übernehmen könnte, wäre die valide Zuweisungsdiagnostik erst<br />
entwickelt.<br />
Eine dritte Herausforderung stellt sich für die bisher praktizierte MPU, also für die Prüfung<br />
der jeweils vorgegebenen behördlichen Fragestellung. Die Diskussionen auf dem disjährigen<br />
5. gemeinsamen Symposium von DGVP <strong>und</strong> DGVM am 23./24. 10. in We<strong>im</strong>ar<br />
haben deutlich gemacht, dass die Regelungen zur Durchführung ein Niveau erreicht<br />
haben, das gewährleistet, dass die Medizinisch-Psychologische Begutachtung bezüglich<br />
Standardisierung <strong>und</strong> Objektivität kaum mehr Wünsche offen lässt. Was am 18. 02. 1960<br />
mit der Gründung des Fachausschusses Medizinisch-Psychologische Arbeitsgebiete (FA-<br />
MPA) begann <strong>und</strong> in den Folgejahren konsequent weitergeführt wurde (wir haben seit<br />
2005 den Kommentar zu den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung in der überarbeiteten<br />
<strong>und</strong> erweiterten Auflage <strong>und</strong> seit Juli 2009 gelten die überarbeiteten Beurteilungskriterien<br />
[33]), trägt nun seine Früchte: Das Verfahren der Begutachtung ist objektiv<br />
<strong>und</strong> nachvollziehbar. Dies dient der Einzelfallgerechtigkeit <strong>und</strong> es dämmt den sonst zu befürchtenden<br />
Begutachtungstourismus ein. Was nun noch aussteht, ist der Beleg der inkrementellen<br />
Validität, also der Nachweis, dass die in die Beurteilungskriterien neu aufgenommenen<br />
Regelung, z. B. die Regelungen zur Abstinenz, die deutlich in die Tätigkeit des<br />
Interventionisten eingreifen, dass diese Regelungen die prognostische Validität der gutachterlichen<br />
Aussage wesentlich verbessern. Dies erscheint umso notwendiger, wenn man<br />
berücksichtigt, dass mit Ausnahme der § 70 Maßnahmen die Evaluation aller anderen Maßnahmen<br />
bei FE-Entzug eine Evaluation der Kombination von Maßnahme <strong>und</strong> MPU ist.<br />
Unbefriedigende Evaluationsergebnisse einer Interventionsmaßnahme könnten daher nur<br />
dieser Kombination zugeschrieben werden, nicht einer Ursache allein. Die Gefahr besteht,<br />
dass der momentan erreichte Grad der Standardisierung der MPU der inhaltlich <strong>und</strong> qualitativ<br />
breiten Palette von Interventionsangeboten nicht mehr entspricht. Tatsächlich sind<br />
Standardisierung <strong>und</strong> Objektivität nicht die einzigen Qualitätskriterien für die abschließende<br />
Prüfung einer Prozesses, die die MPU schließlich ist. Nicht ohne guten Gr<strong>und</strong> gibt<br />
es für technische Produkte <strong>und</strong> Dienstleistungen das System der Qualitätsprüfung mit abgestufter<br />
Schärfe. Die Schärfe der Prügung richtet sich nach den Erfahrungen mit der Qualität<br />
des Anbieters. Dieses Vorbild der Technik aufgreifend entspräche es den Qualitätsanforderungen<br />
mehr, die MPU flexibler durchzuführen: Klienten eines Anbieters mit<br />
schlechten Evaluationsergebnissen wären anders zu prüfen als Klienten eines sehr erfolgreichen<br />
Anbieters. Die neuen Beurteilungskriterien bieten dafür die geeignete Gr<strong>und</strong>lage.<br />
So könnten z. B. die Anforderungen an die Abstinenzdauer nach Abschluss der Maßnahme<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Meyer,<br />
Verkehrs-Intervention in Deutschland
Meyer,<br />
Verkehrs-Intervention in Deutschland<br />
abgestuft sein. Das entspräche durchaus der Forderung nach Objektivität. Es würde überdies<br />
der Gefahr vorbeugen, dass MPU-Vorbereiter den Vorteil der Klarheit über Ablauf<br />
<strong>und</strong> Anforderungen der MPU missbrauchen. Die MPU sollte daher nicht in ein zu strenges<br />
Korsett von Regelungen gepresst sein, sondern den Gepflogenheiten der Qualitätsprüfung<br />
in anderen Bereichen entsprechend, je nach Qualität des Anbieters mit abgestufter Schärfe<br />
durchgeführt werden.<br />
Anmerkung 4: Bei den hier vorgetragenen Überlegungen <strong>und</strong> Forderungen zur Verbesserung<br />
des Interventionssystems steht die Forderung zur verpflichtenden Evaluation für<br />
alle Anbieter von Interventionsmaßnahmen an vorderster Stelle. Die methodenkritische<br />
Durchsicht der publizierten Evaluationsstudien, lässt es notwendig erscheinen, folgende<br />
Mindeststandards festzulegen, um die Aussagekraft zukünftiger Studien zu gewährleisten:<br />
1. Kein Kontrollgruppen-, sondern ein Einstichprobendesign zum Nachweis, dass die<br />
empirische Legalbewährungsquote einen festgelegten Sollwert nicht überschreitet,<br />
dass sie also erfolgreich ist.<br />
2. Die Untersuchungsstichprobe muss eine Zufallsstichprobe sein.<br />
3. Der Stichprobenumfang muss so festgelegt sein, dass mit hoher Sicherheit eine Sollwertabweichung<br />
entdeckt wird.<br />
4. Der Bewährungszeitraum muss mindestens 5 Jahre betragen.<br />
5. Die Auswertung erfolgt durch das KBA.<br />
Zu Punkt 1: Ein Argument für das Einstichprobendesign wurde bereits genannt: Signifikante<br />
Ergebnisunterschiede zwischen Trainierten <strong>und</strong> Untrainierten bieten keine Gewähr,<br />
dass die Forderung nach Verkehrssicherheit erfüllt wird, dass also dabei mehr herauskommt<br />
als die Widerlegung der Nicht-Wirksamkeits-Hypothese. Ein weiteres Argument<br />
liefert das Problem der Störvariablen. Dieses Problem be<strong>im</strong> EG-KG-Vergleich haben<br />
außer Winkler, Jacobshagen <strong>und</strong> Nickel [42, S. 9,10] viele andere Autoren verdeutlicht<br />
[z. B. 10, 27, 28 u. a.]. Störvariable sind nach diesen Autoren u.a. die lokale Verfolgungsintensität,<br />
die Deliktvorgeschichte der Teilnehmer an der Intervention (z. B. der Beginn<br />
des regelmäßigen <strong>Alkohol</strong>konsums), ihr Alter, ihr Geschlecht, ihre Familiensituation<br />
(familiäre Probleme) <strong>und</strong> schließlich auch die Zuweisungspraxis der Behörden vor Ort.<br />
Um die interne Validität des Vergleichs von EG <strong>und</strong> KG zu gewährleisten, wäre es daher<br />
notwendig, diese beiden Gruppen zu matchen, ein <strong>im</strong> Verhältnis zur Aussagekraft dieses<br />
Gruppenvergleichs (s. o.) unverhältnismäßig hoher Aufwand. Be<strong>im</strong> Einstichprobendesign<br />
ist der Aufwand deutlich geringer, <strong>und</strong> die Aussagekraft des Vergleichs mit einem vorgegebenen<br />
Sollwert wesentlich informativer.<br />
Bleibt die Frage nach dem Sollwert, nach jenem Wert der Legalbewährung, der mindestens<br />
erreicht werden muss, um die Maßnahme als erfolgreich auszuweisen: Er muss politisch<br />
legit<strong>im</strong>iert <strong>und</strong> wissenschaftlich anerkannt sein. Seine Höhe, ja sogar das gesamte<br />
Vorgehen der Datenerhebung <strong>und</strong> Auswertung, sollte daher in einer Expertengruppe unter<br />
Einladung der betroffenen Institutionen festgelegt werden. Als Vorbilder können bereits<br />
veröffentlichte Studien dienen, schon die von Utzelmann [40, S. 453], der mit Bezug auf<br />
Gerichtsurteile der 77-er Jahre eine Rückfallwahrscheinlichkeit von 5 bis 15 % bezogen<br />
auf 10 Jahre Legalbewährung als Erfolgskriterium nannte, <strong>und</strong> die neuere Studie von<br />
Schade [27] zum habituellen Verkehrsrisiko bei Personen ohne VZR-Vorbelastung. Die<br />
weitaus umständlichere Variante wäre, dass dieser Sollwert sich <strong>im</strong> Verlaufe der Qualitätsdiskussion<br />
mehr oder weniger „von selbst“ herauskristallisiert.<br />
77<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
78<br />
Zu Punkt 2: Die Untersuchungsstichprobe muss repräsentativ für die Gr<strong>und</strong>gesamtheit<br />
der Klientel eines Anbieters sein, daher die Forderung nach einer Zufallsstichprobe. Ist der<br />
Anbieter in ganz Deutschland tätig, dann gewährleistet die Zufallsstichprobe überdies,<br />
dass die zuvor genannten zusätzlichen Einflussgrößen (Deliktvorgeschichte, Alter, Geschlecht<br />
…) anteilig so repräsentiert sind, wie in der Gr<strong>und</strong>gesamtheit. Regional tätige Anbieter,<br />
die diese Möglichkeiten nicht haben, sollten in jedem Fall die o. g. Variablen miterheben,<br />
damit ihr zusätzlicher Einfluss, neben der Interventionsmaßnahme als solcher,<br />
abgeschätzt werden kann. Keinesfalls darf die Repräsentativität der Stichprobe durch den<br />
sog. „Selbst-Selektions-bias“ gestört werden, der darin besteht, dass die Angaben über die<br />
Rückfallquote nur von jenen Klienten stammen, die der Erhebung dieser Daten zust<strong>im</strong>men.<br />
Die Vermutung liegt auf der Hand, <strong>und</strong> macht deshalb die Ergebnisse unzuverlässig,<br />
dass Klienten einer Nachforschung über Rückfälle nicht zust<strong>im</strong>men, wenn sie bereits<br />
wieder rückfällig geworden sind, oder wenn sie Gr<strong>und</strong> zu der Annahme haben, dass sie<br />
wieder rückfällig werden. Ein typisches Beispiel einer solchen Studie ist die kürzlich<br />
erschienene Studie von Schülken et al [34] zur Wirksamkeit verkehrspsychologischer<br />
Rehabilitationsprogramme CONTROL <strong>und</strong> REAL für alkoholauffällige Kraftfahrer: Von<br />
den ursprünglich 837 Klienten gaben nur 513 ihr Einverständnis für eine Abfrage be<strong>im</strong><br />
KBA (= 61.3 %). Hinsichtlich der Legalbewährung konnten aber nur von 358 (= 42.8 %)<br />
Klienten, die zugest<strong>im</strong>mt hatten, Informationen be<strong>im</strong> KBA eingeholt werden. Mit anderen<br />
Worten: Die Rückfallquote von 4.2 % beruht auf den Informationen über jene 42,8 % der<br />
Klienten, die einer Abfrage zugest<strong>im</strong>mt hatten, mehrheitlich wohl, weil sie ein reines<br />
Gewissen hatten. Auch die Studie von Scheucher, Eggerdinger <strong>und</strong> Aschersleben [28] über<br />
eine Kurzzeit-Verkehrstherapie kann den Verdacht des Selbst-Selektions-bias nicht widerlegen:<br />
Von 220 Adressaten erhielten die Autorinnen 66 Rückmeldungen = 30 % Rücklaufquote.<br />
Der Behauptung der Autorinnen, die Stichprobe der Respondenten entspräche<br />
der Gr<strong>und</strong>gesamtheit aller angeschriebenen Klienten in den Variablen Alter, Geschlecht<br />
<strong>und</strong> Deliktvorgeschichte (Anzahl der Delikte <strong>und</strong> BAK-Wert) <strong>und</strong> sei deshalb<br />
repräsentativ, kann wenig Vertrauen ent<strong>gegen</strong>gebracht werden. Die diesbezüglichen Ausführungen<br />
von Jansen [19] kann auch die Erwiderung der Autorinnen [29] nicht entkräften.<br />
Weil die Argumentation der Autorinnen auch in anderen Publikationen in ähnlicher<br />
Form <strong>im</strong>mer wieder zu lesen ist, sei kurz darauf eingegangen. Die Vorgehensweise der<br />
Autorinnen <strong>und</strong> ähnlicher Veröffentlichungen, die Repräsentativität der Respondentenstichprobe<br />
dadurch nachzuweisen, dass diese Stichprobe der Gr<strong>und</strong>gesamtheit in der<br />
Verteilung von Variablen gleicht, die traditionell als Störvariablen gelten, diese Vorgehensweise<br />
beruht auf folgender Gr<strong>und</strong>annahme: Der Einfluss dieser Variablen auf die<br />
Rückfallwahrscheinlichkeit ist auch nach der Intervention vorhanden. Mit anderen Worten<br />
anstatt der Formel Erfolg = f(Prozesszustand, Intervention) gilt: Erfolg = f(Prozesszustand,<br />
Störvariablen, Intervention). Würden die Autorinnen vom logischen Komplement dieser<br />
Annahme ausgehen, also unterstellen, es bestünde nach der Intervention kein Einfluss<br />
mehr – was durchaus überlegenswert erscheint – dann wäre der Test der Übereinst<strong>im</strong>mung<br />
der Verteilungen in diesen Variablen überflüssig. Aus der Gültigkeit der Gr<strong>und</strong>annahme<br />
folgt aber zwingend, dass nachgewiesen werden muss, was Jansen gefordert hat, was aber<br />
die Autorinnen nicht nachgewiesen haben: Die Gruppe der Respondenten <strong>und</strong> die Gruppe<br />
der Nicht-Respondenten unterscheiden sich nicht in der Verteilung der vermuteten Störvariablen.<br />
Falsch ist, was die Autorinnen tatsächlich unternommen haben <strong>und</strong> was Jansen<br />
auch moniert: Sie haben nachgewiesen, dass zwischen der Gruppe der Respondenten <strong>und</strong><br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Meyer,<br />
Verkehrs-Intervention in Deutschland
Meyer,<br />
Verkehrs-Intervention in Deutschland<br />
der Gr<strong>und</strong>gesamtheit aller angeschriebenen ehemaligen Klienten in diesen Variablen kein<br />
Unterschied besteht. Trivialerweise <strong>und</strong> von Jansen zu Recht bemerkt wird sich eine Teilmenge<br />
von der Obermenge umso weniger unterscheiden, je größer der Anteil der Teilmenge<br />
an der Obermenge ist – hier beträgt der Anteil 30 %. Erschwerend kommt bei dieser<br />
Studie <strong>und</strong> bei bereits zitierten ähnlichen Studien hinzu, dass die Rückmeldungen<br />
lediglich Angaben <strong>im</strong> Fragebogen über Vorsätze <strong>und</strong> Verhalten <strong>im</strong> Bezug auf <strong>Alkohol</strong>konsum<br />
<strong>und</strong> Teilnahme am Straßenverkehr waren. Unausrottbar haftet diesen Daten der Verdacht<br />
der Schönfärberei an. Die Autorinnen versuchen diesen Verdacht dadurch zu entkräften,<br />
dass sie ein <strong>und</strong> denselben Sachverhalt über verschiedene Fragen abgeklärt <strong>und</strong><br />
die Konsistenz geprüft haben. Offenbar verwechseln die Autorinnen die Konsistenz von<br />
Fragebogenantworten mit ihrem Wahrheitsgehalt.<br />
Alles in allem also ist festzuhalten: Solche Studien können die Zweifel an ihrer Internen<br />
<strong>und</strong> Externen Validität nicht ausräumen. Sie sind daher als Belege für die Qualität einer<br />
Interventionsmaßnahme wertlos.<br />
Zu Punkt 3: Evaluationsstudien sind erfahrungsgemäß aufwändig <strong>und</strong> teuer, insbesondere<br />
dann, wenn die statistische Auswertung vom KBA als einer neutralen Instanz durchgeführt<br />
wird. Ein wesentlicher Kostenfaktor ist der Stichprobenumfang. In bisherigen<br />
Evaluationsstudien bleibt unklar, warum welche Stichprobengrößen festgelegt wurden.<br />
Anders bei einer Vorgehensweise, die den hier vorgeschlagenen Mindeststandards entspricht:<br />
Aus der Zielvorgabe durch den Sollwert lässt sich der opt<strong>im</strong>ale Stichprobenumfang<br />
berechnen, wenn man zusätzlich noch das α-Risiko, eine Schlechtgrenze <strong>und</strong> die<br />
Wahrscheinlichkeit 1 – β vereinbart, das Überschreiten dieser Schlechtgrenze nachzuweisen.<br />
In die von Meyer [22] hergeleitete Formel geht die zusätzliche Überlegung ein, dass<br />
das Ziehen der Zufallsstichprobe ein Ziehen ohne Zurücklegen ist, weil diese Stichprobe<br />
<strong>im</strong> Verhältnis zum Umfang der Gr<strong>und</strong>gesamtheit aller Klienten eines Anbieters groß ist.<br />
Die Anwendung dieser Formel zeigt am folgende Beispiel der PRO-NON Evaluation von<br />
2005 [23], dass der mit der Datenerhebung <strong>und</strong> -auswertung verb<strong>und</strong>ene Aufwand überraschend<br />
gering ist: Festgelegt waren folgende Parameter:<br />
– Sollwert: Legalbewährungsquote von mindestens 95 % in einem Bewährungszeitraum<br />
von 3 bis 5 Jahren nach Therapieabschluss<br />
– α-Risiko für die ungerechtfertigte Zurückweisung dieser Hypothese bei einseitiger<br />
Fragestellung: ≤ 5 %<br />
– Schlechtgrenze <strong>und</strong> power: Ein Unterschreiten des Sollwerts um 5 % oder mehr soll<br />
mit einer Sicherheit von 1 – β = 99 % entdeckt werden.<br />
Daraus errechnete sich ein Stichprobenumfang von 4.7 % der gesamten PRO-NON<br />
Klientel der letzten 3 bis 5 Jahre.<br />
Zu Punkt 4: Offenbar hatten die Alkoeva- <strong>und</strong> die Evagutstudien eine starke Vorbildwirkung<br />
auf nachfolgende Evaluationsstudien. Diese Vorbildwirkung schlägt sich nieder in<br />
der unreflektierten Übernahme des 3-Jahres-Bewährungszeitraums <strong>und</strong> in der krassen<br />
Fehldeutung einer Aussage über den Verlauf der Rückfallquote als Funktion der Zeit. Ein<br />
typisches Beispiel dafür, ist die Studie von Biehl <strong>und</strong> Birnbaum [3] zur Wirksamkeit eines<br />
Rehabilitationskurses für drogenauffällige Kraftfahrer, ein EG-KG-Vergleich: Der Bewährungszeitraum<br />
betrug nach Angabe der Autoren etwa 2.5 Jahre. Er begann für beide<br />
Gruppen bereits mit der Zustellung des negativen MPU-Gutachtens. Nach der Zustellung<br />
dieses Gutachtens unterzogen sich die Teilnehmer der EG einem Kurs DRUGS, an den<br />
sich ein 21 Monate dauerndes <strong>Drogen</strong>kontrollprogramm anschloss. Die Autoren fanden<br />
79<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
80<br />
bei der KG einen linearen Anstieg der Rückfallquote, sofort nach Beginn der Bewährungszeit.<br />
Bei der Exper<strong>im</strong>entalgruppe verlief der Graph der Rückfallquote zunächst sehr<br />
flach <strong>und</strong> verstärkte sich erst nach 2 Jahren. Alles in allem also, so argumentieren die Autoren,<br />
ein früherer Anstieg der Rückfallwahrscheinlichkeit bei der KG <strong>und</strong> eine höhere<br />
Rückfallwahrscheinlichkeit insgesamt 10 ).<br />
Die methodenkritische Betrachtung dieser Studie muss bereits bei der Linearitätsannahme<br />
der Rückfallquote ansetzen: Die Autoren der Alkoeva- <strong>und</strong> der Evagut-Studie stellten<br />
fest, dass die Rückfallquote während der ersten 3 bis 5 Jahre des Bewährungszeitraumes<br />
linear anzusteigen scheint. Sie beriefen sich dabei auf folgende Darstellung ihrer Untersuchungsergebnisse:<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Meyer,<br />
Verkehrs-Intervention in Deutschland<br />
Abb. 1: Die Studie von Biehl & Birnbaum [3]: Verlauf der Rückfallquote bei EG (durchgezogene Linie) <strong>und</strong><br />
KG (strichliert). Ordinate: Rückfallquote in %. Abszisse: Bewährungszeit in Monaten.<br />
Abb. 2: Empirischer Verlauf der Rückfallquoten von Kursteilnehmern <strong>und</strong> positiv beurteilten MPU-Klienten als<br />
Funktion des Bewährungszeitraums, entnommen aus Jacobshagen [15, S 258].Ordinate: Prozent der Rückfälle<br />
bei EG <strong>und</strong> KG, Abszisse: Bewährungszeit in Jahren.
Die Autoren behaupteten allerdings nicht, dass diese Funktion eine lineare Funktion ist.<br />
Klar ist nämlich, dass die Rückfallquote (P t ) keine lineare Funktion des Bewährungszeitraumes<br />
t sein kann, also keine Funktion der Art P t = a+b*t, denn dann würde die Rückfallquote<br />
mit Sicherheit irgendwann den Wert von 100 % überschreiten, was natürlich unmöglich<br />
ist. Die Funktion kann also höchstens in einem Intervall ihres Definitionsbereichs<br />
(etwa <strong>im</strong> Intervall 0 bis 3 Jahre Bewährungsdauer) durch eine lineare Funktion angenähert<br />
werden. Meyer [24] weist nach, dass die einzige Funktion, die den Ergebnissen in Abb. 2 <strong>und</strong><br />
auch vergleichbaren Ergebnissen z. B. bei Buikhuisen [5] entspricht, folgende Funktion ist:<br />
P t = P*(1–e –bt ).<br />
Dieser Funktion entsprechend strebt die Rückfallquote mit einer – für jede Intervention<br />
charakteristischen – Geschwindigkeit b einem – für diese Intervention charakteristischen<br />
– Grenzwert P* zu. Abb. 3 zeigt vier mögliche Verläufe dieser Funktion. Drei der Verläufe<br />
haben den gleichen Grenzwert P* = 55 %, streben ihm aber mit unterschiedlicher Geschwindigkeit<br />
zu (b = 0.1, 0.2, 0.5). Die vierte Funktion hat einen niedrigeren Grenzwert<br />
P* = 40 %, aber einen Geschwindigkeitsparameter von 0.5.<br />
Rückfallquote<br />
Meyer,<br />
Verkehrs-Intervention in Deutschland<br />
Abb. 3: Mögliche Verläufe der Rückfallquoten von Interventionsmaßnahmen. Ordinate: Prozent der Rückfälle,<br />
Abszisse: Bewährungszeit in Jahren.<br />
Wie Abb. 3 zeigt, kann diese Funktion zu Beginn des Bewährungszeitraumes, also <strong>im</strong><br />
Intervall von 0 bis 3 Jahren, durchaus durch eine lineare Funktion approx<strong>im</strong>ierbar sein.<br />
Genau das haben die Autoren der Alkoeva- <strong>und</strong> der Evagut-Studie festgestellt; der Graph<br />
scheint linear zu verlaufen. Er flacht sich aber <strong>im</strong> weiteren Verlaufe ab <strong>und</strong> konvergiert<br />
<strong>gegen</strong> seinen Grenzwert. Nachdem der Funktionstyp geklärt ist, steht auch fest:<br />
• Für die Einschätzung der Qualität einer Interventionsmaßnahme gibt es zwei Parameter:<br />
b, die Steilheit des Anstiegs der Rückfallquote <strong>und</strong> P*, den Grenzwert, <strong>gegen</strong> den<br />
die Rückfallquote konvergiert.<br />
81<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
82<br />
Offenk<strong>und</strong>ig hat man das bei Evaluationsstudien bisher übersehen <strong>und</strong> sich nur für den<br />
Grenzwert P* interessiert 11 ). Dann aber muss der Bewährungszeitraum so lange gewählt<br />
werden, dass die Rückfallquote diesem Grenzwert auch nahe kommen kann. Weil diese<br />
Annäherung aber auch vom Parameter b abhängt, folgt zunächst einmal<br />
• Einen für alle Maßnahmen gleichermaßen gültigen Bewährungszeitraum gibt es nicht,<br />
meist aber dürfte ein Bewährungszeitraum von 3 Jahren zu kurz sein.<br />
Damit sind wir be<strong>im</strong> zweiten Kritikpunkt an der Studie von Biehl <strong>und</strong> Birnbaum: Ihr Argument,<br />
die Rückfallquote sei bei der KG höher als bei der EG, lässt sich durch die Daten<br />
nicht belegen, weil der Bewährungszeitraum zu kurz war. Abb. 3 zeigt beispielsweise, dass<br />
der Wert der Funktion mit den Parametern P* = 40 % <strong>und</strong> b = 0.5 nach drei Jahren Legalbewährungszeit<br />
deutlich über dem Wert der Funktionen mit der letztendlich viel höheren<br />
Rückfallquote von 55 % liegt. Es wäre unsinnig zu behaupten, die Rückfallquote der erstgenannten<br />
Funktion wäre höher als die der beiden anderen, nur weil das Ergebnis nach drei<br />
Jahren höher ist.<br />
Die Feststellung, dass der Anstieg der Rückfallquote bei der KG früher <strong>und</strong> steiler beginnt,<br />
ist zwar korrekt, aber die Interpretation ist falsch: Der Bewährungszeitraum verlief<br />
für die Exper<strong>im</strong>entalgruppe zeitgleich mit dem Kurs <strong>und</strong> dem <strong>Drogen</strong>kontrollprogramm.<br />
Das erklärt den zunächst flachen Verlauf der Rückfallquote bei dieser Gruppe. Unterstellen<br />
wir für einen Moment, dass die Rückfallquote <strong>im</strong> Beobachtungszeitraum linear angenähert<br />
werden kann, <strong>und</strong> legen wir durch den Graphen der Rückfallquote der KG eine Gerade, so<br />
stellt sich heraus, dass sich diese Gerade durch Parallelverschiebung ebenfalls über den<br />
Graphen der EG legen lässt, <strong>und</strong> man kommt zu folgendem, für diese Interventionsmaßnahme<br />
wenig schmeichelhaften Ergebnis: Ab etwa 25 Monaten, also nach dem Ende des<br />
<strong>Drogen</strong>kontrollprogramms, verläuft die Rückfallquote der EG mit dem gleichen Anstiegsparameter<br />
wie die Rückfallquote der KG. Sie verläuft also nur treatmentbedingt zeitversetzt.<br />
Möglicherweise konvergiert sie sogar mit der gleichen Geschwindigkeit <strong>gegen</strong> den<br />
gleichen Grenzwert.<br />
Diese Studie <strong>und</strong> die Überlegungen dazu zeigen sehr deutlich, wie notwendig es gewesen<br />
wäre, bei den bisherigen Evaluationsstudien einen deutlich längeren Bewährungszeitraum<br />
festzulegen als den von 3 Jahren. Bei den Alkoeva- <strong>und</strong> Evagut-Studien z. B. scheint<br />
die Rückfallquote nach 5 Jahren Bewährungszeit vom Grenzwert noch weit entfernt zu<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Meyer,<br />
Verkehrs-Intervention in Deutschland<br />
Abb. 4: Lineare Approx<strong>im</strong>ation (fett eingezeichnet) der Rückfallquoten bei EG <strong>und</strong> KG in der Studie von<br />
Biehl & Birnbaum [3]. Ordinate: Prozent der Rückfälle, Abszisse: Beobachtungszeit ab Beginn der Maßnahme<br />
in Monaten.
Meyer,<br />
Verkehrs-Intervention in Deutschland<br />
sein. Dieses Problem wird entschärft, wenn der Sollwert der Rückfallquote niedrig ist,<br />
sagen wir 5% beträgt bei 5 Jahren Bewährungszeit: Dass die Rückfallquote irgend einer<br />
Maßnahme so langsam <strong>und</strong> kontinuierlich steigt, dass sie nach 5 Jahren noch nicht signifikant<br />
über 5% liegt, aber einem Grenzwert zustrebt, der deutlich höher ist, dieser Fall dürfte<br />
in der Realität kaum vorkommen. 5 Jahre Bewährungszeit sind in Kombination mit diesem<br />
Sollwert als Mindeststandard vertretbar.<br />
Zu Punkt 5: Die Erfüllung der Forderung, die Auswertung vom KBA vornehmen zu<br />
lassen, kostet zwar Geld, dient aber der Objektivität. Vorstellbar wäre eine routinemäßige<br />
Auswertung durch das KBA für jeden Anbieter. Dies <strong>und</strong> das oben beschriebene Stichprobenverfahren<br />
sollte die Kosten in Grenzen halten, so dass sie auch für kleinere Organisationen<br />
tragbar sind. Aber wie bereits gesagt: Um das gesamte Prozedere politisch zu legit<strong>im</strong>ieren<br />
<strong>und</strong> um ihm die nötige Akzeptanz zu verschaffen, sollte es in einer Expertengruppe<br />
unter Einladung der betroffenen Institutionen festgelegt werden.<br />
83<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
84<br />
Anhang: Rückfallquoten<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Meyer,<br />
Verkehrs-Intervention in Deutschland<br />
Bewährungszeitraum<br />
Autoren, Stichproben Pbn, Maßnahmen bis 3 Jahre bis 5 Jahre bis 10 Jahre<br />
Alkoeva [42, S. 43, 29, S. 158, EG: MPU– 1 ), IRAK, IFT 13.4 21.0 30.4<br />
15, S. 258] oder LEER: N = 1569 N = 1667 N = 1675<br />
Mehrfach <strong>Alkohol</strong>auffällige<br />
<strong>im</strong> Verkehr KG: MPU+ 18.8 26.9 36.9<br />
N = 1344 N = 1467 N = 1475<br />
[42, S. 31] Ersttäter N = 669 24.9 34.5<br />
Gruppe D: N = 1096 <strong>Alkohol</strong>auffällige<br />
<strong>im</strong> Jahr 1979. Zweittäter N = 334 16.7 23.4<br />
Vermutlich nur MPU+ Dritt- <strong>und</strong> Mehrfachtäter N = 93 24.9 31.2<br />
EVAGUT, Teil A [18, S. 17, 60]<br />
N = 230 mehrfach <strong>Alkohol</strong>auffällige<br />
<strong>im</strong> Verkehr 1970 – 72 <strong>im</strong> MPU+, FE innerhalb<br />
Bereich TÜV Hannover eines Jahres 15.6 20.4<br />
dito N = 77 MPU–, aber neue FE z. T. ohne<br />
erneute MPU 24.6<br />
EVAGUT, Teil B: MPU+ 9.5 nach<br />
N = 3344 mehrfach <strong>Alkohol</strong>auf- 2 Jahren<br />
fällige <strong>im</strong> Verkehr <strong>im</strong> Bereich<br />
TÜV Hannover, R-W-TÜV,<br />
TÜV Rheinland,<br />
EVAGUT, TEIL C [14, S. 48]<br />
N ≠ 3039 alle Auffälligen wg.<br />
Trunkenheit N = 847 MPU+ 11.2<br />
N = 928 MPU–, NA 13.8<br />
N = 329 MPU– 3 ) 21.2<br />
N = 3895 Punktetäter <strong>im</strong> Berich N = 1902 MPU+ 12.2 2 )<br />
der TÜVe Hannover, R-W, 20,1<br />
Norddeutschland, Rheinland u.a. N = 1114 MPU–, NA 10.8<br />
20,1<br />
N = 279 MPU– 3 ) 21.0<br />
32.6<br />
Modell Buss [17, S. 243] N = 375 MPU+ 4.6 – 6.0<br />
N = 1610 älle insgesamt N = 809 MPU–, NA 4.8 – 6.8<br />
N = 426 MPU–, FE 3 ) 2.4 – 6.2<br />
Reguläre MPU-Fälle (Kontroll- N = 200 MPU+ 6.5<br />
gruppe, N ≠ 584), jeweils erst- N = 327 MPU–, NA 8.3<br />
mals <strong>und</strong> mehrfach <strong>Alkohol</strong>auf- N = 057 MPU–, FE 3 ) 4.4<br />
fällige <strong>im</strong> Verkehr<br />
IVTHÖ [11, S. 216, 7, S. 114], N = 193 Klienten 3.6<br />
Gruppen- <strong>und</strong> Einzeltherapie: Davon N = 188 Klienten 6.4<br />
BNV [4, S. 41] N = 453 Klienten (1998) mit 3.3<br />
Einzeltherapie <strong>Alkohol</strong>problematik, 1998 – 2002<br />
Davon N = 107 Punktetäter 1.9<br />
Davon N = 132 Mischtäter 4.6<br />
PRO-NON e. V. [16, S. 10] 2000: N = 437 ehemalige Klien- 1.6<br />
Einzeltherapie ten, MPU+, Anonyme Befragung<br />
2002 Kontrolle: N = 173 zufallig 3.9<br />
ausgewählte Klienten, MPU+<br />
2005: N = 173 zufällig ausge- 2.7<br />
lesene Klienten der Jahre 21 – 71<br />
2000 – 2002, MPU+ Monate<br />
1 ) MPU– bedeutet negative MPU, MPU+ bedeutet positive MPU.<br />
2 ) Kriterien: jeweils 1. Wert mindestens 1 Unfall, 2. Wert mind. 7 Punkte nach MPU als wahrscheinl. Interventionsschwelle<br />
der FE-Behörde<br />
3 ) Nur der Anteil der negativ Beurteilten mit erneuter Erteilung einer FE <strong>im</strong> Beobachtungszeitraum.
Meyer,<br />
Verkehrs-Intervention in Deutschland<br />
Zusammenfassung<br />
Im Interesse der Verkehrssicherheit <strong>und</strong> vor dem Hintergr<strong>und</strong> der zu erwartenden europaweiten Vereinheitlichung<br />
der Interventionsmaßnahmen war eine kritische Sichtung der Qualität der einzelnen Bestandteile des<br />
„deutschen Systems“ notwendig. Sie erbrachte folgende Ergebnisse <strong>und</strong> Schlussfolgerungen:<br />
1. Das „Deutsche System“ ist u. a. dadurch gekennzeichnet, dass wir neben den offiziellen Interventionsmaßnahmen<br />
einen riesigen grauen Markt von Anbietern haben, die wir nach qualitätsrelevanten Merkmalen nicht<br />
charakterisieren können, weil sie die relevanten Informationen nicht bereitstellen, von denen wir aber vermuten<br />
können, dass sie über Billigpreisangebote <strong>und</strong> die vordergründige Zielsetzung, nur auf das Bestehen der MPU<br />
vorzubereiten, einen Großteil der „K<strong>und</strong>en“ vom Markt abziehen – sehr zum Schaden der Verkehrssicherheit <strong>und</strong><br />
zum Schaden des deutschen Systems.<br />
2. Die veröffentlichten, wissenschaftlich einwandfreien Evaluationsergebnisse am Kriterium der Legalbewährung<br />
weisen die Verkehrstherapie als best practice aus <strong>und</strong> sie belegen Nachholbedarf z. B. bei den § 70 Kursen<br />
<strong>und</strong> die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Evaluation. Diese Studien zeigen deutlich auf, dass es falsch wäre,<br />
den Erfolg einer Maßnahme allein dieser Maßnahme zuzuschreiben, sondern dass vielmehr berücksichtigt werden<br />
muss, welche Interventionsmaßnahme bei welchem Prozesszustand der Klientel erfolgreich sein kann <strong>und</strong> ab<br />
wann sie langfristig wirkungslos bleiben wird.<br />
3. Mit Rücksicht auf die Selbstverpflichtung, bis 2010 die Zahl der Verkehrstoten zu halbieren <strong>und</strong> mit dem<br />
Ziel, Verkehrssicherheit <strong>und</strong> individuelle Mobilität gleichermaßen zu gewährleisten, sollten folgende Schritte<br />
unternommen werden:<br />
• Der Prozesscharakter der Verkehrsauffälligkeit ist mehr zu berücksichtigen <strong>und</strong> das Gebot der Passung von<br />
Prozesszustand <strong>und</strong> Interventionsangebot ist konsequenter anwenden als bisher. Die Evaluationsergebnisse<br />
der Anbieter liefern hierfür die empirische Gr<strong>und</strong>lage.<br />
• Auf dieser Gr<strong>und</strong>lage ist bei den Interventionsmaßnahmen „die Spreu vom Weizen zu trennen“. Maßnahmen<br />
bei Nicht-Erreichen der vorgegebenen Erfolgskriterien können reichen von einer Neu-Best<strong>im</strong>mung der geeigneten<br />
Zielgruppe bis zur verschärften Prüfung der Klientel bei der MPU <strong>und</strong> der Verpflichtung zu qualitätsverbessernden<br />
Veränderungen der Maßnahme selbst.<br />
• Als Unterstützung für diesen Prozess muss die MPU mehr als bisher als Endprüfung verstanden werden, die<br />
je nach Qualität des Anbieters die Klientel mit unterschiedlicher Schärfe prüft.<br />
• Den dann übrig bleibenden Interventionsangeboten ist eine valide <strong>und</strong> von wirtschaftlichen Interessen unabhängige<br />
Zuweisungsdiagnostik voranzustellen.<br />
4. Um diese Ziele zu erreichen <strong>und</strong> auch <strong>im</strong> Interesse der Überlebenschancen des „deutschen Systems“, ist es<br />
notwendig, dass alle Anbieter von Interventionsmaßnahmen zur regelmäßigen Evaluation in festen Zeitabständen<br />
<strong>und</strong> nach allgemein verbindlichen Mindeststandards verpflichtet werden, die die Aussagekraft der Evaluationsergebnisse<br />
gewährleisten. Um die Vorgehensweise <strong>und</strong> die Mindeststandards politisch zu legit<strong>im</strong>ieren <strong>und</strong> um<br />
ihnen die nötige Akzeptanz zu verschaffen, sollte diese Aufgabe einer Expertengruppe unter Einladung der betroffenen<br />
Institutionen überlassen werden. Die flächendeckende Anwendung dieser Evaluation würde sicherstellen,<br />
dass zunächst einmal in Deutschland, dann aber auch <strong>im</strong> Zuge der europäischen Vereinheitlichung länderübergreifend,<br />
die Überlebenschancen einer Interventionsmaßnahme in erster Linie von ihrem Beitrag für die<br />
Verkehrssicherheit abhängen <strong>und</strong> erst in zweiter Linie vom Geschick des Managements, Netzwerke auf- <strong>und</strong> auszubauen<br />
oder von der Cleverness der Marketingabteilung.<br />
Schlüsselwörter<br />
Verkehrstherapie – Interventionsmaßnahmen – Evaluation – Qualitätsmanagement – Qualitätskriterien –<br />
Legalbewährung – Rückfallquote – MPU<br />
Summary<br />
In the interest of traffic safety and prior to the expected european standardization of driver <strong>im</strong>provement methods,<br />
a critical examination of the elements of the “German system” is necessary. The conclusions are the following.<br />
1. The “German System” is characterized by the coexistence of officially accredited <strong>im</strong>provement methods<br />
(e. g. the methods according to § 70 FeV) with a large shadow market of inofficial service providers. The latter<br />
communicate so little information about their interventions that content and methods are not available for meaningful<br />
comparison. Presumably, these inofficial providers attract a large portion of consumers with low-priceoffers<br />
and the promise to prepare them solely for rapid access to the medical psychological assessment (MPU).<br />
2. The few scientifically acceptable studies in Germany which report evaluation-results concerning driver <strong>im</strong>provement<br />
methods on the basis of long-term relapse-rates (Legalbewährung) point to “Verkehrstherapie” (individual<br />
psychotherapeutic intervention with traffic-offenders) as best practice and <strong>und</strong>erscore the necessity of <strong>im</strong>proving<br />
the officially accredited <strong>im</strong>provement methods and continually evaluating all <strong>im</strong>provement methods.<br />
85<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
86<br />
These studies make evident that it would be wrong to attribute the success of any intervention method solely to<br />
the method itself. Much more we have to direct our awareness to the process-character of every violation of traffic<br />
rules, and we have to ask which kind of intervention method can be successful art each state of the process.<br />
3. In order to achieve the goal of halving the number of traffic deaths by 2010, while preserving individual mobility<br />
and traffic safety in the same t<strong>im</strong>e interval, the following steps should be taken.<br />
a. The process-character of a violation of the traffic rules has to be more respacted and the demand of fit between<br />
process-state and intervention method has to be applied more consequent than until now. The results<br />
of the evaluation studies provide the empirical basis for that.<br />
b. Effective drive <strong>im</strong>provement methods should be reliably discr<strong>im</strong>inated from ineffective methods. Consequences<br />
of not reaching the success-standards can reach from new-definition of the target group to stronger<br />
MPU-test of the clients and the demand to <strong>im</strong>prove the quality of the intervention method.<br />
c. In order to support this process the MPU, more than was previously the case, has to be applied as a final examination<br />
with different stringence according to the quality of the service provider.<br />
d. The indication for effective interventions is to be formulated in an expert report on the basis of diagnostic<br />
methods of established validity.<br />
4. Both the chances of achieving this goal and the chances of integrating the “German System” into coming<br />
European standards depend on obligating service providers to evaluate their interventions at fixed intervals according<br />
to min<strong>im</strong>ally acceptable scientific standards. In order to politically legit<strong>im</strong>ate the evaluation and to secure<br />
its acceptance the definition of the standards should be made by a team of experts and relevant institutions. This<br />
would insure the survival of those interventions that contribute pr<strong>im</strong>arily to traffic safety and only secondarily reflect<br />
the ability of service providers’ management to <strong>im</strong>plement clever marketing strategies and organize service<br />
delivery networks.<br />
Keywords<br />
driver <strong>im</strong>provement methods – traffic-psychotherapy – intervention methods – evaluation – quality management<br />
– criteria of quality – relapse rate – MPU<br />
Fußnoten<br />
1 ) Im Interesse der Lesbarkeit wird <strong>im</strong> Text ohne geschlechtsspezifische Unterscheidung von „Klienten“, „Beratern“<br />
etc. gesprochen.<br />
2 ) Genau die gleiche Perspektive nehmen auch die Autoren der Erhebung der psychologischen Rehabilitations-.<br />
<strong>und</strong> Therapiemaßnahmen außerhalb des gesetzlich geregelten Bereichs ein [8, S. 26]. Ihr Merkmalskatalog<br />
deckt sich mit dem nachfolgend vorgeschlagenen in wesentlichen Teilen. Allerdings unterscheiden sich die<br />
Schlussfolgerungen beider Veröffentlichungen bezüglich des Verbesserungspotenzials be<strong>im</strong> deutschen System.<br />
3 ) Während also hier der finanzielle Aufwand durchaus ins Kalkül eingeht, scheint er be<strong>im</strong> Führerschein-Tourismus<br />
keine Rolle zu spielen. Offenbar ist dem FS-Touristen die Umgehung der MPU jeden Preis wert.<br />
4 ) Damit sind nicht die amtlich anerkannten verkehrspsychologischen Berater nach § 71 FeV gemeint.<br />
5 ) Mit einer Ausnahme: War der Anbieter ehemaliger oder noch tätiger BfF-Gutachter, hob er das meist sehr<br />
deutlich hervor. Vermutlich wollte er damit seine Kompetenz unterstreichen, die Klienten opt<strong>im</strong>al auf die<br />
MPU vorzubereiten. Die Neufassung der FeV verbietet noch tätigen BfF-Gutachtern diese Tätigkeit, was sehr<br />
zu begrüßen ist.<br />
6 ) Die Reliabilität ist eine notwendige Voraussetzung für die Validität. Eine Beeinträchtigung der Reliabilität<br />
würde daher eine Validitätseinbuße zwangsläufig nach sich ziehen. Die von den Kritikern ins Feld geführte<br />
Dunkelziffer führt jedoch zu einem systematischen Fehler <strong>und</strong> daher nicht zu einer Reliabilitätsbeeinträchtigung.<br />
7 ) Auf diese Kriterien beruft sich die internationale ANDREA-Studie [2] an erster Stelle, ebenso der Erfahrungsbericht<br />
von Spoerer <strong>und</strong> Kratz [36] über den Nachschulungserfolg bei alkoholauffälligen Fahranfängern<br />
<strong>und</strong> die Studie neuen Datums von Scheucher, Eggerdinger <strong>und</strong> Aschersleben [28] über eine Kurzzeit-Verkehrstherapie.<br />
Sie sind auch <strong>im</strong> Akkreditierungsleitfaden der BASt für § 70 Nachschulungen aufgeführt.<br />
8 ) Die Behauptung über die nicht sehr hohe Validität der Fragebögen stützt sich auf die wenigen Ergebnisse zur<br />
prognostischen Validität, die in den Manuals der marktgängigen Verkehrstests nachzulesen sind. Mit gutem<br />
Gr<strong>und</strong> also spielen Fragebogendaten in den Beurteilungskriterien nur eine untergeordnete Rolle. Über die Validität<br />
des Abschlussgespräches <strong>und</strong> des MPU-Ergebnisses als Kennwerte für Wissens- <strong>und</strong> Einstellungsänderung<br />
sind keine aktuellen Studien bekannt.<br />
9 ) Man beachte, dass der Leitfaden lediglich vorschreibt, dass die Legalbewährungsergebnisse der Exper<strong>im</strong>entalgruppe<br />
nicht signifikant schlechter ausfallen dürfen als die der Kontrollgruppe bzw. als die Referenzwerte.<br />
Interessant sind daher die noch tolerierbaren Rückfallquoten, die die Signifikanzschranke nicht überschreiten:<br />
Diese Signifikanzschranke hängt bekanntlich vom Umfang der Evaluierungsstichprobe ab. Der Referenzwert<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Meyer,<br />
Verkehrs-Intervention in Deutschland
Meyer,<br />
Verkehrs-Intervention in Deutschland<br />
von 18.8 % Rückfällen bei <strong>Alkohol</strong>tätern wird bei einer Losgröße von n = 100 erst ab 27.9 % überschritten<br />
(einseitige Fragestellung <strong>und</strong> α-Risiko = 1 %); bei n = 500 dürfen es <strong>im</strong>mer noch 22.8 % Rückfälle sein. Der<br />
Referenzwert von 32.6 % bei Punktetätern wird bei n = 100 erst mit einer Rückfallquote von 43.5 % überschritten,<br />
bei n = 500 wäre eine Rückfallquote von 37.4 % noch mit den Forderungen des Leitfadens vereinbar.<br />
10 ) Die Darstellung des Verlaufs der Rückfallquote in der Originalpublikation von Biehl <strong>und</strong> Birnbaum ist irreführend:<br />
Die Beobachtungszeitpunkte auf der Abszisse sind äquidistant eingezeichnet, obwohl sie unterschiedlich<br />
weit auseinander liegen, wie die Abszissenbeschriftung belegt. Abb. 1 gibt die Verhältnisse korrekt<br />
wider.<br />
11 ) z. B. Utzelmann [40, S. 453] argumentiert: Bei Buikhuisen seien nach 2 Jahren Bewährungszeitraum bereits<br />
1/3 der Fahrer rückfällig geworden, die nach 10 Jahren rückfällig geworden waren. In der Utzelmann-Studie<br />
zum Modell 77 waren nach 2 Jahren 5 % rückfällig. Folglich müssten nach 10 Jahren 15 % rückfällig werden.<br />
Diese Argumentation ignoriert offenk<strong>und</strong>ig den Anstiegsparameter b. <strong>und</strong> sie geht von der unzutreffenden<br />
Linearitätsannahme aus.<br />
Literatur<br />
0[1] Allhoff-Cramer, A., Krohn, B., Laub, G., Nickel, W.-R., Rohlfing, C., Rothenberger, B., Schubert, W., Stephan,<br />
E. (2007) PASS; Ein interdisziplinäres Modell zur Förderung <strong>und</strong> Sicherung der Mobilitätskompetenz<br />
in Europa, ZVS 1 (207, 6–8.<br />
0[2] Bartl, G., Assailly, J.-P., Chatenet, F., Hatakka, M., Keskinen, E., Willmes-Lenz, G. (2002) EU-Project „Andrea“.<br />
Analysis of Driver Rehabilitation Programmes. Published by Kuratorium für Verkehrssicherheit,<br />
Wien/Austria<br />
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ZVS, 1/2004, 28–32<br />
0[4] Born, R. (2004) Ergebnisse der BNV-Evaluation. Schriftenreihe des BNV. ISSN 1614-8258<br />
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3/2002, 134–135<br />
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nach Abschluss der Verkehrstherapie IVT-Hö. ZVS, 3/1998, 113–118<br />
0[8] Follmann, W., Heinrich, E., Corvo, D., Mühlensiep, M., Z<strong>im</strong>mermann, Ch., Klipp, S., Bornewasser,<br />
M., Glitsch, E., Dünkel, F. (2008) Psychologische Rehabilitations- <strong>und</strong> Therapiemaßnahmen für verkehrsauffällige<br />
Kraftfahrer. Berichte der <strong>B<strong>und</strong></strong>esanstalt für Straßenwesen, Heft M 196<br />
0[9] v. Hebenstreit, B., Heinrich, H.C., Klebe, W., Kroj, G., Spoerer, E., Schneider, W., Walther, R., Winkler,<br />
W., Wuhrer, H. (1980) Zur Evaluation der Kurse für auffällige Kraftfahrer. ZVS, 26 (2), 71–72<br />
[10] Heinrich, H.Ch., Poschen, K.M. (1988) Die Wirksamkeit von Kursen für wiederholt alkoholauffällige Kraftfahrer.<br />
ZVS, 34 (3), 129–131<br />
[11] Höcher, G. (1994) <strong>Alkohol</strong>auffällige Kraftfahrer nach Abschluss einer Langzeitrehabilitation Modell IVT-<br />
Hö. <strong>Blutalkohol</strong>, 31, 201–221<br />
[12] Iffland, R. (1998) Wie zuverlässig ist die Dunkelfeldbest<strong>im</strong>mung nach dem „Deutschen Roadside Survey“?<br />
<strong>Blutalkohol</strong>, 35, 258–274<br />
[13] Iwersen-Bergmann, S., Stein, S., Schmoldt, A. (2004) <strong>Drogen</strong> <strong>und</strong> Medikamente bei Straßenverkehrsteilnehmern<br />
in Hamburg 1992 – 2000. <strong>Blutalkohol</strong>, <strong>Blutalkohol</strong>, 41, 499–506<br />
[14] Jacobshagen, W. (1996a) Medizinisch-Psychologische Fahreignungsbegutachtungen bei alkoholauffälligen<br />
Fahrern <strong>und</strong> Fahrern mit hohem Punktestand. Forschungsberichte des VdTÜV e.V. ISBN: 3-8249-0355-5<br />
[15] Jacobshagen, W. (1996b) ALKOEVA <strong>und</strong> kein Ende? Eine 10-Jahres-Nachlese zu einer Evaluationsstudie.<br />
<strong>Blutalkohol</strong>, 33, 257–265<br />
[16] Jacobshagen, W. (1997) Nachschulungskurse für alkoholauffällige Fahranfänger (NAFA): Kurspraxis,<br />
Wirksamkeit <strong>und</strong> Akzeptanz. Forschungsberichte des VdTÜV e.V. ISBN: 3-8249-0424-1<br />
[17] Jacobshagen, W. (2001) Die Wirksamkeit des Modells BUSS – Beratung, Untersuchung <strong>und</strong> Schulung in der<br />
Sperrfrist – bei alkoholauffälligen Kraftfahrern. <strong>Blutalkohol</strong>, 38, 233–248<br />
[18] Jacobshagen, W., Nickel, W.R, Winkler, W. (1987) Evaluation von medizinisch-psychologischen Fahreignungsbegutachtungen.<br />
A: Retrospektive Analyse einer Datensammlung des TÜV Hannover e.V. Bericht<br />
zum Forschungsprojekt des VdTÜV Nr. 178<br />
[19] Jansen, J. (2003) Verkehrstherapeutische Interventionen: Methodische Aspekte <strong>und</strong> gr<strong>und</strong>legende Fragen<br />
am Beispiel einer Wirksamkeitskontrolle. <strong>Blutalkohol</strong>, 40, 5–14<br />
[20] Klipp, S., Bukasa, B.(2009) EU-Projekt DRUID: Erste Ergebnisse – Rehabilitation alkohol- <strong>und</strong> drogenauffälliger<br />
Fahrer. ZVS, 2/2009, 59 – 63.<br />
87<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
88<br />
[21] Mattern, R., Schubert, W., Skopp, G., Weinmann, W. (2009) Indikation zur Überprüfung der Fahreignung<br />
bei schädlichem <strong>Alkohol</strong>konsum. Vortrag auf dem 5. Gemeinsamen Symposium des DGVP <strong>und</strong> DGVM am<br />
23./24. 10. 2009 in We<strong>im</strong>ar. (siehe auch BA 2009, SUP II–13<br />
[22] Meyer, H. (2003) Eine vereinfachte Methode zur Erhebung der Legalbewährung. Vortrag be<strong>im</strong> 38. BDP-<br />
Kongress in Regensburg. www.bdp-verkehr.de<br />
[23] Meyer, H. (2005) Ergebnisevaluation bei PRO-NON – die Erhebung der Legalbewährung be<strong>im</strong> Kraftfahrtb<strong>und</strong>esamt<br />
Flensburg. PRO-NON Jahresbericht 2005, S. 4–10<br />
[24] Meyer, H. (2008) Evaluation von Interventionsmaßnahmen in der Verkehrspsychologie – das Problem des<br />
opt<strong>im</strong>alen Legalbewährungszeitraums. Publikation in Vorbereitung<br />
[25] Müller, H.E. (1999) Das Dunkelfeld der <strong>Alkohol</strong>fahrten <strong>und</strong> die Atemalkoholmessung in § 24a Abs. 1 StVG.<br />
<strong>Blutalkohol</strong> 36, 313–328<br />
[26] Nickel, W.R., Jacobshagen, W., Winkler, W. (1985) Die Wirksamkeit von Kursen für wiederholt alkoholauffällige<br />
Kraftfahrer. ZVS, 2/1985, 67–74<br />
[27] Schade, F-D. (2005) Lebt gefährlich, wer <strong>im</strong> Verkehrszentralregister steht? Das Verkehrszentralregister als<br />
Prädiktor des habituellen Verkehrsrisikos. ZVS, 2005, Heft 1, 7–13<br />
[28] Scheucher, B., Eggerdinger, Ch., Aschersleben, G. (2002) 5 Jahre danach – Welche überdauernden Veränderungen<br />
werden durch eine Verkehrstherapie für alskoholauffällige Kraftfahrer erreicht? <strong>Blutalkohol</strong>, 39,<br />
154–173<br />
[29] Scheucher, B., Eggerdinger, Ch., Aschersleben, G. (2003) Lässt sich die Wirksamkeit von verkehrstherapeutischen<br />
Interventionsmaßnahmen prüfen? Eine Erwiderung auf die vorherige Stellungnahme von J. Jansen.<br />
<strong>Blutalkohol</strong>, 40, 15–19<br />
[30] Schubert, W., Schneider, W., Eisenmenger, W., Stephan, E. (20052) Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung.<br />
Kommentar. Bonn: Kirschbaum Verlag<br />
[31] Schubert, W., Reschke, K., Glaser, D., Kranich, U. (2007) Die Rollenkonfusion Therapeut vs. Gutachter –<br />
ein Beitrag zur Ethik in der (Verkehrs-)psychologie <strong>und</strong> (Verkehrs-) medizin. ZVS 53: 188–194<br />
[32] Schubert, W., Mattern, R. (2006) kriterien der Bewertung zukünftiger Modelle zur Begutachtung der körperlichen<br />
<strong>und</strong> geistigen Eignung von Kraftfahrzeugführern. Vortrag auf dem 1st International Traffic Expert<br />
Congress, Berlin, 3.–5. Mai 2006.<br />
[33] Schubert, W., Mattern, R. (2009) Urteilsbildung in der Medizinisch-Psychologischen Fahreignungsdiagnostik.<br />
Beurteilungskriterien. Bonn: Kirschbaum Verlag<br />
[34] Schülken, Th., Leisch, M., Sachse, R., Veltgens, U. (2006) Zur Wirksamkeit der verkehrspsychologischen<br />
Rehabilitationsprogramme CONTROL <strong>und</strong> REAL für alkoholauffällige Fahrer. ZVS, 4/2006, 194–201<br />
[35] Sohn, J-M., Meyer-Gramcko, F. (1998) Evaluation der Verkehrstherapie. ZVS, 1998/4, 170–173<br />
[36] Spoerer, E., Kratz, M. (1991) Vier Jahre Erfahrungen mit der Nachschulung von alkoholauffälligen Fahranfängern<br />
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[37] Stefan, E. (1984) Die Rückfallwahrscheinlichkeit bei alkoholauffälligen Kraftfahrern in der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik<br />
Deutschland. ZVS, 1/1984, 28–34<br />
[38] Stefan, E. (1989) Trunkenheitsdelikte <strong>im</strong> Verkehr <strong>und</strong> <strong>Alkohol</strong>missbrauch. <strong>Blutalkohol</strong>, 25, 201–227<br />
[39] Stefan, E., Funke, W., Tank, R., Follmann, W., Opitz, D. (1988) Wirksamkeit der Nachschulungskurse bei<br />
erstmals alkoholauffälligen Kraftfahrern – Bestandsaufnahme nach drei Jahren. Bereich Unfallforschung,<br />
Forschungsbericht Nr. 170 der BASt<br />
[40] Utzelmann, H.D. (1983) Rückfallquote von Teilnehmern an Kursen nach dem Modell „Mainz 77“. <strong>Blutalkohol</strong>,<br />
20 (5), 449–455<br />
[41] Vollrath, A., Kazenwadel, J. (1997) Das Dunkelfeld der Trunkenheitsfahrten. <strong>Blutalkohol</strong>, 34, 344–359<br />
[42] Winkler, W., Jacobshagen, W., Nickel, W.R. (1988) Wirksamkeit von Kursen für wiederholt alkoholauffällige<br />
Kraftfahrer. Herausgegeben <strong>im</strong> Auftrag des <strong>B<strong>und</strong></strong>esministers für Verkehr von der <strong>B<strong>und</strong></strong>esanstalt für<br />
Straßenwesen, Bereich Unfallforschung. ISBN: 3-86314-733-8<br />
[43] Winkler, W., Jacobshagen, W., Nickel, W.R. (1990a) Zur Langzeitwirkung von Kursen für wiederholt alkoholauffällige<br />
Kraftfahrer. Untersuchungen nach 60 Monaten Bewährungszeit. <strong>Blutalkohol</strong>, 27, 154–174<br />
[44] Winkler, W., Jacobshagen, W., Nickel, W.R. (1990b) Rückfälligkeit von Teilnehmern an Kursen für wiederholt<br />
alkoholauffällige Kraftfahrer nach fünf Jahren. Bericht zum Forschungsprojekt 7714/10 der BASt. Bergisch<br />
Gladbach, Januar 1991<br />
Anschrift des Verfassers<br />
Dipl. Psych. Dr. Harald Meyer<br />
Erlenweg 1<br />
96120 Bischberg<br />
Email: harald.meyer@uni-bamberg.de<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Meyer,<br />
Verkehrs-Intervention in Deutschland
Seiten 89–124<br />
Dokumentation I<br />
Dokumentation I<br />
48. Deutscher Verkehrsgerichtstag<br />
vom 27. bis 29. Januar 2010 in Goslar<br />
Bericht über die Eröffnungsveranstaltung <strong>und</strong> die Arbeitskreise<br />
„Veranstalter <strong>und</strong> Logo in neuem Gewande! Keine umwälzenden Neuerungen, aber eine<br />
konsequentere Ausrichtung auf die Ziele des Kongresses. Unter unserem neuen Namen<br />
„Deutscher Verkehrsgerichtstag – Deutsche Akademie für Verkehrswissenschaft – e. V.“<br />
veranstalten wir vom 27. bis 29. Januar 2010 den 48. Deutschen Verkehrsgerichtstag in<br />
Goslar.“ Diese Worte fand der Präsident des Deutschen Verkehrsgerichtstages KAY NEHM<br />
zur Begrüßung <strong>und</strong> bedankte sich dann bei dem Tagungspräsidenten vergangener Jahre,<br />
PROF. DR. FRIEDRICH DENCKER, für die Zusammenarbeit. Trotz der vereinsinternen Neuausrichtung<br />
soll es bei den bewährten Prinzipien <strong>und</strong> Regularien bleiben: Ein Meinungsaustausch<br />
aller am Verkehrsrecht interessierten Kreise „ohne einseitige Interessenvertretung“.<br />
In dem letzten Punkt sollte die Hoffnung allerdings getrübt werden, wie der weitere<br />
Bericht zeigen wird.<br />
In der Begrüßungsansprache ging NEHM wie gewohnt auf verschiedene Probleme des<br />
Verkehrsrechts ein. Ausführlich äußerte er sich zu dem aus § 81a Abs. 2 StPO resultierenden<br />
Richtervorbehalt <strong>im</strong> Rahmen einer Blutprobenentnahme. Ohne Not, so NEHM, lasse<br />
sich auf dieser neuen Spielwiese über Anordnungskompetenzen <strong>und</strong> Beweisverwertungsverbote<br />
streiten. „Ohne Not deshalb, weil der einfachrechtliche Richtervorbehalt weder<br />
vom Gr<strong>und</strong>gesetz diktiert, noch von verfassungswegen geboten ist. § 81a Abs. 2 StPO<br />
überlässt die Anordnung dem Polizeibeamten, wenn durch die Einschaltung des Richters<br />
eine Gefährdung des Untersuchungszwecks droht.“ Dies wiederum beurteile sich nach<br />
dem Zweck der Untersuchung, der exakten Feststellung der Fahruntüchtigkeit, <strong>und</strong> nach<br />
den Umständen des Einzelfalls. Hierbei verwies er <strong>im</strong> Hinblick auf die besondere Eilbedürftigkeit<br />
der Blutentnahme auf die bekannten Grenzbereiche von 1,1 ‰ <strong>und</strong> 1,6 ‰.<br />
Dann ging er auf die durch die Obergerichte herausgearbeiteten Vorgaben ein: Der Polizeibeamte<br />
vor Ort müsse sich die Frage stellen, „ob dem Procedere der richterlichen Entscheidung<br />
mit vorheriger Fertigung eines Vermerks, der Einschaltung des Staatsanwalts<br />
<strong>und</strong> den notwendigen Übermittlungswegen Vorrang vor der Genauigkeit der Feststellungen“<br />
einzuräumen ist. Sieht der Beamte hierbei eine Gefährdung des Untersuchungszwecks,<br />
bestehe regelmäßig kein Gr<strong>und</strong> zur Beanstandung. Allein aus dem Versäumnis, die Voraussetzungen<br />
der Anordnungsbefugnis nicht aktenk<strong>und</strong>ig gemacht zu haben, lasse sich<br />
ein Beweisverwertungsverbot aber schwerlich ableiten. Von einem gravierenden Verstoß,<br />
der zu einem Beweisverwertungsverbot führen würde, könne auch deshalb nicht die Rede<br />
sein, weil nicht ersichtlich sei, aus welchem Gr<strong>und</strong> ein Richter einem gestellten Antrag<br />
nicht hätte entsprechen sollen. Nach diesen Ausführungen kommt NEHM zu dem Ergebnis:<br />
„Demnach haben wir es … hier mit einer rechtsstaatlichen Arabeske zu tun, deren Nutzlosigkeit<br />
wenn schon nicht deutschen Oberrichtern, so doch zumindest dem Gesetzgeber<br />
Anlass zur alsbaldigen Korrektur geben sollte.“<br />
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Dann wandte sich NEHM dem „bunten Blech“ auf deutschen Straßen zu. Er sieht in den<br />
r<strong>und</strong> 20 Millionen Schildern aus dem Katalog von über 600 Verkehrszeichen eine drohende<br />
Überforderung des Kraftfahrers <strong>und</strong> begrüßt deshalb ausdrücklich die am 1. September<br />
2009 in Kraft getretene 46. Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, die sich<br />
„die Lichtung des Schilderwaldes zum Ziel gesetzt hat“.<br />
Zum Abschluss der Begrüßungsansprache überreichte er dem früheren Präsidenten des<br />
Deutschen Verkehrsgerichtstages, PROF. DR. PETER MACKE, die diesem von dem Veranstalter<br />
verliehene Goslar Medaille.<br />
Der Arbeitskreis I „Halterhaftung in Europa“ wurde geleitet von DR. HELMUT SEITZ, Leitender<br />
Ministerialrat <strong>im</strong> Bayerischen Staatsministerium der Justiz <strong>und</strong> für Verbraucherschutz,<br />
München, <strong>und</strong> beschäftigte sich insbesondere mit verfassungsrechtlichen Fragen<br />
in Bezug auf die Einführung der Halterhaftung in Deutschland. Spätestens seit dem Vorschlag<br />
für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments <strong>und</strong> des Rates zur Erleichterung<br />
der grenzüberschreitenden Durchsetzung von Verkehrssicherheitsvorschriften, der sog.<br />
Enforcement-Directive, stehe dieses Thema auch <strong>im</strong> Fokus deutscher Rechtspolitik, so der<br />
Referent PROF. DR. MICHAEL BRENNER, Universität Jena. In den Empfehlungen erteilte der<br />
Arbeitskreis diesem Vorhaben aber eine klare Absage: „2. Im Hinblick auf die Halterhaftung<br />
für Verstöße <strong>im</strong> fließenden Verkehr stellt der Arbeitskreis fest, dass deren Einführung<br />
verfassungsrechtliche Grenzen aufgezeigt sind. So verbietet der unabänderliche verfassungsrechtliche<br />
Gr<strong>und</strong>satz ,Keine Strafe ohne Schuld‘ die strafrechtliche oder auch nur<br />
strafrechtsähnliche Ahndung einer Tat ohne Schuld des Täters. Dies gilt auch für Bußgeldverfahren<br />
wegen Verstößen <strong>im</strong> Straßenverkehr. Diese Grenzen gelten nach der Lissabon-<br />
Entscheidung des <strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgerichts auch <strong>im</strong> Hinblick auf Rechtsakte der Europäischen<br />
Union.“ In der dritten Empfehlung formulierte der Arbeitskreis, dass eine<br />
Ausdehnung der Kostentragungspflicht nach § 25a StVG unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit<br />
aber gr<strong>und</strong>sätzlich möglich sei, um sich dann in Empfehlung Nummer fünf<br />
direkt an die <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung zu wenden: „Die <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung wird aufgefordert, europäischen<br />
Initiativen, die den oben aufgeführten Gr<strong>und</strong>sätzen widersprechen, ent<strong>gegen</strong>zutreten…“.<br />
Unter der Leitung von HERMANN MEYER, Geschäftsführer ERTICO, Brüssel wurden <strong>im</strong><br />
Arbeitskreis II das „Neue EU-Verkehrssicherheitsprogramm 2010 bis 2020“ Maßnahmen<br />
diskutiert, die aus deutscher Sicht einen Beitrag zur Verbesserung der Verkehrssicherheit<br />
in der Europäischen Union leisten können. Die konkreten Maßnahmen orientieren sich<br />
dabei an den Hauptunfallursachen Geschwindigkeit <strong>und</strong> <strong>Alkohol</strong> <strong>und</strong> konzentrieren sich<br />
auf die Handlungsfelder Mensch-Fahrzeug-Infrastruktur. Das fand auch Niederschlag in<br />
den Empfehlungen des Arbeitskreises (siehe hierzu den Informationsbeitrag „<strong>B<strong>und</strong></strong>esministerium<br />
plant neues Verkehrssicherheitsprogramm“ in diesem Heft).<br />
Die Arbeitskreise III <strong>und</strong> IV unter Leitung von PROF. DR. ANSGAR STAUDINGER, Universität<br />
Bielefeld, bzw. ANGELA DIEDRICHSEN, Richterin am <strong>B<strong>und</strong></strong>esgerichtshof, Karlsruhe, beschäftigten<br />
sich mit den Themen „Fahrgastrechte <strong>im</strong> Land- <strong>und</strong> Luftverkehr“ bzw. „Haushaltsführungsschaden“.<br />
PROF. DR. GEPPERT, Freie Universität Berlin, leitete den Arbeitskreis V „Ausnahmen<br />
vom Entzug der Fahrerlaubnis <strong>und</strong> vom Fahrverbot“. Europarechtliche Bezüge <strong>im</strong> Blick<br />
wurden hier verkehrspsychologische Aspekte <strong>und</strong> das Spannungsverhältnis zwischen Verkehrssicherheit<br />
<strong>und</strong> Erhaltung des Arbeitsplatzes thematisiert. DR. DR. JAN BACKMANN,<br />
Richter am Landgericht Kiel, stellte in seinem Referat ausdrücklich fest, dass sich durch<br />
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Dokumentation I
Dokumentation I<br />
die 2. EG-Führerscheinrichtlinie an der vor ihrem Inkrafttreten geltenden Rechtslage in<br />
Deutschland für die vorläufige <strong>und</strong> endgültige Entziehung der Fahrerlaubnis sowie die<br />
Fahrverbote gem. § 44 StGB <strong>und</strong> § 25 StVG nichts geändert hat. Diese Feststellung schlug<br />
sich dann so auch in der ersten Empfehlung des Arbeitskreises nieder. Ferner heißt es in<br />
dieser Empfehlung: „Der Strafrichter hat weiterhin die ihm aus Gründen des verfassungsrechtlichen<br />
Übermaßverbotes eingeräumten Möglichkeiten, für best<strong>im</strong>mte Arten von<br />
Kraftfahrzeugen nach § 69a Abs. 2 StGB Ausnahmen von der Sperrfrist zu gewähren,<br />
soweit dies mit Belangen der Verkehrssicherheit zu vereinbaren ist.“ Hier aber ergibt sich<br />
das Problem, dass nach der Umsetzung der 2. EG-Führerscheinrichtlinie die richterliche<br />
Entscheidung über die Ausnahme von der Sperrfrist nicht mehr ausgeführt werden kann,<br />
da in § 9 Fahrerlaubnisverordnung (FeV) die Verwaltungsbehörde eine entsprechend<br />
beschränkte Fahrerlaubnis nicht mehr erteilen darf. Aus diesem Gr<strong>und</strong>e wird vom Arbeitskreis<br />
dann weiter empfohlen: „2. … Um den strafrichterlichen Gestaltungsraum zu erhalten,<br />
empfiehlt der Arbeitskreis mit knapper Mehrheit, dem Strafrichter durch eine Änderung<br />
des § 69 StGB zu ermöglichen, bei endgültiger Entziehung der Fahrerlaubnis <strong>im</strong><br />
Urteil oder Strafbefehl best<strong>im</strong>mte Arten von Kraftfahrzeugen auszunehmen.“ Weiterhin<br />
appellieren die Teilnehmer an Bußgeldstellen <strong>und</strong> Strafrichter, zur Vermeidung von Existenzgefährdungen,<br />
insbesondere bei Regelfahrverboten, die Ausnahmemöglichkeiten<br />
stärker zu beachten. Die Empfehlung „4. Der Arbeitskreis empfiehlt dringend, die anerkannten<br />
Möglichkeiten, die die Verkehrspsychologie zur Einstellung, Verhaltensänderung<br />
<strong>und</strong> Eignungsbegutachtung anbietet, intensiver zu nutzen.“ führt uns zu dem von<br />
DIPL.-PSYCH. DR. HORST SCHULZ, <strong>B<strong>und</strong></strong>esanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach,<br />
geleiteten Arbeitskreis VI „,Idioten-Test‘ auf dem Prüfstand“. Einleitend wurde übereinst<strong>im</strong>mend<br />
festgestellt, dass die reißerische Bezeichnung der Medizinisch-Psychologischen<br />
Untersuchung (MPU) als „Idiotentest“ verfehlt <strong>und</strong> wohl nur der Tatsache größerer<br />
Öffentlichkeitswirksamkeit geschuldet sei. Größter Streitpunkt, auch in der sich an die<br />
Referate (in diesem Heft) anschließenden Diskussion, war das Problem der fehlenden<br />
Transparenz der Begutachtung, insbesondere der stattfindenden Exploration. HARALD<br />
GEIGER, Präsident des Verwaltungsgerichts München, führte dazu aus, dass sich eine mögliche<br />
Reform auf Ablauf <strong>und</strong> Dokumentation der Exploration beziehen sollte. Ton- <strong>und</strong><br />
Videoaufzeichnungen wären hilfreich <strong>und</strong> würden die Akzeptanz der MPU bei den<br />
Betroffenen <strong>und</strong> in der Bevölkerung allgemein erhöhen. Rechtsanwalt FRANK ROLAND<br />
HILLMANN unterstrich die Forderung seines Vorredners <strong>und</strong> verwies darauf, dass die Dokumentation<br />
auch dem Schutz der Prüfer vor unberechtigten Vorwürfen der Probanden<br />
diene. Weiterhin sollte, so HILLMANN, in allen Fällen, in denen eine MPU zu erfolgen hat,<br />
eine kombinierte Maßnahme in Form einer Langzeitschulung (verkehrspsychologische<br />
Schulung) mit Abschlussbegutachtung (MPU) eingeführt werden. „Dazu sollte während<br />
der Zeit der Entziehung der Fahrerlaubnis eine MPU-vorbereitende verkehrspsychologische<br />
Schulung zu absolvieren sein.“ Diese eigne sich auch als Bewährungsauflage oder<br />
als Auflage bei einer Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO (vgl. dazu HILLMANN,<br />
BA 2003, 114 ff.). Einen Weg in die Empfehlungen des Arbeitskreises fanden all diese<br />
Forderungen nicht.<br />
PROF. DR. WOLFGANG SCHUBERT, Berlin, stellte die fachlichen Gr<strong>und</strong>lagen (Akkreditierungsanforderungen,<br />
Begutachtungs-Leitlinien, Beurteilungskriterien etc.) <strong>und</strong> die Ausgangshypothesen<br />
in der Begutachtung dar <strong>und</strong> erörterte Alternativen <strong>und</strong> Reformvorschläge<br />
zur MPU (der ausführliche Beitrag erscheint <strong>im</strong> nächsten Heft).<br />
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Es schloss sich eine lebhafte Diskussion an, die die eingangs dargestellte Hoffnung des<br />
Präsidenten des Deutschen Verkehrsgerichtstages NEHM auf einen Meinungsaustausch<br />
ohne einseitige Interessenvertretung leider nicht erfüllte. Es wurde schnell klar, dass sich<br />
zwei Lager <strong>gegen</strong>überstehen – die überwiegende Mehrheit der anwesenden Psychologen<br />
konnte wohl nicht verstehen, dass es aus juristischer Sicht ein Bedürfnis gibt, die Untersuchung,<br />
insbesondere die Exploration, transparenter zu gestalten. Es musste in diesem Rahmen<br />
zwangsläufig der Eindruck entstehen, die anwesenden Psychologen wehren sich mit<br />
aller Macht <strong>gegen</strong> die Überprüfung ihrer Gutachten. Das allerdings war von den Juristen<br />
gar nicht gefordert worden. Es ging hier lediglich darum, die Nachprüfung der Exploration<br />
zu ermöglichen, wenn das erforderlich werden sollte.<br />
Die einhellige Forderung der anwesenden Juristen, die Exploration per Tonband oder<br />
Video zu dokumentieren, um diese wenn nötig konkret überprüfen zu können, sollte der<br />
Proband später behaupten, das Gutachten gehe von falschen Gr<strong>und</strong>lagen aus (das habe er<br />
nicht so gesagt, <strong>und</strong> anderes sei so nicht gemeint gewesen), wurde von der Mehrheit der<br />
anwesenden praktizierenden Psychologen zurückgewiesen. Es erfolge bereits eine Überprüfung<br />
der Mitschriften durch den Probanden direkt nach der Befragung <strong>und</strong> der Proband<br />
unterzeichne dann für die Richtigkeit. Eine Dokumentation sei also nicht erforderlich. Natürlich<br />
muss an dieser Stelle die Frage erlaubt sein, aus welchem Gr<strong>und</strong> sich viele Gutachter<br />
mit Händen <strong>und</strong> Füßen <strong>gegen</strong> die Dokumentation wehren. Selbst das vorgebrachte<br />
Argument der befürchteten Doppelbegutachtung greift zu kurz, wenn die Gutachten<br />
qualitativ tatsächlich so hochwertig sind, wie von den Psychologen dargestellt. Bei den<br />
heutigen Möglichkeiten der Datenspeicherung kann nur Unverständnis übrig bleiben über<br />
das Verschenken einer ganz einfachen Möglichkeit, hier für Klarheit <strong>und</strong> Transparenz zu<br />
sorgen. HILLMANN brachte es auf den Punkt als er, an die Psychologen <strong>im</strong> Arbeitskreis<br />
gerichtet, meinte: „Wir sprechen verschiedene Sprachen.“<br />
So blieb von den durchaus positiven Ansätzen der Diskussion in den Empfehlungen<br />
lediglich übrig:<br />
„1. Das System der medizinisch-psychologischen Begutachtung der Kraftfahrereignung<br />
ist ein wichtiges <strong>und</strong> bewährtes Instrument zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit<br />
<strong>und</strong> zur Erhaltung der Mobilität des Einzelnen.<br />
„2. Im Rahmen der Fahreignungsbegutachtung kommt der Exploration zentrale Bedeutung<br />
zu. Diese diagnostische Methode ist unter Berücksichtigung des aktuellen wissenschaftlichen<br />
Erkenntnisstandes weiterhin kontinuierlich zu verbessern.<br />
„3. Die Zulassung von Testverfahren <strong>im</strong> Rahmen der Fahreignungsbegutachtung sollte<br />
geregelt werden. Die Prüfung der Güte der Testverfahren soll durch ein unabhängiges<br />
wissenschaftliches Gremium anhand eines angemessenen Testbeurteilungssystems<br />
erfolgen.<br />
„4. Die Wirksamkeit von Maßnahmen zur Überprüfung der Fahreignung sollte regelmäßig<br />
wissenschaftlich überprüft <strong>und</strong> die Ergebnisse sollten veröffentlicht werden.<br />
„5. Rehabilitationsmaßnahmen zur Verbesserung der Eignungsvoraussetzungen sollten<br />
möglichst frühzeitig eingeleitet <strong>und</strong> deren Erfolg durch eine Fahreignungsbegutachtung<br />
überprüft werden.<br />
„6. Die Anbieter der unter Punkt 5 genannten Maßnahmen sollten ebenfalls einem Qualitätssicherungssystem<br />
unterliegen <strong>und</strong> in keinem wirtschaftlichen <strong>und</strong> personellen<br />
Zusammenhang mit den Begutachtungsstellen stehen.<br />
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Dokumentation I
Dokumentation I<br />
„7. Die Voraussetzungen für die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung<br />
sind <strong>im</strong> Straßenverkehrsgesetz <strong>und</strong> in der Fahrerlaubnis-Verordnung teilweise<br />
unklar formuliert. Der Gesetzgeber wird aufgefordert, die entsprechenden<br />
Vorschriften zu reformieren.“<br />
Und nun mag man sich bei der Lektüre der Empfehlungen w<strong>und</strong>ern, wo die „Transparenz<br />
der Exploration“ geblieben ist? Noch <strong>im</strong> Jahre 2003 hatte sie es in die Empfehlungen<br />
des Arbeitskreises III „Zweifel an der Fahreignung“ geschafft: „2. Akzeptanz <strong>und</strong> Transparenz<br />
der Fahreignungsbegutachtung können durch das Angebot von Tonbandmitschnitten<br />
weiter verbessert werden.“<br />
Auf Nachfrage in der Pressekonferenz äußerte sich der Leiter des Arbeitskreises,<br />
PROF. DR. EISENMENGER, München, missgest<strong>im</strong>mt: Er sei tief enttäuscht über das Abst<strong>im</strong>mungsergebnis,<br />
das von Vertretern psychologischer Berufsgruppen „unterlaufen“ worden<br />
sei. Die Forderung der praktizierenden Juristen, die Exploration auf Tonband zu dokumentieren,<br />
sei von den Psychologen „torpediert“ worden, die Juristen seien „niedergest<strong>im</strong>mt“<br />
worden. „Alle Ansätze zu einer Verbesserung werden unterlaufen. Das ist mangelnde<br />
Selbstkritik von Leuten, die andere beurteilen wollen.“ Es gelte, dem Lobbyismus<br />
in den Arbeitskreisen <strong>und</strong> bei den Abst<strong>im</strong>mungen ent<strong>gegen</strong>zuwirken (ausführlich zu<br />
dieser Problematik bereits: HALECKER/NATHOW, BA 2006, 93, 96; SCHEFFLER, BA 2005,<br />
116, 119).<br />
Im Arbeitskreis VII beschäftigten sich die Teilnehmer unter der Leitung von PROF. DR.<br />
HEINZ SCHÖCH, Ludwig-Max<strong>im</strong>ilians-Universität München, mit dem „Unfallrisiko ,junge<br />
Fahrer‘“. Der Arbeitskreis hatte sich zum Ziel gesetzt, eine Ursachenanalyse zu betreiben,<br />
eine Bilanz bisheriger Maßnahmen zu ziehen <strong>und</strong> neue Lösungsansätze aufzuzeigen. Hervorzuheben<br />
sind an dieser Stelle die Ausführungen von PROF. DR. DIETMAR STURZBECHER,<br />
Universität Potsdam, der verschiedene Maßnahmen des letzten Jahrzehnts <strong>gegen</strong>überstellte:<br />
Danach wurden <strong>im</strong> Jahr 1999 die Probezeitregelungen für Fahranfänger verschärft. Ein<br />
Rückgang der durch junge Fahrer verursachten Verkehrsunfälle sei allerdings nicht erkennbar.<br />
Auch durch das <strong>im</strong> Jahr 2004 eingeführte Modellprojekt „Fortbildungsseminar<br />
für Fahranfänger“ seien weder nennenswerte Einstellungsänderungen junger Fahrer noch<br />
eine Sicherheitswirksamkeit der Maßnahme zu belegen. Allerdings habe sich das 2007<br />
eingeführte absolute <strong>Alkohol</strong>verbot für Fahranfänger während der Probezeit <strong>und</strong> bis zur<br />
Vollendung des 21. Lebensjahres bewährt. Auch das Modellprojekt „Begleitetes Fahren ab<br />
17“ wirke sich positiv aus. Es sei eine deutliche Verringerung des Unfall- <strong>und</strong> Deliktsrisikos<br />
sowie eine hohe Akzeptanz bei der angesprochenen Zielgruppe erkennbar. Diese<br />
Ausführungen schlugen sich dann auch in den Empfehlungen des Arbeitskreises nieder.<br />
Darauf aufbauend werden dann neue Ansätze zur Verringerung des Unfallrisikos „junge<br />
Fahrer“ (weitere Verbesserung der erzieherischen Präventionsarbeit, verstärkte Nutzung<br />
„technischere Intelligenzen“) empfohlen. Weiterhin drängte der Arbeitskreis auf eine Verbesserung<br />
der technischen Ausstattung der Kraftfahrzeuge junger Fahrer. Immerhin seien<br />
über die Hälfte dieser Fahrer mit Fahrzeugen unterwegs, die älter sind als acht Jahre <strong>und</strong><br />
bei denen 80 % gravierende Sicherheitsmängel aufwiesen. Aus diesem Gr<strong>und</strong>e sei es geboten,<br />
die hohe Quote mängelbehafteter älterer Kraftfahrzeuge bei jungen Fahrern drastisch<br />
zu reduzieren (Empfehlung 3c)).<br />
Der „Schifffahrtsarbeitskreis“ VIII thematisierte in diesem Jahr „Neue Haftungs- <strong>und</strong><br />
Entschädigungsregelungen in der Schifffahrt“. Auch in diesem, von PROF. DR. DR. H. C.<br />
PETER EHLERS, <strong>B<strong>und</strong></strong>esamt für Seeschifffahrt <strong>und</strong> Hydrographie, Hamburg, geleiteten<br />
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Arbeitskreis war die europarechtliche Schwerpunktsetzung deutlich <strong>und</strong> schlug sich auch<br />
in den umfangreichen Empfehlungen nieder.<br />
Statt des traditionellen Schlussvortrages fand sich erstmalig <strong>im</strong> Programm des Verkehrsgerichtstages<br />
der sog. „Nachschlag“ – ein Streitgespräch über ein aktuelles Thema,<br />
das erst kurzfristig bekannt gegeben wurde. Über „Nun auch bei uns – Maut für PKW?“ diskutierten<br />
unter der Moderation von KARL-DIETER MÖLLER, ARD-Fernsehredaktion Recht<br />
<strong>und</strong> Justiz, Karlsruhe, NICOLE RAZAVI (CDU), MdL, Stuttgart, <strong>und</strong> ULRICH KLAUS BECKER,<br />
ADAC-Vizepräsident für Verkehr, München. Dieses „Exper<strong>im</strong>ent“, so der Präsident des<br />
Deutschen Verkehrsgerichtstages KAY NEHM auf der abschließenden Pressekonferenz, sei<br />
gut verlaufen. Ob es sich etablieren wird, oder ob man zum bewährten Schlussvortrag<br />
zurückkehrt, wird der 49. Verkehrsgerichtstag vom 26. bis 28. Januar 2011 in Goslar zeigen.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Dokumentation I<br />
Rechtsanwalt Dan Benjamin, Schwedt/Oder
Dokumentation I<br />
Arbeitskreis VI:<br />
„Idiotentest“ auf dem Prüfstand<br />
HARALD GEIGER<br />
Die medizinisch-psychologische Untersuchung: Untersuchungs -<br />
anlässe, inhaltliche Anforderungen, Reformansätze * )<br />
I. Wesentliche Untersuchungsanlässe<br />
Das Straßenverkehrsgesetz <strong>und</strong> die Fahrerlaubnisverordnung sehen an vielen Stellen 1 )<br />
Rechtsgr<strong>und</strong>lagen für die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung 2 )<br />
vor. Nicht alle erweisen sich von ihren Voraussetzungen her als rechtlich unproblematisch.<br />
Die wichtigsten sollen <strong>im</strong> Folgenden beschreiben werden.<br />
1. <strong>Alkohol</strong><br />
Der häufigste Anlass für die Anordnung einer MPU ist <strong>Alkohol</strong>missbrauch. Ausgangspunkt<br />
für die Frage, ob bei <strong>Alkohol</strong>missbrauch ein Fahreignungsgutachten verlangt werden<br />
kann, ist § 13 Nr. 2 lit. a) FeV. Nach dieser Best<strong>im</strong>mung ist eine MPU anzufordern,<br />
wenn sich aus einem nach § 13 Nr. 1 FeV angeordneten ärztlichen Gutachten zwar keine<br />
Abhängigkeit von <strong>Alkohol</strong> ergibt, aber Anzeichen für einen <strong>Alkohol</strong>missbrauch vorliegen<br />
oder sonst Tatsachen die Annahme hierfür begründen. Im Regelfall genügt dabei eine<br />
psychologische Untersuchung, weil eine zweifache ärztliche Untersuchung nur in seltenen<br />
Fällen objektiv nötig ist 3 ). Nr. 8.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung enthält keine<br />
abschließende Definition des Begriffs <strong>Alkohol</strong>missbrauch. Der Hinweis auf die fehlende<br />
Fähigkeit, Trinken <strong>und</strong> Fahren trennen zu können, ist nicht dahin zu verstehen, es müsse<br />
bereits zu einer Trunkenheitsfahrt gekommen sein. Nach zutreffender Ansicht genügt auch<br />
ein „privater <strong>Alkohol</strong>missbrauch“, wenn dieser in einem inneren Zusammenhang mit dem<br />
Straßenverkehr steht 4 ). Das ist etwa anzunehmen, wenn ein Dauerkonflikt zwischen <strong>Alkohol</strong>konsum<br />
<strong>und</strong> Nüchternheitsgebot vorliegt 5 ).<br />
Eine MPU ist nach § 13 Nr. 2 lit. b) FeV dann nötig, wenn wiederholt Zuwiderhandlungen<br />
<strong>im</strong> Straßenverkehr unter <strong>Alkohol</strong>einfluss begangen wurden. Das setzt mindestens<br />
zwei verwertbare, aktenk<strong>und</strong>ige Verstöße voraus. Eine Zuwiderhandlung <strong>gegen</strong> § 24 c<br />
StGB bleibt nach § 13 S. 2 FeV außer Betracht. Dabei sind die Tilgungsvorschriften des<br />
§ 29 Abs. 2 StVG zu beachten. Ist eine Zuwiderhandlung getilgt oder tilgungsreif, ist der<br />
Betreffende zu behandeln, als ob die Tat nie geschehen wäre. Das ist in § 29 Abs. 8 S. 1<br />
StVG zwar nur für gerichtliche Entscheidungen ausdrücklich ausgesprochen, gilt aber als<br />
allgemeiner Gr<strong>und</strong>satz auch für andere der Tilgung unterliegende Vorgänge.<br />
Nach § 13 Nr. 2 lit. c) FeV ordnet die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines medizinisch-psychologischen<br />
Gutachtens an, wenn ein Fahrzeug <strong>im</strong> Straßenverkehr mit einer<br />
<strong>Blutalkohol</strong>konzentration von 1,6 ‰ <strong>und</strong> mehr (oder einer entsprechenden Atemalkoholkonzentration)<br />
geführt wurde. Es muss sich nicht um ein Kraftfahrzeug gehandelt haben;<br />
es genügt auch eine Verkehrsteilnahme mit einem anderen Fahrzeug 6 ). Der Gr<strong>und</strong> hierfür<br />
* ) Langfassung des Vortrags des Verfassers <strong>im</strong> Rahmen des Arbeitskreises VI des Deutschen Verkehrsgerichtstags<br />
2010 in Goslar.<br />
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liegt in der Erkenntnis, dass der so genannte Geselligkeitstrinker alkoholische Getränke<br />
allenfalls bis zu einem <strong>Blutalkohol</strong>wert von 1,0 oder 1,3 Promille verträgt oder zu sich<br />
nehmen kann, <strong>und</strong> dass Personen, die <strong>Blutalkohol</strong>werte von über 1,6 Promille erreichen,<br />
regelmäßig an einer dauerhaft ausgeprägten <strong>Alkohol</strong>problematik leiden 7 ).<br />
Ein medizinisch-psychologisches Gutachten ist nach § 13 Nr. 2 lit. d) FeV auch dann zu<br />
fordern, wenn die Fahrerlaubnis bereits einmal aus einem der vorstehend genannten Gründe<br />
entzogen worden ist. Das Gleiche gilt schließlich, wenn sonst zu klären ist, ob <strong>Alkohol</strong>missbrauch<br />
nicht mehr besteht oder eine Abhängigkeit überw<strong>und</strong>en wurde (§ 13 Nr. 2<br />
lit. e) FeV).<br />
Die Reichweite von § 13 Nr. 2 lit. a) FeV <strong>und</strong> sein Verhältnis zu anderen Rechtsgr<strong>und</strong>lagen<br />
zur Beibringung einer MPU sind umstritten. Die Auslegung der Vorschrift hat sich<br />
am Gesamtzusammenhang der Vorschrift des § 13 Nr. 2 FeV zu orientieren. Weder die<br />
Sys tematik noch der Sinn <strong>und</strong> Zweck dieser Best<strong>im</strong>mung lässt den Schluss zu, dass § 13<br />
Nr. 2 lit. a) FeV die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
in allen Fallkonstellationen erlauben würde, die von den Buchstaben b) bis e) nicht<br />
erfasst werden. Vielmehr ist § 13 Nr. 2 FeV so zu verstehen, dass er in seinen Buchstaben<br />
a) bis e) gr<strong>und</strong>sätzlich voneinander unabhängige Fälle normiert, in denen wegen ähnlich<br />
gewichtiger Hinweise auf eine alkoholbedingte Straßenverkehrsgefährdung die Anforderung<br />
eines medizinisch-psychologischen Gutachtens als erforderlich anzusehen ist 8 ). Der<br />
Gesetzgeber hat mit den Regelungen in § 13 Nr. 2 FeV gezeigt, dass der <strong>Alkohol</strong>genuss<br />
auch in schädlich großen Mengen solange er nicht in wenigstens mittelbarem Zusammenhang<br />
mit dem Straßenverkehr steht, die Fahreignung nicht ausschließt 9 ). Aus den Regelungen<br />
der § 13 Nr. 2 lit. b) <strong>und</strong> c) FeV folgt, dass nach dem Willen des Verordnungsgebers<br />
ein einmaliges Fahren unter <strong>Alkohol</strong>einfluss erst dann die Anordnung eines medizinischpsychologischen<br />
Gutachtens rechtfertigt, wenn dabei eine <strong>Blutalkohol</strong>konzentration von<br />
1,6 Promille oder mehr nachgewiesen wurde. Es ist daher nicht zulässig schon bei einmaligen<br />
<strong>Alkohol</strong>fahrten mit niedrigeren <strong>Blutalkohol</strong>konzentrationen eine MPU zu verlangen<br />
10 ).<br />
Zu klären ist das Verhältnis von § 13 FeV zu § 11 Abs. 3 S. 1 FeV. Richtigerweise wird<br />
man hier die letztgenannten Vorschriften zur Anordnung einer MPU als subsidär anzusehen<br />
haben 11 ). Dafür spricht schon § 11 Abs. 3 S. 2 FeV. Das bedeutet etwa, dass eine Trunkenheitsfahrt<br />
nach § 316 StGB mit weniger als 1,6 ‰ nicht als eine erhebliche Straftat <strong>im</strong><br />
Zusammenhang mit dem Straßenverkehr <strong>im</strong> Sinne von § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 FeV angesehen<br />
werden kann, um auf dieser Gr<strong>und</strong>lage eine MPU zu fordern.<br />
Die vorstehend skizzierten Unklarheiten wirken sich auf alle Betroffenen nachteilig aus.<br />
Eine baldige Reform durch den Gesetzgeber ist geboten.<br />
2. <strong>Drogen</strong><br />
Die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens kann nach § 14 Abs. 1 S. 4<br />
FeV gefordert werden, wenn eine gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliegt <strong>und</strong> weitere<br />
Tatsachen die Zweifel an der Eignung begründen. Wann das der Fall ist, lässt sich<br />
unter Rückgriff auf die Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung beantworten. Das ist ins -<br />
besondere anzunehmen, wenn keine strikte Trennung von Cannabiskonsum <strong>und</strong> Fahren<br />
möglich ist. Legen Tatsachen den Schluss auf regelmäßige Einnahme von Cannabis nahe,<br />
ist nach § 14 Abs. 1 Nr. 2 FeV eine MPU anzuordnen. Regelmäßige Einnahme ist bei täg-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Dokumentation I
Dokumentation I<br />
lichem oder nahezu täglichem Cannabiskonsum anzunehmen 12 ). Gelegentliche Einnahme<br />
ist jede dahinter zurückbleibende, nach überwiegender Meinung in der Rechtsprechung 13 )<br />
nicht aber ein einmaliger Konsum.<br />
Die bestehenden Zweifelsfragen müssten den Gesetzgeber auf den Plan rufen, denn es ist<br />
nicht zu erwarten, dass die Rechtsprechung all das klärt, was er zu regeln verabsäumt hat.<br />
3. Mehrfachtäter<br />
Das Mehrfachtäter-Punktsystem des § 4 StVG sieht eine Anordnung einer medizinischpsychologischen<br />
Untersuchung dann vor, wenn die Fahrerlaubnis wegen Erreichens von<br />
18 Punkten oder mehr (§ 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 StVG) entzogen wurde; hier wird vor einer<br />
Neuerteilung <strong>im</strong> Regelfall die Vorlage eines – positiven – Fahreignungsgutachten vorangehen<br />
müssen (§ 4 Abs. 10 S. 3 StVG). Das Punktsystem findet gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2<br />
StVG keine Anwendung, wenn sich die Notwendigkeit früherer oder anderer Maßnahmen<br />
aufgr<strong>und</strong> anderer Vorschriften, insbesondere der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3<br />
Abs. 1 StVG, ergibt; hier kann gemäß § 11 Abs. 3 Nr. 4 FeV eine MPU verlangt werden.<br />
Wann das möglich ist, ist weitgehend ungeklärt 14 ). Bei Fahranfängern ist anstelle der sonst<br />
vorgesehenen Maßnahmen eine medizinisch-psychologische Untersuchung anzuordnen,<br />
wenn der Betreffende während der Probezeit Verkehrszuwiderhandlungen begangen hat,<br />
die nach den Umständen des Einzelfalls Anlass zu der Annahme geben, dass Fahrungeeignetheit<br />
vorliegt. Bei einer Fahrerlaubnisentziehung nach § 2a Abs. 3 S. 1 Nr. 3 StVG ist vor<br />
einer Wiedererteilung nach § 2a Abs. 5 S. 5 StVG regelmäßig eine Begutachtung in einer<br />
amtlich anerkannten Begutachtungsstelle anzuordnen. Auch hier besteht noch erheblicher<br />
Klärungsbedarf. Ein Tätigwerden des Gesetzgebers ist unumgänglich.<br />
II. Anforderungen an eine MPU<br />
Die verwaltungsgerichtliche Praxis zeigt, dass in nicht wenigen Fällen medizinischpsychologische<br />
Gutachten Schwachpunkte aufweisen; nicht alle davon werden von der<br />
Rechtsprechung akzeptiert.<br />
1. Fragestellung (§ 11 Abs. 6 S. 1 <strong>und</strong> 4 FeV)<br />
Nach § 11 Abs. 6 S. 1 FeV legt die Behörde in ihrer Anordnung die Fragen fest, die <strong>im</strong><br />
Rahmen der Begutachtung beantwortet werden sollen 15 ). Durch den Hinweis, dass dabei<br />
die Besonderheiten des Einzelfalls zu würdigen sind, ist sichergestellt, dass keine pauschalen<br />
Fragen gestellt werden dürfen, also nicht „ins Blaue hinein“ ermittelt wird. Das<br />
verbietet es etwa, dass <strong>und</strong>ifferenziert nach dem Vorliegen von Krankheiten oder Mängeln<br />
nach den Anlagen 4 <strong>und</strong> 5 zur FeV gefragt wird. Die Fragestellung muss dem Betreffenden<br />
mitgeteilt werden. Zwar schreibt das § 11 Abs. 6 S. 2 FeV nicht ausdrücklich vor; aus Sinn<br />
<strong>und</strong> Zweck der Vorschrift ist das aber geboten 16 ). Denn der Adressat muss wissen, was<br />
genau von ihm verlangt wird; er trägt schließlich das Risiko, dass die Behörde bei einer<br />
Weigerung auf § 11 Abs. 8 FeV zurück greift 17 ). Durch die Wendung, in der Anordnung zur<br />
Beibringung eines Gutachtens müsse festgelegt werden, „welche Fragen“ <strong>im</strong> Hinblick auf<br />
die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind, wird klargestellt,<br />
dass es nicht genügt, lediglich auszusprechen, es sei die Kraftfahreignung einer best<strong>im</strong>mten<br />
Person zu untersuchen. Die Gutachtensanordnung hat zu best<strong>im</strong>men, was genau<br />
in der konkreten Sachverhaltsgestaltung Gegenstand der Überprüfung der Fahreignung<br />
97<br />
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98<br />
sein soll. Die Spezifizierung des Beweisthemas darf nicht dem eingeschalteten Sachverständigen<br />
oder der Begutachtungsstelle überlassen werden, sondern obliegt der Fahrerlaubnisbehörde.<br />
Nach § 11 Abs. 6 S. 4 FeV teilt die Fahrerlaubnisbehörde der untersuchenden Stelle mit,<br />
welche Fragen <strong>im</strong> Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zu klären sind. Die bei der<br />
Anforderung eines Fahreignungsgutachtens dem Betroffenen <strong>und</strong> die dem Gutachter<br />
<strong>gegen</strong>über aufgestellten Vorgaben müssen identisch sein. Eine Diskrepanz zwischen der<br />
gemäß § 11 Abs. 6 S. 1 FeV festgelegten <strong>und</strong> der nach § 11 Abs. 6 S. 4 FeV dem Gutachter<br />
mitgeteilten Fragestellung rechtfertigt dann die Aufhebung eines auf § 11 Abs. 8 S. 1<br />
FeV gestützten Entziehungsbescheids, wenn die Abweichung geeignet war, Rechte des<br />
Betroffenen zu beeinträchtigen; nur unter dieser Voraussetzung entfällt die Befugnis der<br />
Behörde, aus der Nichtvorlage des angeforderten Fahreignungsgutachtens gemäß § 11<br />
Abs. 8 S. 1 FeV auf die Nichteignung des Betroffenen zu schließen.<br />
Der Gutachter ist an die ihm übermittelten Fragen geb<strong>und</strong>en. Er darf die ihn der Mitteilung<br />
der Fahrerlaubnisbehörde formulierten Fragen nicht verändern 18 ). Geschieht das,<br />
liegt hierin eine Missachtung der Nummer 1 lit. a) Satz 2 der Anlage 15 zur Fahrerlaubnis-<br />
Verordnung, was zur Unverwertbarkeit des Gutachtens führt.<br />
Bei der Festlegung der Fragestellung ist vor allem bei medizinischen Sachverhalten darauf<br />
zu achten, dass für die Beantwortung der selbe Sachverständige „zuständig“ ist; denn<br />
es ist auch Aufgabe der Behörde, die Art des Gutachters 19 ) zu best<strong>im</strong>men (§ 11 Abs. 2<br />
S. 3 FeV). Insbesondere bei Mehrfacherkrankungen kommen verschiedene Fachärzte<br />
(§ 11 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 FeV) in Betracht. Besteht etwa eine – altersbedingte – Schwerhörigkeit<br />
(Nr. 2.1 der Anlage 4 zur FeV) <strong>und</strong> gibt es zusätzliche Hinweise auf Altersdemenz<br />
(Nr. 7.3 der Anlage 4 zur FeV), sind Gutachten verschiedener Fachärzte einzuholen. Nicht<br />
möglich ist es, bei Anforderung eines ärztlichen Gutachtens wegen Hinweisen auf <strong>Alkohol</strong>abhängigkeit<br />
(Nr. 8.3 der Anlage 4 zur FeV) zusätzlich zu fragen, ob <strong>Alkohol</strong>missbrauch<br />
(Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV) betrieben wird. Denn für die letztgenannte Fragestellung<br />
ist nicht – isoliert – ein Arzt zuständig, sondern eine Begutachtungsstelle für<br />
Fahreignung (§ 13 S. 1 Nr. 2 lit. a) FeV).<br />
Nach § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 FeV kann bei einem erheblichen Verstoß oder wiederholten<br />
Verstößen <strong>gegen</strong> verkehrsrechtliche Vorschriften eine MPU verlangt werden. Dabei stellt<br />
sich die Frage nach der Verwertbarkeit der Verurteilungen. Insofern darf die Gutachtensaufforderung<br />
wegen des umfassenden Verwertungsverbotes nach § 29 Abs. 8 Satz 1 StVG<br />
keine nicht verwertbaren Taten enthalten, da es nicht dem Gutachter überlassen bleiben<br />
kann, zu best<strong>im</strong>men, welche Taten der Beurteilung noch zu Gr<strong>und</strong>e gelegt werden dürfen.<br />
Das ist ausschließlich Sache der Fahrerlaubnisbehörde.<br />
Die <strong>im</strong> Zusammenhang mit § 11 Abs. 6 FeV entstandenen Probleme werden sich nicht<br />
abschließend von den Verwaltungsgerichten lösen lassen. Es wäre sinnvoll, die zu den<br />
wichtigsten Untersuchungsanlässen relevanten Fragestellungen festzulegen; denkbar wäre<br />
hier eine – weitere – Anlage zur FeV.<br />
2. Inhaltliche Anforderungen an ein MPU – Gutachten<br />
Die Anforderungen, denen die Gutachten genügen müssen, sind in § 11 Abs. 5 FeV <strong>und</strong><br />
der Anlage 15 zur Fahrerlaubnisverordnung enthalten 20 ). Nach Nr. 2 lit. a) der Anlage 15<br />
müssen sie in allgemeinverständlicher Form abgefasst sein. Die Ergebnisse sind so zu be-<br />
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Dokumentation I
Dokumentation I<br />
gründen, dass sie nachvollzogen <strong>und</strong> nachgeprüft werden können. Nachvollziehbarkeit bedeutet<br />
in erster Linie, dass der Sachverständige die Tatsachen anzugeben hat, auf denen<br />
seine Schlussfolgerungen beruhen; es müssen alle wesentlichen Bef<strong>und</strong>e aufgeführt werden.<br />
Die Nachprüfbarkeit bezieht sich auf die Wissenschaftlichkeit der Begutachtung. Sie<br />
erfordert, dass die Untersuchungsverfahren, die zu den Bef<strong>und</strong>en geführt haben, angegeben<br />
<strong>und</strong>, soweit die Schlussfolgerungen auf Forschungsergebnisse gestützt wurden, die<br />
entsprechenden F<strong>und</strong>stellen zitiert werden. Diese Anforderungen gelten sowohl für den<br />
medizinischen als auch den psychologischen Teil der Untersuchung. Die Anforderungen<br />
an die Ärzte <strong>und</strong> Psychologen, die sie durchführen dürfen sind hoch; auf die Anlage 14 zur<br />
FeV kann hier verwiesen werden. Insbesondere ist festzustellen, dass die von der <strong>B<strong>und</strong></strong>esanstalt<br />
für Straßenwesen akkreditierten Untersuchungsstellen – <strong>und</strong> nur diese sind zur<br />
Durchführung einer MPU berechtigt – zu einem regelmäßigen b<strong>und</strong>esweiten Erfahrungsaustausch<br />
verpflichtet sind. Auf diese Weise ist weitgehend sicher gestellt, dass die Ergebnisse<br />
der MPU valide sind.<br />
Der medizinische Teil hat die Ergebnisse der körperlichen Untersuchung des Probanden<br />
zu enthalten. Das bedeutet etwa bei der Feststellung einer Abhängigkeit von <strong>Alkohol</strong>, <strong>Drogen</strong><br />
oder Medikamenten, dass die Gesichtspunkte, die dieser Diagnose zugr<strong>und</strong>e liegen,<br />
<strong>im</strong> Einzelnen dargelegt werden. Bei <strong>Drogen</strong>auffälligen muss das Ergebnis eines Screenings<br />
mitgeteilt werden; dabei ist auch anzugeben, unter welchen Umständen die Probe<br />
genommen wurde. Denn nur bei einer unter Aufsicht genommenen Probe, deren Zeitpunkt<br />
für den Betreffenden nicht vorhersehbar war, ist das Ergebnis verwertbar. Bei Begutachtung<br />
wegen <strong>Alkohol</strong>delikten sind die Laborwerte anzugeben. Bei Auffälligkeiten in diesen<br />
Bereichen müssen diese beschrieben <strong>und</strong> etwaige Erklärungen für die Abweichung von<br />
Normwerten diskutiert werden.<br />
Werden Leistungstests durchgeführt, ist deren Ablauf zu schildern <strong>und</strong> die Ergebnisse,<br />
sofern sich diese nicht von selbst erschließen, sind zu erläutern 21 ). Das kann unmittelbar in<br />
Anschluss an die Wiedergabe des Testverlaufs geschehen oder in einem Anhang zum Gutachten.<br />
Der wesentliche Inhalt des psychologischen Untersuchungsgesprächs muss mitgeteilt<br />
werden. Dabei ist nicht erforderlich, dass dieses in wörtlicher Rede dargestellt wird. Es genügt<br />
auch eine Zusammenfassung in indirekter Rede 22 ). Es empfiehlt sich aber, die Äußerungen<br />
des Betreffenden, auf die letztlich die abschließende Bewertung gestützt wird,<br />
wörtlich zu zitieren; das erhöht die Transparenz des Gutachtens. Wird das Ergebnis mit<br />
Zweifeln an der Glaubwürdigkeit des Probanden begründet, müssen die Beobachtungen<br />
nonverbaler Art <strong>im</strong> Gutachten wiedergegeben werden. Dass diese Anforderungen der geltenden<br />
Rechtslage entsprechen, ist anerkannt; gleichwohl sind die derzeitigen Verhältnisse<br />
Anlass für eine nicht zu überhörende Kritik, so dass insoweit Reformbedarf besteht.<br />
3. Verstoß <strong>gegen</strong> Trennungsgr<strong>und</strong>satz (Trennung Schulung/Begutachtung)<br />
Mit Wirkung vom 1. Juli 2009 23 ) wurde die Anlage 15 zur FeV geändert. Danach darf<br />
ein – medizinischer oder psychologischer – Gutachter keine Fahreignungsuntersuchung<br />
durchführen, wenn er mit Unternehmen oder sonstigen Institutionen vertraglich verb<strong>und</strong>en<br />
ist, die Personen hinsichtlich der typischen Fragestellungen bei einer MPU beraten, betreuen,<br />
behandeln oder auf die Begutachtung vorbereiten, oder die Kurse zur Wiederherstellung<br />
der Kraftfahreignung anbieten. Der Gesetzgeber hat es dabei versäumt klarzustellen,<br />
welche Folgen ein Verstoß <strong>gegen</strong> den Trennungsgr<strong>und</strong>satz hat. Es gibt bisher keine<br />
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Judikate, ob <strong>und</strong> wie sich ein Verstoß rechtlich auswirkt, insbesondere ob ein medizinischpsychologisches<br />
Gutachten fehlerhaft <strong>und</strong> damit nicht verwertbar ist. Man wird das wohl<br />
bejahen müssen. Sinn der Regelung ist, die Neutralität <strong>und</strong> Objektivität des Gutachters<br />
sicher zu stellen; es soll verhindert werden, dass ein Klient, der bei der entsprechenden Ins -<br />
titution einen Kurs besucht hat, anders behandelt wird als einer, der das unterlassen hat. Es<br />
spricht also bei einem Verstoß <strong>gegen</strong> den Trennungsgr<strong>und</strong>satz einiges dafür anzunehmen,<br />
dass das Gutachten nicht unbeeinflusst erstellt wurde <strong>und</strong> deshalb eine Vermutung für<br />
seine Unrichtigkeit spricht. Es besteht auch keine Möglichkeit zu prüfen, ob das Gutachten<br />
anders ausgefallen wäre, wenn der Betreffende das Schulungsangebot wahrgenommen<br />
bzw. nicht wahrgenommen hätte. Ein unter Verstoß <strong>gegen</strong> Nr. 4 der Anlage 15 zur FeV zustande<br />
gekommenes Gutachten darf deshalb weder von der Fahrerlaubnisbehörde noch<br />
vom Verwaltungsgericht anerkannt werden. Eine gesetzliche Klarstellung wäre angezeigt.<br />
III. Auswirkungen auf das Verwaltungsstreitverfahren<br />
Bei Erstellung eines Fahreignungsgutachtens sind die Verwaltungsgerichte anders als<br />
die Fahrerlaubnisbehörden nicht auf eine amtlich anerkannte Begutachtungsstelle für Fahreignung<br />
beschränkt. Hier gilt vielmehr gemäß § 98 VwGO, § 404 Abs. 2 ZPO der Gr<strong>und</strong>satz,<br />
in erster Linie amtlich bestellte <strong>und</strong> vereidigte Sachverständige mit einer Begutachtung<br />
zu beauftragen. Die Antwort auf die Frage, wie sich ein fehlendes oder ein fehlerhaftes<br />
Fahreignungsgutachten auf den Verwaltungsprozess auswirkt, hängt wesentlich mit<br />
dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer behördlichen<br />
Ordnungsverfügung zusammen. Es ist zwischen Entziehungs- <strong>und</strong> Neuerteilungsverfahren<br />
zu differenzieren.<br />
1. Entziehungsverfahren<br />
Maßgeblicher Zeitpunkt ist derjenige der letzten Behördenentscheidung 24 ). Bis zu diesem<br />
muss der Betreffende ein – zu Recht gefordertes – Fahreignungsgutachten vorgelegt<br />
haben. Das Anerbieten, <strong>im</strong> gerichtlichen Verfahren eine MPU zu machen, ist daher unbeachtlich;<br />
ein etwaiger Beweisantrag wäre wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit abzulehnen.<br />
Das ist wegen der manchmal längeren Verfahrensdauer für den Betroffenen, der<br />
zwischenzeitlich die Fahreignung wieder gewonnen hat, ungut, weil er auf ein mit neuen<br />
Kosten verb<strong>und</strong>enes Wiedererteilungsverfahren verwiesen werden muss.<br />
2. Wiedererteilungsverfahren<br />
Maßgeblicher Zeitpunkt <strong>im</strong> Wiedererteilungsverfahren ist derjenige der letzten mündlichen<br />
Verhandlung in der Tatsacheninstanz 25 ). Liegt ein Fahreignungsgutachten aus dem<br />
Verwaltungsverfahren vor <strong>und</strong> ist dieses nachvollziehbar, wird gr<strong>und</strong>sätzlich keine neue<br />
Untersuchung <strong>im</strong> gerichtlichen Verfahren durchgeführt 26 ). Eine Ausnahme gilt dann, wenn<br />
nachträglich Umstände eingetreten sind, die eine andere Beurteilung rechtfertigen können.<br />
Wurde <strong>im</strong> Wiedererteilungsverfahren trotz ordnungsgemäßer Aufforderung keine MPU<br />
durchgeführt, wird <strong>im</strong> gerichtlichen Verfahren regelmäßig keine entsprechende Beweisaufnahme<br />
durchgeführt. Denn die aufgr<strong>und</strong> der Nichtvorlage anzunehmende Nichteignung<br />
(§ 11 Abs. 8 FeV) wirkt gr<strong>und</strong>sätzlich fort. Der Betreffende kann sich somit nicht<br />
„aussuchen“, ob er sich <strong>im</strong> Verwaltungsverfahren oder <strong>im</strong> gerichtlichen Verfahren einer<br />
MPU unterzieht.<br />
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Dokumentation I
Dokumentation I<br />
3. Besonderheiten<br />
Daneben gibt es noch weitere maßgebliche Zeitpunkte. Ein Beispiel ist das Mehrfachtäter-Punktsystem.<br />
Der Streit, ob als maßgeblicher Zeitpunkt der Eintritt der Rechtskraft<br />
einer Verkehrszuwiderhandlung anzusehen ist (Rechtskraftprinzip) oder die Lage am Tag<br />
der Zuwiderhandlung (Tattagprinzip) wurde höchstrichterlich <strong>im</strong> letzteren Sinne entschieden<br />
27 ); die obergerichtliche Rechtsprechung 28 ) <strong>und</strong> das Schrifttum 29 ) sahen das teilweise<br />
anders. Insbesondere in den Fällen des § 13 Nr. 2 lit. b) FeV stellt sich die Frage des maßgeblichen<br />
Zeitpunkts für die Rechtmäßigkeit der Gutachtensanforderung, <strong>und</strong> zwar dann,<br />
wenn nach Zugang des entsprechenden Verlangens für eine der Verkehrszuwiderhandlungen<br />
unter <strong>Alkohol</strong>einfluss Tilgungsreife eingetreten ist. Im Hinblick auf die Beurteilung<br />
der Rechtmäßigkeit der Gutachtenanforderung als Vorbereitungsmaßnahme für eine Verwaltungsentscheidung<br />
ist nach Maßgabe des materiellen Rechts auf den Zeitpunkt der<br />
Gutachtenanforderung abzustellen 30 ).<br />
Diese Beispiele belegen, dass ein in sich st<strong>im</strong>miges System hinsichtlich des Zeitpunkts<br />
der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer behördlichen Maßnahme fehlt; eine klare gesetzliche<br />
Regelung erscheint erforderlich. Dann wären auch die MPU-Gutachter in die<br />
Lage versetzt festzustellen, welche Vorgänge sie bei Erstellung es Gutachtens Berücksichtigen<br />
dürfen oder müssen.<br />
IV. Reformansätze<br />
Die Durchführung einer MPU nach den derzeit geltenden Standards erscheint wegen der<br />
nicht verstummenden Kritik als reformbedürftig. Das gilt insbesondere für die Anlage 15<br />
zur Fahrerlaubnisverordnung 31 ), die das Verfahren – rud<strong>im</strong>entär – regelt. Hinsichtlich des<br />
Ablaufs der Untersuchung schreibt Nr. 1 lit. d) der Anlage15 vor, dass der Betroffene zu<br />
Beginn über deren Gegenstand <strong>und</strong> Zweck aufzuklären ist; das sollte näher spezifiziert<br />
werden. Über die Untersuchung sind nach Nr. 1 lit. e) Aufzeichnungen zu führen. Das Gesetz<br />
überlässt es dem Gutachter zu entscheiden, in welcher Form das zu geschehen hat.<br />
Vielfach werden handschriftliche Notizen gemacht oder der Ablauf der Exploration stichwortartig<br />
<strong>im</strong> PC gespeichert. Ob diese Art der Aufzeichnung für den Probanden störend ist,<br />
bedürfte näherer rechtstatsächlicher Untersuchungen, ist aber zu vermuten. Es erscheint<br />
durchaus vorstellbar, dass das „Klappern“ der Tastatur die Konzentration des Probanden<br />
ebenso beeinträchtigen kann, wie das Fehlen von Blickkontakt, wenn der Gutachten sich<br />
handschriftliche Notizen macht. Außerdem dürfte die Aufmerksamkeit des Sachverständigen<br />
abgelenkt sein, wenn er neben der Führung des Untersuchungsgesprächs auch noch<br />
dessen Verlauf <strong>im</strong> PC aufn<strong>im</strong>mt. Sinn der Regelung ist es, <strong>im</strong> Zweifelsfall nachweisen zu<br />
können, in welcher Weise sich der Betroffene geäußert oder wie er sich in best<strong>im</strong>mten<br />
Situationen verhalten hat. Das beste Beweismittel – jedenfalls was eine mündliche Exploration<br />
angeht – ist eine Tonaufnahme 32 ). Dass eine solche gemacht wird, kann nach derzeitiger<br />
Rechtslage nicht verlangt werden. Es ist bekannt, dass einige Untersuchungsstellen<br />
das anbieten. Erforderlich ist die Zust<strong>im</strong>mung des Betroffenen. Wird das<br />
Untersuchungsgespräch aufgezeichnet, ist es nicht notwendig, dem Gutachter eine komplette<br />
Abschrift beizufügen; eine solche ist nur zu machen, wenn Zweifel über den Inhalt<br />
der Exploration bestehen <strong>und</strong> hierüber Beweis erhoben werden muss. Dazu ist die Aufnahme<br />
für einen angemessenen Zeitraum – datengesichert – aufzubewahren. Wird die Exploration<br />
nur stichwortartig vom Sachverständigen mitgeschrieben, ist es unumgänglich,<br />
101<br />
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102<br />
dem Betroffenen nach Abschluss des Untersuchungsgesprächs den Inhalt der Aufzeichnung<br />
zur Kenntnis zu bringen, ihm Gelegenheit für etwaige Einwendungen zu geben <strong>und</strong><br />
das in geeigneter Form zu vermerken. Das kann – bei Fehlen einer Tonaufnahme – den<br />
leidigen <strong>und</strong> <strong>im</strong> Nachhi nein kaum zu klärenden Streit darüber verhindern, was der Untersuchte<br />
gesagt hat <strong>und</strong> was nicht. In dem später zu erstellenden Gutachten darf dann aber<br />
auch nur das enthalten sein, was dem Klienten vorher mitgeteilt wurde.<br />
Eine Tonbandaufnahme ist allerdings ebenfalls nur ein unvollkommenes Hilfsmittel.<br />
Das gilt insbesondere, wenn es um Fragen der Glaubwürdigkeit geht. Das wird erfahrungsgemäß<br />
bei <strong>Drogen</strong>auffälligen relevant. Im Hinblick auf die Strafdrohung bei Besitz<br />
der meisten <strong>Drogen</strong> ist <strong>im</strong> Hinblick hierauf oft mit falschen oder jedenfalls geschönten<br />
Antworten zu rechnen, in der Hoffnung, dass strafrechtliche Sanktionen ausbleiben. Mit<br />
absoluter Sicherheit kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Gutachten, in denen möglicherweise<br />
der Besitz erheblicher Mengen an Rauschmitteln eingestanden wird, auf dem<br />
Weg über die Fahrerlaubnisbehörde den Strafverfolgungsbehörden zur Kenntnis gelangen.<br />
Das <strong>im</strong> angemessenen Umfang zu berücksichtigen stellt den Verkehrspsychologen vor<br />
schwierige Probleme, deren Lösung allein mit sprachlichen Mitteln oft nicht gelingt; hier<br />
sind andere Methoden gefragt.<br />
Es ist bekannt, dass nur ein Teil der Kommunikation über die rein verbale Schiene läuft<br />
<strong>und</strong> die gesamte andere Ebene bei einer Tonaufzeichnung fast ausgeblendet wird 33 ). Hörbar<br />
wäre allenfalls, ob der Betroffene „flüssig“ antwortet oder um Antworten ringt, ob er<br />
wie auswendig gelernt spricht oder ob er seine Worte mit Bedacht wählt; auch Pausen<br />
würden erkennbar. Nicht nachzuvollziehen wären aber wichtige Erkenntnisquellen wie<br />
M<strong>im</strong>ik, Körperhaltung, Schweißausbrüche, Blickkontakt mit dem Psychologen <strong>und</strong> ähnliche<br />
Gesichtspunkte. Denkbar wäre es, derartige Elemente über eine Videoaufzeichnung 34 )<br />
festzuhalten. Eine solche könnte zwar auch nur einen Teilbereich festhalten; was sich<br />
außerhalb des Aufnahmewinkels abspielt, bliebe unsichtbar. So können bei einer Aufnahme<br />
des Gesichtausdrucks die nervöse Bewegung der Beine wegfallen oder bei einer<br />
„Totale“ Feinheiten der M<strong>im</strong>ik nicht erkennbar werden. Zu bedenken ist auch, dass viele<br />
Menschen, die sich von einer Kamera „beobachtet“ fühlen, anders reagieren als sonst.<br />
Gleichwohl wäre eine Bildaufnahme vor allen in problematischen Fällen, bei denen sich in<br />
erster Linie Glaubwürdigkeitsfragen stellen, hilfreich, um die Nachvollziehbarkeit einer<br />
Begutachtung zu gewährleisten. Ob die Fertigung einer Videoaufnahme bei der <strong>gegen</strong>wärtigen<br />
Gesetzeslage ohne Zust<strong>im</strong>mung des Betroffenen möglich ist, erscheint durchaus<br />
zweifelhaft. Zwar ist der in Nr. 1 lit. e) der Anlage 15 zur Fahrerlaubnisverordnung verwendete<br />
Begriff „Aufzeichnung“ auslegungsfähig. Allerdings besteht zwischen handschriftlichen<br />
Notizen <strong>und</strong> Videoaufnahmen eine derartige Spannbreite, was den Eingriff<br />
in das Persönlichkeitsrecht des Probanden angeht, dass man ohne eine klarstellende<br />
Entscheidung des Gesetzgebers wohl kaum zu einer „zwangsweisen“ Bildaufzeichnung<br />
kommen kann. Eine nicht gewollte Videoaufzeichnung stellt einen Eingriff in das Recht<br />
auf informationelle Selbstbest<strong>im</strong>mung dar. Bei einem solchen hat der parlamentarische<br />
Gesetzgeber über die Zulässigkeit eines derartigen Eingriffs zu best<strong>im</strong>men <strong>und</strong> Voraussetzungen<br />
sowie Umfang der Beschränkungen klar <strong>und</strong> für den Bürger erkennbar festzulegen<br />
35 ).<br />
Wenn Ton- oder Videoaufzeichnungen gemacht werden stellt sich die Frage nach der<br />
Honorierung für solche Leistungen, die – wohl – in der allgemeinen Gebühr für eine MPU<br />
nicht enthalten sind. Bis zu einer Änderung der Gebührenordnung wird der Betreffende<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Dokumentation I
Dokumentation I<br />
vor der Exploration über die auf ihn – zusätzlich – zukommenden Kosten informiert werden<br />
<strong>und</strong> sein Einverständnis schriftlich festgehalten werden müssen.<br />
Der Einwand, Ton- oder Bildaufzeichnungen dienten der „Überwachung“ des Gutachters,<br />
sind nicht stichhaltig. Es geht nicht um Kontrolle, sondern um Herstellung von<br />
Transparenz <strong>und</strong> damit um Schaffung von Vertrauen in das Institut der MPU bei den<br />
Betroffenen. Außerdem kann <strong>im</strong> gerichtlichen Verfahren, in denen die Mangelhaftigkeit<br />
eines Gutachtens geltend gemacht wird, unschwer der Beweis geführt werden, ob es ordnungsgemäß<br />
erstellt wurde. Die Einführung von Ton- oder Bildaufzeichnungen ist somit<br />
geeignet, die MPU aus der „Schmuddelecke“ heraus zu führen, in die sie von manchen gestellt<br />
wird.<br />
V. Fazit<br />
Gr<strong>und</strong>sätzlich ist die MPU ein geeignetes Mittel, die Fahreignung festzustellen. In der<br />
Praxis erkennbare von vielfach von Betroffenenseite kritisierte Schwachstellen werden<br />
nur teilweise von der Rechtsprechung akzeptiert. Die Anlässe, wann sie anzuordnen ist,<br />
sind partiell reformbedürftig. Das gilt auch für die Vorschriften, nach denen ein Fahreignungsgutachten<br />
zu erstellen ist.<br />
Fußnoten<br />
1 ) Eine Zusammenstellung findet sich bei Geiger, Die Bedeutung der medizinisch-psychologischen Untersuch 1 )<br />
Eine Zusammenstellung findet sich bei Geiger, Die Bedeutung der medizinisch-psychologischen Untersuchung<br />
<strong>im</strong> Fahrerlaubnisrecht, NZV 2007, 489.<br />
2 ) Kurz MPU.<br />
3 ) VG München vom 13. 01.1999 NJW 2000, 893 [LS]; vgl. auch BVerwG vom 13. 11.1997 NZV 1998, 300.<br />
4 ) So auch OVG Saarlouis vom 03. 05. 2007 BA 2008, 330; Geiger, Fahrungeeignetheit bei nur „privatem“ <strong>Alkohol</strong>missbrauch?<br />
DAR 2002, 347; a. A. H<strong>im</strong>melreich, <strong>Alkohol</strong>konsum – privat <strong>und</strong> ohne Verkehrsteilnahme:<br />
Fahrerlaubnis-Entzug <strong>im</strong> Verkehrs-Verwaltungsrecht wegen <strong>Alkohol</strong>missbrauchs? DAR 2002, 60.<br />
5 ) VGH Baden-Württemberg vom 24. 06. 2002 DAR 2002, 523 = zfs 2002, 504: Berufskraftfahrer; vom<br />
29. 07. 2002 DAR 2002, 570 = zfs 2002, 555:Taxifahrer.<br />
6 ) Z. B. ein Fahrrad; BVerwG vom 24. 01.1989, NJW 1989, 1623; vom 22. 06. 1994, VD 1995, 47; vom<br />
06. 07. 1994, VD 1995, 46; vom 27. 09.1995, NZV 1996, 84; OVG Mecklenburg-Vorpommern vom<br />
01. 02. 2006, BA 2007, 52; OVG Berlin-Brandenburg vom 31.01. 2003, NJW 2003, 442 [LS], VGH Mannhe<strong>im</strong><br />
vom 16. 07. 1997 NZV 1998, 519; VG Neustadt (Weinstraße) vom 16. 03. 2005, zfs 2005, 123; vom<br />
16. 03. 2006, BA 2007, 70; einschränkend OVG Koblenz vom 25. 08. 2009, BA 2099, 437.<br />
7 ) BVerwG [Fn.4] NZV 1996, 84; OVG Münster vom 09. 08. 1991 NZV 1992, 127; ständige Rechtsprechung.<br />
8 ) Vgl. BayVGH vom 11.06. 2007 Az. 11 CS 06.3023.<br />
9 ) BayVGH vom 04. 01.2006 Az. 11 CS 05.1878; vom 04. 04. 2006 Az. 11 CS 05.2439.<br />
10 ) BVerwG, Urteil vom 26. 02. 2009 NZV 2009, 357 = zfs 2009, 354 = BA 2009, 289; BayVGH vom 20. 03. 2009<br />
BA 2009, 299.<br />
11 ) In diesem Sinne auch Mahlberg, Anforderung von fahreignungsgutachten <strong>im</strong> Zusammenhang mit einer „<strong>Alkohol</strong>problematik“<br />
DAR 2010, 1.<br />
12 ) BVerwG, Urteil vom 26. 02. 2009 NZV 2009, 357 = zfs 2009, 354 = SVR 2009, 432 = BA 2009, 289; OVG<br />
Münster vom 15. 05. 2009 BA 2009, 292.<br />
13 ) OVG Lüneburg vom 10. 02. 2009 zfs 2009, 358; BayVGH vom 25. 01.2006 DAR 2006, 349 = zfs 2006, 294;<br />
OVG Brandenburg vom 13. 12. 2004 BA 2006, 161; a. A. OVG Hamburg vom 23. 06. 2005 zfs 2005, 626; vom<br />
15. 12. 2005 NJW 2006, 1367 = BA 2006, 165.<br />
14 ) OVG Koblenz vom 27. 05. 2009 DAR 2009, 478.<br />
15 ) Hierzu Geiger, Die Fragestellung für die Erstellung von Fahreignungsgutachten (§ 11 Abs. 6 FeV), SVR 2008,<br />
405.<br />
16 ) Gehrmann in Berz/Burmann 19 B Rdnr. 10; a. A. VGH Baden-Württemberg NZV 2002, 294 = DAR 2002, 183<br />
= BA 2002, 141.<br />
17 ) Vgl. BayVGH Beschluss vom 28. 09. 2006 – 11 CS 06.732 juris.<br />
103<br />
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104<br />
18 ) BayVGH Beschluss vom 14. 04. 2009 – 11 CS 08.3428 juris.<br />
19 ) Hinweise finden sich bei Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfah<br />
rereignung, Kommentar, 2. Aufl. 2005, Erl. zu Nr. 2.1–2.3 S. 33.<br />
20 ) Zu den Einzelheiten vgl. Geiger, Anforderungen an medizinisch-psychologische Gutachten aus verwaltungsrechtlicher<br />
Sicht, NZV 2002, 20; zum Ablauf einer MPU Müller, Begutachtung <strong>und</strong> Förderung der Fahreignung,<br />
SVR 2009, 409.<br />
21 ) Gehrmann, Bedenken <strong>gegen</strong> die Kraftfahrereignung <strong>und</strong> Eignungszweifel in ihren gr<strong>und</strong>rechtlichen Schranken,<br />
NZV 2003, 10/17.<br />
22 ) BVerwG vom 16. 08.1994 DAR 1995, 36.<br />
23 ) Verordnung vom 18. 07. 2008, BGBl. I S. 1338.<br />
24 ) BVerwG vom 09. 06. 2005 NJW 2005, 3081 = BA 2006, 49; ständige Rechtsprechung.<br />
25 ) Vgl. z.B. BVerwG vom 12. 07. 2001 NVwZ-RR 2002, 93.<br />
26 ) Hierzu Eyermann/Geiger, VwGO, 12. Aufl. 2006, § 98 Rn. 22.<br />
27 ) BVerwG vom 25. 09. 2008 NJW 2009, 612 = zfs 2009, 113 = SVR 2009, 272 = DAR 2009, 46 = NZV 2009,<br />
96.<br />
28 ) OVG Lüneburg vom 24. 01. 2007 NJW 2007, 1300; VGH Baden-Württemberg vom 09. 01. 2007 DAR 2007,<br />
412; OVG Schleswig vom 06.12. 2005 DAR 2006, 174.<br />
29 ) Insbesondere Janker, Wann ergeben sich die Punkte SVR 2004, 1; ders. Tattag- oder Rechtskraftprinzip bei der<br />
Punktereduzierung durch Teilnahme an verkehrspsychologischer Beratung oder Aufbauseminar DAR 2007,<br />
374.<br />
30 ) OVG Mecklenburg-Vorpommern vom 13. 02. 2007 SVR 2007, 354.<br />
31 ) Hierzu schon Geiger, Überlegungen zur Weiterentwicklung der medizinisch-psychologischen Untersuchung<br />
DAR 2003, 494.<br />
32 ) In diesem Sinne auch Weibrecht, Nachweisfragen – MPU – Rechtsprobleme BA 2003, 130/138.<br />
33 ) In diese Richtung auch Weibrecht [Fn. 32 BA 2003, 130/138.<br />
34 ) Vgl. hierzu auch Hillmann Zweifel an der Fahreignung DAR 2003, 106/107; ders. Nachweisfragen – MPU –<br />
Rechtsprobleme (Verhältnismäßigkeit/Rechtsnatur) BA 2003, 114/116.<br />
35 ) Vgl. BVerfG Beschluss vom 11. 08. 2009 – 2 BvR 941/08 – juris.<br />
Anschrift des Verfassers<br />
Präsident des Bayerischen Verwaltungsgerichts München<br />
Harald Geiger<br />
Bayerstr. 30<br />
80335 München<br />
Email: praesident@vg-m.bayern.de<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Dokumentation I
Dokumentation I<br />
FRANK-ROLAND HILLMANN<br />
Die MPU in der heutigen Form bedarf einer Korrektur! * )<br />
1. MPU als Instrument für Verkehrssicherheit<br />
Zur Klarstellung ein uneingeschränktes Bekenntnis vorweg: Die MPU-Begutachtung ist<br />
unzweifelhaft ein sehr wichtiger Beitrag zur Verkehrssicherheit 1 ). Sie wird ganz sicher –<br />
<strong>und</strong> dies vollkommen zu Recht – von der Masse der Bevölkerung mit Hinblick auf die Verkehrssicherheit<br />
als unbedingt notwendig <strong>und</strong> daher unverzichtbar angesehen. Niemand<br />
will, dass die Sicherheit der Bürger durch ungeeignete Fahrzeugführer auch nur abstrakt<br />
gefährdet sein könnte. Kurz gesagt: Ungeeignete Fahrzeugführer haben auf unseren Straßen<br />
nichts zu suchen <strong>und</strong> deshalb ist berechtigten Zweifeln an der Fahreignung in geeigneter<br />
Weise, z. B. mittels MPU nachzugehen.<br />
Auf der anderen Seite möchte niemand freiwillig einen derartigen Eingriff in seine Persönlichkeitsrechte<br />
hinnehmen, wie es die MPU nun einmal unbestreitbar darstellt 2 ). Deshalb<br />
ist es zu begrüßen, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit die Verwaltungsbehörden<br />
<strong>im</strong>mer wieder dann in seine Schranken weist, wenn der Verhältnismäßigkeitsgr<strong>und</strong>satz<br />
verletzt ist oder die Persönlichkeitsrechte des Bürgers in anderer Weise durch die MPU bedroht<br />
sind.<br />
Auch wenn sicherlich niemand die MPU-Begutachtung gr<strong>und</strong>sätzlich in Frage stellt,<br />
fällt jedoch auf, dass <strong>im</strong>mer wieder, insbesondere auf den Verkehrsgerichtstagen, die Notwendigkeit<br />
gesehen wird, sie kritisch zu durchleuchten. Diese kritische Sicht erfolgt nun<br />
nicht nur vonseiten der Betroffenen, sondern vor allem auch von mit dem Thema der Fahreignung<br />
befassten Juristen. Warum ist das so? Lässt dies die Vermutung zu, dass die MPU<br />
in der <strong>gegen</strong>wärtigen Form nicht der Weisheit letzter Schluss ist? Und bejahendenfalls:<br />
Woran liegt das?<br />
Jährlich müssen sich weit über 100.000 Verkehrsteilnehmer, die durch ihr Verhalten Anlass<br />
zu Zweifeln an ihre Fahreignung gegeben haben, einer MPU unterziehen. Nach Erkenntnissen<br />
des ADAC fällt aber etwa die Hälfte dieser Fahreignungsgutachten negativ<br />
aus, gefühlt sind es sogar mehr. Vor allem solche Probanden, die sich zuvor keiner verkehrspsychologischen<br />
Schulungsmaßnahme unterzogen haben, haben erfahrungsgemäß<br />
nur eine geringe Chance, die MPU zu bestehen. Es hält sich sogar hartnäckig das Gerücht,<br />
dass sich die Begutachtungsstellen auf eine Mindestdurchfallquote geeinigt haben könnten.<br />
Die MPU hat in der Bevölkerung einen unguten Ruf. Der Begriff ist negativ belastet, sie<br />
gilt als etwas außerordentlich Unangenehmes. Bei denjenigen, die sich ihr unterziehen<br />
mussten – <strong>und</strong> nicht nur bei den „Durchgefallenen“ – ist von „Schikane“ die Rede, von<br />
„Willkür“, „Lotterie“ <strong>und</strong> „Geldschneiderei“. Es ist bezeichnend, dass die MPU <strong>im</strong> Volksm<strong>und</strong><br />
abschätzend als „Idioten-Test“ bezeichnet wird.<br />
Das Bild der MPU in der Bevölkerung ist geprägt von Misstrauen, gepaart mit Unwissenheit,<br />
aber auch angereichert durch mummenschanzartiges Verhalten der Psychologen<br />
<strong>und</strong> durch allerlei Gerüchte <strong>und</strong> Halbwahrheiten 3 ). Alle Versuche der Begutachtungsstel-<br />
* ) Langfassung des Vortrages des Verfassers <strong>im</strong> Rahmen des Arbeitskreises VI des Deutschen Verkehrsgerichtstages<br />
2010 in Goslar.<br />
105<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
106<br />
len, ihre Arbeit <strong>und</strong> vor allem die Notwendigkeit der Prüfungen in den Medien positiv darzustellen,<br />
sind bislang weitestgehend erfolglos geblieben. Die MPU wird unverändert als<br />
reines Glücksspiel angesehen <strong>und</strong> bei negativem Ausgang wird allenthalben berichtet, es<br />
habe von vorneherein festgestanden, dass der Proband überhaupt keine Chance hatte. Wer<br />
durchfallen solle, der falle auch durch <strong>und</strong> so wird <strong>im</strong>mer wieder die wehrlose Abhängigkeit<br />
von der Laune des übermächtigen Prüfers beklagt, der mutwillig <strong>und</strong> machtbesessen<br />
mit dem in einem hoffnungslosen Abhängigkeitsverhältnis stehenden Probanden alles machen<br />
könne, was er wolle.<br />
2. Muss der Prüfer geprüft werden?<br />
So stellt sich also die Frage, ob die MPU-Prüfer tatsächlich die „letzte Instanz“ sein dürfen,<br />
deren Beurteilung ebenso ungeprüft bleibt, wie bereits zuvor die Anordnung der Führerscheinstellen<br />
noch <strong>im</strong>mer nicht justiziabel ist 4 ). Denn dann wäre der allseitigen Kritik<br />
an dem bisherigen System der Fahrerlaubnis, machtlos der Willkür der Führerscheinstellen<br />
ausgeliefert zu sein, als ein weiterer Kritikpunkt hinzuzufügen, dass die möglicherweise<br />
schon rechtswidrig angeordnete MPU <strong>im</strong> weiteren Verfahrensablauf auch noch<br />
fachlich fehlerhaft ausgeführt wurde, was aber wiederum keiner Prüfungsinstanz unterliegt.<br />
Dies wiederum hat dann ja allein schon aus dem Gr<strong>und</strong>e weitreichende Konsequenzen,<br />
weil ein negatives Gutachten nach § 11 Abs. 8 FeV als „neue Tatsache“ die etwaige<br />
Rechtswidrigkeit der zugr<strong>und</strong>e liegenden verwaltungsrechtlichen MPU-Anordnung heilen<br />
würde.<br />
Wie stellt sich die <strong>gegen</strong>wärtige Situation dar?<br />
a. Überprüfung nur der Gutachten<br />
Die Gutachter selbst unterliegen nur in eingeschränktem Maße einer regelmäßigen Kontrolle.<br />
Es werden nur die schriftlichen Gutachten durch die <strong>B<strong>und</strong></strong>esanstalt für das Straßenwesen<br />
(BASt) überprüft.<br />
Aber wie ist der Fall zu lösen, bei dem der Betroffene unbeirrt daran festhält, zu Unrecht<br />
verurteilt worden, also objektiv unschuldig zu sein (was vielleicht sogar zutrifft)? Hält er<br />
daran <strong>im</strong> Verlaufe der MPU-Begutachtung fest, wird ihn der Prüfer als „unbelehrbar, uneinsichtig,<br />
realitätsfern“ <strong>und</strong> somit als „negativ“ einstufen. Soll er aber eine bewusst unwahre<br />
Geschichte erzählen, nur um die MPU bestehen zu können? Wie kann die BASt diesen<br />
Konflikt überhaupt bemerken, geschweige denn lösen? Wie die Gutachten tatsächlich<br />
zustande gekommen sind, ob der Inhalt auch dem tatsächlich Gesagten entspricht, ob der<br />
Prüfer die notwendige Objektivität gewahrt hat, bleibt ungeprüft. Eine Überprüfung der jeweiligen<br />
Explorationssitzungen vor Ort, die stichprobenartig <strong>und</strong> konsequent erfolgen<br />
könnte, findet nicht statt.<br />
b. Überprüfung der Begutachtungen<br />
Eine Zertifizierung der Gutachter allein reicht ebenso wenig mehr aus, wie das bloße<br />
Überprüfen der fertigen schriftlichen Gutachten. Stets dort, wo Menschen etwas zu beurteilen<br />
haben, sind Fehler <strong>im</strong>manent. Frei von subjektiven Gefühlen <strong>und</strong> Einstellungen ist<br />
niemand. Deshalb wird in der Technik jeder wichtige Baustein doppelt ausgelegt, ist ein<br />
Flugzeug mit zwei Piloten ausgestattet <strong>und</strong> der Mensch tut gut daran, nach dem bewährten<br />
„Vier-Augen-Prinzip“ zu verfahren. Auch der Prüfer muss daher überprüft werden. Er<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Dokumentation I
Dokumentation I<br />
kann <strong>und</strong> darf bei der Beurteilung einer so wichtigen Frage, wie der Fahreignung, nicht die<br />
einzige <strong>und</strong> zugleich letzte Instanz sein. Der gr<strong>und</strong>sätzlich mögliche, ausschließlich jedoch<br />
zivilrechtliche Schadensersatzanspruch des Betroffenen <strong>gegen</strong> die Begutachtungsstelle<br />
ist ein ganz <strong>und</strong> gar stumpfes Schwert <strong>und</strong> in der Praxis vollkommen ungeeignet,<br />
dem Betroffenen auch nur ansatzweise, vor allem aber schnell <strong>und</strong> effektiv zu helfen.<br />
c. Überprüfung durch die BASt<br />
Als Überprüfungsinstitution sind derzeit nur die BASt oder die b<strong>und</strong>esweite Wiedereinführung<br />
der Obergutachter denkbar. Seitens der BASt wird in diesem Zusammenhang<br />
daher zu Recht gefordert, die Akkreditierungs- <strong>und</strong> Überwachungsbefugnisse <strong>gegen</strong>über<br />
den Trägern der Begutachtungsstellen auszuweiten 5 ). Denkbar ist hierbei z. B. die Teilnahme<br />
von Begutachtern der BASt insbesondere an den psychologischen <strong>und</strong> ärztlichen<br />
Untersuchungsgesprächen <strong>im</strong> Rahmen medizinisch-psychologischer Untersuchungen vor<br />
Ort in den Begutachtungsstellen.<br />
Die BASt ist eine nicht rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts <strong>und</strong> als solche Teil<br />
des <strong>B<strong>und</strong></strong>esverkehrsministeriums 6 ). Bei der Akkreditierung wird die BASt dementsprechend<br />
in Erfüllung der ihr hoheitlich übertragenen öffentlich-rechtlichen Aufgaben selbst<br />
hoheitlich tätig. Sie handelt in Ausübung öffentlicher Gewalt.<br />
Die Begutachtungsstellen respektive deren Träger sind da<strong>gegen</strong> weder Behörden noch<br />
Beliehene oder Verwaltungshelfer. Als rein kommerzielle juristische Personen des Privatrechts<br />
erstellen sie Privatgutachten allein aufgr<strong>und</strong> eines Werkvertrags mit dem Fahrerlaubnisinhaber,<br />
dem es freigestellt ist, ob er das Gutachten der Fahrerlaubnisbehörde <strong>im</strong><br />
Rahmen des fahrerlaubnisrechtlichen Verwaltungsverfahrens zur Verfügung stellt. Die<br />
dort von der Fahrerlaubnisbehörde abschließend zu treffende Entscheidung bezieht sich<br />
auf das MPU-Gutachten als Entscheidungshilfe, dessen verwaltungsverfahrensrechtliche<br />
Würdigung somit völlig unabhängig ist von der Gutachterbewertung seitens BASt <strong>im</strong> Rahmen<br />
der Auditierung 7 ). Der BASt könnte daher die Rechts- <strong>und</strong> Fachaufsicht über Träger<br />
von Begutachtungsstellen respektive Begutachtungsstelle selbst zugeteilt werden. Schließlich<br />
handelt es sich bei der Tätigkeit der Begutachtungsstellen trotz ihrer Bindung an öffentlich-rechtliche<br />
Vorschriften <strong>und</strong> trotz des Umstandes, dass sich der Staat bei der Erfüllung<br />
öffentlicher Aufgaben ihrer Mithilfe bedient, um eine reine privatrechtliche Tätigkeit.<br />
Es ist daher wegen der öffentlich-rechtlichen Konsequenzen dringend geboten, diese Tätigkeit<br />
auf fachliche Korrektheit hin staatlich zu überprüfen.<br />
d. Möglichkeit der Oberbegutachtung<br />
Das oben erwähnte „Vier-Augen-Prinzip“ könnte durch eine weitere Begutachtung gewährleistet<br />
werden. Gegen eine MPU-Begutachtung findet eine Oberbegutachtung <strong>gegen</strong>wärtig<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich (eine Ausnahme gibt es wohl noch in einigen <strong>B<strong>und</strong></strong>esländern) nicht<br />
statt. Dieses Institut könnte b<strong>und</strong>esweit einheitlich (wieder) eingeführt werden. Die Oberbegutachtung<br />
sollte wieder – wie früher – sowohl auf Wunsch der Verwaltungsbehörde,<br />
wie auch des Betroffenen <strong>im</strong> Interesse der Rechtsgleichheit <strong>und</strong> -sicherheit möglich sein.<br />
Die Oberbegutachtung ist ein sehr taugliches Instrument zur Qualitätssicherung der Basisgutachten.<br />
Immerhin wurde seinerzeit ein beachtlicher Teil der MPU-Gutachten <strong>im</strong><br />
Zuge der Oberbegutachtung aufgehoben.<br />
Die <strong>gegen</strong>wärtig einzig gegebene Möglichkeit, sich <strong>im</strong>mer wieder aufs Neue ausschließlich<br />
von der gleichen Institution, nämlich einer Begutachtungsstelle für Fahreig-<br />
107<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
108<br />
nung prüfen zu lassen, nährt allenfalls den Vorwurf seitens der Betroffenen, es handele sich<br />
doch bloß um „Abzockerei“. So wird die Akzeptanz der MPU-Gutachten nur reduziert,<br />
keinesfalls aber gefördert. Aus gutem Gr<strong>und</strong> gibt es in unserem Justizsystem stets ein<br />
Rechtsmittel <strong>gegen</strong> erstinstanzliche Entscheidungen, über das ausschließlich durch ein<br />
übergeordnetes Gericht entscheiden wird.<br />
e. Rechtliche Kontrolle<br />
Es ist zu überlegen, ob die „Begutachtungsleitlinien“ <strong>und</strong> „Beurteilungskriterien“ unverändert<br />
nicht unter rechtlicher Kontrolle stehen sollen. Bekanntlich wurde die BASt seitens<br />
des BMV beauftragt, ein neues <strong>und</strong> zeitgemäßes Konzept für die Fortschreibung der<br />
„Begutachtungsleitlinien“ zu entwickeln. Dem von der BASt vorgeschlagenen Konzept,<br />
das <strong>im</strong> wesentlichen darauf basiert, dass mit der Fortschreibung der einzelnen Kapitel<br />
unter Federführung der BASt themenspezifische interdisziplinäre Expertengruppen zusammengesetzt<br />
werden, erhielt die Zust<strong>im</strong>mung der beiden zuständigen Fachministerien.<br />
Zum 01. 07. 2009 haben sich so durch die 2. Auflage der „Beurteilungskriterien“ weitreichende<br />
Änderungen für die Beratungspraxis der Anwaltschaft ergeben, wenn es um den<br />
Nachweis eines geänderten Konsumverhaltens oder einer <strong>Alkohol</strong>abstinenz für die MPU<br />
geht. Das führt z. B. dazu, dass diejenigen Betroffenen, deren Tat vor dem 01. 07. 2009 begangen<br />
wurde <strong>und</strong> die sich innerhalb der Verkehrstherapie nach den bis dahin geltenden<br />
Richtlinien verhielten, nun plötzlich nach den neuen Anforderungen zu beurteilen sind.<br />
Für manchen Betroffenen bedeutet das, nun plötzlich einen Abstinenznachweis führen zu<br />
müssen, der zuvor gar nicht gefordert war. Es kann weiter bedeuten, mit der geforderten<br />
einjährigen Abstinenz bei den Hypothesen 1 <strong>und</strong> 2 erst ab dem Zeitpunkt beginnen zu können,<br />
ab dem er die ersten EtG-Werte vorliegen hat. Von Übergangsregelungen keine Spur!<br />
Hier muss korrigierend eingegriffen werden, z. B. durch eine juristische bzw. gerichtliche<br />
Kontrollinstanz. Es kann nicht richtig sein, dass Best<strong>im</strong>mungen mit weitreichenden<br />
Konsequenzen für den Betroffenen ohne Einschaltung des Gesetzgebers <strong>und</strong> ohne jede gerichtliche<br />
Überprüfungsmöglichkeit Bindungswirkung erlangen. So hat das z. B. die Konsequenz,<br />
dass die seitens der Strafgerichte nach den §§ 69, 69a StGB festgesetzte Sperrfrist<br />
vollkommen irrelevant wird, solange der Betroffene faktisch vor Ablauf der in den<br />
„Beurteilungskriterien“ festgeschriebenen Zeiten ohnehin keine positive MPU erlangen<br />
kann. Die Autoren solcher Richtlinien best<strong>im</strong>men somit das gesamte MPU-System, dem<br />
der Betroffene machtlos <strong>gegen</strong>übersteht.<br />
3. Alternativen zur (isolierten) MPU<br />
Alternativen zur MPU sind allenfalls in der Weise denkbar, dass das Problem von einen<br />
anderen Seite angegangen wird.<br />
a. Nachschulung <strong>und</strong> anschließende MPU<br />
Die MPU hat den Nachteil, dass sie eine lediglich temporär eingegrenzte Beurteilung<br />
der medizinischen Situation <strong>und</strong> bei nur ca. halbstündiger Untersuchung einen nur unvollkommenen<br />
Einblick in die Psyche des Probanden zulässt. Es ist daher daran zu denken, anstelle<br />
der isolierten MPU in allen bisherigen Fällen, in denen die MPU rechtmäßig zu<br />
erfolgen hatte, eine kombinierte Maßnahme in Form einer Langzeitschulung (verkehrpsychologische<br />
Schulung) mit Abschlussbegutachtung (MPU) einzuführen.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Dokumentation I
Dokumentation I<br />
Dies könnte in der Weise geschehen, dass der Gesetzgeber eine solche Maßnahme bei<br />
den jeweiligen gesetzlich vorgeschriebenen Fällen der Entziehung der Fahrerlaubnis<br />
wegen charakterlichen Fahreignungsbedenken vorschreibt, indem z. B. jedem Trunkenheitstäter<br />
ab 1,6 Promille bzw. dem <strong>Drogen</strong>täter, bei dem die MPU zu fordern ist, bei anderen<br />
Straftätern 8 ) sowie den 14-Punkte-Kandidaten auferlegt wird, während der Zeit der<br />
Entziehung der Fahrerlaubnis eine solche Verkehrspsychologische Schulung zu absolvieren.<br />
Zu denken ist auch daran, sie als Bewährungsauflage oder als Auflage bei einer Verfahrenseinstellung<br />
nach § 153a StPO z. B. bei Radfahrern vorzusehen. Dem in diesem Zusammenhang<br />
<strong>im</strong>mer wieder geäußerten Einwand, dies sei von manchem Betroffenen, z. B.<br />
Hartz IV- Empfänger, nicht zu finanzieren, ist zu entgegnen, dass es schon <strong>im</strong>mer Rechtsprechung<br />
aller Gerichte war, wer ein Kfz fahre, müsse auch das entsprechende Geld dafür<br />
haben 9 ). Dies ist Folge der Beibringungslast, die § 2 Abs. 8 StVG, §§ 11, 13, 14 FeV dem<br />
Betroffenen auferlegen. Schließlich hat sich derjenige, der ein Kraftfahrzeug <strong>im</strong> öffentlichen<br />
Verkehr führt, von vornherein den Pflichten <strong>und</strong> den Kosten dieser Verkehrsart<br />
unterworfen. Zudem haben Individualinteressen hinter der Sicherheit der Bevölkerung unbestreitbar<br />
zurückzustehen.<br />
Allerdings mehren sich die Berichte von Probanden, dass ihnen von den Nachschulungstherapeuten<br />
ausdrücklich geraten wird, unzutreffende persönliche Sachverhalte darzustellen,<br />
weil anderenfalls eine positive MPU nicht zu erwarten sei. So berichtete z. B. ein<br />
Mandant, der 1996 mit einem Pkw mit 1,4 Promille, 2001 mit einem Fahrrad mit 2,4 <strong>und</strong><br />
2008 mit einem Fahrrad mit 2,7 Promille am Straßenverkehr teilgenommen hatte, von seinem<br />
Nachschulungstherapeuten best<strong>im</strong>mt worden zu sein, sich bei der MPU dahingehend<br />
einzulassen, dass er in der Zwischenzeit auch mit einem Pkw unter <strong>Alkohol</strong>einfluss am<br />
Straßenverkehr teilgenommen habe, obwohl das vollkommnen unzutreffend war, er <strong>im</strong><br />
Gegenteil ja gerade deshalb <strong>im</strong>mer wieder auf das Fahrrad zurückgegriffen habe, weil er<br />
nicht mit einem Pkw am Straßenverkehr teilnehmen wollte, wenn er <strong>Alkohol</strong> getrunken<br />
habe. In anderen Fällen wird berichtet, dass den Teilnehmern an verkehrspsychologischen<br />
Schulungsmaßnahmen geradezu abenteuerliche Geschichten in den M<strong>und</strong> gelegt werden,<br />
die weit ab von jeder Realität stehen <strong>und</strong> daher auf massive Aversionen seitens der Probanden<br />
stoßen.<br />
Die verkehrspsychologischen Schulungsinstitute sollten daher staatlich lizenziert <strong>und</strong><br />
akkreditiert sein. Sie sollten auch einer Überwachung, z. B. durch die BASt unterliegen.<br />
Solche Institute müssen absolut seriös <strong>und</strong> über jeden Zweifel der „Mauschelei“ oder<br />
„Scharlatanerie“ erhaben sein.<br />
Sie dürfen daher in absolut keinem wirtschaftlichen oder personellen Zusammenhang<br />
mit den Begutachtungsstellen stehen. Der in Anlage 15 zur FeV jüngst verschärfte „Trennungsgr<strong>und</strong>satz“<br />
ist somit auch auf Schulungsinstitute auszudehnen.<br />
Die Gefahr, dass der Proband die spätere MPU-Entscheidung nicht akzeptiert, weil er<br />
sich ungerecht behandelt fühlt, ist so wohl weitestgehend auszuschließen.<br />
b. Neue Gewichtung Medizin zu Psychologie<br />
Auch ist an eine neue Gewichtung des medizinischen Anteils der Untersuchung zum<br />
psychologischen Teil zu denken. Eine möglichst gründliche Auswertung der <strong>Alkohol</strong>is -<br />
musmarker während der gesamten Dauer der Entziehung der Fahrerlaubnis, wie das jetzt<br />
schon durch die EtG-Werte geschieht, könnte dabei förderlich sein. Gefürchtet sind bei<br />
109<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
110<br />
einer MPU ja auch nie die Mediziner, sondern ausschließlich die Psychologen. Es könnte<br />
daher der Akzeptanz der Begutachtung insgesamt zuträglich sein, wenn dem medizinischen<br />
Teil mehr Bedeutung zukäme.<br />
4. Verbesserungsvorschläge<br />
a. Audio- bzw. Videomitschnitt<br />
Von allen Seiten wird seit vielen Jahren <strong>im</strong>mer wieder mehr Transparenz der MPU-Begutachtung<br />
gefordert. Der Betroffene hat zweifelsfrei Anspruch auf ein faires <strong>und</strong> nachvollziehbares<br />
Verfahren. So kann kein Verständnis erwartet werden, wenn die Verkehrspsychologen<br />
es <strong>im</strong>mer wieder mit teilweise fadenscheinigen Argumenten ablehnen,<br />
ausnahmslos <strong>und</strong> ungefragt Tonband- <strong>und</strong>/oder Videomitschnitte anzufertigen. Da werden<br />
Datenschutzgründe ins Feld geführt, prüfungspsychologische Argumente bis hin zu Kos -<br />
tengründen. Das alles überzeugt nicht. Im Gegenteil: Nach der Rechtssprechung des<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgerichtes 10 ) bedeutet die MPU die „Erhebung höchstpersönlicher Bef<strong>und</strong>e“,<br />
die unter den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts fallen. Dann hat der<br />
Betroffenen auch das Recht, für die ausschließlich objektiv zutreffende Verwendung dieser<br />
so gewonnenen Bef<strong>und</strong>e Sorge zu tragen, indem ihm die Möglichkeit des Nachweises<br />
unkorrekter Datenerhebung offen steht.<br />
Trotz festgelegter Standards bei medizinisch-psychologischen Untersuchungen ist der<br />
Untersuchungsablauf nur mangelhaft nachprüfbar, weil das Gespräch nicht als Video- oder<br />
Tonbandprotokoll aufgezeichnet wird. Die Teilnehmer eines vom ADAC durchgeführten<br />
Rechtsforums zum Thema MPU 11 ) gelangten einhellig zu der Empfehlung, die Untersuchungsgespräche<br />
künftig aufzuzeichnen. Bei Bedarf können diese dann als schriftliches<br />
Ablaufprotokoll herangezogen werden. Dadurch kann die Qualität der Gutachten verbessert<br />
werden.<br />
Allerdings wird von Seiten der Begutachtungsstellen stets eingewandt, der Mitschnitt<br />
sei ja schon derzeit möglich. Der Proband könne zu Beginn der Exploration den Wunsch<br />
äußern, das Gespräch solle aufgezeichnet werden. Das geschehe dann auch. Oft wird sogar<br />
behauptet, ein solcher Mitschnitt werde zu Beginn des Gespräches ausdrücklich angeboten.<br />
Das löst aber das Problem nicht: Der Proband weiß zu Beginn der Untersuchung<br />
selbstverständlich nicht, ob er positiv oder negativ beurteilt wird. Erst <strong>im</strong> Falle eines negativen<br />
Begutachtungsergebnisses stellt sich überhaupt nur die Notwendigkeit einer Überprüfung<br />
der Begutachtung. Denn nur dann begehrt der Betroffene anwaltlichen Rat <strong>und</strong><br />
behauptet, die Prüfung habe „nur 5 Minuten gedauert“, die ganze „Art der Befragung sei<br />
tendenziös gewesen“ <strong>und</strong> all das, was dort in dem Gutachten zitiert sei, „habe er niemals<br />
gesagt“.<br />
Zur besseren Nachvollziehbarkeit 12 ) des Explorationsgespräches, aber auch zum eigenen<br />
Schutz der Prüfer vor unberechtigten Vorwürfen der Probanden sollte daher ohne jede<br />
Ausnahme ein Tonband <strong>und</strong>/oder Videomitschnitt erfolgen, übrigens eine regelmäßige<br />
Forderung aller bisherigen Arbeitskreise derjenigen Verkehrsgerichtstage, die sich mit dieser<br />
Problematik befasst haben: 1992 13 ), 1994 14 ), 1997 15 ) <strong>und</strong> 2003 16 ), bislang jedoch ohne<br />
jede Realisierung in der Praxis. Technisch ist das <strong>im</strong> Zeitalter der Möglichkeit digitaler<br />
Aufzeichnung überhaupt kein Problem, der Kostenaufwand ist min<strong>im</strong>al. Es wird lediglich<br />
ein Mikrofon <strong>und</strong> Speicherplatz benötigt (denn mit einem Laptop arbeitet ohnehin jeder<br />
Gutachter) <strong>und</strong> die Speicherung als Digital-Datei erfordert nur wenige Handgriffe. Ansons-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Dokumentation I
Dokumentation I<br />
ten bleibt es unverändert bei der gewohnten Art der Arbeit der MPU-Prüfer. Es wird auch<br />
keine Abschrift benötigt. Der Betroffene soll ausschließlich in die Lage versetzt werden,<br />
eine Kopie der Aufzeichnung per E-Mail oder auf CD anfordern zu können.<br />
Ein solcher Mitschnitt sollte einer Aufbewahrungsfrist von mindestens 6 Monaten unterliegen.<br />
Die Kopie sollte – selbstverständlich auf Kosten des Betroffenen – innerhalb dieser<br />
Frist jederzeit (ausschließlich) von ihm oder – bei Vorlage einer Schweigepflichtsentbindungsurk<strong>und</strong>e<br />
– auch von dem Anwalt angefordert werden können. Nach Ablauf der Frist<br />
muss das Band vernichtet bzw. die Datei gelöscht werden.<br />
Jedenfalls dürfte dies die bessere Alternative <strong>gegen</strong>über der Möglichkeit sein, eine Vertrauensperson<br />
während des Explorationsgespräches hinzuziehen zu können.<br />
Derartige Gesprächsmitschnitte helfen dann sicher auch, überflüssige Prozesse zu vermeiden.<br />
Wenn der Betroffene seinem Anwalt erzählt, diese <strong>und</strong> jene Passage in dem Gutachten<br />
habe er gar nicht oder zumindest nicht so gesagt, kann diese Behauptung sogleich<br />
anhand des Mitschnitts überprüft <strong>und</strong> ggf. widerlegt werden. Das dient in erheblichem<br />
Maße der Rechtsklarheit <strong>und</strong> -wahrheit. Und sie dient auch der Rehabilitierung der Prüfer,<br />
die sich so von jeden Zweifel an der Qualität ihrer Begutachtung befreien könnten. Es ist<br />
unerklärlich, weshalb in dieser Frage kein Konsens mit den MPU-Psychologen erreicht<br />
werden kann. Jedenfalls hat dieses Thema nichts mit Begriffen wie „Überwachung“ oder<br />
„Kontrolle“ der begutachtenden Psychologen zu tun, sondern lediglich mit „Nachvollziehbarkeit“<br />
<strong>und</strong> „Nachprüfbarkeit“ deren Gutachten. Anderenfalls kann nicht geklärt<br />
werden, ob das Gutachten auch objektiv richtig ist.<br />
Der Gesetzgeber ist daher aufzufordern, die erforderlichen rechtlichen Gr<strong>und</strong>lagen für<br />
die Verpflichtung zur Anfertigung derartiger Audio- <strong>und</strong> Videomitschnitte zu schaffen <strong>und</strong><br />
dabei aber zugleich auch den Schutz der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen sicherzustellen.<br />
b. Gerichtliche Überprüfbarkeit<br />
Darüber hinaus sollte dem Betroffenen auch eine praktikable Möglichkeit eingeräumt<br />
werden, das jeweilige Gutachten inhaltlich durch ein Gericht überprüfen zu lassen. Sowohl<br />
unter werkvertraglichen wie unter verwaltungsrechtlichen Aspekten ist eine gerichtliche<br />
Überprüfung wiederum nur dann möglich, wenn der Gang der Exploration anhand eines<br />
Mitschnitts verfolgt werden kann. Es darf sicherlich erwartet werden, dass der größte Teil<br />
der Begutachtungen ohnehin beanstandungsfrei sein wird. Wenn aber auch nur eine einzige<br />
Begutachtung mangelhaft ist, dann hat der Bürger das Recht, dies gerichtlich klären <strong>und</strong><br />
sich sein Recht herstellen zu lassen. Sicherlich wird das auch zur – begrüßenswerten –<br />
Folge haben, dass die Gutachter größtmögliche Sorgfalt werden walten lassen, was der generellen<br />
Qualität der Begutachtungen zugute kommen dürfte.<br />
c. MPU nach Nachschulungsempfehlung<br />
In jedem Falle sollte stets dann, wenn die MPU mit einer Nachschulungsempfehlung<br />
geendet hat, zwar – wie bisher – die Fahrerlaubnis ohne Weiteres sofort erteilt werden,<br />
aber es sollte eine Nachbegutachtung <strong>im</strong> Anschluss an die Nachschulungsmaßnahme angedacht<br />
werden. So kann der tatsächliche Eintritt des Nachschulungserfolges besser überprüft<br />
werden. Ggf. ist dann entweder der Erfolg zu bestätigen oder es müsste eine<br />
Verlängerung der Nachschulungsmaßnahme mit weiter Nachbegutachtung angeordnet<br />
werden.<br />
111<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
112<br />
d. Verarbeitung von Vorbegutachtungen<br />
Ganz <strong>und</strong> gar unerfreulich ist die Situation zum Thema „Berücksichtigung von Vorbegutachtungen“.<br />
Während die Verwaltungsbehörden in der Regel nicht verlangen, ein vorher<br />
einmal erstelltes – negatives – Gutachten vorzulegen, weigern sich MPU-Psychologen<br />
regelmäßig, mit der Begutachtung zu beginnen, solange das Vorgutachten nicht vorgelegt<br />
worden ist. Zumindest aber erfolgt trotz eines eigentlich positiven Ergebnisses kein abschließendes<br />
Beurteilungsvotum. Alleiniger Gr<strong>und</strong> dafür ist die bloße Vermutung, dass das<br />
Vorgutachten negativ war <strong>und</strong> ein Kollege die Begutachtung des anderen Kollegen nicht<br />
aufheben will. Zu fordern ist eine ganz <strong>und</strong> gar unabhängige Begutachtung. Niemand ist<br />
verpflichtet, <strong>gegen</strong> sich gerichtete negative – wohlmöglich auch noch falsche – Erkenntnisse<br />
zu offenbaren <strong>und</strong> sich selbst zu belasten. So ist zu fordern, dass stets dann, wenn<br />
eine Folgebegutachtung stattfinden soll, die Führerscheinakte vor deren Versendung an<br />
den MPU-Prüfer von allen Schriftstücken zu befreien ist, die irgendeinen Hinweis auf eine<br />
stattgef<strong>und</strong>ene Vorbegutachtung enthält. Nur so kann sichergestellt werden, dass der Folgeprüfer<br />
nicht der Versuchung erliegt, den Vorbegutachter anzurufen <strong>und</strong> sich nach dem<br />
Ergebnis des nicht zur Führerscheinakte gereichten (negativen) Gutachtens zu erk<strong>und</strong>igen<br />
oder sich gar das Gutachten zufaxen zu lassen.<br />
5. Fazit<br />
Es gibt noch viel zu tun r<strong>und</strong> um die MPU. Sie kann <strong>und</strong> muss noch weiter perfektioniert<br />
werden. Der Gesetzgeber ist aufgerufen, sich damit schnellstmöglich zu befassen.<br />
Fußnoten<br />
1 ) Vgl. hierzu Blocher/Winckler/Rösler/Foerster „Zur derzeitigen Praxis der Fahreignungsbegutachtung alkoholisierter<br />
Kraftfahrer, DAR 1998, 302 ff mit umfassender Literaturübersicht.<br />
2 ) Besonders ausführlich hierzu: BVerfG, Beschluss vom 20. 06. 2002, ZfS 2002, 454 = DAR 2002, 405 ff.<br />
3 ) Hillmann, 41. VGT 2003, S. 143 ff.<br />
4 ) Siehe die Ergebnisse des 44. VGT 2006, AK III, Seite 77 ff.<br />
5 ) A. A. Scheufen/Müller-Rath/Schubert, Kontrollteilnahme von Begutachtern der BASt an Explorationsgesprächen<br />
<strong>im</strong> Rahmen der MPU, NZV 2008, 332 ff.<br />
6 ) BGH, NJW 1983, 2371 ff.<br />
7 ) Scheufen/Müller-Rath/Schubert, a. a. O.<br />
8 ) Vergleiche hierzu die aktuelle Fassung des § 11Abs. 1, Nr. 4 bis 7 FeV.<br />
9 ) Haus, Das verkehrsrechtliche Mandat, Bd. 3 Verkehrsverwaltungsrecht, 1. Aufl. § 17, Rn. 142 m. w. N.<br />
10 ) Gr<strong>und</strong>satzentscheidung des <strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgerichts vom 24. 06. 1993, DAR 1993, 427.<br />
11 ) DAR 2002, 95 ff.<br />
12 ) Vgl. hierzu Leverenz „Das nachvollziehbare Eignungsgutachten“, DAR 1992, 50 ff.<br />
13 ) 30. VGT 1992, AKJ IV, Seite 142 ff.<br />
14 ) 32. VGT 1994, AKVI, Seite 234 ff.<br />
15 ) 35. VGT 1997, AKVII, Seite 248 ff.<br />
16 ) 41. VGT 2003, AK III, Seite 143 ff.<br />
Anschrift des Verfassers<br />
Rechtsanwalt <strong>und</strong> Fachanwalt für Verkehrsrecht<br />
Frank-Roland Hillmann<br />
Gartenstraße 14<br />
26122 Oldenburg<br />
Email: hillmann3@hillmann-partner.de<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Dokumentation I
Dokumentation I<br />
WOLFGANG SCHUBERT<br />
„Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung“ auf dem Prüfstand<br />
– Kurzfassung – * )<br />
Der Schutzpflicht des Staates kommt <strong>im</strong> Bereich der Verkehrssicherheit eine herausragende<br />
Rolle zu.<br />
Durch den Betrieb von Kraftfahrzeugen <strong>und</strong> anderen Transportmitteln gehen vom Fahrzeug<br />
<strong>und</strong> vom Fahrzeugführer erhöhte Gefahren für die Allgemeinheit aus.<br />
2008 wurden ca. 103.000 Betroffene in der Begutachtungsstelle für Fahreignung untersucht.<br />
Bei etwa 54 Mio. Führerscheininhabern in Deutschland sind demnach lediglich<br />
0,2 % Bewerber bzw. Inhaber einer Fahrerlaubnis betroffen.<br />
Das System der Bewertung der körperlichen <strong>und</strong> geistigen Eignung von Kraftfahrzeugführern<br />
steht auf Gr<strong>und</strong> der hohen Bedeutung des Führerscheines <strong>im</strong> Fokus des öffentlichen,<br />
medialen <strong>und</strong> privaten Interesses. In der Sache entzündet sich der Streit häufig an<br />
der Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU). Sie ist als Chance des Betroffenen<br />
für die Beseitigung behördlicher Zweifel an der Fahreignung auf Gr<strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitlicher<br />
oder verhaltensbezogener Auffälligkeiten (Betäubungsmittel, <strong>Alkohol</strong>, erhöhtes<br />
Aggressionspotenzial etc.) <strong>im</strong> Straßenverkehr zu verstehen. Die an der interdisziplinären<br />
Begutachtung beteiligten Ärzte, Diplom-Psychologen <strong>und</strong> ggf. Diplom-Ingenieure leisten<br />
einen entscheidenden Beitrag zur Erhöhung der Verkehrssicherheit.<br />
Der Referent stellt die fachlichen Gr<strong>und</strong>lagen (Akkreditierungsanforderungen, Begutachtungs-Leitlinien,<br />
Beurteilungskriterien etc.) <strong>und</strong> die Ausgangshypothesen in der Begutachtung<br />
dar. Durch die Begutachtungs-Leitlinien wurde die seinerzeit ausschließliche –<br />
häufig zum Nachteil der Betroffenen ausfallende – Krankheitsorientierung <strong>und</strong> Atomisierung<br />
der Begutachtung („das Auge“, „das Ohr“, „die <strong>Alkohol</strong>abhängigkeit“, „der Diabetes“<br />
etc.) überw<strong>und</strong>en. Dadurch konnte die ganzheitliche Betrachtung der bio-psycho-sozialen<br />
Einheit Mensch unter Berücksichtigung von Kompensationsmöglichkeiten erreicht<br />
werden. Der Wandel von einer merkmalsorientierten klassischen Diagnostik hin zu einer<br />
verhaltensbezogenen Prozessdiagnostik steht nicht <strong>im</strong> Widerspruch zur Anlassbezogenheit<br />
der Begutachtung.<br />
Der Referent erörtert Alternativen zur MPU <strong>und</strong> stellt Maßnahmen in Ländern vor, die<br />
kein interdisziplinäres Begutachtungssystem kennen. Ferner werden Reformvorschläge<br />
diskutiert.<br />
Der entscheidende Vorteil der MPU besteht in der Ausrichtung aller medizinischen,<br />
psychologischen <strong>und</strong> ingenieurtechnischen Maßnahmen auf die Einzelfallgerechtigkeit<br />
<strong>und</strong> den Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismäßigkeit.<br />
Anschrift des Verfassers<br />
Prof. Dr. Wolfgang Schubert<br />
DEKRA Automobil GmbH<br />
Ferdinand-Schultze-Str. 65<br />
13055 Berlin<br />
Email: wolfgang.schubert@dekra.com<br />
* ) Die Langfassung des auf dem 48. Deutschen Verkehrsgerichtstag 2010 gehaltenen Referats des Verfassers erscheint<br />
aus redaktionellen Gründen in der nächsten Ausgabe.<br />
113<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
114 Dokumentation I<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
LOTHAR SCHMIDT-ATZERT<br />
Die medizinisch-psychologische Untersuchung aus Sicht<br />
der wissenschaftlich f<strong>und</strong>ierten Psychologischen Diagnostik * )<br />
Die Gesellschaft hat ein berechtigtes Interesse daran, dass Menschen, die wahrscheinlich<br />
andere durch ihre Teilnahme am Straßenverkehr gefährden, vom Führen eines Kraftfahrzeugs<br />
abgehalten werden. Bei einer Begutachtung sind zwei Arten von Fehlern möglich:<br />
tatsächlich geeignete Kraftfahrer werden als „ungeeignet“ eingestuft <strong>und</strong> tatsächlich<br />
ungeeignete werden positiv begutachtet („geeignet“). Aus Sicht einer wissenschaftlich<br />
f<strong>und</strong>ierten Psychologischen Diagnostik können aber Wege aufgezeigt werden, wie die<br />
Fehler min<strong>im</strong>iert werden können: (1) durch die Auswahl „guter“ diagnostischer Verfahren,<br />
(2) durch sachgerechte Anwendung dieser Verfahren <strong>und</strong> (3) durch f<strong>und</strong>ierte Gutachten, in<br />
denen die diagnostischen Informationen angemessen zu einem abschließenden Urteil verarbeitet<br />
werden. Diese Forderungen nach Qualität werden <strong>im</strong> Folgenden erläutert <strong>und</strong> begründet.<br />
1. Qualität durch psychometrisch gute Verfahren<br />
Für diagnostische Verfahren gibt es anerkannte Qualitätsstandards, die einer Überprüfung<br />
zugänglich sind. Diese Standards finden sich in fast allen Lehrbüchern der Psychologischen<br />
Diagnostik (z. B. AMELANG & SCHMIDT-ATZERT, 2006; KUBINGER, 2009) <strong>und</strong> sind<br />
auch Gegenstand der DIN 33430 (siehe KERSTING, 2008; Gr<strong>und</strong>wissen dazu bei WESTHOFF<br />
et al., 2005). Diese Norm bezieht sich auf berufliche Eignungsbeurteilungen, die jedoch<br />
wesentliche Gemeinsamkeiten mit der Beurteilung der Fahreignung aufweist.<br />
1.1 Objektivität der Durchführung, Auswertung <strong>und</strong> Interpretation<br />
Die Erkenntnis, die man mit der Anwendung eines Tests, eines diagnostischen Interviews,<br />
einer Verhaltensbeobachtung oder -beurteilung etc. gewinnt, soll nicht davon abhängen,<br />
wer das Verfahren durchführt, auswertet <strong>und</strong> das Ergebnis interpretiert. Welche<br />
Maßnahmen dazu erforderlich sind, ist bekannt: Klare Anweisungen, wie ein Verfahren<br />
durchzuführen, auszuwerten <strong>und</strong> dessen Ergebnis zu interpretieren ist. Das nennt man<br />
Standardisierung.<br />
Bei Tests steht in den Verfahrenshinweisen (Testmanual), wie der Test durchzuführen<br />
ist (Ablauf, eventuell räumliche Bedingungen, zu verwendendes Material, Instruktionen,<br />
Zeitbegrenzungen, Umgang mit Fragen etc.). Für die Auswertung gibt es genaue Vorgaben,<br />
die z. B. regeln, wann eine Antwort als richtig oder falsch zu werten ist, wie die Antworten<br />
zu einem Gesamtwert verrechnet werden, wie mit Auslassungen oder Mehrfachankreuzungen<br />
(wenn nur eine Antwort vorgesehen ist) umzugehen ist. Die Objektivität der<br />
Interpretation wird durch Normtabellen, in denen das individuelle Testergebnis vor dem<br />
Hintergr<strong>und</strong> der Leistungen anderer Personen relativiert wird, sowie eine Beschreibung<br />
dessen, was mit dem Test gemessen wird, sichergestellt. Die Verfahrenshinweise sollen<br />
Angaben zur Objektivität, gegliedert nach Durchführung, Auswertung <strong>und</strong> Interpretation,<br />
* ) Leicht überarbeitete Version des von dem Verfasser auf dem 48. Deutschen Verkehrsgerichtstag 2010 gehaltenen<br />
Referats.
Dokumentation I<br />
enthalten. Normalerweise wird die Objektivität argumentativ begründet, indem auf Maßnahmen<br />
verwiesen wird, die der Standardisierung dienen. Gute, standardisierte Testverfahren<br />
– kompetent angewandt – bieten in der Regel eine sehr hohe Objektivität.<br />
Be<strong>im</strong> diagnostischen Interview, das in der Verkehrseignungsdiagnostik auch als Exploration<br />
bezeichnet wird, dient ein gut ausgearbeiteter Interviewleitfaden der Standardisierung<br />
der Durchführung <strong>und</strong> eventuell auch der Auswertung <strong>und</strong> Interpretation. Werden<br />
einem Interview die „Beurteilungskriterien“ (SCHUBERT & MATTERN, 2009) zugr<strong>und</strong>e gelegt,<br />
wird ein halbstandardisiertes Interview resultieren, das per Definition nicht sehr objektiv<br />
ist, da den Interviewern bewusst keine Vorschriften bis ins Detail gemacht werden.<br />
Anders als bei Tests genügt es nicht, die Objektivität eines Interviews alleine durch Hinweise<br />
auf ein standardisiertes Vorgehen zu begründen. Das Verhalten eines Interviewers<br />
lässt sich nicht wie ein Test standardisieren. Deshalb ist es angemessen, die Abhängigkeit<br />
des Interviewergebnisses von der Person des Interviewers empirisch zu ermitteln. Beispielsweise<br />
n<strong>im</strong>mt ein zweiter Interviewer teil, beide Interviewer geben ihre Beurteilungen<br />
unabhängig voneinander ab <strong>und</strong> die Übereinst<strong>im</strong>mung wird berechnet (oft als „Interviewerreliabilität“<br />
bezeichnet, obwohl es sich definitiv um Objektivität handelt).<br />
Da keine systematische Forschung zur Objektivität von verkehrseignungsdiagnostischen<br />
Interviews vorliegt, soll ein Blick auf Interviews in anderem Kontext geworfen werden.<br />
Bei der Feststellung der Berufseignung wurde über viele Studien eine Übereinst<strong>im</strong>mung<br />
von r = .75 ermittelt. Dieser Wert bezieht sich auf die Übereinst<strong>im</strong>mung von<br />
Interviewern in Interviews mit einer mittleren bis hohen Standardisierung (Stufe 3 <strong>und</strong> 4<br />
auf einer Skala von 1 bis 5; (CONWAY, JAKO & GOODMAN, 1995). Selbst bei max<strong>im</strong>aler<br />
Standardisierung der Fragen (Stufe 5) war die Übereinst<strong>im</strong>mung mit r = .92 nicht perfekt.<br />
Strukturierte (hoch standardisierte) Interviews zur Diagnostik psychischer Störungen weisen<br />
je nach Störung unterschiedlich hohe Übereinst<strong>im</strong>mungen auf. Die Mitte liegt etwa<br />
zwischen .70 <strong>und</strong> .80 (SEGAL, HERSEN & VAN-HASSELT, 1994).<br />
Fazit ist, dass die Beurteilung, die Klienten selbst in einem relativ stark standardisierten<br />
Interview erfahren, etwa zu 25 Prozent durch unsystematische Faktoren („Messfehler“)<br />
bedingt ist (entspricht r = .75). Das bedeutet, dass in vielen Fällen die Beurteilung anders<br />
ausgefallen wäre, wenn eine andere Person das Interview durchgeführt <strong>und</strong> ausgewertet<br />
hätte.<br />
Die Objektivität von diagnostischen Interviews kann <strong>im</strong> Wesentlichen durch zwei Maßnahmen<br />
erhöht werden: durch stärkere Standardisierung der Durchführung (ausformulierte<br />
Fragen, feste Reihenfolge etc.) <strong>und</strong> durch Schulung der Interviewer. Ein völlig standardisiertes<br />
diagnostisches Interview würde in der Praxis ein neues Problem aufwerfen: die<br />
Fragen würden sehr bald bekannt. Als etwa an einer bayrischen Universität ein Interview<br />
zur Auswahl von Studienbewerbern eingesetzt wurde, konnte man bald die Fragen in<br />
„focus online“ nachlesen, nebst Empfehlungen zur „richtigen“ Antwort. Die <strong>gegen</strong>wärtige<br />
Praxis, mit halbstandardisierten Interviews zu arbeiten, stellt also vermutlich einen guten<br />
Kompromiss zwischen zwei kaum zu vereinbarenden Anforderungen dar: hohe Durchführungsobjektivität<br />
<strong>und</strong> hohe Verfälschungssicherheit. Durch Schulung der Interviewer wird<br />
die Objektivität von Interviews erhöht. Im Bereich der beruflichen Eignungsbeurteilung<br />
konnte eine Verbesserung nachgewiesen werden; der Effekt ist jedoch nicht groß (CONWAY<br />
et al., 1995). Damit bleibt als Fazit festzuhalten, dass in der Verkehrseignungsdiagnostik<br />
nur geringe Chancen bestehen, die Objektivität der diagnostischen Interviews zu erhöhen.<br />
Durch eine gute Dokumentation des Interviews kann die Angemessenheit der Durchfüh-<br />
115<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
116<br />
rung, Auswertung <strong>und</strong> Interpretation jedoch einer nachträglichen Überprüfung zugänglich<br />
gemacht werden. Dies ist vermutlich die einzige konstruktive Lösung für den Umgang mit<br />
der begrenzten Objektivität.<br />
1.2 Messgenauigkeit<br />
Die Messgenauigkeit (Reliabilität) ist von großer Bedeutung, wenn ein Verfahren <strong>im</strong><br />
Einzelfall angewandt wird. Das ermittelte Ergebnis (der beobachtete Messwert) ist <strong>im</strong>mer<br />
mit einer gewissen Ungenauigkeit behaftet. Mit dem sogenannten Konfidenzintervall wird<br />
angegeben, wie stark der „wahre“ Messwert vom beobachteten abweichen kann. Neben<br />
der gewählten Urteilssicherheit (z. B. 90 Prozent) ist die Messgenauigkeit des Verfahrens<br />
entscheidend. Je höher sie ist, desto kleiner ist die mögliche Abweichung des „wahren“<br />
Messwertes vom beobachteten. Ein Messwert liegt vielleicht knapp unter einer als kritisch<br />
definierten Grenze <strong>und</strong> der Klient erfüllt damit eine Mindestanforderung nicht. Unter Berücksichtigung<br />
der Messgenauigkeit des Verfahrens kann der „wahre“ Messwert aber auch<br />
über dem kritischen Wert liegen. In diesem Fall ist die Aussage, dass der Klient die Mindestanforderung<br />
nicht erfüllt, fragwürdig. Es könnte sehr gut sein, dass seine Fähigkeit<br />
doch ausreicht, sein tatsächlicher Messwert also möglicherweise über der kritischen Grenze<br />
liegt. Umgekehrt bietet ein Messwert über dem kritischen Wert keine Gewähr dafür,<br />
dass der Klient bei dem Merkmal tatsächlich über das notwendige Ausmaß verfügt. Unter<br />
Umständen liegt sein „wahrer“ Messwert doch unterhalb des Grenzwertes.<br />
Anhand konkreter Zahlen wird die Problematik veranschaulicht. Den Begutachtungs-<br />
Leitlinien zur Kraftfahrereignung zufolge wird bei allen relevanten Verfahren zur Beurteilung<br />
der psychischen Leistungsfähigkeit als Eignungsvoraussetzung für best<strong>im</strong>mte<br />
Fahrerlaubnisklassen mindestens ein Prozentrangwert von 16 verlangt (UTZELMANN &<br />
BRENNER-HARTMANN, 2005). Der Klient muss also bei dem untersuchten Merkmal mindestens<br />
15,9 Prozent der Vergleichspersonen mit seinem Testwert übertreffen. Mit einem Prozentrangwert<br />
von 16 hat er die kritische Grenze überschritten <strong>und</strong> gilt bezüglich des Merkmals<br />
als geeignet. Sicher ist die Aussage aber nur, wenn das Verfahren eine Messgenauigkeit<br />
von 1 hat – was in der Praxis nicht vorkommt.<br />
Nehmen wir an, dass ein Test mit einer Messgenauigkeit von .90 eingesetzt wurde <strong>und</strong><br />
dass der „wahre“ Testwert mit einer Wahrscheinlichkeit von mindestens 95 Prozent wirklich<br />
über der kritischen Grenze liegt soll. (Für die folgenden Überlegungen wurden Prozentrangwerte<br />
in Standardwerte transformiert, damit Konfidenzintervalle berechnet (siehe<br />
z. B. AMELANG & SCHMIDT-ATZERT, 2006) <strong>und</strong> der resultierende Standardwert wieder in<br />
einen Prozentrang rücktransformiert.) Unter den genannten Bedingungen könnte man erst<br />
ab einem Prozentrangwert von 32 annehmen, dass der wahre Messwert tatsächlich über<br />
der kritischen Grenze von 16 liegt. Auf der anderen Seite kann man bei einem sehr niedrigen<br />
Testwert fragen, ob der wahre Wert sehr wahrscheinlich unter der kritischen Grenze<br />
liegt. Bei einem Prozentrang von 7 reicht das Konfidenzintervall knapp über den kritischen<br />
Prozentrangwert von 16 hinaus. Unter Berücksichtigung der Messgenauigkeit des<br />
Tests könnte man also nicht ausschließen, dass die tatsächliche Testleistung noch „<strong>im</strong><br />
grünen Bereich“ liegt.<br />
Die Messgenauigkeit kann auf unterschiedliche Weise geschätzt werden. Eine Methode<br />
besteht darin, das gleiche Verfahren erneut durchzuführen <strong>und</strong> den Zusammenhang zwischen<br />
erster <strong>und</strong> zweiter Messung zu berechnen (Retest-Reliabilität). Bei der Kraftfahrer-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Dokumentation I
Dokumentation I<br />
eignung wird eine Aussage für die Zukunft gemacht, weshalb diese Methode sehr angemessen<br />
ist. Im Testmanual sollte man also eine verlässliche Angabe zur Retest-Reliabilität<br />
finden. „Verlässlich“ bedeutet, dass die Untersuchung an einer angemessenen <strong>und</strong> hinreichend<br />
großen Stichprobe mit einem adäquaten Zeitabstand durchgeführt wurde. Um einmal<br />
Zahlen zu nennen: wenigstens 100 Personen <strong>und</strong> ein Zeitabstand von einem Jahr<br />
wären angemessen. Bei Leistungstests liegen die Werte für die Retest-Reliabilität unter<br />
den genannten Bedingungen in der Größenordnung von .90.<br />
Fazit ist, dass bei einer niedrigen Messgenauigkeit kaum noch sichere Aussagen möglich<br />
sind. Der festgestellte Messwert gilt dann nur als ungefähre Schätzung des tatsächlichen<br />
Wertes. Deshalb ist eine möglichst hohe Messgenauigkeit anzustreben. Bei Testverfahren<br />
haben die Testautoren eine Bringschuld; sie sollen brauchbare Angaben zur Reliabilität<br />
ihres Verfahrens machen. Für die Kraftfahrereignung ist in der Regel die Retest-Reliabilität<br />
von Bedeutung. Die berichteten Werte sind mit denen ähnlicher Verfahren zu vergleichen<br />
– absolute Aussagen über die angemessene Höhe solcher Koeffizienten sind nicht<br />
sinnvoll.<br />
1.3 Validität<br />
Die Validität oder Gültigkeit eines Verfahrens besagt, in welchem Maße tatsächlich das<br />
gemessen wird, was man eigentlich messen will. Es gibt verschiedene Methoden, die Validität<br />
zu best<strong>im</strong>men. Für die praktische Anwendung ist entscheidend, ob das mit einem<br />
Verfahren vorhergesagte Verhalten (z. B. Unfallfreiheit, Fahrfehler, kein <strong>Alkohol</strong> mehr am<br />
Steuer) tatsächlich eintritt. Bevor ein Verfahren zur Messung der Kraftfahrereignung oder<br />
spezieller Aspekte wie Reaktionsfähigkeit, selektiver Aufmerksamkeit etc. eingesetzt<br />
wird, sollten überzeugende Nachweise zu seiner Kriteriumsvalidität vorliegen.<br />
Eine entscheidende Frage ist, an welchem Kriterium ein Verfahren validiert wird. Um sie<br />
angemessen beantworten zu können, ist die Messintention zu beachten. Wurde ein Test<br />
entwickelt, um die Aufmerksamkeit zu erfassen, kann eine standardisierte Fahrprobe zur<br />
Validierung herangezogen werden. Bei einer Fahrprobe können Fahrfehler auftreten, die<br />
auf mangelnde Aufmerksamkeit zurückzuführen sind. Eine Fahrprobe ist da<strong>gegen</strong> ungeeignet,<br />
um ein Interview zu validieren, welches das Risiko erfassen soll, alkoholisiert am<br />
Straßenverkehr teilzunehmen. Zu einer Fahrprobe werden fast alle Teilnehmer unalkoholisiert<br />
erscheinen <strong>und</strong> wenn ein Merkmal nicht variiert, ist es zur Validierung ungeeignet.<br />
Unfallhäufigkeiten sind schwer zu interpretieren, da sie u. a. vom Ausmaß der<br />
Verkehrsteilnahme abhängen. Wer viel fährt, hat ein größeres Risiko, aber auch mehr<br />
Fahrpraxis als Wenigfahrer (vgl. BERG, KIESCHKE & SCHUBERT, 2008). Deshalb müssen<br />
solche Faktoren mit erfasst <strong>und</strong> statistisch kontrolliert werden.<br />
In der Praxis ist es meist sehr schwierig, belastbare Daten zu beschaffen. Der Aufwand<br />
ist weitaus größer als bei der Best<strong>im</strong>mung der Reliabilität. Die Erforschung der Validität<br />
kann nicht den Testautoren alleine aufgebürdet werden. Vielmehr sollten sich auch andere<br />
Wissenschaftler beteiligen, zumal die Validierung auch mit anderen Forschungsfragen<br />
kombiniert werden kann. Die Validierung eines Verfahrens ist ein nie endender Prozess.<br />
Idealerweise wird ein Verfahren an mehreren Kriterien validiert, die Generalisierbarkeit<br />
der Ergebnisse auf andere Populationen ist zu prüfen (z. B. gilt das auch für ältere Verkehrsteilnehmer?)<br />
<strong>und</strong> die Frage ist zu beantworten, wie valide das Verfahren <strong>im</strong> Vergleich<br />
zu anderen ist <strong>und</strong> ob es zusätzliche Erkenntnisse bringt (inkrementelle Validität).<br />
117<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
118<br />
Zu den <strong>im</strong> deutschen Sprachraum verfügbaren Tests, die zur Verkehrseignungsdiagnostik<br />
eingesetzt werden können, liegen einige Validierungsstudien vor. Kriterium ist meist<br />
das Fahrverhalten in einer standardisierten Fahrprobe <strong>und</strong> als Probanden dienen meist<br />
Kraftfahrer, welche die Tests <strong>und</strong> die Fahrprobe unter „Ernstfallbedingungen“ <strong>im</strong> Rahmen<br />
einer Begutachtung absolvieren. Dieses Vorgehen ist der Fragestellung angemessen. Die<br />
Personenstichprobe muss nicht repräsentativ sein; ist die Streuung der Testwerte größer<br />
oder kleiner als in einer repräsentativen Normstichprobe (siehe unten), so kann dieser Störfaktor<br />
rechnerisch leicht korrigiert werden (Korrektur für Varianzeinschränkung). BUKASA<br />
<strong>und</strong> UTZELMANN (2009) berichten, dass die korrelativen Zusammenhänge „bis zu einer<br />
Höhe von r = .40“ (S. 258) reichen. In einer in dieser Übersichtsarbeit nicht zitierten Studie<br />
von RISSER, SOMMER, GRUNDLER, CHALOUPKA <strong>und</strong> KAUFMANN (2007) fanden sich für<br />
50 Personen, die wegen verschiedener Verkehrsauffälligkeiten begutachtet wurden, Korrelationen<br />
zwischen r = .07 (Gesichtsfeld) <strong>und</strong> .42 (Tachistoskopischer Verkehrsauffälligkeitstest),<br />
wobei der Mittelwert der 8 Validitätskoeffizienten bei r = .26 lag. Für eine größere<br />
Stichprobe von Freiwilligen (N = 222) lagen die Korrelationen in ähnlicher Höhe.<br />
Die praktische Bedeutung von Validitätskoeffizienten lässt sich daran ablesen, wie viele<br />
ungeeignete Kraftfahrer mit einem solchen Test erkannt werden. Dazu nehmen wir an,<br />
dass 100 Kraftfahrer untersucht werden <strong>und</strong> davon 16 Prozent tatsächlich nicht geeignet<br />
sind. Ferner nehmen wir an, dass die Gutachter genau 16 Prozent der Klienten aufgr<strong>und</strong><br />
eines niedrigen Testwertes als ungeeignet einstufen (die Prozentwerte ergeben sich aus den<br />
Vorgaben der Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung). Mit Hilfe der Taylor<br />
Russell Tafeln (vgl. AMELANG & SCHMIDT-ATZERT, 2006, S. 405) kann man ermitteln, dass<br />
bei einer Validität von r = .30 nur 5 (exakt 4,6) der 16 Ungeeigneten entdeckt würden. Das<br />
entspricht einer Trefferquote von 29 Prozent. Zugleich würden von den 84 Geeigneten 11<br />
fälschlicherweise als ungeeignet zurückgewiesen. (Für die Berechnung wurde eine frei<br />
verfügbare Software benutzt: www.ki-bit.com/taylorrussell/.) Diagnostische Entscheidungen<br />
sollten unter diesen Bedingungen nicht alleine mit dem Testwert begründet werden!<br />
Eine erhebliche Verbesserung der Kriteriumsvalidität ist zu erwarten, wenn man nicht<br />
einen einzelnen Test, sondern eine ganze Testbatterie verwendet. Voraussetzung ist, dass<br />
die einzelnen Tests sich „ergänzen“, also zusätzliche Kriteriumsvarianz aufklären <strong>und</strong> opt<strong>im</strong>al<br />
gewichtet werden. Die Gewichte werden üblicherweise mit Hilfe einer multiplen<br />
linearen Regression empirisch ermittelt. Neuerdings kommt mit den Künstlichen Neuronalen<br />
Netzen (KNN) auch ein Verfahren zum Einsatz, das nicht lineare Zusammenhänge<br />
opt<strong>im</strong>al verwertet <strong>und</strong> komplexe Beziehungen zwischen den Prädiktoren (z. B. Testwerten)<br />
entdeckt. Idealerweise wird das KNN am Datensatz einer Stichprobe trainiert <strong>und</strong> die<br />
Verrechnungsregeln für die Prädiktoren werden dann auf eine neue Stichprobe angewandt.<br />
RISSER et al. (2007) haben ihre Daten mit einem KNN analysiert <strong>und</strong> eine Validität von<br />
R = .62 ermittelt. Mit solchen Modellen entfernt man sich von dem Konzept multipler<br />
Mindestwerte, die zu erfüllen sind, ebenso wie von einer hypothesengeleiteten Diagnostik.<br />
Die Prädiktoren werden auf inhaltlich nicht oder zumindest sehr schwer nachvollziehbare<br />
Weise verrechnet. BERG et al. (2008) kritisieren zu Recht die mangelnde Nachvollziehbarkeit.<br />
Dennoch: wenn ein solches Modell in der Praxis gut funktioniert, also unverändert (!)<br />
auf relevante Stichproben angewandt <strong>im</strong>mer wieder Validitätskoeffizienten in der gleichen<br />
Größenordnung hervorbringt, ist sein Nutzen anzuerkennen.<br />
Zum diagnostischen Interview, das bei der Begutachtung von verkehrsauffälligen Kraftfahrern<br />
einen großen Stellenwert hat, fehlen aussagekräftige Validierungsstudien aus dem<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Dokumentation I
Dokumentation I<br />
verkehrspsychologischen Bereich. Es liegen aber Forschungsergebnisse zu Interviews vor,<br />
die auch für die Exploration zur Kraftfahrereignung von Bedeutung sind. Die Beurteilung<br />
in einem Interview wird systematisch verzerrt. In einer Metaanalyse der einschlägigen<br />
Forschungsergebnisse haben BARRICK et al. (2009) festgestellt, dass (1) die physische Attraktivität,<br />
(2) die Strategie, einen guten Eindruck zu machen (<strong>im</strong>pression.management)<br />
<strong>und</strong> (3) der Einsatz von nonverbalen Signalen wie Lächeln oder Blickkontakt aufnehmen<br />
in einem deutlichen Zusammenhang mit der Beurteilung durch die Interviewer stehen<br />
(r = .54, .55, .40). Die Effekte erwiesen sich als umso größer, je weniger strukturiert die<br />
Interviews waren. Interviews sind anfällig für absichtliche Verfälschungen seitens der<br />
Interviewer, allerdings weniger stark als Persönlichkeitsfragebogen (VAN IDDEKINGE, RAY-<br />
MARK & ROTH, 2005). Befragungen zeigen, dass Bewerber in Einstellungsinterviews ein<br />
umfangreiches Repertoire an Verhaltensweisen einsetzen, um einen positiven Eindruck zu<br />
erzeugen (LEVASHINA & CAMPION, 2007). Dieser Bef<strong>und</strong> dürfte auch für die Verkehrseignungsdiagnostik<br />
relevant sein.<br />
Fazit zur Validität ist, dass für jedes eingesetzte Verfahren aussagekräftige Belege verlangt<br />
werden sollen, wie hoch der Zusammenhang mit einem praktisch <strong>und</strong> theoretisch<br />
relevanten Kriterium ist. Die bekannten Kriteriumsvaliditäten von Leistungstests reichen<br />
nicht aus, um die 16 Prozent der Personen zu entdecken, die die niedrigste Fähigkeit aufweisen.<br />
Die Trefferquote ist unter diesen Bedingungen zu gering. Deshalb kann ein niedriger<br />
Testwert nur ein Hinweis unter anderen sein. Durch Kombination mehrerer Tests, die<br />
zudem opt<strong>im</strong>al gewichtet werden, können relativ hohe Validitäten erzielt werden, die aber<br />
eventuell inhaltlich nicht gut nachvollziehbar sind; man versteht unter Umständen nicht<br />
mehr, was eigentlich gemessen wird. Für diagnostische Interviews <strong>im</strong> Rahmen der Kraftfahrereignung<br />
liegen keine belastbaren Validitätsbelege vor. Hier besteht also dringender<br />
Forschungsbedarf.<br />
1.4 Normen<br />
Testwerte werden üblicherweise interpretiert, indem man das individuelle Testergebnis<br />
mit den Ergebnissen vieler anderer Personen vergleicht. Die Testautoren stellen dazu<br />
Normtabellen zur Verfügung, in denen man die relative Position der untersuchten Person<br />
direkt ablesen kann. Die Position wird in Form von standardisierten Werten wie IQ-, T-,<br />
Standardwerten oder auch Prozenträngen angegeben.<br />
Für die meisten Anwendungen ist (1) eine möglichst repräsentative Stichprobe von Personen<br />
erstrebenswert. Die Stichprobe muss (2) hinreichend groß sein (mehrere h<strong>und</strong>ert<br />
Personen) <strong>und</strong> die Erhebung der Daten soll (3) nicht allzu lange zurückliegen, da sich einige<br />
Testleistungen <strong>im</strong> Laufe der Zeit verändern. In der DIN 33430 wird daher gefordert,<br />
dass die Angemessenheit der Normen spätestens nach acht Jahren überprüft werden soll.<br />
Bei der Normierung muss der Test (4) unter den gleichen Bedingungen durchgeführt werden<br />
wie <strong>im</strong> späteren Einsatz.<br />
Da eine gute Normierung sehr aufwändig ist, finden sich <strong>im</strong>mer wieder unzulänglich<br />
normierte Verfahren. Im Testmanual ist u. a. dazulegen, nach welchen Kriterien die Eichstichprobe<br />
zusammengesetzt wurde (z. B. Zusammensetzung nach Bildungsstand wie in<br />
der Gesamtbevölkerung) <strong>und</strong> wo <strong>und</strong> wie die Daten erhoben wurden.<br />
In den Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung werden für best<strong>im</strong>mte Verfahren<br />
kritische Prozentrangwerte (33 bzw. 16) verlangt. Mängel bei der Normierung können<br />
119<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
120<br />
dazu führen, dass diese Grenzen mit dem Test falsch ermittelt werden. Die Zusammensetzung<br />
der Normstichprobe ist von entscheidender Bedeutung. Zur Beantwortung der Frage,<br />
ob der Klient zu den schlechtesten 16 Prozent der Bevölkerung gehört, ist eine repräsentative<br />
Stichprobe zwingend erforderlich. Ungeeignet wäre eine Stichprobe von Personen,<br />
die eine Begutachtungsstelle aufsuchen – auch wenn deren Motivation bei der Testdurchführung<br />
möglicherweise typischer ist als die von Freiwilligen (vgl. SCHUHFRIED, 2004).<br />
Die Normierung sollte auch nicht an einer Stichprobe erfolgen, welche die gesamte Bevölkerung<br />
repräsentiert. Sinnvoll ist eine Eingrenzung auf den Altersbereich ab 18 Jahren.<br />
Kinder, die bei vielen Leistungstests deutlich schlechtere Leistungen erzielen als Erwachsene,<br />
sind für den Vergleich nicht relevant, zumal sie auch nicht als Kraftfahrer auftreten.<br />
Auch wenn für viele Fragestellungen alters- oder geschlechtsspezifische Normen sinnvoll<br />
sind, so nicht für die Feststellung der Mindestanforderungen (Prozentrang 16 bzw.<br />
33). Für diese Frage muss eine Normstichprobe zur Verfügung stehen, in der alle Altersgruppen<br />
ab 18 Jahren anteilsmäßig so vertreten sind, wie es die Bevölkerungsstatistik ausweist.<br />
Das stellt Testautoren vor ein schwer lösbares Problem: Menschen <strong>im</strong> hohen Alter,<br />
vor allem die mit körperlichen <strong>und</strong> geistigen Einschränkungen, sind meist schwer für eine<br />
Untersuchungsteilnahme zu gewinnen – sie sind aber Teil der Bevölkerung <strong>und</strong> sollten<br />
deshalb mit ihren in der Regel schlechten Testleistungen in die Normierung einfließen. Vor<br />
dem Einsatz eines Tests ist folglich genau zu prüfen, wie sich die Normstichprobe zusammensetzt.<br />
Es gibt eine Alternative zu Normen: Kriterien. Wenn best<strong>im</strong>mte Kriterien vorliegen,<br />
wird damit festgestellt, dass ein Merkmal hinreichend ausgeprägt ist. Die Diagnostik psychischer<br />
Störungen nach DSM-IV <strong>und</strong> ICD-10 folgt dieser Logik. Liegen best<strong>im</strong>mte<br />
Symptome oder eine best<strong>im</strong>mte Anzahl von definierten Symptomen vor, spricht dies für<br />
das Vorliegen der Störung. Kriterien werden <strong>im</strong>mer von Menschen festgelegt, auch wenn<br />
sie empirische Bef<strong>und</strong>e zur Begründung heranziehen. Es wäre denkbar, für die Kraftfahrereignung<br />
best<strong>im</strong>mte Mindestleistungen in Tests festzulegen. Als Begründung könnte<br />
dienen, dass viele Personen, die schwere Unfälle verursacht haben, diese Mindestleistung<br />
nicht erbringen, wohl aber fast alle unauffälligen Fahrer. Dazu wären Risikotabellen erforderlich,<br />
wie sie aus der forensischen Psychologie zur Vorhersage des Rückfallrisikos bei<br />
der Entlassung bekannt sind.<br />
1.5 Beurteilung der Qualität von Tests<br />
Die Anforderungen an gute Tests sind, wie die Ausführungen oben gezeigt haben, sehr<br />
komplex. Selbst für Experten ist es schwer, sich anhand der Angaben <strong>im</strong> Testmanual ein<br />
genaues Bild zu machen <strong>und</strong> mehrere zur Auswahl stehende Verfahren vergleichend zu bewerten.<br />
Informationen über Tests finden sich in Testrezensionen, einigen Lehrbüchern<br />
sowie in Testkompendien (z. B. BRÄHLER, HOLLING, LEUTNER & PETERMANN, 2002). Allerdings<br />
sind die Beurteilungen nicht einheitlich <strong>und</strong> damit schwer zu vergleichen. Die beiden<br />
großen Psychologenverbände Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs) <strong>und</strong> Berufsverband<br />
Deutscher Psychologinnen <strong>und</strong> Psychologen (BDP) haben daher über ihre<br />
gemeinsame Einrichtung „Testkuratorium“ ein Instrumentarium zur möglichst objektiven<br />
Bewertung von Tests geschaffen (siehe Testkuratorium, 2007). Das „Testbeurteilungssystem“<br />
sieht die Beurteilung von Tests nach einem festen Schema vor. Zwei zunächst völlig<br />
unabhängig voneinander arbeitende Experten beschreiben <strong>und</strong> bewerten den Test nach be-<br />
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Dokumentation I
Dokumentation I<br />
st<strong>im</strong>mten Vorgaben (z. B. Aussagen zur Reliabilität). Die beiden Experten erstellen dann<br />
auf der Gr<strong>und</strong>lage der nun ausgetauschten Berichte eine gemeinsame Beurteilung. Diese<br />
wird den Testautoren vorgelegt, die eine Stellungsnahme dazu abgeben können. Deren<br />
Einwände können, müssen aber nicht zwingend in der endgültigen Testbeurteilung berücksichtigt<br />
werden. Die Testbeurteilungen werden durch Publikation in Fachzeitschriften<br />
sowie auf einer Internetplattform (www.zpid.de/index.php?wahl=Testkuratorium) öffentlich<br />
zugänglich gemacht.<br />
Diese Testbeschreibungen <strong>und</strong> -beurteilungen werden für potentielle Testanwender aus<br />
sehr unterschiedlichen Berufsfeldern angefertigt. Zudem wurden bisher nur wenige Tests<br />
rezensiert. Es könnte für die Verkehrseignungsdiagnostik von Nutzen sein, nach dem Vorbild<br />
des Testkuratoriums ein eigenes Testbeurteilungssystem zu etablieren. Damit könnte<br />
auch geprüft werden, wie gut ein Test für die Beantwortung der speziellen Fragestellungen<br />
geeignet ist, die bei der Beurteilung der Kraftfahrereignung eine Rolle spielen.<br />
2. Qualität durch sachgerechte Anwendung der Verfahren<br />
Die Objektivität gilt als Gütekriterium eines Verfahrens, das so angewandt wird, wie es<br />
in den Anweisungen steht. Es gibt aber auch Selbstverständlichkeiten, die normalerweise<br />
nicht <strong>im</strong> Manual stehen, die aber <strong>im</strong> Rahmen einer guten Diagnostikausbildung vermittelt<br />
werden. Neben der Qualität der Verfahren kommt der Qualifikation der Anwender eine<br />
große Bedeutung zu. In der DIN 33430 zur beruflichen Eignungsbeurteilung (siehe oben)<br />
werden daher konsequenterweise Qualifikationsanforderungen an die Personen gestellt,<br />
die ein Verfahren durchführen (die „Mitwirkenden“) sowie an diejenigen, die die Untersuchung<br />
planen, die Ergebnisse interpretieren etc. (die „Auftragnehmer“).<br />
Best<strong>im</strong>mte Verhaltensweisen wie die nachfolgend genannten verletzen die Objektivität<br />
eines Verfahrens <strong>und</strong> zum Teil auch die Gültigkeit der Ergebnisse – selbst wenn sie gutgemeint<br />
sind:<br />
– Abweichungen von der Instruktion (z. B. Hinweis auf Lösungsstrategien), die nicht<br />
explizit erlaubt sind.<br />
– Hilfestellung bei der Testbearbeitung (z. B. „denken Sie über diese Antwort noch einmal<br />
nach“), die nicht explizit <strong>im</strong> Manual als zulässig genannt sind.<br />
– Abweichung von den Zeitbegrenzungen (z. B. Zugabe, um eine „Benachteiligung“ der<br />
Testperson auszugleichen).<br />
– Wiederholung des Tests bei schlechtem Ergebnis (bei Leistungstests treten Übungsgewinne<br />
auf).<br />
– Bei der Auswertung best<strong>im</strong>mte Fehler nicht mitzählen („die Aufgabe war für den<br />
Klienten zu schwer“).<br />
– Bei der Auswertung andere Gewichtung als vorgeschrieben vornehmen („diese Art von<br />
Aufgaben ist für die Fragestellung nicht so wichtig; deshalb werte ich sie nur halb“).<br />
– Verwendung anderer Normtabellen als vorgeschrieben (z. B. „der Klient wird bald<br />
fünfzig – deshalb nehme ich schon einmal die Normen für 50- bis 60-Jährige“).<br />
– Suggestivfragen <strong>im</strong> Interview.<br />
Die sachgemäße Anwendung von Verfahren kann durch eine gute Ausbildung, Schulungen,<br />
Training, Supervision <strong>und</strong> weitere Maßnahmen sichergestellt werden. Bei Bedarf<br />
kann durch eine Prüfung festgestellt werden, dass jemand über die notwendigen Kenntnisse<br />
<strong>und</strong> Fertigkeiten verfügt. Im Rahmen der Berufseignungsdiagnostik nach DIN 33430<br />
121<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
122<br />
wurde eine Personenlizenzierung eingeführt, der eine erfolgreich abgelegte Prüfung vorausgehen<br />
muss (siehe KERSTING, 2008). In der verkehrspsychologischen Diagnostik werden<br />
die Träger von Begutachtungsstellen bei einer Akkreditierung verpflichtet, die erforderliche<br />
Ausbildung <strong>und</strong> notwendige Weiterbildung ihrer Mitarbeiter nachzuweisen. Die<br />
Gutachter müssen mindestens drei Tage pro Jahr an einschlägigen Fortbildungsmaßnahmen<br />
teilnehmen (HEINRICHS, BARTMANN, HOFFMANN & WEINAND, 2009).<br />
3. Qualität durch f<strong>und</strong>ierte Gutachten<br />
Der Begutachtungsprozess beginnt damit, dass der Gutachter entscheidet, welche Informationen<br />
er zur Beantwortung der Fragestellung benötigt <strong>und</strong> welche Verfahren dazu am<br />
besten geeignet sind. In einem medizinisch-psychologischen Gutachten werden Erkenntnisse<br />
aus mehreren Quellen (insbesondere Tests, medizinische Bef<strong>und</strong>e, Akten, diagnostisches<br />
Interview) zur Beantwortung der Fragestellung integriert <strong>und</strong> bewertet. Sorgfältig<br />
erhobene Informationen sind noch kein Garant für ein sachgerechtes Gutachten. Zur Beantwortung<br />
der Fragestellung müssen Übereinst<strong>im</strong>mungen <strong>und</strong> Widersprüche zwischen<br />
den vorliegenden Informationen erkannt <strong>und</strong> interpretiert werden <strong>und</strong> eingangs aufgestellte<br />
Hypothesen sind anhand der gewonnen Erkenntnisse zu beantworten (ausführliche Information<br />
dazu bei PROYER & ORTNER, 2009, sowie WESTHOFF & KLUCK, 2008). Damit<br />
wird deutlich, dass hohe Anforderungen an die Gutachter gestellt werden.<br />
In der Fahreignungsdiagnostik erhalten die Gutachter durch die „Beurteilungskriterien“<br />
(SCHUBERT & MATTERN, 2009) sowie die Kommentare zu den Begutachtungs-Leitlinien<br />
zur Kraftfahrereignung (SCHUBERT, SCHNEIDER, EISENMENGER & STEPHAN, 2005) eine sehr<br />
gute Hilfestellung. Die Erfahrung aus der universitären Lehre zeigt, dass selbst trotz klarer<br />
Anleitungen, Übungen <strong>und</strong> individueller Rückmeldungen am Ende nicht <strong>im</strong>mer qualitätsvolle<br />
Gutachten verfasst werden. Deshalb ist es nicht verw<strong>und</strong>erlich, dass auch bei Gutachten<br />
zur Fahrereignung zum Teil erhebliche Mängel festgestellt wurden (WITTKOWSKI &<br />
SEITZ, 2004).<br />
Die stichprobenartige Überprüfung von Gutachten, wie sie <strong>im</strong> Rahmen der Akkreditierung<br />
von Begutachtungsstellungen für Fahreignung vorgesehen ist (HEINRICH et al., 2009),<br />
ist eine notwendige <strong>und</strong> auch angemessene Maßnahme zur Qualitätssicherung. Die Tatsache,<br />
dass die Überprüfung von Experten der <strong>B<strong>und</strong></strong>esanstalt für Straßenwesen (BASt) vorgenommen<br />
wird, weist auf zwei Seiten der Medaille hin. Einerseits wird damit eine kompetente<br />
Kontrolle gewährleistet. Anderseits wird damit deutlich, dass es Experten bedarf,<br />
um die Qualität von Gutachten bewerten.<br />
Wünschenswert wäre, dass auch die Empfänger der Gutachten in der Behörde, die<br />
Klienten <strong>und</strong> deren Anwälte sowie Richter die Qualität selbst beurteilen können. Diese<br />
Forderung ist nicht überhöht, zumal in Anlage 15 der Fahrerlaubnisverordnung verlangt<br />
wird, dass die Gutachten in allgemeinverständlicher Sprache abgefasst <strong>und</strong> nachvollziehbar<br />
sein sollen. Zur Beurteilung von medizinisch-psychologischen Gutachten durch<br />
psychologische Laien sind Hilfestellungen in Form von allgemeinverständlichen Anleitungen<br />
mit Beispielen, Checklisten etc. erforderlich. In diesem Sektor ist „Aufklärungsarbeit“<br />
nötig. Eine Qualitätskontrolle durch die Abnehmer der Gutachten hätte vermutlich<br />
eine positive Rückwirkung auf die Qualität der Gutachten.<br />
Neben der Qualität der einzelnen Gutachten sind die Qualität <strong>und</strong> der Nutzen der Begutachtungen<br />
allgemein von Interesse. Hat die Begutachtung von Kraftfahrern bei best<strong>im</strong>m-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Dokumentation I
Dokumentation I<br />
ten Anlässen dazu geführt, dass sich das Fahrverhalten <strong>und</strong> damit verb<strong>und</strong>en die Anzahl<br />
der Unfälle zum Positiven verändert haben? Die Frage kann leider nicht schlüssig beantwortet<br />
werden, da nur eine indirekte Evidenz vorliegt. Die Rückfallquoten von positiv begutachteten<br />
Fahrern sowie die von alkoholauffälligen Fahrern, die vor Wiedererteilung der<br />
Fahrerlaubnis einen Kurs besuchen mussten, ist nur halb so hoch wie die von Fahrern, die<br />
den Führerschein ohne Begutachtung wieder erhalten hatten. Das Problem ist, dass hier<br />
unterschiedliche Kohorten verglichen werden. Als Kontrollgruppe (keine Selektion durch<br />
Begutachtung) dienen Fahrer, deren Rückfallquoten 1968 bzw. 1984 publiziert worden<br />
waren. Die Vergleichsdaten (Selektion durch Begutachtung) wurden da<strong>gegen</strong> 1996 <strong>und</strong><br />
1997 veröffentlicht (siehe BUKASA & UTZELMANN, 2009). Ein solches „Design“ ist methodisch<br />
sehr fragwürdig.<br />
Eine neue Untersuchung mit einem besseren Studiendesign ist dringend geboten. Da<br />
eine echte Kontrollgruppe (Fahrerlaubnis bei negativer Begutachtung) aus ethischen <strong>und</strong><br />
rechtlichen Gründen nicht realisierbar ist, bietet sich ein anderes Vorgehen an: Die Gutachter<br />
geben weiter eine positive oder eine negative Beurteilung ab (bzw. verlangen Auflagen<br />
wie eine Kursteilnahme). Für wissenschaftliche Zwecke schätzen sie anhand der<br />
ihnen in der Begutachtung bekannt gewordenen Fakten <strong>und</strong> deren Bewertung die individuelle<br />
Rückfallwahrscheinlichkeit ein. Auch in der Gruppe der positiv Begutachteten, die<br />
bald wieder am Straßenverkehr teilnehmen, werden die Einschätzungen variieren <strong>und</strong><br />
diese Variation kann mit harten Daten zum Rückfall in Beziehung gesetzt werden. Da die<br />
gleichen Einschätzungen auch für die negativ Begutachteten vorliegen, kennt man die<br />
Streuung der Gesamtgruppe <strong>und</strong> kann die Validität der Gutachteraussagen für alle Begutachteten<br />
schätzen.<br />
Fazit der Ausführungen zur Gutachtenpraxis ist, dass eine Begutachtung hohe Anforderungen<br />
an die Gutachter stellt. Trotz einschlägiger Ausbildung, Schulung <strong>und</strong> Orientierung<br />
an Leitlinien zur Gutachtenerstellung werden Gutachten erstellt, die Mängel aufweisen.<br />
Wie kann diese Situation verbessert werden? Neben noch sorgfältigerer Auswahl der Gutachter,<br />
intensiverer Schulung, noch dichterer Supervision durch die BASt sollten auch<br />
neue Maßnahmen ins Auge gefasst werden: (1) Alle Maßnahmen, die sich günstig auf die<br />
Rückfallquote auswirken, führen dazu, dass sich der Anteil korrekter diagnostischer Urteile<br />
erhöht. An einem Extrembeispiel lässt sich die Argumentation leicht nachvollziehen:<br />
Wären alle Klienten geeignet, wären die Trefferquote bei den positiv begutachteten auch<br />
100 Prozent. (2) Die Abnehmer der Gutachten sollten befähigt werden, Mängel von Gutachten<br />
selbst zu erkennen. Wenn ein Gutachten erfolgreich angefochten wird, sollte dies<br />
den Gutachter anspornen, in Zukunft qualitativ bessere Gutachten abzugeben. (3) Die Validität<br />
der Gutachten wurde bisher nicht angemessen wissenschaftlich untersucht. Durch<br />
einschlägige Forschung könnten die Wirksamkeit der Begutachtung untersucht sowie<br />
Faktoren identifiziert werden, die sich positiv oder negativ auf die Validität auswirken. Als<br />
Faktoren kommen Merkmale der Gutachter (Berufserfahrung, Art <strong>und</strong> Umfang ihrer Ausbildung<br />
etc.), aber auch die eingesetzten Verfahren (welchen Beitrag leistet etwa das diagnostische<br />
Interview?) oder die Verknüpfungsregeln für die Ergebnisse aus unterschiedlichen<br />
Verfahren in Frage. Entsprechende Erkenntnisse könnten gezielt zur Verbesserung<br />
der Begutachtung umgesetzt werden.<br />
123<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
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Anschrift des Verfassers<br />
Prof. Dr. Lothar Schmidt-Atzert<br />
Fachbereich Psychologie<br />
Philipps-Universität Marburg<br />
Gutenbergstraße 18<br />
35037 Marburg<br />
Email: schmidt-atzert@staff.de<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Dokumentation I
Seiten 125–132<br />
Zur Information<br />
Zur Information<br />
Kleine Anfrage zur geplanten Vereinfachung der<br />
Punktesystematik des Verkehrszentralregisters * )<br />
– Auszug –<br />
Vorbemerkung der <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung<br />
Die Speicherung der mit Punkten verb<strong>und</strong>enen Eintragungen <strong>im</strong> Verkehrszentralregister<br />
be<strong>im</strong> Kraftfahrt-<strong>B<strong>und</strong></strong>esamt (KBA) in Flensburg ist Basis eines gestuften <strong>und</strong> verhältnismäßigen<br />
Interventionensystems. Dieses sieht je nach Schwere des Verstoßes oder be<strong>im</strong> Erreichen<br />
einer best<strong>im</strong>mten Punkteanzahl eine Verwarnung, eine verpflichtende Teilnahme<br />
an einem Aufbauseminar <strong>und</strong> den Entzug der Fahrerlaubnis durch die zuständigen Landesbehörden<br />
vor. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, durch das freiwillige Ableisten<br />
eines Aufbauseminars oder einer verkehrspsychologischen Beratung die Gesamtpunktzahl<br />
zu reduzieren (vgl. §§ 4, 29 StVG).<br />
Die mit Punkten versehenen Eintragungen <strong>im</strong> Verkehrszentralregister werden nach Ablauf<br />
festgelegter Fristen gelöscht. Wenn es zu weiteren Eintragungen in das Verkehrszentralregister<br />
gekommen ist, verlängern sich allerdings die Tilgungsfristen für die bisherigen<br />
Eintragungen bzw. angesammelten Punkte. Insbesondere die sich daraus <strong>im</strong> Vollzug ergebenden<br />
Probleme <strong>und</strong> zum Teil sehr komplizierten Berechnungen sind für die Bürger oft<br />
nur schwer nachvollziehbar. Sie führen außerdem bei den Fahrerlaubnisbehörden <strong>und</strong><br />
Gerichten zu erheblichem Verwaltungsaufwand sowie zu Auslegungsschwierigkeiten.<br />
Deshalb hat die <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung <strong>im</strong> Koalitionsvertrag vereinbart, das Punktsystem in<br />
dieser Legislaturperiode unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zu reformieren. Ziel ist<br />
es, auf der einen Seite zu gewährleisten, dass das System seinen Beitrag für die Verkehrssicherheit<br />
auch in Zukunft leistet. Auf der anderen Seite strebt die <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung eine<br />
spürbare Verwaltungsvereinfachung, eine bessere Verständlichkeit <strong>und</strong> eine größere<br />
Transparenz für die Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürger an.<br />
Insgesamt ist dazu eine arbeitsintensive Überprüfung der gesetzlichen <strong>und</strong> verordnungsrechtlichen<br />
Regelungen <strong>und</strong> Maßnahmen erforderlich. Hierbei werden alle <strong>im</strong> Rahmen<br />
der Gemeinsamen Geschäftsordnung der <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung (GGO) zu Beteiligenden zu<br />
gegebener Zeit eingeb<strong>und</strong>en. Insbesondere ist auch die wissenschaftliche Expertise der<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esanstalt für Straßenwesen (BASt) <strong>und</strong> des KBA einzuholen. Angesichts des komplexen<br />
Vorhabens können zu Beginn der Legislaturperiode konkrete Einzelheiten noch<br />
nicht feststehen; auch ist es verfrüht, jetzt schon inhaltliche Festlegungen zu treffen. Derzeit<br />
geht es in einem ersten Schritt um eine Identifizierung <strong>und</strong> Abgrenzung der zu prüfen-<br />
* ) Die Kleine Anfrage (BT-Drucksache 17/289 vom 15. Dezember 2009) erfolgte durch die Abgeordneten Uwe<br />
Beckmeyer, Sören Bartol, Martin Burkert, Michael Groß, Ulrike Gottschalck, Hans-Joach<strong>im</strong> Hacker, Gustav<br />
Herzog, Johannes Kahrs, Ute Kumpf, Kirsten Lühmann, Thomas Oppermann, Florian Pronold, Dr. Frank-<br />
Walter Steinmeier <strong>und</strong> der Fraktion der SPD.<br />
Die Antwort (BT-Drucksache 17/385 vom 04. Januar 2010) wurde namens der <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung mit Schreiben<br />
des <strong>B<strong>und</strong></strong>esministeriums für Verkehr, Bau <strong>und</strong> Stadtentwicklung vom 29. Dezember 2009 übermittelt. Die<br />
Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext.<br />
125<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
126 Zur Information<br />
den Themenschwerpunkte. Hier kann auch an die Empfehlungen des 47. Verkehrsgerichtstages<br />
[siehe hierzu Halecker/Nathow, BA 2009, 73, 78 f.] sowie an den Beschluss des<br />
Deutschen <strong>B<strong>und</strong></strong>estages vom 02. Juli 2009 (<strong>B<strong>und</strong></strong>estagsdrucksache 16/12993 [BA 2009,<br />
271]) angeknüpft werden.<br />
1. Wie viele Verkehrsordnungswidrigkeiten sind in den Jahren 2007, 2008 <strong>und</strong> 2009 jeweils <strong>im</strong> Verkehrszentralregister<br />
in Flensburg gespeichert gewesen, <strong>und</strong> von wie vielen Personen sind die Ordnungswidrigkeiten in den<br />
jeweiligen Jahren begangen worden?<br />
Im Verkehrszentralregister waren nach Angaben des KBA<br />
am 01. Januar 2007 9 584 000 Ordnungswidrigkeiten zu 6 799 000 Personen,<br />
am 01. Januar 2008 10 846 000 Ordnungswidrigkeiten zu 6 983 000 Personen <strong>und</strong><br />
am 01. Januar 2009 11 375 000 Ordnungswidrigkeiten zu 7 262 000 Personen<br />
gespeichert.<br />
2. Wie vielen Personen ist in den Jahren 2007, 2008 <strong>und</strong> 2009 der Führerschein aufgr<strong>und</strong> welcher Verstöße<br />
sowie des Erreichens der entsprechenden Punktegrenze entzogen worden?<br />
Nach Angaben des KBA wurde 2007 insgesamt 139 246 Personen <strong>und</strong> 2008 insgesamt<br />
137 149 Personen die Fahrerlaubnis entzogen. Wenngleich seitens des KBA noch keine<br />
Auswertung vorliegt, wird sich die Zahl <strong>im</strong> Jahr 2009 in ähnlichem Rahmen bewegen.<br />
Von den Fahrerlaubnisbehörden wurden <strong>im</strong> Jahr 2007 nach Angaben des KBA 42 510<br />
<strong>und</strong> <strong>im</strong> Jahr 2008 45 173 Fahrerlaubnisse wegen Eignungs- oder Befähigungsmängeln entzogen.<br />
Zur Zahl der davon auf das Punktsystem entfallenden Entziehungen wird auf die<br />
Antwort zu Frage 4 verwiesen. Die Art der Verstöße, die <strong>im</strong> Rahmen des Punktsystems bewertet<br />
werden, ergibt sich aus Anlage 13 zu § 40 der Fahrerlaubnis-Verordnung; über die<br />
individuelle Zusammensetzung wird keine Auswertung be<strong>im</strong> KBA geführt.<br />
Die Entziehungen/Aberkennungen durch die Gerichte sind in der nachfolgenden Tabelle<br />
dargestellt.<br />
Quelle: KBA<br />
** Aufgr<strong>und</strong> von Tateinheit <strong>und</strong> -mehrheit ist eine Addition der Zuwiderhandlung nicht möglich.<br />
** „Aberkennungen“ beziehen sich auf ausländische Fahrerlaubnisse.<br />
4. Wie vielen Personen wird jährlich wegen Erreichens von 18 oder mehr Punkten die Fahrerlaubnis entzogen?<br />
2007 wurden nach Angaben des KBA 4 481 Fahrerlaubnisse, 2008 wurden 4 438 Fahrerlaubnisse<br />
nach Überschreiten der 18-Punkteschwelle entzogen.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Zur Information<br />
6. In welchem Zeitrahmen wird die <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung einen Gesetzentwurf für eine Reform des Punktesystems<br />
be<strong>im</strong> Verkehrszentralregister in Flensburg vorlegen?<br />
Die <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung beabsichtigt die Reform des Punktsystems in dieser Legislaturperiode<br />
abzuschließen.<br />
7. Hat das Kraftfahrt-<strong>B<strong>und</strong></strong>esamt bereits Vorschläge für eine Reform erarbeitet, <strong>und</strong> auf welche Art <strong>und</strong> Weise<br />
werden die Verbände <strong>und</strong> Vertreter der <strong>B<strong>und</strong></strong>esländer in die weiteren Überlegungen mit einbezogen?<br />
Das KBA hat einige Überlegungen angestellt. Insbesondere hat ein Vertreter des KBA<br />
hierzu einen Vortrag anlässlich des 47. Verkehrsgerichtstages in Goslar gehalten. Festlegungen<br />
der <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung sind damit aber nicht verb<strong>und</strong>en. Klar ist, dass die Vorstellungen<br />
des KBA ebenso wie die der Länder <strong>und</strong> Verbände in die Überlegungen zur Reform<br />
des Punktsystems einbezogen werden. Insbesondere wird auch der „<strong>B<strong>und</strong></strong>/Länder Fachausschuss<br />
Fahrerlaubniswesen“ einbezogen. Die Länder <strong>und</strong> Verbände werden darüber<br />
hinaus unter Beachtung der GGO <strong>im</strong> Rechtsetzungsverfahren beteiligt.<br />
8. Wird die <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung bei einer Reform an den bestehenden Gr<strong>und</strong>sätzen des bisherigen Interventionssystems<br />
<strong>und</strong> den Interventionsschwellen festhalten?<br />
Es wird auf die Vorbemerkung der <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung sowie auf die Antwort zu Frage 9<br />
verwiesen.<br />
9. Schließt die <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung aus, dass es durch eine Neuregelung der Punktesystematik zu einer Besserstellung<br />
von Mehrfachtätern kommt?<br />
Die <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung hält an der in § 4 Absatz 1 StVG verankerten Zweckbest<strong>im</strong>mung<br />
fest, nach der das Punktsystem vor Gefahren schützen soll, die von so genannten Mehrfachtätern<br />
ausgehen.<br />
10. Plant die <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung <strong>im</strong> Rahmen einer Reform der Punktesystematik, dass die Tilgungshemmung,<br />
die Überliegefristen <strong>und</strong> das Tattagprinzip entfallen sollen?<br />
Die Regelungen zur Tilgungshemmung, den Überliegefristen <strong>und</strong> zum Tattagsprinzip<br />
werden überprüft. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung verwiesen.<br />
11. Sollen nach den Plänen der <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung in Zukunft Punkte zum Beispiel für Verstöße <strong>gegen</strong> das<br />
Handyverbot <strong>und</strong> bei Tempoüberschreitungen oder Rotlichtvergehen in jedem Fall erst nach drei Jahren <strong>und</strong> nicht<br />
wie bisher frühestens nach zwei <strong>und</strong> spätestens nach fünf Jahren gelöscht werden, <strong>und</strong> wird die Löschung dann<br />
unabhängig davon erfolgen, ob in der Zwischenzeit neue Einträge hinzugekommen sind?<br />
Die Regelungen zur Tilgung von Eintragungen werden überprüft. Im Übrigen wird auf<br />
die Antwort zu Frage 10 verwiesen.<br />
12. Unterstützt die <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung den Vorschlag, für Fahrten unter <strong>Alkohol</strong>- <strong>und</strong> <strong>Drogen</strong>einfluss die Verfallsfristen<br />
auf 6 (bisher 5) <strong>und</strong> für Straftaten <strong>im</strong> Straßenverkehr (z. B. Fahren ohne Führerschein) auf 12 (bisher<br />
10) Jahre anzuheben?<br />
Auf die Antwort zu den Fragen 10 <strong>und</strong> 11 wird verwiesen.<br />
13. Wird die <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung die Bußgeldgrenze für Punkte <strong>im</strong> Verkehrszentralregister in Flensburg von<br />
40 auf 60 Euro anheben?<br />
Nach derzeitigem Stand der Überlegungen ist nicht beabsichtigt, die Eintragungsgrenze<br />
für das Verkehrszentralregister zu erhöhen.<br />
14. Wird die <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung daran festhalten, dass auch künftig be<strong>im</strong> Erreichen eines Stands von 18 Punkten<br />
der Führerschein entzogen wird?<br />
Wie bisher in § 4 StVG vorgesehen, soll auch in Zukunft Mehrfachtätern, die sich als ungeeignet<br />
zum Führen eines Kraftfahrzeugs erweisen, die Fahrerlaubnis entzogen werden.<br />
127<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
128 Zur Information<br />
Die Frage, ob Verstöße dabei auch künftig mit einem bis sieben Punkte bewertet werden<br />
oder ob es sinnvoller ist, neue Gruppen oder neue Einstufungen vorzunehmen, wird<br />
Gegenstand der weiteren Beratungen sein.<br />
15. Ist zu erwarten, dass durch die Reform weniger Fahrerlaubnisse wegen des Erreichens der Punktegrenze<br />
entzogen werden?<br />
Auf die Antwort zu Frage 14 wird verwiesen.<br />
16. In welcher Form <strong>und</strong> zu welchem Zeitpunkt wird nach dem derzeitigen Regelungssystem die Bürgerin<br />
oder der Bürger über seinen Punktestand <strong>im</strong> Verkehrszentralregister in Flensburg informiert, <strong>und</strong> welche Möglichkeit<br />
haben Rechtsanwälte, <strong>im</strong> Auftrag ihrer Mandanten den Punktestand durch elektronische Medien zu erfahren?<br />
Gemäß § 4 Absatz 3 StVG informiert die Fahrerlaubnisbehörde die betroffene Person<br />
bei Erreichen der Punkteschwellen 8, 14 <strong>und</strong> 18. Rechtsanwälte haben gemäß § 30 Absatz 8<br />
StVG i. V. m. § 64 Absatz 2 der Fahrerlaubnis-Verordnung die Möglichkeit, schriftlich<br />
unter Vorlage einer Vollmacht ihres Mandanten eine Auskunft über dessen Eintragungen<br />
<strong>und</strong> den Punktestand aus dem Verkehrszentralregister zu erhalten. Elektronische Verfahren<br />
finden dabei insbesondere wegen der hohen Anforderungen an die Datensicherheit keine<br />
Anwendung. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 17 verwiesen.<br />
17. Wie bewertet die <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung den Vorschlag, dass ab einem Erreichen der Punkteschwelle von<br />
8 Punkten das Kraftfahrt-<strong>B<strong>und</strong></strong>esamt die Bürgerin oder den Bürger über jede weitere Eintragung unterrichten<br />
sollte?<br />
Eine „automatische“ Unterrichtung über den Punktestand durch das KBA ist nicht beabsichtigt<br />
<strong>und</strong> würde in die Zuständigkeit der Länder, denen die Durchführung der fahrerlaubnisrechtlichen<br />
Vorschriften obliegt, eingreifen. Durch klare Tilgungsregelungen werden<br />
Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürger <strong>im</strong> Übrigen künftig in die Lage versetzt, ihren jeweiligen<br />
Punktestand jederzeit zu kennen. Darüber hinaus sollen die derzeitigen Auskunftsmöglichkeiten<br />
bestehen bleiben.<br />
18. Durch welche Maßnahmen will die <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung eine spürbare Verwaltungsvereinfachung für die Verwaltungsbehörden<br />
<strong>und</strong> Gerichte erreichen?<br />
Auf die Antwort zu den Fragen 10, 11 <strong>und</strong> 17 wird verwiesen.<br />
19. Wie sollen das bisherige <strong>und</strong> ein reformiertes Punktesystem mittels Übergangsregelungen ineinandergreifen?<br />
Nach derzeitigem Stand der Überlegungen wird an eine dem § 65 Absatz 4 <strong>und</strong> 9 StVG<br />
vergleichbare Übergangsbest<strong>im</strong>mung gedacht.<br />
20. Unterstützt die <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung <strong>im</strong> Zuge einer Reform eine Amnestie für Bagatellverkehrssünder, <strong>und</strong><br />
werden in diesem Zusammenhang Fahrzeugführer mit einem Stand von 1 bis 2 Punkten amnestiert werden?<br />
Kommen nach einem noch festzusetzenden Stichtag (Übergangsfrist) neue Eintragungen<br />
hinzu, sollen sich nach derzeitigem Überlegungsstand die Maßnahmen mittels einer an<br />
§ 65 Absatz 4 StVG orientierten Übergangsregelung nach neuem Recht richten.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Zur Information<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esministerium plant neues Verkehrssicherheitsprogramm<br />
Mit einem neuen Konzept für mehr Sicherheit <strong>im</strong> Straßenverkehr will die <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung<br />
die Zahl der Verkehrstoten innerhalb von zehn Jahren um 40 Prozent senken. Das<br />
kündigte der Parlamentarische Staatssekretär <strong>im</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esministerium für Verkehr, Bau <strong>und</strong><br />
Stadtentwicklung (BMVBS), Andreas Scheuer (CSU), in einem Gespräch mit dem Auto<br />
Club Europa (ACE) an.<br />
Das Programm selbst soll Anfang 2011 in Kraft treten <strong>und</strong> den Plan der Vorgängerregierung<br />
ersetzen. Nach Darstellung von Scheuer sind die meisten Verkehrsopfer bei Unfällen<br />
auf Landstraßen zu beklagen. Deshalb müsse man in der Unfallverhütung dort einen<br />
Schwerpunkt setzen. Landstraßen lägen allerdings in der Hoheit der <strong>B<strong>und</strong></strong>esländer. Erfolge<br />
ließen sich daher nur gemeinsam mit den Ländern in einer „konzertierten Aktion Landstraße“<br />
erzielen. Scheuer kündigte ferner ein weiteres europäisches Verkehrssicherheitsprogramm<br />
für die nächsten zehn Jahre an, es solle schon in Kürze der Öffentlichkeit<br />
vorgestellt werden. Laut ACE wird dieses EU-Programm auch vom 48. Deutschen Verkehrsgerichtstag<br />
Ende Januar in Goslar erörtert.<br />
Scheuer bezeichnete die vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) unterstützte<br />
„Vision Zero – keiner kommt um, alle kommen an“, als Leitbild von einem „absolut idealen<br />
Verkehrsraum“. Dem könne sich niemand entziehen, betonte der Politiker. Gleichwohl<br />
macht sich das Verkehrsministerium laut Scheuer diese Vision „nicht direkt selber zu<br />
eigen“, es werde aber die von Verkehrssicherheitsverbänden getragene Aktion „weiter<br />
positiv begleiten“. Zugleich lehnte der Verkehrsexperte eine größere finanzielle Unterstützung<br />
der Verkehrssicherheitsarbeit ab. Ein konkreter Anlass, die Mittel zu erhöhen,<br />
bestehe angesichts der um zehn Prozent rückläufigen Verkehrsopferzahlen nicht, sagte der<br />
Staatssekretär. Er versprach, die Einführung von Unfall verhütenden Fahrerassistenzsystemen<br />
weiter zu unterstützen. „Zum anderen müssen wir dafür Sorge tragen, dass der Fahrer<br />
nicht durch die Nutzung vielfältiger zusätzlicher Informationen, die nicht der Unterstützung<br />
der Fahraufgaben dienen, überfordert wird“, fügte Scheuer hinzu.<br />
Der ACE seinerseits hatte in einem auch an das Verkehrsministerium gerichteten Forderungskatalog<br />
jüngst verlangt, dass Hersteller schneller als ursprünglich geplant <strong>und</strong> damit<br />
noch vor Ende 2011/Anfang 2014 darauf verpflichtet werden, Neuwagen mit elektronischen<br />
Stabilitätsprogrammen wie ESP/ESC auszurüsten.<br />
129<br />
(Aus Mitteilungen des Deutschen Verkehrssicherheitsrates, DVR,<br />
<strong>und</strong> des Auto Club Europa, ACE, vom 15. Januar 2010)<br />
A n m e r k u n g d e r S c h r i f t l e i t u n g : Siehe hierzu die Empfehlung des Arbeitskreises<br />
II „Neues EU-Verkehrssicherheitsprogramm 2010 bis 2020“ vom 48. Deutschen<br />
Verkehrsgerichtstag 2010 in Goslar:<br />
„Der Arbeitskreis stellt fest:<br />
Es bestehen gravierende nationale Unterschiede in der Verkehrssicherheit. EU-Gesetzgebung<br />
ist nur dort wichtig, wo die nationale Gesetzgebung keine ausreichenden Erfolge<br />
erzielt. Die Gesetzgebungskompetenz der EU ist in den Bereichen der gemeinsamen Verkehrspolitik<br />
zweifelsfrei (Kfz-Technik <strong>und</strong> gemeinsamer Markt, gewerblicher Verkehr,<br />
Führerschein, Typgenehmigung).<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
130 Zur Information<br />
Der Arbeitskreis empfiehlt für das neue EU-Verkehrssicherheitsprogramm:<br />
1. Gemeinschaftsweites Ziel von 2011 bis 2020 sollte die weitere Senkung der Getötetenzahl<br />
um mindestens 40 % sein. Der Beitrag <strong>und</strong> das Ziel des jeweiligen Mitgliedstaates<br />
sollen vom dort erreichten Verkehrssicherheitsniveau abhängen.<br />
2. Eine EU-einheitliche Definition für Schwerverletzte soll entwickelt werden. Für die<br />
Zwischenzeit sollen nationale Ziele für die Reduzierung der Anzahl der Schwerverletzten<br />
festgelegt werden.<br />
3. Eine einheitliche <strong>und</strong> ausreichende Datenbasis über Unfälle ist unerlässlich.<br />
4. Im Interesse der Unfallvermeidung sollten moderne Technologien, insbesondere kooperative<br />
Fahrzeugsysteme, gefördert werden.<br />
5. Gesetzgeberische Maßnahmen sollten sich konzentrieren auf<br />
5. – Technik <strong>und</strong> gemeinsamen Markt, insbesondere ABS für Motorräder, ISOFIX-Verankerungen,<br />
Sicherstellung eines hohen technischen Standards bei Einführung<br />
von Notbremsassistenten, Spurverlassenswarnsystemen <strong>und</strong> anderen sicherheitsfördernden<br />
Fahrerassistenzsystemen, Vertriebsverbot für Radarwarngeräte, Erinnerungssignale<br />
bei Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes, Gurtstraffer für alle Sitze,<br />
Mindeststandards bei Fahrrädern;<br />
6. – Gewerblicher Personen- <strong>und</strong> Güterverkehr, insbesondere <strong>Alkohol</strong>verbot für Fahrer;<br />
Sicherstellung eines hohen Niveaus der Ladungssicherung <strong>im</strong> grenzüberschreitenden<br />
Verkehr.<br />
6. Im Führerscheinbereich sollte das Konzept „Begleitetes Fahren mit 17“ eingeführt<br />
werden.<br />
6. Empfehlungen, Erfahrungsaustausch, Kampagnen <strong>und</strong>/oder EU-Finanzierung sollten<br />
vor allem vorgesehen werden für Folgendes:<br />
6. – freiwilliger Einbau von Speed-Alert-Systemen;<br />
6. – Einbau von Alkolock-Systemen bei best<strong>im</strong>mten gefahrgeneigten Verkehren;<br />
6. – Verbesserung der Nutzungsquote für Gurte <strong>und</strong> Kinderrückhalteeinrichtungen,<br />
6. – Umsetzung der Infrastrukturrichtlinie (z. B. Sicherheitsaudits von Straßen),<br />
6. – Klassifizierung beeinträchtigender Medikamente,<br />
6. – Verkehrsüberwachung <strong>und</strong> Verkehrsunfallprävention,<br />
6. – Schutz schwächerer Verkehrsteilnehmer,<br />
6. – Verkehrssicherheitsmaßnahmen in den Unternehmen.<br />
7. Geprüft werden sollte die Einführung von Notbremsassistenten auch in PKW.<br />
8. Alle EU-Maßnahmen sollten daran gemessen werden, ob sie mindestens verkehrssicherheitsneutral<br />
sind.“<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Zur Information<br />
Blutprobe ohne Richtervorbehalt<br />
Klaus Tolksdorf, Präsident des <strong>B<strong>und</strong></strong>esgerichtshof, sieht Reformbedarf bei den Vorschriften<br />
zur <strong>Alkohol</strong>kontrolle: Die Blutentnahme bei alkoholisierten Autofahrern sei nach<br />
dem geltenden Gesetz nach seiner Ansicht kaum praktikabel.<br />
Er forderte auf dem jährlichen Presseempfang des <strong>B<strong>und</strong></strong>esgerichtshofes den Gesetzgeber<br />
auf, die Vorschriften zu ändern. „Eine Abschaffung des Richtervorbehalts wäre ein<br />
großer Verdienst“, sagte Tolksdorf in Karlsruhe. Der Eingriff in die Freiheitsrechte des<br />
Einzelnen seien – anders als bei einer Wohnungsdurchsuchung – relativ gering. Auch die<br />
Beweislage sei eine völlig andere: So gerate ein betrunkener Autofahrer in der Regel bei<br />
einer Polizeikontrolle schon durch seinen <strong>Alkohol</strong>geruch in Verdacht.<br />
Um verlässliche Werte zu erhalten, müsse die Blutprobe so schnell wie möglich genommen<br />
werden, betonte Tolksdorf. Denn: „Jede Zeitverzögerung führt zum Verlust von Beweisen.“<br />
In der Praxis sei es den Polizisten oft aber nicht möglich, kurzfristig einen Richterbeschluss<br />
zu bekommen. Häufig erfolge dieser nur telefonisch. „Welchen Wert hat der<br />
Richtervorbehalt aber, wenn er ohne eigenes Ansehen ergeht?“, meinte er. Nach einer<br />
Reihe unterschiedlicher Entscheidungen der Gerichte herrsche große Unsicherheit. Die<br />
Folge sei ein besorgniserregender Rückgang von Polizeikontrollen. In Hamburg etwa liege<br />
er bei 40 Prozent.<br />
131<br />
(Aus einer Mitteilung der Nürnberger Zeitung, NZ, vom 06. Februar 2010)<br />
Frühere Jahrgänge der Zeitschrift »<strong>Blutalkohol</strong>«<br />
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BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
132 Zur Information<br />
<strong>Alkohol</strong> <strong>und</strong> Energy-Drinks bilden gefährliche Mischung<br />
Stark koffeinhaltige Getränke in Verbindung mit <strong>Alkohol</strong> vermitteln das Gefühl, nüchterner<br />
zu sein, als man tatsächlich ist. Zwar wird die Müdigkeit unterdrückt, nicht jedoch<br />
die Auswirkungen von <strong>Alkohol</strong> auf Wahrnehmungs- oder Reaktionsfähigkeit. In einer<br />
Studie * ) wiesen Forscher der University of Florida nach, dass mit dem Konsum von so<br />
genannten Energy-Drinks auch die Selbstüberschätzung steigt.<br />
Für die Untersuchung wurden zufällig ausgewählte Besucher von 800 Kneipen <strong>und</strong> Bars<br />
befragt. Neben einem Interview erhoben die Forscher Informationen zum Trinkverhalten<br />
sowie zur Selbsteinschätzung hinsichtlich einer He<strong>im</strong>fahrt mit dem eigenen Pkw <strong>und</strong> führten<br />
einen Atemalkoholtest durch.<br />
Personen, die alkoholische Getränke <strong>und</strong> Energy-Drinks zu sich genommen hatten, trugen<br />
<strong>gegen</strong>über Personen, die keine koffeinhaltigen Getränke zusätzlich getrunken hatten,<br />
ein dreifach höheres Risiko, die gesetzlich zulässigen Atemalkoholwerte von 0,8 Promille<br />
zu überschreiten. Auch waren Personen nach dem Konsum von Energy-Drinks viermal<br />
häufiger bereit, sich noch hinter das Steuer des eigenen Pkw zu setzen, als es diejenigen<br />
waren, die alkoholische Getränke ohne Zusätze getrunken hatten.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
(Aus einer Mitteilung des Deutschen Verkehrssicherheitsrates, DVR,<br />
vom 12. Februar 2010)<br />
* ) Die Studie wird voraussichtlich in der April-Ausgabe der Zeischrift „Addictive Behaviors“ erscheinen <strong>und</strong> ist<br />
auszugsweise vorab einsehbar unter: http://news.ufl.edu/2010/02/10/energy-drink/<br />
The role of the drinking driver in traffic accidents<br />
(THE GRAND RAPIDS STUDY)<br />
R. F. Borkenstein<br />
R. F. Crowther, R. P. Shumate, W. B. Ziel, R. Zylman<br />
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(Re-edited by R. F. Borkenstein)<br />
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Seiten 133–160<br />
Rechtsprechung<br />
Rechtsprechung<br />
Die mit einem *) bezeichneten Leitsätze sind von der Schriftleitung formuliert worden.<br />
20. **) 1. Für die fahrlässige Verwirklichung des<br />
Tatbestandes des § 24a Abs. 2 <strong>und</strong> 3 StVG muss<br />
dem Betroffenen nachgewiesen werden, dass er die<br />
Möglichkeit fortdauernder Wirkung des Rauschmittelkonsums<br />
entweder erkannt hat oder zumindest<br />
hätte erkennen können <strong>und</strong> müssen. Fahrlässig<br />
handelt danach, wer in zeitlicher Nähe zum<br />
Fahrtantritt <strong>Drogen</strong> konsumiert hat <strong>und</strong> gleichwohl<br />
<strong>im</strong> Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt,<br />
ohne sich bewusst zu machen, dass der Rauschmittelwirkstoff<br />
noch nicht vollständig unter den analytischen<br />
Grenzwert abgebaut ist.<br />
2. Ein von dem Betroffenen eingeräumter Konsum<br />
von Cannabis vier Tage vor dem Tatzeitpunkt<br />
begründet nicht ohne weiteres den Vorwurf der<br />
Fahrlässigkeit.<br />
Kammergericht Berlin,<br />
Beschluss vom 15. Januar 2010<br />
– 2 Ss 277/09-3 Ws (B) 726/09 –<br />
Aus den Gründen:<br />
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger<br />
Zuwiderhandlung <strong>gegen</strong> § 24a Abs. 2 Satz 1<br />
<strong>und</strong> 2 StVG nach § 24a Abs. 4 StVG zu einer Geldbuße<br />
von 450,00 Euro verurteilt, gemäß § 25 Abs. 1<br />
StVG ein einmonatiges Fahrverbot angeordnet urd<br />
nach § 25 Abs. 2a StVG eine Best<strong>im</strong>mung über dessen<br />
Wirksamkeit getroffen. Die da<strong>gegen</strong> gerichtete Rechtsbeschwerde<br />
des Betroffenen, mit der die Verletzung<br />
sachlichen Rechts gerügt <strong>und</strong> das Verfahren beanstandet<br />
wird, hat mit der Sachrüge (vorläufigen) Erfolg.<br />
Die Urteilsausführungen, mit denen der Tatrichter<br />
die Annahme begründet, der Betroffene habe den Tatbestand<br />
des § 24a Abs. 2 StVG fahrlässig verwirklicht,<br />
belegen ein fahrlässiges Handeln des Betroffenen<br />
nicht.<br />
Fahrlässiges Handeln <strong>im</strong> Sinne von § 10 OWiG ist<br />
gegeben, wenn der Täter die Sorgfalt, zu der er nach<br />
den Umständen <strong>und</strong> seinen persönlichen Fähigkeiten<br />
verpflichtet <strong>und</strong> <strong>im</strong>stande ist, außer Acht lässt <strong>und</strong> deshalb<br />
entweder die Tatbestandsvcrwirklichung nicht erkennt,<br />
oder zwar erkennt, aber darauf vertraut, diese<br />
werde nicht eintreten.<br />
Für die fahrlässige Verwirklichung des Tatbestands<br />
des § 24a Abs. 2, 3 StVG muss dem Betroffenen daher<br />
nachgewiesen werden, dass er die Möglichkeit fortdauernder<br />
Wirkung des Rauschmittelkonsums entweder<br />
erkannt hat oder zumindest hätte erkennen können<br />
<strong>und</strong> müsscn. Fahrlässig handelt danach, wer in zeitlicher.<br />
Nähe zum Fahrtantritt <strong>Drogen</strong> konsumiert hat<br />
<strong>und</strong> gleichwohl <strong>im</strong> Straßenverkehr in Kraftfahrzeug<br />
** ) Leitsatz stammt vom Einsender der Entscheidung.<br />
133<br />
führt, ohne sich bewusst zu machen, dass der Rauschmittelwirkstoff<br />
noch nicht vollständig unter den analytischen<br />
Grenzwert abgebaut ist (vgl. Senat, Beschluss<br />
vom 05. Juni 2009 – 3 Ws (B) 323/09 – [BA 2009,<br />
415] m. w. N.).<br />
Diese Voraussetzungen belegt das angefochtene Urteil<br />
nicht. Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe<br />
ist zu entnehmen, dass der Betroffene sich in<br />
der Hauptverhandlung nicht zur Sache eingelassen hat.<br />
Gegenüber den ihn kontrollierenden Polizeibeamten<br />
hat er eingeräumt, unregelmäßig Cannabis-Produkte<br />
zu konsumieren <strong>und</strong> „am Samstag das letzte Mal einen<br />
Joint geraucht zu haben“, wobei der Tattag auf einen<br />
Mittwoch fiel. Ferner wird mitgeteilt, dass ein in der<br />
Hauptverhandlung verlesener Untersuchungsbericht<br />
des LKA einen positiven Bef<strong>und</strong> bezüglich der Einnahme<br />
von Cannabinoiden ergeben habe; an anderer<br />
Stelle der Urteilsgr<strong>und</strong>e wird unter Bezugnahme auf<br />
den (nicht mitgeteilten) Inhalt des Gutachtens des<br />
LKA mitgeteilt, dass der Grenzwert von 1 ng/ml THC<br />
deutlich überschritten gewesen sei. Nähere Einzelheiten<br />
zur Höhe der festgestellten Wirkstoffkonzentration<br />
sind dem Urteil jedoch nicht zu entnehmen. Darüber<br />
hinaus teilt das Urteil noch von den als Zeugen vernommenen<br />
Polizeibeamten bek<strong>und</strong>ete Verhaltensauffälligkeiten<br />
des Betroffen mit.<br />
Diese Urteilsausführungen ermöglichen dem Senat<br />
eine Prüfung, cb das Amtsgericht rechtsfehlerfrei von<br />
einem fahrlässigen Verhalten des Betroffenen ausgegangen<br />
ist, nicht. Der von dem Betroffenen eingeräumte<br />
Konsum von Cannabis vier Tage vor dem Tatzeitpunkt<br />
begründet den Vorwurf der Fahrlässigkeit<br />
wegen des Zeitablaufes nicht. Ob die durch die Blutentnahme<br />
festgestellte Wirkstoffkonzentration eine<br />
Höhe hatte, die den rechtsfehlerfreien Rückschluss auf<br />
einen zeitnahen Konsum zulässt, kann der Senat mangels<br />
näherer Feststellungen nicht prüfen. Eine Prüfung<br />
des Tatrichters, ob die geschilderten Auffälligkeiten<br />
des Betroffenen anlässlich der polizeilichen Kontrolle<br />
auf den Konsum von Bctäubungsmitteln zurückzuführen<br />
sind oder auch andere Ursachen haben können, ist<br />
den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Angesichts<br />
dieser lückenhaften Feststellungen vermag der Senat<br />
nicht zu prüfen, ob der vom Tatrichter gezogene<br />
Schluss auf fahrlässiges Verhalten des Betroffenen auf<br />
einer tragfähigen Gr<strong>und</strong>lage beruht. Der Senat hebt<br />
daher das angefochtene Urteil auf <strong>und</strong> verweist die<br />
Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung an das<br />
Amtsgericht zurück.<br />
(Mitgeteilt von Richter am Amtsgericht<br />
Ulrich Kujawski, Berlin)<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
134 Rechtsprechung<br />
21. Die Einhaltung einer Wartezeit von 20 Minuten<br />
zwischen Trinkende <strong>und</strong> erster Messung der<br />
Atemalkoholkonzentration (AAK) mit dem Gerät<br />
„Dräger Alcotest 7110 Evidential“ ist gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
ausreichend.<br />
Oberlandesgericht Bamberg,<br />
Beschluss vom 21. August 2009 – 2 Ss OWi 713/09 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässigen<br />
Führens eines Kraftfahrzeugs <strong>im</strong> Straßenverkehr<br />
mit einer <strong>Alkohol</strong>menge <strong>im</strong> Körper, die zu einer<br />
Atemalkoholkonzentration (AAK) von 0,27 mg/l geführt<br />
hat, zu einer Geldbuße von 750 € verurteilt <strong>und</strong><br />
<strong>gegen</strong> ihn ein Fahrverbot von drei Mo naten verhängt.<br />
Nach den Feststellungen führte der Betroffene <strong>gegen</strong><br />
0.34 Uhr seinen Pkw auf der H.-Straße in P., als er von<br />
den Zeugen PHM in B. <strong>und</strong> POM M. angehalten <strong>und</strong><br />
einer Verkehrs kontrolle unterzogen wurde. Anschließend<br />
führte der Zeuge POM M. mit dem Betroffenen<br />
einen Atem alkoholtest durch, indem er ihn zunächst<br />
Atemluft in den Handalkomaten abgeben ließ. Nach -<br />
dem das Ergebnis über dem Wert von 0,25 mg/l lag,<br />
verbrachten die Zeugen den Betroffenen zur Wache,<br />
wo sich das geeichte Atemalkoholmessgerät „Dräger<br />
Alcotest 7110 Evidential“ befand. An diesem Gerät<br />
wurde, nachdem die Zeugen nochmals 20 Minuten gewartet<br />
hatten, eine AAK-Messung durchgeführt. Die<br />
Zeit zwischen der Anhaltung <strong>und</strong> der 1. Messung<br />
betrug 24 Minu ten. Die ohne Besonderheiten um<br />
0.58 Uhr durchgeführte Messung ergab eine AAK von<br />
0,281 mg/l, die um 1.00 Uhr durchgeführte zweite<br />
Messung eine solche von 0,276 mg/l; aus beiden Werten<br />
errechnete das Gerät als Messergebnis eine AAK<br />
von 0,27 mg/l.<br />
Die <strong>gegen</strong> seine Verurteilung gerichtete Rechts -<br />
beschwerde des Betroffenen, mit der er u. a. die Ein -<br />
haltung einer ungenügenden Wartezeit von 24 Minuten<br />
beanstandete, blieb ohne Erfolg.<br />
Aus den Gründen:<br />
Die gemäß § 79 I 1 Nrn. 1 <strong>und</strong> 2 OWiG statthafte<br />
<strong>und</strong> auch <strong>im</strong> Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde des<br />
Betroffenen erweist sich als unbegründet (§ 349 II<br />
StPO i. V. m. § 79 III 1 OWiG). Insbesondere greifen<br />
die mit der Rechtsbeschwerde erhobenen Bedenken,<br />
dass die Beachtung einer Wartezeit von 20 Minuten<br />
zur Erlangung einer verwertbaren Messung nicht ausreichend<br />
sei, nicht durch.<br />
1) Bei der Messung der AAK mittels des Messgerätes<br />
„Dräger Alcotest 7110 Evidential“ handelt es sich<br />
nach ständiger Rechtsprechung um ein standardisiertes<br />
Messverfahren (vgl. neben BayObLGSt 2000, 51,<br />
52 [= BA 2000, 247] u. a. OLG Bamberg DAR 2007,<br />
92 ff. = BA 2007, 106 ff.; OLG Bam berg BA 2008,<br />
197 f. = VRR 2008, 153 f. = StRR 2008, 196 f. <strong>und</strong><br />
OLG Bamberg BA 2006, 409 f.), so dass gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
die Angabe des Messverfahrens <strong>und</strong> des Messergebnisses<br />
in den Urteilsgründen genügt (vgl. BGHSt 39,<br />
291, 302). Angaben zur Einhaltung der Kontroll- <strong>und</strong><br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Wartezeit muss der Tatrichter nur dann machen, wenn<br />
Anhaltspunkte dafür bestehen, dass diese nicht beachtet<br />
worden sind (BayObLG DAR 2003, 232 [= BA<br />
2003, 380]). Diesen Anforderungen wird das Urteil<br />
des Amtsgerichts vollumfänglich gerecht.<br />
2) Der Tatrichter stellt fest, dass zwischen der Anhaltung<br />
des Betroffenen <strong>und</strong> der ersten AAK-Kontrolle<br />
am zugelassenen Messgerät ein Zeitraum von<br />
24 Minuten lag. Damit ist die erforderliche Wartezeit<br />
beachtet. Auch wenn die Rechtsbeschwerde zutreffend<br />
darauf hinweist, dass diese Wartezeit nicht Bestandteil<br />
der DIN-Norm VDE 0405 ist, so ist gleichwohl deren<br />
Beachtung erforderlich. Die obergerichtliche Rechtsprechung<br />
verlangt gr<strong>und</strong>sätzlich die Einhaltung einer<br />
Wartezeit von 20 Minuten zwischen Trinkende <strong>und</strong><br />
erster Messung (vgl. OLG Bamberg, a. a. O.; Bay-<br />
ObLGSt 2000, 51, 55; BGH NJW 2001, 1952, 1954<br />
[= BA 2001, 280]), wenngleich sie nicht stets bei<br />
einem Verstoß <strong>gegen</strong> die Beachtung der Wartezeit zu<br />
einem Verwertungsverbot gelangt (vgl. OLG Karlsruhe<br />
NJW 2006, 1988, 1989 m. w. N. [= BA 2006, 410]).<br />
Wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift<br />
zutreffend ausführt, geht das Er fordernis dieser<br />
Wartezeit darauf zurück, dass bei der Atemalkoholbest<strong>im</strong>mung<br />
nach dem Willen des Gesetzgebers<br />
nur Messgeräte eingesetzt <strong>und</strong> Messmethoden ange -<br />
wendet werden dürfen, die den <strong>im</strong> Gutachten des<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esges<strong>und</strong>heitsamts gestellten Anforderungen genügen<br />
(vgl. BGH NJW 2001, 1952, 1953). Das entsprechende<br />
Gut achten des <strong>B<strong>und</strong></strong>esges<strong>und</strong>heitsamtes<br />
(vgl. Schoknecht u. a., Beweissicherheit der Atemalkoholanalyse;<br />
<strong>im</strong> Folgenden: Gutachten) stellt ausdrücklich<br />
fest, dass zwischen der Beendigung der<br />
<strong>Alkohol</strong>aufnahme <strong>und</strong> der Atemalkoholmessung ein<br />
best<strong>im</strong>mter Zeitraum verstrichen sein muss, der mit<br />
20 Minuten anzusetzen ist. Ausschlaggebend für diese<br />
Vorgabe sei weniger die Gefahr der Verfälschung der<br />
Messwerte durch M<strong>und</strong> restalkohol, sondern die Erfahrung,<br />
dass sich erst nach dieser Zeit ein definiertes<br />
Ver hältnis zwischen AAK <strong>und</strong> BAK eingestellt habe,<br />
das kurzzeitigen Schwankungen nur noch <strong>im</strong> geringeren<br />
Maße unterworfen sei (Gutachten S. 12). Soweit<br />
in verschiedenen gerichtlichen Entscheidungen die<br />
Rede davon ist, dass eine Wartezeit von „mindestens“<br />
20 Minuten zu beachten sei, bedeutet dies gerade<br />
nicht, wie es die Rechtsbeschwerde folgern will, dass<br />
eine Wartezeit von 20 Minuten nicht ausreichend sei.<br />
3) Auch die Veröffentlichung von Iffland u. a.<br />
(DAR 2008, 382 ff.), nach der Abschläge vom Atemalkoholwert<br />
auch bei mindestens 20 Minuten Wartezeit<br />
je nach Trinkverhalten als erforderlich bezeichnet werden,<br />
gibt zu einer abweichenden rechtlichen Beurteilung<br />
keinen Anlass:<br />
a) Die genannte Veröffentlichung weist in erster<br />
Linie darauf hin, dass es bei noch nicht abgeschlossener<br />
Resorption dazu kommen kann, dass AAK-Werte<br />
ermittelt wer den, die deutlich unterhalb eines entsprechenden<br />
BAK-Wertes liegen. Die Autoren gehen dabei<br />
von einem Umrechnungsfaktor von 2,0 aus, welcher<br />
der Empfehlung des Gutachtens zufolge als sog.<br />
Q-Wert der Umrechnung zugr<strong>und</strong>e gelegt wurde, um
so eine Benachteiligung derjenigen Betroffenen zu<br />
vermeiden, die einer Atemalkoholkon trolle <strong>und</strong> nicht<br />
einer Blutentnahme unterzogen worden sind. Demzufolge<br />
sei es erfor derlich, entweder höhere Sicherheitsabschläge<br />
zu gewähren oder eine Wartezeit von wenigstens<br />
30 Minuten zu beachten (DAR 2008, 386).<br />
Die Problematik, dass die Mes sung der AAK in zeitlicher<br />
Nähe zur <strong>Alkohol</strong>aufnahme zu Messergebnissen<br />
führen kann, die nicht einer zeitgleich durchgeführten<br />
<strong>Blutalkohol</strong>konzentration (BAK) entsprä che, war<br />
allerdings bereits dem Gesetzgeber bekannt. Das o. g.<br />
Gutachten weist aus drücklich darauf hin, dass in<br />
der Anflutungsphase physiologisch bedingte stärkere<br />
Schwankungen der Verlaufskurve der AAK in Einzelfällen<br />
zu größeren Abweichungen führen können<br />
(Gutachten S. 12), dass das Verhältnis AAK/BAK mit<br />
zunehmender Annährung an das Trinkende insbesondere<br />
be<strong>im</strong> Kurzzeittrinken ein <strong>und</strong>efinierbares Verhalten<br />
aufweise (Gutachten S. 17) <strong>und</strong> dass anstelle eines<br />
Sicherheitszuschlages für die AAK-Grenzwerte ein<br />
Sicherheitsfaktor Q eingeführt werden solle, der dem<br />
Zweck diene, sicherzustellen, dass mit einer vorzugebenden<br />
Wahrscheinlichkeit w ein gemes sener AAK-<br />
Wert statistisch betrachtet unter dem AAK-Grenzwert<br />
liegt, falls ein gleich zeitig gemessener BAK-Wert den<br />
BAK-Grenzwert erreicht (Gutachten S. 21). In Kennt -<br />
nis dieser Ausführungen hat sich der Gesetzgeber<br />
gleichwohl in § 24a I StVG für die Regelung entschieden,<br />
dass derjenige ordnungswidrig handelt, der <strong>im</strong><br />
Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt, obwohl er<br />
0,25 mg/l oder mehr <strong>Alkohol</strong> in der Atemluft hat.<br />
b) Es ist auch bereits mehrfach obergerichtlich entschieden<br />
worden, dass das mögli che Abweichen der<br />
gemessenen AAK von einer BAK, die bei einer zeitgleichen<br />
Blutent nahme zu erwarten gewesen wäre,<br />
keinen Gr<strong>und</strong> darstellt, von der Verfassungswidrig keit<br />
der Regelung des § 24a I StVG auszugehen. Zwar hat<br />
der Gesetzgeber bei Einfüh rung des § 24a I StVG die<br />
festgelegten AAK-Grenzwerte aus den BAK-Grenzwerten<br />
abgeleitet (vgl. BGH NJW 2001, 1952, 1953).<br />
Entscheidend für das Erfordernis der Einhaltung einer<br />
Wartezeit von 20 Minuten ist der Umstand, dass sich<br />
erst nach min destens 20 Minuten das der Regelung des<br />
§ 24a I StVG zugr<strong>und</strong>e gelegte „definierte Verhältnis<br />
zwischen Atemalkohol- <strong>und</strong> <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
eingestellt hat“ (BayObLG NJW 2005, 232 [= BA<br />
2005, 492]). Wie auch das Bayerische Oberste Landesgericht<br />
in der vorgenannten Entscheidung ausdrücklich<br />
feststellt, hat sich das Risiko von Schwan kungen<br />
nach 20-minütiger Wartezeit auf ein zu vernachlässigendes<br />
geringes Maß ver mindert. Die Rechtsbeschwerde<br />
verkennt, dass der Gesetzgeber durch die<br />
Regelung des § 24a I StVG zwei voneinander unabhängige<br />
tatbestandliche Voraussetzungen eingeführt<br />
hat. Eine direkte Konvertierbarkeit von AAK- in<br />
BAK-Werte ist ausgeschlos sen (BGH NJW 2001,<br />
1952, 1953 unter Hinweis auf S. 12 des Gutachtens).<br />
Die Festle gung der Grenzwerte für die AAK erfolgte<br />
unter dem Gesichtspunkt, dass eine Wahr -<br />
scheinlichkeit von mehr als 50 % dafür spricht, dass<br />
be<strong>im</strong> Vorliegen einer BAK, die ei nem BAK-Grenz-<br />
Rechtsprechung<br />
135<br />
wert entspricht, der gemessene AAK-Wert unter<br />
dem ausgewählten AAK-Grenzwert liegt (Gutachten<br />
S. 15). Der Gesetzgeber hat sich damit bewusst dafür<br />
entschieden, die Messung der BAK <strong>und</strong> der AAK<br />
gleichzustellen, obwohl nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit<br />
(von 75 %) sichergestellt war, dass eine<br />
zeitgleich gemes sene BAK über der gemessenen AAK<br />
liegt. Diese Entscheidung des Gesetzgebers hält sich<br />
innerhalb der ihm eingeräumten Grenzen <strong>und</strong> ist verfassungsrechtlich<br />
nicht zu beanstanden (vgl. Bay-<br />
ObLGSt 2000, 51; BGH NJW 2001, 1953, 1954). Die<br />
vorge nannte Entscheidung des BGH n<strong>im</strong>mt zwar nicht<br />
ausdrücklich zum Erfordernis der Wartezeit Stellung.<br />
Die Entscheidung erging aber auf eine Vorlage des<br />
OLG Hamm (NZV 2000, 426 [= BA 2000, 385]), da<br />
dieses ent<strong>gegen</strong> der Rechtsprechung des BayObLG<br />
bei der AAK-Messung zusätzliche Sicherheitsabschläge<br />
berücksichtigen wollte. Das OLG Hamm wies in<br />
der Vorlage ausdrücklich darauf hin, dass Wittig u.a.<br />
(vgl. BA 2000, 30) bei Untersuchungen Schwankungen<br />
des Quotienten BAK/AAK von 0,74 bis 3,29 fest -<br />
gestellt hätten <strong>und</strong> die Quotienten in der Invasionsphase<br />
signifikant kleiner, in der El<strong>im</strong>inationsphase<br />
signifikant größer waren. Das OLG Hamm wies<br />
zudem darauf hin, dass sich nach diesen Untersuchungen<br />
bei einer Atemalkoholmessung 30 Minuten nach<br />
Trinkende ein BAK-/AAK-Quotient von 1,5 ergeben<br />
würde. Das OLG Hamm hat damit die von Iffland u. a.<br />
(a. a. O.) erneut problematisierte Fallgestaltung ausdrücklich<br />
thematisiert. Der BGH stellt dem<strong>gegen</strong>über<br />
klar, dass sich ent<strong>gegen</strong> der Auffassung des OLG<br />
Hamm auch unter Beachtung derartiger Untersuchungen<br />
hieraus keine ver fassungsrechtlichen Bedenken<br />
<strong>gegen</strong> die eigenständige Berücksichtigung von AAK-<br />
Grenzwerten ergäben (BGH NJW 2001, 1953, 1954).<br />
Der BGH hat auf die Vorlage des OLG Hamm die zugr<strong>und</strong>e<br />
liegende Rechtsfrage wie folgt formuliert: „Ist<br />
der mit einem bauartzugelassenen <strong>und</strong> geeichten Atemalkoholmessgerät<br />
gewonnene Atemalkohol-Messwert<br />
für die Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen<br />
des § 24a I StVG unmittelbar verwertbar oder sind<br />
allgemeine Sicherheitsabschläge zum Ausgleich mög -<br />
licher störender Einflüsse auf den Messvorgang geboten?“<br />
Diese Frage hat der BGH ausdrücklich verneint.<br />
Da der BGH die Einhaltung einer Wartezeit von<br />
20 Minuten für ausreichend erachtet hat, hat er damit<br />
zugleich entschieden, dass auch eine längere Wartezeit<br />
als 20 Minuten nicht erforderlich ist, um das gewonnene<br />
Messergebnis zu verwerten.<br />
c) Auch die von den rechtsmedizinischen Instituten<br />
der Universitäten München <strong>und</strong> Heidelberg durchgeführten<br />
Trinkversuche mit insgesamt 200 ges<strong>und</strong>en<br />
Probanden (BA 2006, 257 ff.) können zu keiner anderen<br />
rechtlichen Beurteilung führen. Zwar ergibt sich<br />
auch bei der dort durchgeführten Untersuchung, dass<br />
es zu einer brei ten Streuung des Wertes Q in der Anflutungsphase<br />
kommt. In 16,3 % der Fälle lag Q bereits<br />
bei Trinkende bei oder über 2 ml/kg, nach 20 Minuten<br />
hatten lediglich 39,3 % der Probanden diesen<br />
Wert erreicht oder überschritten. 8,4 % der Probanden<br />
allerdings haben während der gesamten El<strong>im</strong>inations-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
136 Rechtsprechung<br />
phase diesen Wert nicht erreicht. Aus dieser Untersuchung<br />
wird deutlich, dass auch bei Beachtung einer<br />
längeren Wartezeit keine Gewähr dafür gegeben ist,<br />
dass die gemessene AAK unter Zugr<strong>und</strong>elegung eines<br />
Um rechnungsfaktors von 2,0 einer (fiktiven) BAK<br />
entspricht. Dies ist vom Gesetzgeber bewusst in Kauf<br />
genommen worden <strong>und</strong> verfassungsrechtlich nicht zu<br />
beanstanden. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass die<br />
Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit gerade in<br />
der Anflutungsphase besonders stark sind <strong>und</strong> die<br />
AAK in der Resorptions phase den zeitlichen Verlauf<br />
der <strong>Alkohol</strong>wirkung etwas besser beschreibt, als<br />
der peri phervenöse <strong>Blutalkohol</strong>gehalt (BayObLGSt<br />
2000, 51, 55 m. w. N.).<br />
(Mitgeteilt von Richter am Oberlandesgericht<br />
Dr. Georg Gieg, Bamberg)<br />
22. Der Verwertung eines Sachverständigengutachtens<br />
über die <strong>Blutalkohol</strong>kon zentra tion des<br />
Betroffenen steht nicht ent<strong>gegen</strong>, wenn <strong>im</strong> Zeitpunkt<br />
der polizei lich angeord neten Blutentnahme<br />
wegen Gefährdung des Untersuchungserfolges ein<br />
Ermittlungs richter schon deshalb unerreichbar ist,<br />
weil in dem betreffenden <strong>B<strong>und</strong></strong>esland (hier: Bayern)<br />
ein richterlicher Bereitschaftsdienst lediglich<br />
<strong>im</strong> Zeit raum zwischen 6.00 Uhr <strong>und</strong> 21.00 Uhr eingerichtet<br />
ist.<br />
Oberlandesgericht Bamberg,<br />
Beschluss vom 20. November 2009 – 2 Ss OWi 1283/09 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen einer<br />
fahrlässigen Ordnungswidrigkeit nach § 24a I, III<br />
StVG zu einer Geldbuße verurteilt <strong>und</strong> <strong>gegen</strong> ihn ein<br />
Fahrverbot verhängt. Nach den Feststellungen wurde<br />
der Betroffene am 05. 02. 2009 (Donnerstag) um 23.50<br />
Uhr einer Polizeikontrolle unterzogen, wobei <strong>Alkohol</strong>geruch<br />
festgestellt wurde. Ein freiwilliger <strong>Alkohol</strong>test<br />
ergab eine Atemalkoholkon zentration (AAK) von<br />
0,45 mg/l. Weil der Betroffene wegen Atemwegsproblemen<br />
zur Durchführung einer AAK-Messung am<br />
Messgerät „Dräger Alcotest 7110 Evidential“ nicht in<br />
der Lage war, wurde kurz darauf von dem Polizeibeamten<br />
die Blutentnahme angeordnet, welche eine<br />
<strong>Blutalkohol</strong>konzentration von 0,91 Promille ergab.<br />
Ein Versuch des Beamten, einen Staatsanwalt oder Bereitschaftsrichter<br />
zu erreichen, erfolgte nicht, da diese<br />
Anordnungen <strong>im</strong>mer von der Polizei getroffen wurden.<br />
Auch eine Dokumentation, warum Ge fahr <strong>im</strong> Verzug<br />
vorlag, unterblieb. Die <strong>gegen</strong> seine Verurteilung<br />
gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen blieb<br />
ohne Erfolg.<br />
Aus den Gründen:<br />
Die Nachprüfung des Urteils aufgr<strong>und</strong> der Rechtsbeschwerde<br />
hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des<br />
Betroffenen ergeben (§ 349 II StPO i. V. m. § 79 III 1<br />
OWiG).<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Das Sachverständigengutachten über die <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
(BAK) des Betroffenen durfte vorliegend<br />
verwertet werden. Es entspricht zwar der<br />
Rechtsprechung des Bun desverfassungsgerichtes, dass<br />
bei Vorliegen eines Richtervorbehaltes – auch wenn<br />
dieser wie in § 81a II StPO nur einfachgesetzlicher<br />
Natur ist – Polizei <strong>und</strong> Staatsan waltschaft die Regelzuständigkeit<br />
des Ermittlungsrichters nicht unterlaufen<br />
dürfen. Des halb muss in aller Regel der Versuch<br />
unternommen werden, einen Ermittlungsrichter zu erreichen,<br />
wobei diese Bemühungen nicht unter Hinweis<br />
darauf unterbleiben dürfen, dass eine richterliche Entscheidung<br />
zur maßgeblichen Zeit gewöhnlicherweise<br />
nicht mehr zu erlangen ist (vgl. BVerfG, Beschluss v.<br />
04. 02. 2005 – 2 BvR 308/04 – = BVerfGK 5, 74 ff.<br />
= StraFo 2005, 156 ff. = NJW 2005, 1637 ff. = NStZ<br />
2005, 337 ff. = DAR 2005, 324 ff. = wistra 2005, 219 f.<br />
= StV 2005, 483 ff.; ferner BVerfG, Beschluss v.<br />
12. 02. 2007 – 2 BvR 273/06 – = BverfGK 10, 270 ff.<br />
= NJW 2007, 1345 f. = StV 2007, 281 f. = NZV 2007,<br />
581 ff. = VRR 2007, 150 f. = StRR 2007, 103 f. [= BA<br />
2008, 71]). Allerdings erfolgte in den vorge nannten,<br />
vom <strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgericht entschiedenen Fällen<br />
die Anordnung der Durchsuchung um 19.00 Uhr,<br />
nachdem die Polizeibeamten bereits um 17.00 Uhr auf<br />
den Beschuldigten aufmerksam wurden, bzw. die Anordnung<br />
der Blutentnahme um 9.00 Uhr.<br />
In Bayern besteht ein richterlicher Bereitschaftsdienst<br />
aufgr<strong>und</strong> der Anordnung des Bayerischen<br />
Staatsministeriums der Justiz vom 10.12. 2007 (Gz.:<br />
2043-IV-10673/07) lediglich zwischen 6.00 Uhr <strong>und</strong><br />
21.00 Uhr. Dies ist auch den Ermittlungsbehörden bekannt.<br />
Es ist daher ausge schlossen, <strong>gegen</strong> Mitternacht<br />
einen Ermittlungsrichter zu erreichen. Von daher durfte<br />
– ent<strong>gegen</strong> der Auffassung des AG – der Polizeibeamte<br />
wegen Vorliegens von Gefahr in Verzug die Blutentnahme<br />
anordnen, da bis zur Erreichbarkeit eines<br />
Richters am nächsten Morgen um 6.00 Uhr eine Gefährdung<br />
des Untersuchungserfolges (§ 81a II StPO)<br />
auf der Hand lag.<br />
Ein Verwertungsverbot besteht auch nicht deshalb,<br />
weil der Polizeibeamte die erforder liche Dokumentation<br />
unterlassen hat (vgl. hierzu OLG Bamberg, Beschluss<br />
v. 19. 03. 2009 – 2 Ss 15/09 – = DAR 2009,<br />
278 ff. = BA 2009, 217 ff. = ZfS 2009, 349 ff. = NJW<br />
2009, 2146 ff. = OLGSt StPO § 81a Nr. 8 = VerkMitt.<br />
2009, Nr. 77 = VRR 2009, 190 f.). Die Ermittlungsperson,<br />
die unter Annahme von Gefahr in Verzug gemäß<br />
§ 81a II StPO eine Blutentnahme anordnet, ist verpflichtet,<br />
die hierfür maßgeblichen Gründe schriftlich<br />
zu dokumentieren. Das Gebot effektiven Rechtschutzes<br />
verlangt, dass die anordnende Stelle ihre Entscheidung<br />
mit den maßgeblichen Gründen schrift lich<br />
niederlegt, um so eine nachträgliche gerichtliche<br />
Überprüfung zu ermöglichen (vgl. BVerfGE 103, 142,<br />
156 ff. = NJW 2001, 1121 ff. = StV 2001, 207 ff.<br />
= StraFo 2001, 154 ff.). Diese Dokumentation ist vorliegend<br />
nicht vorgenommen worden. Bei der Frage, ob<br />
ein Beweisverwertungsverbot vorliegt, ist die fehlende<br />
Dokumentation aber nur eines von mehreren Kriterien,<br />
die bei der erforderlichen Abwägung Beachtung fin-
den können. Die fehlende Dokumentation für sich<br />
allein führt gr<strong>und</strong>sätzlich nicht zu einem Beweis -<br />
verwertungsverbot (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 242,<br />
243 unter Hinweis auf BGH NStZ 2005, 392, 393).<br />
Dies ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden<br />
(BVerfG NJW 2008, 3053, 3054 [= BA 2008,<br />
386]).<br />
Soweit die Oberlandesgerichte Hamm (Beschluss v.<br />
12. 03. 2009 – 3 Ss 31/09 – = DAR 2009, 336 ff. = StV<br />
2009, 459 ff. = VRR 2009, 192 f.) bzw. Celle (Beschluss<br />
v. 16. 06. 2009 – 311 SsBs 49/09 – = StraFo<br />
2009, 330 f. = StV 2009, 518 f. = NZV 2009, 463 f.<br />
= OLGSt StPO § 81a Nr. 10 = VRS 117, 99 ff. = VRR<br />
2009, 283 [= BA 2009, 342]) ein Beweisver -<br />
wertungsverbot dann annehmen, wenn sich der Polizeibeamte<br />
keinerlei Gedanken über das Vorliegen von<br />
Gefahr <strong>im</strong> Verzug macht, ist dies auf den vorliegenden<br />
Fall nicht übertragbar. Die Anordnung der Blutentnahme<br />
erfolgte in den dort zugr<strong>und</strong>e liegenden Fällen um<br />
19.00 Uhr bzw. um 12.10 Uhr <strong>und</strong> damit zu Zeitpunkten,<br />
in denen die Er reichbarkeit eines Richters jeweils<br />
nahe lag. Hier hin<strong>gegen</strong> wurde die Anordnung der<br />
Blutentnahme <strong>gegen</strong> Mitternacht getroffen, also zu<br />
einer Zeit, in der die Erreichbarkeit des Richters ausgeschlossen<br />
war.<br />
Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.<br />
(Mitgeteilt von Richter am Oberlandesgericht<br />
Dr. Georg Gieg, Bamberg)<br />
23. Bei Taten <strong>im</strong> Zusammenhang mit <strong>Alkohol</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Drogen</strong> darf die Polizei nur in Ausnahmefällen<br />
die Entnahme von Blutproben nach § 81a Abs. 1<br />
StPO anordnen. Ein Verstoß <strong>gegen</strong> den Richtervorbehalt<br />
führt zur Unverwertbarkeit der Ergebnisse<br />
der Blutuntersuchung.<br />
Oberlandesgericht Schleswig,<br />
Urteil vom 26. Oktober 2009 – 1 Ss OWi 92/09 (129/09) –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässigen<br />
Führens eines Kraftfahrzeugs unter Wirkung<br />
des berauschenden Mittels THC zu einer Geldbuße<br />
von 250,– Euro verurteilt. Zugleich hat es ein Fahrverbot<br />
von einem Monat verhängt.<br />
Nach den Feststellungen fuhr der Betroffene am<br />
Donnerstag, dem 08. Juli 2008, mit einem Kraftfahrzeug<br />
auf öffentlichen Straßen. Um 15.40 Uhr geriet er<br />
in eine allgemeine Verkehrskontrolle durch Polizeibeamte.<br />
Dabei fielen einem der Polizeibeamten die geröteten<br />
Bindehäute des Betroffenen auf. Der Beamte<br />
stellte ferner eine verzögerte Pupillenreaktion be<strong>im</strong><br />
Betroffenen fest. Diese Bef<strong>und</strong>e begründeten bei dem<br />
Beamten den Verdacht eines <strong>Drogen</strong>konsums des Betroffenen.<br />
Ein vom Betroffenen daraufhin am Kontrollort<br />
freiwillig durchgeführter <strong>Drogen</strong>schnelltest (HK-<br />
Diagnostika, Urintest) führte zu einem positiven Er-<br />
Rechtsprechung<br />
137<br />
gebnis betreffend das berauschende Mittel THC. Daraufhin<br />
ordnete der Beamte die Entnahme einer Blutprobe<br />
be<strong>im</strong> Betroffenen an. Den Versuch, eine richterliche<br />
Entscheidung zu erlangen, unternahm er nicht.<br />
Dabei war ihm der Richtervorbehalt des § 81a StPO<br />
bewusst; wegen einer drohenden Gefährdung des Untersuchungserfolges<br />
erachtete er aber die eigene<br />
Eilkompetenz für gegeben. Die Blutprobenentnahme<br />
erfolgte durch einen Arzt um 16.25 Uhr. Die Untersuchung<br />
der Blutprobe ergab einen THC-Gehalt von<br />
5,74 ng/ml.<br />
Das Amtsgericht hat das Ergebnis des rechtsmedizinischen<br />
Gutachtens über die Untersuchung der Blutprobe<br />
für verwertbar erachtet, weil durch die Einholung<br />
einer richterlichen Anordnung der Blutprobenentnahme<br />
eine zeitliche Verzögerung eingetreten<br />
wäre, die den Untersuchungserfolg gefährdet hätte.<br />
Denn die Vorlage einer Akte hätte zu viel Zeit beansprucht;<br />
eine lediglich fernmündliche Entscheidung<br />
des Richters aufgr<strong>und</strong> einer fernmündlichen Sachverhaltsschilderung<br />
reiche in aller Regel nicht aus.<br />
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit<br />
seiner Rechtsbeschwerde, mit der er ausschließlich das<br />
Verfahren beanstandet <strong>und</strong> die Verwertung des Ergebnisses<br />
der Blutprobenuntersuchung angreift.<br />
Durch Beschluss vom 25. September 2009 hat der<br />
Einzelrichter die Sache zur Fortbildung des Rechts<br />
dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern<br />
übertragen.<br />
Aus den Gründen:<br />
Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen<br />
Urteils <strong>und</strong> zum Freispruch des Betroffenen.<br />
1. Die gem. § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte<br />
Rechtsbeschwerde ist auch sonst zulässig. Sie ist frist<strong>und</strong><br />
formgerecht eingelegt <strong>und</strong> begründet worden.<br />
Zwar hat der Betroffene keine Sachrüge erhoben, so<br />
dass die Rechtsbeschwerde ausschließlich mit der Verfahrensrüge,<br />
mit der er die Verletzung des Richtervorbehalts<br />
gemäß § 81a StPO rügt, begründet wird. Die<br />
insoweit erhobene Verfahrensrüge enthält aber alle erforderlichen<br />
Angaben über die den behaupteten Mangel<br />
begründenden Tatsachen, wenn sie auch nicht<br />
ausdrücklich ausführt, dass der Betroffene nicht in<br />
die Blutentnahme eingewilligt bzw. dieser zugest<strong>im</strong>mt<br />
habe. Dies ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich erforderlich (vgl. auch OLG Dresden,<br />
StV 2009, 571 [= BA 2009, 213]). Die weiteren<br />
Ausführungen der Rechtsbeschwerde lassen aber noch<br />
mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, dass eine<br />
Einwilligung bzw. Zust<strong>im</strong>mung des Betroffenen zur<br />
Blutprobenentnahme nicht vorlag. Dies folgt daraus,<br />
dass sich der Angeklagte zwar freiwillig einem <strong>Drogen</strong>schnelltest<br />
unterzog, die Entnahme der Blutprobe<br />
hin<strong>gegen</strong> durch den diensthabenden Polizeibeamten<br />
angeordnet werden musste. Eine Anordnung wäre<br />
nämlich entbehrlich gewesen, wenn der Betroffene mit<br />
der Blutentnahme einverstanden gewesen wäre (vgl.<br />
OLG Hamm, NJW 2009, 242 [= BA 2008, 388]).<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
138 Rechtsprechung<br />
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet, weil<br />
das Amtsgericht das Ergebnis der Blutprobenuntersuchung<br />
zu Unrecht verwertet hat.<br />
Zu Recht rügt der Betroffene einen Verstoß <strong>gegen</strong><br />
§ 81a Abs. 2 StPO. Danach steht die Anordnung einer<br />
Entnahme von Blutproben nach § 81a Abs. 1 StPO<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich dem Richter zu. Nur bei Gefährdung des<br />
Untersuchungserfolges durch die mit der Einholung<br />
einer richterlichen Entscheidung einhergehenden<br />
Verzögerung besteht auch eine Anordnungskompetenz<br />
der Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> – nachrangig – ihrer<br />
Ermittlungspersonen. Die Strafverfolgungsbehörden<br />
müssen daher regelmäßig versuchen, die Anordnung<br />
des zuständigen Richters einzuholen, bevor sie selbst<br />
die Blutentnahme anordnen. Die Gefährdung des Untersuchungserfolgs<br />
muss mit Tatsachen begründet<br />
werden, die auf den Einzelfall bezogen <strong>und</strong> in den<br />
Ermittlungsakten zu dokumentieren sind, sofern die<br />
Dringlichkeit nicht evident ist (vgl. hierzu BVerfG,<br />
NJW 2007, 1345 f. [= BA 2008, 71]; OLG Dresden,<br />
NJW 2009, 2149 ff. [= BA 2009, 344]; OLG Bamberg,<br />
NJW 2009, 2146 ff. [= BA 2009, 217], OLG Celle, Beschluss<br />
vom 06. 08. 2009 – 32 Ss 94/09 – zitiert nach<br />
juris [= BA 2009, 416]). Dabei verbietet sich eine generalisierende<br />
Betrachtungsweise dahingehend, dass –<br />
ohne Berücksichtigung des Schutzzweckes des Richtervorbehalts<br />
<strong>im</strong> konkreten Einzelfall – von einer<br />
Gefährdung des Untersuchungserfolges i. S. d. § 81a<br />
Abs. 2 StPO bei Taten unter <strong>Drogen</strong>- oder <strong>Alkohol</strong>einfluss<br />
von vornherein ausgegangen werden kann.<br />
So kann zum einen die Gefährdung des Untersuchungserfolges<br />
nicht allein mit dem abstrakten Hinweis<br />
begründet werden, eine richterliche Entscheidung<br />
sei gewöhnlich zu einem best<strong>im</strong>mten Zeitpunkt<br />
oder innerhalb einer best<strong>im</strong>mten Zeitspanne nicht zu<br />
erlangen (BVerfGE 103, 142/156; NJW 2007, 1444;<br />
BGHSt 51, 285/293). Zum anderen kann bei Taten <strong>im</strong><br />
Zusammenhang mit <strong>Alkohol</strong> <strong>und</strong> <strong>Drogen</strong> die typischerweise<br />
bestehende abstrakte – <strong>und</strong> damit gerade<br />
nicht einzelfallbezogene – Gefahr, dass durch den körpereigenen<br />
Abbau der Stoffe der Nachweis der Tatbegehung<br />
erschwert oder gar verhindert wird, für sich allein<br />
noch nicht für die Annahme einer Gefährdung<br />
des Untersuchungserfolges ausreichen (OLG Köln zfs<br />
2009, 48/49 [= BA 2009, 44]; OLG Hamm NJW 2009,<br />
242/243 [= BA 2008, 388]; OLG Thüringen, Beschluss<br />
vom 25. 11. 2008 – 1 Ss 230/08 – bei Juris<br />
[= BA 2009, 214]; OLG Hamburg NJW 2008,<br />
2597/2598 [= BA 2008, 198]). Andernfalls würden die<br />
konkreten Umstände des Einzelfalls, etwa <strong>im</strong> Hinblick<br />
auf die jeweilige Tages- oder Nachtzeit, die jeweiligen<br />
Besonderheiten am Ort der Kontrolle, die Entfernung<br />
zur Dienststelle bzw. zum Krankenhaus mit Erreichbarkeit<br />
eines Arztes oder den Grad der <strong>Alkohol</strong>isierung<br />
<strong>und</strong> seine Nähe zu rechtlich relevanten Grenzwerten,<br />
völlig außer Betracht gelassen.<br />
Die Annahme einer Gefährdung des Untersuchungserfolges<br />
muss vielmehr auf Tatsachen gestützt<br />
werden, die auf den Einzelfall bezogen <strong>und</strong> in den<br />
Ermittlungsakten zu dokumentieren sind, sofern die<br />
Dringlichkeit nicht evident ist. Das Bestehen einer<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
solchen Gefährdung unterliegt der vollständigen, eine<br />
Bindung an die von der Exekutive getroffenen Feststellungen<br />
<strong>und</strong> Wertungen ausschließenden gerichtlichen<br />
Überprüfung (BVerfG NJW 2008, 3053/3054<br />
[= BA 2008, 386]; NJW 2007, 1345/1346; BVerfGE<br />
103, 142/156; OLG Hamburg, NJW 2008, 2597/2598;<br />
OLG Hamm NJW 2009, 242/243; OLG Thüringen,<br />
Beschluss vom 25. 11. 2008 – 1 Ss 230/08 –).<br />
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Eine<br />
Gefährdung des Untersuchungserfolgs gemäß § 81a<br />
Abs. 2 StPO, die eine Anordnung der Blutentnahme<br />
durch den ermittelnden Polizeibeamten gerechtfertigt<br />
hätte, ist weder belegt noch ansatzweise ersichtlich.<br />
Der Polizeibeamte hat vielmehr nicht einmal den Versuch<br />
unternommen, einen Richter oder jedenfalls<br />
einen Staatsanwalt zu erreichen. Die Gefährdung des<br />
Untersuchungserfolgs war auch in keiner Weise evident.<br />
In der Zeit zwischen dem Verdacht auf eine Fahrt<br />
unter dem Einfluss berauschender Mittel <strong>und</strong> dem Zeitraum,<br />
der allein durch die Benachrichtigung eines Arztes<br />
zur Entnahme der Blutprobe <strong>und</strong> dessen Ankunft<br />
vergeht, besteht regelmäßig hinreichende Gelegenheit,<br />
jedenfalls fernmündlich eine richterliche Anordnung<br />
einzuholen (OLG Celle a. a. O.).<br />
Dies war auch hier der Fall. In der Rechtsbeschwerdebegründung<br />
wird mitgeteilt, dass die Polizeikontrolle<br />
um 15.40 Uhr erfolgte <strong>und</strong> die Blutprobe 45 Minuten<br />
später, um 16.25 Uhr, durchgeführt wurde. In<br />
diesem Zeitraum hätte ohne weiteres eine richterliche<br />
Anordnung eingeholt werden können, zumal sich der<br />
Vorfall an einem Werktag nachmittags während der<br />
üblichen Geschäftszeiten ereignete.<br />
Eine richterliche Anordnung gemäß § 81a Abs. 2<br />
StPO bedarf nicht zwingend der Vorlage schriftlicher<br />
Akten, deren Herstellung in vielen Fällen eine Verzögerung<br />
der Untersuchung nach sich ziehen könnte<br />
(BGHSt 51, 285, 295; OLG Bamberg, NJW 2009,<br />
2146; OLG Celle a. a. O.). Anhaltspunkte dafür, dass<br />
die richterliche Anordnung ohne Aktenvorlage von<br />
vornherein verweigert worden wäre, sind weder dokumentiert<br />
noch sonst ersichtlich. Eine fernmündliche<br />
richterliche Anordnung war auch nicht von vornherein<br />
ausgeschlossen. Es handelte sich um einen überschaubaren<br />
<strong>und</strong> einfachen Sachverhalt, die Fahrereigenschaft<br />
des Betroffenen stand außer Frage, <strong>und</strong> es gab<br />
aufgr<strong>und</strong> seiner geröteten Bindehäute <strong>und</strong> des Ergebnisses<br />
des <strong>Drogen</strong>schnelltests konkrete Anhaltspunkte<br />
für eine <strong>Drogen</strong>beeinflussung, die den Verdacht einer<br />
Ordnungswidrigkeit gemäß § 24a Abs. 2 StVG begründeten.<br />
Dieser Verstoß <strong>gegen</strong> § 81a Abs. 2 StPO führt vorliegend<br />
auch zu einem Verwertungsverbot <strong>und</strong> damit<br />
zur Unverwertbarkeit der Ergebnisse der Blutuntersuchung.<br />
Zwar zieht nicht jeder Verstoß bei der Beweisgewinnung<br />
ein strafprozessuales Verwertungsverbot<br />
nach sich. Vielmehr ist diese Frage jeweils nach den<br />
Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art<br />
des Verbots <strong>und</strong> dem Gewicht des Verstoßes <strong>und</strong> der<br />
Abwägung der widerstreitenden Interessen zu ent-
scheiden. Ein Verwertungsverbot bedeutet eine Ausnahme,<br />
die nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift<br />
oder aus übergeordneten gewichtigen Gründen <strong>im</strong><br />
Einzelfall anzuerkennen ist. Von einem Beweisverwertungsverbot<br />
ist deshalb nur dann auszugehen,<br />
wenn einzelne Rechtsgüter durch Eingriffe fern jeder<br />
Rechtsgr<strong>und</strong>lage so massiv beeinträchtigt werden,<br />
dass dadurch das Ermittlungsverfahren als ein nach<br />
rechtsstaatlichen Gr<strong>und</strong>sätzen geordnetes Verfahren<br />
nachhaltig geschädigt wird <strong>und</strong> folglich jede andere<br />
Lösung als die Annahme eines Verwertungsverbots<br />
unerträglich wäre. Ein solcher Ausnahmefall liegt vor<br />
bei bewusster <strong>und</strong> zielgerichteter Umgehung des Richtervorbehalts<br />
sowie bei willkürlicher Annahme von<br />
Gefahr <strong>im</strong> Verzug oder bei Vorliegen eines gleichwertigen,<br />
besonders schwerwiegenden Fehlers (vgl. hierzu<br />
Beschluss des <strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgerichts vom 02.<br />
Juli 2009 – 2 BVR 2225/08 – zitiert nach juris; BGH<br />
NJW 2007, 2269 ff.; OLG Dresden NJW 2009, 2149<br />
ff.; OLG Bamberg NJW 2009, 2146 ff.; OLG Celle<br />
a. a. O.).<br />
Unter Berücksichtigung dieser Gr<strong>und</strong>sätze besteht<br />
hier ein Beweisverwertungsverbot. Die Blutprobe ist<br />
nicht von einem Richter, sondern von dem ermittelnden<br />
Polizeibeamten angeordnet worden. Obwohl der<br />
Richtervorbehalt dem Polizeibeamten bekannt <strong>und</strong><br />
„präsent“ war, erhielt er die eigene Eilkompetenz für<br />
gegeben, weil zur Tatzeit – <strong>im</strong> Sommer 2008 – in Fallkonstellationen<br />
wie der vorliegenden regelmäßig auch<br />
von ihm so wie hier vorgegangen wurde.<br />
Anhaltspunkte dafür, dass der Polizeibeamte einer<br />
irrtümlichen Fehleinschätzung oder Fehlinterpretation<br />
des Begriffs „Gefahr <strong>im</strong> Verzug“ unterlag, so dass er<br />
von einer konkreten Gefährdung des Untersuchungserfolgs<br />
durch Einholung einer richterlichen Anordnung<br />
oder einer fehlenden Erreichbarkeit eines Richters<br />
am Nachmittag eines Werktags ausgegangen wäre,<br />
liegen nicht vor.<br />
In der Anordnung des Polizeibeamten liegt ein grober<br />
Verstoß <strong>gegen</strong> den Richtervorbehalt gemäß § 81a<br />
Abs. 2 StPO. Er hielt sich generell für anordnungsbefugt<br />
<strong>und</strong> stellte keine Überlegungen dazu an, ob<br />
die Anordnung der Blutentnahme <strong>im</strong> konkreten Fall<br />
einem Richter vorbehalten war, welche Umstände <strong>im</strong><br />
konkreten Einzelfall die von ihm pauschal unterstellte<br />
Gefährdung des Untersuchungserfolgs begründeten<br />
<strong>und</strong> wodurch seine Anordnungskompetenz ausnahmsweise<br />
eröffnet war. Vielmehr berief er sich auf die<br />
ständige polizeiliche Übung zur Tatzeit. Dies reichte<br />
hier – <strong>im</strong> Jahre 2008 – nicht aus. Die Entwicklung der<br />
Rechtsprechung zum Richtervorbehalt ist nicht neu.<br />
Vielmehr ist die Bedeutung, die das <strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgericht<br />
dem Richtervorbehalt be<strong>im</strong>isst, mindestens<br />
mit der Entscheidung vom 20. Februar 2001<br />
(NJW 2001, 1121) deutlich (OLG Hamm StrFo2009,<br />
417, 420) <strong>und</strong> seitdem in einer Fülle weiterer höchst<strong>und</strong><br />
obergerichtlicher Entscheidungen <strong>im</strong>mer weiter<br />
vertieft worden. Dass der Polizeibeamte dieser Entwicklung<br />
<strong>gegen</strong>über seinen Blick verstellte <strong>und</strong> alter<br />
Übung folgend in solchen Fällen wie diesem regelmäßig<br />
Gefahr <strong>im</strong> Verzug annahm, lässt die Anordnung<br />
Rechtsprechung<br />
139<br />
als willkürliche Missachtung des Richtervorbehalts<br />
gemäß § 81a Abs. 2 StPO erscheinen. Die pauschale<br />
Annahme, bei Verdacht von Fahrten unter Rauschmitteleinfluss<br />
stets zur Anordnung einer Blutprobe berechtigt<br />
zu sein, begründet die Besorgnis einer dauerhaften<br />
<strong>und</strong> ständigen Umgehung des Richtervorbehalts<br />
(vgl. OLG Celle a. a. O.).<br />
Das angefochtene Urteil beruht auf dem aufgezeigten<br />
Rechtsverstoß <strong>und</strong> ist deshalb aufzuheben.<br />
Da keine anderen Beweismittel ersichtlich sind,<br />
aufgr<strong>und</strong> derer das Gericht in einer neuen Hauptverhandlung<br />
erneut zu einer Verurteilung wegen einer<br />
Ordnungswidrigkeit kommen könnte, kam keine Aufhebung<br />
des Urteils <strong>und</strong> Zurückverweisung der Sache<br />
an das Amtsgericht in Betracht, sondern allein ein<br />
Freispruch. Insbesondere ist der <strong>Drogen</strong>schnelltest<br />
nicht geeignet, den Grad der Rauschmittelbeeinflussung<br />
festzustellen, insbesondere, ob der THC-Wert<br />
größer als 1,0 ng/ml war (vgl. BVerfG, NJW 2005,<br />
349–351 [= BA 2005, 156 mit Anm. Scheffler/<br />
Halecker]).<br />
24. *) 1. Allein aus nachträglichen Ausfallerscheinungen<br />
können keine Rückschlüsse auf das<br />
vorsätzliche Führen eines Fahrzeuges in alkoholbedingt<br />
fahrunsicherem Zustand gezogen werden.<br />
2. Ebenso kann die mangelnde Beeinträchtigung<br />
hinsichtlich Denkablauf, Bewusstsein <strong>und</strong> Verhalten<br />
nicht als tragender Beweis für eine vorsätzliche<br />
Trunkenheit <strong>im</strong> Verkehr gewertet werden. Eine<br />
Diskrepanz zwischen dem subjektiven Verhaltensbild<br />
<strong>und</strong> dem Ergebnis der Atemalkoholmessung –<br />
welchem auch insoweit nur Indizwirkung zukommt<br />
– kann sich nämlich aus dem sogenannten<br />
„Nüchternschock“ ergeben, der besonders nahe<br />
liegt, wenn der Täter – wie hier – einen Unfall verursacht<br />
hat.<br />
Oberlandesgericht Stuttgart,<br />
Beschluss vom 17. April 2009 – 2 Ss 159/09 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Das Amtsgericht Riedlingen verurteilte den Angeklagten<br />
am 03. Dezember 2008 wegen vorsätzlicher<br />
Trunkenheit <strong>im</strong> Verkehr zu der Geldstrafe von 40 Tagessätzen<br />
zu je 30,00 Euro. Ferner wurde dem Angeklagten<br />
die Fahrerlaubnis entzogen, sein Führerschein eingezogen<br />
<strong>und</strong> eine Sperrfrist für die Wiedererteilung<br />
der Fahrerlaubnis von neun Monaten festgesetzt.<br />
Das Amtsgericht hat zur Tat folgende Feststellungen<br />
getroffen:<br />
„Am 09. Mai 2008 fuhr der Angeklagte mit dem<br />
PKW nachts <strong>gegen</strong> 01:05 Uhr auf der … Straße.<br />
Der Angeklagte war aufgr<strong>und</strong> vorangegangenen<br />
<strong>Alkohol</strong>konsums nicht in der Lage, das Fahrzeug<br />
sicher zu führen. Dies hatte der Angeklagte auch<br />
wenigstens billigend in Kauf genommen. Wegen<br />
seiner <strong>Alkohol</strong>isierung kam er be<strong>im</strong> Abbiegen nach<br />
links von der Fahrbahn ab, so dass das Auto letztlich<br />
<strong>im</strong> Garten des Anwesens … zum Stehen kam.“<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
140 Rechtsprechung<br />
Bei der Beweiswürdigung hat das Amtsgericht u. a.<br />
Folgendes ausgeführt:<br />
„Der Tatnachweis konnte geführt werden aufgr<strong>und</strong><br />
der Aussage des Zeugen … Dieser gab an,<br />
über einen Notruf um 01:07 Uhr informiert worden<br />
zu sein <strong>und</strong> sodann <strong>gegen</strong> 01:20 Uhr am Gr<strong>und</strong>stück<br />
… eingetroffen zu sein. Der Angeklagte selbst sei es<br />
gewesen, der den Notruf alarmiert habe. Er habe<br />
angegeben, einen Aussetzer gehabt <strong>und</strong> ein Bier getrunken<br />
zu haben. Im Gespräch mit dem Angeklagten<br />
habe er <strong>Alkohol</strong>geruch festgestellt, der Angeklagte<br />
sei außerdem ,etwas wacklig‘ auf den Beinen<br />
gewesen <strong>und</strong> habe gerötete Augen gehabt. Generell<br />
habe der Angeklagte zudem einen ,fertigen Eindruck‘<br />
gemacht. Aufgr<strong>und</strong> dieser Feststellungen<br />
habe er dem Angeklagten einen Atemalkoholtest<br />
angeboten, mit dem dieser ausdrücklich einverstanden<br />
gewesen sei. Das Ergebnis habe 1,24 mg/l betragen,<br />
was auf einen <strong>Blutalkohol</strong>gehalt von deutlich<br />
über 2 Promille hindeutet …<br />
Dass der Angeklagte zumindest billigend in Kauf<br />
nahm, alkoholbedingt nicht in der Lage zu sein, am<br />
Straßenverkehr teilzunehmen, schließt das Gericht<br />
aus den erwähnten deutlichen Ausfallerscheinungen,<br />
die dem Angeklagten nicht verborgen bleiben<br />
konnten. Zugleich hält es das Gericht jedoch für<br />
ausgeschlossen, dass der Angeklagte aufgr<strong>und</strong> seiner<br />
<strong>Alkohol</strong>isierung seinen körperlichen Zustand<br />
nicht mehr in ausreichendem Maße einschätzen<br />
konnte. Hier<strong>gegen</strong> spricht, dass der Angeklagte …<br />
durchaus orientiert gewesen ist <strong>und</strong> er sich auch<br />
nach dem Blutentnahmeprotokoll an den Unfall erinnern<br />
konnte <strong>und</strong> bei klarem Bewusstsein war.“<br />
Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung<br />
formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts.<br />
Aus den Gründen:<br />
Das zulässige Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg,<br />
so dass es nicht darauf ankommt, dass die Verfahrensrüge<br />
nicht formgerecht erhoben worden ist.<br />
Im Rahmen der Beweiswürdigung hat das Amtsgericht<br />
zunächst frei von Rechtsfehlern die objektiven<br />
Voraussetzungen der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit<br />
des Angeklagten festgestellt. Ent<strong>gegen</strong> der Annahme<br />
der Generalstaatsanwaltschaft ist vorliegend nicht<br />
zu beanstanden, dass die Überzeugungsbildung des<br />
Amtsgerichts von der (relativen) Fahruntüchtigkeit<br />
des Angeklagten auf den in den Urteilsgründen genannten<br />
Beweisanzeichen <strong>und</strong> der von dem Atemalkoholwert<br />
von 1,24 mg/l ausgehenden Indizwirkung<br />
beruht. Denn die Atemalkoholmessung ist zwar <strong>im</strong><br />
Strafverfahren nicht zum Nachweis einer best<strong>im</strong>mten<br />
<strong>Blutalkohol</strong>konzentration geeignet, jedoch dürfen<br />
diese Messergebnisse <strong>im</strong> Zusammenwirken mit anderen<br />
Indizien bei der Prüfung der Fahruntüchtigkeit<br />
berücksichtigt werden (vgl. Fischer StGB 56. Aufl.<br />
§ 316 Rn. 23 m. w. N.).<br />
Hin<strong>gegen</strong> hält die Annahme des Amtsgerichts, der<br />
Angeklagte habe die Tatbestandsverwirklichung wenigstens<br />
billigend in Kauf genommen, rechtlicher<br />
Nachprüfung nicht stand. Der Angeklagte hat, wie sich<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
aus den Urteilsgründen ergibt, keine Angaben zur<br />
Sache gemacht, also auch nicht zugestanden, dass ihm<br />
seine alkoholbedingte Fahrunsicherheit bekannt gewesen<br />
sei oder er sie für möglich gehalten <strong>und</strong> gebilligt<br />
habe. Eine dahingehende Feststellung kann folglich<br />
nur aus sonstigen Umständen hergeleitet werden.<br />
Diese sieht das Amtsgericht in den nach der Trunkenheitsfahrt<br />
durch den Zeugen … festgestellten Ausfallerscheinungen.<br />
Dass der Angeklagte deshalb von sich<br />
selbst bei Fahrtantritt oder während der Fahrt den Eindruck<br />
gehabt hat, deutlich unter <strong>Alkohol</strong>einfluss zu<br />
stehen – allein darauf kommt es für die Frage, ob er<br />
sich seiner alkoholischen Beeinträchtigung bewusst<br />
war, an – ergibt sich daraus jedoch nicht. Allein aus<br />
nachträglichen Ausfallerscheinungen können keine<br />
Rückschlüsse auf das Bewusstsein des Angeklagten<br />
gezogen werden, dass seine Gesamtleistungsfähigkeit<br />
so gravierend beeinträchtigt ist, dass er es zumindest<br />
für möglich <strong>und</strong> bei der Fahrt billigend in Kauf genommen<br />
hat, den <strong>im</strong> Verkehr zu stellenden Anforderungen<br />
nicht mehr zu genügen.<br />
Auch die weitere Überlegung des Amtsgerichts, der<br />
Angeklagte sei nach dem Unfall orientiert <strong>und</strong> bei klarem<br />
Bewusstsein gewesen, trägt nicht die Überzeugung,<br />
der Angeklagte habe hinsichtlich seiner alkoholbedingten<br />
Fahruntüchtigkeit zumindest mit bedingtem<br />
Vorsatz gehandelt. Die mangelnde Beeinträchtigung<br />
hinsichtlich Denkablauf, Bewusstsein <strong>und</strong> Verhalten<br />
kann nicht als tragender Beweis gewertet werden, dass<br />
sich der Angeklagte seiner Fahruntüchtigkeit bewusst<br />
war. Eine Diskrepanz zwischen dem subjektiven Verhaltensbild<br />
<strong>und</strong> dem Ergebnis der Atemalkoholmessung<br />
– welchem auch insoweit nur Indizwirkung zukommt<br />
– kann sich nämlich aus dem sogenannten<br />
„Nüchternschock“ ergeben, der besonders nahe liegt,<br />
wenn der Täter – wie hier – einen Unfall verursacht hat<br />
(zum Nüchternschock vgl. OLG Zweibrücken VRS<br />
82, 33-35 [= BA 1992, 75]). Das Amtsgericht wird<br />
daher bei der neuen Hauptverhandlung zu prüfen<br />
haben, ob weitere Feststellungen, die den Schluss auf<br />
eine vorsätzliche Verwirklichung des Tatbestands der<br />
Trunkenheit <strong>im</strong> Verkehr tragen könnten, getroffen<br />
werden können. Sollte dies nicht der Fall sein, wird<br />
dem Angeklagten vorzuwerfen sein, aus Fahrlässigkeit<br />
nicht erkannt zu haben, dass er in Folge des Genusses<br />
alkoholischer Getränke zur sicheren Führung seines<br />
Fahrzeugs nicht der Lage war.<br />
Der Senat weist darüber hinaus darauf hin, dass die<br />
in der jüngeren Rechtsprechung wiederholt aufgeworfene<br />
Frage zum Richtervorbehalt nach § 81a Abs. 2<br />
StPO <strong>und</strong> eventuellem Verwertungsverbot bei Trunkenheitsfahrten<br />
(vgl. Fickenscher NStZ 2009, 124 ff<br />
m. w. N.) in der neuen Hauptverhandlung möglicherweise<br />
nicht entschieden werden muss, da auch bei<br />
einer Verwertung des Ergebnisses der Blutprobe allein<br />
daraus kein Rückschluss auf (bedingt) vorsätzliches<br />
Handeln gezogen werden könnte. Denn es kann nicht<br />
außer Acht gelassen werden, dass bei fortschreitender<br />
Trunkenheit, insbesondere bei 2 Promille übersteigenden<br />
<strong>Blutalkohol</strong>konzentrationen, zunehmend eine Verringerung<br />
der Kritik- <strong>und</strong> Einsichtsfähigkeit eintreten
kann, so dass der tatsächlich fahruntüchtige Täter<br />
glaubt, noch fahrtüchtig zu sein (Cramer in Schönke/Schröder<br />
StGB 27. Aufl. § 316 Rn. 26 m. w. N.).<br />
25. *) 1. Bereits <strong>im</strong> Falle der Verurteilung wegen<br />
einer folgenlosen Trunkenheitsfahrt ist der Tatrichter<br />
regelmäßig verpflichtet, neben der Höhe der<br />
<strong>Blutalkohol</strong>konzentration <strong>und</strong> der Schuldform<br />
weitere Umstände festzustellen, die geeignet sind,<br />
den Schuldumfang näher zu best<strong>im</strong>men <strong>und</strong> einzugrenzen.<br />
Dazu zählen insbesondere die Umstände<br />
der <strong>Alkohol</strong>aufnahme (Trinken in Fahrbereitschaft)<br />
sowie der Anlass <strong>und</strong> die Gegebenheiten der<br />
Fahrt (z. B. die Fahrweise, die Art – Verkehrsverhältnisse<br />
– <strong>und</strong> Länge der zurückgelegten Strecke).<br />
2. Wenn außer der Angabe von Tatzeit, Tatort<br />
<strong>und</strong> <strong>Blutalkohol</strong>wert keine weiteren, für den<br />
Schuldumfang wesentlichen Feststellungen möglich<br />
sind, weil der Angeklagte schweigt <strong>und</strong> Beweismittel<br />
dafür entweder nicht zur Verfügung stehen<br />
oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu beschaffen<br />
wären, so ist dies <strong>im</strong> Urteil hinreichend<br />
klarzustellen. In einem solchen Fall ist für die<br />
Strafzumessung ein entsprechend geringer Schuldumfang<br />
ohne wesentliche Besonderheiten zugr<strong>und</strong>e<br />
zu legen.<br />
Oberlandesgericht Köln,<br />
Beschluss vom 03. Juli 2009 – 83 Ss 51/09 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger<br />
Gefährdung des Straßenverkehrs <strong>und</strong> wegen<br />
unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit<br />
mit vorsätzlicher Trunkenheit <strong>im</strong> Verkehr zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />
von 6 Monaten mit Strafaussetzung<br />
zur Bewährung verurteilt; es hat zudem die Entziehung<br />
der Fahrerlaubnis, die Einziehung des Führerscheins<br />
<strong>und</strong> eine Sperrfrist für die Erteilung einer<br />
neuen Fahrerlaubnis von sieben Monaten angeordnet.<br />
Zum Schuldspruch heißt es <strong>im</strong> Urteil:<br />
„Am 03.10. 2008 nahm der Angeklagte alkoholische<br />
Getränke zu sich. Anschließend führte er am<br />
04.10. 2008 <strong>gegen</strong> 02:45 Uhr in H-E. seinen dunkelfarbigen<br />
Pkw …, obwohl er infolge des genossenen<br />
<strong>Alkohol</strong>s nicht mehr in der Lage war, das Fahrzeug<br />
sicher zu führen. Der Angeklagte befuhr ohne<br />
Beleuchtung die L. Straße aus Fahrtrichtung C.<br />
kommend. Im durch Straßenlaternen gut ausgeleuchteten<br />
Kreuzungsbereich L. Straße / U. / F. –<br />
aus Sicht des Angeklagten eine Linkskurve – stieß<br />
er mit seiner rechten Fahrzeugseite <strong>gegen</strong> den auf<br />
dem rechts von der Fahrbahn vor dem Hause L.<br />
Straße 39 auf dem dortigen breiten gepflasterten<br />
Gehweg abgestellten Pkw des Zeugen V. J., der<br />
durch die Wucht des Anstoßes <strong>gegen</strong> den davor<br />
abgestellten Pkw des Zeugen T. H. geschleudert<br />
wurde. Obwohl der Angeklagte den Zusammenstoß<br />
mit dem anderen Pkw bemerkt hatte, setzte er seine<br />
Rechtsprechung<br />
141<br />
Fahrt auf der L. Straße fort <strong>und</strong> fuhr weiter ohne Beleuchtung<br />
an den einige Meter weiter vor dem<br />
Hause L. Straße 37 erhöht auf der dortigen Hauseingangstreppe<br />
stehenden Zeugen W. H. <strong>und</strong> N. J. vorbei.<br />
Der durch den Knall auf das Geschehen aufmerksam<br />
gewordene Zeuge V. J., der sich <strong>im</strong> Hause<br />
L. Straße 37 befand, begab sich ebenfalls nach draußen<br />
<strong>und</strong> sah den Pkw des Angeklagten ohne Licht<br />
an sich vorbei fahren. Die Zeugen riefen noch hinter<br />
dem Angeklagten her, der seine Fahrt jedoch fortsetzte.<br />
Der Zeuge N. J. sah dem Pkw des Angeklagten<br />
nach <strong>und</strong> konnte beobachten, wie dieser an der<br />
nächsten Kreuzung nach rechts auf die G. Straße in<br />
Richtung B./O. abbog. Kurz hinter dieser Kreuzung<br />
befanden sich auf dem X-D-Platz mit ihrem Streifenwagen<br />
die Polizeibeamten POK I. <strong>und</strong> PHK M.,<br />
die bereits durch das Anstoßgeräusch <strong>und</strong> die Rufe<br />
der Zeugen aufmerksam geworden waren <strong>und</strong> den<br />
Pkw des Angeklagten ohne Beleuchtung hatten von<br />
der L. Straße herannahen <strong>und</strong> in die G. Straße abbiegen<br />
sehen. Die Polizeibeamten folgten mit ihrem<br />
Dienstfahrzeug dem Pkw des Angeklagten, konnten<br />
auf diesen nach etwa 300 Metern Fahrtstrecke aufschließen<br />
<strong>und</strong> ihn etwa zwei Kilometer weiter in der<br />
Ortschaft B. zum Anhalten bringen. Die Beamten<br />
stellten an der Beifahrerseite des Pkw des Angeklagten<br />
vom vorderen Kotflügel bis zur Tür frische<br />
Kratzspuren <strong>und</strong> Lackschäden fest, der rechte<br />
Außenspiegel war abgerissen. Der Pkw des Zeugen<br />
V. J. wies korrespondierende Schäden auf.<br />
Ein durch die Polizeibeamten vor Ort be<strong>im</strong> Angeklagten<br />
durchgeführten Atemalkoholtest ergab<br />
einen Wert von 0,61 mg/1 AAK, die dem Angeklagten<br />
um 03:23 Uhr entnommene Blutprobe hat eine<br />
BAK von 1,25 Promille <strong>im</strong> Mittelwert ergeben,<br />
womit unwiderleglich feststeht, dass der Angeklagte<br />
<strong>im</strong> Zeitpunkt der Fahrt absolut fahruntüchtig war.<br />
Nach den Bek<strong>und</strong>ungen des Zeugen V. J. ist durch<br />
den Anstoß des Pkw des Angeklagten am Pkw des<br />
Zeugen ein Schaden in Höhe von 6.737,29 EUR<br />
verursacht worden, der Zeuge T. H. hat bek<strong>und</strong>et,<br />
dass an seinem Pkw ein Schaden in Höhe von<br />
1.716,12 EUR eingetreten ist.“<br />
Die Revision des Angeklagten rügt die Verletzung<br />
formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts.<br />
Aus den Gründen:<br />
Das Rechtsmittel hat insofern (zumindest vorläufigen)<br />
Erfolg, als es gemäß §§ 353, 354 Abs. 2 StPO zur<br />
Aufhebung des angefochtenen Urteils <strong>und</strong> zur Zurückverweisung<br />
der Sache an eine andere Abteilung des<br />
Amtsgerichts führt.<br />
Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand<br />
haben, weil es materiell-rechtlich unvollständig ist.<br />
Schon <strong>im</strong> Falle der Verurteilung wegen einer folgenlosen<br />
Trunkenheitsfahrt ist der Tatrichter regelmäßig<br />
verpflichtet, neben der Höhe der <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
<strong>und</strong> der Schuldform weitere Umstände<br />
festzustellen, die geeignet sind, den Schuldumfang<br />
näher zu best<strong>im</strong>men <strong>und</strong> einzugrenzen (BayObLG<br />
VRS 93, 108 = NZV 1997, 244 = NStZ 1997, 359<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
142 Rechtsprechung<br />
= MDR 1997, 486 [= BA 1997, 318]; OLG Karlsruhe<br />
VRS 79, 199, 200; SenE v. 19.12.2000 – Ss 488/00 –<br />
= StV 2001, 355 [= BA 2002, 218]; SenE v.<br />
29. 02. 2008 – 83 Ss 14/08 –). Dazu zählen insbesondere<br />
die Umstände der <strong>Alkohol</strong>aufnahme (Trinken in<br />
Fahrbereitschaft) sowie der Anlass <strong>und</strong> die Gegebenheiten<br />
der Fahrt (BayObLG VRS 97, 359, 360 = NZV<br />
1999, 483 [= BA 1999, 306]; SenE v. 27.10.2006 –<br />
82 Ss 123/06 –).<br />
Für das Ausmaß der abstrakten Gefahr <strong>und</strong> den<br />
Schuldumfang kommt es weniger auf die Höhe der<br />
<strong>Blutalkohol</strong>konzentration (den Grad der Fahruntüchtigkeit)<br />
als auf die Fahrweise, die Art (Verkehrsverhältnisse)<br />
<strong>und</strong> Länge der zurückgelegten Strecke an<br />
(BayObLG NZV 1997, 244; OLG Karlsruhe VRS 81,<br />
19, 20 [= BA 1991, 268] <strong>und</strong> VRS 79, 199, 200;<br />
Fischer, StGB, 56. Aufl., § 316 Rdnr. 54). Wichtige<br />
Kriterien sind mithin Dauer <strong>und</strong> Länge der bereits<br />
zurückgelegten <strong>und</strong> noch beabsichtigten Fahrstrecke,<br />
Verkehrsbedeutung der befahrenen Straßen sowie der<br />
private oder beruflich bedingte Anlass der Fahrt. Bedeutsam<br />
kann ferner sein, ob der Angeklagte aus eigenem<br />
Antrieb handelte oder von Dritten verleitet wurde,<br />
ob ihm bewusste oder unbewusste Fahrlässigkeit anzulasten<br />
ist <strong>und</strong> ob er sich in ausgeglichener Gemütsverfassung<br />
oder einer Ausnahmesituation befand<br />
(BayObLG VRS 93, 108; SenE v. 04.11.1997 – Ss<br />
547/97 –; SenE v. 19.12. 2000 – Ss 488/00 – = StV<br />
2001, 355). Auch polizeilich festgestellte Auffälligkeiten<br />
des Angeklagten am Kontrollort oder bei der Blutentnahme<br />
können von Bedeutung sein (BayObLG<br />
DAR 2004, 282).<br />
Feststellungen hierzu oder wenigstens zu einigen<br />
nach Lage des Einzelfalles besonders bedeutsamen<br />
Umständen sind <strong>im</strong> Allgemeinen zur näheren Best<strong>im</strong>mung<br />
des Schuldgehalts der Tat als Gr<strong>und</strong>lage für eine<br />
sachgerechte Rechtsfolgenbemessung erforderlich.<br />
Wenn außer der Angabe von Tatzeit, Tatort <strong>und</strong> <strong>Blutalkohol</strong>wert<br />
keine weiteren, für den Schuldumfang wesentlichen<br />
Feststellungen möglich sind, weil der Angeklagte<br />
schweigt <strong>und</strong> Beweismittel dafür entweder<br />
nicht zur Verfügung stehen oder nur mit unverhältnismäßigem<br />
Aufwand zu beschaffen wären, so ist dies <strong>im</strong><br />
Urteil hinreichend klarzustellen. In einem solchen Fall<br />
ist für die Strafzumessung ein entsprechend geringer<br />
Schuldumfang ohne wesentliche Besonderheiten zugr<strong>und</strong>e<br />
zu legen (SenE v. 04.11.1997 – Ss 547/97 –;<br />
SenE v. 19.12. 2000 – Ss 488/00 – = StV 2001, 355).<br />
Die genannten Gr<strong>und</strong>sätze gelten erst recht, wenn<br />
es – wie hier – infolge der trunkenheitsbedingten Fahruntüchtigkeit<br />
zu einem Verkehrsunfall gekommen ist<br />
(so insgesamt: SenE v. 03. 04. 2009 – 83 Ss 20/09 –).<br />
Gemessen an diesen Maßstäben weist das angefochtene<br />
Urteil revisionsrechtlich beachtliche Unvollständigkeiten<br />
auf. Den Feststellungen können die Umstände,<br />
die geeignet sind, den Schuldumfang näher zu<br />
best<strong>im</strong>men <strong>und</strong> einzugrenzen, nicht hinreichend entnommen<br />
werden. So bleibt nicht nur offen, unter welchen<br />
näheren Umständen (Anlass <strong>und</strong> Dauer der Fahrt<br />
sowie Fahrstrecke) der Angeklagte das Fahrzeug geführt<br />
hat. Es wird aber auch nicht ausgeführt, unter<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
welchen Umständen es zur <strong>Alkohol</strong>aufnahme gekommen<br />
ist, insbesondere ob der Angeklagte bereits zu<br />
diesem Zeitpunkt damit gerechnet hat, später noch ein<br />
Fahrzeug zu führen.<br />
Allerdings ist den Urteilsgründen zu entnehmen,<br />
dass sich der Angeklagte – bis auf die Äußerung in<br />
seinem letzten Wort, dass ihm leid tue, was passiert sei<br />
– zur Sache nicht eingelassen hat. Dass aber keine sonstigen<br />
Beweismittel zur Verfügung standen (z. B. Aussagen<br />
der Polizeibeamten oder des Bewährungshelfers<br />
zu Angaben des Angeklagten ihnen <strong>gegen</strong>über) oder<br />
nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu beschaffen<br />
gewesen wären, ist durch die Urteilsgründe nicht klargestellt.<br />
Die in einer solchen Weise lückenhaften Feststellungen<br />
stellen keine hinreichende Gr<strong>und</strong>lage für die<br />
Bemessung einer tat- <strong>und</strong> schuldangemessenen Strafe<br />
dar (SenE vom 03. 04. 2009 – 83 Ss 20/09).<br />
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf<br />
Folgendes hin:<br />
Soweit <strong>im</strong> Rahmen der Strafzumessung Vorbelastungen<br />
eines Angeklagten mitberücksichtigt werden<br />
sollen, setzt dies voraus, dass der Tatrichter sie <strong>im</strong> Urteil<br />
so genau mitteilt, dass dem Revisionsgericht die<br />
Nachprüfung ermöglicht wird, ob <strong>und</strong> inwieweit Vorstrafen<br />
überhaupt noch verwertet werden dürfen <strong>und</strong> –<br />
falls verwertbar – ob sie <strong>im</strong> Hinblick auf ihre Bedeutung<br />
<strong>und</strong> Schwere für die Strafzumessung richtig bewertet<br />
worden sind. Neben dem Zeitpunkt <strong>und</strong> der<br />
Rechtskraft der Verurteilung <strong>und</strong> der Art <strong>und</strong> der Höhe<br />
der Strafen sind daher in der Regel die den als belastend<br />
eingestuften Vorverurteilungen zugr<strong>und</strong>e liegenden<br />
Sachverhalte zwar knapp, aber doch in einer<br />
aussagekräftigen Form zu umreißen (vgl. SenE vom<br />
12.12. 2008 – 81 Ss 9899/08 –; SenE vom 26. 06. 2007 –<br />
81 Ss 61/07 –; SenE vom 20. 04. 2007 – 81 Ss 52/07 –;<br />
Senat, StV 1996, 321 ff.; OLG Frankfurt, StV 1995,<br />
27 ff. <strong>und</strong> StV 1989, 155; OLG Koblenz, StV 1994,<br />
291). Das gilt insbesondere dann, wenn – wie hier –<br />
eine kurzfristige Freiheitsstrafe gemäß § 47 StGB festgesetzt<br />
wird (vgl. SenE vom 16.12. 2003 –<br />
Ss 513/03 –; SenE vom 06.08.2004 – Ss 337/04 –;<br />
SenE vom 26.10. 2007 – 81 Ss 166/07 –; SenE v.<br />
23. 06. 2009 – 83 Ss 48/09 –).<br />
Soweit Bewährungsversagen als Strafschärfungsgr<strong>und</strong><br />
berücksichtigt werden soll, müssen die Urteilsgründe<br />
ausweisen, dass die abzuurteilende Tat während<br />
laufender Bewährungszeit begangen worden ist.<br />
Dazu ist festzustellen, wann hinsichtlich der früheren<br />
Entscheidung(en) die Rechtskraft eingetreten ist<br />
(SenE v. 27.12. 2005 – 83 Ss 72/05 –; SenE v.<br />
28. 07. 2006 – 82 Ss 68/06 –; SenE v. 28. 07. 2006 – 82<br />
Ss 68/06 –; SenE v. 31.10. 2008 – 81 Ss 93/08 –; SenE<br />
v. 14.11.2008 – 83 Ss 70/08 –).<br />
26 1. Ausschlaggebend für das Ausnehmen einer<br />
Fahrzeugart von der Sperre ist das Vorliegen einer<br />
Gefahrenabschirmung.
2. An einer ausreichenden Gefahrenabschirmung<br />
fehlt es, wenn keinerlei Kontrollen des Arbeitgebers<br />
vor Fahrtantritt mit der auszunehmenden<br />
Fahrzeugart stattfinden.<br />
3. An einer Gefahrenabschirmung fehlt es auch,<br />
wenn bei einer hypothetischen BAK-Berechnung<br />
auf den Zeitpunkt des üblichen Fahrtantritts mit<br />
den auszunehmenden Fahrzeugarten sich noch ein<br />
BAK-Wert von 0,7 Promille ergibt – allenfalls geringste<br />
Restalkoholmengen von weniger als 0,3 ‰<br />
sind hier zur Zeit des üblichen Fahrtantritts tolerierbar.<br />
Amtsgericht Lüdinghausen,<br />
Urteil vom 08. Dezember 2009<br />
– 9 Ds-82 Js 5515/09-156/09 –<br />
Aus den Gründen:<br />
Der bereits wegen eines anderen (aber nicht <strong>im</strong><br />
Straßenverkehr begangenen) <strong>Alkohol</strong>delikts vorbestrafte<br />
Angeklagte befuhr am 11.07. 2009 <strong>gegen</strong><br />
20:55 Uhr mit einem privaten Pkw in alkoholbedingt<br />
fahruntüchtigem Zustand u. a. die S-Straße in L. Er<br />
hatte zuvor in seinem Kleingarten <strong>und</strong> bei einem<br />
H<strong>und</strong>esportverein <strong>Alkohol</strong> in erheblicher Menge<br />
getrunken. Zur Tatzeit wies er zumindest eine <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
von 2,0 ‰ auf. Diesen Wert ergab<br />
die ihm nach Anhalten durch die Polizei um 21.27 Uhr<br />
entnommene Blutprobe. Der Angeklagte hätte erkennen<br />
können <strong>und</strong> müssen, dass er alkoholbedingt fahruntüchtig<br />
war.<br />
Der Angeklagte war umfassend geständig. Der<br />
<strong>Blutalkohol</strong>bef<strong>und</strong> konnte gem. § 256 Abs. 1 Nr. 4<br />
StPO urk<strong>und</strong>sbeweislich verlesen werden <strong>und</strong> ergab<br />
den o. g. Wert.<br />
Der Angeklagte war dementsprechend wegen fahrlässiger<br />
Trunkenheit <strong>im</strong> Straßenverkehr gemäß § 316<br />
Abs. 1 StGB zu bestrafen. Unter Abwägung aller für<br />
<strong>und</strong> <strong>gegen</strong> ihn sprechenden Umstände hielt das Gericht<br />
die Verhängung einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen<br />
zu je 15 Euro für tat- <strong>und</strong> schuldangemessen. Die<br />
Tagessatzhöhe bemisst sich an den wirtschaftlichen<br />
Verhältnissen des Betroffenen.<br />
Zudem war die Fahrerlaubnis zu entziehen <strong>und</strong><br />
eine Sperrfrist anzuordnen nach §§ 69, 69a StGB.<br />
Der Angeklagte hat sich nämlich als ungeeignet zum<br />
Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen, § 69 Abs. 2<br />
Nr. 2 StGB.<br />
Der Angeklagte hat angeregt, von der Sperre „Sattelkippzüge<br />
mit einem zulässigen Gesamtgewicht von<br />
40 Tonnen“ auszunehmen. Eine solche Ausnahme ist<br />
zwar nach § 69a Abs. 2 StGB gr<strong>und</strong>sätzlich möglich,<br />
wenn besondere Umstände vorliegen, die die Annahme<br />
rechtfertigen, dass der Zweck der Maßregel dadurch<br />
nicht gefährdet wird. Erforderlich ist damit eine<br />
feststellbare Abschirmung der Gefährdung des Maßregelzwecks<br />
<strong>und</strong> damit der Gefährdung des Straßenverkehrs,<br />
die zunächst einmal „per se“ durch einen<br />
ungeeigneten Kraftfahrzeugführer besteht (hierzu etwa<br />
BayObLG NZV 1991, 397; Geppert in: LK, StGB,<br />
12. Aufl., § 69a StGB, Rn. 10; Hentschel/Krumm,<br />
Rechtsprechung<br />
143<br />
Fahrerlaubnis <strong>und</strong> <strong>Alkohol</strong>, 5. Aufl. 2010, Rn. 592).<br />
Eine solche objektive oder subjektive Gefahrenabschirmung<br />
konnte das Gericht auch nicht nach der<br />
Zeugenvernehmung der Arbeitgeberin des Angeklagten<br />
feststellen.<br />
Der Angeklagte hat zwar seinen Arbeitsplatz aufgr<strong>und</strong><br />
der vorläufigen Fahrerlaubnisentziehung <strong>im</strong><br />
hiesigen Verfahren verloren <strong>und</strong> könnte diesen nach<br />
Aussage seiner Arbeitgeberin sofort wieder erlangen,<br />
wenn die genannten Fahrzeuge von der Sperrfrist ausgenommen<br />
würden. Der Angeklagte tritt aber morgens<br />
regelmäßig bereits um 4.00 Uhr früh seine Arbeit an.<br />
Selbst bei großzügigster Rückrechnung mit einem Max<strong>im</strong>alabbau<br />
von 0,2 ‰ pro St<strong>und</strong>e hätte der Angeklagte<br />
am Tage nach der hier abgeurteilten Trunkenheitsfahrt<br />
zur Zeit des Fahrtantrittes mit einem Lkw noch<br />
eine <strong>Blutalkohol</strong>konzentration von etwa 0,7 ‰ aufgewiesen<br />
(BAK von 2.0 ‰ um 21.27 abzüglich 6 1 / 2<br />
St<strong>und</strong>en Abbau von stündlich je max. 0,2 Promille).<br />
Bei realistischen mittleren Abbauwerten von etwa<br />
0,15 ‰ pro St<strong>und</strong>e wäre der Anklagte <strong>gegen</strong> 4 Uhr<br />
morgens sogar noch am Rande der absoluten Fahruntüchtigkeit<br />
gewesen. Bereits dies macht deutlich, dass<br />
eine Gefahrenabschirmung nicht aus einer Abgrenzung<br />
Privatfahrt/Dienstfahrt entnommen werden kann<br />
– allenfalls geringste Restalkoholmengen von weniger<br />
als 0,3 ‰ wären hier zur Zeit des üblichen Fahrtantritts<br />
tolerierbar. Zudem finden keine Kontrollen vor<br />
Arbeitsantritt oder während der Arbeit statt. Vielmehr<br />
haben der Angeklagte <strong>und</strong> seine Arbeitgeberin erklärt,<br />
die Fahrzeugschlüssel <strong>und</strong> Fahrzeugpapiere würden in<br />
einem Container bei dem Fahrzeugpark verwahrt, der<br />
morgens von dem ersten Fahrer aufgeschlossen werde.<br />
Jeder Fahrer nehme sich dann eigenständig ohne weitere<br />
Kontrolle durch Dritte seinen Fahrzeugschlüssel<br />
<strong>und</strong> die Fahrzeugpapiere <strong>und</strong> führe die ihm aufgegebenen<br />
Fahrten durch. Unter diesen Umständen kann das<br />
Gericht eine Gefahrenabschirmung <strong>im</strong> vorbeschriebenen<br />
Sinne nicht feststellen <strong>und</strong> folgerichtig auch nicht<br />
zu einem Ausnehmen einer Fahrzeugart von der Sperre<br />
kommen.<br />
(Mitgeteilt von Richter am Amtsgericht<br />
Carsten Krumm, Lüdinghausen)<br />
27. 1. Für den Bereich des Fahrerlaubnisrechts<br />
ist weder <strong>im</strong> Straßenverkehrsgesetz noch in der<br />
Fahrerlaubnis-Verordnung ein ausdrückliches Verwertungsverbot<br />
für nicht richterlich angeordnete<br />
körperliche Untersuchungen best<strong>im</strong>mt.<br />
2. Die Fahrerlaubnisbehörde darf daher <strong>im</strong><br />
überwiegenden Interesse an dem Schutz hochrangiger<br />
Rechtsgüter einer großen Zahl von Verkehrsteilnehmern<br />
in einem auf Entziehung der Fahrerlaubnis<br />
gerichteten Verwaltungsverfahren auch ein<br />
unter Verstoß <strong>gegen</strong> den Richtervorbehalt des<br />
§ 81a StPO gewonnenes Ergebnis einer Blutprobenuntersuchung<br />
berücksichtigen, wenn aus die-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
144 Rechtsprechung<br />
sem ohne weiteres eine fehlende Kraftfahreignung<br />
des Betroffenen hervorgeht.<br />
Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht,<br />
Beschluss vom 16. Dezember 2009 – 12 ME 234/09 –<br />
Aus den Gründen:<br />
Das Verwaltungsgericht hat <strong>im</strong> Fall des Antragstellers<br />
einen gelegentlichen Konsum von Cannabis <strong>und</strong><br />
ein fehlendes Vermögen zur Trennung von Konsum<br />
<strong>und</strong> Fahren <strong>im</strong> Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur<br />
FeV angenommen, da dieser am 20. Mai 2009 mit<br />
einer THC-Konzentration von 7,5 ng/ml <strong>und</strong> einem<br />
THC-COOH-Gehalt von 160 ng/ml ein Kraftfahrzeug<br />
geführt <strong>und</strong> in seinem Schreiben vom 24. August 2009<br />
eingeräumt hat, in der Woche vom 23. bis 30. April<br />
2009 Cannabis konsumiert zu haben. Die Annahme<br />
der fehlenden Fahreignung des Antragstellers begegnet<br />
bei den hier in Frage stehenden Werten <strong>und</strong> den<br />
vom Antragsteller gemachten Angaben zu seinem<br />
Konsumverhalten keinen Bedenken. Der erneut vom<br />
Antragsteller vorgebrachte Einwand, nicht unter dem<br />
Einfluss von Cannabis ein Kraftfahrzeug <strong>im</strong> Straßenverkehr<br />
geführt zu haben, ist durch den hier festgestellten<br />
THC-Wert von 7,5 ng/ml widerlegt, bei dem<br />
nach verkehrswissenschaftlichen Erkenntnissen von<br />
einem zeitnahen Konsum mit einer entsprechenden<br />
Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit auszugehen ist.<br />
Der Antragsteller kann der Fahrerlaubnisentziehung<br />
auch nicht mit Erfolg ent<strong>gegen</strong>halten, dass die<br />
Blutentnahme am 20. Mai 2009 ohne richterliche Anordnung<br />
erfolgt sei <strong>und</strong> das Ergebnis der Blutuntersuchung<br />
vom 29. Mai 2009 daher von der Fahrerlaubnisbehörde<br />
nicht verwertet werden dürfe. Nach § 81a<br />
Abs. 2 StPO steht die Anordnung einer körperlichen<br />
Untersuchung dem Richter <strong>und</strong> nur bei Gefährdung<br />
des Untersuchungserfolges durch Verzögerung auch<br />
der Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> – nachrangig – ihren Ermittlungspersonen<br />
zu. Die Frage, ob <strong>im</strong> Fall des Antragstellers<br />
<strong>im</strong> Rahmen der durchgeführten Verkehrskontrolle<br />
am 20. Mai 2009 die Voraussetzungen der<br />
Gefährdung des Untersuchungserfolges vorgelegen<br />
haben, ist – soweit ersichtlich – bislang nicht Gegenstand<br />
einer strafgerichtlichen Entscheidung oder einer<br />
Bußgeldentscheidung gewesen. Diese Frage lässt sich<br />
<strong>im</strong> vorliegenden Verfahren auf Gr<strong>und</strong>lage der <strong>im</strong> Verwaltungsvorgang<br />
des Antragsgegners befindlichen<br />
polizeilichen Ermittlungsunterlagen auch nicht abschließend<br />
beantworten. Gegen eine Gefährdung des<br />
Untersuchungserfolgs könnte allerdings sprechen,<br />
dass der Antragsteller laut polizeilichem Bericht vom<br />
26. Mai 2009 um 11.15 Uhr kontrolliert worden ist <strong>und</strong><br />
keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass angesichts<br />
des einfach gelagerten <strong>und</strong> ohne weiteres überschaubaren<br />
Sachverhalts ein Richter zu dieser Zeit<br />
nicht hätte angerufen werden <strong>und</strong> dieser auch ohne<br />
Aktenvorlage fernmündlich die begehrte Anordnung<br />
hätte treffen können, so dass vermutlich bei Einschaltung<br />
des Richters eine (erhebliche) zeitliche Verzögerung<br />
nicht eingetreten wäre (vgl. dazu OLG Celle,<br />
Beschl. v. 15. 09. 2009 – 322 SsBs 197/09 –, juris [=<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
BA 2009, 419]; ferner Beschl. v. 06. 08. 2009 – 32 Ss<br />
94/09 –, NJW 2009, 3524-3527 [= BA 2009, 416]).<br />
Selbst wenn man zugunsten des Antragstellers von<br />
einem Verstoß <strong>gegen</strong> die strafprozessuale Beweiserhebungsvorschrift<br />
des § 81a Abs. 2 StPO ausgeht, folgt<br />
daraus nicht zugleich ein Verbot für den Antragsgegner,<br />
das Ergebnis der Blutuntersuchung <strong>im</strong> Fahrerlaubnisentziehungsverfahren<br />
zu verwerten. Für den Strafprozess<br />
ist anerkannt, dass über das Vorliegen eines<br />
Beweisverwertungsverbotes – mit Ausnahme ausdrücklich<br />
geregelter Verwertungsverbote wie in § 136a<br />
Abs. 3 Satz 2 StPO – jeweils nach den Umständen des<br />
Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots<br />
<strong>und</strong> dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der<br />
widerstreitenden Interessen zu entscheiden ist (vgl.<br />
BVerfG, Beschl. v. 02. 07. 2009 – 2 BvR 2225/08 –,<br />
NJW 2009, 3225–3226 m. w. N. zur Rechtsprechung<br />
der Strafgerichte). Im Anwendungsbereich des § 81a<br />
StPO, der – wie dargelegt – eine Eilanordnung durch<br />
Polizeibeamte ohnehin nicht schlechterdings ausschließt,<br />
tritt das staatliche Strafverfolgungsinteresse<br />
<strong>gegen</strong>über dem Individualinteresse des Einzelnen an<br />
der Bewahrung seiner Rechtsgüter zurück, wenn Gefahr<br />
<strong>im</strong> Verzug willkürlich angenommen <strong>und</strong> der Richtervorbehalt<br />
bewusst <strong>und</strong> gezielt umgangen bzw. ignoriert<br />
wird oder wenn die Rechtslage bei Anordnung der<br />
Maßnahme in gleichwertiger Weise verkannt worden<br />
ist (OLG Oldenburg, Beschl. v. 12. 10. 2009 – 2 SsBs<br />
149/09 –, NJW 2009, 3591–3592; ferner OLG Celle,<br />
Beschl. v. 06. 08. 2009 – 32 Ss 94/09 –, a. a. O., jeweils<br />
m. w. N.). Gegen die Annahme eines strafprozessualen<br />
Verwertungsverbots spricht hier, dass bei einem Sachverhalt<br />
der hier vorliegenden Art eine richterliche<br />
Anordnung mit hoher Wahrscheinlichkeit regelmäßig<br />
auch fernmündlich <strong>und</strong> typischerweise zu ergehen<br />
pflegt, dass eine Blutentnahme durch einen Arzt einen<br />
eher geringfügigen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit<br />
des Betroffenen darstellt, dem andererseits<br />
ein erhebliches öffentliches Interesse an der Abwendung<br />
erheblicher Gefährdungen anderer Verkehrsteilnehmer<br />
<strong>gegen</strong>übersteht, <strong>und</strong> dass die die Blutentnahme<br />
anordnende Polizeibeamtin die Notwendigkeit<br />
einer richterlichen Anordnung nicht schlechthin verkannt,<br />
sondern eine solche <strong>im</strong> Einzelfall wegen Eilbedürftigkeit<br />
als entbehrlich angesehen hat (vgl. dazu<br />
OLG Celle, Beschl. v. 15. 09. 2009 <strong>und</strong> 06. 08. 2009,<br />
a. a. O.).<br />
Selbst wenn man indes ein strafprozessuales Verwertungsverbot<br />
annehmen wollte, bedeutete das nicht,<br />
dass <strong>im</strong> vorliegenden Zusammenhang eine entsprechende<br />
Beurteilung geboten wäre. Zwar muss die Behörde<br />
auch <strong>im</strong> Verwaltungsverfahren bei ihrer Ermittlungstätigkeit<br />
die sich aus Gesetzen, allgemeinen<br />
Verfahrensgr<strong>und</strong>sätzen <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>rechten ergebenden<br />
Grenzen beachten (vgl. Bader/Ronellenfitsch, Verwaltungsverfahrensgesetz,<br />
§ 24 Rn 30). Für den Bereich<br />
des Fahrerlaubnisrechts ist aber weder <strong>im</strong> Straßenverkehrsgesetz<br />
noch in der Fahrerlaubnis-Verordnung ein<br />
ausdrückliches Verwertungsverbot für nicht richterlich<br />
angeordnete körperliche Untersuchungen best<strong>im</strong>mt.<br />
Ebenso wie <strong>im</strong> Strafprozessrecht kann daher ein sol-
ches Verbot nur unter Berücksichtigung der konkreten<br />
Umstände des Einzelfalls unter Abwägung der <strong>gegen</strong>läufigen<br />
Interessen angenommen werden, wobei jedoch<br />
in Verwaltungsverfahren, die wie das Fahrerlaubnisrecht<br />
der Gefahrenabwehr dienen, nicht ohne<br />
weiteres dieselben Maßstäbe wie <strong>im</strong> repressiven Bereich<br />
des Straf- <strong>und</strong> Ordnungswidrigkeitenrechts gelten<br />
(vgl. bereits Senat, Beschl. v. 14. 08. 2008 – 12 ME<br />
183/08 –, VD 2008, 242-244 [= BA 2008, 416] unter<br />
Bezugnahme auf OVG Mecklenburg-Vorpommern,<br />
Beschl. v. 20. 03. 2008 – 1 M 12/08 –, juris; zuletzt<br />
Beschl. v. 05. 11. 2009 – 12 ME 237/09 –; ferner VG<br />
Osnabrück, Urt. v. 20. 02. 2009 – 6 A 65/08 –, juris<br />
[= BA 2009, 302] <strong>und</strong> VG Braunschweig, Beschl. v.<br />
29. 01. 2008 – 6 B 214/07 –, juris). Denn <strong>im</strong> Verfahren<br />
zur Entziehung der Fahrerlaubnis hat die Behörde<br />
maßgeblich <strong>und</strong> mit besonderem Gewicht weitere<br />
Rechtsgüter Drittbetroffener <strong>und</strong> das öffentliche Interesse<br />
am Schutz der Allgemeinheit vor Fahrerlaubnisinhabern,<br />
die sich als ungeeignet zum Führen von<br />
Kraftfahrzeugen erwiesen haben, zu beachten. Dieser<br />
Gesichtspunkt rechtfertigt es, ein von der Fahrerlaubnisbehörde<br />
rechtswidrig angeordnetes Gutachten über<br />
die Fahreignung bei der Entscheidung über die Entziehung<br />
der Fahrerlaubnis zu berücksichtigen, wenn das<br />
Gutachten ein eindeutig negatives Ergebnis ausweist<br />
(vgl. bereits Senatsbeschl. v. 14.08.2008 – 12 ME<br />
183/08 –, a. a. O.; OVG Mecklenburg-Vorpommern,<br />
Beschl. v. 20. 03. 2008 – 1 M 12/08 –, a. a. O.). Dieser<br />
Gedanke gilt umso mehr, wenn der Verstoß <strong>gegen</strong> Beweiserhebungsvorschriften<br />
nicht von der Fahrerlaubnisbehörde<br />
selbst zu verantworten ist. Da der Verstoß<br />
<strong>gegen</strong> die strafprozessuale Beweiserhebungsvorschrift<br />
des § 81a StPO in Konstellationen wie vorliegend<br />
nicht von der für das Verwaltungsverfahren zuständigen<br />
Fahrerlaubnisbehörde ausgeht, kann die für das<br />
Strafverfahren gültige Überlegung, dass das Interesse<br />
des Einzelnen an der Bewahrung seiner Rechtsgüter zu<br />
Lasten des staatlichen Strafverfolgungsinteresses bei<br />
groben Verstößen durch die für die Strafverfolgung zuständigen<br />
Behörden unter dem Gesichtspunkt einer<br />
fairen Verfahrensgestaltung überwiegt, auf das Fahrerlaubnisentziehungsverfahren<br />
nicht übertragen werden.<br />
Die Fahrerlaubnisbehörde darf daher <strong>im</strong> überwiegenden<br />
Interesse an dem Schutz hochrangiger Rechtsgüter<br />
einer großen Zahl von Verkehrsteilnehmern in einem<br />
auf Entziehung der Fahrerlaubnis gerichteten Verwaltungsverfahren<br />
auch ein unter Verstoß <strong>gegen</strong> den Richtervorbehalt<br />
des § 81a StPO gewonnenes Ergebnis<br />
einer Blutprobenuntersuchung berücksichtigen, wenn<br />
aus diesem ohne weiteres eine fehlende Kraftfahreignung<br />
des Betroffenen hervorgeht. Für dieses Ergebnis<br />
spricht auch, dass weder das Straßenverkehrsgesetz<br />
noch die Fahrerlaubnis-Verordnung für die Anordnung<br />
von ärztlichen Untersuchungen <strong>und</strong> Begutachtungen<br />
einen Richtervorbehalt vorsehen <strong>und</strong> es einen Wertungswiderspruch<br />
bedeutete, wenn Fälle, die ihren<br />
Ausgang in einem straf- oder bußgeldrechtlich ahndungsfähigen<br />
Verkehrsverstoß nehmen, anders behandelt<br />
würden als solche, in denen die Behörde nach § 11<br />
Abs. 2 FeV aufgr<strong>und</strong> ihr bekannt gewordener Tatsa-<br />
Rechtsprechung<br />
145<br />
chen selbst Zweifeln an der Kraftfahreignung eines<br />
Betroffenen nachgeht (vgl. OVG Berlin-Brandenburg,<br />
Beschl. v. 03. 11.2009 – 1 S 205.09 –, juris [= BA<br />
2010, 40]).<br />
28. 1. Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG<br />
(3. Führerscheinrichtlinie) ist jedenfalls für ab dem<br />
19. Januar 2009 erteilte ausländische Fahrerlaubnisse<br />
anwendbar.<br />
2. Nach Art. 11 Abs. 4 Unterabsatz 2 der Richtlinie<br />
2006/126/EG kommt es für die Befugnis,<br />
EU-ausländischen Fahrerlaubnissen für das <strong>B<strong>und</strong></strong>esgebiet<br />
die Anerkennung zu versagen, nicht<br />
mehr auf einen Verstoß <strong>gegen</strong> das Erfordernis eines<br />
Wohnsitzes <strong>im</strong> Ausstellerstaat an.<br />
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen,<br />
Beschluss vom 20. Januar 2010 – 16 B 814/09 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Dem Antragsteller ist <strong>im</strong> Jahr 2004 durch das Strafgericht<br />
die Fahrerlaubnis entzo gen worden, nachdem<br />
er mit einer <strong>Blutalkohol</strong>konzentration von 2,24 Promille<br />
ein Kraftfahrzeug geführt hatte. Im Jahr darauf<br />
wurde er erneut auffällig, diesmal wegen vorsätzlichen<br />
Fahrens ohne Fahrerlaubnis. Ende Januar 2009 erwarb<br />
der Antrag steller in Polen eine EU-Fahrerlaubnis.<br />
Nachdem dies dem Antragsgegner <strong>im</strong> Februar 2009<br />
bekannt geworden <strong>und</strong> eine Anfrage bei der polnischen<br />
Fahrerlaubnis behörde ohne Reaktion geblieben<br />
war, stellte der Antragsgegner mit Ordnungsverfü gung<br />
fest, dass die polnische Fahrerlaubnis den Antragsteller<br />
nicht berechtige, Kraftfahrzeuge in der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik<br />
Deutschland zu führen. Den zusammen mit der<br />
Klageerhebung gestellten Antrag auf Wiederherstellung<br />
der aufschiebenden Wirkung lehnte das VG ab.<br />
Die da<strong>gegen</strong> vom Antragsteller erhobene Beschwerde<br />
hat das OVG zurückgewiesen.<br />
Aus den Gründen:<br />
Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg.<br />
Die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die<br />
dargelegten Gründe beschränkte Überprüfung durch<br />
den Senat führt zu keinem für den Antragsteller günstigeren<br />
Ergebnis.<br />
Die Annahme des VG, dass die angefochtene Ordnungsverfügung<br />
des Antragsgeg ners offensichtlich<br />
rechtmäßig sei <strong>und</strong> schon deshalb das öffentliche<br />
Vollzugsinte resse den Vorrang vor dem Interesse des<br />
Antragstellers am sofortigen Gebrauchmachen von<br />
seiner polnischen Fahrerlaubnis beanspruchen könne,<br />
ist nicht zu beanstanden. Wie vom VG zutreffend ausgeführt<br />
<strong>und</strong> vom Antragsteller nicht in Zweifel gezogen,<br />
liegen die innerstaatlichen Voraussetzungen dafür<br />
vor, der polnischen Fahrerlaubnis des Antragstellers<br />
<strong>im</strong> Inland die Anerkennung zu versagen. Ebenso<br />
spricht alles dafür, dieser Fahrerlaubnis die Gültigkeit<br />
auch nach europä ischem Gemeinschaftsrecht abzusprechen.<br />
Hierfür kommt es nicht darauf an, ob sich<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
146 Rechtsprechung<br />
aus der vom Antragsteller vorgelegten Bescheinigung<br />
des Landratsamtes T. vom 17. 04. 2009 nur ein vorläufiger<br />
Aufenthalt in Polen <strong>und</strong> damit ein Verstoß <strong>gegen</strong><br />
das Wohnsitzerfordernis nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. e<br />
i. V. m. Art. 12 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen<br />
Parlaments <strong>und</strong> des Rates vom 20. 12. 2006<br />
über den Führerschein ergibt. Ein solcher Verstoß ist<br />
jedenfalls seit dem Inkrafttreten der maßgebenden<br />
Vorschrift des Art. 11 Abs. 4 Unterabsatz 2 der Richtlinie<br />
2006/126/EG am 19. 01. 2009 keine Voraussetzung<br />
mehr für die Befugnis inländischer Behörden, einem<br />
ausländischen EU-Führerschein für das <strong>B<strong>und</strong></strong>esgebiet<br />
die Aner kennung zu versagen.<br />
Zunächst ist trotz der missverständlichen Vorschrift<br />
des Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126/EG, auf die<br />
auch der Antragsteller hinweist, schon jetzt von der<br />
Anwend barkeit des Art. 11 Abs. 4 Unterabsatz 2 der<br />
Richtlinie 2006/126/EG auszugehen. Art. 13 Abs. 2<br />
der Richtlinie 2006/126/EG sieht vor, dass eine vor<br />
dem 19. 01. 2013 erteilte Fahrerlaubnis aufgr<strong>und</strong><br />
der Best<strong>im</strong>mungen dieser Richtlinie weder ent zogen<br />
noch in irgendeiner Weise eingeschränkt werden darf.<br />
Gegen die Anwendung dieser allgemeinen Regelung<br />
spricht aber zum einen, dass das Inkrafttreten unter anderem<br />
des Art. 11 Abs. 4 in Art. 18 Unterabsatz 2 der<br />
Richtlinie 2006/126/EG eine spezielle <strong>und</strong> von Art. 13<br />
Abs. 2 der Richtlinie abweichende Regelung erfahren<br />
hat; danach gilt Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie<br />
2006/126/EG bereits ab dem 19. 01. 2009. Zum anderen<br />
betrifft Art. 11 Abs. 4 Unterabsatz 2 der Richtlinie<br />
2006/126/EG keinen Fall der Ent ziehung oder einer<br />
anderen einschränkenden Maßnahme <strong>im</strong> Sinne (etwa)<br />
des Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126/EG („Einschränkung,<br />
Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der<br />
Fahrerlaubnis“), sondern die davon zu unterscheidende,<br />
in Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126/EG nicht<br />
genannte innerstaatliche Nichtanerkennung einer ansonsten<br />
wirksamen Fahrerlaubnis (vgl. BVerwG, Urteil<br />
vom 11.12. 2008 – 3 C 26.07 –, BVerwGE 132,<br />
315 = NJW 2009, 1689 = NZV 2009, 307 [= BA 2009,<br />
229]; Bayer. VGH, Beschluss vom 26. 02. 2009 – 11 C<br />
09.296 –, juris, Rn. 47; VGH Bad.-Württ., Urteil vom<br />
07. April 2009 – 10 S 3320/08 –, veröffentlicht bei<br />
www.verkehrslexikon.de; Thoms, DAR 2007, 287,<br />
288; Hailbronner/Thoms, NJW 2007, 1089, 1093;<br />
Morgenstern, NZV 2008, 425, 429; Geiger, DAR<br />
2009, 61, 62; Janker, DAR 2009, 181, 184; Mosba<br />
cher/Gräfe, NJW 2009, 801, 803 f.; anders noch<br />
Geiger, DAR 2007, 126, 128, <strong>und</strong> Schüne mann/<br />
Schünemann, DAR 2007, 382, 385).<br />
Ob darüber hinaus aus Erwägungsgr<strong>und</strong> 5 der<br />
Richtlinie 2006/126/EG, nach der vor dem Beginn der<br />
Anwendung dieser Richtlinie erteilte oder erworbene<br />
Fahrerlaub nisse unberührt bleiben sollen, herzuleiten<br />
ist, dass Art. 11 der Richtlinie nur für nach deren Inkrafttreten<br />
(Art. 18) erteilte oder erworbene Fahrerlaubnisse<br />
gilt, kann dahin stehen, weil der Antragsteller<br />
die in Rede stehende polnische Fahrerlaubnis erst am<br />
22. 01. 2009 erlangt hat.<br />
Art. 11 Abs. 4 Unterabsatz 2 der Richtlinie<br />
2006/126/EG gibt den inländischen Fahr erlaubnis-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
behörden vor, einer ausländischen Fahrerlaubnis die<br />
Anerkennung zu ver sagen, wenn – wie vorliegend –<br />
zuvor <strong>im</strong> Inland ein früherer Führerschein einge -<br />
schränkt, ausgesetzt oder entzogen worden ist. Auf<br />
dieser neuen normativen Gr<strong>und</strong>lage sprechen keine<br />
überzeugenden Gründe mehr dafür, die Versagung der<br />
Anerkennung zusätzlich zu den dort genannten Voraussetzungen<br />
auch noch von einem zweifelsfrei aus<br />
Verlautbarungen des Ausstellerstaates hervorgehenden<br />
Ver stoß <strong>gegen</strong> das Wohnsitzerfordernis abhängig zu<br />
machen. Schon die Recht sprechung des EuGH zur<br />
Vorgängerbest<strong>im</strong>mung des Art. 8 Abs. 4 Unterabsatz 1<br />
der Richtlinie 91/439/EWG, die zusammengefasst die<br />
genannte Best<strong>im</strong>mung auf zeitlich beschränkte Maßnahmen<br />
bis zum Ablauf der jeweiligen Frist bzw. auf<br />
die oben ge nannten Fälle eines evidenten Verstoßes<br />
<strong>gegen</strong> das Wohnsitzerfordernis be schränkte <strong>und</strong> <strong>im</strong><br />
Übrigen dem Anerkennungsgr<strong>und</strong>satz nach Art. 1<br />
Abs. 2 der Richt linie 91/439/EWG (nunmehr Art. 2<br />
Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG) den Vorrang<br />
einräumte (vgl. <strong>im</strong> Ausgangspunkt Urteil vom<br />
29. 04. 2004 – Rs. C-476/01 –, NJW 2004,<br />
1725 = DAR 2004, 333 = NZV 2004, 373 = BA 2004,<br />
450, <strong>und</strong> zuletzt Urteile vom 26. 06. 2008 – C 329/06<br />
<strong>und</strong> C-343/06 (Wiedemann u. a.) –, NJW 2008, 2403 =<br />
BA 2008, 225 = DÖV 2008, 723 = NZV 2008, 641,<br />
<strong>und</strong> C-334/06 bis C-336/06 , DAR<br />
2008, 459, sowie Be schluss vom 09. 07. 2009 –<br />
C-445/08 –, DAR 2009, 637 = BA 2009,<br />
408), ist nicht überzeugend aus dem Wortlaut der<br />
Richtlinie 91/439/EWG hergeleitet, son dern beruht<br />
auf der nicht aus dem Normtext ableitbaren Annahme<br />
eines Vorranges des Anerkennungsgr<strong>und</strong>satzes vor<br />
dem ansonsten das Fahrerlaubnisrecht beherr schenden<br />
Gedanken der Sicherheit des Straßenverkehrs. Die <strong>im</strong><br />
Vergleich zu Art. 8 Abs. 4 Unterabsatz 1 der Richtlinie<br />
91/439/EWG weitergefasste Best<strong>im</strong>mung des Art. 11<br />
Abs. 4 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2006/126/EG<br />
unterliegt nicht den ge nannten Einschränkungen.<br />
Die <strong>im</strong> Vergleich zu Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie<br />
91/439/EWG stärkere Akzentuierung des Nachwirkens<br />
vormaliger Fahrerlaubnisent ziehungen <strong>und</strong> vor<br />
allem Verlautbarungen der am Normsetzungsverfahren<br />
beteiligten europäischen Gremien lassen keinen<br />
Raum für ein einschränkendes Verständnis auch<br />
des Art. 11 Abs. 4 Unterabsatz 2 der Richtlinie<br />
2006/126/EG. Die (jedenfalls nunmehr) deutliche Betonung<br />
des Verbots, trotz einer vorangegangenen<br />
Fahrerlaub nisentziehung oder einer anderen vorangegangenen<br />
Maßnahme eine neue Fahrer laubnis anzuerkennen,<br />
gegebenenfalls ohne dass mangels Kenntniserlangung<br />
die jeweiligen Fahreignungsmängel überhaupt<br />
in den Blick genommen werden konnten, ergibt<br />
sich daraus, dass die vormalige Ermessensvorschrift<br />
des Art. 8 Abs. 4 Unter absatz 1 der Richtlinie<br />
91/439/EWG mit Art. 11 Abs. 4 Unterabsatz 2 der<br />
Richtlinie 2006/126/EG durch eine zwingende Best<strong>im</strong>mung<br />
ersetzt worden ist. Da Art. 11 Abs. 4 Unterabsatz<br />
1 der Richtlinie 2006/126/EG in derartigen<br />
Fällen der vormaligen Entziehung zudem – gleichfalls<br />
zwingend – bereits die Neuausstellung einer Fahrer -
laubnis <strong>im</strong> Ausland untersagt, besteht nunmehr gleichsam<br />
eine doppelte zwingende Absicherung zur Verhinderung<br />
des um sich greifenden sog. Führerscheintourismus.<br />
Unterstrichen wird das dadurch, dass <strong>im</strong> Zuge der<br />
Neufassung der europäischen Führerscheinrichtlinie<br />
von den damit befassten Gremien fortwährend das Anliegen<br />
geäußert worden ist, den Führerscheintourismus<br />
wirkungsvoll einzudämmen. Bereits in dem am<br />
21.10. 2003 von der Europäischen Kommission vorgelegten<br />
Vor schlag für eine Richtlinie EG des Europäischen<br />
Parlaments <strong>und</strong> des Rates – KOM(2003) 621<br />
endgültig 2003/0252 (COD) – heißt es (S. 6):<br />
„Schließlich betrifft dieser Vorschlag die Frage<br />
der kohärenten, europaweiten Anwendung des<br />
Führer scheinentzugs. Dazu wird der Gr<strong>und</strong>satz der<br />
Einzig artigkeit von Führerscheinen (ein Inhaber –<br />
ein Füh rerschein) untermauert. Heute lassen sich zu<br />
viele Bürger in einem anderen Mitgliedstaat nieder,<br />
um einen neuen Führerschein zu beantragen, wenn<br />
ih nen die Fahrerlaubnis in dem Mitgliedstaat, in<br />
dem sie ihren ordentlichen Wohnsitz haben, wegen<br />
eines schweren Verkehrsverstoßes entzogen wurde.<br />
Diese Lage ist <strong>im</strong> Hinblick auf die Verkehrssicherheit<br />
sehr unbefriedigend <strong>und</strong> läuft auf einen Verstoß<br />
<strong>gegen</strong> die Richtlinie 91/439/EWG hinaus. Dieser<br />
Vorschlag be sagt ausdrücklich, dass die Mitgliedstaaten<br />
keinen neuen Führerschein ausstellen dürfen<br />
für eine Per son, der der Führerschein entzogen<br />
wurde <strong>und</strong> die somit indirekt <strong>im</strong>mer noch Inhaber<br />
eines anderen Führerscheins ist. Mit diesem Vorschlag<br />
dürfte daher der sogenannte ,Führerscheintourismus‘<br />
beseitigt <strong>und</strong> das Übereinkommen über<br />
die <strong>gegen</strong>seitige An erkennung des Entzugs der Fahrerlaubnis<br />
ergänzt werden, …“.<br />
In diesem Zusammenhang wies die vorgeschlagene<br />
Neufassung des Art. 8 Abs. 5 (Entwurf) schon folgenden,<br />
über die vormalige Best<strong>im</strong>mung des Art. 7 Abs. 5<br />
der Richtlinie 91/439/EWG hinausgehenden Wortlaut<br />
auf (vgl. S. 43 f. des Vorschlags):<br />
„Jede Person kann nur Inhaber eines einzigen<br />
Füh rerscheins sein. Die Mitgliedstaaten treffen<br />
die erfor derlichen Maßnahmen um sicherzustellen,<br />
dass ein Antragsteller für die Ausstellung oder Erneuerung<br />
eines Führerscheins nicht bereits Inhaber<br />
eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten<br />
entweder gültigen oder vorläufig entzogenen Führerscheins<br />
ist. Sie vergewissern sich ferner, ob die<br />
Behörden eines anderen Mitgliedstaats nicht bereits<br />
die Ausstellung eines Führerscheins für den Bewerber<br />
untersagt ha ben.“<br />
Auch wenn daneben Art. 12 Abs. 4 des Entwurfs<br />
(vgl. S. 45 des Vorschlags) noch wörtlich mit Art. 8<br />
Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG übereinst<strong>im</strong>mte,<br />
widmete der Kommissionsentwurf der Bekämpfung<br />
des Führerscheintourismus bereits ein größe res Augenmerk,<br />
beließ es insoweit aber noch bei der Einführung<br />
von Konsultations pflichten (Art. 8 Abs. 5 des<br />
Entwurfs) <strong>und</strong> hinsichtlich der Ausstellung einer<br />
Fahrer laubnis nach vorheriger Entziehung bzw. der<br />
Anerkennung der neuen Fahrerlaubnis bei einer bloßen<br />
Kann-Best<strong>im</strong>mung (Art. 12 Abs. 4 des Entwurfs).<br />
Rechtsprechung<br />
147<br />
Dem<strong>gegen</strong>über wird in dem Bericht des Ausschusses<br />
für Verkehr <strong>und</strong> Fremdenver kehr des Europäischen<br />
Parlaments - Entwurf einer legislativen Entschließung<br />
des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag für<br />
eine Richtlinie des Europäischen Parlaments <strong>und</strong> des<br />
Rates über den Führerschein (A6-0016/2005) – die<br />
Tendenz er kennbar, das für notwendig erachtete Vorgehen<br />
<strong>gegen</strong> den Führerscheintourismus durch das<br />
strikte Verbot einer Neuerteilung nach Entziehung in<br />
einem anderen Staat <strong>und</strong> das strikte Gebot der Nichtanerkennung<br />
gleichwohl erteilter Fahrerlaubnisse ab -<br />
zusichern. So heißt es in Art. 8 Abs. 5 Buchst. b des<br />
überarbeiteten Entwurfs (Ände rungsantrag 54; S. 29 f.<br />
des Berichts):<br />
„Ein Mitgliedstaat lehnt es ab, einen Führerschein<br />
auszustellen, wenn erwiesen ist, dass der Bewerber<br />
bereits einen von den Behörden eines anderen<br />
Mit gliedstaats ausgestellten gültigen Führerschein<br />
be sitzt. Ein Mitgliedstaat kann es außerdem<br />
ablehnen, einem Bewerber, auf den in einem anderen<br />
Mitglied staat eine der Maßnahmen des Art. 12<br />
Absatz 2 an gewendet wurde, einen Führerschein<br />
auszustellen.“<br />
In der Begründung zu Art. 8 des Entwurfs (S. 30 f.)<br />
ist ausgeführt, dass mit den Änderungen wie <strong>im</strong> vorgeschlagenen<br />
Text der Kommission sichergestellt werden<br />
soll, dass niemand mehr als einen Führerschein<br />
besitzt, auch wenn die Führer scheine von ein <strong>und</strong> demselben<br />
Mitgliedstaat ausgestellt werden.<br />
Der Änderungsantrag 57 (zu Art. 12 Abs. 4 des Entwurfs;<br />
S. 31 f.) enthält folgende Best<strong>im</strong>mungen:<br />
„Ein Mitgliedstaat lehnt es ab, die Gültigkeit<br />
eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem<br />
ande ren Mitgliedstaat einer Person ausgestellt<br />
wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine der in<br />
Absatz 2 ge nannten Maßnahmen angewandt wurde.<br />
Ein Mitgliedstaat lehnt es ab, einem Bewerber,<br />
auf den eine Einschränkung, eine Aussetzung oder<br />
ein Entzug der Fahrerlaubnis in einem anderen<br />
Mitglied staat angewendet wurde, einen Führerschein<br />
auszu stellen.<br />
Ein Mitgliedstaat kann es außerdem ablehnen,<br />
einem Bewerber, auf den eine Aufhebung in einem<br />
anderen Mitgliedstaat angewendet wurde, einen<br />
Führerschein auszustellen.<br />
Ein Mitgliedstaat kann es darüber hinaus ablehnen,<br />
die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen,<br />
der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person<br />
zu einem Zeitpunkt ausgestellt wurde, in dem<br />
diese Person ihren Wohnsitz nicht in dem ausstellenden<br />
Mitgliedstaat hatte.“<br />
Zur Begründung (S. 32 des Berichts) ist ausgeführt:<br />
„Der Führerscheintourismus soll so weit wie<br />
möglich unterb<strong>und</strong>en werden. Wird einer Person<br />
in einem Mitgliedstaat die Fahrerlaubnis eingeschränkt,<br />
ent zogen, ausgesetzt oder aufgehoben, so<br />
darf der Mit gliedstaat einen Führerschein, der dieser<br />
Person von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt<br />
wurde, nicht anerkennen.<br />
Die Mitgliedstaaten dürfen darüber hinaus keine<br />
Füh rerscheine an Personen ausstellen, deren Füh-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
148 Rechtsprechung<br />
rerschein in einem anderen Mitgliedstaat eingeschränkt,<br />
ausgesetzt oder entzogen ist (jede Person<br />
darf nur Inhaber eines einzigen Führerscheins sein,<br />
Artikel 8 Absatz 5). Wird der Führerschein in einem<br />
Mitglied staat aufgehoben, so kann ein anderer Mitgliedstaat<br />
die Ausstellung eines Führerscheins verweigern.<br />
Es gibt bereits <strong>im</strong> Internet viele Angebote, in<br />
denen Personen, denen die Fahrerlaubnis in einem<br />
Mit gliedstaat entzogen wurde (z. B. wegen Fahren<br />
unter Einfluss von <strong>Alkohol</strong>/<strong>Drogen</strong>), nahe gelegt<br />
wird, einen Schein-Wohnsitz <strong>im</strong> Ausland zu begründen<br />
<strong>und</strong> dort eine Fahrerlaubnis zu erwerben,<br />
um damit die Voraussetzungen in Bezug auf die<br />
Wiederertei lung einer Fahrerlaubnis zu unterlaufen.<br />
Dies führt nicht nur zu einer erheblichen Beeinträchtigung<br />
der Verkehrssicherheit, sondern führt<br />
auch zu erheb lichen Wettbewerbsverzerrungen auf<br />
dem Fahr schulsektor.“<br />
Damit wird das Anliegen des Änderungsentwurfs<br />
sichtbar, nicht allein durch eine Stärkung des Gr<strong>und</strong>satzes<br />
„eine Person – ein Führerschein“ Missbrauchsgefahren<br />
zu begegnen, sondern auch die vormals in<br />
Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG ent haltenen<br />
Best<strong>im</strong>mungen zu verschärfen, um den Führerscheintourismus<br />
wirkungsvoll einzuschränken. Dies wird in<br />
der abschließenden Begründung – (iv) <strong>gegen</strong>seitige<br />
Anerkennung von Sanktionen (S. 58 des Berichts) –<br />
nochmals betont:<br />
„Gemäß dem Genfer <strong>und</strong> dem Wiener Übereinkom<br />
men befasst sich der Vorschlag in Artikel 8<br />
Absatz 5 mit der Frage der <strong>gegen</strong>seitigen Anerkennung<br />
von Strafmaßnahmen, um dafür zu sorgen,<br />
dass ein in einem Mitgliedstaat entzogener Führerschein<br />
in allen Mitgliedstaaten einen Führerscheinentzug<br />
bedeutet. Dies muss jedoch verstärkt werden,<br />
<strong>und</strong> daher hat der Berichterstatter einen Änderungsantrag<br />
einge reicht, der die Mitgliedstaaten<br />
verpflichtet, jede Ein schränkung, jede Aussetzung<br />
<strong>und</strong> jeden Entzug an zuerkennen, die von<br />
einem anderen Mitgliedstaat verhängt wurden, <strong>und</strong><br />
die Anerkennung der Gültig keit von Führerscheinen<br />
abzulehnen, auf die eine solche Maßnahme angewendet<br />
wurde.“<br />
Der Entwurf mit den genannten Änderungen wurde<br />
in der Sitzung des Europäischen Parlaments vom<br />
23. 02. 2005 in erster Lesung angenommen (ABl.<br />
C 304 E/151). Nachdem die Staaten der Europäischen<br />
Gemeinschaft <strong>im</strong> März 2006 die politische Einigung<br />
über den Vorschlag der Kommission aus dem Jahr<br />
2003 über den europä ischen Führerschein erzielt hatten,<br />
beschränkte sich der Gemeinsame Standpunkt des<br />
Rates vom 18. 09. 2006 <strong>im</strong> Hinblick auf den Erlass der<br />
Richtlinie des Europäischen Parlaments <strong>und</strong> des Rates<br />
über den Führerschein (Neufassung) – 2003/0252<br />
(COD) – auf eine Umstrukturierung des geänderten<br />
Ent wurfstextes <strong>und</strong> einige wenige Änderungen; <strong>im</strong><br />
Wesentlichen wurden alle von der Kommission vorge -<br />
schlagenen <strong>und</strong> vom Europäischen Parlament überarbeiteten<br />
Hauptbestandteile in den Gemeinsamen Standpunkt<br />
übernommen. In der Empfehlung des Ausschus-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
ses für Verkehr <strong>und</strong> Fremdenverkehr des Europäischen<br />
Parlaments für die zweite Lesung betreffend den Gemeinsamen<br />
Standpunkt des Rates <strong>im</strong> Hinblick auf den<br />
Er lass der Richtlinie des Europäischen Parlaments <strong>und</strong><br />
des Rates über den Führer schein vom 27. 11. 2006<br />
– 9010/1/2006 – C6-0312/2006 – 2003/0252(COD) –<br />
wird zum Punkt „2.1 Bekämpfung des ,Führerscheintourismus‘“<br />
zusätzlich ausgeführt, mit diesem Text<br />
werde ein wichtiger Schritt zu dessen Bekämpfung<br />
getan. Führer scheintourismus bezeichne ein Verhalten,<br />
bei dem Bürger, die ihren Führerschein in ihrem He<strong>im</strong>atstaat<br />
aufgr<strong>und</strong> eines schweren Verstoßes abgeben<br />
mussten, einen neuen Führerschein in einem anderen<br />
Mitgliedstaat erwerben, der dann in ihrem He<strong>im</strong>atland<br />
anerkannt werden muss. Hier sei der Vorschlag der<br />
Kom mission über nommen worden, wonach ein Mitgliedstaat<br />
die Ausstellung eines Füh rerscheins ab -<br />
lehnen müsse, wenn der Bewerber seinen Führerschein<br />
in einem ande ren Mitglied staat eingeschränkt,<br />
ausgesetzt oder entzogen bekommen habe (Art. 11).<br />
Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang ferner,<br />
dass die beteiligten Gremien – anders als der EuGH<br />
insbesondere in den Verfahren Wiedemann/Zerche<br />
(vgl. Urteile vom 26. 06. 2008 – C 329/06 <strong>und</strong><br />
C-343/06 sowie C-334/06 bis<br />
C-336/06 –, jeweils a. a. O.) den wesentlichen<br />
Ansatzpunkt für die Unterbindung des Führerscheintourismus<br />
nicht in der strikten Einhaltung des<br />
Wohnsitzerfordernisses gesehen haben. Dem ent -<br />
spricht, dass die an den Wohnsitzverstoß anknüpfende<br />
Best<strong>im</strong>mung des Art. 12 Abs. 4 Unterabsatz 4 des<br />
überarbeiteten Entwurfs nicht Eingang in die am<br />
18.12. 2006 in zweiter Lesung verabschiedete Schlussfassung<br />
der Richtlinie 2006/126/EG gef<strong>und</strong>en hat.<br />
Damit hat der Normgeber in dem Ausweichen in einen<br />
anderen Mitgliedstaat nach vorheriger Einschränkung,<br />
Entziehung oder Aufhebung der Fahrerlaubnis den allein<br />
entscheidenden Gr<strong>und</strong> für das Neuerteilungsverbot<br />
<strong>und</strong> das Nichtanerkennungsgebot gesehen. Folglich<br />
soll es nicht mehr auf einen – gegebenenfalls nur<br />
eingeschränkt zugelassenen – Nachweis eines evidenten<br />
Wohnsitzverstoßes ankommen.<br />
Ebenso wenig kann seit dem Inkrafttreten der Richtlinie<br />
2006/126/EG an der vormali gen Auffassung festgehalten<br />
werden, es sei allein Aufgabe des Ausstellermitglied<br />
staates zu prüfen, ob die <strong>im</strong> Gemeinschaftsrecht<br />
aufgestellten Mindestvoraussetzun gen, darunter<br />
diejenige der Fahreignung, erfüllt seien (vgl. EuGH,<br />
Urteile vom 26. 06. 2008 – C 329/06 <strong>und</strong> C-343/06<br />
sowie C-334/06 bis C-336/06<br />
–, jeweils a. a. O.).<br />
Vielmehr steht das nunmehr klare Verbot, nach<br />
einer Einschränkung, Entziehung oder Aufhebung der<br />
Fahrerlaubnis <strong>im</strong> vorherigen oder eigentlichen Wohnsitzstaat<br />
eine neue Fahrerlaubnis zu erteilen (Art. 11<br />
Abs. 4 Unterabsatz 1 der Richtlinie 2006/126/EG) <strong>und</strong><br />
etwa nach einer Rückkehr in dem Ursprungsland diese<br />
dort anzu erkennen (Unterabsatz 2), der Anerkennung<br />
einer alleinigen Kompetenz des neuer teilenden Staates<br />
zur für alle EU-Staaten bindenden Feststellung der<br />
Erteilungs voraussetzungen ent<strong>gegen</strong>.
Der Wortlaut des Art. 11 Abs. 4 Unterabsatz 2 der<br />
Richtlinie 2006/126/EG gibt auch nichts für ein Verständnis<br />
her, wonach nur zeitlich beschränkte Maßnahmen<br />
<strong>im</strong> Hin blick auf eine Fahrerlaubnis – nach<br />
deutschem Recht also insbesondere die strafge -<br />
richtliche Entziehung der Fahrerlaubnis mit anschließender<br />
Sperrfrist für die Wieder erteilung (§§ 69, 69a<br />
StGB) – zum (zeitweiligen) Verbot einer Neuerteilung<br />
<strong>im</strong> Aus land oder zur Pflicht zur Nichtanerkennung<br />
einer nach dem Fristende <strong>im</strong> Ausland neu erteilten<br />
Fahrerlaubnis führen. Soweit anderssprachige Fassungen<br />
der Richtlinie 2006/126/EG wie etwa die englische<br />
(„to a person, whose driving licence is restricted,<br />
suspended or withdrawn“) oder die französische („une<br />
personne dont le permis de conduire fait l’objet …<br />
d’une restriction, d’une suspension ou d’un retrait“)<br />
durch die Verwendung des Präsens für die Annahme<br />
sprechen könnten, dass nur gleichsam „laufende“ <strong>und</strong><br />
damit zeitlich begrenzte Maßnahmen, nicht aber abge -<br />
schlossene Maßnahmen, die nur wegen des Fortbestehens<br />
von Eignungsmängeln oder nicht ausgeräumten<br />
Eignungszweifeln weiter in die Zukunft wirken, erfasst<br />
sein sollen, kann dem nicht beigetreten werden.<br />
Denn es ist schon nicht festzustellen, dass die deutsche<br />
Fassung des Art. 11 Abs. 4 Unterabsatz 2 der Richtlinie<br />
2006/126/EG („einer Person …, deren Führerschein<br />
… eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen<br />
worden ist“) mit der Verwendung des Perfekts allein<br />
steht, denn an dere Fassungen wie etwa die schwedische<br />
(„en person vars körkort har begränsats, omhändertagits<br />
eller återkallats“) verwenden gleichfalls die<br />
Vergangenheitsform. Wäre dem Normgeber – ent<strong>gegen</strong><br />
den verlautbarten Zielsetzungen – eine tatbestand -<br />
liche Beschränkung des Erteilungs- <strong>und</strong> Anerkennungsverbotes<br />
auf befristete Maß nahmen ausreichend<br />
erschienen, hätte es nahegelegen, in allen Fassungen<br />
auf einen darauf hindeutenden einheitlichen Sprachgebrauch<br />
hinzuwirken. Im Übrigen hat der damalige Generalanwalt<br />
Léger bereits in seinen Schlussanträgen<br />
in der Rechts sache Kapper vom 16. 10. 2003 (Rn. 73)<br />
unter Bezugnahme auf die Rechtsauffassung der italienischen<br />
Regierung auf die Verwendung der Präsensform<br />
(„faisant [toujours] l’objet“) statt der Vergangenheitsform<br />
(„ayant [déjà] fait l’objet“) in Art. 8 Abs. 4<br />
der Richtlinie 91/439/EWG hingewiesen, ohne dass<br />
der EuGH nachfolgend diese Argu mentation aufgegriffen<br />
hätte.<br />
Soweit schließlich vertreten wird, die Neuregelung<br />
des Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG unterscheide<br />
sich von der Vorläuferbest<strong>im</strong>mung des Art. 8<br />
Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG nur hinsichtlich der<br />
Rechtsfolge, nicht aber <strong>im</strong> Tatbestand, daher sei die<br />
Wahrscheinlichkeit gering, dass der EuGH von seiner<br />
bisherigen Rechtsprechung abrücken werde (so OVG<br />
Saarl., Beschluss vom 23. 01. 2009 – 1 B 438/08 –,<br />
DAR 2009, 163, <strong>und</strong> Hess. VGH, Be schluss vom<br />
04. 12. 2009 – 2 B 2138/09 – [in diesem Heft], veröff.<br />
u. a. bei www.eu-fuehrerschein-forum.de), ist der<br />
Senat anderer Auffassung. Der Tatbestand des Art. 11<br />
Abs. 4 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2006/126/EG gibt<br />
für eine einschränkende Auslegung nichts her, <strong>und</strong> die<br />
Rechtsprechung<br />
149<br />
Rechtsprechung des EuGH zu Art. 8 Abs. 4 Unterabsatz<br />
1 der Richtlinie 91/439/EWG beruht auch nicht<br />
auf einer am Tatbestand dieser Vorschrift orientierten<br />
Auslegung, sondern auf der Annahme einer <strong>im</strong> Vergleich<br />
zum Anerkennungsgr<strong>und</strong> satz des Art. 1 Abs. 2<br />
der Richtlinie 91/439/EWG geringeren Wertigkeit<br />
des von Art. 8 Abs. 4 Unterabsatz 1 der Richtlinie<br />
91/439/EWG verfolgten Anliegens. Sowohl durch<br />
die Verschärfung der Rechtsfolge des Art. 11 Abs. 4<br />
Unterabsatz 2 der Richt linie 2006/126/EG als auch<br />
durch die oben wiedergegebenen Verlautbarungen der<br />
normgebenden Gremien ist nunmehr das Bestreben,<br />
den verbreiteten Führer scheintourismus einzudämmen<br />
<strong>und</strong> so die Sicherheit des Straßenverkehrs zu er höhen,<br />
zulasten des Anerkennungsgr<strong>und</strong>satzes <strong>und</strong> des dahinterstehenden<br />
Frei zügigkeitsgedankens deutlich in<br />
den Vordergr<strong>und</strong> gerückt worden.<br />
(Mitgeteilt von der Veröffentlichungskommission<br />
der Richter des Oberverwaltungsgerichts<br />
für das Land Nordrhein-Westfalen)<br />
29. 1. Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG<br />
– 3. Führerscheinrichtlinie – ist am 19. Januar 2009<br />
in Kraft getreten. Im Regelungsbereich des Art. 11<br />
Abs. 4 RL 2006/126/EG finden weder die Fristen<br />
des Art. 16 Abs. 1 <strong>und</strong> 2 RL 2006/126/EG Anwendung<br />
noch kommt Bestandsschutz nach Art. 13<br />
Abs. 2 RL 2006/126/EG in Betracht.<br />
2. Die restriktive Rechtsprechung des Europäischen<br />
Gerichtshofs, wonach Art. 8 Abs. 4 der<br />
Richtlinie 91/439/EWG – 2. Führerscheinrichtlinie<br />
– ein eng auszulegender Ausnahmetatbestand zum<br />
Gr<strong>und</strong>satz der <strong>gegen</strong>seitigen Anerkennung von<br />
Fahrerlaubnissen ist, ist auf Art. 11 Abs. 4 UAbs. 2<br />
RL 2006/126/EG nach dessen nach Wortlaut, Systematik<br />
<strong>und</strong> Entstehungsgeschichte voraussichtlich<br />
nicht übertragbar.<br />
3. § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV ist mit den gemeinschaftsrechtlichen<br />
Vorgaben des Art. 11 Abs. 4<br />
UAbs. 2 RL 2006/126/EG auch insoweit vereinbar,<br />
als die bestandskräftige Versagung der Neuerteilung<br />
einer Fahrerlaubnis der Entziehung der deutschen<br />
Fahrerlaubnis gleichgestellt wird.<br />
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg,<br />
Beschluss vom 21. Januar 2010 – 10 S 2391/09 –<br />
Aus den Gründen:<br />
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.<br />
Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der<br />
aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs <strong>gegen</strong><br />
den Bescheid des Landratsamts H. vom 17. 07. 2009,<br />
in dem festgestellt wird, dass er nicht berechtigt ist,<br />
aufgr<strong>und</strong> seiner ihm am 28. 04. 2009 in der Tschechischen<br />
Republik erteilten Fahrerlaubnis <strong>im</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esgebiet<br />
ein Kraftfahrzeug zu führen (Ziff. 1), <strong>und</strong> er aufgefordert<br />
wird, den ausländischen Führerschein zur<br />
Eintragung eines entsprechenden Vermerks vorzulegen<br />
(Ziff. 2).<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
150 Rechtsprechung<br />
Nach nationalem Recht begegnet die Verfügung des<br />
Landratsamts keinen rechtlichen Bedenken. Nach § 28<br />
Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV, der in der hier anzuwendenden<br />
Fassung vom 07. 01. 2009, in Kraft getreten am<br />
19. 01. 2009 (BGBl. I S. 29) – FeV n. F. – unverändert<br />
geblieben ist, gilt die Berechtigung, Kraftfahrzeuge <strong>im</strong><br />
Inland zu führen, gr<strong>und</strong>sätzlich nicht für Inhaber einer<br />
EU-Fahrerlaubnis, denen die Fahrerlaubnis entzogen<br />
oder bestandskräftig versagt worden ist. Die inländische<br />
Fahrerlaubnis des Antragstellers wurde am<br />
09. 12. 1981 vom Amtsgericht Rottweil entzogen. Anträge<br />
auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis wurden<br />
von den jeweils zuständigen Fahrerlaubnisbehörden<br />
mit Bescheiden vom 10. 12. 1990, 22. 03. 2002 <strong>und</strong><br />
14. 11. 2005 bestandskräftig abgelehnt, zuletzt weil der<br />
Antragsteller ein wegen zahlreicher Straftaten innerhalb<br />
<strong>und</strong> außerhalb des Straßenverkehrs angefordertes<br />
medizinisch-psychologisches Gutachten nicht beigebracht<br />
hatte. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend<br />
ausgeführt hat, steht § 28 Abs. 4 Satz 3 FeV n. F. der<br />
Anwendung des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV n. F.<br />
nicht ent<strong>gegen</strong>. Die bestandskräftige Versagung ist<br />
gemäß § 28 Abs. 3 Nr. 5 StVG in das Verkehrszentralregister<br />
einzutragen. Eine Tilgung ist noch nicht erfolgt.<br />
Die Tilgungsfrist beträgt zehn Jahre <strong>und</strong> beginnt<br />
ohnehin erst fünf Jahre nach der beschwerenden Entscheidung<br />
oder mit der Neuerteilung der Fahrerlaubnis<br />
zu laufen (vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 Satz 1 StVG).<br />
Nach § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV n. F. ist die Behörde in<br />
den Fällen des Satz 1 Nr. 2 <strong>und</strong> 3 FeV befugt, einen<br />
feststellenden Verwaltungsakt über die fehlende Berechtigung<br />
zu erlassen.<br />
Die Beschwerdebegründung wendet dem<strong>gegen</strong>über<br />
sinngemäß ein, § 28 Abs. 4 FeV sei mit gemeinschaftsrechtlichen<br />
Vorgaben nicht vereinbar. Es sei<br />
zweifelhaft, ob Art. 11 Abs. 4 der 3. Führerscheinrichtlinie<br />
schon in Kraft getreten sei. Ferner sei in<br />
Art. 11 Abs. 4 nur von früheren Maßnahmen der Entziehung<br />
<strong>und</strong> Einschränkung, nicht aber von einem<br />
misslungenen Versuch der Wiedererteilung die Rede.<br />
Die Entziehung der Fahrerlaubnis am 09. 12. 1981 sei<br />
getilgt. Im Übrigen führe § 28 Abs. 4 FeV zu einer<br />
europarechtswidrigen Benachteiligung ausländischer<br />
Führerscheininhaber. Diese Einwendungen greifen<br />
nicht durch.<br />
Nach Art. 11 Abs. 4 UAbs. 2 der Richtlinie<br />
2006/126/EG des Europäischen Parlaments <strong>und</strong> des<br />
Rates vom 20. 12. 2006 über den Führerschein –<br />
3. Führerscheinrichtlinie – lehnt ein Mitgliedstaat die<br />
Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ab,<br />
der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt<br />
wurde, deren Führerschein <strong>im</strong> Hoheitsgebiet<br />
des erstgenannten Mitgliedstaats eingeschränkt, ausgesetzt<br />
oder entzogen worden ist. Nach Art. 18 Abs. 2<br />
RL 2006/126/EG gilt Art. 11 Abs. 4 ab 19. Januar<br />
2009. Ent<strong>gegen</strong> dem Vorbringen des Antragstellers gehört<br />
Art. 11 Abs. 4 RL 2006/126/EG nicht zu den Vorschriften,<br />
die nach Art. 16 Abs. 2 RL 2006/126/EG erst<br />
ab dem 19. Januar 2013 angewendet werden. Diese<br />
Regelung bezieht sich nach Wortlaut („…diese Vorschriften<br />
…“) <strong>und</strong> systematischem Zusammenhang<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
nur auf diejenigen Vorschriften, die in Art. 16 Abs. 1<br />
RL 2006/126/EG genannt <strong>und</strong> bis zum 19. 01.2011<br />
umzusetzen sind; hierzu gehört Art. 11 Abs. 4 RL<br />
2006/126/EG nicht. Auch die <strong>im</strong> Schrift-tum vertretene<br />
Auffassung, die in Art. 11 Abs. 4 RL 2006/126/EG<br />
begründeten Pflichten gälten erst mit Ablauf der Umsetzungsfrist<br />
zum 19. 01. 2011 (so Hailbronner, NZV<br />
2009, 361, 366 f.) verkennt, dass Art. 11 Abs. 4<br />
RL 2006/126/EG bei den in Art. 16 Abs. 1 RL<br />
2006/126/EG enumerativ aufgezählten Normen nicht<br />
genannt wird, sondern der Sonderregelung des Art. 18<br />
Abs. 2 RL 2006/126/EG unterliegt.<br />
Auch Art. 13 Abs. 2 RL 2006/126/EG, wonach eine<br />
vor dem 19. Januar 2013 erteilte Fahrerlaubnis aufgr<strong>und</strong><br />
der Best<strong>im</strong>mungen dieser Richtlinie weder eingezogen<br />
noch in irgendeiner Weise eingeschränkt werden<br />
darf, steht der Anwendung des Art. 11 Abs. 4<br />
RL 2006/126/EG nicht ent<strong>gegen</strong>. Dieser Bestandsschutz<br />
erfasst nicht den Regelungsbereich des Art. 11<br />
Abs. 4 RL 2006/126/EG. Dies folgt <strong>im</strong> vorliegenden<br />
Fall schon daraus, dass Art. 13 RL 2006/126/EG<br />
gemäß Art. 16 Abs. 1 <strong>und</strong> 2 RL 2006/126/EG erst<br />
ab dem 19. Januar 2013 anzuwenden <strong>und</strong> von der<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik Deutschland – soweit ersichtlich –<br />
bislang auch noch nicht zu einem früheren Zeitpunkt<br />
umgesetzt worden ist, während Art. 11 Abs. 4<br />
RL 2006/126/EG schon ab dem 19. 01. 2009 gilt. Darüber<br />
hinaus folgt aus der systematischen Stellung der<br />
Bestandsschutzregelung innerhalb des Art. 13 (amtl.<br />
Überschrift: „Äquivalenzen zwischen nicht dem EG-<br />
Muster entsprechenden Führerscheinen“), dass sich<br />
Art. 13 Abs. 2 RL 2006/126/EG allein auf die in<br />
Art. 13 Abs. 1 RL 2006/126/EG geregelten Äquivalenzen<br />
zwischen den vor dem Zeitpunkt der Umsetzung<br />
der Richtlinie erworbenen Führerscheinen <strong>und</strong><br />
den in der 3. Führerscheinrichtlinie neu geregelten<br />
Führerscheinklassen bezieht (Thoms, DAR 2007, 287,<br />
288). Dies belegt auch die Entstehungsgeschichte der<br />
Vorschrift, die insoweit auf einen Änderungsvorschlag<br />
des Ausschusses für Verkehr <strong>und</strong> Fremdenverkehr des<br />
Europäischen Parlaments zurückgeht (Änderungsantrag<br />
13 <strong>im</strong> Ausschussbericht vom 03. 02. 2005, Dok.<br />
A6-0016/2005 endg. S. 11) <strong>und</strong> in ihrer ursprünglichen<br />
Fassung (damals Art. 3 Abs. 2 b UAbs. 3 des<br />
Richtlinienvorschlags) lautete:<br />
„Eine vor Beginn der Anwendung dieser Richtlinie<br />
erteilte Fahrerlaubnis für eine best<strong>im</strong>mte Klasse<br />
wird nicht aufgr<strong>und</strong> der Best<strong>im</strong>mungen dieser<br />
Richtlinie entzogen oder in irgendeiner Weise eingeschränkt.“<br />
In der Begründung des Änderungsantrags heißt es<br />
hierzu u. a.:<br />
„… Der Umtausch der alten Führerscheine darf<br />
jedoch unter keinen Umständen zu einem Verlust<br />
oder einer Einschränkung der erworbenen Rechte<br />
hinsichtlich der Fahrerlaubnis von Fahrzeugen verschiedener<br />
Klassen führen.“<br />
Der Umstand, dass die Bezugnahme auf die Führerscheinklassen<br />
in der Endfassung des Art. 13 Abs. 2<br />
RL 2006/126/EG fehlt, gibt keinen Anlass zu der Annahme,<br />
dass sich die Intention der Regelung geändert
hat. Es besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass in Art. 13<br />
Abs. 2 RL 2006/126/EG auch für die Fallkonstellation<br />
des Art. 11 Abs. 4 RL 2006/126/EG ein absoluter Bestandsschutz<br />
hätte geschaffen werden sollen. Eine solche<br />
Auslegung stünde insbesondere auch <strong>im</strong> Widerspruch<br />
dazu, dass die Bekämpfung des sog. Führerscheintourismus<br />
eine wesentliche Zielsetzung der<br />
Neuregelung der Richtlinie 2006/126/EG ist (dazu sogleich).<br />
Ent<strong>gegen</strong> der Beschwerdebegründung steht auch<br />
der 5. Erwägungsgr<strong>und</strong> der 3. Führerscheinrichtlinie<br />
der Anwendung des Art. 11 Abs. 4 RL 2006/126/EG<br />
<strong>im</strong> vorliegenden Fall nicht ent<strong>gegen</strong>. Danach sollten<br />
zwar vor dem Beginn der Anwendung dieser Richtlinie<br />
erteilte oder erworbene Führerscheine unberührt<br />
bleiben. Die tschechische Fahrerlaubnis des Antragstellers<br />
wurde aber am 28. 04. 2009 <strong>und</strong> somit unter<br />
der Geltung der hier maßgeblichen Best<strong>im</strong>mung des<br />
Art. 11 Abs. 4 RL 2006/126/EG ausgestellt, der – wie<br />
ausgeführt – zum 19. Januar 2009 in Kraft getreten ist.<br />
Die Regelung des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV steht<br />
auch inhaltlich mit den Vorgaben des Art. 11 Abs. 4<br />
RL 2006/126/EG in Einklang. Allerdings ist zweifelhaft,<br />
ob dem Antragsteller die gerichtliche Entziehung<br />
seiner Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Jahre 1981 noch ent<strong>gegen</strong>gehalten<br />
werden darf. Es spricht vieles dafür, dass die<br />
Entziehungsentscheidung schon vor der Erteilung der<br />
tschechischen Fahrerlaubnis an den Antragsteller am<br />
28. 04. 2009 nach § 29 StVG <strong>im</strong> Verkehrszentralregister<br />
getilgt war <strong>und</strong> nach § 29 Abs. 8 StVG i. V. m § 65<br />
Abs. 9 StVG <strong>im</strong> Zeitpunkt der Erteilung der tschechischen<br />
Fahrerlaubnis, jedenfalls aber <strong>im</strong> Zeitpunkt der<br />
Prüfung der Berechtigung des Antragstellers, Fahrzeuge<br />
<strong>im</strong> Inland zu führen, unverwertbar war. Auch § 28<br />
Abs. 4 Satz 3 FeV n. F. verwehrt einen Rückgriff auf<br />
<strong>im</strong> Verkehrszentralregister bereits getilgte Eintragungen.<br />
Zwar regelt das Gemeinschaftsrecht nicht ausdrücklich,<br />
dass eine innerstaatliche Maßnahme wegen<br />
Zeitablaufs nicht mehr berücksichtigt werden darf. Die<br />
3. Führerscheinrichtlinie enthält kein dem § 28 Abs. 4<br />
Satz 3 FeV n. F. entsprechendes Verbot. Art. 11 Abs. 4<br />
RL 2006/126/EG setzt aber tatbestandsmäßig die<br />
rechtliche Existenz einer innerstaatlichen Maßnahme<br />
voraus. Ist ein innerstaatliches Verwertungsverbot<br />
eingetreten – was bei summarischer Prüfung wahrscheinlich<br />
erscheint –, ist zweifelhaft, ob dieser<br />
nach nationalem Recht unverwertbare Sachverhalt<br />
gemeinschaftsrechtlich nach Art. 11 Abs. 4 UAbs. 2<br />
RL 2006/126/EG noch berücksichtigt werden darf<br />
(vgl. BayVGH, Beschl. v. 26. 02. 2009 – 11 C 09.296 –<br />
juris). Auch nach der Rechtsprechung des Europäischen<br />
Gerichtshofs darf einer ausländischen Fahrerlaubnis<br />
nicht auf unbest<strong>im</strong>mte Zeit die Anerkennung<br />
versagt werden (vgl. etwa Urt. v. 29. 04. 2004 –<br />
C-476/01 – Kapper – Rdnr. 76 f. [BA 2004, 450]).<br />
Diese Frage bedarf aber keiner abschließenden Entscheidung.<br />
Denn ent<strong>gegen</strong> der Ansicht des Antragstellers<br />
kann die bestandskräftige Versagung der Wiedererteilung<br />
der Fahrerlaubnis mit Verfügung vom<br />
14. 11. 2005, <strong>gegen</strong> deren Verwertbarkeit unter dem<br />
Blickwinkel des § 28 Abs. 4 Satz 3 FeV n. F. keine<br />
Rechtsprechung<br />
151<br />
Bedenken bestehen, den in Art. 11 Abs. 4 UAbs. 2<br />
RL 2006/126/EG ausdrücklich genannten Maßnahmen<br />
gleichgestellt werden.<br />
Der Gr<strong>und</strong>satz der <strong>gegen</strong>seitigen Anerkennung der<br />
von den Mitgliedstaaten erteilten Fahrerlaubnisse ist<br />
durch die Neufassung von Art. 11 Abs. 4 UAbs. 2<br />
RL 2006/126/EG <strong>gegen</strong>über der früheren Regelung<br />
des Art. 8 Abs. 4 UAbs. 1 der Richtlinie 91/439/EWG<br />
des Rates vom 29. 07. 1991 über den Führerschein –<br />
2. Führerscheinrichtlinie – eingeschränkt worden.<br />
Während nach der früheren Fassung lediglich eine Ermächtigung<br />
für die Mitgliedstaaten bestand, die Anerkennung<br />
abzulehnen („Ein Mitgliedstaat kann es ablehnen…“),<br />
sind diese nunmehr zur Ablehnung der<br />
Anerkennung einer EU-Fahrerlaubnis verpflichtet, die<br />
von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt<br />
wurde, deren Führerschein <strong>im</strong> Hoheitsgebiet des<br />
erstgenannten Mitgliedstaats eingeschränkt, ausgesetzt<br />
oder entzogen worden ist („Ein Mitgliedstaat<br />
lehnt … ab…“). Erklärtes Ziel der Neuregelung war<br />
die Bekämpfung des sog. Führerscheintourismus, mit<br />
dem die Absicht verfolgt wird, nach einer innerstaatlichen<br />
Maßnahme der Fahrerlaubnisbehörde die strengeren<br />
inländischen Vorschriften über die Neuerteilung<br />
einer Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Hinblick auf den Nachweis der<br />
Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen, insbesondere<br />
die Vorlage eines medizinisch-psychologisches<br />
Gutachtens, zu umgehen. Bereits in der Begründung<br />
des Richtlinienentwurfs der Kommission der Europäischen<br />
Gemeinschaften vom 21.10. 2003 wurde davon<br />
ausgegangen, dass der Vorschlag den sog. Führerscheintourismus<br />
beseitigt (KOM (2003) 621 endg.<br />
S. 6). Die Neufassung des Art. 11 Abs. 4 RL 2006/<br />
126/EG in ihrer zwingenden Formulierung beruht auf<br />
einem Änderungsantrag des Ausschusses für Verkehr<br />
<strong>und</strong> Fremdenverkehr des Europäischen Parlaments<br />
(Änderungsantrag Nr. 57 <strong>im</strong> Ausschussbericht vom<br />
03. 02. 2005, Dok. A6-0016/2005 S. 31 f.). Zur Begründung<br />
heißt es:<br />
„Der Führerscheintourismus soll so weit wie<br />
möglich unterb<strong>und</strong>en werden. Wird einer Person<br />
in einem Mitgliedstaat die Fahrerlaubnis eingeschränkt,<br />
entzogen, ausgesetzt oder aufgehoben, so<br />
darf der Mitgliedstaat einen Führerschein, der dieser<br />
Person von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt<br />
wurde, nicht anerkennen.<br />
Die Mitgliedstaaten dürfen darüber hinaus keine<br />
Führerscheine an Personen ausstellen, deren Führerschein<br />
in einem anderen Mitgliedstaat eingeschränkt,<br />
ausgesetzt oder entzogen ist (jede Person<br />
darf nur Inhaber eines einzigen Führerscheins sein,<br />
Artikel 8 Absatz 5). Wird der Führerschein in einem<br />
Mitgliedstaat aufgehoben, so kann ein anderer Mitgliedstaat<br />
die Ausstellung eines Führerscheins verweigern.<br />
Es gibt bereits <strong>im</strong> Internet viele Angebote, in<br />
denen Personen, denen die Fahrerlaubnis in einem<br />
Mitgliedstaat entzogen wurde (z.. B. wegen Fahren<br />
unter Einfluss von <strong>Alkohol</strong>/<strong>Drogen</strong>), nahe gelegt<br />
wird, einen Schein-Wohnsitz <strong>im</strong> Ausland zu begründen<br />
<strong>und</strong> dort eine Fahrerlaubnis zu erwerben, um<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
152 Rechtsprechung<br />
damit die Voraussetzungen in Bezug auf die Wiedererteilung<br />
einer Fahrerlaubnis zu unterlaufen. Dies<br />
führt nicht nur zu einer erheblichen Beeinträchtigung<br />
der Verkehrssicherheit, sondern führt auch<br />
zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen auf dem<br />
Fahrschulsektor.“<br />
Auch <strong>im</strong> weiteren Rechtsetzungsverfahren kommt<br />
der Wille zur Bekämpfung des sog. Führerscheintourismus<br />
zum Ausdruck (vgl. etwa Begründung<br />
der Empfehlungen des Ausschusses für Verkehr <strong>und</strong><br />
Fremdenverkehr für die 2. Lesung <strong>im</strong> Europäischen<br />
Parlament vom 27.11.2006 – Dok. A6-0414/2006<br />
S. 9; Begründung des Gemeinsamen Standpunkts des<br />
Rats der Europäischen Union vom 18. 09. 2006 –<br />
CS/2006/9010/1/06 Rev 1 Add. 1 s. 2 u. 5 –; Mitteilung<br />
der Kommission an das Europäische Parlament<br />
vom 21. 09. 2006 – KOM (2006) 547 endg. S. 3; zur<br />
Zielsetzung der auf deutschen Wunsch eingeführten<br />
Regelung vgl. auch Pressemitteilungen der Europäischen<br />
Kommission Nr. IP-06/381 <strong>und</strong> des <strong>B<strong>und</strong></strong>esministeriums<br />
für Verkehr vom 27. 03. 2006 Nr. 102/2006,<br />
auszugsweise abgedruckt in <strong>Blutalkohol</strong> 2006, 222 f.).<br />
Dabei ist die Verpflichtung zur Versagung der Anerkennung<br />
von Fahrerlaubnissen <strong>im</strong> Sinne des Art. 11<br />
Abs. 4 UAbs. 2 RL 2006/126/EG <strong>im</strong> Gesamtzusammenhang<br />
mit den weiteren Verschärfungen der Sorgfaltsanforderungen<br />
für die Ausstellung von Fahrerlaubnissen<br />
zu sehen. Die Ablehnung der Anerkennung<br />
korrespondiert insbesondere mit der Verpflichtung der<br />
Mitgliedstaaten es abzulehnen, einem Bewerber, dessen<br />
Führerschein in einem anderen Mitgliedstaat entzogen,<br />
ausgesetzt oder eingeschränkt worden ist, einen<br />
Führerschein auszustellen (Art. 11 Abs. 4 UAbs. 1 RL<br />
2006/126/EG). Die Pflicht zur Ablehnung der Anerkennung<br />
einer Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Sinne des Art. 11<br />
Abs. 4 UAbs. 2 RL 2006/126/EG zieht mithin die<br />
Konsequenz aus dem Umstand, dass diese ent<strong>gegen</strong><br />
der Best<strong>im</strong>mung des UAbs. 1 ausgestellt wurde. Auch<br />
<strong>im</strong> Übrigen betont die Richtlinie den Gr<strong>und</strong>satz, dass<br />
jeder nur Inhaber einer Fahrerlaubnis sein darf, begründet<br />
insoweit erhöhte Prüfungspflichten der Mitgliedstaaten<br />
<strong>und</strong> verpflichtet diese, die Erteilung weiterer<br />
Fahrerlaubnisse abzulehnen <strong>und</strong> solche ggf.<br />
aufzuheben oder zu entziehen (vgl. Art. 7 Abs. 5<br />
RL 2006/126/EG). Nicht zuletzt dürfen die Mitgliedstaaten<br />
wie bisher aus Gründen der Verkehrssicherheit<br />
ihre innerstaatlichen Best<strong>im</strong>mungen über den Entzug,<br />
die Aussetzung, die Erneuerung <strong>und</strong> die Aufhebung<br />
der Fahrerlaubnis auf jeden Führerscheininhaber anwenden,<br />
der seinen ordentlichen Wohnsitz in ihrem<br />
Hoheitsgebiet begründet (Erwägungsgr<strong>und</strong> 15, Art. 11<br />
Abs. 2 RL 2006/126/EG).<br />
Damit hat der Aspekt der Sicherheit des Straßenverkehrs<br />
nach Entstehungsgeschichte <strong>und</strong> Systematik der<br />
3. Führerscheinrichtlinie <strong>gegen</strong>über der Verpflichtung<br />
zur <strong>gegen</strong>seitige Anerkennung der Fahrerlaubnisse<br />
(Art. 2 Abs. 1 RL 2006/126/EG) eine gesteigerte<br />
Bedeutung erhalten. Mit der Neufassung haben die<br />
Rechtssetzungsorgane der Europäischen Gemeinschaft<br />
zum Ausdruck gebracht, dass eine Harmonisierung<br />
der für die Neuerteilung geltenden Eignungsrege-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
lungen auf niedrigem Niveau nicht gewollt ist. Die<br />
Mitgliedstaaten sollen vielmehr dafür Sorge tragen<br />
können, dass auch vergleichsweise strenge Eignungsvorschriften<br />
in dem einen Mitgliedstaat nicht in einem<br />
anderen Mitgliedstaat umgangen werden (vgl. BR-<br />
Drs. 851/08 S. 7f).<br />
Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> macht es aber keinen<br />
Unterschied, ob die Nichtanerkennung auf die eignungsmängelbedingte<br />
Entziehung als solche oder auf<br />
die Versagung der Neuerteilung wegen fortbestehender<br />
oder ggf. neuer Eignungsmängel beruht. Beiden<br />
Fällen ist gemeinsam, dass die Bedenken <strong>gegen</strong> die<br />
Fahreignung des Betroffenen nicht nach dem nach inländischem<br />
Recht geltenden Maßstab in dem hierfür<br />
erforderlichen Verfahren ausgeräumt worden sind. Im<br />
Falle des Entzugs wie <strong>im</strong> Falle der bestandskräftigen<br />
Versagung wegen eines Tatbestands, der die Entziehung<br />
gerechtfertigt hat oder ggf. rechtfertigen würde,<br />
muss sich der Betroffene vor der Neuerteilung nach<br />
deutschem Recht einer Überprüfung seiner Fahreignung<br />
unterziehen, die nach dem erklärten Ziel der<br />
3. Führerscheinrichtlinie <strong>im</strong> Interesse der Verkehrssicherheit<br />
nicht <strong>im</strong> Wege des „Führerscheintourismus“<br />
umgangen werden darf. Ein Unterschied besteht lediglich<br />
darin, dass der Betroffene <strong>im</strong> Fall der bestandskräftigen<br />
Versagung einen missglückten Versuch zur<br />
(Wieder)Erlangung der Fahrerlaubnis unternommen<br />
hat, das Verfahren zur Prüfung der Fahreignung also<br />
ein weiteres Stadium durchlaufen hat. Der Umstand,<br />
dass der Betroffene erfolglos die Neuerteilung der<br />
Fahrerlaubnis beantragt hat, kann ihn nach Sinn <strong>und</strong><br />
Zweck der Regelung des Art. 11 Abs. 4 UAbs. 2<br />
RL 2006/126/EG aber nicht privilegieren. Haben sich<br />
Eignungsbedenken in einem <strong>im</strong> Inland durchgeführten<br />
Neuerteilungsverfahren bestätigt, besteht vielmehr bei<br />
wertender Betrachtung erst recht keine Rechtfertigung<br />
für die Anerkennung einer in einem anderen Mitgliedstaat<br />
gleichwohl erteilten Fahrerlaubnis. Angesichts<br />
der gleichgerichteten Interessenlage bei Entzug <strong>und</strong><br />
bestandskräftiger Versagung lässt sich dem Gemeinschaftsrecht<br />
nicht entnehmen, dass es den Mitgliedstaaten<br />
<strong>im</strong> Anwendungsbereich der Richtlinie 2006/<br />
126/EG untersagt ist, die bestandskräftige Versagung<br />
der Neuerteilung einer Fahrerlaubnis dem Entzug der<br />
Fahrerlaubnis gleichzustellen (ebenso für den Verzicht<br />
auf Fahrerlaubnis zur Vermeidung einer förmlichen<br />
Entziehung: Senatsbeschl. v. 02. 02. 2009 –<br />
10 S 3323/08 – juris; BayVGH, Beschl. v. 12.12. 2008<br />
– 11 CS 08.1398 – juris).<br />
Dieser Auslegung steht auch nicht ent<strong>gegen</strong>, dass<br />
die Mitgliedstaaten nach Art. 2 Abs. 1 RL 2006/<br />
126/EG gr<strong>und</strong>sätzlich zur <strong>gegen</strong>seitigen Anerkennung<br />
der ausgestellten Führerscheine verpflichtet sind. Die<br />
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur<br />
Auslegung der 2. Führerscheinrichtlinie dürfte auf<br />
die 3. Führerscheinrichtlinie nicht übertragbar sein.<br />
Der Europäische Gerichtshof hat Art. 8 Abs. 4<br />
RL 91/439/EWG in ständiger Rechtsprechung als eng<br />
auszulegenden Ausnahmetatbestand vom Gr<strong>und</strong>satz<br />
der <strong>gegen</strong>seitigen Anerkennung verstanden (vgl. etwa<br />
Urt. v. 29. 04. 2004 – C-476/01 – Kapper – Rdnr. 70 u.
72; Urt. v. 06. 04. 2006 – C-227/05 – Halbritter – Rdnr.<br />
35 [BA 2006, 307], Urt. v. 28. 09. 2006 – C-340/05 –<br />
Kremer – Rdnr. 28 [BA 2007, 238]). Da Art. 11 Abs. 4<br />
RL 2006/126/EG nunmehr als zwingende Verpflichtung<br />
<strong>und</strong> nicht mehr als <strong>im</strong> Ermessen der Mitgliedstaaten<br />
stehende Ermächtigung wie in Art. 8 Abs. 4<br />
RL 91/439/EWG ausgestaltet ist, ist dieser restriktiven<br />
Auslegung der Boden entzogen (Geiger, DAR 2007,<br />
126, 128; Janker, DAR 2009, 181, 183 f.; Mosbacher/Gräfe,<br />
NJW 2009, 801, 803 f; a. A. Hailbronner,<br />
NZV 2009, 361, 366; Riedmeyer, zfs 2009, 422, 427).<br />
Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut, sondern<br />
auch aus dem systematischen Zusammenhang der Vorschrift.<br />
Nach der Rechtsprechung des Europäischen<br />
Gerichtshofs ist es Aufgabe des Ausstellerstaats zu<br />
prüfen, ob die <strong>im</strong> Gemeinschaftsrecht aufgestellten<br />
Mindestvoraussetzungen, insbesondere hinsichtlich<br />
des Wohnsitzes <strong>und</strong> der Fahreignung, erfüllt sind <strong>und</strong><br />
damit die Erteilung der Fahrerlaubnis gerechtfertigt<br />
ist. Der Aufnahmemitgliedstaat ist gr<strong>und</strong>sätzlich nicht<br />
befugt, die Beachtung der in der Richtlinie aufgestellten<br />
Ausstellungsvoraussetzungen nachzuprüfen. (Urt.<br />
v. 26. 06. 2008 – C-329/06 – C-343/06 – Wiedemann u.<br />
Funk – Rdnr. 52 f. [BA 2008, 255]; Urt. v. 26. 06. 2008<br />
– C-334/06 – C-336/06 – Zerche – Rdnr. 49 f.; Urt. v.<br />
19. 02. 2009 – C-321-07 – Schwarz – Rdnr.76 f. [BA<br />
2009, 206]). Die Mitgliedstaaten konnten daher nach<br />
der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs<br />
vom Inhaber eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten<br />
Führerscheins nicht verlangen, dass er die<br />
Bedingungen erfüllt, die das nationale Recht für die<br />
Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach Entzug aufstellt<br />
(vgl. etwa Urt. v. 06. 04. 2006 – C-227/05 – Halbritter<br />
– Rdnr. 29). Da der Ausstellerstaat aber nunmehr nach<br />
Art. 11 Abs. 4 UAbs. 1 RL 2006/126/EG zwingend zur<br />
Ablehnung der Erteilung einer Fahrerlaubnis an eine<br />
Person verpflichtet ist, deren Fahrerlaubnis in einem<br />
anderen Mitgliedstaat eingeschränkt, ausgesetzt oder<br />
entzogen worden ist, <strong>und</strong> umgekehrt der Aufnahmestaat<br />
zwingend zur Versagung der Anerkennung einer<br />
gleichwohl ausgestellten Fahrerlaubnis verpflichtet<br />
ist, stellt sich nicht mehr das Problem, dass sich ein<br />
(Aufnahme-)Mitgliedstaat eine ihm nach dem Anerkennungsgr<strong>und</strong>satz<br />
nicht zustehende Prüfungskompetenz<br />
anmaßt (Mosbacher/Gräfe, a. a. O. 802). Dem<br />
steht auch nicht ent<strong>gegen</strong>, dass der Europäische Gerichtshof<br />
den Vorrang des Anerkennungsgr<strong>und</strong>satzes<br />
nicht ausdrücklich mit der Ausgestaltung des Art. 8<br />
Abs. 4 RL 91/439/EWG als Ermessensvorschrift, sondern<br />
in erster Linie mit dessen Bedeutung für die Freizügigkeit,<br />
die Niederlassungsfreiheit <strong>und</strong> den freien<br />
Dienstleistungsverkehr begründet hat (so aber Hailbronner<br />
a. a. O. S. 366; Riedmeyer, a. a. O. S. 427).<br />
Denn zum einen setzt die restriktive Auslegung des<br />
Europäischen Gerichtshofs notwendigerweise einen<br />
Spielraum der Mitgliedstaaten voraus, der nach der<br />
insoweit eindeutigen Neufassung des Art. 11 Abs. 4<br />
UAbs. 2 RL 2006/126/EG nicht mehr besteht. Auch<br />
der Europäische Gerichtshof geht deshalb zunächst<br />
vom Wortlaut des Art. 8 Abs. 4 RL 91/439/EWG als<br />
Kann-Best<strong>im</strong>mung aus (vgl. etwa Urt. v. 29. 04. 2004 –<br />
Rechtsprechung<br />
153<br />
Kapper – a. a. O. Rdnr. 76). Zum anderen ist der Anerkennungsgr<strong>und</strong>satz<br />
von den Rechtsetzungsorganen<br />
der Europäischen Gemeinschaft durch die Neufassung<br />
des Art. 11 Abs. 4 RL 2006/126/EG in den dort genannten<br />
Fallgestaltungen ausdrücklich <strong>und</strong> bewusst<br />
eingeschränkt worden. Wie ausgeführt, ergibt sich aus<br />
dem Wortlaut des Art. 11 Abs. 4 RL 2006/126/EG<br />
sowie der Systematik <strong>und</strong> der Entstehungsgeschichte<br />
der 3. Führerscheinrichtlinie, dass der Anerkennungsgr<strong>und</strong>satz<br />
dort seine Grenze findet, wo er zur Umgehung<br />
strengerer inländischer Eignungsvorschriften<br />
führt. Die Rechtsetzungsorgane der Europäischen Gemeinschaft<br />
sind auch befugt, den Umfang der Harmonisierung<br />
auf dem Gebiet des Führerscheinwesens zu<br />
best<strong>im</strong>men <strong>und</strong> <strong>im</strong> Interesse eines hochrangigen Gemeinschaftsgutes<br />
wie der Sicherheit des Straßenverkehr<br />
die Gr<strong>und</strong>sätze der Freizügigkeit, der Niederlassungsfreiheit<br />
<strong>und</strong> des freien Dienstleistungsverkehrs<br />
ggf. zu beschränken (vgl. VG Sigmaringen, Beschl. v.<br />
05.10. 2009 – 6 K 2270/09 –). Darüber hinaus kommen<br />
diese Gr<strong>und</strong>freiheiten <strong>im</strong> Anerkennungsverfahren<br />
nach § 28 Abs. 5 FeV zum Tragen (Mosbacher/Gräfe<br />
a. a. O. S. 803). Im Übrigen hat auch der Europäische<br />
Gerichtshof in seinen neueren Entscheidungen in der<br />
Sache anerkannt, dass der Sicherheit des Straßenverkehrs<br />
unter best<strong>im</strong>mten Umständen der Vorrang vor<br />
den genannten Gr<strong>und</strong>sätzen einzuräumen ist (vgl. etwa<br />
Urt. vom 26. 06. 2008 – Wiedemann u. Funk – a. a. O.<br />
Rdnr. 71f). Eine Übertragung der restriktiven Rechtsprechung<br />
des Europäischen Gerichtshofs auf Art. 11<br />
Abs. 4 UAbs. 2 RL 2006/126/EG dürfte daher mit dem<br />
Wortlaut der Vorschrift <strong>und</strong> dem erklärten Willen des<br />
Richtliniengebers, mit der Neuformulierung den Führerscheintourismus<br />
effektiver als bisher zu bekämpfen,<br />
nicht vereinbar sein (a. A. HessVGH, Beschl. v.<br />
04. 12. 2009 – 2 B 2138/09 – [in diesem Heft]).<br />
Schließlich führt § 28 Abs. 4 FeV nicht zu einer gemeinschaftswidrigen<br />
Schlechterstellung von Inhabern<br />
einer ausländischen Fahrerlaubnis. Auch inländische<br />
Fahrerlaubnisbewerber müssen zunächst die festgestellten<br />
Eignungsbedenken ausräumen, bevor ihnen<br />
die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen wieder<br />
erteilt wird. Ent<strong>gegen</strong> der Auffassung des Antragstellers<br />
brauchen die Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis auch<br />
nicht den Ablauf der Tilgungsfristen abzuwarten, sondern<br />
können – wie inländische Fahrerlaubnisbewerber<br />
auch – nach Ablauf einer Sperrfrist die Neuerteilung<br />
der inländischen Fahrerlaubnis beantragen, oder aber<br />
nach § 28 Abs. 5 FeV das Recht, von ihrer EU-Fahrerlaubnis<br />
<strong>im</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esgebiet Gebrauch zu machen, anerkennen<br />
lassen, sofern die Gründe für die Entziehung<br />
oder Sperre nicht mehr bestehen.<br />
Der Senat räumt nach alledem mit dem Verwaltungsgericht<br />
dem öffentlichen Interesse an der sofortigen<br />
Vollziehung der Verfügung den Vorrang ein. Liegen<br />
erhebliche, derzeit nicht ausgeräumte Zweifel<br />
an der Eignung des Antragstellers zum Führen eines<br />
Kraftfahrzeugs <strong>im</strong> Straßenverkehr vor, besteht ein<br />
dringendes öffentliches Interesse an der sofortigen<br />
Unterbindung der weiteren Teilnahme des Antragstellers<br />
am Straßenverkehr. Dem<strong>gegen</strong>über kommt dem<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
154 Rechtsprechung<br />
Umstand, dass der Antragsteller – soweit ersichtlich –<br />
seit Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Straßenverkehr<br />
nicht auffällig geworden ist, keine ausschlaggebende<br />
Bedeutung zu. Ein ungeeigneter Kraftfahrer<br />
kann selbst bei hohen Fahrleistungen aufgr<strong>und</strong><br />
der geringen Kontrolldichte <strong>und</strong> der demgemäß hohen<br />
Dunkelziffer von Delikten <strong>im</strong> Straßenverkehr jahrelang<br />
unauffällig bleiben; gleichwohl kann sich aber die<br />
von ihm ausgehende Gefahr für Leib <strong>und</strong> Leben anderer<br />
Verkehrsteilnehmer jederzeit aktualisieren (vgl. Senatsbeschl.<br />
v. 14.10.1996 – 10 S 321/96 –, NZV 1997,<br />
199 = VBlBW 1997, 227). Die mit dieser Entscheidung<br />
für den Antragsteller verb<strong>und</strong>enen Nachteile in<br />
Bezug auf seine Berufstätigkeit <strong>und</strong> seine private Lebensführung<br />
müssen dem<strong>gegen</strong>über hinter dem öffentlichen<br />
Interesse an der Verkehrssicherheit zurücktreten.<br />
(Mitgeteilt vom 10. Senat des Verwaltungsgerichtshofes<br />
Baden-Württemberg)<br />
30. 1. § 28 Abs. 4 Satz 1 FeV ist gemeinschaftskonform<br />
dahingehend auszulegen, dass für eine<br />
Aberkennung des Rechts, von einer EU-Fahrerlaubnis<br />
<strong>im</strong> Inland Gebrauch zu machen, die tatbestandlichen<br />
Voraussetzungen der Nr. 2 <strong>und</strong> Nr. 3<br />
dieser Vorschrift kumulativ vorliegen müssen.<br />
2. Auch wenn der neue Art. 11 Abs. 4 der 3. Führerscheinrichtlinie<br />
zur Bekämpfung des „Führerscheintourismus“<br />
neu gefasst worden ist, ist nach<br />
der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs<br />
jedenfalls derzeit nicht erkennbar, dass dieser<br />
angesichts der wörtlichen Übereinst<strong>im</strong>mung der<br />
Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 4 der 2. Führerscheinrichtlinie<br />
<strong>und</strong> des Art. 11 Abs. 4 der 3. Führerscheinrichtlinie<br />
seine Rechtsprechung zur Anerkennung<br />
von EU-Führerscheinen <strong>im</strong> Hinblick auf<br />
das Vorliegen eines ordentlichen Wohnsitzes ändern<br />
würde. Es muss deshalb bis zu einer ausdrücklichen<br />
Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs<br />
zu Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG<br />
davon ausgegangen werden, dass seine Rechtsprechung<br />
zum Wohnsitzprinzip auch für diese Vorschrift<br />
weiter gilt.<br />
Hessischer Verwaltungsgerichtshof,<br />
Beschluss vom 04. Dezember 2009 – 2 B 2138/09 –<br />
Aus den Gründen:<br />
Die gemäß § 146 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 bis 3, § 147<br />
VwGO fristgerecht eingelegte <strong>und</strong> begründete Beschwerde<br />
des Antragstellers hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht<br />
hat zu Unrecht den Antrag abgelehnt, die<br />
aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers<br />
vom 08. Mai 2009 <strong>gegen</strong> den <strong>im</strong> Tenor genannten<br />
Bescheid des Antragsgegners vom 09. April<br />
2009 wiederherzustellen. Es sprechen ganz überwiegende<br />
Gründe dafür, dass die Feststellung des Antragsgegners<br />
in dem genannten Bescheid, der Antragsteller<br />
sei nicht berechtigt, aufgr<strong>und</strong> der ihm am 02. Februar<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
2009 in Polen durch die Verwaltung in Slubice erteilten<br />
Fahrerlaubnis der Klasse B Kraftfahrzeuge in der<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik Deutschland zu führen, rechtsfehlerhaft<br />
ist. An der sofortigen Vollziehung einer rechtswidrigen<br />
Verfügung besteht kein besonderes öffentliches<br />
Interesse.<br />
Die Bevollmächtigte des Antragstellers legt in ihrer<br />
Beschwerdebegründung zu Recht dar, dass nach<br />
der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs<br />
der Aufnahmemitgliedstaat die Anerkennung eines in<br />
einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union<br />
ausgestellten Führerscheins nur dann ablehnen darf,<br />
wenn sich auf der Gr<strong>und</strong>lage von Angaben <strong>im</strong> Führerschein<br />
selbst oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat<br />
herrührenden unbestreitbaren Informationen feststellen<br />
lässt, dass die in Art. 7 Abs. 1 b der Richtlinie<br />
91/439/EWG aufgestellte Wohnsitzvoraussetzung<br />
zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins<br />
nicht erfüllt war (EuGH, U. v. 26. 06. 2008 – C-334/06<br />
u. a. – Zerche u. a. –, DAR 2008, 459). Die einschlägige<br />
deutsche Rechtsgr<strong>und</strong>lage des § 28 Abs. 4 Satz 1<br />
FeV ist gemeinschaftskonform deshalb so anzuwenden,<br />
dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der<br />
Nr. 2 <strong>und</strong> Nr. 3 dieser Vorschrift kumulativ vorliegen<br />
müssen (Hess. VGH, B. v. 18.06.2009 – 2 B 255/09 –<br />
[BA 2009, 354]; vgl. auch Bay. VGH, B. v.<br />
07. 08. 2008 – 11 ZB 07. 1259 –, DAR 2008, 662).<br />
Zwar ist <strong>im</strong> vorliegenden Fall dem Antragsteller die<br />
Fahrerlaubnis mit Strafbefehl des Amtsgerichts Kassel<br />
vom 18. Mai 2006 rechtskräftig entzogen worden <strong>und</strong><br />
mit Bescheid des Antragsgegners vom 28. März 2007<br />
die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis bestandskräftig<br />
versagt worden. Der Antragsgegner kann aber ent<strong>gegen</strong><br />
seiner <strong>und</strong> der Auffassung des Verwaltungsgerichts<br />
die Anerkennung des dem Antragsteller in Polen<br />
ausgestellten Führerscheins nicht ohne Rücksicht auf<br />
das Vorliegen der nach der Rechtsprechung des Europäischen<br />
Gerichtshofs dafür maßgeblichen Voraussetzungen<br />
ablehnen.<br />
Der Antragsgegner stützt seinen Bescheid vom<br />
09. April 2009 allein auf die rechtskräftige Entziehung<br />
der Fahrerlaubnis des Antragstellers <strong>und</strong> die bestandskräftige<br />
Versagung der von diesem beantragten Fahrerlaubnis<br />
mit den o. g. Bescheiden. Auf die Frage, ob<br />
er gemäß § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV auf der Gr<strong>und</strong>lage<br />
der oben dargestellten Rechtsprechung des Europäischen<br />
Gerichtshofs zur Nichtanerkennung des polnischen<br />
Führerscheins des Antragstellers berechtigt<br />
ist, geht er nicht ein. Dies gilt auch für das Verwaltungsgericht,<br />
nach dessen Auffassung „europarechtliche<br />
Regelungen“ der von dem Antragsgegner festgestellten<br />
Nichtberechtigung des Antragstellers, von<br />
seiner Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen,<br />
nicht ent<strong>gegen</strong>stünden. Dabei sei zu beachten,<br />
dass Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG<br />
Mitgliedstaaten verpflichte, die Anerkennung der Gültigkeit<br />
eines EU-Führerscheins abzulehnen, der von<br />
einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt worden sei,<br />
wenn der Führerschein <strong>im</strong> Hoheitsgebiet des erstgenannten<br />
Mitgliedstaates eingeschränkt, ausgesetzt<br />
oder entzogen worden sei. Diese Vorschrift gelte nach
Art. 18 der Richtlinie ab 19. Januar 2009 mit der<br />
Folge, dass die „zuvor ergangene EU-Rechtsprechung<br />
der Anwendbarkeit des § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV nicht<br />
mehr ent<strong>gegen</strong>gehalten werden kann“.<br />
Diese Auffassung des Verwaltungsgerichts unterliegt<br />
erheblichen rechtlichen Zweifeln. Es ist schon<br />
offen, ob Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2006/<br />
126/EG die einschlägige Rechtsgr<strong>und</strong>lage für den hier<br />
zu beurteilenden Sachverhalt ist, in dem es um die Anerkennung<br />
eines von einem EU-Mitgliedstaat ausgestellten<br />
Führerscheins geht. Maßgeblich ist Art. 11<br />
Abs. 4, nach dessen Unterabs. 2 ein Mitgliedstaat die<br />
Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ablehnt,<br />
der von einem anderen Mitgliedstaat einer<br />
Person ausgestellt wurde, deren Führerschein <strong>im</strong> Hoheitsgebiet<br />
des erstgenannten Mitgliedstaates eingeschränkt,<br />
ausgesetzt oder entzogen worden ist. Ob insoweit<br />
auf der Gr<strong>und</strong>lage des Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie<br />
schon heute eine EU-Fahrerlaubnis etwa <strong>im</strong><br />
Hinblick auf die Anerkennung in einem anderen EU-<br />
Mitgliedstaat eingeschränkt werden kann, ist umstritten.<br />
Nach Art. 18 Unterabs. 2 der Richtlinie gilt<br />
Art. 11 Abs. 4 ab dem 19. Januar 2009. Nach Art. 13<br />
Abs. 2 Richtlinie darf eine vor dem 19. Januar 2013 erteilte<br />
Fahrerlaubnis aufgr<strong>und</strong> der Best<strong>im</strong>mungen der<br />
Richtlinie weder entzogen noch in irgendeiner Weise<br />
eingeschränkt werden. Auf der Gr<strong>und</strong>lage der letztgenannten<br />
Vorschrift wird die Auffassung vertreten, dass<br />
Art. 11 Abs. 4 erst ab dem 19. Januar 2013 Wirkung<br />
entfalte (Geiger, Neues Ungemach durch die 3. Führerscheinrichtlinie<br />
der Europäischen Gemeinschaften?,<br />
DAR 2007, 126, 128). Nach anderer Auffassung<br />
ist Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie am 19. Januar 2009 mit<br />
der Folge in Kraft getreten, dass er uneingeschränkt <strong>im</strong><br />
Hinblick auf die Ablehnung der Anerkennung eines<br />
EU-Führerscheins angewandt werden kann (Janker,<br />
Das vorläufige Ende des Führerschein-Tourismus,<br />
DAR 2009, 181, 184). Es sei fraglich, ob Art. 13<br />
Abs. 2 der Richtlinie unabhängig von dem Regelungs<strong>gegen</strong>stand<br />
des Art. 13 ausweislich seiner Überschrift<br />
„Äquivalenzen zwischen nicht dem EG-Muster entsprechenden<br />
Führerscheinen“ gr<strong>und</strong>sätzlich <strong>und</strong> allgemein<br />
auf alle Tatbestände der Entziehung von Fahrerlaubnissen<br />
nach der Richtlinie angewandt werden<br />
könne. Nach dieser erkennbar auch von dem Antragsgegner<br />
vertretenen Auffassung soll nach dem Sinn <strong>und</strong><br />
Zweck des Art. 13 der Richtlinie nur klargestellt werden,<br />
dass „Äquivalenzen“ zwischen den bestehenden<br />
Führerscheinen <strong>und</strong> dem klaren Sinn des Art. 4 der<br />
Richtlinie durch die Umsetzung des Art. 11 Abs. 4 bis<br />
6 nicht blockiert werden sollten. Äquivalenzen sollen<br />
nicht eine so schwerwiegende Bedeutung erlangen,<br />
dass sie als Gr<strong>und</strong>lage für die Nichtanwendung der bis<br />
zum 19. Januar 2013 erteilten Fahrerlaubnisse dienen<br />
können (Thoms, Ab wann gelten die 3. Europäischen<br />
Führerscheinrichtlinien?, DAR 2007, 287, 288).<br />
Für diese letztgenannte Auffassung könnte auch<br />
sprechen, dass bei einer Auslegung dahingehend, dass<br />
generell eine vor dem 19. Januar 2013 erteilte Fahrerlaubnis<br />
weder entzogen noch in irgendeiner Weise eingeschränkt<br />
werden kann, für eine Anwendung des aus-<br />
Rechtsprechung<br />
155<br />
drücklich gemäß Art. 18 Unterabs. 2 der Richtlinie ab<br />
19. Januar 2009 geltenden Art. 11 Abs. 4 kein Raum<br />
bliebe. Die Vorschrift könnte auf alle bis zum 19. Januar<br />
2013 erteilten Fahrerlaubnisse nicht angewandt<br />
werden, obwohl sie seit dem 19. Januar 2009 gelten<br />
soll. Für ein solches Ergebnis lassen sich der Neufassung<br />
der Richtlinie 2006, die ausdrücklich der<br />
Bekämpfung des „Führerscheintourismus“ dienen soll<br />
(vgl. dazu Hess. VGH, B. v. 19. 02. 2007 – 2 TG 13/07<br />
–, NJW 2007, 1897 [= BA 2007, 332]), keine Anhaltspunkte<br />
entnehmen.<br />
Diese Frage kann aber hier <strong>im</strong> Ergebnis dahingestellt<br />
bleiben, da sowohl bei Anwendung des Art. 8<br />
Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG – 2. Führerscheinrichtlinie<br />
– als auch des Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie<br />
2006/126/EG – 3. Führerscheinrichtlinie – die Anerkennung<br />
von EU-Führerscheinen wegen Verstoßes<br />
<strong>gegen</strong> das o. g. Wohnsitzprinzip nur nach Maßgabe der<br />
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs insbesondere<br />
in seinem o. g. Urteil vom 26. Juni 2006 abgelehnt<br />
werden kann. Diese Rechtsprechung erging zu<br />
Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439EWG unter Bezug<br />
auf das Wohnsitzerfordernis des Art. 7 Abs. 1 b der<br />
2. Führerscheinrichtlinie. Die entsprechende Normierung<br />
der Voraussetzung eines ordentlichen Wohnsitzes<br />
<strong>im</strong> Hoheitsgebiet des den Führerschein ausstellenden<br />
Mitgliedstaats findet sich nun in Art. 7 Abs. 1 e) der<br />
3. Führerscheinrichtlinie. Die Vorschrift ist inhaltlich<br />
unverändert geblieben. Auch Art. 11 Abs. 4 der 3. Führerscheinrichtlinie<br />
ist <strong>im</strong> Hinblick auf die dort normierten<br />
Voraussetzungen unverändert <strong>gegen</strong>über den<br />
Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 4 der 2. Führerscheinrichtlinie.<br />
Dies spricht dafür, dass die Rechtsprechung<br />
des Europäischen Gerichtshofs zur Ablehnung<br />
der Anerkennung eines EU-Führerscheins <strong>im</strong><br />
Hinblick auf das Wohnsitzprinzip unverändert anzuwenden<br />
ist. Der Unterschied zwischen den beiden<br />
Vorschriften, der allein darin liegt, dass der EU-Mitgliedstaat<br />
nunmehr die Anerkennung der Gültigkeit<br />
eines Führerscheins, für den die Voraussetzungen des<br />
Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie vorliegen, ablehnt,<br />
also <strong>im</strong> Unterschied zu Art. 8 Abs. 4 der 2. Führerscheinrichtlinie<br />
kein Ermessen mehr auszuüben hat,<br />
stellt inhaltlich keine relevante Änderung dar, die dazu<br />
führen könnte, dass angesichts der unverändert gebliebenen<br />
Voraussetzungen der beiden Normen das maßgebliche<br />
Wohnsitzprinzip <strong>und</strong> die dazu ergangene<br />
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht<br />
mehr anzuwenden wäre. Auch wenn der neue Art. 11<br />
Abs. 4 der 3. Führerscheinrichtlinie nach dem übereinst<strong>im</strong>menden<br />
Willen des Rates der Europäischen<br />
Union, der EU-Kommission <strong>und</strong> des Europäischen<br />
Parlaments – wie oben dargelegt – erkennbar zur<br />
Bekämpfung des „Führerscheintourismus“ neu gefasst<br />
worden ist, ist nach der Rechtsprechung des Europäischen<br />
Gerichtshofs jedenfalls derzeit nicht erkennbar,<br />
dass dieser angesichts der wörtlichen Übereinst<strong>im</strong>mung<br />
der Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 4 der<br />
2. Führerscheinrichtlinie <strong>und</strong> des Art. 11 Abs. 4 der<br />
3. Führerscheinrichtlinie seine Rechtsprechung zur<br />
Anerkennung von EU-Führerscheinen <strong>im</strong> Hinblick auf<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
156 Rechtsprechung<br />
das Vorliegen eines ordentlichen Wohnsitzes ändern<br />
würde. Es muss deshalb bis zu einer ausdrücklichen<br />
Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu<br />
Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG davon ausgegangen<br />
werden, dass seine Rechtsprechung zum<br />
Wohnsitzprinzip auch für diese Vorschrift weiter gilt.<br />
Es bleibt daher dahingestellt, ob die Nichtanerkennung<br />
des Führerscheins des Antragstellers durch den Antragsgegner<br />
gemäß § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 <strong>und</strong><br />
3 FeV hinsichtlich der Frage eines ordentlichen Wohnsitzes<br />
des Antragstellers in Polen <strong>im</strong> Zeitpunkt der<br />
Ausstellung des Führerscheins unter Berücksichtigung<br />
von Art. 8 Abs. 4 der 2. Führerscheinrichtlinie oder des<br />
Art. 11 Abs. 4 der 3. Führerscheinrichtlinie zu beurteilen<br />
ist.<br />
Auf der Gr<strong>und</strong>lage des o. g. Urteils des Europäischen<br />
Gerichtshofs vom 26. Juni 2008 ist der Antragsgegner<br />
nicht berechtigt, den polnischen Führerschein<br />
des Antragstellers wegen Verletzung des Wohnsitzprinzips<br />
nicht anzuerkennen. In dem Führerschein ist<br />
als Wohnort „Slubice“ in Polen angegeben. Es gibt<br />
keine von dem Ausstellermitgliedstaat Polen herrührenden<br />
unbestreitbaren Informationen, nach denen<br />
festzustellen ist, dass die Wohnsitzvoraussetzung des<br />
Art. 7 Abs. 1 b der Richtlinie 91/439 bzw. Art. 7<br />
Abs. 1 e) der Richtlinie 2006/126 <strong>im</strong> Zeitpunkt der<br />
Ausstellung des Führerscheins nicht erfüllt war. Das<br />
Landratsamt in Slubice hat vielmehr in einer von der<br />
Bevollmächtigten des Antragstellers auch in deutscher<br />
Übersetzung vorgelegten Bescheinigung vom 12. Mai<br />
2009 dargelegt, der Antragsteller habe den Führerschein<br />
auch aufgr<strong>und</strong> der Tatsache „des nachgewiesenen<br />
vorläufigen Aufenthalts in der Ortschaft Slubice<br />
sowie der Erklärung über die strafrechtliche Verantwortlichkeit<br />
für die falsche Angabe über den Aufenthalt<br />
<strong>im</strong> Gebiet der Republik Polen über 185 Tage in<br />
jedem Kalenderjahr“ bekommen. Danach liegen erkennbar<br />
keine von dem Ausstellermitgliedstaat herrührenden<br />
unbestreitbaren Informationen vor, nach<br />
denen der Antragsteller <strong>im</strong> Zeitpunkt der Ausstellung<br />
des polnischen Führerscheins seinen ordentlichen<br />
Wohnsitz nicht in Polen gehabt hätte.<br />
Soweit der Antragsgegner – <strong>im</strong> vorliegenden Fall<br />
durchaus nachvollziehbare – begründete Zweifel am<br />
Vorliegen der Wohnsitzvoraussetzung hat, hat er dies<br />
nach dem o. g. Urteil des Europäischen Gerichtshofs<br />
vom 26. Juni 2008 dem Ausstellermitgliedstaat nach<br />
dem Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 91/439/EWG<br />
entsprechenden Art. 15 Satz 1 der Richtlinie 2006/<br />
126/EG mitzuteilen. Falls der Ausstellermitgliedstaat<br />
nicht die geeigneten Maßnahmen ergreift, kann der<br />
Aufnahmemitgliedstaat <strong>gegen</strong> diesen Staat ein Verfahren<br />
nach Art. 227 EG-Vertrag einleiten, um durch den<br />
Europäischen Gerichtshof einen Verstoß <strong>gegen</strong> die<br />
Verpflichtungen aus der Führerscheinrichtlinie feststellen<br />
zu lassen.<br />
Be<strong>im</strong> derzeitigen Verfahrensstand durfte der Antragsgegner<br />
nach der Rechtsprechung des Europäischen<br />
Gerichtshofs die Anerkennung des polnischen<br />
Führerscheins des Antragstellers nicht ablehnen. Die<br />
Feststellung des Antragsgegners, der Antragsteller sei<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
nicht berechtigt, ein Kraftfahrzeug in Deutschland zu<br />
führen, ist deshalb rechtsfehlerhaft.<br />
31. Eine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen<br />
wegen der Einnahme von Betäubungsmitteln<br />
(hier: Methamphetamin) i. S. d. § 3 Abs. 1<br />
StVG i. V. m. § 46 FeV i. V. m. § 4 Abs. 1 FeV i. V. m.<br />
Nr. 9.1 der Anlage 4 FeV liegt auch dann vor, wenn<br />
die von der sog. Grenzwertkommission beschlossenen<br />
Grenzwerte zu § 24a Abs. 2 StVG nicht erreicht<br />
werden, da es allein auf die Frage der „Einnahme“<br />
ankommt.<br />
Verwaltungsgericht Leipzig,<br />
Beschluss vom 21. Januar 2010 – 1 L 1833/09 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz<br />
<strong>gegen</strong> die sofortige Vollziehung des Bescheides vom<br />
02. 10. 2009, mit dem ihm der Antragsgegner die Fahrerlaubnis<br />
entzogen hat.<br />
Der Antragsteller ist Inhaber der Fahrerlaubnis der<br />
Klassen A, BE, C1E, M <strong>und</strong> L. Bei einer verkehrspolizeilichen<br />
Kontrolle am 04. 07. 2009 wurde der Antragsteller<br />
als Führer eines Pkws <strong>gegen</strong> 23:45 Uhr<br />
angehalten <strong>und</strong> kontrolliert. Ein Drugwipetest verlief<br />
positiv auf Cannabis <strong>und</strong> Amphetamine. Die<br />
chemisch-toxikologische Untersuchung der anlässlich<br />
dieser Kontrolle am 05. 07. 2009 um 00:22 Uhr<br />
entnommenen Blutprobe durch das Institut für<br />
Rechtsmedizin der Universität L. (Bef<strong>und</strong>bericht vom<br />
09. 07. 2009) ergab in Bezug auf Amphetamine <strong>und</strong><br />
Cannabinoide einen positiven Bef<strong>und</strong>. Es konnten<br />
14,5 ng/ml Methamphetamin, 43,2 ng/ml Tetrahydrocannabinol<br />
(THC) <strong>und</strong> THC-Abbauprodukte<br />
(68,1 ng/ml THC-Carbonsäure <strong>und</strong> 9,2 ng/ml 11-Hydroxy-Tetrahydrocannabinol)<br />
nachgewiesen werden.<br />
Durch die chemisch-toxikologische Untersuchung sei<br />
die Aufnahme von Methamphetamin <strong>und</strong> Cannabis<br />
nachgewiesen.<br />
Unter dem 18. 08. 2009 hörte der Antragsgegner den<br />
Antragsteller zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis<br />
an <strong>und</strong> räumte ihm die Möglichkeit zur Äußerung<br />
bis zum 08. 09. 2009 ein. Mit bestandskräftigem<br />
Bußgeldbescheid vom 21. 09. 2009 wurde hinsichtlich<br />
der Tat vom 04. 07. 2009 <strong>gegen</strong> den Antragsteller<br />
ein Bußgeld i. H. v. 842,84 € <strong>und</strong> 1 Monat<br />
Fahrverbot verhängt. Durch das Führen eines Kraftfahrzeugs<br />
unter Wirkung berauschender Mittel habe er<br />
eine Ordnungswidrigkeit begangen (§ 24a Abs. 2, 3,<br />
§ 25 StVG; 242 BKat; § 4 Abs. 3 BKatV).<br />
Mit Bescheid vom 02.10.2009 entzog der Antragsgegner<br />
dem Antragsteller die Erlaubnis zum Führen<br />
von Kraftfahrzeugen.<br />
Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller am<br />
05. 10. 2009 Widerspruch <strong>und</strong> führte aus, die Entziehung<br />
der Fahrerlaubnis wäre unverhältnismäßig, da<br />
die festgestellte Methamphetaminkonzentration von<br />
14,5 ng/ml unter dem von der sogenannten Grenzwert-
kommission beschlossenen analytischem Grenzwert<br />
von 25 ng/ml liege. Damit seien die Merkmale des<br />
§ 24a Abs. 2 Satz 1 StVG nicht erfüllt. Die Voraussetzungen<br />
des § 24a Abs. 2 StVG seien nur hinsichtlich<br />
der Cannabismenge gegeben. Bei diesem Cannabiskonsum<br />
handele es sich jedoch um einen einmaligen<br />
Vorfall. Er sei am 11.11. 2009 Vater eines Kindes<br />
geworden. Am Vorfalltag habe er daher mit seinen<br />
Fre<strong>und</strong>en eine entsprechende „Abschiedsfete“ von seinem<br />
langjährigen Junggesellendasein gefeiert. An diesem<br />
Tag habe er einmal etwas Ungewöhnliches machen<br />
wollen. Dies habe dazu geführt, dass er die <strong>im</strong><br />
Blut nachgewiesenen Stoffe zu sich genommen habe.<br />
Eine Abhängigkeit von Betäubungsmitteln sei bei ihm<br />
nicht gegeben. Er sei bereit, sich einer ärztlichen Begutachtung<br />
zu unterziehen.<br />
Mit Bescheid vom 26.11. 2009 setzte der Antragsgegner<br />
<strong>gegen</strong>über dem Antragsteller ein Zwangsgeld<br />
i. H. v. 300,00 € fest, da er den Führerschein nicht<br />
abgegeben hat. Hier<strong>gegen</strong> erhob der Antragsteller<br />
am 02. 12. 2009 Widerspruch. Mit Schreiben vom<br />
07.12. 2009 teilte der Antragsgegner dem Antragsteller<br />
mit, dass seinem Antrag auf Aussetzung der sofortigen<br />
Vollziehung des Bescheides vom 02. 10. 2009<br />
nicht entsprochen werde.<br />
Der Antragsteller hat am 10. 12. 2009 einen Antrag<br />
auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt. Zur Begründung<br />
wiederholt er seinen Vortrag <strong>und</strong> führt aus, die<br />
Entziehung der Fahrerlaubnis sei hier unverhältnismäßig,<br />
da der Entzug der Fahrerlaubnis einen äußerst<br />
gravierenden Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht darstelle.<br />
Es führe zu einer erheblichen Belastung des<br />
Antragstellers. Er sei Berufsmusiker <strong>und</strong> absolviere<br />
mit seinen Musikern <strong>im</strong> Jahr ca. 60 bis 70 Konzerte, zu<br />
denen er stets das Fahrzeug mit den Instrumenten<br />
fahre. Die Entziehung der Fahrerlaubnis beeinträchtige<br />
ihn daher <strong>im</strong> besonderen Maß in seiner beruflichen<br />
Lebensführung bis zur möglichen Vernichtung seiner<br />
beruflichen Existenz.<br />
Aus den Gründen:<br />
Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist<br />
unbegründet.<br />
Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit<br />
des Bescheides vom 02. 10. 2009 (§ 113<br />
Abs. 1 Satz 1 VwGO entsprechend).<br />
Die Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis<br />
des Antragstellers liegen vor.<br />
Gemäß § 3 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz – StVG –<br />
i. V. m. § 46 Abs. 1 Fahrerlaubnisverordnung – FeV –<br />
hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen,<br />
wenn sich deren Inhaber zum Führen von<br />
Kraftfahrzeugen als ungeeignet erweist. Ungeeignet<br />
ist dabei insbesondere derjenige, bei dem Erkrankungen<br />
oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zu den<br />
§§ 11, 13 <strong>und</strong> 14 FeV vorliegen. Die Ungeeignetheit<br />
des Antragstellers folgt hier aus § 3 Abs. 1 StVG<br />
i. V. m. § 46 Abs. 1 FeV i. V. m. Nr. 9.1 der Anlage 4<br />
FeV. Danach ist <strong>im</strong> Regelfall die Eignung zum Führen<br />
von Kraftfahrzeugen bei der Einnahme von Betäubungsmitteln<br />
i. S. des Betäubungsmittelgesetzes –<br />
Rechtsprechung<br />
157<br />
BtMG – (ausgenommen Cannabis) – ausgeschlossen<br />
(vgl. SächsOVG, Beschl. v. 04. 02. 2003 – 3 BS 65/02<br />
– [BA 2004, 556]; OVG Rh.-Pf., Urt. v. 23. 05. 2000 –<br />
7 A 12289/99 – [BA 2001, 73]; VG Leipzig, Beschl. v.<br />
27. 09. 2002 – 1 K 1296/02 –; Urt. v. 17.12. 2001 – 1 K<br />
1513/01 –). Das Merkmal der Ungeeignetheit wird<br />
dabei nicht an einen mehrmaligen oder gewohnheitsmäßigen<br />
Gebrauch von <strong>Drogen</strong> geknüpft. Für einen<br />
Eignungsausschluss i. S. d. § 4 Abs. 1 FeV i. V.m.<br />
Nr. 9.1 der Anlage 4 FeV genügt bereits der Nachweis<br />
des einmaligen Konsums eines <strong>im</strong> Betäubungsmittelgesetz<br />
aufgeführten Rauschmittels außer Cannabis,<br />
jedenfalls dann, wenn – wie hier – ein Bezug zum<br />
Straßenverkehr besteht (vgl. SächsOVG, Beschl. v.<br />
09. 11.2004 – 3 BS 404/03 –).<br />
Diese Voraussetzungen liegen in der Person des Antragstellers<br />
vor. Auf Gr<strong>und</strong> des Bef<strong>und</strong>berichts des<br />
Instituts für Rechtsmedizin der Universität L. vom<br />
09. 07. 2009 steht fest, dass der Antragsteller Betäubungsmittel<br />
i. S. d. Betäubungsmittelgesetzes eingenommen<br />
hat. Die <strong>im</strong> Blut des Antragstellers festgestellte<br />
Substanz Methamphetamin mit 14,5 ng/ml ist<br />
ein Betäubungsmittel i. S. d. § 1 Abs. 1 BtMG i. V. m.<br />
der Anlage I <strong>und</strong> II zu § 1 Abs. 1 BtMG. Der Antragsteller<br />
hat selbst die Einnahme von Methamphetamin<br />
<strong>und</strong> Cannabis am 04. 07. 2009 eingeräumt. Der Umstand,<br />
dass es sich hierbei am 04. 07. 2009 um eine einmalige<br />
Einnahme gehandelt haben mag, <strong>und</strong> dass der<br />
Antragsteller die Substanzen auf Gr<strong>und</strong> einer „Abschiedsfete“<br />
von seinem langjährigen Junggesellendasein<br />
eingenommen hat, ist unerheblich. Die Frage, ob<br />
die <strong>im</strong> Übrigen be<strong>im</strong> Antragsteller festgestellten Werte<br />
bzgl. des Cannabiskonsums eine Entziehung der Fahrerlaubnis<br />
rechtfertigen können, bedarf hier keiner abschließenden<br />
Entscheidung, da allein die festgestellte<br />
Einnahme des Betäubungsmittels Methamphetamin<br />
die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtfertigt.<br />
In der Rechtsprechung der erkennenden Kammer<br />
<strong>und</strong> der obergerichtlichen Rechtsprechung ist geklärt,<br />
dass regelmäßig schon die einmalige Einnahme eines<br />
Betäubungsmittel i. S. d. Betäubungsmittelgesetzes jedenfalls,<br />
wenn wie hier ein Bezug zum Straßenverkehr<br />
besteht, die Annahme rechtfertigt, dass die konsumierende<br />
Person zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet<br />
ist (vgl. VG Leipzig, Beschl. v. 09. 06. 2006 –<br />
1 K 252/06 – m. Rspr.N.). In diesem Beschluss hat die<br />
Kammer ausgeführt:<br />
„Ent<strong>gegen</strong> der Auffassung des Antragstellers<br />
kommt es für die Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung<br />
nicht darauf an, ob <strong>im</strong> Zeitpunkt des<br />
Vorfalls am 30. 09. 2005 eine tatsächliche Beeinträchtigung<br />
seiner Fahrtauglichkeit vorgelegen hat.<br />
In der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. u.a.<br />
OVG Lüneburg, Beschl. v. 14. 08. 2002, Az.: 12 ME<br />
566/02, zitiert nach Juris; OVG Koblenz, Beschl. v.<br />
21.11. 2000, DAR 2001, 183; VGH Baden-Württemberg,<br />
Beschl. v. 15. 05. 2002, NZV 2003, 56;<br />
Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., Rn. 2 zu<br />
§ 14 FeV) <strong>und</strong> der der Kammer (vgl. Beschl. v.<br />
10. 05. 2005, Az.: 1 K 373/05) ist geklärt, dass regelmäßig<br />
schon die einmalige Einnahme von Co-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
158 Rechtsprechung<br />
cain oder eines anderen von der Regelung in Nr. 9.1<br />
der Anlage 4 erfassten Betäubungsmittels – jedenfalls<br />
dann, wenn wie hier ein Bezug zum Straßenverkehr<br />
besteht (vgl. SächsOVG, Beschl. v.<br />
09. 11. 2004, Az.: 3 BS 404/03) – die Annahme<br />
rechtfertigt, dass die konsumierende Person zum<br />
Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Dies<br />
folgt zum einen aus dem Wortlaut der genannten<br />
Regelung, der von der ,Einnahme‘ eines Betäubungsmittels<br />
spricht <strong>und</strong> damit einen Begriff verwendet,<br />
der auch den einmaligen Konsum umfasst,<br />
zum anderen aus der Systematik der Regelung in<br />
Nr. 9 der Anlage 4. Im Gegensatz zu den Nrn. 9.2<br />
(betreffend die regelmäßige oder gelegentliche<br />
Einnahme von Cannabis), 9.3 (betreffend die Abhängigkeit<br />
von Betäubungsmitteln oder anderen<br />
psychoaktiv wirkenden Stoffen) <strong>und</strong> 9.4 (betreffend<br />
die missbräuchliche Einnahme von psychoaktiv<br />
wirkenden Arzne<strong>im</strong>itteln oder Stoffen) knüpft<br />
Nr. 9.1 der Anlage 4 allein an die Einnahme eines<br />
Betäubungsmittels an <strong>und</strong> verlangt damit gerade<br />
nicht eine die Fahreignung ausschließende Verhaltensweise<br />
oder einen missbräuchlichen, regelmäßigen<br />
oder gelegentlichen Konsum. Die darin zum<br />
Ausdruck kommende normative Strenge ist der besonderen<br />
Gefährlichkeit dieser Betäubungsmittel<br />
als so genannte harte <strong>Drogen</strong>, die sich auch in ihrer<br />
Aufnahme in den Katalog des Betäubungsmittelgesetzes<br />
ausdrückt, geschuldet. Dies rechtfertigt, dass<br />
der Verordnungsgeber in der Anlage 4 bei den harten<br />
<strong>Drogen</strong> auf den klaren Begriff der ,Einnahme‘<br />
abstellt, ohne dass <strong>im</strong> Einzelfall von den Fahrerlaubnisbehörden<br />
<strong>und</strong> den Gerichten geprüft werden<br />
muss, inwieweit das jeweilige Betäubungsmittel<br />
be<strong>im</strong> jeweiligen Fahrerlaubnisinhaber wirksam<br />
war.“<br />
Insofern ist hier ausschlaggebend, dass der Antragsteller<br />
nach der Einnahme eines Betäubungsmittels<br />
unter dessen Einfluss ein Kraftfahrzeug <strong>im</strong> Straßenverkehr<br />
geführt <strong>und</strong> damit gezeigt hat, dass er nicht zuverlässig<br />
die Einnahme von Betäubungsmitteln <strong>und</strong><br />
die Teilnahme am Straßenverkehr trennen kann. Da<strong>gegen</strong><br />
kommt es für die Frage der Rechtmäßigkeit der<br />
Fahrerlaubnisentziehung nicht darauf an, ob <strong>im</strong> Zeitpunkt<br />
des Vorfalls am 04. 07. 2009 eine tatsächliche<br />
Beeinträchtigung der Fahrtauglichkeit des Antragstellers<br />
vorgelegen hat.<br />
Ebenso wenig kommt es darauf an, ob der Antragsteller<br />
den <strong>im</strong> Rahmen des § 24a Abs. 2 StVG von der<br />
sog. Grenzwertkommission (Arbeitsgruppe für Grenzfragen<br />
<strong>und</strong> Qualitätskontrolle der Deutschen Gesellschaft<br />
für Rechtsmedizin, der Deutschen Gesellschaft<br />
für Verkehrsmedizin <strong>und</strong> der Gesellschaft für Forensische<br />
<strong>und</strong> Toxikologische Chemie ) vom<br />
20. 11. 2002 beschlossenen Grenzwert für Amphetamin<br />
mit 25 ng/ml unterschritten oder überschritten hat.<br />
Dieser Grenzwert hat wegen der gebotenen verfassungskonformen<br />
Auslegung (vgl. BVerfG, Beschl. v.<br />
21.12. 2004, NJW 2005, 346 [= BA 2005, 156 mit<br />
Anm. Scheffler/ Halecker]) zwar Bedeutung für die<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Verwirklichung des Bußgeldtatbestandes des § 24a<br />
Abs. 2 StVG, nicht hin<strong>gegen</strong> für die Frage, ob<br />
Methamphetamin als Betäubungsmittel eingenommen<br />
wurde. Insofern greift auch nicht die vom Antragsteller<br />
in Bezug genommene Entscheidung des <strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgerichts<br />
vom 21.12. 2004 zu der Anwendung<br />
von § 24a Abs. 2 StVG. Denn sowohl die Voraussetzungen<br />
als auch die Regelungsziele des § 24a Abs. 2<br />
StVG unterscheiden sich zu den hier maßgeblichen<br />
Vorschriften des § 3 Abs. 1 StVG i. V. m. den Vorschriften<br />
der FeV. Während § 24a Abs. 2 StVG schon<br />
nach seinem Wortlaut verlangt, dass der Betroffene<br />
„unter der Wirkung“ eines der in der Anlage genannten<br />
berauschenden Mittels ein Kraftfahrzeug <strong>im</strong> Straßenverkehr<br />
geführt hat, verlangt § 3 Abs. 1 StVG i. V. m.<br />
§ 4 Abs. 1 FeV i. V.m. Nr. 9.1 der Anlage 4 FeV<br />
als präventives Einschreiten zur Gewährleistung der<br />
Sicherheit des Straßenverkehrs nur, dass eine „Einnahme“<br />
eines Betäubungsmittels gegeben ist. Für die Anwendbarkeit<br />
der FeV kann deshalb aus der Unterschreitung<br />
der Grenzwerte zu § 24a Abs. 2 StVG<br />
nichts hergeleitet werden, weil es für die Best<strong>im</strong>mung<br />
der Fahreignung eben nicht auf das Führen eines<br />
Kraftfahrzeugs unter der Wirkung einer („harten“)<br />
Droge ankommt, sondern lediglich auf den Nachweis<br />
der „Einnahme“ einer dieser <strong>Drogen</strong> (vgl. VG Ansbach,<br />
Gerichtsbescheid vom 27. 04. 2009 – AN 10 K<br />
09.00028 – zitiert nach Juris). Mithin hat der vom Antragsteller<br />
angeführte Grenzwert zwar Bedeutung für<br />
die Verwirklichung des § 24a Abs. 2 StVG, nicht aber<br />
für die hier interessierende Frage, ob Methamphetamin<br />
als Betäubungsmittel eingenommen wurde. Die<br />
für die Beurteilung der Kraftfahrteignung allein relevante<br />
Frage nach der Einnahme eines Betäubungsmittels<br />
lässt sich unabhängig von der etwaigen Konzentration<br />
des Betäubungsmittels beantworten (vgl. OVG<br />
Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 10. 06. 2009 – 1 S<br />
97.09 – [BA 2009, 357]; BayVGH, Beschl. v.<br />
30. 05. 2008 – 11 CS 08.127 – jeweils zitiert nach<br />
Juris).<br />
Vorliegend sind auch keine Umstände dafür erkennbar,<br />
dass ein von der Regelvermutung der Ungeeignetheit<br />
zum Führen von Kraftfahrzeugen abweichender<br />
Schluss gezogen werden könnte.<br />
Soweit der Antragsteller ausführt, er sei zu einer<br />
ärztlichen Begutachtung bereit, kommt es darauf nicht<br />
an. Denn die Einnahme von Methamphetamin <strong>und</strong> der<br />
Bezug zum Straßenverkehr belegt bereits die Ungeeignetheit<br />
des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen.<br />
Insofern begegnet es keinen rechtlichen Bedenken,<br />
dass der Antragsgegner dem Antragsteller die<br />
Fahrerlaubnis unmittelbar entzogen <strong>und</strong> von der Vorlage<br />
eines ärztlichen Gutachtens Abstand genommen<br />
hat (vgl. so auch VHG Bad.-Württ., Beschl. v.<br />
07. 03. 2003, VBlBW 2003, 358, 359 [= BA 2003,<br />
335]; BayVGH, Beschl. v. 03. 02. 2004 – 11 CS 04.157 –).<br />
Denn § 46 Abs. 3 i. V. m. § 11 Abs. 7 FeV best<strong>im</strong>mt<br />
ausdrücklich, dass die Anordnung zur Beibringung<br />
eines Gutachtens unterbleibt, wenn die Nichteignung<br />
des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde<br />
feststeht. Durch diese Best<strong>im</strong>mung hat der
Verordnungsgeber zu erkennen gegeben, dass eine Begutachtung<br />
nur bei Eignungszweifeln in Betracht<br />
kommt, nicht jedoch, wenn die mangelnde Eignung –<br />
wie hier – bereits feststeht <strong>und</strong> ohne Hinzuziehung<br />
eines Gutachtens über sie entschieden werden kann.<br />
Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist auch nicht unverhältnismäßig.<br />
Insbesondere hindert die Ahndung<br />
der Fahrt unter <strong>Drogen</strong>einfluss unter anderem mit<br />
einem Fahrverbot <strong>im</strong> Bußgeldverfahren die Entziehung<br />
der Fahrerlaubnis aus demselben Anlass nicht<br />
(vgl. VG Leipzig, Beschl. v. 03. 08. 2005 – 1 K 887/05 –;<br />
Hentschel Straßenverkehrrecht, 37. Aufl., § 3 StVG<br />
Rn. 24). Es handelt sich nicht um eine „Doppelbestrafung“.<br />
Denn die Entziehung der Fahrerlaubnis dient<br />
präventiven Zwecken <strong>und</strong> hat gerade keinen Strafcharakter.<br />
Gesichtspunkte, die hier ausnahmsweise das private<br />
Interesse des Antragstellers als überwiegend erscheinen<br />
ließen, sind nicht ersichtlich. Der Vortrag des<br />
Antragstellers, er benötige seine Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Zusammenhang<br />
mit seiner beruflichen Tätigkeit als Musiker,<br />
weil er das Fahrzeug mit den Instrumenten fahre,<br />
greift nicht. Vielmehr müssen private Interessen selbst<br />
dann, wenn es um die berufliche Existenz geht, hinter<br />
dem Interesse der Öffentlichkeit an der Gewährleistung<br />
der Sicherheit <strong>im</strong> Straßenverkehr zurücktreten<br />
(vgl. BVerfG, Beschl. v. 20. 06. 2002, DVBl 2002,<br />
2265, 1267 f. [= BA 2002, 362]).<br />
32. *) Bereits der einmalige Konsum sogenannter<br />
harter <strong>Drogen</strong> (hier: Kokain) rechtfertigt <strong>im</strong><br />
Regelfall die Annahme der Ungeeignetheit zum<br />
Führen von Kraftfahrzeugen.<br />
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen,<br />
Beschluss vom 30. September 2009 – 7 L 1006/09 –<br />
Aus den Gründen:<br />
Der Antrag [gemäß § 80 Abs. 5 VwGO] ist unbegründet.<br />
Die <strong>im</strong> Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens<br />
vorzunehmende Interessenabwägung fällt<br />
zu Lasten des Antragstellers aus, weil die Ordnungsverfügung,<br />
mit der dem Antragsteller die Fahrerlaubnis<br />
entzogen worden ist, bei summarischer Prüfung rechtmäßig<br />
ist.<br />
Mit Rücksicht auf das Vorbringen <strong>im</strong> Antragsverfahren<br />
ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass die Einnahme<br />
von Kokain die Kraftfahreignung unabhängig<br />
davon ausschließt, ob dadurch die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt<br />
war oder nicht. Es kommt nicht einmal<br />
darauf an, ob unter der Wirkung dieser sog. harten<br />
Droge ein Kraftfahrzeug geführt worden ist (Nr. 9.1<br />
der An-lage 4 zu §§ 11, 13 <strong>und</strong> 14 der Fahrerlaubnis-<br />
Verordnung – FeV –; vgl. auch: Nr. 3.12.1 der Begutachtungs-Leitlinien<br />
zur Kraftfahrereignung des gemeinsamen<br />
Beirats für Verkehrsmedizin be<strong>im</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esministerium<br />
für Verkehr, Bau- <strong>und</strong> Wohnungswesen<br />
<strong>und</strong> be<strong>im</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esministerium für Ges<strong>und</strong>heit, Berichte<br />
der <strong>B<strong>und</strong></strong>esanstalt für Straßenwesen, Bergisch-<br />
Rechtsprechung<br />
159<br />
Gladbach, Februar 2000). Dass der Antragsteller Kokain<br />
konsumiert hat, ergibt sich aus dem Gutachten<br />
vom 16. Juni 2009 von Prof. Dr. E., Institut für Rechtsmedizin<br />
der Universität E., demzufolge bei dem Antragsteller<br />
am 12. März 2009 Kokain in der Blutprobe<br />
nachgewiesen worden ist, was einen Konsum dieser<br />
Droge bestätigt.<br />
Angesichts dieser Feststellung, dass der Antragsteller<br />
nachweislich Kokain konsumiert hat, kommt es<br />
rechtlich nicht darauf an, ob er regelmäßig diese oder<br />
andere <strong>Drogen</strong> konsumiert. Schon der einmalige Konsum<br />
harter <strong>Drogen</strong> ist gr<strong>und</strong>sätzlich ausreichend, die<br />
Kraftfahreignung zu verneinen (vgl. OVG NRW, Beschluss<br />
vom 06. März 2007 – 16 B 332/07 –, VRS 112<br />
, 371 [= BA 2007, 192]; BayVGH, Beschlüsse<br />
vom 20. September 2006 – 11 CS 05.2143 –, juris, <strong>und</strong><br />
14. Februar 2006 – 11 CS 05.1406 –, juris; OVG Saarland,<br />
Beschluss vom 30. März 2006 –1 W 8/06 –, juris;<br />
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. November<br />
2004 – 10 S 2182/04 –, VRS 108 , 123 f.<br />
[= BA 2006, 247]; OVG Brandenburg, Beschluss vom<br />
22. Juli 2004 – 4 B 37/04 –, VRS 107 , 397<br />
[= BA 2006, 60]; OVG Lüneburg, Beschlüsse vom<br />
16. Februar 2004 – 12 ME60/04 –, BA 2004, 475, <strong>und</strong><br />
16. Juni 2003 – 12 ME 172/03 –, DAR 2003, 432 f.<br />
[= BA 2003, 465]; a. A. nur: HessVGH, Beschluss<br />
vom 14. Januar 2002 – 2 TG 30008/01 –, ZfSch 2002,<br />
599 [= BA 2003, 70]).<br />
Soweit der Antragsteller vortragen lässt, er habe<br />
kein Fahrzeug geführt, ist dies nach der dargestellten<br />
Rechtslage unerheblich <strong>und</strong> steht <strong>im</strong> Übrigen <strong>im</strong><br />
Gegensatz zu den Feststellungen der Polizei, nach<br />
deren Bericht der Antragsteller <strong>und</strong> sein Fahrzeug vor<br />
der Kontrolle angehalten worden sind. Auch die Angabe,<br />
er habe nur einmalig <strong>Drogen</strong> konsumiert, ist ebenfalls<br />
rechtlich nicht erheblich, erscheint aber angesichts<br />
der Tatsache, dass der Antragsteller außerdem<br />
Cannabis konsumiert hatte <strong>und</strong> mehrere „Bubbles“ mit<br />
verm. Kokain dabei hatte, unglaubhaft.<br />
Ein Ermessen steht dem Antragsgegner bei feststehender<br />
Ungeeignetheit nicht zu. Angesichts dessen bestehen<br />
auch keinerlei Bedenken <strong>gegen</strong> die Anordnung<br />
der sofortigen Vollziehung der Entziehungsverfügung.<br />
Die vom Antragsteller ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit<br />
erscheint zu groß, als dass sie bis zur<br />
Entscheidung der Hauptsache hingenommen werden<br />
könnte. Vielmehr besteht ein das Suspensivinteresse<br />
des Antragstellers überwiegendes öffentliches Interesse<br />
daran, ihn durch eine sofort wirksame Maßnahme<br />
vorläufig von der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr<br />
auszuschließen. Etwaige berufliche <strong>und</strong><br />
persönliche Nachteile hat er deshalb hinzunehmen. Es<br />
ist auch nicht ersichtlich, dass die Voraussetzungen für<br />
die Entziehung der Fahrerlaubnis inzwischen nicht<br />
mehr vorliegen. Es bleibt dem Antragsteller unbenommen,<br />
den hierfür erforderlichen Nachweis in einem<br />
späteren Wiedererteilungsverfahren durch eine medizinisch-psychologische<br />
Untersuchung zu führen, die<br />
dann zwingend vorgeschrieben ist (vgl. § 14 Abs. 2<br />
FeV).<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
160 Rechtsprechung<br />
33. Die Fahrerlaubnis-Verordnung schreibt keine<br />
zeitliche Grenze für die Anordnung einer<br />
medizinisch-psychologischen Untersuchung (hier:<br />
gemäß § 13 S. 1 Nr. 2 c FeV wegen Führen eines<br />
Fahrrades mit einer BAK 2,46 ‰) vor, so dass sich<br />
eine solche gr<strong>und</strong>sätzlich nach den Tilgungsfristen<br />
für die Eintragungen <strong>im</strong> Verkehrszentralregister<br />
nach § 29 StVG richtet.<br />
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen,<br />
Beschluss vom 28. Januar 2010 – 7 L 4/10 –<br />
Aus den Gründen:<br />
Der sinngemäß gestellte Antrag, die aufschiebende<br />
Wirkung der Klage <strong>gegen</strong> die Ordnungsverfügung des<br />
Antragsgegners vom 16. Dezember 2009 anzuordnen,<br />
ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zulässig, aber unbegründet.<br />
Die <strong>im</strong> Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens<br />
vorzunehmende Interessenabwägung<br />
fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Die<br />
Ordnungsverfügung, mit der der Antragsgegner dem<br />
Antragsteller die Fahrerlaubnis entzogen hat, weil dieser<br />
der Aufforderung, ein medizinisch-psychologisches<br />
Gutachten (MPU) über seine Fahreignung beizubringen,<br />
nicht nachgekommen ist, ist bei summarischer<br />
Prüfung mit großer Wahrscheinlichkeit rechtmäßig.<br />
Im Hinblick auf das Klage- <strong>und</strong> Antragsvorbringen<br />
wird ausgeführt, dass die Fahrerlaubnis-Verordnung<br />
(FeV) in § 13 Satz 1 Nr. 2 c zwingend („ordnet an, dass<br />
... beizubringen ist“) die Beibringung einer MPU<br />
vorschreibt, wenn ein Fahrzeug <strong>im</strong> Straßenverkehr<br />
bei einer <strong>Blutalkohol</strong>konzentration (BAK) von 1,6 ‰<br />
oder mehr geführt worden ist. Ein Ermessen steht dem<br />
Antragsgegner insoweit nicht zu. Diese Voraussetzung<br />
ist erfüllt, da der Antragsteller am 05. Juli 2005 ein<br />
Fahrrad – dies ist für die Anwendung der Vorschrift<br />
ausreichend (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Mai 2008 –<br />
3 C 32/07 – [BA 2008, 410]) mit einer BAK von<br />
2,46 ‰ <strong>im</strong> Straßenverkehr geführt hat. Dem kann der<br />
Antragsteller nicht ent<strong>gegen</strong>halten, er sei zum Fahren<br />
eines Fahrrades am fraglichen Tag aufgr<strong>und</strong> der Alko-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
holisierung nicht in der Lage gewesen. Eine solche –<br />
unsubstantiierte – Behauptung ist nicht geeignet, die<br />
durch Strafbefehl vom 25. Oktober 2005 rechtskräftig<br />
geahndete Tatbegehung einer Trunkenheitsfahrt in<br />
Zweifel zu ziehen. Der Antragsteller hat von der Möglichkeit,<br />
<strong>gegen</strong> diesen Strafbefehl Einspruch zu erheben,<br />
keinen Gebrauch gemacht <strong>und</strong> dadurch eine weitere<br />
Aufklärung <strong>im</strong> Strafverfahren verhindert.<br />
Auch ist unerheblich, dass die der Gutachtenaufforderung<br />
zugr<strong>und</strong>e liegende Tat schon vier Jahre zurückliegt.<br />
Die Fahrerlaubnis-Verordnung schreibt keine<br />
zeitliche Grenze für die Anordnung der Begutachtung<br />
vor, so dass sich eine solche gr<strong>und</strong>sätzlich nach den<br />
Tilgungsfristen für die Eintragungen <strong>im</strong> Verkehrszentralregister<br />
(VZR) nach § 29 des Straßenverkehrsgesetzes<br />
- StVG - richtet. Die maßgebliche Tilgungsfrist<br />
ist derzeit für die Tat vom 05. Juli 2005 noch nicht abgelaufen;<br />
sie beträgt <strong>im</strong> Falle einer Straftat nach § 316<br />
StGB zehn Jahre (vgl. § 29 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 3 StVG).<br />
Der Vorschrift des § 13 Satz 1 Nr. 2 c FeV liegt die Erwägung<br />
zu Gr<strong>und</strong>e, dass Fahrten unter <strong>Alkohol</strong>einfluss<br />
mit einem über 1,6 ‰ liegenden <strong>Blutalkohol</strong>gehalt<br />
deutlich auf ein problematisches Trinkverhalten<br />
hinweisen. Das steht nach wissenschaftlichen Erkenntnissen<br />
der <strong>Alkohol</strong>ismusforschung fest (vgl. aus<br />
der Rechtsprechung dazu: OVG NRW, Urteil vom<br />
07. Februar 1992 – 19 A 3883/91 –).<br />
Die Einschätzung des Antragstellers, er habe eine<br />
BAK von 2,46 ‰ nur erreichen können, weil er „keinen<br />
<strong>Alkohol</strong> gewohnt“ sei, kann danach nicht zutreffen.<br />
Angesichts der feststehenden Ungeeignetheit zum<br />
Führen von Kraftfahrzeugen bestehen auch keine Bedenken<br />
<strong>gegen</strong> die Anordnung der sofortigen Vollziehung<br />
der Entziehungsverfügung. Die damit verb<strong>und</strong>enen<br />
Schwierigkeiten hat der Antragsteller hinzunehmen,<br />
weil <strong>gegen</strong>über seinen Interessen das Interesse<br />
am Schutz von Leib, Leben <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit anderer<br />
Verkehrsteilnehmer eindeutig überwiegt.<br />
Es bleibt dem Antragsteller unbenommen, durch<br />
Vorlage einer MPU zu beweisen, dass Eignungsmängel<br />
nicht mehr vorliegen.
Seiten 161–188<br />
Schubert,<br />
„Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung“ auf dem Prüfstand<br />
WOLFGANG SCHUBERT<br />
„Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung“ * )<br />
auf dem Prüfstand<br />
„The medical and psychological investigation“ * )<br />
on the test stand<br />
1. Verkehrssicherheit <strong>und</strong> Freiheit – Rechtliche Gr<strong>und</strong>lagen<br />
Dieser Beitrag ist unter Berücksichtigung der Aufgabenstellungen der <strong>im</strong> Rahmen einer<br />
Medizinisch-Psychologischen Begutachtung beteiligten Ärzte, Psychologen <strong>und</strong> ggf.<br />
Ingenieure entstanden. Das Begutachtungssystem <strong>und</strong> die Medizinisch-Psychologische<br />
Untersuchung (MPU) stehen auf Gr<strong>und</strong> der hohen objektiven als auch subjektiven Bedeutung<br />
des Führerscheines <strong>im</strong> besonderen Fokus des öffentlichen, medialen <strong>und</strong> privaten<br />
Interesses. In der Sache entzündet sich der Streit häufig an der MPU.<br />
Der Schutzpflicht des Staates kommt daher <strong>im</strong> Bereich der Verkehrssicherheit eine<br />
herausragende Rolle zu, wie ROMAN HERZOG anlässlich seines Plenarvortrages auf dem<br />
30. Verkehrsgerichtstag 1992 1 ) über „Die Bedeutung des Verkehrsrechts in einer mobilen<br />
Gesellschaft“ darlegte, indem er den Schutz von Leben <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit der Allgemeinheit<br />
als „vornehmste Staatsaufgabe“ bezeichnet hat.<br />
Hieraus ergeben sich direkte Bezüge auf den Art. 2 Abs. 2 Gr<strong>und</strong>gesetz (GG) für die<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik Deutschland 2 ), in dem das Recht jeden Bürgers auf Leben <strong>und</strong> körperliche<br />
Unversehrtheit verankert ist <strong>und</strong> die Freiheit der Person als unverletzlich beschrieben<br />
wird. „Zugespitzt ausgedrückt begegnen sich das private Mobilitätsinteresse als Ausdruck<br />
der gr<strong>und</strong>gesetzlich geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG <strong>und</strong> das<br />
öffentlichrechtliche Interesse, den Straßenverkehr, genauer: die ihrerseits Gr<strong>und</strong>rechtsrang<br />
genießenden Rechtsgüter der übrigen Straßenverkehrsteilnehmer, vor der Gefährdung<br />
durch „ungeeignete“ Verkehrsteilnehmer bewahrt wissen zu wollen.“ 3 ) In diese<br />
Rechte darf nur auf Gr<strong>und</strong> eines Gesetzes eingegriffen werden. Verbindliche Norm für alle<br />
Straßenverkehrsteilnehmer sind Gesetze <strong>und</strong> Verordnungen zum Umgang mit Fahrzeugen<br />
<strong>und</strong> Fahrzeugführern (StVG 4 ), KfSachvG 5 ), PBefG 6 ), FeV 7 ), StVO 8 ), StVZO 9 ) etc.)<br />
Durch den Betrieb von Kraftfahrzeugen (<strong>und</strong> anderen Transportmitteln wie Flugzeugen,<br />
Schiffen <strong>und</strong> Eisenbahnen) gehen sowohl durch das Fahrzeug als auch durch den Fahrzeugführer<br />
erhöhte Gefahren für die Allgemeinheit aus.<br />
Der Staat überzeugt sich daher bei den Fahrzeugführern von deren Befähigung (Fahrschulausbildung<br />
<strong>und</strong> Prüfung) sowie deren körperlicher <strong>und</strong> geistiger Eignung. Das Ergebnis<br />
führt zu der Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen gem. § 2 StVG. Nach dem<br />
in Deutschland unbefristeten Erwerb der Fahrerlaubnis – ausgenommen der Gruppe 2<br />
(schwere LKW <strong>und</strong> Busse) – besteht nur eine Selbstüberprüfungspflicht gem. § 2 Abs. 1<br />
Satz 1 FeV. Darin wird ausgeführt: „Wer sich infolge körperlicher oder geistiger Mängel<br />
nicht sicher <strong>im</strong> Verkehr bewegen kann, darf am Verkehr nur teilnehmen, wenn Vorsorge<br />
getroffen ist, dass er andere nicht gefährdet.“<br />
* ) Langfassung des am 48. Verkehrsgerichtstag 2010 gehaltenen Referats des Verfassers. Die übrigen Beiträge<br />
des AK VI sind in BA 2010, 95 ff. erschienen.<br />
161<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
162<br />
Bei den Fahrzeugen wird die technische Beschaffenheit zur Zulassung zum öffentlichen<br />
Straßenverkehr unter strengen Bedingungen geprüft, wobei es Vorschriften für in den Verkehr<br />
kommende Fahrzeuge <strong>und</strong> Vorschriften für <strong>im</strong> Verkehr befindliche Fahrzeuge gibt.<br />
Die Ergebnisse der Überprüfung münden in die Zulassung von Fahrzeugen zum öffentlichen<br />
Straßenverkehr gem. § 1 StVG. Hier gelten strenge Vorschriften zur periodischen<br />
Überwachung (Hauptuntersuchung).<br />
Die Angaben des statistischen <strong>B<strong>und</strong></strong>esamtes zu den Ursachen von Unfällen mit Personenschaden<br />
<strong>im</strong> Jahr 2008 10, 11 ) verdeutlichen, dass lediglich ca. 1,3 % der Unfälle auf technische<br />
Probleme, 8,9 % überwiegend auf äußere Bedingungen zurückzuführen sind, während<br />
der Faktor Mensch mit 91 % als Unfallverursacher in Erscheinung tritt (Abb. 1).<br />
Ein großes Potenzial zukünftigen Verkehrssicherheitsgewinns ist überproportional am<br />
Faktor Mensch festzumachen. Daher muss ihm ein entsprechender Raum in der Bereitstellung<br />
unterstützender Maßnahmen zum Erhalt bzw. zur Wiedererteilung des Führerscheins<br />
(Driver Improvement), in der Diagnostik <strong>und</strong> Begutachtung, bei Krankheit in der<br />
Therapie sowie in der Forschung, gegeben werden.<br />
2. Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU)<br />
als Instrument der Verkehrssicherheit<br />
2.1. Gr<strong>und</strong>sätze – Ausgangshypothesen der Begutachtung der Fahreignung<br />
Da die Tätigkeit als amtlich anerkannte Begutachtungsstelle für Fahreignung <strong>und</strong> die<br />
Durchführung einer MPU in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG fallen, dürfen<br />
Eingriffe nur auf der Gr<strong>und</strong>lage einer gesetzlichen Regelung erfolgen. Dies schließt<br />
sowohl die betroffenen Rechte der Fahrerlaubnisinhaber <strong>und</strong> -bewerber, der Träger von<br />
Begutachtungsstellen als auch der am Begutachtungsprozess beteiligten Sachverständigen<br />
(Ärzte, Psychologen, Ingenieure) ein. In den gesetzlichen Regelungen sind auch der Umfang<br />
<strong>und</strong> die Grenzen des Eingriffs deutlich erkennbar zu gestalten.<br />
Jede empirisch begründete Wissenschaft überprüft von Zeit zu Zeit die von ihr angewendeten<br />
Methoden sowie deren Einbettung in entsprechende gesellschaftliche <strong>und</strong> rechtliche<br />
Systeme. Unter diesem Aspekt steht die MPU auch wegen der hohen individuellen<br />
Bedeutung der Fahrerlaubnis zur Sicherung der automobilen Mobilität schon <strong>im</strong>mer <strong>im</strong><br />
Fokus des gesellschaftlichen, wissenschaftlichen <strong>und</strong> persönlichen Interesses.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Schubert,<br />
„Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung“ auf dem Prüfstand<br />
Abb. 1: Ursachen für Unfälle mit Personenschaden Deutschland 2008.
Schubert,<br />
„Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung“ auf dem Prüfstand<br />
Dem wissenschaftlichen Gr<strong>und</strong>satz der kontinuierlichen kritischen Analyse ist der Verkehrsgerichtstag<br />
schon früh gefolgt, indem er entsprechende Themen wiederholt behandelte.<br />
Aus diesem Gr<strong>und</strong>e ist es nachvollziehbar <strong>und</strong> richtig, dass sich verschiedene Verkehrsgerichtstage<br />
sowohl mit der MPU an sich in den Jahren 1979 12 ) <strong>und</strong> 1997 13 ) als auch<br />
mit der Diskussion um die Anwendung <strong>und</strong> die Rechtsfolgen spezifischer Methoden <strong>und</strong><br />
deren Einsatz in ausgewählten anlassbezogenen Fragestellungen in der Fahreignungsbegutachtung<br />
beschäftigt haben (z. B. 7. VGT 1969 AK I 14 ), 30. VGT 1992 AK III <strong>und</strong> IV 15 ),<br />
41. VGT 2003 AK III 16 ).<br />
Die Teilnahme am Straßenverkehr ist keine Eliteveranstaltung. Alle Verkehrsteilnehmer<br />
müssen Mindestanforderungen (Entlastungs- bzw. Nachweisdiagnostik) erfüllen, an<br />
denen sich das ganze System ausrichtet. Die wichtigsten Anforderungen an das System<br />
<strong>und</strong> die zu Untersuchenden sind folgende:<br />
– Die Orientierung in der Begutachtung erfolgt am schwächeren, u. U. weniger intelligenten<br />
Fahrer <strong>und</strong> ist ein gesellschaftlich <strong>und</strong> ökonomisch wichtiger Gr<strong>und</strong>satz. Dieser<br />
erlangt eine besondere Bedeutung auch unter dem Aspekt der Verlängerung der<br />
Lebensarbeitszeit <strong>und</strong> dem Stagnieren bzw. der Reduzierung öffentlicher Nahverkehrsnetze.<br />
– Straßenverkehrsverhalten ist auch soziales Verhalten. Charakterliche Eignung ist nicht<br />
teilbar.<br />
– Im Vordergr<strong>und</strong> der Begutachtung bezüglich der behördlich veranlassten Fragestellungen<br />
bei aktenk<strong>und</strong>igen Auffälligkeiten <strong>im</strong> Straßenverkehr bzw. bei Krankheiten ist<br />
durch die Gutachter der Gr<strong>und</strong>satz der entlastungs- <strong>und</strong> ressourcenorientierten Diagnostik<br />
mit möglichen Therapiehinweisen umzusetzen. Dabei sind medizinische, verhaltensbezogene<br />
<strong>und</strong> technische Kompensationsmöglichkeiten u. a. durch Nutzung<br />
von möglichen Auflagen <strong>und</strong> Beschränkungen aufzuzeigen.<br />
– Für die gutachterliche Praxis steht die Aufgabe, einerseits nach Nachweisen der Erfüllung<br />
von besonderen Anforderungen, z. B. nach Anlage 5.2 FeV („Nachweisdiagnostik“)<br />
<strong>und</strong> andererseits nach der Entlastung von Ungeeignetheitsvermutungen<br />
(„Entlastungsdiagnostik“) zu suchen. 17 )<br />
– Im Fokus der Fahreignungsbegutachtung steht somit die Wiedereingliederung von<br />
Personen in den Straßenverkehr sowie bei Inhabern die Vermeidung des Führerscheinverlustes.<br />
Der Führerscheinverlust wird von den Betroffenen in der Regel als ein<br />
kritisches Lebensereignis wahrgenommen, welches in den gesamten Lebensablauf –<br />
Beruf, Familie, Freizeit etc. – hineinwirkt.<br />
Die stetige Verbesserung der Qualität Medizinisch-Psychologischer Begutachtungen<br />
muss sich an den Prinzipien der Rechtsgleichheit, Rechtssicherheit <strong>und</strong> der Verhältnismäßigkeit,<br />
vor allem aber der Einzelfallgerechtigkeit messen lassen.<br />
Auch die Freiheit des Betroffenen, sich eine Begutachtungsstelle für Fahreignung (eines<br />
früher „akkreditierten“, jetzt „begutachteten“ Trägers) seiner Wahl aussuchen zu können,<br />
fördert unter Berücksichtigung fachlich gleich anzuwendender Gr<strong>und</strong>sätze (Begutachtungs-Leitlinien<br />
-BGL 18 ) <strong>und</strong> Beurteilungskriterien – BK) die Chancengleichheit <strong>und</strong> stellt<br />
darüber hinaus einen Beitrag zum Verbraucherschutz dar.<br />
2.2. Wer prüft die Prüfer<br />
Veranlasser einer Fahreignungsbegutachtung (Medizinisch-Psychologische Untersuchung<br />
bzw. ärztliche Gutachten) ist die Fahrerlaubnisbehörde. Sie legt in Abhängigkeit<br />
163<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
164<br />
von der Fallkonstellation die Fragestellung für die Begutachtung fest. Der Betroffene<br />
schließt mit der von ihm ausgewählten Begutachtungsstelle einen Werkvertrag nach<br />
§§ 157, 242 BGB (Treu <strong>und</strong> Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte) ab. Dieser Werkvertrag<br />
ist ein von Vertrauen getragenes Arbeitsbündnis.<br />
Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung gibt dem Betroffenen die Möglichkeit,<br />
sich von den behördlichen Zweifeln (ges<strong>und</strong>heitliche Beeinträchtigungen, krankheitsbedingte<br />
<strong>und</strong> verhaltensbezogene Auffälligkeiten) an der Fahreignung auf Gr<strong>und</strong> z. B. aktenk<strong>und</strong>iger<br />
Auffälligkeiten (Betäubungsmittel, <strong>Alkohol</strong>, erhöhtes Aggressionspotenzial etc.)<br />
<strong>im</strong> Straßenverkehr zu befreien. Die MPU ist demnach keine weitere Bestrafung, sondern<br />
eine Chance für den Betroffenen. Auf Gr<strong>und</strong> der in §§ 66 <strong>und</strong> 72 FeV vorgeschriebenen<br />
„Akkreditierung“ – jetzt „Begutachtung“ – von Trägern von Begutachtungsstellen ist<br />
sichergestellt, dass die Begutachtungen der Träger nach b<strong>und</strong>esweit einheitlichen fachlichen<br />
Bewertungsmaßstäben erfolgen.<br />
Am 09. Juli 2008 wurde die Verordnung (EG) Nr. 765/2008 des Europäischen Parlaments<br />
<strong>und</strong> des Rates über die Vorschriften für die Akkreditierung <strong>und</strong> Marktüberwachung<br />
<strong>im</strong> Zusammenhang mit der Vermarktung von Produkten <strong>und</strong> zur Aufhebung der Verordnung<br />
(EWG) 19 ) Nr. 339/93 des Rates verabschiedet. Deutschland ist verpflichtet, diese<br />
EG-Verordnung bis zum 01. Januar 2010 in nationales Recht zu überführen <strong>und</strong> eine nationale<br />
Akkreditierungsstelle zu errichten. Dies ist zwischenzeitlich mit der Beschlussfassung<br />
zum Akkreditierungsstellengesetz (AkkStelleG) 20 ) vom 31. Juli 2009 geschehen.<br />
In Deutschland wird es ab dem 01. Januar 2010 demnach nur noch eine einzige nationale<br />
Akkreditierungsstelle <strong>im</strong> Zuständigkeitsbereich des <strong>B<strong>und</strong></strong>esministeriums für Wirtschaft<br />
<strong>und</strong> Technologie geben. Sie wird zukünftig die Akkreditierung als hoheitliche Aufgabe des<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>es durchführen <strong>und</strong> nach dem <strong>gegen</strong>wärtigen Stand eine juristische Person des<br />
Privatrechts mit den Aufgaben <strong>und</strong> Befugnissen einer Akkreditierungsstelle beleihen.<br />
Diese Stelle wird von <strong>B<strong>und</strong></strong>, Ländern <strong>und</strong> Wirtschaft zu gleichen Teilen getragen.<br />
Sowohl in der EU-Verordnung als auch <strong>im</strong> Akkreditierungsstellengesetz ist der Bereich<br />
des Fahrerlaubniswesens nicht zwingend tangiert. Das Ziel der Sicherung einer hohen<br />
Qualität bei der Durchführung der Begutachtung der Fahreignung wird durch die periodische<br />
Begutachtung der jeweiligen Trägerorganisationen durch die <strong>B<strong>und</strong></strong>esanstalt für Straßenwesen<br />
(BASt) gem. den Anforderungen der BASt erreicht. Die BASt würde – wie auch<br />
bisher – für die amtliche Anerkennung durch die jeweilig zuständigen Länderbehörden<br />
für diese gutachterlich tätig werden. Durch die weitere Wahrnehmung der Aufgaben<br />
der Sicherung der Qualität <strong>im</strong> Bereich der Begutachtung der Fahreignung bei der BASt<br />
kann auf das bestehende <strong>und</strong> bewährte Fachwissen <strong>und</strong> die entsprechenden Verfahren zur<br />
Gewährleistung der erforderlichen Qualitätsstandards zurückgegriffen werden. Bei Wahrung<br />
dieser Gr<strong>und</strong>sätze ergibt sich eine entsprechende Alternative zur Akkreditierung<br />
durch ein noch zu beschließendes Verfahren der periodischen Begutachtung durch die<br />
BASt. Voraussetzung für das Erreichen der Zielstellung ist eine entsprechende Verankerung<br />
der relevanten Rechtsgr<strong>und</strong>lagen <strong>im</strong> StVG, in der FeV <strong>und</strong> in der Gebührenordnung<br />
für Maßnahmen <strong>im</strong> Straßenverkehr (GebOSt) 21 ).<br />
Auch wenn die Akkreditierung von Trägern der amtlich anerkannten Begutachtungsstellen<br />
für Fahreignung (BfF) nach dem Deutschen Akkreditierungsstellengesetz für diesen<br />
Bereich ab Januar 2010 nicht mehr vorgesehen sein sollte, muss gesichert sein, dass die<br />
neue Form der „Begutachtung“ der Träger <strong>im</strong> gesetzlich geregelten Bereich nach dem<br />
aktuellen Stand von Wissenschaft <strong>und</strong> Technik <strong>im</strong> Qualitätsmanagement vorgenommen<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Schubert,<br />
„Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung“ auf dem Prüfstand
Schubert,<br />
„Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung“ auf dem Prüfstand<br />
wird. Die neu zu definierende Form der „Begutachtung“ muss hinsichtlich der Verankerung<br />
der Anforderungen der BASt an zu akkreditierende Träger von BfF in der FeV gesichert<br />
werden. Die BASt ist als die begutachtende Stelle weiterhin beratend für die Anerkennungsbehörden<br />
tätig.<br />
Die Kosten für die gesamte Verfahrensabwicklung der Begutachtung durch die BASt<br />
gehen zu Lasten des Trägers. Die entsprechenden Gebühren sind in einer eigens hierfür erlassenen<br />
Gebührenordnung 22 ) gesetzlich geregelt.<br />
Nach der Begutachtung (früher Akkreditierung nach § 72 FeV) der Träger durch die<br />
BASt müssen die Voraussetzungen nach Anlage 14 (zu § 66 Abs. 2) FeV erfüllt sein. Erst<br />
danach erfolgt die amtliche Anerkennung der Träger durch die zuständige oberste Landesbehörde<br />
oder durch die von ihr best<strong>im</strong>mte oder nach Landesrecht zuständige Stelle.<br />
Des Weiteren erfolgt eine Überprüfung der Gutachten durch die Fahrerlaubnisbehörde unter<br />
Beachtung der Gr<strong>und</strong>sätze nach Anlage 15 (zu § 11 Abs. 5, § 66) FeV bezüglich der Nachvollziehbarkeit,<br />
Nachprüfbarkeit, Vollständigkeit <strong>und</strong> der allgemein verständliche Sprache.<br />
Unabhängig von der Anerkennung der Träger durch die Landesbehörde erfolgt eine periodische<br />
Überwachung der Träger durch die BASt mit Hilfe von zielgerichteten System<strong>und</strong><br />
Produktaudits.<br />
Die Sicherung der Qualität be<strong>im</strong> Träger wird durch Qualitätsmanagementhandbücher<br />
geregelt, die auch interne Produkt- <strong>und</strong> Systemaudits, Korrektur- <strong>und</strong> Vorbeugemaßnahmen,<br />
Aus- <strong>und</strong> Weiterbildungsanforderungen etc. enthalten.<br />
Darüber hinaus besteht die Möglichkeit der zivil- <strong>und</strong>/oder verwaltungsrechtlichen<br />
Überprüfung der Medizinisch-Psychologischen bzw. ärztlichen Gutachten.<br />
Der Themenkomplex der Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (als Instrument<br />
der Verkehrssicherheit, Wer prüft die Prüfer, Alternativen) wird von Gehrmann 23 ) aus juristischer<br />
Perspektive in einer aktuellen Veröffentlichung umfassend dargestellt, problematisiert<br />
<strong>und</strong> gewürdigt.<br />
Obwohl in der EU-Führerschein-Richtlinie 24 ) (einschließlich ANNEX III) derzeit noch<br />
ausschließlich ärztliche Untersuchungen bei best<strong>im</strong>mten Krankheiten <strong>im</strong> Fokus stehen, hat<br />
sich in Deutschland bereits der Standard in der anlassbezogenen Begutachtung der körperlichen<br />
<strong>und</strong> geistigen Eignung von Kraftfahrzeugführern unter Einbeziehung des Verhaltensbereiches<br />
durchgesetzt.<br />
2.3. Betroffene, die eine MPU in Anspruch nehmen<br />
Im Jahr 2008 wurden entsprechend der Verteilung der Untersuchungsanlässe insgesamt<br />
ca. 103.000 Betroffene in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung untersucht. Bei etwa<br />
54 Mio. Führerscheininhabern in Deutschland 25 ) sind demnach lediglich 0,19 % von der<br />
Anordnung einer Begutachtung (Bewerber bzw. Inhaber) durch die Behörde betroffen, wie<br />
die Abb. 2 darstellt.<br />
165<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
166<br />
Im Jahr 2008 führten die dazumal aktiven Träger insgesamt 103.137 anlassbezogene<br />
Medizinisch-Psychologische Untersuchungen 26 ) durch. Hierbei ist der Bereich der <strong>Alkohol</strong>fragestellungen<br />
trotz stetigen Rückgangs in den Vorjahren mit insgesamt ca. 55 Prozent<br />
nach wie vor die größte Anlassgruppe für MPU-Gutachten. Aus dieser Gruppe sind ca.<br />
31 % erstmalig mit <strong>Alkohol</strong> aufgefallen. <strong>Drogen</strong> <strong>und</strong> Medikamente bilden mit ca. 18 % die<br />
zweitgrößte Anlassgruppe.<br />
Die Verteilung der Anlassgruppen <strong>im</strong> Jahr 2008 sind in der Abb. 3 dargestellt.<br />
Die Ergebnisse dieser Begutachtungen (<strong>im</strong> Jahr 2008 ca. 51 % eine uneingeschränkt<br />
günstige Verkehrsverhaltensprognose, ca. 14 % eine Nachschulungsempfehlung <strong>und</strong> ca.<br />
35 % eine ungünstige Verkehrsverhaltensprognose) verdeutlichen, dass nur in ca. einem<br />
Drittel aller Begutachtungsfälle die MPU mit einem ungünstigen Ergebnis für die Betroffenen<br />
verlief.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Schubert,<br />
„Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung“ auf dem Prüfstand<br />
Abb. 2: Anteil der MPU-Betroffenen an der Gesamtzahl der FE-Inhaber.<br />
Abb. 3: Verteilung der Anlassgruppen für Medizinisch-Psychologische Untersuchungen 2008.
Schubert,<br />
„Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung“ auf dem Prüfstand<br />
Die allgemeinen Rechtsgr<strong>und</strong>lagen der Tätigkeit der MPU in Deutschland sind <strong>im</strong><br />
Pkt. 1 unter dem Aspekt Verkehrssicherheit <strong>und</strong> Freiheit in dem für diesen Zweck erforderlichen<br />
Umfang dargestellt. In diesem Zusammenhang ist es aber noch notwendig, auf<br />
die Gr<strong>und</strong>lagen der b<strong>und</strong>esweit geltenden Begutachtung durch die <strong>B<strong>und</strong></strong>esanstalt für Straßenwesen<br />
(BASt) <strong>und</strong> die Anerkennung durch die einzelnen <strong>B<strong>und</strong></strong>esländer zur Tätigkeitsaufnahme<br />
von BfF einzugehen. Die Anforderungen zur Begutachtung der Träger von Begutachtungsstellen<br />
für Fahreignung sind in den Dokumenten der Begutachtungsstelle<br />
Fahrerlaubniswesen der BASt 27 ) festgelegt.<br />
In diesen werden die rechtlichen, normativen <strong>und</strong> fachwissenschaftlichen Gr<strong>und</strong>lagen<br />
benannt. Des Weiteren sind das Antragsverfahren, das Begutachtungsverfahren, die Überwachung<br />
<strong>und</strong> Folgebegutachtung beschrieben. Bereits <strong>im</strong> Rahmen der Begutachtung<br />
durch die BASt werden Gutachtenüberprüfungen <strong>und</strong> Begutachtungen vor Ort in den<br />
Niederlassungen der Träger durchgeführt. Daneben können anlassbedingt auch Sonderbegutachtungen<br />
stattfinden. Darüber hinaus sind Regelungen zum Datenschutz, zur Prüfmittelüberwachung,<br />
zur Qualifikation des Personals, zu den Aus-, Weiter- <strong>und</strong> Fortbildungspflichten,<br />
zur räumlichen, personellen <strong>und</strong> sachlichen Mindestausstattung, zur Durchführung<br />
der einzelnen Bestandteile der Begutachtung selbst, der eingesetzten medizinischen,<br />
toxikologischen <strong>und</strong> psychologischen Methoden, zum Umgang mit beigestellten<br />
Bef<strong>und</strong>en, zur Erstellung der Gutachten etc. enthalten.<br />
Durch Vorlage der BASt-Begutachtungsberichte bei den Aufsichtsbehörden wird durch<br />
diese deren besonderer Sachverstand genutzt. Somit wird die BASt für die Länder in Vorbereitung<br />
ihrer Entscheidung gutachterlich tätig. Qualitätssichernde Maßnahmen (z. B.<br />
interne Produkt- <strong>und</strong> Systemaudits) allein auf der Trägerseite reichen nicht aus, um eine<br />
entsprechende Anerkennung durch die Länder zu erreichen. Die BASt überprüft die fachliche<br />
Kompetenz der Träger unparteiisch <strong>gegen</strong>über den von ihr begutachteten Stellen,<br />
wozu auch die Aufsichtsbehörden zählen. Das <strong>gegen</strong>wärtige Begutachtungssystem der<br />
BASt stärkt das Vertrauen der K<strong>und</strong>en in die Tätigkeit der Träger <strong>und</strong> der Gutachter.<br />
Dadurch wird auch das Vertrauen der Behörden <strong>und</strong> Gerichte in die Tätigkeit der BfF<br />
gefördert. Dies schafft in der Öffentlichkeit auch Vertrauen in die Kompetenz 28 ) <strong>und</strong> die<br />
Objektivität der Begutachtungsstellen für Fahreignung.<br />
Die Begutachtung der Träger ist demnach ein Verfahren, in dem eine autorisierte Stelle<br />
die formelle Bestätigung ausspricht, dass – <strong>im</strong> Bereich der Fahreignung – ein Träger von<br />
BfF kompetent ist, Begutachtungen der Fahreignung gem. FeV durchzuführen.<br />
Die Begutachtung des Trägers der BfF gem. § 72 FeV bezieht sich demnach auf die<br />
Kompetenz des Trägers. Eine gesonderte Personenzertifizierung, wie bei der amtlichen<br />
Anerkennung eines Verkehrspsychologischen Beraters gem. § 4 (9) StVG <strong>und</strong> § 71 FeV,<br />
findet bei den in einer BfF tätigen ärztlichen, psychologischen <strong>und</strong> technischen Sachverständigen<br />
nicht statt. Die Zertifizierung ist ein Verfahren, nach dem eine dritte Stelle<br />
bestätigt, dass ein Produkt, ein Prozess oder eine Dienstleistung mit festgelegten Anforderungen<br />
konform ist.<br />
Die <strong>B<strong>und</strong></strong>esländer können bei Erfüllung der Voraussetzungen für die amtliche Anerkennung<br />
(vgl. Anlage 14 zu § 66 Abs. 2 FeV) die Tätigkeitsaufnahme genehmigen. Die<br />
Akkreditierung des Trägers durch die BASt stellt hierbei eine von insgesamt neun zu erfüllenden<br />
Voraussetzungen dar. Darunter sind auch zu nennen die finanzielle <strong>und</strong> organisatorische<br />
Leistungsfähigkeit des Trägers, die personelle Ausstattung mit einer ausreichenden<br />
Anzahl von Ärzten <strong>und</strong> Psychologen sowie <strong>im</strong> Bedarfsfall einem Ingenieur, der<br />
167<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
168<br />
die Voraussetzungen für die Anerkennung als amtlich anerkannter Sachverständiger oder<br />
Prüfer für den Kraftfahrzeugverkehr erfüllt. Weitere zu erfüllende Voraussetzungen sind<br />
die sachliche Ausstattung (notwendige Räumlichkeiten <strong>und</strong> Geräte), die Teilnahme am<br />
b<strong>und</strong>esweiten Erfahrungsaustausch unter der Leitung der BASt, die wirtschaftliche Unabhängigkeit<br />
der Gutachter von der Gebührenerstattung <strong>und</strong> vom Ergebnis der Begutachtung<br />
<strong>und</strong> dass der Träger nicht zugleich Träger von Maßnahmen der Fahrausbildung oder von<br />
Kursen zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung nach § 70 FeV ist <strong>und</strong> keine Maßnahmen<br />
zur Verhaltens- <strong>und</strong> Einstellungsänderung zur Vorbereitung auf eine Begutachtung<br />
der Fahreignung durchführt. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Anlage 15 (zu § 11<br />
Abs. 5, § 66) Nr. 4 FeV zu verweisen, die sicherstellt, dass die Entstehung von „Wirtschaftsketten“<br />
nunmehr unterb<strong>und</strong>en wird.<br />
Auch die Qualifikation der in einer amtlich anerkannten BfF eingesetzten Ärzte <strong>und</strong><br />
Psychologen ist in der Anlage 14 FeV geregelt:<br />
„Anforderungen an den Arzt:<br />
Arzt mit mindestens 2-jähriger klinischer Tätigkeit (insbesondere innere Medizin,<br />
Psychiatrie, Neurologie) oder Facharzt, zusätzlich mit mindestens 1-jähriger Praxis<br />
in der Begutachtung der Eignung von Kraftfahrern in einer Begutachtungsstelle für<br />
Fahreignung.<br />
Anforderungen an den Psychologen:<br />
Diplom oder ein gleichwertiger Master-Abschluss in der Psychologie, mindestens<br />
zweijährige praktische Berufstätigkeit (in der Regel in der klinischen Psychologie,<br />
Arbeitspsychologie) <strong>und</strong> mindestens eine einjährige Praxis in der Begutachtung der<br />
Eignung von Kraftfahrern in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung.“<br />
Die BASt führt darüber hinaus in ihren Anforderungen an Träger von BfF <strong>im</strong> Zusammenhang<br />
mit der Einarbeitung von Gutachtern sowohl Ärzte als auch Psychologen<br />
betreffend aus:<br />
„Die Einarbeitung von Gutachtern ohne einschlägige Berufspraxis ist von einem<br />
erfahrenen Gutachter mit mindestens dreijähriger Praxis in der Begutachtung der<br />
Fahreignung über ein Jahr hinweg durchzuführen (<strong>im</strong> Regelfall mindestens 100 Begutachtungen)<br />
<strong>und</strong> schriftlich zu dokumentieren.“<br />
Dies schließt auch ein, „dass jeder Gutachter <strong>im</strong> Umfang von mindestens drei Tagen pro<br />
Jahr an für die Begutachtungstätigkeit relevanten Fortbildungsmaßnahmen teiln<strong>im</strong>mt“.<br />
Ein weiterer zu berücksichtigender Punkt durch gutachterlich tätige Ärzte <strong>und</strong> Psychologen<br />
ist die Vermeidung von Interessenkonflikten <strong>im</strong> Sinne der Vermeidung der Rollenkonfusion<br />
von Therapeut vs. Gutachter 29 ). Auch gilt der Gr<strong>und</strong>satz, dass der behandelnde<br />
Arzt entsprechend der Anlage 15 der FeV <strong>und</strong> den Begutachtungs-Leitlinien (BGL) nicht<br />
zugleich Gutachter sein darf. Der Kampf um den Patienten darf nicht mit dem Kampf um<br />
den Führerschein verwechselt werden.<br />
2.4. Zu ausgewählten fachlichen Gr<strong>und</strong>lagen der Medizinisch-Psychologischen<br />
Untersuchung<br />
Die psychologische Fahreignungsdiagnostik hat sich historisch betrachtet aus der exper<strong>im</strong>entellen<br />
Psychologie heraus entwickelt. Die ersten Eignungsuntersuchungen von Fahrzeuglenkern<br />
wurden 1910 durch den Psychologen <strong>und</strong> Arzt Hugo Münsterberg an Straßenbahnführern<br />
durchgeführt. Eine ausführliche Darstellung über die Entwicklung <strong>und</strong> die Aufgabengebiete der<br />
Verkehrspsychologie ist nachzulesen u. a. bei KLEBELSBERG 30 ), ECHTERHOFF 31 ) <strong>und</strong> KRÜGER 32 ).<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Schubert,<br />
„Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung“ auf dem Prüfstand
Schubert,<br />
„Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung“ auf dem Prüfstand<br />
Die Verkehrspsychologie <strong>im</strong> Bereich der Fahreignungsbegutachtung hat sich seit Anfang<br />
der 50er Jahre rasant entwickelt. Im September 1951 nahm die erste „Beratungs- <strong>und</strong><br />
Forschungsstelle für Verkehrssicherheit“ ihre Tätigkeit in der BRD auf. Sie übte praktisch<br />
erstmals die Aufgabe einer Medizinisch-Psychologischen Untersuchungsstelle aus. Der<br />
fachliche <strong>und</strong> rechtliche Ankerpunkt waren dazumal die Ausführungen in der StVO zu den<br />
„Bedenken an der Eignung (...)“ basierend auf der schlichten Vertrauensgr<strong>und</strong>lage in die<br />
Wissenschaft allgemein <strong>und</strong> die Wissenschaftlichkeit der Diagnostik <strong>im</strong> Speziellen.<br />
1973 erschien die von Medizinern herausgegebene 1. Auflage des Gutachtens „Krankheit<br />
<strong>und</strong> Kraftverkehr“ 33 ).<br />
1982 setzte das <strong>B<strong>und</strong></strong>esministerium für Verkehr die „Richtlinie für die Prüfung der körperlichen<br />
<strong>und</strong> geistigen Eignung von Fahrerlaubnisbewerbern <strong>und</strong> -inhabern“ (Eignungsrichtlinien)<br />
34 ) in Kraft.<br />
1991 wurde diese Richtlinie in eine „Richtlinie für die amtliche Anerkennung von Medizinisch-Psychologischen<br />
Untersuchungsstellen (MPU)“ 35 ) überführt. Ein Jahr später erschien<br />
die 4. Auflage des Gutachtens „Krankheit <strong>und</strong> Kraftverkehr“ 36 ). Als Herausgeber<br />
fungierte das <strong>B<strong>und</strong></strong>esministerium für Verkehr. Das Gutachten wurde bearbeitet durch den<br />
damaligen Gemeinsamen Beirat für Verkehrsmedizin be<strong>im</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esminister für Verkehr<br />
<strong>und</strong> be<strong>im</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esminister für Ges<strong>und</strong>heit unter Federführung von LEWRENZ (Hamburg)<br />
<strong>und</strong> FRIEDEL (Bergisch Gladbach). Zu diesem Zeitpunkt war die Psychologie bereits so<br />
stark in die Fahreignungsbegutachtung involviert, dass die dort getroffene Aussage „Die<br />
Formulierung von Kriterien für verhaltensbedingte – oder charakterliche – Mängel der<br />
Eignung bleibt einem besonderen Text vorbehalten“ dazu führte, dass von der Sektion Verkehrspsychologie<br />
des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen <strong>und</strong> Psychologen<br />
(BDP) 1995 unter der Herausgeberschaft von KROJ das „Psychologische Gutachten Kraftfahreignung“<br />
37 ) erstellt wurde. Ein Jahr darauf erschien die 5. Auflage des Gutachtens<br />
„Krankheit <strong>und</strong> Kraftverkehr“ 38 ).<br />
Im Dezember 1997 erfolgte die Verabschiedung des Straßenverkehrsgesetzes (StVG)<br />
durch den <strong>B<strong>und</strong></strong>estag, in dem zum ersten Mal u. a. die Begutachtung der körperlichen <strong>und</strong><br />
geistigen Eignung von Kraftfahrern unter Einbeziehung von Psychologen in institutionalisierter<br />
Form festgeschrieben wurde. Damit wurde erstmalig in einem Gesetz in der<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik Deutschland die Psychologie verankert. Im Juni 1998 erfolgte <strong>im</strong> Ergebnis<br />
einer Beratung <strong>im</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esrat die Verabschiedung der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV),<br />
in der die Begutachtung der Fahreignung, die verkehrspsychologische Beratung, die besonderen<br />
Aufbauseminare etc. inhaltlich ausgestaltet wurden.<br />
Unter der Federführung von Herrn JAGOW vom <strong>B<strong>und</strong></strong>esministerium für Verkehr wurde<br />
der Umstand, dass es jeweils gesonderte Kriterien für Ärzte <strong>und</strong> Psychologen gab, aufgegriffen<br />
<strong>und</strong> beide Werke in den „Begutachtungs-Leitlinen zur Kraftfahrereignung“ (BGL)<br />
zusammengeführt, die <strong>im</strong> Jahr 2000 erschienen. Dem Paritätischen Ausschuss des <strong>B<strong>und</strong></strong>esministeriums<br />
für Verkehr unter Leitung von Herrn JAGOW gehörten dazumal an: EGGERS-<br />
MANN (Stuttgart), FRIEDEL (Bergisch Gladbach), JOACHIM (Heidelberg), REIF (Bonn),<br />
REINHARDT (Ulm), SCHUBERT (Berlin), STEPHAN (Köln), TÖLLE (Münster), UTZELMANN<br />
(Köln), VENHOFF (Düsseldorf), WAGNER (Homburg/Saar), WINKLER (Hannover). Dadurch<br />
wurde sichergestellt, dass Wissenschaftler, Praktiker <strong>und</strong> Verwaltungsbehörden ihr Wissen<br />
<strong>und</strong> ihre Erfahrungen einfließen lassen konnten.<br />
Mit der Einführung der BGL wurde der Zustand einer seinerzeit ausschließlichen –<br />
manchmal zum Nachteil der Betroffenen – Krankheitsorientierung <strong>und</strong> Atomisierung der<br />
169<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
170<br />
Begutachtung („das Auge“, „das Ohr“, „die <strong>Alkohol</strong>abhängigkeit“, „der Diabetes“ etc.)<br />
überw<strong>und</strong>en. Dadurch konnte die Wahrung einer ganzheitlichen Betrachtung der biopsychosozialen<br />
Einheit Mensch unter Berücksichtigung verschiedener Kompensationsmöglichkeiten<br />
(technische, medizinische, verhaltenspsychologische) <strong>im</strong> Sinne der entlastungs-<br />
<strong>und</strong> ressourcenorientierten Diagnostik erreicht werden. Diese Betrachtung steht<br />
nicht <strong>im</strong> Widerspruch zur Anlassbezogenheit unter Berücksichtigung der Einzelfallgerechtigkeit<br />
in der Begutachtung (vgl. hierzu auch BODE, WINKLER 39 )).<br />
Nachdem <strong>im</strong> Jahr 2002 der Kommentar zu den Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung<br />
40 ) herausgegeben worden war, konnte auf Gr<strong>und</strong> umfangreicher Weiterentwicklungen<br />
bereits <strong>im</strong> Jahr 2005 die überarbeitete <strong>und</strong> erweiterte 2. Auflage des „Kommentars“<br />
41 ) erscheinen.<br />
Im gleichen Jahr wurde dann von den beiden Fachgesellschaften Deutsche Gesellschaft<br />
für Verkehrspsychologie (DGVP) <strong>und</strong> Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin<br />
(DGVM) in interdisziplinärer Zusammenarbeit (Ärzte, Psychologen <strong>und</strong> Toxikologen) das<br />
Werk „Urteilsbildung in der Medizinisch-Psychologischen Fahreignungsdiagnostik – Beurteilungskriterien“<br />
(BK) 42 ) herausgegeben. Mit diesen Kriterien, die die Begutachtungs-<br />
Leitlinien fachlich in der Tiefe untersetzen, sollen der Verkehrssicherheit auf der einen <strong>und</strong><br />
der Einzelfallgerechtigkeit auf der anderen Seite gleichermaßen Rechnung getragen werden.<br />
Sie <strong>und</strong> die <strong>im</strong> Jahr 2009 erschienene erweiterte <strong>und</strong> überarbeitete 2. Auflage der BK<br />
führten zu einer b<strong>und</strong>esweiten Vereinheitlichung der Beurteilungskriterien <strong>und</strong> zu einer<br />
mit der Veröffentlichung verb<strong>und</strong>enen Transparenz für alle am Prozess Beteiligten. Durch<br />
die BK erfolgte eine wichtige Orientierung auf kontinuierliche Verbesserungsprozesse, die<br />
eine weiterführende Fachdiskussion insbesondere zwischen allen amtlich anerkannten<br />
Trägern von BfF unter Federführung der BASt fördert.<br />
Die Aufgaben der Beurteilungskriterien bestehen in<br />
– der Übersetzung der behördlichen Fragestellung in überprüfbare Hypothesen,<br />
– der Definition der Anforderungen für best<strong>im</strong>mte „Fallgruppen“ unter Beachtung der<br />
Kongruenz zu den Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung,<br />
– der Festlegung der Methodik der Medizinisch-Psychologischen <strong>und</strong> fachärztlichen<br />
Untersuchung,<br />
– der Feststellung der aktuellen Leistungsfähigkeit <strong>und</strong> des Ges<strong>und</strong>heitszustandes,<br />
– der Bewertung von Entwicklungen <strong>und</strong> Veränderungsprozessen,<br />
– der Erstellung einer Verkehrsverhaltensprognose <strong>und</strong> der Einräumung von Chancen<br />
zur Veränderung.<br />
Die BK sind die „strukturelle He<strong>im</strong>at“ für neue wissenschaftliche Erkenntnisse <strong>und</strong> werden<br />
ständig aktualisiert <strong>und</strong> erweitert.<br />
Die interdisziplinären Bemühungen um die Entwicklung der Untersuchung der körperlichen<br />
<strong>und</strong> geistigen Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen verinnerlichen einen Erfahrungsschatz<br />
der Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Psychologen, Toxikologen <strong>und</strong><br />
Ingenieuren über einen Zeitraum von 58 Jahren. Die in diesem Zeitraum vollzogene<br />
wissenschaftliche Weiterentwicklung in den zuvor genannten Bereichen führte zu der berechtigten<br />
Forderung in Anlage 15 (zu § 11 Abs. 5, § 66) der FeV, dass Begutachtungen der<br />
Fahreignung u. a. nur nach anerkannten wissenschaftlichen Gr<strong>und</strong>sätzen vorgenommen<br />
werden dürfen. Dieser Forderung wird die Definition des Standes von Wissenschaft <strong>und</strong><br />
Technik 43 ) gerecht, indem dort ausgeführt wird: „Anerkannte Regeln der Begutachtung zur<br />
Kraftfahrereignung sind verkehrsmedizinische, verkehrspsychologische <strong>und</strong> technische<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Schubert,<br />
„Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung“ auf dem Prüfstand
Schubert,<br />
„Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung“ auf dem Prüfstand<br />
Gr<strong>und</strong>sätze, die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen als theoretisch richtig gelten, die<br />
sich in der Praxis über längere Zeit bewährt haben <strong>und</strong> von einschlägigen Fachkreisen allgemein<br />
anerkannt sind.“. Ein weiterer Gesichtspunkt für die Auswahl von in der Fahreignungsbegutachtung<br />
einzusetzenden psychologischen Methoden ist, dass diese unter<br />
strikter Beachtung der Hauptgütekriterien (Objektivität, Reliabilität oder Zuverlässigkeit,<br />
Validität oder Gültigkeit) <strong>und</strong> der Nebengütekriterien (u. a. Normierung, Testfairness,<br />
Ökonomie) erfolgt.<br />
In den BK zeigt sich der Wandel der Begutachtung von einer merkmalsorientierten klassischen<br />
Diagnostik <strong>im</strong> Rahmen der Fahreignungsbegutachtung in den letzten 10 Jahren hin zu<br />
einer verhaltensbezogenen Prozessdiagnostik, was die Abb. 4 verdeutlicht. Die BK erfüllen<br />
den Anspruch der Definition nach dem aktuellen Stand von Wissenschaft <strong>und</strong> Technik.<br />
Abb. 4: Wandel in der Diagnostik <strong>im</strong> Rahmen der Begutachtung.<br />
Darüber hinaus müssen die Medizinisch-Psychologischen Gutachten der Anlage 15 (zu<br />
§ 11 Abs. 5, § 66) FeV (allgemein verständliche Sprache, Nachvollziehbarkeit, Nachprüfbarkeit<br />
etc.) entsprechen. Sie dienen der Vorbereitung der Entscheidung der Behörde <strong>und</strong><br />
unter den zuvor genannten Aspekten erfolgt eine Würdigung der Gutachten durch die Fahrerlaubnisbehörden<br />
<strong>und</strong> ggf. die Gerichte. Sobald die explorativ erhobenen Bef<strong>und</strong>e das<br />
Gutachtenergebnis nicht tragen, ist das Gutachten nicht nur nicht nachvollziehbar, sondern<br />
unter diesen Umständen <strong>im</strong> Entscheidungsprozess auch nicht verwertbar 44 ).<br />
Die Einführung der erweiterten <strong>und</strong> überarbeiteten 2. Auflage der „Beurteilungskriterien“<br />
stellt einen wichtigen Beitrag zur Harmonisierung der Begutachtungsgr<strong>und</strong>sätze in<br />
Deutschland <strong>und</strong> <strong>im</strong> deutschsprachigen Raum mit Wirkung in die anderen europäischen<br />
Staaten dar. So haben inzwischen 10 Mitgliedsstaaten der EU (Österreich, Polen, Tschechien,<br />
Slowakei, Italien, Deutschland, Spanien, Ungarn sowie Estland <strong>und</strong> Portugal in Vorbereitung)<br />
<strong>und</strong> die Schweiz die Überprüfung der Fahreignung <strong>und</strong>/oder das Driver Improvement<br />
mit unterschiedlicher Aufgabenverteilung zwischen Medizin <strong>und</strong> Psychologie<br />
eingeführt.<br />
171<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
172<br />
2.5. Methoden der Fahreignungsbegutachtung<br />
Eine bedeutende Rolle bezüglich der Beantwortung der behördlich veranlassten Fragestellungen<br />
hinsichtlich der eingesetzten Methoden <strong>im</strong> Rahmen der Fahreignungsbegutachtung<br />
ist der Durchführung des psychologischen <strong>und</strong> ärztlichen Untersuchungsgespräches/Exploration<br />
zuzuordnen, auf die hier besonders eingegangen werden soll.<br />
Das Untersuchungsgespräch/die Exploration kann in dem Kontext der Fahreignungsbegutachtung<br />
als eine zentrale, wissenschaftlich begründete Methode 45 ) bezeichnet werden.<br />
Sie ist eine „mit psychologischer Sachk<strong>und</strong>e vorgenommene nichtstandardisierte mündliche<br />
Befragung eines einzelnen Menschen durch einen einzelnen Gesprächsführer mit dem<br />
Ziel, Aufschluss zu erhalten über das Individuum <strong>und</strong> seine Welt“ 46 ). In diesem Falle ist<br />
der Verzicht auf die Standardisierung der Exploration ein wesentlicher Vorteil <strong>gegen</strong>über<br />
einem standardisierten Test, da eine größere Flexibilität in der Gesprächsführung erreicht<br />
wird. Das Untersuchungsgespräch kann daher auf die Person <strong>und</strong> die Umstände zugeschnitten<br />
<strong>und</strong> in der Art der Gesprächsführung variiert sowie hypothesengeleitet <strong>und</strong> entscheidungsorientiert<br />
dem jeweiligen Verlauf angepasst werden. Die Exploration ist eine<br />
der zentralen, aber auch nicht unumstrittensten psychologischen Erhebungsmethoden,<br />
weshalb <strong>im</strong> weiteren Verlauf auf diese näher eingegangen wird.<br />
Im Rahmen des Untersuchungsgespräches (Exploration) können eine Reihe von Störfaktoren<br />
auftreten, wie z. B. die verbale Konditionierung, die Übertragung bzw. Gegenübertragung.<br />
Diesen möglichen störenden Einflüssen wird dadurch ent<strong>gegen</strong>gewirkt, dass<br />
die Untersucher über eine gründliche Ausbildung in Explorationstechniken <strong>im</strong> Rahmen<br />
der Ausbildung zum verkehrspsychologischen bzw. verkehrsmedizinischen Sachverständigen<br />
sowie entsprechende weitere Eigenschaften wie Berufserfahrung, Kontaktfähigkeit,<br />
Affektkontrolle, Empathie verfügen müssen 47, 48 ). Der Einarbeitung in die Explorationstechniken<br />
wird dadurch besondere Aufmerksamkeit geschenkt, dass die Träger von amtlich<br />
anerkannten Begutachtungsstellen für Fahreignung ein Explorationshandbuch auf<br />
wissenschaftlicher Gr<strong>und</strong>lage sowohl <strong>im</strong> Rahmen der Ausbildung als auch für die spätere<br />
praktische Nutzung zur Verfügung stellen. Es bildet die Richtschnur für die Datenerhebung,<br />
-auswertung, -interpretation <strong>und</strong> -integration in die Gesamtbef<strong>und</strong>würdigung. Mit<br />
der Anwendung dieses Handbuches werden wesentliche Fortschritte in Bezug auf die Objektivität<br />
<strong>und</strong> Vergleichbarkeit der Bef<strong>und</strong>erhebung <strong>im</strong> Rahmen der Qualitätssicherung<br />
<strong>und</strong> -verbesserung erzielt.<br />
Die amtlich anerkannten Träger sind verpflichtet, innerhalb des Qualitätsmanagementhandbuches<br />
ein Kapitel „Handbuch der verkehrspsychologischen Exploration“ als Verfahrensanweisung<br />
für alle Mitarbeiter zugänglich zu machen 49 ). Dieses beinhaltet z. B. die<br />
Exploration als diagnostische Methode, ein Leitfaden zur Durchführung, die Anwendung<br />
handlungstheoretischer Konzepte, die Bef<strong>und</strong>erhebung <strong>im</strong> Interaktionsprozess, die Dokumentation<br />
der Ergebnisse, Handreichungen für die Explorationspraxis sowie Gütekriterien.<br />
Es gibt somit einen Überblick, welche Daten nach dem derzeitigen wissenschaftlichen<br />
Erkenntnisstand von den Gutachtern explorativ erhoben werden müssen, um zu<br />
einer f<strong>und</strong>ierten, nachvollziehbaren, nachprüfbaren – <strong>und</strong> damit fachlich seriösen – Beantwortung<br />
der behördlich veranlassten Fragestellung zu kommen.<br />
Die konkrete Durchführung <strong>und</strong> Anwendung der Untersuchungsmethoden sowie die<br />
Interpretation der Bef<strong>und</strong>e unterliegt den Anforderungen des internen Qualitätsmanagements<br />
entsprechend den Anforderungen an Träger von Begutachtungsstellen für Fahreignung<br />
der BASt 50 ).<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Schubert,<br />
„Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung“ auf dem Prüfstand
Schubert,<br />
„Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung“ auf dem Prüfstand<br />
Die eigentliche Leistung der medizinischen <strong>und</strong> psychologischen Sachverständigen besteht<br />
darin, mittels ihres fachlichen Wissens <strong>und</strong> Ermessensspielraumes Bef<strong>und</strong>e aus verschiedenen<br />
Disziplinen, die auf unterschiedlichem Skalenniveau erhoben wurden, widerspruchsfrei<br />
zu interpretieren.<br />
Das <strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgericht (BVerfG) hat festgestellt, dass das Explorationsgespräch<br />
für die zu Untersuchenden in einer „verhörähnlichen Situation“ die Offenlegung von Einzelheiten<br />
zu ihrem Charakter, die ihre Selbstachtung ebenso wie ihr gesellschaftliches Ansehen<br />
berühren, bedeutet 51 ). Der <strong>B<strong>und</strong></strong>esgerichtshof (BGH) hat sich bezüglich der Einschätzung<br />
über den Inhalt <strong>und</strong> den Ablauf eines diagnostischen Gespräches (Exploration)<br />
mit den Betroffenen dahingehend geäußert, dass das Gespräch mit dem Psychologen ein<br />
„überlegenes Erkenntnismittel“ sei 52 ). Die Betroffenen unterziehen sich dieser Situation in<br />
Kenntnis des Umstandes, dass eine Weigerung, sich nicht untersuchen zu lassen, dazu<br />
führt, dass der fahrerlaubnisrechtliche Schluss auf Nichteignung als Folge der Nichtbeibringung<br />
eines Medizinisch-Psychologischen Gutachtens (MPG) oder eines ärztlichen<br />
Gutachtens gezogen wird 53 ).<br />
Die Exploration als „Königsweg“ verkehrspsychologischer Untersuchungen zur Person<br />
<strong>und</strong> ihren Verhaltensäußerungen ist auf Gr<strong>und</strong> ihres Arrangements <strong>im</strong> Unterschied zur<br />
Testsituation mit der Provokation von Verhalten unter sonst gleichen Bedingungen besonders<br />
sensibel <strong>gegen</strong>über Veränderungen. In ihr wird in der Vorphase der Versuch unternommen,<br />
ein durch Vertrauen getragenes Arbeitsbündnis herzustellen.<br />
Das Untersuchungsgespräch ist von daher äußeren Einflüssen <strong>gegen</strong>über hochsensibel,<br />
weshalb hier dem Vier-Augen-Prinzip absoluter Vorrang zu geben ist. Anzumerken ist<br />
in diesem Zusammenhang, dass das Explorationsgespräch an sich keine eigenständige<br />
Dienstleistung darstellt, sondern einen einzelnen Zwischenschritt (eine Methode neben<br />
mehreren) <strong>im</strong> Rahmen eines Prozesses auf dem Weg der Erstellung eines Gutachtens.<br />
Die Forderung eines Auftraggebers nach speziellen Mitschnitten/Aufzeichnungen (Tonband,<br />
Video) der Exploration bzw. von Teilen ärztlicher Gutachten wird aus den nachfolgend<br />
ausgeführten fachlichen Gründen zwar nicht befürwortet, kann jedoch z. B. bei<br />
DEKRA auf ausdrücklichen K<strong>und</strong>enwunsch bezüglich erbetener Tonbandmitschnitte erfüllt<br />
werden. Dies ist in einer gesonderten Verfahrensanweisung des Qualitätsmanagementhandbuches<br />
des DEKRA e.V. Dresden zum Themenkomplex „Tonbandmitschnitte“ (QMV<br />
0110.15) 54 ) geregelt. Im Falle eines Tonbandmitschnittes wird eine vollständige Transkription<br />
des Untersuchungsgespräches ohne Kürzungen in das Gutachten mit dem Hinweis<br />
darauf, dass es sich um die Abschrift einer Tonbandaufzeichnung handelt, integriert.<br />
Die fachlichen Gründe für eine Nichtbefürwortung dessen sind in den Voraussetzungen<br />
bei den Vertragspartnern zu sehen. Der Kraftfahrer ist privatrechtlicher Besteller des Gutachtens.<br />
Darüber hinaus besteht für die ärztlichen <strong>und</strong> psychologischen Gutachter kein<br />
Kontrahierungszwang, auch nicht bei amtlicher Veranlassung der Untersuchung.<br />
Das Gutachten ist nach den §§ 157, 242 BGB 56 ) nach der Erforderlichkeit von „Treu <strong>und</strong><br />
Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte“ zu erstatten. Dieser Gr<strong>und</strong>satz bedeutet, dass<br />
die Vertragspartner ohne <strong>gegen</strong>seitiges Vertrauen in eine sachgerechte, von Zuverlässigkeit,<br />
Aufrichtigkeit <strong>und</strong> Rücksichtnahme geprägte Abwicklung des Auftrages kein Vertragsverhältnis<br />
eingehen müssen.<br />
Die Einbeziehung von Dritten (nur in begründeten Einzelfällen z. B. des Hinzuziehens<br />
eines Dolmetschers) bzw. die auditive <strong>und</strong>/oder jüngst in die Diskussion eingebrachte<br />
visuelle Aufzeichnung des Untersuchungsgespräches muss dieses Arrangement inhaltlich<br />
173<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
174<br />
berühren bzw. verändern. Dies betrifft z. B. auch die Teilnahme von Begutachtern der<br />
BASt an Explorationsgesprächen <strong>im</strong> Rahmen der Medizinisch-Psychologischen Untersuchung<br />
bezüglich der Gesprächsinhalte des ärztlichen <strong>und</strong> psychologischen Teiles 57 ), wobei<br />
hierzu auch andere Auffassungen existieren 58 ).<br />
Die Forderung nach dem Mitschnitt ist getragen durch eine subjektive Haltung des Misstrauens<br />
<strong>gegen</strong>über der mängelfreien Arbeit des Gutachters. Dieser Sachverhalt ist gleichfalls<br />
in einer Arbeitsanweisung „Anwesenheit Dritter <strong>und</strong> Mitschnitte“ (QMA 0110.1.2) 59 )<br />
geregelt.<br />
Es sind gr<strong>und</strong>sätzlich verschiedene Möglichkeiten der Fixierung des Explorationsgesprächsinhalts<br />
denkbar. Beanstandet wird gelegentlich die gängige Praxis des Vier-Augen-<br />
Gesprächs <strong>und</strong> des Rückgriffs auf Notizen des Gutachters wegen angeblich unzureichender<br />
„Beweissicherung“ des Gesprächsinhalts. Der Verordnungsgeber legt diesbezüglich in<br />
Anlage 15 Nr. 1 e) der FeV fest, dass über die Untersuchungen Aufzeichnungen anzufertigen<br />
sind. Die Auswahl der anzuwendenden Methoden lässt er dabei bewusst <strong>und</strong> fachlich<br />
gerechtfertigt offen.<br />
Eine Lösung kann sein, dass zu „Beweissicherungszwecken“ auf Verlangen des Untersuchten<br />
ein Tonbandmitschnitt gefertigt wird (zu berücksichtigen ist die Kostenfrage, die<br />
Frage der Aufbewahrung <strong>und</strong> Aufbewahrungsdauer, die Berechtigung von Bevollmächtigten<br />
auf Übersendung einer Mitschnitt-Kopie, die Archivierung etc.).<br />
Ausgeschlossen ist die Anwesenheit von Bevollmächtigten in der Exploration – zum<br />
einen ist deren Wahrnehmung, Gedächtniskapazität, „Notizfähigkeit“ genau so begrenzt<br />
wie die des Gutachters, es erfolgt also nicht die „bessere Beweissicherung“, weil mehr Personen<br />
anwesend sind; zum anderen aber verbietet sich die Anwesenheit Dritter <strong>und</strong> insbesondere<br />
von Bevollmächtigten bei der Exploration, weil nicht nur nicht auszuschließen ist,<br />
sondern die betreffenden z. B. qua Anwaltsvertrag zum Untersuchten geradezu verpflichtet<br />
sind, ggf. zur Interessenwahrung seitens des Betroffenen zu intervenieren, womit Sinn<br />
<strong>und</strong> Zweck einer unbeeinflussten Exploration ad absurdum geführt werden.<br />
Ebenfalls keine Lösung ist eine Video-Aufzeichnung – zum einen ist kein „Beweissicherungsplus“<br />
<strong>gegen</strong>über der Tonbandaufzeichnung ersichtlich; zum anderen stellt sich<br />
die Frage der Verhältnismäßigkeit eines solchen Beweissicherungsverlangens: Strafprozessual<br />
besteht bei Beschuldigten- bzw. Zeugenvernehmungen ebenfalls weder die allgemeine<br />
Berechtigung noch die gängige Praxis, aus Gründen der Beweissicherung zugunsten<br />
des Beschuldigten eine Vernehmung per Video aufzuzeichnen. Dementsprechend kann<br />
per argumentum a maiore ad minus postuliert werden: Wenn schon die Wahrung der verfassungsmäßig<br />
garantierten Rechte eines strafverfahrensrechtlich Beschuldigten, dem der<br />
Staat mit Strafgewaltmonopol <strong>im</strong> Strafverfahren <strong>gegen</strong>übertritt, es nicht erfordert, dem<br />
Beschuldigten Beweissicherung qua Video-Aufzeichnung zu gewährleisten, dann ist dies<br />
erst recht nicht der Fall in einer MPU-Exploration, in der der Betroffene nicht Beschuldigter,<br />
sondern werkvertragsrechtlich gesehen Gutachten-Auftraggeber auf Augenhöhe ist,<br />
der ja z. B. auch das Recht hat, einer Gutachtenverwertung (<strong>und</strong> Weiterleitung an die Führerscheinbehörde)<br />
zu widersprechen. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass die Qualität der<br />
Gutachten weder durch Tonband- <strong>und</strong> auch nicht durch Videomitschnitte erhöht werden<br />
kann. Darüber hinaus fehlen wissenschaftlich begründete Kriterien über eine objektive<br />
Auswertung <strong>und</strong> den Nutzen von Videoaufzeichnungen.<br />
Auf Gr<strong>und</strong> der zentralen Bedeutung des Untersuchungsgespräches wird von den beiden<br />
Fachgesellschaften DGVP <strong>und</strong> DGVM in der in Vorbereitung befindlichen erweiterten <strong>und</strong><br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Schubert,<br />
„Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung“ auf dem Prüfstand
Schubert,<br />
„Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung“ auf dem Prüfstand<br />
überarbeiteten 3. Auflage der BK u. a. ein eigenes Kapitel „Exploration“ hinzugefügt, das<br />
dann auch für alle Träger von amtlich anerkannten BfF verbindlich eingeführt werden soll.<br />
Dies ist ein konkreter Beitrag zur kontinuierlichen Verbesserung <strong>im</strong> methodischen Bereich.<br />
Ein weiterer Bestandteil der Fahreignungsbegutachtung sind außerdem objektive<br />
psychometrische Tests (Leistungstests, Persönlichkeitstests), die fahreignungsrelevante<br />
Sachverhalte (Aufmerksamkeit, Konzentration, Aggressivität etc.) überprüfen.<br />
Der Einsatz von psychologischen Testverfahren in der Begutachtung der Fahreignung<br />
zur Überprüfung der psychofunktionalen Leistungsvoraussetzungen wird <strong>im</strong> Kap. 7.2 der<br />
2. Auflage der BK dargestellt. Hier ist DEKRA in Abweichung von den Begutachtungs-<br />
Leitlinien zur Kraftfahrereignung in ausgewählten Testverfahren (Thematisches Testsystem<br />
Corporal 60 )) dazu übergegangen, statt des dort verwendeten Bewertungsmaßstabes<br />
Prozentrang auf die Nutzung von T-Werte als normierte Messwerte zu wechseln. Die<br />
T-Skala ist eine metrische Skala der Messwerte <strong>und</strong> bietet den Vorteil, dass die bei jedem<br />
Testverfahren stets vorhandene Messungenauigkeit berechenbar ist 61 ). Diese sollte – <strong>im</strong><br />
Sinne der Entlastungsdiagnostik – nicht fälschlich der Testperson angelastet werden. Ein<br />
T-Wert von T = 20 steht für die geringste, T = 80 für die bestmögliche Leistung. Der so<br />
genannte „Normalbereich“ ist als Mittelwert plus/minus Standardabweichung (T = 50 ± 10)<br />
eindeutig definiert. T-Werte zwischen 40 <strong>und</strong> 60 stehen somit für eine durchschnittliche<br />
Leistung. Ferner wird zum T-Wert der Standardmessfehler CL(T) angegeben. Dieser zeigt<br />
an, in welcher Bandbreite der erreichte Testwert einer Mess-Ungenauigkeit unterliegen kann.<br />
Die wissenschaftliche Begründung für die Anwendung von T-Werten liegt auch in der<br />
Frage, ab wann welche Messwertunterschiede bzw. Messungenauigkeiten zu einer Veränderung<br />
hinsichtlich der Interpretation der Bef<strong>und</strong>e aus dem durchgeführten Leistungstest<br />
führen können. Darin eingeschlossen ist die Frage, welche Messgenauigkeit für die Untersuchungszwecke<br />
in der Fahreignungsbegutachtung notwendig <strong>und</strong> zu fordern sind, um zu<br />
fachlich seriösen Begutachtungsergebnissen bei der Bewertung ausgewählter psychofunktionaler<br />
Leistungsvoraussetzungen – die auf Reaktionszeitmessungen basieren – zu gelangen,<br />
nicht aber darum, wozu wir messtechnisch in der Lage wären. Hier widerspiegelt sich<br />
die gleiche Problematik wie <strong>im</strong> o. g. Beispiel die Toxikologie betreffend. 62 )<br />
3. Nationale <strong>und</strong> internationale Erfahrungen sowie Entwicklungen<br />
<strong>im</strong> Bereich der Begutachtung der Fahreignung <strong>und</strong> des Driver<br />
Improvement<br />
Kriterien der Bewertung zukünftiger Modelle zur Begutachtung der körperlichen <strong>und</strong><br />
geistigen Eignung von Kraftfahrzeugführern rücken in den letzten Jahren verstärkt in<br />
das Zentrum nicht nur deutscher, sondern auch europäischer Überlegungen. Die den zukünftigen<br />
Überlegungen zugr<strong>und</strong>e liegenden gesellschafts- <strong>und</strong> verkehrspolitischen<br />
aber auch fachlichen Auffassungen werden in den von VdTÜV <strong>und</strong> DEKRA vorbereiteten<br />
Fit to Drive-Kongressen auf internationaler Ebene diskutiert. Bisher fanden Kongresse<br />
2006 in Berlin 63 ), 2007 in Wien 64 ), 2008 in Prag 65 ) <strong>und</strong> 2009 in Tallinn 66 ) statt.<br />
Diese Bemühungen wurden durch den Vertreter des Directorate-General for Energy and<br />
Transport (DG TREN), Herrn JOEL VALMAIN, anlässlich des Kongresses in Tallinn „als<br />
fester Bestandteil der europäischen Harmonisierungspolitik für Verkehrssicherheit“ gewürdigt.<br />
Die Kongresse sind auch ein Beitrag zur Umsetzung der EU-Charta mit dem<br />
175<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
176<br />
Ziel, die Anzahl der Todesopfer <strong>im</strong> Straßenverkehr bis zum Jahre 2010 zu halbieren<br />
(EU-Charta Dublin 67 )).<br />
Die spezifischen fachlichen Sachverhalte (z. B. medizinische <strong>und</strong> psychologische Methodenentwicklung),<br />
die <strong>im</strong> Rahmen der Begutachtung der körperlichen <strong>und</strong> geistigen<br />
Eignung von Bedeutung sind, werden auf den vorrangig wissenschaftlich, verwaltungsrechtlich<br />
ausgerichteten Fachkongressen der Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin<br />
e.V. (DGVM) <strong>und</strong> der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie e. V. (DGVP)<br />
unter Einbeziehung der Gesellschaft für Toxikologische <strong>und</strong> Forensische Chemie<br />
(GTFCh) diskutiert. Hier stehen vor allem auch interdisziplinäre Aspekte der Begutachtung<br />
<strong>im</strong> Vordergr<strong>und</strong>, die durch die Diskussion von Verbesserungspotenzial zu einer Harmonisierung<br />
der Begutachtungsgr<strong>und</strong>lagen nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen<br />
europäischen Ländern beitragen. Diese Fachsymposien fanden bisher 2004 in<br />
Berlin, 2006 in Frankfurt am Main, 2007 in Dresden 68 ), 2008 in Neu-Ulm 69 ) <strong>und</strong> 2009 in<br />
We<strong>im</strong>ar statt.<br />
Es ergibt sich aus mehrerlei Gründen die Konsequenz, das deutsche Verkehrszentralregister<br />
zu reformieren, um die Betroffenen frühzeitiger auf die Entwicklung <strong>und</strong> Verfestigung<br />
von Fehlverhaltensweisen aufmerksam zu machen, sodass sie in die Lage versetzt<br />
werden, entsprechende Maßnahmen bezüglich der Veränderung ihres die gesellschaftlichen<br />
Normen verletzenden Verhaltens zu ergreifen. Dies wird besonders deutlich bei der<br />
Bestandsaufnahme <strong>und</strong> der Perspektive der Verkehrspsychologischen Beratung nach § 4<br />
Abs. 9 Straßenverkehrsgesetz (StVG) <strong>und</strong> §§ 38 <strong>und</strong> 71 FeV 70 ).<br />
Der Gedanke der sek<strong>und</strong>ären Prävention <strong>im</strong> Sinne der Diskussion des PASS-Modells<br />
(Psychological and Medical Assistance for Safe Mobility) 71 ) zur Förderung <strong>und</strong> Sicherung<br />
der individuellen Mobilitätskompetenz wird durch die <strong>gegen</strong>wärtige Platzierung des § 71<br />
FeV <strong>im</strong> Punktesystem nur unangemessen berücksichtigt. Unter Beachtung der empirischen<br />
Bef<strong>und</strong>lage ist die Platzierung dieser Beratung <strong>im</strong> Punktesystem dringend dahingehend<br />
reformbedürftig, dass die Verkehrspsychologische Beratung bereits bei 7 Punkten <strong>im</strong><br />
KBA einsetzen <strong>und</strong> mit einem Punkteabzug von 4 Punkten belohnt werden sollte, ohne<br />
dass die anderen <strong>im</strong> System vorgesehenen Maßnahmen dadurch Schaden nehmen. Auch<br />
die erzieherische Wirkung des Verkehrsunterrichts 72 73 ) gem. § 48 Straßenverkehrsordnung<br />
(StVO) sowie gem. § 10 Jugendgerichtsgesetz (JGG 74 )) bietet einen weiteren Ansatz,<br />
durch individuelle Angebote zur Verhaltensänderung auf Betroffen direkt einzuwirken.<br />
Diese Maßnahmen müssen darauf gerichtet sein, in allererster Linie den Führerscheinverlust<br />
durch die Entwicklung der Lern- <strong>und</strong> Anpassungsbereitschaft (vgl. BR-Drs 443/98 75 ))<br />
zu verhindern. Punktesysteme sind eine Voraussetzung für die Förderung der Fahreignung<br />
sowie die Begutachtung der körperlichen <strong>und</strong> geistigen Eignung.<br />
Hier gehen wesentliche Bemühungen von Deutschland aus, eine Harmonisierung <strong>und</strong><br />
Anpassung der Punktesysteme unter den Mitgliedsstaaten der EU herbeizuführen, indem<br />
ein EU-Projekt „BEST POINT“: Handbuch für die Implementierung wirksamer Punktesysteme<br />
in Europa vorbereitet wird. Ein entsprechender EU-Projektvorschlag, an dem sich<br />
19 Länder einschließlich Deutschland beteiligen, liegt z. Zt. bei der EU-Kommission in<br />
Brüssel zur Entscheidungsfindung vor. In 20 von 27 Mitgliedsstaaten der EU sind bereits<br />
Punktesysteme – allerdings höchst unterschiedlicher Art – eingeführt.<br />
Auch die Möglichkeit der technischen Nutzung von Interlock-Systemen in der ausschließlichen<br />
Verbindung mit psychologischen Rehabilitationsmaßnahmen ist zu prüfen.<br />
Diesen Systemen der Verbindung zwischen Mensch <strong>und</strong> Technik müssen wir<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Schubert,<br />
„Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung“ auf dem Prüfstand
Schubert,<br />
„Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung“ auf dem Prüfstand<br />
erhöhte Aufmerksamkeit schenken, da sie international eine hohe Verbreitungsgeschwindigkeit<br />
entwickeln <strong>und</strong> Deutschland auf diesem Gebiet nicht den Anschluss verlieren<br />
sollte.<br />
4. Beispiele für den Umgang mit Betroffenen in Ländern ohne MPU<br />
In der öffentlichen Diskussion werden hin <strong>und</strong> wieder Alternativen zur MPU erörtert<br />
<strong>und</strong> z. T. gefordert. An einigen Beispielen soll dargelegt werden, wie in anderen Ländern<br />
mit anlassbezogenen aktenk<strong>und</strong>igen Auffälligkeiten <strong>im</strong> Straßenverkehr bei best<strong>im</strong>mten<br />
Deliktkonstellationen umgegangen wird.<br />
– In Italien 76 ) <strong>und</strong> auch in einigen Staaten der USA (z. B. in Kalifornien) wird <strong>im</strong> Falle<br />
einer <strong>Alkohol</strong>fahrt über 1,5 Promille das Fahrzeug – sofern der Fahrer auch Eigentümer<br />
ist – beschlagnahmt <strong>und</strong> versteigert.<br />
– In Frankreich wird man in jedem Fall bestraft, wenn man mit mehr als 0,5 Promille<br />
in einen Unfall verwickelt ist – unabhängig von der Schuldfrage. Der Führerschein<br />
kann bis zu 6 Jahre entzogen werden <strong>und</strong> muss hinterher neu abgelegt werden. Für<br />
besonders schwere Unfälle, in deren Folge Arbeitsunfähigkeiten über 3 Monate oder<br />
gar Todesfälle zu verzeichnen sind, gibt es Gefängnisstrafen <strong>und</strong> Geldbußen bis<br />
150.000 EUR. 77 )<br />
– In Japan beträgt das <strong>Alkohol</strong>l<strong>im</strong>it 0,3 Promille. Strafen für betrunkene Autofahrer<br />
sowie für Mitfahrer, Autohalter <strong>und</strong> <strong>Alkohol</strong>verkäufer sind Zwangsarbeit bis zu 5 Jahren<br />
oder Geldstrafen bis 10.000 US-Dollar.<br />
– In Westaustralien bekommt man nach der dritten <strong>Drogen</strong>auffälligkeit keinen Führerschein<br />
mehr.<br />
– In den USA hat ein als alkohol- <strong>und</strong> drogenabhängig bekannter Vietnam-Veteran unter<br />
<strong>Alkohol</strong>- <strong>und</strong> <strong>Drogen</strong>einfluss einen Unfall verursacht, bei dem zwei Studentinnen ums<br />
Leben kamen. Er wurde zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, nachdem der<br />
Staatsanwalt sogar die Todesstrafe gefordert hatte. 78 )<br />
– In China wurde ein Mann zum Tode verurteilt, nachdem er betrunken einen Verkehrsunfall<br />
verursacht hat, bei dem 4 Menschen ums Leben kamen. 79 )<br />
Maßnahmen wie die Beschlagnahme des Tatfahrzeugs, das Ablegen einer erneuten Befähigungsprüfung<br />
viele Jahre nach dem Delikt, Zwangsarbeit, hohe Geld- oder Haftstrafen<br />
bzw. Todesstrafe sind in ihrer Wirkung zur Abschreckung mehr als strittig. Auch bleibt es<br />
zweifelhaft, ob die Anzahl der Delikte <strong>und</strong> die Rückfallwahrscheinlichkeit allein durch die<br />
Schwere der Strafe reduzierbar ist. Vermag es die schwerste Strafe, einen Täter von einer<br />
weiteren <strong>Alkohol</strong>- oder <strong>Drogen</strong>fahrt abzuhalten, solange er unter dem Einfluss der psychoaktiven<br />
Substanz steht – sicherlich nicht! Auch weist allein die Schwere der Folgen keinen<br />
Weg zur Besserung.<br />
An diesen Beispielen wird deutlich, dass Strafe allein zu keiner Verhaltensänderung in<br />
Richtung regelkonformen Sozialverhaltens führt, sofern keine Rehabilitationschancen angeboten<br />
werden, die die Fähigkeit des Menschen <strong>im</strong> Sinne der Konzeptionen des lebenslangen<br />
Lernens zum Erwerb neuer Kompetenzen (z. B. Verhaltensänderungen) berücksichtigen<br />
80 81 82 83 ). Bereits in den 60er <strong>und</strong> 70er Jahren wurden in der Psychologie Theorien<br />
entwickelt, die sich mit der Verhaltensänderung durch Strafe oder Furcht befassten<br />
84 85 ). Diese sogenannten „Furchtappelltheorien“ konnten empirisch nicht belegt<br />
werden 86 ). Furchtappelle sind nur dann wirksam, wenn gleichzeitig Bewältigungskompe-<br />
177<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
178<br />
tenzen gefördert werden <strong>und</strong> Handlungsziele, Handlungsergebnisse <strong>und</strong>/oder Selbstwirksamkeitserwartungen<br />
gestärkt werden.<br />
Die zuvor dargestellten Sanktionen sind keine Alternativen, an denen sich Deutschland<br />
orientieren kann. In der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik hat jeder Betroffene die Möglichkeit – unabhängig<br />
davon, wie schwerwiegend seine Delikte waren – <strong>im</strong> Rahmen einer Medizinisch-<br />
Psychologischen Begutachtung die durch ihn vollzogenen, stabilen Veränderungen seines<br />
Verhaltens <strong>im</strong> Straßenverkehr zu belegen <strong>und</strong> hat somit eine realistische Chance auf einen<br />
Führerschein. Die Medizinisch-Psychologische Begutachtung ist somit eine evaluative<br />
Maßnahme, die überprüft, ob die von dem Betroffenen unternommenen Maßnahmen (Verkehrspsychologische<br />
Therapie, Entgiftung, Entwöhnung etc.) <strong>im</strong> Einzelfall ihre Wirksamkeit<br />
entfaltet haben.<br />
Das System der MPU wurde durch den Verein der Technischen Überwachungs-Vereine<br />
(VdTÜV) in drei Teilstudien evaluiert, was aber bereits 20 Jahre zurück liegt 87 88 ). Hier ist<br />
neuer Forschungsbedarf erforderlich, der die Wirksamkeit der MPU unter Berücksichtigung<br />
der methodischen Besonderheiten etc. neu belegt.<br />
5. Analyse des Begutachtungssystems<br />
Die MPU hat sich als ein Institut zur Erhöhung der Verkehrssicherheit <strong>und</strong> als geeignetes<br />
Mittel zur Begutachtung der Fahreignung bewährt. Es ergeben sich aus den nationalen<br />
<strong>und</strong> internationalen Erkenntnissen Verbesserungspotenziale. Diese sind <strong>im</strong> Folgenden:<br />
Ein Beispiel verdeutlicht, wie sich die Fachgesellschaften auch um die Weiterentwicklung<br />
der Methoden in den einzelnen Fachdisziplinen einschließlich der Systembetrachtungen<br />
<strong>und</strong> deren gesellschaftliche Auswirkungen bis hin zu Überlegungen für die Gesetzes-<br />
<strong>und</strong> Verordnungsgestaltung bemühen. Dies wird an der Thematik der Indikation zur<br />
Überprüfung der Fahreignung bei schädlichem <strong>Alkohol</strong>konsum kurz dargestellt werden. 89 )<br />
In diesem Beitrag ist man der Frage nachgegangen, ob die <strong>gegen</strong>wärtige Indikation zur<br />
Überprüfung der Fahreignung bei 1,6 Promille <strong>Blutalkohol</strong>konzentration (BAK) für Erstauffällige<br />
wissenschaftlich ausreichend gesichert ist. Es wurde untersucht, in welchen<br />
Konzentrationsbereichen Missbrauchsmarker in den Kohorten von 0,2 – 0,5 Promille,<br />
0,5 – 1,0 Promille, 1,0 – 1,5 Promille, 1,5 – 2,0 Promille, 2,0 – 2,5 Promille <strong>und</strong> über<br />
2,5 Promille vorliegen. Des Weiteren wurde an Hand einer Metaanalyse geprüft, welche<br />
Ausprägung <strong>und</strong> welchen Stellenwert psychofunktionale Beeinträchtigungen <strong>und</strong> Ausfallerscheinungen<br />
(u. a. Reaktion, Konzentration, Aufmerksamkeit) in der Zuordnung zu den<br />
o. g. Kohorten haben.<br />
Auf die psychologischen Komponenten bezogen – ohne dabei an dieser Stelle auf die<br />
medizinischen <strong>und</strong> toxikologischen Sachverhalte einzugehen – ergab sich folgendes Erscheinungsbild:<br />
MOSKOWITZ <strong>und</strong> ROBINSON (1988) 90 ) analysierten 177 wissenschaftliche Veröffentlichungen<br />
aus den Jahren 1940 bis 1985 <strong>und</strong> konnten einen alkoholinduzierten Leistungsabfall belegen.<br />
Dies war in 21 % der Studien ab 0,4 Promille, in 34 % der Studien ab 0,5 Promille,<br />
in 66 % der Studien ab 0,8 Promille <strong>und</strong> in fast allen Studien ab 1,0 Promille der Fall.<br />
Eine Literaturanalyse von MOSKOWITZ <strong>und</strong> FIORENTINO (2000) 91 ), in die 112 Artikel von<br />
1981 bis 1997 eingeflossen sind, ergab, dass in einem Großteil der Studien ab einer BAK<br />
von 0,5 ‰ Ausfallerscheinungen nachgewiesen wurden. Ab einer BAK von 0,8 ‰ belegten<br />
94 % der Studien Ausfallerscheinungen durch <strong>Alkohol</strong>.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Schubert,<br />
„Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung“ auf dem Prüfstand
Schubert,<br />
„Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung“ auf dem Prüfstand<br />
In einer qualitativen <strong>und</strong> quantitativen Analyse von SCHUBERT <strong>und</strong> STEWIN (2009) 92 ) über<br />
z. Zt. 49 seit 1970 veröffentlichte Artikel wurde ermittelt, dass 98 % der Studien psychofunktionale<br />
bzw. medizinische Ausfallerscheinungen (z. B. Aufmerksamkeit, Sehen, Tracking,<br />
Reaktionsgeschwindigkeit) ab einer <strong>Blutalkohol</strong>konzentration von 0,8 ‰ auswiesen.<br />
Abb. 5: Quantitative Datenauswertung alkoholinduzierter Ausfallerscheinungen.<br />
Die Abb. 6 gibt einen Überblick über die betroffenen qualitativ, vor allem psychofunktional<br />
beeinträchtigten Leistungen.<br />
Abb. 6: Qualitative Datenauswertung alkoholinduzierter Ausfallerscheinungen.<br />
179<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
180<br />
Der Zusammenhang zwischen dem Risiko einen Unfall zu verursachen (Verursachungsrisiko)<br />
in Abhängigkeit vom <strong>Alkohol</strong>isierungsgrad ist von KRÜGER et al. 93 ) <strong>und</strong> BORKEN-<br />
STEIN et al. 94 ) untersucht worden. Zusammengefasst sind die Ergebnisse in Abb. 7 dargestellt.<br />
An dieser Stelle wird unter Berücksichtigung wissenschaftlicher Maßstäbe verdeutlicht,<br />
dass aus medizinischer, psychologischer <strong>und</strong> toxikologischer Sicht sowie unter Aspekten<br />
des Verursachungsrisikos bei schädlichem <strong>Alkohol</strong>konsum die Absenkung der Promillegrenze<br />
als gesellschaftliches Ziel unumgänglich ist. Es ist letztendlich eine politische Entscheidung,<br />
ob ein bei 1,6 Promille 40-fach erhöhtes Verursachungsrisiko, unter <strong>Alkohol</strong>einfluss<br />
einen Unfall zu verursachen, gesellschaftlich akzeptabel ist.<br />
Im Gr<strong>und</strong>e genommen geht es um die Frage, ob man die Eignung nicht schon bei Verkehrsauffälligkeiten<br />
unterhalb von 1,6 Promille prüfen müsste: Bei alkoholauffälligen<br />
Kraftfahrern <strong>im</strong> Straßenverkehr unter 1,6 Promille gibt es viele, deren Konsummarkerprofil<br />
auf Konsumgewohnheiten mit Spitzenwerten über 1,6 Promille hinweisen. Sie müssten<br />
aus den gleichen Gründen wie die mit nachgewiesenen 1,6 Promille einer Eignungsüberprüfung<br />
zugeführt werden. Um die diesbezüglich Auffälligen zu erkennen, sollten ab<br />
1,1 Promille Markeruntersuchungen erfolgen, die entweder belegen, dass es ein „fahrender<br />
Trinker“ ist oder ein „trinkender Fahrer“, wenn der Marker unter dem Grenzwert liegt,<br />
der einen 1,6 Promille entsprechenden Konsum anzeigt (bei SEK 5 ng/ml Serum Ethylglucuronid-Konzentration).<br />
Es fehlt zur Zeit eine bessere Erfassung der gefährlichen<br />
Trinker auch dann, wenn sie glücklicherweise mit geringeren <strong>Alkohol</strong>konzentrationen als<br />
1,6 Promille erwischt wurden. Je früher man sie überprüft <strong>und</strong> ggf. rehabilitiert, desto erfolgreicher<br />
kann man ihr Gefährdungspotenzial <strong>im</strong> Straßenverkehr mindern <strong>und</strong> gleichzeitig<br />
ihre Ges<strong>und</strong>heit stabilisieren.<br />
Vorzuschlagen ist an dieser Stelle die Absenkung der Indikation für eine Fahreignungsbegutachtung<br />
auf 1,1 Promille, was <strong>im</strong>mer noch einem 10-fachen Verursachungsrisiko<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Schubert,<br />
„Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung“ auf dem Prüfstand<br />
Abb. 7: Verursachungsrisiko in Abhängigkeit vom <strong>Alkohol</strong>isierungsgrad.
Schubert,<br />
„Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung“ auf dem Prüfstand<br />
entspricht. Ein weiterer Vorteil bestünde darin, dass sowohl <strong>im</strong> Straf- als auch <strong>im</strong> Verwaltungsverfahren<br />
analoge Grenzwerte gelten würden.<br />
Ein weiterer Gr<strong>und</strong> leitet sich aus dem Umstand ab, dass in den Vorschriften zur Vierten<br />
Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung <strong>und</strong> anderer straßenverkehrsrechtlicher<br />
Vorschriften 95 ) klargestellt worden ist, dass die „frühere <strong>Drogen</strong>abhängigkeit“<br />
<strong>und</strong> die „frühere <strong>Alkohol</strong>abhängigkeit“ rechtlich gleich zu behandeln sind. Diese Festlegung<br />
schließt auch die Auswahl fachlich vergleichbarer Methoden, der eingesetzten Messtechnik<br />
einschließlich der Anwendung von Ermessensspielräumen bei der Interpretation<br />
der Bef<strong>und</strong>e ein. Derzeit wird, was das geforderte Prinzip der Gleichbehandlung der<br />
genannten Stoffklassen <strong>im</strong> Rahmen der Fahreignungsbegutachtung betrifft, mit extrem<br />
unterschiedlichen Maßstäben gemessen.<br />
Das Ziel entsprechender wissenschaftlicher Arbeiten ist die Ableitung empirisch <strong>und</strong><br />
analytisch gestützter Schlussfolgerungen aus Konzentrationen von Missbrauchsmarkern<br />
in Blutproben unmittelbar nach Unfällen oder Verkehrskontrollen. Die Ergebnisse sind<br />
dann die erweiterte Indikation zur Überprüfung der Fahreignung bei schädlichem <strong>Alkohol</strong>konsum.<br />
Ferner führen sie <strong>im</strong> Sinne des PASS-Modells z. B. zu einer frühzeitigen Einleitung<br />
geeigneter Rehabilitationsmaßnahmen bis hin zu markergestützten Verlaufskontrollen<br />
zur Überprüfung der Änderungen des Trinkverhaltens. Am Ende des Prozesses<br />
steht dann <strong>im</strong>mer die Überprüfung der Fahreignung in Abhängigkeit von der behördlich<br />
veranlassten Fragestellung durch ein ärztliches bzw. Medizinisch-Psychologisches Gutachten.<br />
Das beschriebene Vorgehen führt auch zu einer Vereinfachung des Verwaltungsverfahrens<br />
zur Neuerteilung der Fahrerlaubnis, wie auch aus dem Vorschlag für ein Modell<br />
zur Förderung, Erhaltung <strong>und</strong> Wiederherstellung der individuellen Mobilität hervorgeht.<br />
Abb. 8: Modell zur Förderung, Erhaltung <strong>und</strong> Wiederherstellung der individuellen Mobilität.<br />
Nach jeder Maßnahme (unabhängig von deren Art – Rehabilitation, Kurse von Psychologen,<br />
Medizinern, Suchttherapeuten oder Pädagogen etc., Klinikaufenthalte, Coaching,<br />
Selbstheilungspotenzial etc.) ist durch eine individuelle Begutachtung zu prüfen, ob die<br />
Maßnahme <strong>im</strong> Einzelfall bei dem Betroffenen gewirkt hat.<br />
181<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
182<br />
Der Arbeit mit Auflagen <strong>und</strong> Beschränkungen aus medizinischer, verhaltenspsychologischer<br />
<strong>und</strong> technischer Sicht kommt unter Berücksichtigung lebensnaher Aspekte steigende<br />
Bedeutung zu.<br />
Der Methodenentwicklung in der Medizin, Toxikologie <strong>und</strong> Psychologie ist forschungsseitig<br />
besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Hierzu zählen in der Psychologie die Entwicklung<br />
weiterer leistungs- <strong>und</strong> persönlichkeitspsychologischer Testverfahren.<br />
In allen Bereichen ist unter Berücksichtigung empirischer Belege die Grenzwertdiskussion<br />
für die Festlegung von Cutoff-Werten, Best<strong>im</strong>mungsgrenzen, Anhaltepunkten etc.<br />
voranzutreiben.<br />
6. Reformvorschläge für das System <strong>und</strong> die eingesetzten Methoden<br />
Die besonders hervorzuhebende Stärke des Gesamtsystems der MPU besteht unter<br />
Berücksichtigung gesellschaftlicher, fachlicher <strong>und</strong> verwaltungsrechtlicher Aspekte, vor<br />
allem aber der Interessen der Betroffenen in dem Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit.<br />
Unter Beachtung des außerordentlich hohen normativen wissenschaftlich unterlegten<br />
Standards <strong>und</strong> der für dessen Wahrung bereits de lege lata <strong>und</strong> de facto installierten internen<br />
<strong>und</strong> externen Kontrollmechanismen ist für die Begutachtungsstellen <strong>und</strong> deren Träger eine<br />
sehr hohe Kontrolldichte erreicht. Eine weitere Steigerung derselben ist weder geeignet<br />
noch erforderlich <strong>und</strong> auch nicht verhältnismäßig gemessen an dem „erhofften Zusatznutzen“.<br />
Durch die vorzuhaltenden Qualitätsmanagementsysteme der Träger ist eine engmaschige<br />
fachliche <strong>und</strong> (verwaltungs- <strong>und</strong> zivil-)rechtliche Kontrolle bis hin zur Überprüfung<br />
einzelner eingesetzter medizinischer bzw. psychologischer Methoden (vgl. z. B. LG<br />
Bautzen 96 )) abgesichert.<br />
Die fachlich-inhaltlichen Anforderungen an MPU-Gutachten sowie die Gr<strong>und</strong>sätze für<br />
die Durchführung der Untersuchungen sind durch öffentlich-rechtliche Rechtssätze des<br />
Verordnungsgebers (Anlage 15 zu § 11 Abs. 5, § 66 FeV) definiert. Diese werden z. Zt.<br />
noch untergesetzlich flankiert von den „Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung“<br />
der BASt <strong>und</strong> den „Beurteilungskriterien“ der maßgeblichen wissenschaftlichen Fachgesellschaften<br />
(DGVP, DGVM <strong>und</strong> GTFCh).<br />
Das Begutachtungssystem als solches hat sich bewährt <strong>und</strong> sollte unter Berücksichtigung<br />
der Reformvorschläge weiterentwickelt werden. Hinsichtlich der Frage, wer die Prüfer<br />
prüft, ist festzuhalten, dass die ärztlichen <strong>und</strong> psychologischen Gutachter sowohl durch<br />
die BASt, durch trägerspezifische interne Produkt- <strong>und</strong> Systemaudits als auch durch die<br />
Führerscheinbehörden, die die Gutachten bezüglich der Verwertbarkeit für ihre Entscheidung<br />
bewerten, überprüft werden. Des Weiteren besteht die Möglichkeit, die Gutachten<br />
auch zivil- <strong>und</strong>/oder verwaltungsrechtlich überprüfen zu lassen.<br />
Für die Zukunft wird es von besonderer Bedeutung sein, dass die Begutachtung der Fahreignung<br />
nach b<strong>und</strong>esweit einheitlichen Maßstäben <strong>und</strong> Kriterien durchgeführt wird. Hierbei<br />
sind bewährte wissenschaftliche Verfahren anzuwenden, die unter Beachtung der für<br />
die Untersuchung <strong>und</strong> Gutachtenerstellung geltenden Gr<strong>und</strong>sätze <strong>und</strong> Anforderungen<br />
durchgeführt werden. Dies trifft gleichermaßen für Medizinisch-Psychologische als auch<br />
für ärztliche Gutachten zu.<br />
Sich <strong>im</strong> Begutachtungsverfahren der BASt ergebende wiederholte schwerwiegende Abweichungen<br />
sind mit den jetzt schon möglichen verwaltungsrechtlichen <strong>und</strong> fachlichen<br />
Konsequenzen zu sanktionieren (z. B. Untersagung der Tätigkeit der BfF durch die zu-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Schubert,<br />
„Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung“ auf dem Prüfstand
Schubert,<br />
„Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung“ auf dem Prüfstand<br />
ständige Aufsichts- bzw. Anerkennungsbehörde unter Berücksichtigung des Begutachtungsberichtes<br />
über die Erfüllung der Anforderungen der BASt). Im Interesse der Aufrechterhaltung<br />
als zutreffend erkannter <strong>und</strong> notwendiger Standards müssen allerdings<br />
diese Stellen mit wirksamen rechtlichen Instrumentarien ausgestattet sein.<br />
Da sowohl Medizinisch-Psychologische Gutachten als auch ärztliche Gutachten <strong>im</strong> Bereich<br />
der Fahreignungsbegutachtung die gleiche Wirkung hinsichtlich der Wiedererteilung<br />
bzw. des Erhalts einer Fahrerlaubnis entfalten, sollten für die ärztlichen Gutachten die gleichen<br />
Anforderungen wie für die MPU-Gutachten entsprechend der Anlage 15 (zu § 11<br />
Abs. 5, § 66) FeV konsequent angewendet werden. Die BK müssen daher auch in dem Bereich<br />
der ärztlichen Gutachten volle Anwendung finden. Auch die von Ärzten außerhalb<br />
einer BfF erstellten Fahreignungsgutachten sollten b<strong>und</strong>esweit statistisch erfasst werden,<br />
um für wissenschaftliche Zwecke zur Feststellung von Verbesserungspotenzial (Ausbildung,<br />
Fragestellungen, Analyse der Gutachtenergebnisse, Methodeneinsatz etc.) zur Verfügung<br />
zu stehen, um so die Weiterentwicklung der „Begutachtungs-Leitlinien“ <strong>und</strong> der<br />
„Beurteilungskriterien“ zu unterstützen <strong>und</strong> die MPU zu evaluieren 97 ).<br />
Zur Sicherung des hohen fachlichen Standards der Fahreignungsbegutachtung in Deutschland<br />
<strong>und</strong> der nationalen Interessen – zur Vermeidung eines neuartigen Führerscheintourismus<br />
– ist es erforderlich, auch die Psychologie in der in Überarbeitung befindlichen 3. EU-<br />
Führerschein-Richtlinie – ANNEX III 98 ) zur verankern. Hierbei beinhaltet der Begriff „Psychologie“<br />
sowohl Fragen der Begutachtung als auch Maßnahmen des Driver Improvement.<br />
Dem <strong>B<strong>und</strong></strong>esverkehrsministerium wird empfohlen, in dieser Richtung in der EU aktiv zu<br />
werden.<br />
Der entscheidende Vorteil des Begutachtungssystems zur Kraftfahreignung besteht in<br />
Deutschland in der Ausrichtung aller medizinischen, psychologischen <strong>und</strong> ingenieurtechnischen<br />
Maßnahmen auf die Einzelfallgerechtigkeit. Es gewährleistet darüber hinaus den<br />
Verbraucherschutz <strong>und</strong> bietet den Betroffenen Chancengleichheit sowie Rechtssicherheit<br />
<strong>und</strong> Rechtsgleichheit.<br />
Abschließend erfolgt eine stichpunktartige Übersicht der Reformvorschläge:<br />
– unmittelbar nach Delikt zeitnahe Durchführung einer Zuweisungsdiagnostik unter<br />
Einbeziehung von Laborparametern<br />
– Einführung einer Begutachtung (Qualitätsbewertung) von Trägern bzw. Anbietern von<br />
Vorbereitungsmaßnahmen<br />
– Durchführung von auf die Person zugeschnittenen medizinischen bzw. psychologischen<br />
Interventionsmaßnahmen mit anschließender Fahreignungsbegutachtung –<br />
Evaluation des Erfolges <strong>im</strong> Einzelfall<br />
– Aufrechterhaltung der Qualität <strong>und</strong> rechtlich verbindliche Regelungen für die Begutachtung<br />
<strong>und</strong> Überwachung der Träger von BfF durch die BASt<br />
– verbindliche Regelung der fachlichen Standards (BGL <strong>und</strong> BK) für MPU- sowie ärztliche<br />
Gutachten in gleicher Weise (Rechtsgleichheit, Rechtssicherheit, Einzelfallgerechtigkeit,<br />
Chancengleichheit, Verbraucherschutz).<br />
– Absenkung der Indikation zur Überprüfung der Fahreignung bei schädlichem <strong>Alkohol</strong>konsum<br />
auf 1,1 Promille<br />
– Verankerung der Psychologie in die 4. EU-Führerschein-Richtlinie – ANNEX III.<br />
– Maßnahmen zur Erhöhung der Objektivität <strong>und</strong> Validität der Untersuchungsmethoden<br />
<strong>und</strong> zur Bewertung des Systems, Evaluation der MPU unter strikter Beachtung des<br />
Datenschutzes<br />
183<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
184<br />
– Weiterentwicklung von Methoden (z. B. eigenes Kapitel „Explorationshandbuch“ in<br />
der 3. Auflage der Beurteilungskriterien – strukturelle He<strong>im</strong>at für neue wissenschaftliche<br />
Erkenntnisse)<br />
– fachübergreifende <strong>und</strong> interdisziplinäre Aus- <strong>und</strong> Weiterbildung (z. B. Zusatzqualifikation<br />
Verkehrsmedizin, Explorationstechniken, Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen von<br />
Laborparametern sowie psychologischen Testverfahren)<br />
– verstärkte Arbeit mit Auflagen <strong>und</strong> Beschränkungen (z. B. Interlock in Verbindung mit<br />
psychologischen Rehabilitationsmaßnahmen <strong>und</strong> anschließender Begutachtung zur<br />
Überprüfung des Erfolgs der Maßnahme)<br />
– Intensivierung der verkehrsmedizinischen <strong>und</strong> verkehrspsychologischen Forschung<br />
(Methodenentwicklung) sowie des wissenschaftlichen Meinungsstreites (z. B. Cutoff-Werte,<br />
Best<strong>im</strong>mungsgrenzen, Anhaltepunkte <strong>und</strong> deren Bedeutung sowohl für den<br />
Begutachtungsprozess als auch das Verwaltungsverfahren.<br />
Zusammenfassung<br />
Bei jährlich lediglich 0,2 % der etwa 54 Mio. Führerscheininhaber wird eine Begutachtung durch die Fahrerlaubnisbehörde<br />
angeordnet. Über die Anzahl <strong>und</strong> Art der ärztlichen Gutachten in dem System liegen keine Informationen<br />
vor, da sie statistisch nicht erfasst werden <strong>und</strong> sich so einer fachlichen Würdigung <strong>und</strong> Analyse entziehen.<br />
Dabei steht das Begutachtungssystem hinsichtlich der Bewertung der körperlichen <strong>und</strong> geistigen Eignung<br />
von Kraftfahrzeugführern auf Gr<strong>und</strong> der hohen objektiven <strong>und</strong> subjektiven Bedeutung des Führerscheins <strong>im</strong> Fokus<br />
des öffentlichen, medialen <strong>und</strong> privaten Interesses. Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU) bietet<br />
dem Betroffenen die Chance, sich von den behördlichen Zweifeln (körperliche oder verhaltensbezogene Auffälligkeiten)<br />
zu befreien. Die Qualität der Fahreignungsbegutachtung wird unter anderem mittels periodischer<br />
Begutachtungen (früher: Akkreditierung) durch die BASt gemäß deren Anforderungen gesichert. Mit der Einführung<br />
der „Begutachtungs-Leitlinien“ konnte die Wahrung der ganzheitlichen Betrachtung der bio-psycho-sozialen<br />
Einheit Mensch <strong>im</strong> Sinne der entlastungs- <strong>und</strong> ressourcenorientierten Begutachtung unter Berücksichtigung verschiedener<br />
Kompensationsmöglichkeiten (technische, medizinische, verhaltenspsychologische) erreicht werden.<br />
Durch die Einführung der „Beurteilungskriterien“ erfolgte eine fachliche Differenzierung <strong>und</strong> Orientierung auf<br />
kontinuierliche Verbesserungsprozesse <strong>und</strong> dem Wandel der Begutachtung von einer merkmalorientierten klassischen<br />
Diagnostik hin zu einer verhaltensbezogenen Prozessdiagnostik. Die ausgewählten Methoden der Fahreignungsbegutachtung<br />
(z. B. Exploration, Toxikologie <strong>und</strong> leistungspsychologische Testverfahren) <strong>und</strong> die damit zusammenhängenden<br />
Cut-off-Werte entsprechen dem Stand von Wissenschaft <strong>und</strong> Technik.<br />
Im Ergebnis werden Reformvorschläge mit Verbesserungspotenzial für das Begutachtungssystem an sich<br />
<strong>und</strong> einzelne Maßnahmen vorgestellt. Nach jeder Maßnahme (z. B, Rehabilitation, Kurse, Klinikaufenthalte,<br />
Coaching) ist durch eine individuelle Begutachtung zu prüfen, ob sie <strong>im</strong> Einzelfall bei dem Betroffenen gewirkt<br />
hat. Der Arbeit mit Auflagen <strong>und</strong> Beschränkungen aus medizinischer, verhaltenspsychologischer <strong>und</strong> technischer<br />
(z. B. Interlock) Sicht kommt steigende Bedeutung zu. Es ergibt sich aus fachwissenschaftlicher Sicht die Notwendigkeit<br />
zur Änderung der Indikation zur Fahreignungsüberprüfung bei schädlichem <strong>Alkohol</strong>konsum <strong>und</strong><br />
somit die Anpassung der betreffenden Promillegrenze auf 1,1 ‰.<br />
Schlüsselwörter<br />
Fahreignung – Begutachtung – Medizinisch-Psychologische Untersuchung – Promillegrenze – Rehabilitation<br />
– Exploration – Qualitätsmanagement<br />
Summary<br />
0,2 % of 54 Mio. driver’s license holders have to pass a driver’s fitness assessment ordered by the Office of<br />
driver licenses. There are no statistics about the medical assessment alone. The system of the driver's fitness assessment<br />
is of high public and private interest regarding the objective and subjective <strong>im</strong>portance of the driver’s<br />
license and therefore the assessment of the physical and mental aptitude. The medical and psychological fitness<br />
assessment is a chance for the person concerned to sanitize from the official doubts.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Schubert,<br />
„Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung“ auf dem Prüfstand
The high quality of the driver’s fitness assessment is achieved through periodic expert opinions (former:<br />
accreditation) by the Federal Highway Research Institute. A holistic view of human was introduced with the<br />
publication of “Guidelines of driver's fitness assessment” taking different possibilities of compensation (technical,<br />
medical and behavioral) – in terms of an orientation towards resources and relief- into account. The introduction<br />
of the “Beurteilungskriterien” (assessment criteria) helped to entail the examination of continuous <strong>im</strong>provements<br />
and the change of the classical diagnostics of traits towards behavioral diagnostics of processes. The<br />
methods of driver’s fitness assessment (i. e. exploration, toxicology and psychological performance tests) and<br />
their cut off values are in accordance with the status quo of science and technology.<br />
Finally, some proposals for reform with the potential to <strong>im</strong>prove the driver's fitness assessment and single methods<br />
are introduced. After each procedure (i. e. rehabilitation, courses, hospital stay, coaching) an individual assessment<br />
ought to examine if the procedure helped the person concerned. Sanctions and restrictions shall become<br />
more <strong>im</strong>portant from a medical, psychological and technical (i. e. interlock) point of view. Consequently, it is<br />
necessary to change the indication for a driver's fitness assessment for drunk driving. The current BAC l<strong>im</strong>it must<br />
be lowered to 0,11 %.<br />
Keywords<br />
driver’s fitness – medical and psychological driver’s fitness assessment – assessment – BAC l<strong>im</strong>it – rehabilitation<br />
– exploration – quality management<br />
Fußnoten<br />
Schubert,<br />
„Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung“ auf dem Prüfstand<br />
1 ) Herzog, R. (1992) Die Bedeutung des Verkehrsrechts in einer mobilen Gesellschaft, Plenarvortrag auf dem<br />
30. Deutschen Verkehrsgerichtstag Goslar.<br />
2 ) Gr<strong>und</strong>gesetz für die <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik Deutschland in der <strong>im</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer<br />
100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch das Gesetz vom 29. Juli 2009 (BGBl. I<br />
S. 2248) geändert worden ist.<br />
3 ) Scheufen, M., Müller-Rath, F. (2006) Bindungswirkung strafgerichtlicher Sperrfristverkürzungsbeschlüsse,<br />
NZV 7: 353 – 357.<br />
4 ) Straßenverkehrsgesetz (StVG) in der Fassung des Inkrafttretens vom 23. 07. 2009. Letzte Änderung durch:<br />
Sechstes Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes vom 17. Juli 2009 (<strong>B<strong>und</strong></strong>esgesetzblatt Jahrgang<br />
2009 Teil I Nr. 43 S. 2023, ausgegeben zu Bonn am 22. Juli 2009).<br />
5 ) Kraftfahrsachverständigengesetz (KfSachvG) vom 22. Dezember 1971 (BGBl. I S. 2086), das zuletzt durch<br />
Artikel 291 der Verordnung vom 31. Oktober 2006 (BGBl. I S. 2407) geändert worden ist.<br />
6 ) Personenbeförderungsgesetz (PBefG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. August 1990 (BGBl. I S.<br />
1690), das zuletzt durch Artikel 4 Absatz 21 des Gesetzes vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2258) geändert worden<br />
ist.<br />
7 ) Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) vom 18. August 1998 (BGBl. I S. 2214), die zuletzt durch Artikel 3 der Verordnung<br />
vom 5. August 2009 (BGBl. I S. 2631) geändert worden ist.<br />
8 ) Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) vom 16. November 1970 (BGBl. I S. 1565), die zuletzt durch Artikel 1 der<br />
Verordnung vom 5. August 2009 (BGBl. I S. 2631) geändert worden ist.<br />
9 ) Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. September<br />
1988 (BGBl. I S. 1793), die zuletzt durch Artikel 3 der Verordnung vom 21. April 2009 (BGBl. I S. 872) geändert<br />
worden ist.<br />
10 ) Unfallursachen 2008 – http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Publikationen/Querschnittsveroeffentlichungen/WirtschaftStatistik/Verkehr/UnfallentwicklungStrassen72009,<br />
property=file.pdf<br />
11 ) Ursachen von Unfällen mit Personenschaden http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/<br />
DE/Content/Statistiken/Verkehr/Verkehrsunfaelle/Tabellen/Content50/UrsachenPersonenschaden.psml<br />
12 ) 17. Deutscher Verkehrsgerichtstag Goslar 1979, AK IV Die medizinisch-psychologische Überprüfung des<br />
Kraftfahrers.<br />
13 ) 35. Deutscher Verkehrsgerichtstag Goslar 1997, AK VII Die medizinisch-psychologische Untersuchung von<br />
Kraftfahrern.<br />
14 ) 7. Deutscher Verkehrsgerichtstag Goslar 1969, AK I 0,8 pro mille <strong>und</strong> alkoholtypisches Fahrverhalten.<br />
15 ) 30. Deutscher Verkehrsgerichtstag Goslar 1992, AK III Verbesserung oder Wiederherstellung der Fahreignung<br />
<strong>und</strong> AK IV Eignungsbegutachtung bei <strong>Alkohol</strong>tätern nach Entziehung der Fahrerlaubnis.<br />
16 ) 41. Deutscher Verkehrsgerichtstag Goslar 2003, AK III Zweifel an der Fahreignung.<br />
17 ) Schubert, W., Schneider, W., Gehrmann, L., Jacobshagen, W., Müller, D., Müller, K., Nickel, W.-R., Stephan,<br />
E. (2007) Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie e. V. (DGVP) zu dem The-<br />
185<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
186<br />
menkomplex „Objektivität, Validität <strong>und</strong> Fairness der <strong>im</strong> Rahmen der Fahreignungsdiagnostik eingesetzten<br />
psychologischen Testprogramme; Ungenauigkeiten bei der Best<strong>im</strong>mung von Reaktions- o. Latenzzeiten“ –<br />
Ergebnisband. Unveröffentlicht.<br />
18 ) <strong>B<strong>und</strong></strong>esanstalt für Straßenwesen (Hrsg.) (2000) Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung, Berichte<br />
der <strong>B<strong>und</strong></strong>esanstalt für Straßenwesen „Mensch <strong>und</strong> Sicherheit“, Heft M 115, Verlag NW, Bremerhaven.<br />
19 ) VERORDNUNG (EG) Nr. 765/2008 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom<br />
9. Juli 2008 über die Vorschriften für die Akkreditierung <strong>und</strong> Marktüberwachung <strong>im</strong> Zusammenhang mit der<br />
Vermarktung von Produkten <strong>und</strong> zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 339/93 des Rates.<br />
20 ) Gesetz über die Akkreditierungsstelle (Akkreditierungsstellengesetz – AkkStelleG) Ausfertigungsdatum:<br />
31. 07. 2009 (BGBl. I Nr. 51 S. 2625).<br />
21 ) Gebührenordnung für Maßnahmen <strong>im</strong> Straßenverkehr (GebOSt) vom 26. Juni 1970 (BGBl. I S. 865, 1298),<br />
die zuletzt durch Artikel 4 der Verordnung vom 21. April 2009 (BGBl. I S. 872) geändert worden ist.<br />
22 ) Fünfzehnte Verordnung zur Änderung der Gebührenordnung für Maßnahmen <strong>im</strong> Straßenverkehr vom<br />
19. 09. 2001, veröffentlicht <strong>im</strong> BGBl. Jahrgang 2001, Teil I Nr. 50, ausgegeben zu Bonn am 29. 09. 2001.<br />
23 ) Gehrmann, L. (2010) Die medizinisch-psychologische Untersuchung auf dem Prüfstand. NZV 1: 12–17.<br />
24 ) EU-Führerschein-Richtlinie, Amtsblatt der Europäischen Union L 403/18 vom 30. 12. 2006.<br />
25 ) www.kba.de, Fahrerlaubnisse.<br />
26 ) www.bast.de, Begutachtung der Fahreignung 2008.<br />
27 ) Anforderungen an Träger von Begutachtungsstellen für Fahreignung, Stand: 30. 01. 2009, www.bast.de.<br />
28 ) OVG Saarland, Beschluss vom 23. 08. 2006 – 1 W 30/06 – juris.<br />
29 ) Schubert, W., Reschke, K., Glaser, D., Kranich, U. (2007) Die Rollenkonfusion Therapeut vs. Gutachter –<br />
Ein Beitrag zur Ethik in der (Verkehrs-)psychologie <strong>und</strong> (Verkehrs-)medizin, ZVS 4: 188 – 194.<br />
30 ) Klebelsberg, D. (1982) Verkehrspsychologie. Springer, Berlin.<br />
21 ) Echterhoff, W. (1991) Verkehrspsychologie – Entwicklung, Themen, Resultate. Mensch, Fahrzeug, Umwelt,<br />
Bd. 26, Köln: TÜV Rheinland. Deutscher Psychologen Verlag, Bonn.<br />
32 ) Krüger, H.-P. (Hrsg). (2009). Anwendungsfelder der Verkehrspsychologie. Enzyklopädie der Psychologie:<br />
Verkehrspsychologie – Band 2. Hogrefe, Göttingen.<br />
33 ) „Krankheit <strong>und</strong> Kraftverkehr“, Gutachten des Gemeinsamen Beirats für Verkehrsmedizin be<strong>im</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esminister<br />
für Verkehr <strong>und</strong> be<strong>im</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esminister für Ges<strong>und</strong>heit, Hrsg.: <strong>B<strong>und</strong></strong>esminister für Verkehr, Schriftenreihe<br />
Heft 45, 1973.<br />
34 ) Richtlinien für die Prüfung der körperlichen <strong>und</strong> geistigen Eignung von Fahrerlaubnisbewerbern <strong>und</strong> -inhabern<br />
(Eignungsrichtlinien) (VkBL 1982, S. 496, berichtigt VkBL 1983 S. 7, geändert VkBl 1989 S. 786 <strong>und</strong><br />
VkBl 1992 S. 307).<br />
35 ) Richtlinie für die amtliche Anerkennung von medizinisch-psychologischen Untersuchungsstellen (MPU)<br />
(VkBl 1991 S. 610).<br />
36 ) Gutachten „Krankheit <strong>und</strong> Kraftverkehr“, 4. Auflage, Hrsg. <strong>B<strong>und</strong></strong>esminister für Verkehr, Schriftenreihe Heft<br />
71, 1992.<br />
37 ) Kroj, G. (Hrsg., 1995) Psychologisches Gutachten Kraftfahreignung. Deutscher Psychologen-Verlag, Bonn.<br />
38 ) Gutachten „Krankheit <strong>und</strong> Kraftverkehr“, 5. Auflage, Hrsg. <strong>B<strong>und</strong></strong>esminister für Verkehr, Schriftenreihe Heft<br />
73, 1996.<br />
39 ) Bode, H.-J., Winkler, W. (2006) Fahrerlaubnis – Eignung, Entzug, Wiedererteilung, 5. Auflage, Deutscher-<br />
AnwaltVerlag, Bonn.<br />
40 ) Schubert, W., Schneider, W., Eisenmenger, W., & Stephan, E. (Hrsg., 2002). Begutachtungs-Leitlinien zur<br />
Kraftfahrereignung, Kommentar. Kirschbaum Verlag, Bonn.<br />
41 ) Schubert W, Schneider W, Eisenmenger W, Stephan E (Hrsg.) (2005) BegutachtungsLeitlinien zur Kraftfahrereignung<br />
– Kommentar. Überarbeitete <strong>und</strong> erweiterte 2. Auflage, Kirschbaum Verlag, Bonn.<br />
42 ) Schubert, W., Mattern, R. (2009) Urteilsbildung in der Medizinisch-Psychologischen Fahreignungsdiagnostik<br />
– Beurteilungskriterien, Erweiterte <strong>und</strong> überarbeitete 2. Auflage, Kirschbaum Verlag, Bonn.<br />
43 ) Schubert, W., Mattern, R. Criteria for the evaluation of future assessment models of physical and mental<br />
fitness of drivers. In: Nickel, W.-R., Sardi, P. (2006) Fit to Drive 1st International Traffic Expert Congress,<br />
Berlin from May 3rd – 5th 2006 – Tagungsband, Kirschbaum Verlag, Bonn, S. 106 – 110.<br />
44 ) Geiger, H. (2009) Die Zulässigkeit unbest<strong>im</strong>mter Rechtsbegriffe dargestellt an ausgewählten Beispielen aus<br />
dem Verkehrsverwaltungsrecht. In: Miltner, E., Mattern, R. & Schubert, W. (Hrsg.) Unbest<strong>im</strong>mte Begriffe in<br />
der Begutachtung der Fahrtüchtigkeit <strong>und</strong> Fahreignung. Kirschbaum Verlag, Bonn, S. 13–19.<br />
45 ) Kunkel, E. (1991) Die Eignungsuntersuchungen bei den medizinisch-psychologischen Untersuchungsstellen.<br />
Zeitschrift für Schadensrecht 12: 325–330.<br />
46 ) Undeutsch, U. (1983) Exploration. In: Feger, H. & Bredenkamp, J. (Hrsg.) Enzyklopädie der Psychologie.<br />
Forschungsmethoden in der Psychologie. Bd. 2: Datenerhebung. Hogrefe, Göttingen, S. 321–361.<br />
47 ) Scheurer, H. (1988) Test versus Exploration. In : Jäger, R. S. (Hrsg.). Psychologische Diagnostik. Psychologie-Verlags-Union,<br />
Weinhe<strong>im</strong>. S. 29–33.<br />
48 ) Amelang, M., Zielinski, W. (2004) Psychologische Diagnostik <strong>und</strong> Intervention, Springer-Verlag, Berlin,<br />
Heidelberg, New York.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Schubert,<br />
„Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung“ auf dem Prüfstand
Schubert,<br />
„Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung“ auf dem Prüfstand<br />
49 ) QMH des DEKRA e. V. Dresden, Handbuch der verkehrspsychologischen Exploration, Verfahrensanweisung<br />
QMV 0110.6, unveröffentlicht.<br />
50 ) BASt, Anforderungen an Träger von Begutachtungsstellen für Fahreignung, www.bast.de<br />
51 ) BVerfGE 89, 69 (84).<br />
52 ) BGHSt 7,82.<br />
53 ) BVerfG, NJW 2005, 3081 (3082).<br />
54 ) QMH des DEKRA e. V. Dresden, Tonbandmitschnitte, QMV 0110.15, unveröffentlicht.<br />
55 ) Menken, E. (1980) Die Rechtsbeziehung zwischen Verwaltungsbehörde, Betroffenem <strong>und</strong> Gutachter bei der<br />
medizinisch-psychologischen Fahreignungsbegutachtung. Verlag TÜV Rheinland, Köln.<br />
56 ) Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42,<br />
2909; 2003 I S. 738), das zuletzt durch das Gesetz vom 28. September 2009 (BGBl. I S. 3161) geändert worden<br />
ist.<br />
57 ) Scheufen, M., Müller-Rath, F., Schubert, W. (2008) Kontrollteilnahme von Begutachtern der BASt an Explorationsgesprächen<br />
<strong>im</strong> Rahmen der MPU. NZV 7: 332–335.<br />
58 ) Geiger, H. (2009) Die Akkreditierung von Begutachtungsstellen für Fahreignung <strong>und</strong> von Kursen zur<br />
Wiederherstellung der Fahreignung. <strong>Blutalkohol</strong> 46: 65–72.<br />
59 ) QMH des DEKRA e. V. Dresden, Anwesenheit Dritter <strong>und</strong> Mitschnitte, QMA 0110.1.2, unveröffentlicht.<br />
60 ) Berg, M (2007) Corporal – Testsystem zur Erfassung kognitiver Funktionen. Institut für Testentwicklung<br />
<strong>und</strong> -anwendung, Berlin.<br />
61 ) Rasch, D., Kubinger, K.D. (2006) Statistik für das Psychologiestudium. Spektrum, Heidelberg.<br />
62 ) Schneider, W. & Schubert, W. et al. (2007) Stellungnahme der DGVP zu dem Themenkomplex „Objektivität,<br />
Validität <strong>und</strong> Fairness der <strong>im</strong> Rahmen der Fahreignungsdiagnostik eingesetzten psychologischen Testprogramme;<br />
Ungenauigkeiten bei der Best<strong>im</strong>mung von Reaktions- o. Latenzzeiten“, unveröffentlicht.<br />
63 ) Nickel, W.-R., Sardi, P. (2006) Fit to Drive 1st International Traffic Expert Congress, Berlin from May 3rd –<br />
5th 2006 – Tagungsband, Kirschbaum Verlag, Bonn.<br />
64 ) Risser, R., Nickel, W.-R. (2007) Fit to Drive 2nd International Traffic Expert Congress, Vienna 2007 – Proceedings,<br />
Kirschbaum Verlag, Bonn.<br />
65 ) Nickel, W.-R., Kofián, M. (2008) Fit to Drive 3rd International Traffic Expert Congress, Prague 2008 – Proceedings,<br />
Kirschbaum Verlag, Bonn.<br />
66 ) Nickel, W.-R., Meinhard, G., Born, I. (2009) Fit to Drive 4th International Traffic Expert Congress, Tallinn<br />
2009, Kirschbaum Verlag, Bonn.<br />
67 ) Europäische Charta für die Straßenverkehrssicherheit, veröffentlicht unter:<br />
http://www.paueducation.com/charter/index.php?page=doc&doc_id=601&docIng=6&menuzone=14<br />
68 ) Schubert, W., Mattern, R., Nickel, W.-R. (2008) Prüfmethoden der Fahreignungsbegutachtung in der<br />
Psychologie, Medizin <strong>und</strong> <strong>im</strong> Ingenieurwesen, Tagungsband 3. Gemeinsames Symposium am 18.–19. Oktober<br />
2007 in Dresden Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie e. V. (DGVP) <strong>und</strong> Deutsche Gesellschaft<br />
für Verkehrsmedizin e. V. (DGVM), Kirschbaum Verlag, Bonn.<br />
69 ) Miltner, E., Mattern, R., Schubert, W. (2009) Unbest<strong>im</strong>mte Begriffe in der Begutachtung von Fahrtüchtigkeit<br />
<strong>und</strong> Fahreignung, Tagungsband 4. Gemeinsames Symposium am 24.–25. Oktober 2008 in Neu-Ulm Deutsche<br />
Gesellschaft für Verkehrspsychologie e. V. (DGVP) <strong>und</strong> Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin e.<br />
V. (DGVM), Kirschbaum Verlag, Bonn.<br />
70 ) Schubert, W., Kranich, U. (2007) Die Verkehrspsychologische Beratung – Bestandsaufnahme <strong>und</strong> Perspektive,<br />
ZVS 2: 89 – 93.<br />
71 ) Allhoff-Cramer, A., Krohn, B., Laub, G., Nickel, W.-R., Rohlfing, C., Rothenberger, B., Schubert, W., Stephan,<br />
E. (2007) PASS: Ein interdisziplinäres Modell zur Förderung <strong>und</strong> Sicherung der Mobilitätskompetenz<br />
in Europa, ZVS 1: 6 – 8.<br />
72 ) Müller, D. (2001) Neue Ansätze der Prävention bei Jugenddelinquenz <strong>im</strong> Verkehrsstrafrecht. Die Kr<strong>im</strong>inalprävention<br />
5: 189 ff.<br />
73 ) Müller, D. (2005) Der Verkehrsunterricht gem. § 48 StVO in seiner praktischen Anwendung, ZVS 51: 86 ff.<br />
74 ) Jugendgerichtsgesetz (JGG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. Dezember 1974 (BGBl. I S.<br />
3427), das zuletzt durch Artikel 7 des Gesetzes vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2280) geändert worden ist.<br />
75 ) BR-Drs. 443–98 vom 07.05.1998 – Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr <strong>und</strong><br />
zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften.<br />
76 ) www.sellpage.de: Italien: Bei <strong>Alkohol</strong> Auto weg. ADAC Motorwelt, 8/2008, S. 6.<br />
77 ) http://www.<strong>im</strong>mobilier-maroc.com/fiche.php?lang=de&id=252<br />
78 ) von R<strong>im</strong>scha, R. (1997) Todesstrafe gefordert. Nürnberger Nachrichten vom 08./09. 05. 1997.<br />
79 ) http://news.sky.com/skynews/Home/World-News/China-Drink-Driver-Death-Penalty-Sun-We<strong>im</strong>ing-Sentenced-To-Death-Over-Chengdu-Crash/Article/200907415345626?f=rss<br />
80 ) http://ec.europa.eu/education/lifelong-learning-policy/doc42_de.htm<br />
81 ) Schlüsselkompetenzen für lebenslanges Lernen – Ein Europäischer Referenzrahmen,<br />
http://ec.europa.eu/dgs/education_culture/publ/pdf/ll-learning/keycomp_de.pdf<br />
187<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
188<br />
82 ) http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2006:394:0010:0018:DE:PDF<br />
83 ) http://ec.europa.eu/education/who-we-are/doc324_de.htm<br />
84 ) Rosenstock, I. M. (1966). “Why People Use Health Services.” Milbank Memorial F<strong>und</strong> Quarterly 44:<br />
94–124.<br />
85 ) Rogers, R. W. (1975) A protection motivation theory of fear appeals and attitude change. Journal of Psychology<br />
91: 93–114.<br />
86 ) Ehlert, U. (2002) Verhaltensmedizin. Springer, Heidelberg.<br />
87 ) Jacobshagen, W., Nickel, W.-R., Winkler, W. (1987) Evaluation von Medizinisch-Psychologischen Fahreignungsbegutachtungen<br />
– EVAGUT. (unveröffentlichter Forschungsbericht Nr. 178 des VdTÜV – Teilprojekt A).<br />
88 ) Jacobshagen, W., Utzelmann, H. D. (1996) Medizinisch-Psychologische Fahreignungsbegutachtungen bei<br />
alkoholauffälligen Fahrern <strong>und</strong> Fahrern mit hohem Punktestand. Empirische Ergebnisse zur Wirksamkeit<br />
<strong>und</strong> zu deren diagnostischen Elementen. Verlag TÜV Rheinland, Köln.<br />
89 ) Mattern, R., Schubert, W., Skopp, G., Stewin, C., Weinmann, W. (2009) Indikation zur Überprüfung der Fahreignung<br />
bei schädlichem <strong>Alkohol</strong>konsum. Vortrag auf dem 5. Gemeinsamen Symposium der DGVP <strong>und</strong> der<br />
DGVM am 24./25. 10. 2009in We<strong>im</strong>ar, Abstract in <strong>Blutalkohol</strong>, 46/2009, Sup. II–13.<br />
90 ) Moskowitz, H., Robinson, C.D. (1988) Effects of low doses of alcohol on driving-related skills: A review of<br />
the evidence (Report no. DOT HS 807 280) Washington, DC: US National Highway Traffic Safety Administration.<br />
91 ) Moskowitz, H., & Fiorentino, D. (2000) A review of the literature on the effects of low doses of alcohol on<br />
driving-related skills (Report no. DOT HS 809 028). Washington, DC: US National Highway Traffic Safety<br />
Administration.<br />
92 ) Schubert, W. & Stewin, C. (2009) Zur Bedeutung der Überprüfung der Fahreignung bei problematischem<br />
<strong>Alkohol</strong>konsum aus psychologischer Sicht, in Vorbereitung zur Veröffentlichung.<br />
93 ) Krüger, H.-P., Kazenwadel, J., Vollrath, M. (1995) Das Unfallrisiko unter <strong>Alkohol</strong> mit besonderer Berücksichtigung<br />
risikoerhöhender Faktoren. In: Krüger, H.-P. (Hrsg.) Das Unfallrisiko unter <strong>Alkohol</strong>:<br />
Analyse – Konsequenzen – Maßnahmen. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart.<br />
94 ) Borkenstein, R.F., Crowther, R.F. Shumate, R.P., Ziel, W.B., Zylman, R. (1974) The role of drinking drivers<br />
in traffic accidents (The Grand Rapids Study), <strong>Blutalkohol</strong>, 11, Supplement 1.<br />
95 ) Vierte Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung <strong>und</strong> anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften,<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esrat-Drucksache 302/08 vom 30. 04. 2008, Verordnung des <strong>B<strong>und</strong></strong>esministeriums für Verkehr,<br />
Bau <strong>und</strong> Stadtentwicklung.<br />
96 ) LG Bautzen, Urteil vom 03. 03.1999 – 4 O 864/98.<br />
97 ) Jacobshagen, W., Nickel, W.-R. (2009) Bessere Qualitätssicherung für Diagnostik <strong>und</strong> Rehabilitation <strong>im</strong><br />
Fahrerlaubniswesen durch kontinuierliche Erfolgskontrolle – Warum die Routinemitteilungen an das Verkehrszentralregister<br />
ergänzt werden müssen, in Druck (ZVS).<br />
98 ) EU-Führerscheinrichtlinie – ANNEX III MINIMUM STANDARDS OF PHYSICAL AND MENTAL FIT-<br />
NESS FOR DRIVING A POWER-DRIVEN VEHICLE (L 403/46 EN Official Journal of the European<br />
Union 30.12. 2006)<br />
http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2006:403:0018:0060:EN:PDF, S. 30<br />
Anschrift des Verfassers<br />
Prof. Dr. rer. nat. Wolfgang Schubert<br />
DEKRA Automobil GmbH<br />
Ferdinand-Schultze-Straße 65<br />
13055 Berlin<br />
Email: wolfgang.schubert@dekra.com<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Schubert,<br />
„Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung“ auf dem Prüfstand
Seiten 189–235<br />
Dokumentation II<br />
Dokumentation II<br />
48. Deutscher Verkehrsgerichtstag vom 27. bis 29. Januar 2010<br />
in Goslar (<strong>im</strong> Anschluss an BA 2010, 89 ff.)<br />
Arbeitskreis V: Ausnahmen vom Entzug der Fahrerlaubnis<br />
<strong>und</strong> vom Fahrverbot<br />
JAN BACKMANN<br />
Europarechtliche Vorgaben für Ausnahmen vom Entzug der<br />
Fahrerlaubnis <strong>und</strong> vom Fahrverbot * )<br />
1. Einleitung<br />
Nach § 9 Satz 1 FahrerlaubnisVO darf eine Fahrerlaubnis der Klassen C oder D – also<br />
für Lkw oder Busse – nur erteilt werden, wenn der Bewerber bereits eine Fahrerlaubnis der<br />
Klasse B – also für Pkw – besitzt oder die Voraussetzungen für deren Erteilung erfüllt hat.<br />
Im letzteren Fall darf die Fahrerlaubnis für die höhere Klasse frühestens mit der Fahrerlaubnis<br />
für die Klasse B erteilt werden. Ob dieses Stufenverhältnis auch bei einer Neuerteilung<br />
der Fahrerlaubnis nach einer Entziehung gemäß § 69 StGB einzuhalten ist, war<br />
lange umstritten. Die Befürworter dieser Auffassung berufen sich unter anderem auf<br />
die EG-Führerscheinrichtlinie, deren Umsetzung in nationales Recht § 9 FeV dient. Der<br />
Arbeitskreis IV des 42. Deutschen Verkehrsgerichtstages vertrat mehrheitlich die <strong>gegen</strong>teilige<br />
Meinung: „Nach Auffassung des Arbeitskreises hindert § 9 FeV die Verwaltungsbehörde<br />
nicht, eine Fahrerlaubnis, beschränkt auf die nach § 69a Absatz 2 StGB ausgenommene<br />
Fahrzeugart, zu erteilen; der Gesetzgeber sollte dies jedoch durch eine Änderung<br />
der FeV klarstellen.“ Der Gesetzgeber tat das Gegenteil. Im Jahr 2008 fügte er einen<br />
Satz 2 in die Vorschrift ein, welcher schlicht lautet: „Satz 1 gilt auch <strong>im</strong> Fall des § 69a<br />
Abs. 2 des Strafgesetzbuches“. Die Ausnahme der Fahrzeugklassen C <strong>und</strong> D aus der Sperre<br />
des § 69a StGB läuft damit bis auf weiteres leer, was für die Betroffenen unter Umständen<br />
existenzbedrohende Auswirkungen haben kann.<br />
Das drängt zu einer Befassung mit der Frage, ob die in § 9 FeV getroffene Regelung tatsächlich<br />
durch die Zweite EG-Führerscheinrichtlinie vorgegeben ist <strong>und</strong> welche Spielräume<br />
die Richtlinie allgemein für Ausnahmen vom Entzug der Fahrerlaubnis <strong>und</strong> vom Fahrverbot<br />
lässt. Dieser europarechtliche Rahmen ist schon jetzt von erheblicher praktischer<br />
Bedeutung für die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis <strong>und</strong> für das Fahrverbot, wo es<br />
* ) Kurzfassung des Vortrages, den der Verfasser am 28. Januar 2010 auf dem 48. Deutschen Verkehrsgerichtstag<br />
in Goslar gehalten hat. Die Vortragsform wurde <strong>im</strong> Wesentlichen beibehalten. Der Verfasser ist Richter am<br />
Landgericht Kiel, zur Zeit abgeordnet an das Schleswig-Holsteinische Ministerium für Justiz, Gleichstellung<br />
<strong>und</strong> Integration als Leiter des Ministerbüros. Er widmet den Beitrag seiner Tochter Caja.<br />
189<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
190<br />
nicht der Neuerteilung einer Fahrerlaubnis bedarf <strong>und</strong> wo § 9 FeV deshalb seinem Wortlaut<br />
nach keine Anwendung findet. Außerdem gilt es, gr<strong>und</strong>legend den Rahmen zu best<strong>im</strong>men,<br />
in dem sich der nationale Gesetzgeber bei der seit langem diskutierten Reform<br />
der Ausnahmeregelungen zu bewegen hätte.<br />
2. Der Streit über die Bedeutung des Art. 5 Abs. 1 der Zweiten EG-Führerscheinrichtlinie<br />
Die Regelung des § 9 FeV dient der Umsetzung des Art. 5 Abs. 1 der Zweiten EG-Führerscheinrichtlinie<br />
in das deutsche Recht <strong>und</strong> zwar die hier interessierenden Sätze 1 <strong>und</strong> 2<br />
des § 9 FeV der Umsetzung von Art. 5 Abs. 1 a. Die Vorschrift lautet:<br />
„Ein Führerschein für die Klassen C <strong>und</strong> D kann nur Fahrzeugführern ausgestellt werden,<br />
die bereits zum Führen von Fahrzeugen der Klasse B berechtigt sind.“<br />
Außerdem stellt die Richtlinie <strong>im</strong> Anhang III Mindestanforderungen hinsichtlich der<br />
körperlichen <strong>und</strong> geistigen Tauglichkeit für das Führen eines Kraftfahrzeugs auf. Diese<br />
sind für die Gruppe 2, zu der Führer der Fahrzeugklassen C <strong>und</strong> D samt Unterklassen zählen,<br />
durchweg höher als für die Gruppe 1, zu der Führer der Fahrzeugklasse B gehören.<br />
Aus beidem wird zum Teil abgeleitet, dass die Eignung zum Führen von Fahrzeugen der<br />
Klassen C <strong>und</strong> D zwingend mehr voraussetze als die Eignung zum Führen von Fahrzeugen<br />
der Klasse B <strong>und</strong> dass eine Fahrerlaubnis der Klassen C <strong>und</strong> D auch <strong>im</strong> Rahmen einer Ausnahme<br />
nach § 69a Abs. 2 StGB schon aufgr<strong>und</strong> der Richtlinienvorgabe nicht ohne die Fahrerlaubnis<br />
für die Klasse B erteilt werden dürfe. Einige Autoren gehen sogar noch einen<br />
Schritt weiter: Die europarechtlich vorgegebene Wertung sei nämlich auch bei der Auslegung<br />
des § 111a Abs. 1 Satz 2 StPO zu beachten, so dass selbst bei der vorläufigen Entziehung<br />
der Fahrerlaubnis die Ausnahme von Fahrzeugarten, deren Führen eine Fahrerlaubnis<br />
der Klassen C <strong>und</strong> D voraussetzt, nicht mehr möglich sei. Konsequenterweise müsste<br />
man dann wohl auch annehmen, dass ein Fahrverbot nach § 44 StGB für Fahrzeuge der<br />
Fahrerlaubnisklasse B nicht mehr isoliert, d. h. ohne ein Fahrverbot auch für Fahrzeuge der<br />
höheren Fahrerlaubnisklassen C <strong>und</strong> D, angeordnet werden kann.<br />
Namentlich HENTSCHEL vertritt dem<strong>gegen</strong>über die Auffassung, Art. 5 Abs. 1 der Zweiten<br />
EG-Führerscheinrichtlinie betreffe nur die Befähigung, stehe also der Neuerteilung<br />
einer beschränkten Fahrerlaubnis nicht ent<strong>gegen</strong>, wenn das Strafgericht die Eignung für<br />
die höhere Führerscheinklasse bejaht habe. Er stützt sich dabei auch auf die Präambel der<br />
Zweiten EG-Führerscheinrichtlinie, wonach die Richtlinie den Zugang zu höheren Fahrerlaubnisklassen<br />
nur stufenweise ermöglichen wolle.<br />
3. Der sachliche Anwendungsbereich der Richtlinie: Erteilung <strong>und</strong> Anerkennung<br />
von Führerscheinen<br />
Welche Vorgaben die Richtlinie für die Entziehung der Fahrerlaubnis <strong>und</strong> für Fahrverbote<br />
macht, hängt zunächst einmal von ihrem sachlichen Anwendungsbereich ab. Will die<br />
Richtlinie, die insofern nicht zwischen Führerschein <strong>und</strong> Fahrerlaubnis differenziert, sondern<br />
allgemein vom Führerschein spricht, die sachlichen Vorgaben wie das Vorbesitzerfordernis<br />
<strong>und</strong> die gestuften ges<strong>und</strong>heitlichen Anforderungen nur für die Erteilung der<br />
Fahrerlaubnis aufstellen oder auch für deren fortdauernden Bestand? Sprich: Lässt sie ein<br />
Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis auch dann zu, wenn dadurch das zunächst<br />
erfüllte Vorbesitzerfordernis oder das Stufenverhältnis der ges<strong>und</strong>heitlichen Anforderungen<br />
nachträglich ausgehebelt wird?<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Dokumentation II
Dokumentation II<br />
Diese Frage lässt sich noch relativ leicht beantworten. Nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie<br />
kann der Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes auf den Inhaber eines von einem anderen<br />
Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins seine innerstaatlichen Vorschriften über<br />
Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anwenden <strong>und</strong> zu<br />
diesem Zweck den betreffenden Führerschein erforderlichenfalls umtauschen. Diese Regelung<br />
durchbricht die gr<strong>und</strong>sätzliche Pflicht der Mitgliedstaaten, in den anderen Mitgliedstaaten<br />
ausgestellte Führerscheine bzw. dort erteilte Fahrerlaubnisse anzuerkennen.<br />
Sie <strong>im</strong>pliziert, dass jeder Mitgliedstaat erst recht befugt bleibt, auf die von ihm selbst ausgestellten<br />
Führerscheine bzw. die von ihm selbst erteilten Fahrerlaubnisse seine innerstaatlichen<br />
Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der<br />
Fahrerlaubnis anzuwenden.<br />
Hinsichtlich der Folgen der Anwendung dieser innerstaatlichen Vorschriften macht<br />
Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie keine Einschränkungen. Indem die Richtlinie die Anwendung<br />
innerstaatlichen Rechts, das anderen Zwecken als das Fahrerlaubnisrecht – namentlich<br />
straf- <strong>und</strong> polizeirechtlichen Zwecken – dient, uneingeschränkt zulässt, n<strong>im</strong>mt sie auch<br />
nachträgliche Abweichungen von ihren eigenen fahrerlaubnisrechtlichen Vorgaben in<br />
Kauf, wenn diese zur Erreichung der genannten Zwecke nach nationalem Recht erforderlich<br />
sind. Die Vorschriften dürfen folglich auch dann angewendet werden, wenn sie dazu<br />
führen, dass der Betroffene nur mehr über eine Fahrerlaubnis verfügt, die ihm isoliert nicht<br />
hätte erteilt werden dürfen. Damit hat das Vorbesitzerfordernis des Art. 5 Abs. 1 a der<br />
Richtlinie für die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO <strong>und</strong> das Fahrverbot<br />
nach § 44 StGB keine Bedeutung.<br />
4. Erstmalige Erteilung <strong>und</strong> Neuerteilung<br />
Auch für die Entziehung der Fahrerlaubnis nach §§ 69 <strong>und</strong> 69a StGB als solche hat die<br />
Richtlinie aufgr<strong>und</strong> ihres sachlichen Anwendungsbereichs zunächst einmal keine Bedeutung,<br />
weil es sich dabei um einen Entzug bzw. eine Aufhebung der Fahrerlaubnis i. S. v.<br />
Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie handelt. Ob die Richtlinie allerdings die Ausnahmeregelung<br />
des § 69a Abs. 2 StGB für Lkw <strong>und</strong> Busse aufgr<strong>und</strong> des Vorbesitzerfordernisses <strong>im</strong> Neuerteilungsverfahren<br />
leerlaufen lässt, hängt davon ab, ob die Richtlinie nur die erste Erteilung<br />
der Fahrerlaubnis erfasst oder auch jede neue Erteilung nach einem vorangegangenen<br />
Verlust der Fahrerlaubnis.<br />
Das ist keine Frage ausschließlich des Art. 5 Abs. 1, sondern des sachlichen Anwendungsbereichs<br />
der Richtlinie insgesamt, denn der Begriff der „Ausstellung des Führerscheins“,<br />
welcher für die <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik mit Erteilung der Fahrerlaubnis gleichzusetzen<br />
ist, taucht dort an mehreren Stellen auf. Für ein weites, auch jede Neuerteilung erfassendes<br />
Verständnis spricht der Wortlaut. Auch jede neue „Ausstellung eines Führerscheins“ <strong>im</strong><br />
Anschluss an eine Entziehung ist eine „Ausstellung“. Außerdem beschränkt die Richtlinie<br />
in Anhang III unter Ziff. 4 die dort normierten besonderen Pflichten ausdrücklich auf die<br />
„erstmalige Erteilung einer Fahrerlaubnis“, was dafür spricht, dass an allen anderen Stellen<br />
jede Erteilung einer Fahrerlaubnis gemeint ist.<br />
5. Teleologische Reduktion des Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie?<br />
Das gilt gr<strong>und</strong>sätzlich auch für das Vorbesitzerfordernis des Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie,<br />
welches für die „Ausstellung des Führerscheins“ <strong>und</strong> nicht für die „erste Ausstellung“ statuiert<br />
wird. Der Wortlaut <strong>und</strong> die Systematik sprechen mithin dafür, dass auch bei der Neu-<br />
191<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
192<br />
erteilung einer Fahrerlaubnis für die Klassen C <strong>und</strong> D der Fahrzeugführer bereits zum Führen<br />
von Fahrzeugen der Klasse B berechtigt sein muss.<br />
Fraglich ist aber, ob die von HENTSCHEL befürwortete einschränkende Auslegung des<br />
Art. 5 Abs. 1 vorzunehmen ist. Sie ginge dahin, dass für die Ausstellung von Führerscheinen<br />
der Klassen C oder D lediglich Voraussetzung ist, dass die betroffenen Fahrzeugführer<br />
bereits einmal zum Führen von Fahrzeugen der Klasse B berechtigt waren, nicht es aktuell<br />
auch sind. Dafür würde es in der Tat sprechen, wenn die Vorschrift bezweckte, den Zugang<br />
zu höheren Fahrerlaubnisklassen nur stufenweise zu ermöglichen, weil sie Neubewerber<br />
in der niedrigeren Klasse Fahrpraxis erwerben lassen will, bevor sie die höheren Klassen<br />
führen dürfen. Soweit HENTSCHEL für eine Zwecksetzung in diesem Sinne die Präambel<br />
anführt, kann ihm allerdings nicht gefolgt werden. Dort wird die Förderung eines stufenweisen<br />
Zugangs zum Führen von Kraftfahrzeugen nur als Gr<strong>und</strong> für die Schaffung einer<br />
Möglichkeit zur Unterteilung der Fahrzeugklassen A bis E in Unterklassen angeführt. Für<br />
die Hauptklassen untereinander – namentlich zuerst Klasse B <strong>und</strong> dann C oder D – ist von<br />
einem stufenweisen Zugang keine Rede.<br />
Gegen einen auf die Befähigung beschränkten Zweck spricht, dass die Vorschrift keine<br />
Mindestfrist für die bereits vorhandene Berechtigung zum Führen von Fahrzeugen der<br />
Klasse B vorsieht, mithin die Vorschrift alleine bezogen auf die Fahrpraxis in der niedrigeren<br />
Klasse keine bessere Befähigung sicherstellt. Außerdem hat der Europäische Gesetzgeber<br />
<strong>im</strong> Fall des Art. 6 Abs. 1 b, erster Spiegelstrich der Richtlinie, wo er für Bewerber<br />
unter 21 Jahren für das Führen stärkerer Motorräder der Klasse A eine zweijährige<br />
Fahrpraxis auf schwächeren Motorrädern verlangt, wo es also ganz deutlich um eine stufenweise<br />
Heranführung von Fahrzeugführern an stärkere Fahrzeuge geht, eine gänzlich<br />
andere, dies explizit zum Ausdruck bringende Formulierung gewählt. Für eine einschränkende<br />
Auslegung des Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie ist deshalb kein Gr<strong>und</strong> ersichtlich. Die<br />
Vorschrift ist so zu verstehen, dass dem Bewerber auch bei einer Neuerteilung die Fahrerlaubnis<br />
der Klasse C oder D frühestens mit der Neuerteilung der Fahrerlaubnis für die<br />
Klasse B erteilt werden darf.<br />
6. Die Mindestanforderungen hinsichtlich der körperlichen <strong>und</strong> geistigen Tauglichkeit<br />
für das Führen eines Kraftfahrzeuges<br />
So weit zu den formellen Vorgaben. Für die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis<br />
<strong>und</strong> das Fahrverbot bleibt die in der Literatur aufgeworfene Frage, ob sich aus den <strong>im</strong> Anhang<br />
III aufgestellten Mindestanforderungen hinsichtlich der geistigen Tauglichkeit für<br />
das Führen eines Kraftfahrzeuges, namentlich <strong>im</strong> Hinblick auf das Verhältnis des Betroffenen<br />
zu <strong>Alkohol</strong>, <strong>Drogen</strong> <strong>und</strong> Arzne<strong>im</strong>itteln, ob sich also aus den materiellen Vorgaben<br />
des Europäischen Gesetzgebers eine Einschränkung ergibt. Das wäre der Fall, wenn das<br />
dort normierte Stufenverhältnis <strong>im</strong>mer zu beachten wäre, auch losgelöst von der Erteilung<br />
einer Fahrerlaubnis, wenn also ein Gericht bei seiner Entscheidung nicht die Eignung des<br />
Beschuldigten oder Verurteilten zum Führen von Kraftfahrzeugen der Klassen C <strong>und</strong> D bejahen<br />
dürfte, wenn es zugleich die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen der Klasse B<br />
verneint.<br />
Anknüpfungspunkt für die Prüfung dieser abgestuften Anforderungen aus dem Anhang<br />
ist <strong>im</strong> Hauptteil der Richtlinie ausschließlich Art. 7 Abs. 1 a, wonach die „Ausstellung des<br />
Führerscheins“ von der Erfüllung der körperlichen <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitlichen Anforderungen<br />
nach Maßgabe des Anhangs III abhängt. Schon danach wird keine Anwendung auch <strong>im</strong><br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Dokumentation II
Rahmen der Entziehung von Führerscheinen oder bei der Verhängung von Fahrverboten<br />
beansprucht. Noch deutlicher folgt dies aus dem Anhang selbst, wo es ausdrücklich heißt,<br />
dass Bewerbern oder Fahrzeugführern, die die Anforderungen nicht erfüllen, eine Fahrerlaubnis<br />
„weder erteilt noch erneuert“ werden darf. Ist die Fahrerlaubnis erteilt oder erneuert,<br />
hat es damit sein bewenden. Damit haben auch die materiellen Regelungen der Richtlinie<br />
zur Eignung der Fahrzeugführer keine Auswirkungen auf die vorläufige Entziehung<br />
der Fahrerlaubnis <strong>und</strong> das Fahrverbot.<br />
7. Fazit<br />
Insgesamt ist festzuhalten, dass die Zweite EG-Führerscheinrichtlinie an der vor ihrem<br />
Inkrafttreten geltenden Rechtslage in Deutschland für die Entziehung der Fahrerlaubnis<br />
nach § 69 StGB, die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO <strong>und</strong> das<br />
Fahrverbot nach § 44 StGB nichts geändert hat. Soweit bei der vorläufigen Entziehung<br />
<strong>und</strong> dem Fahrverbot zwischen verschiedenen Fahrzeugarten differenziert werden darf, gilt<br />
dies auch weiterhin. Weder das Vorbesitzerfordernis nach Art. 5 Abs. 1 a der Richtlinie<br />
noch die abgestuften Eignungsanforderungen <strong>im</strong> Anhang der Richtlinie verbieten eine<br />
Entziehung der Fahrerlaubnis oder ein Fahrverbot unter Ausnahme von Lkw oder Bussen.<br />
Folglich gebietet die Führerscheinrichtlinie auch keine erweiternde Auslegung des § 9<br />
FeV, die die Vorschrift auf die einstweilige Entziehung oder das Fahrverbot bzw. die zur<br />
Umsetzung von Ausnahmen erforderliche beschränkte Erteilung von Führerscheinen erstrecken<br />
würde. Wird allerdings die Fahrerlaubnis endgültig entzogen, sind bei der Neuerteilung<br />
die Vorgaben der Richtlinie zu beachten. Die Ausnahme von Lkw <strong>und</strong> Bussen aus<br />
der Sperre des § 69a StGB läuft damit tatsächlich schon europarechtlich leer.<br />
Dem Gesetzgeber stünde es aber frei, statt der vollständigen Entziehung der Fahrerlaubnis<br />
nach § 69 StGB <strong>und</strong> der Ausnahme best<strong>im</strong>mter Fahrzeugarten von der Sperre nach<br />
§ 69a StGB eine von vornherein beschränkte Entziehung der Fahrerlaubnis zu ermöglichen.<br />
Bei dieser bereits von HENTSCHEL aufgezeigten Lösung würde die Führerscheinrichtlinie<br />
der Ausnahme von Lkw <strong>und</strong> Bussen von der Entziehung der Fahrerlaubnis nicht<br />
ent<strong>gegen</strong>stehen. Noch überzeugender wäre eine solche Lösung, wenn der Gesetzgeber<br />
sich dabei vom Begriff der Fahrzeugart lösen <strong>und</strong> unmittelbar am tatsächlichen Zweck der<br />
Ausnahmen – nämlich der Existenzsicherung – orientierte Differenzierungsmöglichkeiten<br />
eröffnen würde.<br />
Anschrift des Verfassers<br />
Dr. Dr. Jan Backmann<br />
Schleswig-Holsteinisches Ministerium für Justiz,<br />
Gleichstellung <strong>und</strong> Integration<br />
Lorentzendamm 35<br />
24103 Kiel<br />
Email: jan.backmann@jumi.landsh.de<br />
Dokumentation II<br />
193<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
194 Dokumentation II<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
MARKUS SCHÄPE<br />
Ausnahmen vom Entzug der Fahrerlaubnis <strong>und</strong> vom Fahrverbot * )<br />
Die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB ist die am häufigsten verhängte Maßregel<br />
<strong>und</strong> dogmatisch dem Berufsverbot (§ 70 StGB) nachempf<strong>und</strong>en. Nicht nur der Aufbau,<br />
sondern auch die unmittelbaren Folgen führen zu vergleichbaren Konsequenzen –<br />
nämlich einer wirtschaftlichen Existenzvernichtung für Berufskraftfahrer, Außendienstmitarbeiter<br />
<strong>und</strong> Pendler. Deshalb wird der Verlust des Führerscheins vom Betroffenen<br />
häufig als die eigentliche Strafe empf<strong>und</strong>en. Ob die systematische Einordnung dem folgen<br />
soll, wird in der Wissenschaft diskutiert (HAFFKE, Festschrift für Hamm, 2008, 137,<br />
144 ff.), soll hier aber nicht vertieft werden.<br />
Die Fahrerlaubnis kann nach geltendem Recht nur <strong>im</strong> Ganzen entzogen werden; eine teilweise<br />
Entziehung ist nicht zulässig. Auch entfällt die Fahrberechtigung nicht für eine von<br />
vornherein festgelegte Dauer; stattdessen wird eine Sperrfrist ausgesprochen, vor deren<br />
Ablauf die Verwaltungsbehörde keine neue Fahrerlaubnis erteilen darf. Sie allein entscheidet<br />
über die Wiedererteilung. Für die Bemessung der Sperrfrist kommt es auf die<br />
richterliche Prognose an, wie lange eine Ungeeignetheit voraussichtlich bestehen wird. Generalisierende<br />
Erwägungen wie auch die Verwendung von Bemessungstabellen verbieten<br />
sich mit dem Maßregelcharakter – die Praxis orientiert sich dennoch stark an diesen internen<br />
schriftlichen Absprachen zwischen den Staatsanwaltschaften <strong>und</strong> den Amtsgerichten.<br />
Von der Sperrfrist können gemäß § 69a Abs. 2 StGB best<strong>im</strong>mte Arten von Kraftfahrzeugen<br />
ausgenommen werden, sofern besondere objektive oder subjektive Umstände vorliegen.<br />
Entscheidend ist, ob der Zweck der Maßregel – die Sicherung des Straßenverkehrs –<br />
auch mit einer eingeschränkten Verkehrsteilnahme des Täters erreicht werden kann.<br />
Der Verkehrsgerichtstag hat sich in der Vergangenheit wiederholt mit Ausnahmen von<br />
der strafrichterlichen Entziehung der Fahrerlaubnis befasst. So hat vor genau 30 Jahren der<br />
Arbeitskreis VII des 18. Deutschen Verkehrsgerichtstags die Frage gestellt, wie man die<br />
Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis für die Praxis verbessern könne. Eine „nicht<br />
unerhebliche Minderheit“ hat sich damals für weitere Ausnahmen von der Sperre ausgesprochen,<br />
während die Mehrheit eine zeitliche <strong>und</strong> örtliche Änderung für nicht erforderlich<br />
erklärte. Interessanter noch erscheint mir rückblickend, dass damals über die „Möglichkeit<br />
einer beschränkten Eignung breiter Konsens“ bestand (BERZ, VGT 1980, 313).<br />
Gleichwohl führt die Ausnahme von der Sperrfrist ein Schattendasein.<br />
Mit der Einführung der FeV zum 01.01.1999 wurde es in der Praxis noch schwieriger,<br />
für den Lkw- <strong>und</strong> Busbereich Ausnahmen von der Sperrfrist zu erreichen. Damals hatte der<br />
Gesetzgeber mit § 9 FeV den Vorbesitz der Klasse B vor Erteilung eines Bus- oder Lkw-<br />
Führerscheins vorgeschrieben. Es ist insofern kein Zufall, dass alle – für den Betroffenen<br />
positiven <strong>und</strong> veröffentlichten – Entscheidungen vor diesem Stichtag ergangen sind.<br />
Das neue Problem, ob die Verwaltung durch § 9 FeV an der Erteilung einer „höherklassigen“<br />
Fahrerlaubnis gehindert wird, hat der Arbeitskreis IV des 42. Deutschen Verkehrsgerichtstags<br />
2004 diskutiert – <strong>und</strong> verneint: Der Gesetzgeber wurde diesbezüglich zur<br />
Klarstellung aufgefordert.<br />
*<br />
) Schriftliche Fassung des Vortrages, den der Verfasser auf dem 48. Verkehrsgerichtstag 2010 in Goslar gehalten<br />
hat.
Dokumentation II<br />
Diesem Wunsch ist der Gesetzgeber mit der 4. Verordnung zur Änderung der FeV vom<br />
18. 07. 2008 nachgekommen – allerdings mit einem anderen als dem geforderten Ergebnis.<br />
Durch Einfügung eines Satzes 2 in § 9 FeV wurde festgelegt, dass der Vorbesitz auch in<br />
den Fällen des § 69a Abs. 2 StGB erforderlich ist. Der Gesetzgeber hat damit nicht die erwünschte<br />
Klarstellung der Vereinbarkeit beider Vorschriften vorgenommen, sondern faktisch<br />
die Möglichkeiten des Strafrichters <strong>im</strong> Rahmen der Rechtsfolgenfindung erheblich<br />
eingeschränkt. Denn selbst wenn es jetzt noch gelingen würde, den Strafrichter zu einer<br />
Ausnahme best<strong>im</strong>mter Fahrzeugarten <strong>im</strong> Bus- oder Lkw-Bereich zu bewegen, scheitert<br />
die Verkehrsteilnahme an der gesetzlich verbotenen Erteilung einer entsprechend beschränkten<br />
Fahrerlaubnis durch die Verwaltung.<br />
Dass die Neuregelung nicht zu einem Aufschrei in der Literatur geführt hat, mag daran<br />
liegen, dass die Herausnahme best<strong>im</strong>mter Fahrzeugarten schon bislang als „Exot <strong>im</strong> Verkehrsrecht“<br />
betrachtet wurde – ähnlich wie die Verwarnung mit Strafvorbehalt oder das<br />
Adhäsionsverfahren. Dabei bietet § 69a Abs. 2 StGB eine hervorragende Möglichkeit<br />
einer modernen Rechtsfolgenfindung, die dem Einzelfall gerecht wird <strong>und</strong> den prognostizierten<br />
Folgen der Entscheidung Rechnung trägt.<br />
Auch bei der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis ist eine entsprechende Ausnahmemöglichkeit<br />
in § 111a Abs. 1 S. 2 StPO vorgesehen. Die Vorschrift ist § 69a Abs. 2 StGB<br />
nachgebildet, die Voraussetzungen sind identisch. Anders als bei der endgültigen Entziehung<br />
der Fahrerlaubnis, die ja gerade nicht teilbar ist, kann von der vorläufigen Entziehung<br />
eine Ausnahme gemacht werden: Dies hat zur Folge, dass die Fahrberechtigung für die<br />
ausgenommene Fahrzeugart bestehen bleibt. Auch wenn der Führerschein in amtliche Verwahrung<br />
gegeben wird, behält der Betroffene die Berechtigung zum Führen der ausgenommenen<br />
Fahrzeugart; er hat einen Rechtsanspruch auf Erteilung eines Ersatzführerscheins<br />
für die nicht entzogene Fahrerlaubnis. Gleichwohl wirkt sich mittelbar auch hier<br />
die Neuregelung nach § 9 S. 2 FeV aus, die für Bus- <strong>und</strong> Lkw-Führerscheine den Vorbesitz<br />
der Klasse B verlangt.<br />
Gänzlich anders stellt sich die Situation be<strong>im</strong> Fahrverbot nach § 44 StGB dar. Danach<br />
kann dem Betroffenen für die Dauer von 1 bis zu 3 Monaten verboten werden, <strong>im</strong> Straßenverkehr<br />
Kraftfahrzeuge jeder oder einer best<strong>im</strong>mten Art zu führen. Das Fahrverbot<br />
lässt als Nebenstrafe die Fahrerlaubnis unberührt <strong>und</strong> verhindert lediglich deren Gebrauch.<br />
Dabei versteht sich das Fahrverbot als Denkzettel mit einer Warnungs- <strong>und</strong> Besinnungsfunktion,<br />
was keine Eignungsfragen aufwirft <strong>und</strong> vorrangig spezialpräventiv wirkt. Das<br />
Übermaßverbot führt dazu, dass das Fahrverbot beschränkt werden muss, wenn dies bereits<br />
als Denkzettel ausreichend erscheint.<br />
Diese Wertung ist für die Nebenfolge nach § 25 StVG identisch. Unschädlich ist dabei,<br />
dass die meisten Fahrverbote <strong>im</strong> Ordnungswidrigkeitenrecht Regelfahrverbote nach § 4<br />
BKatV sind: Sieht man mit der überwiegenden Auffassung die Herausnahme von Fahrzeugarten<br />
als teilweises Absehen vom Fahrverbot an, erhöht sich zwar der Begründungsaufwand<br />
– das Übermaßverbot gilt aber auch hier. Dies gilt insbesondere dann, wenn der<br />
Betroffene die Ordnungswidrigkeit in der Freizeit begangen hat <strong>und</strong> er als Berufskraftfahrer<br />
oder Feuerwehrmann auf die Fahrberechtigung der höheren Klasse angewiesen ist.<br />
Eine Beschränkung des Fahrverbotes auf Kraftfahrzeuge der Klasse B erscheint hier ausreichend.<br />
Ebenso verhält es sich, wenn beispielsweise ein Taxifahrer mit dem Motorrad zu schnell<br />
gefahren ist: Hier reicht die Beschränkung des Fahrverbots auf das Führen von Krafträdern<br />
195<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
196<br />
aus <strong>und</strong> verhindert so eine Existenzgefährdung. Gleiches gilt für den Landwirt, der mit dem<br />
Pkw oder Lkw einen Verkehrsverstoß begangen hat <strong>und</strong> für die Fortführung des Betriebes<br />
die Fahrberechtigung für landwirtschaftliche Traktoren benötigt. Kriterium für die Ausnahme<br />
vom Fahrverbot ist stets, ob die Denkzettelfunktion hierdurch geschwächt würde.<br />
Dieselbe Motivation hatte der Gesetzgeber, als er mit § 69a Abs. 2 StGB Ausnahmen von<br />
der Sperre durch den Strafrichter vorgesehen hat. Eine generelle Festlegung, welche Umstände<br />
eine Ausnahme rechtfertigen, gab es <strong>und</strong> gibt es dabei nicht. Vielmehr bedarf es besonderer<br />
Umstände, damit das Führen best<strong>im</strong>mter Kraftfahrzeugarten verantwortet werden<br />
kann, obwohl doch die Eignung zum Fahren generell abgesprochen wurde. Hierbei<br />
handelt es sich um eine Prognose, die nicht dem Zweifelssatz unterliegt <strong>und</strong> gerade bei<br />
charakterlichen Eignungsmängeln einer besonders vorsichtigen Prüfung bedarf. Auch<br />
wenn sich unter dem Aspekt des Übermaßverbotes eine schematische Ablehnung ab einem<br />
best<strong>im</strong>mten BAK-Wert verbietet, sind generell bei Trunkenheitsfahrten strenge Anforderungen<br />
zu stellen.<br />
In der anwaltlichen Praxis spielt der Wunsch des Betroffenen nach einer Ausnahme für<br />
Lkw <strong>und</strong> Busse eine nicht unerhebliche Rolle. In den einschlägigen Fällen begeht der Berufskraftfahrer<br />
auf einer privaten Fahrt mit dem Pkw die Tat, obwohl er seit Jahren unbeanstandet<br />
seinen Beruf ausübt.<br />
Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung genügt – anders als für manche Amtsrichter<br />
– die private Sphäre der Fahrt allein für eine Herausnahme nicht; denn die auf best<strong>im</strong>mte<br />
Fahrzeugarten beschränkte Fahrerlaubnis darf sowohl in der privaten als auch in der beruflichen<br />
Sphäre verwendet werden. Deshalb werden weitere objektive Voraussetzungen<br />
für die Erteilung einer Ausnahme für Lkw oder Busse gefordert: Wirkt sich nach der Prognose<br />
des Gerichts der Eignungsmangel, der sich durch die zugr<strong>und</strong>e liegende Straftat gezeigt<br />
hat, be<strong>im</strong> Führen einer best<strong>im</strong>mten Kraftfahrzeugart nicht in sicherheitsgefährdender<br />
Weise aus, so muss unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit diese Fahrzeugart von der<br />
Fahrerlaubnissperre ausgenommen werden. Da das Recht zum Führen von Kraftfahrzeugen<br />
Bestandteil des Gr<strong>und</strong>rechts auf allgemeine Handlungsfreiheit ist, kommt der Verhältnismäßigkeit<br />
bei der Prüfung des Maßregelumfangs eine besondere Bedeutung zu. Eine<br />
unbeschränkte Sperre würde einen Verstoß <strong>gegen</strong> das mit Verfassungsrang ausgestattete<br />
Übermaßverbot bedeuten. Beispielhaft sei hier der Linienbusfahrer genannt, der mit dem<br />
Pkw auf einer Landstraße trotz unübersichtlicher Stelle in verkehrsgefährdender Weise zu<br />
schnell gefahren ist <strong>und</strong> damit den Regelfall nach § 69 Abs. 2 Nr. 1 StGB verwirklicht hat.<br />
Diese sinnvollen <strong>und</strong> den Betroffenen schützenden Differenzierungen wurden durch die<br />
gesetzgeberische Entscheidung in § 9 Satz 2 FeV beseitigt – zumindest für die Fahrzeugarten<br />
mit vorgeschriebenem Vorbesitz der Klasse B, also für Lkw <strong>und</strong> Busse. Durch die<br />
Entziehung der Fahrerlaubnis verfügt der Betroffene nicht mehr über die Fahrberechtigung<br />
der Klasse B. Selbst wenn der Strafrichter eine Fahrzeugart der Klasse C oder D ausn<strong>im</strong>mt,<br />
stellt sich gar nicht die Frage, ob die Führerscheinstelle an diese Entscheidung<br />
mehr oder weniger geb<strong>und</strong>en ist: Vielmehr hat ihr der Gesetzgeber verboten, die von<br />
Klasse B losgelöste höhere Berechtigung zu erteilen. Zwar ist der Strafrichter durch diese<br />
Regelung der FeV rechtlich nicht gehindert, gleichwohl best<strong>im</strong>mte Fahrzeugarten auszunehmen:<br />
In der Sache selbst bleibt sein Bemühen bei dieser neuen Rechtslage ohne Aussicht<br />
auf Erfolg.<br />
Begründet wird das Erfordernis des Vorbesitzes für höhere Klassen nach § 9 FeV damit,<br />
dass dies durch Art. 5 Abs. 1 a der 2. Führerschein-Richtlinie (91/439/EWG) unumgäng-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Dokumentation II
lich sei. Dies ist insofern richtig, als die Richtlinie durch einen stufenweisen Führerscheinerwerb<br />
verhindern will, dass der Fahranfänger den Lkw- oder Busführerschein bekommt,<br />
ohne vorher den Pkw-Führerschein erhalten zu haben. Dass diese – richtigen –<br />
Überlegungen zum Befähigungsnachweis gerade nicht auf den Fall des § 69a Abs. 2 StGB<br />
<strong>und</strong> damit der Neuerteilung nach § 20 FeV übertragbar sind, die – ebenfalls seit der 4. Änderungsverordnung<br />
– gr<strong>und</strong>sätzlich auf jede Befähigungsprüfung verzichtet, wäre viel<br />
näher gelegen: Denn der Bewerber um die Erteilung einer Fahrberechtigung für die ausgenommene<br />
Fahrzeugart hatte bereits durch seine frühere, abgestufte Prüfung seine Befähigung<br />
positiv unter Beweis gestellt; bei der Ausnahme nach § 69a Abs. 2 StGB geht es<br />
gerade nicht um die Befähigung, sondern um die Folgen einer noch vorhandenen<br />
eingeschränkten Fahreignung. Insofern hätte man dem angedrohten Vertragsverletzungsverfahren<br />
der Kommission mit guten Argumenten ent<strong>gegen</strong>sehen können.<br />
Stattdessen hat der Gesetzgeber die Ausnahme von Fahrzeugarten nach § 69a Abs. 2<br />
StGB faktisch auf solche Fahrzeugarten beschränkt, die keinen Vorbesitz der Klasse B erforderlich<br />
machen, also auf Krafträder sowie Zug- oder Arbeitsmaschinen. Ob man nun –<br />
wie es Oberstaatsanwalt BROCKELT anlässlich seines Referates vor 30 Jahren (18. VGT,<br />
S. 290) ausdrückte – vom „Bauernprivileg“ sprechen möchte oder nicht: Der Anwendungsbereich<br />
des § 69a Abs. 2 StGB ist heute auf land- <strong>und</strong> forstwirtschaftliche Einsatzzwecke<br />
reduziert – dies wird den Bedürfnissen der Praxis nicht gerecht.<br />
Anschrift des Verfassers<br />
RA <strong>und</strong> FA Verkehrsrecht Dr. Markus Schäpe<br />
Leiter Verkehrsrecht ADAC<br />
Am Westpark 8<br />
81373 München<br />
Email: markus.schaepe@adac.de<br />
Dokumentation II<br />
197<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
198 Dokumentation II<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
AXEL UHLE<br />
Ausnahmen vom Entzug der Fahrerlaubnis <strong>und</strong> vom Fahrverbot –<br />
verkehrspsychologische Aspekte * )<br />
1. Die Ausgangslage<br />
In der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik werden jährlich r<strong>und</strong> 100.000 Verkehrsdelikte 1 ) – meist <strong>Alkohol</strong>fahrten<br />
– strafrechtlich geahndet. Darüber hinaus wurden <strong>im</strong> Jahr 2008 485.000 Regelfahrverbote<br />
verhängt, was einem Anteil von 70 Prozent aller Führerscheinmaßnahmen<br />
entspricht. 60 Prozent entfallen auf Geschwindigkeitsverstöße, knapp 20 Prozent auf<br />
<strong>Alkohol</strong>- oder <strong>Drogen</strong>fahrten gemäß § 24a StVG.<br />
Das Strafgericht entzieht einem Kraftfahrer die Fahrerlaubnis, wenn sich aus der Tat ergibt,<br />
dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Nach § 69a Abs. 1 des Strafgesetzbuches<br />
(StGB) best<strong>im</strong>mt das Gericht mit Entziehung der Fahrerlaubnis eine Sperre<br />
für die Neuerteilung.<br />
Bei dem Fahrerlaubnisentzug handelt es sich um eine Maßregel der Sicherung <strong>und</strong> Besserung,<br />
<strong>und</strong> nicht um eine Strafe. Es muss in der Phase der „Sicherung“ auch eine „Besserung“<br />
erfolgen. Es geht also darum, sowohl den Fahrer als auch die Allgemeinheit vor<br />
weiteren erheblichen Straftaten zu schützen, <strong>und</strong> die Fahrerlaubnis erst dann wieder zu erteilen,<br />
wenn keine Gefahr mehr besteht. Die Rechtsprechung orientiert sich dabei am<br />
Gr<strong>und</strong>satz: in dubio pro securitate – <strong>im</strong> Zweifel für die Sicherheit.<br />
Der Richter muss dabei eine Prognoseaussage treffen. Maßstab ist die zu erwartende<br />
Gefährlichkeit <strong>und</strong> die voraussichtliche Dauer der Ungeeignetheit. Die Mindestsperrfrist<br />
beträgt sechs Monate bzw. ein Jahr, wenn in den letzten Jahren vor der erneuten Auffälligkeit<br />
bereits einmal eine Sperre angeordnet war.<br />
Im Unterschied zu den rechtlichen Vorschriften des StGB soll das Fahrverbot <strong>im</strong> Ordnungswidrigkeitenrecht<br />
eine Denkzettel- <strong>und</strong> Besinnungsmaßnahme sein <strong>und</strong> insoweit<br />
präventiven Zwecken dienen 2 ).<br />
Unter best<strong>im</strong>mten Umständen kann von der indizierten Maßregel, einem (vorläufigen)<br />
Entzug der Fahrerlaubnis oder einem Fahrverbot abgesehen werden bzw. best<strong>im</strong>mte Fahrzeugarten<br />
von der Sperre oder einem Fahrverbot ausgenommen werden.<br />
2. Die bisherige Ausnahmepraxis – Hintergr<strong>und</strong> des Arbeitskreises<br />
Diese Ausnahmepraxis wird bisher sehr restriktiv gehandhabt, was besonders darin<br />
deutlich wird, dass nur in ca. einem Prozent der Fälle von Verkehrsstraftaten Ausnahmen<br />
gewährt wurden. Hauptgründe, von der Maßregel abzuweichen sind nach der derzeitigen<br />
Rechtsprechung besondere Umstände der Tat (z. B. notstandsähnliche Situation, nur wenige<br />
Meter gefahren), Umstände, die sich aus der Person des auffälligen Fahrers ergeben<br />
(z. B. langjährig unauffällige Verkehrsteilnahme) oder Wegfall des Eignungsmangels <strong>im</strong><br />
Hinblick auf lang andauernde vorläufige Führerscheinmaßnahmen (Beschlagnahme, vorläufige<br />
Entziehung).<br />
*<br />
) Schriftliche Langfassung des Vortrages, den der Verfasser auf dem 48. Verkehrsgerichtstag 2010 in Goslar<br />
gehalten hat.
Dokumentation II<br />
Verkehrspsychologische Maßnahmen spielen als Begründung für eine Ausnahme von<br />
der Maßregel oder vom Fahrverbot eine untergeordnete Rolle <strong>und</strong> werden sehr unterschiedlich<br />
beurteilt 3 ). Nur in knapp einem Zehntel der Ausnahmefälle werden sie als Begründung<br />
für eine Ausnahme von der Maßregel herangezogen. In Zahlen ausgedrückt:<br />
jährlich wird in geschätzten 1.000 Fällen von der Maßregel abgewichen, in 100 Fällen gingen<br />
verkehrspsychologische Maßnahmen voraus.<br />
Trotz einer anhaltend lebhaften Diskussion zwischen Befürwortern <strong>und</strong> Gegnern <strong>und</strong><br />
wiederholter Behandlung auf vergangenen Verkehrsgerichtstagen, hat sich die Anzahl der<br />
Fälle, in denen von der Sperre oder vom vorläufigen Entzug abgesehen wurde, in den letzten<br />
Jahren kaum erhöht. Jetzt droht aus der Sicht der Befürworter neues Ungemach: durch<br />
die Novellierung des § 9 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV), in der klar gestellt wurde,<br />
dass die Anforderung des Vorbesitzes der Klasse B für eine Erteilung der Klasse C oder D<br />
auch für die Fälle des § 69a StGB gilt.<br />
3. Vorüberlegungen<br />
Bei dem Thema handelt es sich um eine seit Jahren andauernde Diskussion zwischen<br />
den Lagern der Befürwortern einer unteilbaren Eignung (wer z. B. nach einer <strong>Alkohol</strong>fahrt<br />
oder Unfallflucht für eine Klasse ungeeignet ist, ist für alle Klassen ungeeignet) <strong>und</strong> den<br />
Vertretern der Ansicht, dass die Eignung sehr wohl teilbar ist 4 ). Die Novellierung des § 9<br />
FeV zeigt, dass der Gesetzgeber bei der Frage nach der Eignung wohl eher der Fraktion der<br />
Vertreter eines unteilbaren Eignungsbegriffs zuzurechnen ist.<br />
Die Argumente der Befürworter <strong>und</strong> Gegner machen das Spannungsfeld deutlich. Die<br />
Befürworter einer geteilten Eignung sehen in der zurückhaltenden Praxis <strong>und</strong> vor allem<br />
der neuen Verordnungslage einen Widerspruch zwischen dem ausdrücklichen Willen des<br />
Gesetzgebers (Ausnahmeregelungen sind ja in § 69a Abs. 2 StGB formuliert). Es wird<br />
kritisiert, dass die FeV als Verordnung keine gesetzlich getroffenen Ausnahmeregelungen<br />
einschränken könne.<br />
Es gilt aber auch die Befürchtung der Gegner ernst zu nehmen, dass durch eine solche<br />
Vorgehensweise das einzig wirksame Reaktionsmittel, nämlich der Entzug der Fahrerlaubnis<br />
geschwächt würde. Denn in 90 Prozent der Fälle handele es sich um <strong>Alkohol</strong>fahrer,<br />
die besonders gefährlich seien. Pointiert zusammengefasst, hätte eine Ausnahmeregelung<br />
zur Folge, dass jede erste (entdeckte) Fahrt praktisch ohne spürbare Folgen bliebe,<br />
<strong>und</strong> drohende Strafen nicht mehr ernst genommen würden; in Verbindung mit der hohen<br />
Dunkelziffer würden die gesetzlichen Maßnahmen nicht mehr den Hauch einer Abschreckung<br />
bewirken <strong>und</strong> eine Freischussmentalität fördern, die der Verkehrssicherheit<br />
nicht zuträglich sei 5 ).<br />
Ausnahmeanträge der Anwälte folgen häufig der Logik, dass man Betroffene bedingt am<br />
Straßenverkehr teilnehmen lassen könne. Und zwar deshalb, weil sie beruflich auf die Fahrerlaubnis<br />
angewiesen <strong>und</strong> weitere <strong>Alkohol</strong>fahrten auszuschließen seien. In einer typischen<br />
Konstellation wurde die <strong>Alkohol</strong>fahrt mit der Klasse B begangen, der Fahrer ist aber<br />
auch Inhaber der Klasse C <strong>und</strong> benötigt diese Klasse für die Berufsausübung. Es wird dann<br />
argumentiert, dass er eine langjährige unauffällige Verkehrsteilnahme vorweise <strong>und</strong> bei<br />
Fahrten mit der Klasse C verstärkt unter der Kontrolle des Arbeitgebers stehe. Implizit<br />
wird vorausgesetzt, dass <strong>im</strong> Kontext der Tatsache, dass der Fahrer vor der Auffälligkeit<br />
nicht negativ in Erscheinung getreten ist <strong>und</strong> der existenziellen Bedeutung, die der Füh-<br />
199<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
200<br />
rerschein für ihn hat, die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls so ausreichend reduziert sei,<br />
dass ein Risiko für andere Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen <strong>und</strong> die Fahrerlaubnis der<br />
Klasse C vom vorläufigen Entzug <strong>und</strong> von der Sperre ausgenommen werden könne.<br />
Interne Richtlinien zur Bearbeitung von Verkehrssachen, z. B. der Staatsanwaltschaft<br />
Saarbrücken, formulieren weitere Voraussetzungen für eine Ausnahmegenehmigung 6 ):<br />
• die existenzielle Gefährdung des Arbeitsplatzes des Beschuldigten muss durch eine<br />
Bescheinigung des Arbeitgebers nachgewiesen werden,<br />
• die BAK muss gr<strong>und</strong>sätzlich unter 1,6 Promille liegen,<br />
• es dürfen in den letzten 10 Jahren keine einschlägigen Vorstrafen vorliegen (belegt<br />
durch Auszug aus örtlichen <strong>und</strong> zentralen Registern),<br />
• die Tat darf nicht mit einem Fahrzeug der Klasse begangen worden sein, für die die<br />
Ausnahme beantragt wird <strong>und</strong><br />
• Unfallbeteiligte dürfen keine erheblichen Verletzungen erlitten haben.<br />
Hier wird die Problematik dieses Ansatzes deutlich. Denn der auffällige Fahrer ist zwar<br />
nicht mit dem LKW betrunken gefahren, aber mit dem PKW. Wenn die arbeitgebermäßige<br />
Kontrolle so konsequent wäre, wieso erstreckt sie sich nicht auf alle Fahrten? Wieso ist er,<br />
trotz der existenziellen Bedeutung des Führerscheins, alkoholisiert gefahren? In diesem<br />
Zusammenhang wissen wir nichts darüber, welche <strong>Alkohol</strong>konsumgewohnheiten der Auffälligkeit<br />
zugr<strong>und</strong>e liegen <strong>und</strong> wie ausgeprägt die <strong>Alkohol</strong>gefährdung ist, welche Einstellungen<br />
ihn leiten, wie er die <strong>Alkohol</strong>auffälligkeit reflektiert <strong>und</strong> welche Vorsätze er hinsichtlich<br />
seines zukünftigen Umgangs mit <strong>Alkohol</strong> gefasst hat. BODE/WINKER 7 ) weisen in<br />
diesem Zusammenhang darauf hin, dass „<strong>im</strong> Extremfall sogar ein erheblich gefährlicher<br />
alkoholauffälliger Fahrer als scheinbar gewöhnlicher Ersttäter eine Trunkenheitsfahrt vor<br />
Gericht kommen kann, dessen bisherige u. U. zahlreiche Trunkenheitsfahrten nur nicht<br />
entdeckt wurden.“<br />
Im Folgenden soll gezeigt werden, dass die Beantwortung dieser Fragen eine wesentliche<br />
Voraussetzung für eine tragfähige Prognose über die Gefährlichkeit eines Menschen<br />
für den Straßenverkehr darstellt <strong>und</strong> es in den meisten Fällen erhebliche Mühen bereitet,<br />
zu Beginn eines Veränderungsprozesses die persönlichen Dispositionen eines best<strong>im</strong>mten<br />
Menschen <strong>und</strong> die situativen Bedingungen, unter denen ein Mensch handelt, so umfassend<br />
zu ermitteln, dass darauf eine tragfähige Prognose <strong>und</strong> eine Ausnahme von der Maßregel<br />
begründet werden könnte 8 ).<br />
Vielleicht ist aber das Konstrukt einer möglicherweise teilbaren Eignung nicht der allein<br />
seligmachende Weg. Was gilt ist, Verhältnismäßigkeit <strong>und</strong> Übermaßverbot zu berücksichtigen.<br />
Dies führt dann auch zwangsläufig zu der Frage: Welche Möglichkeiten gibt es<br />
außer einem Absehen vom Entzug der Fahrerlaubnis <strong>und</strong> vom Fahrverbot eigentlich noch,<br />
um Sicherung <strong>und</strong> Besserung zu unterstützen, Einzelfallgerechtigkeit walten zu lassen <strong>und</strong><br />
Übermaß zu verhindern? Wenn man sich darüber weitere Gedanken macht, lohnt es sich<br />
zunächst das Verhaltensmodell näher zu betrachten, das aus der Sicht der Strafgerichtsbarkeit<br />
<strong>und</strong> der Verkehrspsychologie hinter Verkehrsauffälligkeiten steht.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Dokumentation II
Dokumentation II<br />
4. Strafgerichtsbarkeit <strong>und</strong> Verkehrspsychologie – Gr<strong>und</strong>annahmen<br />
Bild 1: Vorüberlegungen.<br />
Wie schematisch in Bild 1 dargestellt, besteht bei einem Vergleich der Gr<strong>und</strong>sätze der<br />
Verkehrspsychologie <strong>und</strong> der Strafgerichtsbarkeit zur Beurteilung der Frage der Eignung<br />
zunächst eine hohe Übereinst<strong>im</strong>mung in dem, was in der Psychologie als gesicherte Erkenntnis<br />
gilt <strong>und</strong> dem Menschenbild, das <strong>im</strong> Hinblick auf die Eignung in den gesetzlichen<br />
Best<strong>im</strong>mungen angelegt ist 9 ).<br />
Aus verkehrspsychologischer Sicht ist menschliches Verhalten – auch auffälliges, normverletzendes<br />
Verhalten – erlernt, automatisiert <strong>und</strong> in vielen Fällen zu einer unreflektierten<br />
Gewohnheit geworden <strong>und</strong> kann – in gleicher Weise – wieder verlernt, <strong>und</strong> durch andere,<br />
angemessenere Verhaltensweisen ersetzt werden.<br />
PROCHASKA <strong>und</strong> DI CLEMENTE verdeutlichen an einem international anerkannten Modell<br />
der Verhaltensänderung (Six Stages of Changing) 10 ), dass nachhaltige Einstellungs- <strong>und</strong><br />
Verhaltensänderungen typischerweise mehrere Stadien durchlaufen. Ausgehend vom Stadium<br />
der Absichtslosigkeit folgen als Stufen der Veränderung: Absichtsbildung, Vorbereitung,<br />
Handlung, Aufrechterhaltung, um dann entweder einen Rückfall zu erleiden oder zu<br />
einem dauerhaften Ausstieg zu gelangen. Für diesen Veränderungsprozess wird ausreichend<br />
Zeit, <strong>und</strong> je nach Schweregrad <strong>und</strong> persönlichen Voraussetzungen, auch spezifische<br />
Unterstützung benötigt, bevor eine stabile Änderung angenommen werden kann.<br />
Die strafrechtlichen Gr<strong>und</strong>annahmen st<strong>im</strong>men damit zunächst überein. Die Strafgerichtsbarkeit<br />
geht davon aus, dass die Strafe (z. B. Geldstrafe) allein nicht ausreicht, um<br />
tatsächlich ein zukünftig regelgerechtes Verhalten <strong>im</strong> Straßenverkehr erwarten zu lassen.<br />
Einem auffälligen Kraftfahrer wird als Maßregel zur Sicherung <strong>und</strong> Besserung die Fahrerlaubnis<br />
entzogen, was von dem betroffenen Fahrer häufig als die eigentliche Strafe empf<strong>und</strong>en<br />
wird. Es wird erwartet, dass in der Phase der „Sicherung“ eine „Besserung“ erfolgt.<br />
Der juristische Begriff der Besserung korrespondiert mit dem psychologischen Begriff der<br />
„Veränderung“ von Einstellung <strong>und</strong> Verhalten.<br />
Strafgerichtsbarkeit <strong>und</strong> (Verkehrs-)Psychologie st<strong>im</strong>men also in der Zielsetzung überein,<br />
durch Sicherung <strong>und</strong> Besserung (Strafgerichtsbarkeit) bzw. der Forderung nach einer<br />
stabilen Verhaltensänderung (Verkehrspsychologie) Verkehrsrisiken zu reduzieren.<br />
Bei so viel Gemeinsamkeiten lohnt ein Blick auf die Unterschiede:<br />
Trotz dieser Übereinst<strong>im</strong>mung in den Gr<strong>und</strong>annahmen <strong>und</strong> der gr<strong>und</strong>sätzlichen Zielsetzung<br />
werden von der Strafgerichtsbarkeit <strong>und</strong> der Verkehrspsychologie unterschiedliche<br />
Kriterien für die Annahme der Eignung bzw. Nichteignung zugr<strong>und</strong>e gelegt.<br />
201<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
202<br />
Strafrechtlich stehen die Tatmerkmale (Schwere der Tat, Vorsatz, Vorwerfbarkeit) <strong>im</strong><br />
Vordergr<strong>und</strong>. Aufgabe des Strafrichters ist es zwar, eine Prognose zu stellen, die sich vor<br />
allem auf die zu erwartende Gefährlichkeit des Kraftfahrers <strong>und</strong> deren Dauer bezieht, nicht<br />
aber eine von der Tat losgelöste umfassende Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des<br />
Kraftfahrers 11 ). Auch bei der Ahndung von Verkehrsstrafsachen spielt der Faktor Zeit eine<br />
Rolle. Die Sperrfrist wird aufgr<strong>und</strong> einer richterlichen Prognose so bemessen, dass nach<br />
Ablauf der Sperre wieder von der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgegangen<br />
wird. Damit wird quasi ein Automatismus der Verhaltensänderung in der Phase der Sicherung<br />
<strong>und</strong> Besserung unterstellt. Nach RIEDMEYER ist das derzeitige System ein „rein<br />
repressives System“. Verhaltensänderung soll zunächst durch Abschreckung veranlasst<br />
werden 12 ).<br />
Dem <strong>gegen</strong>über erfolgt verkehrspsychologisch eine Diagnose des Gefährdungsgrads,<br />
um dann zu überprüfen, ob eine stabile Verhaltensänderung erfolgt ist. Abhängig vom<br />
Schweregrad werden Maßnahmen <strong>und</strong> erforderliche Zeiträume für eine stabile Verhaltensänderung<br />
definiert. Erst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann die Eignung wieder<br />
angenommen werden.<br />
Ein weiterer wesentlicher Unterschied besteht darin, dass der Strafrichter gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
die Möglichkeit hat, für best<strong>im</strong>mte Arten von Kraftfahrzeugen nach § 69a Abs. 2 StGB<br />
Ausnahmen von der Sperrfrist zu gewähren, soweit dies mit den Belangen der Verkehrssicherheit<br />
zu vereinbaren ist. In der Verkehrspsychologie besteht dem <strong>gegen</strong>über Konsens,<br />
dass die Eignung nicht teilbar ist. In den Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung<br />
<strong>und</strong> den Beurteilungskriterien als Zusammenfassung der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse<br />
ist eine geteilte Eignung nicht vorgesehen. Ein Kraftfahrer ist entweder für alle<br />
Klassen geeignet oder ungeeignet.<br />
5. Voraussetzungen einer Veränderung<br />
Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass „Bestrafung <strong>und</strong> Führerscheinentzug nur<br />
bei einem Teil der Verkehrstrunkenheitstäter zu einer Besserung führen“ 13 ). Frühere Untersuchungen<br />
ergaben Rückfallquoten von 34,5 Prozent für einen Zeitraum von fünf Jahren.<br />
Unter Berücksichtigung der Dunkelziffer müssen weit über 50 Prozent wieder fahren,<br />
damit 34,5 Prozent auffallen 14 ). Neuere Untersuchungen weisen zwar darauf hin, dass die<br />
Rückfallhäufigkeit bei Verkehrsdelinquenz unterhalb derer bei allgemeiner Kr<strong>im</strong>inalität,<br />
aber <strong>im</strong>mer noch in kritischen Bereichen liegt 15 ).<br />
Die Gründe liegen in erster Linie in der Gewöhnung an überdurchschnittlich hohe<br />
Trinkmengen <strong>und</strong> in einem erlernten, gewohnheitsmäßigen Verhalten, das erst bewusst<br />
werden muss, um verändert werden zu können 16 ). Ähnliche Überlegungen gelten auch für<br />
gravierende Verkehrsdelikte ohne <strong>Alkohol</strong>einfluss.<br />
5.1. <strong>Alkohol</strong>fahrten<br />
Da es sich jedoch bei den meisten Auffälligkeiten, bei denen ein Entzug der Fahrerlaubnis<br />
erfolgt, um <strong>Alkohol</strong>fahrten handelt, werden die folgenden Überlegungen zunächst für<br />
die Gruppe der alkoholauffälligen Fahrer dargestellt.<br />
Einem alkoholgewohnten Fahrer wird es nur dann gelingen, das von ihm ausgehende<br />
Verkehrsrisiko zu reduzieren, <strong>und</strong> vom Fahrerlaubnisentzug kann nur dann eine Wirkung<br />
ausgehen, wenn der Betroffene sich mit den Ursachen seiner früheren Auffälligkeit aus-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Dokumentation II
Dokumentation II<br />
einandersetzt: Er muss also den Zusammenhang zwischen seinen Trinkgewohnheiten <strong>und</strong><br />
seiner alkoholisierten Verkehrsteilnahme erkennen <strong>und</strong> in der Folge seine Trinkgewohnheiten<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich ändern.<br />
<strong>Alkohol</strong>auffälligkeiten <strong>im</strong> Straßenverkehr müssen aber differenziert betrachtet werden.<br />
Es ist zunächst wichtig, die heterogene Gruppe der alkoholauffälligen Fahrer einer eingehenden<br />
Untersuchung zu unterziehen. Die Verkehrspsychologie hat ein elaboriertes<br />
System der Fahreignungsbegutachtung entwickelt, um zu beurteilen, ob ein auffälliger<br />
Fahrer wieder zur sicheren Teilnahme am Straßenverkehr geeignet ist. Die Begutachtungs-<br />
Leitlinien 17 ) <strong>und</strong> die Beurteilungskriterien 18 ) stellen die wissenschaftlichen Gr<strong>und</strong>lagen<br />
dar.<br />
Die Beurteilungskriterien differenzieren nach dem Schweregrad <strong>und</strong> unterscheiden folgende<br />
Gefährdungsgrade bei auffälligen Fahrern:<br />
• Abhängigkeit,<br />
• <strong>Alkohol</strong>missbrauch mit der Notwendigkeit des <strong>Alkohol</strong>verzichts,<br />
• <strong>Alkohol</strong>gefährdung <strong>und</strong><br />
• Fehlendes Trennvermögen von Trinken <strong>und</strong> Fahren.<br />
Für diese unterschiedlichen Gefährdungsgrade liegen diagnostische Kriterien zur Best<strong>im</strong>mung<br />
des Gefährdungsgrads <strong>und</strong> Kriterien zur Problembewältigung vor. Insbesondere<br />
werden Aussagen über die erforderlichen Maßnahmen <strong>und</strong> auch die Zeiträume gemacht,<br />
während derer belegt werden muss, dass die Verhaltensänderung ein Mindestmaß an Stabilität<br />
erreicht hat.<br />
BRENNER-HARTMANN 19 ) übersetzt diese Kriterien sehr anschaulich in ein einfaches Modell<br />
<strong>und</strong> schlägt, unter Bezugnahme auf eine Differenzierung von KRÜGER, KAZENWADEL<br />
<strong>und</strong> VOLLRATH 20 ) vor, verschiedene Gruppen von Konsumenten <strong>und</strong> daraus abgeleitet von<br />
alkoholisierten Verkehrsteilnehmern zu unterscheiden, für die – je nach dem Schweregrad<br />
des der Auffälligkeit zugr<strong>und</strong>eliegenden Verhaltens – unterschiedliche Voraussetzungen<br />
einer (stabilen) Änderung formuliert werden:<br />
• den Genuss- oder Konsumtrinker mit risikoarmem durchschnittlichem <strong>Alkohol</strong>konsum,<br />
welcher die Gefahren einer Verkehrsteilnahme unter <strong>Alkohol</strong>einfluss unterschätzt<br />
<strong>und</strong>/oder <strong>im</strong> alkoholisierten Zustand keine zuverlässige Gefahrenabschätzung mehr<br />
vorn<strong>im</strong>mt. In diese Gruppe fallen Auffälligkeiten, die als Ordnungswidrigkeit (OWI)<br />
eingestuft werden <strong>und</strong> i. d. R. in einem Promillebereich einer <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
(BAK) von 0,5 bis 1,09 Promille oder nicht wesentlich darüber liegen. Bei dieser<br />
Gruppe wird keine Begutachtung gefordert, es sei denn, es käme <strong>im</strong> verwertbaren Zeitraum<br />
zu einer erneuten Auffälligkeit. Verkehrsrisiko be<strong>im</strong> Genuss <strong>und</strong> Konsumtrinker:<br />
Fahren „trotz <strong>Alkohol</strong>isierung“.<br />
• den Risiko- oder Schwellentrinker, der an <strong>Alkohol</strong> gewöhnt ist <strong>und</strong> einen riskanten <strong>und</strong><br />
starken <strong>Alkohol</strong>konsum betreibt. Aufgr<strong>und</strong> der hohen <strong>Alkohol</strong>toleranz können diese<br />
Personen körperliche Gefahrensignale für eine bestehende Trunkenheit nicht mehr zuverlässig<br />
wahrnehmen. Indiz dafür sind u.a. Promillewerte, die jenseits der Grenze der<br />
absoluten Fahruntauglichkeit liegen. Diese liegt, durch wissenschaftliche Untersuchungen<br />
gut <strong>und</strong> wiederholt belegt bei 1,1 Promille oder nur knapp darüber. Er erreicht<br />
gelegentlich <strong>Alkohol</strong>isierungsgrade, in denen eine verantwortliche, an den möglichen<br />
Folgen orientierte Verhaltenssteuerung durch ein <strong>im</strong>pulsives, an spontanen Einfällen<br />
<strong>und</strong> St<strong>im</strong>mungen orientiertes Verhalten ersetzt wird.<br />
203<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
204<br />
Verkehrsrisiko be<strong>im</strong> Risiko – <strong>und</strong> Schwellentrinker: Fahren „aufgr<strong>und</strong> der <strong>Alkohol</strong>isierung“.<br />
• die harten Trinker <strong>und</strong> <strong>Alkohol</strong>abhängige, die viele ihrer Verhaltensziele der Sucht<br />
untergeordnet haben <strong>und</strong> <strong>Alkohol</strong>fahrten regelmäßig in Kauf nehmen, <strong>und</strong> die aufgr<strong>und</strong><br />
eines ständig vorhandenen <strong>Alkohol</strong>spiegels nicht mehr in der Lage sind, nüchtern<br />
zu fahren oder die Gruppe, bei denen trotz Fehlens der klassischen Suchtmerkmale<br />
aus der Lerngeschichte abgeleitet werden muss, dass sie nicht kontrolliert mit<br />
<strong>Alkohol</strong> umgehen können. Einen Promillewert anzugeben, ist aufgr<strong>und</strong> der unterschiedlichen<br />
Trinkmuster bei Abhängigkeit nicht zuverlässig möglich. Verkehrsrisiko<br />
be<strong>im</strong> Abhängigen: Fahren als „Nebenwirkung der <strong>Alkohol</strong>krankheit“.<br />
5.2. Verstöße <strong>gegen</strong> verkehrsrechtliche Vorschriften ohne <strong>Alkohol</strong>einfluss<br />
Auch Zuwiderhandlungen ohne <strong>Alkohol</strong>einfluss müssen differenziert betrachtet werden.<br />
Nicht jede verkehrsrechtliche Auffälligkeit begründet Eignungsbedenken <strong>und</strong> muss auf<br />
„Umstände zurückgeführt werden […], die zur körperlichen oder psychischen Eigenart<br />
des Betroffenen gehören <strong>und</strong> nicht nur kurzfristiger vorübergehender Natur sind“ 21 ).<br />
Neben der Anzahl der Verstöße, spielen die Schwere <strong>und</strong> die Art der Verstöße eine entscheidende<br />
Rolle.<br />
Das Punktsystem gewichtet die Zahl der Verstöße mit ihrer Schwere <strong>und</strong> hat sich als geeignetes<br />
Mittel erwiesen, dass Risiko von Personen für die Zukunft vorherzusagen. Kraftfahrer<br />
haben mit steigender Punktezahl eine steigende Wahrscheinlichkeit, rückfällig zu<br />
werden <strong>und</strong> auch in Zukunft <strong>gegen</strong> Verkehrsregeln zu verstoßen. Zudem wächst mit steigendem<br />
Punktestand das Risiko, einen Unfall zu verursachen.<br />
In Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass Fahrer mit hohem Punktestand (ab 14<br />
Punkte) eine dre<strong>im</strong>al höhere Wahrscheinlichkeit für Unfälle in der Zukunft aufweisen, als<br />
Fahrer mit niedrigem Punktestand. Je höher der Punktestand ist, desto eher muss davon<br />
ausgegangen werden, dass den Auffälligkeiten Gewohnheiten oder verfestigte Verhaltensgewohnheiten<br />
zugr<strong>und</strong>e liegen.<br />
Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> regelt das Punktesystem, dass ab einer gewissen Häufung von<br />
Punkten in gestaffelter Form best<strong>im</strong>mte Maßnahmen ergriffen werden.<br />
Es bietet sich an, für das Thema Ausnahmen vom Entzug <strong>und</strong> vom Fahrverbot folgende<br />
Gruppen zu differenzieren:<br />
• die Gruppe derer, die einmal auffällig wurden, noch keine 8 Punkte erreicht haben, <strong>und</strong><br />
damit davon ausgegangen werden kann, dass noch keine verfestigten Gewohnheiten<br />
vorliegen,<br />
• die Gruppe der Fahrer, die nach Erreichen von 9–13 Punkten verwarnt wurden <strong>und</strong><br />
somit gehäuft aufgefallen sind,<br />
• die Fahrer, die aufgr<strong>und</strong> ihrer Punktehäufung (14–17 Punkte) bereits zu Maßnahmen<br />
(Besuch eines Aufbauseminars) aufgefordert wurden <strong>und</strong><br />
• schließlich die Fahrer, bei denen die Umstände der Verkehrsauffälligkeit auf Eignungsmängel<br />
hinweisen (z. B. Verhalten, das ein hohes Aggressionspotenzial erkennen<br />
lässt; regelwidrige, grob fahrlässige Fahrmanöver; grob rücksichtsloses Verhalten)<br />
oder denen durch Erreichen der 18-Punkte-Grenze die Fahrerlaubnis für sechs Monate<br />
entzogen wird <strong>und</strong> die ihre Eignung <strong>im</strong> Rahmen einer Medizinisch-Psychologischen<br />
Untersuchung nachweisen müssen.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Dokumentation II
Dokumentation II<br />
5.3. Implikationen bzgl. Änderungsvoraussetzungen <strong>und</strong> Zeiträume<br />
Bild 2: Veränderung setzt Erkenntnis voraus.<br />
Schematisch verdeutlicht Bild 2 für die alkoholauffälligen Fahrer, dass die Einstufung<br />
in eine der Konsumentengruppen (Konsumtrinker, Schwellentrinker, Abhängige) unterschiedliche<br />
Implikationen bezüglich der Zeiträume, die für eine stabile Veränderung erforderlich<br />
sind, der Änderungsvoraussetzungen, <strong>und</strong> somit für das Thema „Ausnahmen vom<br />
Entzug der Fahrerlaubnis <strong>und</strong> vom Fahrverbot“ hat. In ähnlicher Weise gilt das auch für die<br />
verkehrsauffälligen Fahrer ohne <strong>Alkohol</strong>einfluss.<br />
5.3.1. Zu den Änderungsvoraussetzungen bei <strong>Alkohol</strong>delikten<br />
Die erste Gruppe der Konsum- <strong>und</strong> Genusstrinker fallen i. d. R. mit einer BAK von weniger<br />
als 1,1 Promille auf, sie fahren aus einer falschen Risikoabwägung heraus. Sie haben<br />
keine Probleme, ihr Verhalten zu steuern, wenn die richtigen Einsichten gewonnen wurden.<br />
Bei dieser Gruppe reicht i. d. R. eine Einsichtsbildung, eine Information über Zusammenhänge<br />
<strong>und</strong> eine realistische Selbsteinschätzung <strong>und</strong> zuverlässige Vorsatzbildung<br />
in diesem Verhaltensbereich aus, weil die Veränderung nicht in verfestigte Lebensgewohnheiten<br />
eingreifen muss <strong>und</strong> deshalb sofort eine zukünftig zuverlässige „Trennung<br />
von Trinken <strong>und</strong> Fahren“ bewirken kann.<br />
Risiko- oder Schwellentrinker dokumentieren durch Überschreiten der Grenze der absoluten<br />
Fahruntüchtigkeit von 1,1 Promille bei gleichzeitiger Verkehrsteilnahme, dass sie zu<br />
der Gruppe der überdurchschnittlichen Konsumenten gehören <strong>und</strong> dass sich eine <strong>Alkohol</strong>toleranz<br />
entwickelt hat. Das Erreichen von 1,6 Promille genügt deshalb auch, um eine Eignungsuntersuchung<br />
zu fordern. Bei dieser Gruppe reicht i. d. R die bloße Einsicht in die mit<br />
der alkoholisierten Verkehrsteilnahme verb<strong>und</strong>enen Risiken nicht aus, sondern es muss<br />
dokumentiert werden, dass eine stabile Verhaltensänderung erfolgt ist. Die Erfahrungen<br />
aus der Begutachtung zeigen, dass eine höhere Wahrscheinlichkeit dafür besteht, diesen<br />
Veränderungsprozess erfolgreich zu durchlaufen, wenn professionelle Unterstützung (Information,<br />
Beratung, Kurs) in Anspruch genommen wird.<br />
Bei der dritten Gruppe der Abhängigen liegt die Annahme zugr<strong>und</strong>e, dass ein abhängiger<br />
Mensch ein Kraftfahrzeug entweder aufgr<strong>und</strong> eines dauerhaft reduzierten Leistungsvermögens<br />
oder des Unvermögens, Fahren <strong>und</strong> Konsum zu trennen, nicht führen kann.<br />
Die Gruppe der Abhängigen muss sich i. d. R. einer Therapie unterziehen. Auch für die<br />
Gruppe der Personen, für die aufgr<strong>und</strong> eines massiven <strong>Alkohol</strong>missbrauchs <strong>Alkohol</strong>ver-<br />
205<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
206<br />
zicht das einzig erfolgversprechende Mittel der Wahl ist, ist eine spezifische fachliche<br />
Unterstützung angezeigt, ohne dass es gleich eine suchttherapeutische Maßnahme sein muss.<br />
5.3.2. Zu den Änderungsvoraussetzungen bei Verkehrsverstößen<br />
Auch bei den Verkehrsauffälligkeiten ohne <strong>Alkohol</strong> wird u. a. gefordert, dass Einsicht in<br />
die Problematik des Fehlverhaltens <strong>und</strong> die Ungewöhnlichkeit der Häufung der Auffälligkeiten<br />
besteht, die Ursachen erkannt werden <strong>und</strong> risikoarme Vermeidungsstrategien entwickelt<br />
wurden. Die erforderlichen Maßnahmen reichen von Selbstreflexion bis hin zu<br />
einer längerfristigen Maßnahme, je nach Art, Schwere <strong>und</strong> Häufung der Auffälligkeit.<br />
5.3.3. Zu den Zeiträumen bei <strong>Alkohol</strong>delikten<br />
Besonders relevant für unser Thema sind die Zeiträume, die erfahrungsgemäß für eine<br />
stabile Verhaltensänderung erforderlich sind <strong>und</strong> innerhalb derer die richterliche Entscheidung<br />
über eine Ausnahme vom Entzug getroffen wird.<br />
Die Beurteilungskriterien fordern bei alkoholauffälligen Kraftfahrern für eine ausreichende<br />
Verhaltensänderung Zeiträume, die von einer direkten Verhaltensänderung nach<br />
entsprechender Einsicht bis zu mehreren Monaten (Konsumtrinker), sechs bis zwölf Monaten<br />
(Schwellentrinker) bzw. einem nennenswert längeren Zeitraum als einem Jahr (Abhängige<br />
oder Missbrauch) reichen.<br />
5.3.4. Zu den Zeiträumen bei Verkehrsdelikten<br />
Bei der Gruppe der verkehrsrechtlich auffälligen Fahrer fordern die Begutachtungs-<br />
Leitlinien <strong>und</strong> Beurteilungskriterien keine konkreten Zeiträume. In der Regel kann selbst<br />
in den Fällen, denen durch Erreichen der 18-Punkte-Grenze die Fahrerlaubnis entzogen<br />
wird, die gesetzlich vorgegebene Entzugsdauer von sechs Monaten ausreichen, wenn der<br />
Fahrer sein Problemverhalten verändert hat.<br />
Damit lässt sich das Spannungsfeld, in dem sich das Thema „Ausnahmen vom Entzug<br />
der Fahrerlaubnis <strong>und</strong> vom Fahrverbot“ bewegt, so zusammenfassen:<br />
• Bei auffälligen Kraftfahrern lassen sich unterschiedliche Konsumentengruppen <strong>und</strong><br />
Gefährdungspotenziale ausmachen.<br />
• Bei den meisten Auffälligkeiten <strong>im</strong> Straßenverkehr, die strafrechtlich geahndet werden<br />
müssen, handelt es sich um ein Verhalten, dem problematische Einstellungen, ausgeprägte<br />
Gewohnheiten oder gar eine Suchtentwicklung zugr<strong>und</strong>e liegen.<br />
• Die Wiederherstellung der Eignung setzt eine stabile Verhaltensänderung voraus. Die<br />
Zeiträume, die in den Beurteilungskriterien gefordert sind, um das problematische Verhalten<br />
zu erkennen, zu verändern <strong>und</strong> abhängig vom Schweregrad zu stabilisieren, liegen<br />
zwischen mindestens sechs, i. d. R. zwölf Monaten <strong>und</strong> bei ausgeprägten Schweregraden<br />
15 Monaten <strong>und</strong> mehr. Eine Ausnahme stellen die Konsumtrinker <strong>und</strong> auch<br />
Personen dar, die erstmals, z. B. durch eine gravierende Geschwindigkeitsüberschreitung<br />
aufgefallen sind, bei denen eine Einsicht direkt verhaltenswirksam werden kann. Bei den<br />
verkehrsauffälligen Fahrern wird i. d. R. ein Zeitraum von sechs Monaten ausreichen.<br />
Für die Strafgerichtsbarkeit sind die folgenden Aspekte besonders wichtig:<br />
• Der auffällige Fahrer kommt nach einem Verkehrsdelikt naturgemäß sehr früh mit der<br />
Strafgerichtsbarkeit in Kontakt <strong>und</strong> zwar zu einem Zeitpunkt, an dem er gerade seine<br />
Ungeeignetheit bewiesen hat.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Dokumentation II
Dokumentation II<br />
• Die den Arbeitskreis beschäftigenden Entscheidungen (Ausnahme von der Sperre best<strong>im</strong>mter<br />
Fahrzeugarten, Ausnahme vom vorläufigen Entzug) werden in aller Regel<br />
kurz nach der Auffälligkeit getroffen, also viel früher, als dass der auffällige Fahrer sein<br />
Verhalten ausreichend <strong>und</strong> stabil geändert haben <strong>und</strong> eine ausreichende Besserung erfolgt<br />
sein könnte. Denn dies wäre bei einem alkoholauffälligen Fahrer <strong>im</strong> günstigsten<br />
Fall (s. o.) nach „mehreren Monaten“ <strong>und</strong> <strong>im</strong> ungünstigsten Fall einer Abhängigkeit<br />
nach 15 Monaten der Fall. Eine Ausnahme stellen die Konsumtrinker dar.<br />
• Bei der Beurteilung der Prognose <strong>und</strong> des Verkehrsrisikos, das von einem verkehrsauffälligen<br />
Fahrer ausgeht, also bei der Beurteilung der Eignung, müssen deshalb nicht<br />
nur die strafrechtlich relevanten Merkmale einer Tat betrachtet werden, sondern auch<br />
die Tatumstände als Hinweise für die Zugehörigkeit zu einer best<strong>im</strong>mten Gefährdungsgruppe<br />
einerseits <strong>und</strong> eine diagnostische Einordnung des Schweregrads, der Einsicht<br />
in die Notwendigkeit der Verhaltensänderung <strong>und</strong> die Angemessenheit <strong>und</strong> Stabilität<br />
der Verhaltensänderungen.<br />
• Dem Strafrichter fehlt es an der Sachk<strong>und</strong>e, die erforderlichen diagnostischen Einordnungen<br />
vorzunehmen <strong>und</strong> die medizinisch-psychologischen Erkenntnisse selbst zu gewinnen.<br />
Deshalb benötigt der Richter in jedem Fall eine sachverständige Vorbereitung<br />
seiner Entscheidung.<br />
Aber auch für den Sachverständigen stellt sich das zeitliche <strong>und</strong> fachliche Problem, dass<br />
eine Eignungsbeurteilung <strong>im</strong> Sinne einer Diagnose <strong>und</strong> Prognose, die wissenschaftlichen<br />
Erkenntnissen standhält <strong>und</strong> die ein Absehen von der Sperre rechtfertigen könnte, zu<br />
einem so frühen Zeitpunkt in den meisten Fällen nicht möglich ist. Die Praxis der Medizinisch-Psychologischen<br />
Begutachtung macht deutlich, wie aufwändig <strong>und</strong> mit wieviel<br />
Sachverstand es <strong>im</strong> Einzelfall verb<strong>und</strong>en ist, eine zutreffende Prognose zu stellen. In der<br />
richterlichen Situation würde dies eine Überforderung darstellen. In dieser frühen Situation<br />
der Beurteilung sind „der vorausschauenden Erkenntnis zukünftiger Tatsachen natürliche<br />
Grenzen gesetzt“ 22 ). Die gesamte verkehrspsychologische <strong>und</strong> verkehrsmedizinische<br />
Diagnostik ist darauf ausgerichtet, anhand wissenschaftlicher Kriterien zunächst den<br />
Schweregrad zu best<strong>im</strong>men <strong>und</strong> dann zu überprüfen, ob eine angemessene Problembewältigung<br />
<strong>und</strong> stabile Verhaltensänderung erfolgt ist.<br />
6. Konsequenzen aus verkehrspsychologischer Sicht<br />
Zur Verbesserung der Eignungsvoraussetzungen ist aufgr<strong>und</strong> der bisherigen Ausführungen<br />
bei einem Antrag auf Ausnahme von der Sperre bei alkoholauffälligen Fahrern gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
zu fordern:<br />
• obligatorisch eine problemlösungsorientierte Diagnostik durch eine (Medizinisch-)-<br />
Psychologische Untersuchung,<br />
• Beschränkung auf eine Gruppe von Fahrern mit minderschwerer Problematik, bei<br />
Trunkenheitsfahrten auf Fahrer mit BAK-Werten bis zu 1,1 Promille oder nur knapp<br />
darüber <strong>und</strong><br />
• an der individuellen Problemlage ausgerichtete Hilfestellungen/Behandlungen (Rehabilitation).<br />
Bei Fahrern mit Verkehrsauffälligkeiten ohne <strong>Alkohol</strong>einfluss:<br />
• Beschränkung <strong>im</strong> Bereich der Verkehrsverstöße auf die Gruppe der Fahrer, die nicht<br />
wiederholt verkehrsauffällig wurde <strong>und</strong> i. d. R. acht Punkte nicht überschritten hat. In<br />
207<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
208<br />
diesen Fällen ist eine Diagnostik nicht erforderlich. Im Fall einer Ausnahme vom Fahrverbot<br />
sollten aber verkehrspsychologische Hilfestellungen (Besonderes Aufbauseminar<br />
<strong>und</strong> vor allem auch die Verkehrspsychologische Beratung nach § 71 FeV) stärker<br />
als bisher genutzt werden.<br />
Bild 3 veranschaulicht die sich aus den bisherigen Überlegungen für die unterschiedlichen<br />
Gefährdungsgrade bei alkoholauffälligen Fahrern ergebenden möglichen Vorgehensweisen<br />
<strong>und</strong> Hilfestellungen. Im Folgenden soll auf die Bereiche „Diagnostik“,<br />
„Rehabilitation“ <strong>und</strong> „Auflagen“ näher eingegangen werden.<br />
6.1. Diagnostik – Gr<strong>und</strong>sätzliche Überlegungen<br />
BURMANN 23 ) weist <strong>im</strong> Zusammenhang mit der Diagnostik <strong>im</strong> Strafverfahren auf einen<br />
wichtigen Aspekt, nämlich die Gefahr einer Überfrachtung des Strafverfahrens <strong>und</strong> eine<br />
Überlastung der Gerichte hin. Er schlägt deshalb vor, dass sich Gerichte generell darauf<br />
beschränken sollten, die Nichteignung festzustellen <strong>und</strong> eine Mindestsperrfrist, z. B. von<br />
sechs oder neun Monaten zu verhängen. Alle weiteren Schritte, so auch die Feststellung<br />
der Eignung, sollten der Verwaltung überlassen werden. RIEDMEYER 24 ) plädiert dafür, dass<br />
der Richter die Sperre wie bisher festsetzt, aber gleichzeitig der Fahrerlaubnisbehörde die<br />
Möglichkeit einräumt, die Fahrerlaubnis bereits nach vier Monaten wieder zu erteilen,<br />
wenn der auffällige Fahrer die erfolgreiche Teilnahme an einem Kurs zur Wiederherstellung<br />
der Fahreignung nachweist.<br />
Weitergehend argumentieren BODE/WINKLER 25 ) mit dem Vorschlag, die strafgerichtliche<br />
Sperrfristbest<strong>im</strong>mung gänzlich abzuschaffen. Konkret geht der Vorschlag dahin, den § 69a<br />
StGB aufzuheben <strong>und</strong> stattdessen den § 2 Abs. 10 StVG dahin zu ergänzen, dass nicht nur<br />
nach Entziehung der Fahrerlaubnis durch das Punktsystem, sondern auch für den Fall der<br />
Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach Entziehung der Fahrerlaubnis durch den Richter,<br />
eine Sperrfrist von sechs Monaten gesetzlich best<strong>im</strong>mt werden sollte. Damit könnte „der<br />
Richter entlastet werden von der schwierigen <strong>und</strong> von ihm kaum f<strong>und</strong>iert möglichen Prog-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Dokumentation II<br />
Bild 3: Besserung braucht Unterstützung.
Dokumentation II<br />
nose des Zeitpunkts, zu dem der Verurteilte wieder geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen<br />
ist“.<br />
Die letztgenannten Regelungen lösen nicht das Problem der Vereinbarkeit von Straf- <strong>und</strong><br />
Verwaltungsrecht. Denn der auffällige Fahrer bekommt das Gefühl der Doppelbestrafung,<br />
wenn die gerichtlich verhängte Sperrfrist kürzer ist als die <strong>im</strong> Rahmen des Verwaltungsrechts<br />
<strong>und</strong> einer MPU geforderten Zeiträume für eine stabile Verhaltensänderung.<br />
Eine weitere Möglichkeit, eine Überlastung der Gerichte zu vermeiden, besteht darin,<br />
von vornherein nur solche Anträge zuzulassen, die nach dem bisher Gesagten auch Aussicht<br />
auf Erfolg hätten. Dies könnte erfolgen durch b<strong>und</strong>eseinheitliche Richtlinien, die sich<br />
<strong>im</strong> Aufbau an der Anlage 4 der FeV orientieren. Dies wäre i. d. R. nur dann der Fall, wenn<br />
die BAK-Werte nicht deutlich über 1,1 Promille liegen. In diesen Fällen erscheint eine<br />
Prognose über zukünftiges Verkehrsverhalten auch zum frühen Zeitpunkt des Strafverfahrens<br />
zumindest gr<strong>und</strong>sätzlich möglich. Die weitere Vorbereitung der richterlichen Bewertung<br />
<strong>und</strong> Entscheidung müsste dann durch einen Sachverständigen erfolgen, an dessen<br />
Qualifikation best<strong>im</strong>mte Anforderungen zu stellen sind, z. B. fortlaufende Erfahrung in der<br />
Anwendung der „Begutachtungs-Leitlinien“ <strong>und</strong> der „Beurteilungskriterien“.<br />
Aufgr<strong>und</strong> der Eilbedürftigkeit der Entscheidungen in Führerscheinangelegenheiten müsste<br />
zudem ein Verfahrensablauf geschaffen werden, der sicherstellt, dass die diagnostische<br />
Aussage zur Vorbereitung der richterlichen Entscheidung innerhalb kürzester Frist vorliegt.<br />
In diesem Zusammenhang werden <strong>im</strong>mer wieder gern technische Lösungen, wie der<br />
Einsatz atemalkoholgesteuerter Wegfahrsperren, ins Spiel gebracht. Untersuchungen zeigen<br />
aber, dass dieser Ansatz ohne flankierende Maßnahmen keine Lösung darstellt. Darauf<br />
soll später nochmals eingegangen werden.<br />
6.2. Mögliche Ergebnisse der Diagnostik<br />
6.2.1. Ergebnis: Konsumtrinker<br />
Ergibt die diagnostische Einordnung, dass der auffällige Fahrer der Gruppe der Konsumtrinker<br />
zuzuordnen ist <strong>und</strong> ausreichend Einsicht besteht, würde die Voraussetzung für eine<br />
Ausnahmeregelung vorliegen. Wichtig ist der Hinweis, dass die bloße Einordnung aufgr<strong>und</strong><br />
der Tatmerkmale, wie z. B. einer geringen BAK nicht möglich ist. Eine BAK unter 1,1 Promille<br />
kann nicht als Beleg dafür angesehen werden, dass keine weitreichendere Problematik<br />
vorliegt. Menschen mit einem fortgeschrittenen <strong>Alkohol</strong>problem (z. B. Spiegeltrinker)<br />
werden häufig auch mit geringeren BAK-Werten angetroffen. Im Rahmen einer fortgeschrittenen<br />
Abhängigkeitsentwicklung mit nachlassender Toleranz sind gravierende Ausfallerscheinungen<br />
in der Phase des Entzugs gerade das Kennzeichen eines fortgeschrittenen<br />
Problems <strong>und</strong> nicht Hinweise auf einen ansonsten unproblematischen Konsum.<br />
Das heißt nichts anderes, als das hohe Promillewerte <strong>im</strong>mer etwas über das Trinkverhalten<br />
<strong>und</strong> die <strong>Alkohol</strong>toleranz des Betreffenden aussagen, niedrige Promillewerte hin<strong>gegen</strong> nicht.<br />
Weiterführende Maßnahmen wären <strong>im</strong> Fall des Konsumtrinkers nicht erforderlich, wenn<br />
die diagnostische Beurteilung des auffälligen Fahrers ergibt, dass die in den Beurteilungskriterien<br />
geforderten Kriterien erfüllt sind, nämlich<br />
– der konkrete Vorsatz besteht <strong>und</strong> beibehalten wird, eine Fahrt nur anzutreten, wenn<br />
keine für die Verkehrsteilnahme relevante <strong>Alkohol</strong>wirkung vorliegt.<br />
– <strong>Alkohol</strong>fahrten <strong>und</strong> Trinkanlässe so organisiert werden, dass ein problematisches Zusammentreffen<br />
verhindert wird.<br />
209<br />
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210<br />
– Die Vorsätze auch dann beibehalten werden, wenn unvorhergesehene Umstände eintreten<br />
oder andere Personen Einfluss nehmen.<br />
– Das Trinkverhalten, die entsprechenden <strong>Alkohol</strong>auswirkungen <strong>und</strong> die Risiken einer<br />
Fahrt unter <strong>Alkohol</strong>einfluss auch unter ungünstigen Bedingungen (z. B. nach dem<br />
Genuss der persönlichen Höchstmenge – die nicht wesentlich über 0,8 Promille liegt –)<br />
zukünftig richtig eingeschätzt werden.<br />
6.2.2. Ergebnis: Schwellentrinker <strong>und</strong> Abhängige<br />
Muss ein Kraftfahrer, der sich um ein Absehen der Sperre bemüht, in die Gruppe der<br />
Schwellentrinker oder der Abhängigen <strong>und</strong> schweren Missbräuchler eingestuft werden,<br />
kann – unter Berücksichtigung der Max<strong>im</strong>e „in dubio pro securitate“ – die Fragestellung<br />
nur lauten:<br />
Wie kann der auffällige Fahrer die Sperrfrist opt<strong>im</strong>al nutzen <strong>und</strong> bei der notwendigen<br />
Einstellungs- <strong>und</strong> Verhaltensänderung unterstützt werden, damit die obligatorische Überprüfung<br />
der Fahreignung nach Ablauf der Sperre (oder ggf. früher nach Verkürzung der<br />
Sperre) <strong>im</strong> Rahmen einer MPU zu einem positiven Ergebnis kommt?<br />
Gr<strong>und</strong>sätzlich kann davon ausgegangen werden, dass die Gesamtsperre bei einem erstmals<br />
auffälligen Fahrer unter Anrechnung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis<br />
zehn bis zwölf Monate beträgt. Dieser Zeitrahmen genügt in den allermeisten Fällen, um<br />
das Verhalten zu ändern. Darauf soll jetzt näher eingegangen werden.<br />
7. Besserung braucht Unterstützung<br />
Wenn bei Fahrern mit einer ausgeprägten Problematik eine prognostische Aussage <strong>und</strong><br />
damit eine Ausnahme zu einem so frühen Zeitpunkt i. d. R. nicht begründet werden kann,<br />
stellt sich die Frage, welche anderen Ansätze zur „Sicherung <strong>und</strong> Besserung“ noch möglich<br />
sind <strong>und</strong> wie verkehrspsychologische Erkenntnisse ins Strafrecht <strong>und</strong> Ordnungswidrigkeitenrecht<br />
so eingebracht werden können, dass die Wirksamkeit von spezialpräventiven<br />
Maßnahmen <strong>und</strong> Sanktionen <strong>und</strong> somit des Gesamtsystems erhöht werden – <strong>und</strong> in<br />
gleichem Maße der Richter, der auffällige Fahrer <strong>und</strong> die Verkehrssicherheit profitieren.<br />
Einen Überblick über die Versuche, die bereits unternommen wurden, beide Bereiche zusammenzuführen,<br />
gibt SCHNEIDER 26 ).<br />
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Dokumentation II
Dokumentation II<br />
Bild 4: Verkehrspsychologische Hilfen.<br />
Die deutsche Verkehrspsychologie zeichnet sich dadurch aus, dass sie eine sichere Mobilität<br />
durch eine auf den individuellen Einzelfall bezogene, einzelfallgerechte Vorgehensweise<br />
sicherstellt. Dieses Vorgehen folgt der Logik, dass negative Folgen einer Verkehrsauffälligkeit,<br />
wie ein Bußgeld, Fahrverbot oder gar der Entzug der Fahrerlaubnis nicht per<br />
se zu der notwendigen Besserung bzw. Einstellungs- <strong>und</strong> Verhaltensänderung führen, <strong>im</strong><br />
günstigen Fall der auffällige Fahrer aber motiviert wird, sich mit seinen Problemen auseinanderzusetzen<br />
27 ).<br />
Das Bemühen um eine sichere Mobilität basiert auf drei gesetzlich geregelten Säulen<br />
(vgl. Bild 4):<br />
• Dem System der Begutachtung, das seit 1955 ständig weiterentwickelt wurde <strong>und</strong> dazu<br />
dient, <strong>im</strong> Sinne einer Entlastungsdiagnostik, Schutz für die Allgemeinheit vor ungeeigneten<br />
Fahrern zu gewährleisten <strong>und</strong> gleichzeitig dem betroffenen Fahrer die Chance<br />
zu eröffnen, seine Mobilität wieder zu erhalten.<br />
• Dem System der Rehabilitation/Driver Improvement, das dazu dient, <strong>im</strong> Rahmen evaluierter<br />
Modelle den Kraftfahrer nach einer MPU bei der Wiederherstellung der nötigen<br />
Verhaltensänderungen zu unterstützen. Bereits Ende der 60er Jahre wurde in der<br />
BRD damit begonnen, spezielle Kurse für verhaltensauffällige Kraftfahrer <strong>im</strong> Rahmen<br />
von Modellversuchen zu entwickeln. Die Zielgruppen waren zunächst erstmals alkoholauffällige<br />
Kraftfahrer, mehrfach auffällige Kraftfahrer („Punktetäter“) <strong>und</strong> mehrfach<br />
alkoholauffällige Kraftfahrer (Kurse zur Wiederherstellung der Fahreignung nach<br />
§ 70 FeV für alkoholauffällige Fahrer <strong>und</strong> Fahrer mit hohem Punktestand, <strong>und</strong><br />
zwischenzeitlich auch für drogenauffällige Kraftfahrer).<br />
• Dem Punktsystem <strong>und</strong> dem System der Fahrerlaubnis auf Probe, das zum Ziel hat,<br />
frühzeitig zu warnen, wenn problematische Verhaltensweisen erkennbar sind <strong>und</strong> frühzeitig<br />
Hilfestellungen anzubieten. Aufgr<strong>und</strong> der positiven Erfahrungen mit den Modellversuchen<br />
für auffällige Fahrer, wurde 1986 die Nachschulung für drogen- <strong>und</strong> al-<br />
211<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
212<br />
koholauffällige Fahranfänger in das Rechtssystem eingeführt. Aufgr<strong>und</strong> der nachgewiesenen<br />
Wirksamkeit der Maßnahmen hat der Gesetzgeber bereits mit der Einführung<br />
der Fahrerlaubnisverordnung zum 01.01.1999 (<strong>und</strong> der damaligen Novellierung des<br />
StVG) die Schwerpunkte in Form der Aufbauseminare <strong>und</strong> verkehrspsychologischen<br />
Beratung mehr auf diese Hilfsangebote gelegt.<br />
Über diese Maßnahmen <strong>im</strong> gesetzlich geregelten Bereich 28 ) hinaus (Maßnahmen <strong>im</strong><br />
Rahmen der Fahrerlaubnis auf Probe <strong>und</strong> des Punktesystems einerseits <strong>und</strong> der Kurse zur<br />
Wiederherstellung der Fahreignung nach § 70 FeV andererseits), gibt es Maßnahmen, die<br />
noch nicht rechtsförmlich eingeb<strong>und</strong>en sind (Sperrfristmodelle) <strong>und</strong> eine Vielzahl von<br />
Hilfestellungen <strong>und</strong> Maßnahmen außerhalb des gesetzlich geregelten Bereichs, mit dem<br />
Ziel, einen Rückfall zu verhindern, indem auffällige Fahrer frühzeitig bei den nötigen Verhaltensänderungen<br />
unterstützt werden.<br />
Dieses Gesamtsystem hat sich bewährt. Die verfügbaren Daten zeigen sowohl für begutachtete<br />
<strong>und</strong> nachgeschulte Fahrer, dass die Rückfallhäufigkeiten <strong>im</strong> Vergleich zu den<br />
zu erwartenden Werten oder zu den nicht nachgeschulten Kraftfahrern (deutlich) reduziert<br />
sind.<br />
Für das Thema „Ausnahmen vom Entzug der Fahrerlaubnis <strong>und</strong> vom Fahrverbot“ ist<br />
dennoch gr<strong>und</strong>sätzlich festzuhalten, dass diese vom Rechtsrahmen <strong>und</strong> der Verkehrspsychologie<br />
gebotenen Möglichkeiten, auffällige Fahrer zu unterstützen <strong>und</strong> <strong>im</strong> Falle einer<br />
existenziellen Bedrohung durch den Fahrerlaubnisentzug oder ein Fahrverbot Perspektiven<br />
aufzuzeigen, nicht vollständig genutzt werden – nicht von der Strafgerichtsbarkeit,<br />
aber auch nicht von den betroffenen Fahrern.<br />
Bereits WINKLER 29 ) hat darauf hingewiesen, dass die Verkehrspsychologie bei der strafgerichtlichen<br />
Berücksichtigung ein „Aschenputtel-Dasein“ führt. Wir wissen aber alle,<br />
wie das Märchen vom Aschenputtel ausgeht, zu Unrecht musste es hinter dem Herd sitzen<br />
<strong>und</strong> hat am Ende den Prinzen bekommen…<br />
Deshalb ist zu überlegen, wie fachlich qualifizierte Interventionen <strong>und</strong> Unterstützungen<br />
früher als bisher stattfinden können, um die Sperrfrist opt<strong>im</strong>al zu nutzen oder vom Fahrverbot<br />
absehen zu können. Dazu ist es auch erforderlich, dass auffällige Fahrer früher als<br />
bisher informiert werden. Damit würde auch der dargestellten Tatsache Rechnung getragen,<br />
dass Rehabilitationsmaßnahmen zu wissenschaftlich gesicherten Erfolgen geführt<br />
haben <strong>und</strong> dass, je früher interveniert wird, desto höher die Erfolgswahrscheinlichkeiten<br />
für die Wiederherstellung der Fahreignung <strong>und</strong> damit ein positives Ergebnis einer MPU<br />
ist.<br />
Im Folgenden soll auf die Aspekte Information, Diagnostik, Rehabilitation/Nachschulung<br />
<strong>und</strong> Auflagen eingegangen werden.<br />
7.1. Information<br />
Eine Rehabilitation sollte möglichst früh erfolgen können. Dazu ist es aber auch nötig,<br />
dass auffällige Fahrer bereits früh <strong>und</strong> umfassend über seriöse <strong>und</strong> auch von der Strafgerichtsbarkeit<br />
anerkannte Möglichkeiten informiert werden. Diese Forderung, den Betroffenen<br />
selbst umfassend zu informieren, findet sich bereits in den Empfehlungen früherer<br />
Verkehrsgerichtstage wieder, ohne dass diese Empfehlungen umgesetzt worden wären.<br />
Bereits 1994 hatte der Arbeitskreis VII beschlossen: „Die Justiz soll den Betroffenen<br />
zeitgleich mit dem Urteil oder dem Strafbefehl empfehlen, sich frühzeitig über die Voraussetzungen<br />
zur Neuerteilung der Fahrerlaubnis beraten zu lassen, damit gegebenenfalls<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Dokumentation II
Dokumentation II<br />
die Sperrfrist für eine Verbesserung der Eignungsvoraussetzungen genutzt werden kann.“<br />
2003 forderte der Arbeitskreis III: „Zur Wiederherstellung der Fahreignung sollte die<br />
Zeit der Entziehung der Fahrerlaubnis genutzt werden, um geeignete einstellungs- <strong>und</strong><br />
verhaltensändernde Maßnahmen durchzuführen. Dazu ist es erforderlich, den Betroffenen<br />
frühzeitig zu informieren. Hierzu sollte u.a. ein Merkblatt für die Betroffenen entwickelt<br />
<strong>und</strong> ausgehändigt werden.“<br />
2006 empfiehlt der Arbeitskreises III be<strong>im</strong> 44. Verkehrsgerichtstag: „Der Arbeitskreis<br />
empfiehlt, zur Verbesserung der Rechtsposition von Fahrerlaubnisinhabern <strong>und</strong> -bewerbern<br />
für eine umfassendere Information der Betroffenen zu sorgen. Justiz, Verwaltung,<br />
Rechtsanwälte <strong>und</strong> sonstige Organisationen sollen die Voraussetzungen für ein solches Informationssystem<br />
sicherstellen. […] Zur Qualitätssicherung der Beratung <strong>im</strong> Vorfeld der<br />
Begutachtung sollten insbesondere die Rechtsanwälte <strong>und</strong> die Verkehrspsychologen näher<br />
zusammenarbeiten 30 )“.<br />
Ein erster Schritt zur konsequenten Umsetzung <strong>und</strong> besseren Information wäre die<br />
b<strong>und</strong>esweite Einführung der in einzelnen <strong>B<strong>und</strong></strong>esländern bewährten Praxis, durch das Gericht<br />
Merkblättern über seriöse <strong>und</strong> anerkannte Maßnahmen zur Verkürzung der Sperrfrist<br />
an den auffälligen Fahrer zu verschicken.<br />
Eine sinnvolle Ergänzung wären Fort- <strong>und</strong> Weiterbildungsmaßnahmen für Richter <strong>und</strong><br />
Staatsanwälte, um sich über die möglichen Maßnahmen zur Förderung bzw. Wiederherstellung<br />
der Fahreignung von auffälligen Fahrern umfänglich zu informieren.<br />
7.2. Diagnostik<br />
7.2.1. Integrierte Beratungs – <strong>und</strong> Schulungsmodelle (z. B. Modell BUSS – Beratung,<br />
Untersuchung <strong>und</strong> Schulung innerhalb der Sperrfrist)<br />
Seit 1991 wurden in den Ländern Hessen, Hamburg <strong>und</strong> Niedersachsen Modellversuche<br />
gestartet, die es ermöglichten, auffällige Fahrer viel früher als bisher mit fachlich qualifizierten<br />
Interventionen zu unterstützen <strong>und</strong> damit frühzeitig Maßnahmen zu ergreifen, die<br />
die Fahrereignung wieder herstellen.<br />
Auffällige Fahrer sollten, auch unabhängig von einem Antrag auf Ausnahme von der<br />
Maßregel, bereits kurze Zeit nach Rechtskraft des Urteils/Strafbefehls Gelegenheit erhalten,<br />
ein Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung erstellen<br />
zu lassen. Die Eingangsuntersuchung entsprach inhaltlich einer herkömmlichen MPU.<br />
Da so kurz nach dem Delikt noch keine stabile Veränderung vorliegen kann, hatte die Eignungsuntersuchung<br />
das Ziel, dem auffälligen Fahrer – bei positiver Beurteilungstendenz –<br />
geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung seiner Fahreignung zu empfehlen. Der Erfolg<br />
dieser Maßnahmen wurde etwa einen Monat vor Ablauf der Sperre erneut überprüft.<br />
In diesen Fällen erfolgte eine erneute Untersuchung wesentlich früher als bisher <strong>und</strong> in<br />
jedem Fall so rechtzeitig, dass <strong>im</strong> positiven Fall pünktlich zum Ablauf der Sperre die Fahrerlaubnis<br />
wieder erteilt werden kann.<br />
Die Ergebnisse der Wirksamkeitsuntersuchungen dieser frühzeitigen Beratung <strong>und</strong><br />
Schulung in der Sperrfrist 31 ) zeigen, dass insbesondere bei den Personen, die einer Rehabilitation<br />
bedürfen – eine deutliche Verringerung der Rückfallhäufigkeit innerhalb von<br />
drei Jahren nach Neuerteilung der Fahrerlaubnis <strong>gegen</strong>über konventionell nach Ablauf der<br />
Sperre untersuchten Personen zu beobachten ist.<br />
213<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
214<br />
7.2.2. Diagnostik in der Hauptverhandlung<br />
Eine Besonderheit stellen die Fälle dar, in denen zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung<br />
die Fahrerlaubnis über einen längeren Zeitraum vorläufig entzogen worden war. Gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
ist BODE/WINKLER 32 ) zu folgen, die darauf hinweisen, dass „in Fällen, in denen die<br />
Fahrerlaubnisbehörde vor Erteilung einer Fahrerlaubnis […] zur Klärung von Eignungszweifeln<br />
die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anordnen<br />
muss“, es „fatal“ wäre, wenn der Richter diese Prüfungsmöglichkeit unterbinden würde,<br />
durch allein auf langen Zeitablauf gegründetes Absehen von der Entziehung der Fahrerlaubnis<br />
mit Bindungswirkung für die Fahrerlaubnisbehörde“.<br />
Deshalb sollte in diesen Fällen, in denen aufgr<strong>und</strong> der Verfahrensdauer die Zeit der vorläufigen<br />
Entziehung der Fahrerlaubnis die <strong>im</strong> Strafbefehl vorgesehene Sperrfrist erreicht<br />
oder überschreitet <strong>und</strong> in denen in der FeV die Beibringung einer MPU vorgeschrieben ist,<br />
der Richter eine amtlich anerkannte Begutachtungsstelle für Fahreignung mit der Erstellung<br />
eines Fahreignungsgutachtens beauftragen, das in der Hauptverhandlung erster oder<br />
zweiter Instanz Berücksichtigung findet <strong>und</strong> <strong>im</strong> positiven Fall eine vorzeitige Aufhebung<br />
der Sperre <strong>und</strong> damit eine frühere Erteilung der Fahrerlaubnis zur Folge hätte. Dabei könnte<br />
auch der Erfolg von zwischenzeitlich durchgeführten Beratungs-, Therapie- oder Nachschulungsmaßnahmen<br />
überprüft werden.<br />
7.3. Rehabilitation/Nachschulung<br />
Einigkeit besteht darüber, dass der Besserungszweck der Entziehung der Fahrerlaubnis<br />
eher durch Nachschulung <strong>und</strong> Rehabilitation als durch bloßen Zeitablauf erreicht wird 33 ).<br />
RIEDMEYER 34 ) betont die Wichtigkeit, den auffälligen Fahrer durch individuelle Nachschulung<br />
zu sensibilisieren. Erst dadurch werde ein Umdenken be<strong>im</strong> auffälligen Fahrer erzielt.<br />
Er gibt einen Überblick über die bisher vom Gesetzgeber unternommenen Schritte der<br />
stärkeren Berücksichtigung der Nachschulung (insbesondere Aufbauseminare) <strong>im</strong> Strafverfahren,<br />
weist jedoch gleichzeitig auch darauf hin, dass diese Möglichkeit in der Praxis<br />
zu wenig Berücksichtigung findet.<br />
Vermehrte Anwendungsmöglichkeiten der gesetzlichen Möglichkeiten sieht RIEDMEYER in<br />
• einer verstärkten Nutzung der Möglichkeit der Verfahrenseinstellung nach Teilnahme<br />
an einem Aufbauseminar,<br />
• der Berücksichtigung der Nachschulung als Bewährungsauflage,<br />
• einem Anreiz an der Teilnahme an einer Nachschulung durch Reduzierung der Strafe,<br />
• der Berücksichtigung der Nachschulung als Maßregel gemäß § 61 StGB (Nachschulung<br />
anstelle oder neben der Entziehung der Fahrerlaubnis) <strong>und</strong><br />
• einer gestaffelten Sperrfrist <strong>und</strong> zwar derart, dass eine Verkürzung in Aussicht gestellt<br />
wird, wenn der auffällige Fahrer an einem anerkanntem Modell teilgenommen hat. Die<br />
Folge wäre eine Verfahrensvereinfachung, weil das Strafverfahren nicht erneut aufgegriffen<br />
werden müsste <strong>und</strong> auffällige Fahrer motiviert werden könnten, frühzeitig zu<br />
handeln.<br />
Für unsere Belange besonders von Interesse sind Nachschulungskurse zur vorzeitigen<br />
Aufhebung der Sperre nach § 69a Abs. 7 StGB. Diese vorzeitige Aufhebung der Sperre<br />
stellt ein Korrektiv dar, das dem präventiven Charakter der Fahrerlaubnisentziehung ebenso<br />
Rechnung trägt wie dem Übermaßverbot. Die Teilnahme an einer Nachschulungsmaßnahme<br />
stellt den Hauptanwendungsbereich <strong>im</strong> Rahmen des § 69a Abs. 7 StGB dar. Gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
ist eine rechtsförmige Einbindung dieser Nachschulungen noch nicht erfolgt, mit<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Dokumentation II
Dokumentation II<br />
Ausnahme der Fahrerlaubnis auf Probe <strong>und</strong> den Nachschulungen <strong>im</strong> Rahmen des Punktesystems.<br />
Das hat zu einer sehr unterschiedlichen Akzeptanz <strong>und</strong> in der Folge einer sehr<br />
heterogenen Praxis geführt.<br />
In einzelnen <strong>B<strong>und</strong></strong>esländern ist das Verfahren der Sperrfristverkürzung durch entsprechende<br />
Erlasse <strong>und</strong> Ermächtigungen durch die Ministerien oder interne Richtlinien der<br />
Staatsanwaltschaft geregelt. Damit hat der auffällige Kraftfahrer Klarheit darüber, dass er<br />
nach erfolgreicher Teilnahme an einer entsprechenden Maßnahme in den Genuss einer<br />
Sperrfristverkürzung <strong>und</strong> damit kürzeren Gesamtentziehungsdauer kommt (z. B. in Rheinland-Pfalz<br />
<strong>im</strong> Gnadenverfahren, in Baden-Württemberg <strong>im</strong> Nachverfahren, <strong>im</strong> Saarland<br />
<strong>im</strong> staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren). In anderen Regionen hängt es von der Praxis<br />
des jeweiligen Gerichts ab.<br />
HAUS 35 ) fordert in diesem Zusammenhang, dass akzeptiert wird, dass sich die Nachschulung<br />
insgesamt bewährt hat <strong>und</strong> es nicht der Zufälligkeit der Rechtsprechung an einzelnen<br />
Gerichten überlassen werden dürfe, sondern <strong>im</strong> Sinne der Rechtssicherheit <strong>und</strong><br />
Rechtsklarheit eine Normierung geschaffen werden müsse, damit „gleich gelagerte Fälle“<br />
gleich behandelt würden. Es ist RIEDMEYER zu folgen, dass die Verkürzung der Sperre so<br />
bemessen sein muss, dass ein echter Anreiz geschaffen wird. Die Verkürzung um lediglich<br />
einen Monat würde den Aufwand unangemessen erscheinen lassen.<br />
Erst dann kann der gesellschaftlichen Erwartung entsprochen werden, dass in größerem<br />
Umfang als bisher sich Personen rehabilitieren können <strong>und</strong> die Wiedereingliederung in<br />
den motorisierten Straßenverkehr dadurch ermöglicht wird.<br />
Gleiches gilt für die Ausnahmen vom Fahrverbot. Auch für diese Gruppe auffälliger<br />
Fahrer, die nach den bisherigen Ausführungen nicht der Gruppe mit hohem Gefährdungspotenzial<br />
zugerechnet werden müssen, stehen mit dem (Besonderen) Aufbauseminar <strong>und</strong><br />
der Verkehrspsychologischen Beratung nach § 71 FeV geeignete verkehrspsychologische<br />
Hilfen bereit. Diese können aber nach der aktuellen Rechtsprechung eine Ausnahme nicht<br />
oder nur <strong>im</strong> Zusammenhang mit anderen Entlastungspunkten begründen.<br />
7.4. Auflagen (Interlock)<br />
Die Diskussion, <strong>Alkohol</strong>fahrten bei bereits auffällig gewordenen <strong>Alkohol</strong>fahrern durch<br />
den Einsatz atemalkoholgesteuerter Wegfahrsperren (Alcohol-Ignition-Interlocks / AII) zu<br />
verhindern, wird sehr lebhaft geführt. Für unser Thema ist wichtig festzuhalten, dass die<br />
Forschungsergebnisse zwar zeigen, dass <strong>Alkohol</strong>fahrten in der Phase des Einbaus verhindert<br />
werden (können), aber keine Besserung <strong>im</strong> Sinne einer längerfristigen Verhaltensänderung<br />
erfolgt. Nach Ausbau des Geräts besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen<br />
Rückfall in frühere Gewohnheiten, sogar ein ansteigendes Wiederholungsrisiko ist in einzelnen<br />
Untersuchungen zu beobachten. Deshalb besteht auch Konsens darüber, dass stabile<br />
Veränderungen nur in Kombination mit einer Rehabilitation zu erreichen sind.<br />
Interlocks stellen also in keiner Weise einen Ersatz, z. B. der Maßregel der Besserung<br />
<strong>und</strong> Sicherung dar, sondern könnten das bestehende Maßnahmenspektrum allenfalls sinnvoll<br />
erweitern.<br />
8. Qualitative Überlegungen zur Diagnostik <strong>und</strong> Maßnahmen<br />
8.1. Anforderungen an die Diagnostik<br />
Das Gericht ist gr<strong>und</strong>sätzlich frei ist in seiner Entscheidung, welche formelle <strong>und</strong> fachliche<br />
Qualität Bescheinigungen <strong>und</strong> Stellungnahmen haben müssen, denen es entn<strong>im</strong>mt, ob<br />
215<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
216<br />
ein Fahrer zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr ungeeignet ist. Dennoch sollte die<br />
Diagnostik weitreichenden Anforderungen genügen <strong>und</strong> sich an den in der Anlage 15 der<br />
FeV formulierten Gr<strong>und</strong>sätzen für die Erstellung von Gutachten <strong>und</strong> den in Anlage 14 der<br />
FeV formulierten personellen <strong>und</strong> institutionellen Vorgaben, insbesondere der strikten<br />
Trennung von Begutachtung/Diagnostik <strong>und</strong> Beratung/Schulung/Therapie orientieren.<br />
Dies bedeutet in jedem Fall, dass der Kursleiter/Therapeut nicht zugleich derjenige sein<br />
sollte, der den Erfolg der Maßnahmen bewertet.<br />
8.2. Anforderungen an die Maßnahmen<br />
Zur Erhöhung der Akzeptanz von Rehabilitationsmaßnahmen <strong>im</strong> Strafverfahren sollte<br />
überlegt werden,<br />
• nur die Teilnahme an evaluierten, d.h. wissenschaftlich gesicherten, qualitätsorientierten<br />
Kursmodellen zu berücksichtigen,<br />
• die Kursteilnahmefähigkeit zu untersuchen, um eine Vereinbarkeit von Straf- <strong>und</strong> Verwaltungsrecht<br />
zu gewährleisten,<br />
• die Kurse nur von amtlich anerkannten Kursleitern durchführen zu lassen <strong>und</strong> unter<br />
behördliche Fachaufsicht zu stellen,<br />
• die Effizienz der Kursmodelle in regelmäßigen Abständen zu prüfen <strong>und</strong><br />
• die Kursmodelle, insbesondere die Zuweisungs- <strong>und</strong> Ausschlusskriterien kontinuierlich<br />
zu opt<strong>im</strong>ieren.<br />
9. Fazit <strong>und</strong> mögliche Empfehlungen<br />
Abschließend ist festzuhalten, dass es eine Reihe von Möglichkeiten gibt, verkehrspsychologische<br />
Erkenntnisse ins Straf- <strong>und</strong> Ordnungswidrigkeitenrecht so einzubringen, dass<br />
die Verhältnismäßigkeit gewahrt <strong>und</strong> ein Übermaß vermieden wird. Davon profitieren in<br />
gleichem Maße die Strafgerichtsbarkeit, der auffällige Fahrer <strong>und</strong> die Verkehrssicherheit.<br />
Selbst wenn auch zukünftig eine Ausnahme vom Entzug der Fahrerlaubnis nur in Ausnahmefällen<br />
– je nach rechtlicher Bewertung <strong>im</strong> Extremfall gar nicht mehr – möglich wäre,<br />
existiert ein breites Spektrum von anerkannten <strong>und</strong> effektiven Maßnahmen, die nur rechtsförmlich<br />
eingeb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> intensiver genutzt werden müssten, um so Sicherung, Besserung,<br />
aber auch ein verhältnismäßiges Vorgehen zu gewährleisten.<br />
Fußnoten<br />
1<br />
) Straftaten <strong>im</strong> Straßenverkehr (§§ 142, 315b <strong>und</strong> c, 316, 222, 229, 323a StGB i.V. m. Verkehrsunfall <strong>und</strong> nach<br />
dem StVG) 211 846; Statistisches <strong>B<strong>und</strong></strong>esamt, Jahrbuch 2009.<br />
2<br />
) Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, 20. Aufl. 2008, § 25 Rn. 1b.<br />
3<br />
) Hentschel, P. (2004). Fahrerlaubnis <strong>und</strong> <strong>Alkohol</strong> <strong>im</strong> Straf- <strong>und</strong> Ordnungswidrigkeitenrecht, 4. Aufl., Rn. 802.<br />
4<br />
) Diese Ansicht einer teilbaren Eignung hat auch Stephan bereits in einem früheren Aufsatz zur bedingten Eignung<br />
in der DAR 4/1989, S. 1 ff. vertreten.<br />
5<br />
) Janiszewski, H. DAR 4/1989, S. 15 ff.<br />
6<br />
) Gebhardt, H.-J., Das verkehrsrechtliche Mandat. Verteidigung in Verkehrstraf- <strong>und</strong> Ordnungswidrigkeitenverfahren.<br />
5. Aufl. 2008, § 58 Rn. 22.<br />
7<br />
) Bode/Winkler, Fahrerlaubnis, 5. Aufl. 2006, § 12 Rn. 43.<br />
8<br />
) Bode, H.-J., DAR 4/1989, S. 444–453.<br />
9<br />
) Stephan, E., DAR, 4/1989, S. 1–5.<br />
10<br />
) Prochaska/Di Clemente. Toward a comprehensive model of change, in: Miller/Heather (Eds.), Treating addictive<br />
behaviors: Processes of change, 1986, S. 3–27.<br />
11<br />
) BVerwG, NZV 1992, 501.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Dokumentation II
12 ) Riedmeyer, O., VGT 2002, 270–278.<br />
13 ) Winkler, W., VGT 1992, 128–141.<br />
14 ) Stephan, E. (1984). Die Rückfallwahrscheinlichkeit bei alkoholauffälligen Kraftfahrern in der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik<br />
Deutschland. Zeitschrift für Verkehrssicherheit, 30, 27–33.<br />
15 ) Piesker, H., VGT 2002, 254–269.<br />
16 ) Winkler, W., VGT 1992, 128–141.<br />
17 ) Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung, 2. Aufl. 2005.<br />
18 ) Schubert/Mattern, 2009, Urteilsbildung in der medizinisch-psychologischen Fahreignungsdiagnostik, Beur-<br />
teilungskriterien, 2. Aufl. 2009.<br />
19 ) Brenner-Hartmann, J. (2006). <strong>Alkohol</strong>, <strong>Drogen</strong>, Medikamente. Einfluss auf die Fahreignung: chronischer Einfluss.<br />
In: Madea/Mußhoff/Berghaus (Hrsg.) Verkehrsmedizin, 456–464.<br />
20 ) Krüger, HP, Kazenwadel, J., Vollrath, M. (1995). Das Unfallrisiko unter <strong>Alkohol</strong> unter besonderer Berücksichtigung<br />
risikoerhöhender Faktoren. In: Krüger HP (Hrsg.) Das Unfallrisiko unter <strong>Alkohol</strong> – Analyse, Konsequenzen,<br />
Maßnahmen. Gustav Fischer, Stuttgart.<br />
21 ) Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung, 2. Aufl. 2005,<br />
S. 142.<br />
22 ) Bode, H. J., DAR 4/1989, S. 444–453.<br />
23 ) Burmann, M., VGT 2004, 154–164.<br />
24 ) Riedmeyer, O., VGT 2002, 270–278<br />
25 ) Bode/Winkler, Fahrerlaubnis, 5. Aufl. 2006, § 2 Rn. 150.<br />
26 ) Schneider, W., VGT 1986, 322–346.<br />
27 ) Diese Überlegungen liegen auch dem Modell PASS (Psychological and Medical Assistance for Safe Mobility)<br />
zugr<strong>und</strong>e, das mit dem Ziel erarbeitet wurde, ein Rahmenmodell für ein zukünftiges einheitliches europäisches<br />
Fahrerlaubnissystem zu schaffen.<br />
29 ) Winkler, W., VGT 1992, 128–141.<br />
30 ) VGT 2006, Empfehlungen AK III, S. 8.<br />
31 ) Jacobshagen, W. (1999). Das Modell „BUSS“: Erste Ergebnisse eines integrierten Schulungs- <strong>und</strong> Beratungsmodells<br />
für alkoholauffällige Fahrer innerhalb der Sperrfrist. <strong>Blutalkohol</strong> 38/2001, 233–249.<br />
32 ) Bode/Winkler, Fahrerlaubnis, 5. Aufl. 2006, § 12 Rn. 43.<br />
33 ) VGT 2002, Empfehlungen AK VII, S. 13.<br />
34 ) VGT 2002, 270–278.<br />
35 ) Haus, K.-L., VGT 1992, 105–127.<br />
Anschrift des Verfassers<br />
Dipl.-Psych. Axel Uhle<br />
TÜV SÜD Pluspunkt GmbH<br />
Augustaanlage 50<br />
D-68165 Mannhe<strong>im</strong><br />
Email: axel.uhle@tuev-sued.de<br />
Dokumentation II<br />
217<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
218 Dokumentation II<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Aus dem Arbeitskreis VII: Unfallrisiko „Junge Fahrer“<br />
DIETMAR STURZBECHER<br />
Bisherige Maßnahmen zur Erhöhung der Fahranfängersicherheit:<br />
Eine Bilanz * )<br />
1. Fahranfängervorbereitung <strong>im</strong> Wandel<br />
Obwohl die Unfallzahlen insgesamt weiter rückläufig sind <strong>und</strong> sich dieser Rückgang<br />
auch bei den jungen Fahranfängern erkennen lässt, tragen junge Fahranfänger noch <strong>im</strong>mer<br />
ein mehrfach höheres Unfallrisiko als erfahrene Fahrer (Statistisches <strong>B<strong>und</strong></strong>esamt, 2009).<br />
Das Problem der hohen Anzahl von Fahranfängerunfällen erscheint also drängend <strong>und</strong><br />
keineswegs neu; entsprechend intensiv versuchte man in der Vergangenheit, dem hohen<br />
Unfallrisiko der Fahranfänger durch geeignete Maßnahmen zu begegnen.<br />
Auf dem 36. Verkehrsgerichtstag <strong>im</strong> Jahr 1998 wurden verschiedene Lösungsansätze<br />
zur Senkung des Unfallrisikos von Fahranfängern in verschiedenen Arbeitskreisen diskutiert<br />
(z. B. <strong>im</strong> Hinblick auf die Fahrschulausbildung <strong>im</strong> Arbeitskreis I „Neue Strukturen <strong>im</strong><br />
Fahrschulwesen“). Dabei standen traditionelle Ansätze <strong>im</strong> Sinne einer Stärkung der formalen<br />
Fahrschulausbildung <strong>und</strong> einer verbesserten Vermittlung verkehrssicherheitsrelevanter<br />
Einstellungen <strong>im</strong> Vordergr<strong>und</strong>. Vom Arbeitskreis IV „Junge Kraftfahrer“ wurde<br />
u. a. angeregt, Konzepte einer integrierten Verkehrserziehung in allen Schulformen <strong>und</strong><br />
Altersklassen umzusetzen. Die in einigen <strong>B<strong>und</strong></strong>esländern bereits bestehenden Modelle zur<br />
Vermittlung einer umfassenden Mobilitätskompetenz in der Schule wurden begrüßt <strong>und</strong><br />
als vielversprechend für eine nachhaltig positive Verhaltens- <strong>und</strong> Einstellungsbeeinflussung<br />
vor einer anschließenden <strong>und</strong> darauf aufbauenden Fahrschulausbildung angesehen.<br />
Hin<strong>gegen</strong> stießen mobilitätsbeschränkende Auflagen für Fahranfänger sowie der Ansatz<br />
eines erweiterten fahrpraktischen Erfahrungsaufbaus durch Begleitetes Fahren noch<br />
vielfach auf Ablehnung. Empfohlen wurde vor allem, ein Weiterbildungsangebot mit erfahrungsbezogenen<br />
<strong>und</strong> fahrpraktischen Elementen zu schaffen (die sog. „Zweite Ausbildungsphase“),<br />
um Fahranfänger nach der Fahrprüfung nicht mit den Gefahren des Straßenverkehrs<br />
allein zu lassen.<br />
Fünf Jahre später – be<strong>im</strong> 41. Verkehrsgerichtstag <strong>im</strong> Jahr 2003 – waren die rechtlichen<br />
Rahmenbedingungen für die Erprobung einer solchen „Zweiten Ausbildungsphase“ nach<br />
dem Fahrerlaubniserwerb <strong>und</strong> einer ersten Phase des selbständigen Fahrerfahrungsaufbaus<br />
geschaffen. Darüber hinaus finden sich Hinweise auf ein Umdenken vieler Verkehrsexperten:<br />
Der damalige Arbeitskreis I „Unfallrisiko Fahranfänger“ hielt angesichts des anhaltend<br />
überproportionalen Unfallrisikos der Fahranfänger neben den bis dahin favorisierten<br />
traditionellen Elementen der Fahranfängervorbereitung auch für Deutschland relativ neuartige<br />
Maßnahmen für erforderlich. Man sah nunmehr auch <strong>im</strong> Modell des „Begleiteten<br />
Fahrens“ <strong>im</strong> Anschluss an den Erwerb der Fahrerlaubnis einen weiteren Ansatz zur Erhöhung<br />
der Sicherheit von Fahranfängern, der weiter ausgearbeitet <strong>und</strong> unter wissenschaft-<br />
*<br />
) Schriftliche Langfassung des Vortrages, den der Verfasser auf dem 48. Verkehrsgerichtstag 2010 in Goslar<br />
gehalten hat.
Dokumentation II<br />
licher Begleitung in die Praxis umgesetzt werden sollte. Weiterhin wurde die bereits 1998<br />
gestellte Forderung nach Einführung eines absoluten <strong>Alkohol</strong>verbots für Fahranfänger in<br />
der Probezeit erneut bekräftigt.<br />
Heute sind einige der damals diskutierten <strong>und</strong> empfohlenen Maßnahmen bereits <strong>im</strong><br />
deutschen System der Fahranfängervorbereitung rechtlich verankert. Dazu gehören die<br />
Verschärfung der Probezeitregelung für Fahranfänger <strong>im</strong> Jahr 1999 <strong>und</strong> die Einführung<br />
eines <strong>Alkohol</strong>verbots für Fahranfänger <strong>im</strong> Jahr 2007. Andere Ansätze haben in Form von<br />
Modellprojekten Eingang in die Fahranfängervorbereitung gef<strong>und</strong>en, <strong>und</strong> es stehen Entscheidungen<br />
<strong>im</strong> Hinblick auf ihre Verstetigung an: Mit dem freiwilligen „Fortbildungsseminar<br />
für Fahranfänger“ wurde <strong>im</strong> Jahr 2004 ein Angebot bereitgestellt, das Fahranfänger<br />
nach dem Beginn des selbständigen Fahrens <strong>im</strong> Straßenverkehr dabei unterstützen soll,<br />
sicherheitsförderliche Einstellungen zu festigen <strong>und</strong> Verhaltensweisen zur Gefahrenvermeidung<br />
<strong>im</strong> Rahmen einer „Zweiten Ausbildungsphase“ zu erlernen. Darüber hinaus eröffnet<br />
das zwischen April 2004 <strong>und</strong> Januar 2008 sukzessive in allen <strong>B<strong>und</strong></strong>esländern eingeführte<br />
„Begleitete Fahren ab 17“ (BF-17) jungen Fahranfängern die Möglichkeit eines verlängerten<br />
Fahrerfahrungsaufbaus in Begleitung eines fahrerfahrenen Erwachsenen vor dem<br />
Beginn des selbständigen Fahrens.<br />
Unabhängig davon, ob Maßnahmen vor ihrer Einführung oder Erprobung kontrovers<br />
diskutiert werden oder nicht, muss sich jede Maßnahme zur Verbesserung der Fahranfängervorbereitung<br />
letztlich in der Praxis bewähren <strong>und</strong> dabei an Kriterien wie der Praktikabilität,<br />
der Akzeptanz <strong>und</strong> nicht zuletzt der Sicherheitswirksamkeit messen lassen.<br />
Nachfolgend soll eine kritische Bewertung der genannten Maßnahmen auf der Gr<strong>und</strong>lage<br />
der vorliegenden Evaluationsstudien <strong>und</strong> Analysen vorgenommen werden.<br />
2. Die „Neuen Probezeitregelungen für Fahranfänger“<br />
In der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik Deutschland wurde die Fahrerlaubnis auf Probe zum 01. November<br />
1986 – <strong>und</strong> <strong>im</strong> Zuge der Wiedervereinigung am 03. Oktober 1990 auch in den neuen<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esländern – eingeführt. Mit der Umsetzung der Zweiten EU-Führerscheinrichtlinie<br />
<strong>und</strong> der damit verb<strong>und</strong>enen Neuordnung des Fahrerlaubnis- <strong>und</strong> Fahrlehrerrechts in<br />
Deutschland gelten seit dem 01. Januar 1999 für die Fahrerlaubnis auf Probe folgende verschärfte<br />
Best<strong>im</strong>mungen: Ab dem Zeitpunkt der Erteilung einer Fahrerlaubnis beginnt für<br />
Fahranfänger eine zweijährige Probezeit 1 ). Begeht ein Fahranfänger in diesem Zeitraum<br />
einen „schwerwiegenden“ 2 ) Regelverstoß (früher: „Katalog-A-Verstoß“) oder zwei „weniger<br />
schwerwiegende“ 3 ) Regelverstöße (früher: „Katalog-B-Verstoß“), so wird die Teilnahme<br />
an einem Aufbauseminar für Fahranfänger („ASF“; früher: „Nachschulung“) angeordnet,<br />
<strong>und</strong> die Probezeit verlängert sich auf vier Jahre („1. Eingriffsstufe“). Kommt es nach<br />
der Teilnahme an einem Aufbauseminar innerhalb der Probezeit erneut zu einem „schwerwiegenden“<br />
Regelverstoß oder zu zwei „weniger schwerwiegenden“ Regelverstößen, so<br />
wird eine schriftliche Verwarnung erteilt <strong>und</strong> empfohlen, innerhalb von zwei Monaten an<br />
einer verkehrspsychologischen Beratung teilzunehmen („2. Eingriffsstufe“). Bei einem erneuten<br />
„schwerwiegenden“ Regelverstoß oder zwei „weniger schwerwiegenden“ Regelverstößen<br />
innerhalb dieser zwei Monate wird die Fahrerlaubnis entzogen („3. Eingriffsstufe“).<br />
Die Verschärfung <strong>gegen</strong>über den vorher bestehenden Regelungen besteht auf der ersten<br />
Eingriffsstufe in der Verlängerung der Probezeit um weitere zwei Jahre. Es gilt außerdem,<br />
219<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
220<br />
dass eine Nicht-Teilnahme an einem Aufbauseminar den Fahrerlaubnisentzug zur Folge<br />
hat. Gegenüber der früheren Regelung erscheinen die Maßnahmen auf der zweiten Eingriffsstufe<br />
heute weniger streng. So entfiel die Vorgabe zur Wiederholung der Praktischen<br />
Fahrerlaubnisprüfung; an ihre Stelle sind eine schriftliche Verwarnung <strong>und</strong> die Empfehlung<br />
zur Teilnahme an einer psychologischen Beratung getreten. Die Verschärfung der<br />
Maßnahmen auf der dritten Eingriffsstufe stellt ein sofortiger Fahrerlaubnisentzug für<br />
mindestens drei Monate dar. Außerdem liegt es <strong>im</strong> Ermessen der Fahrerlaubnisbehörde, ob<br />
zur Wiedererlangung der Fahrerlaubnis eine erneute Prüfung abzulegen ist. Zusammenfassend<br />
bewerten ELLINGHAUS <strong>und</strong> STEINBRECHER (1999) die veränderten Regelungen bei<br />
der Fahrerlaubnis auf Probe dahingehend, dass „… der Gesetzgeber das Drohpotential<br />
<strong>gegen</strong>über auffällig gewordenen Fahranfängern in der Weise modifiziert [hat], dass die<br />
Prüfungswiederholung ihre Bedeutung verloren hat <strong>und</strong> der Entzug der Fahrerlaubnis in<br />
den Vordergr<strong>und</strong> gerückt wurde. In dem Zusammenhang erhöht die Verlängerung der Probezeit<br />
nach der Anordnung eines Aufbauseminars das Risiko des Fahranfängers erheblich,<br />
während seiner Probezeit die Fahrerlaubnis zu verlieren“. Zu ergänzen bleibt, dass mit den<br />
veränderten Probezeitregelungen die edukativen Elemente gestärkt wurden, mit denen<br />
verkehrserzieherisch auf die auffälligen Fahrer eingewirkt werden soll.<br />
Die beschriebenen Probezeitregelungen verbinden einen generalpräventiven <strong>und</strong> einen<br />
spezialpräventiven Ansatz: Eine generalpräventive Sanktionsandrohung für alle Fahranfänger<br />
besteht darin, dass best<strong>im</strong>mte Regelverstöße gr<strong>und</strong>sätzlich eine Probezeitverlängerung<br />
sowie festgelegte edukative Maßnahmen nach sich ziehen, die mit einem nicht unerheblichen<br />
Zeit- <strong>und</strong> Kostenaufwand verb<strong>und</strong>en sind – bei regelgerechtem Verhalten<br />
bleiben diese Maßnahmen aus. Die verpflichtenden bzw. empfohlenen edukativen Interventionen<br />
für verkehrsauffällige Fahranfänger sind hin<strong>gegen</strong> als spezialpräventive Maßnahmen<br />
anzusehen. Sie betreffen nur jene Teilgruppe von Fahranfängern, denen best<strong>im</strong>mte<br />
Regelverstöße nachgewiesen wurden, <strong>und</strong> sollen bei den Betroffenen zu einer Einstellungs-<br />
bzw. Verhaltensänderung führen.<br />
Vorliegende Evaluationsergebnisse<br />
Auf Gr<strong>und</strong>lage von polizeilichen Unfalldaten in Nordrhein-Westfalen <strong>und</strong> Bayern führten<br />
MEEWES <strong>und</strong> WEIßBRODT (1992) eine Untersuchung zur Wirksamkeit der 1986 erstmals<br />
eingeführten Fahrerlaubnis auf Probe durch <strong>und</strong> analysierten Veränderungen des Unfallgeschehens<br />
in verschiedenen Teilgruppen von Fahrern bzw. Unfällen (u. a. Alter, Geschlecht<br />
<strong>und</strong> Unfallort). Es konnte eine Verringerung des Unfallrisikos um fünf Prozent bei<br />
den 18- bis 19-jährigen männlichen Fahranfängern nachgewiesen werden; dieser Bef<strong>und</strong><br />
bezog sich jedoch ausschließlich auf Fahrten innerorts. Mit der <strong>im</strong> Jahr 1999 verschärften<br />
Probezeitregelung erhoffte man sich, diesen nur geringen Effekt auf das Unfallrisiko zu<br />
steigern.<br />
Im Rahmen einer Untersuchung zur Wirksamkeit der verschärften Probezeitregelungen<br />
(DÜTSCHKE, SKOTTKE, ISING, BIERMANN, BRÜNKEN, DEBUS & LEUTNER, 2008) wurde geprüft,<br />
ob sich für die Maßnahme ein Effekt auf die Unfallzahlen bei den jungen Fahrern<br />
nachweisen lässt. Hierzu wurden – analog zur oben genannten Untersuchung von MEEWES<br />
et al. (1992) – Daten zu polizeilich registrierten Unfällen in Bayern <strong>und</strong> Nordrhein-Westfalen<br />
4 ) aus den Jahren 1992 bis 2002 ausgewertet. Eine deskriptive Analyse der Daten, bei<br />
der verschiedene Teilgruppen von Fahrern bzw. Unfällen (z. B. unterschieden nach Alter,<br />
Geschlecht, Unfallschwere) betrachtet wurden <strong>und</strong> bei der auch die generelle Unfallent-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Dokumentation II
Dokumentation II<br />
wicklung in diesem Zeitraum in Rechnung gestellt wurde, zeigte keinen Rückgang der Unfallzahlen<br />
bei der Zielgruppe, der auf eine Wirksamkeit der Maßnahme zurückzuführen<br />
wäre.<br />
Weiterhin wurden <strong>im</strong> Rahmen dieser Untersuchung für eine genauere Analyse die<br />
Unfallzahlen von zwei Geburtsjahrgängen betrachtet, die <strong>im</strong> Jahr 1999 entweder 18 oder<br />
19 Jahre alt wurden <strong>und</strong> somit von den verschärften Probezeitregelungen betroffen waren.<br />
Diesen Unfallzahlen wurden dann die Unfallzahlen von 18-Jährigen aus den Jahren 1995<br />
<strong>und</strong> 1996 <strong>gegen</strong>übergestellt, was einen Vorher-Nachher-Vergleich bezüglich der Wirksamkeit<br />
der eingeführten Maßnahme ermöglichte. 25- bis 27-Jährige dienten mit ihren Unfallzahlen<br />
jeweils als Kontrollgruppen, um Fehlschlüsse zu vermeiden (z. B. aufgr<strong>und</strong> von allgemeinen<br />
Trends bei der Entwicklung der Unfallzahlen). Bei einer getrennten Auswertung<br />
der Daten nach Geschlecht, leichten vs. schweren Unfällen sowie Unfällen innerorts vs.<br />
Unfällen außerorts ließ sich bei den schweren Unfällen ein leichter Rückgang der Unfallzahlen<br />
nach der Maßnahmeneinführung feststellen. Dieser erwies sich aber nach weiteren<br />
regressionsanalytischen Auswertungen als statistisch nicht signifikant, so dass es aus Sicht<br />
der Autoren nicht gerechtfertigt erscheint, von einem positiven Effekt der Maßnahme auszugehen.<br />
Mittels einer längsschnittlichen Befragung von Fahranfängern in der Probezeit gingen<br />
BIERMANN, SKOTTKE, ANDERS, BRÜNKEN, DEBUS & LEUTNER (2008) möglichen Prädiktoren<br />
zukünftiger Unfälle <strong>und</strong> Verkehrsauffälligkeiten nach. Dabei wurden in einem Abstand<br />
von zwei bis acht Monaten Angaben von Fahranfängern unter anderem zu eigenem verkehrsauffälligem<br />
Verhalten <strong>und</strong> eigenen Unfällen, zu erfahrenen Sanktionen sowie zur<br />
Kenntnis <strong>und</strong> Verhaltenswirksamkeit der Fahrerlaubnis auf Probe erhoben; darüber hinaus<br />
wurden Fahrhandlungsroutinen mittels eines Reaktionstests <strong>und</strong> eines Fahrverhaltenstests<br />
erfasst. Die Ergebnisse zeigen, dass sich <strong>im</strong> Rahmen eines umfassenden Vorhersagemodells<br />
lediglich die Fahrerfahrung, verkehrsbezogene Persönlichkeitseigenschaften <strong>und</strong> unangepasstes<br />
Fahrverhalten als prädiktiv für das Unfallrisiko erweisen; die Fahrerlaubnis<br />
auf Probe leistete hin<strong>gegen</strong> in diesem Modell keinen Beitrag zur Vorhersage von unangepasstem<br />
Verhalten, selbstberichteten Beinahe-Unfällen oder tatsächlichen Unfällen.<br />
Weiterhin ist davon auszugehen, dass die Fahrerlaubnis auf Probe eine Sanktionsdrohung<br />
beinhaltet, die in der Zielgruppe gr<strong>und</strong>sätzlich bekannt sein muss, um ihre generalpräventive<br />
Funktion erfüllen zu können. Es zeigte sich jedoch, dass in der Untersuchungsgruppe<br />
das Wissen über die Probezeitregelungen insgesamt gering war <strong>und</strong> die generalpräventive<br />
Sanktionsandrohung kaum als aversiv erlebt wurde.<br />
Bezüglich der vorliegenden Evaluationsergebnisse zur Fahrerlaubnis auf Probe bleibt<br />
methodenkritisch anzumerken, dass zum Nachweis einer Maßnahmenwirksamkeit letztlich<br />
die Untersuchung mittels eines echten Kontrollgruppendesigns erforderlich wäre, bei<br />
der Fahranfänger mit gleichen situativen <strong>und</strong> personenbezogenen Merkmalen, jedoch ohne<br />
Fahrerlaubnis auf Probe als Bezugsgruppe dienen. Da jedoch alle Fahranfänger den Regelungen<br />
der Fahrerlaubnis auf Probe unterliegen, ist ein solches Kontrollgruppendesign<br />
nicht möglich. Weiterhin ist festzuhalten, dass die zugr<strong>und</strong>egelegten Unfalldaten (MEEWES<br />
et al., 1992; DÜTSCHKE et al., 2008) mit Bezug zur Bevölkerungsstatistik (Unfälle je<br />
1.000 Einwohner) ausgewertet wurden. Eine Relativierung der Unfallzahlen hinsichtlich<br />
der tatsächlichen Fahrleistung der Fahrerlaubnisinhaber oder bezüglich der Quote der Fahrerlaubnisinhaber<br />
in der Bevölkerung <strong>im</strong> Betrachtungszeitraum wäre präziser <strong>und</strong> somit<br />
methodisch wünschenswert, ist jedoch in Ermangelung entsprechender Daten nicht ohne<br />
221<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
222<br />
weiteres möglich. Hinsichtlich der Untersuchung von BIERMANN et al. (2008) bestand das<br />
vorrangige Ziel darin, mögliche Effekte von Variablen innerhalb eines Vorhersagemodells<br />
zu ermitteln. Das dafür gewählte Untersuchungsdesign umfasst eine Vielzahl von Evaluationsmethoden,<br />
deren Validität jeweils sorgfältig überprüft <strong>und</strong> einzeln nachgewiesen<br />
wurde. Da angesichts des Untersuchungsziels keine repräsentative Stichprobe zugr<strong>und</strong>egelegt<br />
wurde, ist eine Generalisierung der Bef<strong>und</strong>e jedoch nicht möglich.<br />
3. Die „Zweite Ausbildungsphase“ – Freiwillige Fortbildungsseminare<br />
für Fahranfänger<br />
Die Erwartung eines Sicherheitsgewinns durch eine zweite Ausbildungsphase gründete<br />
sich in der Vergangenheit auf die Annahme, dass es nach der Fahrschulausbildung zu<br />
einem Abbau der in der Fahrschule erlernten Fahrweise <strong>und</strong> zu einer Übernahme sicherheitsabträglicher<br />
Verhaltensweisen anderer Verkehrsteilnehmer komme. Aus dieser Annahme<br />
wurde nicht zuletzt die Forderung nach einer Einflussnahme auf Fahranfänger abgeleitet,<br />
die über den Zeitpunkt des Fahrerlaubniserwerbs hinausgeht.<br />
Bereits in den frühen 1990er Jahren wurde in Deutschland der Versuch unternommen,<br />
eine zweite Fahrausbildungsphase zu realisieren. Die Fahranfänger wurden über einen<br />
Zeitraum von 18 Monaten nach dem Führerscheinerwerb durch pädagogische Maßnahmen<br />
unterstützt, zu denen eine zusätzliche Theorieausbildung, Gruppendiskussionen, Informationsbriefe<br />
<strong>und</strong> ein Fahrsicherheitstraining gehörten. Dieses Pilotprojekt mit dem<br />
Titel „Jugend fährt sicher“ wurde vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR e.V.) in<br />
Kooperation mit dem Gesamtverband der Deutschen Versicher (GDV e.V.) ins Leben<br />
gerufen, hatte aber keine obligatorische Einführung zur Folge (<strong>im</strong> Überblick: LEUTNER,<br />
BRÜNKEN & WILLMES-LENZ, 2009).<br />
Im Rahmen einer „Neuauflage“ dieses Maßnahmenansatzes besteht seit dem 01. Januar<br />
2004 in den meisten <strong>B<strong>und</strong></strong>esländern 5 ) die Möglichkeit zur freiwilligen Teilnahme an einem<br />
so genannten „Fortbildungsseminar für Fahranfänger (FSF)“. Im Seminarverlauf nehmen<br />
Fahranfänger an insgesamt drei Gruppensitzungen zu je 90 Minuten, an einer 60-minütigen<br />
Übungs- <strong>und</strong> Beobachtungsfahrt <strong>im</strong> öffentlichen Straßenverkehr <strong>und</strong> an einer praktischen<br />
Sicherheitsübung auf einem geschlossenen Gelände <strong>im</strong> Umfang von 240 Minuten<br />
teil:<br />
– Die erste Gruppensitzung dient unter anderem dem Erfahrungsaustausch zwischen<br />
den Teilnehmern zu bisher erlebten Verkehrssituationen, der Thematisierung von positiven<br />
<strong>und</strong> negativen Veränderungen des „Fahrstils“ nach Beginn des selbständigen<br />
Fahrens sowie der Benennung von noch als schwierig empf<strong>und</strong>enen Anforderungen<br />
<strong>im</strong> Straßenverkehr.<br />
– In der Übungs- <strong>und</strong> Beobachtungsfahrt suchen die Teilnehmer unter anderem jene<br />
Situationen auf, bezüglich derer sie zuvor individuellen Übungsbedarf geäußert<br />
haben, <strong>und</strong> vertiefen die Kenntnisse zu einer umweltschonenden Fahrweise aus der<br />
Fahrausbildung. Die Beobachtungen der mitfahrenden Teilnehmer sowie die Eindrücke<br />
des Fahrers selbst dienen dabei der anschließenden gemeinsamen Auswertung mit<br />
dem Seminarleiter.<br />
– In der zweiten Gruppensitzung werden unter anderem die mögliche Beeinträchtigung<br />
des Fahrverhaltens durch Mitfahrer oder Nebentätigkeiten sowie durch Emotionen <strong>und</strong><br />
Extramotive thematisiert <strong>und</strong> wünschenswerte Gegenstrategien gemeinsam erarbeitet.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Dokumentation II
Dokumentation II<br />
– Im Rahmen der praktischen Sicherheitsübung werden Übungen zum Thema „Bremsen“<br />
unter verschiedenen situativen Bedingungen sowie zum Thema „Kurvenfahren“<br />
mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten durchgeführt. Die Erlebnisse werden von<br />
den Teilnehmern beschrieben <strong>und</strong> Empfehlungen für zukünftiges Verhalten erarbeitet.<br />
– In der dritten Gruppensitzung werden unter anderem die Gefährlichkeit von <strong>Alkohol</strong><strong>und</strong><br />
<strong>Drogen</strong>fahrten thematisiert <strong>und</strong> Vermeidungsstrategien erarbeitet.<br />
Eine Seminarteilnahme ist frühestens sechs Monate nach Erteilung einer Fahrerlaubnis<br />
der Klasse B (bzw. BE) möglich <strong>und</strong> führt dazu, dass die bestehende Probezeit um max<strong>im</strong>al<br />
12 Monate verkürzt wird. Die Maßnahme richtet sich damit vor allem an Fahranfänger<br />
in der regulären Probezeit bzw. auch an solche Fahranfänger, deren Probezeit sich aufgr<strong>und</strong><br />
von Verkehrsdelikten um zwei Jahre verlängert hat.<br />
Vorliegende Evaluationsergebnisse<br />
Um die Wirksamkeit der Maßnahme <strong>im</strong> Sinne von Einstellungsänderungen <strong>und</strong> einer<br />
Verringerung des Unfallrisikos von jungen Fahranfängern zu ermitteln, wurden <strong>im</strong> Auftrag<br />
der <strong>B<strong>und</strong></strong>esanstalt für Straßenwesen (BASt) verschiedene Forschungsprojekte zur summativen<br />
<strong>und</strong> formativen Evaluation vergeben.<br />
In einer Untersuchung von HEINZMANN <strong>und</strong> SCHADE (2009) wurde der Nutzungsumfang<br />
anhand von Änderungsmitteilungen bezüglich der Probezeitdauer <strong>im</strong> Zentralen Fahrerlaubnisregister<br />
für die Jahre 2004 bis 2008 ermittelt: Die Beteiligung an der Maßnahme ist<br />
seit ihrer Einführung insgesamt gering. Im genannten Zeitraum wurde für weniger als ein<br />
Prozent der Fahrerlaubniserteilungen eine Verkürzung der Fahrerlaubnis auf Probe durch<br />
die Teilnahme an einem freiwilligen Fortbildungsseminar für Fahranfänger registriert.<br />
Weiterhin ließen sich durch eine Auswertung von Daten aus dem Verkehrszentralregister<br />
(VZR) zu verkehrsauffälligem Verhalten <strong>im</strong> öffentlichen Straßenverkehr Rückschlüsse auf<br />
die Wirksamkeit der Maßnahme hinsichtlich der Legal-Bewährung von Seminarteilnehmern<br />
ziehen. Eine vergleichende Gegenüberstellung von Seminarteilnehmern <strong>und</strong> Nicht-<br />
Teilnehmern hinsichtlich ihrer Verkehrsauffälligkeit <strong>im</strong> VZR in einem Beobachtungszeitraum<br />
von 12 Monaten nach Ablauf ihrer Probezeit belegte die erwartete geringere<br />
Verkehrsauffälligkeit nach der Teilnahme an einem Fortbildungsseminar nicht. Im Gegenteil:<br />
Wie aus der folgenden Tab. 1 hervorgeht, zeigten sich die Seminarteilnehmer (E) <strong>im</strong><br />
Betrachtungszeitraum bei nahezu allen berücksichtigten Deliktindikatoren (z. B. „Schuldhafter<br />
Unfall“, „Geschwindigkeitsdelikt“, „Straßenverkehrsgefährdung“) häufiger verkehrsauffällig<br />
als die Nicht-Teilnehmer (K); die Unterschiede fallen in einer Reihe von<br />
Fällen signifikant <strong>und</strong> sehr deutlich aus.<br />
223<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
224<br />
In einer Untersuchung zur formativen Evaluation (KERWIEN, 2009) wurden sowohl Seminarleiter<br />
bzw. Moderatoren der praktischen Sicherheitsübungen als auch Seminarteilnehmer<br />
befragt; weiterhin wurden Aspekte der konzeptadäquaten Seminardurchführung<br />
durch teilnehmende Beobachtungen erfasst. Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass<br />
aus Sicht der befragten Seminarleiter die hauptsächliche Teilnahmemotivation der Seminarteilnehmer<br />
in der Verkürzung der Probezeit bestand. Diese Einschätzung wurde durch<br />
die Befragung der Seminarteilnehmer bestätigt, die darüber hinaus den Wunsch, sicherer<br />
fahren zu lernen, <strong>und</strong> die Erwartung einer Verbesserung ihrer Fahrtechnik als Gründe für<br />
ihre Teilnahme angaben. Dabei hatten jene Seminarteilnehmer, deren Probezeit bereits um<br />
zwei Jahre verlängert war, ausgeprägter als die anderen Teilnehmer den Wunsch, die Probezeit<br />
zu verkürzen, <strong>und</strong> sie waren deutlich weniger daran interessiert, sicherer fahren zu<br />
lernen oder ihre Fahrtechniken zu verbessern. Aus Sicht der Seminarteilnehmer waren die<br />
praktischen Sicherheitsübungen der Seminarbestandteil, der inhaltlich am wertvollsten<br />
<strong>und</strong> interessantesten ausfiel, am meisten Spaß machte <strong>und</strong> am ehesten ihren Erwartungen<br />
entsprochen hatte. Die Ergebnisse der teilnehmenden Beobachtungen zur konzeptadäquaten<br />
Seminardurchführung ließen teilweise Vermittlungsprobleme bei best<strong>im</strong>mten Lernzielen<br />
(z. B. bezüglich Fahrmotiven <strong>und</strong> Emotionen), Zeitmanagementprobleme sowie<br />
Abweichungen zwischen den vorgesehenen <strong>und</strong> den tatsächlich erreichten Zielen der<br />
einzelnen Seminarbestandteile erkennen. Im Evaluationsbericht wird entsprechend die<br />
insgesamt hohe Anzahl der vorgesehenen Ziele in den einzelnen Seminarbestandteilen<br />
kritisiert <strong>und</strong> angeregt, diese zu reduzieren <strong>und</strong> in eine Zielhierarchie zu bringen.<br />
Für die summative Evaluation der Maßnahme (RUDINGER & SINDERN, 2009) wurden in<br />
einer vergleichenden Untersuchung von Seminarteilnehmern <strong>und</strong> einer Kontrollgruppe<br />
(parallelisiert bezüglich der Merkmale Geschlecht, Fahrerfahrung <strong>und</strong> Schulabschluss)<br />
mittels Fragebogenerhebungen (vor Seminarteilnahme sowie drei, sechs <strong>und</strong> zwölf Mona-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Dokumentation II<br />
Tab. 1: Quotient der VZR-Auffälligkeitsraten der Untersuchungsgruppen (zweiseitiger Test der Nullhypothese,<br />
Methode: exakter Test nach Fischer; Quelle: Heinzmann et al., 2009).
Dokumentation II<br />
te danach) Ausprägungen in 12 verschiedenen Persönlichkeitsmerkmalen bzw. Konstrukten<br />
6 ) erfasst, in denen durch eine FSF-Teilnahme Veränderungen herbei geführt werden<br />
sollen (beispielsweise zu verkehrsbezogenen <strong>und</strong> risikobezogenen Einstellungen, zum<br />
Gefahrenbewusstsein <strong>und</strong> zur Einschätzung der eigenen Fahrfertigkeiten). Dabei wurde<br />
angenommen, dass bei einer Wirksamkeit der Maßnahme die positiv beeinflussten Ausprägungen<br />
der Teilnehmer in den erfassten Konstrukten in verschiedener Weise erkennbar<br />
würden:<br />
– Bei einem Vorher-Nachher-Vergleich der FSF-Teilnehmer sollten sich nach der Seminarteilnahme<br />
verbesserte Ausprägungen in den betrachteten Merkmalen zeigen als vor<br />
der Teilnahme.<br />
– Um die erreichten Veränderungen der Wirksamkeit der Maßnahme zuschreiben zu<br />
können, wurde außerdem davon ausgegangen, dass sich die infolge der Seminarteilnahme<br />
erwarteten Veränderungen nicht bei jenen Untersuchungsteilnehmern zeigen,<br />
die nicht an einem Seminar teilgenommen haben (Kontrollgruppe).<br />
– Weiterhin wurde die These ungünstiger Lernprozesse nach der Fahrausbildung berücksichtigt<br />
(s. o.), der zufolge Fahranfänger nach dem Beginn des selbständigen Fahrens<br />
die zuvor angeeigneten sicherheitsrelevanten Einstellungen wieder aufgeben. Falls die<br />
sicherheitsrelevanten Einstellungen <strong>im</strong> Untersuchungsverlauf unter jenen Fahranfängern<br />
abnehmen, die nicht an einem Seminar teilgenommen haben, <strong>und</strong> bei den Seminarteilnehmern<br />
unverändert bleiben, würde dies ebenfalls für die Wirksamkeit der<br />
Maßnahme sprechen.<br />
Die meisten der entsprechend dieser Annahmen aufgestellten <strong>und</strong> geprüften Hypothesen<br />
konnten nicht bestätigt werden. So weisen die Daten weder bei einer Betrachtung derselben<br />
Fahranfänger vor <strong>und</strong> nach der Seminarteilnahme noch bei einem Vergleich zwischen<br />
Teilnehmern <strong>und</strong> Nicht-Teilnehmern darauf hin, dass die Maßnahme beispielsweise eine<br />
realitätsgerechtere Einschätzung von Verkehrsanforderungen, eine höhere Bereitschaft<br />
zum Einhalten von Verkehrsregeln, eine selbstkritischere Einschätzung des eigenen Fahrkönnens<br />
oder einen höheren Grad an Selbstreflexion bewirkt. Auch Hinweise darauf, dass<br />
durch eine FSF-Teilnahme ungünstige Lernprozesse nach der Fahrschulausbildung vermieden<br />
oder verringert werden, finden sich in den Untersuchungsergebnissen nicht.<br />
Eine positive Veränderung von Ausprägungen konnte nur bei wenigen Merkmalen nachgewiesen<br />
werden – allerdings unterliegen diese Bef<strong>und</strong>e gewissen Einschränkungen:<br />
– Zwar war die selbstberichtete Risikobereitschaft bei den Seminarteilnehmern ein halbes<br />
Jahr nach ihrer Teilnahme etwas geringer als bei den Nicht-Teilnehmern, jedoch<br />
erscheint dieser Effekt nur schwach. Außerdem zeigte sich insgesamt bei beiden Gruppen<br />
ein Anstieg der selbstberichteten Risikobereitschaft <strong>im</strong> Befragungszeitraum.<br />
– Hinsichtlich des Gefahrenbewusstseins (d. h. der Einschätzung verschiedener Verkehrssituationen<br />
als mehr oder weniger gefährlich) wiesen die Seminarteilnehmer<br />
unmittelbar nach der Seminarteilnahme keine höhere Ausprägung auf als die Nicht-<br />
Teilnehmer. Be<strong>im</strong> dritten Messzeitpunkt zeigte sich jedoch eine signifikant höhere<br />
Ausprägung des Gefahrenbewusstseins bei den Seminarteilnehmern. Hierzu ist allerdings<br />
anzumerken, dass das Gefahrenbewusstsein bei den Seminarteilnehmern bereits<br />
vor der Teilnahme höher ausgeprägt war als in der Kontrollgruppe: Offenbar nehmen<br />
Fahranfänger mit einem hohen Bewusstsein für Gefahren häufiger an einem Fortbildungsseminar<br />
teil <strong>und</strong> werden hierdurch in ihrem Gefahrenbewusstsein weiter bestärkt.<br />
225<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
226<br />
– Die Einschätzung der verkehrssicherheitsrelevanten Fahrkompetenz nahm bei den<br />
Seminarteilnehmern <strong>im</strong> Untersuchungsverlauf zwar zu, jedoch zeigte sich diese Veränderung<br />
auch in der Kontrollgruppe. Die Veränderung ist deshalb offenbar nicht auf<br />
die Maßnahme zurückzuführen.<br />
In der Untersuchung konnte somit keine breite <strong>und</strong> nachhaltige Veränderung in jenen<br />
verkehrssicherheitsrelevanten Einstellungsbereichen nachgewiesen werden, die durch das<br />
freiwillige „Fortbildungsseminar für Fahranfänger“ angesprochen werden sollen.<br />
Methodenkritisch ist zu den vorliegenden Evaluationsergebnissen anzumerken, dass die<br />
Bef<strong>und</strong>e, die aus der Auswertung von Auffälligkeiten <strong>im</strong> Verkehrszentralregister resultieren<br />
(HEINZMANN et al., 2009), nicht dahingehend interpretiert werden können, dass die<br />
freiwillige Teilnahme an einem Fortbildungsseminar zu einem verkehrsauffälligen Fahrverhalten<br />
führt! So wäre es auch möglich, dass besonders jene Fahranfänger von der Maßnahme<br />
angesprochen werden, die ohnehin mit einer erhöhten Risikobereitschaft am Straßenverkehr<br />
teilnehmen. Angesichts der erhöhten Verkehrsauffälligkeit der Seminarteilnehmer<br />
muss jedoch der Teilnahmeanreiz der Probezeitverkürzung dringend hinterfragt<br />
werden.<br />
4. Das „Begleitete Fahren ab 17“<br />
Den Hintergr<strong>und</strong> für die Diskussion in der Fachöffentlichkeit über die Einführung der<br />
Maßnahme des „Begleiteten Fahrens“ in Deutschland bildeten unter anderem Erkenntnisse<br />
aus Unfallanalysen (SCHADE, 2001; MAYCOCK, LOCKWOOD & LESTER, 1991), denen<br />
zufolge das anfänglich besonders hohe Unfallrisiko von Fahranfängern mit zunehmender<br />
praktischer Fahrerfahrung schnell zurückgeht. Die Möglichkeit, dieses hohe Fahranfängerrisiko<br />
durch die Anwesenheit eines fahrerfahrenen Begleiters zu entschärfen, erschien<br />
erfolgversprechend: Mit dem „Begleiteten Fahren“ sollte ein langfristiger sicherheitswirksamer<br />
Fahrerfahrungsaufbau unter geschützten Bedingungen <strong>im</strong> Realverkehr zu Beginn<br />
der Fahrkarriere unterstützt werden. Vorliegende Erfahrungen aus anderen Ländern lieferten<br />
Hinweise auf einen zu erwartenden hohen Sicherheitsertrag durch diese Maßnahme.<br />
So belegte eine Untersuchung aus Schweden eine um 46 Prozent geringere Unfallbeteiligung<br />
von Teilnehmern am „Begleiteten Fahren“ <strong>im</strong> Vergleich mit Fahranfängern, die<br />
lediglich an einer Fahrschulausbildung teilgenommen hatten. Nach rechnerischer Bereinigung<br />
von möglichen Fremdeinflüssen (z. B. durch Selbstselektion) wurde von einer auf die<br />
verlängerte fahrpraktische Erfahrung zurückführbaren Senkung des Anfängerrisikos um<br />
24 bis 40 Prozent innerhalb der ersten zwei Jahre des selbständigen Fahrens ausgegangen<br />
(GREGERSEN & NYBERG, 2002).<br />
Die notwendigen Rahmenbedingungen für die Erprobung des „Begleiteten Fahrens“ in<br />
Deutschland wurden unter anderem dadurch geschaffen, dass das Mindestalter zum Ablegen<br />
der Fahrprüfung auf 17 Jahre gesenkt wurde. Nach bestandener Prüfung darf der Fahranfänger<br />
bis zum vollendeten 18. Lebensjahr lediglich in Anwesenheit einer fahrerfahrenen<br />
<strong>und</strong> verkehrszuverlässigen Begleitperson fahren. Die Begleitperson muss ein<br />
Mindestalter von 30 Jahren erreicht haben <strong>und</strong> seit mindestens fünf Jahren <strong>im</strong> Besitz einer<br />
Fahrerlaubnis der Klasse B sein. Sie fungiert als Ansprechpartner, greift aber nicht direkt<br />
in die Fahrhandlungen ein; dabei übt sie einen mäßigenden Einfluss in Belastungs- <strong>und</strong><br />
Konfliktsituationen aus <strong>und</strong> beantwortet gegebenenfalls die Fragen des Fahrers. Allein der<br />
Fahranfänger ist der verantwortliche Fahrzeugführer. Das Modell „Begleitetes Fahren ab<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Dokumentation II
Dokumentation II<br />
17“ (BF 17) wurde <strong>im</strong> April 2004 zuerst in Niedersachen <strong>und</strong> bis Januar 2008 sukzessive<br />
in allen 16 <strong>B<strong>und</strong></strong>esländern eingeführt.<br />
Vorliegende Evaluationsergebnisse<br />
Hinsichtlich der Akzeptanz der Maßnahme ist von Beginn an eine hohe Inanspruchnahme<br />
zu verzeichnen. So lag der Anteil von Teilnehmern am BF-17-Modell an allen Fahrerlaubniserwerbern<br />
<strong>im</strong> Jahr 2007 bereits bei 25 Prozent <strong>und</strong> stieg bis zum Jahr 2008 auf etwa<br />
35 Prozent an. Das „Begleitete Fahren ab 17“ stellt inzwischen die vorherrschende Form<br />
des Fahrerlaubniserwerbs bei den Früherwerbern einer Fahrererlaubnis der Klassen B/BE<br />
dar (Fahrerlaubniserwerb bis zum Alter von 18 Jahren <strong>und</strong> drei Monaten), die etwa 40 Prozent<br />
aller Fahrerlaubniserwerber in dieser Fahrerlaubnisklasse ausmachen (SCHADE et al.,<br />
2007).<br />
Zur formativen Evaluation (FUNK et al., 2009) des Modellprojekts „Begleitetes Fahren<br />
ab 17“ wurden Angaben zur alltagspraktischen Maßnahmenumsetzung sowohl von jugendlichen<br />
Fahranfängern als auch von ihren Begleitpersonen wiederholt erfasst, wobei<br />
eine Online-Befragung <strong>und</strong> eine Papier-Bleistift-Befragung eingesetzt wurden. Die Fahranfänger<br />
wurden zufällig aus dem Zentralen Fahrerlaubnisregister (ZFER) be<strong>im</strong> Kraftfahrt-<strong>B<strong>und</strong></strong>esamt<br />
ausgewählt <strong>und</strong> <strong>im</strong> 12-monatigen Längsschnitt an insgesamt vier Erhebungszeitpunkten<br />
befragt. Um detaillierte <strong>und</strong> zuverlässige Informationen zur Fahrleistung<br />
<strong>und</strong> zum Fahrkontext zu erhalten, füllten die Befragungsteilnehmer wiederholt<br />
Wochenprotokolle aus, in denen sie retrospektiv Angaben zu interessierenden Merkmalen<br />
des PKW-Nutzungsverhaltens jeweils für den Zeitraum der zurückliegenden Woche machten.<br />
Die Ergebnisse zeigen, dass zwischen dem für den Bewerber frühestmöglichen Zeitpunkt,<br />
die fahrpraktische Fahrerlaubnisprüfung abzulegen, <strong>und</strong> dem tatsächlichen Ablegen<br />
der Fahrprüfung durchschnittlich fünf Monate liegen; die max<strong>im</strong>ale Begleitdauer von<br />
12 Monaten wird demnach von einem Großteil der Fahranfänger nicht ausgenutzt. Im<br />
Durchschnitt umfasste die Begleitphase zwischen sieben <strong>und</strong> acht Monate, wobei <strong>im</strong> Nutzer-Quartil<br />
mit der kürzesten Begleitphase der Begleitzeitraum bis zu fünf Monate dauerte,<br />
<strong>im</strong> Nutzerquartil mit der längsten Begleitphase hin<strong>gegen</strong> 11 bis 12 Monate. Bei einer<br />
ermittelten durchschnittlichen monatlichen Fahrleistung von 318 Kilometern lässt sich für<br />
die Teilnehmer mit einer Begleitphase von acht Monaten eine Fahrleistung von insgesamt<br />
etwa 2.400 Kilometer hochrechnen, bei Nutzung der max<strong>im</strong>alen Länge der Begleitphase<br />
von 12 Monaten werden demnach etwa 3.800 Kilometer zurückgelegt.<br />
Ergebnisse zur summativen Evaluation des „Begleiteten Fahrens“ liegen aus verschiedenen<br />
Studien vor (STIENSMEIER-PELSTER, 2007; SCHADE, FEDDERSEN & HEINZMANN, 2007;<br />
SCHADE & HEINZMANN, 2009). Die erste Studie wurde <strong>im</strong> Auftrag des Niedersächsischen<br />
Verkehrsministeriums von der Universität Gießen durchgeführt; bei den beiden letztgenannten<br />
Studien handelt es sich um Teilstudien aus der BASt-Evaluation zur Sicherheitswirksamkeit<br />
des BF-17-Modells; diese Evaluation wird von der Statistik-Abteilung des<br />
Kraftfahrt-<strong>B<strong>und</strong></strong>esamts durchgeführt. In diesen Studien werden jeweils Gruppen von<br />
BF-17-Teilnehmern <strong>und</strong> von herkömmlich ausgebildeten Fahranfängern hinsichtlich ihrer<br />
Verkehrsbewährung miteinander verglichen.<br />
In allen Studien wurde nach Beginn des selbständigen Fahrens ein deutlich geringeres<br />
Delikt- <strong>und</strong> Unfallrisiko bei den BF-17-Nutzern festgestellt. So wurden bei BF-17-Teilnehmern<br />
in Niedersachsen <strong>gegen</strong>über einer parallelisierten Kontrollgruppe von herkömmlich<br />
227<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
228<br />
ausgebildeten Fahranfängern 22,7 Prozent weniger Verkehrsverstöße <strong>und</strong> 28,5 Prozent<br />
weniger schuldhafte Unfälle während des 18-monatigen Beobachtungszeitraums registriert.<br />
Weiterhin ließen sich Effekte der Länge der max<strong>im</strong>al 12-monatigen Begleitphase<br />
auf die Sicherheitswirksamkeit nachweisen: Bei BF-17-Teilnehmer mit einer Begleitphase<br />
von sechs Monaten <strong>und</strong> mehr zeigten sich 23,1 Prozent weniger Verkehrsverstöße<br />
<strong>und</strong> 57,0 Prozent weniger selbstverschuldete Unfälle <strong>gegen</strong>über BF-17-Teilnehmern mit<br />
einer Begleitphase von unter sechs Monaten (STIENSMEIER-PELSTER, 2007).<br />
Auf eine Sicherheitswirksamkeit des BF-17-Modells deuten auch die Auswertungen auf<br />
der Gr<strong>und</strong>lage von Daten aus dem Verkehrszentralregister (VZR) in der ersten Teilstudie<br />
der BASt-Evaluation hin, in der BF-17-Teilnehmer <strong>und</strong> Fahranfänger mit einer herkömmlichen<br />
Fahrausbildung hinsichtlich ihrer Verkehrsverstöße <strong>und</strong> schuldhaften Unfälle verglichen<br />
wurden (SCHADE, FEDDERSEN & HEINZMANN, 2007). Die <strong>im</strong> Juli 2007 zeitgleich<br />
mit der niedersächsischen Studie veröffentlichten Ergebnisse beziehen sich auf die ersten<br />
drei Monate des selbständigen Fahrens nach dem Erreichen der Volljährigkeit <strong>und</strong> zeigen<br />
bei Fahranfängern, die ihre Fahrerlaubnis auf herkömmlichem Wege erworben hatten, eine<br />
um den Faktor 1,2 höhere Belastung mit Verkehrsverstößen <strong>und</strong> eine 1,3-fach höhere Unfallverursachung.<br />
In der Evaluationsstudie von SCHADE <strong>und</strong> HEINZMANN (2009) wurden Fahranfänger<br />
in den ersten 12 Monaten des selbständigen Fahrens zu Verkehrsauffälligkeiten (über einer<br />
best<strong>im</strong>mten Erheblichkeitsschwelle) an zwei Messzeitpunkten mittels Online-Erhebung<br />
befragt <strong>und</strong> ihre Angaben einer Vergleichsgruppe von Fahranfängern mit einer herkömmlichen<br />
Fahrausbildung <strong>gegen</strong>übergestellt. Bei den BF-17-Teilnehmern konnte auch<br />
nach der Berücksichtigung relevanter maßnahmenunabhängiger Einflussfaktoren (u. a.<br />
Geschlecht, Pkw-Verfügbarkeit) – allerdings bei Nicht-Berücksichtigung der Fahrleistung<br />
– ein um 17 Prozent geringerer Anteil an erheblichen Unfallbeteiligungen <strong>und</strong> ein um 15<br />
Prozent geringerer Anteil an erheblichen Verkehrsverstößen pro 1000 Fahranfänger <strong>und</strong><br />
Jahr ermittelt werden. Bei zusätzlicher Berücksichtigung der Fahrleistung ergab sich für<br />
die BF-17-Teilnehmer <strong>im</strong> Vergleich mit der Kontrollgruppe ein um 22 Prozent geringeres<br />
Unfallrisiko <strong>und</strong> ein um 20 Prozent geringeres Deliktrisiko (s. die folgende Tab. 2).<br />
Es bleibt festzuhalten, dass eine Sicherheitswirksamkeit für das „Begleitete Fahren ab<br />
17“ in verschiedenen Untersuchungen festgestellt werden konnte. Hierbei wurden auch<br />
mögliche konf<strong>und</strong>ierende maßnahmenunspezifische Einflüsse berücksichtigt sowie maß-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Dokumentation II<br />
Tab. 2: Rate der erheblichen Verkehrsauffälligkeiten in den Untersuchungsgruppen pro 1000 Fahrer <strong>und</strong> Jahr<br />
sowie pro Millionen Kilometer (Quelle: Schade et al., 2009).
Dokumentation II<br />
nahmenspezifische Wirkfaktoren (die Länge der Begleitphase, die gefahrenen Kilometer)<br />
für Beobachtungszeiträume von bis zu 18 Monaten identifiziert. Für Aussagen zur Verkehrsbewährung<br />
von BF-17-Teilnehmern in den ersten 24 Monaten des selbständigen Fahrens<br />
bleiben die voraussichtlich Ende 2010 vorliegenden abschließenden Auswertungen<br />
der BASt-Evaluation abzuwarten.<br />
5. Das „Absolute <strong>Alkohol</strong>verbot für Fahranfänger“<br />
Obwohl sich die Zahl der <strong>Alkohol</strong>unfälle mit Personenschaden in den vergangenen drei<br />
Jahrzehnten deutlich verringert hat, stellt <strong>Alkohol</strong> <strong>im</strong> Straßenverkehr noch <strong>im</strong>mer einen erheblichen<br />
Risikofaktor dar. Im Jahr 2007 war <strong>Alkohol</strong>einfluss zwar nur bei r<strong>und</strong> sechs Prozent<br />
aller Unfälle mit Personenschaden eine der Unfallursachen; jedoch starben 11 Prozent<br />
aller Verkehrstoten an den Folgen eines <strong>Alkohol</strong>unfalls. Diese unterschiedlichen Anteile<br />
belegen eine überdurchschnittlich hohe Schwere der <strong>Alkohol</strong>unfälle: Während bei allen<br />
Unfällen mit Personenschaden 15 Getötete <strong>und</strong> 225 Schwerverletzte auf 1.000 Unfälle<br />
kamen, waren es bei den entsprechenden <strong>Alkohol</strong>unfällen 27 Getötete <strong>und</strong> 356 Schwerverletzte<br />
(Statistisches <strong>B<strong>und</strong></strong>esamt, 2008).<br />
Der Einfluss von <strong>Alkohol</strong> auf die Fahrtüchtigkeit wirkt sich bei jungen Fahrern in besonderem<br />
Maße aus. So weisen Untersuchungen aus den USA darauf hin, dass bereits eine<br />
<strong>Blutalkohol</strong>konzentration von 0,1 Promille bei jungen Fahrern unter 21 Jahren zu einem<br />
25-prozentigen Anstieg des Risikos führt, <strong>im</strong> Straßenverkehr zu verunglücken (PREUSSER,<br />
2002). Aufgr<strong>und</strong> mangelnder Fahrerfahrungen <strong>und</strong> Fahrroutinen sind offenbar bereits<br />
geringe Mengen <strong>Alkohol</strong> für junge Fahranfänger als weitaus gefährlicher anzusehen als<br />
für erfahrene Fahrer. Wie aus der nachfolgenden Abb. 1 hervorgeht, stellt <strong>Alkohol</strong> <strong>im</strong><br />
Vergleich zu anderen Unfallursachen jedoch nicht das Hauptunfallrisiko von Fahranfängern<br />
dar.<br />
Abb. 1: Hauptunfallursachen bei PKW-Fahrern, 2008 (Quelle: Einzelauswertung der Amtlichen Unfallstatistik<br />
durch die BASt).<br />
Am 01. August 2007 trat das absolute <strong>Alkohol</strong>verbot für Fahranfänger in Kraft. Seither<br />
besteht nach § 24c des Straßenverkehrsgesetzes während der Probezeit <strong>und</strong> bis zur Vollen-<br />
229<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
230<br />
dung des 21. Lebensjahres ein absolutes <strong>Alkohol</strong>verbot 7 ) am Steuer. Bei Verstößen müssen<br />
Fahranfänger ein Bußgeld in Höhe von 125 Euro zahlen; darüber hinaus bekommen sie<br />
zwei Punkte <strong>im</strong> Verkehrszentralregister <strong>und</strong> werden zur Teilnahme an einem kostenpflichtigen<br />
Aufbauseminar verpflichtet. Außerdem verlängert sich die Probezeit um weitere<br />
zwei Jahre. Mit dieser Maßnahme soll das ohnehin hohe Unfallrisiko von Fahranfängern<br />
<strong>im</strong> Bereich der alkoholbedingten Unfälle verringert werden (KRELL, 2007).<br />
Vorliegende Evaluationsergebnisse<br />
Aus der Betrachtung der amtlichen Unfallstatistik für den Zeitraum vor <strong>und</strong> nach der<br />
Maßnahmeneinführung geht hervor, dass die Unfälle unter <strong>Alkohol</strong>einfluss nach Einführung<br />
der Maßnahme in der Zielgruppe zurückgegangen sind. Ein möglicher maßnahmenbedingter<br />
Effekt ist demnach erkennbar, wenngleich dieser relativ gering ausfällt (s. die<br />
folgende Tab. 3).<br />
Inwieweit der hier dargestellte Trend eines Rückgangs be<strong>im</strong> Anteil von <strong>Alkohol</strong>unfällen<br />
an den Unfällen mit Personenschaden oder schwerwiegendem Sachschaden in der Zielgruppe<br />
der Fahranfänger auf die Maßnahmenwirkung zurückzuführen ist, bleibt bis zur<br />
Durchführung geeigneter Evaluationsstudien offen. Bei der Bewertung eines möglichen<br />
Effekts ist darüber hinaus in Rechnung zu stellen, dass die Neueinführung einer solchen<br />
Maßnahme dazu führen kann, diese besonders hervorzuheben (z. B. in den Medien) <strong>und</strong><br />
somit bei der Zielgruppe bekannt zu machen. Bei einer Beurteilung der längerfristigen<br />
Maßnahmenwirksamkeit muss deshalb auch berücksichtigt werden, wie intensiv die<br />
Durchsetzung der Maßnahme kontrolliert wird <strong>und</strong> wie die Kontrollpraxis <strong>im</strong> Bewusstsein<br />
jugendlicher Fahrer repräsentiert ist.<br />
Gr<strong>und</strong>sätzlich scheint die Akzeptanz eines <strong>Alkohol</strong>verbots bei jugendlichen Fahrern<br />
hoch auszufallen. Eine Befragung von Fahranfängern in europäischen Ländern <strong>im</strong> Rahmen<br />
des EU-Projekts SARTRE (SARDI & EVERS, 2004) zeigte, dass ein absolutes <strong>Alkohol</strong>verbot<br />
von 45 Prozent aller Befragten für sinnvoll erachtet wird. Laut den Ergebnissen<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Dokumentation II<br />
Tab. 3: Beteiligte Pkw-Fahrer an Unfällen mit Personenschaden sowie an schwerwiegenden Unfällen mit<br />
Sachschaden (Quelle: Einzelauswertung der Amtlichen Unfallstatistik durch die BASt).
Dokumentation II<br />
einer Befragung von 1.100 Fahrern durch DEKRA zur Akzeptanz der Maßnahme befürworteten<br />
83,5 Prozent der befragten 16- bis 25-Jährigen das eingeführte <strong>Alkohol</strong>verbot für<br />
Fahranfänger. Insgesamt wurde die neue Regelung von 86,4 Prozent der befragten Autofahrer<br />
aller Altersstufen begrüßt (DVR, 2007).<br />
6. Fazit <strong>und</strong> Ausblick<br />
Der Verkehrsgerichtstag hat in der Vergangenheit wiederholt Maßnahmen zur Verringerung<br />
des hohen Unfallrisikos von jungen Fahrern empfohlen <strong>und</strong> sich zuletzt auch der innovativen<br />
Maßnahmenperspektive eines vorbereitenden fahrpraktischen Fahrerfahrungsaufbaus<br />
<strong>im</strong> Sinne des „Begleiteten Fahrens“ geöffnet. Eine Reihe dieser Maßnahmen<br />
wurde in den letzten Jahren eingeführt bzw. erprobt; dem entsprechend liegen nun umfangreiche<br />
wissenschaftliche Evaluationsstudien zur Sicherheitswirksamkeit vieler Maßnahmenansätze<br />
vor. Mit dem vorliegenden Beitrag wurden auf der Gr<strong>und</strong>lage dieser vorliegenden<br />
Evaluationsstudien die wesentlichen Maßnahmenerfahrungen während des zurückliegenden<br />
Jahrzehnts in Form eines Überblicks zusammengestellt.<br />
Auf die Phasen der Maßnahmenentwicklung <strong>und</strong> Maßnahmenerprobung muss nun mit<br />
Hilfe der Evaluationsergebnisse eine Phase der Maßnahmenopt<strong>im</strong>ierung folgen: Maßnahmen<br />
mit einer empirisch belegten Sicherheitswirksamkeit sollten <strong>im</strong> Interesse einer<br />
Ausschöpfung ihres Sicherheitspotentials weiter opt<strong>im</strong>iert werden; Maßnahmen, deren<br />
Sicherheitswirksamkeit nicht nachgewiesen werden konnte, sollten hinsichtlich ihrer<br />
Konzeptgr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> möglicher Maßnahmenalternativen überdacht werden. Die dargestellten<br />
Bef<strong>und</strong>e kennzeichnen also nicht das Ende eines Entwicklungsprozesses; sie markieren<br />
vielmehr ein Etappenziel auf dem Weg zu einer verbesserten Fahranfängervorbereitung,<br />
die dem ehrgeizigen Ziel folgt, die überdurchschnittliche Unfallgefährdung von<br />
Fahranfängern zunehmend abzubauen. Darüber hinaus haben die Evaluationsstudien der<br />
letzten zehn Jahre gezeigt, dass sich die Erprobung begründeter Maßnahmenkonzepte lohnen<br />
kann, auch wenn sie hergebrachten Denkweisen widersprechen, <strong>und</strong> dass eine empirische<br />
Überprüfung der Maßnahmenwirksamkeit unverzichtbar ist, um erfolgversprechende<br />
Wege zur Verbesserung der Fahranfängersicherheit erkennen zu können.<br />
Fußnoten<br />
1 ) Die Probezeit wird <strong>im</strong> Verkehrszentralregister be<strong>im</strong> Kraftfahrtb<strong>und</strong>esamt registriert, d. h. bei der Eintragung<br />
von Verkehrsverstößen wird festgestellt, ob der jeweilige Kraftfahrer Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe ist<br />
<strong>und</strong> ob Maßnahmen veranlasst werden müssen.<br />
2 ) Als „schwerwiegende“ Verkehrsverstöße gelten unter anderem Nötigung, Vorfahrtverletzung mit Gefährdung<br />
eines Anderen, ein Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um mehr als 20 km/h oder ein zu geringer<br />
Sicherheitsabstand.<br />
3 ) Zu den „weniger schwerwiegenden“ Verstößen zählen beispielsweise die Gefährdung oder Behinderung von<br />
Fußgängern oder Radfahrern be<strong>im</strong> Abbiegen oder das Telefonieren mit einem Mobiltelefon ohne Freisprecheinrichtung.<br />
4 ) Die Autoren wählten dieselben <strong>B<strong>und</strong></strong>esländer, die bereits bei der Untersuchung von MEEWES <strong>und</strong> WEIßBRODT<br />
(1992) einbezogen wurden. Damals hatten sich Unterschiede in der Entwicklung von Verkehrsgefahren für<br />
Fahranfänger zwischen beiden <strong>B<strong>und</strong></strong>esländern gezeigt, die möglicherweise mit der eher ländlichen Struktur<br />
Bayerns <strong>und</strong> der eher städtischen Struktur Nordrhein-Westfalens zusammenhängen.<br />
5 ) Ausnahmen stellen Niedersachsen, Schleswig-Holstein <strong>und</strong> Mecklenburg-Vorpommern dar.<br />
6 ) Eine Überprüfung der Sicherheitswirksamkeit anhand der Unfallbeteiligung von Seminarteilnehmern war<br />
nicht zuletzt wegen der insgesamt kleinen Gr<strong>und</strong>gesamtheit von Seminarteilnehmern nicht möglich.<br />
231<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
232<br />
7 ) Die Festlegung einer best<strong>im</strong>mten Promille-Grenze ist aus messtechnischen Gründen problematisch. Sie kann<br />
außerdem dazu verleiten, dass versucht wird, sich an diese Grenzen „heranzutrinken“. Die getroffene Regelung<br />
umfasst deshalb ein Handlungsverbot für<br />
1 ) – das Zusichnehmen alkoholischer Getränke be<strong>im</strong> Führen eines Kraftfahrzeugs <strong>und</strong><br />
1 ) – das Antreten der Fahrt unter der Wirkung solcher Getränke.<br />
Literatur<br />
Biermann, A., Skottke, E.-M., Anders, S., Brünken, R., Debus, G. & Leutner, D. (2008). Entwicklung <strong>und</strong> Überprüfung<br />
eines Wirkungsmodells – Eine Quer- <strong>und</strong> Längsschnittstudie. In: Debus, G., Leutner, D., Brünken,<br />
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Dütschke, E., Skottke, E.-M., Ising, M., Biermann, A., Brünken, R., Debus, G. & Leutner, D. (2008). Auswirkungen<br />
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– Wirksamkeitsuntersuchung. Schlussbericht zum Forschungsprojekt FE 82.307/2006 der <strong>B<strong>und</strong></strong>esanstalt für<br />
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Schade, F.-D., Feddersen, S. & Heinzmann, H.-J. (2007). Summative Evaluation des Begleiteten Fahrens ab 17.<br />
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Kraftfahrt-<strong>B<strong>und</strong></strong>esamt, Abteilung Statistik, Flensburg.<br />
Schade, F.-D., Heinzmann, H.-J. (2009). Summative Evaluation des Begleiteten Fahrens ab 17. Sonderauswertung:<br />
Erste Evaluationsergebnisse auf Basis der selbstberichteten Verkehrsauffälligkeit. Forschungsprojekt<br />
FE 82.0316/2006 der <strong>B<strong>und</strong></strong>esanstalt für Straßenwesen. Juli 2007, Kraftfahrt-<strong>B<strong>und</strong></strong>esamt, Abteilung Statistik,<br />
Flensburg.<br />
Statistisches <strong>B<strong>und</strong></strong>esamt (2008).Verkehrsunfälle – <strong>Alkohol</strong>unfälle <strong>im</strong> Straßenverkehr – 2007. Statistisches<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esamt, Wiesbaden.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Dokumentation II
Dokumentation II<br />
Statistisches <strong>B<strong>und</strong></strong>esamt (2009). Unfallbilanz 2008: Trotz Tiefstand zwölf Verkehrstote täglich.<br />
http://www.presseportal.de/meldung/1436746/<br />
Stiensmeier-Pelster, J. (2007). Abschlussbericht zum Niedersächsischen Modellversuch Begleitetes Fahren ab<br />
17. Niedersächsisches Ministerium für Wirtschaft, Arbeit <strong>und</strong> Verkehr.<br />
Anschrift des Verfassers<br />
Prof. Dr. Dietmar Sturzbecher<br />
Institut für angewandte Familien-, Kindheits- <strong>und</strong> Jugendforschung (IFK) e.V.<br />
an der Universität Potsdam<br />
Burgwall 15<br />
16727 Oberkrämer/ OT Vehlefanz<br />
Email: dietmar@sturzbecher.de<br />
233<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
234 Dokumentation II<br />
Presseinformationen zu den weiteren Referaten des Arbeitskreises<br />
1. „Unfallrisiko ‚junge Fahrer‘. Neue Lösungsansätze“<br />
Referent: Georg Willmes-Lenz (<strong>B<strong>und</strong></strong>esamt für Straßenwesen, Bergisch-Gladbach)<br />
Ausgehend vom wissenschaftlichen Erkenntnisstand zur Sicherheitswirksamkeit von<br />
Maßnahmen für Fahranfänger <strong>und</strong> vor dem Hintergr<strong>und</strong> neuer Maßnahmenerfahrungen in<br />
Deutschland – insbesondere mit den Erprobungsmodellen „Freiwillige Fortbildungsseminare<br />
für Fahranfänger“ <strong>und</strong> „Begleitetes Fahren ab 17“ – werden zentrale Erfordernisse für<br />
eine sicherheitswirksame Ausgestaltung des Systems der Fahranfängervorbereitung herausgearbeitet<br />
<strong>und</strong> Ansatzpunkte für weiterführende Maßnahmenperspektiven best<strong>im</strong>mt.<br />
2. „Ursachenanalyse“<br />
Referent: Prof. Dr. Hans-Peter Krüger (Universität Würzburg, Lehrstuhl für<br />
Psychologie III, Fachbereich Methoden <strong>und</strong> Verkehrspsychologie)<br />
Die bisherigen Ausbildungskonzepte basieren vor allem auf der Vorstellung des Fahrschülers<br />
als eines defizitären Wesens, der über stark psychologisierende Methoden zu<br />
einem sicheren Fahren erzogen werden muss. Das risikomindernde Potential der aus diesem<br />
Ansatz heraus entwickelten Maßnahmen wird allerdings langsam asymptotisch. Eine<br />
Vielzahl von unterschiedlichen Varianten des Theorie-Praxis-Verhältnisses in der Ausbildung,<br />
der Zahl <strong>und</strong> Abfolge von Mehrphasenmodellen hat in der Vergangenheit Erfolge erbracht,<br />
ohne dass genau gezeigt werden konnte, womit der Effekt erzielt wurde. Im Gr<strong>und</strong>e<br />
wissen wir bis heute nicht genau, wie sich das Fahren lernen abspielt <strong>und</strong> wovon dessen<br />
Erfolg abhängt.<br />
Größere Effekte sind künftig nur über neue Ansätze möglich. Drei Richtungen lassen<br />
sich identifizieren. Zum einen muss der bereits mit großem Erfolg eingeschlagene Weg des<br />
Fahrenlernens durch Fahren in seiner Realisierung des begleiteten Fahrens ausgebaut werden.<br />
„Exercise“ ist neben den drei großen E’s der Prävention (Education, Engineering, Enforcement)<br />
als eigene Säule einzuführen. Um die Maßnahme weiter zu schärfen, ist eine<br />
bislang ausgebliebene Analyse des Wirkmechanismus zwingend vonnöten. Erst wenn wir<br />
verstehen, weshalb die Effekte auftreten, welche Rolle das Fahren <strong>und</strong> welche Rolle die<br />
soziale Situation des Begleitens spielt, sind die Erfolge zu steigern.<br />
Der zweite vielversprechende Ansatz verlangt einen expliziten Einsatz der Technik unter<br />
Nutzung der großen Erfolge von technischen Sicherheitssystemen <strong>im</strong> Fahrzeugbau. Wären<br />
die Fahrzeuge von Fahranfängern mit Systemen wie dem ESP ausgestattet, würden die<br />
tödlichen Unfälle drastisch reduziert. Allein dies würde eine solche Einführung rechtfertigen,<br />
aber auch das Ergebnis einer volkswirtschaftlichen Analyse hierzu wäre in höchstem<br />
Grade spannend. Zur Frage der Technik gehört auch der Zustand der Fahrzeuge von Fahranfängern.<br />
Wenn über die Hälfte dieser Fahrer mit Fahrzeugen unterwegs sind, die älter<br />
sind als 8 Jahre <strong>und</strong> bei denen 80 % gravierende Sicherheitsmängel aufweisen, verlagert<br />
sich das Problem der jungen Fahrer von einer edukativen Prävention zum Teil zu einem<br />
schlicht volkswirtschaftlichen Problem.<br />
Die rasante Entwicklung der mult<strong>im</strong>edialen Informationsvermittlung mit einer Verfügbarkeit<br />
zu jeder Zeit an jedem Ort hat die Wahrnehmungs- <strong>und</strong> Wissenswelt junger Menschen<br />
bereits drastisch verändert <strong>und</strong> wird dies in Zukunft noch mehr tun. Es ist dringend<br />
vonnöten, dass sich das komplexe Erlernen des Fahrens dieser Methoden bedient. Dazu<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Dokumentation II<br />
gehört eine Aufhebung des Theorie-Praxis-Gegensatzes durch eine ganzheitliche Vermittlung<br />
<strong>im</strong> Handlungsvollzug ebenso wie der Einsatz von Fahrs<strong>im</strong>ulatoren, mit denen gezielt<br />
Gefahrensituationen hergestellt werden können.<br />
Alle drei neuen Ansätze verlangen nach einer wissenschaftlichen F<strong>und</strong>ierung, um vom<br />
bloßen Probieren zu begründeten Maßnahmen zu kommen. Betrachtet man die Forschungsausgaben<br />
zur Bewältigung des Problems der jungen Fahrer, bemerkt man ein eklatantes<br />
Missverhältnis zwischen dem öffentlichen <strong>und</strong> politischen Beklagen des Zustands<br />
<strong>und</strong> der Allokation von Mitteln.<br />
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235<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
236 Zur Information<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Zur Information<br />
Großbritannien: Autofahrer für strengere<br />
<strong>Alkohol</strong>- <strong>und</strong> <strong>Drogen</strong>richtlinien<br />
Über 70 Prozent der britischen Autofahrer befürworten eine Senkung der gesetzlichen<br />
Promillegrenze bei <strong>Alkohol</strong> <strong>im</strong> Straßenverkehr. Ganze 92 Prozent sprachen sich für eine<br />
Neuregelung <strong>gegen</strong> <strong>Drogen</strong> am Steuer aus. Dies ist das Ergebnis einer Umfrage der<br />
„Brake“- Stiftung für Verkehrssicherheit unter 800 Autofahrern.<br />
Derzeit gilt in Großbritannien für <strong>Alkohol</strong> am Steuer eine Grenze von 0,8 Promille.<br />
Untersuchungen hatten ergeben, dass sich bei diesem Wert das Unfallrisiko bereits verfünffachen<br />
kann. Über die Hälfte der Befragten unterstützten einen Höchstwert von<br />
0,2 Promille. 16 Prozent begrüßten den Richtwert der EU-Kommission, der den zulässigen<br />
Grenzwert für <strong>Blutalkohol</strong> auf 0,5 Promille festsetzt. Bisher gelten nur in Großbritannien<br />
<strong>und</strong> auf Malta höhere <strong>Blutalkohol</strong>grenzen als von der zuständigen EU-Kommission empfohlen.<br />
(Aus einer Pressemitteilung des Deutschen Verkehrssicherheitsrates, DVR,<br />
vom 17. März 2010)<br />
The role of the drinking driver in traffic accidents<br />
(THE GRAND RAPIDS STUDY)<br />
R. F. Borkenstein<br />
R. F. Crowther, R. P. Shumate, W. B. Ziel, R. Zylman<br />
1974:<br />
Second Edition prepared especially for BLUTALKOHOL<br />
(Re-edited by R. F. Borkenstein)<br />
CENTER FOR STUDIES OF LAW IN ACTION<br />
DEPARTMENT OF FORENSIC STUDIES<br />
(formerly Department of Police Administration)<br />
INDIANA UNIVERSITY<br />
BLOOMINGTON, INDIANA U.S.A.<br />
132 pages, stitched, 14,33 €, US $ 20,–<br />
Steintor-Verlag GmbH, Grapengießerstraße 30, 23556 Lübeck,<br />
Postfach 32 48, 23581 Lübeck<br />
Seiten 236–244
Zur Information<br />
USA: <strong>Alkohol</strong> verantwortlich für steigende Unfallzahlen bei<br />
jungen Autofahrerinnen<br />
Eine Studie in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Injury Prevention“ stellt fest,<br />
dass in den USA zunehmend mehr junge Autofahrerinnen unter <strong>Alkohol</strong>einfluss in tödliche<br />
Verkehrsunfälle verwickelt werden. Für die Untersuchung werteten die Wissenschaftler<br />
Unfalldaten der Jahre 1995 bis 2007 aus.<br />
Sie unterschieden fünf Altersgruppen junger Autofahrerinnen <strong>und</strong> -fahrer zwischen 16<br />
<strong>und</strong> 24 Jahren sowie die <strong>Blutalkohol</strong>konzentrationen. Im Untersuchungszeitraum kam es<br />
in den Zielgruppen zu insgesamt 180.000 tödlichen Verkehrsunfällen. Bei den Männern in<br />
den Altersgruppen bis 20 Jahre war ein stetiger Rückgang der Unfallzahlen, gemessen am<br />
Anteil an der Bevölkerung, bis zum Jahr 2007 festzustellen. In der Altersgruppe 21 bis 24<br />
Jahre blieben die Zahlen unverändert.<br />
Die Quote der Unfälle, die von Frauen verursacht wurden, war insgesamt geringer, zeigte<br />
jedoch eine andere Entwicklung. Während die Unfallzahlen in den Altersgruppen bis 18<br />
Jahre sanken oder konstant blieben, stiegen sie bei den 19- bis 24-Jährigen stetig an. Auch der<br />
Gesamtanteil der Frauen, die unter <strong>Alkohol</strong>einfluss einen tödlichen Unfall verursachten, war<br />
mit 3,1 Prozent höher als bei den Männern (1,2 Prozent). Nach Wochentagen betrachtet, stieg<br />
der Anteil der Frauen, die alkoholbedingt in einen tödlichen Verkehrsunfall verwickelt wurden,<br />
<strong>im</strong> Untersuchungszeitraum um 3,5 Prozent an Wochentagen <strong>und</strong> um 2,2 Prozent an<br />
Wochenenden. Bei den Männern betrugen die Steigerungen 1,5 Prozent <strong>und</strong> 0,4 Prozent.<br />
Im Jahr 2007 war <strong>Alkohol</strong> die Ursache für ein Drittel aller tödlichen Verkehrsunfälle in<br />
den USA.<br />
(Aus einer Pressemitteilung des Deutschen Verkehrssicherheitsrates, DVR,<br />
vom 19. Februar 2010)<br />
Anmerkung der Schriftleitung: In der Original-Mitteilung der Science<br />
Daily vom 18. Februar 2010 heißt es:<br />
Alcohol Implicated in Rising Toll of Fatal Car Crashes Involving Young Women Drivers<br />
ScienceDaily (Feb. 18, 2010) — Alcohol is an increasingly <strong>im</strong>portant factor in the rising toll of fatal car crashes<br />
involving young women drivers in the US, indicates research published in Injury Prevention. In 2007 alone, alcohol<br />
related fatal car crashes accounted for almost a third of the total in the US. The research team analysed data from<br />
the US National Highway Traffic Safety Administration on fatal road traffic collisions for the years 1995 to 2007<br />
inclusive. They looked at the proportion of drivers whose blood samples had contained alcohol across five age<br />
bands: 16; 17; 18; 19 to 20; and 21 to 24 years. Blood alcohol levels were categorised as 0.01 to 0.07 g/dl, which is<br />
below the legal drink drive l<strong>im</strong>it in the US; 0.08 to 0.14 g/dl, which is at or above the legal drink drive l<strong>im</strong>it; and<br />
0.15 and above, at which level a driver has a 100-fold increased risk of a collision. In all, there were just short of<br />
180,000 fatal car crashes among drivers aged 16 to 24 during the study period. Rates among young men fell year<br />
on year by 2.5 crashes per 100,000 of the population. They fell in all four age groups up to the age of 20 and remained<br />
the same for those aged 21 to 24 between 1995 to 2007. The rates among young women were much lower<br />
than those of their male peers in each of the years studied, but they did not follow the same patterns. Among 16 year<br />
old women drivers, the rate fell by 0.8 per 100,000 of the population and remained the same for 17 and 18 year olds.<br />
And it increased by 0.7 per 100,000 of the population among 19 year olds and by 0.6 per 100,000 for those aged 21<br />
to 24. The increase in the proportion of young female drivers with a positive blood alcohol test involved in a fatal<br />
collision was also greater (3.1%) than it was for young male drivers (1.2 %). The highest increase in fatal collisions<br />
was among drivers with a blood alcohol of 0.15 g/dl or higher. This rose 2 % among women compared with 2.4 %<br />
among young men. But the increase in the proportion of young drivers involved in fatal crashes with positive blood<br />
alcohol tests at all t<strong>im</strong>es of the week was greater among young women than it was among young men. This rose by<br />
3.5 % on weekdays and 2.2 % at weekends among young women compared with 1.5 % and 0.4 %, respectively,<br />
among young men. The authors point out that the gender patterns evident in this study mirror increasing trends in<br />
drug misuse among young women, possibly as a result of changing social and cultural norms.<br />
237<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
238 Zur Information<br />
Eintragungen in das Verkehrszentralregister – Auszug aus dem<br />
Jahresbericht 2009 des Kraftfahrt-<strong>B<strong>und</strong></strong>esamtes * )<br />
Fahrverbote seit 1991 fast verfünffacht<br />
Der Rückblick auf die letzten neunzehn Jahre zeigt, dass Fahrverbote heutzutage fast<br />
fünfmal so häufig verhängt werden wie <strong>im</strong> Jahr 1991 (siehe Diagramm 6). Ausgehend von<br />
r<strong>und</strong> 100.000 Fahrverboten 1991 entwickelte sich diese Zahl mit leichten Schwankungen<br />
aufwärts <strong>und</strong> zeigt 2009 einen Stand von gut 470.000 Fahrverboten.<br />
Ein besonders starker Zuwachs kann für den Zeitraum 1991 bis 1994 festgehalten<br />
werden. Eine Hauptursache dürfte die deutsche Wiedervereinigung sein. Nicht nur das<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esgebiet, sondern auch die Kopfzahl der Bevölkerung <strong>und</strong> der Motorisierungsgrad<br />
entwickelten sich positiv. Damit stieg auch die Zahl der Verkehrsdelinquenten, die in dieser<br />
Statistik erfasst werden. Zudem führen – seit dem Bußgeldkatalog vom Oktober 1991<br />
<strong>und</strong> der in der Folge veränderten Rechtsprechungspraxis – Geschwindigkeitsdelikte <strong>und</strong><br />
das Überfahren einer roten Ampel häufiger direkt zum Fahrverbot. Da solche Rotlichtverstöße<br />
durch Kameras einfach zu erfassen sind, kommt auch dies als Gr<strong>und</strong> für höhere Fallzahlen<br />
in Betracht.<br />
Seit dem Jahr 2006 stagniert die Anzahl der verhängten Fahrverbote. Ob dies nur eine<br />
Zwischenepisode darstellt oder auf eine Trendwende hindeutet, muss – nicht zuletzt aus<br />
methodischen Gründen – weiter beobachtet werden.<br />
Ob Trendwende oder nicht: Das Fahrverbot bleibt absehbar die häufigste aller Fahrerlaubnismaßnahmen.<br />
Mit Fahrverboten wurde <strong>und</strong> wird vor allem das zu schnelle Fahren<br />
* ) Der vollständige Bericht ist einzusehen unter http://www.kba.de<br />
1 ) Schnellauswertung der <strong>im</strong> Jahr 2009 automatisiert eingegangenen Mitteilungen.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Diagramm 6: Fahrverbote in den Jahren 1991 bis 2009.
Zur Information<br />
bestraft. Bei einem Fahrverbot muss der betroffene Autofahrer zwischen einem <strong>und</strong> drei<br />
Monaten darauf verzichten, sich selbst hinter das Steuer zu setzen. Einen Beitrag zur Verkehrssicherheit<br />
leisten Verkehrsteilnehmer, wenn sie das eigene Fahrverhalten <strong>und</strong> vor<br />
allem die eigene Geschwindigkeit aufmerksam kontrollieren.<br />
Verkehrsverstöße <strong>und</strong> Punktestände – kaum Veränderungen<br />
Noch <strong>im</strong>mer sind die Männer mit 78,1 Prozent (6,999 Mio.) <strong>im</strong> Verkehrszentralregister<br />
(VZR) in der Mehrzahl. Eine Gemeinsamkeit haben Männer <strong>und</strong> Frauen: sie werden überwiegend<br />
wegen Geschwindigkeitsübertretungen in das Register eingetragen. <strong>Alkohol</strong>fahrten<br />
stehen bei den Herren an Platz zwei, bei den Damen sind es Vorfahrtverletzungen.<br />
Diese Erkenntnisse bestätigten die Auswertungen der vergangenen Jahre.<br />
74,3 Prozent der Eingetragenen verfügen auf ihren Punktekonten über ein eher geringes<br />
Guthaben von 1 bis 7 Punkten, davon 1,650 Millionen (84,0 %) Damen <strong>und</strong> 5,010 Millionen<br />
(71,6 %) Herren.<br />
Den Betroffenen geschieht zunächst nichts, denn bei 1 bis 7 Punkten sieht das Straßenverkehrsgesetz<br />
noch keine weiteren Sanktionsmaßnahmen vor.<br />
Das ändert sich ab einem Punktestand von 8 bis 13 Punkten. Das KBA benachrichtigt ab<br />
8 Punkten die für den Verkehrsteilnehmer zuständige Straßenverkehrsbehörde. Diese versendet<br />
zunächst eine kostenpflichtige Verwarnung <strong>und</strong> verweist auf die Möglichkeit zur<br />
Teilnahme an einem Aufbauseminar. Diese Maßnahme traf 5,1 Prozent (461.000) aller eingetragenen<br />
Personen, denn sie erreichten mehr als 7 Punkte.<br />
Erreicht ein Verkehrsteilnehmer 14 bis 17 Punkte, wird ein Aufbauseminar angeordnet<br />
<strong>und</strong> ab 18 Punkten – so steht es <strong>im</strong> Straßenverkehrsgesetz – ist die Fahrerlaubnis zu entziehen.<br />
Auf 14 <strong>und</strong> mehr Punkte kamen jedoch lediglich 0,9 Prozent (77.000) der Registrierten,<br />
weil infolge schwerwiegender Verkehrsverstöße bei Personen mit vielen Punkten häufig<br />
auf die Nichteignung zum Führen von Fahrzeugen <strong>im</strong> Straßenverkehr erkannt, die Fahrerlaubnis<br />
entzogen <strong>und</strong> der Punktestand auf null gesetzt wird.<br />
Etwa ein Sechstel (1,660 Millionen) der <strong>im</strong> VZR eingetragenen Personen hat keine<br />
Punkte: Bei den Männern sind es 20,2 Prozent <strong>und</strong> bei den Frauen 12,4 Prozent. Zu dieser<br />
Gruppe gehören neben den Personen, denen die Fahrerlaubnis (noch) entzogen ist, auch<br />
diejenigen, die nach anschließender Neuerteilung noch nicht wieder aufgefallen sind.<br />
Ferner zählen auch die Personen dazu, die nie eine Fahrerlaubnis hatten <strong>und</strong> dennoch<br />
verkehrsauffällig wurden.<br />
239<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
240 Zur Information<br />
Deutlich weniger Punkte-Abbau<br />
Seit dem 01. 01.1999 können Verkehrssünder durch eine freiwillige Teilnahme an einem<br />
Aufbauseminar oder einer verkehrspsychologischen Beratung einen Teil ihrer Punkte <strong>im</strong><br />
VZR abbauen. Die Teilnahme an einem Aufbauseminar wird bei einem Punktestand bis zu<br />
8 Punkten mit einem Abzug von 4 <strong>und</strong> bei 9 bis 13 Punkten mit einem Abzug von 2 Punkten<br />
belohnt. N<strong>im</strong>mt eine Person freiwillig an einer verkehrspsychologischen Beratung teil,<br />
bekommt sie 2 Punkte <strong>im</strong> VZR erlassen. Dadurch erhält der Verkehrsdelinquent eine zusätzliche<br />
Bewährungschance.<br />
Im Jahr 2009 nahmen r<strong>und</strong> 20.400 <strong>im</strong> VZR eingetragene Personen die Möglichkeit des<br />
Punkteabbaus in Anspruch (siehe Tab. 13). Davon legten 16.400 eine Bescheinigung über<br />
die freiwillige Teilnahme an einem Aufbauseminar vor. Gegenüber dem Vorjahr bedeutet<br />
dies insgesamt eine Abnahme um etwa 17 Prozent.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Tab. 12: Im Verkehrszentralregister eingetragene Personen am 01.01.2010 1 ).<br />
Tab. 13: Punkterabatt 2008 <strong>und</strong> 2009 (Zahlen auf 100 ger<strong>und</strong>et).<br />
1 ) Prozentuale Verteilung gemäß Stichprobe zum VZR-Bestand vom 01.01.2009.<br />
2 ) Einschließlich ohne Angabe zum Geschlecht.<br />
3 ) Ohne Personen, deren Puntestand nicht mittels DV-Programm berechnet werden konnte (insgesamt 1,2 Prozent).
Zur Information<br />
Zum Vergleich: Im Jahr 2009 wurden insgesamt r<strong>und</strong> 105.000 Teilnahmebescheinigungen<br />
nach einem angeordneten Aufbauseminar <strong>im</strong> Rahmen der Fahrerlaubnis auf Probe<br />
oder des Punktesystems ausgestellt. Daran gemessen fällt die Zahl der o. g. freiwilligen<br />
Teilnahmen doch eher bescheiden aus.<br />
Zahl der <strong>Drogen</strong>verstöße ist rückläufig<br />
200.200 <strong>Alkohol</strong>- <strong>und</strong> andere <strong>Drogen</strong>delikte wurden <strong>im</strong> abgelaufenen Jahr <strong>im</strong> VZR eingetragen<br />
– das entspricht einem erfreulich deutlichen Rückgang um r<strong>und</strong> 10 Prozent (siehe<br />
Tab. 14). Im Vergleich zum Vorjahr sind sowohl die <strong>Alkohol</strong>delikte (–10,6 %) als auch<br />
erstmals nennenswert die <strong>Drogen</strong>verstöße (– 4,2 %) rückläufig. Dennoch waren diese<br />
Delikte noch <strong>im</strong>mer die wesentliche Ursache für Fahrerlaubnismaßnahmen.<br />
Insbesondere bei den <strong>Alkohol</strong>delikten bestätigt sich damit die bereits seit einigen Jahren<br />
zu beobachtende abnehmende Tendenz. Doch darf man sich nicht täuschen lassen: Über<br />
170.000 registrierte <strong>und</strong> geahndete <strong>Alkohol</strong>verstöße sind <strong>im</strong>mer noch deutlich zu viele <strong>und</strong><br />
vermutlich nur die Spitze des Eisbergs.<br />
Bei den Verstößen <strong>im</strong> Zusammenhang mit der Einnahme von <strong>Drogen</strong> wie Cannabis,<br />
Heroin, Amphetaminen etc. oder Medikamenten fällt der Rückgang nicht ganz so stark<br />
aus. Dadurch erhöht sich der Anteil dieser Zuwiderhandlungen auf nunmehr 14,8 Prozent<br />
aller <strong>Drogen</strong>verstöße (2008: 14,0 %).<br />
Diagramm 8: <strong>Drogen</strong>verstöße (einschließlich <strong>Alkohol</strong>) 2004–2009.<br />
241<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
242 Zur Information<br />
Tab. 14: <strong>Drogen</strong>verstöße (einschließlich <strong>Alkohol</strong>) 2004–2005 1 ) (Deliktzahlen auf 100 ger<strong>und</strong>et.<br />
1 ) Schnellauswertung der <strong>im</strong> Jahr 2009 automatisiert eingegangenen Mitteilungen.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Zur Information<br />
BASt: Begleitetes Fahren ab 17 senkt Unfallrisiko<br />
Das Begleitete Fahren ab 17 führt zu einer erheblichen Verbesserung der Fahrkompetenz<br />
von Fahranfängern. Zu diesem Ergebnis kommt die <strong>B<strong>und</strong></strong>esanstalt für Straßenwesen<br />
(BASt) in ihrer aktuellen Evaluation der Fahranfängermaßnahme „Begleitetes Fahren ab<br />
17“. Zudem wird dem Modell eine hohe Praxistauglichkeit bescheinigt.<br />
Die Evaluation greift eine Studie aus dem Jahr 2009 * ) auf, die über 18.000 junge Autofahrer<br />
<strong>im</strong> Alter von 18 Jahren <strong>im</strong> ersten Jahr ihres selbständigen Fahrens betrachtet hat.<br />
Fahranfänger, die mindestens drei Monate Praxis innerhalb des Begleiteten Fahrens mit<br />
17 erhalten hatten, wurden verglichen mit Fahranfängern, die den Führerschein auf herkömmliche<br />
Weise erworben hatten. Im direkten Vergleich zeigte sich, dass die vorher begleiteten<br />
Fahranfänger einen um 19 Prozent geringeren Anteil an erheblichen Unfallbeteiligungen<br />
<strong>und</strong> einen um 18 Prozent niedrigeren Anteil an erheblichen Verkehrsverstößen<br />
pro 1.000 Fahranfängern <strong>und</strong> Jahr aufwiesen.<br />
In einer Studie aus dem Jahr 2007 wurden 4.454 Teilnehmer des Begleiteten Fahrens ab<br />
17 mit 2.421 herkömmlich ausgebildeten Fahranfängern in den ersten 18 Monaten selbständigen<br />
Fahrens hinsichtlich der Delikt- <strong>und</strong> Unfallauffälligkeit <strong>im</strong> Verkehrszentralregister<br />
(VZR) verglichen. Bei jungen Fahrern, die in Begleitung unterwegs waren, ließen<br />
sich <strong>gegen</strong>über anderen Fahranfängern bis zu 22,5 Prozent weniger Verkehrsverstöße <strong>und</strong><br />
28,5 Prozent weniger Unfälle feststellen.<br />
Um die Akzeptanz des Begleiteten Fahrens ab 17 in der Öffentlich weiter zu stärken, so<br />
die Studie, sollte die Öffentlichkeitsarbeit insbesondere an Schulen intensiviert werden.<br />
Informationsveranstaltungen, die freiwilligen Charakter besitzen, sowie die Entwicklung<br />
informativer <strong>und</strong> kreativer Begleitmedien <strong>und</strong> eines Internetauftrittes könnten die Bekanntheit<br />
weiter fördern.<br />
(Aus einer Mitteilung der <strong>B<strong>und</strong></strong>esanstalt für Straßenwesen, BASt, vom 22. März 2010)<br />
* ) Evaluation der Fahranfängermaßnahmen „Begleitetes Fahren ab 17“ <strong>und</strong> „Freiwillige Fortbildungsseminare<br />
für Inhaber der Fahrerlaubnis auf Probe“, Ergebnisstand November 2009, Georg Willmes-Lenz, Frank<br />
Prücher, <strong>B<strong>und</strong></strong>esanstalt für Straßenwesen (BASt), Referat U4 „Fahrausbildung, Kraftfahrerrehabilitation“,<br />
Bergisch Gladbach 30. November 2009. Es ist vorgesehen, die Forschungsberichte zu den Evaluationsprojekten<br />
in der wissenschaftlichen Schriftenreihe der BASt (Reihe M „Mensch <strong>und</strong> Sicherheit“) zu veröffentlichen.<br />
243<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
244 Zur Information<br />
„<strong>Blutalkohol</strong>best<strong>im</strong>mung beschleunigen“ – B.A.D.S. fordert<br />
mehr Rechte für Polizei<br />
Der <strong>B<strong>und</strong></strong> <strong>gegen</strong> <strong>Alkohol</strong> <strong>und</strong> <strong>Drogen</strong> <strong>im</strong> Straßenverkehr (B.A.D.S.) fordert, die <strong>Alkohol</strong>kontrollen<br />
durch Blutentnahme zu beschleunigen. Ferner muss bei diesen Kontrollen in<br />
den <strong>B<strong>und</strong></strong>esländern eine einheitliche Praxis gewährleistet sein.<br />
Der Präsident der Organisation, Dr. Peter Gerhardt, sagte heute (07. April) in der Hansestadt:<br />
„Die Entnahme einer Blutprobe eines vermeintlich alkoholisierten Autofahrers nur<br />
nach richterlicher Anordnung führt eine erfolgreiche Bekämpfung des Fahrens mit <strong>Alkohol</strong><br />
am Steuer ad absurdum. Nur wenn bei einer Verkehrskontrolle von einem alkoholisierten<br />
Fahrer der <strong>Alkohol</strong>gehalt <strong>im</strong> Blut ohne zeitliche Verzögerung ermittelt wird, dient<br />
dies der Rechtssicherheit <strong>und</strong> Gleichbehandlung.<br />
Gerhardt bezieht sich auf § 81a der Strafprozessordnung, der vorsieht, dass eine Blutentnahme<br />
nur von einem Richter angeordnet werden kann. Bisher konnte diese Anordnung<br />
von der Polizei auch nachträgliche eingeholt werden. Seit jedoch das <strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgericht<br />
durch Beschluss diese Praxis als nicht mit dem Persönlichkeitsrecht vereinbar angesehen<br />
hat, verfahren die <strong>B<strong>und</strong></strong>esländer uneinheitlich. Hamburg verlangt diese vorherige<br />
richterliche Anordnung. „Das setzt doch voraus, dass zu jeder Tages- <strong>und</strong> Nachtzeit ein<br />
Richter erreichbar sein muss. Wir vom B.A.D.S. haben daran große Zweifel. Gerade<br />
nachts könnte so wertvolle Zeit verloren gehen, um den tatsächlichen <strong>Alkohol</strong>gehalt <strong>im</strong><br />
Blut zur Tatzeit festzustellen – schließlich ist es erwiesen, dass sich der <strong>Alkohol</strong>gehalt <strong>im</strong><br />
Blut pro St<strong>und</strong>e um bis zu 0,2 Promille abbaut“, sagte Gerhardt. Der <strong>Alkohol</strong>sünder käme<br />
also eventuell gl<strong>im</strong>pflicher davon als in <strong>B<strong>und</strong></strong>esländern, in denen nach der alten Praxis verfahren<br />
wird, in der die Polizei die Blutentnahme auf der Wache anordnen kann“, so der<br />
Präsident des B.A.D.S. weiter.<br />
Darüber hinaus sei es in Zeiten des zusammenwachsenden Europas unerlässlich, auch<br />
die Rechtsvorschriften der Mitgliedsländer in diesen Fällen anzugleichen. So habe gerade<br />
das Nachbarland Frankreich seine Vorschriften bei alkoholisierten Fahrten verschärft.<br />
Dort gebe es in derartigen Fälle sogar die Möglichkeit, das Fahrzeug einzuziehen <strong>und</strong> zu<br />
versteigern, erläuterte Gerhardt.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
(Aus einer Pressemitteilung des B.A.D.S. vom 07. April 2010)
Seiten 245–265<br />
Rechtsprechung<br />
Rechtsprechung<br />
Die mit einem *) bezeichneten Leitsätze sind von der Schriftleitung formuliert worden.<br />
34. *) 1. Die tatbestandliche Verwirklichung von<br />
§ 24a Abs. 2 StVG setzt den Nachweis der betreffenden<br />
Substanz in einer Konzentration voraus, die<br />
eine Beeinträchtigung der Fahrsicherheit zumindest<br />
als möglich erscheinen lässt <strong>und</strong> damit die in<br />
§ 24a Abs. 2 S. 2 StVG aufgestellte gesetzliche Vermutung<br />
rechtfertigt. Das ist nach dem derzeitigen<br />
Stand der Wissenschaft jedenfalls dann der Fall,<br />
wenn zumindest der in der Empfehlung der Grenzwertkommission<br />
vom 20. 11. 2002 (BA 2005, 160)<br />
empfohlene Nachweisgrenzwert erreicht ist, der<br />
für THC (Cannabis) derzeit bei 1 ng/ml liegt.<br />
2. Eine gr<strong>und</strong>sätzlich gemäß § 67 Abs. 2 OWiG<br />
zulässige Beschränkung des Einspruchs auf den<br />
Rechtsfolgenausspruch ist unwirksam, wenn der<br />
wegen eines Verstoßes <strong>gegen</strong> § 24a Abs. 2 StVG erlassene<br />
Bußgeldbescheid keine Angaben dazu enthält,<br />
in welchen konkreten Konzentrationen Tetrahydrocannabinol<br />
sowie Benzoylecgonin <strong>im</strong> Blut des<br />
Betroffenen nachgewiesen worden sind, weil in der<br />
Folge ungeklärt bleibt, ob überhaupt von einer beeinträchtigenden<br />
Wirkung der <strong>im</strong> Blut des Betroffenen<br />
nachgewiesenen Mengen berauschender<br />
Mittel auf dessen Fahrtüchtigkeit ausgegangen<br />
werden kann.<br />
Oberlandesgericht Hamm,<br />
Beschluss vom 11. Februar 2010 – 3 Ss OWi 319/09 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Gegen den Betroffenen wurde durch Bußgeldbescheid<br />
des Kreises N2 vom 28. 04. 2008 eine Geldbuße<br />
in Höhe von 250 Euro sowie ein einmonatiges Fahrverbot<br />
verhängt. In dem Bußgeldbescheid heißt es<br />
u. a.:<br />
„…Ihnen wird vorgeworfen, am 25. 01. 2008 um<br />
14.00 Uhr in N2, L-Straße als Führer <strong>und</strong> Halter des<br />
PKW BMW ... folgende Verkehrsordnungswidrigkeit(en)<br />
nach § 24 StVG * begangen zu haben:<br />
Sie führten ein Kraftfahrzeug unter Wirkung des<br />
berauschenden Mittels (Cannabis/Kokain).<br />
§ 24a Abs. 2, 3, § 25 StVG; 242 BKat; § 4 Abs. 3<br />
BKatV<br />
Bemerkungen/ Tatfolgen<br />
Beweismittel: Angaben Betroffener, Gutachten<br />
Zeugin/Zeuge, aufnehmende/r Beamtin/er<br />
Zeugen: A.+Z.: POK T; Z.: PK‘in S, beide PW<br />
N2, N-Straße, N2“<br />
Hier<strong>gegen</strong> hatte der Betroffene durch seinen ehemaligen<br />
Verteidiger Einspruch eingelegt. Sein jetziger<br />
Verteidiger hat den Einspruch mit Schriftsatz vom<br />
09. 02. 2009, der dem Amtsgericht in Anwesenheit des<br />
Betroffenen in dem bereits vor dem Verteidigerwechsel<br />
anberaumten Termin zur Hauptverhandlung am<br />
245<br />
09. 02. 2009 überreicht worden ist, auf den Rechtsfolgenausspruch<br />
beschränkt.<br />
Das Amtsgericht hat mit der angefochtenen Entscheidung<br />
<strong>gegen</strong> den Betroffenen wegen Führens<br />
eines Kraftfahrzeuges unter Wirkung berauschender<br />
Mittel (Cannabis/Kokain) eine Geldbuße in Höhe von<br />
250 Euro sowie ein einmonatiges Fahrverbot unter<br />
Gewährung von Vollstreckungsaufschub gemäß § 25<br />
Abs. 2a StVG verhängt.<br />
Es ist von einer wirksamen Beschränkung des Einspruchs<br />
auf den Rechtsfolgenausspruch ausgegangen<br />
<strong>und</strong> hat zur Sache Folgendes festgestellt:<br />
„Am 25. Januar 2008 <strong>gegen</strong> 14.00 Uhr befuhr der<br />
Betroffene mit dem PKW ..., dessen Halter der Betroffene<br />
ist, unter Wirkung berauschender Mittel.<br />
Bei einer Verkehrskontrolle durch die Zeugen T <strong>und</strong><br />
S wurde eine Blutentnahme angeordnet. Die daraufhin<br />
erfolgte toxikologische Diagnostik ergab einen<br />
positiven Bef<strong>und</strong> auf Kokain-Metabolit, Amphetamine<br />
<strong>und</strong> Cannabinoide. Alle diese berauschenden<br />
Mittel sind geeignet, die Fahrtüchtigkeit nicht unerheblich<br />
zu beeinflussen. Die aktive Teilnahme am<br />
Straßenverkehr ist in allen Stadien des Kokainrausches<br />
ausgeschlossen.“<br />
Gegen diese Entscheidung richtet sich die ausdrücklich<br />
auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte<br />
Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der eine Verletzung<br />
materiellen Rechts gerügt wird <strong>und</strong> mit der der<br />
Betroffene sich insbesondere <strong>gegen</strong> die Höhe der<br />
<strong>gegen</strong> ihn verhängten Geldbuße wendet.<br />
Aus den Gründen:<br />
Die Sache war zur Fortbildung des Rechts dem<br />
Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern zu<br />
übertragen (§ 80a Abs. 3 OWiG). Zu der Frage der<br />
Wirksamkeit einer Beschränkung des Einspruchs auf<br />
den Rechtsfolgenausspruch eines Bußgeldbescheides,<br />
wenn dem Betroffenen mit diesem gemäß § 24a Abs. 2<br />
StVG das Führen eines Kraftfahrzeuges unter Wirkung<br />
eines in der Anlage zu dieser Vorschrift genannten<br />
berauschenden Mittels <strong>im</strong> Straßenverkehr vorgeworfen<br />
wird, ist – soweit ersichtlich – bisher keine<br />
höchstrichterliche Entscheidung ergangen. Bei dieser<br />
Entscheidung handelt es sich um eine solche der<br />
zuständigen Einzelrichterin.<br />
Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache vorläufig<br />
Erfolg. Sie führt zu einer Aufhebung der angefochtenen<br />
Entscheidung insgesamt <strong>und</strong> zu einer Zurückverweisung<br />
der Sache an das Amtsgericht Minden.<br />
1. Die angefochtene Entscheidung ist bei zutreffender<br />
Auslegung trotz ihrer Bezeichnung als „Urteil“ als<br />
Beschluss gemäß § 72 Abs. 2 OWiG aufzufassen. Wie<br />
sich aus der Entscheidung selbst ergibt, ist diese ausdrücklich<br />
<strong>im</strong> „schriftlichen Verfahren“ erlassen worden.<br />
Im schriftlichen Verfahren ist aber eine Entschei-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
246 Rechtsprechung<br />
dung durch Urteil ausgeschlossen, eine Entscheidung<br />
kann nur <strong>im</strong> Beschlusswege ergehen. Urteile werden<br />
da<strong>gegen</strong> nach einer mündlichen Verhandlung erlassen<br />
<strong>und</strong> sind zu verkünden. Eine Entscheidung <strong>im</strong> schriftlichen<br />
Verfahren war auch durch das Amtsgericht tatsächlich<br />
beabsichtigt. Denn die öffentliche Sitzung des<br />
Amtsgerichts Minden vom 09. 02. 2009 endete ausweislich<br />
der Sitzungsniederschrift mit dem Beschluss,<br />
dass eine Entscheidung <strong>im</strong> schriftlichen Verfahren ergeht,<br />
nachdem der Verteidiger einen Schriftsatz vom<br />
09. 02. 2009 überreicht hatte, mit dem der Einspruch<br />
auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt <strong>und</strong> beantragt<br />
wurde, die <strong>im</strong> Bußgeldbescheid verhängte Geldbuße<br />
zu halbieren. Bei dieser Sachlage handelte es sich<br />
bei der Entscheidung vom 16. 02. 2009 inhaltlich um<br />
einen Beschluss <strong>im</strong> Sinne des § 72 Abs. 2 StPO. Es<br />
hängt nämlich nicht von der Bezeichnung ab, ob eine<br />
Entscheidung als Urteil oder Beschluss anzusehen ist,<br />
maßgebend sind vielmehr der Inhalt der Entscheidung<br />
<strong>und</strong> die Gründe, auf denen sie beruht (vgl. BGH NJW<br />
1974, 154; NJW 1963, 1747). Die Entscheidung bedurfte<br />
daher trotz ihrer Bezeichnung als Urteil keiner<br />
Verkündung, um existent zu werden.<br />
2. Die Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf den<br />
Rechtsfolgenausspruch ist nicht wirksam.<br />
Zwar kann nach allgemeiner Meinung, die der aller<br />
Senate für Bußgeldsachen des OLG Hamm entspricht,<br />
die Rechtsbeschwerde ebenso wie die Revision auf abtrennbare<br />
Teile beschränkt werden (vgl. OLG Hamm,<br />
Beschluss vom 19. 08. 2008 – 5 Ss OWi 493/08 – Seitz<br />
in Göhler, OWiG, 15. Aufl., § 79 Rdnr. 32 m. w. N.).<br />
Insoweit gelten die <strong>im</strong> Strafverfahren für die Beschränkung<br />
der Berufung oder Revision auf das Strafmaß<br />
geltenden Gr<strong>und</strong>sätze entsprechend (vgl. dazu<br />
Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 318 StPO Rdnr. 16<br />
ff. m. w. N.; OLG Hamm, a. a. O.). Die Beschränkung<br />
der Rechtsbeschwerde ist nach diesen Vorschriften<br />
aber nur wirksam, wenn in der tatrichterlichen Entscheidung<br />
hinreichende Feststellungen für die vom<br />
Rechtsbeschwerdegericht zu treffende Entscheidung<br />
über die Rechtsfolgen getroffen werden (Seitz in Göhler,<br />
a. a. O., § 79 Rdnr. 32 m. w. N.).<br />
Das ist hier aber nicht der Fall. Das Amtsgericht ist<br />
zu Unrecht von einer wirksamen Beschränkung des<br />
Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch ausgegangen.<br />
Soweit es trotz der von ihm angenommenen<br />
Rechtskraft des Schuldspruchs des Bußgeldbescheides<br />
vom 28. 04. 2008 zusätzlich – ergänzende – eigene<br />
Feststellungen zur Sache getroffen hat, stellen auch<br />
diese Feststellungen weder für sich allein noch in Verbindung<br />
mit den Tatfeststellungen <strong>im</strong> Bußgeldbescheid<br />
eine ausreichende Gr<strong>und</strong>lage für die Bußgeldzumessung<br />
dar. Die Wirksamkeit einer Beschränkung<br />
eines Rechtsmittels hat das Rechtsbeschwerdegericht<br />
von Amts wegen zu prüfen (Meyer-Goßner StPO, 52.<br />
Aufl., § 352, Rdnr. 4).<br />
a) Die Beschränkung des Einspruchs auf den<br />
Rechtsfolgenausspruch ist nicht wirksam erfolgt.<br />
Zwar ist eine Beschränkung des Einspruchs auf<br />
den Rechtsfolgenausspruch nach § 67 Abs. 2 OWiG<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich zulässig. Voraussetzung ist aber, dass<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
der Bußgeldbescheid eine hinreichende Gr<strong>und</strong>lage für<br />
die Bußgeldbemessung darstellt. Unwirksam ist die<br />
Beschränkung, wenn die Tat <strong>im</strong> Bußgeldbescheid<br />
nicht hinreichend konkretisiert wird (vgl. Seitz in Göhler,<br />
a. a. O., § 67 Rdnr. 34e). Das ist hier der Fall.<br />
Nach § 24a Abs. 2 Satz 1 StVG begeht derjenige<br />
eine Ordnungswidrigkeit, der <strong>im</strong> Straßenverkehr ein<br />
Kraftfahrzeug unter der Wirkung eines in der Anlage<br />
zu dieser Vorschrift genannten berauschenden Mittels<br />
führt. Eine solche Wirkung liegt gemäß § 24a Abs. 2<br />
Satz 2 StVG vor, wenn eine dieser in der Anlage aufgeführten<br />
Substanzen <strong>im</strong> Blut nachgewiesen wird. Das<br />
ist für Cannabis das Abbauprodukt Tetrahydrocannabinol<br />
(THC).<br />
Nach dem Beschluss des <strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgerichts<br />
vom 21.12. 2004 (NJW 2005, 349 [= BA 2005,<br />
156 mit Anm. Scheffler/Halecker]) können mit Rücksicht<br />
auf die durch verbesserten Nachweismethoden<br />
erhöhte Nachweisdauer dieser Zeitraum <strong>und</strong> die Wirkungsdauer<br />
nicht mehr gleichgesetzt werden. Es reicht<br />
daher nicht mehr jeder Nachweis von THC <strong>im</strong> Blut für<br />
die Erfüllung des Tatbestandes des § 24a Abs. 2 StVG<br />
aus. Erforderlich ist vielmehr der Nachweis der betreffenden<br />
Substanz in einer Konzentration, die eine Beeinträchtigung<br />
der Fahrsicherheit zumindest als möglich<br />
erscheinen lässt <strong>und</strong> damit die in § 24a Abs. 2 S. 2<br />
StVG aufgestellte gesetzliche Vermutung rechtfertigt.<br />
Das ist nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft<br />
jedenfalls dann der Fall, wenn zumindest der<br />
in der Empfehlung der Grenzwertkommission vom<br />
20. 11. 2002 (BA 2005, 160) empfohlene Nachweisgrenzwert<br />
erreicht ist, der für THC (Cannabis) derzeit<br />
bei 1 ng/ml liegt (vgl. OLG Hamm Beschluss vom<br />
20. 05. 2008 – 5 Ss OWi 282/08 – [BA 2008, 391];<br />
König in Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 40.Aufl.,<br />
§ 24a StVG Rdnr. 21a m. w. N.). Gleiches gilt auch für<br />
die anderen Rauschmittel, so dass § 24a Abs. 2 Satz 2<br />
StVG auch in Bezug auf Kokain <strong>und</strong> dessen Abbauprodukt<br />
Benzoylecgonin (BZE) entsprechend verfassungskonform<br />
auszulegen ist (vgl. OLG Bamberg, Beschluss<br />
vom 01.12. 2006 – 2 Ss OWi 1623/ 05 –, juris<br />
[= BA 2007, 253]; OLG Hamm NZV 2007, 248 [= BA<br />
2007, 260]; König a. a. O., jeweils m. w. N.), ebenso<br />
für Amphetamin (vgl. OLG München NJW 2006,<br />
1606 [= BA 2006, 239]; OLG Zweibrücken NJW<br />
2005, 2168 [= BA 2006, 235]). Die empfohlenen<br />
Grenzwerte der Grenzwertkommission betragen für<br />
Benzoylecgonin 75 ng/ml (vgl. OLG Hamm NZV<br />
2007, 248; König a. a. O.; Eisenmenger NZV 2006,<br />
24) <strong>und</strong> für Amphetamin 25 ng/ml (vgl. König a. a. O.)<br />
Der Bußgeldbescheid enthält keine Angaben dazu,<br />
in welchen konkreten Konzentrationen Tetrahydrocannabinol<br />
sowie Benzoylecgonin – Amphetamine werden<br />
<strong>im</strong> Bußgeldbescheid überhaupt nicht erwähnt – <strong>im</strong><br />
Blut des Betroffenen nachgewiesen worden sind. Aus<br />
dem Bußgeldbescheid lässt sich daher nicht entnehmen,<br />
ob überhaupt von einer beeinträchtigenden Wirkung<br />
der <strong>im</strong> Blut des Betroffenen nachgewiesenen<br />
Mengen berauschender Mittel auf dessen Fahrtüchtigkeit<br />
ausgegangen werden kann, wie es die Annahme<br />
der Erfüllung des Tatbestandes des § 24a Abs. 2 StVG
voraussetzt. Die somit unzureichende Sachverhaltsdarstellung<br />
<strong>im</strong> Bußgeldbescheid stellt keine genügende<br />
Gr<strong>und</strong>lage für die Rechtsfolgenbemessung dar, mit<br />
der Folge, dass die Beschränkung des Einspruchs auf<br />
den Rechtsfolgenausspruch nicht wirksam war. Das<br />
Amtsgericht hätte vielmehr eigene Feststellungen zum<br />
äußeren <strong>und</strong> inneren Tatbestand des § 24a StVG treffen<br />
müssen.<br />
b) Zwar hat sich das Amtsgericht nicht nur auf den<br />
Bußgeldbescheid gestützt, sondern auch eigene – ergänzende<br />
– Feststellungen zur Sache getroffen.<br />
Angaben zu den konkreten Mengen der <strong>im</strong> Blut des<br />
Betroffenen nachgewiesenen Substanzen Tetrahydrocannabinol<br />
<strong>und</strong> Benzoylecgonin enthalten aber auch<br />
die ergänzenden Feststellungen der amtsgerichtlichen<br />
Entscheidung nicht. Das Gleiche gilt, soweit in der angefochtenen<br />
Entscheidung – erstmals – auch von einem<br />
positiven Bef<strong>und</strong> auf Amphetamine die Rede ist.<br />
Die angefochtene Entscheidung konnte daher keinen<br />
Bestand haben. Sie unterlag der Aufhebung <strong>und</strong><br />
war an das Amtsgericht Minden zurückzuverweisen.<br />
35. *) 1. Für die Annahme eines fahrlässigen Verstoßes<br />
<strong>gegen</strong> § 24a Abs. 2 StGB genügt es, wenn von<br />
dem potenziellen Vorstellungsbild des Täters der<br />
Umstand umfasst ist, dass der <strong>Drogen</strong>wirkstoff<br />
u. U. noch nicht bis zur Wirkungslosigkeit abgebaut<br />
ist, wobei er die Unberechenbarkeit von<br />
Rauschdrogen in Rechnung zu stellen hat.<br />
2. Der Zeitablauf von 2 Jahren <strong>und</strong> mehr seit der<br />
Tat (hier: Verstoß <strong>gegen</strong> § 24a Abs. 2 StVG) führt<br />
nicht ohne weiteres dazu, dass von einem Fahrverbot<br />
abzusehen ist. Maßgeblich sind auch dann<br />
die Umstände des Einzelfalles – insbesondere die<br />
Gründe, aus denen sich die Aburteilung derart hinausgezögert<br />
hat (hier: Aufenthaltsermittlung des<br />
Betroffenen), die Schwere des Verkehrsverstoßes<br />
sowie das Verhalten des Betroffenen nach der Tat.<br />
3. Ausnahmsweise sind Feststellungen zu den<br />
wirtschaftlichen Verhältnissen auch bei einer Geldbuße<br />
über 250,– € entbehrlich, wenn die Geldbuße<br />
500 € nicht übersteigt, die wirtschaftlichen Verhältnisse<br />
nicht erkennbar vom Durchschnitt abweichen<br />
<strong>und</strong> es sich bei der festgesetzten Geldbuße um<br />
den <strong>im</strong> Bußgeldkatalog best<strong>im</strong>mten Regelsatz handelt.<br />
Thüringer Oberlandesgericht,<br />
Beschluss vom 21. Januar 2010 – 1 Ss 296/09 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Die Thüringer Polizei – Zentrale Bußgeldstelle –<br />
setzte <strong>gegen</strong> den Betroffenen mit Bußgeldbescheid<br />
vom 06. 05. 2008 wegen einer am 11.11. 2007 fahrlässig<br />
begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit nach<br />
§ 24a Abs. 2 StVG eine Geldbuße von 750 EUR fest<br />
<strong>und</strong> ordnete zugleich ein Fahrverbot von 3 Monaten<br />
Dauer an.<br />
Der Bußgeldbescheid wurde dem Betroffenen nach<br />
Rechtsprechung<br />
247<br />
Aufenthaltsermittlung am 27. 09. 2008 zugestellt. Am<br />
02. 10. 2008 legte der Verteidiger des Betroffenen für<br />
diesen Einspruch ein.<br />
Mit Beschluss vom 02. 07. 2009 setzte das Amtsgericht<br />
Nordhausen <strong>gegen</strong> den Betroffenen wegen fahrlässigen<br />
Führens eines Kraftfahrzeuges unter Wirkung<br />
des berauschenden Mittels Cocain mit der Substanz<br />
Benzoylecgonin (305 ng/ml) bei Eintragung von bereits<br />
mehreren Entscheidungen nach § 24a StVG <strong>im</strong><br />
VZR eine Geldbuße von 750 EUR fest <strong>und</strong> ordnete zugleich<br />
ein Fahrverbot von 3 Monaten Dauer an. Eine<br />
Ausfertigung des Beschlusses wurde dem Verteidiger<br />
des Betroffenen am 15. 07. 2009 zugestellt.<br />
Am 22. 07. 2009 legte der Verteidiger des Betroffenen<br />
für diesen Rechtsbeschwerde ein <strong>und</strong> erklärte, der<br />
Beschluss werde hinsichtlich der Entscheidung über<br />
das Fahrverbot von 3 Monaten angefochten. Er begründete<br />
die Rechtsbeschwerde sogleich damit, dass<br />
das Fahrverbot wegen des Zeitabstandes zur Tat <strong>und</strong><br />
des beanstandungsfreien Verkehrsverhaltens des Betroffenen<br />
in dieser Zeit entbehrlich sei.<br />
Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft beantragt<br />
in ihrer Stellungnahme vom 18.12. 2009, den Beschluss<br />
des Amtsgerichts Nordhausen vom 02. 07. 2009 aufzuheben<br />
<strong>und</strong> die Sache zu neuer Prüfung <strong>und</strong> Entscheidung<br />
an das Amtsgericht Nordhausen zurückzuverweisen.<br />
Aus den Gründen:<br />
Die statthafte <strong>und</strong> auch <strong>im</strong> Übrigen zulässige<br />
Rechtsbeschwerde hat (vorläufig) Erfolg.<br />
1. Die bei Einlegung der Rechtsbeschwerde vorgenommene<br />
Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf<br />
die Anordnung des Fahrverbots ist als solche wegen<br />
der Wechselwirkung zwischen Fahrverbot <strong>und</strong> Geldbuße<br />
nicht möglich. Von dem Beschränkungswillen<br />
umfasst ist jedoch auch eine Beschränkung auf den<br />
Rechtsfolgenausspruch insgesamt. Insoweit ist sie<br />
wirksam.<br />
Der Wirksamkeit dieser Beschränkung steht hier<br />
nicht ent<strong>gegen</strong>, dass der angefochtene Beschluss keine<br />
hinreichenden Ausführungen zur inneren Tatseite enthalte.<br />
Zwar begründet der Beschluss das Vorliegen von<br />
Fahrlässigkeit allein mit der Verwirklichung des objektiven<br />
Tatbestandes des § 24a Abs. 2 StVG („handelte<br />
fahrlässig, weil er das Kraftfahrzeug führte, obwohl<br />
er noch unter Wirkung des Kokains stand“). Nähere<br />
Ausführungen zu den den Fahrlässigkeitsvorwurf begründenden<br />
Tatsachen sind hier aber ausnahmsweise<br />
entbehrlich. Denn angesichts der Höhe der be<strong>im</strong> Betroffenen<br />
kurz nach der Tat festgestellten Rauschmittelwirkstoffkonzentration<br />
<strong>und</strong> des Fehlens jeglicher<br />
Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene trotz dieser<br />
hohen Konzentration die Möglichkeit einer Beeinträchtigung<br />
seiner Fahrtüchtigkeit nicht erkennen<br />
konnte, liegt Fahrlässigkeit klar zu Tage <strong>und</strong> kann deshalb<br />
ohne weiteres angenommen werden.<br />
Bezugspunkt des Schuldvorwurfs <strong>im</strong> Rahmen des<br />
§ 24a Abs. 2 <strong>und</strong> 3 StVG ist das Führen eines Kraftfahrzeuges<br />
<strong>im</strong> Straßenverkehr „unter der Wirkung<br />
eines … berauschenden Mittels“. Deshalb genügt es,<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
248 Rechtsprechung<br />
wenn von dem (<strong>im</strong> Falle von Fahrlässigkeit lediglich:<br />
potenziellen) Vorstellungsbild des Täters der Umstand<br />
umfasst ist, dass der <strong>Drogen</strong>wirkstoff u. U. noch nicht<br />
bis zur Wirkungslosigkeit abgebaut ist, wobei er die<br />
Unberechenbarkeit von Rauschdrogen in Rechnung zu<br />
stellen hat (siehe etwa König, Zur fahrlässigen <strong>Drogen</strong>fahrt<br />
nach „länger“ zurückliegendem <strong>Drogen</strong>konsum,<br />
NStZ 2009, 425, 426 m. w. N.). Mangelnde<br />
Erkennbarkeit der fortdauernden Wirkung des konsumierten<br />
Rauschmittels kommt wegen dieser allgemein<br />
bekannten Unberechenbarkeit deshalb nur in Ausnahmefällen<br />
in Betracht. Das Vorliegen eines solchen<br />
Ausnahmefalles braucht das Gericht nur bei konkreten<br />
Anhaltspunkten zu prüfen <strong>und</strong> <strong>im</strong> Urteil zu erörtern.<br />
Praktische Bedeutung wird insoweit wohl nur einem in<br />
der Nähe des sogenannten analytischen Grenzwertes<br />
liegenden Wirkstoffgehalt zukommen. Im vorliegenden<br />
Fall überschritt die nach der Tat festgestellte<br />
Konzentration der Substanz Benzoylecgonin von<br />
305 ng/ml den analytischen Grenzwert von 75 ng/ml<br />
um mehr als 300 %. Die Zeit zwischen <strong>Drogen</strong>aufnahme<br />
<strong>und</strong> Teilnahme am Straßenverkehr an sich hat in<br />
aller Regel keine indizielle Bedeutung für die Erkennbarkeit<br />
der Wirksamkeit des Rauschmittels <strong>und</strong> damit<br />
für die Sorgfaltswidrigkeit. Sie braucht deshalb vom<br />
Tatgericht ohne das Hinzutreten anderer konkret <strong>gegen</strong><br />
die Erkennbarkeit sprechender Umstände nicht aufgeklärt<br />
zu werden. Gerade weil die Wirkungen <strong>und</strong> die<br />
Wirkungsdauer bei <strong>Drogen</strong> bekanntermaßen wesentlich<br />
unberechenbarer sind als diejenigen von <strong>Alkohol</strong>,<br />
besteht kein Anlass, <strong>im</strong> Rahmen des § 24a Abs. 2,<br />
3 StVG geringere Anforderungen an die Sorgfalt von<br />
Kraftfahrzeugführern zu stellen als bei § 24 Abs. 1,<br />
3 StVG (so auch König a. a. O. S. 428). Damit korrespondierend<br />
können die Anforderungen an die gerichtliche<br />
Sachverhaltsaufklärung <strong>und</strong> die Darstellung <strong>im</strong><br />
Urteil bei <strong>Drogen</strong>konsum nicht höher sein als bei<br />
<strong>Alkohol</strong>konsum.<br />
2. Der Rechtsfolgenausspruch hält einer rechtlichen<br />
Überprüfung nicht stand.<br />
Das Amtsgericht hat <strong>im</strong> Rahmen der Bemessung der<br />
Geldbuße keine Feststellungen zu den wirtschaftlichen<br />
Verhältnissen des Beschwerdeführers getroffen. Entsprechend<br />
allgemeiner Zumessungsgr<strong>und</strong>sätze <strong>und</strong><br />
nach der ausdrücklichen Regelung <strong>im</strong> § 17 Abs. 3 Satz<br />
2 OWiG sind die wirtschaftlichen Verhältnisse des<br />
Täters ein Zumessungsgesichtspunkt. Nur bei geringfügigen<br />
Ordnungswidrigkeiten bleiben die wirtschaftlichen<br />
Verhältnisse des Täters gem. § 17 Abs. 3 Satz 2<br />
2. Halbs. OWiG in der Regel unberücksichtigt. Nach<br />
ständiger Rechtsprechung des Senats ist Geringfügigkeit<br />
bis zu einer Höhe der Geldbuße von 250 € anzunehmen.<br />
Ausnahmsweise können die wirtschaftlichen<br />
Verhältnisse auch bei einer höheren Geldbuße außer<br />
Betracht gelassen werden, dann nämlich, wenn die<br />
Geldbuße 500 € nicht übersteigt, die wirtschaftlichen<br />
Verhältnisse nicht erkennbar vom Durchschnitt abweichen,<br />
weil Anhaltspunkte für außergewöhnlich<br />
schlechte oder außergewöhnlich gute Wirtschaftsverhältnisse<br />
fehlen, <strong>und</strong> es sich bei der festgesetzten<br />
Geldbuße um den <strong>im</strong> Bußgeldkatalog best<strong>im</strong>mten Re-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
gelsatz handelt (siehe etwa Senatsbeschluss vom<br />
22. 12. 2004, 1 Ss 282/04, VRS 108 , 269 f.<br />
m. w. N.). Vorliegend ist aber eine 500 € übersteigende<br />
Geldbuße festgesetzt worden.<br />
Aufgr<strong>und</strong> der Wechselwirkung zwischen Geldbuße<br />
<strong>und</strong> Fahrverbot (Senatsbeschluss vom 21. 09. 2007,<br />
1 Ss 157/07, NStZ- RR 2008, 123) konnte auch die Anordnung<br />
des Fahrverbots keinen Bestand haben.<br />
3. Für die neue Prüfung <strong>und</strong> Entscheidung weist der<br />
Senat auf Folgendes hin:<br />
Unter Zugr<strong>und</strong>elegung der ständigen Rechtsprechung<br />
des Senats, die mit der Rechtsprechung der anderen<br />
Oberlandesgerichte übereinst<strong>im</strong>mt, führt der<br />
Zeitablauf von 2 Jahren <strong>und</strong> mehr seit der Tat nicht<br />
ohne weiteres dazu, dass von einem Fahrverbot abzusehen<br />
ist. Maßgeblich sind auch dann die Umstände<br />
des Einzelfalles; insbesondere spielen die Gründe,<br />
aus denen sich die Aburteilung derart hinausgezögert<br />
hat (hier Aufenthaltsermittlung des Betroffenen), die<br />
Schwere des Verkehrsverstoßes sowie das Verhalten<br />
des Betroffenen nach der Tat eine Rolle. Angesichts<br />
der mehrfachen einschlägigen Vorbelastungen des Betroffenen<br />
mit Betäubungsmitteldelikten <strong>im</strong> Straßenverkehr<br />
spricht wenig dafür, dass die mit einem Fahrverbot<br />
verb<strong>und</strong>ene Warnung <strong>und</strong> die mit ihm bezweckte<br />
Besinnung bei dem Betroffenen inzwischen<br />
nicht mehr erforderlich sind.<br />
36. Ein Kraftfahrer, bei dem 352 ng/ml Benzoylecgonin,<br />
ein Abbauprodukt von Cocain, <strong>im</strong> Serum<br />
zur Tatzeit festgestellt wurde <strong>und</strong> bei dem der nach<br />
der Empfehlung der Grenzwertekommission für<br />
Cocain ermittelte verbindliche Grenzwert an Benzoylecgonin<br />
um mehr als das 4,6-fache übertroffen<br />
ist, ist <strong>im</strong> Sinne von § 316 StGB fahruntauglich,<br />
ohne dass es auf den Nachweis von Ausfallerscheinungen<br />
oder Fahrfehlern ankommt.<br />
Amtsgericht Tiergarten,<br />
Urteil vom 10. Februar 2010<br />
– (310 Cs) 3033 PLs 10607/09 (144/09) –<br />
Aus den Gründen:<br />
Obwohl der Angeklagte nicht <strong>im</strong> Besitz der dazu erforderlichen<br />
Fahrerlaubnis war, darüber hinaus hoch<br />
dosiert <strong>und</strong> kurz vor Fahrtantritt Cocain <strong>und</strong> Cannabis<br />
konsumiert hatte, dies jeweils wusste <strong>und</strong> seine hierauf<br />
bedingte Fahruntauglichkeit hätte erkennen können,<br />
setzte er sich am 09. Juli 2009 ans Steuer des Kraftfahrzeuges<br />
<strong>und</strong> fuhr <strong>gegen</strong> 09.15 Uhr in B.<br />
Auf Gr<strong>und</strong> des Gutachtens der kr<strong>im</strong>inaltechnischen<br />
Untersuchungsstelle des LKA B. vom 02. 09. 2009<br />
wurden in der zum Zeitpunkt der Blutentnahme um<br />
10.45 Uhr des 09. Juli 2009 gewonnenen Serumprobe<br />
des Angeklagten 352 ng/ml Benzoylecgonin, ein Abbauprodukt<br />
von Cocain, 8,5 ng/ml Cocain <strong>und</strong> ca.<br />
97,7 ng/ml Ecgoninmethylester, ein Abbauprodukt<br />
von Cocain, nachgewiesen. Dies ist ein massiv hoher<br />
Wert, der den aktiven, deutlichen <strong>und</strong> aktuellen Kon-
sum von Cocain offenbarte. Denn nach der Empfehlung<br />
der Grenzwertkommission, die unter der Leitung<br />
des <strong>B<strong>und</strong></strong>esministeriums für Verkehr, Bau <strong>und</strong> Stadtentwicklung<br />
– <strong>und</strong> aufgr<strong>und</strong> der Entscheidung der<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>-Länder-Arbeitsgemeinschaft „<strong>B<strong>und</strong></strong>eseinheitlicher<br />
Tatbestandskatalog“ vom 04. 09. 2007 – verbindliche<br />
Grenzwerte erarbeitet hat, bei deren Vorliegen<br />
sicher eine rauschbedingte Fahruntauglichkeit anzunehmen<br />
ist (sog. absolute Grenzwerte), <strong>und</strong> Grenzwerte,<br />
denen sich die Rechtsprechung insoweit angenommen<br />
hat, als dass auch Feststellungen darunter<br />
zu einer Verurteilung führen können (also erweiterte<br />
Anwendung), beträgt der analytische Grenzwert, ab<br />
dem sicher mit dem Auftreten von Ausfallerscheinungen,<br />
also mit einer Einschränkung der Fahrtüchtigkeit<br />
<strong>im</strong> Sinne der Rechtsprechung des <strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgerichts<br />
zu rechnen ist, für Benzoylecgonin 75 ng/ml.<br />
Be<strong>im</strong> Angeklagten lag der festgestellte Wert mehr als<br />
4,6-fach höher als dieser Grenzwert. Damit ist die<br />
Grenze zur absoluten Fahruntauglichkeit <strong>im</strong> Sinne von<br />
§ 316 StGB erreicht, ohne dass es der Feststellung weiterer<br />
Ausfallerscheinungen oder Fahrfehler bedarf.<br />
Ferner wurde festgestellt, dass in der Serumprobe<br />
des Angeklagten 2,5 ng/ml THC (Tedrahydro-cannabinol),<br />
der Wirkstoff des Haschisch, ca. (161) ng/ml<br />
THC-Carbonsäure, der Hauptmetabolit des THC <strong>und</strong><br />
1,6 ng/ml 11-Hydroxy-THC, ein Metabolit des THC,<br />
nachgewiesen wurden. Es lag mithin ein aktueller<br />
Cannabiskonsum vor Fahrtantritt vor. Der hohe THC-<br />
Carbonsäurewert beweist zudem einen regelmäßigen<br />
Konsum von Cannabis-Produkten. Der THC-Wert betrug<br />
mehr als das zweieinhalbfache des von der Grenzwertkommission<br />
empfohlenen Wertes von 1,0 ng/ml<br />
THC zum Beginn der Fahruntauglichkeit bei Bußgeldsachen.<br />
Infolge der Wechselwirkung zum Cocain ist<br />
auch hier die Grenze zur absoluten Fahruntauglichkeit<br />
<strong>im</strong> Sinne von § 316 StGB erreicht, ohne dass es der<br />
Feststellung weiterer Ausfallerscheinungen oder Fahrfehler<br />
bedarf.<br />
Diese hier vertretenen Rechtsansichten zu absoluten<br />
Wirkstoffmengen bei Cocain <strong>und</strong> Cannabis sind<br />
durchaus umstritten. Die obergerichtliche Rechtsprechung<br />
<strong>und</strong> die herrschende Ansicht in der Literatur<br />
gehen bislang davon aus, dass sich <strong>im</strong> Strafrecht für<br />
die Fahruntauglichkeit aufgr<strong>und</strong> von Betäubungsmitteln<br />
keine „absoluten“ Wirkstoffgrenzen feststellen<br />
lassen. Der Nachweis von <strong>Drogen</strong>wirkstoffen <strong>im</strong> Blut<br />
eines Fahrzeugführers soll für sich allein noch nicht<br />
die Annahme der Fahruntüchtigkeit nach § 316 StGB<br />
rechtfertigen (BGH, Beschluss vom 25. Mai 2000,<br />
4 StR 171/00, zitiert in JURIS [= BA 2000, 502]). Entscheidend<br />
seien die Gesamtschau der Umstände <strong>und</strong><br />
die Beurteilung der Beweisanzeichen (vgl. OLG München,<br />
Beschluss vom 30. 01. 2006, 4St RR 11/06 zitiert<br />
in JURIS [= BA 2006, 490]).<br />
Dieser Rechtsansicht wird nicht beigetreten. Denn<br />
sie berücksichtigt nicht die inzwischen eingetretene<br />
wissenschaftliche Entwicklung in der chemischen<br />
Analyse der Wirkstoffe sowie ihrer Abbauzeiten <strong>und</strong><br />
-werte sowie die mittlerweile gewonnenen Erkenntnisse<br />
über die verkehrsmedizinisch relevanten Wir-<br />
Rechtsprechung<br />
249<br />
kungen von Cocain <strong>und</strong> Cannabis sowie über den<br />
Verlauf des Cocain- <strong>und</strong>/oder Cannabisrausches.<br />
Diese Entwicklungen <strong>und</strong> Erkenntnisse werden in der<br />
Rechtsprechung zunehmend anerkannt. So reicht es –<br />
entsprechend dem Charakter der Vorschrift als eines<br />
abstrakten Gefährdungsdelikts – aus, eine Konzentration<br />
festzustellen, die es als möglich erscheinen lässt,<br />
dass der untersuchte Kraftfahrzeugführer in seiner<br />
Fahrtüchtigkeit eingeschränkt war <strong>und</strong> dennoch am<br />
Straßenverkehr teilgenommen hat (vgl. OLG Köln,<br />
Beschluss vom 30. Juni 2005, 8 Ss-OWi 103/05 zu<br />
§ 24a StVG, zitiert in JURIS [= BA 2006, 236] – das<br />
Gericht n<strong>im</strong>mt dabei Bezug auf § 24a StVG als abstraktes<br />
Gefährdungsdelikt). Es kann eine berauschende<br />
Wirkung angenommen werden, wenn die betreffende<br />
Substanz in einer Konzentration nachweisbar ist,<br />
die eine Beeinträchtigung der Fahrsicherheit zumindest<br />
als möglich erscheinen lässt (OLG Köln, a. a. O.).<br />
Daher wurden unter Rückgriff auf die Empfehlungen<br />
der Grenzwertkommission von der Rechtsprechung <strong>im</strong><br />
Bußgeldbereich zu § 24a StVG Grenzen zwischen ungefährlichen<br />
<strong>und</strong> gefährlichen Wirkstoffmengen gezogen,<br />
ohne dass es für die Verurteilung auf die Feststellung<br />
<strong>und</strong> Beschreibung von Ausfallerscheinungen<br />
oder sonstigen Beweisanzeichen ankam. Das ist nunmehr<br />
<strong>im</strong> Bußgeldbereich gängige Meinung. Es besteht<br />
aber keinerlei Rechtfertigung, derlei Grenzziehung<br />
be<strong>im</strong> abstrakten Gefährdungsdelikt nach § 24a StVG<br />
zuzulassen, be<strong>im</strong> abstrakten Gefährdungsdelikt nach<br />
§ 316 StGB aber abzulehnen, zumal die Rechtsprechung,<br />
die diese Unterscheidung zwischen § 316<br />
StGB <strong>und</strong> § 24a StVG vollziehen will, sie nicht schlüssig<br />
begründen kann. Wenn ausgeführt wird, bei § 24a<br />
StVG handele es sich wegen der generell-abstrakten<br />
Gefährlichkeit des Genusses von <strong>Drogen</strong> um einen abstrakten<br />
Gefährdungstatbestand als Vorfeld- oder Auffangtatbestand<br />
<strong>gegen</strong>über der an engere Voraussetzungen<br />
geknüpften Strafvorschrift des § 316 StGB (OLG<br />
Zweibrücken, Entscheidung vom 03. Mai 2001, 1 Ss<br />
87/01, zitiert in JURIS [= BA 2002, 129]), handelt es<br />
sich um eine schlichte Behauptung, nicht aber um eine<br />
Begründung. Absolute Grenzwerte sind bei <strong>Alkohol</strong><br />
längst anerkannt, nachdem sie von der Wissenschaft<br />
<strong>und</strong> Rechtsprechung entwickelt worden sind. Dies hat<br />
auch bei Rauschmitteln zu gelten. Ein Kraftfahrer, bei<br />
dem 352 ng/ml Benzoylecgonin, ein Abbauprodukt<br />
von Cocain, <strong>im</strong> Serum zur Tatzeit festgestellt wurden<br />
<strong>und</strong> bei dem der nach der Empfehlung der Grenzwertekommission<br />
für Cocain ermittelte verbindliche<br />
Grenzwert an Benzoylecgonin um mehr als das<br />
4,6-fache übertroffen ist, ist <strong>im</strong> Sinne von § 316 StGB<br />
fahruntauglich, ohne dass es auf den Nachweis von<br />
Ausfallerscheinungen oder Fahrfehlern ankommt.<br />
Der Angeklagte war ohne Einschränkungen schuldfähig,<br />
denn er hatte die Lage vor Ort zielsicher erfasst,<br />
den Entschluss zur Fahrt, seine Zuweisung zur Verkehrskontrolle<br />
sowie die Maßnahmen schlüssig getroffen,<br />
erfasst <strong>und</strong> ausgeführt sowie die Abwägung<br />
seines Motivs zur Handlung vornehmen können. Laut<br />
ärztlichem Protokoll zur Blutentnahme war seine<br />
Orientierung vollständig, das Urteilsvermögen sicher,<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
250 Rechtsprechung<br />
der Denkablauf geordnet <strong>und</strong> die Sprache deutlich.<br />
Der Angeklagte ist ausweislich der gutachterlichen<br />
Feststellungen <strong>und</strong> der in der Vergangenheit erwirkten<br />
Sanktion Dauerkonsument beider Rauschmittel. Im<br />
Gesamteindruck wurde dem Angeklagten durch den<br />
Arzt eine leichte Beeinflussung durch Betäubungsmittel<br />
attestiert.<br />
Er handelte fahrlässig, hätte er nämlich seine<br />
rauschmittelbedingte Fahruntauglichkeit unter Rückgriff<br />
auf das Vorbenannte erkennen können.<br />
Infolge des festgestellten Sachverhalts hat sich der<br />
Angeklagte eines Vergehens der fahrlässigen Trunkenheit<br />
<strong>im</strong> Verkehr nach § 316 Abs. 1, Abs. 2 StGB in Tateinheit<br />
nach § 52 StGB mit dem Vergehen des vorsätzlichen<br />
Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach § 21 Abs. 1<br />
Nr. 1 StVG schuldig gemacht.<br />
Durch sein Tatverhalten hat sich der Angeklagte als<br />
charakterlich ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen<br />
nach § 69 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 StGB erwiesen,<br />
weshalb die Verwaltungsbehörde nach § 69a Abs. 1<br />
StGB angewiesen wurde, dem Angeklagten nicht vor<br />
Ablauf von 12 (zwölf) Monaten eine Fahrerlaubnis zu<br />
erteilen. Der Angeklagte wird nachzuweisen haben,<br />
dass er verinnerlicht hat, dass der Konsum von <strong>Drogen</strong><br />
– hier Cocain sowie Cannabis – mit der Teilnahme am<br />
Straßenverkehr nicht in Einklang zu bringen ist <strong>und</strong><br />
welche Gefahren dadurch entstehen können. Auch<br />
wird er nachzuweisen haben, dass er dem ungehemmten<br />
Rauschmittelkonsum entsagt hat. Er wird mindestens<br />
12 Monate benötigen, um seine charakterliche<br />
Reife zurück zu gewinnen. Er verstieß massiv <strong>gegen</strong><br />
die Anforderungen, denen er als Fahrzeuglenker unterliegt.<br />
Für den Reifeprozess ist es absolut entscheidend,<br />
dass der Angeklagte das volle Antragsverfahren auf<br />
Neuerteilung einer Fahrerlaubnis durchläuft. Weil dies<br />
geraume Zeit in Anspruch nehmen wird, wurde seitens<br />
des Gerichts auf eine weitergehende Sperrfrist verzichtet.<br />
37. 1. Von der Regelfahrerlaubnisentziehung<br />
nach einer Trunkenheitsfahrt kann jedenfalls dann<br />
abgesehen werden, wenn seit der Tat <strong>und</strong> der Führerscheinsicherstellung<br />
10 Monate vergangen sind<br />
<strong>und</strong> der Angeklagte in dieser Zeit durch intensive<br />
verkehrspsychologische Maßnahmen (hier: IVT-<br />
Hö) seine Fahreignung wiederhergestellt hat.<br />
2. In einem solchen Fall ist jedoch ein „deklaratorisches“<br />
Fahrverbot nach § 44 Abs. 1 S. 2 StGB<br />
festzusetzen.<br />
Amtsgericht Lüdinghausen,<br />
Urteil vom 02. März 2010 – 9 Ds 82 Js 3375/09-<br />
111/09, 9 Ds 111/09 –<br />
Aus den Gründen:<br />
Der strafrechtlich bislang noch nicht in Erscheinung<br />
getretene Angeklagte hatte am Abend des 29. 04. 2009<br />
zunächst mit der Reparatur eines Kraftfahrzeugs begonnen<br />
<strong>und</strong> <strong>im</strong> Rahmen dieser Reparaturarbeiten er-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
hebliche Mengen <strong>Alkohol</strong> getrunken. Im Laufe der<br />
Nacht bestieg er dann seinen Lastkraftwagen <strong>und</strong> befuhr<br />
hiermit <strong>gegen</strong> 3.05 Uhr u. a. die E-Straße in B. Zur<br />
Tatzeit wies er zumindest eine <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
von 2,57 ‰ auf <strong>und</strong> war dementsprechend absolut<br />
fahruntüchtig.<br />
Der Angeklagte war geständig <strong>und</strong> daher wegen<br />
fahrlässiger Trunkenheit <strong>im</strong> Straßenverkehr gem.<br />
§ 316 Abs. 1, Abs. 2 StGB zu verurteilen. Unter Abwägung<br />
aller für <strong>und</strong> <strong>gegen</strong> den Angeklagten sprechenden<br />
Umstände hielt das Gericht die für Ersttäter einer<br />
fahrlässigen Trunkenheitsfahrt übliche Sanktionen<br />
eines Nettomonatsgehaltes <strong>und</strong> damit von 30 Tagessätzen<br />
zu je 25,00 Euro für tat- <strong>und</strong> schuldangemessen.<br />
Der Angeklagte hat sich zudem durch seine Tat als<br />
ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen,<br />
so dass ihm eigentlich hätte seine Fahrerlaubnis<br />
entzogen <strong>und</strong> eine Sperrfrist festgesetzt werden müssen.<br />
Seit der Tat sind nunmehr jedoch über 10 Monate<br />
Zeit vergangen, in denen seine Fahrerlaubnis auch vorläufig<br />
entzogen bzw. der Führerschein zuvor sichergestellt<br />
worden war. Der Angeklagte hat zudem dargelegt<br />
<strong>und</strong> durch entsprechende Bescheinigungen auch nachgewiesen,<br />
dass er seit der Tat abstinent lebt. Er hat unmittelbar<br />
nach der Tat durch seinen Hausarzt zunächst<br />
regelmäßig Blutproben entnehmen lassen <strong>und</strong> später<br />
regelmäßige Harnproben abgegeben. Zudem hat<br />
er sich in verkehrspsychologische Beratung begeben<br />
<strong>und</strong> anerkannte verkehrsindividualpsychologische Verkehrstherapien<br />
des Anbieters „IVT-Hö“ durchgeführt.<br />
Der Angeklagte selbst hat die Maßnahmen geschildert.<br />
Zudem hat das Gericht die Dipl. Psychologin S.,<br />
die als verantwortliche Verkehrstherapeutin die verkehrspsychologischen<br />
Maßnahmen durchgeführt hat,<br />
als sachverständige Zeugin vernommen. Die Zeugin<br />
hat hier ausgeführt, der Betroffene habe sich zunächst<br />
nach einem intensiven Beratungsgespräch für die Teilnahme<br />
an einer Therapiegruppe entschieden. Er habe<br />
dann wöchentlich je 2 St<strong>und</strong>en an einer Kleingruppensitzung<br />
teilgenommen <strong>und</strong> zwar 14 Mal. Zusätzlich<br />
habe er ein Intensivseminar über 16 St<strong>und</strong>en besucht.<br />
In diesen Therapiest<strong>und</strong>en sei deutlich geworden, dass<br />
der Angeklagte ein verantwortungsbewusster Mensch<br />
sei, der Ängste … bisher verdrängt habe. Er habe sich<br />
mit seinen Versagensängsten auseinandergesetzt <strong>und</strong><br />
den Ursprung der Ängste erkannt. Somit sei es ihm<br />
möglich, mit Unsicherheiten <strong>und</strong> Ängsten in der Zukunft<br />
anders umzugehen. Er habe für sich die Funktion<br />
des <strong>Alkohol</strong>s erkannt <strong>und</strong> habe sich in der Verkehrstherapie<br />
alternative Handlungsweisen, die zukünftig<br />
einen Missbrauch von <strong>Alkohol</strong> unnötig machen erarbeitet.<br />
Er habe engagiert <strong>und</strong> konsequent in der Therapie<br />
mitgearbeitet <strong>und</strong> habe die Therapie erfolgreich<br />
abgeschlossen, so dass nach Ansicht der Verkehrspsychologin<br />
ohne weiteres wieder von dem Vorliegen<br />
einer Eignung <strong>im</strong> Straßenverkehr auszugehen sei. Insoweit<br />
ist auch bekannt, dass die Maßnahme IVT-Hö<br />
nach einer Evaluation der Universität X eine hohe Erfolgsquote<br />
aufweist, dass nämlich nur 6,4 % der Teilnehmer<br />
innerhalb der ersten 5 Jahre nach Abschluss<br />
der Maßnahme <strong>und</strong> der Wiedererteilung der Fahrer-
laubnis wieder <strong>im</strong> Straßenverkehr mit <strong>Alkohol</strong> auffällig<br />
werden.<br />
Die Verkehrspsychologin hat zudem ausgeführt,<br />
dass sie auch <strong>im</strong> Übrigen Maßnahmen zur Wiederherstellung<br />
der Fahreignung nach § 70 FeV durchführt.<br />
Die von dem Angeklagten absolvierten verkehrspsychologischen<br />
Maßnahmen seien derart umfangreich<br />
gewesen, dass sie nahezu der Absolvierung eines solchen<br />
Kurses gleichstehen. Frau S erklärte weiterhin,<br />
sie habe <strong>im</strong> Laufe ihrer Ausbildung für die Verkehrstherapie<br />
an über 30 medizinisch psychologischen Untersuchungen<br />
teilgenommen <strong>und</strong> hospitiert.<br />
Das Gericht n<strong>im</strong>mt daher nicht nur an, dass die Ungeeignetheit<br />
zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht<br />
mehr feststellbar ist, sondern vielmehr gar die Geeignetheit<br />
des Angeklagten zum Führen von Kraftfahrzeugen<br />
trotz seiner Tat nach der Zeugenvernehmung<br />
der sachverständigen Zeugin S positiv festgestellt ist.<br />
Das Gericht ist sich hier der hohen Tatzeit-BAK bewusst<br />
– angesichts der dargestellten verkehrspsychologischen<br />
Maßnahmen war dies aber kein Hindernis<br />
<strong>im</strong> Rahmen der Entscheidung über die Voraussetzungen<br />
der §§ 69, 69a StGB. Hierzu beigetragen hat auch<br />
die Zeit der vorläufigen Fahrerlaubnisentziehung bzw.<br />
der Sicherstellung des Führerscheins des Angeklagten.<br />
Diese Maßnahmen begannen bereits am Tattage.<br />
Der Angeklagte hat hierzu ausgeführt, dass er seit dieser<br />
Zeit täglich mit seinem Fahrrad etwa 40 km Arbeitsweg<br />
fahren müsse <strong>und</strong> dies auch jeden Tag getan<br />
habe. Er habe zudem in seinem beruflichen Fortkommen<br />
Einbußen hinnehmen müssen, da er bei Beförderungen<br />
innerhalb des Betriebs aufgr<strong>und</strong> mangelnder<br />
Flexibilität ohne Fahrerlaubnis nicht zum Zuge gekommen<br />
sei. Folgerichtig reicht es nach Ansicht des<br />
Gerichtes aus, das Regelfahrverbot des § 44 Abs. 1<br />
Satz 2 StGB – deklaratorisch – festzusetzen <strong>und</strong> nicht<br />
die Fahrerlaubnis nach §§ 69, 69a StGB zu entziehen.<br />
Es wird insoweit auf die Entscheidung des Landgerichts<br />
Düsseldorf, DAR 2008, 597 [= BA 2009, 48]<br />
Bezug genommen, die einen ähnlichen Fall betraf.<br />
(Mitgeteilt von Richter am Amtsgericht<br />
Carsten Krumm, Lüdinghausen)<br />
38. Dem Inhaber eines ausländischen EU-Führerscheins<br />
kann das Recht aberkannt werden, von<br />
dieser Fahrerlaubnis <strong>im</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esgebiet Gebrauch<br />
zu machen, wenn Ermittlungen bei den Behörden<br />
des Ausstellermitgliedstaates von dort herrührende<br />
unbestreitbare Informationen ergeben, dass der<br />
Fahrerlaubnisinhaber zum Zeitpunkt der Ausstellung<br />
seinen ordentlichen Wohnsitz nicht <strong>im</strong> Ausstellermitgliedstaat<br />
hatte.<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esverwaltungsgericht (3. Senat),<br />
Urteil vom 25. Februar 2010 – 3 C 15/09 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Der Kläger, ein deutscher Staatsangehöriger, wendet<br />
sich <strong>gegen</strong> die Aberkennung des Rechts, von seiner<br />
Rechtsprechung<br />
251<br />
in Polen erworbenen Fahrerlaubnis <strong>im</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esgebiet<br />
Gebrauch zu machen. Der Oberstadtdirektor der Stadt<br />
K. entzog ihm mit Bescheid vom 10. August 1998 die<br />
Fahrerlaubnis der Klassen 1a <strong>und</strong> 3, die ihm 1996<br />
wiedererteilt worden war. Mit Strafbefehl des Amtsgerichts<br />
K. vom 09. März 1999 wurde der Kläger wegen<br />
Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe verurteilt;<br />
für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis<br />
wurde eine Sperrfrist von 12 Monaten festgesetzt.<br />
1999 war <strong>gegen</strong> den Kläger außerdem ein Ermittlungsverfahren<br />
wegen Körperverletzung, Bedrohung <strong>und</strong><br />
Nötigung zum Nachteil seines Bruders <strong>und</strong> seiner<br />
Mutter anhängig. Es wurde eingestellt, nachdem in<br />
einem psychiatrischen Gutachten die Schuldunfähigkeit<br />
des Klägers <strong>im</strong> Sinne von § 20 StGB festgestellt<br />
worden war. Der Gutachter stützte seine Annahme darauf,<br />
dass be<strong>im</strong> Kläger eine durch psychotrope Substanzen<br />
bedingte psychotische Störung, Verdacht auf<br />
Persönlichkeitsstörung <strong>und</strong> rezidivierender Cannabismissbrauch<br />
vorlägen. Das Amtsgericht K. verurteilte<br />
den Kläger mit Urteil vom 10. Mai 2004 wegen unerlaubter<br />
Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer<br />
Menge zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung.<br />
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts konsumierte<br />
der Kläger zum Tatzeitpunkt <strong>im</strong> Oktober 2003 mehr<br />
oder weniger regelmäßig Betäubungsmittel.<br />
Am 06. Oktober 2004 beantragte der Kläger be<strong>im</strong><br />
Beklagten die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis.<br />
Das von ihm geforderte medizinisch-psychologische<br />
Gutachten legte er nicht vor. Stattdessen erwarb der<br />
Kläger am 28. Juni 2005 in Polen eine Fahrerlaubnis<br />
der Klassen A <strong>und</strong> B; <strong>im</strong> dort ausgestellten Führerschein<br />
ist als Wohnsitz ein Ort in Polen angegeben.<br />
In Deutschland ist der Kläger seit Dezember 1999<br />
ununterbrochen mit Hauptwohnsitz in K. (Kreis V.,<br />
NRW) gemeldet.<br />
Nachdem der Beklagte hiervon erfuhr, forderte er<br />
den Kläger am 12. Januar 2006 auf, seine Fahreignung<br />
durch die Beibringung des Gutachtens eines Facharztes<br />
für Neurologie <strong>und</strong> Psychiatrie sowie eines medizinisch-psychologischen<br />
Gutachtens nachzuweisen.<br />
Dieser Aufforderung kam der Kläger nicht nach.<br />
Daraufhin erkannte der Beklagte ihm mit Bescheid<br />
vom 08. Mai 2006 unter Anordnung des Sofortvollzugs<br />
das Recht ab, von seiner polnischen Fahrerlaubnis<br />
<strong>im</strong> Inland Gebrauch zu machen. Er forderte den<br />
Kläger außerdem zur Vorlage des Führerscheins auf<br />
<strong>und</strong> drohte ihm für den Fall des Zuwiderhandelns ein<br />
Zwangsgeld an. Der Kläger habe die von ihm zu Recht<br />
geforderten Eignungsgutachten nicht beigebracht, so<br />
dass gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf mangelnde Fahreignung<br />
geschlossen werden könne. Der Widerspruch des<br />
Klägers wurde zurückgewiesen.<br />
Seine Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil<br />
vom 02. Oktober 2007 abgewiesen. Zur Begründung<br />
heißt es: Die Aberkennung sei durch § 3 Abs. 1 StVG<br />
i. V.m. § 46 FeV gedeckt; sie sei auch mit der Richtlinie<br />
91/439/EWG vereinbar. Der Kläger habe seine polnische<br />
Fahrerlaubnis rechtsmissbräuchlich erworben.<br />
Deren Erwerb habe nicht <strong>im</strong> Zusammenhang mit der<br />
Niederlassungs- oder Dienstleistungsfreiheit gestan-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
252 Rechtsprechung<br />
den; vielmehr sei es dem Kläger darum gegangen, sich<br />
nicht der für die Erteilung einer deutschen Fahrerlaubnis<br />
erforderlichen medizinisch-psychologischen<br />
Untersuchung unterziehen zu müssen. Deshalb könne<br />
er sich nicht auf die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften<br />
berufen.<br />
Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des<br />
Klägers mit Beschluss vom 25. März 2009 zurückgewiesen.<br />
Zur Begründung führt das Berufungsgericht<br />
aus: Der Beklagte habe gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die<br />
fehlende Fahreignung des Klägers schließen dürfen,<br />
da er ein wegen seines früheren <strong>Drogen</strong>konsums zu<br />
Recht von ihm gefordertes medizinisch-psychologisches<br />
Gutachten nicht beigebracht habe. Der Fahrerlaubnisentziehung<br />
stehe die Richtlinie 91/439/EWG<br />
nicht ent<strong>gegen</strong>. Der Europäische Gerichtshof habe in<br />
seinen Urteilen vom 26. Juni 2008 klargestellt, dass<br />
das Wohnsitzerfordernis in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie<br />
auch die Funktion habe, den Führerscheintourismus<br />
zu bekämpfen. Die Führerscheinrichtlinie verpflichte<br />
einen Mitgliedstaat nicht zur Anerkennung einer ausländischen<br />
Fahrerlaubnis, wenn auf der Gr<strong>und</strong>lage von<br />
Angaben <strong>im</strong> Führerschein oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat<br />
herrührenden unbestreitbaren Informationen<br />
feststehe, dass der Inhaber zum Zeitpunkt<br />
der Ausstellung des Führerscheins keinen ordentlichen<br />
Wohnsitz <strong>im</strong> Ausstellermitgliedstaat gehabt habe. Das<br />
Gleiche müsse gelten, wenn aufgr<strong>und</strong> eines Eingeständnisses<br />
des Fahrerlaubnisinhabers oder aufgr<strong>und</strong><br />
ihm zurechenbarer Angaben auf einen Verstoß <strong>gegen</strong><br />
das Wohnsitzerfordernis geschlossen werden könne.<br />
Der Europäische Gerichtshof habe die Unbestreitbarkeit<br />
der Information als gleichrangiges Kriterium<br />
neben deren Herkunft aus dem Ausstellermitgliedstaat<br />
gestellt. Es gebe keinen Gr<strong>und</strong>, bei einem offenk<strong>und</strong>igen<br />
Verstoß <strong>gegen</strong> das Wohnsitzprinzip danach zu differenzieren,<br />
ob sich die Offenk<strong>und</strong>igkeit aus einem<br />
Dokument des Ausstellermitgliedstaates oder aus Verlautbarungen<br />
oder Verhaltensweisen des Fahrerlaubnisinhabers<br />
ergebe. Das Wohnsitzerfordernis diene<br />
dem Schutz von Leib, Leben <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit der anderen<br />
Verkehrsteilnehmer. Diese Rechtsgüter hätten<br />
ein solches Gewicht, dass der gemeinschaftsrechtliche<br />
Anerkennungsgr<strong>und</strong>satz dahinter zurücktreten müsse.<br />
Die Schutzwürdigkeit von Führerscheintouristen, die<br />
einen Scheinwohnsitz <strong>im</strong> Ausstellermitgliedstaat angegeben<br />
hätten, sei nicht höher, sondern geringer als<br />
die derjenigen, die <strong>gegen</strong>über der ausländischen Fahrerlaubnisbehörde<br />
ehrlich gewesen seien <strong>und</strong> deshalb<br />
nur einen Führerschein mit Eintragung eines deutschen<br />
Wohnsitzes erhalten hätten. Be<strong>im</strong> Kläger liege<br />
der Verstoß <strong>gegen</strong> das Wohnsitzerfordernis deutlich<br />
zutage. Er habe seine Behauptung, nach Polen umgezogen<br />
zu sein, trotz Aufforderung durch das Gericht<br />
nicht substanziiert. Außerdem habe er <strong>gegen</strong>über<br />
den deutschen Meldebehörden stets einen Wohnsitz<br />
<strong>im</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esgebiet angegeben. Schließlich sei er 2005<br />
mehrfach als Verkehrsteilnehmer in K. <strong>und</strong> Umgebung<br />
aufgefallen. Dass der Kläger zwischenzeitlich seine<br />
Fahreignung wiedererlangt habe, sei nicht erkennbar.<br />
Zur Begründung seiner Revision macht der Kläger<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
geltend: Der gemeinschaftsrechtliche Anerkennungsgr<strong>und</strong>satz<br />
stehe einer weiteren Überprüfung seiner<br />
Fahreignung ent<strong>gegen</strong>; stattdessen habe seine in Polen<br />
erworbene Fahrerlaubnis anerkannt werden müssen.<br />
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes<br />
habe der Ausstellermitgliedstaat das Vorliegen<br />
der Voraussetzungen für die Erteilung einer Fahrerlaubnis<br />
zu überprüfen; dabei sei dessen Erkenntnisstand<br />
maßgeblich.<br />
Der Beklagte tritt der Revision ent<strong>gegen</strong>.<br />
Aus den Gründen:<br />
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt<br />
zur Aufhebung der Entscheidung des Berufungsgerichts<br />
<strong>und</strong> zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz<br />
(§ 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO). Die Auffassung<br />
des Oberverwaltungsgerichts, der Beklagte habe dem<br />
Kläger das Recht zum Gebrauchmachen von seiner in<br />
Polen erworbenen Fahrerlaubnis aberkennen dürfen,<br />
weil sie ihm nach seinen eigenen Angaben unter Verstoß<br />
<strong>gegen</strong> das Wohnsitzerfordernis erteilt worden sei,<br />
verletzt den gemeinschaftsrechtlichen Gr<strong>und</strong>satz der<br />
Anerkennung einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis<br />
in der Auslegung, die er in der Rechtsprechung des Europäischen<br />
Gerichtshofes gef<strong>und</strong>en hat (vgl. zuletzt<br />
EuGH, Beschluss vom 09. Juli 2009 – Rs. C-445/08,<br />
Wierer – NJW 2010, 217 [= BA 2009, 408]). Die<br />
Entscheidung des Berufungsgerichts würde sich jedoch<br />
<strong>im</strong> Ergebnis als richtig darstellen (§ 144 Abs. 4<br />
VwGO), falls Ermittlungen bei den Behörden des Ausstellermitgliedstaates<br />
von dort herrührende unbestreitbare<br />
Informationen ergeben sollten, dass der Kläger<br />
zum Zeitpunkt der Ausstellung des Führerscheins seinen<br />
ordentlichen Wohnsitz nicht <strong>im</strong> Ausstellermitgliedstaat<br />
hatte. Die insoweit erforderlichen tatsächlichen<br />
Feststellungen hat das Berufungsgericht noch<br />
zu treffen.<br />
1. Maßgeblich ist die Sach- <strong>und</strong> Rechtslage zum<br />
Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verfügung,<br />
hier also des Widerspruchsbescheides vom 26. Februar<br />
2007 (vgl. u. a. Urteile vom 27. September 1995 –<br />
BVerwG 11 C 34.94 – BVerwGE 99, 249 =<br />
Buchholz 442.16 § 15b StVZO Nr. 24 S. 5 <strong>und</strong> vom<br />
05. Juli 2001 – BVerwG 3 C 13.01 – Buchholz 442.16<br />
§ 15b StVZO Nr. 29 = NJW 2002, 78 [= BA 2002,<br />
133] m. w. N.). Zugr<strong>und</strong>e zu legen sind danach das<br />
Straßenverkehrsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung<br />
vom 05. März 2003 (BGBl I S. 310, ber. S. 919),<br />
bis dahin zuletzt geändert durch Art. 9 des Gesetzes<br />
vom 05. Januar 2007 (BGBl I S. 2), <strong>und</strong> die Fahrerlaubnis-Verordnung<br />
(FeV) vom 18. August 1998<br />
(BGBl I S. 2214) in der Fassung durch die Verordnung<br />
vom 31. Oktober 2006 (BGBl I S. 2407). Der gemeinschaftsrechtliche<br />
Maßstab ergibt sich aus der Richtlinie<br />
des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein<br />
91/439/EWG (ABl EG L Nr. 237 S. 1), zuletzt geändert<br />
durch Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen<br />
Parlaments <strong>und</strong> des Rates vom 29. September<br />
2003 (ABl EU L Nr. 284 S. 1). Da<strong>gegen</strong> ist<br />
die sog. 3. EU-Führerscheinrichtlinie, die Richtlinie<br />
2006/126/EG des Europäischen Parlaments <strong>und</strong> des
Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein<br />
(ABl EU L Nr. 403 S. 18), nach ihrem Art. 18 nicht anwendbar.<br />
2. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen,<br />
dass die innerstaatlichen Voraussetzungen für die<br />
Aberkennung des Rechts des Klägers, von seiner polnischen<br />
Fahrerlaubnis <strong>im</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esgebiet Gebrauch zu<br />
machen, gemäß § 3 Abs. 1 StVG sowie § 46 Abs. 1<br />
<strong>und</strong> 5 i. V. m. § 11 Abs. 8 FeV vorliegen. Auch der Kläger<br />
selbst stellt dies nicht in Abrede.<br />
Die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts<br />
rechtfertigen aber nicht seine Annahme, dass die<br />
Fahrerlaubnisbeschränkung auch mit dem gemeinschaftsrechtlichen<br />
Anerkennungsgr<strong>und</strong>satz in Einklang<br />
steht.<br />
a) Gemäß Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG<br />
werden die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine<br />
<strong>gegen</strong>seitig anerkannt. Dabei regelt das<br />
europäische Gemeinschaftsrecht selbst zugleich die<br />
Mindestvoraussetzungen, die für die Erteilung einer<br />
Fahrerlaubnis erfüllt sein müssen. So muss nach Art. 7<br />
Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 91/439/EWG die Fahreignung<br />
durch das Bestehen einer Prüfung nachgewiesen<br />
werden; außerdem hängt die Ausstellung des<br />
Führerscheins vom Vorhandensein eines ordentlichen<br />
Wohnsitzes <strong>im</strong> Ausstellermitgliedstaat ab (vgl. Art. 7<br />
Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie). Als ordentlicher<br />
Wohnsitz gilt nach Art. 9 der Richtlinie der Ort, an<br />
dem ein Führerscheininhaber wegen persönlicher oder<br />
beruflicher Bindungen gewöhnlich, d. h. während mindestens<br />
185 Tagen <strong>im</strong> Kalenderjahr, wohnt.<br />
Es ist Aufgabe des Ausstellermitgliedstaates zu prüfen,<br />
ob die <strong>im</strong> Gemeinschaftsrecht aufgestellten Mindestvoraussetzungen,<br />
insbesondere diejenigen hinsichtlich<br />
des Wohnsitzes <strong>und</strong> der Fahreignung, erfüllt<br />
sind <strong>und</strong> ob somit die Erteilung – gegebenenfalls<br />
die Neuerteilung – einer Fahrerlaubnis gerechtfertigt<br />
ist. Wenn die Behörden eines Mitgliedstaates einen<br />
Führerschein gemäß Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie<br />
91/439/EWG ausgestellt haben, sind die anderen Mitgliedstaaten<br />
nicht befugt, die Beachtung der in dieser<br />
Richtlinie aufgestellten Ausstellungsvoraussetzungen<br />
zu prüfen. Der Besitz eines von einem Mitgliedstaat<br />
ausgestellten Führerscheins ist als Nachweis dafür anzusehen,<br />
dass der Inhaber des Führerscheins am Tag<br />
der Erteilung diese Voraussetzungen erfüllte (EuGH,<br />
Beschluss vom 09. Juli 2009 – Rs. C-445/08, Wierer –<br />
a. a. O. Rn. 39 f.; Urteile vom 19. Februar 2009 – Rs.<br />
C-321/07, Schwarz – Rn. 76 f. [BA 2009, 206], vom<br />
26. Juni 2008 – Rs. C-329/06 <strong>und</strong> C-343/06, Wiedemann<br />
u.a. – Slg. 2008, I-4635 = NJW 2008, 2403<br />
Rn. 52 f. [= BA 2008, 255] <strong>und</strong> – Rs. C-334/06 bis<br />
C-336/06, Zerche u. a. – Slg. 2008, I-4691 Rn. 49 f.,<br />
unter Bezugnahme auf die Beschlüsse vom 06. April<br />
2006 – Rs. C-227/05, Halbritter – Slg. 2006, I-49<br />
Rn. 34 [= BA 2006, 307] <strong>und</strong> vom 28. September 2006<br />
– Rs. C-340/05, Kremer – Slg. 2006, I-98 Rn. 27<br />
[= BA 2007, 238]).<br />
Dementsprechend sind die Befugnisse der Mitgliedstaaten<br />
nach Art. 8 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 der Richtlinie<br />
91/439/EWG eingeschränkt (vgl. dazu <strong>im</strong> Einzelnen<br />
Rechtsprechung<br />
253<br />
Urteil vom 11. Dezember 2008 – BVerwG 3 C 26.07 –<br />
BVerwGE 132, 315 = Buchholz 442.10 § 3 StVG Nr. 2<br />
Rn. 30 [= BA 2009, 229]). Ein Zugriffsrecht des Mitgliedstaates<br />
besteht jedoch dann, wenn der neue Führerschein<br />
unter Missachtung der in der Richtlinie geregelten<br />
Wohnsitzvoraussetzung ausgestellt worden ist.<br />
Ein Mitgliedstaat darf es ablehnen, in seinem Hoheitsgebiet<br />
die Fahrberechtigung anzuerkennen, die sich<br />
aus einem zu einem späteren Zeitpunkt von einem anderen<br />
Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein ergibt,<br />
wenn auf der Gr<strong>und</strong>lage von Angaben in diesem Führerschein<br />
oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat<br />
herrührenden unbestreitbaren Informationen feststeht,<br />
dass zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins<br />
sein Inhaber, auf den <strong>im</strong> Hoheitsgebiet des ersten<br />
Mitgliedstaates eine Maßnahme des Entzugs der<br />
früheren Fahrerlaubnis angewendet worden ist, seinen<br />
ordentlichen Wohnsitz nicht <strong>im</strong> Hoheitsgebiet des<br />
Ausstellermitgliedstaates hatte (EuGH, Urteile vom<br />
26. Juni 2008 – Rs. C-329/06 <strong>und</strong> C-343/06, Wiedemann<br />
u. a. – a. a. O. Rn. 68 ff. sowie – Rs. C-334/06 bis<br />
C-336/06, Zerche u. a. – a. a. O. Rn. 65 ff.). Diese Aufzählung<br />
der Erkenntnisquellen ist abschließend. Insoweit<br />
können die Erklärungen <strong>und</strong> Informationen, die<br />
der Inhaber dieses Führerscheins in dem <strong>im</strong> Aufnahmemitgliedstaat<br />
durchgeführten Verwaltungsverfahren<br />
oder gerichtlichen Verfahren in Erfüllung einer<br />
Mitwirkungspflicht gemacht hat, nicht als vom Ausstellermitgliedstaat<br />
herrührende Informationen qualifiziert<br />
werden, die beweisen, dass der Inhaber zum<br />
Zeitpunkt der Ausstellung seines Führerscheins seinen<br />
Wohnsitz nicht in diesem Mitgliedstaat hatte (EuGH,<br />
Beschluss vom 09. Juli 2009 – Rs. C-445/08, Wierer –<br />
a. a. O. Rn. 53 ff.).<br />
b) Gegen diese Vorgaben hat das Berufungsgericht<br />
verstoßen, indem es allein aufgr<strong>und</strong> eines Eingeständnisses<br />
des Fahrerlaubnisinhabers <strong>und</strong> aufgr<strong>und</strong> ihm<br />
als eigener Verlautbarung zurechenbarer Angaben auf<br />
einen Verstoß <strong>gegen</strong> das Wohnsitzerfordernis des<br />
Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 91/439/EWG geschlossen<br />
hat. Damit greift das Berufungsgericht auf andere als<br />
die in den Urteilen vom 26. Juni 2008 abschließend genannten<br />
Beweismittel zurück. Zudem ebnet das Oberverwaltungsgericht<br />
die Unterscheidung zwischen aus<br />
dem Aufnahme- <strong>und</strong> dem Ausstellermitgliedstaat herrührenden<br />
Informationen ein, wenn es sich zur<br />
Begründung einer Eignungsprüfungs- <strong>und</strong> Aberkennungsbefugnis<br />
der deutschen Fahrerlaubnisbehörden<br />
auf die Angaben des Klägers <strong>gegen</strong>über den deutschen<br />
Meldebehörden, das Fehlen substanziierter Angaben<br />
zu seinem polnischen Wohnsitz sowie darauf gestützt<br />
hat, dass der Kläger 2005 in Deutschland als Verkehrsteilnehmer<br />
aufgefallen sei. Die Notwendigkeit einer<br />
Differenzierung nach der Herkunft der Informationen<br />
hat der Europäische Gerichtshof <strong>im</strong> Beschluss vom<br />
09. Juli 2009 jedoch gerade noch einmal hervorgehoben.<br />
Schließlich müssen nach seinen Entscheidungen<br />
vom 09. Juli 2009 <strong>und</strong> vom 26. Juni 2008 die Informationen<br />
über den Verstoß <strong>gegen</strong> das Wohnsitzerfordernis<br />
sowohl „unbestreitbar“ sein als auch „aus dem<br />
Ausstellermitgliedstaat herrühren“. Es reicht somit<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
254 Rechtsprechung<br />
nicht aus, dass es sich – ungeachtet ihres Ursprungs –<br />
um unbestreitbare oder unbestrittene Informationen<br />
handelt, wie das Berufungsgericht angenommen hat.<br />
c) Dem Beschluss des Europäischen Gerichtshofes<br />
vom 09. Juli 2009 ist außerdem zu entnehmen, dass<br />
auch die Begründung, die der Klageabweisung in der<br />
ersten Instanz zugr<strong>und</strong>e lag, nicht tragfähig ist. Der<br />
Europäische Gerichtshof hat – ungeachtet der 3. EU-<br />
Führerscheinrichtlinie – erneut bekräftigt, dass nur<br />
unter den engen <strong>und</strong> von ihm abschließend best<strong>im</strong>mten<br />
Voraussetzungen Ausnahmen vom gemeinschaftsrechtlichen<br />
Anerkennungsgr<strong>und</strong>satz gemacht werden<br />
dürfen. Danach führen nicht bereits die Absicht des<br />
Fahrerlaubnisinhabers, die strengeren Erteilungsvoraussetzungen<br />
seines He<strong>im</strong>atstaates zu umgehen, <strong>und</strong><br />
der daran geknüpfte Einwand des Rechtsmissbrauchs<br />
dazu, dass der Aufnahmemitgliedstaat ohne Verstoß<br />
<strong>gegen</strong> Gemeinschaftsrecht die Anerkennung der <strong>im</strong><br />
Ausland erteilten EU-Fahrerlaubnis verweigern kann.<br />
3. Allerdings kann sich die Entscheidung des Berufungsgerichts<br />
aus anderen Gründen <strong>im</strong> Ergebnis als<br />
richtig erweisen (§ 144 Abs. 4 VwGO). Dazu bedarf es<br />
aber weiterer tatsächlicher Feststellungen.<br />
a) Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Beschluss<br />
vom 09. Juli 2009 ausdrücklich gebilligt, dass<br />
die zuständigen Behörden <strong>und</strong> Gerichte des Aufnahmemitgliedstaates<br />
Informationen vom Ausstellermitgliedstaat<br />
darüber einholen, ob bei der Erteilung der<br />
Fahrerlaubnis <strong>gegen</strong> das Wohnsitzerfordernis verstoßen<br />
wurde (a. a. O. Rn. 58). Der Aufnahmemitgliedstaat<br />
ist danach nicht auf solche Informationen beschränkt,<br />
die ihm ohnehin vorliegen (z. B. unmittelbar<br />
aus dem ausländischen Führerschein ersichtlich sind)<br />
oder die ihm unaufgefordert zugehen. Er ist vielmehr<br />
berechtigt, den Ausstellermitgliedstaat, namentlich die<br />
dortigen Meldebehörden, um Auskunft zu ersuchen;<br />
der Ausstellermitgliedstaat ist aufgr<strong>und</strong> seiner gemeinschaftsrechtlichen<br />
Kooperationspflicht (vgl. Art. 12<br />
Abs. 3 der Richtlinie 91/439/EWG) zur zeitnahen Erteilung<br />
der erbetenen Auskünfte verpflichtet. Dabei ist<br />
– wie dem Beschluss vom 09. Juli 2009 ebenfalls zu<br />
entnehmen ist – mit dem Gemeinschaftsrecht auch<br />
vereinbar, dass solche Erk<strong>und</strong>igungen gegebenenfalls<br />
erst vom Verwaltungsgericht <strong>im</strong> Rahmen eines Rechtsstreites<br />
über die Fahrerlaubnisentziehung eingeholt<br />
werden. In Beantwortung der Vorlagefragen werden in<br />
Tenor <strong>und</strong> Begründung des Beschlusses ausdrücklich<br />
auch solche Informationen als verwertbar bezeichnet,<br />
die durch Ermittlungen von Gerichten des Aufnahmemitgliedstaates<br />
- <strong>und</strong> damit nach dem Erlass der Aberkennungsverfügung<br />
- gewonnen wurden.<br />
Ergeben sich durch solche Nachforschungen vom<br />
Ausstellermitgliedstaat stammende unbestreitbare Informationen,<br />
die beweisen, dass der Führerscheininhaber<br />
seinen ordentlichen Wohnsitz <strong>im</strong> Sinne des Art. 9<br />
Abs. 1 der Richtlinie zum Zeitpunkt der Erteilung dieser<br />
Fahrerlaubnis nicht <strong>im</strong> Gebiet des Ausstellermitgliedstaates<br />
hatte, ist es dem Aufnahmemitgliedstaat<br />
nicht verwehrt, für sein Hoheitsgebiet die Anerkennung<br />
der Fahrberechtigung einer Person abzulehnen,<br />
der er eine frühere Fahrerlaubnis mangels Kraftfahr-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
eignung entzogen hatte (a. a .O. Rn. 63). Dabei weist<br />
der Europäische Gerichtshof ausdrücklich dessen Gerichten<br />
die Prüfung zu, ob die unter diesen besonderen<br />
Umständen erlangte Information die genannten Kriterien<br />
erfüllt (a. a. O. Rn. 60). Er schließt nicht aus, die<br />
bei den Einwohnermeldebehörden des Ausstellermitgliedstaates<br />
erlangten Informationen als solche Informationen<br />
anzusehen; da<strong>gegen</strong> sind bei Privatpersonen,<br />
wie Vermietern oder Arbeitgebern, eingeholte Informationen<br />
keine Informationen, die das genannte doppelte<br />
Kriterium erfüllen (a. a. O. Rn. 61).<br />
b) Auch das innerstaatliche Recht hindert eine solche<br />
nachträgliche Einholung von Informationen <strong>im</strong><br />
Ausstellermitgliedstaat, sei es durch die Fahrerlaubnisbehörden<br />
selbst oder das Verwaltungsgericht, <strong>und</strong><br />
deren Verwertung als Beweismittel für einen Verstoß<br />
<strong>gegen</strong> das Wohnsitzerfordernis nicht.<br />
Insbesondere kann dem nicht ent<strong>gegen</strong>gehalten<br />
werden, dass es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit<br />
einer Fahrerlaubnisentziehung auf die Sach- <strong>und</strong><br />
Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung<br />
ankommt. Das besagt nur, dass die Voraussetzungen<br />
für die Fahrerlaubnisentziehung zu diesem<br />
Zeitpunkt vorgelegen haben müssen. Dementsprechend<br />
kommt es – unter anderem – darauf an, dass<br />
zum genannten Zeitpunkt der gemeinschaftsrechtliche<br />
Anerkennungsgr<strong>und</strong>satz der Beschränkung des<br />
Rechts, von der ausländischen Fahrerlaubnis <strong>im</strong><br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esgebiet Gebrauch zu machen, nicht ent<strong>gegen</strong>stand.<br />
Soweit der ordentliche Wohnsitz des Bewerbers<br />
um eine Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Sinne von Art. 7 Abs. 1 <strong>und</strong><br />
Art. 9 der Richtlinie 91/439/EWG in Rede steht,<br />
kommt es auf den Zeitpunkt der Erteilung der ausländischen<br />
EU-Fahrerlaubnis an; auf diesen Zeitpunkt<br />
müssen sich demgemäß die be<strong>im</strong> Ausstellermitgliedstaat<br />
zu erhebenden Informationen beziehen. Eine andere<br />
Frage ist da<strong>gegen</strong>, auf welche Erkenntnisse sich<br />
das Gericht bei seiner Entscheidung darüber stützen<br />
kann, ob die Voraussetzungen für ein rechtmäßiges<br />
Handeln der Fahrerlaubnisbehörde erfüllt waren. Insofern<br />
erlaubt <strong>und</strong> gebietet das deutsche Verwaltungsprozessrecht,<br />
der gerichtlichen Entscheidung auch solche<br />
Erkenntnisse zugr<strong>und</strong>e zu legen, die erst <strong>im</strong><br />
verwaltungsgerichtlichen Verfahren aufgr<strong>und</strong> der gebotenen<br />
Ermittlung des Sachverhaltes von Amts<br />
wegen nach § 86 VwGO gewonnen wurden, die aber<br />
über die Sachlage zum maßgeblichen Zeitpunkt Auskunft<br />
geben. Dabei ist hier allerdings zu berücksichtigen,<br />
dass aus den dargestellten Gründen des Gemeinschaftsrechts<br />
auch insoweit nur unbestreitbare Informationen<br />
verwertbar sind, die aus dem Ausstellermitgliedstaat<br />
herrühren.<br />
c) Ermittlungen der Fahrerlaubnisbehörde (§ 24<br />
VwVfG) oder des Verwaltungsgerichts (§ 86 VwGO)<br />
zum ordentlichen Wohnsitz des Betroffenen zum Zeitpunkt<br />
der Fahrerlaubniserteilung bei den Behörden<br />
des Ausstellermitgliedstaates sind mit Blick auf den<br />
gemeinschaftsrechtlichen Anerkennungsgr<strong>und</strong>satz allerdings<br />
nicht „ins Blaue hinein“, sondern nur dann veranlasst,<br />
wenn ernstliche Zweifel daran bestehen, dass<br />
der Erwerber der Fahrerlaubnis bei deren Erteilung
seinen ordentlichen Wohnsitz nicht <strong>im</strong> Ausstellermitgliedstaat<br />
hatte. Im vorliegenden Fall sind ernstliche<br />
Zweifel dadurch begründet, dass der Kläger <strong>im</strong> gerichtlichen<br />
Verfahren trotz Nachfrage keine substanziierten<br />
Angaben zu seinem angeblichen Wohnsitz in<br />
Polen gemacht <strong>und</strong> auch <strong>gegen</strong>über den deutschen<br />
Meldebehörden nur einen Wohnsitz in Deutschland<br />
angegeben hat.<br />
Da das Berufungsgericht bislang keine Informationen<br />
des Ausstellermitgliedstaates zum damaligen<br />
Wohnsitz des Klägers eingeholt hat – etwa durch eine<br />
Nachfrage bei den polnischen Einwohnermeldebehörden<br />
– <strong>und</strong> dem Revisionsgericht eine solche Sachverhaltsaufklärung<br />
verwehrt ist (§ 137 Abs. 2 VwGO),<br />
kann noch nicht abschließend über die Rechtmäßigkeit<br />
der angefochtenen Aberkennung entschieden werden.<br />
Die Sache ist deshalb an die Vorinstanz zurückzuverweisen,<br />
damit die erforderlichen Tatsachenfeststellungen<br />
nachgeholt werden.<br />
Es kann hier zunächst offenbleiben, welche Konsequenzen<br />
sich ergeben, wenn ein in diesem Sinne berechtigtes<br />
Auskunftsersuchen trotz der gemeinschaftsrechtlichen<br />
Kooperationspflicht unbeantwortet bleibt.<br />
Es liegt nicht fern, dass in einem solchen Fall die<br />
Handlungsmacht der deutschen Behörde <strong>im</strong> Angesicht<br />
ernstlicher Zweifel an der Fahreignung auch aus<br />
gemeinschaftsrechtlicher Sicht nicht auf Dauer beschränkt<br />
sein kann. Gemeinschaftsrechtlich unbedenklich<br />
dürfte jedenfalls eine vorläufige Aberkennung des<br />
Rechts sein, von der Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Inland Gebrauch<br />
zu machen, bis die Wohnsitzfrage geklärt ist.<br />
Eine solche vorläufige Maßnahme kennt das deutsche<br />
Recht jedoch bisher nur bei dem dringenden Verdacht<br />
einer Verkehrsstraftat (§ 111a StPO). Es ist daher<br />
Sache des deutschen Gesetzgebers zu regeln, ob <strong>und</strong><br />
unter welchen Voraussetzungen die Fahrerlaubnisbehörden<br />
zu derartigen vorläufigen Maßnahmen befugt<br />
sein sollen.<br />
39. 1. Der Gr<strong>und</strong>satz der <strong>gegen</strong>seitigen Anerkennung<br />
einer in einem Mitgliedstaat der Europäischen<br />
Gemeinschaft erteilten Fahrerlaubnis ist<br />
auch <strong>im</strong> Rahmen des § 29 FeV zu berücksichtigen.<br />
2. Wird ein Führerschein in einem Mitgliedstaat<br />
der Europäischen Gemeinschaft ohne erneute Eignungsprüfung<br />
umgeschrieben oder umgetauscht,<br />
vermittelt er dem Inhaber keine weitere Berechtigung<br />
zum Führen von Kraftfahrzeugen <strong>im</strong> Inland<br />
als die Fahrerlaubnis, die in dem umgetauschten<br />
früheren Führerschein dokumentiert wurde.<br />
3. Eine Fahrerlaubnis, die von einem Mitgliedstaat<br />
vor Ablauf einer in einem anderen Mitgliedstaat<br />
verhängten Sperrfrist erteilt wird, ist <strong>im</strong> Anwendungsbereich<br />
der Richtlinie RL 91/439/EWG<br />
auch dann nicht anzuerkennen, wenn kein Verstoß<br />
<strong>gegen</strong> das Wohnsitzprinzip vorliegt.<br />
*) 4. Bereits die (einmalige) Einnahme von Betäubungsmitteln<br />
<strong>im</strong> Sinne des Betäubungsmittelgesetzes<br />
mit Ausnahme von Cannabis schließt die<br />
Rechtsprechung<br />
255<br />
Fahreignung aus, ohne dass es auf das Unvermögen<br />
ankommt, zwischen Konsum <strong>und</strong> Fahren zu trennen.<br />
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg,<br />
Beschluss vom 04. Februar 2010 – 10 S 2773/09 –<br />
Aus den Gründen:<br />
1. Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung<br />
von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren<br />
ist nicht begründet. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung<br />
hat auch bei der gebotenen Anlegung eines großzügigen<br />
Maßstabs keine hinreichende Aussicht auf<br />
Erfolg <strong>im</strong> Sinne von § 166 VwGO i. V. m. § 114 ff.<br />
ZPO (dazu 2.).<br />
2. Die Beschwerde des Antragstellers <strong>gegen</strong> die Ablehnung<br />
seines Antrags auf Gewährung vorläufigen<br />
Rechtsschutzes ist zulässig, aber nicht begründet.<br />
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag, <strong>im</strong> Wege<br />
einer einstweiligen Anordnung festzustellen, dass der<br />
Antragsteller berechtigt ist, mit seiner französischen<br />
Fahrerlaubnis der Präfektur S. vom 15. 07. 2009 in<br />
der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik Deutschland ein Kraftfahrzeug zu<br />
führen, mit der zutreffenden Begründung abgelehnt, es<br />
bestehe keine Anordnungsanspruch. Darüber hinaus<br />
sind die strengen Anforderungen nicht erfüllt, die eine<br />
(teilweise) Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigen<br />
würden.<br />
Der in Frankreich wohnhafte Antragsteller, ein italienischer<br />
Staatsangehöriger, wurde mit Urteil des<br />
Landgerichts Karlsruhe vom 04. 04. 1997 wegen illegalen<br />
Handels <strong>und</strong> Schmuggels mit Kokain zu einer<br />
Jugendfreiheitsstrafe von 4 Jahren <strong>und</strong> 6 Monaten verurteilt.<br />
Die Fahrerlaubnis wurde entzogen <strong>und</strong> eine<br />
zweijährige Sperre verhängt. Am 17. 02. 1999 erwarb<br />
der Antragsteller eine italienische Fahrerlaubnis, deren<br />
Gültigkeit bis zum Jahr 2019 verlängert wurde. Seit<br />
15. 07. 2009 ist der Antragsteller <strong>im</strong> Besitz eines von<br />
der Französischen Republik ausgestellten Führerscheins<br />
(„Permis de conduire“).<br />
Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt<br />
hat, berechtigt der französische Führerschein den Antragsteller<br />
nicht dazu, <strong>im</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esgebiet Kraftfahrzeuge<br />
<strong>im</strong> Straßenverkehr zu führen. Zwar muss eine nach<br />
Ablauf der Sperrfrist in einem Mitgliedstaat der Europäischen<br />
Gemeinschaft erteilte neue Fahrerlaubnis<br />
nach Art. 2 Abs. 1 RL 2006/126/EG – ebenso wie<br />
zuvor nach Art. 1 Abs. 2 RL 91/439/EWG – <strong>im</strong> Inland<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich anerkannt werden.<br />
Dabei ist aber zwischen der Fahrerlaubnis („Fahrberechtigung“<br />
<strong>im</strong> Sinne der Rechtsprechung des Europäischen<br />
Gerichtshofs) <strong>und</strong> dem Führerschein als dem<br />
dieses Recht belegenden Dokument zu unterscheiden.<br />
Ein Dokument des Ausstellermitgliedstaats, das<br />
nicht auf der erneuten Prüfung der Fahreignung des<br />
Betroffenen nach Art. 7 RL 2006/126/EG bzw.<br />
RL 91/439/EWG beruht, sondern lediglich die zu<br />
einem früheren Zeitpunkt erteilte Fahrerlaubnis dokumentiert,<br />
unterliegt nicht der Anerkennungspflicht<br />
des Aufnahmemitgliedstaates (vgl. BVerwG, Urt. v.<br />
29. 01.2009 – 3 C 31.07 –, Rdnr. 19 f. [BA 2009, 348]<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
256 Rechtsprechung<br />
unter Hinweis auf EuGH, Urteile vom 26. 06. 2008,<br />
Rs. C-329/06 <strong>und</strong> C-343/06 – Wiedemann, Funk –,<br />
Rdnr. 52 [BA 2008, 255], <strong>und</strong> Rs. C-334/06 bis<br />
C-336/06 – Zerche –, Rdnr. 49, jeweils juris; Senatsbeschl.<br />
v. 27. 10. 2009 – 10 S 2024/09 – juris [= BA<br />
2010, 41]; BayVGH, Beschl. v. 28. 07. 2009 – 11 CS<br />
09.1122 – juris). Für eine erneute Eignungsprüfung<br />
gibt es vorliegend keine Anhaltspunkte. Bei dem französischen<br />
Führerschein des Antragstellers handelt es<br />
sich lediglich um eine Umschreibung seiner italienischen<br />
Fahrerlaubnis vom 17. 02. 1999. Dies ergibt sich<br />
zum einen aus dem eigenen Vortrag des Antragstellers,<br />
insbesondere aus der <strong>im</strong> Gerichtsverfahren vorgelegten<br />
eidesstattlichen Versicherung, zum anderen aus<br />
den <strong>im</strong> Führerschein eingetragenen Daten. Der französische<br />
Führerschein entspricht dem EG-Muster des<br />
Anhangs I zur Richtlinie RL 91/439/EWG. Darin wird<br />
vermerkt, dass dem Antragsteller am 17. 02. 1999 die<br />
Fahrerlaubnis für die Klassen A1, B1 <strong>und</strong> B erteilt<br />
worden ist. Weiter wird <strong>im</strong> Führerschein unter Nummer<br />
70 auf die am 17. 02. 1999 in Italien erteilte Fahrerlaubnis<br />
Bezug genommen. Nach den harmonisierten<br />
Gemeinschaftscodes des Anhangs I zur Richtlinie<br />
RL 91/439/EWG ist unter der Schlüsselnummer 70 ein<br />
Umtausch zu vermerken. Der französische Führerschein<br />
vermittelt daher keine weitergehende Berechtigung<br />
zum Führen von Kraftfahrzeugen <strong>im</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esgebiet<br />
als die umgeschriebene italienische Fahrerlaubnis.<br />
Der Antragsteller ist aber auch aufgr<strong>und</strong> seiner italienischen<br />
Fahrerlaubnis nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen<br />
<strong>im</strong> Inland berechtigt. Nach § 29 Abs. 1<br />
FeV dürfen zwar die Inhaber einer ausländischen Fahrerlaubnis<br />
<strong>im</strong> Umfang ihrer Berechtigung <strong>im</strong> Inland<br />
Kraftfahrzeuge führen, wenn sie hier keinen ordentlichen<br />
Wohnsitz haben. Nach § 29 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3<br />
FeV gilt diese Berechtigung aber nicht für Inhaber<br />
einer ausländischen Fahrerlaubnis, denen – wie hier<br />
dem Antragsteller – die Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Inland von<br />
einem Gericht oder einer Behörde entzogen worden ist.<br />
Ent<strong>gegen</strong> der Auffassung des Antragstellers verpflichtet<br />
das Gemeinschaftsrecht <strong>im</strong> vorliegenden Fall<br />
nicht zu einer einschränkenden Auslegung des § 29<br />
Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FeV. Zwar ist der Gr<strong>und</strong>satz<br />
der <strong>gegen</strong>seitigen Anerkennung nach Art. 2 Abs. 1<br />
2006/126/EG/Art. 1 Abs. 2 RL 91/439/EWG auch <strong>im</strong><br />
Rahmen des § 29 FeV zu berücksichtigen, wenn die<br />
ausländische Fahrerlaubnis von einem Mitgliedstaat<br />
der Europäischen Gemeinschaft ausgestellt wurde.<br />
Die Anerkennungspflicht gilt aber nicht, wenn die EU-<br />
Fahrerlaubnis vor Ablauf einer <strong>im</strong> Inland verhängten<br />
Sperrfrist erteilt wurde. Denn nach der Rechtsprechung<br />
des Europäischen Gerichtshofs ist es einem<br />
Mitgliedstaat nicht verwehrt, es abzulehnen, die Gültigkeit<br />
eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten<br />
Führerscheins anzuerkennen, wenn sein Inhaber<br />
<strong>im</strong> ersten Mitgliedstaat zum Zeitpunkt dieser<br />
Ausstellung einer Sperrfrist für die Neuerteilung einer<br />
Fahrerlaubnis unterlag. Der Umstand, dass sich die<br />
Frage der Gültigkeit erst nach dem Ablauf der Sperrfrist<br />
stellt, hat hierauf keinen Einfluss (EuGH, Beschl.<br />
v. 03. 07. 2008 – C 225/07 – Möginger –, Rdnr. 41 –<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
juris [= BA 2008, 383]; Urt. v. 26. 06. 2008 – Wiedemann,<br />
Funk – a. a. O. Rdnr. 65; jeweils m. w. N.).<br />
So liegt es hier. Die <strong>im</strong> Jahre 1997 verhängte Sperrfrist<br />
endete nach Aktenlage am 08. 04. 1999; die italienische<br />
Fahrerlaubniswurde wurde aber bereits am<br />
17. 02. 1999 erteilt. Ent<strong>gegen</strong> der Ansicht des Antragstellers<br />
kommt es nicht darauf an, dass die Sperrfrist<br />
zum <strong>gegen</strong>wärtigen Zeitpunkt abgelaufen ist. Denn<br />
der Aufnahmemitgliedstaat ist weiterhin zur Ablehnung<br />
der Anerkennung berechtigt, auch wenn von der<br />
während der Sperrfrist erteilten Fahrerlaubnis erst<br />
nach deren Ablauf Gebrauch gemacht wird (EuGH,<br />
Beschl. v. 03. 07. 2008 –Möginger – a. a. O. Rdnr. 41).<br />
Auch der Einwand des Antragstellers, es liege kein<br />
Missbrauchsfall vor, weil er aufgr<strong>und</strong> seiner Ausweisung<br />
aus dem <strong>B<strong>und</strong></strong>esgebiet <strong>im</strong> Zeitpunkt der Erteilung<br />
der italienischen Fahrerlaubnis seinen ständigen<br />
Wohnsitz tatsächlich <strong>im</strong> Ausstellerstaat gehabt habe,<br />
rechtfertigt keine andere Beurteilung. Den Entscheidungen<br />
des Europäischen Gerichtshofs lagen zwar regelmäßig<br />
Sachverhalte zugr<strong>und</strong>e, in denen die Inhaber<br />
der ausländischen Fahrerlaubnisse ihren Wohnsitz<br />
nicht <strong>im</strong> Ausstellerstaat, sondern <strong>im</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esgebiet hatten.<br />
Den rechtlichen Ausführungen des Europäischen<br />
Gerichtshofs lässt sich aber nicht entnehmen, dass der<br />
Gr<strong>und</strong>satz, wonach eine innerhalb der Sperrfrist erteilte<br />
Fahrerlaubnis nicht anzuerkennen ist, nur bei gleichzeitigem<br />
Verstoß <strong>gegen</strong> das Wohnsitzerfordernis (vgl.<br />
Art. 7 Abs. 1 Buchst. b, Art. 9 Abs. 4 RL 91/439/EWG;<br />
Art. 7 Abs. 1 Buchst. e, Art. 11 RL 2006/126/EG) gelten<br />
soll. Tragende Erwägung des Gerichtshofs ist vielmehr,<br />
dass der Gr<strong>und</strong>satz der <strong>gegen</strong>seitigen Anerkennung<br />
negiert würde, wenn ein Mitgliedstaat die<br />
Anerkennung einer in einem anderen Mitgliedstaat<br />
erteilten Fahrerlaubnis unbegrenzt verweigern dürfte<br />
(vgl. etwa Urt. v. 26. 06. 2008, a. a. O. – Zerche - Rdnr.<br />
60 m. w. N.). Der Anerkennungsgr<strong>und</strong>satz verlangt danach<br />
nur insoweit eine enge Auslegung des Art. 8<br />
Abs. 4 RL 93/439/EWG – der <strong>im</strong> Zeitpunkt der<br />
Ausstellung der italienischen Fahrerlaubnis noch anwendbar<br />
war –, als der (Aufnahme-)Mitgliedstaat andernfalls<br />
die Anerkennung auf unbest<strong>im</strong>mte Zeit verweigern<br />
<strong>und</strong> die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis auf<br />
Dauer von der Durchführung einer innerstaatlichen<br />
Eignungsprüfung abhängig machen dürfte. Eine vergleichbare<br />
Sachlage ist bei Ablehnung der Anerkennung<br />
einer Fahrerlaubnis, die in dem begrenzten Zeitraum<br />
einer Sperrfrist erteilt wurde, nicht gegeben.<br />
Im Übrigen ist die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis<br />
durch den Ausstellermitgliedstaat vor Ablauf einer<br />
in einem anderen Mitgliedstaat verhängten Sperrfrist<br />
auch <strong>im</strong> Hinblick auf das Territorialitätsprinzip bedenklich.<br />
Wie das Verwaltungsgericht weiter zutreffend ausgeführt<br />
hat, dürfte der Antragsteller auch keinen Anspruch<br />
auf Erteilung des Rechts haben, von seiner<br />
ausländischen Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Inland Gebrauch zu<br />
machen (§ 29 Abs. 4 FeV). Ungeachtet der Frage, ob<br />
der bisherige Schriftwechsel als entsprechende Antragstellung<br />
ausgelegt werden kann, hat der Antragsteller<br />
jedenfalls nicht glaubhaft gemacht, dass die
Gründe für die Entziehung nicht mehr bestehen. Die<br />
Fahrerlaubnis wurde <strong>im</strong> Zusammenhang mit illegalem<br />
Handel <strong>und</strong> Schmuggel mit Kokain entzogen. Im Jahre<br />
2002 wurde der Antragsteller erneut wegen Verstoßes<br />
<strong>gegen</strong> das Betäubungsmittelgesetz mit Kokain zu<br />
einer Freiheitsstrafe verurteilt. Anlässlich einer Verkehrskontrolle<br />
am 01. 08. 2006 fiel er wiederum <strong>im</strong><br />
Zusammenhang mit Betäubungsmitteln auf. Ein <strong>Drogen</strong>schnelltest<br />
verlief positiv auf Kokain. In der entnommenen<br />
Blutprobe konnte zwar kein Kokain <strong>und</strong><br />
kein Kokain-Metabolit oberhalb der Nachweisgrenze<br />
von ca. 10 ng/ml nachgewiesen werden. Die Begutachtung<br />
der Urinprobe erbrachte aber den Nachweis<br />
von Abbauprodukten von Kokain (Methylecgonin)<br />
<strong>und</strong> von einem Antidepressivum sowie einen auffällig<br />
hohen Testosteron-Wert, was nach Auffassung des<br />
Gutachters in der Gesamtschau mit dem Verhalten des<br />
Antragstellers bei der Verkehrskontrolle (u. a. Aggressivität,<br />
Schlangenlinien-Fahren) den Verdacht auf die<br />
Einnahme leistungssteigernder Substanzen <strong>und</strong> Kokainmissbrauch<br />
nahelegt. Danach sind die Eignungsbedenken<br />
bei weitem nicht ausgeräumt.<br />
Wenn in der Beschwerdebegründung dem<strong>gegen</strong>über<br />
sinngemäß geltend gemacht wird, der Nachweis,<br />
dass der Antragsteller unter Kokaineinfluss gefahren<br />
sei, sei nicht erbracht, wird verkannt, dass bereits<br />
die (einmalige) Einnahme von Betäubungsmitteln <strong>im</strong><br />
Sinne des Betäubungsmittelgesetzes mit Ausnahme<br />
von Cannabis die Fahreignung ausschließt, ohne dass<br />
es auf das Unvermögen ankommt, zwischen Konsum<br />
<strong>und</strong> Fahren zu trennen (Nr. 9.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung;<br />
ständige Rspr., vgl. etwa Senatsbeschl.<br />
v. 24. 05. 2002 – 10 S 835/02 – VBlBW<br />
2003, 23 [= BA 2002, 379]; Beschl. v. 07. 03. 2006 –<br />
10 S 293/06 -; Beschl. v. 19. 02. 2007 – 10 S 3032/06 –<br />
juris [= BA 2007, 190]).<br />
Auch der Umstand, dass die Verkehrskontrolle<br />
mehr als 3 Jahre zurückliegt, begründet kein schutzwürdiges<br />
Vertrauen darauf, dass der Vorfall vom August<br />
2006 nicht mehr zu Lasten des Antragstellers berücksichtigt<br />
wird. Im Übrigen trifft es ent<strong>gegen</strong> dem<br />
Vorbringen des Antragstellers nicht zu, dass die Fahrerlaubnisbehörde<br />
erstmals <strong>im</strong> Jahre 2008 reagiert hat;<br />
vielmehr hat sie den Antragsteller bereits mit Schreiben<br />
vom 20. 11. 2006 zur beabsichtigten Fahrerlaubnisentziehung<br />
angehört <strong>und</strong> mit Schreiben vom<br />
27. 11. 2006 zur Beibringung eines medizinischpsychologischen<br />
Gutachtens aufgefordert. Das Verfahren<br />
hat sich lediglich wegen verschiedener Wohnsitzwechsel<br />
des Antragstellers <strong>und</strong> seines Wegzugs ins<br />
Ausland verzögert.<br />
Im Übrigen hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht,<br />
dass ihm ohne den Erlass einer einstweiligen<br />
Anordnung so schwere <strong>und</strong> unzumutbare Nachteile<br />
entstehen, dass eine Vorwegnahme der Hauptsache gerechtfertigt<br />
ist. Wie ausgeführt, dürfte der Antragsteller<br />
nach wie vor nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen<br />
geeignet sein. Es besteht der dringende Verdacht<br />
auf Betäubungsmittelkonsum. Die Gelegenheit, seine<br />
Fahreignung durch Beibringung eines – mehrfach angeforderten<br />
– medizinisch-psychologischen Gutach-<br />
Rechtsprechung<br />
257<br />
tens nachzuweisen, hat der Antragsteller nicht wahrgenommen.<br />
Im Hinblick auf die erheblichen Gefahren,<br />
die von einem ungeeigneten Kraftfahrer für hochrangige<br />
Rechtsgüter wie Leben <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit anderer<br />
Verkehrsteilnehmer ausgehen, rechtfertigt der Umstand,<br />
dass der Antragsteller ohne die beantragte einstweilige<br />
Anordnung seine Verwandtschaft <strong>im</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esgebiet<br />
nicht mehr mit dem Kraftfahrzeug besuchen<br />
kann <strong>und</strong> in seiner Mobilität eingeschränkt ist, nicht<br />
die sofortige Zulassung des Antragstellers zur Teilnahme<br />
am inländischen Straßenverkehr.<br />
(Mitgeteilt vom 10. Senat des Verwaltungsgerichtshofes<br />
Baden-Württemberg)<br />
40. Stellt eine Fahrerlaubnisbehörde – ohne die<br />
sofortige Vollziehung anzuordnen – fest, dass eine<br />
EU-Fahrerlaubnis nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen<br />
<strong>im</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esgebiet berechtigt <strong>und</strong> weist<br />
sie in der Entscheidung auf die Strafbarkeit weiterer<br />
Verkehrsteilnahme hin, so liegt ein faktischer<br />
Vollzug eines feststellenden Verwaltungsaktes vor.<br />
Rechtsschutz hier<strong>gegen</strong> ist in entsprechender Anwendung<br />
von § 80 Abs. 5 VwGO durch die Feststellung<br />
zu gewähren, dass der eingelegte Widerspruch<br />
aufschiebende Wirkung hat; eine Abwägung zwischen<br />
öffentlichem Vollzugsinteresse <strong>und</strong> dem individuellen<br />
Aussetzungsinteresse wie sonst <strong>im</strong> Anwendungsbereich<br />
von § 80 Abs. 5 VwGO findet<br />
nicht statt.<br />
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg,<br />
Beschluss vom 22. Februar 2010 – 10 S 2702/09 –<br />
Aus den Gründen:<br />
Die Beschwerde des Antragstellers <strong>gegen</strong> den<br />
Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom<br />
27.11. 2009 ist zulässig (vgl. §§ 146, 147 VwGO) <strong>und</strong><br />
begründet.<br />
Aus den vom Antragsteller in der Beschwerdebegründung<br />
dargelegten Gründen (§ 146 Abs. 4 Satz 6<br />
VwGO) ergibt sich, dass der sachdienlich verstandene<br />
Antrag des Antragstellers auf Feststellung der<br />
aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs vom<br />
02. 10. 2009 <strong>gegen</strong> die Verfügung des Antragsgegners<br />
vom 30. 09. 2009 ent<strong>gegen</strong> der vom Verwaltungsgericht<br />
vertretenen Auffassung statthaft <strong>und</strong> auch <strong>im</strong><br />
Übrigen zulässig ist. Der Antrag hat in der Sache Erfolg,<br />
weil ein Fall der sogenannten faktischen Vollziehung<br />
vorliegt.<br />
Bei der Entscheidung des Antragsgegners vom<br />
30. 09. 2009, die festgestellt hatte, dass die dem<br />
Antragsteller erteilte tschechische Fahrerlaubnis der<br />
Klasse B vom 10. 01. 2005 keine Berechtigung zur<br />
Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr <strong>im</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esgebiet<br />
entfaltet, handelt es sich – ent<strong>gegen</strong> der<br />
wohl in der Erwiderung zur Beschwerde vertretenen<br />
Auffassung des Antragsgegners - um einen feststellenden<br />
Verwaltungsakt <strong>im</strong> Sinne von § 35 LVwVfG.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
258 Rechtsprechung<br />
Der Antragsgegner hat damit eine verbindliche <strong>und</strong><br />
auf Bestandskraft angelegte Rechtsfolgenanordnung<br />
gemäß § 35 Satz 1 LVwVfG getroffen, indem er über<br />
die von der tschechischen Fahrerlaubnis vermittelte<br />
Berechtigung mit Außenwirkung entschieden hat. Dieser<br />
Qualifizierung als Verwaltungsakt steht die Tatsache,<br />
dass sich die fehlende Berechtigung zum Ausnutzen<br />
der tschechischen Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Inland<br />
möglicherweise bereits unmittelbar aus § 28 Abs. 4<br />
Satz 1 Nr. 2 <strong>und</strong> 3 FeV ergibt, nicht ent<strong>gegen</strong>. Beschreitet<br />
die Verwaltungsbehörde in dieser Verfahrenssituation<br />
den Weg der rechtsnormwiederholenden <strong>und</strong><br />
-konkretisierenden Verfügung, ohne zugleich den Sofortvollzug<br />
anzuordnen, muss sie billigerweise die<br />
Klärung der aufgeworfenen Rechtsfragen <strong>im</strong> Hauptsacheverfahren<br />
vor dem Verwaltungsgericht abwarten<br />
<strong>und</strong> darf diesen Zustand nicht durch Vollzugsmaßnahmen<br />
unterlaufen (vgl. BayVGH, Beschluss vom<br />
06. 10. 2005 – 8 CE 05.585 –, NJW 2006, 2282).<br />
Wie die Beschwerde zutreffend ausführt, liegt eine<br />
faktische Vollziehung des feststellenden Verwaltungsakts<br />
vor, obwohl der Antragsgegner auf dem tschechischen<br />
Führerschein des Antragstellers keinen Versagungsvermerk<br />
angebracht hat. Vollziehung des Verwaltungsaktes<br />
<strong>im</strong> Sinne von § 80 Abs. 1 VwGO bedeutet<br />
jegliches Gebrauchmachen von dem Verwaltungsakt,<br />
jegliche Verwirklichung seines materiellen<br />
Regelungsgehalts, gleichgültig, ob diese Verwirklichung<br />
durch die erlassende oder eine andere Behörde<br />
erfolgt, ob sie freiwillig oder zwangsweise geschieht,<br />
es einer behördlichen Ausführungsmaßnahme bedarf<br />
oder die Rechtswirkung durch den Verwaltungsakt<br />
selbst eintritt. Die aufschiebende Wirkung untersagt<br />
jedermann, aus dem angefochtenen Verwaltungsakt<br />
unmittelbare oder mittelbare, tatsächliche oder rechtliche<br />
Folgerungen gleich welcher Art zu ziehen (vgl.<br />
Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 24. 06. 1996<br />
– 10 M 944/96 –, NVwZ-RR 997, 655; Finkelnburg/Dombert/Külpmann,<br />
Vorläufiger Rechtsschutz<br />
<strong>im</strong> Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl. 2008, RdNr.<br />
631). Gerade bei feststellenden Verwaltungsakten, die<br />
ihre Regelungswirkung unmittelbar entfalten <strong>und</strong> keines<br />
weiteren behördlichen Ausführungsaktes bedürfen,<br />
ist von einem weiten Vollzugsbegriff auszugehen.<br />
Der erlassenden Behörde ist es deshalb vor Eintritt der<br />
Vollziehbarkeit untersagt, dem Bürger die ausgesprochene<br />
Regelungswirkung ent<strong>gegen</strong>zuhalten. Wie insbesondere<br />
die rein materiell-rechtlichen Erwägungen<br />
des Antragsgegners <strong>im</strong> erstinstanzlichen Verfahren des<br />
einstweiligen Rechtsschutzes <strong>und</strong> in seiner Beschwerdeerwiderung<br />
vom 19. 01. 2010 zeigen, geht das Landratsamt<br />
nicht von der aufschiebenden Wirkung des<br />
Widerspruchs des Antragstellers aus, sondern berühmt<br />
sich der Vollziehbarkeit der Entscheidung vom<br />
30. 09. 2009. Auch entfaltet die Feststellungsverfügung<br />
für den Antragsteller insofern eine nachteilige<br />
Rechtswirkung, als er damit von der Fahrerlaubnisbehörde<br />
auf die aus ihrer Sicht nicht vorliegende Berechtigung<br />
zum Fahren <strong>im</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esgebiet ausdrücklich<br />
hingewiesen worden ist <strong>und</strong> somit in Zukunft bei<br />
Nichtbeachtung die ernsthafte Gefahr besteht, dass er<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
strafrechtlich wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach<br />
§ 21 StVG verfolgt wird (vgl. hierzu VG Ansbach, Beschluss<br />
vom 10. 10. 2008 – AN 10 S 08.01570 –, juris).<br />
Bezeichnenderweise hat der Antragsgegner in diesem<br />
Zusammenhang in der Feststellungsverfügung selbst<br />
ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bekanntgewordene<br />
Verstöße hier<strong>gegen</strong> zur Anzeige gebracht würden.<br />
Eine derartige aktive Anregung von Strafverfolgungsmaßnahmen<br />
ist einer Vollzugsmaßnahme durch<br />
die Verwaltungsbehörde wertungsmäßig gleichzustellen<br />
(vgl. BayVGH, Beschluss vom 06. 10. 2005,<br />
a. a. O., zur Einleitung eines Bußgeldverfahrens).<br />
Setzt sich der Betroffene <strong>gegen</strong> die faktische Vollziehung<br />
des Verwaltungsaktes zur Wehr, ist einstweiliger<br />
Rechtsschutz in entsprechender Anwendung von<br />
§ 80 Abs. 5 VwGO zu gewähren. Das Rechtsschutzbegehren<br />
ist dabei auf die Feststellung gerichtet, dass der<br />
in der Hauptsache eingelegte Rechtsbehelf aufschiebende<br />
Wirkung hat. Eine Anordnung der aufschiebenden<br />
Wirkung ist in diesen Fällen nicht möglich, weil<br />
der Suspensiveffekt bereits durch die Einlegung des<br />
Rechtsbehelfs eingetreten ist (vgl. BVerwG, Beschluss<br />
vom 09. 06.1983 – 1 C 36.82 –, Buchholz 310 § 80<br />
VwGO Nr. 42; BayVGH, Beschluss vom 16. 03. 2004<br />
– 7 CS 03.3171 –, NVwZ-RR 2005, 679; Finkelnburg/Dombert/Külpmann,<br />
a. a. O., RdNr. 1046,<br />
m. w. N.). Bei der gebotenen sachdienlichen Auslegung<br />
(§§ 86 Abs. 3, 88 VwGO) war das erstinstanzliche<br />
Rechtsschutzbegehren des Antragstellers als Feststellungsantrag<br />
<strong>im</strong> oben dargestellten Sinne zu verstehen.<br />
Das so verstandene Begehren des Antragstellers<br />
ist auch nicht wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses<br />
unzulässig. Das allgemeine Rechtsschutzinteresse<br />
fehlt nur dann, wenn die Klage oder<br />
der Antrag für den Betroffenen offensichtlich keinerlei<br />
rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann. Die<br />
Nutzlosigkeit muss dabei eindeutig sein; <strong>im</strong> Zweifel<br />
ist das Rechtsschutzinteresse zu bejahen (st. Rspr. des<br />
BVerwG, vgl. Urteil vom 29. 04. 2004 – 3 C 25.03 –,<br />
BVerwGE 121, 1; Urteil vom 11.12. 2008 – 3 C 26.07 –,<br />
BVerwGE 132, 315). Hier ergibt es sich jedenfalls daraus,<br />
dass dem Antragsteller die Feststellungsentscheidung<br />
– würde hier<strong>gegen</strong> kein einstweiliger Rechtsschutz<br />
gewährt – bis zur Entscheidung der Hauptsache<br />
als eigenständiger Rechtsgr<strong>und</strong> ent<strong>gegen</strong>gehalten werden<br />
könnte, ohne dass es noch darauf ankommt, ob ein<br />
derartiges Recht möglicherweise schon von vornherein<br />
nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 <strong>und</strong> 3 FeV nicht<br />
bestand.<br />
Der Antrag hat auch in der Sache Erfolg. Nachdem<br />
der Antragsgegner – wie oben näher dargestellt – die<br />
aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers<br />
derzeit nicht beachtet, ist von dem Verwaltungsgerichtshof<br />
antragsgemäß festzustellen, dass<br />
dieser außergerichtliche Rechtsbehelf aufschiebende<br />
Wirkung hat. Da die faktische Vollziehung wegen<br />
der Missachtung des Suspensiveffekts ohne weiteres<br />
rechtswidrig ist, wägt das Verwaltungsgericht in diesem<br />
Falle nicht zwischen öffentlichem Vollzugsinteresse<br />
<strong>und</strong> individuellem Aussetzungsinteresse wie<br />
sonst <strong>im</strong> Anwendungsbereich von § 80 Abs. 5 VwGO
ab (vgl. hierzu Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner,<br />
VwGO, § 80 RdNr. 273). Deshalb ist<br />
dem Senat <strong>im</strong> vorliegenden Verfahren eine Klärung<br />
der die Beteiligten materiell interessierenden Frage, ob<br />
die tschechische Fahrerlaubnis den Antragsteller zum<br />
Führen von Kraftfahrzeugen <strong>im</strong> Inland berechtigt, verwehrt.<br />
Eine entscheidungstragende inhaltliche Prüfung<br />
– in einem neuen Verfahren zunächst vor dem<br />
Verwaltungsgericht – wäre nur dann möglich, wenn der<br />
Antragsgegner – was trotz des ergangenen Beschlusses<br />
möglich ist <strong>und</strong> keines Verfahrens nach § 80 Abs. 7<br />
VwGO bedarf – nachträglich die sofortige Vollziehung<br />
seines Bescheides vom 30. 09. 2009 anordnen oder der<br />
Antragsteller eine einstweilige Anordnung nach § 123<br />
Abs. 1 Satz 1 VwGO mit dem Ziel der Feststellung<br />
einleiten würde, dass die Voraussetzungen für einen<br />
Anerkennungsausschluss nach § 28 Abs. 4 FeV nicht<br />
vorliegen.<br />
Lediglich zur Vermeidung von Missverständnissen<br />
<strong>und</strong> <strong>im</strong> Interesse der Vermeidung weiteren Rechtsstreits<br />
weist der Senat auf seine dem Prozessbevollmächtigten<br />
des Antragstellers bekannte ständige<br />
Rechtsprechung hin, dass nach den Gr<strong>und</strong>sätzen<br />
der Urteile des Europäischen Gerichtshofs vom<br />
26. 06. 2008 (Rs. C-329/06 <strong>und</strong> C-343/06 [BA 2008,<br />
255] sowie C-334/06 bis C-336/06) der Aufnahmemitgliedstaat<br />
die Anerkennung einer <strong>im</strong> EU-Ausland erteilten<br />
Fahrerlaubnis ablehnen kann, wenn auf der<br />
Gr<strong>und</strong>lage von Angaben <strong>im</strong> Führerschein oder anderen<br />
vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren<br />
Informationen feststeht, dass zum Zeitpunkt<br />
der Ausstellung dieses Führerscheins sein Inhaber,<br />
auf den <strong>im</strong> Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaates<br />
eine Maßnahme des Entzugs einer früheren<br />
Fahrerlaubnis angewendet worden ist, seinen amtlichen<br />
Wohnsitz <strong>im</strong> Sinne von Art. 7 Abs. 1 der<br />
Richtlinie 91/439/EWG nicht <strong>im</strong> Hoheitsgebiet des<br />
Ausstellermitgliedstaates hatte. Diese Voraussetzungen<br />
dürften hier erfüllt sein, weil in dem dem Antragsteller<br />
am 10. 01. 2005 ausgestellten Führerschein in<br />
der Rubrik Nr. 8 sein inländischer Wohnort eingetragen<br />
ist. Unerheblich ist, dass das von der Richtlinie<br />
91/439/EWG vorgeschriebene Wohnortprinzip in der<br />
tschechischen Republik erst nach der Erteilung der<br />
Fahrerlaubnis eingeführt worden ist. Maßgeblich ist<br />
allein, dass die Fahrerlaubnis unter Verstoß <strong>gegen</strong> die<br />
– auch für die tschechische Republik verbindlichen –<br />
gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben erteilt worden ist<br />
(vgl. BVerwG, Urteil vom 11.12. 2008 – 3 C 26.07 –,<br />
BVerwGE 132, 315 [= BA 2009, 229]; Senatsbeschl.<br />
vom 23. 11. 2009 – 10 S 2209/09 –).<br />
(Mitgeteilt vom 10. Senat des Verwaltungsgerichtshofes<br />
Baden-Württemberg)<br />
41. 1. § 28 Abs. 4 FeV ist auch auf Fahrerlaubnisse<br />
anzuwenden, die in einem EU- oder EWR-<br />
Staat <strong>im</strong> Wege des Umtauschs eines Führerscheins<br />
aus einem Drittstaat erworben worden sind.<br />
Rechtsprechung<br />
259<br />
2. Einer Entziehung der Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Inland<br />
durch ein Gericht oder durch eine Fahrerlaubnisbehörde<br />
i. S. v. § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV<br />
ist der Fall gleichzustellen, in dem der Betroffene,<br />
ohne <strong>im</strong> Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein, unter<br />
Benutzung von Kraftfahrzeugen Verkehrsdelikte<br />
begangen hat, die <strong>im</strong> Falle des Besitzes einer Fahrerlaubnis<br />
mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit<br />
zur Entziehung dieser Fahrerlaubnis<br />
geführt hätten.<br />
3. N<strong>im</strong>mt der Betroffene einen Fahrerlaubnisantrag<br />
zurück, nachdem <strong>im</strong> Erteilungsverfahren eine<br />
ihm aufgegebene ärztliche oder medizinisch-psychologische<br />
Begutachtung ein negatives Ergebnis erbracht<br />
oder er eine solche Untersuchung verweigert<br />
hat, ist der Fall wie die bestandskräftige Versagung<br />
einer beantragten Fahrerlaubnis i. S. v. § 28<br />
Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV zu bewerten.<br />
4. Der vom EuGH geforderte Vorrang des Anerkennungsgr<strong>und</strong>satzes<br />
nach Art. 1 Abs. 2 Richtlinie<br />
91/439/EWG besteht gemäß Art. 8 Abs. 6 der<br />
Richtlinie 91/439/EWG nicht <strong>im</strong> Hinblick auf eine<br />
EU- bzw. EWR-Fahrerlaubnis, die deren Inhaber<br />
durch den Umtausch eines in einem Drittstaat erworbenen<br />
Führerscheins erlangt hat.<br />
5. Soweit der Senat die Befugnis zur Aberkennung<br />
des Rechts, von einer <strong>im</strong> EU-/EWR- Ausland<br />
erworbenen Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Inland Gebrauch<br />
zu machen, von einer Aufforderung zum Nachweis<br />
der vermeintlich wiedererlangten Fahreignung<br />
abhängig gemacht hat, gilt das nicht<br />
für Umtauschfälle i. S. v. Art. 8 Abs. 6 Richtlinie<br />
91/439/EWG, in denen die umtauschende Fahrerlaubnisbehörde<br />
eines EU-/EWR-Staates die<br />
Fahreignung des Betroffenen nicht einmal rud<strong>im</strong>entär<br />
geprüft hat.<br />
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen,<br />
Beschluss vom 13. Oktober 2009 – 16 B 1067/09 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Dem Antragsteller, der nie eine deutsche Fahrerlaubnis<br />
besessen hat <strong>und</strong> wiederholt unter erheblichem<br />
<strong>Alkohol</strong>einfluss Kraftfahrzeuge geführt hat,<br />
wurde <strong>im</strong> Wege der Feststellung das Recht abgesprochen,<br />
eine in der Russischen Förderung erworbene <strong>und</strong><br />
nachfolgend in Ungarn umgetauschte Fahrerlaubnis<br />
<strong>im</strong> Inland zu nutzen. Sein Antrag auf Wiederherstellung<br />
der aufschiebenden Wirkung seiner da<strong>gegen</strong> erhobenen<br />
Klage blieb erfolglos.<br />
Aus den Gründen:<br />
Der Senat ist anders als das Verwaltungsgericht der<br />
Auffassung, dass die Klage des Antragstellers offensichtlich<br />
unbegründet ist <strong>und</strong> deshalb das öffentliche<br />
Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen<br />
Ordnungsverfügung vom 13. 05. 2009 <strong>gegen</strong>über<br />
dem persönlichen Interesse des Antragstellers am<br />
vorläufigen weiteren Gebrauchmachen von seiner EU-<br />
Fahrerlaubnis auf dem Gebiet der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik<br />
Deutschland überwiegt.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
260 Rechtsprechung<br />
Der Antragsgegner ist jedenfalls <strong>im</strong> Ergebnis zutreffend<br />
davon ausgegangen, dass die in Ungarn ausgestellte<br />
Fahrerlaubnis des Antragstellers kraft Gesetzes<br />
nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen <strong>im</strong><br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esgebiet berechtigt. Das Fehlen der Berechtigung,<br />
die Fahrerlaubnis in der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik<br />
Deutschland zu nutzen, folgt aus § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr.<br />
3 FeV <strong>und</strong> die Befugnis des Antragsgegners zum Erlass<br />
eines Feststellungsbescheides aus § 28 Abs. 4 Satz<br />
2 FeV; diese Regelungen sind auch auf Fahrerlaubnisse<br />
anzuwenden, die in einem EU- oder EWR-Staat<br />
<strong>im</strong> Wege des Umtauschs eines Führerscheins aus<br />
einem Drittstaat erworben worden sind (vgl. Dauer, in:<br />
Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, Kommentar,<br />
40. Aufl., § 28 FeV Rn. 4, unter Hinweis auf<br />
BR-Drucks. 443/98, S. 283).<br />
Nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV gilt die Berechtigung<br />
zum Führen von Kraftfahrzeugen <strong>im</strong> Inland nicht<br />
für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die<br />
ihren Wohnsitz in der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik Deutschland<br />
haben <strong>und</strong> denen unter anderem zuvor <strong>im</strong> Inland die<br />
Fahrerlaubnis von einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde<br />
entzogen oder eine beantragte Fahrerlaubnis<br />
bestandskräftig versagt worden ist. Dass<br />
der Antragsteller ungeachtet etwaiger zwischenzeitlicher<br />
Auslandsaufenthalte zumindest jetzt (wieder) in<br />
Deutschland lebt, ergibt sich schon aus seinen Einlassungen.<br />
Eine Fahrerlaubnisentziehung oder eine bestandskräftige<br />
Versagung eines Antrags auf Erteilung<br />
einer Fahrerlaubnis liegen zwar nicht vor. Der Antragsteller<br />
hat aber, ohne <strong>im</strong> Besitz einer Fahrerlaubnis<br />
zu sein, wiederholt Verkehrsdelikte begangen, die <strong>im</strong><br />
Falle des Besitzes einer Fahrerlaubnis mit an Sicherheit<br />
grenzender Wahrscheinlichkeit zur Entziehung<br />
dieser Fahrerlaubnis geführt hätten. Es kann ihn daher<br />
<strong>im</strong> Hinblick auf die Anwendung des § 28 Abs. 4 Satz 1<br />
Nr. 3 FeV nicht privilegieren, dass er die beiden Trunkenheitsfahrten<br />
in den Jahren 2003 <strong>und</strong> 2004 begangen<br />
hat, ohne <strong>im</strong> Besitz einer Fahrerlaubnis für die<br />
verwendeten Fahrzeuge gewesen zu sein, d. h. sich<br />
zusätzlich des vorsätzlichen Führens eines Kraftfahrzeuges<br />
ohne Fahrerlaubnis schuldig gemacht hat. Im<br />
Übrigen muss bei wertender Betrachtung der bestandskräftigen<br />
Versagung einer beantragten Fahrerlaubnis<br />
der Fall gleichgestellt werden, in dem der Betroffene<br />
einen Fahrerlaubnisantrag zurückn<strong>im</strong>mt,<br />
nachdem er <strong>im</strong> Erteilungsverfahren ohne Erfolg eine<br />
ärztliche oder eine medizinisch-psychologische Begutachtung<br />
hat durchführen lassen oder aber wie vorliegend<br />
eine solche Untersuchung verweigert hat.<br />
Denn es kann keinen rechtlichen Unterschied begründen,<br />
ob einem Fahrerlaubnisbewerber wegen einer negativen<br />
Begutachtung oder wegen der Verweigerung<br />
einer Begutachtung die Erteilung der beantragten Fahrerlaubnis<br />
bestandskräftig versagt wird oder ob er aus<br />
denselben Gründen durch die Antragsrücknahme –<br />
hier am 22. 04. 2008 – der sicheren Ablehnung seines<br />
Antrags zuvorkommt.<br />
Die Anwendung des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV ist<br />
auch weder <strong>im</strong> Hinblick auf die Vereinbarkeit der in<br />
dieser Vorschrift geregelten Anerkennungsverweige-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
rung mit Europäischem Recht noch wegen eines Verstoßes<br />
<strong>gegen</strong> den Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismäßigkeit<br />
in Frage gestellt.<br />
Eine vorliegend noch an der 2. Führerscheinrichtlinie<br />
(Richtlinie 91/439/EWG) zu messende Europarechtswidrigkeit<br />
liegt auch unter Berücksichtigung der<br />
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl.<br />
zuletzt Beschluss vom 09. 07. 2009 – C-445/08 <br />
–, juris [= BA 2009, 408]), schon deshalb nicht<br />
vor, weil vorliegend Art. 8 Abs. 6 der Richtlinie<br />
91/439/EWG anzuwenden ist <strong>und</strong> bei der Anwendung<br />
dieser Best<strong>im</strong>mung – anders als bei Art. 8 Abs. 4 der<br />
Richtlinie 91/439/EWG – kein prinzipieller Anwendungsvorrang<br />
des Anerkennungsgr<strong>und</strong>satzes gemäß<br />
Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG besteht.<br />
Art. 8 Abs. 6 Unterabs. 2 Satz 2 der Richtlinie<br />
91/439/EWG best<strong>im</strong>mt, dass nach dem Umtausch<br />
eines von einem Drittstaat – also weder einem EUnoch<br />
einem EWR-Staat – ausgestellten Führerscheins<br />
<strong>gegen</strong> einen Führerschein nach dem EG-Muster <strong>und</strong><br />
einer – aufgr<strong>und</strong> der Angaben des Antragstellers<br />
hier anzunehmenden – Verlegung des Wohnsitzes in<br />
einen anderen Mitgliedstaat dieser (Zuzugs-)Mitgliedstaat<br />
Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG nicht<br />
anzuwenden braucht. Dieser klare Normbef<strong>und</strong> gibt<br />
keine Handhabe, durch ein extensives Verständnis<br />
des Anerkennungsgr<strong>und</strong>satzes nach Art. 1 Abs. 2 der<br />
Richtlinie 91/439/EWG die Befugnisse der Zuzugsstaaten<br />
zur Gewährleistung ihrer einzelstaatlichen<br />
Sicherheitsstandards <strong>im</strong> Fahrerlaubnisrecht einzuschränken.<br />
Vorliegend kann mit an Sicherheit grenzender<br />
Wahrscheinlichkeit von einem solchen Umtausch<br />
einer Fahrerlaubnis eines Drittstaates in Ungarn ausgegangen<br />
werden. Die unter II. in Anlage 9 zur FeV<br />
genannte, in der gesamten EU geltende einleitende<br />
Schlüsselzahl 70, die in dem ungarischen Führerschein<br />
des Antragstellers (Feld 12) eingetragen ist, belegt den<br />
Umtausch einer in Ungarn vorgelegten Fahrerlaubnis<br />
eines anderen Staates. Die Verwendung des Kürzels<br />
„RUS“ lässt zwanglos auf einen Ersterwerb der Fahrerlaubnis<br />
in der Russischen Föderation schließen. Der<br />
Antragsteller ist der Darstellung des Antragsgegners<br />
über die Umstände des Fahrerlaubniserwerbs auch<br />
nicht substanziiert ent<strong>gegen</strong>getreten. Aufgr<strong>und</strong> der erheblichen<br />
Vorbelastung des Antragstellers, der bereits<br />
<strong>im</strong> Alter von 19 bzw. 20 Jahren dre<strong>im</strong>al hochgradig<br />
alkoholisiert (<strong>Blutalkohol</strong>konzentrationen von 2,26,<br />
2,14 <strong>und</strong> 1,70 Promille) am Straßenverkehr teilgenommen<br />
hat, darunter zwe<strong>im</strong>al ohne die erforderliche<br />
Fahrerlaubnis mit einem Kraftfahrzeug, darüber<br />
hinaus aber auch wegen der offenk<strong>und</strong>igen Absicht<br />
des Antragstellers, sich der Anwendung der in<br />
Deutschland geltenden Standards bei der Fahrerlaubniserteilung<br />
zu entziehen, ist die Entscheidung des Antragsgegners,<br />
den Führerscheinumtausch <strong>im</strong> Inland<br />
nicht anzuerkennen, auch ohne weiteres ermessensgerecht.<br />
Auf die Frage, inwieweit sich die abschließend<br />
vom Landgericht Q. <strong>im</strong> Urteil vom 24. 05. 2005 verhängte<br />
Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis<br />
auf die Anerkennungsfähigkeit der in Ungarn umge-
tauschten russischen Fahrerlaubnis auswirkt, kommt<br />
es nach alledem nicht an.<br />
Unter den aufgezeigten Umständen liegt auch der<br />
vom Verwaltungsgericht gesehene Verstoß <strong>gegen</strong> den<br />
Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismäßigkeit nicht vor. Soweit<br />
der Senat die Rechtmäßigkeit von Ordnungsverfügungen,<br />
mit denen Inländern das Recht aberkannt worden<br />
ist, <strong>im</strong> Gebiet der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik Deutschland von<br />
einer <strong>im</strong> Ausland erworbenen Fahrerlaubnis Gebrauch<br />
zu machen, von einer Aufforderung zum Nachweis<br />
der vermeintlich wiedererlangten Fahreignung abhängig<br />
gemacht hat (vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom<br />
13. September 2006 – 16 B 989/06 –, VRS 111<br />
, 466 = <strong>Blutalkohol</strong> 43 , 507 = Juris<br />
, vom 07. August 2007 – 16 B 418/07 –, Juris,<br />
sowie vom 12. Januar 2009 – 16 B 1610/08 –, DAR<br />
2009, 159 = VRS 116 , 314 = <strong>Blutalkohol</strong> 46<br />
, 109 = Juris , 13) betraf das ausschließlich<br />
Fälle, in denen bereits die ausländische<br />
Fahrerlaubnisbehörde die Fahreignung des Betroffenen<br />
– wenngleich möglicherweise gemessen an den<br />
deutschen Best<strong>im</strong>mungen unzulänglich – überprüft<br />
hat. Hat aber wie vorliegend keine materielle Fahreignungsprüfung<br />
durch die Fahrerlaubnisbehörde eines<br />
EU- oder EWR-Staates stattgef<strong>und</strong>en, besteht für die<br />
inländische Fahrerlaubnisbehörde unter dem Gesichtspunkt<br />
der gr<strong>und</strong>sätzlichen Pflicht zur Anerkennung<br />
EU- bzw. EWR-ausländischer Fahrerlaubnisse kein<br />
Anlass, <strong>im</strong> Vorfeld einer aberkennenden Entscheidung<br />
eigene Ermittlungen über die Fahreignung des betreffenden<br />
Fahrerlaubnisinhabers anzustellen.<br />
Abschließend bleibt anzufügen, dass die vom Antragsteller<br />
vermutlich <strong>im</strong> Jahr 2006 erworbene russische<br />
Fahrerlaubnis diesen nicht mehr zum Führen von<br />
Kraftfahrzeugen in der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik Deutschland<br />
berechtigt. Abgesehen davon, dass der Antragsteller<br />
seinen russischen Führerschein be<strong>im</strong> Umtausch in Ungarn<br />
den dortigen Behörden ausgehändigt haben dürfte<br />
(vgl. Art. 8 Abs. 6 Unterabs. 2 Satz 1 Richtlinie<br />
91/439/EWG), ist nach der Beendigung des offensichtlich<br />
auf die Zeit für den Erwerb der Fahrerlaubnis<br />
beschränkten Aufenthalts des Antragstellers in der<br />
Russischen Föderation der Fortgeltungszeitraum von<br />
sechs Monaten (§ 29 Abs. 1 Satz 3 FeV) seit langem<br />
abgelaufen.<br />
(Mitgeteilt von der Veröffentlichungskommission<br />
der Richter des Oberverwaltungsgerichts<br />
für das Land Nordrhein-Westfalen)<br />
42. § 28 Abs. 4 Nr. 2 der Fahrerlaubnisverordnung<br />
in der bis zum 18. Januar 2009 geltenden<br />
Fassung gelangt nicht schon dann zur Anwendung,<br />
wenn sich der Verstoß <strong>gegen</strong> das Wohnsitzerfordernis<br />
gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchstabe b der Richtlinie<br />
91/439/EWG aus dem vom Mitgliedstaat ausgestellten<br />
Führerschein oder anderen von diesem<br />
Staat herrührenden unbestreitbaren Informationen<br />
ergibt. Vielmehr ist zusätzlich erforderlich,<br />
Rechtsprechung<br />
261<br />
dass dem betreffenden EU-Fahrerlaubnisinhaber<br />
in Deutschland vor der Führerscheinausstellung<br />
die Fahrerlaubnis entzogen oder seine Fahrerlaubnis<br />
eingeschränkt, ausgesetzt oder aufgehoben worden<br />
war (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung,<br />
gr<strong>und</strong>legend Beschluss vom 23. Januar 2009,<br />
BA 2009, 352).<br />
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz,<br />
Urteil vom 18. März 2010 – 10 A 11244/09.OVG –<br />
Aus den Gründen:<br />
Die Voraussetzungen für die Feststellung, dass der<br />
Kläger nicht berechtigt ist, von seiner tschechischen<br />
Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen,<br />
liegen nicht vor. Der Kläger ist vielmehr aufgr<strong>und</strong> dieser<br />
Fahrerlaubnis zur Teilnahme am Straßenverkehr<br />
<strong>im</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esgebiet befugt.<br />
Zwar sind die in der für die Nichtberechtigung allein<br />
in Betracht kommenden Vorschrift des § 28 Abs. 4<br />
Nr. 2 der Fahrerlaubnisverordnung in der bis zum 18.<br />
Januar 2009 geltenden Fassung FeV a. F. best<strong>im</strong>mten<br />
Voraussetzungen für die Versagung der Anerkennung<br />
einer EU-Fahrerlaubnis erfüllt, weil der Kläger zum<br />
Zeitpunkt der Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis<br />
seinen ordentlichen Wohnsitz in der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik<br />
Deutschland hatte. Die genannte Best<strong>im</strong>mung gelangt<br />
jedoch nur dann zur Anwendung, wenn sich der<br />
Verstoß <strong>gegen</strong> das in Art. 7 Abs. 1 b der Richtlinie<br />
91/439/EWG 2. Führerscheinrichtlinie geregelte Wohnsitzerfordernis,<br />
nach dem ein EU-Führerschein nur<br />
vom Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes ausgestellt<br />
werden darf, aus dem vom anderen EU-Mitgliedstaat<br />
Ausstellermitgliedstaat ausgestellten Führerschein<br />
oder anderen von diesem Staat herrührenden<br />
unbestreitbaren Informationen ergibt – diese Voraussetzung<br />
wird hier noch erfüllt – <strong>und</strong> dem betreffenden<br />
EU-Fahrerlaubnisinhaber in Deutschland als dem<br />
Mitgliedstaat, um dessen Anerkennung es geht Aufnahmemitgliedstaat,<br />
vor der Führerscheinausstellung<br />
die Fahrerlaubnis entzogen oder seine Fahrerlaubnis<br />
eingeschränkt, ausgesetzt oder aufgehoben worden<br />
war, was vorliegend nicht der Fall ist.<br />
An seiner bisherigen Rechtsprechung, nach der die<br />
Verletzung des Wohnsitzerfordernisses unter den oben<br />
dargestellten Voraussetzungen für die Nichtanerkennungsbefugnis<br />
des Aufnahmemitgliedstaats ausreicht,<br />
es also nicht darauf ankommt, ob dem Betreffenden in<br />
diesem Staat vor dem Erwerb der EU-Fahrerlaubnis<br />
eine frühere Fahrerlaubnis entzogen worden war<br />
(gr<strong>und</strong>legend Beschluss vom 23. Januar 2009, BA<br />
2009, 352; ferner z. B. der in dieser Sache ergangene<br />
Beschluss vom 18. März 2009 – 10 B 10087/09.OVG –),<br />
hält der Senat nicht mehr fest.<br />
Dass es neben dem Verstoß <strong>gegen</strong> das Wohnsitzerfordernis<br />
seitens des Ausstellermitgliedstaats auch<br />
einer der oben näher bezeichneten Maßnahmen <strong>im</strong><br />
Aufnahmemitgliedstaat bedarf, um gemäß den rechtlichen<br />
Vorgaben der 2. Führerscheinrichtlinie als Aufnahmemitgliedstaat<br />
europarechtlich dazu ermächtigt<br />
zu sein, der vom Ausstellermitgliedstaat erteilten Fahr-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
262 Rechtsprechung<br />
erlaubnis die Anerkennung zu versagen, <strong>und</strong> von daher<br />
§ 28 Abs. 4 Nr. 2 FeV a. F. nur insoweit europarechtskonform<br />
<strong>und</strong> anwendbar ist, erschließt sich wie<br />
folgt:<br />
Die Vereinbarkeit dieser Best<strong>im</strong>mung mit dem Europarecht<br />
beurteilt sich, wie gesagt, nach der 2. Führerscheinrichtlinie.<br />
Sie sieht in Art. 1 Abs. 2 die <strong>gegen</strong>seitige<br />
Anerkennung der von den Mitgliedstaaten<br />
ausgestellten Führerscheine „ohne jede Formalität“<br />
vor. Die Best<strong>im</strong>mung erlegt den Mitgliedstaaten „eine<br />
klare <strong>und</strong> unbedingte Verpflichtung auf, die keinen Ermessensspielraum<br />
in Bezug auf die Maßnahmen lässt,<br />
die zu ergreifen sind, um dieser Verpflichtung nachzukommen“<br />
(stRspr. des EuGH, z. B. Urteile vom<br />
29. April 2004 C-476/01, Kapper [BA 2004, 450], <strong>und</strong><br />
26. Juni 2008 C-329 <strong>und</strong> 343/06, Wiedemann u .a.<br />
[BA 2008, 255]). Dieser Gr<strong>und</strong>satz wurde aufgestellt,<br />
um die Freizügigkeit von Personen zu erleichtern, die<br />
sich in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen<br />
niederlassen, in dem sie die Fahrprüfung abgelegt<br />
haben. Er soll die Ausübung der Rechte erleichtern, die<br />
durch die Best<strong>im</strong>mungen des EG-Vertrags über die<br />
Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die Niederlassungsfreiheit<br />
<strong>und</strong> den freien Dienstleistungsverkehr gewährleistet<br />
werden (vgl. wie vor). Der Besitz eines von<br />
einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins<br />
ist als Nachweis dafür anzusehen, dass der Inhaber<br />
dieses Führerscheins <strong>im</strong> Zeitpunkt dessen Ausstellung<br />
die in der 2. Führerscheinrichtlinie hierfür<br />
vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt hat. Allein dem<br />
Ausstellermitgliedstaat steht es zu, ggf. die Beachtung<br />
der in der Richtlinie aufgestellten Ausstellungsvoraussetzungen<br />
nachzuprüfen (vgl. wie vor).<br />
Die 2. Führerscheinrichtlinie kennt nur eine Ausnahme<br />
von diesem Gr<strong>und</strong>satz. So ist in Art. 8 Abs. 4<br />
der Richtlinie best<strong>im</strong>mt, dass ein Mitgliedstaat es ablehnen<br />
kann, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen,<br />
der von einem anderen Mitgliedstaat einer<br />
Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet<br />
eine der in Abs. 2 der Best<strong>im</strong>mung genannten<br />
Maßnahmen angewendet d. h. eine Fahrerlaubnis eingeschränkt,<br />
ausgesetzt, entzogen oder aufgehoben<br />
wurde.<br />
Hierzu hat der Europäische Gerichtshof in ständiger<br />
Rechtsprechung (vgl. wie vor) hervorgehoben, dass<br />
die Vorschrift eng auszulegen ist. Begründet hat er dies<br />
damit, dass so schon ganz allgemein Best<strong>im</strong>mungen<br />
einer Richtlinie auszulegen seien, die von einem in<br />
der betreffenden Richtlinie aufgestellten allgemeinen<br />
Gr<strong>und</strong>satz abwichen; erst recht müsse das gelten,<br />
wenn dieser allgemeine Gr<strong>und</strong>satz die Ausübung von<br />
durch den EG-Vertrag garantierten Gr<strong>und</strong>freiheiten erleichtern<br />
solle wie es zufolge des eingangs Ausgeführten<br />
bei dem Anerkennungsgr<strong>und</strong>satz der Fall ist.<br />
Eingedenk der insbesondere hier gebotenen engen<br />
Auslegung hat der Europäische Gerichtshof dann entschieden,<br />
dass eine Nichtanerkennung nach Maßgabe<br />
dieser Ausnahmeregelung nur in Betracht kommt,<br />
wenn <strong>im</strong> Zeitpunkt der Führerscheinausstellung durch<br />
den anderen Mitgliedstaat aufgr<strong>und</strong> einer mit der in<br />
Rede stehenden Maßnahme <strong>im</strong> Aufnahmemitglied-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
staat angeordneten Sperrfrist für die Neuerteilung<br />
einer Fahrerlaubnis dort noch keine neue Fahrerlaubnis<br />
erteilt werden durfte (vgl. neben den Urteilen in<br />
den Rechtssachen Kapper <strong>und</strong> Wiedemann u. a. z. B.<br />
die Entscheidungen vom 06. April 2006 C-227/05,<br />
Halbritter [BA 2006, 307], <strong>und</strong> 28. September 2006<br />
C-340/05, Kremer [BA 2007, 238]) oder wenn die<br />
Führerscheinausstellung durch den anderen Mitgliedstaat<br />
während der Gültigkeitsdauer einer Aussetzung<br />
der <strong>im</strong> Aufnahmemitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis<br />
erfolgte <strong>und</strong> diese Fahrerlaubnis nach dem Führerscheinerwerb<br />
<strong>im</strong> Ausstellermitgliedstaat entzogen<br />
wurde (vgl. Urteil vom 20. November 2008 C-1/07,<br />
Weber [BA 2009, 93]).<br />
Vor dem aufgezeigten rechtlichen Hintergr<strong>und</strong> der<br />
besonderen Bedeutung des Anerkennungsgr<strong>und</strong>satzes<br />
für eines der zentralen Anliegen der Europäischen<br />
Union <strong>und</strong> der hieraus abzuleitenden engen Auslegung<br />
der einzigen vom europäischen Normgeber vorgesehenen<br />
Ausnahme von diesem Gr<strong>und</strong>satz ist kein Raum<br />
für die Annahme, dass es völlig losgelöst von den<br />
durch den Richtliniengeber vorgeschriebenen tatbestandlichen<br />
Voraussetzungen für eine Ausnahme vom<br />
Gr<strong>und</strong>satz auch aus anderen Gründen in Betracht kommen<br />
kann, dem von einem anderen EU-Mitgliedstaat<br />
ausgestellten Führerschein die Anerkennung zu versagen.<br />
Es überschreitet nicht nur die Grenzen einer<br />
e n g e n, sondern jedweder Auslegung, die Erfüllung<br />
sämtlicher von einer Norm für die von ihr angeordnete<br />
Rechtsfolge geforderten Voraussetzungen in best<strong>im</strong>mten<br />
Fällen für entbehrlich zu erachten, d. h. die betreffende<br />
Rechtsfolge auch auf einen völlig anderen Sachverhalt<br />
zu beziehen. Für eine zulässige richterliche<br />
Rechtsfortbildung fehlt es hinsichtlich einer weiteren<br />
Ausnahme neben Art. 8 Abs. 4 der 2. Führerscheinrichtlinie<br />
von dem für die Wahrnehmung der unionsrechtlichen<br />
Gr<strong>und</strong>freiheiten besonders bedeutsamen<br />
Gr<strong>und</strong>satz der <strong>gegen</strong>seitigen Anerkennung der Führerscheine<br />
bereits an einer planwidrigen Regelungslücke.<br />
Dafür, dass es dem Europäischen Gerichtshof ungeachtet<br />
dessen genau darum aber gegangen sein könnte,<br />
gibt es in den Entscheidungen vom 29. April 2004<br />
(Kapper) <strong>und</strong> 26. Juni 2008 (Wiedemann u. a.) auch<br />
keinerlei Anhaltspunkte. Sie sprechen vielmehr dafür,<br />
dass der Europäische Gerichtshof die Befugnis zur<br />
Nichtanerkennung wegen <strong>im</strong> eingangs dargestellten<br />
Sinne „offenk<strong>und</strong>iger“ Verletzung des Wohnsitzerfordernisses<br />
durch den Ausstellermitgliedstaat als<br />
„Unterfall“ der Anerkennungsversagungskompetenz<br />
des Art. 8 Abs. 4 der 2. Führerscheinrichtlinie, als<br />
„Lockerung“ der engen Auslegung, was den Zeitpunkt<br />
der Führerscheinausstellung anbelangt, betrachtet hat.<br />
So ist in der Sache Kapper zu sehen, dass die dem<br />
Gericht vorgelegte Frage allein die Rechtsfolgen einer<br />
aufgr<strong>und</strong> eigener Ermittlungen des Aufnahmemitgliedstaates<br />
diesem zur Kenntnis gelangten Verletzung<br />
des Wohnsitzerfordernisses durch den Ausstellermitgliedstaat<br />
mit Blick auf den Anerkennungsgr<strong>und</strong>satz<br />
des Art. 1 Abs. 2 der 2. Führerscheinrichtlinie zum<br />
Gegenstand hatte. Der Europäische Gerichtshof hat<br />
dann von sich aus die Vorlagefrage über die „vom vor-
legenden Gericht ausdrücklich erwähnten Aspekte“<br />
hinaus ausgeweitet, um „eine sachdienliche <strong>und</strong> möglichst<br />
vollständige Antwort auf … (sie) zu geben“.<br />
Hierzu hat er die Frage um „einige andere Best<strong>im</strong>mungen<br />
der Richtlinie 91/439 …, die sich auf die Beantwortung<br />
der Frage auswirken können, <strong>und</strong> zwar insbesondere<br />
Art. 8 Abs. 4“ ergänzt. Er hat sodann zunächst<br />
unter Heranziehung seiner bisherigen Rechtsprechung<br />
(Urteil vom 10. Juli 2003 C-246/00, Kommission/Niederlande;<br />
Beschluss vom 11. Dezember 2003<br />
C-408/02, Da Silva Carvalho) die ursprüngliche ihm<br />
vorgelegte Frage beantwortet. Der hierauf bezogene<br />
Tenor (Nr. 1) der Entscheidung st<strong>im</strong>mt bis auf geringfügige<br />
rein sprachliche Abweichungen mit dem Tenor<br />
der Entscheidung in der Rechtssache Da Silva Carvalho<br />
überein. Die „vom vorlegenden Gericht ausdrücklich<br />
erwähnten Aspekte“ waren mit anderen Worten<br />
in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs<br />
vollumfänglich geklärt. Danach ist der Europäische<br />
Gerichtshof auf die Rechtslage nach Maßgabe des Art. 8<br />
Abs. 4 der 2. Führerscheinrichtlinie als Best<strong>im</strong>mung,<br />
„die sich auf die Beantwortung der Frage auswirken<br />
kann“, eingegangen <strong>und</strong> hat insofern erstmals klargestellt,<br />
dass die Möglichkeit zur Versagung der Führerscheinanerkennung<br />
nach Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie<br />
eine Führerscheinausstellung während des Laufs einer<br />
mit der Maßnahme gemäß Abs. 2 angeordneten Sperrfrist<br />
voraussetzt. Diese über die bereits vorliegende<br />
Entscheidung <strong>im</strong> Verfahren Da Silva Carvalho hinausgehende<br />
ungefragte Feststellung zu Art. 8 Abs. 4 der<br />
Richtlinie erscheint danach als weiterer „Aspekt“<br />
neben den bereits „vom vorlegenden Gericht ausdrücklich<br />
erwähnten Aspekten“ ein <strong>und</strong> derselben Rechtsvorschrift.<br />
Aber auch die Begründung des EuGH-Urteils in der<br />
Rechtssache Wiedemann u. a. weist darauf hin, dass<br />
die Frage nach der Verpflichtung zur Führerscheinanerkennung<br />
in Fällen einer „offensichtlichen“ Außerachtlassung<br />
der Wohnsitzvoraussetzung als „Aspekt“<br />
der Befugnis gem. Art. 8 Abs. 4 der 2. Führerscheinrichtlinie<br />
behandelt worden ist.<br />
So ist zunächst festzustellen, dass der Europäische<br />
Gerichtshof die ihm vorgelegten Fragen als sein „Prüfungsprogramm“<br />
so „zurecht gelegt“ hat, dass es danach,<br />
auch was die Frage der Anerkennung in den genannten<br />
Fällen betrifft, um die Auslegung des Art. 8<br />
Abs. 4 der 2. Führerscheinrichtlinie als Ausnahme<br />
vom Anerkennungsgr<strong>und</strong>satz gemäß Art. 1 Abs. 2 der<br />
Richtlinie geht. So heißt es dort, dass die vorlegenden<br />
Gerichte wissen möchten, wie die Art. 1 Abs. 2, 7<br />
Abs. 1 a <strong>und</strong> b sowie 8 Abs. 2 <strong>und</strong> Abs. 4 der 2. Führerscheinrichtlinie<br />
auszulegen seien, wenn der Führerschein<br />
durch einen anderen Mitgliedstaat nach einem<br />
vorausgegangenen Fahrerlaubnisentzug <strong>im</strong> Aufnahmemitgliedstaat<br />
„außerhalb einer Sperrzeit, aber unter<br />
Missachtung des Wohnsitzerfordernisses oder der Eignungsvoraussetzungen,<br />
die der Aufnahmemitgliedstaat<br />
insoweit zur Gewährleistung der Sicherheit des<br />
Straßenverkehrs vorsieht, ausgestellt wurde“. Nach<br />
dieser Formulierung steht <strong>im</strong> Rahmen der Auslegung<br />
der Ausnahmevorschrift des Art. 8 Abs. 4 der Richt-<br />
Rechtsprechung<br />
263<br />
linie die Beantwortung der Frage an, wie der Fall zu<br />
würdigen ist, dass der Führerschein zwar außerhalb<br />
einer Sperrfrist <strong>und</strong> damit ohne die Möglichkeit zu<br />
einer Nichtanerkennung von daher, dafür aber unter<br />
Nichtbeachtung der Wohnsitzvoraussetzung bzw. der<br />
<strong>im</strong> Recht des Aufnahmemitgliedstaats best<strong>im</strong>mten<br />
Eignungsvoraussetzungen ausgestellt wurde.<br />
Diesen Vorgaben folgt sodann die rechtliche Würdigung<br />
des Europäischen Gerichtshofs. Es werden zunächst<br />
die zufolge der bisherigen Rechtsprechung aus<br />
dem Anerkennungsgr<strong>und</strong>satz herzuleitenden Ge- bzw.<br />
Verbote dargestellt. Daran schließen sich Ausführungen<br />
zu der einzigen in der Richtlinie vorgesehenen<br />
Ausnahme vom Anerkennungsgr<strong>und</strong>satz Art. 8 Abs. 4<br />
an. In diesem Zusammenhang wird die in der<br />
vom Europäischen Gerichtshof ausformulierten Frage<br />
„gleichrangig“ neben der Verletzung des Wohnsitzprinzips<br />
angesprochene Missachtung der vom Aufnahmemitgliedstaat<br />
vorgesehenen Eignungsvoraussetzungen<br />
ebenso wie bereits in seinem Beschluss in der<br />
Rechtssache Kremer dahin gewürdigt, dass Art. 8<br />
Abs. 4 der Richtlinie nicht dazu ermächtigt, die Gültigkeit<br />
des Führerscheins nicht anzuerkennen, solange<br />
der Führerscheininhaber die Bedingungen nicht erfüllt,<br />
die nach den Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats<br />
für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis<br />
nach dem Entzug einer früheren Fahrerlaubnis vorliegen<br />
müssen, einschließlich einer Überprüfung der<br />
Fahreignung, die bestätigt, dass die Gründe für den<br />
Entzug nicht mehr vorliegen.<br />
Schließlich folgen die Ausführungen zu der in Rede<br />
stehenden Fallgestaltung. Sie werden eingeleitet mit<br />
der Bemerkung, zur Beantwortung der aufgeworfenen<br />
Fragen sei „sodann insbesondere auf die Anwendung<br />
des Gr<strong>und</strong>satzes der <strong>gegen</strong>seitigen Anerkennung, wie<br />
er oben in Erinnerung gerufen worden ist, für den Fall<br />
einzugehen, dass feststeht, dass der neue Führerschein<br />
unter Missachtung der von der Richtlinie aufgestellten<br />
Wohnsitzvoraussetzungen ausgestellt worden ist“. Die<br />
Anwendung des Anerkennungsgr<strong>und</strong>satzes war zuvor,<br />
wie dargestellt, namentlich auch unter dem Gesichtspunkt<br />
des hierzu in der Richtlinie best<strong>im</strong>mten Ausnahmetatbestands<br />
„in Erinnerung gerufen“ worden. Innerhalb<br />
der nachfolgenden Ausführungen zu Art. 7 Abs. 1<br />
b der 2. Führerscheinrichtlinie ist der Europäische Gerichtshof<br />
dann <strong>im</strong> Zusammenhang mit der „besonderen<br />
Bedeutung“ des Wohnsitzerfordernisses <strong>im</strong> Verhältnis<br />
zu den übrigen in der Richtlinie aufgestellten<br />
Voraussetzungen noch unmittelbar auf Art. 8 Abs. 4<br />
der Richtlinie zu sprechen gekommen mit der Feststellung,<br />
„die Sicherheit des Straßenverkehrs könnte …<br />
gefährdet werden, wenn die Wohnsitzvoraussetzung in<br />
Bezug auf eine Person, auf die eine Maßnahme der<br />
Einschränkung, der Aussetzung, des Entzugs oder der<br />
Aufhebung der Fahrerlaubnis nach Art. 8 Abs. 4 der<br />
Richtlinie … angewendet worden ist, nicht beachtet<br />
würde“. Schließlich wird die behandelte Frage unter<br />
Voranstellung der rechtlichen Gr<strong>und</strong>lage für die getroffene<br />
Feststellung dieselbe wie die der Feststellung<br />
in Bezug auf die Missachtung der Eignungsvoraussetzungen<br />
des Aufnahmemitgliedstaats beantwortet.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
264 Rechtsprechung<br />
Handelt es sich nach alledem aber bei den in der<br />
Rechtssache Wiedemann u. a. zur „offensichtlichen“<br />
Missachtung des Wohnsitzerfordernisses bei der Führerscheinausstellung<br />
in dem anderen EU-Mitgliedstaat<br />
getroffenen Feststellungen des Europäischen Gerichtshofs<br />
erklärtermaßen um das Ergebnis einer Auslegung<br />
des Art. 8 Abs. 4 der 2. Führerscheinrichtlinie vor dem<br />
Hintergr<strong>und</strong> des Anerkennungsgr<strong>und</strong>satzes des Art. 1<br />
Abs. 2 der Richtlinie, so widerspräche es den Regeln<br />
der Ausdeutung einer gerichtlichen Entscheidung,<br />
wollte man davon ausgehen oder es doch für möglich<br />
erachten, der Europäische Gerichtshof habe die Feststellung<br />
nur deshalb zu Art. 8 Abs. 4 der 2. Führerscheinrichtlinie<br />
getroffen, weil dessen tatbestandliche<br />
Voraussetzungen eben erfüllt gewesen seien, der Fall<br />
eben so „dahergekommen“ sei, ohne dass der Europäische<br />
Gerichtshof jedoch die seinerseits gewonnene<br />
Erkenntnis an die Erfüllung des besagten Tatbestands<br />
geknüpft habe. Dementsprechend lässt sich auch die<br />
ausdrückliche Erwähnung des Umstands <strong>im</strong> Entscheidungstenor,<br />
dass auf den Inhaber des Führerscheins<br />
„<strong>im</strong> Hoheitsgebiet des … (Aufnahmemitgliedstaats)<br />
eine Maßnahme des Entzugs einer früheren Fahrerlaubnis<br />
angewendet worden ist“, vernünftigerweise<br />
nicht dahin verstehen, dass diese Aussage allein der<br />
Tatsache geschuldet ist, dass die Kläger der Ausgangsverfahren<br />
eben „solche“ Führerscheininhaber waren,<br />
dass mit dieser Aussage vielmehr die Notwendigkeit<br />
der Erfüllung des gem. Art. 8 Abs. 4 der 2. Führerscheinrichtlinie<br />
für eine Nichtanerkennung des vom<br />
anderen EU-Mitgliedstaates ausgestellten Führerscheins<br />
vorausgesetzten Tatbestands zum Ausdruck<br />
gebracht worden ist.<br />
Der Senat schließt sich damit unter Aufgabe seiner<br />
bisherigen Rechtsprechung der Rechtsprechung des<br />
Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (Beschluss vom<br />
18. Juni 2009, BA 2009, 354) an. Zu dieser Rechtsauffassung<br />
tendiert auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof<br />
(vgl. Beschluss vom 26. Februar 2009<br />
11 C 09.296, juris).<br />
(Mitgeteilt von Richter am Oberverwaltungsgericht<br />
Hermann Möller, Koblenz)<br />
43. Im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren ist<br />
auch das Ergebnis der toxikologischen Untersuchung<br />
einer unter Verstoß <strong>gegen</strong> den Richtervorbehalt<br />
nach § 81a StPO entnommenen Blutprobe zu<br />
berücksichtigen.<br />
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz,<br />
Beschluss vom 29. Januar 2010 – 10 B 11226/09.OVG –<br />
Aus den Gründen:<br />
Ent<strong>gegen</strong> der Auffassung des Antragstellers kann<br />
das toxikologische Gutachten sehr wohl <strong>im</strong> Fahrerlaubnisentziehungsverfahren<br />
herangezogen werden.<br />
Das gilt ungeachtet der vom Antragsteller unter dem<br />
16. Dezember 2009 abgegebenen eidesstattlichen Ver-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
sicherung der Tatsache, dass er mit der Blutentnahme<br />
nicht einverstanden gewesen sei, sowie des Fehlens<br />
einer richterlichen Anordnung der Entnahme der Blutprobe.<br />
Ob mit Rücksicht hierauf wegen eines Verstoßes<br />
<strong>gegen</strong> den Richtervorbehalt nach § 81a der Strafprozessordnung<br />
– StPO – ein strafprozessuales Verbot<br />
der Verwertung des toxikologischen Bef<strong>und</strong>es gegeben<br />
ist, ist für das vorliegende Verfahren ohne Belang.<br />
Selbst wenn dies so wäre, besagte das nichts zur Verwertbarkeit<br />
<strong>im</strong> Fahrerlaubnisentziehungsverfahren.<br />
Das strafrechtliche Ermittlungs- <strong>und</strong> nachfolgende<br />
Strafverfahren sowie das behördliche Fahrerlaubnisentziehungsverfahren<br />
haben völlig unterschiedliche<br />
Zielsetzungen. Während es <strong>im</strong> strafrechtlichen Ermittlungsverfahren<br />
<strong>und</strong> dem sich hieran gegebenenfalls<br />
anschließenden strafgerichtlichen Verfahren – repressiv<br />
– um die Ahndung kr<strong>im</strong>inellen Unrechts geht, dient<br />
das Tätigwerden der Fahrerlaubnisbehörde – präventiv<br />
– der Abwehr von Gefahren, die anderen Verkehrsteilnehmern<br />
durch die Teilnahme fahrungeeigneter Kraftfahrzeugführer<br />
am Straßenverkehr drohen. Für die<br />
Sachverhaltsaufklärung in diesen beiden Rechtskreisen<br />
hat der Gesetzgeber ganz unterschiedliche Regelungen<br />
getroffen. Während <strong>im</strong> Ermittlungs- bzw.<br />
Strafverfahren <strong>im</strong> Falle eines Verdachts auf ein sich<br />
aus dem Genuss alkoholischer Getränke oder anderer<br />
berauschender Mittel ergebendes Straßenverkehrsdelikt<br />
die Entnahme einer Blutprobe gr<strong>und</strong>sätzlich eine<br />
richterliche Anordnung voraussetzt (§ 81a StPO), ist<br />
die Fahrerlaubnisbehörde bei hinreichenden Anhaltspunkten<br />
für eine Fahrungeeignetheit wegen des Konsums<br />
von <strong>Alkohol</strong> oder anderer berauschender Mittel<br />
gehalten, von dem Fahrerlaubnisinhaber die Beibringung<br />
eines – regelmäßig mit der Entnahme einer Blutprobe<br />
verb<strong>und</strong>enen – ärztlichen oder medizinischpsychologischen<br />
Gutachtens zu verlangen (§§ 13 <strong>und</strong><br />
14 FeV) – ohne dass es dazu mit Blick auf die Blutentnahme<br />
einer richterlichen Anordnung bedürfte. Diese<br />
Anordnung kann nun zwar – anders als eine Anordnung<br />
gemäß § 81a StPO – nicht zwangsweise durchgesetzt<br />
werden. Dem Fahrerlaubnisinhaber ist jedoch<br />
zwingend (vgl. dazu z. B. Beschluss des Senats vom<br />
03. Juni 2008 – 10 B 10356/08.OVG –) die Fahrerlaubnis<br />
zu entziehen, wenn er das ihm zu Recht<br />
abverlangte Gutachten nicht beibringt (§ 11 Abs. 8<br />
FeV).<br />
Im Falle eines Verwertungsverbots für den toxikologischen<br />
Bef<strong>und</strong> zu einer unter Verstoß <strong>gegen</strong> den Richtervorbehalt<br />
des § 81a StPO gewonnenen Blutprobe<br />
ergäbe sich mithin ein Wertungswiderspruch. Es<br />
würde nämlich – ohne dass sich dies mit Blick auf den<br />
den Fahrerlaubnisbehörden obliegenden Schutz der<br />
Allgemeinheit vor gefährlichen Kraftfahrzeugführern<br />
rechtfertigen ließe – für die Unterbindung der weiteren<br />
Verkehrsteilnahme des betreffenden zum Führen von<br />
Kraftfahrzeugen nicht geeigneten Kraftfahrers darauf<br />
ankommen, ob sich der Fahrerlaubnisbehörde die<br />
mangelnde Fahreignung wegen des Konsums von <strong>Alkohol</strong><br />
oder Betäubungsmitteln aus dem Ergebnis eines<br />
vorangegangenen repressiven polizeilichen Vorgehens<br />
erschließt oder ob sie auf der Gr<strong>und</strong>lage anderweitig
erlangter Erkenntnisse in dieser Richtung eigene Ermittlungen<br />
zur Fahreignung des betreffenden Verkehrsteilnehmers<br />
anstellt (wie hier auch OVG Berlin-<br />
Brandenburg, Beschluss vom 03. November 2009, BA<br />
2010, 40; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 16. Dezember<br />
2009 – 12 ME 234/09 –, Juris; OVG Mecklenburg-Vorpommern,<br />
Beschluss vom 20. März 2008 –<br />
1 M 12/08 –, Juris). Das muss umso mehr gelten, als<br />
auch das Ergebnis einer von der Fahrerlaubnisbehörde<br />
zu Unrecht angeordneten Begutachtung für die Entscheidung<br />
über die Entziehung der Fahrerlaubnis verwertet<br />
werden kann, weil auch das auf eine – rechtswidrige<br />
– Anordnung vorgelegte Gutachten eine neue<br />
Tatsache schafft, die selbständige Bedeutung hat, <strong>und</strong><br />
ein Verwertungsverbot für diese Tatsache nicht besteht,<br />
ihm vielmehr das Interesse der Allgemeinheit<br />
ent<strong>gegen</strong>steht, vor Kraftfahrern geschützt zu werden,<br />
die sich aufgr<strong>und</strong> festgestellter Tatsachen als ungeeignet<br />
erwiesen haben (vgl. BVerwG, Urteil vom<br />
18. März 1982, BVerwGE 65, 157).<br />
(Mitgeteilt von Richter am Oberverwaltungsgericht<br />
Hermann Möller, Koblenz)<br />
44. Fehlt einem Verkehrsteilnehmer wegen gelegentlichen<br />
Cannabiskonsums sowie der fehlenden<br />
Fähigkeit, Konsum <strong>und</strong> Fahren zu trennen, die<br />
Kraftfahreignung, ist die Teilnahme an einem Aufbauseminar<br />
für drogenauffällige Fahranfänger für<br />
sich genommen nicht geeignet, die negative Beurteilung<br />
in Zweifel zu ziehen.<br />
Oberverwaltungsgericht Bremen,<br />
Beschluss vom 20. April 2010 – 1 B 23/10 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Der Antragsteller erwarb am 08. 06. 2007 eine<br />
Fahrerlaubnis der Klassen B, M, S <strong>und</strong> L, die am<br />
24. 04. 2008 um die Klassen C, CE <strong>und</strong> T erweitert<br />
wurde. Am 27. 03. 2009 führte der Antragsteller unter<br />
der Wirkung von Cannabis ein Kraftfahrzeug. Bei der<br />
Untersuchung einer Blutprobe wurde der Cannabiswirkstoff<br />
THC in der Konzentration vom 9 ng/ml <strong>und</strong><br />
das Stoffwechselprodukt THC-Carbonsäure mit einer<br />
Konzentration von 90 ng/ml in seinem Blutserum festgestellt.<br />
Am 24. 04. 2009 wurde wegen Verstoßes <strong>gegen</strong><br />
§ 24a Abs. 2 StVG ein Bußgeld in Höhe von 500,00<br />
Euro <strong>gegen</strong> ihn verhängt <strong>und</strong> ein einmonatiges Fahrverbot<br />
angeordnet.<br />
Mit Verfügung vom 08. 06. 2009 gab das Stadtamt<br />
der Antragsgegnerin dem Antragsteller auf, an einem<br />
Aufbauseminar für drogenauffällige Fahranfänger teilzunehmen.<br />
Der Antragsteller absolvierte in der Zeit<br />
vom 05. 08. 2009 bis zum 19. 08. 2009 ein solches Seminar<br />
(Vorgespräch <strong>und</strong> drei Sitzungen von jeweils<br />
180 Minuten).<br />
Mit Verfügung vom 13. 08. 2009 gab das Stadtamt<br />
dem Antragsteller auf, ein ärztliches Gutachten<br />
Rechtsprechung<br />
265<br />
zu seinem Cannabiskonsum vorzulegen. Das ärztliche<br />
Gutachten vom 08. 09. 2009 (Untersuchungstag<br />
25. 08. 2009) gelangte zu dem Ergebnis, dass be<strong>im</strong> Antragsteller<br />
zumindest gelegentlicher Cannabiskonsum<br />
gegeben sei.<br />
Daraufhin entzog das Stadtamt dem Antragsteller<br />
mit Verfügung vom 22. 09. 2009 unter Anordnung der<br />
sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis. Den Widerspruch<br />
des Antragstellers wies der Senator für Umwelt,<br />
Bau, Verkehr <strong>und</strong> Europa mit Widerspruchsbescheid<br />
vom 09. 12. 2009 als unbegründet zurück.<br />
Der Antragsteller hat am 05. 01. 2010 Klage erhoben<br />
<strong>und</strong> zugleich die Aussetzung der sofortigen Vollziehung<br />
beantragt.<br />
Das Verwaltungsgericht Bremen hat es mit Beschluss<br />
vom 13. 01. 2010 abgelehnt, die aufschiebende<br />
Wirkung der Klage wiederherzustellen.<br />
Da<strong>gegen</strong> richtet sich die rechtzeitig erhobene Beschwerde<br />
des Antragstellers.<br />
Aus den Gründen:<br />
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.<br />
Das Oberverwaltungsgericht gelangt bei der in<br />
einem Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen<br />
Interessenabwägung ebenso wie das Verwaltungsgericht<br />
zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse<br />
an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Verfügung<br />
das Interesse des Antragstellers, einstweilen<br />
von der Durchsetzung der Maßnahme verschont zu<br />
bleiben, überwiegt. Die Anfechtungsklage des Antragstellers<br />
wird <strong>im</strong> Hauptsacheverfahren voraussichtlich<br />
erfolglos bleiben. Mit Rücksicht auf die Sicherheit des<br />
Straßenverkehrs überwiegt das öffentliche Interesse<br />
daran, bereits während der Dauer des Rechtsbehelfsverfahrens<br />
seine Teilnahme am Straßenverkehr zu<br />
unterbinden.<br />
Erweist sich jemand als ungeeignet zum Führen<br />
eines Kraftfahrzeugs, so hat die Fahrerlaubnisbehörde<br />
ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen (§ 3 Abs. 1 StVG).<br />
Das gilt insbesondere dann, wenn Mängel nach der<br />
Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung vorliegen<br />
(§ 46 Abs. 1 FeV). Konsumiert ein Verkehrsteilnehmer<br />
danach gelegentlich Cannabis, ist seine Kraftfahreignung<br />
nur gegeben, wenn angenommen werden kann,<br />
dass er den Konsum <strong>und</strong> das Fahren trennen kann<br />
(Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV).<br />
Nach diesem Maßstab ist der Antragsteller ungeeignet<br />
zum Führen von Kraftfahrzeugen. Denn er konsumiert<br />
gelegentlich Cannabis <strong>und</strong> es kann nicht angenommen<br />
werden, dass er Konsum <strong>und</strong> Fahren trennen<br />
kann.<br />
Daran, dass der Antragsteller gelegentlich Cannabis<br />
konsumiert, kann nach dem ärztlichen Gutachten<br />
vom 08. 09. 2009 kein Zweifel bestehen. Die am<br />
25. 08. 2009, dem Untersuchungstag, entnommene<br />
Blutprobe hat ergeben, dass der Antragsteller noch <strong>im</strong><br />
unmittelbaren Vorfeld der Untersuchung Cannabis<br />
konsumiert hatte (THC-Konzentration von 1,2 ng/ml).<br />
Gegenüber der Gutachterin hat der Antragsteller eingeräumt,<br />
<strong>im</strong> Jahre 2009 etwa 10 bis 20 x Cannabis<br />
konsumiert zu haben.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
266 Rechtsprechung<br />
Berücksichtigt man weiter den Vorfall vom<br />
27. 03. 2009, drängt es sich auf, dass die ärztliche Beurteilung,<br />
es liege – zumindest – ein gelegentlicher<br />
Cannabiskonsum bei ihm vor, zutreffend ist. Jedenfalls<br />
kann sicher ausgeschlossen werden, dass der Antragsteller<br />
am 27. 03. 2009 einmalig Cannabis konsumiert<br />
hat. Dass die Gutachterin nach den erhobenen<br />
Bef<strong>und</strong>en sogar einen regelmäßigen Konsum nicht hat<br />
ausschließen können, mag hier auf sich beruhen.<br />
Der bereits genannte Vorfall vom 27. 03. 2009 belegt<br />
zudem, dass der Antragsteller Cannabiskonsum<br />
<strong>und</strong> Fahren nicht trennen kann. Denn er hat an diesem<br />
Tag unter der Wirkung von Cannabis ein Fahrzeug <strong>im</strong><br />
Straßenverkehr geführt. Nach der entnommenen Blutprobe<br />
(THC-Konzentration von 9 ng/ml) kann kein<br />
Zweifel daran bestehen, dass der Konsum zeitnah zur<br />
Teilnahme am Straßenverkehr erfolgte. Die festgestellte<br />
THC-Konzentration lag deutlich über dem Wert<br />
von 1,0 ng/ml bzw. 2,0 ng/ml, der bezüglich der Frage<br />
eines zeitnahen Konsums mit einer entsprechenden<br />
Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit von der Rechtsprechung<br />
zugr<strong>und</strong>e gelegt wird (zum Stand der<br />
Rechtsprechung vgl. OVG Bremen, B. v. 21. 01. 2010<br />
– 1 B 469/09 –; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht,<br />
40. Aufl. 2009, § 2 StVG Rn. 17g).<br />
Der Umstand, dass der Antragsteller aufgr<strong>und</strong> einer<br />
am 18. 06. 2009 von der Antragsgegnerin erlassenen<br />
Anordnung an einem Aufbauseminar für Fahranfänger<br />
teilgenommen hat, ist nicht dazu geeignet, die ungünstige<br />
Beurteilung in Frage zu stellen. Bei der Anordnung<br />
zur Teilnahme an einem Aufbauseminar – hier in<br />
der Form des besonderen Aufbauseminars für drogenauffällige<br />
Verkehrsteilnehmer (§§ 2b Abs. 2 Satz 2<br />
StVG, 36 FeV) – handelt es sich um eine gesetzlich<br />
zwingend vorgesehene Maßnahme <strong>gegen</strong>über Inhabern<br />
einer Fahrerlaubnis auf Probe (§ 2a Abs. 2 StVG,<br />
vgl. Dauer, a. a. O., § 2a StVG Rn. 8). Durch die Maßnahme<br />
soll den Betreffenden die Notwendigkeit eines<br />
verkehrsgerechten Verhaltens verdeutlicht werden; zugleich<br />
soll ihnen klargemacht werden, u. a. durch die<br />
Verlängerung der Probezeit, dass bei einer Fortsetzung<br />
ihres Verhaltens die Fahrerlaubnis auf dem Spiel steht.<br />
Das Gesetz stellt in § 2a Abs. 4 Satz 1 StVG aber ausdrücklich<br />
klar, dass die Vorschriften über die Entziehung<br />
der Fahrerlaubnis wegen fehlender Kraftfahreignung<br />
unberührt bleiben. Die verpflichtende Teilnahme<br />
an einem Aufbauseminar stellt insoweit eine zusätzliche<br />
Maßnahme für Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe<br />
dar, die der spezifischen Anfängersituation Rechnung<br />
trägt, verdrängt aber nicht die allgemeinen Regelungen<br />
über die Fahrerlaubnisentziehung bei fehlender Kraftfahreignung.<br />
Im Falle des Antragstellers kommt deshalb<br />
aufgr<strong>und</strong> des festgestellten Eignungsmangels eine erneute<br />
Teilnahme am Straßenverkehr erst in Betracht,<br />
wenn hinreichend verlässlich davon ausgegangen werden<br />
kann, dass bei ihm eine Persönlichkeitsveränderung<br />
eingetreten ist, die für die Zukunft eine verlässliche<br />
Trennung von Cannabiskonsum <strong>und</strong> Fahren erwarten<br />
lässt. Die bloße Teilnahme an dem Aufbauseminar kann<br />
nicht die positive Feststellung eines solchen Einstellungswandels<br />
ersetzen. Eine entsprechende Feststellung<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
kann allein durch ein <strong>im</strong> Wiedererteilungsverfahren beizubringendes<br />
medizinisch-psychologisches Gutachten<br />
getroffen werden (vgl. § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV; Dauer,<br />
a. a. O., § 2 StVG Rn. 17j).<br />
Eine andere Frage ist, ob es <strong>im</strong> vorliegenden Fall<br />
sachgerecht war, zunächst die Teilnahme am Aufbauseminar<br />
<strong>und</strong> dann die Beibringung eines ärztlichen<br />
Gutachtens zur Klärung des <strong>Drogen</strong>konsums anzuordnen.<br />
§ 2a Abs. 4 Satz 2 StVG sieht eine umgekehrte<br />
Reihenfolge vor – <strong>und</strong> das auch nur dann, wenn die<br />
Behörde aufgr<strong>und</strong> des vorgelegten Gutachtens die<br />
Nichteignung für nicht erwiesen hält. An der Frage,<br />
wie die Kraftfahreignung des Antragstellers <strong>im</strong> konkreten<br />
Fall zu beurteilen ist, ändert das <strong>im</strong> vorliegenden<br />
Fall in Widerspruch zu § 2a Abs. 4 StVG stehende<br />
Vorgehen der Antragsgegnerin aber nichts.<br />
(Mitgeteilt von Richter am Oberverwaltungsgericht<br />
Dr. Martin Gr<strong>und</strong>mann, Bremen)<br />
45. 1. Eine Bindungswirkung des Strafverfahrens<br />
bzw. des Strafurteils <strong>gegen</strong>über der Fahrerlaubnisbehörde<br />
gemäß § 3 Abs. 3 <strong>und</strong> Abs. 4 StVG<br />
setzt voraus, dass <strong>im</strong> Strafverfahren eine Entziehung<br />
der Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB in Betracht<br />
kommt. Dies best<strong>im</strong>mt sich gemäß der<br />
Rechtsprechung des BGH (Großer Senat für Strafsachen,<br />
Beschl. v. 27. 04. 2005 – GSSt 2/04 – NJW<br />
2005, 1957 [= BA 2005, 311]) danach, ob die Anlasstat<br />
tragfähige Rückschlüsse darauf zulässt, dass<br />
der Täter bereit ist, die Sicherheit des Straßenverkehrs<br />
seinen eigenen kr<strong>im</strong>inellen Interessen unterzuordnen.<br />
*) 2. Bereits der einmalige Konsum eines anderen<br />
Betäubungsmittels <strong>im</strong> Sinne von § 1 Abs. 1<br />
BtMG als Cannabis begründet regelmäßig die Fahrungeeignetheit<br />
des Betreffenden. Es ist jedoch möglich,<br />
dass bei Substituierten ein Ausnahmefall vorliegt<br />
<strong>und</strong> die vorgenannte Regel nicht gilt. Allerdings<br />
bedarf es insoweit stets der positiven Feststellung<br />
der Fahreignung durch ein medizinischpsychologisches<br />
Gutachten.<br />
Verwaltungsgericht Freiburg (Breisgau)<br />
Beschluss vom 25. März 2010 – 1 K 280/10 –<br />
Aus den Gründen:<br />
Der Antrag ist bei sachdienlicher Auslegung gemäß<br />
§ 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO darauf gerichtet, die aufschiebende<br />
Wirkung des Widerspruchs <strong>gegen</strong> die Verfügung<br />
des Landratsamts R. wiederherzustellen, soweit<br />
die Behörde dem Antragsteller in dieser Verfügung<br />
die Fahrerlaubnis der Klasse B entzogen hat.<br />
Der mit diesem Inhalt zulässige Antrag ist jedoch<br />
unbegründet.<br />
Rechtsgr<strong>und</strong>lagen für die Entziehung der Fahrerlaubnis<br />
sind §§ 3 Abs. 1 StVG, 46 Abs. 1 FeV. Danach<br />
hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen,<br />
wenn sich der Inhaber als ungeeignet zum Füh-
en von Kraftfahrzeugen erweist. Dies folgt hier aus<br />
§ 46 Abs. 3 FeV i.V.m. § 11 Abs. 8 FeV. Werden Tatsachen<br />
bekannt, die Bedenken an der Eignung des Fahrerlaubnisinhabers<br />
zum Führen eines Kraftfahrzeugs<br />
begründen, hat die Fahrerlaubnisbehörde unter den in<br />
§§ 11 bis 14 FeV genannten Voraussetzungen durch<br />
die Anordnung der Vorlage von ärztlichen bzw. medizinisch-psychologischen<br />
Gutachten die Eignungszweifel<br />
aufzuklären <strong>und</strong> je nach Ergebnis der Eignungsuntersuchung<br />
in einem zweiten Schritt eine<br />
Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis<br />
zu treffen. Wenn sich der Betroffene weigert, sich<br />
untersuchen zu lassen oder das von der Fahrerlaubnisbehörde<br />
geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt,<br />
darf bzw. muss die Fahrerlaubnisbehörde bei<br />
ihrer Entscheidung auf die Nichteignung schließen<br />
(§ 11 Abs. 8 Satz 1 FeV). Dieser Schluss ist allerdings<br />
nur zulässig, wenn die Anordnung der ärztlichen bzw.<br />
medizinisch-psychologischen Untersuchung rechtmäßig,<br />
insbesondere anlassbezogen <strong>und</strong> verhältnismäßig<br />
gewesen ist (BVerwG, Urt. v. 09. 06. 2005 – 3 C 25/04 –,<br />
NJW 2005, 3081 [= BA 2006, 49]; VGH Bad.-Württ.,<br />
Beschl. v. 17. 11. 2008 – 10 S 2719/08 –, juris).<br />
Die Anforderung eines medizinisch-psychologischen<br />
Gutachtens (MPU) durch Schreiben des Landratsamts<br />
R. vom 12. 11. 2009 entspricht den formellen<br />
Anforderungen. Auch in materiell-rechtlicher Hinsicht<br />
entspricht die Anforderung mit überaus hoher Wahrscheinlichkeit<br />
den Voraussetzungen der vom Landratsamt<br />
R. herangezogenen Rechtsgr<strong>und</strong>lage in § 14 Abs. 2<br />
Nr. 2 FeV (zu dessen Anwendbarkeit auch <strong>im</strong> Entziehungsverfahren<br />
vgl. Hartung, VBlBW 2005, 369,<br />
373/374 mit Nachweisen u. a. aus der<br />
Rspr. des VGH Bad.-Württ.; vgl. ferner zum Streitstand:<br />
Berr/Krause/Sachs, <strong>Drogen</strong> <strong>im</strong> Straßenverkehrsrecht,<br />
1. Aufl. 2007, Rnrn. 1168 ff.). Danach ist<br />
die Beibringung eines medizinisch-psychologischen<br />
Gutachtens anzuordnen, wenn zu klären ist, ob der<br />
Betroffene noch abhängig ist oder – ohne abhängig<br />
zu sein – weiterhin Betäubungsmittel einn<strong>im</strong>mt.<br />
Angesichts der ausführlichen <strong>und</strong> differenzierten<br />
Angaben des Antragstellers am 07. 07. 2009 <strong>gegen</strong>über<br />
der Polizei geht die Kammer <strong>im</strong> summarischen<br />
Verfahren wie das Landratsamt R. davon aus, dass er<br />
<strong>im</strong> Jahr 2008 zumindest ein- bis zwe<strong>im</strong>al Heroin konsumierte<br />
<strong>und</strong> seither bis Sommer 2009 das Medikament<br />
Subutex, welches den Wirkstoff Buprenorphin –<br />
ein halbsynthetisches Opioid – enthält, <strong>und</strong> als verkehrsfähiges<br />
<strong>und</strong> verschreibungsfähiges Betäubungsmittel<br />
in der Anlage III zum Betäubungsmittelgesetz<br />
aufgeführt ist, zu sich nahm. Wenn der Antragsteller<br />
nunmehr jeglichen Konsum bestreitet – erstmals am<br />
21.12. 2009 mit Anwaltsschreiben vom 18. 12. 2009 –,<br />
so ist dies alles andere als überzeugend. Es drängt sich<br />
vielmehr der Eindruck einer speziell auf das fahrerlaubnisrechtliche<br />
Verfahren abzielenden Schutzbehauptung<br />
auf. Denn der Antragsteller hat dies erst fünf<br />
Monate später geltend gemacht <strong>und</strong> vor allem plausible<br />
Gründe dazu vermissen lassen, warum seine ursprünglichen<br />
Angaben <strong>gegen</strong>über der Polizei unrichtig<br />
gewesen sein sollen. Der Hinweis auf ein negatives<br />
Urinscreening vom 07. 07. 2009 ist insoweit ungeeig-<br />
Rechtsprechung<br />
267<br />
net, Eigenkonsum zu widerlegen. Angesichts der<br />
für Opiate maßgeblichen Nachweisbarkeitsdauer von<br />
ca. 2 bis 4 Tagen (vgl. die Tabelle bei Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan,<br />
Begutachtungsleitlinien zur<br />
Kraftfahreignung, Kommentar, 2. Aufl. 2005, Seite<br />
179; ferner Mußhoff/Madea , NZV 2008, 485, 487)<br />
sowie der Abhängigkeit eines Nachweises von Wirkstoff,<br />
Dosis <strong>und</strong> pH-Wert des Urins kommt diesem<br />
Einzelergebnis keine Aussagekraft zu. Auch die Diabetes-Erkrankung<br />
des Antragstellers lässt zwar <strong>Drogen</strong>konsum<br />
ges<strong>und</strong>heitlich besonders problematisch<br />
erscheinen, spricht jedoch in keiner Weise zwingend<br />
<strong>gegen</strong> einen tatsächlichen Konsum.<br />
Angesichts dieser Sachlage könnte sogar bereits<br />
eine zwingende Fahrerlaubnisentziehung gemäß § 46<br />
Abs. 1 FeV i. V. m. Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV in<br />
Betracht kommen. Bereits nämlich der einmalige<br />
Konsum eines anderen Betäubungsmittels <strong>im</strong> Sinne<br />
von § 1 Abs. 1 BtMG als Cannabis begründet regelmäßig<br />
die Fahrungeeignetheit des Betreffenden (VGH<br />
Bad.-Württ., Beschl. v. 22.11. 2004 – 10 S 2182/04 –,<br />
VBlBW 2005, 279 [= BA 2006, 247]; Saarl. OVG,<br />
Beschl. v. 14. 05. 2008 – 1 B 191/08 –, juris; BayVGH,<br />
Beschl. v. 20. 11.2007 – 11 C 07.2783 –, juris). Selbst<br />
wenn man jedoch zu Gunsten des Antragstellers davon<br />
ausgeht, dass ein Heroinkonsum nur <strong>im</strong> Jahr 2008<br />
erfolgte (mithin <strong>im</strong> Zeitpunkt der Gutachtensanforderung<br />
mehr als ein Jahr zurücklag) <strong>und</strong> seither eine<br />
Substitution in Eigeninitiative mit dem Medikament<br />
Subutex erfolgte, rechtfertigt dies jedoch in jedem Fall<br />
eine MPU-Anforderung nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV. So<br />
haben mehrere Studien gezeigt, dass substituierte <strong>Drogen</strong>abhängige<br />
ihre Fahrtauglichkeit in Einzelfällen<br />
durchaus wiedergewinnen können. Nach Ziffer 9.1 der<br />
Anlage 4 zur FeV stellt es zwar für den Regelfall einen<br />
die Fahreignung ausschließenden Mangel dar, wenn<br />
der Inhaber einer Fahrerlaubnis Betäubungsmittel <strong>im</strong><br />
Sinne des Betäubungsmittelgesetztes einn<strong>im</strong>mt. Entsprechendes<br />
gilt für die Abhängigkeit von einem solchen<br />
Betäubungsmittel (Ziffer 9.3 der Anlage 4 zu<br />
FeV). Es ist jedoch möglich, dass bei Substituierten<br />
ein Ausnahmefall vorliegt <strong>und</strong> die Regel, dass die Einnahme<br />
von Betäubungsmitteln <strong>im</strong> Sinne des Betäubungsmittelgesetzes<br />
der Fahreignung ent<strong>gegen</strong>steht,<br />
nicht gilt. § 13 BtMG <strong>und</strong> § 5 BtMVV rechtfertigen in<br />
Ausnahmefällen eine Sonderbehandlung substituierter<br />
Menschen, insbesondere <strong>im</strong> Hinblick auf das Ziel<br />
einer Reintegration der Betreffenden. Allerdings bedarf<br />
es insoweit stets der positiven Feststellung der<br />
Fahreignung durch ein medizinisch-psychologisches<br />
Gutachten (vgl. zur Fahreignung bei – allerdings anders<br />
als hier ärztlich begleiteter – Substitution mit<br />
Subutex <strong>und</strong> Methadon: OVG Saarland, Beschl. v.<br />
27. 03. 2006 – 1 W 12/06 –, NJW 2006, 2651 [= BA<br />
2007, 59]; VG Hamburg, Beschl. v. 26. 08. 2009 – 15 E<br />
2027/09 –, juris; Berr/Krause/Sachs, a. a. O., Rnrn.<br />
61 – 68).<br />
An einer MPU-Anforderung war das Landratsamt<br />
nicht etwa <strong>im</strong> Zusammenhang mit dem <strong>gegen</strong> den<br />
Antragsteller eingeleiteten Strafverfahren gehindert.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
268 Rechtsprechung<br />
Allerdings best<strong>im</strong>mt § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG, dass die<br />
Fahrerlaubnisbehörde den Sachverhalt, der Gegenstand<br />
des Strafverfahrens ist, in einem Entziehungsverfahren<br />
nicht berücksichtigen darf, solange <strong>gegen</strong><br />
den Inhaber der Fahrerlaubnis ein Strafverfahren anhängig<br />
ist, in dem die Entziehung der Fahrerlaubnis<br />
nach § 69 StGB in Betracht kommt. Aus der dem<br />
Landratsamt R. <strong>im</strong> Zeitpunkt der Gutachtensanforderung<br />
vorliegenden Anklageschrift der Staatsanwaltschaft<br />
R. vom 22. 10. 2009 ergab sich jedoch, dass <strong>im</strong><br />
Fall des Antragstellers gerade keine Maßregel der Besserung<br />
<strong>und</strong> Sicherung nach § 69 StGB in Betracht<br />
kam, weil seine Taten nicht <strong>im</strong> Zusammenhang mit<br />
dem Führen eines Kraftfahrzeugs begangen wurden.<br />
§ 69 StGB bezweckt den Schutz der Sicherheit des<br />
Straßenverkehrs. Die strafgerichtliche Entziehung der<br />
Fahrerlaubnis wegen charakterlicher Ungeeignetheit<br />
bei Taten <strong>im</strong> Zusammenhang mit dem Führen eines<br />
Kraftfahrzeugs setzt daher voraus, dass die Anlasstat<br />
tragfähige Rückschlüsse darauf zulässt, dass – woran<br />
es hier evident fehlte – der Täter bereit ist, die Sicherheit<br />
des Straßenverkehrs seinen eigenen kr<strong>im</strong>inellen<br />
Interessen unterzuordnen (BGH, Großer Senat für<br />
Strafsachen, Beschl. v. 27. 04. 2005 – GSSt 2/04 –,<br />
NJW 2005, 1957 [= BA 2005, 311]).<br />
Ferner ergab sich auch aus § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG<br />
kein Hindernis für eine MPU-Anforderung. Nach dieser<br />
Vorschrift darf die Fahrerlaubnisbehörde, will sie<br />
in einem Entziehungsverfahren einen Sachverhalt berücksichtigen,<br />
der Gegenstand der Urteilsfindung in<br />
einem Strafverfahren <strong>gegen</strong> den Inhaber der Fahrerlaubnis<br />
gewesen ist, zu dessen Nachteil vom Inhalt des<br />
Urteils insoweit nicht abweichen, als es sich auf die<br />
Feststellung des Sachverhalts oder die Beurteilung der<br />
Schuldfrage oder der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen<br />
bezieht. Allerdings führt das Amtsgericht<br />
R. in seinem Urteil vom 21. 01. 2010 (mit dem der Antragsteller<br />
rechtskräftig wegen vorsätzlichen unerlaubten<br />
Erwerbs von Betäubungsmitteln in 7 Fällen, davon<br />
in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher unerlaubter<br />
Einfuhr von Betäubungsmitteln, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />
von 1 Jahr <strong>und</strong> 1 Monat zur Bewährung<br />
verurteilt wurde) aus, nach seinen Angaben konsumiere<br />
der Antragsteller keine <strong>Drogen</strong>; ein <strong>Drogen</strong>screening<br />
vom 09. 07. 2009 habe jedenfalls keinen Hinweis<br />
auf den Konsum von Amphetaminen, Cannabinoiden,<br />
Kokain oder Opiaten ergeben. Bei dieser Sachverhaltsfeststellung<br />
dürfte es sich – wegen der Bedeutung<br />
eines Eigenkonsums für die Anwendung des<br />
§ 29 Abs. 5 BtMG – auch um mehr als nur eine beiläufige,<br />
entscheidungsirrelevante Aussage gehandelt<br />
haben. Gleichwohl ergab sich hieraus keine der Sachverhaltswürdigung<br />
des Landratsamts ent<strong>gegen</strong>stehende<br />
Bindungswirkung. Mit § 3 Abs. 4 StVG soll die sowohl<br />
dem Strafrichter (vgl. § 69 StGB) als auch der<br />
Verwaltungsbehörde (vgl. § 3 Abs. 1 StVG) eingeräumte<br />
Befugnis, bei fehlender Kraftfahreignung die<br />
Fahrerlaubnis zu entziehen, so aufeinander abgest<strong>im</strong>mt<br />
werden, dass Doppelprüfungen unterbleiben<br />
<strong>und</strong> die Gefahr widersprechender Entscheidungen ausgeschaltet<br />
wird. Die angeordnete Bindungswirkung<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
gilt nicht nur für die Maßnahme der Entziehung selbst,<br />
sondern nach ihrem Sinn <strong>und</strong> Zweck für das gesamte<br />
Entziehungsverfahren unter Einschluss der vorbereitenden<br />
Maßnahmen, so dass in derartigen Fällen die<br />
Fahrerlaubnisbehörde schon die Beibringung eines<br />
Gutachtens nicht anordnen darf. Der Vorrang der strafrichterlichen<br />
vor der behördlichen Entscheidung findet<br />
seine innere Rechtfertigung darin, dass auch die Entziehung<br />
der Fahrerlaubnis durch den Strafrichter als<br />
Maßregel der Besserung <strong>und</strong> Sicherung keine Nebenstrafe,<br />
sondern eine in die Zukunft gerichtete, aufgr<strong>und</strong><br />
der Sachlage zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung<br />
zu treffende Entscheidung über die Gefährlichkeit<br />
des Kraftfahrers für den öffentlichen Straßenverkehr<br />
ist (BVerwG, Urt. v. 15. 07.1988 – 7 C 46/87 –,<br />
NJW 1989, 116; VGH Bad.-Württ., Beschl. v.<br />
17. 11. 2008 – 10 S 2719/08 –, juris; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer,<br />
Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl.<br />
2009, § 3 StVG Rnr. 15). Nach dem oben bereits zu<br />
§ 3 Abs. 3 StVG Dargelegten greifen Sinn <strong>und</strong> Zweck<br />
des Absatzes 4 damit aber <strong>im</strong> Fall des Antragstellers<br />
ebenfalls nicht ein, weil hier zu keiner Zeit eine strafgerichtliche<br />
Fahreignungsbeurteilung bzw. Fahrerlaubnisentziehung<br />
in Betracht kam.<br />
Der Hinweis des Antragstellers <strong>im</strong> Anwaltsschreiben<br />
vom 29. 01. 2010, er könne die finanzielle Belastung<br />
einer MPU nicht tragen, genügt schließlich<br />
ebenfalls nicht, um die Gutachtensanforderung rechtswidrig<br />
zu machen. Der Kraftfahrer, der von einer berechtigten<br />
Beweisanordnung der Behörde betroffen<br />
worden ist, hat das geforderte Gutachten auf seine Kosten<br />
beizubringen. Er – nicht die anordnende Behörde –<br />
ist Auftraggeber bzw. Veranlasser des Gutachtens <strong>und</strong><br />
damit Kostenschuldner. Bei berechtigter Gutachtenanforderung<br />
kann es deshalb auf die wirtschaftlichen<br />
Verhältnisse des Betroffenen gr<strong>und</strong>sätzlich ebenso<br />
wenig ankommen wie bei anderen Maßnahmen der<br />
Straßenverkehrsbehörde, die <strong>im</strong> Interesse der Verkehrssicherheit<br />
erforderlich sind. Vielmehr kann demjenigen,<br />
der ein Kraftfahrzeug <strong>im</strong> öffentlichen Verkehr<br />
führt <strong>und</strong> sich dadurch von vornherein den Pflichten<br />
<strong>und</strong> den Kosten dieser Verkehrsart unterwirft, nur<br />
unter ganz besonderen Umständen zugebilligt werden,<br />
der MPU-Aufforderung ent<strong>gegen</strong>zuhalten, es sei ihm<br />
unzumutbar, die Kosten des Gutachtens aus eigenen<br />
Mitteln oder mit fremder Hilfe aufzubringen. Die Beibringungslast,<br />
die das Gesetz dem Betroffenen auferlegt,<br />
wenn berechtigte Zweifel an seiner Eignung zum<br />
Führen von Kraftfahrzeugen bestehen, bezieht sich<br />
nicht nur auf das geforderte Gutachten; sie umfasst<br />
auch die Tatsachen, die in seinem besonderen Falle die<br />
Zahlung der Kosten des Gutachtens als nicht zumutbar<br />
erscheinen lassen (vgl. zu § 15b Abs. 2 StVZO:<br />
BVerwG, Urt. v. 12. 03.1985 – 7 C 26/83 –, NJW<br />
1985, 2490; Urt. v. 13.11.1997 – 3 C 1/97 –, NZV<br />
1998, 300). Die mithin erforderlichen substantiierten<br />
Angaben dazu, warum er in keiner Weise die finanziellen<br />
Voraussetzungen für die Zahlung eines Gutachtens<br />
habe <strong>und</strong> diese auch nicht schaffen könne, hat<br />
der Antragsteller zu keiner Zeit gemacht.
Seiten 269–274<br />
Sch<strong>im</strong>mel / Drobnik / Röhrich / Becker / Zörntlein / Urban,<br />
Passive Cannabisexpositon unter realistischen Bedingungen<br />
1 ) Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Jena,<br />
verantwortliche Leiterin: Prof. Dr. G. Mall<br />
2 ) Institut für Rechtsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz,<br />
verantwortlicher Leiter: Prof. Dr. Dr. R. Urban<br />
IRIS SCHIMMEL 1 ), STEFANIE DROBNIK 1 ), JÖRG RÖHRICH 2 ),<br />
JÜRGEN BECKER 2 ), SIEGFRIED ZÖRNTLEIN 2 ), REINHARD URBAN 2 )<br />
Passive Cannabisexposition unter realistischen Bedingungen<br />
Untersuchungen in einem Coffee-Shop<br />
Passive cannabis exposure <strong>und</strong>er realistic circumstances<br />
a study in a coffee shop<br />
Einleitung<br />
Im Rahmen der Überprüfung der Fahreignung oder vor Gericht <strong>im</strong> Zusammenhang mit<br />
Straßenverkehrsdelikten ist die Einlassung nicht selten, eine best<strong>im</strong>mte Cannabiskonzentration<br />
in Blut oder Urin sei lediglich auf eine passive Exposition zurückzuführen. Zur<br />
Klärung, in welchem Maße Cannabiskonzentrationen in Blut oder Urin auf einen passiven<br />
Konsum zurückgeführt werden können, wurden in der Vergangenheit bereits verschiedene<br />
exper<strong>im</strong>entelle Studien durchgeführt. Hierbei gelang nach passiver Exposition der Nachweis<br />
teilweise erheblicher THC-Plasmakonzentrationen. Allerdings wurden die Probanden<br />
meist extremen Bedingungen ausgesetzt. So wurden beispielsweise dauerhaft geschlossene<br />
Räume mit sehr kleinen Volumina gewählt, die Cannabis-Raucher gebeten,<br />
wenig zu inhalieren, zahlreiche Joints in sehr kurzer Zeit geraucht oder die Probanden an<br />
mehreren aufeinander folgenden Tagen wiederholt exponiert [1, 4, 5, 7]. Teilweise kam es<br />
aufgr<strong>und</strong> starker Rauchentwicklung in den Räumen zu Missempfindungen <strong>und</strong> Schle<strong>im</strong>hautirritationen<br />
[2, 5]. Bedingungen in dieser Form dürften in der Realität nur äußerst selten<br />
anzutreffen sein.<br />
Realistischer hin<strong>gegen</strong> scheinen die Exper<strong>im</strong>ente von LAW et al. [3] <strong>und</strong> MULÉ et al. [6].<br />
LAW setzte vier Probanden passiv dem Rauch von sechs Joints über drei St<strong>und</strong>en aus. Die<br />
Probanden befanden sich in einem kleinen, unbelüfteten Raum, dessen Tür während des<br />
Versuchs etwa 18 Mal geöffnet <strong>und</strong> geschlossen wurde. MULÉ untersuchte Urine von drei<br />
Probanden 20–24 St<strong>und</strong>en nach passiver Exposition in einem geschlossenen Raum. Die<br />
Probanden waren dort dem Rauch von vier abgebrannten Joints über eine St<strong>und</strong>e ausgesetzt.<br />
LAW konnte in seinen Untersuchungen keine Cannabinoide <strong>im</strong> Plasma, jedoch teils<br />
signifikante Cannabinoidkonzentrationen <strong>im</strong> Urin nachweisen (Radio-Immuno-Assay<br />
(RIA) zwischen 0,4–6,8 ng/ml). Die Ergebnisse von MULÉ et al. zeigen in der <strong>im</strong>munchemischen<br />
Untersuchung min<strong>im</strong>ale Cannabinoid-Urinkonzentrationen, wobei auf eine<br />
Quantifizierung verzichtet wurde.<br />
Studien zur Untersuchung von Blut- <strong>und</strong> Urinproben nach passiver Cannabisexposition<br />
in einem realen Umfeld bestehen bislang nicht. Aus diesem Gr<strong>und</strong> wurden in einer Pilotstudie<br />
Probanden der Raumluft in einem niederländischen Coffee-Shop ausgesetzt. Die<br />
zu verschiedenen Zeitpunkten entnommenen Blut- <strong>und</strong> Urinproben wurden auf THC <strong>und</strong><br />
seine wesentlichen Metaboliten untersucht.<br />
269<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
270<br />
Methoden<br />
Vier weibliche <strong>und</strong> vier männliche Probanden <strong>im</strong> Alter zwischen 27–59 Jahren ohne relevante<br />
Vorerkrankungen hielten sich über drei St<strong>und</strong>en in einem niederländischen Coffee-<br />
Shop auf. Der Raum wies ein geschätztes Volumen von ca. 200 m 3 auf, war fensterlos, jedoch<br />
gut belüftet. Während des gesamten Expositionszeitraumes befanden sich zwischen<br />
8–25 Personen in den Räumlichkeiten, die Cannabisprodukte konsumierten. Darüber<br />
hinaus wurden durch die Probanden ca. 8 Gramm Haschisch <strong>und</strong> Marihuana verschiedener<br />
Qualität abgebrannt.<br />
Blutentnahmen aus einer Venenverweilkanüle bzw. durch Venenpunktion erfolgten vor<br />
der Exposition (to), sowie ca. 1,5 (t 1), 3,5 (t 2), 6 (t 3) <strong>und</strong> 14 (t 4) St<strong>und</strong>en nach Expositionsbeginn.<br />
Urinproben wurden vor der Exposition (t 0), sowie ca. 3,5 (t 2), 6 (t 3), 14 (t 4), 36 (t 5),<br />
60 (t 6) <strong>und</strong> 84 (t 7) St<strong>und</strong>en nach Expositionsbeginn gesammelt.<br />
Das Versuchsprotokoll wurde von der Ethikkommission der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz<br />
genehmigt <strong>und</strong> erfolgte in Übereinst<strong>im</strong>mung mit der Deklaration von Helsinki,<br />
in der Fassung der Generalversammlung des Weltärzteb<strong>und</strong>es aus Tokio, 2004.<br />
Die Proben wurden gekühlt ins Institut für Rechtsmedizin der Universität Mainz transportiert.<br />
Die Blutproben wurden umgehend zentrifugiert <strong>und</strong> das Serum abgetrennt. Die<br />
Urin- <strong>und</strong> Serumproben wurden bis zur Analyse bei –23 °C tiefgefroren gelagert.<br />
Die Urinproben wurden zunächst <strong>im</strong>munchemisch mittels Microgenics Cedia Dau Cannabiniod-Assay<br />
untersucht. Die Untersuchungen erfolgten auf einem Hitachi 912 Analyzer.<br />
Die Cut-Off-Konzentration lag bei 25 ng/ml. Im Anschluss wurden die Urinproben<br />
sowohl nativ als auch nach alkalischer Hydrolyse (Konjugat-Spaltung) mit 10 ml Kaliumhydroxid-Lösung<br />
(15 Minuten bei 60 °C) mittels GC/MS quantitativ auf THC-COOH<br />
untersucht.<br />
Die Serumproben wurden <strong>im</strong>munchemisch mit dem Mahsan Inspec Cannabinoid-Assay<br />
auf einem Bio-Lab 200 untersucht (Cut-Off-Konzentration 3 ng/ml). Danach erfolgte die<br />
quantitative GC/MS-Analyse des Serums auf THC, THC-OH <strong>und</strong> THC-COOH.<br />
Vor der GC/MS-Analyse wurde jeweils 1 ml Serum bzw. 1 ml nativer als auch hydrolysierter<br />
Urin nach Zugabe deuterierter interner Standards (THC-D 3, THC-OH-D 3, THC-<br />
COOH-D 9) mittels Festphasenextraktion aufgereinigt (Bakerbond SPE C18). Die Elution<br />
erfolgte mit Dichlormethan/Aceton (50:50; v/v). Anschließend wurde mit Methyljodid<br />
derivatisiert.<br />
Zur GC/MS-Messung wurde ein System der Firma Agilent bestehend aus Gaschromatograph<br />
6890 <strong>und</strong> Massenspektrometer 5973 mit Kapillarsäule HP-5 MS (30 m) eingesetzt.<br />
THC (methyliert), THC-OH (2-fach-methyliert) <strong>und</strong> THC-COOH (2-fach methyliert)<br />
wurden <strong>im</strong> Selected Ion Monitoring (SIM)-Modus gemessen. Zur sicheren Substanzidentifizierung<br />
der einzelnen Analyte wurden neben dem Target-Ion jeweils noch<br />
mindestens zwei Qualifier-Ionen herangezogen.<br />
Die Methode zur Best<strong>im</strong>mung von THC, THC-OH <strong>und</strong> THC-COOH <strong>im</strong> Serum wurde<br />
unter Benutzung des Programms Valistat nach den Richtlinien der GTFCh validiert [8, 9].<br />
Methodische Details insbesondere hinsichtlich der Validierung finden sich bei RÖHRICH et<br />
al. [10]. Die Kalibrationsbereiche aller drei Substanzen waren linear (0,5 – 5 ng/ml für<br />
THC <strong>und</strong> THC-OH sowie 5 – 50 ng/ml für THC-COOH). Die Nachweisgrenzen nach<br />
DIN 32645 [8] lagen <strong>im</strong> gewählten Arbeitsbereich bei 0,1 ng/ml für THC <strong>und</strong> THC-OH<br />
(Best<strong>im</strong>mungsgrenze 1,0 ng/ml) sowie bei 1 ng/ml für THC-COOH (Best<strong>im</strong>mungsgrenze<br />
8 ng/ml). Die Intra-Assay-Präzisionen variierten zwischen 2,6 <strong>und</strong> 10,7 %, die Inter-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Sch<strong>im</strong>mel / Drobnik / Röhrich / Becker / Zörntlein / Urban,<br />
Passive Cannabisexpositon unter realistischen Bedingungen
Sch<strong>im</strong>mel / Drobnik / Röhrich / Becker / Zörntlein / Urban,<br />
Passive Cannabisexpositon unter realistischen Bedingungen<br />
Assay-Variationskoeffizienten von 3,9 – 9,6 %. Die Wiederfindungsraten lagen <strong>im</strong> Bereich<br />
82 – 100 %.<br />
Ergebnisse<br />
Die Ergebnisse der <strong>im</strong>munchemischen Untersuchungen der nicht hydrolysierten Urinproben<br />
auf Cannabinoide lagen alle unterhalb des Cut-off-Wertes von 25 ng/ml.<br />
In den 1,5 St<strong>und</strong>en <strong>und</strong> 3,5 St<strong>und</strong>en nach Expositionsbeginn entnommen Serumproben<br />
zweier Probanden (Probanden 6 <strong>und</strong> 8) wurden in der <strong>im</strong>munchemischen Untersuchung<br />
Messwerte oberhalb des Cut-off von 3 ng/ml festgestellt. Alle anderen Untersuchungen<br />
verliefen negativ.<br />
Bei der gaschromatographisch-massenspektrometrischen Untersuchung der Serumproben<br />
auf THC <strong>und</strong> THC-OH gelang <strong>im</strong> SIM-Modus in keinem Fall der geforderte sichere<br />
Nachweis des Target Ions <strong>und</strong> beider Qualifierionen. Die Kriterien für eine sichere Identifikation<br />
gemäß der Richtlinien der GTFCh waren somit für THC <strong>und</strong> THC-OH in keiner<br />
der entnommenen Blutproben erfüllt.<br />
Bei der GC/MS-Untersuchung der Blut- <strong>und</strong> Urinproben auf THC-COOH gelang <strong>im</strong><br />
SIM-Modus zumeist der Nachweis aller geforderten Ionenspuren. Die gewonnen Ergebnisse<br />
lagen jedoch allesamt unter der durch den Kalibrationsbereich vorgegebenen Best<strong>im</strong>mungsgrenze<br />
von 8 ng/ml.<br />
In vier Blutproben wurden Werte an THC-COOH, die an bzw. knapp über der Nachweisgrenze<br />
lagen ermittelt (Proband 4: ~ 1 ng/ml (t 2); Proband 6: ~ 2 ng/ml (t 2/t 3),<br />
~ 1 ng/ml (t 4)).<br />
Die gaschromatographisch-massenspektrometrische Untersuchung der Urinproben auf<br />
THC-COOH erbrachte bei allen Probanden mehrere Konzentrationen oberhalb der Nachweisgrenze,<br />
jedoch sowohl <strong>im</strong> hydrolysierten als auch <strong>im</strong> nicht hydrolysierten Urin keine<br />
Ergebnisse oberhalb der Best<strong>im</strong>mungsgrenze (Tab. 1). Eine Angabe zuverlässiger Konzentrationsdaten<br />
war aus diesem Gr<strong>und</strong> nicht möglich.<br />
Proband t0 to (h)<br />
t2 t2 (h)<br />
t3 t3 (h)<br />
t4 t4 (h)<br />
t5 t5 (h)<br />
t6 t6 (h)<br />
t7 t7 (h)<br />
1 n. n. a<br />
n. n. n. n. n. n. n. n. ~ 3 n. n. ~ 2 n. n. n. n. n. n. n. n. – –<br />
2 n. n. a<br />
n. n. n. n. n. n. ~ 5 ~ 8 ~ 3 ~ 5 n. n. ~ 1 n. n. n. n. n. n. n. n.<br />
3 n. n. a<br />
n. n. n. n. n. n. n. n. ~ 1 ~ 2 ~ 4 n. n. ~ 2 n. n. ~ 2 n. n. ~ 1<br />
4 n. n. a<br />
n. n. n. n. ~ 2 ~ 2 ~ 4 ~ 4 ~ 5 ~ 1 ~ 2 n. n. n. n. n. n. n. n.<br />
5 n. n. a<br />
n. n. ~ 1 ~ 2 n. n. ~ 2 ~ 1 ~ 3 n. n. n. n. n. n. n. n. n. n. n. n.<br />
6 n. n. a<br />
n. n. ~ 2 ~ 3 ~ 3 ~ 6 ~ 5 ~ 7 n. n. n. n. n. n. n. n. n. n. n. n.<br />
7 n. n. a<br />
n. n. n. n. ~ 2 ~ 2 ~ 3 ~ 1 ~ 1 – – n. n. n. n. n. n. n. n.<br />
8 n. n. a<br />
n. n. n. n. n. n. ~ 2 ~ 2 ~ 2 ~ 3 n. n. n. n. n. n. n. n. n. n. n. n.<br />
a nicht nachgewiesen<br />
Tab. 1: Untersuchungsergebnisse der quantitativen Best<strong>im</strong>mung von THC-COOH in ng/ml in nicht hydrolysierten<br />
<strong>und</strong> hydrolysierten (h) Urinproben mittels GC/MS.<br />
Diskussion<br />
Der Nachweis von THC-COOH <strong>im</strong> Urin aller Probanden belegt, dass eine passive Aufnahme<br />
von Cannabis auch unter realistischen Bedingungen erfolgt.<br />
Bei der Analyse der Blut- <strong>und</strong> Urinproben wurden bewusst die gleichen Kriterien für<br />
eine sichere Identifizierung gemäß Richtlinien der GTFCh angewendet, die auch bei der<br />
271<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
272<br />
Untersuchung forensischer Proben bzw. bei der Untersuchung von Proben <strong>im</strong> Rahmen der<br />
Fahreignungsüberprüfung zur Anwendung kommen, um eine Übertragbarkeit der Daten<br />
auf in foro vorgebrachte Fälle zu ermöglichen.<br />
Die Ergebnisse zeigen, dass eine passive Cannabisexposition unter den gewählten realistischen<br />
Bedingungen zu keinen THC-Serumkonzentrationen führt, die mit forensisch erforderlicher<br />
Sicherheit als positiv zu bewerten wären.<br />
Die Untersuchungsergebnisse stehen <strong>im</strong> Widerspruch zu den in verschiedenen vorangegangenen<br />
Studien beobachteten hohen THC-Konzentrationen <strong>im</strong> Blut <strong>und</strong> Urin nach<br />
passiver Cannabis-Exposition [2, 4, 5, 7]. Dies lässt sich auf die in diesen Untersuchungen<br />
gewählten, extremen <strong>und</strong> kaum auf die Realität übertragbaren exper<strong>im</strong>entellen Bedingungen<br />
zurückführen.<br />
Die Untersuchungen der Urinproben stehen jedoch in Einklang mit den Ergebnissen von<br />
Autoren, deren Ziel die Schaffung einer realitätsnahen Umgebung war. LAW [3] detektierte<br />
mittels RIA Cannabinoid-Konzentrationen ≤ 6,8 ng/ml in den Urinproben der Probanden,<br />
wobei ein Cut-off-Wert nicht angegeben wurde. In Übereinst<strong>im</strong>mung hierzu erbrachten<br />
die <strong>im</strong>munchemischen Untersuchungen der während der nun durchgeführten Studie<br />
asservierten Urinproben ebenfalls lediglich geringe Werte unterhalb der Cut-off-Konzentration<br />
von 25 ng/ml. Auch in der gaschromatographisch-massenspektrometrischen<br />
Bestätigungsanalyse fanden sich nur geringe THC-Carbonsäurekonzentrationen, die insbesondere<br />
nach Hydrolyse in einem Bereich von ca. 1 – 8 ng/ml <strong>und</strong> somit unterhalb der<br />
Best<strong>im</strong>mungsgrenze lagen.<br />
MULÉ [6] beschrieb 20 – 24 h nach passiver Exposition min<strong>im</strong>ale Cannabinoidkonzentrationen<br />
<strong>im</strong> Urin der Probanden. Diese Ergebnisse stehen ebenfalls in Einklang mit den<br />
Untersuchungsergebnissen der in diesem Zeitfenster gewonnenen Urinproben t 4 (14 h) <strong>und</strong><br />
t 5 (36 h) der vorliegenden Studie.<br />
Im Gegensatz zu den Ergebnissen von LAW et al., die in den Blutproben mit einem RIA<br />
keine Cannabinoide nachweisen konnten, verliefen die <strong>im</strong>munchemischen Untersuchungen<br />
der Blutproben in unserem Probandengut in vier Fällen positiv. In diesen Fällen wurde<br />
gaschromatographisch-massenspektrometrisch lediglich die freie THC-Carbonsäure an<br />
bzw. knapp über der Nachweisgrenze nachgewiesen. Eine Best<strong>im</strong>mung des an Glucuronsäure<br />
geb<strong>und</strong>enen Anteils der THC-Carbonsäure erfolgte nicht.<br />
Bei der Studiendurchführung ergaben sich einzelne Schwierigkeiten. Insbesondere gestaltete<br />
sich die Probenentnahme zu definierten Zeitpunkten <strong>im</strong> Rahmen des realistischen<br />
Settings schwierig. Aus diesem Gr<strong>und</strong> sind die Zeitangaben der Blutentnahmen mit einer<br />
gewissen Varianz von ca. +/– 30 Minuten behaftet.<br />
Weiterhin repräsentieren die teilnehmenden Probanden in ihrer Altersstruktur nur bedingt<br />
den in diesen Fragestellungen hauptsächlich zu begutachtenden Personenkreis.<br />
Sofern sich aufgr<strong>und</strong> der geringen Probandenzahl <strong>und</strong> der zuvor angeführten Probleme<br />
Rückschlüsse für die Praxis ziehen lassen, kann davon ausgegangen werden, dass eine<br />
Vielzahl der vor Gericht vorgebrachten Einlassungen durch die nun gewonnenen Untersuchungsergebnisse<br />
entkräftet werden können. Insbesondere dann, wenn der Aufenthalt<br />
in einer Kneipe, bei einer Festivität oder in einer Diskothek angeführt wird, bei der die<br />
Räumlichkeiten eine gewisse Größe aufweisen, kontrollierte Anforderungen an die Belüftungssituation<br />
bestehen oder zumindest durch ein „kommen <strong>und</strong> gehen“ eine gewisse Belüftung<br />
sichergestellt ist. Fälle, in denen eine passive Cannabisexposition in einem kleinen<br />
Raum ohne Belüftung geltend gemacht wird, wie beispielsweise von SKOPP <strong>und</strong> PÖTSCH<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Sch<strong>im</strong>mel / Drobnik / Röhrich / Becker / Zörntlein / Urban,<br />
Passive Cannabisexpositon unter realistischen Bedingungen
Sch<strong>im</strong>mel / Drobnik / Röhrich / Becker / Zörntlein / Urban,<br />
Passive Cannabisexpositon unter realistischen Bedingungen<br />
geschildert [11], können anhand der bisherigen Literatur weiterhin nicht widerlegt werden.<br />
Somit ergibt sich für die Praxis die Empfehlung, die Umstände des Konsums detailliert zu<br />
erfragen, um dann entsprechende Rückschlüsse ziehen zu können.<br />
Zur Untermauerung des Datenmaterials erscheinen weitere Untersuchungen zur Problematik<br />
des Passivrauchens unter realistischen Bedingungen an einer größeren Stichprobe<br />
<strong>und</strong> unter vollständig kontrollierten Bedingungen angezeigt.<br />
Zusammenfassung<br />
Die Einlassung forensisch relevante Tetrahydrocannabinol (THC)-Konzentrationen in einer Blutprobe seien<br />
die Folge einer passiven Cannabis Aufnahme wird häufig vor Gericht vorgebracht. Derartige Behauptungen<br />
basieren normalerweise auf Studien, bei denen nach einer passiven Exposition Konzentrationen an THC <strong>und</strong><br />
THC-Metaboliten oberhalb der diskutierten Grenzwerte (THC: 1 ng/ml <strong>im</strong> Blut) bzw. oberhalb der festgelegten<br />
Beurteilungsgr<strong>und</strong>lagen zur Überprüfung der Fahreignung (Tetrahydrocannabinol-Carbonsäure (THC-COOH)<br />
10 ng/ml <strong>im</strong> Urin) nachgewiesen wurden. Es fällt jedoch auf, dass die Datenlage zur passiven Aufnahme von<br />
Cannabis uneinheitlich ist <strong>und</strong> dass viele Untersuchungen in Umfeldern durchgeführt wurden, die als wenig realistisch<br />
eingestuft werden müssen. Daten nach Expositionen in einer realen Umgebung liegen bislang nicht vor.<br />
Aus diesem Gr<strong>und</strong> erfolgte eine passive Cannabis-Exposition von acht Probanden über drei St<strong>und</strong>en in einem<br />
Coffee-Shop in den Niederlanden mit Gewinnung von Blut- <strong>und</strong> Urinproben während <strong>und</strong> nach der Exposition.<br />
In Übereinst<strong>im</strong>mung mit der bisherigen Datenlage zeigte sich, dass Cannabinoide passiv aufgenommen werden,<br />
jedoch nicht mit Ergebnissen zu rechnen ist, die für forensische Fragestellungen, bzw. eine Überprüfung der<br />
Fahreignung verwertbar sind.<br />
Schüsselwörter<br />
passive Cannabisexposition – coffee shop – Blut- <strong>und</strong> Urinkonzentrationen – THC – THC-Metabolite<br />
Summary<br />
Forensically relevant THC levels in blood samples are frequently attributed to passive exposure. These pretences<br />
are generally based on literature reports showing concentrations of THC and THC-metabolites in blood<br />
and urine samples above discussed levels (e. g. 1 ng/ml THC / 10 ng/ml THC-COOH) after passive inhalation of<br />
Cannabis smoke. Most of these studies had quite unrealistic settings.<br />
In the present study eight subjects were exposed to cannabis smoke in a coffee shop in the Netherlands for three<br />
hours. Blood and urine samples were taken repeatedly. In accordance to previous reports, an incorporation of cannabinoids<br />
after passive exposure was indeed demonstrated but the results ranged below forensically relevant<br />
thresholds.<br />
Keywords<br />
passive cannabis exposure – coffee shop – blood and urine concentrations – THC – THC metabolites<br />
Literatur<br />
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marijuana smoke. Clin Pharmacol Ther. 40(3): 247–256<br />
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Blut <strong>und</strong> Urin. Arch Kr<strong>im</strong>inol. 207: 137–147<br />
Anschrift für die Verfasser<br />
Dr. med. Iris Sch<strong>im</strong>mel<br />
Institut für Rechtsmedizin Universitätsklinikum Jena<br />
Fürstengraben 23<br />
07743 Jena<br />
Email: iris.sch<strong>im</strong>mel@med.uni-jena.de<br />
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Steintor-Verlag GmbH<br />
Grapengießerstraße 30 • 23556 Lübeck • Postfach 32 48 • 23581 Lübeck
Seiten 275–281<br />
Schrot / Püschel / Edler,<br />
Berauscht vom Champagnerbad? –<br />
Fehlanzeige: Keine <strong>Alkohol</strong>resorption durch die intakte Haut<br />
Aus dem Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf<br />
MAIKE SCHROT, KLAUS PÜSCHEL, CAROLIN EDLER<br />
Berauscht vom Champagnerbad? –<br />
Fehlanzeige: Keine <strong>Alkohol</strong>resorption durch die intakte Haut<br />
Drunken by a bath in champagne? –<br />
Error: No relevant ethanol resorption through the intact skin<br />
Einleitung<br />
Wer kennt sie nicht, die Mär vom dekadenten Champagnerbad. Aber wird man auch tatsächlich<br />
betrunken, ohne he<strong>im</strong>lich das Badewasser zu schlürfen? Wieweit steigt einem der<br />
<strong>Alkohol</strong> zu Kopf? N<strong>im</strong>mt der Körper über unsere äußerst robuste menschliche Hülle, die<br />
intakte Haut, tatsächlich <strong>Alkohol</strong> auf?<br />
Gelegentlich tauchen Meldungen auf von Menschen, die angeben, nach einem Bad in<br />
Sekt oder Champagner betrunken gewesen zu sein. Behauptet wird von einem stärkergradig<br />
alkoholisierten PKW-Fahrer, er habe keinerlei <strong>Alkohol</strong> getrunken, sondern mit seiner<br />
Fre<strong>und</strong>in in Sekt gebadet. Ähnliche Einlassungen gibt es gelegentlich von Malern, Lackierern<br />
usw., die ihre hohe <strong>Blutalkohol</strong>konzentration mit der Inhalation alkoholhaltiger<br />
Lösungsmittel, Farben, Reinigungs- bzw. Desinfektionslösungen zu erklären versuchen.<br />
Jüngst erschien eine ausführliche Abhandlung von PROF. DR. P. BÜTZER, Pädagogische<br />
Hochschule St. Gallen. Er griff diese Fragestellung auf <strong>und</strong> führte eine Computers<strong>im</strong>ulation<br />
durch. Er kam zu dem Ergebnis, dass be<strong>im</strong> langen Baden in der Badewanne die <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
auf Werte ansteigt, bei welcher ein kräftiger Rausch auftreten kann<br />
(über 1,4 ‰) oder gar lebensgefährlich werden könne [3].<br />
Seine Ergebnisse veranlassten die deutsche Fernsehsendung „Das will ich wissen“ diese<br />
Fragestellung aufzunehmen <strong>und</strong> sie live <strong>im</strong> Studio nachzustellen.<br />
In der Literatur werden sehr unterschiedliche Fallkonstellationen referiert. Die Möglichkeit,<br />
über die intakte Haut eine relevante Menge an <strong>Alkohol</strong> zu resorbieren, wird<br />
jedoch aus rechtsmedizinischer, dermatologischer <strong>und</strong> physiologischer Sicht weitgehend<br />
ausgeschlossen.<br />
Versuchsdurchführung<br />
Nahezu die gesamte Hautoberfläche sollte bei einem Vollbad mit <strong>Alkohol</strong> benetzt werden.<br />
Es wurden vier Versuche mit drei verschiedenen Probanden (2 x weiblich, 1 x männlich)<br />
durchgeführt. Dabei hat die Versuchsperson jeweils in einer Badewanne gelegen, die mit<br />
einem Gemisch aus Wasser <strong>und</strong> <strong>Alkohol</strong> gefüllt war. Es wurde darauf geachtet, dass die<br />
Probanden keine Hauterkrankungen hatten, sich zuvor nicht eingecremt hatten <strong>und</strong> während<br />
des Badens lediglich leicht bekleidet waren, um eine möglichst große Kontaktfläche<br />
zwischen nackter Haut <strong>und</strong> dem Wasser-<strong>Alkohol</strong>-Gemisch zu gewährleisten. Des Weiteren<br />
haben die Probanden eine Badeposition eingenommen, bei der möglichst viel Körper-<br />
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BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
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oberfläche unterhalb des Flüssigkeitsspiegels war, ihnen das „Wasser bis zum Hals stand“.<br />
Die Badedauer betrug 45 Minuten bei einer Wassertemperatur von etwa 40 °C.<br />
Vor, während <strong>und</strong> nach dem <strong>Alkohol</strong>bad wurden verschiedene Parameter gemessen. Alle<br />
Versuchspersonen waren selbstverständlich absolut nüchtern <strong>im</strong> Hinblick auf <strong>Alkohol</strong>.<br />
Zum einen wurde in regelmäßigen Abständen der Atemalkoholwert mittels zweier Vortestgeräte<br />
(Firma Dräger Typ 6510, diese werden auch von der Polizei z. B. bei Verkehrskontrollen<br />
angewendet) ermittelt <strong>und</strong> dokumentiert. Zusätzlich wurde jeweils nach Ende<br />
des Bades eine Blutprobe entnommen, die anschließend <strong>im</strong> <strong>Alkohol</strong>labor des Instituts für<br />
Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf mittels Gaschromatographie<br />
<strong>und</strong> ADH-Methodik untersucht wurde. Außerdem wurden die Badewassertemperatur<br />
sowie Vitalparameter wie Puls, Blutdruck <strong>und</strong> Sauerstoffsättigung protokolliert – auf<br />
diese Werte wird hier nicht näher eingegangen, da sie bei allen Probanden ein gleichbleibendes<br />
<strong>und</strong> durchgehendes körperliches Wohlbefinden zeigten.<br />
Die <strong>Alkohol</strong>konzentration des Badewassers wurde von Versuch zu Versuch erhöht, um<br />
eine etwaige alkoholkonzentrationsabhängige Hautresorption zu überprüfen.<br />
Der erste Versuch wurde mit einem Gemisch aus 100 Litern Wasser <strong>und</strong> 20 Litern<br />
12,5 %igem Sekt (gemessene <strong>Alkohol</strong>konzentration 2 %) durchgeführt. Der zweite <strong>und</strong><br />
dritte Versuch fanden mit 135 Litern 12,5 %igem Sekt statt, der eine live in der Sendung<br />
„Das will ich wissen“ <strong>und</strong> der andere als Generalprobe vor der Aufzeichnung. Der letzte<br />
Versuch wurde mit 15 Litern 99 %igem <strong>Alkohol</strong> <strong>und</strong> 105 Litern Wasser (insgesamt<br />
120 Liter, <strong>Alkohol</strong>konzentration 12 %) durchgeführt.<br />
Ergebnisse<br />
Die Ergebnisse der diversen Atemalkoholmessungen sowie der einmaligen <strong>Blutalkohol</strong>best<strong>im</strong>mung<br />
am Ende des Exper<strong>im</strong>entes sind in Tabelle 1 sowie Abbildung 1 dargestellt.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Schrot / Püschel / Edler,<br />
Berauscht vom Champagnerbad? –<br />
Fehlanzeige: Keine <strong>Alkohol</strong>resorption durch die intakte Haut<br />
Atemalkohol (angegeben in Promille)<br />
Zeit (Minuten) Versuch 1 Versuch 2 Versuch 3 Versuch 4<br />
0 0 0 0 0<br />
3 0,2 1,53 1,63 0,96<br />
5 0,14 2,29 1,71 1,34<br />
10 0,13 0,78 2,26 1,35<br />
15 0,06 1,41 1,7 1,54<br />
20 0,1 1,53 1,69 1,24<br />
30 0,06 0,88 1,3 1,27<br />
40 0,09 1,11 1,86 1,02<br />
45<br />
Bad Ende<br />
0,11 0,9 1,65 1,52<br />
5 0 0,43 0,4<br />
10 0 0 0,14<br />
15 0 0,12<br />
<strong>Blutalkohol</strong>konzentration (angegeben in Promille)<br />
0 0 0 0,11<br />
Tab. 1: Darstellung der gemessenen Atem- <strong>und</strong> <strong>Blutalkohol</strong>konzentrationen.
Schrot / Püschel / Edler,<br />
Berauscht vom Champagnerbad? –<br />
Fehlanzeige: Keine <strong>Alkohol</strong>resorption durch die intakte Haut<br />
Abb. 1: Darstellung der gemessenen Atemalkoholkonzentrationen.<br />
Bei allen Exper<strong>im</strong>enten (am stärksten bei Versuch 4) fiel schon be<strong>im</strong> Befüllen der Badewanne<br />
mit dem <strong>Alkohol</strong> den Mitarbeitern ein deutlicher alkoholischer Geruch auf. Die<br />
Umgebungsluft in den Räumlichkeiten, in denen der Versuch durchgeführt wurde (Bäderabteilung<br />
des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf bzw. Fernsehstudio), war alkoholgeschwängert,<br />
so dass die beteiligten Mitarbeiter das Gefühl hatten, über die Atemwege<br />
<strong>Alkohol</strong> aufzunehmen. Am intensivsten war die <strong>Alkohol</strong>belastung <strong>im</strong> Wasserdampf<br />
dicht über der Wasseroberfläche in der (warmen) Badewanne, dort wo sich der Kopf mit<br />
den Atemöffnungen der Versuchsperson befand. Zur Demonstration des <strong>Alkohol</strong>gehaltes<br />
der Raumluft in der Umgebung der Badewanne musste nicht nur der Badende „pusten“,<br />
sondern auch die „Einschenker“ <strong>und</strong> Protokollanten neben der Badewanne.<br />
Die höchsten gemessenen Atemalkoholkonzentrationen außerhalb der Wanne bei den<br />
(zuvor natürlich ebenfalls alkoholisch nüchtern gewesenen) wissenschaftlichen Mitarbeitern<br />
betrugen 0,2–0,3 ‰.<br />
Diskussion<br />
Unsere Haut ist eine vielschichtige Schutzhülle. Sie ist bis zu zwei Quadratmeter groß,<br />
<strong>und</strong> etwa 10 kg schwer. Die Haut übern<strong>im</strong>mt eine Vielzahl wichtiger Funktionen. Sie ist<br />
das größte Sinnesorgan des Menschen. Über sie nehmen wir Schmerz <strong>und</strong> Vibration wahr,<br />
wir können tasten <strong>und</strong> empfinden Druck- <strong>und</strong> Temperaturreize. Durch das Ausscheiden<br />
von Schweiß verhindert sie die Überhitzung des Körpers. Besonders wichtig ist die<br />
Schutzfunktion der Haut. Sie schützt vor Kälte, Hitze <strong>und</strong> Strahlung; sie mindert Druck,<br />
Stöße <strong>und</strong> Reibung ab; sie verhindert das Eindringen von Mikroorganismen sowie von<br />
gasförmigen, flüssigen oder festen Fremdsubstanzen; sie bewahrt vor dem Verlust von<br />
Wasser <strong>und</strong> Wärme [5, 12].<br />
277<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
278<br />
Die Haut besteht aus mehreren<br />
Schichten: Die Oberhaut (Epidermis),<br />
Lederhaut (Dermis) <strong>und</strong> die<br />
Unterhaut (Subcutis). Bei der Epidermis<br />
handelt es sich um mehrschichtiges<br />
verhornendes Plattenepithel. Es<br />
werden von außen nach innen folgende<br />
Schichten unterschieden: Hornschicht<br />
(Stratum corneum), Glanzschicht<br />
(Stratum lucidum), Körnerzellenschicht<br />
(Stratum granulosum),<br />
Stachelzellschicht (Stratum spinosum)<br />
<strong>und</strong> Basalschicht (Stratum basale).<br />
Das Stratum corneum stellt<br />
dabei die entscheidene Barriere für<br />
viele äußere Einflüsse dar. Die Dermis<br />
oder Lederhaut ist ebenfalls in<br />
Schichten unterteilt: Die Zapfenschicht<br />
(Stratum papillare) <strong>und</strong> die<br />
Netzschicht (Stratum reticulare). Die<br />
Lederhaut besteht vorwiegend aus<br />
Bindegewebsfasern <strong>und</strong> dient der Ernährung<br />
<strong>und</strong> Verankerung der Epi-<br />
Abb. 2: Aufbau der menschlichen Haut.<br />
dermis. Hier versorgt das fein kapillarisierte Blutgefäßsystem die Grenzzone zur Epidermis.<br />
In der Zapfenschicht befinden sich die Rezeptoren für Wärme <strong>und</strong> Kälte <strong>und</strong> den<br />
Tastsinn. Die Netzschicht enthält ein dichtes Netz aus Kollagenfasern <strong>und</strong> elastisches Bindegewebe.<br />
Das bewirkt die Festigkeit <strong>und</strong> die Elastizität der Haut. Außerdem sind in der<br />
Lederhaut Haarbläschen, Schweiß-, Duft- <strong>und</strong> Talgdrüsen enthalten. Die Subcutis bildet<br />
die Unterlage für die darüberliegenden Hautschichten, sie enthält Blutgefäße <strong>und</strong> Nerven<br />
sowie Fett- <strong>und</strong> Bindegewebe. Hier liegen Sinneszellen für starke Druckreize [5, 12].<br />
Resorptionsvorgänge über die Haut wurden in der Dermatologie <strong>und</strong> Physiologie bereits<br />
wiederholt untersucht. Hieraus ergibt sich, dass schon in diesen früheren Arbeiten keine<br />
Ethanolresorption durch die äußere Haut festgestellt wurde, [1, 2, 13, 14].<br />
KRAMER ET AL. testeten 2007 verschiedene Händedesinfektionsmittel (höchster <strong>Alkohol</strong>gehalt<br />
95 %) mit der Fragestellung, ob es nach intensiver <strong>und</strong> längerer Händedesinfektion<br />
zu einer <strong>Alkohol</strong>resorption durch die Haut kommt. Das Desinfektionsmittel wurde bis<br />
zu den Ellenbogen insgesamt 10 Mal für 3 Minuten aufgetragen mit 5minütigen Pausen<br />
zwischen den einzelnen Behandlungen. Die höchste <strong>Blutalkohol</strong>konzentration, die 30 Minuten<br />
nach der letzten Applikation gemessen wurde, betrug 0,02 ‰ [7].<br />
In unseren Versuchen steigen die Atemalkoholkonzentrationen bei allen drei Probanden<br />
in der Badewanne ziemlich rasch <strong>und</strong> bleiben dann in etwa konstant. Allerdings muss berücksichtigt<br />
werden, dass es sich dabei um ein in M<strong>und</strong>höhle, Nasenrachenraum, Luftröhre<br />
<strong>und</strong> Bronchien hin <strong>und</strong> her bewegtes Gasgemisch handelt. Der <strong>Alkohol</strong> <strong>im</strong> angewärmten<br />
Badewasser verflüchtigt sich <strong>und</strong> sammelt sich in einem gasförmigem Zustand über<br />
der Wasseroberfläche. Dieser <strong>Alkohol</strong> wird mit jedem Atemzug der Person <strong>im</strong> Badewasser<br />
über das Atmungssystem aufgenommen <strong>und</strong> auf gleichem Wege wieder ausgeatmet. Von<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Schrot / Püschel / Edler,<br />
Berauscht vom Champagnerbad? –<br />
Fehlanzeige: Keine <strong>Alkohol</strong>resorption durch die intakte Haut
Schrot / Püschel / Edler,<br />
Berauscht vom Champagnerbad? –<br />
Fehlanzeige: Keine <strong>Alkohol</strong>resorption durch die intakte Haut<br />
den Probanden wurde dabei beobachtet, dass die Atemalkoholkonzentration umso höher<br />
gemessen wurde, je näher sie mit der Atemöffnung über der Wasseroberfläche waren. So<br />
wurden mit dem Vortestgerät hohe (max<strong>im</strong>aler Atemalkoholwert lag bei 2,3 ‰) Atemalkoholwerte<br />
gemessen. Nach Beendigung des Versuchs fällt der Wert jedoch innerhalb<br />
der ersten 1–3 Minuten unter 0,3 ‰.<br />
Dass die umgebene Raumluft alkoholgeschwängert ist, wird dadurch eindrucksvoll bewiesen,<br />
dass selbst bei den wissenschaftlichen Mitarbeitern, die sich lediglich in der Nähe<br />
der jeweiligen Badewanne bef<strong>und</strong>en haben, ein positiver Wert bezüglich einer Atemalkoholkonzentration<br />
nachgewiesen werden konnte.<br />
In Anbetracht der Tatsache, dass bei den ersten drei Versuchsbedingungen keine messbare<br />
<strong>Blutalkohol</strong>konzentration nachgewiesen werden konnte, zeigt sich, dass weder über<br />
die Lunge noch über die Haut eine relevante Menge <strong>Alkohol</strong> in die Blutbahn gelangt ist.<br />
Die intakte Haut stellt somit eine sehr wirksame, natürliche Barriere dar, verantwortlich<br />
dafür vor allem das Stratum corneum. Lediglich <strong>im</strong> vierten <strong>und</strong> letzten Versuch, in dem die<br />
<strong>Alkohol</strong>konzentration des Badewassers deutlich höher war, war eine messbare <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
(BAK 0,11 ‰) festzustellen. Das lässt darauf schließen, dass entweder<br />
ab einer gewissen <strong>Alkohol</strong>konzentration die Haut für <strong>Alkohol</strong> durchlässiger wird, oder der<br />
<strong>Alkohol</strong> über Körperöffnungen, Atemwege <strong>und</strong> Schle<strong>im</strong>häute in die Blutbahn aufgenommen<br />
wurde.<br />
Berichtet werden einzelne Fälle, bei denen es nach Weineinläufen (2l) zu toxischen <strong>Blutalkohol</strong>spiegeln<br />
mit Werten bis zu 1,7 ‰ gekommen ist. Im Gegensatz zur Haut besitzt die<br />
Rektumschle<strong>im</strong>haut bei fehlendem Stratum corneum eine gute Resorptionsfähigkeit [8].<br />
Allgemein ist die Darmschle<strong>im</strong>haut ja geradezu für Resorptionsvorgänge eingerichtet.<br />
Kritisch zu hinterfragen ist jedoch, ob es nicht evt. gleichzeitig zu einer oralen Aufnahme<br />
von <strong>Alkohol</strong> gekommen ist.<br />
Anders stellt sich die Situation bei Kindern <strong>und</strong> bei Verletzungen der Haut dar. Bereits<br />
1928 veröffentlichte P. FRAENCKEL den Fall eines 2 Jahre alten Jungen, der nach Verbrühungen<br />
der Haut mit Kompressen, welche mit denaturiertem Spiritus durchtränkt wurden,<br />
behandelt wurde. Der Zustand des Kindes verschlechterte sich in den nächsten St<strong>und</strong>en<br />
stetig, bis der Arzt das Kind komatös mit weiten reaktionslosen Pupillen vorfand. Die<br />
Atemluft des Kindes habe stark nach Spiritus gerochen. Es verstarb noch am gleichen Tag.<br />
Eine toxikologische Untersuchung ergab damals keine verwertbaren Ergebnisse aufgr<strong>und</strong><br />
der bereits fortgeschrittenen Fäulnis der inneren Organe bei der Sektion [4]. 1981 veröffentlichen<br />
wir einen ganz ähnlichen Fall aus Hamburg, bei dem ein 2jähriges Kind präoperativ<br />
mit <strong>Alkohol</strong>umschlägen behandelt wurde. Es hatte sich 12 Monate zuvor verbrüht<br />
<strong>und</strong> infolgedessen war es zur Ausbildung von Kontrakturen gekommen, die nun chirurgisch<br />
korrigiert werden sollten. Am nächsten Morgen wies das Kind dieselben Symptome,<br />
wie oben beschrieben, auf. Es wurde eine <strong>Blutalkohol</strong>konzentration von 0,8‰ nach Widmark/ADH<br />
gemessen [11].<br />
NIGGEMEYER berichtete 1964 von einem 4 1 / 2 Monate alten Säugling, der unter der Verdachtsdiagnose<br />
„Spasmophilie, Toxikose“ zyanotisch mit nicht auf Licht reagierenden Pupillen<br />
in ein Krankenhaus eingewiesen wurde. Nach Angaben der Mutter habe das Kind an<br />
Asthmaanfällen gelitten, die sie mit Schnapswickeln behandelt habe. Das Kind verstarb<br />
4 St<strong>und</strong>en später unter den Zeichen einer zentralen Lähmung. Bei der Obduktion fanden<br />
sich ausgedehnte Ganglienzellnekrosen <strong>im</strong> Gehirn, besonders <strong>im</strong> Pallidum, sowie eine<br />
starke Verfettung der Leber <strong>und</strong> eine Schwellung der Kupfferschen Sternzellen. Der Blut-<br />
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280<br />
alkoholspiegel lag nach Widmark bei 0,04 ‰, nach ADH bei 0,02 ‰. In der Urinprobe<br />
konnte jedoch ein <strong>Alkohol</strong>gehalt von 0,64 ‰ nach ADH nachgewiesen werden. Der Mageninhalt<br />
ergab sich als alkoholfrei [9]. Ähnliche Fälle beschrieben auch E.R. GIMENEZ<br />
(1968), O. PROKOP <strong>und</strong> W. GÖHLER (1975) sowie W. SCHWERD (1976).<br />
Abschließend ist festzuhalten, dass die intakte Haut kaum durchlässig für <strong>Alkohol</strong> ist<br />
<strong>und</strong> dass abgesehen von einem ziemlich prickelnden Erlebnis <strong>im</strong> Champagnerbad mit<br />
nachfolgender Waschhaut an Händen <strong>und</strong> Füßen die berauschende Wirkung des <strong>Alkohol</strong>s<br />
an den Probanden „vorbeigeschwommen“ ist.<br />
Zusammenfassung<br />
Anlässlich einer aktuellen wissenschaftstheoretischen Veröffentlichung, die zu dem Schluss kam, dass ein<br />
Champagnerbad zu hohen <strong>Blutalkohol</strong>konzentrationen führen kann, griffen wir diese Fragestellung auf <strong>und</strong> führten<br />
insgesamt 4 Versuche mit zunehmender <strong>Alkohol</strong>konzentration des Badewassers durch. In allen Exper<strong>im</strong>enten<br />
zeigte sich eine schnell ansteigende Atemalkoholkonzentration durch das Inhalieren der <strong>Alkohol</strong>dämpfe. Die<br />
<strong>Blutalkohol</strong>konzentration blieb mit Ausnahme eines Falles bei 0,0 ‰ (höchster gemessener Wert 0,11 ‰). Wir<br />
kamen somit zu dem Ergebnis, dass <strong>Alkohol</strong> durch die intakte Haut nicht in signifikanten Mengen resorbiert wird.<br />
– Dies bestätigt die diesbezügliche seit Jahrzehnten bekannte Fachliteratur.<br />
Schlüsselwörter<br />
Baden <strong>im</strong> <strong>Alkohol</strong> – Champagnerbad – dermale <strong>Alkohol</strong>resorption – Äthanol<br />
Summary<br />
In response to a new publication about a high blood alcohol concentration due to a bath in champagne a study<br />
was performed to validate this thesis. In four trials with ascending concentration of alcohol in the bathing water<br />
an <strong>im</strong>mediate increase of the breath alcohol was observed due to the inhalation of alcoholic vapor. The blood<br />
alcohol level in three trials remained at 0,00 ‰, in one case 0,11 ‰ was measured. This lead us to the conclusion<br />
that alcohol is not absorbed through intact skin in significant amounts.– This finding is an accordance with the<br />
respective literature.<br />
Keywords<br />
bath in champagne – percutaneous absorption – ethanol – dermal resorbtion<br />
Literaturverzeichnis<br />
[1] Blank I.H. (1964) Penetration of low-molecular-weight alcohols into skin. J Invest Dermatol. 43: 415–420<br />
[2] Bowers R.V., Burleson W.D., Blades J.F. (1941) Alcohol absorption from the skin in man. Q J Studies Alc<br />
3:31–33<br />
[3] Bützer P. (2007) Dermale Aufnahme von Ethanol. Druck: Hochschule St. Gallen.<br />
[4] Fraenkel P. (1928) Der <strong>Alkohol</strong>gehalt <strong>im</strong> Blut <strong>und</strong> in den Organen. Dtsch Z Ges Gerichtl Med 11:129–133<br />
[5] Fritsch P. (2004) Dermatologie, Venerologie – Gr<strong>und</strong>lagen. Klinik. Atlas. 2. Auflage. Springer Verlag. Berlin,<br />
Heidelberg, New York<br />
[6] G<strong>im</strong>enez E.R., Vallejo E., Roy E., Lis M., Izurieta E.M., Rossi S., Capuccio M. (1968) Percutaneous alcohol<br />
intoxication. Clin Toxocol 1:39–48<br />
[7] Kramer A., Below H., Bieber N., Kampf G., Toma C.D., Huebner N.O., Assadian O. (2007) Quantity oh<br />
ethanol absorbation after excessive hand disinfection using three commercially available hand rubs is min<strong>im</strong>al<br />
and below toxic levels for humans. BMC Infectious Diseases 7:117<br />
[8] Medical Tribune Online (2003) Zwei Liter Wein rektal genossen. Ausgabe 21 S.3<br />
[9] Niggemeyer H., Zoepffel H. (1964) Nil Nocere!: Tod durch <strong>Alkohol</strong>umschläge bei einem Säugling. Münch<br />
Med Wschr 106/II:1631–1632<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Schrot / Püschel / Edler,<br />
Berauscht vom Champagnerbad? –<br />
Fehlanzeige: Keine <strong>Alkohol</strong>resorption durch die intakte Haut
[10] Prokop O., Göhler W. (1975) Forensische Medizin. 3. Auflage. VEB Verlag Volk <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit. Berlin<br />
[11] Püschel K. (1981) Percutaneous alcohol intoxication. Eur J Pediatr 136: 317–318<br />
[12] Rassner G., Steinert U., Schlagenhauff B. (2002) Dermatologie. Lehrbuch <strong>und</strong> Atlas. 6. Auflage. Urban &<br />
Fischer. München, Jena<br />
[13] Scheuplein R.J., Blank I.H. (1971) Permeability of the skin. I: Routes of penetration and the influence of<br />
solubility. J Invest Dermatol 45: 334–346<br />
[14] Scheuplein R.J., Blank I.H. (1971) Permeability of the skin. II: Transient diffusion and the relative <strong>im</strong>portance<br />
of various routes of skin penetration. J Invest Dermatol 48: 79–88<br />
[15] Schwerd W. (1976) Kurzgefaßtes Lehrbuch der Rechtsmedizin. 2. Auflage. Deutscher Ärzteverlag. Köln<br />
Anschrift für die Verfasser<br />
Dipl.-med. Maike Schrot<br />
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf<br />
Butenfeld 34<br />
22529 Hamburg<br />
Email: m.schrot@uke.de<br />
Schrot / Püschel / Edler,<br />
Berauscht vom Champagnerbad? –<br />
Fehlanzeige: Keine <strong>Alkohol</strong>resorption durch die intakte Haut<br />
The role of the drinking driver in traffic accidents<br />
(THE GRAND RAPIDS STUDY)<br />
R. F. Borkenstein<br />
R. F. Crowther, R. P. Shumate, W. B. Ziel, R. Zylman<br />
1974:<br />
Second Edition prepared especially for BLUTALKOHOL<br />
(Re-edited by R. F. Borkenstein)<br />
CENTER FOR STUDIES OF LAW IN ACTION<br />
DEPARTMENT OF FORENSIC STUDIES<br />
(formerly Department of Police Administration)<br />
INDIANA UNIVERSITY<br />
BLOOMINGTON, INDIANA U.S.A.<br />
132 pages, stitched, 14,33 €, US $ 20,–<br />
Steintor-Verlag GmbH, Grapengießerstraße 30, 23556 Lübeck,<br />
Postfach 32 48, 23581 Lübeck<br />
281<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
282 Zur Information<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Zur Information<br />
Frankreich: Härtere Strafen für Verkehrssünder<br />
Seiten 282–295<br />
14 weit reichende Maßnahmen sollen laut Premierminister FRANÇOIS FILLON dazu beitragen,<br />
binnen nur zwei Jahren die Marke von 3000 Verkehrstoten (– 30 Prozent) auf<br />
Frankreichs Straßen zu unterschreiten. „In erster Linie wollen wir unseren Einsatz <strong>im</strong><br />
Kampf <strong>gegen</strong> <strong>Alkohol</strong> <strong>und</strong> <strong>Drogen</strong> am Steuer verstärken“, erklärte FILLON bei der Präsentation<br />
des Aktionsplans. 5.000 neue elektronische <strong>Alkohol</strong>-Testgeräte sollen noch dieses<br />
Jahr in Betrieb genommen werden, um die Kontrolldichte <strong>und</strong> -zuverlässigkeit zu erhöhen.<br />
Überdies sind Wirte <strong>und</strong> Gaststättenbesitzer fortan verpflichtet, ihren Gästen geprüfte<br />
<strong>Alkohol</strong>-Testgeräte zur Verfügung zu stellen. Ab 2011 sind die Straßenaufsichtsorgane<br />
zudem angehalten, jährlich r<strong>und</strong> 100.000 Speicheltests (+ 60 Prozent) <strong>im</strong> Rahmen der<br />
<strong>Drogen</strong>-Prävention durchzuführen.<br />
Weitere Schwerpunkte werden bei Geschwindigkeitskontrollen sowie bei der Einhaltung<br />
der Straßenverkehrsordnung durch Motorrad- <strong>und</strong> Mopedfahrer gesetzt. Technische<br />
Kontrollen für motorisierte Zweiräder <strong>im</strong> Abstand von zwei Jahren sowie verstärkte Geschwindigkeitskontrollen<br />
auf allen Verkehrswegen gehören ebenfalls zum Maßnahmenpaket.<br />
Um Motorradfahrer besser zu schützen, sollen Leitplanken, Verkehrsschilder oder<br />
Absperrungen aus Materialien gefertigt werden, die sich leichter verformen oder Sollbruchstellen<br />
aufweisen, um die Unfallfolgen bei einem Aufprall zu mindern.<br />
Besondere Aufmerksamkeit widmet die französische Regierung der Vorbeugung. Verkehrserziehung<br />
soll ins Pflichtprogramm der Oberschulklassen aufgenommen werden <strong>und</strong><br />
Betriebe mit über 500 Mitarbeitern sind angehalten, Verkehrssicherheitspläne zu erstellen.<br />
Wer sich angesichts der neuen Strenge auf Frankreichs Straßen seiner Verantwortung zu<br />
entziehen sucht, wird hart bestraft: Auf Fahrerflucht stehen fortan bis zu drei Jahre Haftstrafe<br />
<strong>und</strong> bis zu 75.000 Euro Bußgeld.<br />
(Aus einer Pressemitteilung des Auto- <strong>und</strong> Reiseclub Deutschland, ARCD,<br />
vom 15. April 2010)
Zur Information<br />
Straßenverkehrsunfälle <strong>im</strong> Jahr 2009<br />
– Deutschland, Österreich, Schweiz –<br />
Deutschland<br />
Nach vorläufigen Ergebnissen des Statistischen <strong>B<strong>und</strong></strong>esamtes (Destatis) kamen <strong>im</strong> Jahr<br />
2009 auf deutschen Straßen 4.160 Menschen ums Leben. Das waren 317 Getötete oder<br />
7,1 % weniger als ein Jahr zuvor. Damit hat sich auch <strong>im</strong> Jahr 2009 die positive Entwicklung<br />
der letzten Jahre fortgesetzt: die Zahl der Getöteten erreichte den niedrigsten Stand<br />
seit 1950. Gleichwohl verloren <strong>im</strong>mer noch durchschnittlich 11 Menschen pro Tag <strong>im</strong><br />
Straßenverkehr ihr Leben. Die Zahl der Personen, die bei Unfällen schwer oder leicht verletzt<br />
wurden, hat sich <strong>gegen</strong>über dem Vorjahr um 2,7 % auf r<strong>und</strong> 397.900 Personen verringert.<br />
Die Gesamtzahl der polizeilich aufgenommenen Unfälle ist trotz sinkender Verunglücktenzahl<br />
<strong>im</strong> vergangenen Jahr leicht gestiegen, <strong>und</strong> zwar um 0,5 % auf 2,3 Millionen. Während<br />
die Unfälle mit Personenschaden um 3,0 % auf 310.900 gesunken sind, wurden mehr<br />
Unfälle mit ausschließlich Sachschaden (+ 1,1 % auf 1,99 Millionen) verzeichnet.<br />
Gegenstand der Nachweisung 2009 2008<br />
Veränderung<br />
Polizeilich erfasste Unfälle insgesamt 2.304.935 2.293.663 0,5<br />
davon:<br />
Unfälle mit Personenschaden 310.940 320.614 – 3,0<br />
Unfälle mit nur Sachschaden 1.993.995 1.973.049 1,1<br />
Verunglückte insgesamt 402.026 413.524 – 2,0<br />
davon:<br />
Getötete 4.160 4.477 – 7,1<br />
Verletzte 397.866 409.047 – 2,7<br />
Tab. 1: Straßenverkehrsunfälle 2009 in Deutschland (Vorläufiges Ergebnis).<br />
(Aus der Pressemitteilung Nr. 065 des Statistischen <strong>B<strong>und</strong></strong>esamtes, Destatis,<br />
vom 25. Februar 2010)<br />
Schweiz<br />
Die Zahl der Verkehrsopfer ist <strong>im</strong> Jahr 2009 leicht gesunken: es starben auf Schweizer<br />
Straßen 348 Menschen (2008: 357 / – 3 %), 4.648 wurden schwer verletzt (2008: 4.780 /<br />
– 3 %). Dies ergab die jährliche Erhebung der Beratungsstelle für Unfallverhütung, bfu,<br />
bei den kantonalen Polizeistellen.<br />
Bei den Fahrradfahrern sind die Unfallzahlen besorgniserregend. So hat sich die Anzahl<br />
der getöteten Velofahrer <strong>gegen</strong>über dem Vorjahr mehr als verdoppelt (Schwerverletzte:<br />
+ 4 %). Angesichts der Tatsache, dass die Verkaufszahlen von Fahrrädern – nicht zuletzt<br />
auch wegen der wachsenden Beliebtheit von E-Bikes – <strong>gegen</strong>wärtig stark zunehmen, ist<br />
der Schutz dieser verletzlichen Verkehrsteilnehmer umso dringender. Dazu sind Anstrengungen<br />
in verschiedenen Richtungen nötig. Gefordert sind Planer <strong>und</strong> Politiker (Verbesse-<br />
%<br />
283<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
284 Zur Information<br />
rung der Infrastrukturen, z. B. durch Ausbau des Radwegnetzes), die motorisierten Verkehrsteilnehmer<br />
(Rücksicht, kein <strong>Alkohol</strong> am Steuer, angepasste Geschwindigkeit), die<br />
Velofahrer selbst (korrektes Verhalten <strong>im</strong> Straßenverkehr), die Präventionsstellen (Kampagnen<br />
zur Erhöhung der Helmtragquoten <strong>und</strong> Verbesserung der Sichtbarkeit) sowie die<br />
Polizei (Durchsetzung der Verkehrsvorschriften).<br />
bfu-Umfrage<br />
2009 2009 vs. 2008<br />
total 348 – 3 %<br />
mögl. <strong>Alkohol</strong>einfluss 60 – 3 %<br />
Tab. 2: Getötete <strong>im</strong> Straßenverkehr 2009 in der Schweiz (Quelle: BFS/kontonale Polizeibehörden).<br />
Anmerkung: Die publizierten Zahlen beruhen auf einer Umfrage der bfu bei den kantonalen<br />
Polizeistellen. Die definitiven gesamtschweizerischen Unfallzahlen werden <strong>im</strong><br />
Sommer 2010 vorliegen <strong>und</strong> vom <strong>B<strong>und</strong></strong>esamt für Statistik, BFS, publiziert.<br />
(Aus einer Pressemitteilung der schweizerischen Beratungsstelle für Unfallverhütung,<br />
bfu, vom 23. Februar 2010)<br />
Österreich<br />
Im Jahr 2009 ereigneten sich auf Österreichs Straßen 37.925 Verkehrsunfälle mit Personenschaden,<br />
bei denen 49.158 Personen verletzt <strong>und</strong> 633 Personen getötet wurden. Gegenüber<br />
dem Jahr 2008 verringerte sich die Zahl der Unfälle somit um 3,2 %, jene der Verletzten<br />
um 2,7 %, <strong>und</strong> die Zahl der Todesopfer sank um 6,8 %. Vor allem bei der Zahl<br />
tödlich Verunglückter fiel der Rückgang deutlich stärker aus als in den letzten Jahren, <strong>und</strong><br />
bei allen drei Größen wurden die bisher niedrigsten Werte seit Beginn der einheitlich geführten<br />
Verkehrsunfallstatistik <strong>im</strong> Jahr 1961 verzeichnet.<br />
Längerfristig betrachtet waren die Rückgänge bei der Zahl der Unfälle <strong>und</strong> Verletzten<br />
weitaus geringer als bei jener der Verkehrstoten. Seit dem Jahr 2000 sank die Zahl der Verkehrstoten<br />
kontinuierlich, nämlich um insgesamt 35 %. Bei den Unfällen <strong>und</strong> Verletzten<br />
betrug der Rückgang <strong>im</strong> gleichen Zeitraum jedoch nur jeweils r<strong>und</strong> 10 %.<br />
<strong>Alkohol</strong>unfälle<br />
Die Zahl der <strong>Alkohol</strong>unfälle sowie jene der dabei verletzten <strong>und</strong> getöteten Personen sind<br />
<strong>im</strong> Jahr 2009 deutlich gesunken. Weniger <strong>Alkohol</strong>unfälle als 2008 gab es vor allem in den<br />
Monaten Februar, März, Juni, Juli <strong>und</strong> November.<br />
Dennoch war <strong>im</strong> Berichtsjahr jeder 15. Unfall ein <strong>Alkohol</strong>unfall (6,6 %). Konkret ereigneten<br />
sich 2.490 Unfälle mit alkoholisierten Beteiligten, bei denen 3.406 Personen ver-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
bfu-Umfrage<br />
2009 2009 vs. 2008<br />
total 4.648 – 3 %<br />
mögl. <strong>Alkohol</strong>einfluss 615 – 5 %<br />
Tab. 3: Schwerverletzte <strong>im</strong> Straßenverkehr 2009 in der Schweiz (Quelle: BFS/kontonale Polizeibehörden).
Zur Information<br />
letzt <strong>und</strong> 46 getötet wurden. Jeder 14. Verkehrstote war demnach Opfer eines <strong>Alkohol</strong>unfalls.<br />
Gr<strong>und</strong>sätzlich muss man davon ausgehen, dass die Zahl der <strong>Alkohol</strong>unfälle <strong>und</strong> deren<br />
Opfer tatsächlich höher sind, weil Getötete <strong>und</strong> Bewusstlose <strong>im</strong> Allgemeinen nicht auf<br />
<strong>Alkohol</strong>isierung untersucht werden.<br />
2008 2009<br />
Veränderung<br />
absolut in %<br />
Unfälle mit Personenschaden 39.173 37.926 – 1 248 – 3,2<br />
Verletzte 50.521 49.158 – 1 363 – 2,7<br />
Getötete 679 633 – 46 – 6,8<br />
<strong>Alkohol</strong>unfälle 2.646 2.490 – 156 – 5,9<br />
Verletzte 3.653 3.406 – 247 – 6,8<br />
Getötete 53 46 – 7 – 13,2<br />
Tab. 4: Unfälle, Verletzte <strong>und</strong> Getötete 2009 in Österreich (Quelle: STATISTIK AUSTRIA, Statistik der<br />
Straßenverkehrsunfälle).<br />
(Aus einer Pressemitteilung von STATISTIK AUSTRIA vom 23. März 2010<br />
<strong>und</strong> dem Schnellbericht 4.2)<br />
285<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
286 Zur Information<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Rauschgiftsituation in Deutschland 2009 * )<br />
– Auszug –<br />
Vorbemerkung<br />
Gr<strong>und</strong>lagen der folgenden Darstellung der Rauschgiftsituation in der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik<br />
Deutschland bilden die Auswertungen der Falldatei Rauschgift (FDR) sowie der Personendatei.<br />
Die statistischen Angaben zur Rauschgiftkr<strong>im</strong>inalität spiegeln den Erfassungsstand<br />
der Falldatei Rauschgift (FDR) zum Stichtag 31. 01. 2010 wider.<br />
Der Darstellung der Rauschgiftsituation werden die Indikatoren Erstauffällige Konsumenten<br />
harter <strong>Drogen</strong> (EKhD), Rauschgifttote, Sicherstellungsfälle <strong>und</strong> -mengen inklusive<br />
wichtiger Herkunfts- <strong>und</strong> Best<strong>im</strong>mungsstaaten sowie die Nationalitäten der Tatverdächtigen<br />
zugr<strong>und</strong>e gelegt.<br />
Die Informationen zu den einzelnen Indikatoren resultieren aus polizeilich bekannt gewordenen<br />
Fällen der Rauschgiftkr<strong>im</strong>inalität <strong>und</strong> spiegeln das in der FDR erfasste Hellfeld<br />
dieses Kr<strong>im</strong>inalitätsbereiches wider. Verändertes Kontrollverhalten der Polizei <strong>und</strong> des<br />
Zolls sowie Sicherstellungen größerer Einzelmengen können die Lageentwicklung wesentlich<br />
beeinflussen.<br />
Erstauffällige Konsumenten harter <strong>Drogen</strong> (EkhD)<br />
Die Zahl der Erstauffälligen Konsumenten harter <strong>Drogen</strong> (EkhD) sank <strong>im</strong> Jahr 2009 auf<br />
18.139 Personen (– 6 %). Die rückläufige Entwicklung betraf nahezu alle relevanten<br />
Rauschgiftarten.<br />
Die Zahlen der erstauffälligen Konsumenten von Heroin (– 8 %) <strong>und</strong> von Kokain<br />
(– 10 %) erreichten ein nahezu identisches Niveau, nachdem <strong>im</strong> Vorjahr erstmals die betreffenden<br />
Kokain- vor den Heroinkonsumenten rangiert hatten. Auffällig gestalteten sich<br />
<strong>im</strong> Jahr 2009 die Rückgänge bei kristallinem Methamphetamin (– 18 %), LSD (– 20 %)<br />
<strong>und</strong> insbesondere bei Ecstasy (– 38 %) sowie bei Crack (– 48 %). Da<strong>gegen</strong> stieg die Zahl<br />
der erstauffälligen Konsumenten von Amphetamin leicht an (+ 1 %) <strong>und</strong> erreichte <strong>im</strong> Jahr<br />
2009 den bisherigen Höchststand.<br />
Erstauffällige Konsumenten harter <strong>Drogen</strong> (EKhD)<br />
Zeitraum Gesamt Heroin Kokain Meth-/ Ecstasy Crack Sonstige<br />
( * ) Amphetamin ( ** ) ( *** )<br />
01.01. – 31.12.08 19.203 3.900 3.970 10.631 2.174 350 444<br />
01.01. – 31.12.09 18.139 3.592 3.591 10.679 1.357 181 448<br />
Veränderung – 5,5 % – 7,9 % – 9,5 % + 0,5 % – 37,6 % – 48,3 % + 0,9 %<br />
** ( * ) Jede Person wird in der Gesamtzahl nur einmal als Erstauffälliger Konsument harter <strong>Drogen</strong> registriert, kann<br />
aber aufgr<strong>und</strong> polytoxikomanen Konsumverhaltens in der Aufschlüsselung nach <strong>Drogen</strong>arten mehrfach Berücksichtigung<br />
finden.<br />
* ( ** ) Unter den 10.679 Personen <strong>im</strong> Jahr 2009 befanden sich 364 erstauffällige Konsumenten von kristallinem<br />
Methamphetamin. Gegenüber dem Jahr 2008 (443 Personen) bedeutet dies einen Rückgang um 17,8 %.<br />
( *** ) Unter den 448 Personen <strong>im</strong> Jahr 2009 befanden sich 127 erstauffällige Konsumenten von LSD. Gegenüber<br />
dem Jahr 2008 (158 Personen) bedeutet dies einen Rückgang um 19,6 %.<br />
* ) Aus „RAUSCHGIFT Jahreskurzlage 2009 – Daten zur Rauschgiftkr<strong>im</strong>inalität in der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik Deutschland“<br />
vom <strong>B<strong>und</strong></strong>eskr<strong>im</strong>inalamt, KBA, Wiesbaden, einzusehen unter http://www.kba.de.
Zur Information<br />
Rauschgifttodesfälle<br />
Nachdem die Zahl der Rauschgifttodesfälle in den beiden Vorjahren jeweils angestiegen<br />
war, sank sie <strong>im</strong> Jahr 2009 um 8 % von 1.449 auf 1.331 Personen. Im Vergleich der letzten<br />
zehn Jahre bedeutet dies den drittniedrigsten Stand.<br />
Sicherstellungen<br />
Die Gesamtzahl der registrierten Sicherstellungsfälle von Rauschgift sank <strong>im</strong> Jahr 2009.<br />
Die Entwicklung betraf nahezu alle <strong>Drogen</strong>arten.<br />
Sicherstellungen<br />
01. 01. – 31.12. 08 01.01. – 31. 12. 09 Veränderungen<br />
Rauschgiftart Fälle Menge Fälle Menge Fälle Menge<br />
Heroin 6.638 502,8 kg 6.183 758,4 kg – 6,9 % – 50,8 %<br />
Opium 72 82,5 kg 68 98,8 kg – 5,5 % + 19,8 %<br />
Kokain 3.956 1.068,6 kg 3.858 1.707,0 kg – 2,5 % + 59,8 %<br />
Crack 1.628 8,2 kg 1.111 4,6 kg – 31,8 % – 43,9 %<br />
Meth-/Amphetamin 8425 1.283,2 kg 8.081 1.382,7 kg – 4,1 % + 7,8 %<br />
(davon Crystal) (356) (4,2 kg) (446) (7,2 kg) (+ 25,3 %) + 71,4 %)<br />
Ecstasy 2.698 751.431 KE 1.761 521.272 KE – 34,7 % – 30,6 %<br />
LSD 243 12.875 Tr. 237 20.705 Tr. – 2,5 % + 60,8 %<br />
Haschisch 10.313 7.632,3 kg 9.294 2.220,0 kg –9,9 % –70,9 %<br />
Marihuana 24.594 8.932,2 kg 24.135 4.298,0 kg –1,9 % – 51,9 %<br />
Pflanzen 1.526 121.663 St. 1.359 127.718 St. –10,9 % + 5,0 %<br />
Khat 126 29.488,6 kg 121 24.004,5 kg – 4,0 % – 18,6 %<br />
Psilocybine Pilze 501 17,6 kg 263 12,2 kg – 47,5 % – 30,7 %<br />
kg = Kilogramm; KE = Konsumeinheiten; Tr. = Trips; St. = Stück<br />
287<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
288 Zur Information<br />
Kleine Anfrage zu Nationalen Aktionsprogrammen zur<br />
<strong>Alkohol</strong>prävention * )<br />
– Auszug –<br />
Vorbemerkung der Fragesteller<br />
Der <strong>Drogen</strong>- <strong>und</strong> Suchtrat der <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung hat <strong>im</strong> Juni 2008 Empfehlungen an die<br />
<strong>Drogen</strong>beauftragte für Nationale Aktionsprogramme zur <strong>Alkohol</strong>prävention sowie zur<br />
Tabakprävention vorgelegt. Verschiedene <strong>B<strong>und</strong></strong>esministerien leiteten der <strong>Drogen</strong>beauftragten<br />
danach <strong>im</strong> Zuge der Ressortabst<strong>im</strong>mung umfangreiche Änderungsvorschläge zu.<br />
Letztlich erfolgte aber wegen der „Blockadehaltung der CDU/CSU-geführten <strong>B<strong>und</strong></strong>esministerien<br />
für Familie, Senioren, Frauen <strong>und</strong> Jugend (BMFSFJ) sowie für Ernährung, Landwirtschaft<br />
<strong>und</strong> Verbraucherschutz (BMELV)“ (Pressemitteilung der damaligen <strong>Drogen</strong>beauftragten<br />
vom 15. Mai 2009) keine Beschlussfassung <strong>im</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>eskabinett. Die ursprünglichen<br />
Entwürfe der Nationalen Aktionsprogramme enthielten unter anderem Strategieempfehlungen<br />
zum Kinder- <strong>und</strong> Jugendschutz in der <strong>Alkohol</strong>- <strong>und</strong> Tabakwerbung,<br />
zur Preisgestaltung bei <strong>Alkohol</strong> <strong>und</strong> Tabak, zum <strong>Alkohol</strong>verzicht <strong>im</strong> Straßenverkehr sowie<br />
zum Verkauf von Zigaretten an Automaten.<br />
Vorbemerkung der <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung<br />
Die in der Vorbemerkung genannten Empfehlungen des <strong>Drogen</strong>- <strong>und</strong> Suchtrates an die<br />
<strong>Drogen</strong>beauftragte für Nationale Aktionsprogramme zur <strong>Alkohol</strong>prävention sowie zur<br />
Tabakprävention wurden <strong>im</strong> Juni 2008 öffentlich vorgestellt. Sie bildeten allerdings lediglich<br />
die Basis für die Nationalen Aktionsprogramme zur Tabak- <strong>und</strong> <strong>Alkohol</strong>prävention,<br />
die von der <strong>Drogen</strong>beauftragten der <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung gemeinsam mit dem <strong>B<strong>und</strong></strong>esministerium<br />
für Ges<strong>und</strong>heit in die Ressortabst<strong>im</strong>mung gegeben wurden. Zu beiden Entwürfen<br />
für Nationale Aktionsprogramme konnte innerhalb der <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung in internen Abst<strong>im</strong>mungsprozessen<br />
keine politische Einigkeit erzielt werden. Dabei standen nicht Einzelfragen,<br />
sondern gr<strong>und</strong>sätzliche Überlegungen <strong>im</strong> Vordergr<strong>und</strong>.<br />
1. Aus welchem Gr<strong>und</strong> wurden die Nationalen Aktionsprogramme zur <strong>Alkohol</strong>- <strong>und</strong> Tabakprävention 2009<br />
nicht durch das <strong>B<strong>und</strong></strong>eskabinett beschlossen?<br />
2. Welche konkreten Änderungsvorschläge hatte das <strong>B<strong>und</strong></strong>esministerium für Wirtschaft <strong>und</strong> Technologie<br />
(BMWi) seinerzeit vorgetragen, <strong>und</strong> wie begründet das <strong>B<strong>und</strong></strong>esministerium diese?<br />
3. Welche konkreten Änderungsvorschläge hatte das BMFSFJ vorgetragen, <strong>und</strong> wie begründet das <strong>B<strong>und</strong></strong>esministerium<br />
diese?<br />
4. Welche konkreten Änderungsvorschläge hatte das BMELV vorgetragen, <strong>und</strong> wie begründet das <strong>B<strong>und</strong></strong>esministerium<br />
diese?<br />
Siehe [jeweils] Vorbemerkung der <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung.<br />
* ) Die Kleine Anfrage (BT-Drucksache 17/1124 vom 19. März 2010) erfolgte durch die Abgeordneten Dr. Harald<br />
Terpe, Kai Gehring, Katja Dörner, Birgitt Bender, Maria Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg, Markus<br />
Kurth, Christine Scheel <strong>und</strong> die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.<br />
Die Antwort (BT-Drucksache 17/1301 vom 01. April 2010) wurde namens der <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung mit Schreiben<br />
des <strong>B<strong>und</strong></strong>esministeriums für Ges<strong>und</strong>heit vom 31. März 2010 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich –<br />
in kleinerer Schrifttype – den Fragetext.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Zur Information<br />
5. Inwieweit treffen Presseberichte (z.B. DIE ZEIT vom 14. Mai 2009) zu, wonach Verbände der <strong>Alkohol</strong>industrie<br />
sowie der Werbewirtschaft an der Stellungnahme des BMWi mitgewirkt <strong>und</strong> auf die Streichung einzelner<br />
Empfehlungen in den Entwürfen der Aktionsprogramme hingewirkt haben?<br />
Wenn ja, um welche Maßnahmen <strong>und</strong> Verbände handelte es sich <strong>im</strong> Einzelnen?<br />
Im Rahmen des Anhörungsverfahrens zu den Nationalen Aktionsprogrammen haben<br />
sich sowohl Verbände der <strong>Alkohol</strong>industrie <strong>und</strong> der Werbewirtschaft als auch eine Vielzahl<br />
weiterer Verbände (auch aus dem Bereich der Suchthilfe) beteiligt. Zu beiden<br />
Empfehlungen des <strong>Drogen</strong>- <strong>und</strong> Suchtrates wurde eine Fülle von Änderungsvorschlägen<br />
vorgelegt, die von der <strong>Drogen</strong>beauftragten <strong>im</strong> Rahmen der Erarbeitung der Entwürfe für<br />
Nationale Aktionsprogramme geprüft wurden. Ebenso wurden Änderungsvorschläge der<br />
Ressorts in mehreren Abst<strong>im</strong>mungsr<strong>und</strong>en diskutiert <strong>und</strong> aufgegriffen. Am Ende standen<br />
jedoch gr<strong>und</strong>sätzliche Überlegungen, die dazu führten, dass innerhalb der <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung<br />
keine Einigkeit erzielt werden konnte.<br />
9. Beabsichtigt die <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung, <strong>Alkohol</strong>werbung <strong>im</strong> Fernsehen <strong>und</strong> <strong>im</strong> Kino vor 20 Uhr sowie <strong>im</strong> Umfeld<br />
von Sportsendungen ent<strong>gegen</strong> den Strategieempfehlungen des <strong>Drogen</strong>- <strong>und</strong> Suchtrates beizubehalten?<br />
Wenn ja, warum?<br />
Wie bereits <strong>im</strong> Medien- <strong>und</strong> Kommunikationsbericht der <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung 2008 verdeutlicht,<br />
lehnt die <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung weitere Werbebeschränkungen <strong>und</strong> -verbote ab. Die<br />
vorhandenen Regelungen tragen dem Verbraucher-, Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Jugendschutz Rechnung.<br />
Ein weiterer Regulierungsbedarf besteht derzeit nicht. Die Werbung stellt für Medienunternehmen<br />
eine unverzichtbare Finanzierungsquelle dar, um sich <strong>im</strong> freien Wettbewerb<br />
behaupten zu können.<br />
Eine weitere Beschränkung der Werbemöglichkeiten für Kinos würde zu bedeutenden<br />
Mindereinnahmen führen. In den Jahren 2004 bis 2008 entsprachen die Nettoeinnahmen<br />
der Kinos aus der Werbung durchschnittlich mehr als 15 Prozent der Einnahmen mit dem<br />
Verkauf von Eintrittskarten. Die Werbung für <strong>Alkohol</strong>erzeugnisse stellt einen wichtigen<br />
Teil dieser Einnahmen dar. Bereits jetzt sind viele Kinos in ihrer wirtschaftlichen Existenz<br />
bedroht. Auch vor dem Hintergr<strong>und</strong> der zusätzlichen finanziellen Herausforderung durch<br />
die anstehende Umstellung auf digitales Filmabspiel wäre eine Verschlechterung der Einnahmesituation<br />
für viele Kinos wirtschaftlich nicht zu verkraften. Dem flächendeckenden<br />
Erhalt der deutschen Kinolandschaft kommt jedoch eine hohe kulturpolitische Bedeutung<br />
zu.<br />
Maßnahmen der <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung in Bezug auf die <strong>Alkohol</strong>werbung <strong>im</strong> Fernsehen kommen<br />
aufgr<strong>und</strong> der gr<strong>und</strong>gesetzlichen Zuständigkeitsverteilung zwischen <strong>B<strong>und</strong></strong> <strong>und</strong> Ländern<br />
nicht in Betracht.<br />
10. Beabsichtigt die <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung, die Promilleobergrenze <strong>im</strong> Straßenverkehr ent<strong>gegen</strong> den Empfehlungen<br />
des <strong>Drogen</strong>- <strong>und</strong> Suchtrates (der langfristig eine Absenkung auf 0,0 Promille vorschlägt) beizubehalten?<br />
Wenn ja, warum?<br />
Von Seiten der <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung sind derzeit keine Änderungen der Promillegrenzen für<br />
Autofahrer vorgesehen. Der Gesetzgeber hat in den letzten Jahren das Instrumentarium zur<br />
Bekämpfung von <strong>Alkohol</strong> <strong>und</strong> <strong>Drogen</strong> <strong>im</strong> Straßenverkehr verbessert. Diese Regelungen<br />
haben sich bewährt.<br />
Im Jahre 1998 wurde sowohl die 0,5-Promille-Regelung als auch die Atemalkoholkontrolle<br />
eingeführt <strong>und</strong> damit die Kontrollsituation <strong>im</strong> Straßenverkehr verbessert. Im Jahre<br />
2001 wurde die Sanktion für Verstöße <strong>gegen</strong> die 0,5-Promille-Regelung deutlich angehoben.<br />
Mit dem <strong>Alkohol</strong>verbot für Fahranfänger <strong>und</strong> Fahranfängerinnen vom 01. August<br />
289<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
290 Zur Information<br />
2007 wurde ein wichtiger Beitrag zur Senkung des bestehenden Unfallrisikos junger Fahranfänger<br />
geleistet, die <strong>im</strong> Verhältnis zu ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung überdurchschnittlich<br />
oft an Verkehrsunfällen mit <strong>Alkohol</strong> beteiligt sind. Darüber hinaus sind<br />
die Geldbußen bei <strong>Alkohol</strong> <strong>und</strong> <strong>Drogen</strong> am Steuer zum 01. Februar 2009 verdoppelt worden.<br />
So sind be<strong>im</strong> ersten Verstoß 500 Euro Bußgeld fällig <strong>und</strong> be<strong>im</strong> zweiten <strong>und</strong> dritten<br />
Verstoß 1.000 Euro bzw. 1.500 Euro. Für weitere Fahrten unter <strong>Alkohol</strong> beträgt das Bußgeld<br />
3.000 Euro.<br />
Diese Maßnahmen haben zu einem kontinuierlichen Rückgang der Unfälle unter <strong>Alkohol</strong>einfluss<br />
geführt. Der Grenzwert von 0,5 Promille wird in der Bevölkerung inzwischen<br />
allgemein akzeptiert <strong>und</strong> sowohl von den Verkehrssicherheitsverbänden als auch von der<br />
Europäischen Union als angemessen angesehen.<br />
Pr<strong>im</strong>är soll deshalb in der Zukunft <strong>im</strong> Rahmen der Verkehrssicherheit durch Präventionsarbeit<br />
<strong>und</strong> Aufklärung auf einen freiwilligen <strong>Alkohol</strong>verzicht <strong>im</strong> Straßenverkehr hingewirkt<br />
werden.<br />
12. Welche Gründe sprechen aus Sicht der <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung <strong>gegen</strong> die vom <strong>Drogen</strong>- <strong>und</strong> Suchtrat empfohlene<br />
europaweite Harmonisierung der Steuersätze für alkoholische Getränke?<br />
Die Steuersätze in der EU sind seit 1993 teilharmonisiert (Mindeststeuersätze). Aus<br />
Sicht der <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung wird die mit einer weiteren Annäherung der Steuersätze verb<strong>und</strong>ene<br />
Einführung einer Weinsteuer sowie die Anhebung des Steuersatzes bei Bier aus<br />
folgenden Gründen abgelehnt:<br />
Der EU-Mindeststeuersatz für Wein wurde auch auf nachdrückliche Forderung von<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung, Deutschem <strong>B<strong>und</strong></strong>estag <strong>und</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esrat auf „null“ festgesetzt. Die Gründe<br />
aus deutscher Sicht (geringere Belastungsfähigkeit des deutschen Weins wegen hoher<br />
Produktionskosten <strong>im</strong> EU-Vergleich auf Gr<strong>und</strong> von Hang- <strong>und</strong> Steillagen; schwierige<br />
Einkommenssituation der deutschen Winzer; hoher Verwaltungsaufwand bei rd. 15.000<br />
Winzerbetrieben) gelten auch heute noch.<br />
Die Länder, denen das Aufkommen aus der Biersteuer zusteht, haben sich bisher stets<br />
<strong>gegen</strong> eine Erhöhung der Biersteuer ausgesprochen. So haben sie auch den letzten Vorschlag<br />
der EU-Kommission <strong>im</strong> Jahr 2006, der die Anhebung des EU-Mindeststeuersatzes<br />
vorsah <strong>und</strong> zu einer Erhöhung des deutschen Biersteuersatzes um r<strong>und</strong> 2 Cent je Liter geführt<br />
hätte, strikt abgelehnt.<br />
Zum Schutz der Jugendlichen vor einem Konsum von alkoholhaltigen Süßgetränken<br />
wurde zum 01. Juli 2004 eine Sondersteuer auf branntweinhaltige Alkopops eingeführt mit<br />
dem Ergebnis, dass diese Getränke von Jugendlichen weitaus weniger konsumiert werden.<br />
Im Übrigen beträgt der Regelsteuersatz für Spirituosen derzeit in Deutschland<br />
13,03 Euro pro Liter <strong>Alkohol</strong> <strong>und</strong> gehört damit bereits zu den zehn höchsten Steuersätzen<br />
innerhalb der Europäischen Union.<br />
Das Steueraufkommen aus den <strong>Alkohol</strong>steuern <strong>und</strong> der <strong>Alkohol</strong>konsum sind seit Jahren<br />
rückläufig. Eine generelle Erhöhung der <strong>Alkohol</strong>steuern ist deshalb derzeit nicht angezeigt.<br />
13. Beabsichtigt die <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung, neue Empfehlungen zur <strong>Alkohol</strong>- <strong>und</strong> Tabakprävention erarbeiten zu<br />
lassen?<br />
Wenn ja, bis wann, <strong>und</strong> mit welcher Zielrichtung?<br />
Wenn nein, warum nicht?<br />
Für die Ausgestaltung <strong>und</strong> Schwerpunktsetzung der <strong>Drogen</strong>- <strong>und</strong> Suchtpolitik ist auf der<br />
Ebene des <strong>B<strong>und</strong></strong>es, der Länder <strong>und</strong> Kommunen in Deutschland ein möglichst einvernehm-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Zur Information<br />
lich ausgehandelter Rahmen erforderlich, der für alle Beteiligten in Politik <strong>und</strong> Praxis eine<br />
gemeinsame Orientierung <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>lage bietet. Die Ausrichtung der <strong>Drogen</strong>- <strong>und</strong> Suchtpolitik<br />
basiert in Deutschland auf der Vermeidung <strong>und</strong> Verringerung des <strong>Drogen</strong>- <strong>und</strong><br />
Suchtmittelkonsums sowie bestehenden internationalen Vereinbarungen. In diesem Zusammenhang<br />
ist vorgesehen, den bisherigen Aktionsplan <strong>Drogen</strong> <strong>und</strong> Sucht aus dem Jahr<br />
2003 in Abst<strong>im</strong>mung mit den <strong>B<strong>und</strong></strong>esressorts in diesem Jahr zu überarbeiten <strong>und</strong> zu verabschieden.<br />
Dabei haben für die <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung verstärkte Ansätze <strong>im</strong> Präventionsbereich<br />
Vorrang. Daneben werden bewährte Strategien in der <strong>Drogen</strong>- <strong>und</strong> Suchtpolitik Kontinuität<br />
haben.<br />
14. In welcher Weise <strong>und</strong> in welcher Zusammensetzung ist die Fortführung des <strong>Drogen</strong>- <strong>und</strong> Suchtrates<br />
geplant?<br />
Die <strong>Drogen</strong>beauftragte der <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung plant, für zukünftige Schwerpunktsetzungen<br />
in der <strong>Drogen</strong>- <strong>und</strong> Suchtpolitik ein Beratungsgremium einzuberufen, dem wesentliche<br />
Akteure aus Politik, Wissenschaft <strong>und</strong> Praxis angehören werden. Dieses Gremium<br />
soll noch in diesem Jahr einberufen werden.<br />
15. Welche Vorstellungen zum Arbeitsprogramm des <strong>Drogen</strong>- <strong>und</strong> Suchtrates bestehen derzeit?<br />
Die Erstellung eines Arbeitsprogramms steht <strong>im</strong> Kontext der Einrichtung eines Beratungsgremiums<br />
<strong>und</strong> der geplanten Überarbeitung des bisherigen Aktionsplans <strong>Drogen</strong> <strong>und</strong><br />
Sucht. Über ein entsprechendes Arbeitsprogramm kann erst entschieden werden, wenn das<br />
Gremium gebildet wurde <strong>und</strong> seine Arbeit aufgenommen hat.<br />
16. Plant die <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung eine Fortschreibung des aktuellen Aktionsplans <strong>Drogen</strong> <strong>und</strong> Sucht?<br />
Wenn ja, wann, <strong>und</strong> mit welcher Zielrichtung?<br />
Siehe Antwort zu Frage 13.<br />
17. Trifft es zu, dass die <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung 2010 keinen <strong>Drogen</strong>- <strong>und</strong> Suchtbericht veröffentlichen wird?<br />
Wenn ja, warum nicht?<br />
Gegenstand des letzten <strong>Drogen</strong>- <strong>und</strong> Suchtberichts der vorangegangenen <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung<br />
vom Mai 2009 war <strong>im</strong> Wesentlichen der Zeitraum des Jahres 2008. Im November<br />
2009 wurde von der Deutschen Beobachtungsstelle für <strong>Drogen</strong> <strong>und</strong> Sucht (DBDD) der<br />
aktuelle Reitox-Bericht veröffentlicht, der Auskunft über die <strong>Drogen</strong>- <strong>und</strong> Suchtentwicklung<br />
in Deutschland <strong>im</strong> Jahr 2008/ 2009 gibt. Der erste <strong>Drogen</strong>- <strong>und</strong> Suchtbericht der jetzigen<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung wird <strong>im</strong> Mai 2011 veröffentlicht. Er wird über die Entwicklung <strong>im</strong><br />
<strong>Drogen</strong>- <strong>und</strong> Suchtbereich <strong>und</strong> die Tätigkeit der jetzigen <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung <strong>im</strong> Jahr 2010<br />
berichten.<br />
291<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
292 Zur Information<br />
„Begleitetes Fahren mit 17“ soll gesetzlich verankert werden<br />
Antrag zur geplanten Überführung des Modellversuches „Begleitetes<br />
Fahren mit 17“ in das Dauerrecht * )<br />
Der <strong>B<strong>und</strong></strong>estag wolle beschließen:<br />
I. Der Deutsche <strong>B<strong>und</strong></strong>estag stellt fest:<br />
Die Einführung des Modellversuchs „Begleitetes Fahren ab 17 (BF 17)“ hat zu einer<br />
gr<strong>und</strong>sätzlichen Veränderung des Systems der Fahranfängervorbereitung geführt. Neben<br />
der professionellen Fahrschulausbildung ist ergänzend ein weiteres eigenständiges Vorbereitungselement<br />
getreten: Die längerfristige fahrpraktische Einübung in das Fahren unter<br />
dem protektiven Rahmen der Begleitung durch einen fahrerfahrenen <strong>und</strong> verkehrszuverlässigen<br />
Mitfahrer. Hierdurch gelingt es, das Fahrerfahrungsdefizit von Fahranfängern<br />
deutlich zu reduzieren.<br />
Die <strong>B<strong>und</strong></strong>esanstalt für Straßenwesen (BASt) hat den gesetzlich vorgeschriebenen Bericht<br />
zur Evaluation <strong>im</strong> Rahmen des Forschungsprojekts „Fahranfängermaßnahmen“ vorgelegt.<br />
Mit diesem Forschungsprojekt wird vor einer Entscheidung über die dauerhafte<br />
Einführung unter anderem das bisher zeitlich befristete Modellvorhaben „Begleitetes Fahren<br />
ab 17“ evaluiert <strong>und</strong> auf seine Wirksamkeit für die Verkehrssicherheit überprüft.<br />
Die vorliegenden Ergebnisse belegen eindrucksvoll, dass das Modell „Begleitetes Fahren<br />
ab 17“ einen deutlichen Gewinn für die Verkehrssicherheit der jungen Fahranfänger<br />
bringt: In der Anfangsphase des selbstständigen Fahrens ergibt sich eine Verringerung des<br />
Unfall- <strong>und</strong> Deliktrisikos in einem zweistelligen Prozentbereich <strong>und</strong> die Teilnahme am<br />
„Begleiteten Fahren ab 17“ führt zu einer erheblichen Verbesserung der Fahrkompetenz.<br />
Die Ergebnisse <strong>im</strong> Einzelnen<br />
Es zeichnet sich eine enorm hohe Beteiligung an dem Modellversuch des „Begleiteten<br />
Fahrens ab 17“ ab. Seit dem Start des Modellversuchs <strong>im</strong> Jahr 2004 haben bereits r<strong>und</strong><br />
380 000 junge Personen von der Möglichkeit des „Begleiteten Fahrens ab 17“ Gebrauch<br />
gemacht. Die Teilnehmerzahlen nehmen von Jahr zu Jahr zu. Im Jahr 2008 nahmen bereits<br />
25 Prozent aller Fahranfänger der Klassen B oder BE in Deutschland am „Begleiteten Fahren<br />
ab 17“ teil. Bei den jungen Fahranfängern, die ihren Kartenführerschein mit Vollendung<br />
des 18. Lebensjahres erhalten haben, sind bereits diejenigen mit r<strong>und</strong> 55 Prozent in<br />
der Mehrheit, die am „Begleiteten Fahren ab 17“ teilgenommen haben.<br />
Die Ergebnisse bestätigen die Annahme, dass die Teilnahme am „Begleiteten Fahren ab<br />
17“ das Anfängerrisiko bei Eintritt in die Phase des selbstständigen Fahrens deutlich absenkt:<br />
Gegenüber den Fahranfängern, die auf herkömmliche Weise ihre Fahrerlaubnis erwarben,<br />
begingen <strong>im</strong> ersten Jahr des selbstständigen Fahrens die Teilnehmer am „Begleiteten<br />
Fahren ab 17“ insgesamt r<strong>und</strong> 20 Prozent weniger Verkehrsverstöße <strong>und</strong> r<strong>und</strong><br />
22 Prozent weniger Unfälle.<br />
* ) Der Antrag (BT-Drucksache 17/1573 vom 05. Mai 2010) erfolgte durch Volker Kauder, Dr. Hans-Peter Friedrich<br />
(Hof), Birgit Homburger <strong>und</strong> die Fraktionen der CDU/CSU <strong>und</strong> FDP.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Zur Information<br />
Häufigste Begleitpersonen waren die Eltern, die durchschnittliche Begleitphase betrug<br />
acht Monate <strong>und</strong> die jungen Fahranfänger legten in dieser Zeit durchschnittlich 2 400 Kilometer<br />
zurück.<br />
Insgesamt belegen die Ergebnisse, dass das „Begleitete Fahren ab 17“ zu einer erheblichen<br />
Verbesserung der Fahrkompetenz von jungen Fahranfängern führt <strong>und</strong> die positiven<br />
Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit in dieser Gruppe dauerhaft wirken.<br />
Aus diesem Gr<strong>und</strong> hat der 48. Deutsche Verkehrsgerichtstag vom 27. bis 29. Januar<br />
2010 die Empfehlung abgegeben, den Anwendungsbereich des „Begleiteten Fahrens ab<br />
17“ dauerhaft gesetzlich zu verankern <strong>und</strong> zu erweitern.<br />
II. Der Deutsche <strong>B<strong>und</strong></strong>estag fordert die <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung auf,<br />
einen Vorschlag zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes <strong>und</strong> der Verordnung über<br />
die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vorzulegen, mit der das Modellvorhaben<br />
„Begleitetes Fahren mit 17“ mit Wirkung zum 01. Januar 2011 in das Dauerrecht überführt<br />
wird.<br />
293<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
294 Zur Information<br />
<strong>Alkohol</strong>sensor zum Patent angemeldet – Kombisystem sorgt<br />
für Sicherheit<br />
Schwere Autounfälle werden oft unter <strong>Alkohol</strong>- <strong>und</strong> <strong>Drogen</strong>einfluss verursacht. Dieses<br />
Risiko soll mit modernen Sensoren verringert werden, die den <strong>Alkohol</strong>gehalt <strong>im</strong> Atem<br />
des Fahrers messen. Sie lassen sich jedoch manipulieren. Wissenschaftler am Lehrstuhl<br />
für Kommunikationstechnik an der Universität Duisburg-Essen (UDE) haben jetzt ein erweitertes<br />
System zum Patent angemeldet. Es verbindet die Vorteile bestehender Messgeräte<br />
mit einer Identifikation des Fahrers.<br />
Die bisherigen mobilen Geräte sind vergleichbar mit den Alkomaten der Polizei. Doch<br />
kann beispielsweise der Beifahrer den <strong>Alkohol</strong>sensor bedienen, während der Fahrer alkoholisiert<br />
ist. Um das zu vermeiden, geht die Erfindung der UDE-Kommunikationstechniker<br />
einige Schritte weiter: Sie nutzt zusätzlich u.a. Gewichtssensoren <strong>im</strong> Fahrersitz <strong>und</strong><br />
elektronische Wegfahrsperren. Denkbar sind zudem ein Iris-Scan oder Fingerabdruck. Erst<br />
wenn eindeutig feststeht, dass der Fahrer verkehrstauglich ist <strong>und</strong> auch selbst am Steuer<br />
sitzt, kann er den Motor starten.<br />
„Alle Autos, die weltweit produziert werden, können mit dem System ausgestattet werden“,<br />
blickt Prof. Dr. PETER JUNG in die Zukunft. „Dadurch wird die Zahl der Unglücksfälle<br />
<strong>und</strong> Unfallopfer kleiner.“ Sein Team ist kreativ <strong>und</strong> arbeitet an einer breiten<br />
Lösungspalette: So können sich die Fachleute zum Beispiel auch vorstellen, dass bei<br />
Luxusautos ab einem kritischen <strong>Alkohol</strong>gehalt automatisch ein Taxiruf angeboten wird.<br />
Unter <strong>Alkohol</strong>einfluss kommt es allerdings nicht nur zu Unfällen <strong>im</strong> Straßenverkehr,<br />
sondern auch in Arbeitsbereichen mit motorisierten Maschinen. Deshalb soll die Erfindung<br />
auch für alle motorbetriebenen Geräte wie Drehmaschinen oder Bagger nutzbar sein.<br />
(Aus einer Mitteilung des Informationsdienstes Wissenschaft, idw, vom 15. April 2010)<br />
Anmerkung der Schriftleitung: Ansprechpartner für weitere Informationen sind<br />
Prof. Dr.-Ing. Peter Jung, Tel. 0203/379-2590, peter.jung@Kommunikationstechnik.org<br />
Dr.-Ing. Guido Bruck, Tel. 0203/379-2757, guido.bruck@Kommunikationstechnik.org<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Zur Information<br />
6. Gemeinsames Symposium der DGVP * ) <strong>und</strong> DGVM ** )<br />
– Ankündigung –<br />
Termin: 01. bis 02. Oktober 2010<br />
Tagungsort: Eberhard-Karls-Universität Tübingen<br />
Hörsaalgebäude Kupferbau<br />
Hölderlinstraße 5<br />
72076 Tübingen<br />
Schwerpunktthemen: • Schläfrigkeit als Unfallursache (nationale <strong>und</strong> internationale<br />
Daten, Risikofaktoren)<br />
• Verfahren zur Detektion von Schläfrigkeit <strong>und</strong> eingeschränkter<br />
Leistungsfähigkeit (Begutachtung <strong>und</strong> Rehabilitation)<br />
• Möglichkeiten der Prävention schläfrigkeitsbedingter<br />
Verkehrsunfälle<br />
• Fahrerassistenzsysteme – Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen<br />
• Freie Themen<br />
Workshops (WS): WS 1 - Tagesschläfrigkeit <strong>und</strong> Aufmerksamkeitsdefizite –<br />
Aspekte <strong>und</strong> Messverfahren<br />
WS 2 - Rauschmittelgebrauch <strong>und</strong> Fahreignung<br />
WS 3 - Möglichkeiten der Prävention schläfrigkeitsbedingter<br />
Unfälle<br />
WS 4 - Beurteilung der Eignung <strong>im</strong> Flug- <strong>und</strong> Schiffsverkehr<br />
WS 5 - Wachheitsmonitoring <strong>im</strong> Fahrzeug – Technische<br />
Lösungen<br />
WS 6 - Begutachtungsleitlinien, Beurteilungskriterien <strong>und</strong> G 25<br />
WS 7 - Tagesschläfrigkeit <strong>und</strong> Aufmerksamkeitsdefizite –<br />
Aspekte <strong>und</strong> Messverfahren<br />
WS 8 - Rauschmittelgebrauch <strong>und</strong> Fahreignung<br />
WS 9 - Begutachtungsleitlinien, Beurteilungskriterien <strong>und</strong> G 25<br />
WS 10 - Schwierige Gutachtenfälle<br />
Kontaktadresse: Conventus Congressmanagement & Marketing GmbH<br />
Claudia Voigtmann<br />
Markt 8<br />
07743 Jena<br />
Tel.: +49 (0) 36 41 3 53 32 62<br />
Fax: +49 (0) 36 41 3 53 32 1<br />
Email: verkehr2010@conventus.de<br />
Weitere Informationen: www.conventus.de/verkehr2010<br />
** ) Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie.<br />
** ) Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin.<br />
295<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
296 Rechtsprechung<br />
46. *) Ist der Angeklagte infolge seiner <strong>Alkohol</strong>isierung<br />
ent<strong>gegen</strong> der Fahrtrichtung in die Kraftfahrstraße<br />
eingefahren <strong>und</strong> hat er dabei eine (konkrete)<br />
Gefährdung des Gegenverkehrs zumindest<br />
billigend in Kauf genommen, so kommt eine Strafbarkeit<br />
nach §§ 315c Abs. 1 Nr. 1 a, Abs. 2, 22 StGB<br />
in Betracht. Anderenfalls wird eine Strafbarkeit<br />
nach § 316 StGB zu erwägen sein.<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esgerichtshof,<br />
Beschluss vom 10. Dezember 2009 – 4 StR 503/09 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung<br />
in Tateinheit mit Körperverletzung, wegen<br />
sexueller Nötigung <strong>und</strong> wegen Gefährdung des Straßenverkehrs<br />
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier<br />
Jahren <strong>und</strong> zehn Monaten verurteilt. Zugleich hat es<br />
ihn <strong>im</strong> Adhäsionsverfahren zur Zahlung von Schmerzensgeld<br />
an die Nebenklägerin verurteilt. Gegen dieses<br />
Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision,<br />
mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.<br />
Aus den Gründen:<br />
1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen (vorsätzlicher)<br />
Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß<br />
§ 315c Abs. 1 Nr. 2 f StGB (Befahren einer Kraftfahrstraße<br />
ent<strong>gegen</strong> der Fahrtrichtung) begegnet durchgreifenden<br />
rechtlichen Bedenken.<br />
a) Hierzu hat der Generalb<strong>und</strong>esanwalt in seiner<br />
Antragsschrift zutreffend ausgeführt:<br />
„Das Landgericht hat eine konkrete Gefahr bejaht,<br />
da es lediglich vom Zufall abhing, dass dem<br />
Angeklagten kein Gegenverkehr ent<strong>gegen</strong>kam ...<br />
Dies genügt indes nicht, um eine konkrete Gefährdung<br />
<strong>im</strong> Sinne des § 315c StGB zu begründen.<br />
Zwar entzieht es sich exakter wissenschaftlicher Beschreibung,<br />
wann eine solche Gefahr gegeben ist.<br />
Die Tathandlung muss aber jedenfalls über die ihr<br />
innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus <strong>im</strong><br />
Hinblick auf einen best<strong>im</strong>mten Vorgang in eine kritische<br />
Situation geführt haben; in dieser Situation<br />
muss – was nach der allgemeinen Lebenserfahrung<br />
aufgr<strong>und</strong> einer objektiv nachträglichen Prognose zu<br />
beurteilen ist – die Sicherheit einer best<strong>im</strong>mten Person<br />
oder Sache so stark beeinträchtigt gewesen sein,<br />
dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut<br />
verletzt wurde oder nicht (Senat NStZ 1996,<br />
83). Nach diesen Maßstäben lässt sich den Feststellungen<br />
des Landgerichts eine konkrete Gefahr <strong>im</strong><br />
Sinne des § 315c StGB nicht entnehmen. Denn eine<br />
Begegnung mit anderen Fahrzeugen hat nicht stattgef<strong>und</strong>en.<br />
Die abstrakte Gefahr, die stets gegeben<br />
ist, wenn eine Kraftfahrstraße ent<strong>gegen</strong> der Fahrt-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Rechtsprechung<br />
Die mit einem *) bezeichneten Leitsätze sind von der Schriftleitung formuliert worden.<br />
Seiten 296–314<br />
richtung befahren wird, hatte sich daher noch nicht<br />
in einer kritischen Situation konkretisiert; erst recht<br />
war es in einer solchen Situation nicht zu einem<br />
‚Beinahe-Unfall‘ (vgl. Senat NStZ 2009, 100, 101)<br />
gekommen. Dass es nur vom Zufall abhing, ob es zu<br />
einer kritischen Begegnung mit dem Gegenverkehr<br />
kommen würde, genügt für sich genommen nicht,<br />
um eine konkrete Gefahr <strong>im</strong> Sinne des § 315c StGB<br />
annehmen zu können“.<br />
b) Die Verurteilung wegen Gefährdung des Straßenverkehrs<br />
nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 f StGB hat daher<br />
keinen Bestand. Dies führt zur Aufhebung der insoweit<br />
verhängten Einzelstrafe sowie der Gesamtstrafe.<br />
Die neu erkennende Strafkammer wird angesichts<br />
der Trinkmengenangaben des Angeklagten zu prüfen<br />
haben, ob dieser sich der versuchten Gefährdung<br />
des Straßenverkehrs oder der Trunkenheit <strong>im</strong> Verkehr<br />
schuldig gemacht hat. Sollte der Angeklagte infolge<br />
seiner <strong>Alkohol</strong>isierung ent<strong>gegen</strong> der Fahrtrichtung in<br />
die Kraftfahrstraße eingefahren <strong>und</strong> dabei eine (konkrete)<br />
Gefährdung des Gegenverkehrs zumindest billigend<br />
in Kauf genommen haben, kommt eine Strafbarkeit<br />
nach §§ 315c Abs. 1 Nr. 1 a, Abs. 2, 22 StGB<br />
in Betracht. Anderenfalls wird eine Strafbarkeit nach<br />
§ 316 StGB zu erwägen sein. Eine Versuchsstrafbarkeit<br />
nach § 315c Abs. 1 Nr. 1 a, Abs. 3 Nr. 1 StGB<br />
(„Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination“) scheidet hin<strong>gegen</strong><br />
aus, da § 315c Abs. 2 StGB eine solche nur für<br />
die Fälle des Abs. 1 Nr. 1 vorsieht (OLG Düsseldorf<br />
NZV 1994, 486; Cramer/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder<br />
StGB 27. Aufl. § 315c Rdn. 46).<br />
47. *) 1. Im Falle der Verurteilung wegen einer<br />
Trunkenheitsfahrt ist der Tatrichter regelmäßig<br />
verpflichtet, auch Umstände festzustellen, die geeignet<br />
sind, den Schuldumfang näher zu best<strong>im</strong>men<br />
<strong>und</strong> einzugrenzen. Dazu zählen neben der<br />
Höhe der <strong>Blutalkohol</strong>konzentration insbesondere<br />
die Umstände der <strong>Alkohol</strong>aufnahme (Trinken in<br />
Fahrbereitschaft) sowie der Anlass <strong>und</strong> die Gegebenheiten<br />
der Fahrt. Wenn außer der Angabe von<br />
Tatzeit, Tatort <strong>und</strong> <strong>Blutalkohol</strong>wert keine weiteren,<br />
für den Schuldumfang wesentlichen Feststellungen<br />
möglich sind, so ist dies <strong>im</strong> Urteil hinreichend klarzustellen.<br />
In einem solchen Fall ist für die Strafzumessung<br />
ein entsprechend geringer Schuldumfang<br />
ohne wesentliche Besonderheiten zugr<strong>und</strong>e zu<br />
legen. Die genannten Gr<strong>und</strong>sätze gelten auch,<br />
wenn die Trunkenheitsfahrt nicht zu einer Verurteilung<br />
nach § 316 StGB, sondern zum Schuldspruch<br />
wegen Vollrauschs (§ 323a StGB) führt.<br />
2. Eine Verurteilung wegen vorsätzlichen Vollrauschs<br />
setzt voraus, dass der Täter wusste oder
illigend in Kauf nahm, er werde durch das<br />
Rauschmittel in einen Rauschzustand in dem für<br />
§ 323a StGB erforderlichen Schweregrad geraten,<br />
wobei dieser Schuldvorwurf während der gesamten<br />
Dauer des Sichberauschens fortbestehen<br />
muss.<br />
3. Für die innere Tatseite des § 323a StGB ist<br />
nicht erforderlich, dass für den Täter vorhersehbar<br />
ist, dass er <strong>im</strong> Rausch irgendwelche Ausschreitungen<br />
strafbarer Art begehen wird.<br />
Oberlandesgericht Köln,<br />
Beschluss vom 05. Februar 2010 – 1 RVs 25/10 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen<br />
Vollrauschs zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen<br />
zu je 25,00 Euro verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis<br />
entzogen, seinen Führerschein eingezogen<br />
<strong>und</strong> die Straßenverkehrsbehörde angewiesen, ihm vor<br />
Ablauf von 8 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.<br />
Es hat zum Schuldspruch festgestellt:<br />
„Der Angeklagte ist psychisch krank <strong>und</strong> n<strong>im</strong>mt<br />
deswegen Antidepressiva. Üblicherweise n<strong>im</strong>mt er<br />
eine Tablette pro Tag. In Ausnahmefällen n<strong>im</strong>mt er<br />
jedoch 2 Tabletten pro Tag zu sich. So ist es auch am<br />
15. 02. 2009 geschehen. Obwohl dem Angeklagten<br />
bewusst war, dass sich die eingenommenen Antidepressiva<br />
nicht mit <strong>Alkohol</strong> vertragen, trank er am<br />
15. 02. 2009 mit seinen Fre<strong>und</strong>en in einem Restaurant<br />
mehrere Raki.<br />
In diesem Zustand befuhr er <strong>gegen</strong> 3:35 Uhr mit<br />
dem Personenkraftwagen XY- XX in alkoholbedingt<br />
fahruntüchtigem Zustand unter anderem die<br />
B 56 Richtung Kreisverkehr B 56 / L 136 in E. Infolge<br />
alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit kam er <strong>im</strong><br />
Kreisverkehr von der Fahrbahn ab <strong>und</strong> verursachte<br />
einen Verkehrsunfall, bei dem ein Baum beschädigt<br />
wurde. Der Schaden betrug 1.762,02 Euro. Die um<br />
5:02 Uhr entnommene Blutprobe hat eine <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
von 1,8 Promille ergeben.“<br />
Zur Beweiswürdigung hat das Amtsgericht ausgeführt:<br />
„Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung<br />
eingeräumt, dass er üblicherweise eine Tablette der<br />
ihm verschriebenen Antidepressiva zu sich n<strong>im</strong>mt,<br />
an besonders kritischen Tagen jedoch zwei Tabletten.<br />
So sei es auch am Tattage gewesen. Ferner sei<br />
ihm bewusst, dass sich diese Antidepressiva nicht<br />
mit <strong>Alkohol</strong> vertragen, dennoch habe er mit seinen<br />
Fre<strong>und</strong>en in der Gaststätte gegessen <strong>und</strong> mehrere<br />
Raki getrunken. Im Übrigen könne er sich an nichts<br />
mehr erinnern.<br />
Darüber hinaus stützt das Gericht seine Feststellungen<br />
auf die Aussage des Zeugen N., der detailreich<br />
<strong>und</strong> in sich schlüssig geschildert hat, dass er<br />
hinter dem Angeklagten hergefahren <strong>und</strong> dieser mit<br />
seinem Auto plötzlich <strong>gegen</strong> einen Baum gefahren<br />
sei. Er sei sodann auf den Angeklagten zu, um diesem<br />
zu helfen. Dabei habe er <strong>Alkohol</strong>geruch festge-<br />
Rechtsprechung<br />
297<br />
stellt, der Angeklagte habe jedoch auf seine Fragen<br />
reagiert <strong>und</strong> insbesondere darum gebeten, nicht die<br />
Polizei hinzuzuziehen.“<br />
Zur rechtlichen Würdigung heißt es <strong>im</strong> amtsgerichtlichen<br />
Urteil:<br />
„Der Angeklagte hat sich damit des vorsätzlichen<br />
Vollrausches gemäß § 323a Abs. 1 StGB strafbar<br />
gemacht.<br />
Der Angeklagte hat sich vorsätzlich in einen<br />
Rauschzustand versetzt, denn er hat eine Kombination<br />
aus Antidepressiva <strong>und</strong> <strong>Alkohol</strong> zu sich genommen,<br />
obwohl ihm bewusst war, dass sich die<br />
Medikamente <strong>und</strong> der <strong>Alkohol</strong> nicht vertragen. Es<br />
kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass der<br />
Angeklagte aufgr<strong>und</strong> des Rausches schuldunfähig<br />
war.<br />
In diesem Rauschzustand hat er sodann eine<br />
rechtswidrige Tat, nämlich eine Trunkenheitsfahrt<br />
gemäß § 316 StGB begangen. Ent<strong>gegen</strong> der Ansicht<br />
des Verteidigers kommt es nicht darauf an, dass der<br />
Angeklagte bereits zu dem Zeitpunkt, als er sich in<br />
den Rauschzustand versetzt hat, vor hatte ein Fahrzeug<br />
zu führen. Ein besonderer Zusammenhang<br />
zwischen dem sich berauschen <strong>und</strong> der Rauschtat ist<br />
nicht erforderlich, denn bei der Rauschtat handelt es<br />
sich um eine sogenannte objektive Bedingung der<br />
Strafbarkeit. Dies deshalb, weil schon der Vollrausch<br />
selbst materielles Unrecht darstellt, die Bedingung<br />
der Strafbarkeit jedoch den Bereich des<br />
Strafwürdigen einengen soll (Fischer, StGB, 56.<br />
Auflage 2009, § 323a Rd. Nr. 17).“<br />
Die Revision des Angeklagten rügt Verletzung materiellen<br />
Rechts.<br />
Aus den Gründen:<br />
Das Rechtsmittel hat (vorläufigen) Erfolg. Es führt<br />
zur Aufhebung des angefochtenen Urteils <strong>und</strong> zur Zurückverweisung<br />
der Sache an die Vorinstanz.<br />
Der Schuldspruch hält der Nachprüfung aufgr<strong>und</strong><br />
der Sachrüge nicht stand.<br />
Die getroffenen Feststellungen sind materiell-rechtlich<br />
unvollständig.<br />
1. Das gilt schon für den äußeren Tatbestand der –<br />
angenommenen – Rauschtat (Trunkenheit <strong>im</strong> Verkehr,<br />
§ 316 StGB).<br />
Im Falle der Verurteilung wegen einer Trunkenheitsfahrt<br />
(mit Verkehrsunfall oder auch folgenlos, vgl.<br />
SenE v. 03. 04. 2009 – 83 Ss 20/08 –) ist der Tatrichter<br />
regelmäßig verpflichtet, auch Umstände festzustellen,<br />
die geeignet sind, den Schuldumfang näher zu best<strong>im</strong>men<br />
<strong>und</strong> einzugrenzen (BayObLG VRS 93, 108 =<br />
NZV 1997, 244 = NStZ 1997, 359 = MDR 1997, 486<br />
[= BA 1997, 318]; SenE v. 20. 08. 1999 – Ss 374/99 –<br />
= VRS 98, 140 [= BA 2000, 371]; SenE v. 19.12. 2000<br />
– Ss 488/00 – = StV 2001, 355 [= BA 2002, 218]; SenE<br />
v. 03. 04. 2009 – 83 Ss 20/09 –). Dazu zählen neben der<br />
Höhe der <strong>Blutalkohol</strong>konzentration insbesondere die<br />
Umstände der <strong>Alkohol</strong>aufnahme (Trinken in Fahrbereitschaft)<br />
sowie der Anlass <strong>und</strong> die Gegebenheiten<br />
der Fahrt (BayObLG VRS 97, 359, 360 = NZV 1999,<br />
483 [= BA 1999, 306]; SenE v. 27.10. 2006 – 82 Ss<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
298 Rechtsprechung<br />
123/06 –). Wichtige Kriterien sind u. a. Dauer <strong>und</strong><br />
Länge der bereits zurückgelegten <strong>und</strong> noch beabsichtigten<br />
Fahrstrecke, Verkehrsbedeutung der befahrenen<br />
Straßen sowie der private oder beruflich bedingte Anlass<br />
der Fahrt. Bedeutsam kann ferner sein, ob der Angeklagte<br />
aus eigenem Antrieb handelte oder von Dritten<br />
verleitet wurde (ständige Senatsrechtsprechung,<br />
vgl. nur SenE v. 03. 04. 2009 – 83 Ss 20/09 –; vgl. auch<br />
SenE v. 19.12. 2000 – Ss 488/00 – = StV 2001, 355).<br />
Feststellungen hierzu oder wenigstens zu einigen<br />
nach Lage des Einzelfalles besonders bedeutsamen<br />
Umständen sind <strong>im</strong> Allgemeinen zur näheren Best<strong>im</strong>mung<br />
des Schuldgehalts der Tat als Gr<strong>und</strong>lage für<br />
eine sachgerechte Rechtsfolgenbemessung erforderlich.<br />
Wenn außer der Angabe von Tatzeit, Tatort <strong>und</strong> <strong>Blutalkohol</strong>wert<br />
keine weiteren, für den Schuldumfang wesentlichen<br />
Feststellungen möglich sind, weil der Angeklagte<br />
schweigt <strong>und</strong> Beweismittel dafür entweder<br />
nicht zur Verfügung stehen oder nur mit unverhältnismäßigem<br />
Aufwand zu beschaffen wären, so ist dies <strong>im</strong><br />
Urteil hinreichend klarzustellen. In einem solchen Fall<br />
ist für die Strafzumessung ein entsprechend geringer<br />
Schuldumfang ohne wesentliche Besonderheiten zugr<strong>und</strong>e<br />
zu legen (SenE v. 19.12. 2000 – Ss 488/00 – =<br />
StV 2001, 355; SenE v. 03. 04. 2009 – 83 Ss 20/09 –).<br />
Die genannten Gr<strong>und</strong>sätze gelten auch, wenn die<br />
Trunkenheitsfahrt nicht zu einer Verurteilung nach<br />
§ 316 StGB, sondern zum Schuldspruch wegen Vollrauschs<br />
(§ 323a StGB) führt.<br />
Zwar ist die Rauschtat (lediglich) objektive Bedingung<br />
der Strafbarkeit (vgl. Fischer, StGB, 57. Auflage,<br />
§ 323a Rn. 17 mit Nachweisen). Gleichwohl best<strong>im</strong>mt<br />
sie den Schuldumfang der Straftat des Vollrauschs mit.<br />
Das ergibt sich schon aus § 323a Abs. 2 StGB, wonach<br />
die Strafe nicht schwerer sein darf als die Strafe, die<br />
für die <strong>im</strong> Rausch begangene Tat angedroht ist.<br />
Gemessen an diesen Maßstäben weist das angefochtene<br />
Urteil Lücken auf. Den Feststellungen können<br />
die Umstände, die geeignet sind, den Schuldumfang<br />
der Rauschtat näher zu best<strong>im</strong>men <strong>und</strong> einzugrenzen,<br />
nicht hinreichend entnommen werden. So<br />
bleibt insbesondere offen, ob der Angeklagte mit dem<br />
Pkw zu dem Restaurant gefahren ist <strong>und</strong> ob er bereits<br />
zu diesem Zeitpunkt damit gerechnet hat, später noch<br />
das Fahrzeug zu führen.<br />
2. Auch zur inneren Tatseite des § 323a StGB sind<br />
die Feststellungen des Amtsgerichts unvollständig.<br />
Eine Verurteilung wegen vorsätzlichen Vollrauschs<br />
setzt voraus, dass der Täter wusste oder billigend in<br />
Kauf nahm, er werde durch das Rauschmittel in einen<br />
Rauschzustand in dem für § 323a StGB erforderlichen<br />
Schweregrad geraten (SenE v. 11.10. 1996 – Ss 506/<br />
96 –; Fischer a. a. O., § 323a Rn. 16), wobei dieser<br />
Schuldvorwurf während der gesamten Dauer des Sichberauschens<br />
fortbestehen muss (Fischer a. a. O.).<br />
Das Amtsgericht hat dazu festgestellt, dem Angeklagte<br />
sei bewusst gewesen, „dass sich die Medikamente<br />
<strong>und</strong> der <strong>Alkohol</strong> nicht vertragen“. Die Bedeutung<br />
dieser „Unverträglichkeit“ erschließt sich aber<br />
weder aus dieser Feststellung noch aus dem sonstigen<br />
Inhalt des Urteils. Es bleibt vielmehr offen, ob damit<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
gemeint ist, dass das Antidepressivum die (psychophysischen,<br />
vgl. Fischer a. a. O.) Wirkungen des <strong>Alkohol</strong>s<br />
verstärkt, oder ob andere Wechselwirkungen –<br />
ggf. welche – angesprochen werden.<br />
3. Für die erneute Hauptverhandlung weist der<br />
Senat auf Folgendes hin:<br />
Nach BGHSt 16, 124 ist es für die innere Tatseite<br />
des § 323a StGB nicht erforderlich, dass für den Täter<br />
vorhersehbar ist, dass er <strong>im</strong> Rausch irgendwelche Ausschreitungen<br />
strafbarer Art begehen wird.<br />
Hinsichtlich möglicher Wechselwirkungen Antidepressivum/<strong>Alkohol</strong><br />
wird das Tatgericht ggf. den Beipackzettel<br />
des vor der Tat von dem Angeklagten eingenommenen<br />
– namentlich noch zu ermittelnden –<br />
Medikaments (z. B. www.beipackzettel.info) auszuwerten<br />
haben oder die Hinzuziehung eines Sachverständigen<br />
erwägen müssen.<br />
Es werden die Voraussetzungen des § 21 StGB zu<br />
erörtern sein (vgl. Fischer a. a. O., § 323 a Rn. 21; Tatzeit-BAK<br />
von 2,29 Promille ).<br />
Der hier nach § 323a Abs. 2 StGB maßgebliche<br />
Strafrahmen des § 316 StGB wird ggf. nach §§ 21, 49<br />
StGB zu mindern sein (vgl. Fischer a. a. O.).<br />
48. *) Der Umstand, dass ein Betroffener i. S. d.<br />
§ 24a Abs. 2 StVG ein Kraftfahrzeug <strong>im</strong> Straßenverkehr<br />
„unter der Wirkung“ berauschender<br />
Mittel geführt hat, stellt keine objektive Bedingung<br />
der Strafbarkeit dar. Die fortbestehende Rauschwirkung<br />
zur Tatzeit ist daher Tatbestandsmerkmal,<br />
auf das sich die subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen<br />
erstrecken müssen. Für eine Verurteilung<br />
wegen eines fahrlässigen Verstoßes bedarf<br />
es mithin der tatrichterlichen Überzeugung,<br />
dass der Betroffene die Möglichkeit fortdauernder<br />
Wirkung des Haschischkonsums hätte erkennen<br />
können <strong>und</strong> müssen.<br />
Oberlandesgericht Braunschweig,<br />
Beschluss vom 27. Januar 2010 – Ss (OWi) 219/09 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Durch das angefochtene Urteil ist der Betroffene<br />
wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeugs<br />
unter dem Einfluss von <strong>Alkohol</strong> <strong>und</strong> <strong>Drogen</strong> mit einer<br />
Geldbuße von 375,00 Euro <strong>und</strong> einem Fahrverbot von<br />
einem Monat (mit viermonatiger Abgabefrist) belegt<br />
worden. Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der Betroffene<br />
am 13. November 2008 um 01:30 Uhr mit<br />
dem Pkw in G. u. a. die W.-Straße befahren habe <strong>und</strong><br />
dabei unter der Wirkung von Cannabinoiden sowie<br />
unter <strong>Alkohol</strong>einfluss (<strong>Blutalkohol</strong>gehalt: 0,67 g ‰)<br />
gestanden habe.<br />
Hier<strong>gegen</strong> hat der Betroffene unter Erhebung der<br />
Verfahrens- <strong>und</strong> der Sachrüge die Rechtsbeschwerde<br />
eingelegt.
Aus den Gründen:<br />
Die Rechtsbeschwerde ist in zulässiger Weise eingelegt<br />
<strong>und</strong> begründet worden; sie hat in der Sache<br />
selbst bereits auf die Sachrüge hin einen Zwischenerfolg.<br />
Die Feststellungen tragen den Schuldspruch nicht.<br />
Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme<br />
vom 14. Dezember 2009 Folgendes ausgeführt:<br />
„Die Feststellungen sind lückenhaft, in sich<br />
widersprüchlich <strong>und</strong> zum Teil nicht nachvollziehbar.<br />
So ist auf Seite 2 der Urteilsabschrift ... zunächst<br />
die Rede davon, dass der Betroffene sich eingelassen<br />
habe, er habe ‚vor kurzer Zeit <strong>im</strong> Pavillon<br />
des Wohnhauses‘ eine weitere Flasche Bier getrunken.<br />
Auf der Folgeseite ist die Rede davon, dass sich<br />
der Betroffene ‚allenfalls ein bis zwei Minuten <strong>im</strong><br />
Hause aufgehalten‘ habe; hier ist von einem Pavillon<br />
nicht mehr die Rede, doch scheint es sich um<br />
denselben Teil des Sachverhaltes zu handeln.<br />
Im Übrigen ist nicht klar, welche Passsagen der<br />
Urteilsgründe Feststellungen sein sollen <strong>und</strong> in welchen<br />
lediglich z. B. die Einlassung des Betroffenen<br />
wiedergegeben wird. Dies zeigt sich besonders<br />
deutlich auf der ersten halben Seite der Gründe. Ob<br />
die Einlassung (‚Der Betroffene hat sich dahingehend<br />
eingelassen ... aufgehalten habe‘) so festgestellt<br />
werden soll, ist nicht ersichtlich. Schon daher<br />
kann das Rechtsbeschwerdegericht keine zuverlässige<br />
Prüfung des Urteils auf Rechtsfehler zulasten<br />
des Betroffenen vornehmen, weil es nicht erkennen<br />
kann, von welchem Sachverhalt das Gericht ausgegangen<br />
ist.<br />
Zudem fehlt es an Darlegungen zum subjektiven<br />
Tatbestand hinsichtlich des fahrlässigen Verstoßes<br />
<strong>gegen</strong> § 24a Abs. 2 StVG. Wenngleich die lange<br />
Nachweisbarkeit von THC bzw. THC-Abbaustoffen<br />
<strong>im</strong> Blut gerade Konsumenten bekannt sein dürfte,<br />
so reicht dies für den konkreten Fahrlässigkeitsvorwurf<br />
nicht aus. Abgesehen davon, dass auch ein solcher<br />
Hinweis <strong>im</strong> Urteil fehlt, hätte es hier insoweit<br />
weiterer Darlegungen bedurft.<br />
Auch die Sanktionsbemessung dürfte für das<br />
Rechtsbeschwerdegericht kaum nachvollziehbar<br />
sein. Zwar wird von einer ‚Abwägung aller für <strong>und</strong><br />
<strong>gegen</strong> den Betroffenen sprechenden Strafzumessungsgründe‘<br />
gesprochen, doch ist nicht <strong>im</strong> Ansatz<br />
ersichtlich, welche dies sein könnten. Zudem formuliert<br />
das Gericht, dass es sich bei der Geldbuße in<br />
Höhe von 375,00 Euro um den Regelsatz des Bußgeldkataloges<br />
handele. Dies ist nicht so. Der zum<br />
damaligen Zeitpunkt geltende Bußgeldkatalog sah<br />
für Verstöße <strong>gegen</strong> § 24a Abs. 1 <strong>und</strong> § 24a Abs. 2<br />
StVG jeweils Geldbußen in Höhe von 250,00 Euro<br />
vor.“<br />
Dem ist beizutreten.<br />
Hinsichtlich der erforderlichen Feststellungen zum<br />
subjektiven Tatbestand des Führens eines Kraftfahrzeugs<br />
unter der Wirkung eines berauschenden Mittels<br />
(§ 24a Abs. 2 StVG) ist noch auf folgende obergerichtliche<br />
Rechtsprechung hinzuweisen: Der Umstand,<br />
Rechtsprechung<br />
299<br />
dass ein Betroffener ein Kraftfahrzeug <strong>im</strong> Straßenverkehr<br />
„unter der Wirkung“ berauschender Mittel geführt<br />
hat, stellt keine objektive Bedingung der Strafbarkeit<br />
dar; die fortbestehende Rauschwirkung zur<br />
Tatzeit ist daher Tatbestandsmerkmal, auf das sich<br />
die subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen erstrecke<br />
müssen; für eine Verurteilung wegen eines fahrlässigen<br />
Verstoßes bedarf es mithin der tatrichterlichen<br />
Überzeugung, dass der Betroffene die Möglichkeit<br />
fortdauernder Wirkung des Haschischkonsums hätte<br />
erkennen können <strong>und</strong> müssen (OLG Brandenburg,<br />
<strong>Blutalkohol</strong> 45, 135; OLG Hamm NZV 2005, 428<br />
[= BA 2006, 232]).<br />
Entsprechende Feststellungen sind zwar regelmäßig<br />
unproblematisch, wenn der Rauschmittelkonsum<br />
kurze Zeit vor der Fahrt stattgef<strong>und</strong>en hat. Jedoch bedarf<br />
es hierzu besonderer Feststellungen, wenn zwischen<br />
der Einnahme des Rauschmittels <strong>und</strong> der Begehung<br />
der Tat längere Zeit vergangen ist, weil dann<br />
für den Betroffenen möglicherweise die fortdauernde<br />
Rauschwirkung <strong>im</strong> Tatzeitpunkt nicht mehr erkennbar<br />
war (OLG Hamm, a. a. O.; OLG Frankfurt NStZ-RR<br />
2007, 249 [= BA 2007, 318]; OLG Celle NZV 2009,<br />
89 [= BA 2009, 100]; KG NZV 2009, 572 [= BA 2009,<br />
415]). Nach den vorliegenden Urteilsgründen kann es<br />
sich <strong>im</strong>merhin um einen Zeitraum von über 27 St<strong>und</strong>en<br />
handeln (insoweit bleibt unklar, ob es sich nur um<br />
eine Einlassung des Betroffenen oder aber um eine<br />
Feststellung des Amtsrichters handelte). Bei einem<br />
derartig langen Zeitraum kann es an der Erkennbarkeit<br />
der fortwährenden Wirkung des Rauschmittels fehlen<br />
(vgl. OLG Frankfurt <strong>und</strong> OLG Celle, a. a. O., wo es um<br />
ähnlich lange Zeiträume ging).<br />
In einem solchen Fall bedarf es näherer Ausführungen<br />
dazu, aufgr<strong>und</strong> welcher Umstände sich der Betroffene<br />
hätte bewusst machen können, dass der Cannabiskonsum<br />
noch Auswirkungen haben konnte. Die<br />
Vorstellung des Betroffenen ist unter Würdigung sämtlicher<br />
zur Verfügung stehenden Beweismittel vom Tatgericht<br />
festzustellen. So kann beispielsweise unter<br />
Hinzuziehung eines Sachverständigen geprüft werden,<br />
ob angesichts der gemessenen Werte der Betroffene<br />
entweder zeitnäher zur Fahrt oder aber in weit größerer<br />
Menge als angegeben Haschisch genossen haben<br />
muss. Möglicherweise lässt sich mit Hilfe des Sachverständigen<br />
auch feststellen, ob der Betroffene angesichts<br />
der erheblichen Überschreitung des analytischen<br />
Grenzwertes von 1,0 ng/ml THC <strong>und</strong> anderer<br />
Messwerte die Wirkung des Rauschmittels bei Fahrantritt<br />
verspürt haben muss.<br />
49. 1. Liegt ein mit der Revision angefochtenes<br />
Urteil vor, kommt den Feststellungen des Tatrichters<br />
zu den Voraussetzungen des § 69 StGB für die<br />
zu treffende Beschwerdeentscheidung zwar keine<br />
Bindungs-, aber eine Indizwirkung zu, da das<br />
Tatgericht auf Gr<strong>und</strong> der durchgeführten Hauptverhandlung<br />
über eine größere Sachnähe <strong>und</strong> bessere<br />
Erkenntnismöglichkeiten verfügt als das Be-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
300 Rechtsprechung<br />
schwerdegericht, das sich nur auf den Akteninhalt<br />
stützen kann (OLG Koblenz, 1. Strafsenat, Beschluss<br />
vom 06. April 2006, 1 Ws 217/06).<br />
*) 2. Der bloße bisherige Zeitablauf seit dem Tatvorwurf<br />
bis zum Urteil (hier: zwei Jahre <strong>und</strong> zwei<br />
Monate) rechtfertigt nicht zwangsläufig die Annahme,<br />
der durch die Tatbegehung indizierte Eignungsmangel<br />
i. S. d. § 69 Abs. 1 StGB sei in dem<br />
Zeitpunkt der tatrichterlichen Entscheidung entfallen.<br />
Brandenburgisches Oberlandesgericht,<br />
Beschluss vom 02. Dezember 2009 – 1 Ws 229/09 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Das Amtsgericht Potsdam sprach den Angeklagten<br />
mit Urteil vom 25. November 2008 vom mit Anklageschrift<br />
vom 21. Mai 2008 gemachten Vorwurf der Straßenverkehrsgefährdung<br />
frei.<br />
Auf die da<strong>gegen</strong> eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft<br />
Potsdam verurteilte die 6. kleine Strafkammer<br />
des Landgerichts Potsdam den Angeklagten<br />
wegen Straßenverkehrsgefährdung in Tateinheit mit<br />
Nötigung zu einer Geldstrafe in Höhe von 40 Tagessätzen<br />
zu je 60,00 €. Ferner entzog die Kammer die<br />
Fahrerlaubnis <strong>und</strong> ordnete eine Sperrfrist von sechs<br />
Monaten an. Zugleich hat sie dem Angeklagten die<br />
Fahrerlaubnis gemäß § 111a Abs. 1 StPO vorläufig<br />
entzogen.<br />
Gegen diesen Beschluss hat der Angeklagte Beschwerde<br />
<strong>und</strong> <strong>gegen</strong> das Urteil Revision eingelegt.<br />
Aus den Gründen:<br />
Zu entscheiden ist vorliegend über die Beschwerde<br />
<strong>gegen</strong> die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis.<br />
Das Rechtsmittel ist zulässig (vgl. OLG Jena VRS 115,<br />
353 m. w. N.; OLG Koblenz NZV 2008, 47), jedoch<br />
unbegründet.<br />
Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis setzt<br />
gemäß § 111a Abs. 1 Satz 1 StPO voraus, dass dringende<br />
Gründe für die Annahme vorhanden sind, die<br />
Fahrerlaubnis werde gemäß § 69 StGB entzogen werden.<br />
Das ist hier der Fall.<br />
1. Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB entzieht das Gericht<br />
die Fahrerlaubnis unter anderem dann, wenn jemand<br />
wegen einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder<br />
<strong>im</strong> Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs<br />
oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers<br />
begangen hat, verurteilt wird <strong>und</strong> sich<br />
aus der Tat ergibt, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen<br />
ungeeignet ist. Ist die rechtswidrige Tat ein<br />
Vergehen der Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c<br />
StGB), ist der Täter gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 1 StGB in<br />
der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen<br />
anzusehen.<br />
Liegt – wie hier – ein mit der Revision angefochtenes<br />
Urteil vor, kommt den Feststellungen des Tatrichters<br />
zu den Voraussetzungen des § 69 StGB für die zu<br />
treffende Beschwerdeentscheidung zwar keine Bindungs-,<br />
aber eine Indizwirkung zu, da das Tatgericht<br />
auf Gr<strong>und</strong> der durchgeführten Hauptverhandlung über<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
eine größere Sachnähe <strong>und</strong> bessere Erkenntnismöglichkeiten<br />
verfügt als das Beschwerdegericht, das sich<br />
nur auf den Akteninhalt stützen kann (OLG Koblenz,<br />
1. Strafsenat, Beschluss vom 06. April 2006 – 1 Ws<br />
217/06 –). Dessen Wertung von der fehlenden charakterlichen<br />
Eignung hat das Beschwerdegericht gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
ebenso hinzunehmen, wie die dem Urteil zu<br />
Gr<strong>und</strong>e liegenden tatsächlichen Feststellungen. Eine<br />
von dem Urteil abweichende Beurteilung der Voraussetzungen<br />
der Entziehung der Fahrerlaubnis durch das<br />
Beschwerdegericht kann danach nur ausnahmsweise<br />
in Betracht kommen. Das ist etwa dann der Fall, wenn<br />
die schriftlichen Urteilsgründe in dieser Frage einen<br />
offensichtlichen sachlich-rechtlichen Fehler aufweisen,<br />
der einen Erfolg der Revision mit großer Wahrscheinlichkeit<br />
erwarten lässt oder wenn neue Tatsachen<br />
vorliegen, deren Nichtberücksichtigung sich<br />
mutmaßlich in der Revisionsentscheidung als rechtsfehlerhaft<br />
erweisen wird oder die Wiederaufnahme des<br />
Verfahrens (§ 359 Nr. 5 StPO) nach dessen rechtskräftigen<br />
Abschluss nahe legt (OLG Koblenz a. a. O.<br />
m. w. N). Gründe, die danach zu einer Aufhebung des<br />
Beschlusses nach § 111a StPO führen könnten, sind<br />
nach vorläufiger Prüfung des vorliegenden Urteils hier<br />
nicht ersichtlich.<br />
Ent<strong>gegen</strong> der Auffassung der Beschwerde rechtfertigt<br />
der bloße bisherige Zeitablauf nicht zwangsläufig<br />
die Annahme, der durch die Tatbegehung indizierte<br />
Eignungsmangel sei in dem Zeitpunkt der tatrichterlichen<br />
Entscheidung entfallen. Zwar kann darin, dass<br />
die eine charakterliche Ungeeignetheit begründenden<br />
Taten geraume Zeit zurückliegen <strong>und</strong> der Täter seitdem<br />
nicht mehr nachteilig aufgefallen ist, ein Gr<strong>und</strong><br />
liegen, der die Beurteilung rechtfertigt, der ursprünglich<br />
vorhandene Mangel bestehe nicht mehr (BGH,<br />
BGHR, StGB, § 69 Abs. 1 Entziehung 2; 4). Dies liegt<br />
hier angesichts der seit dem Tatvorwurf bis zum Urteil<br />
verstrichenen Zeit von etwa zwei Jahren <strong>und</strong> zwei Monaten<br />
allerdings nicht auf der Hand. Dem Umstand,<br />
dass die Anlasstat längere Zeit zurück liegt, kommt<br />
vielmehr nach der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung<br />
erst nach längeren Zeiträumen Bedeutung<br />
zu (vgl. etwa BGH, a. a. O.: zwei Jahre <strong>und</strong> sechs Monate<br />
bzw. vier Jahre). Zudem hat die Kammer ausgeführt,<br />
dass der Angeklagte zur Zeit der Tatbegehung<br />
kurz vor einem Wutausbruch gestanden habe <strong>und</strong> noch<br />
heute meine, zu Recht wegen des von ihm empf<strong>und</strong>enen<br />
Vorfahrtsverstoßes des Zeugen ... entsprechend<br />
wütend geworden zu sein. Dass es hier durch die Fahrweise<br />
des Angeklagten (sogar) zu einer Gefährdung<br />
der Sicherheit des öffentlichen Personennahverkehrs<br />
gekommen sei, müsse bei der <strong>im</strong> Ergebnis negativen<br />
Geeignetheitsprüfung Berücksichtigung finden. Die<br />
Erwägungen der Kammer erscheinen nach vorläufiger<br />
Beurteilung nicht rechtsfehlerhaft.<br />
2. Gesichtspunkte, die die vorläufige Entziehung<br />
der Fahrerlaubnis als nicht verhältnismäßig erscheinen<br />
lassen könnten (BVerfG, NJW 2001, 357), sind ebenfalls<br />
nicht erkennbar, da <strong>im</strong> vorliegenden Verfahren<br />
von der verhängten Sperrfrist von 6 Monaten erst ca.<br />
4 Wochen verstrichen sind.
50. *) 1. Das Verschulden des eigenen Verteidigers,<br />
der offenbar infolge eines eigenen oder eines<br />
Büroversehens die an ihn erfolgte, mit Empfangsbekenntnis<br />
belegte Zustellung eines Urteils nicht<br />
zur Kenntnis bzw. nicht zum Anlass für die Fertigung<br />
einer fristgemäßen Rechtsbeschwerdebegründung<br />
genommen hat, ist dem Betroffenen<br />
nicht zuzurechnen.<br />
2. Die in den Urteilsgründen gemäß § 71 Abs. 1<br />
OWiG i. V.m. §§ 261, 267 StPO darzulegende Beweiswürdigung<br />
muss auch in Bußgeldsachen (hier:<br />
Verstoß <strong>gegen</strong> § 24a Abs. 2 StVG) so beschaffen<br />
sein, dass sie dem Rechtsbeschwerdegericht eine<br />
rechtliche Überprüfung ermöglicht; das Urteil<br />
muss deshalb erkennen lassen, auf welche Tatsachen<br />
das Gericht seine Überzeugung gestützt hat,<br />
wie sich der Betroffene eingelassen hat <strong>und</strong> ob das<br />
Gericht dieser Einlassung (<strong>und</strong> warum) folgt <strong>und</strong><br />
inwieweit es seine Einlassung für widerlegt ansieht.<br />
3. Bei dem Vorwurf des Führens eines Kraftfahrzeuges<br />
unter der berauschenden Wirkung von Cannabis<br />
i. S. d. § 24a Abs. 2 StVG sind angesichts der<br />
Frage der für die Verwirklichung des objektiven<br />
<strong>und</strong> subjektiven Tatbestandes erforderlichen Feststellungen<br />
umfangreiche <strong>und</strong> komplizierte Erwägungen<br />
anzustellen, weshalb die Beiordnung eines<br />
Pflichtverteidigers <strong>im</strong> Einzelfall geboten sein kann.<br />
4. Ein zu erwartendes Fahrverbot, auch bei einer<br />
Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG, reicht allein<br />
nicht aus, die Mitwirkung eines Verteidigers zu gebieten.<br />
Oberlandesgericht Hamm,<br />
Beschluss vom 19. November 2009 – 5 Ss OWi 401/09 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Das Amtsgericht Essen hat den Betroffenen am<br />
24. Februar 2009 wegen Führens eines Kraftfahrzeuges<br />
unter <strong>Drogen</strong>einfluss (fahrlässige Ordnungswidrigkeit<br />
gemäß § 24a StVG) zu einer Geldbuße in Höhe<br />
von 250,– Euro verurteilt <strong>und</strong> ein Fahrverbot für die<br />
Dauer eines Monats unter Gewährung der 4-Monats-<br />
Frist gemäß § 25 Abs. 2a StVG verhängt.<br />
Gegen dieses Urteil hat der Betroffene mit dem bei<br />
dem Amtsgericht Essen am 24. Februar 2009 eingegangenen<br />
Schriftsatz seines Verteidigers Rechtsbeschwerde<br />
eingelegt. Das angefochtene Urteil ist dem<br />
Verteidiger ausweislich seines Empfangsbekenntnisses<br />
am 25. März 2009 <strong>und</strong> ausweislich des weiteren<br />
Empfangsbekenntnisses erneut am 20. Mai 2009 zugestellt<br />
worden.<br />
Mit am 22. Juni 2009 bei dem Amtsgericht Essen<br />
eingegangenen Schriftsatz hat der Verteidiger beantragt,<br />
dem Betroffenen Wiedereinsetzung in den vorigen<br />
Stand hinsichtlich der Rechtsbeschwerdebegründung<br />
zu gewähren <strong>und</strong> hat die Rechtsbeschwerde mit<br />
der Sachrüge <strong>und</strong> der Verfahrensrüge unter näheren<br />
Ausführungen begründet.<br />
Mit Beschluss vom 08. Juli 2009 hat das Amtsgericht<br />
Essen die Rechtsbeschwerde des Betroffenen als<br />
unzulässig verworfen, da die Rechtsbeschwerde nicht<br />
Rechtsprechung<br />
301<br />
binnen der Monatsfrist gemäß §§ 79 ff. OWiG i. V. m.<br />
§§ 346 Abs. 1, 345 StPO begründet worden sei. Gegen<br />
diesen dem Verteidiger am 09. Juli 2009 zugestellten<br />
Beschluss wendet sich der Betroffene durch seinen<br />
Verteidiger mit am 16. Juli 2009 gestellten Antrag auf<br />
Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts mit näheren<br />
Ausführungen.<br />
Aus den Gründen:<br />
1. Wird demselben Empfangsberechtigten mehrfach<br />
zugestellt, so ist nur die erste Zustellung maßgebend<br />
(vgl. BGH NJW 1978, 60; Meyer-Goßner, StPO,<br />
52. Aufl., Rdnr. 29 zu § 37 m. w. N.). Demgemäß war<br />
die nach Zustellung des Urteils an den Verteidiger am<br />
25. März 2009 am 22. Juni 2009 bei dem Amtsgericht<br />
Essen eingegangene Rechtsbeschwerdebegründung<br />
verspätet. Dem Betroffenen ist indes auf seinen Antrag<br />
hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand <strong>gegen</strong> die<br />
Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde<br />
<strong>gegen</strong> das Urteil des Amtsgerichts Essen<br />
vom 24. Februar 2009 zu gewähren, denn der Betroffene<br />
war ohne eigenes Verschulden gehindert, diese<br />
Frist einzuhalten. Das Verschulden seines Verteidigers,<br />
der offenbar infolge eines eigenen oder eines Büroversehens<br />
die an ihn erfolgte, mit Empfangsbekenntnis<br />
vom 25. März 2009 belegte Zustellung des Urteils<br />
nicht zur Kenntnis bzw. nicht zum Anlass für die Fertigung<br />
einer fristgemäßen Rechtsbeschwerdebegründung<br />
genommen hat, ist dem Betroffenen nicht zuzurechnen<br />
(vgl. Meyer-Goßner, StPO, a. a. O., Rdnr. 18<br />
zu § 44 m. w. N.). Besondere Umstände, die ein Mitverschulden<br />
des Betroffenen an der Fristversäumnis<br />
erkennen ließen <strong>und</strong> eine andere Beurteilung rechtfertigen<br />
könnten, sind nicht ersichtlich.<br />
2. Der Beschluss des Amtsgerichts Essen vom<br />
08. Juli 2009, durch den die Rechtsbeschwerde wegen<br />
Verspätung als unzulässig verworfen worden ist <strong>und</strong><br />
der <strong>gegen</strong> diese Entscheidung gerichtete Antrag des<br />
Betroffenen auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts<br />
sind mit der gewährten Wiedereinsetzung<br />
<strong>gegen</strong>standslos geworden.<br />
3. Die somit als fristgerecht anzusehende <strong>und</strong> auch<br />
<strong>im</strong> Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat in der<br />
Sache – einen zumindest vorläufigen – Erfolg. Sie<br />
führt bereits auf die Sachrüge hin zur Aufhebung des<br />
amtsgerichtlichen Urteils <strong>und</strong> zur Zurückverweisung<br />
der Sache zur erneuten Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung<br />
an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Essen.<br />
Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Überprüfung<br />
nicht Stand. Sie ist lückenhaft, so dass ihre abschließende<br />
Überprüfung auf Rechtsfehler nicht möglich ist.<br />
Der Mangel liegt darin, dass das Amtsgericht die Feststellungen<br />
zur Sache auf die Einlassung des Betroffenen<br />
stützt, diese Einlassung jedoch in keiner Weise<br />
mitteilt. Die in den Urteilsgründen gemäß § 71 Abs. 1<br />
OWiG i. V. m. §§ 261, 267 StPO darzulegende Beweiswürdigung<br />
muss auch in Bußgeldsachen so beschaffen<br />
sein, dass sie dem Rechtsbeschwerdegericht<br />
eine rechtliche Überprüfung ermöglicht; das Urteil<br />
muss deshalb erkennen lassen, auf welche Tatsachen<br />
das Gericht seine Überzeugung gestützt hat, wie sich<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
302 Rechtsprechung<br />
der Betroffene eingelassen hat <strong>und</strong> ob das Gericht<br />
dieser Einlassung (<strong>und</strong> warum) folgt <strong>und</strong> inwieweit<br />
es seine Einlassung für widerlegt ansieht (vgl. OLG<br />
Hamm, Beschluss vom 27. 07. 2000, Az: 5 Ss OWi<br />
622/00 = beckRS 2000 – 30124538).<br />
Die Gründe des angefochtenen Urteils geben keine<br />
Auskunft darüber, wie sich der Betroffene zu dem<br />
<strong>gegen</strong> ihn erhobenen Vorwurf in der Hauptverhandlung<br />
eingelassen hat. In den Urteilsgründen heißt es<br />
zwar, dass die Feststellungen (u. a.) auf der Einlassung<br />
des Betroffenen beruhen. Welche Angaben der Betroffene<br />
in der Hauptverhandlung jedoch gemacht hat,<br />
bleibt offen. Soweit der für erwiesen erachtete Sachverhalt<br />
nicht auf einem umfassenden Geständnis beruht,<br />
muss die Einlassung des Betroffenen wiedergegeben<br />
<strong>und</strong> eine Beweiswürdigung vorgenommen<br />
werden, aus der sich ergibt, aufgr<strong>und</strong> welcher Erwägungen<br />
das Gericht die Darstellung des Betroffenen<br />
für widerlegt hält. Fehlt in diesen Fällen die Einlassung<br />
des Betroffenen in den Gründen, so ist das ein<br />
die Rechtsbeschwerde rechtfertigender sachlich-rechtlicher<br />
Mangel (vgl. OLG Hamm – 3 Ss OWi 263/07,<br />
Beschluss vom 09. Mai 2007, VRS 2008, 312;<br />
Groschel/Meyer-Goßner, Die Urteile in Strafsachen,<br />
26. Aufl., S. 251 m. w. N.). Dies muss vorliegend um<br />
so mehr gelten, als aus dem Protokoll der Hauptverhandlung<br />
hervorgeht, dass der Betroffene sich zur<br />
Sache nicht eingelassen hat <strong>und</strong> die in der Beweiswürdigung<br />
genannten übrigen Beweismittel, nämlich das<br />
auszugsweise verlesene Protokoll zur Feststellung von<br />
<strong>Drogen</strong> <strong>im</strong> Blut einschließlich des ärztlichen Berichtes,<br />
das Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin in C<br />
vom 16. 07. 2008 <strong>und</strong> das Gutachten des Sachverständigen<br />
Dr. G nicht erkennen lassen, wie das Gericht<br />
festgestellt hat, dass der Betroffene von den Polizeibeamten<br />
I2 <strong>und</strong> N anlässlich einer allgemeinen Verkehrskontrolle<br />
angehalten wurde, dass er einen LKW führte<br />
<strong>und</strong> dass dem Betroffenen die hier relevante Blutprobe<br />
abgenommen wurde.<br />
Da bereits die Sachrüge begründet ist, kommt es<br />
entscheidungserheblich auf die erhobene Verfahrensrüge<br />
nicht an.<br />
4. Eine Entscheidung des Senates über den mit<br />
Schriftsatz vom 22. Juni 2009 an das Amtsgericht<br />
Essen gerichteten Antrag auf Beiordnung von Rechtsanwalt<br />
T2 als Pflichtverteidiger ist durch den Senat<br />
nicht veranlasst; zuständig hierfür ist das Amtsgericht<br />
Essen.<br />
Bezüglich des Beiordnungsantrages bemerkt der<br />
Senat Folgendes: Nach der gemäß § 46 Abs. 1 OWiG<br />
sinngemäß anwendbaren Vorschrift des § 140 StPO<br />
kommt eine Beiordnung vorliegend in Betracht, wenn<br />
wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage<br />
die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint<br />
(§ 140 Abs. 2 StPO). Der weitere in § 140 Abs. 2 StPO<br />
genannte Gr<strong>und</strong> der Schwere der Tat ist für das Bußgeldverfahren<br />
praktisch ohne Bedeutung, da die Erwartung<br />
von Freiheitsstrafe ab einem Jahr, die <strong>im</strong><br />
Strafverfahren die Beiordnung regelmäßig rechtfertigt,<br />
dem Bußgeldverfahren fremd ist. Ein zu erwartendes<br />
Fahrverbot, auch bei einer Ordnungswidrigkeit<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
nach § 24a StVG, reicht allein nicht aus, die Mitwirkung<br />
eines Verteidigers zu gebieten (vgl. Göhler,<br />
OWiG, 15. Aufl., Rdnr. 25 zu § 60 m. w. N.).<br />
Schwierigkeiten der Sachlage sind vorliegend deshalb<br />
zu erwägen, weil die Auseinandersetzung mit<br />
Sachverständigengutachten (vgl. KK-Laufhütte Rdnr.<br />
22 zu § 140 m. w. N.) zu erfolgen hat, wobei die Nichtbeiordnung<br />
eines Verteidigers in solchen Fällen unter<br />
Umständen dem Gebot eines fairen Verfahrens widersprechen<br />
kann, weil nur ein Verteidiger Akteneinsicht<br />
erhält, § 147 StPO (vgl. KK-Laufhütte, a. a. O.).<br />
Schwierigkeiten der Sach- <strong>und</strong> Rechtslage sind dann<br />
gegeben, wenn bei Anwendung des materiellen oder<br />
des formellen Rechts auf den konkreten Sachverhalt<br />
bislang nicht ausgetragene Rechtsfragen entschieden<br />
werden müssen, aber z.B. auch, wenn die Subsumtion<br />
unter die anzuwendende Vorschrift des materiellen<br />
Rechts Schwierigkeiten bereiten wird (vgl. Meyer-<br />
Goßner, StPO, 52. Aufl., Rdnr. 27 a). Bei dem Vorwurf<br />
des Führens eines Kraftfahrzeuges unter der berauschenden<br />
Wirkung von Cannabis sind angesichts der<br />
Frage der für die Verwirklichung des objektiven <strong>und</strong><br />
subjektiven Tatbestandes erforderlichen Feststellungen<br />
umfangreiche <strong>und</strong> komplizierte Erwägungen<br />
anzustellen; dies gilt insbesondere auch für die<br />
entsprechende Beweiswürdigung, die sich vorliegend<br />
auf Inhalte mehrerer Sachverständigengutachten<br />
stützt (vgl. auch OLG Saarbrücken, Beschluss vom<br />
29. 11. 2006, Az.: Ss (B) 44-06 (57/06) = beckRS 2006<br />
Nr. 14744). Zudem dürfte in der Hauptverhandlung<br />
eine Auseinandersetzung mit der Frage erforderlich<br />
werden, ob das Ergebnis der forensisch-toxikologischen<br />
Begutachtung nach einer Blutentnahme wegen<br />
möglicher Verletzung des Richtervorbehalts einem<br />
Verwertungsverbot unterliegt. Aufgr<strong>und</strong> der Fülle komplexer<br />
<strong>und</strong> in der obergerichtlichen Rechtsprechung<br />
noch nicht ausgetragenen Rechtsfragen tendiert<br />
der Senat in dem hier gegebenen Einzelfall dazu, die<br />
Beiordnung eines Pflichtverteidigers als geboten anzusehen.<br />
51. *) Für die Frage eines Verstoßes <strong>gegen</strong> den<br />
Richtervorbehalt ist es unerheblich, ob ein Organisationsverschulden<br />
der Justiz darin gesehen werden<br />
könnte, dass ein richterlicher Eildienst nicht<br />
auch für die Zeit zwischen 21:00 Uhr <strong>und</strong> 6:00 Uhr<br />
eingerichtet worden ist. Zwar ist der 3. Senat des<br />
OLG Hamm für den Bezirk des LG Bielefeld von<br />
der Notwendigkeit eines solchen Eildienstes ausgegangen<br />
(Urteil vom 18. 08. 2009 – 3 Ss 293/08). Nach<br />
Ansicht des hiesigen Senats können diese, <strong>im</strong> Rahmen<br />
einer Wohnungsdurchsuchung zur Nachtzeit<br />
ergangenen Entscheidung <strong>und</strong> die dort angestellten<br />
Überlegungen jedoch nicht auf die Anordnung<br />
einer Blutentnahme gemäß § 81a StPO übertragen<br />
werden.<br />
Oberlandesgericht Hamm,<br />
Beschluss vom 10. September 2009 – 4 Ss 316/09 –
Aus den Gründen:<br />
Die Revision wird als unbegründet verworfen, da<br />
die Nachprüfung des Urteils aufgr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung<br />
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des<br />
Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />
Hinsichtlich der Rüge der Verletzung des § 81a<br />
StPO weist der Senat auf Folgendes hin:<br />
Mit der Verfahrensrüge wird allein geltend gemacht,<br />
dass ein Beweiserhebungs- <strong>und</strong> daraus folgendes<br />
Beweisverwertungsverbot sich daraus ergebe, dass<br />
die Polizeibeamtin R1, ohne sich um eine richterliche<br />
Anordnung bemüht zu haben, die Entnahme der Blutprobe<br />
(wegen Gefahr <strong>im</strong> Verzug) angeordnet <strong>und</strong> damit<br />
den Richtervorbehalt des § 81a StPO verletzt habe.<br />
Diese Rüge kann schon deshalb keinen Erfolg haben,<br />
da tatsächlich die Voraussetzungen für die Annahme<br />
von „Gefahr <strong>im</strong> Verzug“ vorlagen.<br />
Tatzeit war 22:04 Uhr. Nachdem zunächst der Angeklagte<br />
als Fahrer ermittelt <strong>und</strong> sodann aufgesucht<br />
wurde, erfolgte die Blutentnahme <strong>gegen</strong> 23:13 Uhr.<br />
Wie <strong>im</strong> Urteil zutreffend ausgeführt wird, endet der<br />
richterliche Eildienst um 21:00 Uhr (vgl. RV des JM v.<br />
15. 10. 2007 JMBl. NRW 2007, S. 185). Ein Eildienstrichter<br />
hätte daher erst am folgenden Tag um 6:00 Uhr<br />
zur Verfügung gestanden. Nach der dann erfolgten<br />
Anordnung hätte die Blutentnahme frühestens <strong>gegen</strong><br />
7:00 Uhr durchgeführt werden können. Die dadurch<br />
bedingte Rückrechnung über einen Zeitraum von mehr<br />
als sieben St<strong>und</strong>en würden sowohl bezüglich der Feststellung<br />
der absoluten Fahruntüchtigkeit des Angeklagten<br />
als auch für die Frage der Beurteilung der Voraussetzungen<br />
der §§ 20, 21 StGB zu der drohenden<br />
Gefahr eines Beweismittelverlustes führen (so zu<br />
Recht: OLG Hamm Beschl. v. 24. 03. 2009 – 3 Ss<br />
53/09). Ein Zuwarten bis 6:00 Uhr stand auch nicht <strong>im</strong><br />
Interesse des Angeklagten, da dieser dann für diese<br />
Zeit hätte in Gewahrsam gehalten werden müssen.<br />
Daher musste auch aus Gründen der Verhältnismäßigkeit<br />
die Anordnung der Entnahme der Blutprobe unverzüglich<br />
erfolgen.<br />
Auf die mit der Revisionsbegründung aufgeworfene<br />
Frage, ob es der Polizeibeamtin bewusst war, dass kein<br />
Richter zu erreichen war oder ob sie versuchen musste,<br />
ob zufällig ein Richter erreichbar war, kommt es nicht<br />
an. Maßgeblich ist die objektive Gefahrenlage hinsichtlich<br />
des Beweismittelverlustes.<br />
Ferner ist es unerheblich, ob ein Organisationsverschulden<br />
der Justiz darin gesehen werden könnte, dass<br />
ein richterlicher Eildienst nicht auch für die Zeit zwischen<br />
21:00 Uhr <strong>und</strong> 6:00 Uhr eingerichtet worden ist.<br />
Zwar ist der 3. Senat des OLG Hamm für den Bezirk<br />
des LG Bielefeld von der Notwendigkeit eines solchen<br />
Eildienstes ausgegangen (Urteil vom 18. 08. 2009 –<br />
3 Ss 293/08). Der Senat teilt diese, <strong>im</strong> Rahmen einer<br />
Wohnungsdurchsuchung zur Nachtzeit ergangenen<br />
Entscheidung <strong>und</strong> die dort angestellten Überlegungen<br />
nicht. Jedenfalls können sie nicht auf die Anordnung<br />
einer Blutentnahme gem. § 81a StPO übertragen werden.<br />
Dies folgt schon daraus, dass <strong>im</strong> Gegensatz zu<br />
dem <strong>im</strong> Gr<strong>und</strong>gesetz angeordneten Richtervorbehalt<br />
für die Wohnungsdurchsuchung, Art. 13 II GG, der<br />
Rechtsprechung<br />
303<br />
Vorbehalt des § 81a StPO ein einfachgesetzlicher ist.<br />
Dies ist sowohl bei der Frage, ob aus einer Verletzung<br />
des Vorbehaltes ein Beweisverwertungsverbot folgen<br />
kann, wertend mit heranzuziehen, als auch schon bei<br />
der Vorfrage, ob wegen der Anzahl der Blutentnahmen<br />
zur Nachtzeit ein Eildienst zwingend erforderlich ist.<br />
Dabei ist zu berücksichtigen, dass wegen der Eilbedürftigkeit<br />
ohnehin nur ein telefonischer Antrag <strong>und</strong><br />
eine entsprechende Entscheidung möglich sind. Eine<br />
sachliche richterliche Kontrolle, ob die Voraussetzungen<br />
für die Anordnung gegeben sind, könnte nur sehr<br />
eingeschränkt stattfinden. Der Sinn des Richtervorbehalts,<br />
dem betroffenen Bürger einen möglichst effektiven<br />
Rechtsschutz <strong>im</strong> Sinne des Art. 19 IV GG zu gewähren,<br />
ließe sich auf diesem Wege kaum erreichen.<br />
Der mit der Einrichtung eines Eildienstes einhergehende<br />
erhebliche personelle Aufwand – bei den knappen<br />
Ressourcen der Justiz – stünde damit in keinem<br />
Verhältnis zu dem erreichten Erfolg hinsichtlich des<br />
Rechtsschutzes des Bürgers vor Strafverfolgungsmaßnahmen.<br />
– Der 1., 2. <strong>und</strong> 5. Senat haben auf Anfrage<br />
mitgeteilt, dass sie diese Ansicht teilen. –<br />
Letztlich braucht der Senat die Frage <strong>im</strong> vorliegenden<br />
Revisionsverfahren nicht zu beantworten. Denn<br />
die Nichteinrichtung eines nächtlichen Eildienstes ist<br />
nicht gerügt. Vielmehr hat der Verteidiger in der Revisionsbegründung<br />
selbst die Ansicht des Amtsgerichts<br />
ausdrücklich gebilligt, dass auch nach der Rechtsprechung<br />
des <strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgerichts zur Bedeutung<br />
des Richtervorbehaltes die Erreichbarkeit des zuständigen<br />
Richters zur Nachtzeit nicht gewährleistet werden<br />
muss.<br />
52. 1. Der Umstand, dass die die Blutentnahme<br />
bei Gefahr in Verzug anordnende Ermittlungsperson<br />
nicht zuvor versucht hat, den zuständigen<br />
Staatsanwalt zu erreichen, ist von vornherein nicht<br />
geeignet, eine Verletzung des § 81a Abs. 2 StPO <strong>und</strong><br />
ein Verwertungsverbot zu begründen.<br />
*) 2. Der Senat geht bislang <strong>im</strong> Einklang mit<br />
der Rechtsprechung des <strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgerichts<br />
davon aus, dass es der Einrichtung eines<br />
richterlichen Eildienstes während der Nachtzeit,<br />
wie sie sich aus § 104 Abs. 3 StPO ergibt, <strong>im</strong> Regelfall<br />
nicht bedarf.<br />
Oberlandesgericht Celle,<br />
Beschluss vom 25. Januar 2010 – 322 SsBs 315/09 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Der Landkreis L. hatte <strong>gegen</strong> den Betroffenen mit<br />
Bußgeldbescheid vom 25. März 2009 eine Geldbuße<br />
von 250 € <strong>und</strong> ein einmonatiges Fahrverbot verhängt,<br />
weil der Betroffene am 24. November 2008 in L. auf<br />
der D. Landstraße einen Pkw geführt hatte, obwohl er<br />
eine <strong>Alkohol</strong>menge <strong>im</strong> Körper hatte, die zu einer <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
von 0,5 g ‰ oder mehr geführt<br />
hat (fahrlässige Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 1<br />
StVG). Auf den Einspruch des Betroffenen hat das<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
304 Rechtsprechung<br />
Amtsgericht ihn von diesem Vorwurf freigesprochen,<br />
weil das Ergebnis der dem Bußgeldbescheid zugr<strong>und</strong>e<br />
liegenden <strong>Blutalkohol</strong>best<strong>im</strong>mung wegen Verstoßes<br />
<strong>gegen</strong> § 81a StPO nicht verwertbar sei. Denn der die<br />
Blutentnahme anordnende Polizeikommissar S. habe<br />
nicht versucht, eine staatsanwaltschaftliche Anordnung<br />
der Blutentnahme in der Tatnacht herbeizuführen,<br />
obwohl ein Bereitschaftsdienst der Staatsanwaltschaft<br />
eingerichtet war <strong>und</strong> den Polizeibeamten als<br />
Ermittlungsbeamten der Staatsanwaltschaft in § 81a<br />
StPO nur eine nachrangige Anordnungskompetenz<br />
eingeräumt sei.<br />
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Staatsanwaltschaft<br />
mit der Rechtsbeschwerde, mit der sie die<br />
allgemeine Sachrüge erhebt <strong>und</strong> insbesondere die Annahme<br />
eines Beweisverwertungsverbotes durch das<br />
Amtsgericht beanstandet.<br />
Aus den Gründen:<br />
Das zulässige Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft<br />
hat auch in der Sache Erfolg. Es führt zur Aufhebung<br />
des angefochtenen Urteils <strong>und</strong> zur Zurückverweisung<br />
der Sache an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts.<br />
1. Das angefochtene Urteil konnte keinen Bestand<br />
haben, weil das Amtsgericht zu Unrecht das <strong>Blutalkohol</strong>gutachten<br />
des Labors für forensische <strong>Blutalkohol</strong>best<strong>im</strong>mungen<br />
H. vom 07. November 2008 nicht<br />
verwertet hat <strong>und</strong> deshalb keine Feststellungen zur<br />
<strong>Alkohol</strong>isierung des Betroffenen treffen konnte.<br />
Der Umstand, dass der anordnende Polizeibeamte<br />
in der Tatnacht nicht versucht hatte, den staatsanwaltschaftlichen<br />
Bereitschaftsdienst zu erreichen, ist von<br />
vornherein nicht geeignet, eine Verletzung des § 81a<br />
Abs. 2 StPO <strong>und</strong> damit gegebenenfalls ein Verwertungsverbot<br />
zu begründen. Denn die Verletzung des<br />
Richtervorbehalts des § 81a Abs. 2 StPO <strong>und</strong> die damit<br />
möglicherweise verb<strong>und</strong>ene Verletzung des Betroffenen<br />
in seinem Gr<strong>und</strong>recht aus Art. 19 Abs. 4 GG auf<br />
effektiven Rechtsschutz setzt nach der Rechtsprechung<br />
des <strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgerichts voraus, dass die<br />
Anordnungskompetenz des Richters <strong>und</strong> nicht etwa<br />
die eines Ermittlungsbeamten missachtet worden<br />
ist (ebenso bereits OLG Frankfurt, Beschluss vom<br />
14. 10. 2009, 1 Ss 310/09, juris [= BA 2010, 30]; OLG<br />
Hamm StV 2009, 462 ff. = NStZ-RR 2009, 386 f. =<br />
<strong>Blutalkohol</strong> 46, 282 ff. unter Bezugnahme auf <strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgericht<br />
NJW 2007, 1345 <strong>und</strong> 2008, 2053;<br />
<strong>im</strong> Ergebnis ebenso, allerdings mit anderer Begründung<br />
OLG Brandenburg, Beschluss vom 16. 12. 2008,<br />
2 Ss 69/08, juris).<br />
Selbst wenn von einer nur nachrangigen Eilanordnungskompetenz<br />
der Ermittlungsbeamten nur für den<br />
Fall der Nichterreichbarkeit auch eines Staatsanwaltes<br />
(da<strong>gegen</strong> mit gewichtigen Gründen OLG Brandenburg<br />
a. a. O.), auszugehen wäre, bestände dieses Rangverhältnis<br />
allein innerhalb des Bereichs der Ermittlungsbehörden<br />
<strong>und</strong> damit der Exekutive. Für die Fragen der<br />
Verletzung des Richtervorbehalts <strong>und</strong> des Gr<strong>und</strong>rechts<br />
aus Art. 19 Abs. 4 GG auf effektiven Rechtsschutz<br />
könnte diesem Rangverhältnis deshalb schon sachlogisch<br />
keine Bedeutung zukommen. Der Senat konnte<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
deshalb dahinstehen lassen, ob der Annahme eines<br />
Verwertungsverbotes <strong>im</strong> Bereich des Bußgeldverfahrens<br />
in derartigen Konstellationen nicht auch ent<strong>gegen</strong>stände,<br />
dass die Polizeibeamten insoweit als<br />
Ermittlungsorgane der Verwaltungsbehörde tätig werden,<br />
worauf die Staatsanwaltschaft in ihrer Rechtsbeschwerdebegründung<br />
u. a. abgehoben hat.<br />
2. Der Senat konnte nicht gemäß § 79 Abs. 6 OWiG<br />
in der Sache selbst entscheiden, sondern musste zu<br />
neuer Entscheidung an das Amtsgericht zurückverweisen.<br />
Zwar heißt es in dem angefochtenen Urteil, in der<br />
Beweisaufnahme habe sich der <strong>im</strong> Bußgeldbescheid<br />
dargestellte Sachverhalt bestätigt. Der Senat vermag<br />
allerdings schon nicht nachzuvollziehen, worauf das<br />
Amtsgericht diese Überzeugung gründet, wenn das<br />
<strong>Blutalkohol</strong>gutachten des Labors für forensische <strong>Blutalkohol</strong>best<strong>im</strong>mung<br />
H. nicht verwertet <strong>und</strong> offenbar<br />
auch nicht in die Hauptverhandlung eingeführt worden<br />
ist. Es ergibt sich aus den Urteilsgründen auch nicht,<br />
ob <strong>und</strong> gegebenenfalls wie sich der Betroffene zum<br />
Tatvorwurf eingelassen hat <strong>und</strong> auf welcher Gr<strong>und</strong>lage<br />
die Feststellungen zum objektiven Tathergang getroffen<br />
worden sind. Den Urteilsgründen lässt sich nur<br />
entnehmen, dass der Polizeibeamte S. zur Frage der<br />
Eilanordnung ausgesagt hat.<br />
3. Im Hinblick auf die Erwiderung der Verteidigung<br />
zur Rechtsbeschwerdebegründung der Staatsanwaltschaft<br />
merkt der Senat für die neu zu treffende Entscheidung<br />
noch an, dass der Senat bislang <strong>im</strong> Einklang<br />
mit der Rechtsprechung des <strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgerichts<br />
davon ausgegangen ist, dass es der Einrichtung<br />
eines richterlichen Eildienstes während der Nachtzeit,<br />
wie sie sich aus § 104 Abs. 3 StPO ergibt, <strong>im</strong> Regelfall<br />
nicht bedarf (Senatsbeschluss vom 12. Januar 2010,<br />
322 SsBs 334/09).<br />
53. Das Ergebnis einer Blutprobenuntersuchung<br />
unterliegt nicht deshalb einem Verwertungsverbot,<br />
weil der Entnahme der Blutprobe – wegen fehlenden<br />
richterlichen Bereitschaftsdienstes zur Nachtzeit<br />
– keine richterliche Anordnung vorausgegangen<br />
war.<br />
Oberlandesgericht Oldenburg,<br />
Beschluss vom 15. April 2010 – 2 SsBs 59/10 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässigen<br />
Führens eines Kraftfahrzeuges unter der Wirkung<br />
eines berauschenden Mittels (THC) zu einer<br />
Geldbuße von 500,00 € verurteilt <strong>und</strong> zudem ein Fahrverbot<br />
für die Dauer von 1 Monat festgesetzt. Das<br />
Amtsgericht hat folgende Feststellungen getroffen:<br />
„Am 04.03.2009 befuhr der Betroffene <strong>gegen</strong><br />
23.30 Uhr mit dem Pkw Ford mit dem amtlichen<br />
Kennzeichen die B. in O. Dabei stand er, wie er bei<br />
Beachtung der erforderlichen <strong>und</strong> ihm zumutbaren<br />
Sorgfalt hätte erkennen können <strong>und</strong> müssen, unter<br />
der Wirkung des berauschenden Mittels Cannabis.
Den Polizeibeamten PK z. A.N. <strong>und</strong> PK z. A.T.<br />
fiel das Fahrzeug des Betroffenen durch ein defektes<br />
Abblendlicht auf, worauf sie ihm folgten. Bei der<br />
Weiterfahrt beobachteten sie, dass der Pkw des Betroffenen<br />
in einer Rechtskurve etwa 2 bis 3 Meter<br />
auf die Gegenfahrbahn geriet. Bei der anschließenden<br />
Kontrolle zeigte der Betroffene eine auffällig<br />
träge Pupillenreaktion auf Licht. Einem Urintest<br />
st<strong>im</strong>mte er zu. Dieser ergab einen positiven Wert für<br />
die Substanz Tetrahydrocannabinol (THC).<br />
Der Betroffene wurde daraufhin zur Dienststelle<br />
verbracht, wo ihm um 00.50 Uhr auf Anordnung des<br />
Zeugen T. eine Blutprobe entnommen wurde. Aufgr<strong>und</strong><br />
ihrer Erfahrung aus früheren nächtlichen Einsätzen<br />
gingen beide Zeugen davon aus, um diese<br />
Uhrzeit keinen Bereitschaftsrichter erreichen zu<br />
können. Entsprechend der ihnen bis dahin bekannten<br />
Praxis versuchten sie auch nicht, einen Staatsanwalt<br />
zu erreichen.<br />
Der in der Hauptverhandlung verlesene Endbef<strong>und</strong><br />
des Arztes für Laboratoriumsmedizin Dr. A.<br />
W. vom 11. 03. 2009 ... weist folgende Wirkstoffe<br />
<strong>im</strong> Blut des Betroffenen aus:<br />
Cannabinoide i. S. positiv<br />
THC i. S. 16.0 ng/ml<br />
THC-Carbonsäure i S. 340.0 ng/ml<br />
11-Hydroxy-THC i. S. 8,2 ng/ml.“<br />
Ferner hat das Amtsgericht ausgeführt, dass dem erkennenden<br />
Gericht aufgr<strong>und</strong> eigener Dienstverpflichtung<br />
bekannt sei, dass zur Tatzeit der richterliche Bereitschaftsdienst<br />
derart ausgestaltet gewesen sei, dass<br />
eine Rufbereitschaft während der Nachtzeit nicht bestanden<br />
habe.<br />
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit<br />
seiner Rechtsbeschwerde, mit der er rügt, dass der<br />
Arztbef<strong>und</strong>, mit dem die THC-Konzentration <strong>im</strong> Blut<br />
festgestellt worden sei, wegen Verletzung des Richtervorbehaltes<br />
bei der Blutprobe nicht verwertbar gewesen<br />
sei. Gerade in einer Großstadt wie O. sei es erforderlich<br />
<strong>und</strong> zu erwarten, dass auch zur Nachtzeit ein<br />
„GS-Richter“ zu erreichen sei. Anhaltspunkte für Gefahr<br />
<strong>im</strong> Verzug hätten nicht vorgelegen.<br />
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die<br />
Rechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet zu<br />
verwerfen. Ein nächtlicher Eildienst sei <strong>im</strong> Regelfall<br />
nicht erforderlich. Ein Abwarten bis zum Beginn des<br />
richterlichen Bereitschaftsdienstes um 06.00 Uhr morgens<br />
hätte angesichts der schnellen Abbauzeiten bei<br />
<strong>Drogen</strong> <strong>und</strong> der fehlenden Rückrechnungsmöglichkeiten<br />
zu einer den Untersuchungserfolg gefährdenden<br />
Zeitverzögerung geführt.<br />
Aus den Gründen:<br />
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, führt jedoch<br />
weder mit der ordnungsgemäß ausgeführten Rüge der<br />
Verletzung formellen Rechts, noch mit der Sachrüge<br />
zum Erfolg.<br />
Ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich des ärztlichen<br />
Bef<strong>und</strong>es – wegen der durch den fehlenden<br />
nächtlichen Bereitschaftsdienst nicht erfolgten richterlichen<br />
Anordnung der Entnahme der ausgewerteten<br />
Rechtsprechung<br />
305<br />
Blutprobe – besteht nicht. Allerdings hat der 3. Senat<br />
des OLG Hamm <strong>im</strong> Urteil vom 18. 08. 2009 (3 Ss<br />
293/08) (juris) ausgeführt, dass die Notwendigkeit für<br />
die Einrichtung eines richterlichen Bereitschaftsdienstes<br />
auch zur Nachtzeit zweifellos gegeben sei, wenn<br />
allein die Anzahl der nächtlichen Blutprobenentnahmen<br />
eine best<strong>im</strong>mte Fallzahl überschreite.<br />
Das <strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgericht hatte <strong>im</strong> Beschluss<br />
vom 10. 12. 2003 (2 BVR 1481/02) (juris) ausgeführt,<br />
dass aus der Regelzuständigkeit des Richters die verfassungsrechtliche<br />
Verpflichtung, die Erreichbarkeit<br />
eines Ermittlungsrichters gegebenenfalls auch durch<br />
die Einrichtung eines Eil- oder Notdienstes zu sichern,<br />
folge. Nach der Rechtsprechung des 2. Senates des<br />
BVerfG zur Erreichbarkeit des Haftrichters bedeute<br />
dies jedoch nicht, dass auch zur Nachtzeit <strong>im</strong> Sinne des<br />
§ 104 Abs. 3 StPO unabhängig vom konkreten Bedarf<br />
stets ein richterlicher Eildienst zur Verfügung stehen<br />
müsse. Vielmehr sei ein nächtlicher Bereitschaftsdienst<br />
des Ermittlungsrichters von verfassungswegen<br />
erst dann gefordert, wenn hierfür ein praktischer Bedarf<br />
bestehe, der über den Ausnahmefall hinausgehe.<br />
Komme es nur ganz vereinzelt zu nächtlichen Durchsuchungsanordnungen,<br />
so gefährde das Fehlen eines<br />
– gleichwohl wünschenswerten – richterlichen Nachtdienstes<br />
die Regelzuständigkeit des Artikel 13 Abs. 2<br />
Gr<strong>und</strong>gesetz nicht.<br />
Vor dem Hintergr<strong>und</strong> der Entscheidung des 3. Strafsenates<br />
des OLG Hamm hat der 4. Strafsenat des OLG<br />
Hamm <strong>im</strong> Beschluss vom 10. 09. 2009 (4 Ss 316/09 [in<br />
diesem Heft]) (juris) <strong>im</strong> Zusammenhang mit einer um<br />
23.13 Uhr entnommenen Blutprobe ausgeführt, dass<br />
der 4. Senat des OLG Hamm die <strong>im</strong> Rahmen einer<br />
Wohnungsdurchsuchung zur Nachtzeit ergangene Entscheidung<br />
des 3. Senates des OLG Hamm <strong>und</strong> die dort<br />
angestellten Überlegungen nicht teile, diese jedenfalls<br />
nicht auf die Anordnung einer Blutentnahme gemäß<br />
§ 81a StPO übertragen werden könnten. Der 2. Senat<br />
für Bußgeldsachen des OLG Celle hat mit Beschluss<br />
vom 25. 01. 2010 (322 SsBs 315/09 [in diesem Heft])<br />
(juris) <strong>im</strong> Zusammenhang mit einer zur Nachtzeit entnommenen<br />
Blutprobe ausgeführt, dass er bislang <strong>im</strong><br />
Einklang mit der Rechtsprechung des <strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgerichtes<br />
davon ausgegangen sei, dass es der<br />
Einrichtung eines richterlichen Eildienstes während<br />
der Nachtzeit in der Regel nicht bedürfe.<br />
Es kann dahinstehen, ob die Nichteinrichtung eines<br />
richterlichen Bereitschaftsdienstes zur Nachtzeit zu<br />
einem Beweiserhebungsverbot führt. Dabei bedeutet<br />
ein Beweiserhebungsverbot eine Ausnahme von dem<br />
Gr<strong>und</strong>satz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen<br />
<strong>und</strong> dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen<br />
auf alle Tatsachen <strong>und</strong> Beweismittel zu erstrecken hat,<br />
die von Bedeutung sind, die nur aufgr<strong>und</strong> ausdrücklicher<br />
gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten<br />
wichtigen Gründen <strong>im</strong> Einzelfall anzuerkennen ist<br />
(vgl. BGHSt 44. Band 243, 249). Zumindest kommt es<br />
<strong>im</strong> Falle einer fehlenden richterlichen Anordnung zur<br />
Entnahme der Blutprobe zur Nachtzeit nicht zu einem<br />
Beweisverwertungsverbot. Nicht jeder Verstoß <strong>gegen</strong><br />
eine Beweiserhebungsvorschrift führt nämlich auch zu<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
306 Rechtsprechung<br />
einem Beweisverwertungsverbot. Vielmehr ist diese<br />
Frage jedenfalls nach den Umständen des Einzelfalles,<br />
insbesondere nach der Art des Verbotes <strong>und</strong> des Gewichtes<br />
des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden<br />
Interessen zu entscheiden. Ein Beweisverwertungsverbot<br />
wird von der Rechtsprechung bei willkürlicher<br />
Vornahme einer Maßnahme ohne richterliche<br />
Anordnung <strong>und</strong> damit bewusstem Ignorieren<br />
des Richtervorbehaltes oder gleichwertiger gründlicher<br />
Missachtung angenommen (vgl. BGHSt 51. Band,<br />
285 ff.).<br />
Der Senat verkennt nicht, dass der Richtervorbehalt,<br />
auch der einfach gesetzliche, auf eine vorbeugende<br />
Kontrolle der Maßnahme in ihren konkreten <strong>gegen</strong>wärtigen<br />
Voraussetzungen durch eine unabhängige<br />
<strong>und</strong> neutrale Instanz abzielt. Nur bei einer Gefährdung<br />
des Untersuchungserfolgs durch die mit der Einholung<br />
einer richterlichen Entscheidung einhergehende Verzögerung<br />
besteht auch eine Anordnungskompetenz der<br />
Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> – nachrangig – ihrer Ermittlungspersonen.<br />
Die Strafverfolgungsbehörden müssen<br />
daher regelmäßig versuchen, eine Anordnung des zuständigen<br />
Richters zu erlangen, bevor sie selbst eine<br />
Blutentnahme anordnen (<strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgericht,<br />
Beschluss vom 12. 02. 2007 juris<br />
[= BA 2008, 71]).<br />
Nach den Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteiles<br />
bestand eine Rufbereitschaft lediglich während<br />
der in § 104 Abs. 3 StPO definierten Nachtzeit nicht.<br />
Es war deshalb nur zwischen 09.00 Uhr abends <strong>und</strong><br />
06.00 Uhr morgens kein Richter zu erreichen. Wie der<br />
Senat in seinem Beschluss vom 12. 10. 2009 (SsBs<br />
149/09) ausgeführt hat, kann allerdings ein systematisches<br />
Unterlaufen des Richtervorbehaltes zu einem<br />
Verwertungsverbot führen.<br />
Wenn jedoch vor einem Hintergr<strong>und</strong> der vom 4.<br />
Senat des OLG Hamm (a. a. O.) angesprochenen knappen<br />
personellen Ressourcen sowie der naturbedingt<br />
geringen Prüfungsmöglichkeiten des <strong>im</strong> Nachtdienst<br />
mit einer Blutentnahme befassten Richters sowie der<br />
geringen Eingriffsintensität, die mit einer ärztlichen<br />
Blutentnahme verb<strong>und</strong>en ist, während der gesetzlich<br />
normierten Nachtst<strong>und</strong>en auf die Einrichtung eines<br />
Bereitschaftsdienstes verzichtet wird, stellt dieses – <strong>im</strong><br />
Hinblick auf eine entnommene Blutprobe – keinen<br />
derart gravierenden „Fehler <strong>im</strong> System“ dar, der ein<br />
Beweisverwertungsverbot rechtfertigen würde.<br />
Der Senat ist an dieser Entscheidung auch nicht<br />
durch die Entscheidung des 3. Senats des OLG Hamm<br />
vom 18. 08. 2009 gehindert. Der konkret dort entschiedene<br />
Fall betraf nämlich eine Wohnungsdurchsuchung.<br />
Der 3. Senat des OLG Hamm hat ein Verwertungsverbot<br />
u. a. auf den verfassungsrechtlichen Richtervorbehalt<br />
bei Wohnungsdurchsuchungen gestützt.<br />
Dem<strong>gegen</strong>über ist der Richtervorbehalt bei Blutentnahmen<br />
lediglich einfach gesetzlich ausgestaltet. Insofern<br />
unterscheiden sich die Sachverhalte nicht nur in<br />
tatsächlicher Art (hier Blutentnahme, dort Wohnungsdurchsuchung),<br />
sondern auch in der rechtlichen Anknüpfung<br />
des Richtervorbehaltes.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Gefahr <strong>im</strong> Verzug <strong>im</strong> Sinne des § 81a Abs. 2 StPO<br />
lag vor. Angesichts der Tatzeit, 23.30 Uhr, hätte ein<br />
Abwarten bis zum Beginn des richterlichen Bereitschaftsdienstes<br />
am nächsten Morgen um 06.00 Uhr<br />
den Untersuchungserfolg gefährdet.<br />
54. *) 1. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung<br />
ist jeder Kraftfahrer, der einen <strong>Blutalkohol</strong>gehalt<br />
von 1,1 ‰ oder mehr hat, nicht mehr in der<br />
Lage, ein Kraftfahrzeug sicher zu führen. Dabei genügt<br />
es, wenn der Fahrer zur Zeit der Fahrt so viel<br />
<strong>Alkohol</strong> <strong>im</strong> Körper hatte, dass der <strong>Blutalkohol</strong>gehalt<br />
zu irgendeinem Zeitpunkt nach Beendigung<br />
der Fahrt auf den Grenzwert oder mehr ansteigt.<br />
2. Die Anordnung einer Blutentnahme ist zwangsweise<br />
durchsetzbar. Hierzu darf ein Beschuldigter<br />
vorübergehend festgehalten <strong>und</strong> dem nächsten geeigneten<br />
<strong>und</strong> erreichbaren Arzt vorgeführt werden.<br />
Das gilt auch dann, wenn die Anordnung zur Entnahme<br />
der Blutprobe nicht vom Richter, sondern<br />
von der Staatsanwaltschaft oder ihren Ermittlungspersonen<br />
getroffen worden ist.<br />
Landgericht Hamburg,<br />
Beschluss vom 06. Mai 2010 – 603 Qs 165/10 –<br />
Aus den Gründen:<br />
Mit Beschluss vom 02. 03. 2010 hat das Amtsgericht<br />
Hamburg der Beschuldigten die Fahrerlaubnis<br />
gemäß § 111a StPO vorläufig entzogen. Die <strong>gegen</strong><br />
diesen Beschluss gerichtete Beschwerde ist zulässig,<br />
hat aber in der Sache keinen Erfolg. Auch nach<br />
Auffassung der Kammer sind dringende Gründe für<br />
die Annahme vorhanden, dass der Beschuldigten <strong>im</strong><br />
Hauptverfahren die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen<br />
entzogen werden wird, § 69 StGB.<br />
1. Nach den bisherigen Ermittlungen besteht der<br />
dringende Verdacht, dass die Beschuldigte sich gemäß<br />
§ 316 StGB strafbar gemacht hat, indem sie am ...<br />
2010 <strong>gegen</strong> 02.20 Uhr als Fahrerin mit ihrem Pkw die<br />
H.straße <strong>und</strong> die L.-S.-Straße in H. befuhr, obwohl sie<br />
alkoholbedingt fahrunsicher war (<strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
zur Entnahmezeit um 03.35 Uhr: 1,37 ‰).<br />
Außerdem stand die Beschuldigte unter dem Einfluss<br />
von Kokain.<br />
Die gerichtsmedizinische <strong>Blutalkohol</strong>best<strong>im</strong>mung<br />
hat für die Entnahmezeit um 03.35 Uhr eine <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
(BAK) von 1,37 ‰ ergeben. Eine<br />
Rückrechnung von diesem Wert auf einen höheren<br />
Wert zur Tatzeit ist nach dem derzeitigen Ermittlungsstand<br />
nicht möglich, weil <strong>im</strong> Hinblick auf die Angaben<br />
der Beschuldigten am Einsatzort davon ausgegangen<br />
werden muss, dass sie ungefähr 30 Minuten vor der Tat<br />
zuletzt <strong>Alkohol</strong> getrunken hatte, so dass die zweistündige<br />
rückrechnungsfreie Resorptionsphase nach Trinkende<br />
zum Zeitpunkt der Blutentnahme noch nicht beendet<br />
war. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung<br />
ist jeder Kraftfahrer, der einen <strong>Blutalkohol</strong>gehalt von<br />
1,1 ‰ oder mehr hat, nicht mehr in der Lage, ein
Kraftfahrzeug sicher zu führen. Dabei genügt es, wenn<br />
der Fahrer zur Zeit der Fahrt so viel <strong>Alkohol</strong> <strong>im</strong> Körper<br />
hatte, dass der <strong>Blutalkohol</strong>gehalt zu irgendeinem Zeitpunkt<br />
nach Beendigung der Fahrt auf den Grenzwert<br />
oder mehr ansteigt (BGHSt 25, 246 [= BA 1974, 136]).<br />
2. Ent<strong>gegen</strong> dem Beschwerdevorbringen ist das Ergebnis<br />
der <strong>Blutalkohol</strong>best<strong>im</strong>mung verwertbar, obwohl<br />
die Entnahme der Blutprobe nicht durch einen<br />
Richter, sondern durch einen Polizeibeamten angeordnet<br />
worden ist. Das führt jedoch schon deswegen nicht<br />
zu einem Beweisverwertungsverbot, weil kein Verstoß<br />
<strong>gegen</strong> die Beweiserhebungsvorschrift des § 81a StPO<br />
vorliegt.<br />
Zwar muss nach § 81a Abs. 2 StPO gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
ein Richter die Entnahme einer Blutprobe anordnen,<br />
bei Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch Verzögerung<br />
(„Gefahr <strong>im</strong> Verzug“) dürfen jedoch auch<br />
Polizeibeamte als Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft<br />
die Anordnung treffen. Ein solcher Fall der<br />
Gefahr <strong>im</strong> Verzug lag hier nach dem <strong>gegen</strong>wärtigen<br />
Stand der Ermittlungen vor: Nach den Berichten der<br />
Polizeibeamtin L. <strong>und</strong> des Polizeibeamten I. wollte die<br />
Beschuldigte den Tatort verlassen. Sie kündigte an,<br />
dass sie „jetzt ihr Fahrzeug umparken <strong>und</strong> anschließend<br />
nach Hause gehen werde“. Entsprechend dieser<br />
Ankündigung versuchte die Beschuldigte, den Angaben<br />
der Polizeibeamten zufolge, mehrfach, sich dem<br />
weiteren Gespräch mit den Polizeibeamten zu entziehen<br />
<strong>und</strong> zu ihrem Fahrzeug zurückzukehren.<br />
In dieser Situation bestand nach Auffassung der<br />
Kammer Gefahr <strong>im</strong> Verzug. Ohne eine sofortige Anordnung<br />
der Blutprobenentnahme drohte ein Beweismittelverlust<br />
oder wenigstens eine erhebliche Beeinträchtigung<br />
der Brauchbarkeit einer später entnommenen<br />
Blutprobe durch Nachtrunk, weil die Polizeibeamten<br />
ohne die sofortige Anordnung einer Blutprobenentnahme<br />
keine Handhabe gehabt hätten, um<br />
die Beschuldigte am Fortgehen zu hindern (vgl. OLG<br />
Bamberg, NJW 2009, 2146, 2147 [= BA 2009, 217];<br />
KG, Beschluss v. 20. Januar 2010, Az.: (3) 1 Ss 426/09<br />
(165/09); Brocke/Herb, NStZ 2009, 671, 672 f.; Götz,<br />
NStZ 2008, 239 f.).<br />
a) Die Anordnung einer Blutentnahme ist zwangsweise<br />
durchsetzbar. Hierzu darf ein Beschuldigter vorübergehend<br />
festgehalten <strong>und</strong> dem nächsten geeigneten<br />
<strong>und</strong> erreichbaren Arzt vorgeführt werden. Das gilt<br />
auch dann, wenn die Anordnung zur Entnahme der<br />
Blutprobe nicht vom Richter, sondern von der Staatsanwaltschaft<br />
oder ihren Ermittlungspersonen getroffen<br />
worden ist (vgl. zum Vorstehenden: Meyer-Goßner,<br />
StPO, 52. Aufl., § 81a, Rdnr. 29 m. w. N.). Aufgr<strong>und</strong><br />
der Anordnung einer Blutprobenentnahme konnten die<br />
Polizeibeamten also <strong>im</strong> vorliegenden Fall die Beschuldigte<br />
daran hindern, sich zu entfernen. Die drohende<br />
Gefährdung des Untersuchungserfolges konnte so abgewendet<br />
werden.<br />
b) Der Untersuchungserfolg wäre allerdings nicht<br />
gefährdet gewesen, wenn die Polizeibeamten außer<br />
der eigenen, sofortigen Anordnung gemäß § 81a<br />
Abs. 2 StPO eine andere Möglichkeit gehabt hätten,<br />
um die Beschuldigte am Fortgehen zu hindern. Eine<br />
Rechtsprechung<br />
307<br />
solche Möglichkeit bestand jedoch mangels entsprechender<br />
Rechtsgr<strong>und</strong>lage nicht: § 163b Abs. 1 StPO<br />
war nicht (mehr) anwendbar, weil die Beschuldigte<br />
nach dieser Vorschrift nur bis zur Feststellung ihrer<br />
Identität festgehalten werden durfte. Ihre Identität war<br />
jedoch schon geklärt, als sie sich vom Einsatzort entfernen<br />
wollte. Die Polizeibeamten konnten die Beschuldigte<br />
auch nicht gemäß § 127 Abs. 2 StPO vorläufig<br />
festnehmen, weil kein Haftgr<strong>und</strong> bestand. Dass<br />
die Beschuldigte vorhatte, nach Hause zu gehen,<br />
begründet weder Flucht- noch Verdunkelungsgefahr<br />
(vgl. Brocke/Herb, a. a. O., 672 m. w. N.).<br />
aa) Allerdings wird in Rechtsprechung <strong>und</strong> Literatur<br />
die Auffassung vertreten, dass § 81a StPO die Polizeibeamten<br />
zu einem „Teileingriff“ in die körperliche<br />
Fortbewegungsfreiheit ermächtige, wenn ein Beschuldigter<br />
sich entfernen wolle. § 81a StPO ermächtige die<br />
Polizeibeamten bei Gefahr <strong>im</strong> Verzug dazu, einen Beschuldigten<br />
jedenfalls solange festzuhalten, bis eine<br />
richterliche Entscheidung über die Entnahme der<br />
Blutprobe herbeigeführt sei (Fickenscher/Dingelstadt,<br />
NStZ 2009, 124, 126 f.; OLG Hamm, NJW 2009, 242,<br />
244 [= BA 2008, 388]). Nach dieser Auffassung<br />
kommt es also in Fällen wie dem vorliegenden<br />
zu einem „zweiaktigen Prüfungsverfahren“ (Fickenscher/Dingelstadt,<br />
a. a. O., 127): Zunächst treffen die<br />
Polizeibeamten, gestützt auf § 81a StPO, eine Entscheidung<br />
darüber, ob der Beschuldigte festgehalten,<br />
d.h. in seiner Fortbewegungsfreiheit beschränkt wird.<br />
Wenn sie sich für einen entsprechenden Eingriff entscheiden<br />
<strong>und</strong> den Beschuldigten festhalten, entfällt der<br />
Gr<strong>und</strong> für die Annahme von Gefahr <strong>im</strong> Verzug, so dass<br />
nun – wie <strong>im</strong> gesetzlichen Regelfall – der Richter über<br />
den Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, also<br />
die Entnahme einer Blutprobe, entscheiden kann <strong>und</strong><br />
muss.<br />
bb) Die Kammer schließt sich dieser Auffassung<br />
nicht an. § 81a StPO sieht ein eigenständiges Festhalterecht<br />
der Polizeibeamten nicht vor. Vielmehr geht<br />
mit Eintritt von Gefahr <strong>im</strong> Verzug, also bei einer Gefährdung<br />
des Untersuchungserfolgs, die Zuständigkeit<br />
für „die Anordnung“ gemäß § 81a Abs. 2 StPO auf die<br />
Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> ihre Ermittlungspersonen über.<br />
Mit „Anordnung“ ist in § 81a Abs. 2 StPO die von<br />
§ 81a Abs. 1 StPO allein geregelte Anordnung einer<br />
körperlichen Untersuchung des Beschuldigten gemeint.<br />
Eine etwaige vorherige Anordnung freiheitsbeschränkender<br />
Maßnahmen sieht § 81a StPO nicht vor.<br />
Vielmehr ist es eine Frage der Durchsetzung der Anordnung<br />
zur körperlichen Untersuchung, inwieweit<br />
auch die Freiheit des Beschuldigten beschränkt werden<br />
darf.<br />
Ein „zweiaktiges Prüfungsverfahren“ liefe zudem<br />
auf eine Überprüfung der polizeilichen Anordnung<br />
durch den Richter hinaus, die § 81a StPO – anders als<br />
§ 98 Abs. 2 S. 1 StPO – nicht vorsieht (Brocke/Herb,<br />
a. a. O., 673): Da ein Polizeibeamter eine auf § 81a<br />
StPO gestützte freiheitsbeschränkende Anordnung nur<br />
treffen dürfte, wenn die Voraussetzungen dieser Eingriffsnorm<br />
vorlägen, müsste er – wenigstens innerlich<br />
– vor dieser Anordnung eine Entscheidung darüber<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
308 Rechtsprechung<br />
treffen, ob die in § 81a Abs. 1 StPO geregelten Tatbestandsvoraussetzungen<br />
für Anordnungen gemäß § 81a<br />
StPO vorliegen. Die vom Polizeibeamten zu prüfenden<br />
Tatbestandsvoraussetzungen wären dieselben, die<br />
vorliegen müssten, damit eine körperliche Untersuchung<br />
– hier die Blutprobenentnahme – angeordnet<br />
werden dürfte. Letztlich würde also ein Polizeibeamter,<br />
der eine freiheitsbeschränkende Maßnahme aufgr<strong>und</strong><br />
von § 81a StPO anordnet, zugleich, bzw. „eine<br />
juristische Sek<strong>und</strong>e“ zuvor, die Entscheidung treffen,<br />
dass eine Blutprobe entnommen werden soll. Wenn<br />
dann später ein Richter die Blutprobenentnahme anordnen<br />
soll, müsste dieser erneut über die vom Polizeibeamten<br />
an sich schon entschiedene Frage entscheiden.<br />
Eine solche Verfahrensweise sieht § 98 Abs. 2<br />
S. 1 StPO bei Beschlagnahmen vor, nicht aber § 81a<br />
StPO bei körperlichen Untersuchungen. Zwar ist anerkannt,<br />
dass der Beschuldigte entsprechend § 98 Abs. 2<br />
S. 2 StPO die richterliche Überprüfung einer von<br />
Staatsanwaltschaft oder Polizei angeordneten körperlichen<br />
Untersuchung verlangen kann (Meyer-Goßner,<br />
a. a. O., Rdnr. 31). Dass aber Staatsanwaltschaft oder<br />
Polizei wie <strong>im</strong> Falle des § 98 Abs. 2 S. 1 StPO gehalten<br />
wären, von sich aus die richterliche Überprüfung<br />
ihrer Anordnung zur körperlichen Untersuchung herbeizuführen,<br />
verlangt – soweit ersichtlich – niemand.<br />
Schließlich ist es nach Auffassung der Kammer<br />
auch nicht zum Schutz der Gr<strong>und</strong>rechte des Beschuldigten,<br />
insbesondere seines Rechts auf körperliche<br />
Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG), erforderlich,<br />
die Anordnungskompetenz von Polizeibeamten in<br />
Fallkonstellationen wie der vorliegenden auf freiheitsbeschränkende<br />
Anordnungen – etwa <strong>im</strong> Wege einer<br />
gr<strong>und</strong>rechtskonformen, einschränkenden Interpretation<br />
von § 81a StPO – zu begrenzen. Zwar handelt es<br />
sich be<strong>im</strong> Gr<strong>und</strong>recht auf körperliche Unversehrtheit<br />
um ein hohes Gut, andererseits ist der diesem Gr<strong>und</strong>recht<br />
bei Entnahme einer Blutprobe, die nur von einem<br />
Arzt durchgeführt werden darf (§ 81a Abs. 1 S. 2<br />
StPO), drohende Eingriff von relativ geringer Intensität<br />
<strong>und</strong> Tragweite. Hinzu kommt, dass in Fällen wie<br />
dem vorliegenden, in denen ein Beschuldigter den Einsatzort<br />
verlassen möchte, auch sein Gr<strong>und</strong>recht auf<br />
Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG) betroffen<br />
ist. Die Auffassung, nach der trotz Annahme von<br />
Gefahr <strong>im</strong> Verzug <strong>und</strong> entsprechender polizeilicher<br />
Anordnung von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen<br />
(auch) eine richterliche Entscheidung über die Anordnung<br />
der Blutprobenentnahme herbeizuführen ist,<br />
führt nicht zwingend zur größtmöglichen Schonung<br />
aller betroffenen Gr<strong>und</strong>rechte des Beschuldigten. Wer<br />
den Einsatzort verlassen will, um nach Hause zu<br />
gehen, der hat womöglich <strong>im</strong> konkreten Fall sogar ein<br />
viel höheres Interesse daran, möglichst bald (wieder)<br />
nach Hause zu kommen, als daran, dass ihm eine Blutprobe<br />
nur nach vorheriger richterlicher Anordnung<br />
entnommen wird. Sollte aber dennoch, obwohl Polizeibeamte<br />
bereits rechtmäßiger Weise eine auf § 81a<br />
StPO gestützte Anordnung getroffen haben, die Untersuchungsanordnung<br />
eines Richters erforderlich sein,<br />
kann sich unter Umständen die Zeit verlängern, in der<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
der Beschuldigte in seiner Fortbewegungsfreiheit beschränkt<br />
wird. Denn die Einholung einer richterlichen<br />
Anordnung wird auch <strong>im</strong> besten Fall wenigstens 15 bis<br />
20 Minuten dauern.<br />
3. Aufgr<strong>und</strong> des somit bestehenden dringenden Tatverdachts<br />
ist davon auszugehen, dass ein Regelfall der<br />
Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 2<br />
StGB vorliegt <strong>und</strong> daher der Beschuldigten die Fahrerlaubnis<br />
<strong>im</strong> Hauptverfahren entzogen werden wird.<br />
55. *) 1. Der Inhaber einer durch einen anderen<br />
Mitgliedstaat der Europäischen Union erteilten<br />
Fahrerlaubnis darf durch die Behörde des Aufnahmestaats<br />
auf seine Fahreignung überprüft werden,<br />
wenn er nach dem Erwerb der ausländischen Fahrerlaubnis<br />
<strong>im</strong> Inland auch nur einmal nachteilig <strong>im</strong><br />
Straßenverkehr in Erscheinung getreten ist, sofern<br />
ein solches Verhalten von einigem Gewicht ist. Ist<br />
das der Fall, können auch vor der Erteilung der<br />
ausländischen Fahrerlaubnis liegende Auffälligkeiten<br />
berücksichtigt werden.<br />
2. Auch eine Ordnungswidrigkeit nach § 24a<br />
Abs. 1 StVG stellt eine Zuwiderhandlung <strong>im</strong> Sinne<br />
des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV <strong>und</strong> zugleich<br />
eine Auffälligkeit von einigem Gewicht dar, die Anlass<br />
zur Überprüfung der Fahreignung des Inhabers<br />
einer EU-Fahrerlaubnis geben kann.<br />
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof,<br />
Beschluss vom 19. April 2010 – 11 ZB 09.2982 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Der Kläger wendet sich <strong>gegen</strong> die Aberkennung des<br />
Rechts, mit seinem niederländischen Führerschein in<br />
der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik Deutschland fahrerlaubnispflichtige<br />
Fahrzeuge führen zu dürfen.<br />
Mit Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 29.<br />
März 1995 wurde der Kläger wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung<br />
in Tateinheit mit fahrlässiger<br />
Körperverletzung verurteilt <strong>und</strong> ihm die Fahrerlaubnis<br />
entzogen. Er war als Fahrer eines Kraftfahrzeugs mit<br />
einer <strong>Blutalkohol</strong>konzentration von 0,89 ‰ in einen<br />
Verkehrsunfall verwickelt gewesen.<br />
Mit Urteil des Amtsgerichts Landsberg am Lech<br />
vom 29. Juli 1996 wurde der Kläger wegen in Tateinheit<br />
stehender Vergehen des Diebstahls in einem besonders<br />
schweren Fall, des Fahrens ohne Fahrerlaubnis<br />
<strong>und</strong> der fahrlässigen Trunkenheit <strong>im</strong> Verkehr zu<br />
einer Freiheitsstrafe von einem Jahr <strong>und</strong> vier Monaten<br />
verurteilt.<br />
Am 27. Januar 2003 stellte die Stadt A. dem Kläger<br />
einen niederländischen Führerschein für die Klasse B<br />
aus.<br />
Mit Bußgeldbescheid vom 01. April 2008 wurden<br />
<strong>gegen</strong> den Kläger eine Geldbuße <strong>und</strong> ein einmonatiges<br />
Fahrverbot verhängt, weil er am 23. Februar 2008 ein<br />
Kraftfahrzeug mit einer Atemalkoholkonzentration<br />
von 0,37 mg/l geführt hatte.
Die Fahrerlaubnisbehörde forderte den Kläger daraufhin<br />
am 29. Mai 2008 auf, bis spätestens 29. Juli<br />
2008 ein medizinisch-psychologisches Gutachten über<br />
seine Fahreignung beizubringen. Da der Kläger das<br />
Gutachten nicht beibrachte, erkannte sie ihm mit Bescheid<br />
vom 17. Oktober 2008 das Recht ab, mit seinem<br />
niederländischen Führerschein in Deutschland fahrerlaubnispflichtige<br />
Fahrzeuge führen zu dürfen.<br />
Die <strong>gegen</strong> diesen Bescheid vom Kläger erhobene<br />
Klage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 04.<br />
November 2009 ab.<br />
Hier<strong>gegen</strong> richtet sich der Antrag auf Zulassung der<br />
Berufung.<br />
Aus den Gründen:<br />
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen<br />
Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe<br />
nicht dargelegt wurden bzw. nicht vorliegen.<br />
1. Der Kläger trägt vor, dass die Anordnung<br />
zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen<br />
Gutachtens nach der bisherigen Rechtsprechung des<br />
Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Beschluss vom<br />
06. 04. 2006 Rechtssache C-227/05 Halbritter, Slg I-49<br />
[= BA 2006, 307]) nicht auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst.<br />
b FeV habe gestützt werden können, der die wiederholte<br />
Begehung von Zuwiderhandlungen <strong>im</strong> Straßenverkehr<br />
unter <strong>Alkohol</strong>einfluss zur Voraussetzung habe.<br />
Diese Voraussetzung sei nur erfüllt, wenn man die vor<br />
der Erteilung des niederländischen Führerscheins am<br />
27. Januar 2003 liegenden Trunkenheitsfahrten des<br />
Klägers vom 24. September 1994 <strong>und</strong> 01. Januar 1996,<br />
die zu den beiden Verurteilungen vom 29. März 1995<br />
<strong>und</strong> 29. Juli 1996 geführt hätten, berücksichtige. Nach<br />
der angeführten Rechtsprechung des EuGH dürfe ein<br />
Mitgliedstaat seine innerstaatlichen Vorschriften über<br />
die Einschränkung oder den Entzug der von einem anderen<br />
Mitgliedstaat ausgestellten Fahrerlaubnis nur <strong>im</strong><br />
Hinblick auf ein Verhalten des Betroffenen nach dem<br />
Erwerb der EU-Fahrerlaubnis ausüben. Die Interpretation<br />
dieser Rechtsprechung durch das Verwaltungsgericht<br />
dahingehend, dass bei einem einschlägigen Verhalten<br />
des Führerscheininhabers nach Erteilung der<br />
EU-Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Rahmen der Anwendung der<br />
innerstaatlichen Vorschriften ergänzend auch einschlägige<br />
<strong>und</strong> noch verwertbare Umstände vor dem Erwerb<br />
der EU-Fahrerlaubnis herangezogen werden dürften,<br />
gehe über die Rechtsprechung des EuGH hinaus. Das<br />
Verwaltungsgericht hätte deshalb das hierzu in der<br />
mündlichen Verhandlung beantragte Vorabentscheidungsverfahren<br />
einleiten müssen.<br />
Dieses Vorbringen begründet keine ernstlichen<br />
Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils.<br />
Die Gutachtensanordnung vom 29. Mai 2008 konnte<br />
auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV gestützt werden,<br />
weil der Kläger wiederholt Zuwiderhandlungen <strong>im</strong><br />
Straßenverkehr unter <strong>Alkohol</strong>einfluss begangen hatte.<br />
Sowohl die den Verurteilungen des Klägers vom<br />
29. März 1995 <strong>und</strong> vom 29. Juli 1996 zugr<strong>und</strong>eliegende<br />
Trunkenheitsfahrten als auch die Ordnungswidrigkeit<br />
nach § 24a Abs. 1 StVG vom 23. Februar 2008<br />
waren bei Ergehen der Gutachtensanordnung verwert-<br />
Rechtsprechung<br />
309<br />
bar <strong>und</strong> sind dies bis heute geblieben (vgl. den <strong>im</strong> Verfahren<br />
des vorläufigen Rechtsschutz ergangenen Beschluss<br />
des Senats vom 16. 02. 2009 Az. 11 CS 09.20).<br />
Gemäß § 11 Abs. 8 FeV durfte die Fahrerlaubnisbehörde<br />
deshalb von der Nichtvorlage des verlangten<br />
Gutachtens auf die Nichteignung des Klägers schließen.<br />
Die Berücksichtigung des europäischen Gemeinschaftsrechts<br />
führt zu keinem anderen Ergebnis. Nach<br />
der gefestigten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs<br />
(z.B. Beschluss vom 31. 01. 2007 Az. 11 CS<br />
06.1923; vom 26. 03. 2008 Az. 11 CS 08.246) darf der<br />
Inhaber einer durch einen anderen Mitgliedstaat der<br />
Europäischen Union erteilten Fahrerlaubnis durch die<br />
Behörde des Aufnahmestaats auf seine Fahreignung<br />
überprüft werden, wenn er nach dem Erwerb der ausländischen<br />
Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Inland auch nur einmal<br />
nachteilig <strong>im</strong> Straßenverkehr in Erscheinung getreten<br />
ist, sofern ein solches Verhalten von einigem Gewicht<br />
ist. Ist das der Fall, können auch vor der Erteilung der<br />
ausländischen Fahrerlaubnis liegende Auffälligkeiten<br />
berücksichtigt werden. Auch eine Ordnungswidrigkeit<br />
nach § 24a Abs. 1 StVG stellt eine Zuwiderhandlung<br />
<strong>im</strong> Sinne des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV <strong>und</strong> zugleich<br />
eine Auffälligkeit von einigem Gewicht dar, die<br />
Anlass zur Überprüfung der Fahreignung des Inhabers<br />
einer EU-Fahrerlaubnis geben kann (vgl. BayVGH<br />
vom 26. 03. 2008 a. a. O.).<br />
Aus der vom Kläger angeführten Rechtsprechung<br />
des EuGH ergibt sich kein Verbot, die vom Kläger vor<br />
der Erteilung seiner niederländischen Fahrerlaubnis<br />
begangenen Trunkenheitsfahrten ergänzend zu berücksichtigen.<br />
Das Verwaltungsgericht hat insoweit zutreffend<br />
ausgeführt, dass es nach dieser Rechtsprechung<br />
einem Mitgliedstaat nur untersagt ist, dieselben<br />
Gründe, die zum Entzug der Fahrerlaubnis oder der<br />
Berechtigung eines Überprüfungsverfahrens geführt<br />
haben, nach dem Erwerb der ausländischen Fahrerlaubnis<br />
nochmals zum Anlass für eine Überprüfung<br />
der Fahreignung zu machen. Gibt ein neues Verhalten<br />
des Führerscheininhabers Anlass für eine Überprüfung,<br />
ist der Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes<br />
berechtigt, seine innerstaatlichen Vorschriften über<br />
Einschränkung oder Entzug der Fahrerlaubnis anzuwenden.<br />
Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG<br />
verpflichtet die Mitgliedstaaten zur <strong>gegen</strong>seitigen Anerkennung<br />
der ausgestellten Führerscheine, eine Besserstellung<br />
der Inhaber ausländischer Fahrerlaubnisse<br />
<strong>gegen</strong>über Inhabern inländischer Fahrerlaubnisse bei<br />
nachfolgenden Verkehrsverstößen ist damit aber nicht<br />
verb<strong>und</strong>en (Beschluss des Senats vom 31. 01. 2007<br />
a. a. O.).<br />
Für ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH<br />
hatte das Verwaltungsgericht deshalb keinen Anlass.<br />
2. Die Rechtssache weist ent<strong>gegen</strong> der Auffassung<br />
des Klägers auch keine besonderen rechtlichen<br />
Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).<br />
Denn die vom Kläger formulierte Rechtsfrage, ob<br />
seine Trunkenheitsfahrten vor Erteilung der niederländischen<br />
Fahrerlaubnis bei der Anordnung einer medizinisch-psychologischen<br />
Begutachtung nach § 13 Satz 1<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
310 Rechtsprechung<br />
Nr. 2 Buchst. b FeV ergänzend herangezogen werden<br />
dürfen, ist aus den unter 1. dargestellten Gründen ohne<br />
weiteres zu bejahen.<br />
3. Schließlich hat die Rechtssache nicht die vom<br />
Kläger geltend gemachte gr<strong>und</strong>sätzliche Bedeutung<br />
(§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Insoweit hat der Kläger<br />
nicht ausreichend dargelegt, dass die von ihm formulierte<br />
Rechtsfrage (vgl. oben unter 2.) klärungsbedürftig<br />
ist, weil sie sich anhand der vorliegenden Rechtsprechung<br />
des EuGH – wie oben dargestellt –<br />
beantworten lässt.<br />
56. 1. Die in § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG angeordnete<br />
Bindung der Verwaltungsbehörde an die Beurteilung<br />
der Kraftfahreignung in einem Strafurteil<br />
steht nicht nur der Entziehung der Fahrerlaubnis,<br />
sondern auch vorbereitenden Aufklärungsmaßnahmen<br />
wie der Anforderung eines Gutachtens auf<br />
der Gr<strong>und</strong>lage von § 13 Satz 1 Nr. 2 b FeV ent<strong>gegen</strong><br />
(wie BVerwG, Urteil vom 15. 07. 1988 – 7 C 46.87<br />
– BVerwGE 80, 43; Beschluss des Senats vom<br />
17. 11. 2008 – 10 S 2719/08 – ZfSch 2009, 178).<br />
2. Die Bindungswirkung tritt nicht ein, wenn die<br />
Fahrerlaubnisbehörde einen umfassenderen Sachverhalt<br />
als das Strafgericht zu beurteilen hat. Dies<br />
ist dann nicht der Fall, wenn die Fahrerlaubnisbehörde<br />
die Gutachtensanforderung nur auf strafgerichtliche<br />
Vorverurteilungen stützt, die das<br />
Strafgericht in seinem letzten Urteil bei der Strafzumessung<br />
zu Lasten des Führerscheininhabers<br />
berücksichtigt hat.<br />
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg,<br />
Beschluss vom 03. Mai 2010 – 10 S 256/10 –<br />
Aus den Gründen:<br />
Die Beschwerde des Antragstellers <strong>gegen</strong> den<br />
Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom<br />
26. 01. 2010 ist zulässig (vgl. §§ 146, 147 VwGO) <strong>und</strong><br />
hat auch in der Sache Erfolg.<br />
Das Landratsamt hat dem Antragsteller nach § 3<br />
Abs. 1 StVG, § 46 Abs. 1 FeV i. V. m. § 11 Abs. 8<br />
Satz 1 FeV die Fahrerlaubnis entzogen, weil er ein<br />
nach § 13 Satz 1 Nr. 2 b FeV angefordertes Eignungsgutachten<br />
nicht beigebracht hat. Keine rechtlichen Bedenken<br />
bestehen <strong>gegen</strong> die Annahme des Verwaltungsgerichts,<br />
dass die erklärte Anordnung der sofortigen<br />
Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung dem Begründungserfordernis<br />
des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO<br />
genügt (vgl. zu diesen Anforderungen Beschluss des<br />
Senats vom 24. 06. 2002 – 10 S 985/02 – VBlBW<br />
2002, 441 [= BA 2003, 245]) <strong>und</strong> die Gutachtensanordnung<br />
des Antragsgegners vom 08. 10. 2009 den an<br />
sie zu stellenden formellen Anforderungen entspricht.<br />
Wie das Verwaltungsgericht zu Recht näher darlegt, ist<br />
die Gutachtensanforderung trotz der falschen Datumsangabe<br />
aus sich heraus verständlich <strong>und</strong> wurde vom<br />
Antragsteller auch zutreffend verstanden. Ent<strong>gegen</strong><br />
der Auffassung der Beschwerde ist in diesem Zu-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
sammenhang unerheblich, dass sich in der Anordnung<br />
zur Beibringung des Gutachtens vom 08. 10. 2009<br />
keine genaue Angabe der vom Landratsamt als Gr<strong>und</strong>lage<br />
herangezogenen Best<strong>im</strong>mung der Fahrerlaubnis-Verordnung<br />
findet (vgl. hierzu Urteil des Senats<br />
vom 18. 05. 2004 – 10 S 2796/03 – VBlBW 2004, 428<br />
[= BA 2006, 57]).<br />
Das Verwaltungsgericht hat jedoch übersehen, dass<br />
hier die Bindungswirkung des § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG<br />
der Anordnung, ein Gutachten beizubringen, jedenfalls<br />
bei summarischer Prüfung ent<strong>gegen</strong>stehen dürfte.<br />
Will die Fahrerlaubnisbehörde in einem Entziehungsverfahren<br />
einen Sachverhalt berücksichtigen, der<br />
Gegenstand der Urteilsfindung in einem Strafverfahren<br />
<strong>gegen</strong> den Inhaber der Fahrerlaubnis gewesen ist,<br />
so kann sie gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG zu dessen<br />
Nachteil vom Inhalt des Urteils insoweit nicht abweichen,<br />
als es sich auf die Feststellung des Sachverhalts<br />
oder die Beurteilung u. a. der Eignung zum Führen von<br />
Kraftfahrzeugen bezieht. Mit dieser Vorschrift soll die<br />
sowohl dem Strafrichter (vgl. § 69 StGB) als auch<br />
der Verwaltungsbehörde (vgl. § 3 Abs. 1 StVG) eingeräumte<br />
Befugnis, bei fehlender Kraftfahreignung<br />
die Fahrerlaubnis zu entziehen, so aufeinander abgest<strong>im</strong>mt<br />
werden, dass Doppelprüfungen unterbleiben<br />
<strong>und</strong> die Gefahr widersprechender Entscheidungen ausgeschaltet<br />
wird. Der Vorrang der strafrichterlichen vor<br />
der behördlichen Entscheidung findet seine innere<br />
Rechtfertigung darin, dass auch die Entziehung der<br />
Fahrerlaubnis durch den Strafrichter als Maßregel der<br />
Besserung <strong>und</strong> Sicherung keine Nebenstrafe, sondern<br />
eine in die Zukunft gerichtete, aufgr<strong>und</strong> der Sachlage<br />
zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung zu treffende<br />
Entscheidung über die Gefährlichkeit des Kraftfahrers<br />
für den öffentlichen Straßenverkehr ist. Insofern deckt<br />
sich die dem Strafrichter übertragene Befugnis mit der<br />
Ordnungsaufgabe der Fahrerlaubnisbehörde. Während<br />
die Behörde allerdings die Kraftfahreignung aufgr<strong>und</strong><br />
einer umfassenden Würdigung der Gesamtpersönlichkeit<br />
des Kraftfahrers zu beurteilen hat, darf der Strafrichter<br />
nur eine Würdigung der Persönlichkeit vornehmen,<br />
soweit sie in der jeweiligen Straftat zum Ausdruck<br />
gekommen ist. Deshalb ist die Verwaltungsbehörde<br />
an die strafrichterliche Eignungsbeurteilung<br />
auch nur dann geb<strong>und</strong>en, wenn diese auf ausdrücklich<br />
in den schriftlichen Urteilsgründen getroffenen Feststellungen<br />
beruht <strong>und</strong> wenn die Behörde von demselben<br />
<strong>und</strong> nicht von einem anderen, umfassenderen<br />
Sachverhalt als der Strafrichter auszugehen hat. Die<br />
Bindungswirkung lässt sich nur rechtfertigen, wenn<br />
die Verwaltungsbehörde den schriftlichen Urteilsgründen<br />
sicher entnehmen kann, dass überhaupt <strong>und</strong> mit<br />
welchem Ergebnis das Strafgericht die Fahreignung<br />
beurteilt hat. Deshalb entfällt die Bindungswirkung,<br />
wenn das Strafurteil überhaupt keine Ausführungen<br />
zur Kraftfahreignung enthält oder wenn jedenfalls in<br />
den schriftlichen Urteilsgründen unklar bleibt, ob das<br />
Strafgericht die Fahreignung eigenständig beurteilt hat<br />
(vgl. zum ganzen BVerwG, Urteil vom 15. 07. 1988<br />
– 7 C 46.87 – BVerwGE 80, 43; BVerwG, Beschluss<br />
vom 01.04.1993 – 11 B 82.92 – Buchholz 442.10 § 4
StVG Nr. 89; Beschluss des Senats vom 17. 11. 2008<br />
– 10 S 2719/08 – ZfSch 2009, 178). Die in § 3 Abs. 4<br />
Satz 1 StVG angeordnete Bindungswirkung gilt nicht<br />
nur für die Maßnahme der Entziehung selbst, sondern<br />
nach ihrem Sinn <strong>und</strong> Zweck für das gesamte Entziehungsverfahren<br />
unter Einschluss der vorbereitenden<br />
Maßnahmen, so dass in derartigen Fällen die Behörde<br />
schon die Beibringung eines Gutachtens nicht anordnen<br />
darf (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. 07. 1988 – 7 C<br />
46.87 – a. a. O.).<br />
Ausgehend von diesen Gr<strong>und</strong>sätzen war die Fahrerlaubnisbehörde<br />
gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG voraussichtlich<br />
gehindert, ein medizinisch-psychologisches<br />
Eignungsgutachten anzuordnen. Mit Strafurteil des<br />
Amtsgerichts Müllhe<strong>im</strong>/Baden vom 16. 09. 2008 wurde<br />
der Antragsteller wegen fahrlässiger Trunkenheit<br />
<strong>im</strong> Straßenverkehr verurteilt, weil er am 01. 09. 2007<br />
einen Pkw mit einer <strong>Blutalkohol</strong>konzentration von<br />
1,57 ‰ geführt hat. Im Urteil wird festgestellt, dass<br />
trotz § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB von der Entziehung der<br />
Fahrerlaubnis abzusehen war, da u. a. die Tatumstände<br />
<strong>und</strong> die seither verstrichene Zeit sowie die erheblichen,<br />
beanstandungsfreien Fahrleistungen einen Regelfall<br />
nach § 69 StGB kontraindizieren würden. Bei<br />
der Strafzumessung berücksichtigte das Gericht zu<br />
Gunsten des Antragstellers u. a. die kurze zurückgelegte<br />
Fahrstrecke sowie seine Straflosigkeit seit nahezu<br />
zehn Jahren <strong>und</strong> seinen psychischen Ausnahmezustand<br />
bei Begehung der Tat. Damit hat das Strafgericht<br />
aufgr<strong>und</strong> einer – wenn auch nur knappen – Beurteilung<br />
der Eignungsfrage von einer Entziehung der Fahrerlaubnis<br />
abgesehen. Die Urteilsgründe lassen keinen<br />
Raum für die Annahme, das Strafgericht habe von<br />
einer eigenständigen Bewertung der Kraftfahreignung<br />
abgesehen <strong>und</strong> diese Frage letztlich offen lassen wollen.<br />
Es liegt auch kein Anhaltspunkt dafür vor, dass das<br />
Strafgericht nicht aufgr<strong>und</strong> einer Eignungsbeurteilung,<br />
sondern aufgr<strong>und</strong> anderer Umstände wie etwa <strong>im</strong><br />
Hinblick allein auf die seit der Tatbegehung verstrichene<br />
Zeit von einer Entziehung der Fahrerlaubnis<br />
abgesehen hat (vgl. zu einer derartigen Konstellation<br />
BVerwG, Beschluss vom 11. 01.1988 – 7 B 242.87 –<br />
DAR 1988, 247) oder lediglich an der Ungeeignetheit<br />
gezweifelt hat. Auch eine Auslegung dahingehend,<br />
dass das Strafgericht nur das Vorliegen eines Regelfalles<br />
nach § 69 Abs. 2 StGB verneint hat, so dass eine<br />
umfassende Prüfung der Kraftfahreignung nach § 69<br />
Abs. 1 StGB geboten ist, dürfte bereits nach dem Wortlaut<br />
der Urteilsgründe nicht in Betracht kommen. Vielmehr<br />
folgt aus der knappen, aber klaren Begründung<br />
des Strafurteils, dass der Vorfall vom 01. 09. 2007 der<br />
Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen<br />
nach Auffassung des Strafgerichts nicht ent<strong>gegen</strong>steht.<br />
Auch der Umstand, dass nach dem Wortlaut des<br />
Strafurteils die Eignung des Antragstellers nicht positiv<br />
festgestellt wurde, rechtfertigt keine andere Einschätzung.<br />
Denn eine Unterscheidung zwischen positiver<br />
Feststellung der Eignung <strong>und</strong> Verneinung der<br />
Ungeeignetheit ist jedenfalls <strong>im</strong> Entziehungsverfahren<br />
Rechtsprechung<br />
311<br />
rechtlich ohne Belang; ist die Ungeeignetheit nicht gegeben,<br />
muss der Kraftfahrer <strong>im</strong> Rechtssinn als (weiterhin)<br />
geeignet angesehen werden (vgl. BVerwG, Urteil<br />
vom 15. 07.1988 – 7 C 46.87 – a. a. O.).<br />
Schließlich ist die Fahrerlaubnisbehörde auch nicht<br />
von einem umfassenderen Sachverhalt als das Strafgericht<br />
ausgegangen. Die durch das Amtsgericht Müllhe<strong>im</strong><br />
abgeurteilten Straftaten waren die zwei Trunkenheitsfahrten<br />
des Antragstellers am 01. 09. 2007 mit<br />
einer <strong>Blutalkohol</strong>konzentration von 1,57 ‰. Zwar war<br />
die Gutachtensanforderung des Antragsgegners auf die<br />
Best<strong>im</strong>mung des § 13 Satz 1 Nr. 2 b FeV gestützt <strong>und</strong><br />
bezog deshalb die mit Urteil des Amtsgerichts Leipzig<br />
vom 08. 01.1999 geahndete Trunkenheitsfahrt vom<br />
16. 07. 1998 mit ein. Ferner setzt die Bindungswirkung<br />
des § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG voraus, dass der gleiche<br />
Sachverhalt, d. h. die Tat <strong>im</strong> Sinne des Strafverfahrensrechts,<br />
Gegenstand der verschiedenen Verfahren ist<br />
(vgl. BVerwG, Urteil vom 23. 02. 1962 – VIII C<br />
138/61 – VerwRspr Band 14, Nr. 281). Wie sich den<br />
Gründen des Urteils vom 16. 09. 2008 unzweideutig<br />
entnehmen lässt, war diese Vorverurteilung durch das<br />
Amtsgericht Leipzig dem Strafrichter bei Urteilserlass<br />
aber nicht nur bekannt; die einschlägige Vorverurteilung<br />
des Antragstellers wurde von dem Strafrichter<br />
auch bei seinen Strafzumessungserwägungen zu dessen<br />
Lasten berücksichtigt. Der Strafrichter hat zwar<br />
nur die konkrete Tat abzuurteilen, trifft seine Entscheidung<br />
jedoch unter Würdigung der Persönlichkeit des<br />
Täters, dessen Vorstrafen dabei mit zu berücksichtigen<br />
sind. Daher hat der Strafrichter hier sämtliche Zuwiderhandlungen<br />
des Antragstellers in dem gleichen<br />
umfassenden Maße wie die Verwaltungsbehörde gewürdigt,<br />
so dass die Bindungswirkung des § 3 Abs. 4<br />
Satz 1 StVG nicht ausgeschlossen ist. Unerheblich<br />
ist in diesem Zusammenhang, ob das Strafgericht zu<br />
Recht von einer Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß<br />
§ 69 Abs. 1 StGB abgesehen hat. Denn die Bindungswirkung<br />
verwehrt es der Fahrerlaubnisbehörde, das<br />
Strafurteil auf seine inhaltliche Richtigkeit zu prüfen.<br />
Würdigt das Strafgericht einen Vorfall anders als<br />
die Fahrerlaubnisbehörde, fehlt es deswegen nicht am<br />
Merkmal des gleichen Sachverhalts.<br />
Die Bindungswirkung dürfte schließlich auch nicht<br />
deshalb entfallen, weil § 13 Satz 1 Nr. 2 b FeV die Fahrerlaubnisbehörde<br />
zur Anordnung der Beibringung<br />
eines medizinisch-psychologischen Gutachtens verpflichtet.<br />
Denn § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG geht als formelles<br />
Gesetz der Fahrerlaubnis-Verordnung vor (vgl.<br />
Beschluss des Senats vom 17. 11. 2008 – 10 S 2719/08<br />
– a. a. O.).<br />
Die Fahrerlaubnisbehörde durfte den Vorfall vom<br />
01. 09. 2007 daher nicht zum Anlass für die Anordnung<br />
der Beibringung eines medizinisch-psychologischen<br />
Gutachtens nehmen. Ist die Gutachtensanordnung<br />
nicht rechtmäßig, kann aus der Weigerung des Antragstellers,<br />
dieses Gutachten beizubringen, oder aus der<br />
Fristversäumung nicht der Schluss auf seine Ungeeignetheit<br />
zum Führen von Kraftfahrzeugen gezogen werden.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
312 Rechtsprechung<br />
57. *) 1. Neuere wissenschaftliche Untersuchungen<br />
sprechen <strong>gegen</strong> die Annahme, dass bei einer<br />
THC-Konzentration von unter 2 ng/ml eines Kraftfahrzeugführers<br />
noch nicht von einer signifikanten<br />
Erhöhung des Risikos einer Beeinträchtigung der<br />
Verkehrssicherheit durch die negativen Auswirkungen<br />
des Cannabiskonsums auf den Betroffenen<br />
auszugehen ist. Im Falle des Führens eines Kraftfahrzeuges<br />
mit einem THC-Wert von 1,9 ng/ml ist<br />
deshalb von einem mangelnden Trennungsvermögen<br />
i. S. d. Ziffer 9.2.2 der Anlage 4 der FeV auszugehen.<br />
2. § 4 Abs. 3 StVG gilt nur für das Strafverfahren,<br />
weshalb die Einstellung eines Bußgeldverfahrens<br />
wegen Verstoßes <strong>gegen</strong> § 24a Abs. 2 StVG eine<br />
Bindungswirkung <strong>im</strong> behördlichen Fahrerlaubnisentziehungsverfahren<br />
nach § 3 Abs. 3, 4 StVG nicht<br />
begründet.<br />
Verwaltungsgericht Bremen,<br />
Beschluss vom 26. April 2010 – 5 K 126/10 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Am 21. Dezember 2008 befuhr der Kläger mit seinem<br />
Pkw den Ring in B., als er in eine Polizeikontrolle<br />
geriet. Die von der Polizei B. angeordnete Blutentnahme<br />
ergab Werte von 1,9 ng/ml Tetrahydrocannabinol<br />
(THC) <strong>und</strong> 14,9 ng/ml THC-COOH. Am<br />
01. Januar 2009 wurde der Kläger erneut polizeilich<br />
kontrolliert, als er mit einem Kraftfahrzeug in B.<br />
die L.-Straße befuhr. Die angeordnete Blutentnahme<br />
ergab Blutwerte von 0,8 ng/ml THC <strong>und</strong> 14 ng/ml<br />
THC-COOH. Mit Verfügung vom 30. September 2009<br />
entzog das Stadtamt B. dem Kläger die Fahrerlaubnis<br />
zum Führen von Kraftfahrzeugen, forderte ihn zur Abgabe<br />
des Führerscheins binnen eines Tages nach Zustellung<br />
der Verfügung auf <strong>und</strong> drohte für den Fall der<br />
Nichtbefolgung die Festsetzung eines Zwangsgeldes<br />
in Höhe von 250,00 Euro an. Zur Begründung wurde<br />
ausgeführt, der Kläger sei ungeeignet zum Führen von<br />
Fahrzeugen, da er als gelegentlicher Cannabiskonsument<br />
nicht zwischen Konsum <strong>und</strong> Fahren trennen<br />
könne. Gelegentlicher Konsum liege vor, wenn mindestens<br />
zwe<strong>im</strong>al Cannabis in voneinander unabhängigen<br />
Konsumakten eingenommen werde. Dies sei der Fall,<br />
da der Kläger am 21. Dezember 2008 <strong>und</strong> am 01. Januar<br />
2009 unter dem Einfluss von Cannabis am Straßenverkehr<br />
teilgenommen habe.<br />
Gegen die Verfügung legte der Kläger am 21. Oktober<br />
2009 Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid<br />
vom 04. Januar 2010 wies der Senator für Umwelt,<br />
Bau, Verkehr <strong>und</strong> Europa den Widerspruch des<br />
Klägers zurück. Der Kläger hat am 01. Februar 2010<br />
Klage erhoben.<br />
Aus den Gründen:<br />
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene<br />
Bescheid ist rechtmäßig <strong>und</strong> verletzt den Kläger<br />
nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).<br />
Rechtsgr<strong>und</strong>lage für die Entziehung der Fahrerlaubnis<br />
ist § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG)<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
i.Vm. §§ 3 Abs. 1, 11 Abs. 2 <strong>und</strong> 8, 14 Abs. 1, 46 Abs. 1<br />
der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV). Danach ist demjenigen<br />
die Fahrerlaubnis zu entziehen, der sich als<br />
ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist.<br />
Dies gilt gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere<br />
dann, wenn eine Erkrankung oder Mängel nach den<br />
Anlagen 4, 5 oder 6 der FeV vorliegen. An der Eignung<br />
zum Führen von Kraftfahrzeugen fehlt es nach<br />
Ziffer 9.2.1 der Anlage 4, wenn von der regelmäßigen<br />
Einnahme von Cannabis auszugehen ist. Gemäß Ziffer<br />
9.2.2 der Anlage 4 der FeV ist bei einer gelegentlichen<br />
Einnahme von Cannabis nicht mehr von der Eignung<br />
zum Führen eines Kraftfahrzeuges auszugehen, wenn<br />
eine Trennung von Konsum <strong>und</strong> Fahren nicht gegeben<br />
ist.<br />
Die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen<br />
ergibt sich aus Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV, weil<br />
der Kläger zumindest gelegentlich Cannabis konsumiert<br />
<strong>und</strong> nicht ausreichend zwischen diesem Konsum<br />
<strong>und</strong> dem Führen eines Kraftfahrzeuges unterscheidet.<br />
Dies steht aufgr<strong>und</strong> der vorliegenden toxikologischen<br />
Bef<strong>und</strong>berichte des Klinikums B.-M. vom 02. <strong>und</strong> vom<br />
14. Januar 2009 fest. Die Blutprobenuntersuchungen<br />
ergaben einen THC-Wert von 1,9 ng/ml <strong>und</strong> 14,9 ng/ml<br />
THC-COOH für die Fahrt am 21. Dezember 2008 <strong>und</strong><br />
von 0,8 ng/ml THC <strong>und</strong> 14 ng/ml THC-COOH für die<br />
Fahrt am 01. Januar 2009. Der Kläger hat zwei voneinander<br />
unabhängige Konsumakte <strong>im</strong> Vorfeld der<br />
Fahrten eingeräumt. Damit steht der gelegentliche<br />
Cannabiskonsum i. S. v. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV<br />
fest (mindestens zwe<strong>im</strong>aliger Cannabiskonsum). Der<br />
Kläger muss sich ent<strong>gegen</strong> seiner Ansicht die Fahrt<br />
vom 01. Januar 2009 ent<strong>gegen</strong>halten lassen, obwohl<br />
das deswegen eingeleitete Bußgeldverfahren eingestellt<br />
worden ist. Insoweit besteht keine Bindung nach<br />
§ 3 Abs. 3 oder 4 StVG für das Fahrerlaubnisentziehungsverfahren.<br />
§ 4 Abs. 3 StVG gilt nur für Strafverfahren.<br />
§ 3 Abs. 4 StVG greift ebenfalls nicht ein.<br />
Das Amtsgericht hat das Bußgeldverfahren nach § 46<br />
Abs. 1 OWiG i. V.m. § 170 StPO nur deshalb eingestellt,<br />
weil der THC-Gehalt <strong>im</strong> Blut des Klägers bei<br />
dieser Fahrt 0,8 ng/ml betrug <strong>und</strong> damit unterhalb<br />
des von der Grenzwertkommission mit Beschluss vom<br />
22. 05. 2007 empfohlenen Grenzwertes für THC von<br />
1 ng/ml (abgedruckt in <strong>Blutalkohol</strong> 2007, S. 311) für<br />
eine Ordnungswidrigkeit gem. § 24a Abs. 2 StVG lag.<br />
Das Amtsgericht Bremen hat damit in der Bußgeldentscheidung<br />
gleichwohl eine positive Aussage dazu getroffen,<br />
dass be<strong>im</strong> Kläger ein THC-Wert festgestellt<br />
wurde. Dass der Kläger am 01. Januar 2009 unter dem<br />
Einfluss von Cannabis ein Fahrzeug geführt hat, hat er<br />
zudem nicht bestritten, sondern sich lediglich auf den<br />
Standpunkt gestellt, dass die Fahrt wegen der Einstellung<br />
durch das Amtsgericht Bremen nicht berücksichtigt<br />
werden dürfe.<br />
Eine ausreichende Trennung von Konsum <strong>und</strong> Fahren<br />
durch den Kläger ist nicht gegeben. Ein ausreichendes<br />
Trennungsvermögen, das eine gelegentliche<br />
Einnahme von Cannabis <strong>im</strong> Hinblick auf die Verkehrssicherheit<br />
hinnehmbar erscheinen lässt, ist nur gegeben,<br />
wenn der Konsument Fahren <strong>und</strong> Konsum in
jedem Fall in einer Weise trennt, dass eine Beeinträchtigung<br />
seiner verkehrsrelevanten Eigenschaften durch<br />
die Einnahme von Cannabis unter keinen Umständen<br />
eintreten kann. Ab welcher THC-Konzentration ein<br />
fahreignungsrelevanter Cannabiseinfluss anzunehmen<br />
ist, ist in der Rechtsprechung für den Bereich von<br />
Werten zwischen 1,0 <strong>und</strong> 2,0 ng/ml nicht unumstritten<br />
(vgl. u. a. VGH Mannhe<strong>im</strong>, Urteil v. 15. 11. 2007, Az.<br />
10 S 1272/07 [BA 2008, 210] m. w. N.; OVG Münster,<br />
Beschluss v. 09. 07. 2007, Az. 16 B 907/07 [BA 2007,<br />
36]; OVG Schleswig, Beschluss v. 06. 07. 2007, Az. 4<br />
MB 46/07).<br />
Das erkennende Gericht geht mittlerweile in<br />
ständiger Rechtsprechung (vgl. Beschlüsse vom<br />
13. 10. 2008, Az. 5 V 3072/08 <strong>und</strong> vom 25. 06. 2008,<br />
Az. 5 V 985/08 m. w. N., bestätigt durch OVG Bremen,<br />
Beschluss vom 08. 08. 2008, Az. 1 B 333/08) davon<br />
aus, dass bei gelegentlichem Cannabiskonsum <strong>und</strong><br />
Fahren mit einer THC-Konzentration zwischen 1,0<br />
<strong>und</strong> 2,0 ng/ml nicht nur Eignungsbedenken i. S. v. § 46<br />
Abs. 3 FeV bestehen. Neuere wissenschaftliche Untersuchungen<br />
sprechen <strong>gegen</strong> die Annahme, dass bei<br />
einer THC-Konzentration von unter 2 ng/ml eines<br />
Kraftfahrzeugführers noch nicht von einer signifikanten<br />
Erhöhung des Risikos einer Beeinträchtigung der<br />
Verkehrssicherheit durch die negativen Auswirkungen<br />
des Cannabiskonsums auf den Betroffenen auszugehen<br />
ist (überzeugend VGH Mannhe<strong>im</strong>, Urteil vom<br />
15. 11. 07, Az. 10 S 1272/07 m. w. N.; OVG Münster,<br />
Beschluss vom 09. 07. 07, Az. 16 B 907/07; OVG<br />
Schleswig, Beschluss vom 06. 07. 07, Az. 4 MB 46/07,<br />
alle in: www.fahrerlaubnisrecht.de). Aufgr<strong>und</strong> des anlässlich<br />
der Fahrt vom 21. Dezember 2008 festgestellten<br />
THC-Wertes von 1,9 ng/ml ist somit davon auszugehen,<br />
dass der Kläger Konsum <strong>und</strong> Fahren nicht<br />
voneinander trennen kann. Dieser Wert liegt <strong>im</strong> Übrigen<br />
deutlich über dem von der Grenzwertkommission<br />
empfohlenen Grenzwert für THC von 1 ng/ml. Ent<strong>gegen</strong><br />
der Auffassung des Klägers kommt es nicht darauf<br />
an, dass die anlässlich der Fahrt am 01. Januar 2009<br />
festgestellte THC-Konzentration unter diesem Grenzwert<br />
lag. Dass der Kläger Konsum <strong>und</strong> Fahren nicht<br />
voneinander trennen kann, hat er bereits durch die<br />
Fahrt vom 21. Dezember 2008 belegt. Die Feststellungen<br />
anlässlich der Fahrt vom 01. Januar 2009 dienen<br />
da<strong>gegen</strong> zum Beleg des gelegentlichen Cannabiskonsums<br />
des Klägers.<br />
Gründe dafür, dass <strong>im</strong> maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt<br />
abweichend vom Regelfall besondere Umstände<br />
vorlagen, die die Annahme eines Ausnahmefalls<br />
zu rechtfertigen vermochten, sind nicht ersichtlich.<br />
Der Vortrag des Klägers, wonach er sich<br />
nach dem Vorfall vom 21. Dezember 2008 vom Cannabiskonsum<br />
distanziert habe, ist durch den eingeräumten<br />
Konsumakt am 31. Dezember 2008 widerlegt<br />
worden. Der Konsumakt wenige Tage später <strong>und</strong> die<br />
anschließende Autofahrt zeigen vielmehr unabhängig<br />
von dem bei der Fahrt am 01. Januar 2009 festgestellten<br />
THC-Wert, dass eine Verhaltensänderung be<strong>im</strong><br />
Kläger nicht eingesetzt hatte. Der Vortrag des Klägers<br />
<strong>im</strong> vorliegenden Verfahren genügt nicht für die Annah-<br />
Rechtsprechung<br />
313<br />
me eines Ausnahmefalles. Er beruft sich <strong>im</strong> Wesentlichen<br />
darauf, dass der Grenzwert für eine Ordnungswidrigkeit<br />
nach § 24a StVG bei der Fahrt am 01. Januar<br />
2009 nicht erreicht wurde. Anhaltspunkte für eine<br />
tatsächliche Verhaltensumstellung bis zum Abschluss<br />
des Widerspruchsverfahrens sind vom Kläger da<strong>gegen</strong><br />
nicht substantiiert dargelegt worden.<br />
58. *) Wird <strong>im</strong> Verwaltungsverfahren mit beachtlichen<br />
Darlegungen darauf hingewiesen, dass<br />
ein gemäß § 13 S. 1 Nr. 2 c FeV gefordertes medizinisch-psychologisches<br />
Gutachten zumindest auch<br />
aus finanziellen Gründen nicht (fristgemäß) vorgelegt<br />
werden könne, so muss die Fahrerlaubnisbehörde<br />
diesen Hinweisen weiter nachgehen, sei es<br />
etwa durch die Anforderung von Nachweisen oder<br />
durch die gemeinsame Abklärung von Möglichkeiten,<br />
die finanzielle Leistungsfähigkeit <strong>und</strong> die<br />
Belange der Verkehrssicherheit zur Deckung zu<br />
bringen. Andernfalls ist der Schluss aus der Nichtvorlage<br />
des geforderten Gutachtens auf eine mangelnde<br />
Fahreignung gemäß § 11 Abs. 8 FeV nicht<br />
gerechtfertigt.<br />
Verwaltungsgericht Ansbach,<br />
Beschluss vom 25. Februar 2010 – AN 10 S 10.00086 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Der Antragsteller begehrt Eilrechtsschutz <strong>und</strong><br />
Prozesskostenhilfe für den Antrag nach § 80 Abs. 5<br />
VwGO. Dieser richtet sich <strong>gegen</strong> einen Bescheid, mit<br />
welchem dem Antragsteller das Führen von Mofas <strong>und</strong><br />
Fahrrädern <strong>im</strong> öffentlichen Straßenverkehr unter Anordnung<br />
des Sofortvollzuges untersagt worden ist.<br />
Diesem Bescheid liegt zugr<strong>und</strong>e, dass der Antragsteller<br />
<strong>im</strong> öffentlichen Straßenverkehr ein Fahrrad mit<br />
einer <strong>Blutalkohol</strong>konzentration von 1,61 Promille geführt<br />
hat.<br />
Das daraufhin von der Behörde angeforderte medizinisch-psychologische<br />
Gutachten brachte der Antragsteller<br />
aus Kostengründen nicht bei, was er mit Schreiben<br />
seines Betreuers vom 14. August 2009 einwendete<br />
bzw. mit Schreiben vom 14. September 2009 dahingehend<br />
substantiierte, dass „er Gr<strong>und</strong>sicherung beziehe“<br />
<strong>und</strong> „knapp über 400 EUR monatlich zum Leben“<br />
habe. Ferner wies er auf eine Entscheidung des<br />
OVG Rheinland-Pfalz (vom 25. 09. 2009 – Az. 10 B<br />
10930/09 [BA 2009, 437]) hin, nach welcher eine vergleichbare<br />
Behördenentscheidung als unverhältnismäßig<br />
<strong>und</strong> deshalb rechtswidrig bewertet worden sei.<br />
Mit Bescheid vom 11. Januar 2010 wurde dem Antragsteller<br />
das Führen von Mofas <strong>und</strong> Fahrrädern <strong>im</strong><br />
öffentlichen Straßenverkehr unter Anordnung des Sofortvollzuges<br />
untersagt.<br />
Gegen diesen Bescheid ließ der Antragsteller am<br />
18. Januar 2010 Widerspruch erheben <strong>und</strong> am gleichen<br />
Tag bei Gericht beantragen, die aufschiebende Wirkung<br />
des Widerspruchs <strong>gegen</strong> den Bescheid vom<br />
11. Januar 2010 wiederherzustellen <strong>und</strong> dem Antrag-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
314 Rechtsprechung<br />
steller für dieses Verfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen.<br />
Der Antragsgegner beantragte mit Schreiben vom<br />
29. Januar 2010 die Ablehnung des Eilantrages.<br />
Aus den Gründen:<br />
Der Antrag ist zulässig <strong>und</strong> begründet.<br />
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht in den<br />
Fällen, in denen die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes<br />
angeordnet worden ist, die aufschiebende<br />
Wirkung eines Rechtsbehelfs da<strong>gegen</strong> ganz oder<br />
teilweise wiederherstellen. Bei der Entscheidung sind<br />
die widerstreitenden Interessen <strong>gegen</strong>einander abzuwägen.<br />
Im Rahmen dieser Abwägung können auch die<br />
Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs berücksichtigt<br />
werden. Bleibt dieser mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos,<br />
wird die Abwägung in der Regel zum Nachteil<br />
des Betroffenen ausfallen, da dann das von der Behörde<br />
geltend gemachte besondere öffentliche Interesse<br />
am Sofortvollzug regelmäßig überwiegt.<br />
Es ergeben sich aus Sicht des Gerichts bereits Bedenken<br />
<strong>gegen</strong> die Rechtmäßigkeit des angefochtenen<br />
Bescheides.<br />
Das letztlich auf § 11 Abs. 8 FeV gestützte Verbot<br />
des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge nach<br />
§ 3 Abs. 1 FeV begegnet rechtlichen Bedenken hier<br />
jedenfalls schon insoweit, als der Antragsteller<br />
bzw. sein Betreuer <strong>im</strong> Verwaltungsverfahren mit<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
beachtlichen Darlegungen darauf hingewiesen haben,<br />
das geforderte Gutachten zumindest auch aus<br />
finanziellen Gründen nicht (fristgemäß) vorlegen<br />
zu können.<br />
Diesen beachtlichen Hinweisen ist die Fahrerlaubnisbehörde<br />
<strong>im</strong> Verwaltungsverfahren nicht weiter<br />
nachgegangen, sei es etwa durch die Anforderung von<br />
Nachweisen oder durch die gemeinsame Abklärung<br />
von Möglichkeiten, die finanzielle Leistungsfähigkeit<br />
<strong>und</strong> die Belange der Verkehrssicherheit zur Deckung<br />
zu bringen. Weder <strong>im</strong> Antwortschreiben der Behörde<br />
vom 15. September 2009, <strong>im</strong> Anhörungsschreiben<br />
vom 08. Dezember 2009 oder <strong>im</strong> angefochtenen Bescheid<br />
finden sich Anhaltspunkte dafür, dass die Behörde<br />
den Aspekt der finanziellen Leistungsfähigkeit<br />
in ihre Überlegungen aufgenommen hat.<br />
Damit ist in der vorliegenden Situation der Schluss<br />
aus der Nichtvorlage des geforderten Gutachtens auf<br />
das tatsächliche Vorliegen eines Mangels ausnahmsweise<br />
noch nicht gerechtfertigt gewesen (vgl. zu den<br />
Reaktionsmöglichkeiten der Fahrerlaubnisbehörde bei<br />
derartigen Gestaltungen: BayVGH, Beschluss vom<br />
09. 02. 2005 – Az.: 11 CS 04.2438, juris, insbesondere<br />
RdNrn. 25 ff.).<br />
Es wird somit <strong>im</strong> Widerspruchsverfahren zu klären<br />
sein, ob <strong>und</strong> in welcher Weise auf die finanzielle Situation<br />
des Antragstellers Rücksicht genommen werden<br />
kann bzw. muss.
Vol. 47 (Supplement)<br />
SYMPOSIUM DES B.A.D.S.<br />
Jahrgang 2010<br />
„Vorsätzliche <strong>und</strong> fahrlässige Trunkenheitsfahrten: strafrechtliche<br />
Abgrenzung sowie zivil- <strong>und</strong> versicherungsrechtliche Auswirkungen“<br />
16. April 2010<br />
Leipzig<br />
Veranstaltet vom: BUND B.A.D.S. GEGEN ALKOHOL UND DROGEN IM STRASSENVERKEHR STRAßENVERKEHR e.V.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Sup 2 Supplement<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Seite<br />
Beiträge: Vorsatz <strong>und</strong> Fahrlässigkeit bei Trunkenheitsfahrten<br />
PROF. DR. WOLFGANG EISENMENGER,<br />
Institut für Rechtsmedizin München ...................................... Sup 3<br />
Zum Vorsatz bei der Trunkenheitsfahrt<br />
KURT RÜDIGER MAATZ, Richter am <strong>B<strong>und</strong></strong>esgerichtshof a.D.<br />
Karlsruhe ................................................................................ Sup 8<br />
Die strafrechtliche Problematik von Vorsatz <strong>und</strong><br />
Fahrlässigkeit bei Trunkenheitsdelikten<br />
CHRISTIAN JANECZEK, Fachanwalt für Verkehrs-<br />
<strong>und</strong> Strafrecht Dresden .......................................................... Sup 14<br />
Die vorsätzliche Trunkenheitsfahrt gemäß § 316 StGB –<br />
eine Ausnahme oder doch eher die Regel?<br />
PROF. DR. DR. UWE SCHEFFLER /<br />
DR. DELA-MADELEINE HALECKER,<br />
Europa-Universität Frankfurt (Oder)...................................... Sup 19<br />
Vorsätzliche <strong>und</strong> fahrlässige Trunkenheitsfahrten<br />
FRANZ TISCHLER, Richter am Oberlandesgericht München .. Sup 25
Supplement<br />
WOLFGANG EISENMENGER<br />
Vorsatz <strong>und</strong> Fahrlässigkeit bei Trunkenheitsfahrten<br />
Sup 3<br />
Für die Einladung, bei diesem Symposium über Vorsatz <strong>und</strong> Fahrlässigkeit bei Trunkenheitsfahrten als Referent<br />
aufzutreten, darf ich mich herzlich bedanken. Ich halte es aber für wichtig, gleich zu Beginn meiner Ausführungen<br />
festzustellen, dass ein Mediziner für diese Fragestellung nicht kompetent ist. Denn die Begriffe „Vorsatz“<br />
<strong>und</strong> „Fahrlässigkeit“ sind rein juristische Konstrukte, die ihrerseits in der Rechtsphilosophie verankert sind.<br />
Außerdem bin ich kein Versicherungsrechtler. Ein Mitspracherecht der Medizin ergibt sich nur daraus, dass der<br />
Begriff der Schuld an der Voraussetzung des freien Willens festgemacht ist <strong>und</strong> freier Wille eine Leistung des Gehirns<br />
darstellt. Damit wird die Verbindung zur Neurophysiologie – also einer medizinischen Disziplin – hergestellt,<br />
die sich bemüht, die Funktionen des Gehirns zu erforschen <strong>und</strong> zu erklären <strong>und</strong> für psychiatrische Begriffe<br />
wie Bewusstsein, Antrieb, Gefühl oder St<strong>im</strong>mung das physikochemische <strong>und</strong> anatomische Substrat zu liefern.<br />
Und nicht von Ungefähr hat sich gerade in jüngster Zeit aus den neuesten Erkenntnissen der Neurobiologie <strong>und</strong><br />
Psychologie der Paradigmenwechsel ergeben, der freie Wille des Menschen sei nur eine Illusion. Gepredigt wird<br />
der Determinismus in der Form des Inkompatibilismus. Prominenteste Vertreter dieser Theorie sind GERHARD<br />
ROTH, Leiter des Instituts für Hirnforschung der Universität Bremen <strong>und</strong> WOLF SINGER, Direktor am Max-Planck-<br />
Institut für Hirnforschung in Frankfurt am Main. Speziell ROTH stützt sich dabei argumentativ auf die Exper<strong>im</strong>ente<br />
von BENJAMIN LIBET, der 1979 die zeitliche Abfolge einer bewussten Handlungsentscheidung <strong>und</strong> ihrer<br />
Umsetzung mittels einer gezielten Bewegung untersuchte. Vereinfacht gesagt maß er den Zeitabstand zwischen<br />
einem Aktionspotential in der Hirnrinde mittels Hirnstromkurve, dem EEG, <strong>und</strong> dem Aktionspotential <strong>im</strong> eine<br />
gewollte Bewegung ausführenden Muskel mittels Elektromyogramm, dem EMG. Gleichzeitig best<strong>im</strong>mte er den<br />
Zeitpunkt, zu dem die Handlungsabsicht den Versuchspersonen selbst subjektiv bewusst wurde. Als Ergebnis<br />
stellte er fest, dass der Zeitpunkt, zu dem die Handlungsabsicht bewusst wurde, deutlich nach dem Zeitpunkt lag,<br />
zu dem in der Hirnrinde die Bewegung vorbereitet wurde. Daraus schloss er, dass bereits bevor der Mensch sich<br />
bewusst zu einer Handlung entscheide, <strong>im</strong> Gehirn unbewusst Prozesse abliefen, die die Entscheidung bahnten,<br />
demnach dem Willensprozess ein unbewusster Entscheidungsprozess vorgeschaltet sei. ROTH schloss daraus:<br />
„Das bewusste, denkende <strong>und</strong> wollende Ich ist nicht <strong>im</strong> moralischen Sinne verantwortlich für dasjenige, was das<br />
Gehirn tut, auch wenn dieses Gehirn perfiderweise dem Ich die entsprechende Illusion verleiht.“<br />
Auch WOLF SINGER vertritt diese Ansicht, wenn er meint: „Wir sind nicht frei zu wollen, was wir wollen. Das<br />
menschliche Handeln ist durch die neuronalen Verschaltungen <strong>im</strong> Gehirn festgelegt.“ Interessanterweise befürworten<br />
aber beide Neurowissenschaftler die Notwendigkeit strafrechtlicher Ahndung. So führte ROTH in einer<br />
Diskussion mit dem Moraltheologen EBERHARD SCHOCKENHOFF aus, dass Täter verurteilt werden müssen 1 ). Es<br />
gebe eine Definition von Freiheit, die zum Strafrecht <strong>und</strong> zu den Gesetzmäßigkeiten der Neurowissenschaften<br />
passe: eine Art praktische Freiheit, die unberührt von der Frage bleibe, ob der freie Wille eine Illusion sei. SINGER<br />
argumentiert, dass ein freier Wille nur dann existiere, wenn auf der Plattform des Bewusstseins durch Abwägen<br />
von Argumenten eine Entscheidung gefällt werde. Argumente, die bewusst gemacht werden könnten, entstammten<br />
allerdings dem deklarativen Gedächtnis, das erworbenes soziokulturelles Wissen beinhalte. Das alles müsse<br />
dann ohne Einschränkung durch übermächtige Triebstruktur, <strong>Drogen</strong> oder Hirnverletzungen ablaufen.<br />
Aber auch wenn man unterstelle, dass es keinen freien Willen gebe, bleibe die Person als Verursacher für ihre<br />
Taten verantwortlich <strong>und</strong> man werde Straftäter weiterhin zur Rechenschaft ziehen <strong>und</strong> versuchen, sie durch Erziehungsmaßnahmen<br />
<strong>und</strong> Strafandrohung dazu zu bringen, sich nicht mehr so zu verhalten <strong>und</strong> bei großer Gefährlichkeit<br />
müsse man sie ihrer Freiheit berauben, um sich vor ihnen zu schützen.<br />
Halten wir also fest: Auch wenn Vertreter einer neurowissenschaftlich geprägten Auffassung, menschliches<br />
Handeln sei weitgehend terminiert, dem freien Willen skeptisch bzw. ablehnend <strong>gegen</strong>überstehen, bejahen sie die<br />
Mittel des Strafrechts. Allerdings meinte SINGER, dass man nachsichtiger mit Straftätern umgehen müsse, weil sie<br />
selbst Opfer einer ungünstigen Konstellation von Genen, Entwicklungsfehlern, frühen Prägungen <strong>und</strong> ähnlichem<br />
seien.<br />
Hier nun setzt die Aufgabe der Rechtsmedizin an, zur Frage des Vorsatzes bei Trunkenheitsfahrten fachlich<br />
etwas beizutragen. Juristisch erscheint mir die <strong>gegen</strong>wärtige Situation klar: Wie ein roter Faden zieht sich durch<br />
die obergerichtliche Rechtsprechung der vergangenen Jahre der Leitsatz: Bei Trunkenheit <strong>im</strong> Verkehr kann die<br />
Annahme einer vorsätzlichen Tat nicht allein auf die Höhe der BAK gestützt werden, so zuletzt das Brandenburgische<br />
OLG in seinem Beschluss vom 01. 06. 2009 2 ). Es nahm dabei Bezug auf Entscheidungen des BGH <strong>und</strong> der<br />
OLG's Hamm, Frankfurt am Main, Karlsruhe, Köln, Naumburg, Saarbrücken <strong>und</strong> Zweibrücken. Danach existiere<br />
kein Erfahrungssatz, dass derjenige, der in erheblichen Mengen <strong>Alkohol</strong> getrunken habe, seine Fahruntüchtigkeit<br />
auch erkenne. Vielmehr müssten weitere Umstände hinzutreten <strong>und</strong> dargelegt werden, die neben dem <strong>Alkohol</strong>isierungsgrad<br />
einen Schluss auf die Bewusstseinslage des Täters zuließen. Das OLG Naumburg 3 ) hat dabei in<br />
seiner Entscheidung vom 06. 09. 2000 noch hinzugefügt: Aus Gründen der Verfahrensökonomie sei es angezeigt,<br />
bei Alltagsdelikten wie Trunkenheit <strong>im</strong> Verkehr bei einer BAK ab 2 ‰ regelmäßig § 21 StGB schematisch anzuwenden.<br />
Roma locuta, causa finita?<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Sup 4 Supplement<br />
Nun, ich wäre wohl nicht eingeladen worden, wenn keine Veranlassung bestünde, über die Problematik nicht<br />
mehr nachzudenken <strong>und</strong> zwar aus juristischer wie medizinischer Sicht. Ich könnte es mir einfach machen <strong>und</strong><br />
sagen: Besuchen Sie doch einfach unsere zahlreichen Trinkversuche, dann wissen Sie, was Sache ist. So wie es<br />
eine ständige Rechtsprechung zu dieser Frage gibt, so gibt es eine ständige medizinische Beobachtung bei Trinkversuchen:<br />
Bei mehr als 0,5 ‰, aber weniger als 1 ‰ sind die Probanden beeindruckt von der <strong>Alkohol</strong>wirkung<br />
<strong>und</strong> beteuern, unter keinen Umständen würden sie sich jetzt ans Steuer setzen. Je mehr sie die 1 ‰-Grenze übersteigen,<br />
desto mehr ändern sie ihr Verhalten: Mit lärmender Euphorie <strong>und</strong> grenzenloser Selbstüberschätzung verlangen<br />
sie dann die Durchführung von Fahr- <strong>und</strong> Geschicklichkeits-Tests, um zu beweisen, dass sie noch vollkommen<br />
klar <strong>und</strong> geschickt genug seien, jede Situation, schl<strong>im</strong>mstenfalls auch die Teilnahme am Straßenverkehr,<br />
zu meistern. Aber was steckt medizinisch dahinter <strong>und</strong> hat das einen Bezug zum juristischen Schuldbegriff?<br />
Nun, man muss nur einmal die Festschrift von HANSKARL SALGER 4 ) zu seinem Abschied aus dem Amt als<br />
Vizepräsident des BGH zur Hand nehmen. Darin finden sich zwei Artikel zum Vorsatz bei Trunkenheitsfahrten,<br />
einer aus der Feder von Generalb<strong>und</strong>esanwalt NEHM, einer von mir selbst. Beide Artikel nahmen die Anregung<br />
SALGERS, sich doch in der Rechtsprechung eindrücklicher mit der inneren Tatseite bei Trunkenheitsfahrten zu beschäftigen,<br />
zum Anlass, das Problem aus der jeweiligen fachlichen Sicht zu beleuchten. SALGER hatte 1993 in<br />
einer Arbeit in der Deutschen Richterzeitung 5 ) die Rechtsprechung der OLG's kritisiert <strong>und</strong> zur Diskussion gestellt,<br />
ob nicht die versicherungsrechtlichen Folgen, die sich aus der Bejahung einer Vorsatztat ergeben würden,<br />
eine größere präventive Wirkung entfalteten als die Sanktionen des Strafrechts. Er kritisierte in diesem Zusammenhang<br />
die Meinung der medizinischen Sachverständigen, dass bei einer BAK von mehr als 1,3 ‰ der<br />
Kraftfahrer nicht mehr in der Lage sein solle, seine Fahruntüchtigkeit zu erkennen <strong>und</strong> sie – jedenfalls bedingt<br />
vorsätzlich – in Kauf zu nehmen. Einen eklatanten Widerspruch sah er in der medizinischen Begutachtung dieser<br />
Frage <strong>im</strong> Gegensatz zur allgemeinen Begutachtung der Schuldfähigkeit bei BAK-Werten von mehr als 2 ‰.<br />
Herr NEHM kam in seiner Arbeit zusammenfassend zu der Meinung, dass eine realistische Sicht der Dinge dem<br />
Richter praxistaugliche <strong>und</strong> angemessene Wege zur Begründung von Vorsatz <strong>und</strong> Fahrlässigkeit bei Trunkenheitsfahrten<br />
nach § 316 StGB eröffne. Für die weit überwiegende Anzahl der Trunkenheitsfahrten genügten zur<br />
Begründung des Regelfalles von Vorsatz relativ einfache Feststellungen. Nur in den Fällen, in denen der Kraftfahrer<br />
über den Status seiner alkoholischen Beeinflussung <strong>im</strong> Unklaren sei, bedürfe es eines besonderen Begründungsaufwandes.<br />
Ich da<strong>gegen</strong> vertrat die Meinung, dass es sich bei der Beurteilung der inneren, subjektiven Tatseite nicht nur<br />
juristisch generell um eine außerordentlich schwierige Aufgabe handele – speziell bei der Abgrenzung von bedingtem<br />
Vorsatz <strong>und</strong> bewusster Fahrlässigkeit – sondern auch die medizinische Frage der Begutachtung der Voraussetzungen<br />
eingeschränkter oder aufgehobener Schuldfähigkeit so vielschichtig <strong>und</strong> komplex sei, dass man, <strong>im</strong><br />
Hinblick darauf, dass Rechtsprechung nicht nur gerecht, sondern auch praktikabel, verständlich, vertretbar <strong>und</strong><br />
bezahlbar sein müsse, bei dieser Straftat <strong>im</strong> Regelfall von Fahrlässigkeit ausgehen sollte. Einig sah ich mich insofern<br />
mit SALGERs Ausführungen, er verschließe sich nicht dem Argument, dass schon wegen der Überlastung<br />
der Justiz es nicht zu verantworten wäre, die Vorsatzfrage intensiver als bisher zu prüfen.<br />
Wenn nun wieder einmal die Vorsatzproblematik aufgegriffen wird, kann ich zu meinen damaligen Argumenten<br />
nur aus medizinischer Sicht die neuesten Erkenntnisse der neurophysiologischen Forschung noch hinzufügen.<br />
Es besteht kein Zweifel, dass <strong>Alkohol</strong> das voluntative Element einer Handlung viel stärker beeinflusst als<br />
das situative Erkennen, also das Hemmungsvermögen stärker betroffen ist als die Einsichtsfähigkeit. Allerdings<br />
darf man daran erinnern, dass schon der bekannte Psychiater KURT SCHNEIDER Ende der 40er Jahre in einer noch<br />
heute lesenswerten Arbeit zur Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit Folgendes schrieb 6 ):<br />
„Dem Text des § 51 – heute entsprechend § 20 StGB – liegt eine Psychologie der Handlung zugr<strong>und</strong>e, die<br />
lebensfern ist <strong>und</strong> sich mit der heutigen psychologischen Auffassung nicht vereinigen lässt. Er gliedert die Handlungen<br />
in einen rationalen, intellektuellen Teil <strong>und</strong> den der Willensentscheidung. Er meint, der Handelnde überlege<br />
sich vorher, ob die Handlung richtig oder falsch, erlaubt oder verboten sei <strong>und</strong> darauf gegründet, aber überlegt,<br />
erfolge dann der Entschluss zur Handlung. So soll gewiss ein vernünftiger Mensch handeln, so verlangen es<br />
Eltern <strong>und</strong> Lehrer – aber so handelt in Wirklichkeit fast nie jemand. Und wenn die Menschen stets so handeln<br />
wollten, wären sie wie Zwangsmenschen, die überhaupt nicht von der Stelle kämen. Eine solche Unterteilung<br />
menschlicher Handlungen kommt nur dem Bedürfnis der Juristen ent<strong>gegen</strong>, Schuld <strong>und</strong> Strafe begründen zu wollen.“<br />
Man mag dem ent<strong>gegen</strong> halten, hier spreche halt der juristische Laie, aber auch unter den Juristen gab <strong>und</strong><br />
gibt es Deterministen wie VON LISZT <strong>und</strong> seine Schüler GUSTAV RADBRUCH, ENGISCH oder NOWAKOWSKI <strong>und</strong> Agnostiker<br />
wie ROXIN. Was also mag nun die Neurophysiologie Neues beizutragen?<br />
Zunächst soll noch einmal WOLF SINGER zitiert werden: In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung antwortete<br />
er auf die Frage, ob nach seiner Einschätzung das Ich nicht wirklich frei sei, sich bewusst für eine best<strong>im</strong>mte<br />
Handlungsalternative zu entscheiden, folgendermaßen: „Wo ereignet sich denn das bewusste Überlegen?<br />
In der Großhirnrinde. Und wer überlegt da? Komplexe neuronale Netzwerke, die über die Hirnrinde verteilt<br />
sind <strong>und</strong> in denen genetische <strong>und</strong> durch Erfahrungen eingeprägte Vorgaben <strong>und</strong> Regeln existieren. Die Netzwerkzustände<br />
werden beeinflusst durch Wissen, das aus dem Gedächtnis abgerufen wird <strong>und</strong> von Argumenten,<br />
die man vielleicht gerade erst gehört hat, sowie von Zwischenergebnissen des Abwägungsprozesses, die <strong>im</strong> Kurz-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Supplement<br />
Sup 5<br />
zeitspeicher liegen. Aber das alles basiert auf neuronalen Erregungsmustern, die untereinander um einen möglichst<br />
kohärenten Zustand rangeln. Ein mehr oder weniger großer Anteil dieses Prozesses wird uns dabei bewusst.<br />
Der Umstand, dass sich dieser Prozess an die Naturgesetze halten muss, bedingt, dass er selbst determiniert sein<br />
muss.“ 7 )<br />
Wenn SINGER nun auf die Arbeit komplexer neuronaler Netzwerke bei allen menschlichen Handlungen abhebt,<br />
dann muss man sich auch vor Augen führen, wie diese Netzwerke funktionieren, also ihre anatomische <strong>und</strong> physikochemische<br />
Arbeitsgr<strong>und</strong>lage. Bereits in meinem Beitrag in der Festschrift für SALGER hatte ich die damals bekannten<br />
Gr<strong>und</strong>lagen grob skizziert. Heute ist die Forschung natürlich wieder weiter <strong>und</strong> ich möchte einiges von<br />
dem, was man zwischenzeitlich weiß, in stark vereinfachter Form wiedergeben. Gr<strong>und</strong>lage dieser Netzwerke<br />
sind die Neuronen, also die Nervenzellen, die <strong>gegen</strong>über allen anderen Zellen des menschlichen Körpers zwei<br />
Besonderheiten aufweisen: Sie können bioelektrische Signale erzeugen <strong>und</strong> diese Signale über unendlich viele<br />
Vernetzungen mit anderen Nervenzellen, sog. Synapsen, weitergeben. Die Weitergabe dieser Signale an den<br />
Synapsen erfolgt mittels spezieller chemischer Überträgersubstanzen, sog. Neurotransmitter. Beispielhaft seien<br />
folgende wichtigen Neurotransmitter genannt: Dopamin, Katecholamine, d. h. Adrenalin <strong>und</strong> Noradrenalin,<br />
Gammaaminobuttersäure, abgekürzt GABA, Glutamat <strong>und</strong> Serotonin. Diese Neurotransmitter sind an unterschiedlichen<br />
anatomischen Regionen des Gehirns besonders stark vertreten <strong>und</strong> da die Aufgabenteilung für mentale<br />
<strong>und</strong> motorische Leistungen <strong>im</strong> Gehirn auch anatomisch streng lokal differenziert ist, wirken sich Störungen<br />
jedweder Art, seien sie nun traumatisch, infolge einer natürlichen inneren Erkrankung oder durch toxische Substanzen,<br />
unterschiedlich aus. Es kann nämlich <strong>im</strong> umschriebenen lokalen Bereich zu einem Neuronenverlust oder<br />
zur Schädigung der Synapsen kommen, es kann aber auch zu einer Beeinflussung der Überträgersubstanzen, also<br />
der Neurotransmitter, kommen. Die spezifische Wirkung von <strong>Alkohol</strong> auf die Gehirntätigkeit wird nun seit vielen<br />
Jahren auf seine Wirkung an den Synapsen zurückgeführt, er wird als Synapsengift bezeichnet.<br />
Was man bisher hinsichtlich seiner Wirkung auf die einzelnen Transmitter weiß, ist noch relativ spärlich. Wie<br />
Vieles in den Naturwissenschaften <strong>und</strong> der Medizin, folgt das Ergebnis chemischer Prozesse einer Dosis-Wirkungs-Beziehung,<br />
aber nicht in rein linearer Form. So hat <strong>Alkohol</strong>, der pharmakologisch zu den Narkotika gerechnet<br />
wird, zwar typischerweise vier Wirkungsphasen, nämlich die Phasen Analgesie, Exzitation, Toleranz <strong>und</strong><br />
Asphyxie, was bedeutet, dass es zunächst zu einer aktivierenden <strong>und</strong> belebenden Wirkung, dann einem Zustand<br />
der Erregung, schließlich zu einer dämpfenden <strong>und</strong> zuletzt zu einer lähmenden, <strong>im</strong> schl<strong>im</strong>msten Falle tödlich-lähmenden<br />
Wirkung kommt. Diese Phasen sind aber nicht streng an Promillegrade <strong>im</strong> Blut gekoppelt, sondern es<br />
besteht eine sog. stochastische Abhängigkeit, vereinfacht gesagt: Je höher die Promille, desto eher wird eine höhere<br />
Wirkungsphase erreicht. Wichtig ist auch zu wissen, dass in Abhängigkeit von der <strong>Alkohol</strong>konzentration<br />
der <strong>Alkohol</strong> agonistisch oder antagonistisch zu manchen Neurotransmittern wirken kann.<br />
Beispielhaft sei für einige der genannten Neurotransmitter die Wirkung des <strong>Alkohol</strong>s kurz skizziert:<br />
1. Für die Gammaaminobuttersäure (GABA) wirkt <strong>Alkohol</strong> als Agonist, d. h., er wirkt gleichsinnig. Diese Substanz<br />
ist sehr stark an hemmenden Interneuronen wirksam. Darunter versteht man, dass die Reizweiterleitung<br />
unter den Nervenzellen gebahnt oder gehemmt werden kann durch zwischengeschaltete Nervenzellen. Werden<br />
Reize in der Weiterleitung gehemmt, spricht man von hemmenden Interneuronen. Das gilt nicht nur für sensomotorische<br />
Vorgänge, also für die Aufnahme von Sinnesreizen <strong>und</strong> deren Beantwortung, sondern offenbar<br />
auch für mentale Vorgänge, also das, was wir global als Psyche bezeichnen. Wenn man sich nun vorstellt, dass<br />
<strong>im</strong> Laufe des Erwachsenwerdens durch Erziehung viele spontane Reaktionen, die dem Menschen noch als<br />
Kind zu eigen sind, verändert werden, indem sie durch ein hochwertiges Kritikvermögen blockiert werden,<br />
dann dürfte dies <strong>im</strong> Wesentlichen auf die Wirkung solcher hemmenden Interneurone zurückzuführen sein.<br />
Übertragen auf juristisches Denken bedeutet dies, dass speziell der voluntative Teil menschlichen Handelns,<br />
der ja wesentliche Folge erzieherischer Maßnahmen ist, durch eine Substanz, die die Gammaaminobuttersäure<br />
beeinflusst, wesentlich verändert werden kann. Die angstlösende Wirkung des <strong>Alkohol</strong>s wird neuropharmakologisch<br />
mit der agonistischen Wirkung für GABA an den hemmenden Interneuronen in Verbindung<br />
gebracht. Daraus resultiert dann die Sedierung <strong>im</strong> Sinne der Schlafinduktion, aber auch die Beruhigung, wenn<br />
gesellschaftliche Verbote, hier <strong>im</strong> Sinne strafrechtlicher Verbote, übergangen werden.<br />
2. Für den Transmitter L-Glutamat wirkt <strong>Alkohol</strong> da<strong>gegen</strong> antagonistisch. Da Glutamat eine erregende Wirkung<br />
an den Synapsen entfaltet, werden exzitatorische Prozesse, in Abhängigkeit von der Konzentration,<br />
reduziert.<br />
3. Für Serotonin wirkt <strong>Alkohol</strong> als Agonist. Da Serotonin wirksam ist <strong>im</strong> Rahmen der Emotionalität, bei<br />
Aggression, Suizidalität <strong>und</strong> Impulskontrolle, erklärt dies die teils euphorisierende, teils depressiv st<strong>im</strong>mende<br />
Wirkung des <strong>Alkohol</strong>s.<br />
4. Gegenüber Dopamin wirkt <strong>Alkohol</strong> in niedriger Dosierung als Agonist, in hoher Dosierung als Antagonist,<br />
indem er zwar die Synthese anregt, aber die Freisetzung verhindert. Das hat Einfluss auf Emotionen, speziell<br />
lustbetonte Gefühlsregungen.<br />
Wenn nun WOLF SINGER, wie ich eingangs zitierte, die Meinung äußerte, ein freier Wille existiere nur dann,<br />
wenn auf der Plattform des Bewusstseins durch Abwägen von Argumenten, die aus dem deklarativen Gedächtnis<br />
stammten, eine Entscheidung gefällt werde <strong>und</strong> betonte, dass dies dann ohne Einschränkung durch übermächtige<br />
Triebstruktur, <strong>Drogen</strong> oder Hirnverletzungen ablaufen müsse, dann ist damit unser Thema zentral angespro-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Sup 6 Supplement<br />
chen. Denn <strong>Drogen</strong> einschließlich <strong>Alkohol</strong> bringen das neuronale Netzwerk bekanntermaßen stark durcheinander.<br />
Wir stehen damit vor der Tatsache, dass in der Neurophysiologie außerordentlich komplexe elektrochemische<br />
Vorgänge zu beurteilen sind, die auf ein ebenso kompliziertes Netzwerk treffen, von dem einige<br />
Spitzenforscher behaupten, dass es die Idee vom freien Willen des Menschen zur Illusion mache. Auf der anderen<br />
Seite gehört unser heutiges Thema in der Strafrechtslehre zu den schwierigsten Fragen überhaupt. Die Frage,<br />
in welcher Weise der Eventualvorsatz sich inhaltlich best<strong>im</strong>men <strong>und</strong> damit von der bewussten Fahrlässigkeit<br />
abgrenzen lässt, ist eine der strittigsten des allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches. Da existieren – um eine<br />
knappe Zusammenfassung aus einem Artikel von ARTKÄMPER <strong>im</strong> <strong>Blutalkohol</strong> des Jahres 2000 8 ) zu zitieren – die<br />
Möglichkeitstheorie, die Wahrscheinlichkeitstheorie, die Theorie vom nicht betätigten Vermeidewillen, die<br />
Gleichgültigkeitstheorie, die Ernstnahmetheorie <strong>und</strong> schließlich die Billigungstheorie. Dazu kommt, dass das<br />
Strafgesetzbuch bei § 316 das Vorsatzdelikt nach Abs. 1 <strong>und</strong> das Fahrlässigkeitsdelikt nach Abs. 2 vom Strafrahmen<br />
her gleich behandelt. In der einschlägigen Kommentierung wird dies damit gerechtfertigt, dass hinter der<br />
hohen abstrakten Gefährlichkeit der Tat der Schuldgr<strong>und</strong>satz zurücktrete.<br />
Besonders problematisch erscheint mir allerdings das Abstellen des Vorsatzes auf das Wissen des <strong>Alkohol</strong>isierten<br />
über seine Fahrunsicherheit oder zumindest deren Möglichkeit. Wenn man nämlich den juristischen Laien<br />
befragt, weshalb er sich nach <strong>Alkohol</strong>genuss in einer best<strong>im</strong>mten Menge nicht mehr ans Steuer setze, so hört man<br />
in der Regel die Begründung, dass man nach <strong>Alkohol</strong>genuss nicht mehr fahren dürfe, sonst verliere man den Führerschein.<br />
Es ist also nicht die Einsicht, fahrunsicher zu sein, die zum normgerechten Verhalten führt, sondern die<br />
Angst vor dem Verlust des Führerscheins. Das allerdings beinhaltet nach herrschender Meinung nicht das Wissen<br />
oder das billigende Inkaufnehmen der Fahrunsicherheit <strong>und</strong> damit nicht den Vorsatzbegriff. Diskutiert man –<br />
ohne juristischen Hintergr<strong>und</strong> – mit alkoholisierten Fahrern, ob sie jetzt an sich feststellten, fahrunsicher zu sein,<br />
dann hört man oft das Argument, man sei so schon oft nach Hause gefahren <strong>und</strong> es sei nie etwas passiert, das zeige<br />
doch, dass es eben unterschiedliche Trinkfestigkeiten gebe.<br />
In diesem Zusammenhang muss auch bedacht werden, dass für den medizinischen Laien der Grenzwert, bei<br />
dem das abstrakte Gefährdungsdelikt des Fahrens unter <strong>Alkohol</strong>einfluss von der Ordnungswidrigkeit in die Straftat<br />
übergeht, ja nicht erkennbar ist, wenn er nicht an sich selbst erhebliche motorische Ausfallserscheinungen<br />
wahrn<strong>im</strong>mt. Insofern betrifft die Angst, den Führerschein verlieren zu können, auch den Tatbestand des § 24a<br />
StVG <strong>und</strong> kann nicht als Indiz für den Vorsatz bei Verwirklichung der Straftat nach § 316 StGB herangezogen<br />
werden.<br />
Noch problematischer ist die Einsicht in die Fahrunsicherheit bei der Einnahme best<strong>im</strong>mter Betäubungsmittel,<br />
speziell bei den Weckaminen wie Amphetamin. Die Wirkung vermittelt ja subjektiv das Gefühl erhöhter Aufnahmebereitschaft<br />
<strong>und</strong> verbesserter Konzentrationsfähigkeit. Motorische Ausfallserscheinungen wie bei <strong>Alkohol</strong><br />
fehlen bei den meisten Betäubungsmitteln.<br />
Ein weiterer Aspekt, der in die Überlegungen zu unserem Thema einfließen muss, ist die Tatsache, dass die<br />
durchschnittliche <strong>Alkohol</strong>isierung aller einschlägigen Täter in Deutschland bei 1,4 ‰ liegt. Wer jemals selbst an<br />
einem Trinkversuch teilgenommen hat <strong>und</strong> solche Promillewerte erreicht hat, der kann nachvollziehen, dass der<br />
Psychologe STEPHAN in diesem Zusammenhang <strong>im</strong>mer davon gesprochen hat, es handele sich nicht um trinkende<br />
Fahrer, sondern fahrende Trinker. Für diesen Personenkreis ist bereits anzunehmen, dass ein <strong>Alkohol</strong>missbrauch<br />
vorliegt, auch wenn bisher <strong>im</strong> Verwaltungsrecht dies erst ab erreichten 1,6 ‰ unterstellt wird. Wenn man<br />
dann die bei <strong>Alkohol</strong> <strong>und</strong> fast allen anderen berauschenden Mitteln bekannte Toleranzentwicklung berücksichtigt,<br />
dann ist die subjektive Erkenntnis, fahrunsicher zu sein, eher nicht zu erwarten. Wir haben es doch in der<br />
Praxis häufig mit Pegeltrinkern zu tun, die alle Verrichtungen des täglichen Lebens mit ihrem gewohnten <strong>Alkohol</strong>pegel<br />
problemlos bewältigen. Für diese Tätergruppe müsste man logischerweise fordern, dass ihre <strong>Alkohol</strong>ismusmarker<br />
gleich mitgetestet würden, um sie ggf. vom Vorsatzvorwurf zu entlasten, wobei man gleichzeitig die<br />
Voraussetzungen für den Gang zur MPU schaffen würde. Würde die Rechtsmedizin so etwas fordern, dann höre<br />
ich schon wieder aus berufenem M<strong>und</strong>e den Vorwurf, es ginge uns nur um die Nebeneinnahmen.<br />
Noch ein letzter Punkt erscheint mir bedenkenswert: Die Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr beinhaltet<br />
ja nicht nur die abstrakte Gefährdung der anderen, sondern auch des <strong>Alkohol</strong>isierten selbst. Wer das Verhältnis<br />
des Deutschen zu seinem Auto kennt, der kann sich nur w<strong>und</strong>ern, dass man bei Annahme des Vorsatzes für<br />
eine Trunkenheitsfahrt unterstellen will, der Betreffende habe die Beschädigung oder Zerstörung des eigenen<br />
Autos bewusst vor sich gesehen <strong>und</strong> zumindest billigend in Kauf genommen.<br />
Wenn ich eingangs gesagt habe, als Mediziner fehle mir die Kompetenz, zu Vorsatz <strong>und</strong> Fahrlässigkeit Aussagen<br />
zu machen, weil dies rein juristische Wertungen seien, so werden sie mir nun vorhalten können, dass gerade<br />
die zuletzt vorgetragenen Überlegungen ja dem Juristen vorbehalten bleiben müssten. Ich sehe dies allerdings so,<br />
dass meine Überlegungen sich auf die Begriffe des Einsichtsvermögens <strong>und</strong> ganz speziell der Steuerungsfähigkeit<br />
unter dem Einfluss einer Noxe, sei es nun <strong>Alkohol</strong> oder andere berauschende Mittel, beziehen. Das ist nun<br />
aber eine Fragestellung, zu der wir täglich vor Gericht Stellung nehmen. ROXIN hat in einem Beitrag zur Festschrift<br />
für SPANN 9 ) dazu ausgeführt, es sei ein Missverständnis, dass der medizinische Sachverständige dabei eine<br />
Äußerung zur Willensfreiheit oder auch nur zum individuellen Anders-Handeln-Können abgebe. In Wirklichkeit<br />
gehe es darum, ob <strong>und</strong> ggf. inwieweit der Täter zum Tatzeitpunkt normativ ansprechbar war <strong>und</strong> er zitiert SCHREI-<br />
BER, der dazu ausführte, es gehe bei der medizinischen Begutachtung solcher Fälle um die Frage, ob die Rechts-<br />
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Supplement<br />
Sup 7<br />
norm überhaupt die Möglichkeit hatte, <strong>im</strong> Motivationsprozess des Täters wirksam zu werden. Die Aufgabe des<br />
Gutachters liege darin, am seelischen Zustand des Täters aufzuzeigen, ob dieser ein tauglicher Normadressat gewesen<br />
sei.<br />
Wenn ich mir alle vorgetragenen Gesichtspunkte vor Augen halte <strong>und</strong> dann noch berücksichtige, dass bei<br />
einem Massendelikt wie der Trunkenheit <strong>im</strong> Straßenverkehr auch Fragen der Prozessökonomie nicht außer Acht<br />
bleiben dürfen, dann bleibe ich bei meiner bereits früher geäußerten Auffassung, dass man bei diesen Straftaten<br />
<strong>im</strong> Regelfall von Fahrlässigkeit ausgehen sollte. Bietet der Einzelfall unumstößliche Gewissheit einer Vorsatztat,<br />
dann ist es selbstverständlich, dass der Richter entsprechend entscheidet.<br />
Völlig einig weiß ich mich mit KÖNIG 10 ), wenn er <strong>im</strong> Leipziger Kommentar zu § 316 schreibt, die Rechtsprechung<br />
der Oberlandesgerichte sei oft Gegenstand der Kritik, die bei TRÖNDLE/FISCHER in den Vorwurf kulminiere,<br />
es habe sich <strong>im</strong> amtsgerichtlichen Massengeschäft eine der Gerechtigkeit <strong>und</strong> dem Ansehen der Justiz<br />
abträgliche Deal-Praxis herausgebildet, um dann fortzufahren: Auch <strong>im</strong> Rahmen des § 316 dürften solche<br />
Phänomene freilich weniger auf die Bequemlichkeit der Tatrichter oder die Lässigkeit <strong>und</strong> Ignoranz der Oberlandesgerichte<br />
zurückgehen als auf die Schwierigkeit der Beweisführung. Man sollte sich davor hüten, vorgeblich<br />
einfache Lösungen zu präsentieren, um es dann zu skandalisieren, wenn der Lösungsweg als zu einfach verworfen<br />
wird.<br />
Fußnoten<br />
1 ) „Das Hirn trickst das Ich aus.“ Spiegelgespräch Gerhard Roth <strong>und</strong> Eberhard Schockenhoff. Spiegel 52/2004.<br />
2 ) Beschluss des Brandenburgischen OLG vom 10. 06. 2009. BA 47/2010, S. 33 ff.<br />
3 ) Abgedruckt <strong>im</strong> BA 2001, 457.<br />
4 ) Nehm, K: Kein Vorsatz bei Trunkenheitsfahrten? Eisenmenger, W: Anmerkungen aus rechtsmedizinischer<br />
Sicht zu Vorsatz <strong>und</strong> Fahrlässigkeit bei Trunkenheitsfahrten. In: Festschrift Hanskarl Salger (Hrsg: A Eser et<br />
al) Carl Heymanns Verlag KG. Köln usw. 1995.<br />
5 ) Salger, H: Zum Vorsatz bei Trunkenheitsfahrt. DRiZ, August 1993, S. 314 ff.<br />
6 ) Schneider, K: Die Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit. Thieme Verlag, Stuttgart 1953.<br />
7 ) Singer, W: „Der Wille ist nur ein gutes Gefühl.“ Interview von Markus C. Schulte von Drach. SZ 25. 04. 2006.<br />
8 ) Artkämper, H: Das Phänomen vorsätzlicher Trunkenheitsfahrten, Probleme der Schuld(un)fähigkeit <strong>und</strong><br />
der vertikalen <strong>und</strong> horizontalen Teilrechtskraft. Zugleich eine Anmerkung zu OLG Köln, Beschluss vom<br />
20. 08. 1999, BA 37/2000, S. 308 ff.<br />
9 ) Roxin, C: Schuldunfähigkeit Erwachsener <strong>im</strong> Urteil des Strafrechts. In: Medizin <strong>und</strong> Recht. Festschrift für<br />
Wolfgang Spann. Springer Verlag 1986, S. 457 ff.<br />
10 ) König, P: Kommentar zu § 316 StGB, Rd. Nr. 181 in: Leipziger Kommentar, de Gruyter, 11. Aufl. 2005.<br />
Anschrift des Verfassers<br />
Prof. Dr. Wolfgang Eisenmenger<br />
ehem. Vorstand des Instituts<br />
für Rechtsmedizin der Universität München<br />
Nußbaumstraße 26<br />
80336 München<br />
Email: rechtsmedizin@med.uni-muenchen.de<br />
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Sup 8 Supplement<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
KURT RÜDIGER MAATZ<br />
Zum Vorsatz bei der Trunkenheitsfahrt * )<br />
Thesen vorweg<br />
• Der BGH hat schon früh die in der Rechtsprechung namentlich der Oberlandesgerichte „auffallend seltene“<br />
Annahme von Vorsatz bei § 316 StGB kritisch „kommentiert“ (BGHSt 22, 192, 200).<br />
• Nach § 316 Abs. 1 StGB genügt bedingter Vorsatz.<br />
• Bei der Abgrenzung von bedingtem Vorsatz <strong>und</strong> bewusster Fahrlässigkeit steht dem Tatrichter ein „revisionsfester“<br />
Beurteilungsspielraum zu.<br />
• Die kontrollierte Trinkmenge ist <strong>im</strong> Bereich „absoluter“ Fahrunsicherheit ein geeignetes Beweisanzeichen<br />
für Vorsatz.<br />
• Weitere Beweisanzeichen für einen (jedenfalls bedingten) Vorsatz sind etwa die Wahrnehmung eigener Fahrfehler,<br />
die Flucht vor der Polizei, die Benutzung von „Schleichwegen“, eine besonders vorsichtige Fahrweise<br />
oder Warnung durch andere Personen vor Antritt der Fahrt oder der Weiterfahrt.<br />
• Die auf das Bewusstsein des unter <strong>Alkohol</strong>einfluss Fahrenden gestützten Einwendungen in der obergerichtlichen<br />
Rechtsprechung stellen <strong>im</strong> Regelfall nicht die Annahme von Vorsatz in Frage, sondern berühren allein<br />
den Verschuldensgrad.<br />
• Bei natürlicher Betrachtungsweise ist Vorsatz bei „absoluter“ Fahrunsicherheit die Regel <strong>und</strong> Fahrlässigkeit<br />
die Ausnahme.<br />
• Auf „<strong>Drogen</strong>fahrten“ sind die (bedingten) Vorsatz bei „<strong>Alkohol</strong>fahrten“ begründenden Indizien nicht ohne<br />
weiteres übertragbar.<br />
1. Einleitung<br />
Die Thematik „Vorsatz bei der Trunkenheitsfahrt“ ist alles andere als neu 1 ) – <strong>und</strong> doch ersichtlich noch <strong>im</strong>mer<br />
aktuell. Dabei dürften angesichts des bereits seit Jahrzehnten „schwelenden“ Streit<strong>gegen</strong>standes die Argumente<br />
eigentlich ausgetauscht sein. Zudem dürfte es wahrlich „ernstere“ Probleme <strong>im</strong> Strafrecht geben als gerade diese<br />
Frage, die zudem schon Züge eines akademischen Glasperlenspiels trägt, weil das Gesetz – ungewöhnlich genug<br />
– für die vorsätzliche „Trunkenheitsfahrt“ (§ 316 Abs. 1 StGB) exakt denselben Strafrahmen (Geldstrafe oder<br />
Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr) vorsieht wie für die fahrlässige Begehung (Absatz 2 der Vorschrift) <strong>und</strong> auch<br />
die Regelwirkung der Entziehung der Fahrerlaubnis (§§ 69, 69a StGB) nicht nach vorsätzlicher oder fahrlässiger<br />
Begehung unterscheidet. Wenn gleichwohl das Thema <strong>im</strong>mer noch – auch heute wieder – auf der Tagesordnung<br />
steht, so wegen der schon skurril erscheinenden „Gefechtslage“, die grob mit „die Oberlandesgerichte <strong>gegen</strong> den<br />
Rest der Welt“ umschrieben werden könnte, wobei den „Rest der Welt“ nicht nur weite Teile der tatgerichtlichen<br />
Rechtsprechung, sondern ebenso namhafte St<strong>im</strong>men <strong>im</strong> Schrifttum bilden. Man mag über die tieferen Gründe für<br />
diese Divergenz sinnieren. Unbestreitbar ist jedenfalls der Einfluss der Rechtschutzversicherungen der Betroffenen<br />
auf den Nachdruck, mit dem bis in die <strong>und</strong> in der Revisionsinstanz um diese Frage gefochten wird.<br />
Worum geht es?<br />
Es entspricht seit langem <strong>und</strong> <strong>im</strong>mer noch einhelliger Auffassung in der OLG-Rechtsprechung, dass allein aus<br />
der Höhe der – auch hohen – BAK nicht auf vorsätzliche Begehung geschlossen werden kann 2 ). Dies wird – fast<br />
„gebetsmühlenartig“ – daraus hergeleitet, es gebe „aus medizinischer Sicht keinen Erfahrungssatz, der einen allgemein<br />
gültigen Rückschluss von der Höhe der BAK auf das Bewusstsein der Fahrtüchtigkeit zulässt“ 3 ). Dieses<br />
„Dogma“ gilt es jedoch zu hinterfragen:<br />
Die Bestrafung wegen vorsätzlicher Trunkenheit <strong>im</strong> Straßenverkehr gemäß § 316 Abs. 1 StGB <strong>und</strong> wegen vorsätzlicher<br />
Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a), Abs. 3 Nr. 1 StGB setzt u. a.<br />
voraus, dass die Fahrunsicherheit vom Vorsatz des Täters umfasst ist. Dabei genügt der Vorsatz in der Form des<br />
dolus eventualis. Der Täter muss insoweit damit rechnen, dass er <strong>im</strong> Zeitpunkt des Fahrzeugführens in seiner<br />
Fahrsicherheit durch den vorausgegangenen <strong>Alkohol</strong>genuss <strong>im</strong> Sinne der §§ 316, 315c StGB beeinträchtigt sein<br />
könnte <strong>und</strong> die Möglichkeit billigend in Kauf nehmen. Dass der Täter sich diese Möglichkeit vorgestellt hat, hält<br />
die Rechtsprechung bei absoluter Fahrunsicherheit zwar für naheliegend; dies kann jedoch nicht als Erfahrungs-<br />
* ) Ich widme diesen Beitrag meinem hochverehrten ersten Vorsitzenden des 4. Strafsenats <strong>und</strong> Vizepräsidenten<br />
des <strong>B<strong>und</strong></strong>esgerichtshofs, Dr. h.c. HANNSKARL SALGER, der <strong>im</strong> November 2009 sein achtes Lebensjahrzehnt<br />
vollendet hat. Seine Überlegungen zur Vorsatzfrage bei der Trunkenheitsfahrt (DRiZ 1993, 311 ff.) gaben bereits<br />
dem früheren Generalb<strong>und</strong>esanwalt KAY NEHM <strong>und</strong> dem Rechtsmediziner Prof. Dr. WOLFGANG EISEN-<br />
MENGER Anlass zu wichtigen, wenn auch untereinander <strong>im</strong> Ergebnis kontroversen Beiträgen in der SALGER<br />
zum Abschied aus dem Amt gewidmeten Festschrift (1995; dort NEHM S. 115 ff; EISENMENGER S. 619 ff); sie<br />
sind <strong>im</strong>mer noch für mich leitend <strong>und</strong> maßgebend.
Supplement<br />
Sup 9<br />
satz unterstellt werden, sondern bedarf vor allem hinsichtlich des Wissenselements regelmäßig näherer, der jeweiligen<br />
Sachlage angepasster Begründung. Das voluntative Vorsatzelement bedarf zwar auch eines besonderen<br />
Nachweises. Allerdings wird in der Regel derjenige, der seine Fahrunsicherheit für möglich hält, diese auch in<br />
Kauf nehmen. Da es sich um eine innere Tatsache handelt, kann – sofern der Angeklagte nicht geständig ist – die<br />
Vorstellung des Täters nur aus äußeren Indizien geschlossen werden. Dabei besteht weitgehende Einigkeit darüber,<br />
dass allein aus der Höhe des <strong>Blutalkohol</strong>wertes nicht geschlossen werden kann, der Täter habe seine Fahrunsicherheit<br />
gekannt oder zumindest billigend in Kauf genommen. Es kommt vielmehr auf eine Würdigung aller<br />
Umstände des Einzelfalles an, wobei jedoch umstritten ist, welche Faktoren mit welchem Gewicht in die Abwägung<br />
einzubeziehen sind. Insbesondere ist umstritten, ob die – oft als einziges Beweisanzeichen vorhandene –<br />
Trinkmenge für die Begründung des Vorsatzes allein oder zusammen mit anderen Indizien herangezogen werden<br />
kann. Es handelt sich dabei, was oft übersehen wird, nicht um ein spezifisch verkehrsrechtliches Problem, sondern<br />
um ein solches der allgemeinen Vorsatzdogmatik. Was die Begründungsanforderungen des Vorsatzes <strong>im</strong><br />
Strafurteil angeht, die von den Oberlandesgerichten oftmals überspannt werden oder jedenfalls überspannt worden<br />
sind, handelt es sich um die Reichweite der revisionsrechtlichen Überprüfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung.<br />
Im Einzelnen gilt Folgendes:<br />
Wichtigste <strong>und</strong> oftmals einzige Indizien, aus denen der Vorsatz des Täters gefolgert werden kann, ist das sog.<br />
Trinken in Fahrbereitschaft, d. h. der Täter trinkt <strong>Alkohol</strong>, obwohl er weiß, dass er anschließend noch mit seinem<br />
Pkw fahren wird, <strong>und</strong> dabei – wie gesagt – die Trinkmenge. Der Angeklagte weiß – jedenfalls <strong>im</strong> Regelfall –, wie<br />
viel er getrunken hat <strong>und</strong> muss daher aufgr<strong>und</strong> der Selbstprüfung, zu der er vor Fahrtantritt verpflichtet ist 4 ), seine<br />
Fahrunsicherheit erkannt oder diese jedenfalls für möglich gehalten haben. Gegen die Heranziehung dieses Beweisanzeichens<br />
zur Begründung des Vorsatzes wird – wie angedeutet – geltend gemacht, dies sei mit rechtsmedizinischen<br />
Erkenntnissen nicht in Einklang zu bringen. Insoweit würden nicht die psychischen Veränderungen<br />
berücksichtigt, die in einem Menschen unter <strong>Alkohol</strong>einfluss vor sich gingen <strong>und</strong> deren Ausmaß wiederum mit<br />
der Höhe der <strong>Blutalkohol</strong>konzentration <strong>im</strong> Zusammenhang stünden. Diese Veränderungen beschränkten gerade<br />
bei hoher Promillewerten den Spielraum verantwortlichen Entscheidens <strong>und</strong> die Fähigkeit, den eigenen Defekt<br />
intellektuell zu erfassen. Die Trinkmenge als Maßstab zur Selbstbeurteilung der Leistungsfähigkeit sei daher<br />
schlecht geeignet.<br />
2. Gr<strong>und</strong>sätze der Vorsatzlehre / Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit<br />
Diese Einwände vermögen nicht zu überzeugen, ganz abgesehen davon, dass die jedenfalls längste Zeit auffällige<br />
„Zurückhaltung“ der Oberlandesgerichte in der Bejahung eines Vorsatzes bei (dem vergleichsweise – ausgehend<br />
von der angedrohten Strafobergrenze von einem Jahr Freiheitsstrafe – „harmlosen“ Vorwurf) der Trunkenheitsfahrt<br />
nach § 316 Abs. 1 StGB in deutlichem Gegensatz zu dem letztlich vergleichsweise weiten<br />
Beurteilungsspielraum steht, den der BGH den Tatgerichten bei den Anforderungen an die Bejahung eines (zumindest<br />
bedingten) Vorsatzes bei wirklich gravierenden Straftaten mit hohen Strafandrohungen zubilligt, <strong>und</strong><br />
zwar ungeachtet der „Hemmschwellentheorie“ selbst bei Tötungsdelikten nach §§ 211, 212 StGB 5 ).<br />
Die Einwände in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zu § 316 StGB vermengen in unzulässiger Weise<br />
Vorsatz- <strong>und</strong> Schuldgesichtspunkte miteinander. Auch <strong>im</strong> Bereich der Verkehrsdelikte gelten die allgemeinen<br />
Gr<strong>und</strong>sätze zum Vorsatz. Danach ist Vorsatz das Wissen <strong>und</strong> Wollen der Tatbestandsverwirklichung; Schuld da<strong>gegen</strong><br />
die Vorwerfbarkeit der Tat. Unvorsätzlich handelt der Täter, wenn er einen Umstand nicht kennt, der zum<br />
gesetzlichen Tatbestand gehört (§ 16 StGB); seine Schuld ist vermindert oder gar ausgeschlossen, wenn er unter<br />
den konkreten Umständen nicht fähig war, sich von der Rechtspflicht zu normgemäßem Verhalten best<strong>im</strong>men zu<br />
lassen. Der alkoholisierte, aber nicht schuldunfähige Fahrzeugführer ist jedoch <strong>im</strong> Regelfall aufgr<strong>und</strong> der von<br />
ihm genossenen Trinkmenge in der Lage zu erkennen, dass er nicht mehr fahrtüchtig ist. Er hat damit den Tatbestandsvorsatz.<br />
In diesem Zusammenhang sei noch einmal mit Nachdruck daran erinnert, dass auch für den Tatbestand<br />
des § 316 Abs. 1 StGB der dolus eventualis genügt. 6 ) Diese Schuldform unterscheidet sich nach ständiger<br />
Rechtsprechung von der davon abzugrenzenden bewussten Fahrlässigkeit lediglich darin, dass der bewusst<br />
fahrlässig Handelnde mit der als möglich erkannten Folge (Wissenselement) nicht einverstanden ist <strong>und</strong> deshalb<br />
– nicht nur vage – auf ihren Nichteintritt vertraut (Willenselement), während der bedingt vorsätzlich Handelnde<br />
mit dem Eintreten des schädlichen Erfolges in der Weise einverstanden ist, dass er ihn billigend in Kauf n<strong>im</strong>mt<br />
oder – <strong>und</strong> das scheint mir in diesem Zusammenhang das Entscheidende – sich wenigstens mit der Tatbestandsverwirklichung<br />
abfindet, weil er sein Ziel notfalls auch auf eine ihm an sich unerwünschte Art <strong>und</strong> Weise erreichen<br />
will. 7 ) Dass dem Tatrichter bei dieser Abgrenzung <strong>und</strong> Würdigung zur subjektiven Tatseite ein Beurteilungsspielraum<br />
8 ) zukommt, liegt in der Natur der Sache. Dabei können durchaus auch normative Gesichtspunkte<br />
der Ablehnung von Vorsatz ent<strong>gegen</strong>stehen bzw. – positiv gewendet – die Annahme vorsätzlicher Trunkenheitsfahrt<br />
stützen, etwa „wenn es dem Täter gelingt, sich jedermann offenliegenden Erkenntnissen zu verschließen“ 9 ).<br />
Ganz allgemein müssen die Schlussfolgerungen des Tatrichters – wie der <strong>B<strong>und</strong></strong>esgerichtshof <strong>im</strong>mer wieder betont<br />
– nur möglich sein; zwingend müssen sie nicht sein 10 ). Entsprechend eingeschränkt ist deshalb auch der<br />
revisionsgerichtliche Prüfungsmaßstab. Dies scheint mir in der einschlägigen obergerichtlichen Rechtsprechung<br />
mitunter aus dem Blick zu geraten.<br />
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Sup 10 Supplement<br />
3. Fahrunsicherheit: ein normatives Tatbestandsmerkmal<br />
Bei der objektiv vorliegenden Fahrunsicherheit handelt es sich – wie ausgeführt – um ein normatives Tatbestandsmerkmal.<br />
Der Täter muss die dem normativen Begriff zugr<strong>und</strong>e liegenden Tatsachen kennen <strong>und</strong> auf der<br />
Gr<strong>und</strong>lage dieses Wissens nach Laienart den Sinngehalt des Begriffs richtig erfassen. Für das Tatbestandsmerkmal<br />
Fahrunsicherheit bedeutet dies nicht, dass der Täter die genaue <strong>Blutalkohol</strong>konzentration kennen muss, denn<br />
andernfalls könnten nur Juristen oder Rechtsmediziner den Tatbestand vorsätzlich erfüllen, sondern es muss ihm<br />
bewusst sein, dass die von ihm zu sich genommene Trinkmenge die Grenze zur absoluten Fahrunsicherheit überschritten<br />
haben kann. Dabei dürfen die Anforderungen an die Feststellung zur Bewusstseinsbildung nicht überspannt<br />
werden. Aufgr<strong>und</strong> der verbreiteten Kenntnis nicht nur über die Folgen des <strong>Alkohol</strong>genusses, sondern auch<br />
darüber, wie viel man in etwa trinken „darf“, um noch am Straßenverkehr sicher teilnehmen zu können, ist <strong>im</strong><br />
Normalfall jedermann be<strong>im</strong> Trinken eine solche Grobeinschätzung auch möglich. Es muss sich dabei nicht um<br />
ein reflektiertes Bewusstsein handeln; es genügt ein sachgedankliches Mitbewusstsein 11 ), also ein jederzeit verfügbares<br />
Wissen. Ein derartiges unreflektiertes Wissen ist auch bei einer <strong>Blutalkohol</strong>konzentration von 1,1 ‰ bis<br />
1,9 ‰, die in der Praxis am häufigsten vorliegen dürften, nicht ausgeschlossen, insbesondere ist die intellektuelle<br />
Fähigkeit <strong>im</strong> Regelfall nicht derart beeinträchtigt, dass die <strong>Alkohol</strong>isierung nicht mehr bemerkt wird <strong>und</strong> der<br />
freie Wille gelähmt ist. Das Wissen um die ungefähre Trinkmenge <strong>und</strong> um die Gefahren gerade bei größerem <strong>Alkohol</strong>konsum<br />
liegt oberhalb der Bewusstseinsschwelle, d. h. es bleibt präsent <strong>und</strong> abrufbar 12 ). Das Wissenselement<br />
des Vorsatzes wird deshalb auch bei <strong>Alkohol</strong>mengen, die zu einer höheren BAK als 1,1 Promille führen,<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich gegeben sein <strong>und</strong> nicht etwa bei zusätzlicher <strong>Alkohol</strong>aufnahme – was lebensfremd wäre – plötzlich<br />
in vorsatzausschließender Weise verloren gehen. 13 ) Selbst bei höheren Promillewerten dürften nur in Ausnahmefällen<br />
die intellektuellen Fähigkeiten derart beeinträchtigt sein, dass ein natürlicher Vorsatz nicht mehr gefasst<br />
werden könnte, wie insbesondere die Rechtsprechung zum Vollrausch zeigt. Der Täter muss dort – soll er<br />
nach § 323a StGB bestraft werden – den objektiven <strong>und</strong> subjektiven Tatbestand einschließlich etwaig erforderlicher<br />
Absichten erfüllt haben. Hieran scheitern aber die wenigsten Verurteilungen nach dieser Vorschrift.<br />
Im Übrigen sind die mit dem <strong>Alkohol</strong>genuss einhergehenden Persönlichkeitsveränderungen, insbesondere<br />
die damit verb<strong>und</strong>ene Enthemmung eine Frage der Schuld(fähigkeit); sie berühren aber nicht die Frage des<br />
Vorsatzes.<br />
4. Resorptionsphase <strong>und</strong> El<strong>im</strong>inationsphase<br />
Diese Gr<strong>und</strong>sätze gelten gleichermaßen für die sogenannte Resorptionsphase wie auch für die sogenannte El<strong>im</strong>inationsphase.<br />
In der sogenannten Resorptions- oder Anflutungsphase machen sich die durch <strong>Alkohol</strong>einfluss<br />
verursachten Störungen besonders bemerkbar <strong>und</strong> werden daher von der großen Masse der Kraftfahrzeugführer<br />
auch intellektuell <strong>und</strong> willensmäßig verarbeitet. Aber auch in der El<strong>im</strong>inationsphase gilt letztlich nichts anderes.<br />
Zwar klingen die subjektiven Phänomene schneller ab, als es den durch <strong>Alkohol</strong> verursachten Leistungseinbußen<br />
entspricht. Aber parallel dazu verläuft folgerichtig auch eine geistige Erholung, die nicht zuletzt in einer Wiederzunahme<br />
der Kritikfähigkeit zum Ausdruck kommt <strong>und</strong> dazu befähigt, das Gefühl wiedererlangter Fahrtüchtigkeit<br />
als trügerisch zu erkennen. Er kann insbesondere das Wissen darum nicht ausschalten, auf jeden Fall mehr<br />
als nur ein bis zwei Glas getrunken zu haben. Wenn er auch nicht weiß <strong>und</strong> auch nicht ohne weiteres wissen kann,<br />
zu wie viel Promille konkret seine <strong>Alkohol</strong>aufnahme geführt hat, so weiß er auch keinesfalls <strong>und</strong> ist sich nicht<br />
sicher, ob er schon wieder fahrtüchtig ist. Dies ist vom Gericht insbesondere bei der Einlassung des Angeklagten<br />
zu berücksichtigen, er habe bei der Trunkenheitsfahrt am Morgen nicht mehr den (letzten) <strong>Alkohol</strong>konsum vom<br />
Vorabend gespürt. Allerdings wird bei dieser Fallgestaltung zum Problembereich „Restalkohol“ regelmäßig ein<br />
auch nur bedingter Vorsatz kaum sicher nachweisbar sein <strong>und</strong> deshalb dort eher eine (un)bewusste Fahrlässigkeit<br />
nach § 316 Abs. 2 StGB – mit allerdings demselben Strafrahmen wie nach Absatz 1 – in Betracht kommen 14 ).<br />
In den Normalfällen braucht der Tatrichter jedenfalls keine Ausführungen über die Intelligenz <strong>und</strong> Selbstkritik<br />
eines alkoholisierten Kraftfahrers zu machen. Etwas anderes gilt bei Besonderheiten, etwa wenn<br />
• die <strong>Alkohol</strong>aufnahme für den Täter nicht überschaubar bleibt,<br />
• Trinkende <strong>und</strong> Fahrtbeginn weit auseinander liegen oder<br />
• der Angeklagte den Wirkungsgrad einer Ausnüchterungsphase nach erheblichem <strong>Alkohol</strong>genuss fehlerhaft<br />
einschätzt.<br />
In diesen Fällen leuchtet es auch ein, dass der Vorsatz nicht allein auf die Trinkmenge gestützt werden kann, es<br />
vielmehr hierbei weiterer Beweisanzeichen bedarf 15 ).<br />
5. Trinkmenge als Beweisanzeichen für Vorsatz<br />
Dass die Trinkmenge gr<strong>und</strong>sätzlich ein geeignetes Beweisanzeichen für das Vorliegen des Vorsatzes bei Trunkenheitsfahrten<br />
sein kann, wird auch in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte nicht verkannt. Wenn es<br />
dennoch in signifikant vielen Fällen zu Aufhebungen der amts- oder landgerichtlichen Urteile kommt, liegt dies<br />
daran, dass die Oberlandesgerichte ihre in diesem Zusammenhang auffallend hohen sachlich-rechtlichen Begründungsanforderungen<br />
nicht erfüllt sehen <strong>und</strong> sie nicht ausschließen, dass in Wahrheit nicht aus der Menge des<br />
getrunkenen <strong>Alkohol</strong>s, sondern aus der Höhe des festgestellten <strong>Blutalkohol</strong>s ohne weiteres auf die vorsätzliche<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Supplement<br />
Sup 11<br />
Tatbegehung geschlossen wird. Für die Begründungspflicht des Tatrichters ergibt sich, wenn er den Vorsatz aus<br />
der genossenen Trinkmenge begründen will, Folgendes:<br />
Macht der Angeklagte Angaben zu seinem <strong>Alkohol</strong>konsum, liegt aber eine (verwertbare) Blutprobe nicht vor,<br />
so muss der Tatrichter <strong>im</strong> Rahmen der Beweiswürdigung <strong>im</strong>mer auch bedenken, dass der Angeklagte sich durch<br />
möglichst hohe Angaben mit Blick auf §§ 20, 21 StGB zu entlasten versuchen kann, während es für die Voraussetzungen<br />
der Strafbarkeit nach § 316 StGB auf den niedrigsten Wert ankommt. 16 )<br />
Macht der Angeklagte keine Angaben zu seinem <strong>Alkohol</strong>konsum, liegt aber eine (verwertbare) Blutprobe vor,<br />
kann der Tatrichter ohne weiteres die durch eine Blutprobe festgestellte <strong>Blutalkohol</strong>konzentration in die genossene<br />
<strong>Alkohol</strong>menge umrechnen. 17 ) Er muss aber <strong>im</strong> Urteil gr<strong>und</strong>sätzlich die genaue Trinkmenge angeben. Gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
sind ferner auch Feststellungen zu Trinkbeginn <strong>und</strong> Trinkende zu treffen. Aufgr<strong>und</strong> der festgestellten<br />
Trinkmenge ist der Tatrichter aus Rechtsgründen nicht gehindert, auf eine vorsätzliche Tatbegehung zu schließen.<br />
Dass nach der neueren Rechtsprechung des <strong>B<strong>und</strong></strong>esgerichtshofs 18 ) ab einem Wert von 2,0 ‰ – wenn auch nicht<br />
(mehr) regelmäßig anzunehmen, so doch jedenfalls aber – zu prüfen sein wird, ob nicht verminderte Schuldfähigkeit<br />
vorliegt <strong>und</strong> eine Strafmilderung nach §§ 21, 49 StGB in Betracht kommt, berührt die Vorsatzfrage<br />
nicht. Schweigt der Angeklagte, so muss sich der Tatrichter mit den oben geschilderten Ausnahmefällen nicht<br />
auseinandersetzen, wenn sie sich nicht aus anderen Gründen ausnahmsweise aufdrängen. Liegen noch weitere<br />
Beweisanzeichen, wie<br />
• wahrgenommene eigene Fahrfehler,<br />
• Flucht vor der Polizei, insbesondere die Benutzung von Schleichwegen,<br />
• besonders vorsichtige Fahrweise oder<br />
• der Warnung durch andere Personen vor der Fahrt oder Weiterfahrt unter Hinweis auf seinen voraufgegangenen<br />
<strong>Alkohol</strong>genuss <strong>und</strong> der daraus möglicherweise resultierenden Fahrunsicherheit<br />
vor, ist eine entsprechende Überzeugungsbildung des Tatrichters revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.<br />
Nicht mehr verständlich sind deshalb obergerichtliche Entscheidungen (gewesen), denen zufolge bei BAKen von<br />
über 2 Promille selbst Schlangenlinienfahren nicht ohne weiteres für die (revisionssichere) tatrichterliche Überzeugung<br />
vorsätzlicher Begehung genügen sollen. 19 ) Allerdings scheint sich insoweit in der Rechtsprechung der<br />
Oberlandesgerichte allmählich ein Wandel zu vollziehen. So hat das OLG Saarbrücken in einer Entscheidung<br />
vom 06. Februar 2008 20 ) es völlig zu Recht für die [„revisionssichere“] Überzeugung vorsätzlicher Trunkenheitsfahrt<br />
als ausreichend erachtet, dass sich der Angeklagte bei einer festgestellten BAK von 1,81 ‰ – nach den<br />
vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen – „nach dem Unfall bewusst (war), dass er alkoholisiert war <strong>und</strong><br />
auch aus diesem Gr<strong>und</strong> weiter gefahren (ist)“.<br />
Lässt sich der Angeklagte ein, so hat sich der Tatrichter mit dieser Einlassung auseinander zu setzen. Ergeben<br />
sich aus dieser Einlassung Besonderheiten <strong>und</strong> können sie nicht widerlegt werden, so ist der Schluss allein aus<br />
der Trinkmenge zwar regelmäßig nicht möglich. Insoweit können aber andere, oben bereits angeführte Beweisanzeichen<br />
in Verbindung mit der Trinkmenge eine vorsätzliche Tatbestandsverwirklichung belegen. Im Übrigen<br />
muss der <strong>B<strong>und</strong></strong>esgerichtshof zur sog. „freien“ richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO) <strong>im</strong>mer wieder darauf<br />
hinweisen, dass der Tatrichter gerade nicht gezwungen ist, eine Einlassung allein deshalb seiner Entscheidung als<br />
unwiderlegt zugr<strong>und</strong>e zu legen, weil sich ihr Gegenteil nicht beweisen lässt. Denn der Zweifelssatz bedeutet –<br />
wie bekannt – gerade nicht, dass das Gericht von der dem Angeklagten günstigsten Fallgestaltung auch dann ausgehen<br />
muss, wenn hierfür keine zureichenden Anhaltspunkte bestehen. 21 )<br />
6. Fazit<br />
Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass aufgr<strong>und</strong> der festgestellten Trinkmenge auf eine vorsätzliche<br />
Begehungsweise des Täters geschlossen werden kann, sofern die <strong>Alkohol</strong>menge in kontrollierter Menge aufgenommen,<br />
die Trinkmenge also wahrgenommen worden ist. Die infolge der <strong>Alkohol</strong>isierung eintretende Einschränkung<br />
der Kritikfähigkeit schließt das Bewusstsein des Täters von der von ihm genossenen <strong>Alkohol</strong>menge<br />
<strong>und</strong> der damit einhergehenden Fahrunsicherheit nicht aus. Dass der Täter sich infolge der <strong>Alkohol</strong>wirkung fahrtüchtig<br />
fühlt, steht dem nicht ent<strong>gegen</strong>. Vorsatz ist eine Bewertungskategorie, über die ein Richter <strong>im</strong> Normalfall<br />
auch ohne Mitwirkung des Täters – <strong>und</strong> ebenso auch ohne Mitwirkung eines Sachverständigen – zu entscheiden<br />
hat. Das subjektive Gefühl des Täters zur Tatzeit ist da<strong>gegen</strong> für einen Außenstehenden nachträglich nicht<br />
feststellbar <strong>und</strong> überprüfbar. Wer dennoch darauf abstellt, erlaubt dem Täter, – wie es SALGER zu formulieren<br />
pflegte – „seine eigene Schuldform zu definieren“.<br />
Zum guten Schluss noch eine höchst praxisnahe Erkenntnis, die ich dem von mir sehr geschätzten früheren<br />
Amtsgerichtsdirektor <strong>und</strong> noch amtierenden Vorsitzenden der Landessektion Nordrhein-Westfalen, Herrn<br />
KRUSE, verdanke: Der Tatrichter frage den der (vorsätzlich begangenen) Trunkenheitsfahrt Angeklagten, ob er<br />
denn, als er nach dem Gaststättenbesuch sein dort geparktes Fahrzeug bestieg, auch dann losgefahren wäre, wenn<br />
er einen „Schutzmann“ wahrgenommen hätte. Verneint der Angeklagte (ehrlicherweise), so dürfte dies dem – ja<br />
nicht weltfremden – Tatrichter den durchaus revisionssicheren Schluss auf einen zumindest doch bedingten Vorsatz<br />
zulassen. Ich prognostiziere einmal, dass dies wohl – anders als vielleicht manche Oberlandesgerichte – auch<br />
der 4. Strafsenat des BGH so sehen würde, wäre er – <strong>und</strong> nicht wie zumeist die Oberlandesgerichte – die zuständige<br />
Revisionsinstanz! Im Übrigen sind vielleicht die hier angeklungenen Bedenken <strong>gegen</strong> eine allzu „enge“<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Sup 12 Supplement<br />
Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auch gar nicht mehr gerechtfertigt, könnte sich doch auch dort allmählich<br />
eine Änderung abzeichnen, wie sie etwa in der Entscheidung des OLG Saarbrücken vom 06. Februar 2008<br />
anklingt, in der es – völlig richtig – heißt:<br />
„Bei einer BAK von mehr als 1,1 ‰ liegt zumindest bedingter Vorsatz dann nahe, wenn der Täter einschlägig<br />
vorbestraft ist <strong>und</strong> in Fahrbereitschaft <strong>Alkohol</strong> konsumiert“.<br />
Oder noch deutlicher das OLG Koblenz in einem hier bereits mehrfach zitierten Beschluss vom 27. Februar<br />
2008:<br />
„Berauscht sich ein Kraftfahrer … bis zu einer die absolute Fahruntüchtigkeit begründenden BAK, so ergibt<br />
sich aus dieser Tatsache ein in der Beweiswürdigung verwertbarer Hinweis darauf, dass er mit seiner Fahruntüchtigkeit<br />
rechnet <strong>und</strong> sie billigend in Kauf n<strong>im</strong>mt, wenn er gleichwohl ein Kraftfahrzeug <strong>im</strong> Straßenverkehr<br />
führt. Zusätzlicher Indizien bedarf es dann um so weniger, je weiter die BAK über dem Grenzwert der absoluten<br />
Fahruntüchtigkeit liegt.“ Und weiter: „Ergeben sich bei weit über diesem Grenzwert liegenden Werten keine<br />
greifbaren Anhaltspunkte für das Vorliegen entlastender, den indiziellen Beweiswert der BAK mindernden Umstände,<br />
ist es nicht rechtsfehlerhaft, allein auf dieses Indiz die Annahme vorsätzlichen Handelns zu stützen“. 22 )<br />
Auf dieser Gr<strong>und</strong>lage jedenfalls dürfte sich mit den Bedenken, die der BGH bereits in früher Zeit <strong>gegen</strong> überzogene<br />
Anforderungen in der obergerichtlichen Rechtsprechung zur Frage des Vorsatzes bei Trunkenheitsfahrten<br />
hat anklingen lassen 23 ), allmählich eine „natürliche Betrachtungsweise“ durchsetzen, die anerkennt, dass – wie<br />
TOLKSDORF dies bereits für den 33. Deutschen Verkehrsgerichtstag 1995 überzeugend dargelegt hat – „in der<br />
Praxis die vorsätzliche Tat die Regel <strong>und</strong> die fahrlässige Begehung die Ausnahme“ ist 24 ) . Damit wird weder ein<br />
Erfahrungssatz unterstellt noch wird der Zweifelsgr<strong>und</strong>satz eingeschränkt.<br />
7. Ergänzung: Vorsatz / Fahrlässigkeit bei „<strong>Drogen</strong>fahrten“<br />
Die hier entwickelten Gr<strong>und</strong>sätze zur Annahme von (zumindest bedingtem) Vorsatz bei „<strong>Alkohol</strong>fahrten“ sind<br />
auf „<strong>Drogen</strong>fahrten“ <strong>im</strong> Sinne des § 316 StGB nicht ohne weiteres übertragbar. Die Rechtsprechung hat sich mit<br />
dieser Frage bislang – soweit ersichtlich – nicht vertieft auseinander gesetzt. In der veröffentlichten obergerichtlichen<br />
Rechtsprechung finden sich vielmehr <strong>im</strong> wesentlichen Entscheidungen zu den Anforderungen an den<br />
Nachweis fahrlässigen Verstoßes <strong>gegen</strong> das bußgeldbewehrte „absolute“ <strong>Drogen</strong>verbot des § 24a Abs. 2 StVG 25 ),<br />
ohne dass sich daraus Rückschlüsse auf die Vorsatzfrage bei strafbewehrten <strong>Drogen</strong>fahrten ziehen ließen. Auch<br />
<strong>im</strong> Schrifttum findet sich mit Ausnahme der Erörterungen <strong>im</strong> Arbeitskreis II des 33. Deutschen Verkehrsgerichtstages<br />
1995 26 ) <strong>und</strong> eines Beitrags von HARBORT 27 ) keine vertiefte Erörterung zu dieser Problematik. KÖNIG<br />
bemerkt <strong>im</strong> Großkommentar 28 ) dazu nur knapp, der Täter, der unter dem Einfluss illegaler <strong>Drogen</strong> <strong>im</strong> Zustand objektiv<br />
gegebener Fahrunsicherheit ein Fahrzeug führe, „handel(e) gr<strong>und</strong>sätzlich fahrlässig“. Unbeschadet des<br />
§ 24a Abs. 2 StVG mit seiner „relativen ,Nullwert‘-Grenze“ wird schon mangels definierbarer Grenzwerte<br />
drogenbedingter „absoluter“ Fahrunsicherheit <strong>und</strong> angesichts der sowohl inter- als auch intraindividuell höchst<br />
unterschiedlichen Auswirkungen eines <strong>Drogen</strong>konsums sich jedenfalls jegliche schematische Beurteilung der<br />
Fahr(un)sicherheit nach Maßgabe einer Blut-Wirkstoff-Konzentration verbieten. Der für eine Verurteilung nach<br />
§ 316 StGB erforderliche Nachweis drogenbedingter „relativer“ Fahrunsicherheit kann also nur auf konkret festgestellte<br />
Ausfallerscheinungen gestützt werden. Für die Abgrenzung von Vorsatz <strong>und</strong> Fahrlässigkeit wird dabei<br />
entscheidend sein, ob der Beschuldigte in Kenntnis dieser tataktuellen drogenbedingten Ausfallerscheinungen<br />
die Fahrt angetreten oder fortgesetzt hat. Schweigt der Beschuldigte dazu, wird ihm vorsätzliches Handeln nur<br />
schwer nachzuweisen sein.<br />
Fußnoten<br />
1 ) Thema auch des 33. Deutschen Verkehrsgerichtstages 1995.<br />
2 ) So noch jüngst Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 10. Juni 2009, BA 2010, 33 ff.<br />
3 ) Vgl. OLG Koblenz NZV 2008, 304, 306.<br />
4 ) Hentschel Straßenverkehrsrecht 38. Auf. zu § 316 StGB Rdn. 23 m. N.<br />
5 ) Vgl. zum bedingten Tötungsvorsatz die inzwischen auf 62 Entscheidungen angewachsene Rechtsprechungssammlung<br />
in BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter.<br />
6 ) Darauf weist zu Recht AG Rheine NJW 1995, 894, 898 hin.<br />
7 ) Vgl. nur die zahlreichen Entscheidungen BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 1 ff.<br />
8 ) Vgl. dazu Maatz/Wahl in FS-50 Jahre BGH, 2000, S. 531, 551 f.<br />
9 ) Vgl. BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 11.<br />
10 ) Std. Rspr.; vgl. nur die Nachw. bei Schoreit in KK-StPO 6. Aufl. § 261 Rdn. 2, 3.<br />
11 ) Vgl. u. a. Cramer/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. § 15 Rdn. 51 m. zahlr. Nachw.; Nehm<br />
in Salger-FS a. a.O. S. 121 f.<br />
12 ) Zu diesem Gesichtspunkt be<strong>im</strong> dolus eventualis [<strong>im</strong> Zusammenhang mit der Tötung eines Kleinkindes durch<br />
„Schütteln“] BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 11.<br />
13 ) Wie hier Ernemann in SSW-StGB (2009) § 316 Rdn. 34.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Supplement<br />
Sup 13<br />
14 ) So auch OLG Koblenz NZV 2008, 304, 306.<br />
15 ) In diesem Sinne auch die oben unter Fußn. 2 zitierte Entscheidung des Brandenb. OLG.<br />
16 ) Vgl. BGHR StGB § 316 Abs. 1 Fahruntüchtigkeit, absolute 1.<br />
17 ) Zur Berechnung nach der Widmark-Formel eingehend Salger in DRiZ 1989, 175 f.; Fischer StGB 57. Aufl.<br />
§ 20 Rdn. 12 ff. m. w. N.<br />
18 ) Seit BGHSt 43, 66 unter Aufgabe von BGHSt 37, 231.<br />
19 ) Nachweise bei Ernemann in SSW-StGB a. a.O. Rdn. 33.<br />
20 ) – Ss 70/2007 – BA 2008, 192 ff.<br />
21 ) Std. Rspr.; Nachw. bei Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 261 Rdn. 6 u. 26. Gerade deshalb „irritiert“ die oben<br />
unter Fußn. 1 zitierte Entscheidung des Brandenb. OLG (s. a. Fußn. 15), durch die das Revisionsgericht das auf<br />
vorsätzliche Begehung erkennende landgerichtliche Berufungsurteil mit der Begründung aufhob, der Tatrichter<br />
habe nicht bedacht, dass „andere Geschehensabläufe denkbar (seien), die nicht ohne weiteres den Schluss<br />
auf ein zumindest bedingt vorsätzliches Handeln zu(ließen)“; als solche „möglichen“ (!) alternativen Geschehen<br />
nahm das OLG den Konsum alkoholischer Mixgetränke auf einer privaten Feier sowie den Schlaf von einigen<br />
St<strong>und</strong>en zwischen Beendigung der <strong>Alkohol</strong>aufnahme <strong>und</strong> dem Fahrtantritt an (a. a.O. BA 2010, 33, 35).<br />
Nach den maßgeblichen tatrichterlichen Feststellungen fuhr der Angeklagte mit seinem Pkw um 0:10 Uhr auf<br />
der B 1; die ihm anschließend um 1:20 Uhr entnommene Blutprobe ergab – d. h. ohne Nachtrunk – eine BAK<br />
von 2,37 ‰! Der Angeklagte ließ sich nicht zur Sache ein. Das OLG beanstandete, das Berufungsgericht<br />
stütze die Annahme von Vorsatz auf „bloße Vermutungen“. Dabei stellen – jedenfalls nach Maßgabe der veröffentlichten<br />
Entscheidung – umgekehrt die von dem OLG allein auf den Einwand der Revision erwogenen<br />
alternativen Geschehensabläufe ihrerseits bloße denktheoretische Möglichkeiten dar, die – zumal dann, wenn<br />
sich der Angeklagte darauf nicht einmal beruft – die tatrichterliche Überzeugung nach den Gr<strong>und</strong>sätzen des<br />
Revisionsrechts gerade nicht in Frage stellen. M.E. hat das OLG hier vielmehr den Gr<strong>und</strong>satz unbeachtet gelassen,<br />
dass der Tatrichter nicht gehalten ist, alle nur denkbaren Möglichkeiten zugunsten des Angeklagten zu<br />
unterstellen, für die es keine zureichenden Anhaltspunkte gibt, so wie der Tatrichter nach ständiger Rechtsprechung<br />
des BGH durch den Zweifelsgr<strong>und</strong>satz auch nicht gezwungen ist, die Einlassung des Angeklagten nur<br />
deshalb als unwiderlegt seiner Entscheidung zu Gr<strong>und</strong>e zu legen, weil sich auch das Gegenteil nicht beweisen<br />
lässt.<br />
22 ) NZV 2008, 304, 306.<br />
23 ) BGHSt 22, 192, 200.<br />
24 ) 33. VGT, S. 79 ff, 87.<br />
25 ) OLG Hamm NZV 2005, 428; OLG Saarbrücken NZV 2007, 320.<br />
26 ) S. Empfehlungen NZV 1995, 100; Tolksdorf 33. VGT 1995, S. 79, 88.<br />
27 ) Zur Annahme von Vorsatz bei drogenbedingter Fahrunsicherheit, NZV 1996, 433.<br />
28 ) In LK a. a.O. § 316 Rdn. 225.<br />
Anschrift des Verfassers<br />
Kurt Rüdiger Maatz<br />
Richter am <strong>B<strong>und</strong></strong>esgerichtshof a.D.<br />
Grenadierstraße 1<br />
76133 Karlsruhe<br />
Email: ruedigermaatz@t-online.de<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Sup 14 Supplement<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
CHRISTIAN JANECZEK<br />
Die strafrechtliche Problematik von Vorsatz <strong>und</strong> Fahrlässigkeit bei<br />
Trunkenheitsdelikten<br />
Betritt ein Mandant nach einer Trunkenheitsfahrt die Schwelle des Anwaltsbüros <strong>und</strong> ergeben sich in der Folge<br />
keinerlei Zweifel an der Trunkenheitsfahrt an sich, schließt sich sodann <strong>im</strong> Regelfall eine Strafmaßverteidigung<br />
an. Es ist also nicht mehr zu prüfen, ob der Mandant zu bestrafen ist, sondern nur noch wie. Die Aufgabe des Verteidigers<br />
ist es dann, alles in die Wagschale zu werfen, was für den Delinquenten spricht, also geeignet ist, ein<br />
günstigeres Strafmaß zu erreichen. Die einfache Trunkenheitsfahrt iSd. § 316 StGB, wie auch die Gefährdung<br />
des Straßenverkehrs iSd. § 315c StGB sind sowohl vorsätzlich als auch fahrlässig zu begehen. Für den Mandanten<br />
haben die unterschiedlichen Schuldformen wichtige Auswirkungen.<br />
Zunächst ist die Schuldform ein wichtiger Bemessungsfaktor bei der Rechtsfolge. Sowohl die Strafe, wie auch<br />
die Dauer der Entziehung der Fahrerlaubnis werden bei einer Vorsatzverurteilung regelmäßig höher sein, als bei<br />
einer Verurteilung wegen fahrlässigen Vorwurfes. Auch für die Verfahrenskosten ist die Rechtsfolgenentscheidung<br />
insoweit bedeutsam, da bei einer Vorsatzverurteilung nachträglich der Deckungsschutz des Rechtschutzversicherers<br />
entfällt, so dass dieser die Verfahrenskosten vom Versicherungsnehmer zurückverlangen kann.<br />
Auch bei der Frage der Wiedererlangung der Fahrerlaubnis kann sich dies auswirken. So dürfte der Mandant,<br />
der sich als wegen Vorsatz Verurteilter dem kritischen Auge des Psychologen einer Medizinisch Psychologischen<br />
Untersuchung unterziehen muß, deutlich klarer seine charakterliche Veränderung mitteilen müssen, als wenn er<br />
sich wegen einer fahrlässigen Trunkenheitsfahrt vorstellen muß.<br />
Schließlich muß der Strafrechtler auch das Versicherungsrecht <strong>im</strong> Blick haben. Die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung<br />
beispielsweise deckt einen Versicherungsfall nicht, wenn er auf einer vorsätzlichen Trunkenheitsfahrt<br />
beruht.<br />
In vielen Fällen lohnt es sich also aus Mandantensicht allein wegen der Schuldform sich verteidigen zu lassen.<br />
Ausgangspunkt der möglichen Verteidigungsstrategien ist zunächst einmal der Grad der <strong>Alkohol</strong>isierung. Hierbei<br />
ist <strong>im</strong> Wesentlichen zwischen 3 <strong>Alkohol</strong>isierungsformen zu unterscheiden. Bei der geringen <strong>Alkohol</strong>isierung<br />
wird in den meisten Fällen Fahrlässigkeit vorliegen. Eine geringe <strong>Alkohol</strong>isierung liegt dabei regelmäßig <strong>im</strong><br />
Bereich zwischen der relativen Fahruntüchtigkeit <strong>und</strong> Beginn der absoluten Fahruntüchtigkeit, also zwischen<br />
0,3 Promille <strong>und</strong> 1,1 Promille. Soweit keine weiteren Anhaltspunkte gegeben sind, wird bis ca. 1,4 Promille<br />
regelmäßig eine fahrlässige Trunkenheitsfahrt vorliegen. Hiernach schließt sich die mittlere <strong>Alkohol</strong>isierung an,<br />
die zwischen 1,4 Promille <strong>und</strong> 2,0 Promille zu finden ist. Hier reichen die intellektuellen Leistungen meist noch<br />
aus, um eine etwaige Fahruntüchtigkeit festzustellen. Dies ist der Hauptanwendungsbereich des Vorsatzes <strong>und</strong><br />
regelmäßig aus Verteidigungssicht der Bereich, wo es am schwersten ist, den Fahrlässigkeitsvorwurf als Verteidigungsziel<br />
zu erreichen. Schließlich folgen noch die höheren Promillewerte ab 2,0 Promille aufwärts. Hier gilt,<br />
dass je höher die Promillewerte sind, desto geringer ist die intellektuelle Leistungsfähigkeit, umso weniger ist<br />
Vorsatz anzunehmen. Man ist also häufig nicht mehr in der Lage zu erkennen, dass man fahruntüchtig ist.<br />
Was den Vorsatz angeht, so unterliegt dieser gr<strong>und</strong>sätzlich der freien richterlichen Tatwürdigung. Diese ist für<br />
die Revisionsinstanz bindend. Nur in geringem Umfang sind Ausnahmen möglich, nämlich bei Verstoß <strong>gegen</strong><br />
Denk- <strong>und</strong> Erfahrungssätze.<br />
Dies führt das OLG Koblenz (VRS 104/03, S. 300) auch in einem Urteil aus, in dem es judiziert: „Es entspricht<br />
den Erkenntnissen der Rechtsmedizin, dass selbst hohe <strong>Blutalkohol</strong>konzentrationen zum Verlust zutreffender<br />
Selbsteinschätzung der eigenen Fahruntüchtigkeit führen können mit der Folge, dass der Täter die bei ihm objektiv<br />
vorliegende alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit nicht mehr wahrn<strong>im</strong>mt.“<br />
Umso brüchiger in der Argumentation ist der in manchen Urteilen zu lesende Satz: „Es entspricht jedoch der<br />
allgemeinen Lebenserfahrung, dass jedem Kraftfahrer die mit dem Konsum von <strong>Alkohol</strong> verb<strong>und</strong>enen negativen<br />
Auswirkungen auf seine Fahruntüchtigkeit bekannt sind“.<br />
Diese nicht mit den Erkenntnissen der Rechtsmedizin gedeckte <strong>und</strong> <strong>im</strong> Widerspruch zu den ersten Ausführungen<br />
stehende Gr<strong>und</strong>einstellung vieler Richter hat die Verteidigung einzuplanen <strong>und</strong> mit den Hinweisen auf die<br />
Erkenntnisse der Rechtsmedizin zu „bekämpfen“.<br />
Vom Vorsatz des Täters umfasst sein muss zum einen das Führen eines Kraftfahrzeuges <strong>und</strong> zum anderen die<br />
Tatsache der Fahruntüchtigkeit. Unter Vorsatz fällt sowohl der direkte, als auch der sogenannte Eventualvorsatz.<br />
Vorsatz hinsichtlich dieses Tatbestandmerkmals bedeutet nämlich, dass be<strong>im</strong> direkten Vorsatz das Wissen um<br />
die Fahruntüchtigkeit sich aus dem „Wissen um die getrunkene Menge <strong>und</strong> dem Wissen, ab welcher Trinkmenge<br />
Fahruntüchtigkeit gegeben ist, ergibt, während er bei dem bedingten Vorsatz regelmäßig auf der Wahrnehmung<br />
durch den Angeklagten über seine eigenen Beeinträchtigungen durch den <strong>Alkohol</strong> beruht <strong>und</strong> nach der Beweislage<br />
davon auszugehen ist, dass sie mit Sicherheit be<strong>im</strong> Angeklagten eine „Warnung“ ausgelöst haben. In der Praxis<br />
spielt der direkte Vorsatz dabei eine untergeordnete Rolle, da nur in den wenigsten Fällen der Mandant weiß,<br />
ab welcher Trinkmenge er welchen <strong>Alkohol</strong>wert aufweist. Für die Feststellung des Eventualvorsatzes wird nun<br />
<strong>im</strong>mer wieder versucht, diesen allein mit der Höhe des festgestellten <strong>Alkohol</strong>wertes zu begründen. Dass dies
Supplement<br />
Sup 15<br />
falsch ist, hat sich zumindest in der obergerichtlichen Judikatur durchgesetzt, wo mehrfach festgestellt wurde,<br />
dass es keinen Erfahrungssatz dahingehend gibt, dass derjenige, der in erheblichen Mengen <strong>Alkohol</strong> getrunken<br />
hat, sich seiner Fahrunsicherheit bewusst ist oder dies billigend in Kauf n<strong>im</strong>mt. Zu der Feststellung des <strong>Alkohol</strong>wertes<br />
als ein Indiz müssen somit weitere Indizien hinzukommen, die sich in der Summe zu einer Überzeugung<br />
vom Vorsatz verdichten können. Die Frage der Kenntnis vorhandener Fahrunsicherheit lässt sich demnach vielmehr<br />
nur von Fall zu Fall auf Gr<strong>und</strong> der Umstände des Einzelfalles unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des<br />
Angeklagten, insbesondere seiner Intelligenz <strong>und</strong> seiner Fähigkeit zur Selbstkritik beurteilen.<br />
Leider eine überschätzte Rolle aus Sicht der Verteidigung spielt dabei der Bef<strong>und</strong>bericht des blutabnehmenden<br />
Arztes. Aus Mitteilungen wie starker <strong>Alkohol</strong>isierung oder anderer vermeintlicher Ausfallerscheinungen lässt<br />
sich zwar ein Rückschluss auf die Situation bei der Blutentnahme ziehen. Dieser Zeitpunkt ist jedoch unerheblich,<br />
weil es für den Vorsatz auf den Moment der Fahrt ankommt <strong>und</strong> hier z. B. in der Anflutungphase Ausfallerscheinungen<br />
noch nicht gegeben sein müssen, die später dann auftreten. Andererseits ist der sogenannte „Nüchternschock“<br />
bekannt, der auftreten kann, wenn ein betrunkener Fahrer angehalten wird. Das er nach dem Anhalten<br />
auf Gr<strong>und</strong> dessen kaum Ausfallerscheinungen zeigt, lässt deutlich werden, dass nicht auf ausreichende Kritikfähigkeit<br />
bei hohem <strong>Alkohol</strong>isierungsgrad geschlossen werden kann <strong>und</strong> darf. So hat das OLG Dresden (NZV<br />
1995, S. 236) <strong>im</strong> Fall des bedingten Vorsatzes mitgeteilt, dass, wenn Feststellungen über den äußeren Zustand,<br />
Verhaltensweisen etc. des Angeklagten fehlen, zwar nach der Lebenserfahrung die Annahme naheliegend ist,<br />
dass bei einer BAK von über 2,0 Promille massive, auch subjektiv vom Angeklagten selbst wahrnehmbare Ausfallerscheinungen,<br />
wie z.B. ein unsicherer Gang vorlagen. Fraglich ist jedoch, worauf die Überzeugung zur Verurteilung<br />
insoweit gestützt werden kann, dass der Angeklagte diese Ausfallerscheinungen tatsächlich auch wahrgenommen<br />
hat <strong>und</strong> gleichzeitig noch Überlegungen über seine Fahrtüchtigkeit angestellt hat. Das Oberlandesgericht<br />
Dresden hat dabei gerügt, dass der Tatsachenrichter in seinem angefochtenen Urteil allein aus dem Vermerk<br />
<strong>im</strong> Untersuchungsbef<strong>und</strong>, dass der Denkablauf geordnet sei, die Überzeugung herleitet, der Angeklagte sei<br />
noch klar genug gewesen, Ausfallerscheinungen wahrzunehmen <strong>und</strong> ihre Bedeutung zutreffend abzuschätzen,<br />
obwohl in dem Untersuchungsbef<strong>und</strong>, wie sich aus dem Urteil ergibt, auch festgestellt ist, dass der Angeklagte<br />
deutlich unter <strong>Alkohol</strong>einfluss steht. Auch war ein Abstellen auf den Drehnystagmus als Ausfallerscheinung unzulässig,<br />
da es keinen Erfahrungssatz dahingehend gibt, dass dessen Veränderung regelmäßig wahrgenommen zu<br />
werden pflegt. Es verbietet sich daher aus der festgestellten Dauer des Drehnystagmus für den Angeklagten nachteilige<br />
Schlüsse zur inneren Tatseite zu ziehen. Der Drehnystagmus ist nämlich ein mehr oder weniger lange<br />
andauerndes Augenzittern be<strong>im</strong> Fixieren eines Gegenstandes nach vorheriger mehrfacher Drehung des zu Untersuchenden<br />
um die Körperachse, das auch bei Nüchternen zu beobachten ist, sich unter <strong>Alkohol</strong>einfluss jedoch<br />
regelmäßig verlängert oder verstärkt. Der gemessene Drehnystagmus lässt deshalb keinen Schluss auf die für den<br />
Vorsatz wesentlichen Elemente des Wissens <strong>und</strong> Wollens zu, weil dessen Veränderung subjektiv nicht wahrgenommen<br />
wird. Im Übrigen ist die Dauer des Drehnystagmus bei jedem Menschen unterschiedlich, so dass auch<br />
ein sehr langer Drehnystagmus durchaus bei einem nüchternen Menschen vorkommen kann.<br />
Sehr oft durch die Anklage ins Feld geführt wird, dass eine besonders vorsichtige Fahrweise darauf schließen<br />
ließe, dass jemand um seine Fahruntüchtigkeit weiß <strong>und</strong> versucht, durch langsames Fahren fehlende Fahruntüchtigkeit<br />
auszugleichen. Aber auch dies reicht allein z.B. nach Rechtsprechung des OLG Köln (VRS 72, S. 387)<br />
nicht aus, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Angeklagte nüchtern genauso vorsichtig fährt. Auch die<br />
Feststellung typischer Fahrfehler wie Schlangenlinienfahren rechtfertigen die Annahme von Vorsatz hinsichtlich<br />
alkoholbedingter Fahrunsicherheit nur, wenn auch festgestellt werden kann, dass sich der Angeklagte der Ausfallerscheinungen<br />
auch bewusst geworden ist.<br />
Gefährlich wird es jedoch für den Angeklagten als Wiederholungstäter. Bei ähnlichen Sachverhalten innerhalb<br />
kürzerer Zeit <strong>und</strong> ähnlicher <strong>Alkohol</strong>isierung ist durchaus davon auszugehen, dass der Angeklagte zumindest bei<br />
der Wiederholungstat von seiner fehlenden Fahruntüchtigkeit ausgehen musste, so dass Eventualvorsatz bejaht<br />
werden kann.<br />
Da also zumindest obergerichtlich in weiten Teilen davon ausgegangen wird, dass allein aus dem Grad der <strong>Alkohol</strong>isierung<br />
nicht auf Vorsatz geschlossen werden kann, wird aus Verteidigungssicht in vielen Fällen der vernünftige<br />
Rat an den Mandanten lauten, von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen. Da dann dem Tatrichter<br />
häufig keine weiteren wesentlichen Anhaltspunkte zur Verfügung stehen, gilt auch hier, dass Reden Silber <strong>und</strong><br />
Schweigen Gold ist.<br />
Eine besondere Problematik bei der Schuldfrage für die Verteidigung ist die Frage des Restalkohols. Der Standardfall<br />
ist dabei die Fahrt zur Arbeit am Morgen nach der alkoholreichen Feier am Vorabend. Sachverständige<br />
Untersuchungen haben ergeben, dass sich das subjektive Empfinden hinsichtlich der Fahruntüchtigkeit nach<br />
Überschreiten des Gipfels der <strong>Alkohol</strong>kurve deutlich verbessert. Diese deutliche Verbesserung kann Auswirkungen<br />
auf die Frage der vorsätzlichen Tatbegehung haben. Etwa 4–5 St<strong>und</strong>en nach Trinkbeginn haben die Probanden<br />
der Untersuchung der Autoren REINHARDT/ZINK subjektive Erholung angegeben, sind also davon ausgegangen,<br />
dass sie nüchtern sind, obwohl die <strong>Alkohol</strong>isierung noch sehr hoch war. Dieses deckt sich mit dem<br />
medizinisch bekannten Phänomen, dass die subjektiven Wirkungen des <strong>Alkohol</strong>s stärker nachlassen als der objektive<br />
<strong>Alkohol</strong>isierungsgrad. Wenige Auswirkungen hat diese subjektive Erholung <strong>im</strong> Fahrlässigkeitsbereich.<br />
Die Fahrlässigkeit knüpft nicht an die Symptome der alkoholbedingten Wirkungen an, sondern daran, dass der<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Sup 16 Supplement<br />
Betreffende in Kenntnis des vorangegangenen <strong>Alkohol</strong>s ein Fahrzeug geführt hat. Hierbei ist zu berücksichtigen,<br />
dass die alkoholische Fernwirkung den Kraftfahrern allgemein bekannt sein dürfte bzw. diese eine Verpflichtung<br />
trifft, sich über die Bedeutung des Restalkohols zu unterrichten. Aus der allgemeinen Kenntnis der Gefährlichkeit<br />
des Restalkohols folgt, dass sich der Betreffende nicht erfolgreich auf Nichtkenntnis berufen kann. Bei langer<br />
alkoholfreier Zwischenzeit ist jedoch die Frage des Vorsatzes <strong>und</strong> auch der Fahrlässigkeit intensiv zu prüfen.<br />
So haben Gerichte selbst eine fahrlässige Begehung verneint. Das OLG Saarbrücken (DAR 1963, S. 22) kam einmal<br />
in einem Fall, wo 16 Glas Bier <strong>und</strong> 5 Glas Cognac bis 10,5 St<strong>und</strong>en vor Fahrtbeginn getrunken wurden, zu<br />
einem Freispruch. Genauso entschied das OLG Hamburg (DAR 1957, S.54) bei einer <strong>Alkohol</strong>isierung von 2,5 %<br />
zum Fahrtzeitpunkt <strong>und</strong> einem Zeitablauf von 7,5 St<strong>und</strong>en zwischen Trinkende <strong>und</strong> Fahrt.<br />
Der Fahrlässigkeitsvorwurf der Trunkenheitsfahrt knüpft an die Frage an, ob der Angeklagte bei kritischer<br />
Selbstprüfung die Tatsache fehlender Fahrtüchtigkeit hätte feststellen können. Jeder Kraftfahrer hat die Pflicht,<br />
vor Antritt, aber auch während der Fahrt, sorgfältig <strong>und</strong> gewissenhaft unter Berücksichtigung aller ihm bekannten<br />
Umstände zu prüfen, ob seine Fahrsicherheit – etwa infolge <strong>Alkohol</strong>genusses – beeinträchtigt sein könnte.<br />
N<strong>im</strong>mt er in fahrunsicherem Zustand mit einem Kfz am Straßenverkehr teil, weil er diese Prüfung unterlassen<br />
hat, so trifft ihn der Vorwurf der Fahrlässigkeit. Die Pflicht zur Selbstbeobachtung <strong>und</strong> Prüfung hinsichtlich der<br />
Fahrsicherheit besteht ganz allgemein, insbesondere aber nach Genuss alkoholischer Getränke dahingehend, ob<br />
Bedenken hinsichtlich der Fahrsicherheit gerechtfertigt sein können. Wer <strong>im</strong> Zustand alkoholbedingter Fahrunsicherheit<br />
ein Kfz führt, handelt fahrlässig, wenn ihm auch nur Zweifel oder Bedenken hinsichtlich seiner Fahrsicherheit<br />
kommen mussten. Denn schon die Erkennbarkeit der Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung begründet<br />
den Vorwurf der Fahrlässigkeit. In der Regel beruht der Vorwurf der Fahrlässigkeit aber nicht darauf, dass<br />
der Angeklagte, der nach <strong>Alkohol</strong>genuss <strong>im</strong> Zustand der Fahrunsicherheit ein Kfz geführt hat, nicht aus den äußeren<br />
Symptomen der alkoholischen Beeinträchtigung auf seine Fahrunsicherheit geschlossen hat. Auf das subjektive<br />
Gefühl der Fahrunsicherheit kommt es regelmäßig nicht an. Vielmehr wird die Fahrlässigkeit <strong>im</strong> Regelfall<br />
schon darin gesehen werden müssen, dass der Angeklagte trotz Kenntnis des vorausgegangenen <strong>Alkohol</strong>genusses<br />
das Fahrzeug geführt hat. Dies gilt erst recht, wenn etwa ein erst unmittelbar vor Fahrtantritt genossener,<br />
in seinen Auswirkungen noch nicht spürbarer Schluss-Sturztrunk die Anflutung auf den Beweisgrenzwert<br />
bewirkte.<br />
Ein Kraftfahrer ist verpflichtet, sich bei Genuss ihm unbekannter Getränke darüber zu vergewissern, ob sie <strong>Alkohol</strong><br />
enthalten. Unterlässt er dies, so handelt er fahrlässig, wenn er mit einem Kfz am Straßenverkehr teiln<strong>im</strong>mt,<br />
obwohl er auf Gr<strong>und</strong> des Genusses dieser Getränke fahrunsicher ist. Er kann sich also vor Gericht nicht mit Erfolg<br />
darauf berufen, er habe nicht gewusst, dass die Getränke <strong>Alkohol</strong> enthielten. Entsprechendes gilt, wenn er auf<br />
Gr<strong>und</strong> seines Trinkverhaltens keine sichere Kenntnis über die Menge des genossenen <strong>Alkohol</strong>s hat. Allein der Genuss<br />
alkoholhaltiger Pralinen führt zwar nicht zu wesentlichen <strong>Alkohol</strong>konzentrationen, unter Umständen aber<br />
zur Erhöhung der aus Getränken resultierenden BAK, die in der Regel vorwerfbar sein wird. Die sehr geringen<br />
<strong>Alkohol</strong>mengen, die in sog. „alkoholfreien“ Bier enthalten sind (unter 0,5 %), führen nicht zu messbaren <strong>Blutalkohol</strong>konzentrationen.<br />
Gibt der Angeklagte an, grössere Mengen eines stark alkoholhaltigen Hausmittels wie<br />
Melissengeist zu sich genommen zu haben, dessen <strong>Alkohol</strong>haltigkeit er nicht gekannt habe, so ist darüber hinaus<br />
zu berücksichtigen, dass es angesichts der Hochprozentigkeit solcher Mittel kaum wahrscheinlich ist, dass ihm<br />
der konzentrierte <strong>Alkohol</strong>geschmack verborgen geblieben ist. Bei tropfenweise einzunehmenden Mitteln wie<br />
Baldriantinktur können nennenswerte <strong>Blutalkohol</strong>konzentrationen nur erreicht werden, wenn an die Stelle sinnvollen<br />
Gebrauchs der Konsum größerer Mengen getreten ist. Bei derartigem Mißbrauch wird der in Folge des Baldrians<br />
fehlende <strong>Alkohol</strong>geschmack den Kraftfahrer in der Regel wohl nicht entlasten können. Einatmen von<br />
Äthanoldämpfen oder von Dämpfen anderer organischer Lösungsmittel ist nicht geeignet, die BAK in forensisch<br />
relevanter Höhe zu beeinflussen. Der Verteidiger ist daher aufgerufen, kritisch zu prüfen, ob das st<strong>im</strong>men kann,<br />
was ihm der Mandant <strong>im</strong> Gespräch mitteilt, bevor er eine entsprechende Einlassung abgibt. Für den Angeklagten<br />
wird es stets schlechter sein, <strong>im</strong> Verfahren der Lüge überführt zu werden, statt zu schweigen.<br />
Gerade bei höheren <strong>Alkohol</strong>mengen schließt sich der Frage, ob Vorsatz oder Fahrlässigkeit vorliegt, die Frage<br />
an, ob die Schuld des Täters eingeschränkt oder gar ausgeschlossen war. Das Gesetz sieht bei Vorliegen eingeschränkter<br />
Schuldfähigkeit vor, dass der Strafrahmen gemildert werden kann. Hier liegt ein Ermessen bei dem<br />
Tatrichter. Die Möglichkeit, eingeschränkte Schuldfähigkeit durch <strong>Alkohol</strong>genuss <strong>im</strong> Rahmen von § 21 StGB<br />
strafmildernd zu berücksichtigen, wird, einer Tendenz des <strong>B<strong>und</strong></strong>esgerichtshofs folgend, zunehmend restriktiver<br />
gehandhabt. Eine Strafrahmenverschiebung bei verminderter Schuldfähigkeit in Folge <strong>Alkohol</strong>konsums scheidet<br />
aus, wenn die Trunkenheit selbst verschuldet ist. Dies gilt jedoch nicht uneingeschränkt; insbesondere wenn der<br />
Täter alkoholkrank ist, spricht dies <strong>gegen</strong> eigenes Verschulden. Aber auch sonst kann es sich lohnen, die Frage<br />
der eingeschränkten Schuldfähigkeit bei Promillewerten ab 2,0 Promille zu erörtern. Denn auch wenn von der<br />
Strafrahmenverschiebung des § 21 StGB kein Gebrauch gemacht wird, so ist eine hohe <strong>Alkohol</strong>isierung zu Gunsten<br />
des Täters bei der Strafzumessung zu berücksichtigen.<br />
Bei <strong>Alkohol</strong>werten ab 2,5 bis 3,0 Promille aufwärts ist sodann die Schuldunfähigkeit zu prüfen. War der Täter<br />
zum Zeitpunkt der Fahrt schuldunfähig, so kann er nicht mehr wegen Gefährdung des Straßenverkehrs iSd.<br />
§ 315c StGB oder wegen Trunkenheit <strong>im</strong> Verkehr iSd. § 316 StGB bestraft werden. Aus Sicht der Verteidigung<br />
muss das Tatgericht ab Promillewerten ab 3,0 Promille sogar besondere Umstände feststellen, aus denen sich er-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Supplement<br />
Sup 17<br />
geben soll, dass trotz der sehr hohen <strong>Alkohol</strong>isierung keine Schuldunfähigkeit gegeben ist. Im Regelfall muss<br />
sich das Gericht hierzu sogar eines medizinischen Sachverständigen bedienen. Dieser Aufwand zur Feststellung<br />
der fehlenden Schuldunfähigkeit wird sehr häufig wiederum den Rat des Verteidigers bedeutsam werden lassen,<br />
seinen Mandanten schweigen zu lassen. Denn nicht selten sind es subjektive Anknüpfungspunkte, die die Frage<br />
der Schuldfähigkeit best<strong>im</strong>men, so dass nur der Angeklagte sich selbst überführen kann. Dann wäre es ein anwaltlicher<br />
Fehler, den Mandanten von der Fahrt berichten zu lassen. Denn allein aus der Tatsache, dass er sich<br />
noch recht gut erinnern kann, kann möglicherweise schon wieder geschlossen werden, dass er zumindest nicht<br />
schuldunfähig war.<br />
Ist die Schuldunfähigkeit festgestellt, wird sek<strong>und</strong>är der Vollrausch iSd. § 323a StGB aus Sicht des Verteidigers<br />
zu beachten sein. Schutzgut dieser Vorschrift ist pr<strong>im</strong>är der Schutz der Allgemeinheit vor den Gefahren, die<br />
von Berauschten regelmäßig ausgehen. Für die Anwendung des Vollrauschdeliktes ist erst dann Raum, wenn ein<br />
anderweitiger Straftatbestand rechtswidrig verwirklicht wurde, be<strong>im</strong> Täter Schuldunfähigkeit <strong>im</strong> Sinne des § 20<br />
StGB vorliegt <strong>und</strong> der Rausch schuldhaft herbeigeführt wurde. Folglich stellt § 323a StGB einen Auffangtatbestand<br />
dar. Er findet keine Anwendung, wenn der Bereich der eingeschränkten Schuldfähigkeit zwar sicher erreicht,<br />
gleichwohl aber eine Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB ebenfalls sicher nicht vorliegt. Es soll allein der<br />
„nicht verantwortliche, schuldunfähige Rauschtäter“ erfasst werden.<br />
Für die Erfüllung des Tatbestandes ist es nötig, dass der Betreffende durch den Genuss alkoholischer Getränke<br />
oder anderer berauschender Mittel in einen Rausch versetzt wird. Der Rausch wiederum muss vorsätzlich oder<br />
fahrlässig herbeigeführt worden sein. Die Verantwortlichkeit des Betreffenden ergibt sich letztendlich aus der<br />
Tatsache der verschuldet herbeigeführten Schuldunfähigkeit. Ist die Schuldunfähigkeit unverschuldet eingetreten,<br />
so greift § 323a StGB tatbestandsmäßig nicht ein. Der vom Tatbestand geforderte Vorsatz oder die Fahrlässigkeit<br />
müssen sich dabei auf den Rausch beziehen. Beziehen sie sich auf die <strong>im</strong> Rausch begangene Tat, ist § 323a<br />
StGB unanwendbar. Vorsatz <strong>im</strong> Sinne des § 323a StGB bedeutet ein zumindest billigendes in Kauf nehmen des<br />
Sichversetzens in einen möglichen schuldausschließenden Rausch. Für die Frage des Vorsatzes ist die in der<br />
älteren Judikatur <strong>und</strong> Literatur diskutierte Frage der „inneren“ <strong>und</strong> „äußeren“ Umstände bedeutend. Kommen äußere<br />
Umstände zu einem Rausch hinzu <strong>und</strong> wird hierdurch erst die Schuldunfähigkeit bewirkt, so ist für die Frage<br />
des Vorsatzes von Bedeutung, ob diese anderen Umstände vom Vorsatz mit umfasst, d. h., gekannt <strong>und</strong> zumindest<br />
billigend in Kauf genommen wurden. Letzteres gilt insbesondere <strong>im</strong> Zusammenhang von <strong>Alkohol</strong> <strong>und</strong> Medikamenten.<br />
Der Kraftfahrer ist verpflichtet, sich über die Verträglichkeit der eingenommenen Medikamente mit dem<br />
<strong>Alkohol</strong> zu unterrichten. Der Rausch braucht dabei, gleichgültig welcher Art die übrigen Ursachenteile sind, nur<br />
eine Mitursache <strong>und</strong> keinesfalls die einzige Ursache darzustellen.<br />
Zwar braucht sich das Verschulden des Betreffenden – wie dargelegt – nicht auf die <strong>im</strong> Rausch begangene<br />
Handlung zu beziehen. Trotzdem ergeben sich hier wiederum Chancen für die Verteidigung, denn Einzelheiten<br />
dabei sind doch sehr umstritten. Teilweise wird Vorsatz auch in Bezug auf die Rauschtat verlangt, zumindest ein<br />
„natürlicher“ Vorsatz wie die schuldhafte Kenntnis der Neigung zu Straftaten <strong>im</strong> Rauschzustand oder ein lockeres<br />
Verschulden hinsichtlich der Rauschtat oder die Vorhersehbarkeit der Möglichkeit von Rauschtaten. Die Vorhersehbarkeit<br />
soll dann entfallen, wenn gewisse „Zurüstungen“ getroffen wurden, die die Rauschtat verhindern.<br />
Schulfall <strong>im</strong> <strong>Alkohol</strong>bereich ist die Übergabe des einzigen Kfz-Schlüssels an eine zuverlässige, nicht trinkende<br />
Person.<br />
Ein besonderes Augenmerk <strong>im</strong> Bereich des Vollrausches verdienen wiederum alkoholabhängige Menschen.<br />
Da der Schuldvorwurf, wie dargestellt, an das „Sich-Berauschen“ anknüpft, kann bei schwer alkoholabhängigen<br />
Menschen die Schuld fehlen. Bei schweren <strong>Alkohol</strong>ikern muss daher in der Regel geprüft werden, ob der Drang<br />
zum <strong>Alkohol</strong> nicht bereits zu krankhaft war, so dass Schuldunfähigkeit vorlag.<br />
Abschließend noch ein Wort zu niedrigeren <strong>Alkohol</strong>konzentrationen. Weitaus häufiger als Promillewerte von<br />
jenseits der 2 Promille begegnen dem Anwalt in der Praxis die Fälle niedrigerer <strong>Alkohol</strong>konzentrationen. Sehr<br />
häufig beschäftigt sich der Verteidiger mit der Frage, ob bei <strong>Alkohol</strong>konzentrationen von 0,3 Promille bis 1,1 Promille<br />
nun eine relative Fahruntüchtigkeit gegeben ist, die zu einem Trunkenheitsdelikt führt oder ob „nur“ eine<br />
Ordnungswidrigkeit iSd. § 24a StVG vorliegt. Von der Beantwortung dieser Frage hängt für den Betroffenen sehr<br />
viel ab, wird doch bereits dabei entschieden, ob dem Mandanten der Führerschein für mindestens 6 Monate zu<br />
entziehen ist oder ihm <strong>im</strong> Regelfall nur ein 1–3 monatiges Fahrverbot droht. Konnte eine relative Fahruntüchtigkeit<br />
daher glücklicherweise für den Mandanten nicht festgestellt werden, wird in den allermeisten Fällen, wenn<br />
keine Probleme bei der Feststellung der <strong>Blutalkohol</strong>- oder Atemalkoholkonzentration vorliegen, ein fahrlässiger<br />
Verstoß <strong>gegen</strong> die Vorschrift des § 24a StVG vorliegen. Anders als bei den strafrechtlichen Trunkenheitsdelikten<br />
knüpft § 24a StVG allein an das Erreichen einer best<strong>im</strong>mten <strong>Alkohol</strong>konzentration an. Da nach naturwissenschaftlich<br />
gesicherter Erkenntnis niemand während des Trinkens oder nach dem Trinken genau voraussehen<br />
kann, welche Blut- oder Atemalkoholkonzentration er später haben wird, ist der Vorwurf der Fahrlässigkeit <strong>im</strong><br />
Rahmen des § 24a Abs. 3 StVG in der Regel schon auf Gr<strong>und</strong> der Tatsache gerechtfertigt, dass der Betroffene<br />
trotz Kenntnis vorausgegangenen <strong>Alkohol</strong>genusses das Fahrzeug geführt hat. Der Fahrlässigkeitsvorwurf kann<br />
lediglich ausnahmsweise entfallen, wenn der Grenzwert auf Gr<strong>und</strong> unbemerkter <strong>und</strong> geschmacklich nicht wahrnehmbarer<br />
<strong>Alkohol</strong>zuführung erreicht oder überschritten wurde. Diese Tatsachen müssen dann jedoch von der<br />
Verteidigung in das Verfahren eingeführt <strong>und</strong> zumindest so glaubhaft geltend gemacht werden, dass es sich für<br />
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Sup 18 Supplement<br />
das Gericht nicht als reine Schutzbehauptung darstellt. Für die Sorgfaltswidrigkeit reicht es aber dabei nach Ansicht<br />
des Kammergerichts Berlin (DAR 2003, S. 82) aus, dass der Betroffene aus Gläsern fremder Gäste trank. Er<br />
musste dabei damit rechnen, dass sich in den Gläsern anderer Gäste z. B. berauschende Substanzen befinden können.<br />
Dies ändert auch nichts daran, wenn er dies weder schmeckte noch spürte.<br />
Last but not least noch etwas in eigener Sache. Sehr häufig wird der Verteidiger als derjenige <strong>im</strong> Strafverfahren<br />
empf<strong>und</strong>en, der dafür sorgen will, dass ein Täter nicht seiner gerechten Strafe zugeführt wird. Dies ist so<br />
jedoch nicht richtig. Zwar sind wir Verteidiger einseitige Interessenvertreter, aber auch Organ der Rechtspflege.<br />
Ein seriöser Verteidiger wird den Mandanten niemals zur Lüge anstiften, sondern nur die Rechte in Anspruch<br />
nehmen, die ihm die Straprozeßordnung einräumt. Und auch wenn die mal leise <strong>und</strong> mal laut dargestellte Auffassung<br />
nicht unbekannt ist, dass viele Verfahren ohne Verteidiger weniger kompliziert wären, so mag dies auch<br />
daran liegen, dass die Wahrung der Rechte des Angeklagten <strong>und</strong> die Prüfung der für den Angeklagten sprechenden<br />
Umstände nun mal häufig länger dauern, als seine schnelle <strong>und</strong> vielleicht ungerechte Verurteilung.<br />
Anschrift des Verfassers<br />
Rechtsanwalt Christian Janeczek<br />
Gohliser Straße 1<br />
01159 Dresden<br />
Email: C.Janeczek@roth-anwaelte.de<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Supplement<br />
UWE SCHEFFLER, DELA-MADELEINE HALECKER<br />
Die vorsätzliche Trunkenheitsfahrt gemäß § 316 StGB –<br />
eine Ausnahme oder doch eher die Regel?<br />
Sup 19<br />
1. „Das zweite Glas kann schon zuviel sein!“ Wer kennt diesen – oder einen ähnlichen – Slogan nicht?<br />
Prüfen wir einmal diese Aussage mit einem gängigen Promillerechner aus dem Internet nach 1 ). Wählen wir<br />
einen Mann, 80 kg schwer, 1,80 m groß, 30 Jahre alt, halbvoller Magen als unseren „Mustermann“, so bekommen<br />
wir als Ergebnis, dass er bei einem kleinen Bier (0,2 l) mit 4,8 % <strong>Alkohol</strong>gehalt 20 min. nach Trinkende den<br />
max<strong>im</strong>alen <strong>Blutalkohol</strong>gehalt mit 0,09 ‰ erreicht. Bei einem einfachen Schnaps (40 %) kommen wir gar nur auf<br />
0,07 ‰.<br />
Die Schweizerische Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu) bemerkt dazu, dass „ca. 80–90 Prozent<br />
der Bevölkerung aufgr<strong>und</strong> ihres Körpergewichtes mehr trinken dürfen als ein Glas“ – bezogen auf die<br />
0,5 ‰-Grenze 2 ). Gleichwohl betont sie, die Aussage sei „nicht falsch“ <strong>und</strong> ergänzt: „sie ist erfolgreich (sehr<br />
bekannt)“ 3 ).<br />
Und die Aussage ist kein Einzelfall: Die „Bild-Zeitung“, Deutschlands vermutlich gerade auch bei unserem<br />
Klientel meistgelesene Tageszeitung, brachte zum letzten „Vatertag“ unter Berufung auf die Autorität des<br />
„TÜV“ 4 ) Zahlen zur Frage „Wie viel <strong>Alkohol</strong> ist erlaubt?“ 5 ): „Ein 80-Kilo-Mann dürfte … 2 Standard-Gläser<br />
Bier [0,2 l] trinken, um 0,3 Promille nicht zu überschreiten.“ Prüfen wir das für unseren Mustermann mit dem<br />
Promillerechner nach, kommen wir auf 0,21 ‰ – aber nur <strong>im</strong> Falle des Sturztrunkes der beiden Biere. Geben wir<br />
Mustermann eine halbe St<strong>und</strong>e Trinkzeit, erreicht er max<strong>im</strong>al 0,14 ‰, bei einer St<strong>und</strong>e gar nur 0,07 ‰.<br />
Man kann weitere solche Beispiele finden 6 ). Sie gehen regelmäßig vom 0,3 ‰-Wert aus, der in der Praxis erst<br />
bei einem Verkehrsunfall eine Rolle spielt – <strong>und</strong> belegen die Berechnungen noch mit einer Art „Sicherheitszuschlag“,<br />
indem nicht von einem Mustermann, sondern von einem – gar weiblichen – Fliegengewicht ausgegangen<br />
<strong>und</strong> zudem keinerlei Abbauzeit in Rechnung gestellt wird. Auch wird Bier regelmäßig mit 5 % <strong>Alkohol</strong>gehalt<br />
angesetzt, obwohl die gängigen Pilsener zumeist (!) etwa 4,8 % haben 7 ).<br />
Nun ist der Hintergr<strong>und</strong> dieser Strategie offensichtlich <strong>und</strong> soll hier auch überhaupt nicht kritisiert werden. Es<br />
folgen aus ihr jedoch Implikationen für die Annahme des Vorsatzes einer Trunkenheitsfahrt. Denn die Strategie<br />
ist tatsächlich erfolgreich.<br />
2. Das AG Rheine, seit Jahren n<strong>im</strong>mermüder, wortgewaltiger 8 ) Vorkämpfer für die Annahme von Vorsatz bei<br />
Trunkenheitsfahrten 9 ), meinte noch 1993, Kraftfahrer wüssten „mit überwältigender Mehrheit“, dass „ca. drei bis<br />
vier Glas Pils 0,2 l, zwei Glas Wein 0,2 l oder 3–4 Schnäpse 0,02 l“ zu der damalig noch geltenden Promillegrenze<br />
von 0,8 ‰ führten 10 ). Das war schon durchaus großzügig geschätzt, kommt unser Mustermann bei diesen<br />
Mengen selbst ohne Resorption laut Promillerechner nur auf 0,27 bis 0,62 ‰.<br />
Schaut man heute beispielsweise in Internetforen, so scheint sich hier ein weiterer Bewusstseinswandel vollzogen<br />
zu haben. So stößt man auf die Frage eines 100 kg-Mannes, ob er sich nach dem Essen „ein kleines Bierchen<br />
(0,33 l) genehmigen“ könnte, nur auf Antworten wie: „Wenn du vorher noch nix getrunken hast, dann geht<br />
das schon“; „Aber wirklich nur eines.“ 11 ) Wir fragen den Promillerechner: Max<strong>im</strong>al 0,12 ‰ hätte unser Zweizentnermann.<br />
Oder: Ein 22jähriges „Mädchen“ möchte wissen, wie viel Gläser Wein es trinken dürfte, „um noch fahrtüchtig<br />
zu sein“. Die präziseste, aber durchaus repräsentative Antwort lautet: „… um unter der erlaubten Grenze zu bleiben:<br />
1 Glas 100 cl Wein“. Dabei käme sie höchstens als Fliegengewicht mit leerem Magen <strong>und</strong> bei Sturztrunk<br />
damit klar über 0,2 ‰.<br />
Schließlich fragt in einem Forum jemand, der gern auf einer Feier „1 Bier oder ein Glas Sekt“ trinken würde,<br />
ob er das dürfe 12 ). Die Antworten, mit Hinweis auf die Promillegrenzen: „Sekt lieber nicht“, „ein halbes Glas Bier<br />
0,1 Liter“, <strong>und</strong>: „2 Schluck [Kölsch] auf vollen Magen kann man schon trinken“.<br />
3. Szenenwechsel. Nach der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte kann bekanntlich aus einer hohen <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
(BAK) nicht ohne das Hinzutreten weiterer Umstände auf Vorsatz geschlossen werden 13 ).<br />
Allenfalls hört man noch, dem <strong>Alkohol</strong>isierungsgrad sei wenigstens eine Indizwirkung zuzusprechen 14 ); eine vorsätzliche<br />
Trunkenheitsfahrt sei um so wahrscheinlicher, je weiter die BAK die Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit<br />
übersteigt 15 ). Mehr nicht. Entscheidungen, die eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Trunkenheitsfahrt <strong>im</strong><br />
Ergebnis bestätigen 16 ), haben Seltenheitswert. Bei uns in Brandenburg etwa haben vor kurzem die Feststellungen<br />
„unseres“ LG Frankfurt (Oder), es müssten „min<strong>im</strong>al 4,1 l Bier, ca. 2,1 l Wein oder ca. 0,5 l Schnaps binnen<br />
1 Std. getrunken worden sein“, oder bei längerer Trinkdauer „entsprechend größere Mengen“, nicht zur Verurteilung<br />
wegen Vorsatzes genügt 17 ).<br />
4. Für den angetrunkenen Autofahrer ist dies ein Glück. Denn abgesehen von der regelmäßig um ca. zehn<br />
Tagessätze erhöhten Geldstrafe <strong>und</strong> einen Monat verlängerten Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis<br />
verliert der Angeklagte <strong>im</strong> Falle eines vorsätzlichen Vergehens auch rückwirkend den Deckungsschutz seiner<br />
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Sup 20 Supplement<br />
Rechtsschutzversicherung 18 ). In der Folge muss er die Verfahrenskosten (einschließlich der Kosten für die <strong>Blutalkohol</strong>best<strong>im</strong>mung)<br />
sowie die Anwaltsgebühren selbst tragen, ggf. auch entstandene Sachverständigenkosten.<br />
Ebenso muss der bei einer gesetzlichen Krankenkasse versicherte Angeklagte bei einem durch eine vorsätzliche<br />
Trunkenheit herbeigeführten Verkehrsunfall mit eigenen Verletzungsfolgen einen Teil der Behandlungskosten<br />
selbst bezahlen. Die Krankenkasse darf außerdem einen Teil des Krankengeldes zurückfordern 19 ). In diesem Zusammenhang<br />
sei ferner an die mögliche Leistungsfreiheit des Unfallversicherers 20 ) als auch des Kaskoversicherers<br />
21 ) erinnert. Und schließlich sollte auch damit gerechnet werden, dass die Fahrerlaubnisbehörde bei einer Vorsatztat<br />
von einer höheren kr<strong>im</strong>inellen Energie ausgeht, die sich negativ auf die Beurteilung der Kraftfahreignung<br />
<strong>im</strong> Wiedererteilungsverfahren niederschlagen dürfte.<br />
5. Nun stellt sich natürlich die Frage, ob die Privilegierung des alkoholisierten Kraftfahrers als Fahrlässigkeitstäter<br />
auch heute noch <strong>im</strong> Zeitalter von Slogans wie „Das zweite Glas kann schon zuviel sein!“ dogmatisch<br />
richtig ist.<br />
a) Zunächst einmal ist dem von den Oberlandesgerichten <strong>im</strong>mer wieder angeführten Argument, dass sich mit<br />
steigender <strong>Alkohol</strong>isierung die Erkenntnis- <strong>und</strong> Kritikfähigkeit des Fahrzeugführers verringert 22 ), zu entgegnen:<br />
Die darauf beruhende Schlussfolgerung, die Fähigkeit des Kraftfahrers, die eigene Fahruntüchtigkeit zu erkennen,<br />
könne in einer den Vorsatz ausschließenden Weise beeinträchtigt sein, ist fehlerhaft: Durch die zunehmende<br />
<strong>Alkohol</strong>isierung mag zwar der Überblick über die Trinkmenge verloren gehen. Gleichwohl wird kein Betrunkener<br />
glauben, auf w<strong>und</strong>ersamer Weise wieder nüchtern zu sein. Vielmehr meint er, noch „in Form zu sein“ <strong>und</strong> die<br />
Fahrt „riskieren“ zu können. Das Wissen, „so“ nicht fahren zu dürfen, bleibt 23 ). Mithin „führt die mangelnde Kritikfähigkeit<br />
aufgr<strong>und</strong> durch <strong>Alkohol</strong>genuss entstandener Euphorisierung nicht zu einer Verkennung des Trunkenheitsgrades,<br />
sondern zu einer Senkung der Hemmschwelle, zu einer trunkenheitsbedingten Überschätzung<br />
der Leistungsfähigkeit“ 24 ). In der Folge setzt sich der <strong>Alkohol</strong>isierte „über alle Bedenken <strong>und</strong> richtigen Erkenntnisse<br />
hinweg <strong>und</strong> fährt, weil die Fähigkeit, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser (richtigen) Einsicht<br />
zu handeln, trunkenheitsbedingt eingeschränkt ist“ 25 ). Rechtsdogmatisch führt dies aber nicht zum Wegfall<br />
des Vorsatzes, sondern betrifft vielmehr die Schuldfähigkeit des Angeklagten (§§ 20, 21 StGB) 26 ).<br />
Übrigens hätte die ent<strong>gegen</strong>gesetzte Annahme, konsequent zu Ende gedacht, eine kuriose Konsequenz: Dann<br />
wäre die Annahme von Vorsatz um so weniger erlaubt, je höher die festgestellte BAK ist 27 )!<br />
b) Weshalb könnte dann nun aber Vorsatz gegeben sein? Vorsatz ist, so wird gemeinhin gesagt, in Form des<br />
dolus directus das Wissen, in der Form der Absicht das Wollen der Tat. Zwischenformen, in denen das Wissen<br />
etwa nur zu einem Fürmöglichhalten oder das Wollen zu einem Sichmitabfinden reduziert sind, können zudem<br />
bedingten Vorsatz begründen 28 ).<br />
Trunkenheitsfahrten werden zumeist unter dem Gesichtspunkt von Letzterem, dem dolus eventualis, betrachtet.<br />
Es sei erforderlich festzustellen, dass der Angetrunkene bei Fahrtantritt jedenfalls die Möglichkeit einer Fahruntüchtigkeit<br />
in Kauf genommen haben muss 29 ).<br />
aa) Prüfen wir das etwas genauer. Bekanntlich wird zwischen sog. absoluter 30 ) <strong>und</strong> relativer 31 ) Fahruntüchtigkeit<br />
unterschieden. Relative Fahruntüchtigkeit n<strong>im</strong>mt die Rechtsprechung überwiegend 32 ) ab einer BAK von<br />
0,3 ‰ an, sofern weitere Anzeichen hinzutreten 33 ). Solche Beweisanzeichen (Indizien) sind namentlich Ausfallerscheinungen<br />
körperlicher oder verkehrsrechtlicher Art (alkoholbedingte Fahrfehler) 34 ).<br />
Nun ist eines der herrschenden Meinung zuzugeben: Es ist kaum einmal sicher anzunehmen, dass ein Angetrunkener<br />
meint, nicht mehr fehlerfrei fahren zu können. Es entspricht vielmehr „den Erkenntnissen der Rechtsmedizin,<br />
dass auch hohe, selbst sehr hohe <strong>Blutalkohol</strong>konzentrationen zum Verlust zutreffender Selbsteinschätzung<br />
der eigenen Fahrtüchtigkeit führen können mit der Folge, dass der Täter die bei ihm objektiv vorliegende<br />
alkoholbedingte Fahrunsicherheit nicht mehr wahrn<strong>im</strong>mt“ 35 ). Die Auffassung unseres wortgewaltigen AG Rheine<br />
scheint kaum übertrieben, wonach die Mehrheit Trinkender auf die Frage, ob sie sich noch für fahrtüchtig hielten,<br />
entgegnen dürfte, „dazu selbstverständlich in der Lage zu sein, da sie gar nicht so ‚besoffen‘ sein könnten,<br />
diese Fähigkeit einzubüßen“ 36 ).<br />
bb) Aber Fahruntüchtigkeit, nämlich die sog. absolute, wird auch bei Promillewerten früher zunächst 37 ) von<br />
1,5 ‰, sodann 38 ) von 1,3 ‰, heute 39 ) von 1,1 ‰ angenommen 40 ). Der Vorsatz kann sich also, liegt er bezüglich<br />
der trunkenheitssymtombedingten Fahruntüchtigkeit nicht vor, auf die bloße Aufnahme von entsprechend vielem<br />
<strong>Alkohol</strong> beziehen!<br />
Und dieser Vorsatz, wir kommen jetzt zum Ausgangspunkt unserer Darlegungen zurück, dürfte sich jedenfalls<br />
heute unter Slogans wie „Das zweite Glas kann schon zu viel sein!“, nicht mehr so einfach von der Hand weisen<br />
lassen.<br />
α) Es ist schwerlich vorstellbar, dass ein Fahrzeugführer, der sich – gar deutlich – auf wenigstens 1,1 ‰<br />
getrunken hat, nicht zumindest seine absolute Fahruntüchtigkeit „billigend in Kauf n<strong>im</strong>mt“, wie es der BGH<br />
formuliert 41 ). Der Fahrschulunterricht <strong>und</strong> die verstärkten Medienkampagnen lassen eine andere Annahme<br />
schwerlich zu. Wir wollen sogar noch weitergehen: Es dürfte zumeist sogar sicheres Wissen, also direkter Vorsatz<br />
vorliegen!<br />
β) Folgt man dem, kann man sich sogar noch einen Schritt weiter vorwagen: Wer ann<strong>im</strong>mt, dass das „zweite<br />
Glas schon zu viel sein“, also fahruntüchtig machen kann, wird es, selbst wenn ihm die Unterschiede der 0,3-,<br />
0,5- <strong>und</strong> 1,1-Promille-Grenzen geläufig sind, zumindest für möglich halten, dass er nach dem Konsum einiger<br />
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Supplement<br />
Sup 21<br />
Gläser keinesfalls mehr fahren darf, ohne sich strafbar zu machen. In der Regel 42 ) dürften Kraftfahrer unter<br />
1,1 Promille ihre BAK eher überschätzen, sich früh schon <strong>im</strong> Bereich der absoluten Fahruntüchtigkeit wähnen.<br />
Überraschungen hinsichtlich der Höhe der gemessenen BAK dürften sich bei den Getesteten eher ob ihrer Geringheit<br />
ergeben. Oder würde sich unser Mustermann vorstellen können, dass er, wenn er abends fünf St<strong>und</strong>en<br />
lang stündlich einen halben Liter Pilsener (4,8 %) trinkt, danach „nur“ eine BAK von 0,84 ‰ hat? Unser Promillerechner<br />
jedenfalls behauptet es.<br />
Dazu passt ein eigenes Erlebnis: Spätabends ruft ein Fre<strong>und</strong> in Panik an. Die Polizei wolle, dass er „pustet“, er<br />
habe davor Angst, weil er vielleicht etwas zuviel getrunken habe. Auf den Rat, nicht den Alcotest zu verweigern,<br />
ergibt sich: Das Gerät schlägt noch nicht einmal an!<br />
Aus diesen Überlegungen folgt: Wenngleich es auch kaum möglich ist, selbst bei absoluter Fahruntüchtigkeit<br />
infolge euphorisierter Selbstüberschätzung auf den dolus eventualis bzgl. relativer Fahruntüchtigkeit zu schließen,<br />
so kann selbst auch bei nur relativer Fahruntüchtigkeit zumindest bedingter Vorsatz <strong>im</strong> Hinblick auf absolute<br />
Fahruntüchtigkeit naheliegen: Auch wenn der Angetrunkene glaubt, noch sicher fahren zu können, so weiß<br />
er doch, dass er es wohl nicht mehr darf.<br />
c) Soweit zur materiellen Rechtslage. Zur prozessualen Umsetzbarkeit ist damit noch nichts gesagt. Die Annahme,<br />
es gebe keinen medizinisch begründbaren Erfahrungssatz, der einen allgemeingültigen Rückschluss von<br />
der Höhe der BAK auf das Bewusstsein der Fahruntüchtigkeit zulässt 43 ), scheint einer Umsetzung <strong>im</strong> Wege zu<br />
stehen. Schauen wir hier mal etwas näher hin.<br />
Wir kennen solche prozessualen Situationen. Bekanntlich verbietet der BGH z. B. bei Verkehrszuwiderhandlungen<br />
ohne weitere Anhaltspunkte den Schluss vom Halter auf den Fahrer 44 ), <strong>und</strong> zwar auch dann, wenn der „ges<strong>und</strong>e<br />
Menschenverstand“ niemanden an deren Identität zweifeln lässt. Strukturell unserer Frage ähnlicher ist<br />
aber der insbesondere vom Kammergericht mehrfach betonte „Erfahrungssatz, dass einem Fahrzeugführer die erhebliche<br />
Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit aufgr<strong>und</strong> des Fahrgeräusches sowie der an ihm<br />
vorbeiziehenden Umgebung in der Regel bewusst ist“, <strong>und</strong> es daher für die Annahme fahrlässigen Handelns in<br />
diesen Fällen der Darlegung besonderer Umstände <strong>im</strong> Urteil bedürfe 45 ).<br />
aa) Überträgt man das, bedeutete dies: Ab einer best<strong>im</strong>mten Höhe der gemessenen <strong>Alkohol</strong>konzentration wäre<br />
in der Regel Vorsatz anzunehmen, sofern nicht besondere Umstände die Annahme fahrlässigen Handelns nahelegen<br />
würden.<br />
Geht man weiter parallel zu den Entscheidungen zur Geschwindigkeitsüberschreitung, kann auch hier eine<br />
40–50 %ige Überschreitung des 1,1 %-Wertes als Grenze angenommen werden, also 1,6 ‰ – ein Wert, der <strong>im</strong><br />
Bereich der Fahrerlaubnisverordnung als Grenzwert fungiert 46 ). Um den zu erreichen, müsste übrigens unser<br />
Mustermann innerhalb von vier S<strong>und</strong>en sieben halbe Liter Pilsener Bier getrunken haben.<br />
Ferner muss das Gericht bei einer geringeren Überschreitung, etwa einer BAK von 1,2 ‰, seine Überzeugung<br />
von einer Vorsatztat auf eine frühere Verurteilung stützen können, sofern der ihr zugr<strong>und</strong>e liegende Sachverhalt<br />
mit dem aktuell zu beurteilenden zumindest annähernd vergleichbar ist 47 ).<br />
bb) Das Gericht ist jedenfalls nicht gehalten, von sich aus alle theoretisch möglichen Geschehensabläufe zu<br />
rekonstruieren <strong>und</strong> entlastend zu berücksichtigen, die der Annahme einer Vorsatztat aufgr<strong>und</strong> der hohen BAK<br />
ent<strong>gegen</strong>stehen könnten. Zweifeln ist nachzugehen, wenn dafür reale Anhaltspunkte bestehen 48 ).<br />
Davon ausgehend kann der Tatrichter Hinweise auf entlastende Umstände vor allem vom Angeklagten selbst<br />
erwarten 49 ). Schweigen dürfte also bei hoher BAK nicht unbedingt die beste Verteidigung sein. Trägt der Angeklagte<br />
hinsichtlich der Kenntnis von der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit keine konkreten Einwendungen vor,<br />
wird der Tatrichter regelmäßig keine Veranlassung haben, den nur noch als theoretische Möglichkeiten verbleibenden<br />
Entlastungsgesichtspunkten weiter nachzugehen 50 ).<br />
Als besonderer Umstand käme zum einen ein <strong>im</strong>mer noch hoher Promillewert lange nach Trinkende in Betracht,<br />
der sog. Restalkohol, insbesondere am „Morgen danach“. Die Resorptionsdauer dürfte nach wie vor von<br />
vielen Kraftfahrern unterschätzt werden, obwohl übrigens auch hier in Kampagnen häufig der in aller Regel viel<br />
zu kleine, nur für den Juristen bedeutsame Abbauwert von 0,1 ‰ pro St<strong>und</strong>e statt des rechtsmedizinisch naheliegenden<br />
von 0,14 bis 0,17 ‰ pro St<strong>und</strong>e genannt wird 51 ). N<strong>im</strong>mt also „die Fähigkeit des Täters, seine Fahrtüchtigkeit<br />
aufgr<strong>und</strong> der Trinkmenge richtig einzuschätzen, mit zeitlicher Entfernung zum Trinkende ab, bedarf die<br />
Annahme des Vorsatzes auch bei einer über dem Wert für die absolute Fahruntüchtigkeit liegenden BAK umso<br />
sorgfältigerer Prüfung <strong>und</strong> Begründung“ 52 ).<br />
Ferner wären hier die Fälle bedeutsam, in denen der Angetrunkene ungewohnte alkoholische Getränke zu sich<br />
n<strong>im</strong>mt, namentlich <strong>Alkohol</strong>mischgetränke, deren <strong>Alkohol</strong>gehalt er nicht kennt, <strong>und</strong> nicht das trinkt, was er <strong>im</strong>mer<br />
trinkt, also bei den ihm bekannten Getränken wie Bier, Wein oder Schnaps bleibt.<br />
d) Das leitet nun zu einem letzten, rein pragmatischen Einwand über: Die Annahme von Vorsatz würde dann<br />
offenbar mit einer gewieften Verteidigungsstrategie des Beschuldigten stehen <strong>und</strong> fallen 53 ). Das ist bei näherer<br />
Betrachtung aber zu relativieren.<br />
Zunächst einmal: In einer Vielzahl der Fälle lässt sich der überprüfte Fahrzeugführer zum Trinkzeitraum <strong>und</strong><br />
zur Art seiner Getränke <strong>gegen</strong>über der Polizei oder <strong>im</strong> Zusammenhang mit der Blutabnahme ein. Raum für spätere<br />
Schutzbehauptungen, etwa nach anwaltlicher Beratung, besteht dann kaum noch.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Sup 22 Supplement<br />
aa) Aber auch dem raffiniert sogleich Ausflüchte suchenden Fahrer ist niemand hilflos ausgeliefert. Namentlich<br />
die Einlassung, man habe unbekannte Mischgetränke zu sich genommen, ist in vielen Fällen durchaus widerlegbar,<br />
sei es durch eine Begleitstoffanalyse, sei es durch die Vernehmung von Zeugen (Wirt, Mitzecher). Auch<br />
Angaben zum angeblich weit zurückliegenden Trinkende können überprüft werden, zumal behaupteter hoher<br />
Restalkohol einen enormen <strong>Alkohol</strong>konsum voraussetzt.<br />
Vielmehr besteht das Problem darin, dass heute entsprechende Beweiserhebungen von vornherein unterlassen<br />
werden <strong>und</strong> stattdessen selbst bei sehr hoher Promillezahl arbeitssparende Strafbefehle wegen bloßer fahrlässiger<br />
Trunkenheit gefertigt werden. Auch dann, wenn eine Hauptverhandlung anberaumt wird, entwickeln regelmäßig<br />
weder Gericht noch Staatsanwaltschaft sonderliche Neigung, die Hauptverhandlung auf die Vorsatzfrage auszuweiten.<br />
Der für Vorsatz <strong>und</strong> Fahrlässigkeit identische Strafrahmen des § 316 StGB tut sein Übriges.<br />
bb) Unabhängig davon ist das Problem, dass oftmals nur der alles zugestehende Angeklagte adäquat abgeurteilt<br />
werden kann, dem Strafverfahren <strong>im</strong>manent. Der Angeklagte, der geschickte Schutzbehauptungen aufstellt<br />
oder zur Sache schweigt, ist oftmals nur unzureichend zu überführen. Bei unserer Fragestellung ist dieser Aspekt<br />
sogar umzudrehen: Solange sich die Gerichte wehren, aus der BAK-Höhe Schlüsse auf den Vorsatz zuzulassen,<br />
gilt, was unser wortgewaltiges AG Rheine einmal so formulierte 54 ): Nur der unverteidigte, „den unteren Gesellschaftskreisen<br />
angehörende Teil der Klientel … [lässt] sich nach glaubhaften Geständnissen klaglos wegen Vorsatzes<br />
verurteilen“!<br />
Der Ehrliche ist der Dumme!<br />
Fußnoten<br />
1 ) http://www.promillerechner.de/demo.html. Wir haben uns unter zahlreichen angebotenen Promillerechnern für<br />
diesen entschieden, weil er uns, entwickelt von Dipl.-Psych. Lutz Mehlhorn, einem langjährigen MPU-Gutachter<br />
bei der DEKRA, seriös vorkam. Man kann <strong>im</strong> Internet auch Promillerechner finden, die die Ergebnisse<br />
mit „launigen“ Bemerkungen kommentieren, siehe http://www.kfz.de/promillerechner/: „Promille-Max<strong>im</strong>um:<br />
3.365 / <strong>Alkohol</strong>aufnahme: 200 g WERTUNG: Vollrauschverweigerer! Für nen Anfänger nicht schlecht. Weiter<br />
so!“ Wir haben von deren Verwendung abgesehen. Wir hoffen inständig, dass die mit dem von uns gewählten<br />
Promillerechner ermittelten Werte auch vor den Expertenaugen unserer Rechtsmediziner bestehen<br />
können. Stichproben mit anderen, ebenfalls seriös erscheinenden Promillerechnern haben diese Hoffnung verstärkt.<br />
2 ) http://www.bfu.ch/German/medien/Positionspapiere/PP_<strong>Alkohol</strong>selbsttestgeraete.pdf.<br />
3 ) Das Rechtsbegehren des Schweizer Branchenverbandes Wein für ein vorläufiges Verbot, mit dem Plakat „0,5<br />
Promille = max. 1 Glas“ zu werben, scheiterte 2005 (ZG Bern-Laupen BA 2005, 507): „Diese Begehren werden<br />
<strong>im</strong> Wesentlichen <strong>und</strong> sinngemäss wie folgt begründet: An den Schweizer Strassen würden derzeit Plakate<br />
mit der Aufschrift ,0,5 Promille = max. 1 Glas‘ hängen, mit welchen die Gesuchsgegner, das <strong>B<strong>und</strong></strong>esamt für<br />
Ges<strong>und</strong>heit (BAG) <strong>und</strong> die Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu), auf den seit Anfang Jahr geltenden <strong>Blutalkohol</strong>-Grenzwert<br />
von 0,5 Promille aufmerksam machen würden … Aufgr<strong>und</strong> der Plakataktion müsse der<br />
Durchschnittsabnehmer davon ausgehen, dass er den Grenzwert von 0,5 Promille überschreite, wenn er mehr<br />
als ein Glas eines alkoholischen Getränks zu sich nehme, <strong>und</strong> dass er sich damit be<strong>im</strong> Führen eines Fahrzeugs<br />
strafbar mache. In ihrer Informationsbroschüre schreibe die Beratungsstelle für Unfallverhütung aber, dass ein<br />
normales Glas mit einem alkoholischen Getränk (1 dl Rotwein, 2 cl Schnaps, 3 dl Bier) zu ca. 0,2 Promille<br />
<strong>Blutalkohol</strong> führe <strong>und</strong> davon pro St<strong>und</strong>e 0,1 Promille abgebaut würden. An der Medienkonferenz zur Vorstellung<br />
der Werbekampagne habe die Direktorin der Beratungsstelle ausgeführt, dass mit der Werbekampagne die<br />
neue L<strong>im</strong>ite <strong>im</strong> Bewusstsein der Bevölkerung verankert werden solle …“<br />
4 ) Siehe http://www.tuv.com/de/alkohol_am_steuer.html.<br />
5 ) http://www.bild.de/BILD/auto/2009/05/vatertagalkohol-am-steuer/sicherheit-christih<strong>im</strong>melfahrt.html.<br />
6 ) In der Diskussion nach diesem Vortrag kam die Überlegung auf, ob nicht die Äußerung des damaligen Bayerischen<br />
Ministerpräsidenten Beckstein <strong>im</strong> September 2008 <strong>im</strong> Bayerischen R<strong>und</strong>funk, wenn man „zwei Maß<br />
in sechs, sieben St<strong>und</strong>en auf dem Oktoberfest trinkt“, sei das Autofahren „noch möglich“, ein bedeutsames<br />
Gegenbeispiel darstellen würde. Zwar würde unser Mustermann be<strong>im</strong> Konsum von zwei Maß (2 l) Pilsener<br />
Bier sich tatsächlich mit 0,38 ‰ bei sechs St<strong>und</strong>en bzw. 0,24 ‰ bei sieben St<strong>und</strong>en Trinkdauer unter der Grenze<br />
zur Ordnungswidrigkeit nach § 24a OWiG befinden. „Oktoberfestbier“ hat jedoch ca. 6 % <strong>Alkohol</strong>gehalt<br />
(http://www.muenchen.de/Tourismus/Oktoberfest/z_Bier/172713/01oktoberfestbier.html). Damit stiegen die<br />
Werte laut Promillerechner auf 0,56 bzw. 0,70 ‰. Der Überlegung kann man jedoch die ungewöhnlich harsche<br />
Kritik ent<strong>gegen</strong>halten, die die Äußerung von Beckstein erfahrenen hat: So unterstellten etwa der bayerische<br />
GdP-Landesvorsitzende Harald Schneider (siehe http://www.focus.de/politik/deutschland/bayern/beck<br />
stein-rede-zwei-mass-bier-dann-ans-steuer_aid_333629.html), die <strong>Drogen</strong>beauftragte der <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung<br />
Sabine Bätzing (siehe http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/beckstein-wegen-bier-rede-in-derbredouille;2041319)<br />
<strong>und</strong> die Grünen-Landesvorsitzende Theresa Schopper (siehe http://www.stern.de/panorama/<br />
alkohol-am-steuer-beckstein-findet-zwei-mass-bier-okay-639264.html) unisono dem Ministerpräsidenten ei-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Supplement<br />
Sup 23<br />
gene Trunkenheit bei seiner Äußerung; sogar der ADAC bezeichnete die Aussage von Beckstein schlicht als<br />
„Unsinn“ (http://www.tagesspiegel.de/politik/deutschland/beckstein-hat-wohl-einen-ueber-den-durst-getrunken/<br />
1326944.html); siehe hierzu zudem die Stellungnahme des B.A.D.S. in BA 2008, 376. Auch Beckstein selbst<br />
hat noch vor kurzem seine damalige Aussage als „eine oberflächliche <strong>und</strong> nicht verständliche Äußerung“ bezeichnet(http://www.stern.de/politik/deutschland/kaessmann-ruecktritt-jeder-karnevalist-haette-seine-scherzegemacht-1546485.html)<br />
<strong>und</strong> nach Mitteilung vom Präsidenten des B.A.D.S. Dr. Gerhardt während der<br />
Diskussion in einem Schreiben an den B.A.D.S. ausdrücklich bedauert.<br />
7 ) Auch Sorten wie Alt, Kölsch, Lager <strong>und</strong> Märzen haben in der Regel etwas unter 5 %; Bockbier <strong>und</strong> Weizenbier<br />
etwa enthalten allerdings meistens mehr <strong>Alkohol</strong>, http://www.ges<strong>und</strong>heitstrends.de/ernaehrung/<br />
lexikon/bier.php.<br />
8 ) Kostprobe: „Die obergerichtliche Rechtsprechung n<strong>im</strong>mt … an, nur wegen Fahrlässigkeit verurteilen zu können<br />
… Diese Rechtsprechung verblüfft den praktischen Zeitgenossen, weil sie in offenbarem Widerspruch zur<br />
täglichen Erfahrung steht. Fahrlässig zu handeln ist in all diesen Fällen nämlich so gut wie ausgeschlossen,<br />
denn Fahrlässigkeit kann nur vorliegen, wenn die <strong>im</strong> Verkehr mögliche <strong>und</strong> erforderliche Sorgfalt außer acht<br />
gelassen wird. Weniger juristisch-formelhaft formuliert ließe sich dies auch so ausdrücken: je vorhersehbarer<br />
ein Ergebnis ist, desto stärkere Argumente müssen gef<strong>und</strong>en werden, das mit völliger Sicherheit sich Ereignende<br />
nicht erkannt zu haben. Je sicherer ein Ursache-Wirkung-Nexus ist, desto höhere Anforderungen müssen<br />
gestellt werden, wenn in concreto zugunsten dessen, der einen best<strong>im</strong>mten Erfolg verwirklicht hat, angenommen<br />
werden soll, er habe die sichere Folge seines Tuns nur irrig nicht erkannt. Weniger intelligenten<br />
Menschen versucht man komplexe Theorien dadurch zu vermitteln, daß sie in Einzelschritte aufgelöst werden,<br />
damit sie von ihnen in ihrer konkreten Lebenserfahrung wiedergef<strong>und</strong>en werden können, indem man diese<br />
Theorien auf ‚Wenn-Dann-Beziehungen‘ reduziert: ‚Wenn <strong>Alkohol</strong> – dann Rausch‘ bzw. ‚Wenn viel <strong>Alkohol</strong><br />
– dann starker Rausch‘. Änderungen entsprechen dem Original. Daß der Mensch auf diese Weise die Wirklichkeit<br />
erfassen kann, ist gesichert <strong>und</strong> darf <strong>und</strong> muß deshalb auch auf die Erfahrungen mit dem <strong>Alkohol</strong> übertragen<br />
werden. Niemand kann behaupten, diese Zusammenhänge seien ihm fremd, denn dies belegt der alltägliche<br />
Augenschein: es wird allenthalben getrunken, viel getrunken, ja ‚gesoffen‘, so daß ausgeschlossen<br />
werden kann, daß es – zumindest unter Erwachsenen – jemanden geben könnte, der, an sich selbst oder anderen,<br />
diese Erfahrungen nicht gesammelt <strong>und</strong> die Richtigkeit der o.a. Ursache-Wirkung-Verknüpfung nicht belegt<br />
gef<strong>und</strong>en hätte.“ AG Rheine, BA 1996, 168 (170).<br />
9 ) Siehe ferner etwa AG Rheine BA 2000, 356; BA 1997, 234; BA 1996, 168; DRiZ 1994, 101 = BA 2000, 358.<br />
10 ) AG Rheine DRiZ 1994, 101 (102) = BA 2000, 358 (359).<br />
11 ) http://www.gutefrage.net/frage/wieviel-darf-man-trinken-wenn-man-noch-fahren-will.<br />
12 ) http://www.gutefrage.net/frage/21-jahre-3-5-jahre-fuehrerschein-wieviel-promille.<br />
13 ) Vgl. OLG Brandenburg BA 2010, 33; OLG Hamm BA 2007, 317; Verkehrsrecht aktuell 2004, 102; OLG<br />
Naumburg BA 2001, 457; OLG Saarbrücken BA 2001, 458; OLG Zweibrücken zfs 2001, 334; OLG Karlsruhe<br />
NZV 1999, 301; OLG Köln DAR 1999, 88.<br />
14 ) OLG Koblenz NZV 2008, 304; BA 2001, 464; OLG Düsseldorf BA 1994, 395; siehe auch AG Saalfeld BA<br />
2004, 549.<br />
15 ) OLG Koblenz BA 2001, 464; zust<strong>im</strong>mend Scheffler, BA 2001, 468; siehe auch Fischer, StGB, 57. Aufl. 2010,<br />
§ 316 Rn. 25.<br />
16 ) OLG Saarbrücken BA 2008, 192; OLG Koblenz NZV 2008, 304; BA 2001, 464.<br />
17 ) Siehe OLG Brandenburg BA 2010, 33.<br />
18 ) § 2 Satz 2 Buchst. i Doppelbuchst. aa ARB 2009: „Je nach Vereinbarung umfasst der Versicherungsschutz …<br />
Straf-Rechtsschutz für die Verteidigung wegen des Vorwurfes … eines verkehrsrechtlichen Vergehens. Wird<br />
rechtskräftig festgestellt, dass der Versicherungsnehmer das Vergehen vorsätzlich begangen hat, ist er verpflichtet,<br />
dem Versicherer die Kosten zu erstatten, die dieser für die Verteidigung wegen des Vorwurfes eines<br />
vorsätzlichen Verhaltens getragen hat …“<br />
19 ) SG Dessau-Roßlau, Urt. vom 24. 02. 2010 – S 4 KR 38/08 – juris.<br />
20 ) Ziff. 5.1.2 UVB 2008: „Kein Versicherungsschutz besteht für … Unfälle, die der versicherten Person dadurch<br />
zustoßen, dass sie vorsätzlich eine Straftat ausführt oder versucht.“<br />
21 ) Vgl. § 81 Abs. 1 VVG: „Der Versicherer ist nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer<br />
vorsätzlich den Versicherungsfall herbeiführt.“<br />
22 ) Zuletzt OLG Brandenburg BA 2010, 33 (35): „Mit steigender <strong>Alkohol</strong>isierung verringert sich auch die Erkenntnis-<br />
<strong>und</strong> Kritikfähigkeit, sodass die Fähigkeit, die eigene Fahruntüchtigkeit zu erkennen, in einer zwar den<br />
Vorwurf der Fahrlässigkeit begründenden, jedoch den Vorsatz ausschließenden Weise beeinträchtigt sein kann.“<br />
23 ) In diesem Sinne bereits Scheffler, BA 2001, 468.<br />
24 ) AG Rheine DRiZ 1994, 101 (102) = BA 2000, 358 (359).<br />
25 ) AG Rheine DRiZ 1994, 101 (102) = BA 2000, 358 (359).<br />
26 ) Vgl. OLG Koblenz BA 2001, 464; Scheffler, BA 2001, 468.<br />
27 ) Vgl. OLG Düsseldorf NZV 1994, 367; OLG Koblenz BA 2001, 464; AG Saalfeld BA 2004, 549.<br />
28 ) Siehe die Schemata bei Scheffler, Jura 1994, 352 f.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Sup 24 Supplement<br />
29 ) OLG Brandenburg BA 2010, 33 (34).<br />
30 ) BGHSt 13, 83; 21, 157; 37, 89.<br />
31 ) BGHSt 31, 42.<br />
32 ) Gelegentlich wird eine relative alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit auch bei einer BAK unter 0,3 Promille angenommen,<br />
wenn sich diese aufgr<strong>und</strong> einer Gesamtwürdigung aller sonstigen objektiven <strong>und</strong> subjektiven Umstände,<br />
die sich auf das Erscheinungsbild <strong>und</strong> das Verhalten des Angeklagten vor, während <strong>und</strong> nach der Tat<br />
beziehen, ergibt, vgl. OLG Hamm BA 2004, 357; BayObLG StVE Nr. 94 zu § 316 StGB.<br />
33 ) OLG Saarbrücken BA 2000, 115; OLG Köln NZV 1989, 357 – jeweils m. w. N.<br />
34 ) Vgl. BGHSt 31, 42 (45 f.): „Als solche Ausfallerscheinungen kommen insbesondere in Betracht: eine auffällige,<br />
sei es regelwidrige (BGHSt 13, 83, 89 f. m. w.Nachw.), sei es besonders sorglose <strong>und</strong> leichtsinnige (vgl.<br />
BGH VRS 33, 118 f.; OLG Hamburg VerkMitt 1964, 8) Fahrweise, ein unbesonnenes Benehmen bei Polizeikontrollen<br />
(vgl. Hentschel/Born Trunkenheit <strong>im</strong> Verkehr, 2. Aufl. Rdn. 191 m. w. Nachw.), aber auch ein sonstiges<br />
Verhalten, das alkoholbedingte Enthemmung <strong>und</strong> Kritiklosigkeit erkennen läßt (OLG Hamm VRS 46,<br />
134; OLG Celle, <strong>Blutalkohol</strong> 1974, 61; OLG Köln VRS 37, 35; vgl. auch BGH VRS 32, 40, 43), ferner z. B.<br />
ein Stolpern <strong>und</strong> Schwanken be<strong>im</strong> Gehen (OLG Köln DAR 1973, 21; zum ganzen auch A. Mayer, <strong>Blutalkohol</strong><br />
1965/66, 277; Möhl DAR 1971, 4 f.; Rüth in LK Rdn. 23 ff. zu § 316 StGB).“<br />
35 ) OLG Koblenz BA 2001, 464 (465).<br />
36 ) AG Rheine DRiZ 1994, 101 (102) = BA 2000, 358 (359).<br />
37 ) Ab BGHSt 5, 168.<br />
38 ) Ab BGHSt 21, 157.<br />
39 ) Seit BGHSt 37, 89.<br />
40 ) Kritisch zur absoluten Fahruntüchtigkeit Scheffler/Halecker, BA 2004, 423 ff.<br />
41 ) Siehe BGH bei Dallinger, MDR 1952, 16; BGHSt 7, 363; so auch schon RGSt 72, 36; 76, 115.<br />
42 ) Anderes mag vor allem bei der Unterschätzung des Restalkohols gelten!<br />
43 ) BGH DAR 1996, 175; VRS 65, 359; OLG Hamm BA 2007, 317; OLG Karlsruhe NZV 1999, 301; OLG Köln<br />
DAR 1999, 88; OLG Frankfurt a.M. BA 1996, 301.<br />
44 ) BGHSt 25, 365.<br />
45 ) KG VRS 113, 74; ähnlich etwa KG VRS 111, 441; KG VRS 100, 471; diskutiert wurde, ob das auch bei hohen<br />
Geschwindigkeiten noch komfortable Führen eines „Fahrzeugs mit einer gehobenen technischen Ausstattung“<br />
einen solchen Umstand begründen könnte, vgl. OLG Koblenz DAR 1999, 227.<br />
46 ) Siehe § 13 Nr. 2 Buchst. c FeV.<br />
47 ) Vgl. OLG Saarbrücken BA 2008, 192; 2001, 458; OLG Hamm BA 2003, 56; OLG Naumburg BA 2000, 376;<br />
OLG Celle VRS 94, 339. Auf dem Symposium wurde in diesem Zusammenhang u. a. vorgetragen, dass<br />
Fluchtverhalten als Beweisanzeichen für eine vorsätzliche Trunkenheitsfahrt zu werten sei dem ist jedoch ent<strong>gegen</strong>zuhalten,<br />
dass der Versuch, sich einer polizeilichen Verkehrskontrolle zu entziehen, auch auf anderen<br />
Gründen beruhen kann wie bspw. die (nur) für möglich gehaltene Überschreitung der in § 24a Abs. 1 StVG genannten<br />
Gefahrengrenzwerte – es drohen Bußgeld <strong>und</strong> Fahrverbot, siehe hierzu näher Scheffler, BA 2004, 542.<br />
48 ) Vgl. BGH bei Miebach, NStZ 1990, 28.<br />
49 ) So auch OLG Koblenz BA 2008, 464 (466).<br />
50 ) OLG Koblenz BA 2008, 464 (466).<br />
51 ) Siehe etwa http://www.bild.de/BILD/auto/2009/05/vatertag-alkohol-am-steuer/sicherheit-christi-h<strong>im</strong>melfahrt.<br />
html.<br />
52 ) OLG Koblenz NZV 2008, 304; ähnlich OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 1996, 85; OLG Zweibrücken VRS 66,<br />
136.<br />
53 ) Vgl. OLG Brandenburg, BA 2010, 33 (35): „Zu Recht weist die Revision darauf hin, dass auch andere<br />
Geschehensabläufe denkbar sind, die nicht ohne weiteres den Schluss auf ein zumindest bedingt vorsätzliches<br />
Handeln des Angeklagten zulassen. So ist es ebenso möglich, dass der Angeklagte auf einer privaten Feier<br />
alkoholische Mixgetränke konsumiert hat, deren <strong>Alkohol</strong>gehalt er nicht kannte. Ebenso ist es möglich, dass<br />
der Angeklagte nach Beendigung der <strong>Alkohol</strong>aufnahme einige St<strong>und</strong>en geschlafen <strong>und</strong> sich dann vor Fahrtantritt<br />
keine Gedanken über seine alkoholische Beeinflussung gemacht hatte.“<br />
54 ) AG Rheine DRiZ 1994, 101 (102) = BA 2000, 358 (360).<br />
Anschrift der Verfasser<br />
Prof. Dr. Dr. Uwe Scheffler<br />
Dr. Dela-Madeleine Halecker<br />
Europa-Universität Frankfurt (Oder)<br />
Große Scharrnstraße 59<br />
15230 Frankfurt (Oder)<br />
Email: scheffler@euv-frankfurt-o.de<br />
halecker@euv-frankfurt-o.de<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Supplement<br />
FRANZ TISCHLER<br />
Vorsätzliche <strong>und</strong> fahrlässige Trunkenheitsfahrten<br />
Zivil- <strong>und</strong> versicherungsrechtliche Auswikungen<br />
Sup 25<br />
A. Allgemeines<br />
Trunkenheitsfahrten kommen in der forensischen Praxis des Zivilrichters eher selten vor. Dies wird wohl daran<br />
liegen, dass es der alkoholisierte Fahrer <strong>und</strong> die Haftpflichtversicherung nach der regelmäßig vorangegangenen<br />
strafrechtlichen Sanktion <strong>im</strong> weitesten Sinn (Bußgeld, Geldstrafe, Führerscheinentzug, etc.) eher selten auf einen<br />
Prozess mit dem Ziel ankommen lassen, die <strong>Alkohol</strong>isierung hätte sich nicht auf den Unfall ausgewirkt. Häufiger<br />
finden sich Regressprozesse <strong>im</strong> Rahmen des § 61 VVG a. F. bzw. § 81 VVG n. F.<br />
Im Folgenden soll nun untersucht werden, inwieweit sich die <strong>Alkohol</strong>isierung eines Verkehrsteilnehmers, <strong>im</strong><br />
Prozess in aller Regel eingeführt über die beantragte Beiziehung der Polizeiakte oder der staatsanwaltschaftlichen<br />
Ermittlungsakte, auf die zivilrechtliche Haftung <strong>und</strong> auf den Versicherungsschutz auswirkt.<br />
Dabei spielte <strong>im</strong> Zivil- <strong>und</strong> Versicherungsrecht die Frage, ob die <strong>Alkohol</strong>isierung vorsätzlich oder fahrlässig<br />
herbeigeführt wurde, seit vielen Jahren praktisch keine Rolle mehr. Da jedenfalls bis zur Änderung des VVG zum<br />
01. 01. 2008 keine unterschiedlichen Rechtsfolgen entstanden <strong>und</strong> <strong>im</strong> Gegensatz zum Strafrecht <strong>im</strong> Zivilrecht<br />
weiterhin von einer Vorverlagerung der Verantwortlichkeit ausgegangen wird, dürften die Fälle, in denen von<br />
vorsätzlicher <strong>Alkohol</strong>isierung ausgegangen wurde, schon wegen der schwierigeren Nachweislage, nur sehr vereinzelt<br />
vorgekommen sein. Dies lag schon deshalb nahe, da sich in den beigezogenen Strafakten in der Regel<br />
ebenfalls nur Verurteilungen wegen fahrlässiger Trunkenheit fanden <strong>und</strong> deshalb bereits der Versuch, eine vorsätzliche<br />
Begehungsweise nachweisen zu wollen, aussichtslos erschien. Im Rahmen des § 81 VVG 2008 müsste<br />
aber nun überlegt werden, inwieweit es zu erwarten sein könnte, dass die Versicherer bei Trunkenheitsfahrten<br />
in den Fällen, in denen eine Quotierung wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls in Betracht<br />
kommt, in Zukunft eine Vorsatztat behaupten werden, um völlig leistungsfrei zu werden.<br />
In der zivilrechtlichen Unfallregulierung ist in Trunkenheitsfällen zuerst zu prüfen, ob die <strong>Alkohol</strong>isierung<br />
ursächlich für den Unfall war. Danach stellt sich die Frage, inwieweit dies bei der Haftungsverteilung eine Rolle<br />
spielt. Bei der Verletzung von Fahrzeuginsassen muss dann noch das Problem geklärt werden, ob das Mitfahren<br />
in einem von einem Betrunkenen gesteuerten Fahrzeug einen Mitverschuldensvorwurf rechtfertigt bzw. inwieweit<br />
der Fahrer Fürsorgepflichten <strong>gegen</strong>über alkoholisierten Insassen hat.<br />
Im Versicherungsrecht führt eine alkoholische Beeinflussung entweder schon zur Leistungsfreiheit <strong>im</strong> Schadensfall,<br />
zumindest aber unter best<strong>im</strong>mten Voraussetzungen zum Regressanspruch <strong>gegen</strong>über dem Versicherungsnehmer,<br />
falls Schäden Dritter beglichen wurden. Die Folgen können je nach Versicherungsarten unterschiedlich<br />
ausfallen.<br />
B. Auswirkungen der Trunkenheitsfahrt <strong>im</strong> Zivil- <strong>und</strong> Versicherungsrecht<br />
I. Zivilrecht<br />
Soweit ein betrunkener Fahrer an einem Verkehrsunfall beteiligt ist, haftet er, auch wenn er nicht Halter des<br />
Fahrzeugs war <strong>und</strong> sowieso für die Betriebsgefahr einzustehen hat (§ 7 StVG), nach den §§ 823 ff. BGB für eingetretene<br />
Schäden, wenn er diese schuldhaft verursacht hat.<br />
1. <strong>Alkohol</strong>bedingte Fahrunsicherheit<br />
Erste Voraussetzung der zivilrechtlichen Haftung für eine Trunkenheitsfahrt ist der Nachweis alkoholbedingter<br />
Fahrunsicherheit. Der früher weitgehend <strong>und</strong> auch heute noch verwendete Begriff der Fahruntüchtigkeit<br />
wurde inzwischen durch den Begriff der Fahrunsicherheit abgelöst. Dies gilt nicht nur für den strafrechtlichen<br />
Bereich, 1 ) sondern auch <strong>im</strong> Zivilrecht, 2 ) ist die Einhaltung der in § 1 StVO normierten Gr<strong>und</strong>regeln doch nur<br />
durch den fahrsicheren Verkehrsteilnehmer gewährleistet.<br />
Fahrunsicherheit ist gegeben, wenn der Fahrzeugführer in seiner Gesamtleistungsfähigkeit, besonders infolge<br />
Enthemmung sowie geistigseelischer <strong>und</strong> körperlicher Leistungsausfälle, so weit beeinträchtigt ist, dass er nicht<br />
mehr fähig ist, sein Fahrzeug eine längere Strecke <strong>und</strong> zwar auch bei plötzlichem Auftreten schwieriger Verkehrslagen,<br />
sicher zu steuern. 3 )<br />
Bei der alkoholbedingten Fahrunsicherheit ist zu unterscheiden zwischen absoluter <strong>und</strong> relativer Fahrunsicherheit.<br />
Absolute Fahrunsicherheit beinhaltet die unwiderlegliche Vermutung, dass der Fahrzeugführer nicht mehr in<br />
der Lage ist, sein Fahrzeug sicher zu führen. Hier führt die Trunkenheit also automatisch zur Verkehrsunsicherheit.<br />
4 ) Absolut fahrunsicher ist auch <strong>im</strong> Zivilrecht jeder Kraftfahrzeugführer, der aufgr<strong>und</strong> des vor der Fahrt genossenen<br />
<strong>Alkohol</strong>s zum Unfallzeitpunkt oder später nach der Resorption 5 ) eine BAK von 1,1 ‰ erreicht hat. 6 )<br />
Für den Beifahrer auf Krad, Moped (Mofa) oder Roller gelten die Grenzen für alkoholbedingte Fahrunsicherheit<br />
weder unmittelbar noch sinngemäß. 7 ) Lediglich bei höheren Werten (ab ca. 2 ‰) wurde bei einem Soziusfahrer<br />
schon absolute Verkehrsunsicherheit angenommen. Bei Radfahrern beträgt der Grenzwert 1,6 ‰. 9 ) Fußgänger<br />
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sind in der Regel ab einer BAK von 2 ‰ verkehrsunsicher. 10 ) Nach derzeitigem Stand der Wissenschaft kann ein<br />
allgemein gesicherter Grenzwert, ab dem <strong>Drogen</strong>konsum die Annahme absoluter Fahrunsicherheit rechtfertigt,<br />
nicht begründet werden. Bei einem <strong>Alkohol</strong>wert unter 1,1 ‰ ergibt auch eine Addition des <strong>Alkohol</strong>- <strong>und</strong> des <strong>Drogen</strong>wertes<br />
keine absolute Fahrunsicherheit. 11 )<br />
Bei einer BAK unter 1,1 ‰ (bis 0,3 ‰) liegt relative Fahrunsicherheit vor. In diesem Bereich lässt sich eine<br />
haftungsrelevante Fahrunsicherheit nicht alleine mit der genossenen <strong>Alkohol</strong>menge begründen. Es bedarf weiterer<br />
Anzeichen, die sich aus trunkenheitsbedingten Ausfallerscheinungen oder alkoholtypischen Fahrfehlern ergeben<br />
können. 12 ) Die Anforderungen an die Beweiskraft entsprechender Hinweise auf Fahrunsicherheit sinken, je<br />
höher die <strong>Blutalkohol</strong>konzentration zum Unfallzeitpunkt war. 13 )<br />
2. Unfallkausalität <strong>und</strong> Haftungsverteilung<br />
Absolute (<strong>und</strong> deshalb erst recht relative) Fahrunsicherheit eines am Unfall beteiligten Fahrzeugführers infolge<br />
<strong>Alkohol</strong>genusses darf bei der Abwägung nach § 17 StVG nur berücksichtigt werden, wenn feststeht, dass sie<br />
sich in dem Unfall niedergeschlagen hat. 14 ) Sie führt daher nicht zu einer Mithaftung wegen erhöhter Betriebsgefahr,<br />
wenn der andere (nüchterne) Verkehrsteilnehmer das Schadensereignis grob fahrlässig (z. B. durch eine<br />
Vorfahrtverletzung, einen Rotlichtverstoß usw.) verursacht hat <strong>und</strong> die Unfallursächlichkeit der Trunkenheit<br />
nicht positiv festgestellt werden kann. 15 )<br />
Da ab einer BAK von 1,1 ‰ unwiderlegbar von absoluter Fahrunsicherheit ausgegangen wird, spricht hier der<br />
sog. Anscheinsbeweis für eine Unfallmitverursachung, so dass der betrunkene Fahrer seinerseits den Gegenbeweis<br />
führen muss, wenn er der Haftung entgehen will. 16 ) Kein Anschein besteht jedoch <strong>gegen</strong> einen von zwei<br />
unter <strong>Alkohol</strong>einfluss stehenden Unfallbeteiligten bei ungeklärtem Unfallhergang. 17 ) Der Anschein ist widerlegt,<br />
wenn der Unfall durch andere Ursachen verursacht wird (wie Witterungsbedingungen) oder wenn auch ein Idealfahrer<br />
den Unfall nicht hätte verhindern können. 18 )<br />
Hin<strong>gegen</strong> muss der Unfallgegner <strong>im</strong> Bereich der sog. relativen Fahrunsicherheit zunächst darlegen <strong>und</strong> beweisen,<br />
dass ein alkoholbedingter Fahrfehler vorliegt, der sich mitursächlich auf das Unfallgeschehen ausgewirkt<br />
hat. Gelingt ihm dies, besteht wieder ein Anschein für die Kausalität zwischen <strong>Alkohol</strong>genuss <strong>und</strong> Unfall. 19 )<br />
Zum Nachweis relativer Fahrunsicherheit genügt nicht jedes verkehrswidrige Verhalten; vielmehr muss feststehen,<br />
dass dem Fahrer, wäre er nüchtern gewesen, dieser Fehler nicht unterlaufen wäre. 20 )<br />
Als nachzuweisende Anzeichen kommen in Betracht eine sorglose, offenbar leichtsinnige Fahrweise, schnelles<br />
Fahren mit gesenktem Kopf, aggressives, nötigendes Verhalten, gehäufte Fahrfehler, überhöhte Geschwindigkeit<br />
(wenn sie auf alkoholbedingter Unbekümmertheit beruht), das klassische Schlangenlinienfahren, etc. 21 )<br />
Auch körperliche Ausfallerscheinungen vor, während oder nach der Fahrt können herangezogen werden. 22 ) Eine<br />
festgestellte Übermüdung oder eine den <strong>Alkohol</strong> in seiner Wirkung verstärkende Einnahme von Medikamenten,<br />
wie auch widrige Witterungsverhältnisse können die alkoholbedingte Fahrunsicherheit verstärken. 23 )<br />
Die vorgenannten Indizien sind regelmäßig nur sehr schwierig auf den <strong>Alkohol</strong>konsum zurückzuführen, denn<br />
bei „nüchterner“ Betrachtung werden letztlich alle Verkehrsverstöße auch von nicht alkoholisierten Verkehrsteilnehmern<br />
begangen, wobei die allgemeine Möglichkeit, dass auch einem Nüchternen der Unfall unterlaufen hätte<br />
können, nicht genügt. 24 ) Hier muss der Tatrichter in der Regel aus einer Mehrzahl einzelner Gesichtspunkte ein<br />
Gesamtbild formen, das dann den Schluss auf eine <strong>Alkohol</strong>bedingtheit des Fahrverstoßes zulässt oder nicht.<br />
Dabei ist zu beachten, dass die Überzeugung des Richters keine – ohnehin nicht erreichbare 25 ) – absolute oder unumstößliche,<br />
gleichsam mathematische Gewissheit <strong>und</strong> auch keine „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“<br />
erfordert, sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln<br />
Schweigen gebietet. 26 ) Fehlt dem Richter zur Beurteilung der anstehenden Fragen die jeweilige Fachkompetenz<br />
(unfallanalytisch oder medizinisch), muss er von Amts wegen ein Sachverständigengutachten erholen. 27 )<br />
Einzelfälle aus der jüngeren zivilrechtlichen Rechtsprechung:<br />
• Ein alkoholtypischer Fahrfehler liegt etwa vor, wenn der Fahrer, mitbedingt durch die von ihm zuvor aufgenommene<br />
erhebliche Menge an <strong>Alkohol</strong>, nach einem Überholmanöver Abstand <strong>und</strong> Geschwindigkeit eines<br />
vor ihm auf der rechten Spur fahrenden Fahrzeuges be<strong>im</strong> Spurwechsel falsch einschätzt <strong>und</strong> infolge einer zu<br />
starken Lenkbewegung nach links die Kontrolle über das Fahrzeug verliert. 28 )<br />
• Eine Geschwindigkeitsüberschreitung in einer 30 km/h-Zone um 20 km/h ist kein sicheres Indiz dafür, dass<br />
ursächlich hierfür die <strong>Alkohol</strong>isierung aufgr<strong>und</strong> einer entsprechenden Enthemmung gewesen ist. Denn sie<br />
fällt nicht derart aus dem Rahmen, dass sie einem nüchternen Fahrzeugführer in der Regel nicht unterläuft. 29 )<br />
• Hat der Fahrer auf einer innerörtlichen Straße bei dem Versuch, einem Tier auszuweichen, die Kontrolle über<br />
den Pkw verloren <strong>und</strong> sodann mit erheblicher Wucht eine Vorgartenmauer durchbrochen, ist angesichts einer<br />
<strong>Blutalkohol</strong>konzentration von 1,07 ‰ davon auszugehen, dass er nicht in der Lage gewesen ist, ein Fahrzeug<br />
sicher zu führen. 30 )<br />
• Der Nachweis eines alkoholbedingten Fahrfehlers ist nicht geführt, wenn ein alkoholisierter Fahrzeugführer<br />
von der Straße abkommt, in einem Straßengraben landet <strong>und</strong> das Fahrzeug dort ausbrennt, sofern sich der<br />
Fahrzeugführer unwiderlegt einlässt, er habe plötzlich „Qualm“ aus der Motorhaube vor sich gesehen <strong>und</strong> sei<br />
deshalb in den Graben gefahren. 31 )<br />
• Gab es für das Unfallgeschehen keine erkennbare Ursache, weil der Versicherungsnehmer auf gerader,<br />
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trockener Fahrbahn in der Mittagszeit bei relativ dichtem Verkehr <strong>gegen</strong> die linke Leitplanke geriet <strong>und</strong> dann<br />
auf einen rechts von ihm die andere Fahrspur benutzenden Wagen prallte, ist von einem alkoholtypischen<br />
Fahrfehler auszugehen, der den Schluss auf eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit zulässt. 32 )<br />
3. Haftung des Fahrers <strong>gegen</strong>über alkoholisierten Beifahrern<br />
Jeden Fahrzeugführer trifft eine Fürsorgepflicht <strong>gegen</strong>über einem alkoholisierten Insassen mit der Folge, dass<br />
er insbesondere für das ordnungsgemäße Anlegen des Sicherheitsgurts des Beifahrers Sorge zu tragen hat. 33 )<br />
Auch ein wegen <strong>Alkohol</strong>isierung absolut fahruntüchtiger Fahrer, der eine andere alkoholisierte Person in seinem<br />
Pkw mitn<strong>im</strong>mt, hat dafür zu sorgen, dass sich der Mitfahrer anschnallt. 34 )<br />
4. Mitverschulden des Beifahrers<br />
Ein verletzter Beifahrer haftet teilweise für die bei ihm eingetretenen Schäden mit (§ 254 BGB, „Handeln auf<br />
eigene Gefahr“), wenn er sich einem erkennbar alkoholisierten Fahrer überlassen hat. 35 )<br />
Zwar muss dem Beifahrer das Verhalten, das ihm zum Mitverschulden gereichen soll, voll nachgewiesen werden.<br />
Ein solcher Vorwurf setzt aber weder voraus, dass ihm die absolute Fahrunsicherheit erkennbar war, noch dass er<br />
eine Fahruntüchtigkeit mit Sicherheit („schlechthin“) erkennen konnte. Es genügt vielmehr, dass sich ihm bei<br />
zumutbarer Aufmerksamkeit aus den für ihn erkennbaren Gesamtumständen begründete Zweifel an der Fahrsicherheit<br />
des Fahrers aufdrängen mussten, so dass ein in angemessener Weise auf seine Sicherheit bedachter Fahrgast<br />
verständigerweise von der Mitfahrt Abstand genommen hätte. 36 ) Entscheidend ist also nicht die Erkennbarkeit<br />
der (absolut verstandenen) Fahruntüchtigkeit, sondern die Erkennbarkeit der in dem dargelegten Sinne<br />
erheblichen Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit. Welcher Grad von Aufmerksamkeit in dieser Hinsicht von<br />
dem Mitfahrer zu fordern ist <strong>und</strong> wann Anlass zu entsprechendem Zweifel gegeben ist, lässt sich nicht abstrakt<br />
best<strong>im</strong>men, hängt vielmehr von der Gesamtheit der Umstände ab. 37 ) Beispielweise gibt allein die Teilnahme an<br />
einer sich über den ganzen Tag hinziehenden Vatertagsfeier von zahlreichen Personen, bei der Bier getrunken<br />
wurde, insbesondere dann keinen Anlass zu begründeten Zweifeln an der Fahrsicherheit des Fahrers, wenn<br />
dieser keinerlei erkennbare Ausfallerscheinungen aufwies. 38 )<br />
Dem Mitverschuldensvorwurf kann der Mitfahrer nicht mit Erfolg ent<strong>gegen</strong>halten, er sei wegen des eigenen<br />
<strong>Alkohol</strong>konsums nicht mehr in der Lage gewesen, den Verstoß <strong>gegen</strong> die Eigensorgfalt zu erkennen <strong>und</strong> aufgr<strong>und</strong><br />
einer solchen Erkenntnis die Teilnahme an der Autofahrt mit dem alkoholisierten Fahrer zu unterlassen. Denn<br />
nach § 827 S. 2 BGB, der <strong>im</strong> Rahmen des § 254 I BGB entsprechend gilt, ist der Mitfahrer für den objektiven Verstoß<br />
<strong>gegen</strong> die ihm obliegende Eigensorgfalt verantwortlich, weil er sich selbstverschuldet in den vorübergehenden<br />
Zustand des Ausschlusses der freien Willensbest<strong>im</strong>mung versetzt hat. 39 ) Der Mitverschuldensvorwurf wird<br />
durch diese Vorschrift vorverlagert <strong>und</strong> zielt auf die Tatsache ab, dass der Kläger zumindest fahrlässig durch seinen<br />
<strong>Alkohol</strong>konsum eine Situation herbeigeführt hat, in der er nicht mehr die zum Selbstschutz erforderliche Einsichtsfähigkeit<br />
hatte. 40 )<br />
Der Mitverschuldensanteil des betrunkenen Fahrers überwiegt in der Regel denjenigen des verletzten Beifahrers.<br />
41 )<br />
II. Versicherungsrecht<br />
Zum 01. 01. 2008 trat ein neues Versicherungsvertragsgesetz in Kraft (VVG 2008). Insoweit müssen die Übergangsfristen<br />
nach Art. 1 EGVVG beachtet werden: Danach gilt das neue VVG ab 01. 01. 2008 uneingeschränkt<br />
für alle danach abgeschlossenen Versicherungsverträge (Neuverträge). Bei Altverträgen galt das bisherige Recht<br />
nach Art. 1 II EGVVG noch bis 31.12. 2008 uneingeschränkt, über den 01. 01. 2009 hinaus für alle Versicherungsfälle,<br />
die bis einschließlich 31.12. 2008 eingetreten sind. 42 )<br />
Gr<strong>und</strong>sätzlich gilt hinsichtlich aller Versicherungszweige, dass eine Neigung zu Trunkenheitsfahrten eine<br />
Gefahrerhöhung beinhaltet, die den Versicherer zur Kündigung des Versicherungsvertrags berechtigt (§ 24 VVG<br />
a. F., § 24 VVG 2008). 43 ) Einmalige oder gelegentliche Trunkenheitsfahrten ohne besondere Neigung genügen<br />
jedoch zur Annahme einer Gefahrerhöhung sowohl in der Haftpflichtversicherung 44 ) als auch in der Kaskoversicherung<br />
45 ) nicht.<br />
In den neuen Versicherungsbedingungen ist geregelt, dass das Fahrzeug nicht gefahren werden darf, wenn der<br />
Fahrer durch alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher<br />
zu führen. Dem Halter oder Eigentümer des Fahrzeugs ist es untersagt, einen derart fahrunsicheren Fahrer an das<br />
Steuer zu lassen (Regelung in der Kraftfahrtzeughaftpflichtversicherung nach D.2.1 AKB 2008). Auch in der<br />
Kasko-, Autoschutzbrief- <strong>und</strong> Kfz-Unfallversicherung besteht für solche Fahrten nach A.2.16.1, A.3.9.1 <strong>und</strong><br />
A.4.10.2 AKB 2008 kein oder nur eingeschränkter Versicherungsschutz.<br />
1. Haftpflichtversicherung<br />
Die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung ist eine Pflichtversicherung, die alle <strong>im</strong> Zusammenhang mit einem<br />
Verkehrsunfall, an dem das versicherte Fahrzeug beteiligt war, entstandenen Sach- <strong>und</strong> Personenschäden Dritter<br />
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(Unfallgegner) abdeckt, wobei der Geschädigte nicht nur <strong>gegen</strong> den Schädiger (Fahrer) <strong>und</strong> den Halter des Fahrzeugs,<br />
sondern auch unmittelbar <strong>gegen</strong> die Haftpflichtversicherung klageweise vorgehen kann (§ 115 VVG<br />
2008). Eine <strong>Alkohol</strong>isierung des Unfallverursachers gefährdet mit Ausnahme der für Mitinsassen oben aufgezeigten<br />
Einschränkungen den Ersatzanspruch des geschädigten Unfallgegners nicht (§ 117 VVG 2008).<br />
Im Verhältnis zum Versicherungsnehmer kann das Führen eines Fahrzeugs in rauschmittelbedingter Fahrunsicherheit<br />
bei dementsprechender Vereinbarung <strong>im</strong> Versicherungsvertrag – wie üblich (vgl. D.2.1 AKB 2008 46 ))<br />
– zur Leistungsfreiheit des Versicherers wegen Obliegenheitsverletzung <strong>und</strong> damit zu einem Rückgriffsanspruch<br />
des Versicherers führen. 47 ) Eine Kündigungspflicht des Versicherers entsprechend der Regelung des § 6 I 3 VVG<br />
a. F. 48 ) wurde in § 28 VVG 2008 nicht übernommen.<br />
Das Familienprivileg des § 67 II VVG a. F. bei einem Regressanspruch der Kfz-Haftpflichtversicherung <strong>gegen</strong><br />
den Fahrzeugführer, dem<strong>gegen</strong>über sie leistungsfrei ist <strong>und</strong> der mit dem an einem Unfall nicht beteiligten Halter<br />
in häuslicher Gemeinschaft lebt, kommt nicht in Betracht, denn der Versicherer erwirbt den Rückgriffsanspruch<br />
<strong>gegen</strong> den Fahrer nicht gemäß § 67 I VVG a. F. vom Versicherungsnehmer, sondern gemäß § 426 II BGB unmittelbar<br />
vom Haftpflichtgläubiger. Allein der Schutzzweck der Norm (Schutz des Versicherungsnehmers vor<br />
mittelbarer Belastung; Wahrung des Familienfriedens) reicht zur analogen Anwendung der Norm nicht aus. 49 )<br />
a) Rückgriff<br />
Der Rückgriffsanspruch des Kfz-Haftpflichtversicherers beruht nicht auf den Vorschriften des Auftrags- oder<br />
Bereicherungsrechts, sondern ergibt sich aus § 3 Nr. 2, Nr. 9 S. 2 PflVG a. F. (§ 2 b I e AKB = D.2.1 AKB 2008<br />
– <strong>Alkohol</strong>klausel –) i. V. m. § 426 I BGB. Die vorgenannten Best<strong>im</strong>mungen stellen eine abschließende Regelung<br />
des Rückgriffsanspruchs des Kfz-Haftpflichtversicherers dar.<br />
Die Verjährungsfrist des Regressanspruchs richtet sich nach § 3 Nr. 11 PflVG. Danach beträgt die Verjährungsfrist<br />
zwei Jahre <strong>und</strong> beginnt mit dem Ende des Jahres, in dem der Anspruch des geschädigten Dritten erfüllt<br />
wird. Dies gilt unabhängig davon, ob der Versicherer den originären Regressanspruch nach § 426 I BGB oder den<br />
Anspruch aus übergegangenem Recht nach § 426 II BGB geltend macht. Die Richtigkeit dieser Ansicht wird<br />
durch das VVG 2008 bestätigt, das die Verjährung aller Ansprüche, auch der Regressansprüche, unter ausdrücklicher<br />
Abweichung von §§ 12 VVG, 3 Nr. 11 S. 1 PflVG a. F. der allgemeinen Regelung des § 195 BGB anpasst.<br />
50 ) Die Verjährung läuft für jede Teilzahlung – <strong>und</strong> nicht nur für Ratenzahlungen – gesondert. 51 )<br />
Trotz der Leistungsfreiheit wegen der Trunkenheitsfahrt kann der Versicherer jedoch nicht sämtliche an den<br />
Unfallgeschädigten bezahlten Leistungen zurückfordern. Der Regressanspruch ist auf 5.000,– € beschränkt<br />
(§ 5 III KfzPflVV). 52 )<br />
§ 28 II 1 VVG 2008 erfordert für die Leistungsfreiheit Vorsatz. Da nach herrschender Meinung die zu §§ 315c,<br />
316 StGB entwickelten Gr<strong>und</strong>sätze auch auf das Versicherungsrecht anzuwenden sind, 53 ) wird in der Praxis eine<br />
vorsätzliche Trunkenheitsfahrt nur in den seltensten Fällen nachzuweisen sein. 54 )<br />
Ein alkoholtypischer Unfall kann aber den Schluss auf dessen alkoholbedingte grob fahrlässige Verursachung<br />
(§ 28 II 2 VVG 2008) nur rechtfertigen, wenn der Fahrzeugführer zum Unfallzeitpunkt nachweislich <strong>Alkohol</strong><br />
getrunken hatte. 55 ) Den Nachweis hat der Versicherer zu erbringen. 56 ) Steht die Fahruntüchtigkeit fest, führt dies<br />
regelmäßig dazu, auch von einem grob fahrlässigen Verstoß auszugehen. Denn dass sich ein unter starker <strong>Alkohol</strong>einwirkung<br />
stehender Kraftfahrer nicht mehr ans Steuer seines Fahrzeugs setzen darf, <strong>und</strong> dass er durch ein<br />
Fahren in fahruntüchtigem Zustand andere Verkehrsteilnehmer, sich selbst <strong>und</strong> sein Fahrzeug einer unverantwortlichen<br />
Gefährdung aussetzt, ist heute derart Allgemeingut, dass unbedenklich davon ausgegangen werden<br />
kann, dass bei fast jedem Kraftfahrer die Hemmschwelle für ein Fahren trotz alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit<br />
stark heraufgesetzt ist. Derjenige, der dies aus mangelnder Einsicht außer Acht lässt, muss sich dies in der Regel<br />
als grobes Verschulden zurechnen lassen. 57 ) Grobe Fahrlässigkeit scheidet allenfalls dort aus, wo etwa der alkoholisierte<br />
Fahrer aus besonderen Gründen, etwa durch die unerkannte Kombination mehrerer Rauschmittel, die<br />
Stärke der Fahrunsicherheit bei Fahrtantritt nicht erkennen konnte, oder wenn der <strong>Alkohol</strong>isierte das Fahrzeug in<br />
Notfällen benutzt. 58 )<br />
Nach der sog. Relevanzrechtsprechung des BGH 59 ) darf die Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers<br />
nur dann zum Regress führen, wenn die Verletzung für den eingetretenen Schaden relevant geworden ist,<br />
also wenn die <strong>Alkohol</strong>isierung für den Unfall ursächlich war. Hier gilt weitgehend das oben Gesagte (s. o. B I 2).<br />
Auch <strong>im</strong> Versicherungsrecht greift der Anscheinsbeweis zu Lasten des <strong>Alkohol</strong>isierten. Die Voraussetzungen des<br />
§ 2 b Nr. 1 e AKB (D.2.1 AKB 2008) sind bei absoluter 60 ) <strong>und</strong> relativer 61 ) Fahrunsicherheit stets erfüllt, außer bei<br />
einer BAK unter 1,1 ‰ ohne Hinzutreten weiterer Beweisanzeichen für Fahrunsicherheit. 62 ) Dem Versicherungsnehmer<br />
ist aber – außer bei Arglist (§ 28 III 2 VVG 2008) – der Kausalitäts<strong>gegen</strong>beweis möglich (§ 28 III<br />
1 VVG 2008).<br />
Soweit die gerade genannten Voraussetzungen vorliegen <strong>und</strong> grobe Fahrlässigkeit nachgewiesen werden kann,<br />
käme es gemäß § 28 II 2 VVG 2008 zu einer Quotierung. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass der Versicherungsnehmer<br />
bereits durch die Regressbeschränkung auf 5.000,– € ausreichend geschützt ist, so dass der Versicherer<br />
nach einem Teil der Literatur innerhalb dieses Betrags in vollem Umfang Regress verlangen können soll. 63 ) Diese<br />
Auffassung überzeugt: Sinn der Regressbeschränkung ist ausschließlich, den Versicherungsnehmer vor finanziellem<br />
Ruin zu schützen, nicht um gerechte <strong>und</strong> vergleichbare Regressverteilungen zu gewährleisten. Denn die<br />
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Regressbeschränkung enthält die prinzipielle Ungerechtigkeit, dass der grob fahrlässig eine Obliegenheitsverletzung<br />
begehende Versicherungsnehmer, der einen höheren Schaden verursacht hat, tatsächlich in höherem (finanziellen)<br />
Maße geschützt wird als derjenige mit einem niedrigeren Schaden. Im Rahmen des § 5 III KfzPflVV bedarf<br />
es daher nicht auch noch des Schutzes des § 28 II 2 VVG 2008, so dass hier eine Quotierung ausscheidet.<br />
b) Doppelte Obliegenheitsverletzung<br />
Im Zusammenhang mit Trunkenheitsfahrten treten nicht selten weitere Obliegenheitsverletzungen auf, die<br />
einen Regress des Versicherers zur Folge haben können. Neben der Pflicht, eine Schadensanzeige abzugeben <strong>und</strong><br />
wahre <strong>und</strong> vollständige Angaben zum Schadensfall zu machen, 64 ) muss der Versicherungsnehmer gemäß § 7 II Nr.<br />
2 AKB ganz allgemein alles tun, was zur Aufklärung des Sachverhalts <strong>und</strong> zur Schadensminderung erforderlich<br />
ist. Er muss an der Unfallstelle bleiben <strong>und</strong> darf sich nicht vom Unfallort entfernen (§ 142 StGB) 65 ), er hat den den<br />
Unfall aufnehmenden Polizeibeamten behilflich zu sein, er muss sich einer Blutprobe stellen 66 ), zum <strong>Alkohol</strong>genuss<br />
wahre Angaben machen <strong>und</strong> einen Nachtrunk zur Verschleierung seiner <strong>Alkohol</strong>isierung unterlassen.<br />
Bei der Prüfung, ob der Versicherungsfall grob fahrlässig durch den <strong>Alkohol</strong>genuss des Fahrers verursacht<br />
wurde, kann die Feststellung des Sachverhalts dadurch erheblich erschwert <strong>und</strong> verschleiert werden, wenn der<br />
Fahrer nach dem Unfall zu diesem Zweck <strong>Alkohol</strong> zu sich n<strong>im</strong>mt, weil dann nicht mehr sicher festgestellt werden<br />
kann, welche <strong>Alkohol</strong>isierung zum Unfallzeitpunkt vorlag. Deshalb wird ein derartiger Nachtrunk in der<br />
Rechtsprechung als eine (vorsätzliche) Obliegenheitsverletzung gewertet, die zur Leistungsfreiheit der Versicherung<br />
<strong>und</strong> zum Regress <strong>gegen</strong> den alkoholisierten Kfz-Führer führt. 67 )<br />
Obliegenheitsverletzungen sowohl durch Trunkenheit als auch Unfallflucht führen zur Verdopplung der versicherungsrechtlichen<br />
Sanktion. 68 ) Verdopplungen können nur dadurch eintreten, dass wie <strong>im</strong> gerade genannten<br />
Beispiel eine Obliegenheitsverletzung vor <strong>und</strong> nach dem Schadensereignis vorliegt.<br />
Leistungsfreiheit erfolgt in der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung jedoch erneut nur eingeschränkt (zum<br />
Regress E.6.3, E.6.4. AKB 2008, § 6 I, III KfzPflVV). Für den Regelfall ist die Leistungsfreiheit des Versicherers<br />
auf 2.500,– € begrenzt (§ 6 I, III KfzPflVV), nur bei vorsätzlicher, besonders schwerwiegender Obliegenheitsverletzung<br />
erhöht sich der Regress auf 5.000,– € (§ 6 III KfzPflVV). Bei Verdopplung der Obliegenheitsverletzungen<br />
kommt in besonders schwerwiegenden Fällen also ein Regress von max<strong>im</strong>al 10.000,– € in Betracht.<br />
c) Trunkenheitsfahrt eines Fahrers, der nicht Halter ist<br />
Der Versicherungsnehmer haftet prinzipiell dem Versicherer <strong>gegen</strong>über nicht, wenn ein Dritter ohne Kenntnis<br />
des Versicherungsnehmers alkoholisiert fährt. Das Verhalten des Dritten wird dem Versicherungsnehmer aber<br />
dann zugerechnet (er repräsentiert den Versicherungsnehmer <strong>gegen</strong>über der Versicherung), wenn der Fahrer derjenige<br />
ist, der das Fahrzeug auf Dauer <strong>und</strong> auf eigene Kosten nutzt (oft bei Eltern <strong>und</strong> Führerscheinneulingen, um<br />
wegen des Zweitwagenrabatts Prämien zu sparen oder bei Ehegatten). 70 )<br />
Eine Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers stellt es jedoch dar, wenn er einen alkoholisierten<br />
Fahrer in Kenntnis seiner Fahrunsicherheit ans Steuer lässt, das Fahren in alkoholisiertem Zustand also schuldhaft<br />
ermöglicht hat (§ 2 b I 2 AKB bzw. D.2.1 AKB 2008). 71 ) Trotz dieser Obliegenheitsverletzung kann der Versicherer<br />
die Leistung <strong>gegen</strong>über dem Versicherungsnehmer nicht verweigern, wenn dieser als Mitinsasse bei<br />
einem Unfall verletzt wurde (§ 5 II 2 KfzPflVV).<br />
Nach § 10 II c AKB kann der Versicherer den in das Haftpflichtversicherungsverhältnis einbezogenen (berechtigten<br />
oder unberechtigten) Fahrer jedoch direkt in Anspruch nehmen, sofern dieser die Obliegenheit wie hier<br />
durch Fahren in alkoholisiertem Zustand verletzt hat. 72 )<br />
Verletzt der angestellte Fahrer das Verbot, unter <strong>Alkohol</strong>einwirkung zu fahren, handelt er grob fahrlässig, wenn<br />
er etwa <strong>im</strong> Zustand absoluter Fahrunsicherheit mit weit überhöhter Geschwindigkeit fährt, 73 ) <strong>und</strong> setzt sich damit<br />
dem Rückgriff des Versicherers aus (§ 110 SGB VII, § 640 RVO a. F.). 74 )<br />
2. Voll- <strong>und</strong> Teilkaskoversicherung<br />
Die Vollkasko- (oder auch Fahrzeugversicherung genannt) <strong>und</strong> die Teilkaskoversicherung decken Schäden am<br />
eigenen Fahrzeug ab, falls diese bei einem Unfall nicht von einem anderen Unfallverursacher beglichen werden.<br />
Immer schon galt, dass der Versicherer in den in der Praxis nur selten nachzuweisenden Fällen der vorsätzlichen<br />
Herbeiführung des Unfalls von der Leistung frei wird (§ 61 VVG a. F., § 81 I VVG 2008).<br />
Wurde der Unfall durch grob fahrlässige Fahrunsicherheit verursacht, galt früher das sog. „Alles oder nichts<br />
Prinzip“ (§ 61 VVG a. F.), 75 ) das bedeutete, dass bei Vorliegen grober Fahrlässigkeit der Versicherer vollständig<br />
leistungsfrei war. Das VVG 2008 hat dieses Prinzip aufgegeben. Nach § 81 II VVG 2008 (entspricht A 2.17.2 der<br />
AKB 2008) wird der Versicherer bei grober Fahrlässigkeit nicht automatisch leistungsfrei, sondern es kommt je<br />
nach Schweregrad zu einer Quotierung. 76 )<br />
a) Grobe Fahrlässigkeit<br />
Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn durch den Versicherungsnehmer oder seinen Repräsentanten die <strong>im</strong> Verkehr<br />
erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt wird, schon einfachste, ganz naheliegende<br />
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Überlegungen nicht angestellt werden <strong>und</strong> das nicht beachtet wird, was <strong>im</strong> gegebenen Fall jedem einleuchten<br />
müsste. 77 )<br />
Auch hier gilt der Grenzwert von 1,1 ‰ für die Annahme von absoluter Fahrunsicherheit, die vom Versicherer<br />
zu beweisen, eine Nachtrunkbehauptung von ihm zu widerlegen ist. 78 ) Hinsichtlich des Nachweises der Fahrunsicherheit<br />
<strong>und</strong> deren Ursächlichkeit für den zum Unfall führenden Fahrfehler gilt der Anscheinsbeweis. Die<br />
Beweislast für das Vorliegen grober Fahrlässigkeit liegt be<strong>im</strong> Versicherer, wobei dem Versicherer kein Anscheinsbeweis<br />
für die subjektive Seite der groben Fahrlässigkeit zugute kommt. 79 ) Bei absoluter Fahrunsicherheit<br />
dürfte der Nachweis in der Regel gelingen, 80 ) selbst dann, wenn der Fahrtentschluss <strong>im</strong> Zustand alkoholbedingten<br />
erheblich eingeschränkten Einsichts- <strong>und</strong> Hemmungsvermögens 81 ) oder der Schuldunfähigkeit 82 ) gefasst<br />
wurde. Der Tatrichter kann in zulässiger Weise von dem äußeren Geschehensablauf <strong>und</strong> dem Ausmaß des objektiven<br />
Pflichtenverstoßes auf die subjektive Seite der Verantwortlichkeit schließen. 83 )<br />
Bei Vorliegen relativer Fahrunsicherheit (BAK unter 1,1 ‰) ist der Vorwurf grober Fahrlässigkeit gerechtfertigt,<br />
wenn der Kraftfahrer erkennbare Anzeichen für eine Fahrunsicherheit bewusst missachtet. 84 )<br />
Zudem ist erforderlich, dass der Versicherungsnehmer wusste, dass sein Verhalten auch geeignet war, den Eintritt<br />
des Versicherungsfalls zu fördern. 85 ) Handelt der Versicherungsnehmer besonders leichtsinnig, sorglos oder<br />
rücksichtslos, dann ist von einem solchen subjektiv gesteigerten Verschulden auszugehen. 86 )<br />
Keine grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Versicherungsnehmer ausreichende Vorkehrungen getroffen<br />
hat, die seine Erwartungen rechtfertigen durften, er werde nicht fahren. 87 )<br />
b) Quotierung<br />
Bei Findung der einschlägigen Quote kommt es aus Sicht des LG Göttingen darauf an, ob in einer denkbaren<br />
Bandbreite der Fälle, die als grobfahrlässig anzusehen sind, der zu beurteilende Fall eher sich der Grenze des bedingten<br />
Vorsatzes oder der Grenze der einfachen Fahrlässigkeit annähert. 88 ) Als zu Lasten des Versicherungsnehmers<br />
sprechend werden z. B. Mutwilligkeit, Verantwortungslosigkeit, Rücksichtslosigkeit, bewusstes Eingehen<br />
großer Risiken, Vorliegen eines Wiederholungsfalles, Gewinnstreben oder Gleichgültigkeit angesehen. Als zu<br />
Gunsten des Versicherungsnehmers sprechend werden Zeitdruck, Überforderung des Versicherungsnehmers in<br />
der konkreten Situation gerechnet.<br />
Teilweise wird vorgeschlagen, die Leistungspflicht des Versicherers generell auf max<strong>im</strong>al 50 % zu beschränken,<br />
89 ) teilweise wird vertreten, der reine Vorwurf der groben Fahrlässigkeit führe <strong>im</strong>mer schon dann, wenn der<br />
Versicherungsnehmer keine ihn entlastenden Umstände vortrage, zu einer völligen Leistungsfreiheit, 90 ) andere<br />
wollen gr<strong>und</strong>sätzlich von einem „Einstiegswert“ von 50 % ausgehen. Beiden Parteien soll dann die Möglichkeit<br />
eröffnet werden, besondere Umstände des Einzelfalls vorzutragen <strong>und</strong> dann auch zu beweisen, die zu einer Verschiebung<br />
der Quote nach oben oder unten führen. 91 ) Ein anderer Teil der Literatur lehnt sämtliche vorgenannten<br />
Modelle mit der Begründung ab, dass Gerechtigkeitsbedenken bestünden, jeden Fall der groben Fahrlässigkeit<br />
gleich zu behandeln. 92 )<br />
Das LG Münster hält es für sachgerecht, von einem Standard-Einstiegswert abzusehen <strong>und</strong> die Bemessung der<br />
Quote nach den besonderen Umständen des Einzelfalls entsprechend ohne starre Vorgaben vorzunehmen. Um<br />
dabei allerdings ein zu großes Auseinanderklaffen etwaiger Entscheidungen zu verhindern, sei es sinnvoll <strong>und</strong><br />
geboten, einzelne Quotenstufen festzulegen, innerhalb derer dann die Bemessung zu erfolgen hat. So sei ein Quotenmodell<br />
mit den einzelnen Quotenstufen 0, 25, 50, 75 <strong>und</strong> 100 Prozent sinnvoll <strong>und</strong> sachgerecht, innerhalb<br />
dieser Stufen sei dann jeweils unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls die Quote nach dem Grad<br />
des Verschuldens zu bemessen. 93 )<br />
Den Auffassungen der LG Göttingen <strong>und</strong> Münster ist gr<strong>und</strong>sätzlich zuzust<strong>im</strong>men. Im Bereich der Trunkenheitsfahrt<br />
erscheint es sinnvoll, bei der Quotierung an den Grad der Fahrunsicherheit anzuknüpfen. 94 ) Dabei erscheint<br />
es sachgerecht, ab einer BAK von 1,1 ‰ von vollständiger Leistungsfreiheit auszugehen. 95 ) Im Bereich<br />
relativer Fahrunsicherheit ist abgestuft in den Kombinationen der Höhe der BAK <strong>und</strong> der Schwere alkoholbedingten<br />
Fahrfehlers in den oben dargestellten Stufen zu quoteln. 96 ) Dabei ist m.E. bei unfallursächlicher alkoholbedingter<br />
Fahruntüchtigkeit weniger als 25 % Eigenhaftung des Versicherungsnehmers nicht sachgerecht.<br />
Bei Unterstellung der dargestellten Quotierungen ist nicht zu erwarten, dass in Zukunft Versicherungen in Fällen<br />
relativer Fahrunsicherheit, denn nur dann kommt nach oben vertretener Auffassung eine Quotierung in Betracht,<br />
öfter versuchen werden, von vorsätzlicher Trunkenheit auszugehen. Dies liegt <strong>im</strong> Wesentlichen daran,<br />
dass in diesem Bereich strafrechtliche Verurteilungen wegen vorsätzlicher Trunkenheitsfahrt selten sind <strong>und</strong>, da<br />
der Versicherer die Beweislast für die Trunkenheit trägt, nicht zu erwarten ist, dass der Versicherer <strong>gegen</strong> die Feststellungen<br />
<strong>im</strong> Strafverfahren <strong>im</strong> Zivilverfahren versucht, Vorsatz nachzuweisen.<br />
3. Unfallversicherung<br />
Führt eine durch den Unfall erlittene Verletzung zur Invalidität des Versicherten, hat dieser einen Anspruch auf<br />
Versicherungsleistungen aus der privaten Unfallversicherung, die wie die Kaskoversicherung eine freiwillige<br />
Versicherung ist.<br />
Bei absoluter Fahrunsicherheit des selbst fahrenden Versicherungsnehmers liegt <strong>im</strong>mer eine wesentliche Beeinträchtigung<br />
der Aufnahme- <strong>und</strong> Reaktionsfähigkeit vor (Bewusstseinsstörung i. S. d. § 2 I Nr. 1 AUB 1994<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Supplement<br />
Sup 31<br />
bzw. Ziff. 5.1.1 AUB 1999), die bei einer Unfallursächlichkeit die Haftung des Versicherers ausschließt. 97 ) Eine<br />
BAK unterhalb des Beweisgrenzwerts von 1,1 ‰ führt nur dann zu einer Bewusstseinsstörung <strong>im</strong> Sinne der<br />
AUB, wenn zur festgestellten BAK weitere Umstände wie z. B. erhebliche Ausfallerscheinungen hinzutreten, die<br />
die Annahme von Fahrunsicherheit rechtfertigen. 98 )<br />
Der Unfallversicherer wird auch von der Leistung frei, wenn der Versicherungsnehmer als Mitfahrer in einem<br />
Kraftfahrzeug <strong>im</strong> Zustand alkoholbedingter Bewusstseinsstörung einen Unfall erleidet <strong>und</strong> die Bewusstseinsstörung<br />
für den Unfall (adäquat) ursächlich war. Zur Annahme einer Bewusstseinsstörung bei einem Mitfahrer reicht<br />
aber nicht die gleiche <strong>Blutalkohol</strong>konzentration aus wie bei einem Kraftfahrer. Die Ausschlussklausel des § 3<br />
Nr. 4 AUB trägt der Erfahrungstatsache Rechnung, dass bewusstseinsgestörte Menschen einer erhöhten Unfallgefahr<br />
unterliegen. Eine Bewusstseinsstörung i. S. d. § 3 Nr. 4 AUB liegt dann vor, wenn ein Verkehrsteilnehmer<br />
nach § 2 StVZO am Verkehr nicht mehr teilnehmen darf, weil er infolge des <strong>Alkohol</strong>genusses schlechthin außerstande<br />
ist, die ihm drohenden Gefahren zu erkennen <strong>und</strong> sich entsprechend zu verhalten. Das wird bei normaler<br />
<strong>Alkohol</strong>verträglichkeit erst bei einer <strong>Blutalkohol</strong>konzentration von 2 ‰ der Fall sein. 99 )<br />
Unvollständige <strong>und</strong> erst recht falsche Angaben des Versicherungsnehmers über einen <strong>Alkohol</strong>konsum vor dem<br />
Unfall stellen eine ernsthafte Gefährdung der Interessen des Unfallversicherers dar <strong>und</strong> führen zur Leistungsfreiheit<br />
des Unfallversicherungsvertrags (vgl. § 9 AUB). 100 )<br />
Wenn eine erwiesene alkoholbedingte Fahrunsicherheit <strong>gegen</strong>über den unternehmensbedingten Umständen<br />
als allein wesentliche Unfallursache anzusehen ist, scheidet ein Arbeitsunfall auch <strong>im</strong> Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung<br />
(§ 559 RVO a.F., § 8 SGB VII) aus. 101 )<br />
4. Rechtsschutzversicherung<br />
Selbst bei der Rechtsschutzversicherung wirkt sich eine <strong>Alkohol</strong>isierung negativ aus. Stellt sich <strong>im</strong> Straf- oder<br />
Ordnungswidrigkeitenverfahren heraus, dass der Versicherungsnehmer eine vorsätzliche Tat unter <strong>Alkohol</strong>genuss<br />
begangen hat, kann der Versicherer die gewährten Leistungen (in der Regel Anwaltskosten) zurückverlangen<br />
(§ 2 i aa) <strong>und</strong> j aa) ARB 1994).<br />
Auch hier führen unwahre Angaben zur Leistungsfreiheit des Rechtsschutzversicherers. So kann die Deckung<br />
für eine beabsichtigte Klage <strong>gegen</strong> die Kaskoversicherung berechtigt verweigert werden, wenn der Versicherungsnehmer<br />
verschwiegen hat, dass er zum Unfallzeitpunkt alkoholisiert gewesen ist. 102 )<br />
C. Fazit<br />
Die mit der Aufarbeitung von Trunkenheitsfahrten verglichen mit der Strafjustiz deutlich geringere Belastung<br />
der Ziviljustiz zeigt, dass die inzwischen geltenden Regeln offenbar ausgewogene Reaktionen darstellen. Hinsichtlich<br />
der Haftungen <strong>gegen</strong>über Dritten greift das Pflichtversicherungssystem, indem die geschädigten Dritten<br />
vollen Ersatz erhalten <strong>und</strong> die Regressbeschränkung <strong>gegen</strong>über dem Schädiger den Gang vor den Insolvenzrichter<br />
in den meisten Fällen verhindert. Soweit es die eigenen erlittenen Verletzungen <strong>und</strong> Schäden betrifft, ist<br />
es sachgerecht, dass der selbst geschädigte betrunkene Fahrer zwar durch die Krankenversicherung vor dem<br />
Schl<strong>im</strong>msten bewahrt wird, ansonsten aber, vor allem wenn er sich darüber hinaus weiter unredlich verhält,<br />
indem er unerlaubt den Unfallort verlässt oder durch einen Nachtrunk oder unwahre Angaben <strong>gegen</strong>über der Versicherung<br />
versucht, seine Trunkenheitsfahrt zu verschleiern, höher belastet wird <strong>und</strong> weitgehend seine Schäden<br />
selbst zu tragen hat.<br />
Offene Fragen finden sich derzeit weitgehend <strong>im</strong> Bereich des mit dem VVG 2008 neu eingeführten Quotierungssystems.<br />
Hier wird die obergerichtliche Rechtsprechung griffige Kriterien herausarbeiten müssen, damit die<br />
Assekuranz nicht auf Dauer jeden Regressfall in der Kaskoversicherung gerichtlich klären muss.<br />
Fußnoten<br />
1 ) Vgl. BGH, NZV 2008, 528.<br />
2 ) Vgl. König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl. 2009, § 316 StGB, Rd. 117.<br />
3 ) BGH, NZV 1999, 48; BGHSt 21, 157; BGHSt 13, 83; BayObLG, NZV 1990, 317; es spricht nichts da<strong>gegen</strong>,<br />
mit der wohl herrschenden Meinung diese Maßstäbe auch in der Kfz-Versicherung anzuwenden (vgl.<br />
Feyock/Jacobsen/Lemor, Kraftfahrtversicherung, 2. Aufl. 2002, Rd. 60 zu § 2 b AKB).<br />
4 ) Vgl. BGH, NJW 1989, 1612.<br />
5 ) Als Richtwert für die mögliche Dauer der Resorption ist in der gerichtlichen Praxis ein Zeitraum von max<strong>im</strong>al<br />
120 Minuten anerkannt (BGHSt 25, 246/250 = NJW 1974, 246; BayObLGSt 94, 246 <strong>und</strong> DAR 2002, 80;<br />
OLG Schleswig, Beschluss v. 03. 01. 2003, Az. 2 SsOWi 156/02 [135/02]). Die Annahme einer kürzeren<br />
Resorptionsdauer bedarf der Feststellung der Anknüpfungstatsachen hinsichtlich Trinkzeit <strong>und</strong> Trinkende,<br />
Trinkmenge, Getränkeart, etwaiger Nahrungsaufnahme, Tatzeit, Zeitpunkt der Blutentnahme, Körpergewicht<br />
<strong>und</strong> Konstitutionstyp.<br />
6 ) BGH, NZV 2002, 559; OLG Düsseldorf, VersR 2004, 1406; OLG Koblenz, VRS 103, 174; OLG Karlsruhe,<br />
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Sup 32 Supplement<br />
NZV 2002, 227 (für das Zivilrecht); BGH, VersR 1991, 1367; OLG Köln, NVersZ 1999, 574; OLG Düsseldorf,<br />
VersR 2004, 1406 (für das Versicherungsrecht).<br />
7 ) OLG Hamm, VRS 22, 479.<br />
8 ) OLG Hamm, DAR 1963, 218.<br />
9 ) BayObLG, <strong>Blutalkohol</strong> 1993, 254; OLG Hamm, NZV 1992, 198; OLG Celle, NJW 1992, 2169; OLG Zweibrücken,<br />
NZV 1992, 372; OLG Karlsruhe, NZV 1997, 486.<br />
10 ) OLG Hamm, NZV 2003, 92.<br />
11 ) OLG Naumburg, NJW 2005, 3505.<br />
12 ) Vgl. BGH, NJW 1989, 1612; OLG Hamm, NZV 2003, 522 [0,65 ‰]; OLG Frankfurt, VersR 1996, 52, OLG<br />
Düsseldorf, VersR 2001, 772; OLG München, Urteil v. 11. 09. 1992 = OLGR München 1992, 166; OLG München,<br />
Urteil vom 27. 06. 2008, Az. 10 U 5654/07.<br />
13 ) vgl. OLG Köln, r+s 2003, 315; OLG Düsseldorf, VRS 78, 281.<br />
14 ) BGH, NJW 1995, 1029.<br />
15 ) H.M., vgl. BGH, NJW 1995, 1029 unter Ablehnung der Gegenauffassung des OLG Celle <strong>und</strong> des OLG<br />
Hamm; OLG Saarbrücken, NZV 1995, 23; OLG Schleswig, VersR 1975, 290; OLG Bamberg, VersR 1987,<br />
909; OLG Hamm (6. ZS), NZV 1994, 319; a. A. OLG Celle, VersR 1988, 608 <strong>und</strong> OLG Hamm, NZV 1990,<br />
393, wonach durch die <strong>Alkohol</strong>isierung die Betriebsgefahr erhöht sei <strong>und</strong> deshalb <strong>im</strong>mer, also auch ohne Auswirkung<br />
auf das Unfallgeschehen, eine Mithaftung aus Betriebsgefahr bestehe.<br />
16 ) BGH, NJW 1995, 1029.<br />
17 ) Vgl. OLG Schleswig, NZV 1991, 233.<br />
18 ) Vgl. AG Landstuhl, ZfS 2007, 681; König in Hentschel/König/Dauer, a. a. O., § 316 StGB, Rd. 117.<br />
19 ) Vgl. OLG Düsseldorf, VersR 2004, 1406, 1407 m. w. N.; OLG Hamm, NZV 2003, 92; OLG Frankfurt,<br />
NVersZ 2002, 129; OLG Karlsruhe, ZfS 1993, 160; OLG Köln, VersR 1983, 50.<br />
20 ) BVerfG, VM 1995, 73; BGH, DAR 1968, 123; BayObLG, DAR 1990, 186.<br />
21 ) Vgl. hierzu König in Hentschel/König/Dauer, a. a. O., § 316 StGB, Rd. 27 m. w. N.<br />
22 ) Vgl. hierzu König in Hentschel/König/Dauer, a. a. O., § 316 StGB, Rd. 28 m. w. N.<br />
23 ) Vgl. hierzu König in Hentschel/König/Dauer, a. a. O., § 316 StGB, Rd. 29 m. w. N.<br />
24 ) Vgl. BGH, VersR 1986, 131; BGH, VersR 1976, 729; OLG Düsseldorf, VersR 2004, 1406; OLG Düsseldorf,<br />
NJW-RR 2001, 101.<br />
25 ) Vgl. OLG München, NZV 2006, 261.<br />
26 ) Grdl. BGHZ 53, 245 [256] = NJW 1970, 946, st. Rspr. vgl. BGH, NJW 1992, 39 [40]; BGH, VersR 2007, 1429<br />
[1431 unter II 2].<br />
27 ) Vgl. Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 30. Aufl. 2009, Vorbem § 402 Rd. 3 m. w. N.<br />
28 ) OLG München, <strong>Blutalkohol</strong> 45, 403 = NJW-Spezial 2008, 555.<br />
29 ) OLG Brandenburg, Schaden-Praxis 2007, 316.<br />
30 ) OLG Düsseldorf, NZV 2005, 201.<br />
31 ) OLG Saarbrücken, <strong>Blutalkohol</strong> 43, 69.<br />
32 ) OLG Köln, 2003, 428.<br />
33 ) Vgl. OLG Karlsruhe, NZV 2009, 226; OLG Hamburg, NZV 1996, 33; OLG Frankfurt, ZfS 1986, 289 (<strong>gegen</strong>über<br />
Ehegatten).<br />
34 ) Vgl. OLG Karlsruhe, NZV 2009, 226; OLG Hamm, NZV 1996, 33.<br />
35 ) BGH, NJW 1961, 655.<br />
36 ) BGH, MDR 1971, 471 m. w. N.<br />
37 ) BGH, LM BGB § 254 (Da) Nr. 12.<br />
38 ) LG Braunschweig, VersR 2002, 774.<br />
39 ) Vgl. OLG Düsseldorf, VersR 2004, 1406; OLG Saarbrücken, VersR 1968, 905; OLG Hamm, VersR 1997,<br />
126; OLG Karlsruhe, Urt. v. 15.12. 2006, Az. 10 U 177/05.<br />
40 ) OLG Hamm, VersR 1997, 126.<br />
41 ) Vgl. OLG Hamm, MDR 1996, 149 (dort 2/3 zu 1/3); OLG Düsseldorf, Schaden-Praxis 2002, 267; OLG Köln,<br />
NJW-RR 2000, 1553.<br />
42 ) Vgl. König in Hentschel/König/Dauer, a. a. O., § 316 StGB, Rd. 118 m. w. N.<br />
43 ) OLG Düsseldorf, DAR 1963, 383; OLG Düsseldorf, VersR 1964, 179; OLG Nürnberg, VersR 1965, 175.<br />
44 ) BGH, NJW 1952, 1291; BGH, VersR 1971, 808; BGH, DAR 1972, 105; OLG Düsseldorf, NZV 2004, 594.<br />
45 ) OLG Düsseldorf, VersR 2005, 348.<br />
46 ) Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung 2008.<br />
47 ) OLG Saarbrücken, NVersZ 2002, 124; OLG Hamm, ZfS 2003, 408; OLG Nürnberg, NJW-RR 2001, 97.<br />
48 ) Vgl. OLG Köln, VersR 2004, 1596.<br />
49 ) OLG Hamm, VersR 2006, 965 (Unfallverursachung durch den <strong>im</strong> alkoholisierten Zustand ohne Fahrerlaubnis<br />
fahrenden Sohn des Versicherungsnehmers); OLG München, Hinweis v. 26. 06. 2006 – 10 U 2556/06;<br />
Schirmer, DAR 1989, 14; so wohl auch BGHZ 105, 140 (142).<br />
50 ) Vgl. Begründung zu § 15 <strong>und</strong> zu § 117 RefE-VVG v. 13. März 2006, S. 43 <strong>und</strong> 110; OLG München, Hinweis<br />
v. 26. 06. 2006 – 10 U 2556/06.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Supplement<br />
Sup 33<br />
51 ) OLG Bamberg, NJW-RR 2006, 1406 [1408]; OLG Koblenz, NJOZ 2006, 1140; OLG München, Hinweis v.<br />
25. 02. 2008 – 10 U 1759/08.<br />
52 ) Vgl. auch OLG Saarbrücken, NZV 2009, 340.<br />
53 ) Siehe oben B.I.1.<br />
54 ) Vgl. Schirmer, DAR 2008, 319; Nugel, NZV 2008, 11.<br />
55 ) Vgl. OLG Hamm, VersR 1993, 90 f<br />
56 ) OLG Karlsruhe, VersR 2008, 1526 = <strong>Blutalkohol</strong> 45, 400.<br />
57 ) Vgl. BGH, VersR 1989, 469; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2001,101; AG Brühl, SVR 2009, 424.<br />
58 ) Vgl. Rüther, NZV 1994, 457.<br />
59 ) Der Versicherer darf sich auf Leistungsfreiheit nur berufen, wenn die Obliegenheitsverletzung generell<br />
geeignet war, seine berechtigten Interessen zu gefährden, <strong>und</strong> den Versicherungsnehmer ein erhebliches Verschulden<br />
traf, vgl. etwa BGH, NZV 1998, 201; s. a. OLG Karlsruhe, r+s 1993, 203.<br />
60 ) OLG Köln, NVersZ 2000, 534.<br />
61 ) OLG Hamm, ZfS 2003, 408.<br />
62 ) OLG Jena, NJW-RR 2003, 320.<br />
63 ) So Nugel, NZV 2008, 11 (teleologische Reduktion des § 28 II 2 VVG 2008); Mergner, NZV 2007, 385; a. A.<br />
Schirmer, DAR 2008, 319 (320).<br />
64 ) Vgl. OLG Brandenburg, ZfS 2004, 518.<br />
65 ) OLG Brandenburg, Schaden-Praxis 2007, 261.<br />
66 ) BGH, VersR 1968, 385; OLG Nürnberg, VersR 1970, 562.<br />
67 ) Vgl. BGH, VersR 1976, 84; OLG Brandenburg, Schaden-Praxis 2007, 261; OLG Saarbrücken, ZfS 2001, 69;<br />
LG Chemnitz, NZV 2003, 426.<br />
68 ) BGH, NJW 2006, 147; OLG Brandenburg, ZfS 2004, 518; OLG Düsseldorf, VersR 2004, 1406; OLG Saarbrücken,<br />
VersR 2004, 1131; OLG Schleswig, NZV 2003, 184; OLG Köln, ZfS 2003, 23; OLG Hamm, NJW-<br />
RR 2000, 172.<br />
69 ) Vgl. hierzu König in Hentschel/König/Dauer, a. a. O., § 142 StGB, Rd. 78 m. w. N.<br />
70 ) OLG Düsseldorf, Schaden-Praxis 2008, 336.<br />
71 ) Vgl. Stiefel/Hofmann, AKB, 17. Aufl. 2000, § 2 b Rd. 133.<br />
72 ) BGH, VersR 2008, 343.<br />
73 ) OLG Nürnberg, VM 1993, 14.<br />
74 ) BAG, VRS 21, 395.<br />
75 ) Vgl. OLG Koblenz, VRS 103, 174.<br />
76 ) Zum Thema vgl. Baumann, Der Streit um die Quote, RuS 2010, 51; Seemayer, Einwendungstatbestände in<br />
der Fahrzeug-Kaskoversicherung, RuS 2010, 6; Stahl, Quotenbildung nach dem VVG in der Kraftfahrtversicherung,<br />
NZV 2009, 265, Günther, Zur Kürzung der Versicherungsleistung nach der Schwere des Verschuldens<br />
des Versicherungsnehmers, RuS 2009, 492; Unberath, Die Leistungsfreiheit des Versicherers – Auswirkungen<br />
der Neuregelung auf die Kraftfahrtversicherung, NZV 2008, 537; Kutschera, Quotelung bei der grob<br />
fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalles nach neuem Recht, VuR 2008, 409; Franz, Die Reform<br />
des Versicherungsvertragsrechts – ein großer Wurf?, DStR 2008, 303; Veith, Das quotale Leistungskürzungsrecht<br />
des Versicherers gem. §§ 26 Abs. 1 S. 2, 28 Abs. 2 S. 2, 81 Abs. 2 VVG 2008, VersR 2008, 1580; van<br />
Bühren, Das neue Versicherungsvertragsgesetz 2008, ZAP Fach 10, 307; Schirmer, DAR 2008, 319; Lang,<br />
VGT 2008, 167; Rixecker, ZfS 2007, 15; Günther/Spielmann, Vollständige <strong>und</strong> teilweise Leistungsfreiheit<br />
nach dem VVG 2008 am Beispiel der Sachversicherung (Teil 2), r+s 2008, 177; Pohlmann, VersR 2008, 437;<br />
Langheit, Die Reform des VVG, NJW 2007, 3665; Weidner/Schuster, Quotelung von Entschädigungsleistungen<br />
bei grober Fahrlässigkeit des VN in der Sachversicherung nach neuem VVG, r+s, 2007, 363; Felsch,<br />
Neuregelung von Obliegenheiten <strong>und</strong> Gefahrerhöhung, r+s 2007, 585; Grote/Schneider, Das neue VVG,<br />
BB 2007, 2689.<br />
77 ) BGH, NJW 2007, 2988; Palandt/Heinrichs, BGB, 69. Aufl. 2010, § 277 BGB Rd. 5 m. w. N.<br />
78 ) Vgl. OLG Hamm, VersR 1981, 924.<br />
79 ) BGH, VersR 1988, 683; OLG Nürnberg, VersR 1995, 331; so auch OLG Nürnberg, NZV 2005, 478.<br />
80 ) Vgl. BGH, NZV 1989, 228; OLG Karlsruhe, NZV 1992, 321; OLG Hamm, NZV 2001, 172; OLG Düsseldorf,<br />
NJW-RR 2001, 101; OLG Köln, ZfS 2000, 111; OLG Koblenz, DAR 2002, 217.<br />
81 ) BGH, NZV 1989, 228.<br />
82 ) OLG Hamm, NZV 2001, 172; OLG Nürnberg, VersR 1982, 460.<br />
83 ) OLG Nürnberg, VersR 1995, 331.<br />
84 ) Vgl. OLG Köln, VersR 1983, 294; OLG Köln, ZfS 1999, 199; KG, NZV 1996, 200; OLG Hamm, VersR 1990,<br />
43; OLG Hamm, NZV 1994, 112; zu Einzelfragen vgl. König in Hentschel/König/Dauer, a. a. O.,<br />
§ 316 StGB, Rd. 119.<br />
85 ) BGH, VersR 1980, 180.<br />
86 ) Vgl. OLG Nürnberg, NZV 1988, 145.<br />
87 ) OLG Hamm, NZV 1992, 153.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Sup 34 Supplement<br />
88 ) LG Göttingen, Urteil vom 18. 11. 2009, Az. 5 O 118/09 [Juris].<br />
89 ) Vgl. Baumann, „Quotenregelung contra Alles- oder Nichts-Prinzip <strong>im</strong> Versicherungsfall“ – Überlegungen<br />
zur Reform des § 61 VVG, r+s 2007, 1.<br />
90 ) Vgl. Veith, Das quotale Leistungskürzungsrecht des Versicherers gem. §§ 26 Abs. 1, Satz 2, 28 Abs. 2 Satz 2,<br />
81 Abs. 2 VVG 2008 in VersR 2008, 1580<br />
91 ) Vgl. Langheid, NJW 2007, 3665; Weidner/Schuster, r+s 2007, 363; Felsch, r+s 2007, 485 (jedenfalls für den<br />
Fall der Quotelung bei Obliegenheitsverletzungen); ebenso <strong>im</strong> Ergebnis Grote/Schneider, BB 2007, 2689;<br />
Unberath, NZV 2008, 537.<br />
92 ) Vgl. Günther/Spielmann, r+s 2008, 177; Pohlmann, VersR 2008, 437.<br />
93 ) LG Münster, NJW 2010, 240.<br />
94 ) Vgl. eingehend Felsch, r+s 2007, 485; König in Hentschel/König/Dauer, a. a. O., § 316 StGB, Rd. 119.<br />
95 ) So Rixecker, ZfS 2007, 15; Schirmer, DAR 2008, 319; Lang, VGT 2008, 167.<br />
96 ) Vgl. auch LG Bonn, DAR 2010, 24.<br />
97 ) BGH, NZV 1988, 17; König in Hentschel/König/Dauer, a. a. O., § 316 StGB, Rd. 120 m. w. N.<br />
98 ) BGH, VersR 1986, 141; BGH, NZV 1988, 17; BGH, NJW-RR 1988, 1376; König in Hentschel/König/Dauer,<br />
a. a. O., § 316 StGB, Rd. 120 m. w. N.<br />
99 ) BGH, NJW 1976, 801 = <strong>Blutalkohol</strong> 13, 358.<br />
100 ) OLG Saarbrücken, VersR 2007, 532.<br />
101 ) BSG, VersR 1979, 179.<br />
102 ) AG Marl, RuS 1997, 337.<br />
Anschrift des Verfassers<br />
Richter am Oberlandesgericht<br />
Franz Tischler<br />
Tessiner Straße 97<br />
81475 München<br />
Email: tischler@olg-m.bayern.de<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Seiten 315–317<br />
Püschel / Klipp,<br />
Editorial<br />
Editorial<br />
Der Einsatz atemalkoholgesteuerter Wegfahrsperren in Deutschland –<br />
Expertengespräch in der BASt<br />
Implementation of Ignition Interlocks in Gemany<br />
Expert Talk at BASt<br />
Man könnte sinngemäß feststellen: „A never ending story“ oder auch: Quo vadis. – Über<br />
die technischen Gr<strong>und</strong>lagen von <strong>Alkohol</strong>-Interlock-Systemen ist in dieser Zeitschrift<br />
wiederholt berichtet worden<br />
– mit exper<strong>im</strong>entellen Untersuchungen (z.B. Gilg et al. 1998, Sperhake et al. 1998)<br />
– durch f<strong>und</strong>ierte Übersichts-Arbeiten (z.B. Evers 2003, 2007, Klipp 2006, 2009, Kosellek<br />
2007, Lagois <strong>und</strong> Sohège 2003)<br />
– durch Dokumentationen von Expertentagungen (z.B. B.A.D.S. BA 2005, Sup I)<br />
– vom 45. Verkehrsgerichtstag in Goslar 2007 (z.B. B.A.D.S. BA 2007, 124 ff.).<br />
Die technischen Fragen <strong>und</strong> Probleme sind z.B. be<strong>im</strong> <strong>Alkohol</strong>-Interlock-System der<br />
Firma Dräger gut gelöst. Das System hat sich als praxistauglich erwiesen, die wirtschaftlichen<br />
Aspekte sind überschaubar.<br />
Eigentlich fragt man sich, warum nicht zumindest in best<strong>im</strong>mten Gefahrenbereichen<br />
(Personenbeförderung, Gefahrguttransport) entsprechende Geräte installiert werden. –<br />
Andere Länder sind hier deutlich weiter vorangeschritten (z.B. Schweden, Frankreich).<br />
Wirtschaftliche Argumente werden angeführt. Andererseits muss man natürlich unbedingt<br />
berücksichtigen, dass <strong>Alkohol</strong> nach wie vor eine der Hauptursachen für zahlreiche<br />
Schwerverletzte <strong>und</strong> Tote <strong>im</strong> Straßenverkehr ist.<br />
Insbesondere dem B.A.D.S. <strong>und</strong> der BASt ist es zu danken, dass die Thematik weiter befördert<br />
wird.<br />
<strong>Alkohol</strong>fahrten stellen in Deutschland nach wie vor ein ernstes Verkehrssicherheitsproblem<br />
dar. Internationale Konzepte zur Prävention sehen vor, das Aufkommen von <strong>Alkohol</strong>fahrten<br />
durch technische Veränderungen am Fahrzeug zu reduzieren (z.B. 4. EU-Aktionsprogramm<br />
für die Straßenverkehrssicherheit, vergl. BA 2009, 258–263). In vielen<br />
Ländern hat sich dabei der Einsatz von atemalkoholgesteuerten Wegfahrsperren (sogenannte<br />
<strong>Alkohol</strong>-Interlocks) bewährt. In Deutschland herrscht Einvernehmen darüber, dass<br />
positive Einsatzmöglichkeiten von <strong>Alkohol</strong>-Interlocks ausschließlich <strong>im</strong> Rahmen einer sek<strong>und</strong>ärpräventiven<br />
Nutzung in Kombination mit psychologischen Rehabilitationsmaßnahmen<br />
gegeben sind.<br />
Neueste Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass die Nutzung von <strong>Alkohol</strong>-Interlocks<br />
in Kombination mit rehabilitativen Maßnahmen zu einer deutlichen Reduktion des<br />
Rückfallrisikos von bereits auffällig gewordenen <strong>Alkohol</strong>fahrern beitragen kann. Außerdem<br />
legen sie nahe, dass sich aus der Nutzung von Interlock-Daten erhebliche Vorteile für<br />
die Diagnostik <strong>und</strong> eine individuell gezielte Ausrichtung der Rehabilitationsmaßnahmen<br />
gewinnen lassen. Allerdings existieren in Deutschland bisher noch keine entfalteten Konzepte<br />
für entsprechende Maßnahmenansätze. Dies erklärt sich u.a. daraus, dass der internationale<br />
Forschungsstand zum Potential von <strong>Alkohol</strong>-Interlocks sowie die praktischen<br />
Erfahrungen <strong>und</strong> rechtlichen Rahmenbedingungen in anderen Ländern (z.B. USA/Kanada,<br />
Skandinavien – dargestellt von S. Klipp, BASt) in der deutschen Fachöffentlichkeit<br />
315<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
316<br />
bisher noch kaum wahrgenommen wurden. Um das zusätzliche Sicherheitspotential von<br />
<strong>Alkohol</strong>-Interlocks ausschöpfen zu können, ist daher eine intensive Rezeption <strong>und</strong> Diskussion<br />
des internationalen Erkenntnisstands erforderlich.<br />
Ein Expertengespräch der BASt am 02. Juni 2009 bot die Gelegenheit zu einem Informationsaustausch<br />
zum Einsatz von <strong>Alkohol</strong>-Interlocks in der Prävention von <strong>Alkohol</strong>fahrten<br />
unter Einbeziehung eines international führenden Experten (Paul R. Marques, International<br />
Council of Alcohol, Danger and Traffic Safety; Pacific Institute for Research &<br />
Evaluation, Calverton, Maryland). Insgesamt 50 deutsche <strong>und</strong> österreichische Experten<br />
aus den Bereichen der Begutachtung <strong>und</strong> der Förderung der Fahreignung, aber auch Vertreter<br />
des <strong>B<strong>und</strong></strong>es <strong>und</strong> der Länder fanden sich zum Gespräch ein <strong>und</strong> verfolgten aufmerksam<br />
die fachlichen Beiträge. Auf besonderes Interesse stießen dabei die Evaluationsbef<strong>und</strong>e<br />
zu den Wiederauffälligkeitsraten, sowie die Ergebnisse der Verknüpfung von<br />
Interlock-Daten aus dem Datenspeicher mit Rückfallraten. Nach dem Hauptvortrag wurden<br />
die Verbreitung von Interlock-Programmen in Europa <strong>und</strong> Perspektiven der Umsetzung<br />
in Deutschland vorgestellt. Diese wurden von Vertretern involvierter Disziplinen<br />
fachlich eingeschätzt. Dabei standen neben den geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen,<br />
die den Einsatz nur sehr eingeschränkt möglich erscheinen lassen, auch die Diskussion<br />
von Ideen zur sinnvollen Integration in das bestehende Maßnahmensystem <strong>im</strong> Vordergr<strong>und</strong>.<br />
Vor allem wurden aus verkehrsmedizinischer <strong>und</strong> verkehrspsychologischer Perspektive,<br />
die sich aus dem Einsatz ergebenden möglichen Vorteile für die Begutachtung<br />
<strong>und</strong> Rehabilitation alkoholauffälliger Kraftfahrer dargestellt (Blumberg). Geiger (München)<br />
wies darauf hin, dass der Einsatz atemalkoholsensitiver Wegfahrsperren der Annahme<br />
einer bedingten Fahreignung bedarf, um eine entsprechend eingeschränkte bzw. mit<br />
einer diesbezüglichen Auflage versehenen Fahrerlaubnis erteilen zu können. Letztlich<br />
wird wohl nur der Gesetzgeber die Entscheidung darüber treffen können, ob derartige Voraussetzungen<br />
einzuführen sind (Schöch, München). – Alles in allem wurde deutlich, dass<br />
eine große Mehrheit der anwesenden Experten in der Anwendung von <strong>Alkohol</strong>-Interlocks<br />
durchaus ein Potential zur Opt<strong>im</strong>ierung des bestehenden Systems <strong>und</strong> somit zur Erhöhung<br />
der Verkehrssicherheit vermutet.<br />
Mit dem erneuten Schwerpunkt in der Zeitschrift BLUTALKOHOL wollen wir die u.E.<br />
notwendige Diskussion über <strong>Alkohol</strong>-Interlock-Systeme nochmals beleben <strong>und</strong> anregen,<br />
diese überzeugende Möglichkeit zur Erhöhung der Verkehrssicherheit <strong>und</strong> zur Reduzierung<br />
alkoholbedingter Verkehrsunfälle weiter zu verfolgen. Warum wird diese klare, strukturierte<br />
<strong>und</strong> sichere Möglichkeit zur Verminderung von Trunkenheitsfahrten eigentlich<br />
nicht realisiert. Die Relation Nutzen/Risiko/Kosten/Komfort <strong>im</strong> Straßenverkehr ist angesichts<br />
der modernen Gerätekonfiguration <strong>im</strong> grünen Bereich. Die Hürden bezüglich der<br />
rechtlichen Aspekte scheinen keineswegs unüberwindlich.<br />
Klaus Püschel (Institut für Rechtsmedizin, Hamburg)<br />
S<strong>im</strong>one Klipp (<strong>B<strong>und</strong></strong>esanstalt für Straßenwesen,<br />
Referat „Fahrausbildung, Kraftfahrerrehabilitation“, Bergisch-Gladbach)<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Püschel / Klipp,<br />
Editorial
Püschel / Klipp,<br />
Editorial<br />
Literatur (nach Erscheinungsjahr sortiert)<br />
Gilg T, Hutzler G, Tourneur D (1998) Medizinische <strong>und</strong> technische Evaluation der alkoholsensitiven Zündsperre<br />
(Breath Alcohol Ignition Interlock Dvice, BAIID) „alcolock ® system – Anwendungsmöglichkeiten <strong>und</strong><br />
Verkehrssicherheitsaspekte. <strong>Blutalkohol</strong> 35 (5), 331–343.<br />
Sperhake J, Tsokos M, Püschel K (1998) Praktische Erprobung der alkoholsensitiven Zündsperre Alkolock ® System.<br />
<strong>Blutalkohol</strong> 35 (5), 344–352.<br />
Evers C (2003) Zur Realisierbarkeit einer Einführung atemalkoholsensitiver Zündsperren für alkoholauffällige<br />
Fahrer in Europa – Ergebnisse des EU-Projekts ALCOLOCKS. <strong>Blutalkohol</strong> 40 (1), 20–36.<br />
Lagois J, Sohége J (2003) Interlock – ein Beitrag zur Erhöhung der Sicherheit <strong>im</strong> Straßenverkehr. <strong>Blutalkohol</strong> 40,<br />
199–207.<br />
B.A.D.S. (2005) Supplement I – Symposium des B.A.D.S.: Wegfahrsperren für alkoholauffällige Kraftfahrer.<br />
Ein Weg zu mehr Verkehrssicherheit? <strong>Blutalkohol</strong> 42 (3), Supplement I, 1–26.<br />
Klipp S (2006) Pr<strong>im</strong>är- <strong>und</strong> sek<strong>und</strong>ärpräventive Initiativen <strong>gegen</strong> Trunkenheitsfahrten – eine Übersicht über die<br />
weltweiten Interlockprogramme. <strong>Blutalkohol</strong> 43, 175–191.<br />
B.A.D.S. (2007) Dokumentation I, 45. Deutscher Verkehrsgerichtstag vom 24. bis 26. Januar 2007 in Goslar.<br />
<strong>Blutalkohol</strong> 44 (3), 144–161.<br />
Evers C (2007) Ergebnisse eines europäischen Pilotversuches zur Erprobung atemalkoholsensitiver Zündsperren<br />
bei verschiedenen Kraftfahrergruppen. <strong>Blutalkohol</strong> 44 (1), 14–26.<br />
Kosellek R (2007) <strong>Alkohol</strong>-Interlocks auf den Straßen der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik Deutschland. Erste Erfahrungen aus<br />
der verkehrspsychologischen Praxis. <strong>Blutalkohol</strong> 44 (5), 291–303.<br />
Klipp S (2009) Der Einsatz atemalkoholgesteuerter Wegfahrsperren in Deutschland: politische <strong>und</strong> juristische<br />
Aspekte sowie Perspektiven der Umsetzung. <strong>Blutalkohol</strong> 46 (3), 190–197.<br />
317<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
318<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Marques,<br />
Ignition Interlocks: Review of the Evidence<br />
PAUL R. MARQUES<br />
Ignition Interlocks: Review of the Evidence<br />
Seiten 318–327<br />
Atemalkoholgesteuerte Wegfahrsperre: Zusammenfassung der<br />
wissenschaftlichen Bef<strong>und</strong>e<br />
Alcohol (any amount) is associated with the death of approx<strong>im</strong>ately 17,000 people annually<br />
on USA roads. Over the past 10 years, 21–22 % of all fatal crashes have involved<br />
drivers with a BAC (blood alcohol concentration) over .08 g/dL (the USA legal l<strong>im</strong>it)<br />
(NHTSA, 2008). Alcohol ignition interlocks, which require a breath test before an engine<br />
start, were devised to prevent alcohol-<strong>im</strong>paired driving. The devices require a driver convicted<br />
of DUI (driving <strong>und</strong>er the influence of alcohol) to blow a low BAC (breath alcohol<br />
content) air sample (usually set to lock the ignition at .02–.04 g/dL) before a car can be<br />
started. US States and Canadian Provinces set their own lockout points.<br />
The device standards (equipment certification guidelines) have been worked out and the<br />
equipment of most manufacturers today is reliable. The challenge now is how to use interlock<br />
programs for the most public benefit in the most cost effective way. The largest problems<br />
are: how to pass good laws, how to manage good programs, how to use the interlock<br />
data to support lasting behavior change (i. e., how to stop the revolving door).<br />
Development of Alcohol Interlock Programs in North America<br />
Starting in the 1970s, after about 15 years of developmental research into different types<br />
of interlocks, alcohol sensing ignition interlocks became the favored approach to alcohol<br />
ignition interlocks. In 1986, California, USA was the first State to <strong>im</strong>plement a pilot program<br />
to evaluate their effectiveness; in 1990, Alberta, Canada began a program. Both showed<br />
promise and soon new laws were passed in many US States and Canadian Provinces.<br />
Research studies est<strong>im</strong>ated the potential safety contribution, and possible barriers that<br />
might prevent interlocks from contributing further to road safety. By 1992, NHTSA (the<br />
U.S. National Highway Traffic Safety Administration) published a set of recommended<br />
guidelines: Model Specifications for Breath Alcohol Ignition Interlock Devices (NHTSA,<br />
1992). 1 ) The NHTSA document was not a federal standard, but was written for the States<br />
to guide them in writing their own standards. The standards were designed to ensure that<br />
the equipment was dependable, that it would perform well <strong>und</strong>er a variety of environmental<br />
conditions, and that it would be somewhat difficult to circumvent. Early devices were<br />
non-specific and rud<strong>im</strong>entary, but through the 1990s technology <strong>im</strong>proved and the annual<br />
number of installed interlocks grew in a slow linear fashion. As more laws were passed,<br />
growth accelerated. Two major evaluation studies, based on Alberta data (Voas, Marques,<br />
Tippetts, & Beirness, 1999), and Maryland data (Beck, Rauch, Baker, & Williams, 1999),<br />
provided the first systematic evidence of a substantial reduction in recidivism while the<br />
interlock was installed.<br />
1 ) Canadian and Australian standards also were issued in the early 1990s; CENELEC, the electro-technical<br />
standards commitee of the European Union issued its standard in 2005.
Marques,<br />
Ignition Interlocks: Review of the Evidence<br />
Effectiveness and Problems<br />
After the year 2000, research on interlock effectiveness from both the United States and<br />
Canada had progressed to a point that it was clear interlocks were effective in reducing<br />
DUI recidivism while installed. The ICADTS (International Council of Alcohol Drugs and<br />
Traffic Safety) set up a working group on interlocks and it issued its first report in 2001<br />
(Marques, Bjerre, Dussault et al., 2001). Data combining studies, including meta-analysis,<br />
by several research groups fo<strong>und</strong> that recidivism was reduced by about two-thirds (Willis,<br />
Lybrand, & Bellamy, 2004) while interlocks were on the offenders’ vehicles relative to<br />
non-interlock control groups. In most programs studied there was no evidence of a residual<br />
safety benefit once the devices were removed from the car. But, nonetheless, the overall<br />
recidivism rates, both during and after interlock (relative to offenders with only license<br />
suspension who should not have been driving at all) showed interlocks to have an overall<br />
net safety benefit. First offender programs showed benefits comparable to multiple offender<br />
programs (Beirness & Marques, 2004; Roth, Voas, Marques, 2007).<br />
Most early interlock programs used brief periods of interlock programs (3–9 months) for<br />
multiple DUI offenders. Since the devices were effective only while installed, the short<br />
installation period and low penetration of interlocks (about 5–10 percent of the offender<br />
population) began to d<strong>im</strong> any real hope that interlocks could contribute substantially to reducing<br />
the DUI problem at the State or national level. Most programs provided interlock<br />
as an option that the driver/offender could choose in order to shorten the period of license<br />
suspension. But uptake was low, and even in mandatory licensing programs (i. e., an order<br />
by the courts to install an interlock before relicensing), offenders could wait out a period<br />
of required suspension without driving and thereby avoid the interlock. Judicial programs<br />
could encourage more use of interlocks by threatening jail, but since judges all have their<br />
own ideas, the judiciary is often difficult to influence. Jail is inelegant, expensive and temporary,<br />
but court-ordered electronic monitoring bracelets, which are more expensive than<br />
interlocks and much more annoying, proved to be a better way to make the interlock more<br />
attractive to alcohol offenders. When electronic monitoring was offered to DUI offenders<br />
as an alternative to the interlock, the interlock had much more appeal. Licensing programs<br />
managed by the government are a more efficient method of <strong>im</strong>posing interlock restrictions,<br />
but the licensing authority can only threaten to take away the driver license and therefore<br />
has less leverage than the courts. Hybrid program in which the licensing authority manages<br />
the program and the courts enforce sanctions, were inevitable. However, there is still<br />
no consensus model in the US. Canada prefers administrative programs.<br />
New Mexico devised an interesting hybrid programs that is part court-administered and<br />
partly administered by the licensing authority. New Mexico has attained a 50 % installation<br />
rate relative to all convicted DUI offenders (Marques, Voas, Roth, Tippetts, 2009).<br />
Their alcohol safety statistics have <strong>im</strong>proved with a 15 % decline in alcohol fatalities and<br />
a 32 % decline in alcohol injuries during the 5 years when interlock penetration rose from<br />
a few percent of DUI offenders to near 50 %. We cannot say with any confidence that the<br />
interlock caused the safety <strong>im</strong>provement. Interlock programs were not the only safety<br />
intervention in that interval but they were the most prominent. Florida has a statewide<br />
administrative interlock program for all multiple offenders and has fo<strong>und</strong> success by requiring<br />
the interlock as a condition of future relicensing (that is, a DUI can never have driving<br />
privileges restored unless they have a period of interlock controlled driving). It is not<br />
yet clear if this requirement forces people out of the license control system.<br />
319<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
320<br />
Penetration through 22 Years<br />
Figure 1 shows the rate increase in interlocks in the USA during the 22 years between 1986<br />
and 2008. In 2008, a survey of installed devices determined that approx<strong>im</strong>ately 145,000 were<br />
in service; the est<strong>im</strong>ate of alcohol arrests per year is 1.4 million. When the citizen action<br />
group Mothers Against Drunk Driving (MADD) made interlock programs part of their Campaign<br />
to End Drunk Driving in 2005, the rate of interlock installation grew rapidly. Today<br />
about 10 % of all drivers arrested for alcohol offenses (about 15 % of drivers convicted) are<br />
put on the interlock programs. In Figure 1, data points for 1989 and 1993 are interpolated; all<br />
others are measured from survey data. The curved fit line is a third order polynomial.<br />
Reduction in Impaired Driving Recidivism<br />
The data in Figure 2 shows the percent of reduction in reconviction among people in interlock<br />
programs (in 10 different places) relative to statistically matched DUI offenders who do<br />
not participate in interlock programs. Figure 2 bars are recidivism rates for people on interlock<br />
(solid bars) and after removal (striped bars). The comparison group of non-interlock offenders<br />
is set at 100 % and are appropriate for each study, whether first offend-er or multiple offender.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Marques,<br />
Ignition Interlocks: Review of the Evidence<br />
Fig. 1: Growth of interlocks in the USA by year with key interlock events highlighted. By 2008 approx<strong>im</strong>ately<br />
10 % of all arrested DUI are in interlock programs.<br />
Fig. 2: Interlock group recidivism rates (bars) relative to non-interlock control group (black line at 100%) in 10<br />
studies during a period of interlock use (solid) and after the interlocks are removed (striped) – Adapted from<br />
Marques, Bjerre, Dussault, et al. ( 2001).
Marques,<br />
Ignition Interlocks: Review of the Evidence<br />
First Offender vs. Repeat Offender Interlocks<br />
The earliest interlock programs in the US and Canada were restricted to repeat DUI offenders.<br />
While effectiveness evidence was strong, the realization that the majority of DUI<br />
offenders were first t<strong>im</strong>e offenders meant that the interlock programs would never be a<br />
large contributor to safety since half to two-thirds of all offenders are first t<strong>im</strong>e offenders.<br />
It has been argued that this is too extreme. However, the public risk posed by first offender<br />
alcohol use is very significant and much stronger than the risk posed by non-offenders.<br />
Two studies, one in New Mexico and one in Maryland, provide evidence that addresses<br />
this risk.<br />
Fig. 3: First offender alcohol risk. Left panel shows 2006 DUI arrest data based on the number of convictions<br />
in 2003 (New Mexico, Roth). Right panel shows 2002 data reflects “alcohol mentions” on the driver<br />
record by past DUI convictions (Maryland, Rauch).<br />
New Mexico data showed that those with a first DUI in 2003 had five t<strong>im</strong>es more DUI<br />
in 2006, than drivers with no DUI in 2003. Second t<strong>im</strong>e DUI offender had only 25 % more<br />
than the first offender.<br />
In Maryland, researchers counted the number of t<strong>im</strong>es any kind of alcohol charge was<br />
noted for a driver among 5 million licensed drivers. There were ten t<strong>im</strong>es more alcohol<br />
mentions for first offenders than for non-offenders. Here again, the second t<strong>im</strong>e offender<br />
had only about 25 % more alcohol mentions than the first offender.<br />
Interlock BAC Test Patterns<br />
Interlock BAC test patterns are predictive of alcohol risk. The overall rate of failed BAC<br />
tests is predictive as is the occurrence of morning BAC test positives.<br />
Overall Rate of Failed BAC Tests<br />
The pr<strong>im</strong>ary purpose of the interlock is to prevent vehicle starts by a driver with an elevated<br />
BAC; another <strong>im</strong>portant capability that is useful for a variety of purposes is cumulative<br />
recording of BAC tests. Studies have reported on the interlock BAC test records of<br />
2000+ DUI offenders in Alberta, Canada 1991-1999 (Marques, Voas, Tippetts, Beirness,<br />
1999; Marques, Tippetts, Voas, Beirness, 2001; Marques, Tippetts, Voas, 2003a), 7500+<br />
offenders in Quebec, Canada 1997–2002 (Marques, Voas, Tippetts, 2003b), and recently as<br />
part of a NHTSA report (Marques, Voas, Roth, Tippetts, 2009) 7500+ offenders in New<br />
321<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
322<br />
Mexico, USA (2002–2008). More than 40 million breath tests of approx<strong>im</strong>ately 16,000<br />
DUI offenders from these three jurisdictions were analyzed, and the results show a consistent<br />
pattern of behavior in which the rate of positive (and generally locked out/failed)<br />
BAC tests in the IID record reliably predicts post-interlock repeat DUI. That is, attempts to<br />
start a car with positive BAC predict subsequent recidivism (after interlock removal).<br />
Figure 4, based on 18 million breath tests provided by 7500 offenders in Quebec, Canada,<br />
shows the relationship between the rate of failed BAC tests during the interlock period<br />
(X axis reflect ten subgroups based on rates of failed tests relative to all tests taken) and the<br />
rate of repeat alcohol convictions 24 months after interlock removal on the Y axis. In a<br />
survival analysis (Cox regression) the rate of positive BAC tests was as good or better a<br />
predictor of future recidivism than the number of past DUI convictions. It is a particularly<br />
good way to sort out risk posed by first and second offenders.<br />
Morning Positive BAC Tests<br />
The failed BAC tests occur most frequently during the first start up of the day (7 to 9 AM<br />
on working weekdays, 10 AM to noon on weekends). This usually reflects drinking the<br />
night before resulting in a BAC that is still above zero in the morning. Figure 5 shows that<br />
the high number of morning failed tests (dashed lines) is not a secondary consequence of<br />
s<strong>im</strong>ple car-start attempts at that t<strong>im</strong>e of day because the most frequent hours of all vehicle<br />
starts (solid lines) occurs in late afternoon. The max<strong>im</strong>al frequency of early morning high-<br />
BAC tests was confirmed in Texas with another 11,000 offenders providing 20 million<br />
additional tests (Marques, Voas, Tippetts et al., 2007). The BAC test patterns in the IID<br />
record serves as a valid indicator of drinking driver risk proclivity and the early morning<br />
BAC tests seem to identify those drivers whose drinking during the evening before results<br />
in BAC levels that take more than 6 or 7 hours of sleep to fall below .02 g/dL.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Marques,<br />
Ignition Interlocks: Review of the Evidence<br />
Fig. 4: Rates of interlock BAC tests ≥ .02 g/dL during interlock and 24 month post-interlock recidivism<br />
rates, Quebec Canada (Marques et al., 2003b).
Marques,<br />
Ignition Interlocks: Review of the Evidence<br />
Fig. 5: The proportion of all interlock start up tests that have BAC above .02 g/dL (dashed lines) relative to the<br />
t<strong>im</strong>e of day with the highest rate (8 am) set at 1.0, and the proportion of max<strong>im</strong>al number of all BAC start-up tests<br />
(solid lines) relative to the t<strong>im</strong>e of day (5–6 pm) with the most start tests (set at 1.0). Chart portrays 3<br />
data series; Monday to Friday only (Marques & Voas, 2005).<br />
Alcohol Biomarkers for Detecting Driver Risk<br />
Additional predictors of driver alcohol-related risk are still needed. The interlock is a<br />
vehicle sanction; others are permitted to drive the car and, possibly contribute breath-test<br />
results to the log file. Also, some high-risk drivers defy the interlock requirement and drive<br />
cars without interlocks. These l<strong>im</strong>itations mean that for some people the interlock will not<br />
provide a complete record of driver alcohol risk and suggest a supplemental source of<br />
monitoring information would be useful. Alcohol biomarkers may fill that role. Although<br />
biomarkers have seen no systematic use in North America as an aid in road safety, they are<br />
often used in Europe for driver re-licensing decisions.<br />
There are two major categories of alcohol biomarkers, direct markers and indirect markers.<br />
Direct markers (i. e., EtG, PEth, FAEE) all have excellent sensitivity and specificity<br />
and directly reflect levels of consumed alcohol but persist for days longer than ethanol<br />
itself (Wurst, Skipper, Weinmann, 2003; Hartmann, Aradottir, Graf et al., 2006). Direct<br />
markers can be measured in urine, blood, and hair. Hair EtG and hair FAEE provide a long<br />
term exposure indicator (Pragst & Yegles, 2007). Indirect markers (i. e., GGT, % CDT) last<br />
even longer and usually reflect a physiological consequence due to regular exposure to<br />
alcohol (Jones, 2008). There are several other indirect markers, but GGT, and % CDT are<br />
the most specific with moderate sensitivity.<br />
Recent evidence from a study of interlock offenders showed that the 20 % of the sample<br />
with the highest rates of failed interlock BAC tests also have significantly higher levels in<br />
8 of 8 different types of alcohol biomarkers fo<strong>und</strong> in blood serum, whole blood or urine,<br />
both direct and indirect markers (Marques, Allen, Tippetts, et al., 2009). Figure 6 shows<br />
the differences in levels of 3 biomarkers (GGT n=287, EtG n=121, and PEth n=283) by<br />
three different interlock data risk groups defined by increasing levels of interlock BAC test<br />
failures. The high risk group has biomarker levels 2 to 4 t<strong>im</strong>es higher than the low group<br />
(P
324<br />
sician in charge of Sweden’s program, has a rule set in use. Combined biological markers<br />
and performance/behavioral indicators from the interlock, should serve well as driver risk<br />
indicators, and therefore also provide very helpful information to counselors who provide<br />
alcohol treatment services to high risk drinking drivers. It is <strong>im</strong>portant to consider adding<br />
a treatment program keyed to the t<strong>im</strong>e that DUI offenders are still on the interlock. An evaluation<br />
of biomarker evidence shows that the average DUI offender does not show biomarker<br />
evidence of reduced drinking during the t<strong>im</strong>e in interlock programs. This is perhaps<br />
an explanation for why post-interlock recidivism rates return to control levels when the<br />
program ends. If changes in drinking are going to be sustained, the interlock program presents<br />
an excellent t<strong>im</strong>e to help the DUI offender moderate drinking, stop drinking, or drink<br />
in a way that does not threaten public safety.<br />
Future Trends: Alcohol Sensing in New Cars<br />
Because of the need to reduce drinking and driving, because most interlock programs<br />
apply only to drinking drivers who have been arrested, and because the chance of detecting<br />
and arresting an alcohol <strong>im</strong>paired driver is very small, there is an interest in building passive<br />
alcohol sensing into new cars so all drivers are screened for alcohol. This means a<br />
future of “pr<strong>im</strong>ary” prevention of alcohol risk on the roadways. How can this be accomplished,<br />
and is it feasible?<br />
Consumed beverage alcohol distributes evenly throughout the body in a brief t<strong>im</strong>e. In<br />
research studies we can est<strong>im</strong>ate alcohol consumption in blood, urine, or hair, but none of<br />
these are practical for the automotive environment. Alternatively 5 % of alcohol consumed<br />
is exhaled as a vapor; deep breath and blood are in equilibrium and after adjustment for<br />
different concentrations in blood and breath, breath alcohol has always been the sample of<br />
interest for forensic purposes. There are other approaches as well.<br />
About 1 % of consumed alcohol escapes from the skin surface as a gas that passes from<br />
skin capillaries through the stratum corneum into the air. Transdermal alcohol measuring<br />
devices “sniff” for this gas phase of alcohol and TAC (transdermal alcohol concentration)<br />
can be related to BAC, but is not the same. With static dosing, TAC peaks about one hour<br />
after BAC peaks. This would be a drawback for any vehicle start up screening test since a<br />
system fully reliant on skin alcohol level could allow an <strong>im</strong>paired driver to start a car.<br />
There are two candidate technologies for non-invasive TAC measurement: fuel cells which<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Marques,<br />
Ignition Interlocks: Review of the Evidence<br />
Fig. 6: Program entry levels of 3 biomarkers by later rates of failed interlock BAC tests during an average of<br />
8 months of interlock performance (none=27 % of sample, low=53 %, High= 20 %). GGT: n=287; EtG:<br />
n=121; PEth: n=283 (Marques et al., 2009 <strong>und</strong>er review).
Marques,<br />
Ignition Interlocks: Review of the Evidence<br />
output a voltage that relates to TAC (AMS SCRAM devices), and platinum electrodes<br />
which continuously est<strong>im</strong>ate an oxidation current related to TAC (Giner Inc WrisTAS devices).<br />
Because of the delay in arrival of ethanol to the skin, this technology might be better<br />
suited to testing while driving, rather than as a start up screening device. A recent study<br />
evaluated the accuracy of these transdermal technologies in young adults (Marques & Mk-<br />
Knight, 2009).<br />
Near infrared spectroscopy can be used to est<strong>im</strong>ate alcohol concentration directly.<br />
Tissue spectroscopy has been demonstrated in working prototypes that cradle the forearm<br />
and can very closely est<strong>im</strong>ate true BAC. J<strong>im</strong> McNally of TruTouch Inc. (Albuquerque,<br />
USA) has shown that their current forearm size device can be reduced so the alcohol sensing<br />
technology is contained in a small finger or hand reader. There is no delay with this approach.<br />
The driver has to be registered in the system for it to evaluate alcohol. It is very<br />
specific to an individual because everyone has unique collagen patterns that the system<br />
uses to identify someone – reportedly specificity is so high that it can distinguish identical<br />
twins. A user must be registered in the system for it do read alcohol and recognize the<br />
driver. No information available on durability and life expectancy.<br />
An interesting <strong>im</strong>plementation of spectroscopic technology has been developed in<br />
Bertil Hök of Hök Instruments (Sweden). In this case, distance spectroscopy is used to<br />
est<strong>im</strong>ate a difference between ethanol gas in the environment and in the expired air relative<br />
to CO2 in both locations. It does not require a captive breath sample as is typical of breath<br />
testing devices. Modeling studies showed this approach to be very accurate and non-invasive.<br />
Data on the prototype was introduced at the 2007 Interlock Meeting in Tällberg,<br />
Sweden. No information was provided on life expectancy except to note that there is no<br />
degradation and the operating range matches current interlock standards of – 40 to + 85 C.<br />
Summary<br />
The alcohol interlock was evaluated in North American programs in the 1980s as a potential way to help reduce<br />
alcohol <strong>im</strong>paired driving. Over 22 years of study have shown that interlock programs can successfully control<br />
alcohol <strong>im</strong>paired driving during the installed period. The average recidivism reduction is 64 %, however, they<br />
do not permanently change behavior. After interlock removal, driver DUI recidivism rates, and therefore alcohol<br />
risk, returns to control levels. The breath test record of failed BAC tests is a good predictor of this risk. The risk<br />
est<strong>im</strong>ate from the interlock BAC test record is strongly related to independent risk indicators from a wide variety<br />
of alcohol biomarkers, both direct and indirect. The convergence of information in interlock BAC test records, alcohol<br />
psychometric assessments, and alcohol biomarkers holds promise for objectifying the often-difficult decisions<br />
related to driver licensing. These sources of information can help to determine which DUI offenders are<br />
most in need of treatment services, and provide object metrics to assess treatment success. We need more studies<br />
to learn how to most cost effective way to combine these alcohol risk indicators. Research should be a<strong>im</strong>ed at determining<br />
the min<strong>im</strong>al cutoff levels of the marker types most associated with high-risk BAC profiles in the interlock<br />
data record. Right now there is a lot of activity to create a future with cars that passively auto-detect alcohol<br />
and take action against the car by slowing or disabling it. This is a worthy pursuit; we need to be able to assess its<br />
feasibility. It may be too expensive or it may be <strong>im</strong>practical, but if it could be made reliable and affordable, it<br />
would be a step toward ending drunk driving. In the meant<strong>im</strong>e, interlocks, biomarkers and treatment are here<br />
today and should be more widely used in the public interest.<br />
Key words<br />
DUI – DWI – drink driving – alcohol interlock – biomarkers – recidivism – DUI treatment<br />
325<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
326<br />
Zusammenfassung<br />
<strong>Alkohol</strong>-Interlocks wurden in den 1980er Jahren als potentieller Weg zur Reduktion von Trunkenheitsfahrten<br />
in Nord-Amerika eingeschätzt. Über 22 Jahre der Forschung belegen nun, dass Interlock-Programme erfolgreich<br />
die Teilnahme am Straßenverkehr unter <strong>Alkohol</strong>einfluss während der Dauer der Installation verhindern können.<br />
Die durchschnittliche Reduktion der Rückfallzahlen liegt bei 64 %, jedoch verändert allein der Einsatz der Geräte<br />
das problematische Verhalten nicht langfristig. Nach Deinstallation des Interlocks steigen die Rückfallzahlen,<br />
<strong>und</strong> somit auch das Sicherheitsrisiko, auf das Maß der Kontrollgruppe an. Die Daten des Datenspeichers erweisen<br />
sich dabei als sehr guter Prädikator für das Rückfälligkeitsrisiko. Die Risikoabschätzung aus den Daten des<br />
Speichers hängt stark mit einer Reihe unabhängiger Risikoindikatoren aus einer Vielzahl von direkten <strong>und</strong> indirekten<br />
<strong>Alkohol</strong>-Biomarkern zusammen. Die Konvergenz der Informationen aus Datenspeicher, alkoholbezogenen<br />
psychometrischen Messungen <strong>und</strong> <strong>Alkohol</strong>-Biomarkern stellt vielversprechend die Objektivierung der<br />
häufig schwierigen Entscheidungen über die (Neu-)Erteilung der Fahrerlaubnis in Aussicht. Diese Quellen der<br />
Information helfen zu best<strong>im</strong>men, welche alkoholauffälligen Kraftfahrer Rehabilitationsmaßnahmen bedürfen.<br />
Ferner stellen sie objektive metrische Werte für die Einschätzung des Therapieerfolgs bereit. Mehr Studien werden<br />
gebraucht, um den kosten-effektivsten Weg der Kombination dieser <strong>Alkohol</strong>-Risiko-Indikatoren zu identifizieren.<br />
Die Forschung sollte zum Ziel haben, den min<strong>im</strong>alen Cut-Off-Wert in stärkster Verbindung zu den Hochrisikoprofilen<br />
aus dem Datenspeicher zu best<strong>im</strong>men. Derzeit herrscht ebenfalls viel Aktivität hinsichtlich der<br />
Entwicklung einer Zukunft mit Autos, die passiv automatisch alkoholisierte Fahrer entdecken <strong>und</strong> sie am Fahren<br />
hindern. Dies ist ein wertvolles Bestreben; wir müssen in der Lage sein, die Realisierbarkeit zu bewerten. Es<br />
könnte sein, dass sich die Technologie als unpraktisch oder zu kostspielig erweist, aber falls sie sich als zuverlässig<br />
erweist, wäre dies ein großer Schritt in Richtung der Verhinderung von Trunkenheitsfahrten. Für die<br />
Zwischenzeit gibt es Interlocks, Biomarker <strong>und</strong> Rehabilitationsmaßnahmen, deren Potential stärker ins öffentliche<br />
Interesse gerückt werden sollten.<br />
Schlüsselwörter<br />
<strong>Alkohol</strong>auffällige Kraftfahrer – Trunkenheitsfahrer – <strong>Alkohol</strong> Interlock – atemalkoholgesteuerte Wegfahrsperre<br />
– <strong>Alkohol</strong>-Biomarker – Rückfall – Rehabilitation<br />
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Anschrift des Verfassers<br />
Paul R. Marques, Ph.D.<br />
Senior Research Scientist, Chair ICADTS Interlock Working Group<br />
Pacific Institute for Research and Evaluation (PIRE),<br />
Calverton, Maryland USA 20705<br />
Email: marques@pire.org<br />
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327<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
328<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
S<strong>im</strong>one Klipp,<br />
Der Einsatz atemalkoholgesteuerter Wegfahrsperren Seiten 328–333<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esanstalt für Straßenwesen, Referat „Fahrausbildung, Kraftfahrerrehabilitation“<br />
SIMONE KLIPP<br />
Der Einsatz atemalkoholgesteuerter Wegfahrsperren<br />
Verbreitung in Europa, Forschungsergebnisse <strong>und</strong> Barrieren<br />
der Einführung<br />
The use of alcohol ignition interlocks<br />
Occurrence in Europe, research results and barriers<br />
to <strong>im</strong>plementation<br />
1. <strong>Alkohol</strong>-Ignition-Interlocks in Europa<br />
Der pr<strong>im</strong>ärpräventive Einsatz von <strong>Alkohol</strong>-Ignition-Interlocks (AII) ist bislang wenig<br />
verbreitet. Zunehmend werden AII allerdings als strukturelle Interventionen zur Sek<strong>und</strong>ärprävention<br />
bei bereits alkoholauffällig gewordenen Kraftfahrern verwendet. So haben<br />
inzwischen fast alle 50 Staaten der USA Rechtsnormen für den Einsatz von AII bei Trunkenheitsfahrern<br />
<strong>im</strong>plementiert. Auch in Kanada nutzen mittlerweile alle Provinzen diese<br />
technischen Maßnahmen zur Sicherung von alkoholauffälligen Fahrern. Die Programme,<br />
die weltweit <strong>im</strong> Einsatz sind, unterscheiden sich dabei in ihren Eigenschaften. So unterscheidet<br />
man beispielsweise Programme für Ersttäter oder Wiederholungstäter. Ferner<br />
kann der Einsatz aufgr<strong>und</strong> richterlicher oder behördlicher Anordnungen erfolgen <strong>und</strong> die<br />
Teilnahme kann freiwillig oder obligatorisch sein. Auch die Programmdauer variiert. Sie<br />
kann eine festgelegte Zeitspanne umfassen oder die Entlassung aus dem Programm kann<br />
nach Erfüllung best<strong>im</strong>mter Kriterien erfolgen. Außerdem wird der begleitende Einsatz<br />
rehabilitativer Maßnahmen unterschiedlich gehandhabt [9].<br />
Im europäischen Raum sind AII-Programme bislang nur vereinzelt zu finden. Nur<br />
Schweden, Frankreich <strong>und</strong> Finnland nutzen bislang das Potenzial von AII zur Verhinderung<br />
von <strong>Alkohol</strong>fahrten. Allerdings haben bereits vier weitere Länder erste Initiativen zur<br />
Einführung von AII gestartet: Niederlande, Norwegen, das Vereinigte Königreich von<br />
England <strong>und</strong> Belgien [15].<br />
Als europäischer Vorreiter zählt Schweden. Das schwedische Programm wurde bereits<br />
1999 <strong>im</strong> regionalen Rahmen eingeführt <strong>und</strong> 2003 auf das ganze Land ausgeweitet. Die<br />
Zielgruppe sind Erst- <strong>und</strong> Wiederholungstäter ab einer <strong>Blutalkohol</strong>konzentration (BAK)<br />
von 0,2 ‰. Eine Teilnahme am Programm ist freiwillig <strong>und</strong> mit strikter medizinischer<br />
Überwachung verb<strong>und</strong>en. Für die Teilnahme am Programm, die auf zwei Jahre festgelegt<br />
ist <strong>und</strong> ungefähr 6.500 Euro kostet, erhalten die Fahrer eine reduzierte Sperrfrist.<br />
Frankreich hat <strong>im</strong> Jahr 2004 <strong>im</strong> Bezirk Annecy sein erstes AII-Programm gestartet. Nach<br />
Angaben des zuständigen französischen Kollegen MERCIER-GUYION wurde das Programm<br />
2008 auf weitere Bezirke ausgedehnt [16]. Nur Ersttäter mit einer BAK zwischen 0,8 <strong>und</strong><br />
1,8 ‰ können auf freiwilliger Basis teilnehmen. Bedingung ist, dass keine <strong>Alkohol</strong>abhängigkeit<br />
vorliegt <strong>und</strong> der zuständige Richter zust<strong>im</strong>mt. Begleitend muss eine Schulungsmaßnahme<br />
durchlaufen werden. Die Kosten sind – sicherlich auch aufgr<strong>und</strong> der Kürze der<br />
Programmdauer von 6 Monaten – mit 1.250 Euro relativ gering, vor allem wenn man bedenkt,<br />
dass die Teilnehmer <strong>im</strong>merhin auch mit einer reduzierten Sperrfrist rechnen kön-
S<strong>im</strong>one Klipp,<br />
Der Einsatz atemalkoholgesteuerter Wegfahrsperren<br />
nen. Neben dem sek<strong>und</strong>ärpräventiven Einsatz werden die AII-Geräte in Frankreich nun<br />
auch zur Pr<strong>im</strong>ärprävention angewendet. So müssen seit September letzten Jahres alle neu<br />
zugelassenen Schulbusse mit einem AII ausgerüstet sein.<br />
In Finnland gab es 2005 den ersten Pilotversuch zum Einsatz von AII-Programmen. Im<br />
Jahr 2008 wurden AII dauerhaft ins sek<strong>und</strong>ärpräventive Maßnahmenspektrum <strong>im</strong>plementiert.<br />
Ähnlich wie in Frankreich werden auch hier die Teilnehmer vorher auf eine möglicherweise<br />
vorliegende <strong>Alkohol</strong>abhängigkeit untersucht. Freiwillig teilnehmen können<br />
aber sowohl Erst- als auch Zweittäter ohne BAK Begrenzung. Lediglich die Zust<strong>im</strong>mung<br />
des Richters ist erforderlich. Zum Ausgleich erhalten die Teilnehmer einen Fahrerlaubnisentzug<br />
„auf Bewährung“. Die begleitende Rehabilitationsmaßnahme, die bis zum Jahre<br />
2008 relativ umfangreich gestaltet war, wurde nun nach Angaben des finnischen Kollegen<br />
MANTÄRRI deutlich <strong>im</strong> Umfang reduziert [11]. Die Dauer der Teilnahme variiert zwischen<br />
1 <strong>und</strong> 3 Jahren <strong>und</strong> für die Kosten von 2000–2500 Euro kann der Fahrer eine finanzielle<br />
Unterstützung beantragen.<br />
Die Niederlande haben nun offiziell angekündigt, ab 2010 auf nationaler Ebene eine verpflichtende<br />
AII-Maßnahme für Erst- <strong>und</strong> Wiederholungstäter mit einer BAK zwischen<br />
0.5 <strong>und</strong> 2.1 ‰ einzuführen [19]. Nach einer Eingangsuntersuchung nehmen auch diese<br />
Fahrer zusätzlich an einer Schulungsmaßnahme teil. Die Dauer des Programms liegt bei<br />
2 Jahren, wobei es bei erhöhtem Aufkommen fehlgeschlagener Startversuche zu einer<br />
sechsmonatigen Programmverlängerung kommen soll. Die Kosten für die Teilnahme werden<br />
auf ca. 3.500 Euro geschätzt.<br />
Die Initiativen anderer Länder stellen sich wie folgt dar. Im Vereinigten Königreich von<br />
England gibt es bereits seit 2006 eine gesetzliche Gr<strong>und</strong>lage, die es Richtern ermöglicht,<br />
insbesondere Wiederholungstäter zu einer Teilnahme an einem AII-Programm zu verpflichten<br />
[17]. Bis heute ist dieses Gesetz allerdings kaum angewendet worden. In Belgien<br />
hat der zuständige Minister in einer Deklaration am 07. November 2008 dem belgischen<br />
Parlament angekündigt, dass „in 2009 AII ins Verkehrsgesetz als mögliche Sanktion aufgenommen<br />
werden“. Am 04. Juni 2009 wurde diese Ankündigung in die Tat umgesetzt.<br />
Demnach können ab 01. Oktober 2010 Richter auffällig gewordenen Trunkenheitsfahrern<br />
die Installation eines AII anordnen. In Norwegen hat die zuständige Behörde für den<br />
öffentlichen Straßenverkehr zusammen mit Polizei <strong>und</strong> Justizabteilung einen Entwurfsvorschlag<br />
zur Einführung von AII gemacht. Auf Regierungsebene wurde jedoch bislang<br />
noch nicht darüber abgest<strong>im</strong>mt.<br />
2. Forschungsergebnisse<br />
Die Ergebnisse der bisherigen AII-Forschung lassen ein hohes Verkehrssicherheitspotenzial<br />
dieser Technik vermuten. Das EU-Projekt „Alcolock Field Trial“ hatte sich zum<br />
Ziel gesetzt, die Realisierbarkeit einer Einführung von AII zu überprüfen. Zur Beantwortung<br />
der Fragestellung wurden AII in verschiedenen Ländern (Belgien, Deutschland, Norwegen<br />
<strong>und</strong> Spanien) für unterschiedliche Fahrergruppen (Busfahrer, LKW Fahrer, alkoholauffällige<br />
Fahrer <strong>und</strong> alkoholabhängige Fahrer) eingesetzt. Im abschließenden Bericht<br />
der Projektbearbeiter wurde festgestellt, dass der Einsatz von AII in allen Bereichen praktikabel,<br />
die Handhabung einfach <strong>und</strong> die Akzeptanz hoch ist. Im kommerziellen Kontext<br />
können AII zur Sicherung der Transportqualität beitragen [21].<br />
Eine umfassende, systematische Literaturanalyse hinsichtlich der Effektivität von AII<br />
<strong>im</strong> sek<strong>und</strong>ärpräventiven Kontext [23] kam zu dem Ergebnis, dass AII die Wiederauffällig-<br />
329<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
330<br />
keitsraten für den Zeitraum der Installation reduzieren. Während der Dauer eines AII-<br />
Programms fahren in der AII-Gruppe nur zwischen 2–6 % wieder unter <strong>Alkohol</strong>. In der<br />
Kontrollgruppe tun das <strong>im</strong>merhin zwischen 5 <strong>und</strong> 20 %. AII haben sich dabei sowohl für<br />
Ersttäter als auch für Wiederholungstäter als effektiv erwiesen [1, 22]. Die Untersuchungen<br />
zeigen allerdings auch, dass Wiederauffälligkeitsraten nach Deinstallation der<br />
Geräte wieder ansteigen.<br />
Besonders vielversprechend sind die Ergebnisse der Evaluation des schwedischen AII-<br />
Programms [2], wenngleich bei der Studie methodische Einschränkungen gemacht werden<br />
müssen. Die Teilnahme am zweijährigen AII-Programm war mit einer strengen medizinischen<br />
Überwachung der Probanden verb<strong>und</strong>en. Personen, bei denen nach einem Jahr<br />
<strong>im</strong>mer noch Indikatoren auf einen übermäßigen <strong>Alkohol</strong>konsum zu finden waren, wurden<br />
aus dem Programm ausgeschlossen. Auch Personen, die wiederholt fehlgeschlagene Startversuche<br />
aufwiesen, durften nicht weiter am Programm teilnehmen. Das führte dazu, dass<br />
insgesamt 48 % der Anfangsstichprobe das Programm nicht beendete. Dementsprechend<br />
scheinen die Ergebnisse in jedem Fall durch einen Selektionsfehler beeinflusst. Diejenigen,<br />
die das AII-Programm beendeten, zeigten aber <strong>im</strong>merhin auch zwei bzw. drei Jahre<br />
nach Programmende eine deutliche Verringerung des <strong>Alkohol</strong>konsums, deutlich niedrigere<br />
Wiederauffälligkeitsraten <strong>und</strong> eine Reduktion des Unfallrisikos. Ferner zeigte sich bei<br />
der AII-Gruppe eine geringere Zunahme der Tage, an denen krank gefeiert wurde. Während<br />
in der AII-Gruppe die Zahl von 21 Tagen <strong>im</strong> Jahr vor Programmbeginn auf 22 Tage<br />
<strong>im</strong> Jahr nach Programmabschluss anstieg, erhöhte sich die Anzahl in der Kontrollgruppe<br />
von 20 Tage auf 34 Tage.<br />
Besonders interessant sind auch die Analyseergebnisse der Studien von MARQUES am<br />
Pacific Institute for Research & Evaluation [12, 13, 14]. Sie werden an dieser Stelle nur<br />
kurz zusammengefasst, da sie <strong>im</strong> Beitrag von MARQUES (in diesem Heft) ausführlich dargestellt<br />
sind. Festgestellt hatten die Forscher unter anderem, dass es offensichtlich eine<br />
hohe Übereinst<strong>im</strong>mung zwischen der Trink-Fahr-Realität <strong>und</strong> der Trinkrealität gibt. Das<br />
bedeutet, wer häufig aufgr<strong>und</strong> einer erhöhten Atemalkoholkonzentration (AAK) be<strong>im</strong><br />
Starten scheiterte, wies auch Zeichen eines erhöhten <strong>Alkohol</strong>konsums, gemessen an verschiedenen<br />
Biomarkern (u. a. GGT, EtG, PEth, FAEE), auf. Ferner zeigte sich, dass sich<br />
aus den Häufigkeiten fehlgeschlagener Startversuche, die aus dem AII-Datenspeicher ausgelesen<br />
wurden, das Rückfallrisiko vorhersagen lässt. Der beste Prädiktor für das Risiko<br />
erneut aufzufallen ist dabei die Anzahl fehlgeschlagener morgendlicher Startversuche.<br />
Dieser Prädiktor scheint sogar vorhersagekräftiger zu sein als die Anzahl vorheriger<br />
aktenk<strong>und</strong>iger <strong>Alkohol</strong>fahrten, die bislang als einschlägiger Prädiktor galt <strong>und</strong> <strong>im</strong> Rahmen<br />
der Arbeiten des EU-Projekts DRUID sowohl in der Literaturanalyse [3, 8] als auch in<br />
einer empirischen Analyse von Rückfalltätern anhand der Daten aus verkehrspsychologischen<br />
Untersuchungen (VPU) des Kuratoriums für Verkehrssicherheit (KfV) bestätigt<br />
wurde [4].<br />
Nur wenige Untersuchungen haben bislang die Auswirkungen von AII auf das Unfallgeschehen<br />
analysiert. Der amerikanische Kollege ROTH hat zu dieser Fragestellung nun<br />
Zahlen aus dem U. S. <strong>B<strong>und</strong></strong>esstaat New Mexico vorgelegt [18]. Am 01. Januar 2003 trat in<br />
New Mexico ein neues Gesetz in Kraft, dass eine AII-Verpflichtung für wiederholt auffällige<br />
Trunkenheitsfahrer einführte. Dieses wurde <strong>im</strong> Jahr 2005 noch verschärft, indem man<br />
die Pflicht, nur Fahrzeuge fahren zu dürfen, die mit AII ausgestattet sind, auch auf Ersttäter<br />
ausweitete. Insgesamt sind <strong>im</strong> Zeitraum seit Beginn 2003 sechs AII-Gesetze erlassen<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
S<strong>im</strong>one Klipp,<br />
Der Einsatz atemalkoholgesteuerter Wegfahrsperren
S<strong>im</strong>one Klipp,<br />
Der Einsatz atemalkoholgesteuerter Wegfahrsperren<br />
worden. Dementsprechend stieg seit 2002 die Anzahl an AII-Installationen drastisch <strong>und</strong><br />
kontinuierlich. Gleichzeitig korreliert diese hochsignifikant negativ (r = –.93) mit der Anzahl<br />
der Unfälle mit <strong>Alkohol</strong>beteiligung <strong>und</strong> deren Folgen. In New Mexico sank die Anzahl<br />
der Unfälle mit <strong>Alkohol</strong>beteiligung zwischen 2002 <strong>und</strong> 2007 um 38 %. Die Anzahl<br />
der Verletzten in Unfällen mit <strong>Alkohol</strong>beteiligung sank <strong>im</strong> gleichen Zeitraum um 45 % <strong>und</strong><br />
die Anzahl der Getöteten bei Unfällen mit <strong>Alkohol</strong>beteiligung um 44 %. Ferner reduzierte<br />
sich die Anzahl an wiederholten Festnahmen für Fahrten unter <strong>Alkohol</strong> um 37 %. Diese<br />
Zahlen suggerieren einen generalpräventiven, abschreckenden Effekt der neu eingeführten<br />
Gesetze. Gleichzeitig bleibt aber zu beachten, dass Korrelationsdaten keine Aussagen über<br />
kausale Zusammenhänge erlauben. Dementsprechend kann der positive Trend in der <strong>Alkohol</strong>unfallentwicklung<br />
in New Mexico keinesfalls direkt nur auf die neue Gesetzgebung<br />
zurück geführt werden.<br />
3. Probleme der Implementierung von AII-Programmen<br />
Trotz vielversprechender Forschungsergebnisse <strong>und</strong> den Vorstößen in einigen europäischen<br />
Ländern bleibt der Einsatz von AII <strong>im</strong> Moment noch eher die Ausnahme als die<br />
Regel. Die Gründe dafür hat MATHIJSSEN zusammengefasst [15]. In erster Linie hemmen<br />
juristische Barrieren eine Einführung von AII-Programmen. In den meisten EU-Staaten<br />
wären umfangreiche Gesetzesänderungen notwendig. Wie eine Implementierung in Deutschland<br />
gestaltet werden könnte, wurde bereits an anderer Stelle dargestellt [5, 6, 11, 20]<br />
<strong>und</strong> wird in diesem Heft von SCHÖCH <strong>und</strong> GEIGER weiter diskutiert. Neben juristischen<br />
stehen aber auch bürokratische Hindernisse einer Einführung ent<strong>gegen</strong>. Diese betreffen<br />
die Konkurrenz zwischen politischen, rechtlichen, administrativen <strong>und</strong> kommerziellen<br />
Interessengruppen. Es klafft auch <strong>im</strong>mer noch eine Wissenslücke zwischen Wissenschaft<br />
<strong>und</strong> Politik bezüglich der unterschiedlichen Wirkungen verschiedener Maßnahmen hinsichtlich<br />
der Generalprävention <strong>und</strong> Spezialprävention. Auch praktische Belange müssen<br />
beachtet werden. So verkomplizieren die notwendige Instandhaltung <strong>und</strong> die relativ aufwendige<br />
Überwachung der Geräte einen flächendeckenden Einsatz. In diesem Zusammenhang<br />
sind auch die hohen Kosten für die Anschaffung oder Miete der AII-Geräte<br />
zu nennen, die sich durch eine zusätzliche Inanspruchnahme von begleitenden Rehabilitationsmaßnahmen<br />
oder regelmäßige medizinische Untersuchungen noch erhöhen würden.<br />
Gleichzeitig würde sich <strong>im</strong> Einzelfall der Einsatz sicherlich rechnen, wenn dadurch der Arbeitsplatz<br />
erhalten werden kann <strong>und</strong> man auch den ges<strong>und</strong>heitsfördernden Aspekt einer<br />
(zurück-)erhaltenen Mobilität bedenkt.<br />
Alles in allem ist zu vermuten, dass AII das sek<strong>und</strong>ärpräventive Maßnahmenspektrum<br />
durchaus sinnvoll ergänzen könnte [7]. Wie hoch der Gewinn für die Straßenverkehrssicherheit<br />
in der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik Deutschland sein wird, bleibt allerdings noch zu erforschen.<br />
Zusammenfassung<br />
Im vorliegenden Artikel wird ein Überblick über die Verbreitung von <strong>Alkohol</strong>-Ignition-Interlock-Programmen<br />
in Europa gegeben. Ferner werden aktuelle Forschungsergebnisse vorgestellt <strong>und</strong> die Hindernisse einer europaweiten<br />
Implementierung dargelegt.<br />
331<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
332<br />
Schlüsselwörter<br />
<strong>Alkohol</strong>auffällige Kraftfahrer – Trunkenheitsfahrer – Sek<strong>und</strong>ärprävention – <strong>Alkohol</strong> Interlock – atemalkoholgesteuerte<br />
Wegfahrsperre<br />
Summary<br />
The publication at hand overviews the present alcohol ignition interlock programs <strong>im</strong>plemented in Europe so<br />
far. It sums up the current research status and explains barriers to a Europe wide introduction of these programs.<br />
Key Words<br />
DUI – DWI – drink driving – secondary prevention – alcohol interlock – ignition interlock<br />
Literatur<br />
[1] Beck K, Rauch W, Baker E, Williams A (1999) Effects of ignition interlock license restrictions on drivers<br />
with multiple alcohol offenses: A random trial in Maryland. American Journal of Public Health, 89:<br />
1696–1700<br />
[2] Bjerre B, Thorsson U (2008) Is an alcohol ignition interlock programme a useful tool for changing the alcohol<br />
and driving habits of drink-drivers? Accident Analysis & Prevention, 40: 267–273<br />
[3] Boets S, Meesmann U, Klipp S, Bukasa B, Braun E, Panosch E, Wenninger U, Roesner S, Kraus L, Assailly<br />
J-P (2009) State of the Art on Driver Rehabilitation: Literature Analysis & Provider Survey. DRUID Deliverable<br />
5.1.1. Verfügbar unter: http://www.druid-project.eu/cln_007/nn_107534/Druid/EN/deliveraleslist/deliverables-list-mode.html?__nnn=true<br />
[26. 02. 2010]<br />
[4] Bukasa B, Klipp S, Braun E, Panosch E, Wenninger U, Boets S, Meesmann U, Ponocny-Seliger E, Assailly<br />
J-P (2009) Good Practice: In-Depth Analysis on Recidivism Reasons & Analysis of Change Process and<br />
Components in Driver Rehabilitation Courses. DRUID Deliverable 5.2.1. Verfügbar unter:<br />
http://www.druid-project.eu/cln_007/nn_107534/Druid/EN/deliverales-list/deliverables-listnode.html?__nnn=true<br />
[26. 02. 2010]<br />
[5] Klipp S (2009a) Der Einsatz atemalkoholgesteuerter Wegfahrsperren in Deutschland: politische <strong>und</strong> juristische<br />
Aspekte sowie Perspektiven der Umsetzung. <strong>Blutalkohol</strong>, 46: 190–197<br />
[6] Klipp S (2009b) Implementation of Ignition Interlocks in Germany – Legislation: Achievements & Challenges.<br />
Proceedings of the 9th Annual International Alcohol Interlock Symposium, 34–40. Traffic Injury<br />
Research Fo<strong>und</strong>ation, Ottawa, Ontario, Canada. Verfügbar unter: http://www.tirf.ca/publications/publications_show.php?<br />
pub_id=238<br />
[7] Klipp S (2009c) Individuelle <strong>und</strong> strukturelle Interventionen zur Sek<strong>und</strong>ärprävention bei <strong>Alkohol</strong>delinquenz<br />
<strong>im</strong> Straßenverkehr. Philosophische Fakultät der Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald, Dissertation<br />
[8] Klipp S, Bukasa B (2009) EU-Projekt DRUID: Erste Ergebnisse. Rehabilitation alkohol- <strong>und</strong> drogenauffälliger<br />
Fahrer. Zeitschrift für Verkehrssicherheit, 55: 59–63<br />
[9] Klipp S, Bornewasser M, Glitsch E, Dünkel F (2008) Potenzial bestehender Beratungskonzepte <strong>und</strong> Ansätze<br />
zur Opt<strong>im</strong>ierung. In: Psychologische Rehabilitations- <strong>und</strong> Therapiemaßnahmen für verkehrsauffällige<br />
Kraftfahrer. Berichte der <strong>B<strong>und</strong></strong>esanstalt für Straßenwesen, Mensch <strong>und</strong> Sicherheit, Heft M 196: 77–118<br />
[10] Lohkamp L (2003) Gibt es rechtliche Möglichkeiten für den Einsatz von Interlock-Geräten in Deutschland?<br />
<strong>Blutalkohol</strong> 40: 208–219<br />
[11] Mantärri J (2008) The Use of Alcolocks in Finland. Vortrag auf dem 9th International Alcohol Interlock<br />
Symposium. Tällberg, Schweden<br />
[12] Marques P R, Tippetts A S, Voas R B, Beirness D J (2001) Predicting repeat DUI offenses with the alcohol<br />
interlock recorder. Accident Analysis & Prevention 33: 609–619<br />
[13] Marques P R, Tippetts A S, Voas R B (2003) The Alcohol Interlock: An Underutilized Resource for Predicting<br />
and Controlling Drunk Drivers. Traffic Injury Prevention 4: 188–194<br />
[14] Marques P R, Voas R B (2005) Interlock BAC Tests, Alcohol Biomarkers, and Motivational Interviewing:<br />
Methods for Detecting and Changing High-Risk Offenders. In: International Council on Alcohol, Drugs and<br />
Traffic Safety (ICADTS) (Hrsg.) Alcohol Ignition Interlock Devices, Vol. II, Research, Policy and Program<br />
Status 2005: 25–41<br />
[15] Mathijssen R (2008) EU Alcolock Programs for Drink Driving Offenders. Evolution and Expansion. In:<br />
R. D. Robertson, W.G.M. Vanlaar (Eds.): Alcohol Interlocks: Planning for Success – Proceedings of the 9th<br />
International Alcohol Interlock Symposium. Traffic Injury Research Fo<strong>und</strong>ation, Ottawa, Ontario, Canada:<br />
5–9. Verfügbar unter: http://tirf.ca/publications/publications _show.php?pub_id=238 [01. 09. 2009]<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
S<strong>im</strong>one Klipp,<br />
Der Einsatz atemalkoholgesteuerter Wegfahrsperren
[16] Mercier-Guyion C (2008) Interlock Programs for Offenders in France. In: R. D. Robertson, W.G.M. Vanlaar<br />
(Eds.): Alcohol Interlocks: Planning for Success – Proceedings of the 9th International Alcohol Interlock<br />
Symposium. Traffic Injury Research Fo<strong>und</strong>ation, Ottawa, Ontario, Canada: 63-64. Verfügbar unter:<br />
http://tirf.ca/publications/publications_show.php?pub_id=238 [01. 09. 2009]<br />
[17] Ministry of Justice (2006) Road Safety Act 2006, Section 15. Verfügbar unter:<br />
http://www.opsi.gov.uk/Acts/acts2006/ukpga_20060049_en_2#pb5-l1g15 [26. 02. 2010]<br />
[18] Roth R (2009). More Interlocks, Less Drunk Driving in NM. Unveröffentlichtes Dokument übermittelt<br />
durch P. Marques per Email vom 28. 05. 2009 an die Autorin<br />
[19] Schaap D (2009) Dutch Alcolock Program to be <strong>im</strong>plemented. ICADTS Reporter, 20: 1<br />
[20] Schöch H (2005) Juristische Aspekte atemalkoholgesteuerter Zündsperren. <strong>Blutalkohol</strong> 42: Supplement I,<br />
20–24<br />
[21] Silverans P, Alvarez J, Assum T, Evers C, Mathijssen R (2006) .Deliverable D-3. Executive summary of the<br />
alcolock field trial. Alcolock <strong>im</strong>plementation in the European Union. Verfügbar unter: ec.europa.eu/transport/roadsafety_library/publications/alcolock_d3.pdf<br />
[26. 02. 2010]<br />
[22] .Voas R B, Marques P R, Tippetts A S, Beirness D J (1999) The Alberta Interlock Program: The evaluation<br />
of a province-wide program on DUI recidivism. Addiction, 94: 1849–1859<br />
[23] Willis C, Lybrand S, Bellamy N (2004) Alcohol ignition interlock programmes for reducing drink driving<br />
recidivism. Cochrane Database of Systematic Reviews, Issue 3. Art. No.: CD004168. DOI:<br />
10.1002/14651858.CD004168.pub2<br />
Anschrift der Verfasserin<br />
Dr. S<strong>im</strong>one Klipp<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esanstalt für Straßenwesen<br />
Referat Fahrausbildung, Kraftfahrerrehabilitation<br />
Brüderstr. 53<br />
51427 Bergisch Gladbach<br />
Email: Klipp@bast.de<br />
S<strong>im</strong>one Klipp,<br />
Der Einsatz atemalkoholgesteuerter Wegfahrsperren<br />
The role of the drinking driver in traffic accidents<br />
(THE GRAND RAPIDS STUDY)<br />
R. F. Borkenstein<br />
R. F. Crowther, R. P. Shumate, W. B. Ziel, R. Zylman<br />
1974:<br />
Second Edition prepared especially for BLUTALKOHOL<br />
(Re-edited by R. F. Borkenstein)<br />
CENTER FOR STUDIES OF LAW IN ACTION<br />
DEPARTMENT OF FORENSIC STUDIES<br />
(formerly Department of Police Administration)<br />
INDIANA UNIVERSITY<br />
BLOOMINGTON, INDIANA U.S.A.<br />
132 pages, stitched, 14,33 €, US $ 20,–<br />
Steintor-Verlag GmbH, Grapengießerstraße 30, 23556 Lübeck,<br />
Postfach 32 48, 23581 Lübeck<br />
333<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
334<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Geiger,<br />
Der Einsatz von <strong>Alkohol</strong>-Interlocks aus verwaltungsrechtlicher Sicht Seiten 334–339<br />
HARALD GEIGER<br />
Der Einsatz von <strong>Alkohol</strong>-Interlocks<br />
aus verwaltungsrechtlicher Sicht<br />
The use of alcohol interlocks<br />
and administrative law<br />
In Kürze: In letzter Zeit wird die Frage diskutiert, ob es zulässig ist, Kraftfahrern, die<br />
wegen <strong>Alkohol</strong>delikten als fahrungeeignet anzusehen sind, <strong>im</strong> Wege der praktischen Bewährung<br />
die Benutzung von Kraftfahrzeugen zu gestatten, die mit einer atemalkoholgesteuerten<br />
Wegfahrsperre, einem sog. Interlock ausgestattet sind. Fahrerlaubnisrechtlich<br />
treten dabei Probleme insbesondere dadurch auf, dass es hierfür der Annahme einer bedingten<br />
Eignung bedürfte, um eine entsprechend eingeschränkte bzw. mit einer entsprechenden<br />
Auflage versehene Fahrerlaubnis erteilen zu können. Letztlich wird wohl nur der<br />
Gesetzgeber die Entscheidung darüber treffen können, ob derartige Vorrichtungen eingeführt<br />
werden können.<br />
I. Einleitung<br />
Der Einsatz atemalkoholgesteuerter Wegfahrsperren in Kraftfahrzeugen 1 ) ist verwaltungsrechtlich<br />
noch kaum untersucht worden. Der Sinn solcher Geräte liegt darin zu verhindern,<br />
dass ein Kraftfahrer <strong>im</strong> Zustand einer alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit am<br />
Straßenverkehr teiln<strong>im</strong>mt 2 ). Der Fahrer muss bei den gängigen Typen nach der Art eines<br />
für Atemalkoholmessungen zugelassenen Gerätes vor Fahrtantritt seine Nüchternheit nachweisen<br />
3 ). Um Manipulationen – weitgehend – auszuschließen, muss nach Fahrtantritt erneut<br />
eine Kontrolle absolviert werden. Derzeit ist – fahrerlaubnisrechtlich 4 ) – die Rechtslage<br />
so, dass ein <strong>Alkohol</strong>abhängiger nach Nr. 8.3 der Anlage 4 zur FeV kraft Gesetzes<br />
fahrungeeignet ist. Gleiches gilt bei <strong>Alkohol</strong>missbrauch; ein solcher ist <strong>im</strong> Regelfall 5 ) anzunehmen,<br />
wenn eine hinreichende Trennung von <strong>Alkohol</strong>konsum <strong>und</strong> Verkehrsteilnahme<br />
nicht gewährleistet ist (Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV). Die Fahrerlaubnisbehörde muss in<br />
diesen Fällen – zwingend – die Fahrerlaubnis entziehen, wenn einer dieser Tatbestände<br />
nachgewiesen ist. Eine Beschränkung auf best<strong>im</strong>mte Klassen oder ähnliches kommt in<br />
diesen Fällen nicht in Betracht; fahrerlaubnisrechtlich gilt ein einheitlicher Begriff der<br />
Fahreignung, der gr<strong>und</strong>sätzlich alle Klassen erfasst. Eine Ausnahme ist dann anzunehmen,<br />
wenn das Gesetz – etwa <strong>im</strong> Rahmen der Anlage 4 zur FeV, die zwischen zwei Gruppen von<br />
Fahrerlaubnissen 6 ) differenziert – unterschiedliche Anforderungen stellt. Bei <strong>Alkohol</strong>abhängigkeit<br />
oder <strong>Alkohol</strong>missbrauch ist eine solche Unterscheidung aber nicht vorgesehen.<br />
Die strafrechtliche Seite soll bei dieser Untersuchung nicht <strong>im</strong> Vordergr<strong>und</strong> stehen. Es<br />
sei nur darauf hingewiesen, dass in den Fällen des § 69 StGB, also insbesondere bei Trunkenheitsfahrten<br />
<strong>im</strong> Strafurteil als Maßnahme der Sicherung <strong>und</strong> Besserung regelmäßig eine<br />
Fahrerlaubnisentziehung ausgesprochen wird. Es ist dem Strafrichter verwehrt, bei einer<br />
Fahrererlaubnisentziehung nach § 69a Abs. 2 StGB solche Fahrzeuge von einer Wiedererteilungsperre<br />
auszunehmen, die mit Interlock ausgerüstet sind; es handelt sich hierbei<br />
nicht um ein „best<strong>im</strong>mte Art von Kraftfahrzeugen“. Damit sind entweder alle Arten von
Geiger,<br />
Der Einsatz von <strong>Alkohol</strong>-Interlocks aus verwaltungsrechtlicher Sicht<br />
Kraftfahrzeugen einer best<strong>im</strong>mten Fahrerlaubnisklasse oder innerhalb einer solchen gemeint<br />
7 ). Nicht gemeint sind da<strong>gegen</strong> nach Typ oder amtlichem Kennzeichen beschriebene<br />
Einzelfahrzeuge 8 ).<br />
Zum Nachweis, dass nach festgestellter Ungeeignetheit – sei es durch das Strafgericht<br />
oder die Verkehrsbehörde – wieder Fahreignung eingetreten ist, bedarf es nach § 13 S. 1<br />
Nr. 2 lit. e) FeV gr<strong>und</strong>sätzlich einer medizinisch-psychologischen Untersuchung 9 ). Wegen<br />
der feststehenden Ungeeignetheit ist eine Bewährung des Betroffenen unter „Realbedingungen“,<br />
also durch eine wie auch <strong>im</strong>mer geartete Verkehrsteilnahme nicht zulässig. Der<br />
Einsatz von Interlocks könnte eine Möglichkeit schaffen, die Verkehrsteilnahme unter best<strong>im</strong>mten<br />
Voraussetzungen zu ermöglichen, ohne andere Verkehrsteilnehmer durch alkoholisierte<br />
Kraftfahrer zu gefährden.<br />
II. Rechtsgr<strong>und</strong>lage für eine MPU<br />
§ 13 S. 1 Nr. 2 lit. e) FeV fordert eine MPU als Nachweis, dass eine <strong>Alkohol</strong>abhängigkeit<br />
überw<strong>und</strong>en oder ein <strong>Alkohol</strong>missbrauch beendet wurde. Als Möglichkeit für das Ergebnis<br />
einer MPU kommen letztlich vier Möglichkeiten in Betracht, nämlich die Eignung,<br />
die Ungeeignetheit, die Ungeeignetheit mit Kursempfehlung (§ 11 Abs. 10 FeV) <strong>und</strong> eine<br />
bedingte Eignung. Eine bedingte Eignung kommt nach § 2 Abs. 4 S. 2 StVG nur bei körperlichen<br />
oder geistigen Beeinträchtigungen in Betracht, nicht aber bei charakterlichen<br />
Mängeln 10 ); das kann nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht zweifelhaft sein. Unbeschadet<br />
landläufiger Vorstellungen ist <strong>Alkohol</strong>missbrauch <strong>im</strong> straßenverkehrsrechtlichen Sinne<br />
keine „Charakterschwäche“, sondern eine Erkrankung bzw. ein körperlicher Mangel. Das<br />
lässt sich unschwer aus der Vorbemerkung 1 der Anlage 4 zur FeV schließen. Eine bedingte<br />
Eignung setzt voraus, dass der Betreffende wegen der körperlichen oder geistigen<br />
Mängel zwar nicht <strong>im</strong> vollen Umfang über die erforderliche Eignung verfügt, dass jedoch<br />
durch adäquate Beschränkungen der Fahrerlaubnis oder Auflagen hierzu gewährleistet<br />
werden kann, dass er ein Kraftfahrzeug sicher führen kann <strong>und</strong> wird 11 ). Die Beschränkungen<br />
oder die Auflagen müssen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass der<br />
verbleibende Mangel ausgeglichen wird.<br />
Wiederherstellung der Eignung bei Abhängigkeit kommt nach Nr. 8.4 der Anlage 4 zur<br />
FeV i. V. m. Nr. 3.11.2 der Begutachtungs-Leitlinien 12 ) unter folgenden Voraussetzungen<br />
in Betracht 13 ):<br />
– Entwöhnungsbehandlung <strong>und</strong> in der Regel Nachweis der Abstinenz für die Dauer<br />
eines Jahres;<br />
– Nachweis dauerhafter Abstinenz;<br />
– Fehlen sonstiger eignungsrelevanter Mängel;<br />
– Beseitigung der Ursachen der <strong>Alkohol</strong>abhängigkeit, etwa bei früherer massiver<br />
Störung der Persönlichkeit.<br />
Anders als bei der Frage, ob wegen <strong>Alkohol</strong>abhängigkeit die Fahrerlaubnis entzogen<br />
werden soll, ist die Problematik, ob nach Abhängigkeit wieder Fahreignung eingetreten ist,<br />
nicht nur eine medizinische Frage. Denn es ist zu prüfen, ob die Abhängigkeit überw<strong>und</strong>en<br />
ist <strong>und</strong> in Zukunft nicht mit einem Rückfall gerechnet werden muss; § 13 S. 1 Nr. 2 lit. e)<br />
FeV sieht deshalb die Vorlage einer positiven MPU als verpflichtend an.<br />
Gemäß Nr. 8.2 der Anlage 4 zur FeV ist Eignung wieder zu bejahen nach Beendigung<br />
des Missbrauchs, wenn die Änderung des Trinkverhaltens gefestigt ist. Hiernach müssen<br />
gemäß Nr. 3.11.1 der Begutachtungs-Leitlinien folgende Voraussetzungen gegeben sein 14 ):<br />
335<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
336<br />
– Änderung des Trinkverhaltens; regelmäßig wird strikte <strong>Alkohol</strong>abstinenz zu fordern<br />
sein 15 );<br />
– die vollzogene Änderung <strong>im</strong> Umgang mit <strong>Alkohol</strong> muss stabil sein;<br />
– alle körperlichen Bef<strong>und</strong>e lassen auf Beendigung des Missbrauchs schließen;<br />
– alkoholbedingte Leistungs- <strong>und</strong> Funktionsbeeinträchtigungen fehlen.<br />
Auch hier ist eine MPU Pflicht (§ 13 S. 2 lit. e) FeV). Es kommt entscheidend auf eine<br />
Zukunftsprognose an, ob also in der Zukunft mit hinreichender Sicherheit ein <strong>Alkohol</strong>missbrauch<br />
ausgeschlossen werden kann.<br />
Sowohl bei <strong>Alkohol</strong>abhängigkeit als auch bei <strong>Alkohol</strong>missbrauch wird in der Fachliteratur<br />
eine bedingte Eignung als denkbar angesehen 16 ). Die Zulassung eines Kraftfahrers<br />
zum Straßenverkehr unter der Auflage, ein mit Interlock ausgerüstetes Fahrzeug zu benutzen,<br />
setzt eine bedingte Eignung voraus; bei fehlender Eignung ist eine entsprechende<br />
Beschränkung oder Auflage ausgeschlossen. Gegen die Zulässigkeit einer Beschränkung<br />
oder Auflage könnte sprechen, dass die Anlage 4 zur FeV in ihrer Nr. 8 unter der Kategorie<br />
„bedingte Eignung“ keine Beschränkungen oder Auflagen vorsieht. Notwendig ist<br />
daher eine Abweichung vom Regelfall <strong>im</strong> Sinne von Nr. 3 S. 1 der Vorbemerkung zur<br />
Anlage 4, für die – gr<strong>und</strong>sätzlich durch eine MPU nachzuweisende – Gründe sprechen<br />
müssen.<br />
Geht man davon aus, dass ein Interlock zuverlässig gewährleistet, dass ein alkoholisierter<br />
Fahrer wirksam an einer Verkehrsteilnahme gehindert wird, könnte man von einer zulässigen<br />
Auflage bzw. Beschränkung ausgehen. Dass das eine verkürzte Sichtweise ist, sei<br />
nur am Rande bemerkt. Wie oben erwähnt, setzt die Wiedererlangung der Fahreignung bei<br />
Abhängigkeit oder Missbrauch erheblich mehr voraus als das Unterbleiben einer Trunkenheitsfahrt.<br />
Maßgeblich ist die Aufarbeitung des Problems, das dem Fehlverhalten zu<br />
Gr<strong>und</strong>e liegt. Ist die Gefahr einer weiteren <strong>Alkohol</strong>auffälligkeit hoch, führt das zur Ungeeignetheit;<br />
ist sie gering oder gar auszuschließen, ist Eignung gegeben. Berücksichtigt<br />
man das, wird es aus Rechtsgründen nur wenige Fallgestaltungen geben, bei denen eine<br />
Eignung unter der Beschränkung bzw. der Auflage der Benutzung eines mit Interlock ausgestatteten<br />
Fahrzeugs in Betracht kommt. Ganz ausgeschlossen ist es aber nicht. Hierzu<br />
lässt sich – allgemein – auch auf Nr. 1 lit. f) S. 7 der Anlage 15 zur FeV verweisen; danach<br />
kann ein Fahreignungsgutachten u. a. bei <strong>Alkohol</strong>problematik geeignete <strong>und</strong> angemessene<br />
Auflagen empfehlen, durch die später überprüft werden kann, ob sich die günstige Prognose<br />
– die, wie zu ergänzen ist – nur zu einer bedingten Eignung führt, bestätigt.<br />
III. MPU zum Nachweis des Wegfall der Eignungseinschränkung<br />
Die Anordnung einer MPU durch die Fahrerlaubnisbehörde stellt einen Eingriff in Rechte<br />
des Betroffenen dar. Durch die Anordnung, ein medizinisch-psychologisches Gutachten<br />
einzuholen <strong>und</strong> der Verkehrsbehörde vorzulegen, wird in den <strong>im</strong> Rahmen des allgemeinen<br />
Persönlichkeitsrechts durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten Schutz<br />
des einzelnen vor Erhebung <strong>und</strong> Weitergabe von Bef<strong>und</strong>en über Ges<strong>und</strong>heitszustand, seelische<br />
Verfassung <strong>und</strong> Charakter eingegriffen 17 ). Hierzu bedarf es einer gesetzlichen<br />
Gr<strong>und</strong>lage. Die straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften kennen eine Vielzahl von Fällen,<br />
in denen eine solche Maßnahme gerechtfertigt ist 18 ). Eine Rechtsgr<strong>und</strong>lage, dass sich ein<br />
bedingt geeigneter Kraftfahrer einer MPU zu unterziehen hat, um festzustellen, ob die Voraussetzung<br />
für die Bedingung weggefallen sind, kennt das geltende Recht expressis verbis<br />
nicht. Denkbar erscheint eine Analogie zu § 13 S. 1 Nr. 2 lit. e) FeV 19 ). Geht man davon<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Geiger,<br />
Der Einsatz von <strong>Alkohol</strong>-Interlocks aus verwaltungsrechtlicher Sicht
Geiger,<br />
Der Einsatz von <strong>Alkohol</strong>-Interlocks aus verwaltungsrechtlicher Sicht<br />
aus, dass durch die Bejahung einer bedingten Eignung der Regelungsinhalt der Vorschrift<br />
noch nicht abschließend ausgeschöpft wurde, könnte man für den nicht „verbrauchten“<br />
Teil noch einen Anwendungsbereich sehen. Denn Ziel der Vorschrift ist – an Sicht des Betroffenen<br />
– die Bejahung der unbedingten Eignung nach deren Wegfall. Kommt es nur zu<br />
einer bedingten Eignungsfeststellung, ist jedenfalls dann eine neue MPU gerechtfertigt,<br />
wenn nach Ablauf eines best<strong>im</strong>mten Zeitraums mit dem Eintritt der „Volleignung“ gerechnet<br />
werden kann 20 ).<br />
IV. Interlock als mögliche Auflage zur Fahrerlaubnis<br />
Das Gesetz sieht – wie erwähnt – nur bei bedingter Eignung eine Beschränkung oder<br />
eine Auflage vor; das ergibt sich aus § 23 Abs. 2 FeV. Beschränkung ist dabei als inhaltliche<br />
Modifizierung der Fahrerlaubnis zu verstehen. Zu denken ist etwa an einen best<strong>im</strong>mten<br />
Radius um den Wohnort des Inhabers. Auflage ist da<strong>gegen</strong> eine selbständige Nebenbest<strong>im</strong>mung<br />
zur Fahrerlaubnis. Hierzu gehört etwa die Verpflichtung, be<strong>im</strong> Führen eines<br />
Fahrzeugs eine best<strong>im</strong>mte Sehhilfe zu verwenden. Im vorliegenden Zusammenhang kann<br />
offen bleiben, wie die Benutzung eines mit Interlock ausgestatteten Fahrzeugs rechtlich<br />
zu qualifizieren ist. Es dürfte sich wohl um eine inhaltliche Beschränkung handeln. § 23<br />
Abs. 2 S. 2 FeV nennt als Beschränkung beispielsweise die Benutzung eines best<strong>im</strong>mten<br />
Fahrzeugs mit besonderen Eigenschaften. Die Fahrerlaubnisbehörde ist nicht frei, welche<br />
Nebenbest<strong>im</strong>mungen sie verfügt. Zum einen muss die Beschränkung oder Auflage notwendig<br />
sein (§ 23 Abs. 2 S. 1, § 46 Abs. 2 S. 1 FeV). Zum andern erlaubt § 25 Abs. 3 FeV<br />
– außer den <strong>im</strong> amtlichen Muster vorgesehenen Eintragungen – nur solche Auflagen <strong>und</strong><br />
Beschränkungen, für die in der Anlage 9 zur FeV entsprechende Schlüsselzahlen vorgesehen<br />
sind. Eine „passende“ nationale Schlüsselzahl gibt es ersichtlich nicht. Von den<br />
Schlüsselzahlen, die europaweit gelten, kommt Nr. 05.08 der Anlage 9 zur FeV (kein<br />
<strong>Alkohol</strong>) in Betracht. Gemeint ist damit aber wohl nicht die Pflicht zur Benutzung eines<br />
Fahrzeugs mit Interlock, das nur „ohne <strong>Alkohol</strong>“ funktioniert. Zutreffend erscheinen Nr. 50<br />
oder Nr. 51; dadurch wird die Benutzung eines best<strong>im</strong>mten Fahrzeugs (bezeichnet nach der<br />
Fahrzeugidentifikationsnummer oder dem amtlichen Kennzeichen) vorgeschrieben bzw.<br />
die Geltung der Fahrerlaubnis auf dieses beschränkt. Wegen der leichteren Nachprüfbarkeit<br />
ist eine Bezeichnung des entsprechenden Fahrzeugs nach dem amtlichen Kennzeichen vorzugswürdig.<br />
Dieses Fahrzeug müsste dasjenige sein, in das ein Interlock eingebaut ist 21 ).<br />
V. Ergebnis<br />
Fahrerlaubnisrechtlich ist die verpflichtende Benutzung eines Fahrzeugs mit Interlock<br />
zweifelhaft. Das beginnt einmal mit der Frage, ob ein Kraftfahrer, bei dem mit einer Trunkenheitsfahrt<br />
gerechnet werden muss <strong>und</strong> bei dem deshalb die Benutzung eines entsprechenden<br />
Fahrzeugs notwendig ist, bedingt geeignet ist. Richtigerweise wird man das –<br />
jedenfalls gr<strong>und</strong>sätzlich – verneinen müssen. Bejaht man gleichwohl <strong>im</strong> Einzelfall die<br />
bedingte Eignung, ergeben sich rechtliche Schwierigkeiten, wenn man nach einer Rechtsgr<strong>und</strong>lage<br />
für eine MPU zur Feststellung des „Übergangs“ von der bedingten zur unbedingten<br />
Eignung sucht; sie lässt sich – wenn überhaupt – nur in einer Analogie zu § 13<br />
S. 1 Nr. 2 lit. e) FeV finden. Was die – generelle – Beschränkung auf ein Fahrzeug mit<br />
Interlock angeht, lässt sich als Rechtsgr<strong>und</strong>lage § 25 Abs. 3 FeV mit Nr. 50 oder 51 der Anlage<br />
9 zur FeV anführen. Die bestehenden Zweifel an der Zulässigkeit des Einsatzes von<br />
Interlocks wird wohl nur der Gesetzgeber ausräumen können.<br />
337<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
338<br />
Zusammenfassung<br />
Die Zulässigkeit von <strong>Alkohol</strong>-Interlocks ist aus verwaltungsrechtlicher Sicht nicht unproblematisch. Nicht abschließend<br />
geklärt ist, ob bei fahrerlaubnisrechtlich relevanter <strong>Alkohol</strong>problematik eine bedingte Eignung angenommen<br />
werden kann, die es rechtfertigt, eine Fahrerlaubnis unter Auflagen – Benutzung eines mit Interlock ausgestatteten<br />
Fahrzeugs – zu erteilen. Das Gleiche gilt für die Frage, ob eine MPU verlangt werden kann, um zu<br />
klären, ob der Betreffende nach Bewährung eine unbeschränkte Fahrerlaubnis erhalten kann. Zur Klärung erscheint<br />
eine Entscheidung des Gesetzgebers unumgänglich.<br />
Schlüsselwörter<br />
<strong>Alkohol</strong>-Interlock – bedingte Fahreignung – Auflage zur Fahrerlaubnis – medizinisch-psychologiche Untersuchung<br />
Summary<br />
The legit<strong>im</strong>ate use of alcohol interlocks carries with it certain problems <strong>und</strong>er administrative law. No final<br />
decision has yet been made if, in the case of drivers having alcohol-related problems that affect their entitlement<br />
to drive a vehicle, it can be assumed that they retain a l<strong>im</strong>ited ability to drive that justifies issuing them with a<br />
driving license subject to certain conditions – such as the use of a vehicle fitted with an interlock. The same<br />
applies to the question if an MPA (medical psychological assessment) can be requested to clarify if the driver<br />
could obtain a full driving license after a probationary period. The courts of law must make a decision in both<br />
cases.<br />
Keywords<br />
alcohol interlock – l<strong>im</strong>ited ability to drive a vehicle – conditions <strong>im</strong>posed on driving license – medical psychological<br />
assessment<br />
Fußnoten<br />
1 ) Kurz Interlock; man spricht auch von Ignition Interlocks, Alcolocks oder atemalkoholsensitiven Zündsper-<br />
ren.<br />
2 ) Statistisches Material findet man bei Evers, Ergebnisse eines europäischen Pilotversuches zur Erprobung<br />
atemalkoholsensitiver Zündsperren bei verschiedenen Kraftfahrergruppen, BA 2007, 14; vgl. auch Klipp,<br />
Der Einsatz atemalkoholgesteuerter Wegfahrsperren in Deutschland, BA 2009, 190.<br />
3 ) In den USA spricht man schlagwortartig von „cars that drunks can’t drive“.<br />
4 ) Bouska/Laeverenz, Fahrerlaubnisrecht, 3 Aufl. 2004 § 13 FeV Erl. 1 a).<br />
5 ) Vgl. Nr. 3 S. 1 der Vorbemerkung zur Anlage 4 zur FeV.<br />
6 ) Vgl. hierzu Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, Kommentar zu den Begutachtungsleitlinien zur<br />
Kraftfahreignung, 2. Aufl. 2005 S. 14.<br />
7 ) Bouska/Laeverenz [Fn. 4] § 69a StGB Erl. 4.<br />
8 ) Dabei soll nicht verkannt werden, dass die Strafgerichte es oft mit einer entsprechenden Differenzierung<br />
nicht ernst nehmen; es werden sogar „neue Fahrerlaubnisklassen“ geschaffen, die das Fahrerlaubnisrecht<br />
nicht kennt (vgl. hierzu etwa Geiger, Entziehung <strong>und</strong> Wiedererteilung der Fahrerlaubnis durch die Verwaltungsbehörde,<br />
NZV 2005, 623/262 f. m. w. N.).<br />
9 ) Kurz MPU.<br />
10 ) Bouska/Laeverenz [Fn. 4] § 2 StVG Erl. 21; a. A. Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan [Fn. 6], S. 149.<br />
11 ) Bouska Laeverenz [Fn. 4] § 2 StVG Erl. 21.<br />
12 ) Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Berichte der <strong>B<strong>und</strong></strong>esanstalt für Straßenwesen, 2000, S. 149.<br />
13 ) Vgl. hierzu auch Geiger in Buschbell, Münchner Anwaltshandbuch Straßenverkehrsrecht 3. Aufl. 2009 § 6<br />
Rn. 20.<br />
14 ) Geiger in Buschbell [Fn. 13] § 6 Rn. 22.<br />
15 ) Stephan, Eignung, 1,6 Promille – Grenze <strong>und</strong> Abstinenzforderung, DAR 1995, 41.<br />
16 ) Vgl. Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan [Fn. 6], S. 151 bzw. 165.<br />
17 ) BVerfG vom 24. 06.1993, BVerfGE 89, 69 = NJW 1993, 2365 = DAR 1993, 427-429 = zfs 1993, 285 = BA<br />
1993, 359.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Geiger,<br />
Der Einsatz von <strong>Alkohol</strong>-Interlocks aus verwaltungsrechtlicher Sicht
Geiger,<br />
Der Einsatz von <strong>Alkohol</strong>-Interlocks aus verwaltungsrechtlicher Sicht<br />
18 ) Eine Zusammenstellung findet sich bei Geiger, Die Bedeutung der medizinisch-psychologischen Untersuchung<br />
<strong>im</strong> Fahrerlaubnisrecht, NZV 2007, 489.<br />
19 ) Bouska/Laeverenz [Fn. 4], § 23 FeV Erl. 7 gehen <strong>und</strong>ifferenziert von einer sinngemäßen Anwendung von<br />
§ 11 Abs. 2 bis 4 FeV aus, ohne klarzustellen, welche Alternative in Betracht kommt.<br />
20 ) Erörterungsbedürftig wäre auch die Frage, ob bei dieser MPU auf die Daten zurück gegriffen werden darf,<br />
die das Interlock aufzeichnet, insbesondere auf Startversuche, die wegen einer <strong>Alkohol</strong>isierung des Betreffenden<br />
unterb<strong>und</strong>en wurden. Ist bei Abhängigkeit oder Missbrauch strikte Abstinenz zu fordern, wäre schon<br />
bei einem einzigen nachgewiesenen Fehlversuch das Ergebnis der MPU negativ.<br />
21 ) Die Frage, was zulassungsrechtlich veranlasst ist, um ein mit Interlock ausgerüstetes Fahrzeug in Verkehr<br />
bringen dürfen, ist nicht Gegenstand dieser Abhandlung. Es sei nur darauf hingewiesen, dass das Kraftfahrt-<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esamt am 15. 12. 2001 eine Allgemeine Betriebserlaubnis für ein Interlockgerät erteilt hat; das bedeutet,<br />
dass ein entsprechend ausgerüstetes Fahrzeug ohne zulassungsrechtliche Hürden in Betrieb genommen<br />
werden darf.<br />
Anschrift des Verfassers<br />
Präsident des Bayerischen Verwaltungsgerichts München<br />
Harald Geiger<br />
Bayerstr. 30<br />
80335 München<br />
Email: praesident@vg-m.bayern.de<br />
339<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
340<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Schöch,<br />
Kr<strong>im</strong>inologische, strafrechtliche <strong>und</strong> kr<strong>im</strong>inalpolitische Aspekte<br />
von <strong>Alkohol</strong>-Interlocks in Deutschland Seiten 340–344<br />
Ludwig-Max<strong>im</strong>ilians-Universität München<br />
HEINZ SCHÖCH<br />
Kr<strong>im</strong>inologische, strafrechtliche <strong>und</strong> kr<strong>im</strong>inalpolitische<br />
Aspekte von <strong>Alkohol</strong>-Interlocks in Deutschland<br />
Cr<strong>im</strong>inological, penologic and cr<strong>im</strong>ino-political<br />
aspects of alcohol interlocks in Germany<br />
1. Pr<strong>im</strong>är- <strong>und</strong> Sek<strong>und</strong>ärprävention durch <strong>Alkohol</strong>-Interlocks<br />
<strong>Alkohol</strong>-Interlocks sind gr<strong>und</strong>sätzlich geeignet, die vorhandenen Möglichkeiten der<br />
pr<strong>im</strong>ären <strong>und</strong> sek<strong>und</strong>ären Prävention von <strong>Alkohol</strong>fahrten zu ergänzen. 1 ) Zwar liegt der<br />
Schwerpunkt bei der sek<strong>und</strong>ären Prävention, also bei der gezielten Beeinflussung von<br />
bereits mit <strong>Alkohol</strong> auffällig gewordenen Verkehrsteilnehmern, die durch technische Vorkehrungen<br />
davon abgehalten werden sollen, erneut Fahrten unter <strong>Alkohol</strong>einfluss durchzuführen.<br />
Bei der pr<strong>im</strong>ären Prävention geht es da<strong>gegen</strong> um die Einwirkung auf das Normbewusstsein<br />
aller Bürger. Dieses ist bezüglich des Verbots von <strong>Alkohol</strong>fahrten ohnehin schon sehr<br />
hoch, 2 ) kann aber durch häufige Sichtbarkeit gezielter Präventionsmaßnahmen für Risikofahrer<br />
weiter stabilisiert oder gar erhöht werden. Insofern ist die Wirkung vermutlich ähnlich<br />
wie bei öffentlichen Aufklärungskampagnen oder bei sichtbaren <strong>Alkohol</strong>kontrollen.<br />
In der juristischen Straftheorie hat sich hierfür seit etwa 40 Jahren die Konzeption der<br />
positiven Generalprävention durchgesetzt, die als Reflexwirkung allen strafrechtlichen<br />
Sanktionen innewohnt, die das Vertrauen der Bevölkerung in die Durchsetzungskraft der<br />
Rechtsordnung stärken <strong>und</strong> die Rechtstreue der Bevölkerung fördern. 3 )<br />
2. Europäische Empfehlungen<br />
Die rechtlichen Möglichkeiten für den Einsatz von Interlock-Geräten in Deutschland<br />
sind noch nicht abschließend geklärt. Die Fragestellung bleibt aber aktuell, weil eine Entschließung<br />
des Europäischen Rates vom 26. 06. 2000 zur Verbesserung der Verkehrssicherheit<br />
verlangt, die „Möglichkeiten für die Ausstattung der Kraftfahrzeuge mit einer<br />
Wegfahrsperre, die bei Überschreitung des auf nationaler Ebene zulässigen <strong>Blutalkohol</strong>spiegels<br />
aktiviert wird“, zu prüfen. Außerdem empfahl die Europäische Kommission am<br />
17. 01. 2001 allen Mitgliedsstaaten eine enge Zusammenarbeit bei der Forschung <strong>und</strong> Entwicklung<br />
auf diesem Gebiet. 4 )<br />
3. Obligatorische Ausrüstung aller Kraftahrzeuge<br />
Eine generelle Verpflichtung aller Fahrzeughalter zum Einbau von <strong>Alkohol</strong>-Interlocks<br />
durch den Gesetzgeber wäre angesichts der nicht unerheblichen Kosten von ca. 1500 bis<br />
2000 € wegen unverhältnismäßiger Einschränkung des Eigentumsgr<strong>und</strong>rechts (Art. 14<br />
GG) verfassungswidrig. 5 ) Der Würzburger Roadside Survey hat bereits Anfang der 90er<br />
Jahre ergeben, dass nur 0,7 bis 0,8 % der insgesamt 20.000 getesteten Fahrer mit einem<br />
<strong>Blutalkohol</strong>gehalt von über 0,5 Promille bei zufälligen Kontrollen <strong>im</strong> Straßenverkehr fest-
Schöch,<br />
Kr<strong>im</strong>inologische, strafrechtliche <strong>und</strong> kr<strong>im</strong>inalpolitische Aspekte<br />
von <strong>Alkohol</strong>-Interlocks in Deutschland<br />
gestellt werden konnten; 6 ) seither ist die Zahl der Trunkenheitsfahrten – indiziert durch<br />
<strong>Alkohol</strong>unfälle mit Personenschaden – weiter erheblich zurückgegangen. 7 ) Über 99 % der<br />
Kraftfahrer würden also mit einer kostspieligen Maßnahme belastet, die für sie überhaupt<br />
nicht notwendig ist.<br />
4. Freiwilliger Einbau von <strong>Alkohol</strong>-Interlocks<br />
Auf freiwilliger Gr<strong>und</strong>lage ist der Einbau einer atemalkoholgesteuerten Wegfahrsperre<br />
in Kraftfahrzeuge in Deutschland seit der am 18. 12. 2001 vom Kraftfahrt-<strong>B<strong>und</strong></strong>esamt erteilten<br />
allgemeinen Betriebserlaubnis für das Gerät „Draeger-Interlock“ ohne Beantragung<br />
einer neuen Betriebserlaubnis jederzeit möglich. Bei privat genutzten Fahrzeugen ist dies<br />
eher unwahrscheinlich, jedoch erscheint die Bereitschaft hierzu bei Eigentümern <strong>und</strong> Haltern<br />
betrieblich genutzter Fahrzuge, insbesondere bei der Personenbeförderung <strong>und</strong> bei<br />
Gefahrguttransporten, nicht ganz ausgeschlossen, wenn diese von ihren Fahrern völlige<br />
<strong>Alkohol</strong>abstinenz verlangen.<br />
In Schweden, dem ersten europäischen Land mit Interlock-Erfahrungen, erfolgt der<br />
größte Teil der ca. 10.000 Interlock-Installationen pro Jahr auf freiwilliger Basis. 8 )<br />
5. Anwendbarkeit <strong>im</strong> Strafrecht<br />
5.1 Fahrerlaubnisentziehung<br />
Bei der Entziehung der Fahrerlaubnis <strong>und</strong> der Sperrfristbest<strong>im</strong>mung gemäß §§ 69, 69a<br />
StGB kommt der in einigen Ländern erprobte oder erwogene Einsatz der <strong>Alkohol</strong>-Interlocks<br />
als Ersatz oder zur Verkürzung der Fahrerlaubnisentziehung bei der Verurteilung<br />
alkoholauffälliger Kraftfahrer nach dem deutschen Sanktionensystem – auch de lege<br />
ferenda – nicht in Betracht. Das liegt daran, dass der bei dieser Maßregel gesetzlich<br />
vorausgesetzte Eignungsmangel die Person des Fahrers betrifft, die durch ein best<strong>im</strong>mtes<br />
Fahrzeug nicht beeinflusst wird, 9 ) sondern allenfalls durch erzieherische Maßnahmen. Die<br />
nur teilweise sichernden <strong>Alkohol</strong>-Interlocks haben also allein keine Relevanz für die Fahreignung.<br />
10 ) In Kombination mit freiwilliger Nachschulung in Aufbaukursen für <strong>Alkohol</strong>fahrer<br />
kann ihnen aber unterstützende Wirkung zukommen. Insoweit können sie für die<br />
vorzeitige Aufhebung der Sperre gemäß § 69a StGB relevant werden.<br />
5.2 Ausnahmen von der Sperre (§ 69a Abs. 2 StGB)<br />
Neben der vollständigen Entziehung der Fahrerlaubnis kann das Gericht bei der Entscheidung<br />
über die Fahrerlaubnissperre gemäß § 69a Abs. 2 StGB best<strong>im</strong>mte Arten von<br />
Kraftfahrzeugen von der Sperre ausnehmen. Dies könnte m. E. schon nach geltendem<br />
Recht vom Einbau eines <strong>Alkohol</strong>-Interlocks abhängig gemacht werden. Dies wäre zum<br />
Beispiel sinnvoll, wenn ein landwirtschaftliches Nutzfahrzeug oder ein Baufahrzeug von<br />
der Sperre ausgenommen werden soll.<br />
5.3 Weisung bei Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56c StGB)<br />
Im Zusammenhang mit der Aussetzung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung wäre während<br />
einer Bewährungszeit von max<strong>im</strong>al 5 Jahren die Weisung möglich, nach Wiedererteilung<br />
der Fahrerlaubnis nur ein Kraftfahrzeug mit <strong>Alkohol</strong>-Interlock zu benutzen (§§ 56a,<br />
56c StGB). Unterlässt oder umgeht der Verurteilte dies, so kann die Aussetzung widerrufen<br />
werden <strong>und</strong> der Täter muss die Freiheitsstrafe verbüßen. Angesichts dieses sehr hohen<br />
Risikos kann die Umgehungsgefahr als relativ gering eingeschätzt werden.<br />
341<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
342<br />
6. Fahrerlaubnisrecht<br />
6.1 Beschränkte Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung<br />
Im Fahrerlaubnisrecht kommt sowohl bei der verwaltungsrechtlichen Entziehung der<br />
Fahrerlaubnis (§ 46 II FEV) als auch bei deren Neuerteilung nach vorangegangener strafoder<br />
verwaltungsrechtlicher Entziehung (§§ 20, 23 II FEV) eine Fahrerlaubnis unter Auflagen<br />
oder Beschränkungen in Betracht, wenn der Bewerber nur bedingt zum Führen von<br />
Kraftfahrzeugen geeignet ist. Eine Beschränkung in der Weise, dass die Fahrerlaubnis auf<br />
das Führen von Kraftfahrzeugen mit <strong>Alkohol</strong>-Interlock beschränkt wird, erscheint rechtlich<br />
möglich. Die Arbeitsgruppe V des 45. Deutschen Verkehrsgerichtstags hat dies vor<br />
zwei Jahren bejaht, jedoch mit Recht betont, dass dies nur in Verbindung mit psychologischen<br />
Maßnahmen zur Wiederherstellung der unbedingten Kraftfahreignung sinnvoll<br />
ist. 11 ) Differenziert beschrieben hat diesen Weg vor kurzem S<strong>im</strong>one Klipp. 12 ) Sie schlägt<br />
die Kombination der Interlock-Auflage mit einer für diese Tätergruppe zu entwickelnden<br />
qualitätsgesicherten Rehabilitationsmaßnahme vor. 13 )<br />
Die Auffälligkeitsraten schätzt Klipp während der Dauer der Installation – vermutlich<br />
anhand der Erfahrungen in verschiedenen ausländischen Untersuchungen – als relativ gering<br />
ein. 14 ) Ich teile diese Auffassung, da ja jeder entdeckte Verstoß <strong>gegen</strong> die Auflage als<br />
Fahren ohne Führerschein bestraft wird. Nach den bisherigen Erfahrungen mit der Beachtung<br />
des Führerscheinentzugs <strong>und</strong> des Fahrverbots in Deutschland durch die Betroffenen<br />
kann man von einer hohen Normbeachtung ausgehen; denn auf jährlich zuletzt 108.699<br />
Fahrerlaubnisentziehungen <strong>und</strong> 30.049 Fahrverbote kamen z. B. 2006 nur 3.058 Verurteilungen<br />
wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis oder trotz Fahrverbots, also nur 2,8 %, wobei<br />
die zahlreichen Fahrverbote aus dem Ordnungswidrigkeitenrecht noch nicht einmal berücksichtigt<br />
sind. Hinzu kommt, dass die Fahrerlaubnisentziehungen <strong>im</strong> Durchschnitt länger<br />
als 1 Jahr dauern, weshalb der prozentuale Anteil der Verstöße noch geringer ist. Wie<br />
bei allen strafrechtlichen Effizienzuntersuchungen relativiert die Dunkelfeldproblematik<br />
diese günstige Quote etwas, hebt sie aber nicht völlig auf.<br />
Allerdings ist umstritten, ob sich der Begriff der bedingten Eignung gemäß § 2 IV 2<br />
StVG auch auf charakterliche Mängel wie <strong>Alkohol</strong>probleme bezieht. Im Gesetzgebungsverfahren<br />
wurde dies verneint, jedoch ergibt die systematische Auslegung <strong>im</strong> Verhältnis zu<br />
§ 69a II StGB sowie die Beachtung des verfassungsrechtlichen Übermaßverbots, dass<br />
auch Vorbestrafte oder <strong>Alkohol</strong>gefährdete bedingt geeignet sein können, weshalb Ihnen<br />
eine beschränkte Fahrerlaubnis erteilt werden kann. 15 )<br />
6.2 Bewertung von gescheiterten Startversuchen wegen erhöhter AAK<br />
In der Diskussion be<strong>im</strong> 45. Deutschen Verkehrsgerichtstag wurde teilweise die Auffassung<br />
vertreten, ein negativer Startversuch sei als Versuch einer Straftat gemäß § 315c<br />
Abs. 1 StGB zu werten, der gemäß § 315c Abs. 2 StGB auch strafbar wäre, weshalb die<br />
Fahrerlaubnis sofort wieder entzogen werden müsste. 16 ) Allerdings dürfte die Versuchsstrafbarkeit<br />
nur selten vorliegen, da der Täter hierfür doppelten Vorsatz <strong>im</strong> Hinblick auf die<br />
mangelnde Fahreignung <strong>und</strong> eine konkrete Gefährdung haben müsste. Bei der Vorsatz-<br />
Fahrlässigkeits-Kombination gemäß § 315c Abs. 3 Nr. 1 StGB <strong>und</strong> § 316 StGB ist der Versuch<br />
nicht strafbar. Im Übrigen ist zweifelhaft, ob in solchen Fällen bereits ein Vorsatz vorliegt<br />
oder doch nicht eher ein nicht strafbarer bedingter Tatentschluss (sog. Tatgeneigtheit),<br />
der vom bedingten Vorsatz, bei dem sich die Ungewissheit nur auf den Taterfolg bezieht,<br />
zu unterscheiden ist. 17 )<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Schöch,<br />
Kr<strong>im</strong>inologische, strafrechtliche <strong>und</strong> kr<strong>im</strong>inalpolitische Aspekte<br />
von <strong>Alkohol</strong>-Interlocks in Deutschland
Schöch,<br />
Kr<strong>im</strong>inologische, strafrechtliche <strong>und</strong> kr<strong>im</strong>inalpolitische Aspekte<br />
von <strong>Alkohol</strong>-Interlocks in Deutschland<br />
Der Täter unterwirft sich ja gerade der Bedingung, vor jeder Fahrt einen Atemalkoholtest<br />
durchzuführen. Ein Verstoß <strong>gegen</strong> die Auflage läge nur dann vor, wenn ein Umgehungsversuch<br />
(z. B. Freischaltung durch Dritte oder technischer Manipulationsversuch)<br />
nachgewiesen werden könnte. Nur dann wäre m. E. eine Beendigung der Testphase gerechtfertigt.<br />
Nicht ausgeschlossen ist es allerdings, mehrere Fehlversuche prognostisch in der Weise<br />
zu verwerten, dass der Proband nach wie vor <strong>Alkohol</strong>probleme hat, 18 ) was zu einer Verlängerung<br />
der Testphase führen könnte, in gravierenden Fällen wegen des erhöhten Rückfallrisikos<br />
aber auch zum sofortigen Widerruf.<br />
Zusammenfassung<br />
<strong>Alkohol</strong>-Interlocks sind ein präventiver Beitrag zur Verkehrssicherheit <strong>im</strong> Bereich der <strong>Alkohol</strong>fahrten. Ihr<br />
obligatorischer Einbau in alle Kraftfahrzeuge kommt aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht in Betracht.<br />
Neben dem freiwilligen Einbau – z. B. bei Gefahrguttransporten – wäre ihr Einbau in folgenden rechtlichen Konstellationen<br />
möglich: <strong>im</strong> Strafrecht als Bewährungsweisung, bei beschränkter Entziehung der Fahrerlaubnis <strong>und</strong><br />
– in Kombination mit Nachschulungskursen – zur Verkürzung der Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis,<br />
<strong>im</strong> Fahrerlaubnisrecht als bedingte Fahrerlaubnis unter Auflagen oder Beschränkungen.<br />
Schlüsselwörter<br />
<strong>Alkohol</strong>-Interlocks – bedingte Fahrerlaubnis – beschränkte Entziehung der Fahrerlaubnis – Bewährungsweisung<br />
– Präventation bei <strong>Alkohol</strong>fahrten<br />
Summary<br />
Alcohol interlocks are a preventive contribution to the area of drunk driving in traffic safety. A mandatory installation<br />
in all vehicles in from the perspective of constitutional rights disproportionate. In addition to a voluntary<br />
use – e. g. in the transport of dangerous goods – the use in the following combination would be possible: in<br />
cr<strong>im</strong>inal law as an order of probation, in cases of conditional withdrawal – in combination with a rehabilitation<br />
measure – for a reduction of the revocation period, in driving licensing law as conditional license with obligations<br />
and restrictions.<br />
Key Words<br />
alcohol interlocks – conditional license – conditional withdrawal of driving license – order of probation –<br />
drunk driving prevention<br />
Fußnoten<br />
1<br />
) Arbeitskreis V be<strong>im</strong> 45. VGT 2007, 11.<br />
2<br />
) Be<strong>im</strong> deutschen Roadside Survey (DRS) von 1992 bis 1994 haben ca. 20.000 Befragte in Thüringen <strong>und</strong><br />
Unterfranken auf einer Verwerflichkeitsskala von 1 bis 10 mit Durchschnitten zwischen 9,0 <strong>und</strong> 9,5 <strong>Alkohol</strong>fahrten<br />
als „sehr verwerflich“ eingeschätzt; vgl. Schöch, Generalprävention <strong>und</strong> Fahren unter <strong>Alkohol</strong>, in:<br />
Krüger (Hrsg.) Fahren unter <strong>Alkohol</strong> in Deutschland, 1998, 161 ff., 179.<br />
3<br />
) BVerfGE 45, 255 f.; BGHSt 24, 40, 46; dazu auch Schöch (o. Fn. 2), S.163.<br />
4<br />
) Vgl. dazu Evers, BA 40 (2003), 20–36.<br />
5<br />
) Zur verfassungs- <strong>und</strong> europarechtlichen Problematik Frenz, 45. VGT 2007, 222 ff. sowie Arbeitskreis V<br />
be<strong>im</strong> 45. VGT 2007, 11.<br />
6<br />
) Vgl. Krüger/Vollrath, Die Ergebnisse des Deutschen Roadside Surveys, in: Krüger (Hrsg.), Fahren unter<br />
<strong>Alkohol</strong> in Deutschland, 1998, 33 ff, 39.<br />
7<br />
) Oehm, Bemerkungen zu alkoholsensitiven Wegfahrsperren aus Sicht des ADAC, BA 2005, Supplement I, 25.<br />
8<br />
) Lagois, 45. VGT 2007, 235 ff., 239.<br />
343<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
344<br />
9<br />
) Arbeitskreis V be<strong>im</strong> 45. VGT 2007, 11<br />
10<br />
) Schöch, Juristische Aspekte atemalkoholsensitiver Wegfahrsperren, BA 2005, Supplement I, 20, 22.<br />
11<br />
) Arbeitskreis V be<strong>im</strong> 45. VGT 2007, 11<br />
12<br />
) Klipp, Der Einsatz atemalkoholgesteuerter Wegfallsperren in Deutschland: politische <strong>und</strong> juristische Aspekte<br />
sowie Perspektiven der Umsetzung., BA 2009, 190–196.<br />
13<br />
) Klipp, BA 2009, 193.<br />
14<br />
) Klipp, BA 2009, 192.<br />
15<br />
) Hentschel/Dauer, 39. Aufl. 2007, § 2 StVG Rn. 18 m. w. N.; ebenso Klipp, BA 2009, 193 mit Hinweis auf die<br />
2. Auflage des Kommentars der Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung aus dem Jahr 2005.<br />
16<br />
) So auch Klipp, BA 2009, 194.<br />
17<br />
) Vgl. Roxin, Strafrecht AT, Band I, 4. Aufl. 2006, § 12 Rn. 24, Band II, § 29 Rn. 81 ff.<br />
18<br />
) Vgl. Klipp, BA 2009, 194 (mit Hinweisen auf verschiedene Publikationen von Marques).<br />
Anschrift des Verfassers<br />
Prof. Dr. Heinz Schöch<br />
Lehrstuhl für Strafrecht, Kr<strong>im</strong>inologie, Jugendrecht <strong>und</strong> Strafvollzug<br />
Ludwig-Max<strong>im</strong>ilians-Universität München<br />
Geschwister-Scholl-Platz 1<br />
80539 München<br />
Email: heinz.schoech@jura.uni-muenchen.de<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Schöch,<br />
Kr<strong>im</strong>inologische, strafrechtliche <strong>und</strong> kr<strong>im</strong>inalpolitische Aspekte<br />
von <strong>Alkohol</strong>-Interlocks in Deutschland
Seiten 345–355<br />
Zur Information<br />
Zur Information<br />
Innenministerkonferenz:<br />
Blutprobenentnahme nach § 81a Abs. 2 StPO<br />
Auszug aus der Beschlusssammlung der Innenministerkonferenz * ):<br />
12. Blutentnahmen bei Beschuldigten nach § 81a StPO; Anordnungskompetenz bei<br />
Gefahr <strong>im</strong> Verzug<br />
1. Die IMK n<strong>im</strong>mt den Bericht „Blutentnahmen bei Beschuldigten nach § 81a StPO;<br />
Anordnungskompetenz bei Gefahr <strong>im</strong> Verzug (Stand: 18. Mai 2010)“ (freigegeben) zur<br />
Kenntnis.<br />
2. Sie spricht sich in Anbetracht der erheblichen praktischen Schwierigkeiten bei der<br />
Einholung richterlicher Anordnungen gemäß § 81a StPO zum Zwecke des Nachweises<br />
von <strong>Alkohol</strong>, Betäubungsmitteln oder Medikamenten <strong>im</strong> Blut <strong>im</strong> Straßenverkehr <strong>und</strong> der<br />
geringen vorbeugenden Kontrollwirkung, die der Richtervorbehalt unter diesen Bedingungen<br />
entfaltet, für die Streichung des verfassungsrechtlich nicht gebotenen Richtervorbehalts<br />
in diesen Fällen aus.<br />
3. Die IMK sieht auch in der Atemalkoholanalyse eine Möglichkeit zur effektiveren<br />
Ausgestaltung des Verfahrens bei Verkehrsdelikten.<br />
4. Sie bittet ihren Vorsitzenden, den Vorsitzenden der Justizministerkonferenz (JuMiKo)<br />
über ihren Bericht <strong>und</strong> ihren Beschluss zu informieren <strong>und</strong> sich für entsprechende Änderungen,<br />
insbesondere eine Streichung des Richtervorbehalts gemäß § 81a StPO zum<br />
Zwecke des Nachweises von <strong>Alkohol</strong>, Betäubungsmitteln oder Medikamenten <strong>im</strong> Blut<br />
<strong>im</strong> Straßenverkehr sowie die Anerkennung der Atemalkoholanalyse als beweiskräftigen<br />
Nachweis von <strong>Alkohol</strong> <strong>im</strong> Straßenverkehr einzusetzen.<br />
Protokollnotiz NW, BB, TH:<br />
Es wird für erforderlich gehalten, das Problem der Anordnungskompetenz bei Gefahr <strong>im</strong><br />
Verzug organisatorisch <strong>und</strong> rechtlich zeitnah zu lösen. Die o. g. Länder enthalten sich zu<br />
Ziffer 2. Der Vorschlag der Streichung des Richtervorbehaltes nach § 81a StPO ist bedenklich,<br />
zumal bei dieser Frage die gesamte Thematik des Richtervorbehalts tangiert<br />
wird. Die Anerkennung der Atemalkoholanalyse als ein beweiskräftiger Nachweis von<br />
<strong>Alkohol</strong> <strong>im</strong> Straßenverkehr ist zu betreiben.<br />
** ) Sammlung der zur Veröffentlichung freigegeben Beschlüsse der 190. Sitzung der ständigen Konferenz der<br />
Innenminister <strong>und</strong> -senatoren der Länder am 27./28. Mai 2010 in Hamburg vom 01. Juni 2010.<br />
345<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
346 Zur Information<br />
Auszug aus dem Bericht „Blutprobenentnahme bei Beschuldigten nach § 81a StPO;<br />
Anordnungskompetenz bei Gefahr <strong>im</strong> Verzug“ ** ):<br />
Auftrag<br />
„Nach § 81a StPO steht die Anordnungskompetenz für Blutprobenentnahmen dem Richter, bei Gefährdung<br />
des Untersuchungserfolges durch Verzögerung auch der Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> ihren Ermittlungsbeamten zu. Da<br />
die <strong>Alkohol</strong>- bzw. Wirkstoffkonzentration zum Tatzeitpunkt maßgeblich ist, gleichzeitig aber ein stetiger körpereigener<br />
Abbau erfolgt, der auch durch Rückrechnung nur ungenau ausgeglichen werden kann, wurde bislang bei<br />
der polizeilichen Sachbearbeitung regelmäßig Gefahr <strong>im</strong> Verzug angenommen, so dass die Blutprobenentnahme<br />
ohne Einbindung eines Richters angeordnet wurde. Eine vergleichbare Situation ergibt sich be<strong>im</strong> behaupteten<br />
oder beobachteten Nachtrunk, bei dem eine frühzeitige Feststellung der <strong>Alkohol</strong>- bzw. Wirkstoffkonzentration<br />
für die Schuldfrage ausschlaggebend ist.<br />
In jüngster Vergangenheit wurden Urteile verschiedener Instanzen erlassen, die festlegen, dass die Anordnung<br />
einer Blutprobenentnahme <strong>im</strong> Rahmen der Eilanordnungskompetenz die Ausnahme sein müsse. Diese regional<br />
auch voneinander abweichende Rechtsprechung führt zu einer nachvollziehbaren Unsicherheit <strong>im</strong> Kollegenkreis,<br />
da durch die nun notwendig gewordene Einbindung eines Richters der Zeitraum zwischen Tatzeit <strong>und</strong> Maßnahme<br />
<strong>im</strong>mer größer <strong>und</strong> damit eine Best<strong>im</strong>mung der <strong>Alkohol</strong>- bzw. Wirkstoffkonzentration zur Tatzeit zunehmend<br />
schwieriger wird. Erschwerend ist festzuhalten, dass die Justiz nicht überall einen Jourdienst für Ermittlungsrichter<br />
stellt, so dass die Beiholung einer entsprechenden Anordnung zur Nachtzeit nur sehr bedingt möglich ist.<br />
Betroffen sein könnten dabei neben Trunkenheitsfahrten oder Fahrten unter <strong>Drogen</strong>einfluss gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
auch alle anderen Straftaten, bei denen der Täter kurz nach der Tat festgenommen werden kann <strong>und</strong> bei denen zur<br />
späteren Schuldeinschätzung durch die Justiz eine Blutprobenentnahme notwendig erscheint.<br />
Bei einem Gespräch mit den Vorsitzenden der Arbeitskreise bat der neue IMK-Vorsitzende, Senator Ahlhaus,<br />
eine entsprechende Bewertung der aktuellen Rechtslage vorzunehmen <strong>und</strong> zeitnah Vorschläge für die weitere<br />
Vorgehensweise zu entwickeln bzw. die Notwendigkeit für weitere Maßnahmen wie Rechtsänderungen oder Verfahrenserleichterungen<br />
aufzuzeigen. …“<br />
III. Vorschläge<br />
1. Einführung der Atemalkoholanalyse <strong>im</strong> Strafverfahren<br />
Im § 24a StVG findet die Atemalkoholanalyse als Beweismittel bereits Anwendung <strong>und</strong> hat sich <strong>im</strong> bisherigen<br />
Verfahren bewährt. Die Einführung <strong>im</strong> Strafverfahren könnte analog auch bei Verkehrsstraftaten Anwendung finden.<br />
Dies hätte zur Folge, dass neben enormen Kostensenkungen durch nicht durchgeführte Blutanalysen eine<br />
Reduzierung von Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit möglich wäre <strong>und</strong> damit einhergehend richterliche<br />
Anordnungen zu Blutprobenentnahmen entfallen würden.<br />
Die Ständige Konferenz der Innenminister <strong>und</strong> -senatoren der Länder (IMK) hat sich nach 2001 erneut mit<br />
Beschluss vom 06./07. Dezember 2007 dafür ausgesprochen, die Atemalkoholanalyse auch <strong>im</strong> Strafverfahren zu<br />
verankern <strong>und</strong> die <strong>Blutalkohol</strong>analyse somit in einer Vielzahl von Fällen überflüssig zu machen [siehe hierzu den<br />
Dokumentationsbeitrag in BA 2008, 47 ff.]:<br />
Eine Unterstützung wurde bisher versagt, da folgende Zweifel aus juristischer Sicht <strong>gegen</strong> die Atemalkoholanalyse<br />
sprechen:<br />
• Mangelnde Reproduzierbarkeit der Atemprobe <strong>und</strong> damit verb<strong>und</strong>ene Unmöglichkeit, Nachtrunkbehauptungen<br />
zu überprüfen.<br />
• Keine Möglichkeit der Überprüfung auf zusätzlichen Medikamenten- oder <strong>Drogen</strong>einfluss.<br />
• Verwerfungen <strong>im</strong> Zusammenhang mit denkbarem Verteidigungsverhalten (Verwechslung, Verfahrensfehler<br />
bei der Abnahme der Atemprobe etc.).<br />
• Wegfall des ärztlichen Untersuchungsberichts (stattdessen Polizeibeamter als Zeuge).<br />
• Gedanke der Verhältnismäßigkeit <strong>im</strong> Hinblick auf die einschneidenderen Folgen eines Strafurteils, auch<br />
wegen der regelmäßigen Entziehung der Fahrerlaubnis. In diesem Zusammenhang wird nicht selten auf folgende<br />
Aussage der Gr<strong>und</strong>satzentscheidung des <strong>B<strong>und</strong></strong>esgerichtshofs zur Atemalkoholanalyse verwiesen:<br />
• „Hierbei kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Gesetzgeber das in § 24a Abs. 1 StVG sanktionierte<br />
Verhalten nicht als kr<strong>im</strong>inelles Unrecht, sondern nur als Ordnungswidrigkeit bewertet hat, das deshalb <strong>im</strong><br />
Bußgeldverfahren zu ahnden ist. Dieses ist aber schon <strong>im</strong> Hinblick auf seine vorrangige Bedeutung für die<br />
Massenverfahren des täglichen Lebens auf eine Vereinfachung des Verfahrensausganges ausgerichtet …“<br />
Weitere Zweifel der Justiz bestehen darin, dass eine direkte Umrechung der Ergebnisse der Atemalkoholanalyse<br />
in die <strong>Blutalkohol</strong>konzentration nicht erfolgen kann. Sollte dies tatsächlich nicht möglich sein, wäre eine<br />
Änderung der Verwaltungsvorschriften allein nicht ausreichend. Darüber hinaus müssten – nach dem Vorbild des<br />
§ 24a StVG – strafrechtliche Atemalkoholgrenzen <strong>und</strong> <strong>Blutalkohol</strong>werte eingeführt werden.<br />
** ) Bericht des Unterausschusses Recht <strong>und</strong> Verwaltung der Polizei Hamburg, Stand: 18. März 2010.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Zur Information<br />
Trotz aller Vorbehalte sollen hier noch einmal die Vorteile aufgezeigt werden, die eine Atemalkoholanalyse <strong>im</strong><br />
Verkehrsbereich mit sich bringen würde:<br />
• Vergleichsweise einfach zu handhabende <strong>und</strong> europaweit anerkannte Messmethode.<br />
• Hohe Akzeptanz bei allen europäischen Verkehrsteilnehmern, dadurch auch Reduzierung von Widerstandshandlungen.<br />
• Deutliche Reduzierung des temporären, personellen <strong>und</strong> organisatorischen Aufwandes. Die Vergrößerung<br />
des Zeitfensters führt zu mehr Verkehrssicherheit durch frühzeitiges Freiwerden polizeilicher Ressourcen.<br />
• Kein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Fahrzeugführers. Die Prüfung von Gefahr <strong>im</strong> Verzuge<br />
kann entfallen <strong>und</strong> somit auch die richterliche Anordnung.<br />
• Die Kosten für beweisärztliche Untersuchungen <strong>und</strong> rechtsmedizinische Blutanalysen entfallen.<br />
In der <strong>im</strong> Auftrag der IMK durchgeführten Länderstudie „Beweiswert der Atemalkoholanalyse <strong>im</strong> strafrechtlich<br />
relevanten Konzentrationsbereich“ aus dem Jahr 2006 [veröffentlicht in BA 2008, 49 ff.] kommen PROF. DR.<br />
A. SLEMEYER (FH Gießen Frieberg) <strong>und</strong> PROF. DR. G. SCHOKNECHT (ehem. BGA) zu dem Ergebnis, „dass die<br />
Messergebnisse der Atemalkoholanalyse die gleiche Zuverlässigkeit besitzen, wie die <strong>Blutalkohol</strong>analyse. …<br />
Aus messtechnischer Sicht kann daher auch <strong>im</strong> strafprozessualen Bereich <strong>im</strong> Regelfall auf eine Blutprobe verzichtet<br />
werden.“<br />
Demnach wäre die Einführung der Atemalkoholanalyse <strong>im</strong> Strafverfahren möglich, ohne dass die zuvor beschriebenen<br />
Gesetzesänderungen erforderlich wären. Durch die Berücksichtigung von Toleranzwerten zugunsten<br />
des Beschuldigten könnten die geringen Abweichungen zwischen Atemalkohol- <strong>und</strong> <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
ausgeglichen werden.<br />
Das Thema „Atem- <strong>und</strong> <strong>Blutalkohol</strong>messung auf dem Prüfstand“ war <strong>im</strong> Jahr 2009 auch Gegenstand des<br />
47. Verkehrsgerichtstages (VGT) in Goslar. Im Arbeitskreis (AK) III wurde dazu ein Beschluss gefasst [veröffentlicht<br />
in BA 2009, 73 ff.].<br />
Der VGT hat die <strong>im</strong> Auftrag der IMK durchgeführte Länderstudie „Beweiswert der Atemalkohol-Analyse <strong>im</strong><br />
strafrechtlich relevanten Konzentrationsbereich“ aus dem Jahr 2006 nicht anerkannt. Bezüglich der Frage, inwieweit<br />
die Atemalkoholanalyse als Beweismittel <strong>im</strong> Strafverfahren eingeführt werden kann, bestehen divergierende<br />
Auffassungen. Daher sollte bezugnehmend zu Punkt 1 des Beschlusses des 47. VGT umfassende Forschungsarbeit<br />
vorangetrieben werden.<br />
Dazu hat die Deutsche Hochschule der Polizei bereits vorgeschlagen, gemeinsam mit Rechtsmedizin, Justiz<br />
<strong>und</strong> Polizei nochmals eine weit reichende Forschungsarbeit zu initiieren, die beabsichtigt, den Zusammenhang<br />
zwischen Atemalkoholmessung <strong>und</strong> Wirkung des <strong>Alkohol</strong>s wissenschaftlich in Relation zu setzen <strong>und</strong> so ggf. zu<br />
eigenen gesicherten Grenzwerten der Atemalkoholanalyse <strong>im</strong> Strafrechtsbereich zu kommen. Hierzu bedarf es<br />
lediglich eines Auftrages der IMK.<br />
Eine Implementierung der Atemalkohol-Analyse <strong>im</strong> Strafrecht hätte eine deutliche Reduzierung der richterlich<br />
anzuordnenden Blutprobenentnahmen zur Folge. Allerdings bestünde nach wie vor das Erfordernis von Blutprobenentnahmen<br />
<strong>und</strong> somit auch richterlicher Anordnungen. Fahrten unter dem Einfluss von <strong>Drogen</strong> können<br />
nur durch eine Blutanalyse nachgewiesen werden. Aufgr<strong>und</strong> der sich stetig verbessernden Vortestverfahren ist in<br />
diesem Bereich mit einer Steigerung der Fallzahlen zu rechnen. Darüber hinaus wären Blutprobenentnahmen<br />
weiterhin in den Fällen durchzuführen, in denen der Atemalkoholtest verweigert würde. Hierzu sollte Punkt 2 des<br />
Beschlusses des 47. VGT aufgegriffen werden <strong>und</strong> der Richtervorbehalt bei Anordnung der Blutprobenentnahme<br />
jedenfalls bei Verkehrsstrafsachen aus den genannten Gründen wegfallen.<br />
Die Atemalkoholanalyse als Lösungsalternative in die aktuelle Diskussion einzubringen, wird aufgr<strong>und</strong> der<br />
starken Vorbehalte seitens der Justiz nicht empfohlen. Das Thema Atemalkoholanalyse sollte daher parallel <strong>und</strong><br />
somit losgelöst von der <strong>gegen</strong>wärtigen Debatte behandelt werden.<br />
2. Opt<strong>im</strong>ierung des zur Herbeiführung einer richterlichen Anordnung dienenden Verfahrens<br />
(1) Bezüglich der von der Rechtsprechung unterschiedlich beurteilten Verfahrensfragen (z. B. zur Zulässigkeit<br />
der fernmündlichen Beantragung von Beschlüssen, zum Verzicht auf eine richterliche Anhörung oder zur unmittelbaren<br />
Beantragung von Beschlüssen durch die Polizei <strong>gegen</strong>über dem Amtsgericht) wären klarstellende ergänzende<br />
Regelungen in der StPO vorstellbar, die den durch die Rechtsprechung veränderten Rahmenbedingungen<br />
Rechnung tragen könnten.<br />
Gegen Änderungen der Strafprozessordnung, die ausschließlich das Verfahren zur Einholung einer richterlichen<br />
Anordnung zur Blutprobenentnahme gem. § 81a StPO beschleunigen <strong>und</strong> vereinfachen sollen, sprechen<br />
jedoch die Bedenken, die bereits <strong>gegen</strong> den Richtervorbehalt <strong>im</strong> Rahmen des § 81a StPO vorgetragen wurden:<br />
Der verfahrensrechtliche Mehrwert des Richtervorbehalts <strong>im</strong> Rahmen des § 81a StPO würde durch eine Verschlankung<br />
von Verfahrensvorschriften <strong>und</strong> -rechten noch weiter verringert.<br />
(2) Die Erfahrung der Praxis mit der Bewältigung der neuen Vorgaben durch die Rechtsprechung hat gezeigt,<br />
dass zahlreiche Verfahrensprobleme <strong>im</strong> Rahmen der Beantragung von richterlichen Beschlüssen gem. § 81a<br />
StPO auch durch organisatorische oder technische Probleme verursacht wurden. So spielen z. B. die sofortige<br />
telefonische Erreichbarkeit der Staatsanwaltschaften <strong>und</strong> der Gerichte während des Bereitschaftsdienstes, eine<br />
347<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
348 Zur Information<br />
schnell herzustellende Präsenz der für die Blutprobenentnahme herbeigerufenen Ärzte <strong>und</strong> eine technische Ausstattung,<br />
die den sicheren <strong>und</strong> schnellen Informationsaustausch zwischen der Polizei, der Staatsanwaltschaft <strong>und</strong><br />
dem Gericht ermöglicht, eine wichtige Rolle.<br />
Die Einrichtung eines lückenlosen richterlichen Bereitschaftsdienstes auch in Bezirken, in denen außerhalb<br />
von Trunkenheitsdelikten kein praktischer Bedarf dafür besteht, würde den aus der obergerichtliche Rechtsprechung<br />
resultierenden Unsicherheiten zumindest bis zu einer höchstrichterlichen Klärung der umstrittenen Frage<br />
begegnen. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass eine sachliche richterliche Kontrolle, ob die Voraussetzungen für<br />
die Anordnung nach § 81a StPO für eine Blutprobenentnahme gegeben sind, angesichts des drohenden Beweismittelverlustes<br />
nur sehr eingeschränkt stattfinden können. „Der Sinn des Richtervorbehalts, dem betroffenen<br />
Bürger einen möglichst effektiven Rechtsschutz <strong>im</strong> Sinne des Art. 19 IV GG zu gewähren, ließe sich auf diesem<br />
Wege kaum erreichen. Der mit der Einrichtung eines Eildienstes einhergehende erhebliche personelle Aufwand<br />
– bei den knappen Ressourcen der Justiz – stünde damit in keinem Verhältnis zu dem erreichten Erfolg hinsichtlich<br />
des Rechtsschutzes des Bürgers vor Strafverfolgungsmaßnahmen“.<br />
3. Streichung des Richtervorbehalts für Blutprobenentnahmen gem. § 81a StPO<br />
Der Richtervorbehalt – auch der einfachgesetzliche – zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme in<br />
ihren konkreten <strong>gegen</strong>wärtigen Voraussetzungen durch eine unabhängige <strong>und</strong> neutrale Instanz. Diesen Gr<strong>und</strong>satz<br />
hat das BVerfG mehrfach betont <strong>und</strong> auch auf die Vorschrift des § 81a Abs. 2 StPO bezogen. Danach steht die Befugnis<br />
zur Anordnung der Entnahme einer Blutprobe <strong>und</strong> anderer körperlicher Eingriffe pr<strong>im</strong>är dem Richter, bei<br />
Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung auch der Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> ihren Ermittlungspersonen<br />
zu.<br />
Die ausnahmelose Übertragung der zur Wohnungsdurchsuchung entwickelten verfassungsrechtlichen Maßstäbe<br />
auf die Blutprobenentnahme durch die Fachgerichte der Länder, die damit ausgelösten erheblichen Verfahrensprobleme<br />
<strong>und</strong> Folgen für die Verkehrssicherheit legen es nahe, den Richtervorbehalt für die Entnahme von<br />
Blutproben in Frage zu stellen.<br />
Hierfür sprechen folgende Erwägungen:<br />
(1) Die Interessen des Beschuldigten würden durch die Streichung des Richtervorbehalts nicht unverhältnismäßig<br />
beeinträchtigt. Die Entnahme von Blutproben wird von der Rechtsprechung einheitlich als Eingriff<br />
von geringerer Intensität <strong>und</strong> Tragweite in das – unter einfachem Gesetzesvorbehalt stehende – Gr<strong>und</strong>recht auf<br />
körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG angesehen (siehe auch § 46 OWiG). Der Schutz dieses<br />
Gr<strong>und</strong>rechts des Beschuldigten / Betroffenen wird auch dadurch gewährleistet, dass die Durchführung der<br />
Blutprobenentnahme gem. § 81a Abs. 1 StPO zwingend einem Arzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst vorbehalten<br />
ist.<br />
Verfassungsrechtliche Bedenken <strong>gegen</strong> eine Streichung des Richtervorbehalts bestehen nicht. Das BVerfG<br />
selbst geht davon aus, dass der in § 81a Abs. 2 StPO enthaltene Richtervorbehalt nicht zum rechtsstaatlichen<br />
Mindeststandard zählen dürfte. Das Gr<strong>und</strong>gesetz enthalte ausdrückliche Richtervorbehalte zwar für Wohnungsdurchsuchungen<br />
(Art. 13 Abs. 2 GG) <strong>und</strong> Freiheitsentziehungen (Art. 104 Abs. 2 S. 1 GG), nicht aber für Eingriffe<br />
in die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 2 u. 3 GG).<br />
Auch <strong>im</strong> Falle der Streichung des Richtervorbehalts bliebe weiterhin eine nachträgliche richterliche Kontrolle<br />
möglich <strong>und</strong> damit die Rechtsschutzmöglichkeit für den Beschuldigten/Betroffenen gewahrt (§ 98 Abs. 2<br />
S. 2 StPO analog). In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass polizeiliche Anordnungen zur Blutprobenentnahme<br />
gem. § 81a wegen Gefahr <strong>im</strong> Verzug nach den Erfahrungen einzelner Beschwerdegerichte in den letzten<br />
Jahrzehnten nahezu ausnahmslos nicht zu beanstanden waren.<br />
Der verfahrensrechtliche Mehrwert des Richtervorbehalts bei Blutprobenentnahmen ist <strong>im</strong> Gegensatz zu der<br />
Fallgruppe der Wohnungsdurchsuchungen gering.<br />
In den allermeisten Fällen liegen gerade bei den Trunkenheitsfahrten mehr oder minder gleichgelagerte, einfache<br />
Sachverhalte zugr<strong>und</strong>e, die nur einen sehr geringen Raum für eine eigenständige richterliche Überprüfung<br />
lassen. Polizei <strong>und</strong> Staatsanwaltschaft müssen zudem bei Vorliegen konkreter Anknüpfungspunkte für eine<br />
<strong>Alkohol</strong>isierung <strong>und</strong> eine Täterschaft den Grad der <strong>Alkohol</strong>isierung sowohl bei den §§ 315c, 316 StGB als auch<br />
<strong>im</strong> Rahmen der §§ 20, 21 StGB von Amts wegen ermitteln.<br />
Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> ist zu Recht auf den mit dem Wandel der Rechtsprechung zu § 81a StPO verb<strong>und</strong>enen<br />
Effekt einer Trivialisierung des Richtervorbehalts hingewiesen worden.<br />
Darüber hinaus ist die Tendenz zu beobachten, die mit dem Praktizieren eines strikten Richtervorbehalts <strong>im</strong><br />
Rahmen des § 81a StPO einhergehenden Begleitprobleme durch eine großzügige Auslegung hinderlicher Normen<br />
zu lösen. Soweit hier Befugnisse zur Freiheitsbeschränkung, die weitere Eingriffe durch Maßnahmen zur<br />
Eigensicherung oder <strong>im</strong> Falle von Widerstandshandlungen nach sich ziehen können, auf Randbemerkungen in<br />
einigen Beschlüssen gestützt werden, ist dieses bedenklich, belegt die Problemlage <strong>und</strong> den Bedarf für eine Anpassung<br />
des § 81a Abs. 2 StPO. Weiteren Regelungen <strong>und</strong> Maßnahmen zur Beschleunigung <strong>und</strong> Verschlankung<br />
des Verfahrens unter Beibehaltung des Richtervorbehaltes sind enge rechtsstaatliche Grenzen gesetzt.<br />
(2) § 81a StPO regelt in seinem Absatz 1 die körperliche Untersuchung des Beschuldigten. Aufgr<strong>und</strong> der ausdrücklichen<br />
Nennung der Entnahme einer Blutprobe ergibt sich, dass diese unter die körperlichen Untersuchun-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Zur Information<br />
gen fallen. § 81a Abs. 2 StPO regelt die Anordnungskompetenz für alle körperlichen Untersuchungen nach Absatz<br />
1.<br />
Nur der mit der Entnahme von Blutproben einhergehende Eingriff kann jedoch als geringfügig bezeichnet werden<br />
[siehe (1)]. Zudem besteht nur für diesen Bereich der Bedarf für ein schnelles Handeln, das den Prozess des<br />
Abbaus der nachzuweisenden Substanzen unterbricht.<br />
Somit wird eine Aufhebung des Richtervorbehalts nach Absatz 2 nur für Blutprobenentnahmen in Betracht<br />
kommen, zumindest für das Massenphänomen der Verkehrsdelikte. Diese Argumentation kann in Teilen auch auf<br />
andere Delikte übertragen werden.<br />
(3) Mit der Streichung des Richtervorbehalts könnte die pr<strong>im</strong>äre Anordnungskompetenz vom Richter auf den<br />
Staatsanwalt bei fortbestehender Eilanordnungskompetenz der Polizei verlagert werden. Da<strong>gegen</strong> sprechen<br />
jedoch die Argumente, die bereits die Streichung des Richtervorbehalts nahe legen. Anordnungen durch Bereitschaftsstaatsanwälte<br />
würden zu keinem rechtsstaatlichen Mehrwert führen, jedoch erhebliche Ressourcen bei der<br />
Justiz binden.<br />
Für eine Verfahrenssicherung durch eine Delegation der polizeilichen Anordnung auf die Ebene der Vorgesetzen<br />
(Dienststellenleiter, Beamte des höheren Dienstes) besteht angesichts einer geringen Eingriffstiefe von Blutprobenentnahme<br />
<strong>und</strong> der regelmäßig einfachen Sachverhalte ebenfalls kein Bedarf.<br />
349<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
350 Zur Information<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
ETSC: 4th Road Safety PIN Report * )<br />
– Auszug –<br />
Executive summary<br />
This 4th PIN Report provides an overview of European countries’ performance in five<br />
areas of road safety. It builds on the three previous Road Safety PIN Reports published<br />
in June 2007, 2008 and 2009. It shows how countries have progressed in reducing road<br />
deaths and serious injuries since 2001. It also shows how countries perform in tackling the<br />
three main killers on the roads: speeding, drink driving and failure to wear a seat belt.<br />
Tackling the three main killers on the roads<br />
Deaths attributed to drink driving have decreased somewhat faster than other road deaths<br />
since 2001 in the EU. However, a massive <strong>und</strong>erreporting distorts the real picture: it is est<strong>im</strong>ated<br />
that alcohol related deaths make up to 25 % of all road deaths against 11.5 % according<br />
to official statistics.<br />
Introduction<br />
In 2009, about 35,000 people were killed in the EU27 as a consequence of road collisions.<br />
Aro<strong>und</strong> 300,000 were seriously injured and many more suffered slight injuries.<br />
While the number of deaths and seriously injured people is falling, studies have shown that<br />
faster progress is possible if all effective means are applied (Elvik et al. 2009).<br />
The European Union has set itself a target of halving the yearly number of road deaths<br />
between 2001 and 2010.<br />
Against this backgro<strong>und</strong>, the European Transport Safety Council (ETSC) set up in April<br />
2006 the Road Safety Performance Index (PIN) as an instrument to spur European countries<br />
to greater efforts to enhance road safety.<br />
The Index covers all relevant areas of road safety including road user behaviour, infrastructure<br />
and vehicles, as well as road safety policymaking more generally.<br />
3.2 Progress in reducing drink driving deaths<br />
Since 2001, deaths attributed to drink driving in the EU have decreased by about 5.7 %<br />
on average each year, somewhat faster that other road deaths at about 4.2 % per year<br />
(Fig. 16).<br />
* ) Road Safety Target in Sight: Making up for lost t<strong>im</strong>e – 4th Road Safety PIN Report vom 22. Juni 2010.<br />
www.etsc.eu
Zur Information<br />
Fig. 16: Relative developments in deaths attributed to alcohol and other road deaths in 24 EU countries taken<br />
together over the period 2001 to 2008. 2001 (average 2000–2002) = 1.<br />
3.2.1 Comparison between countries<br />
Fig. 17 shows individual countries’ progress in reducing deaths from drink driving collisions<br />
compared with progress in reducing other deaths, using each country’s own method<br />
of identifying alcohol-related deaths. In half of the countries, progress in reducing drink<br />
driving has contributed more than its share to overall reductions in deaths.<br />
Fig. 17: Difference between the average annual percentage reduction in road deaths attributed to alcohol and<br />
the corresponding reduction for other road deaths over the period 2001–2008.<br />
*** CY (2004–2008), EE (2001–2005), RO (2005–2008), IL (2004–2008).<br />
*** Annual percentage change in driver deaths attributed to alcohol relative to total driver deaths (Spain, Sweden),<br />
Based on post mortem examinations.<br />
*** IL: Since 2006, drivers involved in fatal crashes are systematically tested for alcohol (and cannot refuse to be<br />
tested) which could explain part of the increase in the number of drink driving deaths.<br />
351<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
352 Zur Information<br />
3.2.2 High <strong>und</strong>er-reporting of drink driving deaths<br />
The European Commission est<strong>im</strong>ates that across the EU at least 25 % of all road deaths<br />
are alcohol related, against 11.5 % according to official statistics. At least 3,500 deaths<br />
could have been prevented if accident-involved drivers reported to be driving over the<br />
l<strong>im</strong>it had been sober. On the same basis, however, the number of deaths that could have<br />
been prevented would be at least 7,500 if 25 % of all deaths occur in collisions with a<br />
driver over the alcohol l<strong>im</strong>it instead of the 11.5 % attributed in official statistics.<br />
3.2.3 Preventing drink driving: measures that work<br />
Lowering the BAC l<strong>im</strong>it<br />
The European Commission has recommended Member States to apply a max<strong>im</strong>um legal<br />
bloodalcohol concentration (BAC) not exceeding 0.5 g/l for all drivers and 0.2 g/l for<br />
novice and professional drivers. Only Ireland, Malta and the UK have a higher l<strong>im</strong>it than<br />
0.5 for all drivers. Ireland will hopefully soon fall in line with the majority of the EU. A bill<br />
has indeed been presented by Noel Dempsey, Ireland’s Transport Minister, to the Irish Parliament<br />
to reduce the legal BAC l<strong>im</strong>it from 0.8 g/l to 0.2 for learner, novice and professional<br />
drivers and to 0.5 for all other drivers. This builds on Ireland’s mandatory alcohol<br />
testing introduced in July 2006 which was followed by a 22 % drop in total road deaths in<br />
the first 12 months. The Road Traffic Bill 2009 also introduces mandatory alcohol testing<br />
of all drivers involved in collisions.<br />
The UK might be next in line.<br />
Several countries, such as Switzerland and Austria, have lowered their national legal<br />
l<strong>im</strong>it in the past few years. The experience from these two countries shows that such a legislative<br />
change together with strong enforcement and campaigning brings about reductions<br />
in alcohol related deaths.<br />
Enforcement<br />
Consistent and visible enforcement is a powerful deterrent to drink driving. Targeted<br />
breath testing coupled with publicity about enforcement increases drivers’ subjective perception<br />
of the possibility of being caught. Unfortunately, in a majority of EU countries<br />
being checked for alcohol is rather exceptional: 71 % of drivers declared in a driver survey<br />
carried out in 2002/2003 in 23 countries that they had not been checked for drink driving<br />
over the past three years, and the likelihood of being tested was est<strong>im</strong>ated to be very low<br />
(SARTRE 3, 2004).<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Zur Information<br />
Tab. 3: Numbers of roadside alcohol breath tests (per 1,000 inhabitants) and percentage of those tested fo<strong>und</strong><br />
to be above the legal l<strong>im</strong>it.<br />
Seventeen EU countries provided the number of roadside checks performed during one<br />
year by the police (Table 3).<br />
Sanctions and rehabilitation programmes<br />
Deaths attributed to drink driving decreased in Hungary from 161 in 2007 to 111 in 2008<br />
(or –31 %). Part of this change is due to the introduction of a “zero tolerance” of drink driving<br />
in January 2008. Whenever a driver is fo<strong>und</strong> to be <strong>und</strong>er the influence of alcohol the<br />
driving licence is withdrawn <strong>im</strong>mediately. So far 7,500 driving licences have been withdrawn<br />
due to drink driving.<br />
With 42.5 % of the total points withdrawn in 2006 for driving with a BAC over the legal<br />
l<strong>im</strong>it, illegal drink driving is the number one offence penalised by penalty points in Luxembourg.<br />
Fines and sanctions for drink driving have been increased in a number of countries over<br />
the past few years, including Austria, Germany, Spain, Lithuania, Slovakia and Bulgaria.<br />
Recidivists are also offered rehabilitation courses and alcolocks in rehabilitation programmes<br />
in an increasing number of countries to encourage a change of attitude towards drink<br />
driving. The introduction of alcolocks, in rehabilitation programmes and for fleet drivers,<br />
could help to bridge the gap of insufficient police checks and to tackle recidivist offenders.<br />
353<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
354 Zur Information<br />
3.2.4 Recommendations<br />
Recommendations to Member States<br />
• Apply international best practices in tackling drink driving, in particular as set out in<br />
the 2004 EC Recommendation on traffic law enforcement.<br />
• Intensify enforcement of laws against driving after drinking by setting targets for min<strong>im</strong>um<br />
level of alcohol checks of the motorist population, e. g. 1 in 5 motorists should<br />
be checked each year.<br />
• Introduce systematic breath-testing in all Police checks relating to driver behavior.<br />
• Introduce obligatory testing for alcohol for all road users involved in fatal accidents, if<br />
not in all injury collisions dealt with by the Police.<br />
• Consider adopting a lower l<strong>im</strong>it for commercial and novice drivers thus stressing the<br />
seriousness of drink driving among these two target groups.<br />
• Organise regular nationwide campaigns to raise the public’s <strong>und</strong>erstanding that drinking<br />
and driving is never a good mix.<br />
• Consider the launch of a nationwide initiative for commercial organisations to consider<br />
drink driving by their workforces within the context of their business model.<br />
• Develop the use of alcolocks in rehabilitation programmes.<br />
• Consider extending the use of alcolocks for certain categories of drivers (e. g. bus drivers<br />
transporting children) and fleet drivers.<br />
Recommendations to the EU<br />
• Re-table the Directive on Cross Border Enforcement and through it encourage Member<br />
States to introduce min<strong>im</strong>um requirements to achieve high standards in the enforcement<br />
of laws on drink driving as set out in the EC Recommendation on traffic law<br />
enforcement.<br />
• Work towards the adoption of standardised definitions of drink-driving and alcoholrelated<br />
collisions and road deaths across the EU based on SafetyNet recommendations.<br />
• Work on an EU-wide monitoring system to determine the prevalence of drink driving<br />
in the EU and rates of traffic deaths related to drink driving. This should include testing<br />
for alcohol for at least all drivers involved in fatal collision (if not all road users).<br />
• Introduce harmonised standards for alcolocks in Europe.<br />
• Consider adopting legislation making alcolocks mandatory for certain categories of<br />
drivers.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Zur Information<br />
9. Deutscher Verkehrsexpertentag<br />
„Ursachenforschung bei Verkehrsunfällen“<br />
<strong>und</strong> „Umweltschonende Mobilität“<br />
– Auszug –<br />
Präambel<br />
Am 21. <strong>und</strong> 22. Juni 2010 fand in Köln der diesjährige Deutsche Verkehrsexpertentag<br />
der Gesellschaft für Ursachenforschung bei Verkehrsunfällen e.V. (GUVU) statt. „Ursachenforschung<br />
bei Verkehrsunfällen“ <strong>und</strong> „Umweltschonende Mobilität“ wurden als Generalthemen<br />
des Kongresses aus Sicht der aktuellen Forschung <strong>und</strong> der derzeitigen Praxis<br />
in Deutschland interdisziplinär dargestellt <strong>und</strong> diskutiert. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> gelten<br />
die nachstehenden Entschließungen. …<br />
Entschließungen<br />
Gesetzliche Verkehrssicherheitsmaßnahmen<br />
9. Die Grenze absoluter Fahruntüchtigkeit liegt derzeit für Radfahrer bei einer <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
(BAK) von 1,6 ‰. Da jedoch bereits ab einer BAK von 0,8 ‰ die<br />
falsche Einschätzung von Entfernungen <strong>und</strong> Geschwindigkeiten, eine verminderte Sehleistung<br />
sowie verlängerte Reaktionszeiten <strong>und</strong> „Tunnelblick“ vorliegen, sollte aus Verkehrssicherheitsgründen<br />
das Radfahren ab 0,8 ‰ BAK als Ordnungswidrigkeit analog zu § 24a<br />
Abs. 1 StVG geahndet werden. Medizin <strong>und</strong> Gesetzgebung müssen weiterhin prüfen, ob<br />
der bisherige Grenzwert zur Festlegung der absoluten Fahruntüchtigkeit herabgesetzt werden<br />
muss.<br />
355<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
356 Rechtsprechung<br />
59. *) 1. Im Fall der Blutentnahme nach § 81a<br />
Abs. 1 <strong>und</strong> Abs. 2 StPO müssen die Ermittlungsbehörden<br />
zunächst regelmäßig versuchen, eine Anordnung<br />
des zuständigen Richters zu erlangen,<br />
bevor sie selbst eine Blutentnahme anordnen. Nur<br />
bei Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch<br />
die mit der Einholung einer richterlichen Entscheidung<br />
einhergehenden Verzögerung besteht auch<br />
eine Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft<br />
<strong>und</strong> – nachrangig – ihrer Ermittlungspersonen.<br />
Die Gefahrenlage muss dann mit auf den Einzelfall<br />
bezogenen Tatsachen begründet werden, die<br />
in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind,<br />
sofern die Dringlichkeit nicht evident ist.<br />
2. Die Gefährdung des Untersuchungserfolgs<br />
durch die vorherige Einholung einer richterlichen<br />
Anordnung ist in jedem Einzelfall konkret zu überprüfen<br />
<strong>und</strong> festzustellen.<br />
3. Von Verfassungs wegen ist sicherzustellen,<br />
dass die Fachgerichte den ihnen vorliegenden Einzelfall<br />
prüfen <strong>und</strong> nicht aus generellen Erwägungen<br />
den Richtervorbehalt nach § 81a Abs. 2 StPO<br />
„leer laufen“ lassen.<br />
4. Der Verstoß <strong>gegen</strong> § 81a StPO gebietet es nicht<br />
zwingend, ein Verwertungsverbot hinsichtlich des<br />
gewonnenen Beweismittels anzunehmen. Dies ist<br />
<strong>im</strong> Einzelfall von dem dafür zuständigen Strafgericht<br />
zu prüfen.<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgericht (Kammer),<br />
Beschluss vom 11. Juni 2010 – 2 BvR 1046/08 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Durchsuchung<br />
einer Wohnung <strong>und</strong> die Anordnung einer Blutentnahme<br />
ohne richterliche Anordnung aufgr<strong>und</strong> von<br />
Gefahr <strong>im</strong> Verzug.<br />
I. 1. Am 21. Dezember 2007 (Freitag) <strong>gegen</strong> 17.12 Uhr<br />
verständigte der getrennt von der Beschwerdeführerin<br />
lebende Ehemann die Polizei, dass die Beschwerdeführerin<br />
mit ihrem PKW gefahren sei, obwohl sie<br />
nach <strong>Alkohol</strong> gerochen <strong>und</strong> glasige Augen gehabt<br />
habe. Er teilte mit, dass sie ein <strong>Alkohol</strong>problem habe.<br />
Gegen 17.40 Uhr trafen Polizeibeamte bei der Wohnung<br />
der Beschwerdeführerin ein. Da die Beschwerdeführerin<br />
die Wohnungstür nicht öffnete, verschaffte<br />
sich ein Polizeibeamter bei der <strong>im</strong> Anwesen wohnenden<br />
Vermieterin einen Zweitschlüssel für die Wohnung<br />
der Beschwerdeführerin.<br />
2. Die Beschwerdeführerin wurde nach einem Atemalkoholtest<br />
um 17.55 Uhr, bei dem ein Wert von<br />
1,01 mg/l ermittelt wurde, zur Polizeiinspektion F. bei<br />
N. gebracht. Die Blutentnahme wurde von einem Polizeibeamten<br />
<strong>gegen</strong> 18.30 Uhr angeordnet <strong>und</strong> von<br />
einem Arzt um 18.40 Uhr beziehungsweise 19.04 Uhr<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Rechtsprechung<br />
Die mit einem *) bezeichneten Leitsätze sind von der Schriftleitung formuliert worden.<br />
Seiten 356–376<br />
durchgeführt. Die Proben ergaben eine <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
von 1,69 ‰ <strong>und</strong> 1,56 ‰. Der Führerschein<br />
wurde sichergestellt. Die Beschwerdeführerin<br />
gab an, nach ihrer Fahrt keinen weiteren <strong>Alkohol</strong> zu<br />
sich genommen zu haben.<br />
3. Der Ehemann wurde an diesem Tag <strong>gegen</strong><br />
18.13 Uhr als Zeuge vernommen. Er sagte aus, dass er<br />
wegen der erheblichen Parfümierung zwar keinen<br />
<strong>Alkohol</strong>geruch wahrgenommen, allerdings auffällig<br />
glasige Augen gesehen habe. Er habe daraufhin den<br />
gemeinsamen Sohn nicht an seine Frau übergeben. Er<br />
übergab den Ermittlungsbeamten eine gerichtlich protokollierte<br />
Umgangsvereinbarung vom 10. März 2006,<br />
in der sich die Beschwerdeführerin verpflichtet hatte,<br />
während der Anwesenheit des Kindes keinen <strong>Alkohol</strong><br />
zu sich zu nehmen <strong>und</strong> das Kind auch nicht <strong>im</strong> alkoholisierten<br />
Zustand abzuholen. Außerdem sagte die Beschwerdeführerin<br />
in der Vereinbarung zu, eine <strong>Alkohol</strong>therapie<br />
durchzuführen.<br />
4. Das Amtsgericht Schwabach erließ am 13. Februar<br />
2008 einen Strafbefehl wegen fahrlässiger Trunkenheit<br />
<strong>im</strong> Verkehr. Hier<strong>gegen</strong> legte die Beschwerdeführerin<br />
Einspruch ein.<br />
5. Mit Schriftsatz vom 28. Februar 2008 beantragte<br />
der Verteidiger der Beschwerdeführerin be<strong>im</strong> Amtsgericht<br />
Schwabach die Herausgabe des Führerscheins<br />
sowie die Feststellung, dass die Durchsuchung <strong>und</strong> die<br />
Blutentnahme rechtswidrig gewesen seien. Ferner beantragte<br />
er die Vernichtung der an diesem Tag entnommenen<br />
Blutproben. Die Anträge wurden auf die Verletzung<br />
von Art. 13 GG, Art. 19 Abs. 4 GG <strong>und</strong> Art. 2<br />
Abs. 2 Satz 1 GG gestützt. Der Richtervorbehalt sei<br />
missachtet worden. Gefahr <strong>im</strong> Verzug habe nicht vorgelegen.<br />
Eine entsprechende Dokumentation fehle. Es<br />
habe kein ausreichender Tatverdacht für die Maßnahmen<br />
bestanden. Wegen des schwerwiegenden Verstoßes<br />
<strong>gegen</strong> die genannten Gr<strong>und</strong>rechte bestehe ein Verwertungsverbot.<br />
Im Übrigen habe die Beschwerdeführerin<br />
nach der Fahrt <strong>und</strong> vor dem Eintreffen der<br />
Polizei eine Flasche Rotwein getrunken.<br />
6. Mit Beschluss vom 12. März 2008 entzog das<br />
Amtsgericht Schwabach gemäß § 111a Abs. 1 StPO<br />
vorläufig die Fahrerlaubnis <strong>und</strong> bestätigte die Beschlagnahme<br />
des Führerscheins nach § 111a Abs. 3<br />
StPO. Zugleich wurde die Rechtmäßigkeit der Durchsuchung<br />
<strong>und</strong> der Blutentnahme festgestellt. Der Antrag<br />
auf Vernichtung der Blutproben wurde zurückgewiesen.<br />
a) Nach den bisherigen Ermittlungen bestehe ein<br />
hinreichender Tatverdacht wegen fahrlässiger Trunkenheit<br />
<strong>im</strong> Verkehr. Die Behauptung eines Nachtrunkes<br />
widerspreche den von der Beschwerdeführerin bei<br />
der Entnahme der Blutprobe gemachten Angaben.<br />
b) Gefahr <strong>im</strong> Verzug habe sowohl hinsichtlich der<br />
Durchsuchung als auch der Blutentnahme bestanden.
Wegen der von der Rechtsprechung festgelegten<br />
Grenzwerte für die absolute Fahruntüchtigkeit sei die<br />
exakte <strong>und</strong> zeitnahe Feststellung der <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
von zentraler Bedeutung. Jede Verzögerung<br />
führe insoweit zu Ungenauigkeiten bei der Rückrechnung.<br />
Die richterliche Anordnung habe wegen dieses<br />
Zeitdrucks nicht eingeholt werden können, ohne den<br />
Zweck der Maßnahmen zu gefährden.<br />
c) Eine Dokumentation sei nicht erforderlich gewesen,<br />
da mit der Rechtsprechung des <strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgerichts<br />
von einer solchen abgesehen werden<br />
könne, wenn die Voraussetzungen für die Eilmaßnahmen<br />
offenk<strong>und</strong>ig seien. Dies sei bei Trunkenheitsfahrten<br />
der Fall.<br />
7. Die Beschwerde wurde vom Landgericht Nürnberg-Fürth<br />
mit Beschluss vom 28. April 2008 als unbegründet<br />
verworfen.<br />
a) Ein ausreichender Tatverdacht habe nach dem<br />
Hinweis des Ehemanns der Beschwerdeführerin bestanden.<br />
b) Die Dokumentation des Sachverhalts in den polizeilichen<br />
Vermerken vom 21. <strong>und</strong> 22. Dezember 2008<br />
befinde sich in den Ermittlungsakten <strong>und</strong> sei zeitnah<br />
gefertigt worden.<br />
c) Unmittelbar nach der Anzeige des Ehegatten sei<br />
für die Polizeibeamten noch nicht absehbar gewesen,<br />
dass eine richterliche Anordnung der Durchsuchung<br />
erforderlich werden würde. Die Notwendigkeit einer<br />
Durchsuchung habe sich erst unmittelbar nach Eintreffen<br />
bei der Wohnung <strong>gegen</strong> 17.40 Uhr gestellt, als der<br />
PKW der Beschwerdeführerin aufgef<strong>und</strong>en worden<br />
sei <strong>und</strong> die Beschwerdeführerin die Wohnungstür<br />
nicht geöffnet habe. Zu diesem Zeitpunkt habe die Gefahr<br />
bestanden, dass die Beschwerdeführerin den<br />
Untersuchungserfolg durch einen Nachtrunk gefährden<br />
würde. Diese Gefahr sei offensichtlich gewesen<br />
<strong>und</strong> auch dokumentiert worden.<br />
d) Die Notwendigkeit der Blutentnahme habe sich<br />
erst <strong>gegen</strong> 18.15 Uhr ergeben. Nach dem Atemalkoholtest<br />
musste die Beschwerdeführerin auf die Polizeiinspektion<br />
verbracht werden, wobei aufgr<strong>und</strong> der Fahrtstrecke<br />
von einem Eintreffen in der Polizeiinspektion<br />
<strong>gegen</strong> 18.15 Uhr auszugehen sei. Zu dieser Zeit sei der<br />
Ehemann in seiner Wohnung als Zeuge vernommen<br />
worden. Erst nach Abschluss dieser Vernehmung sei<br />
die Einschätzung des polizeilichen Sachbearbeiters,<br />
dass eine Blutprobe entnommen werden müsse, zu erwarten<br />
gewesen. Zu diesem Zeitpunkt hätte die Einholung<br />
einer richterlichen Anordnung der Blutentnahme<br />
den Ermittlungserfolg gefährdet. Die zeitnahe Blutentnahme<br />
sei generell zur Beweissicherung <strong>im</strong> Interesse<br />
einer effektiven Strafverfolgung erforderlich. Schließlich<br />
weist das Landgericht darauf hin, dass, obwohl<br />
richterliche Anordnungen auch mündlich, telefonisch<br />
oder per Telefax ergehen könnten, eine eigenständige<br />
richterliche Entscheidung in der Regel nur aufgr<strong>und</strong><br />
schriftlicher Unterlagen ergehen dürfe, auf die sich der<br />
Richter in der Prüfung stützen <strong>und</strong> berufen könne. Es<br />
sei dem Richter auch eine angemessene Prüfungszeit<br />
zuzubilligen. Die richterliche Entscheidung sei zudem<br />
gemäß § 34, § 35 Abs. 2 StPO <strong>im</strong> Regelfall schriftlich<br />
Rechtsprechung<br />
357<br />
zu begründen <strong>und</strong> bekannt zu geben. Selbst zur Tageszeit<br />
an einem Wochentag seien damit notwendigerweise<br />
Zeitverzögerungen verb<strong>und</strong>en, die eine nicht<br />
hinnehmbare Verzögerung der Untersuchungshandlung<br />
bedeuteten.<br />
8. Am 20. März 2008 wurde die Beschwerdeführerin<br />
wegen fahrlässiger Trunkenheit <strong>im</strong> Verkehr zu<br />
einer Geldstrafe verurteilt. Die Fahrerlaubnis wurde<br />
entzogen <strong>und</strong> eine Sperrfrist für die Wiedererlangung<br />
der Fahrerlaubnis von sechs Monaten ausgesprochen.<br />
9. In der Berufungsverhandlung vom 21. Oktober<br />
2008 wurde das Strafverfahren mit Zust<strong>im</strong>mung der<br />
Staatsanwaltschaft gemäß § 153a Abs. 2 StPO <strong>gegen</strong><br />
die Zahlung einer Geldauflage vorläufig eingestellt.<br />
Der Beschluss, mit dem die vorläufige Einziehung der<br />
Fahrerlaubnis angeordnet worden war, wurde aufgehoben.<br />
Nach Zahlung der Geldauflage wurde das Verfahren<br />
mit Beschluss vom 08. April 2009 endgültig<br />
eingestellt.<br />
II. Die Beschwerdeführerin beruft sich auf ihre<br />
Gr<strong>und</strong>rechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 13<br />
Abs. 1 <strong>und</strong> Abs. 2 GG sowie aus Art. 19 Abs. 4 GG.<br />
1. Das Landgericht nehme den Tatverdacht aufgr<strong>und</strong><br />
der Aussage des Ehemanns unkritisch an. Der<br />
Richtervorbehalt sei missachtet worden, weil keine<br />
Gefahr <strong>im</strong> Verzug bestanden habe. Es sei nicht einmal<br />
der Versuch unternommen worden, eine richterliche<br />
Entscheidung herbeizuführen. Das Landgericht verkenne,<br />
dass die Dokumentation der Durchsuchung<br />
nicht auf eigenen Beobachtungen der Polizeibeamtin<br />
beruhe, weil diese erst nach Betreten der Wohnung<br />
dort eingetroffen sei. Aufgr<strong>und</strong> der unzureichenden<br />
Dokumentation der Umstände, die das Vorliegen der<br />
Gefahr <strong>im</strong> Verzug begründen könnten, sei die nachträgliche<br />
richterliche Kontrolle erschwert. Unabhängig<br />
von dieser Frage sei die Durchsuchung wegen des<br />
nur schwachen Tatverdachts <strong>und</strong> der Schwere des Eingriffs<br />
nicht zulässig gewesen.<br />
2. Hinsichtlich der Blutentnahme habe ausreichend<br />
Zeit bestanden, eine richterliche beziehungsweise<br />
staatsanwaltschaftliche Weisung zu erholen.<br />
Aus den Gründen:<br />
Die Kammer n<strong>im</strong>mt die Verfassungsbeschwerde zur<br />
Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der<br />
Gr<strong>und</strong>rechte der Beschwerdeführerin angezeigt ist<br />
(§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), <strong>und</strong> gibt ihr teilweise<br />
statt. Zu dieser Entscheidung ist sie berufen,<br />
weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen<br />
bereits durch das <strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgericht entschieden<br />
sind (vgl. BVerfGE 96, 44 ; 103, 142<br />
; BVerfGK 10, 270 [= BA 2008,<br />
71]) <strong>und</strong> die Verfassungsbeschwerde teilweise zulässig<br />
<strong>und</strong> begründet ist (§ 93b Satz 1 i. V. m. § 93c Abs. 1<br />
Satz 1 BVerfGG).<br />
I. 1. Die angegriffenen Entscheidungen der Gerichte<br />
verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Recht<br />
aus Art. 19 Abs. 4 GG, soweit sie das Bestehen der polizeilichen<br />
Eilkompetenz mit einer Begründung angenommen<br />
haben, die den einfachrechtlichen Richtervorbehalt<br />
des § 81a Abs. 2 StPO bei Blutentnahmen<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
358 Rechtsprechung<br />
zur Feststellung der <strong>Blutalkohol</strong>konzentration <strong>im</strong> Regelfall<br />
„leer laufen“ lassen würden. Die Erledigung<br />
des Eingriffs steht dem Rechtsschutzbedürfnis <strong>und</strong><br />
damit der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde<br />
nicht ent<strong>gegen</strong> (vgl. BVerfGK 10, 270 ).<br />
a) Das Recht auf effektiven Rechtsschutz garantiert<br />
bei Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt<br />
den Zugang zu den Gerichten, die Prüfung des Streitbegehrens<br />
in einem förmlichen Verfahren sowie die<br />
verbindliche gerichtliche Entscheidung. Art. 19 Abs. 4<br />
GG umfasst zwar nicht das Recht auf Überprüfung der<br />
richterlichen Entscheidung; sehen die Prozessordnungen<br />
allerdings eine weitere gerichtliche Instanz vor, so<br />
sichert Art. 19 Abs. 4 GG die Effektivität des Rechtsschutzes<br />
auch insoweit (vgl. BVerfGE 107, 395<br />
m. w. N.). Die Gewährleistung effektiven<br />
Rechtsschutzes ist nur dann gegeben, wenn das zur<br />
nachträglichen Überprüfung berufene Gericht die Voraussetzungen<br />
des Exekutivakts vollständig eigenverantwortlich<br />
nachprüft. Jedenfalls soweit das Handeln<br />
der Exekutive auf der Inanspruchnahme einer originär<br />
gerichtlichen Eingriffsbefugnis beruht, erstreckt sich<br />
das Gebot effektiven Rechtsschutzes in diesen Fällen<br />
auch auf Dokumentations- <strong>und</strong> Begründungspflichten<br />
der anordnenden Stelle, die eine umfassende <strong>und</strong><br />
eigenständige nachträgliche gerichtliche Überprüfung<br />
der Anordnungsvoraussetzungen ermöglichen sollen.<br />
Kommt die anordnende Stelle diesen Pflichten nicht<br />
nach oder lässt das überprüfende Gericht den gerichtlichen<br />
Rechtsschutz „leer laufen“, indem es dem Betroffenen<br />
eine eigene Sachprüfung versagt, kann dies<br />
eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG begründen (vgl.<br />
BVerfGE 103, 142 ; BVerfGK 2, 310 ;<br />
10, 270 ; 12, 374 ). Diese Maßstäbe<br />
gelten gr<strong>und</strong>sätzlich auch für Maßnahmen, die nicht –<br />
wie die Wohnungsdurchsuchung – einem verfassungsrechtlichen,<br />
sondern nur einem einfach-gesetzlichen<br />
Richtervorbehalt unterliegen (vgl. BVerfGK 5, 74<br />
; 10, 270 ; 12, 374 ).<br />
Auch <strong>im</strong> Fall der Blutentnahme nach § 81a Abs. 1<br />
<strong>und</strong> Abs. 2 StPO muss eine effektive nachträgliche<br />
Kontrolle der nichtrichterlichen Eilanordnung gewährleistet<br />
sein (vgl. BVerfGK 10, 270 ; 12, 374<br />
). Nach § 81a Abs. 2 StPO steht die Anordnung<br />
der Blutentnahme gr<strong>und</strong>sätzlich dem Richter zu<br />
(vgl. BVerfGK 10, 270 ). Der Richtervorbehalt<br />
zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der konkreten<br />
strafprozessualen Maßnahme durch eine unabhängige<br />
<strong>und</strong> neutrale Instanz (vgl. BVerfGE 96, 44 ;<br />
103, 142 ; BVerfGK 10, 270 ). Die Ermittlungsbehörden<br />
müssen zunächst regelmäßig versuchen,<br />
eine Anordnung des zuständigen Richters zu<br />
erlangen, bevor sie selbst eine Blutentnahme anordnen.<br />
Nur bei Gefährdung des Untersuchungserfolgs<br />
durch die mit der Einholung einer richterlichen Entscheidung<br />
einhergehenden Verzögerung besteht auch<br />
eine Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft<br />
<strong>und</strong> – nachrangig – ihrer Ermittlungspersonen (vgl.<br />
BVerfGK 10, 270 ). Die Gefahrenlage muss<br />
dann mit auf den Einzelfall bezogenen Tatsachen begründet<br />
werden, die in den Ermittlungsakten zu doku-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
mentieren sind, sofern die Dringlichkeit nicht evident<br />
ist (vgl. BVerfGK 10, 270 ).<br />
b) Die Fachgerichte haben den Prüfungsauftrag<br />
nicht in einer diesen Anforderungen gerecht werdenden<br />
Weise wahrgenommen. Insbesondere das Landgericht<br />
erschöpft die Prüfung <strong>im</strong> Wesentlichen mit der<br />
Darlegung seiner generalisierenden Rechtsauffassung<br />
zur Gefährdung der Beweissicherung bei der Feststellung<br />
der <strong>Blutalkohol</strong>konzentration. Die weitere Annahme<br />
des Landgerichts, dass richterliche Eilentscheidungen<br />
generell nur nach Vorlage schriftlicher<br />
Unterlagen getroffen werden könnten <strong>und</strong> dass diese<br />
wegen des zur Prüfung des Sachverhalts sowie zur Erstellung<br />
des Beschlusses notwendigen Zeitraums<br />
zwangsläufig mit der Gefährdung des Untersuchungszwecks<br />
einhergingen, würde dazu führen, dass Entscheidungen<br />
des Ermittlungsrichters zur Blutentnahme<br />
bei Verdacht auf Trunkenheit <strong>im</strong> Verkehr in der<br />
überwiegenden Zahl der Fälle nicht mehr eingeholt<br />
werden würden. Der Richtervorbehalt in § 81a Abs. 2<br />
StPO würde bei rein abstrakter Best<strong>im</strong>mung der Gefährdungslage<br />
<strong>im</strong> Regelfall bedeutungslos werden.<br />
Dies wird weder der gesetzlichen Intention noch der<br />
Bedeutung des Richtervorbehalts für den Gr<strong>und</strong>rechtsschutz<br />
des Einzelnen gerecht (vgl. dazu OLG Stuttgart,<br />
Beschluss vom 26. November 2007 – 1 Ss 532/07 –,<br />
NStZ 2008, S. 238 [= BA 2008, 76]; Thüringer Oberlandesgericht,<br />
Beschluss vom 25. November 2008<br />
– 1 Ss 230/08 –, juris Rn. 18 ff. [= BA 2009, 214];<br />
OLG Bamberg, Beschluss vom 19. März 2009 – 2 Ss<br />
15/09 –, NJW 2009, S. 2146 [= BA 2009,<br />
217]; OLG Hamm, Beschluss vom 28. April 2009<br />
– 2 Ss 117/09 –, juris Rn. 17 ff.; OLG Karlsruhe, Beschluss<br />
vom 02. Juni 2009 – 1 Ss 183/08 –, StV 2009,<br />
S. 516 [= BA 2009, 422]; OLG Celle, Beschluss<br />
vom 06. August 2009 – 32 Ss 94/09 –, NJW<br />
2009, S. 3524 [= BA 2009, 416]; OLG Celle,<br />
Beschluss vom 15. September 2009 – 322 SsBs 197/09 –,<br />
juris Rn. 9 ff. [= BA 2009, 419]; OLG Oldenburg, Beschluss<br />
vom 12. Oktober 2009 – 2 SsBs 149/09 –,<br />
NJW 2009, S. 3591 ; OLG Frankfurt, Beschluss<br />
vom 14. Oktober 2009 – 1 Ss 310/09 –, juris<br />
Rn. 8 [= BA 2010, 30]; a. A.: LG Hamburg, Beschluss<br />
vom 12. November 2007 – 603 Qs 470/07 –, NZV<br />
2008, S. 213 [= BA 2008, 217]). Die Gefährdung<br />
des Untersuchungserfolgs durch die vorherige<br />
Einholung einer richterlichen Anordnung ist daher<br />
in jedem Einzelfall konkret zu überprüfen <strong>und</strong> festzustellen.<br />
c) Die Beschwerdeführerin hat ihrerseits hinreichend<br />
substantiiert vorgetragen, dass eine Gefährdung<br />
des Untersuchungserfolgs bei Einholung einer richterlichen<br />
Anordnung nicht zu befürchten gewesen wäre.<br />
Die Gerichte hätten dieses konkrete Vorbringen würdigen<br />
müssen.<br />
aa) Die Annahme des Landgerichts, dass sich die<br />
Notwendigkeit der Blutentnahme erst nach der Zeugenaussage<br />
des Ehemannes <strong>und</strong> dem Eintreffen auf<br />
der Polizeiinspektion <strong>gegen</strong> 18.15 Uhr gezeigt habe,<br />
lässt wesentliche Tatsachen außer Acht. Das Gericht<br />
prüft nicht, ob von dem Ermittlungsrichter eine kurze
schriftliche Entscheidung unter Einschaltung der<br />
Staatsanwaltschaft auch ohne schriftliche Antragsunterlagen<br />
in einem angemessenen Zeitraum hätte erwartet<br />
werden können <strong>und</strong> abgewartet werden müssen.<br />
Die Erforderlichkeit der Blutentnahme stellte sich bereits<br />
unmittelbar nach dem Atemalkoholtest <strong>gegen</strong><br />
17.55 Uhr heraus. Auf die Zeugenvernehmung des<br />
Ehemanns kam es zu diesem Zeitpunkt nicht mehr entscheidend<br />
an, da sich der Tatverdacht bereits aus dessen<br />
Anruf bei der Polizeiinspektion <strong>und</strong> dem Atemalkoholtest<br />
ergeben hatte. Von diesem Zeitpunkt an bis<br />
zur Anordnung der Blutentnahme <strong>gegen</strong> 18.30 Uhr<br />
<strong>und</strong> deren Durchführung <strong>gegen</strong> 18.40 Uhr hätte<br />
ausreichend Zeit für den Versuch bestanden, eine richterliche<br />
Anordnung oder zumindest eine staatsanwaltschaftliche<br />
Weisung zu erhalten, ohne den Ermittlungserfolg<br />
zu gefährden.<br />
bb) Das Gericht prüft auch nicht, ob der Zeitraum<br />
zwischen 17.55 Uhr <strong>und</strong> 18.30 Uhr für den Ermittlungsrichter<br />
ausgereicht hätte, um eine eigenständige<br />
Prüfung des Sachverhalts durchzuführen, einen kurzen<br />
Beschluss zu verfassen <strong>und</strong> diesen zu übermitteln. Im<br />
Gegensatz zu einer Durchsuchung sind die zu prüfenden<br />
tatsächlichen <strong>und</strong> rechtlichen Fragen bei § 81a<br />
StPO be<strong>im</strong> Verdacht einer alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit<br />
in der Regel weniger komplex. Im vorliegenden<br />
Fall gilt dies insbesondere für die Beurteilung<br />
des Tatverdachts, nachdem bereits ein Atemalkoholwert<br />
<strong>und</strong> ein klares Ermittlungsbild vorlag, aber auch<br />
für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit. In Ausnahmefällen<br />
kann die Anordnung durch den Richter auch lediglich<br />
mündlich erfolgen (vgl. BVerfG, Beschluss der<br />
3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Juli 2007 –<br />
2 BvR 2267/06 –, juris). Ferner dürfte davon auszugehen<br />
sein, dass an einem Werktag zur Tagzeit noch ein<br />
Ermittlungsrichter, zumindest aber noch ein richterlicher<br />
Eil- oder Notdienst <strong>im</strong> Bezirk des Landgerichts<br />
Nürnberg-Fürth zu erreichen gewesen sein wäre (vgl.<br />
BVerfGE 103, 142 ; BVerfGK 9, 287 ).<br />
Ob in diesem Einzelfall gleichwohl eine erhebliche<br />
Verzögerung durch die Einholung einer richterlichen<br />
Anordnung hätte eintreten können (z. B. wegen vorrangiger<br />
Eilentscheidungen), kann nicht beurteilt werden,<br />
da die Beamten schon keinen Versuch unternommen<br />
haben, einen richterlichen Beschluss einzuholen.<br />
cc) In den Entscheidungen wird auch nicht thematisiert,<br />
ob die Ermittlungsbehörden sich zunächst um<br />
eine richterliche Entscheidung <strong>und</strong> nachrangig um<br />
eine staatsanwaltschaftliche Weisung bemühen mussten.<br />
In den Ermittlungsakten, insbesondere in dem<br />
Vermerk des Polizeibeamten zur Blutentnahme vom<br />
11. Januar 2008, aber auch in den Vermerken vom 21.<br />
<strong>und</strong> 22. Dezember 2007 finden sich keine Hinweise<br />
darauf, dass solche Versuche unternommen worden<br />
sind. Von der Evidenz der Gefährdungslage <strong>und</strong> damit<br />
der Entbehrlichkeit der Dokumentation kann in Anbetracht<br />
des zur Verfügung stehenden Zeitrahmens <strong>und</strong><br />
des ermittelten Atemalkoholwerts, der nicht in der<br />
Nähe eines „Grenzwerts“ lag, nicht ausgegangen werden.<br />
Ein Nachtrunk war zu diesem Zeitpunkt nicht behauptet<br />
<strong>und</strong> auch nicht mehr zu befürchten, da sich die<br />
Rechtsprechung<br />
359<br />
Beschwerdeführerin bis zur Blutentnahme in der Kontrolle<br />
der Ermittlungsbehörden befand (vgl. BVerfG,<br />
Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom<br />
21. Januar 2008 – 2 BvR 2307/07 –, juris Rn. 6).<br />
Von Verfassungs wegen ist sicherzustellen, dass die<br />
Fachgerichte den ihnen vorliegenden Einzelfall prüfen<br />
<strong>und</strong> nicht aus generellen Erwägungen den Richtervorbehalt<br />
„leer laufen“ lassen. Die Gerichte haben mit der<br />
Weigerung, die Anordnungskompetenz der Ermittlungspersonen<br />
konkret zu überprüfen, der Beschwerdeführerin<br />
den effektiven Rechtsschutz durch eine eigene<br />
Sachprüfung versagt. Es kann wegen diesem<br />
Verstoß <strong>gegen</strong> Art. 19 Abs. 4 GG dahinstehen, ob die<br />
Fachgerichte daneben die Bedeutung von Art. 2 Abs. 2<br />
Satz 1 GG verkannt haben (vgl. BVerfGK 10,<br />
270 ).<br />
2. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit<br />
die gerichtlichen Entscheidungen wegen der vorläufigen<br />
Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a<br />
Abs. 1 Satz 1 StPO <strong>und</strong> der Bestätigung der Beschlagnahme<br />
des Führerscheins nach § 111a Abs. 3 Satz 1<br />
StPO angegriffen werden. Die Beschwerdeführerin hat<br />
nicht vorgetragen, wieso die Voraussetzungen für diese<br />
Maßnahmen nicht vorgelegen haben. Ihre tatsächlichen<br />
<strong>und</strong> rechtlichen Ausführungen beschränken sich<br />
allein auf die Rechtswidrigkeit der Durchsuchung <strong>und</strong><br />
der Blutentnahme. Die rechtlichen <strong>und</strong> tatsächlichen<br />
Anforderungen der §§ 81a, 102 ff. StPO <strong>und</strong> des<br />
§ 111a StPO decken sich keineswegs. Das Vorliegen<br />
eines Beweisverwertungsverbotes wird von der Beschwerdeführerin<br />
lediglich behauptet, ohne sich mit<br />
der Rechtsprechung der Fachgerichte <strong>und</strong> des <strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgerichts<br />
(vgl. BVerfG, Beschluss der<br />
2. Kammer des Zweiten Senats vom 28. Juli 2008<br />
– 2 BvR 784/08 –, NJW 2008, S. 3053 m. w. N. [= BA<br />
2008, 386]) auseinanderzusetzen.<br />
3. Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet, soweit<br />
es um die Durchsuchung der Wohnung der Beschwerdeführerin<br />
geht.<br />
Ein Tatverdacht <strong>im</strong> Sinne von § 102 StPO hat nach<br />
Aktenlage unzweifelhaft vorgelegen. Es ist verfassungsrechtlich<br />
auch nicht zu beanstanden, wenn das<br />
Landgericht davon ausgeht, dass sich die Notwendigkeit<br />
der Durchsuchung erst zu dem Zeitpunkt gestellt<br />
habe, als das Auto der Beschwerdeführerin vor dem<br />
Anwesen aufgef<strong>und</strong>en wurde <strong>und</strong> sie die Wohnung<br />
nicht freiwillig öffnete. Nach dem Anruf des Ehemanns<br />
war für die Ermittlungsbeamten noch nicht ersichtlich,<br />
ob die Beschwerdeführerin überhaupt in<br />
ihrer Wohnung angetroffen werden könne <strong>und</strong> inwieweit<br />
sie sich kooperativ verhalten werde. Die Annahme<br />
des Vorliegens der Gefahr <strong>im</strong> Verzug durch das<br />
Landgericht lässt keine Willkür erkennen, denn durch<br />
die Einholung einer richterlichen Anordnung oder<br />
einer staatsanwaltschaftlichen Weisung hätte sich notwendigerweise<br />
eine zeitliche Verzögerung – sei es<br />
auch nur von wenigen Minuten – ergeben. In diesem<br />
kurzen Zeitfenster hätte die Beschwerdeführerin mit<br />
einen Nachtrunk, wie dies auch später durch den Verteidiger<br />
geltend gemacht wurde, den Ermittlungszweck<br />
gefährden können. Die Vorgehensweise der Er-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
360 Rechtsprechung<br />
mittlungsbeamten ist auch in einer Weise dokumentiert<br />
worden, die eine umfassende gerichtliche Überprüfung<br />
ermöglicht hat. Der Vermerk der Polizeibeamten<br />
ist zeitnah zu der Maßnahme gefertigt worden,<br />
nämlich am 22. Dezember 2008. Dass die Verfasserin<br />
des Vermerks erst nach Betreten der Wohnung durch<br />
die ersten Polizeibeamten dort eintraf, ist für die Beurteilung<br />
dieser Frage unerheblich. Es ist nicht erforderlich,<br />
dass jeder an einer Maßnahme beteiligte Polizeibeamte<br />
seine Wahrnehmungen persönlich schriftlich<br />
niederlegt. Insoweit ist es für die gerichtliche Überprüfung<br />
ausreichend, wenn diese von einem Beamten zusammenfassend<br />
dargestellt werden. Aus dieser Dokumentation<br />
geht zwar nicht hervor, ob die<br />
Kontaktaufnahme zu einem Ermittlungsrichter oder<br />
einem Staatsanwalt überhaupt versucht wurde. Eine<br />
detaillierte Dokumentation zu dieser Frage war auch<br />
entbehrlich, weil die Dringlichkeit der Maßnahme offenk<strong>und</strong>ig<br />
war (vgl. BVerfGK 2, 310 ; 5, 74<br />
; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten<br />
Senats vom 23. Juli 2007 – 2 BvR 2267/06 –, juris). Es<br />
handelte sich um einen einfachen Sachverhalt, bei dem<br />
sich die tatsächlichen Anhaltspunkte für den Tatverdacht,<br />
der Ablauf der Maßnahmen <strong>und</strong> die Umstände,<br />
die den Eilfall begründeten, aus der Dokumentation ergeben.<br />
An der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme bestehen<br />
keine Zweifel.<br />
4. Soweit die Beschwerdeführerin die Vernichtung<br />
der Blutproben beantragt, ist die Verfassungsbeschwerde<br />
offensichtlich unbegründet. Der Verstoß<br />
<strong>gegen</strong> § 81a StPO gebietet es nicht zwingend, ein Verwertungsverbot<br />
hinsichtlich des gewonnenen Beweismittels<br />
anzunehmen (vgl. BVerfG, Beschluss der<br />
2. Kammer des Zweiten Senats vom 28. Juli 2008<br />
– 2 BvR 784/08 –, NJW 2008, S. 3053). Dies ist <strong>im</strong><br />
Einzelfall von dem dafür zuständigen Strafgericht zu<br />
prüfen (BVerfGK 10, 270 ). Die Aufbewahrung<br />
der Blutproben gemäß § 81a Abs. 3 StPO bis zum Abschluss<br />
des Strafverfahrens begegnet keinen verfassungsrechtlichen<br />
Bedenken.<br />
60. Ist bei der Messung des <strong>Alkohol</strong>s in der<br />
Atemluft die Kontrollzeit von 10 Minuten nicht eingehalten,<br />
weil sich in der M<strong>und</strong>höhle eine Fremdsubstanz<br />
befand, kann das Messergebnis gleichwohl<br />
verwertbar sein, wenn der Grenzwert von<br />
0,25 mg/l nicht unerheblich (etwa 20 %) überschritten<br />
ist <strong>und</strong> ein Sicherheitsabschlag vorgenommen<br />
wird. In diesen Fällen bedarf es der Hinzuziehung<br />
eines Sachverständigen (abweichend<br />
von OLG Hamm, Beschluss vom 24. Januar 2008,<br />
2 Ss OWi 37/08, VRS 114, 292 [= BA 2008, 198]).<br />
Oberlandesgericht Stuttgart,<br />
Beschluss vom 02. Juli 2010 – 4 Ss 369/10 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Das Amtsgericht verhängte <strong>gegen</strong> den Betroffenen<br />
wegen einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit des Ver-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
stoßes <strong>gegen</strong> die 0,5 Promille-Grenze eine Geldbuße<br />
von 1.200 € <strong>und</strong> setzte ein Fahrverbot von 3 Monaten<br />
fest. Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene<br />
am 20. August 2009 <strong>gegen</strong> 1.55 Uhr mit seinem PKW<br />
in … die … Straße. Er hätte erkennen können, dass<br />
er in Folge vorangegangenen <strong>Alkohol</strong>konsums eine<br />
<strong>Alkohol</strong>menge <strong>im</strong> Körper hatte, die das <strong>im</strong> Straßenverkehr<br />
zulässige Maß von 0,25 mg/l überschritten<br />
hatte. Zwei Atemalkoholmessungen, durchgeführt um<br />
2.22 Uhr <strong>und</strong> 2.25 Uhr, ergaben Konzentrationen von<br />
0,301 mg/l <strong>und</strong> von 0,297 mg/l.<br />
Der Betroffene hat eingeräumt, <strong>Alkohol</strong> vor der<br />
Fahrt zu sich genommen zu haben, jedoch in geringem<br />
Maße. Während der Fahrt <strong>und</strong> der gesamten Kontrolle<br />
habe er einen Kaugummi <strong>im</strong> M<strong>und</strong> gehabt. Dies stelle<br />
– so das Amtsgericht – jedoch die Richtigkeit der Messergebnisse<br />
nicht in Frage. Zwar sei es nach der Aussage<br />
des Polizeibeamten, der die Kontrolle durchgeführt<br />
habe, bereits fraglich, ob der Betroffene tatsächlich<br />
während der Kontrolle <strong>und</strong> bei Durchführung<br />
der Messungen einen Kaugummi <strong>im</strong> M<strong>und</strong> gehabt<br />
habe. Jedenfalls habe der Zeuge ausschließen können,<br />
dass der Betroffene gekaut habe. Das Amtsgericht hält<br />
auf der Gr<strong>und</strong>lage dieser Angaben die Messungen für<br />
verwertbar. Hierzu hat es einen Sachverständigen gehört,<br />
dem es folgt. Es legt hierzu dar:<br />
„Der Sachverständige führte aus, dass, die Richtigkeit<br />
der Angaben des Betroffenen unterstellt, zwar<br />
die Durchführungsbedingungen für das ALCO-<br />
TEST-Messgerät Dräger nicht eingehalten seien, da<br />
in den letzten 10 Minuten vor der Durchführung der<br />
Messung keine fremde Substanz in die M<strong>und</strong>höhle<br />
gelangt sein dürfe, dies jedoch vorliegend nicht zu<br />
einer Verfälschung des Messergebnisses führe, das<br />
außerhalb der erlaubten Messschwankungsbreiten<br />
liegt. Derartige Verfälschungen seien bislang bei<br />
keiner der untersuchten Fremdsubstanzen festgestellt<br />
worden. Zwar sei zu berücksichtigen, dass die<br />
Untersuchungen zum Einfluss von Fremdsubstanzen<br />
in der M<strong>und</strong>höhle bei Atemalkoholmessungen<br />
bislang überwiegend bei alkoholnüchternen Probanden<br />
durchgeführt worden seien, so dass bei bereits<br />
alkoholisierten Probanden unter Umständen<br />
eine Zuordnung geringfügig abweichender Werte<br />
zu unvermeidbaren Messfehlerschwankungen oder<br />
durch die Fremdsubstanz verursachten Verfälschungen<br />
nicht sicher erfolgen könne, jedoch sei von Abweichungen<br />
von max<strong>im</strong>al 0,02 mg/l auszugehen.<br />
Eine solche Abweichung sei lediglich bei Untersuchungen<br />
nach dem Konsum eines ,Fishermans’s<br />
Friend‘-Bonbons festgestellt worden; bei sämtlichen<br />
anderen Fremdsubstanzen wie Kaugummis<br />
<strong>und</strong> Lutschbonbons sei es zu keinen Verfälschungen<br />
gekommen. Der Sachverständige führte überdies<br />
aus, dass sich be<strong>im</strong> bloßen Lutschen an einem Kaugummi<br />
oder einem Bonbon weitaus weniger<br />
Fremdsubstanzen in der M<strong>und</strong>höhle lösten, als dies<br />
be<strong>im</strong> Kauen der Fall sei. Nach den Ergebnissen der<br />
wissenschaftlichen Untersuchungen sei daher vorliegend<br />
unter Zugr<strong>und</strong>elegung der Aussage des<br />
Zeugen … von keiner Beeinflussung des Messer-
gebnisses be<strong>im</strong> Betroffenen auszugehen. Die Trinkeinlassung<br />
des Betroffenen passe überdies mit der<br />
festgestellten Atemalkoholkonzentration keinesfalls<br />
zusammen. Würde sie st<strong>im</strong>men, sei bei der<br />
Messung ein Ergebnis von 0,1 bis max<strong>im</strong>al 0,2 Promille<br />
zu erwarten gewesen. Insgesamt bezeichnete<br />
der Sachverständige daher die Einlassung des Betroffenen<br />
als unst<strong>im</strong>mig.“<br />
Der Betroffene hat <strong>gegen</strong> diese Entscheidung<br />
Rechtsbeschwerde eingelegt, die er mit der Verletzung<br />
sachlichen Rechts begründet. Insbesondere macht er<br />
geltend, die Messung sei infolge Nichteinhaltung der<br />
Kontrollzeit von 10 Minuten unverwertbar.<br />
Die Generalstaatsanwaltschaft hat sich dem Vorbringen<br />
des Verteidigers angeschlossen <strong>und</strong> die Aufhebung<br />
des Urteils <strong>und</strong> Freispruch des Betroffenen durch<br />
das Rechtsbeschwerdegericht beantragt.<br />
Aus den Gründen:<br />
Das Rechtsmittel ist unbegründet.<br />
1. Gemäß § 24a Abs. 1 <strong>und</strong> 3 StVG handelt ordnungswidrig,<br />
wer <strong>im</strong> Straßenverkehr fahrlässig ein<br />
Kraftfahrzeug führt, obwohl er 0,25 mg/l oder mehr<br />
<strong>Alkohol</strong> in der Atemluft hat. Für die Verwertbarkeit<br />
einer Atemalkoholmessung ist wesentlich die Einhaltung<br />
der sog. Kontrollzeit von 10 Minuten vor der<br />
Messung. Während dieser Zeit darf der Betroffene<br />
keine die Messung möglicherweise beeinflussenden<br />
Substanzen zu sich nehmen oder mit ihnen umgehen.<br />
Dazu gehört neben Essen, Trinken <strong>und</strong> Rauchen auch<br />
die Anwendung von M<strong>und</strong>wasser, Spray u. a. (so<br />
Schoknecht, Beweissicherheit der Atemalkoholanalyse;<br />
Gutachten des <strong>B<strong>und</strong></strong>esges<strong>und</strong>heitsamtes, 1992,<br />
S. 12). Wird neben anderen Bedingungen wie insbesondere<br />
der Einhaltung der Wartezeit von 20 Minuten<br />
zwischen Trinkende <strong>und</strong> Beginn der Messung die<br />
Kontrollzeit eingehalten, bedarf es keines Sicherheitsabschlages<br />
vom Ergebnis der Messung (BGHSt 46,<br />
358, 367 [= BA 2001, 280]).<br />
Die Frage, wie zu verfahren ist, wenn die Kontrollzeit<br />
nicht eingehalten wird, wird unterschiedlich beurteilt.<br />
Nach Ansicht des OLG Hamm (VRS 114, 292,<br />
294 [= BA 2008, 198]) ist die Messung insgesamt unverwertbar<br />
<strong>und</strong> kann nicht etwa mit einem Sicherheitsabschlag<br />
verwertet werden. Das OLG Bamberg (BA<br />
2008, 197) schließt sich dem jedenfalls für den Fall an,<br />
in dem der Grenzwert gerade erreicht ist (in dem zugr<strong>und</strong>eliegenden<br />
Fall 0,253 mg/l). Der Senat hält<br />
ebenso wie in dem Fall, in dem die Wartezeit von 20<br />
Minuten nicht eingehalten ist, eine generelle Unverwertbarkeit<br />
der Messung für nicht angezeigt. Bei jener<br />
Fallgruppe wird eine Unverwertbarkeit dann nicht angenommen,<br />
wenn der gemessene Atemalkoholwert<br />
weit (etwa 20 %) über dem Grenzwert liegt. In diesem<br />
Fall sei durch Einholung eines Sachverständigengutachtens<br />
zu klären, ob die mit der Nichteinhaltung der<br />
Wartezeit verb<strong>und</strong>enen Schwankungen der Messwerte<br />
durch einen Sicherheitsabschlag ausgeglichen werden<br />
können (so etwa OLG Celle NZV 2004, 318 [= BA<br />
2004, 167]; OLG Karlsruhe VRS 107, 52 [= BA 2004,<br />
467] <strong>und</strong> NStZ-RR 2006, 250 [= BA 2006, 410]; Hent-<br />
Rechtsprechung<br />
361<br />
schel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht, 40. Auflage,<br />
§ 24a StVG Rn 16a). Aus dem Gutachten von Schoknecht<br />
(a. a. O.) ergibt sich nicht, dass die Messung in<br />
jedem Fall unverwertbar ist, wenn die Kontrollzeit von<br />
10 Minuten nicht eingehalten worden ist. Hierdurch<br />
soll lediglich ausgeschlossen werden, dass der Proband<br />
keine die Messung möglicherweise beeinflussenden<br />
Substanzen zu sich genommen hat. Beispielhaft<br />
werden M<strong>und</strong>wasser <strong>und</strong> Spray genannt (in denen alkoholische<br />
Substanzen enthalten sein können). Hieraus<br />
folgt, dass die Messungen <strong>im</strong> Einzelfall trotz<br />
Nichteinhaltung der Kontrollzeit aussagekräftig sein<br />
können. Da die Bedingung der Einhaltung der Kontrollzeit<br />
nicht eingehalten worden ist, ist allerdings<br />
ebenso wie bei der Nichteinhaltung der Wartezeit ein<br />
Sicherheitsabschlag vorzunehmen (vgl. BGH a. a. O.).<br />
Eine Verwertbarkeit der Messungen wird daher nur<br />
dann in Betracht kommen, wenn der Grenzwert des<br />
§ 24a Abs. 1 StVG nicht nur geringfügig überschritten<br />
worden ist, weshalb eine Verwertbarkeit in den Fällen<br />
des OLG Bamberg (aaO) <strong>und</strong> des OLG Karlsruhe<br />
(VRS 107, 52) ausscheidet (dortige Werte 0,253 <strong>und</strong><br />
0,260 mg/l). Der weitergehenden Ansicht des OLG<br />
Hamm (a. a. O.) folgt der Senat nicht. Um diese Fragen<br />
zu klären, bedarf es der Hinzuziehung eines Sachverständigen,<br />
der sich auch zu Höhe des Sicherheitsabschlages<br />
zu äußern hat.<br />
2. Unter Zugr<strong>und</strong>elegung dieser Maßstäbe sind die<br />
Messergebnisse verwertbar. Nach den Feststellungen<br />
des Amtsgerichts ergaben die um 2.22 Uhr <strong>und</strong> 2.25<br />
Uhr erhobenen Messungen Atemalkoholkonzentrationen<br />
von 0,301 mg/l <strong>und</strong> 0,297 mg/l, <strong>im</strong> Schnitt somit<br />
0,299 mg/l. Der Grenzwert von 0,25 mg/l ist somit<br />
nicht nur geringfügig, sondern um etwa 20 % überschritten.<br />
Deshalb ist der Weg eröffnet, mit Hilfe eines<br />
Sachverständigen die Messungen für zuverlässig einzuschätzen.<br />
Dem ist das Amtsgericht vorliegend nachgekommen.<br />
Aus den Ausführungen des Sachverständigen<br />
kann in nachvollziehbarer Weise gefolgert<br />
werden, warum die Proben gleichwohl verwertbar<br />
sind. Der Sicherheitsabschlag von 0,02 mg/l ist angemessen.<br />
Damit liegt kein Verwertungsverbot vor.<br />
3. Einer Vorlage der Sache an den <strong>B<strong>und</strong></strong>esgerichtshof<br />
gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V. m. § 121<br />
Abs. 2 GVG bedarf es nicht, da die Aussage des OLG<br />
Hamm, die Messung sei in diesen Fällen generell unverwertbar,<br />
nicht tragend ist; es handelte sich um einen<br />
Hinweis für die neue Hauptverhandlung. Von der Entscheidung<br />
des OLG Bamberg weicht der Senat nicht<br />
ab, da dieser ein anders gelagerter Sachverhalt (niedrigerer<br />
Messwert) zugr<strong>und</strong>e liegt.<br />
61. 1. Die 3-Jahres-Frist des § 69a Abs. 3 StGB<br />
berechnet sich ab Rechtskraft der die frühere Sperre<br />
anordnenden Entscheidung.<br />
*) 2. Ist die Ungeeignetheit zum Führen von<br />
Kraftfahrzeugen i. S. d. § 69 Abs. 1 StGB auf einen<br />
Charaktermangel zurückzuführen, so stehen Straf<strong>und</strong><br />
Maßregelausspruch gr<strong>und</strong>sätzlich in einer so<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
362 Rechtsprechung<br />
engen <strong>gegen</strong>seitigen Abhängigkeit, dass sich ein Angriff<br />
<strong>gegen</strong> die Anordnungen nach §§ 69, 69a StGB<br />
auch auf die Strafzumessung erstreckt. Etwas anderes<br />
kann allenfalls dann gelten, wenn der Anordnung<br />
ein Regelbeispiel <strong>im</strong> Sinne des § 69 Abs. 2<br />
StGB zu Gr<strong>und</strong>e liegt, bei dem aufgr<strong>und</strong> der verwirklichten<br />
Straftat ohne weiteres von der Ungeeignetheit<br />
zum Führen von Kraftfahrzeugen auszugehen<br />
ist.<br />
Thüringer Oberlandesgericht,<br />
Beschluss vom 27. November 2009 – 1 Ss 314/09 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Das Amtsgericht Gera verurteilte die Angeklagte<br />
am 21. 01. 2009 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne<br />
Fahrerlaubnis in 2 Fällen, begangen am 29. <strong>und</strong><br />
31.10. 2008, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Monaten,<br />
setzte die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur<br />
Bewährung aus <strong>und</strong> wies die Verwaltungsbehörde an,<br />
eine neue Fahrerlaubnis nicht vor Ablauf von 12 Monaten<br />
zu erteilen.<br />
Die Fahrerlaubnis war der Angeklagten bereits<br />
durch Urteil des Amtsgerichts Gera vom 28. 01. 2008,<br />
durch das sie wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort<br />
in Tatmehrheit mit Vortäuschen einer Straftat zu<br />
einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen verurteilt worden<br />
war, entzogen worden. In diesem früheren Urteil war<br />
eine Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis<br />
von 6 Monaten angeordnet worden. Diese frühere<br />
Verurteilung ist seit dem 27. 01. 2009 rechtskräftig.<br />
Die form- <strong>und</strong> fristgerecht eingelegte Berufung der<br />
Angeklagten <strong>gegen</strong> das Urteil des Amtsgerichts Gera<br />
vom 21.01. 2009 verwarf die 7. Strafkammer des<br />
Landgerichts Gera durch Urteil vom 29. 07. 2009.<br />
In der Berufungshauptverhandlung vor dem Landgericht<br />
Gera am 29. 07. 2009 hatte die Angeklagte die<br />
Berufung mit Zust<strong>im</strong>mung der Staatsanwaltschaft auf<br />
den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.<br />
Mit ihrer form- <strong>und</strong> fristgerecht eingelegten <strong>und</strong> begründeten<br />
Revision, mit der sie die Aufhebung des Berufungsurteils<br />
<strong>und</strong> die Zurückverweisung an das Landgericht<br />
erstrebt, rügt die Angeklagte die Verletzung<br />
materiellen Rechts, <strong>und</strong> führt dies bezüglich einer<br />
angeblich fehlerhaften Anwendung des § 69a StGB<br />
näher aus.<br />
Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft beantragt<br />
in ihrer Stellungnahme vom 16.11. 2009, die Revision<br />
als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.<br />
Aus den Gründen:<br />
Die Revision ist zulässig <strong>und</strong> in der Sache – zumindest<br />
vorläufig – erfolgreich.<br />
Die Strafkammer ist zu Recht von einer wirksamen<br />
Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch<br />
ausgegangen <strong>und</strong> hat deshalb allein über die<br />
Rechtsfolgenseite entschieden. Diese Entscheidung<br />
hält rechtlicher Überprüfung jedoch nicht stand.<br />
Das Landgericht hat die Dauer der Sperre für die Erteilung<br />
einer neuen Fahrerlaubnis nach § 69a StGB<br />
u. a. damit begründet, dass das Mindestmaß der Sperre<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
gem. § 69a Abs. 3 StGB ein Jahr betrage. Dazu wird<br />
näher ausgeführt, dass aufgr<strong>und</strong> des Urteils des Amtsgerichts<br />
Gera vom 28. 01.2008 <strong>gegen</strong> die Angeklagte<br />
bereits einmal eine Sperre für die Erteilung der Fahrerlaubnis<br />
angeordnet worden sei. Dass die Rechtskraft<br />
dieser Entscheidung erst am 27. 01.2009 <strong>und</strong> damit<br />
nach den beiden hier verfahrens<strong>gegen</strong>ständlichen<br />
Taten eingetreten sei, sei unerheblich.<br />
Dem folgt der Senat nicht. Nach ganz herrschender<br />
Auffassung, der sich der Senat anschließt, berechnet<br />
sich die 3-Jahres-Frist des § 69a Abs. 3 StGB ab<br />
Rechtskraft der die frühere Sperre anordnenden Entscheidung<br />
(siehe etwa LK-Geppert, StGB, 12. Aufl.,<br />
§ 69a Rn. 33 unter Hinweis auf § 69a Abs. 5 Satz 1<br />
StGB; MünchKomm-Athing, StGB, § 69a Rn. 19;<br />
Schönke/Schröder/Stree, StGB, 27. Aufl., § 69a Rn. 7;<br />
Fischer, StGB, 56 Aufl., § 69a Rn. 11).<br />
Der Vorschrift des § 69a Abs. 3 StGB liegt die<br />
Überlegung zu Gr<strong>und</strong>e, dass bei Kraftfahrern, die sich<br />
innerhalb kurzer Zeit erneut als zum Führen von Kraftfahrzeugen<br />
ungeeignet erwiesen haben, erfahrungsgemäß<br />
längere Zeiten des Zwangsausschlusses vom<br />
Straßenverkehr erforderlich sind, um erzieherisch erfolgreich<br />
auf sie einzuwirken (siehe Begr. Entwurf<br />
eines Zweiten Gesetzes zur Sicherung des Straßenverkehrs,<br />
BT Drucks. IV/651 S. 19; LK Geppert a. a. O.).<br />
Ob sich ein Angeklagter bereits vor der Tat als zum<br />
Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet erwiesen hat,<br />
kann mit einer die Verlängerung die Mindestfrist für<br />
die neue Sperre rechtfertigenden Sicherheit aber nur<br />
dann vorausgesetzt werden, wenn die frühere Sperrfrist<br />
bereits vor Begehung der neuen Tat tatsächlich zu<br />
laufen begonnen hatte. Gem. § 69a Abs. 5 Satz 1 StGB<br />
beginnt die Sperre erst mit Rechtskraft des Urteils.<br />
Gegen einen Verzicht auf das Erfordernis des Eintritts<br />
der Rechtskraft der früheren Sperre vor Begehung<br />
der neuen Tat spricht ferner, dass die Anwendung<br />
des § 69a Abs. 3 StGB dann von der Zufälligkeit abhinge,<br />
ob das neue Verfahren in der Tatsacheninstanz<br />
vor oder nach Eintritt der Rechtskraft bezüglich der<br />
früheren Sperre abgeschlossen wird. Das macht auch<br />
der vorliegende Fall deutlich. Hätte die Angeklagte das<br />
Urteil des Amtsgerichts Gera vom 21.01. 2009 nicht<br />
angefochten, hätte § 69 Abs. 3 StGB auch unter Zugr<strong>und</strong>elegung<br />
der Auffassung des Landgerichts nicht<br />
zur Anwendung kommen können, da die Rechtskraft<br />
bezüglich der früheren Sperre erst am 27. 01.2009 eingetreten<br />
ist.<br />
Schließlich wird auch bei anderen an ein früheres<br />
Fehlverhalten <strong>im</strong> Straßenverkehr anknüpfenden Regelungen<br />
auf die Rechtskraft der früheren Entscheidung<br />
abgestellt (siehe etwa § 25 Abs. 2a StVG, § 4 Abs. 2<br />
Satz 2 BKatV).<br />
Die Aufhebung der Anordnung der isolierten Sperre<br />
zieht die Aufhebung des Strafausspruchs nach sich,<br />
weil die <strong>im</strong> Zusammenhang mit der Notwendigkeit <strong>und</strong><br />
gegebenenfalls der Dauer einer isolierten Sperrfrist entscheidungserheblichen<br />
Feststellungen zur charakterlichen<br />
Ungeeignetheit der Angeklagten zugleich für die<br />
Art <strong>und</strong> die Höhe der Strafe sowie für die Möglichkeit<br />
ihrer Aussetzung zur Bewährung bedeutsam sind.
Die Frage der Möglichkeit des Bestehenlassens des<br />
Strafausspruchs bei Aufhebung der Entziehung der<br />
Fahrerlaubnis bzw. der Anordnung einer isolierten<br />
Sperrfrist beantwortet sich nach denselben Maßstäben,<br />
die für die isolierte Anfechtbarkeit der Entziehung der<br />
Fahrerlaubnis bzw. der Anordnung einer isolierten<br />
Sperrfrist gelten. Eine getrennte Anfechtbarkeit ist<br />
nach herrschender Meinung nur dann möglich, wenn<br />
sich die Entscheidung über die Maßregel unabhängig<br />
von den Strafzumessungserwägungen beurteilen lässt.<br />
Das kommt regelmäßig nur dann in Betracht, wenn die<br />
Ungeeignetheit des Angeklagten zum Führen von<br />
Kraftfahrzeugen auf körperlichen oder geistigen Mängeln<br />
beruht. Ist die Ungeeignetheit da<strong>gegen</strong>, wie hier,<br />
auf einen Charaktermangel zurückzuführen, so stehen<br />
Straf- <strong>und</strong> Maßregelausspruch gr<strong>und</strong>sätzlich in einer<br />
so engen <strong>gegen</strong>seitigen Abhängigkeit, dass sich ein<br />
Angriff <strong>gegen</strong> die Anordnungen nach §§ 69, 69a StGB<br />
auch auf die Strafzumessung erstreckt (vgl. etwa KG<br />
Berlin, Beschluss vom 16. 03. 1998, 1 Ss 31/98, bei<br />
juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 21. 05. 1996,<br />
3 Ss 114/96, NZV, 1996, 414f; OLG Nürnberg, Beschluss<br />
vom 24. 01. 2007, 2 Ss 280/06, NZV 2007,<br />
642f; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 318 Rn 29;<br />
KK-Paul, StPO, 6. Aufl., § 318 Rn 8a, Heidelberger-<br />
Komm/Rautenberg, StPO, 4. Aufl., § 318 Rn. 27).<br />
Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn der<br />
Anordnung der isolierten Sperrfrist ein Regelbeispiel<br />
<strong>im</strong> Sinne des § 69 Abs. 2 StGB zu Gr<strong>und</strong>e liegt, bei<br />
dem aufgr<strong>und</strong> der verwirklichten Straftat ohne weiteres<br />
von der Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen<br />
auszugehen ist (vgl. BGHSt 47, 32, 36, 38).<br />
Vorliegend ist aber kein Regeltatbestand nach § 69<br />
Abs. 2 StGB erfüllt.<br />
Die angefochtene Entscheidung beruht auf der<br />
Verletzung des § 69a Abs. 3 StGB, denn es ist nicht<br />
auszuschließen – sondern liegt angesichts dessen, das<br />
kein Fall der Regelentziehung nach § 69 Abs. 2 StGB<br />
i. V. m. § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB vorliegt <strong>und</strong> zwischen<br />
den abzuurteilenden beiden Taten <strong>und</strong> der<br />
Berufungshauptverhandlung <strong>im</strong>merhin 9 Monaten<br />
verstrichen waren, keineswegs fern –, dass das Landgericht<br />
die isolierte Sperrfrist etwas geringer bemessen<br />
hätte.<br />
Da Gegenstand des Berufungsurteils aufgr<strong>und</strong> der<br />
wirksamen Berufungsbeschränkung allein der Rechtsfolgenausspruch<br />
ist <strong>und</strong> dieser aus den ausgeführten<br />
Gründen keinen Bestand haben kann, war das Urteil<br />
der Berufungskammer insgesamt aufzuheben.<br />
62. *) 1. Wird dem Verurteilten zunächst eine<br />
Trunkenheitsfahrt gemäß § 316 StGB zur Last gelegt<br />
<strong>und</strong> erfolgt sodann seine Entlastung durch ein<br />
Sachverständigengutachten dergestalt, dass er nur<br />
noch wegen einer Ordnungswidrigkeit wegen Führen<br />
eines Kraftfahrzeuges mit einer <strong>Alkohol</strong>konzentration<br />
von 0,5 ‰ oder mehr verurteilt worden<br />
ist, so können dem Verurteilten die Kosten des Gutachtens<br />
nicht auferlegt werden.<br />
Rechtsprechung<br />
363<br />
2. Eine Entschädigung für die polizeiliche Sicherstellung<br />
seines Führerscheins nach § 5 Abs. 1<br />
Nr. 2, Abs. 2 StrEG scheidet aus, wenn sich der Verurteilte<br />
durch einen Nachtrunk zurechnen lassen<br />
muss, einen erheblichen Tatverdacht der Trunkenheitsfahrt<br />
durch <strong>Alkohol</strong>genuss vor <strong>und</strong> nach der<br />
Fahrt selbst geschaffen <strong>und</strong> damit die <strong>gegen</strong> ihn gerichtete<br />
strafprozessuale Maßnahme grob fahrlässig<br />
verursacht zu haben.<br />
Landgericht Hildeshe<strong>im</strong>,<br />
Beschluss vom 15. September 2009 – 26 Qs 101/09 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Die Staatsanwaltschaft Hildeshe<strong>im</strong> erhob <strong>gegen</strong> den<br />
Verurteilten unter anderem wegen des Verdachts der<br />
fahrlässigen Trunkenheit <strong>im</strong> Verkehr gemäß § 316<br />
StGB am 30. 04. 2008 Anklage. Das Hauptverfahren<br />
wurde mit Beschluss vom 21. 07. 2008 vor dem Strafrichter<br />
des Amtsgerichts Peine eröffnet.<br />
Dem Verurteilten wurde neben einer gefährlichen<br />
Körperverletzung zum Nachteil der Nebenklägerin ...<br />
vorgeworfen, am 12. 02. 2008 <strong>gegen</strong> 21.15 Uhr in ...<br />
mit dem PKW u. a. die ... Straße befahren zu haben,<br />
obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke<br />
<strong>und</strong> einer <strong>Blutalkohol</strong>konzentration von mindestens<br />
1,62 g ‰ nicht mehr in der Lage war, das Fahrzeug<br />
sicher zu führen, wobei er allerdings von Beginn der<br />
Ermittlungen an einen Nachtrunk behauptet hatte.<br />
Der Führerschein wurde noch am Vorfallstag – mit<br />
dessen Einverständnis – von dem Polizeibeamten ...<br />
sichergestellt <strong>und</strong> befand sich seit dem 13. 02. 2008 bis<br />
zum 30. 12. 2008 bei der Akte.<br />
Im Hauptverhandlungstermin am 18. 09. 2008 hat<br />
das Amtsgericht Peine dem Verurteilten wegen des<br />
weiterhin bestehenden Verdachts der Trunkenheit <strong>im</strong><br />
Verkehr durch Beschluss die Fahrerlaubnis nach<br />
§ 111a StPO vorläufig entzogen, nachdem er die Herausgabe<br />
des sichergestellten Führerscheins beantragt<br />
hatte. Im Übrigen hat das Amtsgericht die Hauptverhandlung<br />
ausgesetzt, um wegen des behaupteten<br />
Nachtrunks ein Sachverständigengutachten zur Frage<br />
der Höhe der <strong>Blutalkohol</strong>konzentration zur Tatzeit<br />
verb<strong>und</strong>en mit einer Begleitstoffanalyse einzuholen.<br />
Dieses Gutachten ging am 02.12. 2008 bei dem Amtsgericht<br />
Peine ein. Nach Erörterung mit den Verfahrensbeteiligten<br />
hob das Amtsgericht Peine den Beschluss<br />
über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis<br />
auf. Der Verurteilte erhielt unter dem Datum<br />
vom 30.12. 2008 den Führerschein zurück.<br />
Das Amtsgericht Peine hat den Verurteilten sodann<br />
mit Urteil vom 04. 06. 2009 wegen vorsätzlicher Körperverletzung<br />
in 2 Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe<br />
von 90 Tagessätzen zu je 15,– € verurteilt. Ferner<br />
wurde <strong>gegen</strong> den Verurteilten wegen Führens eines<br />
Kraftfahrzeuges <strong>im</strong> Straßenverkehr mit einem <strong>Alkohol</strong>wert<br />
von 0,5 Promille oder mehr eine Geldbuße<br />
von 250,– € sowie ein Fahrverbot von einem Monat<br />
Dauer festgesetzt. Daneben hat das Amtsgericht ihm<br />
die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen<br />
Auslagen der Nebenklage auferlegt. Abschließend<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
364 Rechtsprechung<br />
wurde festgestellt, dass ein Entschädigungsanspruch<br />
des Verurteilten nach den Vorschriften des StrEG nicht<br />
besteht.<br />
Der Verurteilte wendet sich mit seiner fristgerecht<br />
eingelegten sofortigen Beschwerde <strong>gegen</strong> die Kostenentscheidung,<br />
soweit dem Verurteilten die Kosten des<br />
Gutachten des Sachverständigen ... zur Begleitstoffanalyse<br />
auferlegt worden sind, <strong>und</strong> <strong>gegen</strong> die Versagung<br />
der Entschädigung für die vorläufige Entziehung der<br />
Fahrerlaubnis für die Zeit vom 12. 03. 2008 bis<br />
30. 12. 2008.<br />
Aus den Gründen:<br />
Die sofortige Beschwerde ist zulässig, hin<strong>gegen</strong> nur<br />
zum Teil begründet.<br />
1. Der Verurteilte war in Abweichung zur Kostenentscheidung<br />
des Amtsgerichts von den Kosten des<br />
Gutachtens des Sachverständigen ... – welche den Beschwerdewert<br />
erreichen – gemäß § 465 Abs. 2 StPO<br />
freizustellen. Dem Verurteilten wurde zunächst eine<br />
Trunkenheitsfahrt gemäß § 316 StGB zur Last gelegt.<br />
Durch das Gutachten des Sachverständigen ... ist der<br />
Verurteilte soweit entlastet worden, als dass er nur<br />
noch wegen einer Ordnungswidrigkeit wegen Führen<br />
eines Kraftfahrzeuges mit einer <strong>Alkohol</strong>konzentration<br />
von 0,5 ‰ oder mehr verurteilt worden ist. Insoweit ist<br />
es sachgerecht, diese Kosten auszuscheiden (vgl.<br />
Meyer-Goßner, § 465 StPO, Rz. 7 m. w. N.).<br />
2. Soweit sich der Verurteilte <strong>gegen</strong> die Versagung<br />
der Entschädigung hinsichtlich der Sicherstellung des<br />
Führerscheins richtet, muss der Beschwerde jedoch<br />
der Erfolg versagt bleiben. Der Verurteilte hat diese<br />
Strafverfolgungsmaßnahme zumindest grob fahrlässig<br />
verursacht, so dass eine Entschädigung hierfür ausgeschlossen<br />
ist (§ 5 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StrEG).<br />
Nach der körperlichen Auseinandersetzung mit der<br />
Nebenklägerin in deren Wohnung <strong>und</strong> dem helfenden<br />
Einschreiten der Nachbarn dürfte dem – strafrechtlich<br />
in verkehrsrechtlicher Sicht nicht unerfahrenen – Verurteilten<br />
klar gewesen sein, dass mit dem Einschreiten<br />
der Polizei zu rechnen ist.<br />
Unabhängig von der Annahme grober Fahrlässigkeit<br />
bereits bei Führen eines Kraftfahrzeuges mit einer<br />
<strong>Blutalkohol</strong>konzentration von 0,5 ‰ (vgl. Meyer-<br />
Goßner, StPO, 51. Aufl., § 5 StrEG Rz. 12), muss sich<br />
der Verurteilte durch seinen – <strong>im</strong> Übrigen bezüglich<br />
des Umfanges widerlegten – Nachtrunk zurechnen lassen,<br />
hier einen erheblichen Tatverdacht der Trunkenheitsfahrt<br />
durch <strong>Alkohol</strong>genuss vor <strong>und</strong> nach der Fahrt<br />
selbst geschaffen <strong>und</strong> damit die <strong>gegen</strong> ihn gerichtete<br />
strafprozessuale Maßnahme grob fahrlässig verursacht<br />
zu haben. Soweit sich nach Eingang des Gutachtens<br />
bei Gericht durch die Erörterungen mit den Verfahrensbeteiligten<br />
zur Aufhebung der Maßnahme weitere<br />
Verzögerungen ergeben haben könnten, wird dies<br />
nicht vom Regelungsgehalt des StrEG erfasst.<br />
Aus diesem Gr<strong>und</strong>e war daher die Beschwerde<br />
<strong>gegen</strong> die Versagung der Entschädigung zu verwerfen.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
63. 1. Ein strafprozessuales Verwertungsverbot<br />
begründet nicht zwangsläufig auch ein Verwertungsverbot<br />
<strong>im</strong> Verwaltungsverfahren.<br />
2. Die Fahrerlaubnisbehörde darf in einem<br />
Fahrerlaubnisentziehungsverfahren auch das Ergebnis<br />
der Untersuchung einer Blutprobe berücksichtigen,<br />
die unter Verstoß <strong>gegen</strong> den Richtervorbehalt<br />
des § 81a Abs. 2 StPO entnommen wurde.<br />
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg,<br />
Beschluss vom 21. Juni 2010 – 10 S 4/10 –<br />
Aus den Gründen:<br />
Der Antrag auf Zulassung der Berufung <strong>gegen</strong> das<br />
Urteil des Verwaltungsgerichts vom 14.10. 2009 bleibt<br />
ohne Erfolg. Zulassungsgründe sind nicht hinreichend<br />
dargelegt <strong>und</strong> liegen auch in der Sache nicht vor.<br />
Das Verwaltungsgericht hat die Klage des Klägers<br />
<strong>gegen</strong> die Entziehung seiner Fahrerlaubnis mit der Begründung<br />
abgewiesen, der Kläger sei ungeeignet zum<br />
Führen von Kraftfahrzeugen, weil er Amphetamin<br />
konsumiert habe. Es könne offen bleiben, ob er gemäß<br />
§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO bereits vor Durchführung<br />
des <strong>Drogen</strong>schnelltests hätte belehrt werden müssen<br />
oder ob <strong>gegen</strong> § 81a Abs. 2 StPO verstoßen worden<br />
sei. Denn selbst ein Verstoß <strong>gegen</strong> diese strafprozessualen<br />
Best<strong>im</strong>mungen begründe kein Verwertungsverbot<br />
<strong>im</strong> Verfahren zur Entziehung der Fahrerlaubnis, in<br />
dem die Behörde neben den Gr<strong>und</strong>rechten des Betroffenen<br />
maßgeblich weitere Rechtgüter Dritter <strong>und</strong> das<br />
öffentliche Interesse am Schutz der Allgemeinheit berücksichtigen<br />
müsse. Auch das negative Ergebnis<br />
eines unberechtigterweise angeordneten Gutachtens<br />
könne bei der Entscheidung über die Entziehung der<br />
Fahrerlaubnis verwertet werden.<br />
Dem<strong>gegen</strong>über wird <strong>im</strong> Zulassungsantrag <strong>im</strong> Wesentlichen<br />
gerügt, ent<strong>gegen</strong> der Auffassung des Verwaltungsgerichts<br />
habe das Strafverfahren Auswirkungen<br />
auf den vorliegenden Rechtsstreit. Die Blutprobe<br />
sei ent<strong>gegen</strong> § 81a Abs. 2 StPO ohne richterliche Anordnung<br />
entnommen worden <strong>und</strong> müsse deshalb vernichtet<br />
werden. Das Rechtsstaatsprinzip <strong>und</strong> das<br />
Gebot effektiven Rechtsschutzes gebiete ein Verwertungsverbot<br />
der unter rechtswidrigen Umständen<br />
erlangten Blut- <strong>und</strong> Urinproben. Zwar sei <strong>im</strong> Fahrerlaubnisrecht<br />
kein ausdrückliches Verbot der Verwertung<br />
einer nicht richterlich angeordneten Blutprobe<br />
normiert; der Eingriff in die körperliche Integrität des<br />
Betroffenen dürfe jedoch <strong>im</strong> Verwaltungsrechtsstreit<br />
nicht legit<strong>im</strong>iert werden. Da andere Beweismittel für<br />
einen <strong>Drogen</strong>konsum des Klägers nicht vorlägen, habe<br />
die Fahrerlaubnis nicht ohne weiteres entzogen werden<br />
dürfen. Ein Gutachten über seine Kraftfahreignung<br />
sei nicht angefordert worden.<br />
Mit diesem Vorbringen werden ernstliche Zweifel<br />
an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts<br />
nicht aufgezeigt.<br />
Der Kläger hat nach dem ärztlichen Gutachten vom<br />
27.11.2008 Amphetamin <strong>und</strong> Cannabis konsumiert.<br />
Nach der Rechtsprechung des Senats führt bereits der<br />
einmalige Konsum eines Betäubungsmittels i. S. von
§ 1 Abs. 1 BtMG – ausgenommen Cannabis – <strong>im</strong><br />
Regelfall gemäß Nr. 9.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung<br />
zur Fahrungeeignetheit, ohne dass es<br />
darauf ankommt, ob das fehlende Vermögen zur Trennung<br />
von Konsum <strong>und</strong> Fahren nachgewiesen ist (vgl.<br />
Senatsbeschl. v. 24. 05. 2002 – 10 S 835/02 – VBlBW<br />
2003, 23 [= BA 2002, 379]; Beschl. v. 07. 03. 2006<br />
– 10 S 293/06 –; Beschl. v. 19. 02. 2007 – 10 S 3032/06<br />
– juris [= BA 2007, 190]). In der Rechtsprechung der<br />
anderen Obergerichte wird diese Auffassung ganz<br />
überwiegend geteilt (vgl. etwa BayVGH, Beschl. v.<br />
14. 02. 2006 – 11 ZB 05.1406 –; OVG Rheinland-<br />
Pfalz, Beschl. v. 25. 07. 2008 – 10 B 10646/08 – [BA<br />
2008, 418]; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v.<br />
06. 03. 2007 – 16 B 332/07 – [BA 2007, 192]; OVG<br />
des Saarlandes, Beschl. v. 14. 05. 2008 – 1 B 191/08 –;<br />
OVG Niedersachsen, Beschl. v. 16. 06. 2003 – 12 ME<br />
172/03 – [BA 2003, 465]; OVG Mecklenburg-Vorpommern,<br />
Beschl. v. 02. 09. 2009 – 1 M 114/09 –, jeweils<br />
juris; a.A. soweit ersichtlich nur Hess. VGH v.<br />
14. 01.2002 – 2 TG 3008/01 –, juris [= BA 2003, 70]).<br />
Es kommt daher nicht darauf an, dass der Kläger <strong>im</strong><br />
Zeitpunkt der Verkehrskontrolle am 22.11. 2008 nur<br />
Beifahrer war. Ebenso wenig ist der Ausgang des Ermittlungsverfahrens<br />
erheblich, das <strong>gegen</strong> den Kläger<br />
<strong>im</strong> Jahr 2010 wegen des Verdachts eines Verstoßes<br />
<strong>gegen</strong> das Betäubungsmittelgesetz (Besitz <strong>und</strong> Konsum<br />
u. a. von Amphetamin, XTS) eingeleitet worden<br />
ist.<br />
Der Kläger kann der mit Entscheidung vom<br />
17. 02. 2009 verfügten Fahrerlaubnisentziehung auch<br />
nicht mit Erfolg ent<strong>gegen</strong>halten, dass die Blutentnahme<br />
am 22.11. 2008 ohne richterliche Anordnung erfolgt<br />
sei <strong>und</strong> das Ergebnis der Blutuntersuchung vom<br />
27.11. 2008 daher von der Fahrerlaubnisbehörde nicht<br />
habe verwertet werden dürfen. Nach § 81a Abs. 2<br />
StPO steht die Anordnung einer körperlichen Untersuchung<br />
<strong>gegen</strong> den Willen des Betroffenen dem Richter<br />
<strong>und</strong> nur bei Gefährdung des Untersuchungserfolges<br />
durch Verzögerung auch der Staatsanwaltschaft <strong>und</strong><br />
ihren Ermittlungspersonen zu. Die Frage, ob der Kläger<br />
der Blutentnahme zugest<strong>im</strong>mt hat oder <strong>im</strong> Rahmen<br />
der durchgeführten Verkehrskontrolle am Samstag,<br />
den 22.11. 2008 um ca. 14.00 Uhr die Voraussetzungen<br />
der Gefährdung des Untersuchungserfolges vorgelegen<br />
haben, lässt sich <strong>im</strong> vorliegenden Verfahren auf<br />
Gr<strong>und</strong>lage der vorliegenden Akten nicht abschließend<br />
beantworten <strong>und</strong> ist – soweit ersichtlich – bislang nicht<br />
Gegenstand einer straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtlichen<br />
Entscheidung gewesen. Die Frage, ob<br />
unter Berücksichtigung des hierzu vom <strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgericht<br />
entwickelten strengen Maßstabs<br />
(BVerfG, Beschl. v. 12. 02. 2007 – 2 BvR 273/06 –<br />
NJW 2007, 1345 [= BA 2008, 71]) ausnahmsweise die<br />
Befugnis der Ermittlungsbeamten zur Anordnung der<br />
Blutentnahme gegeben war, kann aber dahinstehen.<br />
Selbst wenn zugunsten des Klägers von einem Verstoß<br />
<strong>gegen</strong> die strafprozessuale Beweiserhebungsvorschrift<br />
des § 81a Abs. 2 StPO ausgegangen wird – den der<br />
Senat ausdrücklich offen lässt – , folgt daraus nicht zugleich<br />
ein Verbot für die Fahrerlaubnisbehörde, das Er-<br />
Rechtsprechung<br />
365<br />
gebnis der Blutuntersuchung <strong>im</strong> Fahrerlaubnisentziehungsverfahren<br />
zu verwerten.<br />
Im Zulassungsantrag wird schon nicht hinreichend<br />
dargelegt, dass ein eventueller Verstoß <strong>gegen</strong> § 81a<br />
Abs. 2 StPO zu einem strafprozessualen Verwertungsverbot<br />
geführt hat. Der Freispruch des Klägers <strong>im</strong><br />
Bußgeldverfahren erfolgte – soweit ersichtlich – nicht<br />
wegen Unverwertbarkeit der Blutprobe, sondern weil<br />
nicht aufklärbar war, ob der Kläger das Kraftfahrzeug<br />
unter <strong>Drogen</strong>einfluss selbst geführt hat. Im Übrigen ist<br />
für den Strafprozess anerkannt, dass über das Vorliegen<br />
eines Beweisverwertungsverbotes – mit Ausnahme<br />
ausdrücklich geregelter Verwertungsverbote – jeweils<br />
nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere<br />
nach der Art des Verbots <strong>und</strong> dem Gewicht des Verstoßes<br />
unter Abwägung der widerstreitenden Interessen<br />
zu entscheiden ist (vgl. BVerfG, Beschl. 28. 07. 2008<br />
– 2 BvR 784/08 – NJW 2008, 3053 [= BA 2008, 386],<br />
m. w. N. zur Rechtsprechung der Strafgerichte). Im<br />
Anwendungsbereich des § 81a StPO, der – wie dargelegt<br />
– eine Eilanordnung durch Polizeibeamte nicht<br />
schlechthin ausschließt, tritt das staatliche Strafverfolgungsinteresse<br />
<strong>gegen</strong>über dem Individualinteresse des<br />
Einzelnen an der Bewahrung seiner Rechtsgüter zurück,<br />
wenn Gefahr <strong>im</strong> Verzug willkürlich angenommen<br />
<strong>und</strong> der Richtervorbehalt bewusst <strong>und</strong> gezielt umgangen<br />
bzw. ignoriert wird oder wenn die Rechtslage<br />
bei Anordnung der Maßnahme in gleichwertiger Weise<br />
verkannt worden ist (vgl. etwa OLG Karlsruhe,<br />
Beschl. v. 02. 06. 2009 – 1 Ss 183/08 – juris [= BA<br />
2009, 422]; OLG Celle, Beschl. v. 15. 09. 2009 – 322<br />
SsBs 197/09 –, juris [= BA 2009, 419]). Gegen die Annahme<br />
eines strafprozessualen Verwertungsverbots<br />
spricht hier, dass bei einem Sachverhalt der vorliegenden<br />
Art eine richterliche Anordnung mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />
regelmäßig auch fernmündlich <strong>und</strong><br />
typischerweise zu ergehen pflegt <strong>und</strong> dass eine Blutentnahme<br />
durch einen Arzt einen eher geringfügigen<br />
Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Betroffenen<br />
darstellt, dem andererseits ein erhebliches öffentliches<br />
Interesse an der Abwendung erheblicher<br />
Gefährdungen anderer Verkehrsteilnehmer <strong>gegen</strong>übersteht.<br />
Auch der schnelle Abbau von <strong>Drogen</strong> <strong>im</strong> Körper<br />
könnte eine Eilkompetenz der Polizeibeamten rechtfertigen<br />
(vgl. dazu OLG Hamm, Beschl. v.<br />
25. 08. 2008 – 3 Ss 318/08 – juris [= BA 2008, 388];<br />
OLG Celle, Beschl. v. 15. 09. 2009 a. a. O.; OLG<br />
Frankfurt, Beschl. v. 14.10. 2009 – 1 Ss 320/09 – juris<br />
[= BA 2010, 30]).<br />
Auch wenn aber ein strafprozessuales Verwertungsverbot<br />
unterstellt wird, ist <strong>im</strong> vorliegenden Verwaltungsverfahren<br />
keine entsprechende Bewertung geboten<br />
(ebenso Sächsisches OVG, Beschl. v. 01. 02. 2010<br />
– 3 B 161/08 – juris; OVG Niedersachsen, Urt. v.<br />
14. 08. 2008 – 12 ME 183/08 – <strong>und</strong> Beschl. v.<br />
16.12. 2009 – 12 ME 234/09 – jeweils juris [= BA<br />
2008, 416 <strong>und</strong> BA 2010, 143]; OVG Berlin-Brandenburg,<br />
Beschl. v. 03.11. 2009 – 1 S 205.09 – juris [= BA<br />
2010, 40]; OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v.<br />
29. 01.2010 – 10 B 11226/09 – juris [= BA 2010, 264];<br />
BayVGH, Beschl. v. 28. 01. 2010 – 11 CS 09.1443 –<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
366 Rechtsprechung<br />
juris). Für den Bereich des Fahrerlaubnisrechts ist<br />
weder <strong>im</strong> Straßenverkehrsgesetz noch in der Fahrerlaubnis-Verordnung<br />
ein ausdrückliches Verwertungsverbot<br />
für nicht richterlich angeordnete körperliche<br />
Untersuchungen angeordnet. Ebenso wie <strong>im</strong> Strafprozessrecht<br />
kann daher ein solches Verbot nur unter Berücksichtigung<br />
der konkreten Umstände des Einzelfalls<br />
unter Abwägung der <strong>gegen</strong>läufigen Interessen<br />
angenommen werden, wobei jedoch in Verwaltungsverfahren,<br />
die wie das Fahrerlaubnisrecht der Gefahrenabwehr<br />
dienen, nicht ohne weiteres dieselben Maßstäbe<br />
wie <strong>im</strong> repressiven Bereich des Straf-<br />
<strong>und</strong> Ordnungswidrigkeitenrechts gelten. Zwar hat die<br />
Behörde auch <strong>im</strong> Verwaltungsverfahren <strong>im</strong> Rahmen<br />
ihrer Ermittlungstätigkeit die sich aus den Gesetzen,<br />
allgemeinen Verfahrensgr<strong>und</strong>sätzen <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>rechten<br />
ergebenden Grenzen zu beachten. Aus diesen können<br />
sich durchaus Verwertungsverbote für das Verwaltungsverfahren<br />
ergeben. Hierbei ist jedoch zu<br />
prüfen, ob der Schutzzweck der jeweiligen Norm<br />
das Verwertungsverbot auch für das Verwaltungsverfahren<br />
erfordert (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG,<br />
10. Aufl., § 24 Rdnr. 29a). Nach der Rechtsprechung<br />
des <strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgerichts dürfte der Richtervorbehalt<br />
des § 81a Abs. 2 StPO nicht zum rechtsstaatlichen<br />
Mindeststandard zählen (BVerfG, Beschl.<br />
28. 07. 2008 – 2 BvR 784/08 – NJW 2008, 3053, juris<br />
[= BA 2008, 386]).<br />
Hinsichtlich des Fahrerlaubnisentziehungsverfahrens<br />
ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass es –<br />
anders als das Straf- <strong>und</strong> Bußgeldverfahren – nicht der<br />
Verfolgung <strong>und</strong> Ahndung begangener Rechtsverstöße<br />
dient, sondern dem Schutz Dritter vor den Gefahren,<br />
die von einem ungeeigneten Kraftfahrer ausgehen. Im<br />
Verfahren zur Entziehung der Fahrerlaubnis hat die<br />
Behörde deshalb maßgeblich <strong>und</strong> mit besonderem Gewicht<br />
neben den Gr<strong>und</strong>rechten des Betroffenen weitere<br />
hochrangige Rechtsgüter Dritter wie Leben <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit<br />
<strong>und</strong> das öffentliche Interesse am Schutz der<br />
Allgemeinheit vor Fahrerlaubnisinhabern, die sich als<br />
ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen<br />
haben, zu beachten. Dieser Gesichtspunkt rechtfertigt<br />
es, auch eine rechtswidrig angeordnete Blutuntersuchung<br />
zu berücksichtigen, wenn das Ergebnis eindeutig<br />
negativ für den Betroffenen ist. Dieser Gedanke gilt<br />
umso mehr, wenn – wie hier – ein eventueller Verstoß<br />
<strong>gegen</strong> Beweiserhebungsvorschriften nicht von der<br />
Fahrerlaubnisbehörde selbst zu verantworten ist. Geht<br />
der Verstoß <strong>gegen</strong> die strafprozessuale Beweiserhebungsvorschrift<br />
nicht von der für das Verwaltungsverfahren<br />
zuständigen Behörde aus, kann die für das<br />
Strafverfahren gültige Wertung, dass das Interesse des<br />
Einzelnen an der Wahrung seiner Rechte zu Lasten des<br />
staatlichen Strafverfolgungsinteresses bei groben Verstößen<br />
durch die für die Strafverfolgung zuständigen<br />
Behörden unter dem Gesichtspunkt einer fairen Verfahrensgestaltung<br />
überwiegt, nicht ohne weiteres auf<br />
das Fahrerlaubnisentziehungsverfahren übertragen<br />
werden. Die Fahrerlaubnisbehörde darf daher <strong>im</strong> überwiegenden<br />
Interesse an dem Schutz hochrangiger<br />
Rechtsgüter einer großen Zahl von Verkehrsteilneh-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
mern in einem auf Entziehung der Fahrerlaubnis gerichteten<br />
Verwaltungsverfahren auch ein unter Verstoß<br />
<strong>gegen</strong> den Richtervorbehalt des § 81a StPO gewonnenes<br />
Ergebnis einer Blutprobenuntersuchung berükksichtigen,<br />
wenn aus diesem die fehlende Kraftfahreignung<br />
des Betroffenen hervorgeht. Auch eine<br />
rechtswidrig angeordnete Blutuntersuchung schafft<br />
eine neue Tatsache, die – ebenso wie das negative Ergebnis<br />
eines rechtswidrig angeordneten Gutachtens<br />
(vgl. BVerwG, Urt. v. 18. 03. 1982, BVerwGE 65, 157;<br />
OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v.<br />
20. 03. 2008 – 1 M 12/08 – juris) – zum Schutz der Allgemeinheit<br />
vor einem ungeeigneten Kraftfahrer verwertet<br />
werden darf.<br />
Für dieses Ergebnis spricht auch, dass weder das<br />
Straßenverkehrsgesetz noch die Fahrerlaubnis-Verordnung<br />
für die Anordnung von ärztlichen Untersuchungen<br />
<strong>und</strong> Begutachtungen einen der Vorschrift des § 81<br />
Abs. 2 StPO vergleichbaren Richtervorbehalt vorsehen<br />
<strong>und</strong> es einen Wertungswiderspruch bedeutete,<br />
wenn Fälle, die ihren Ausgang in einem straf- oder<br />
bußgeldrechtlich relevanten Verkehrsverstoß nehmen,<br />
anders behandelt würden als solche, in denen die Behörde<br />
nach § 11 Abs. 2 FeV aufgr<strong>und</strong> ihr bekannt gewordener<br />
Tatsachen selbst Zweifeln an der Kraftfahreignung<br />
eines Betroffenen nachgeht (zum Ganzen<br />
Sächsisches OVG, Beschl. v. 01.02. 2010 a. a. O.;<br />
OVG Niedersachsen, Urt. v. 14. 08. 2008 a. a. O. u.<br />
Beschl. v. 16.12. 2009 a. a. O.; OVG Berlin – Brandenburg,<br />
Beschl. v. 03.11. 2009 a .a. O.; OVG Rheinland-<br />
Pfalz, Beschl. v. 29. 01. 2010 a. a. O.; BayVGH,<br />
Beschl. v. 28. 01. 2010 a. a. O.).<br />
(Mitgeteilt vom 10. Senat des Verwaltungsgerichtshofes<br />
Baden-Württemberg)<br />
64. 1. Der Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis ist<br />
gemäß § 28 Abs. 4 Nr. 2 FeV i. d. F. vom 09. 08. 2004<br />
bzw. § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 FeV i. d. F. v. 07. 01.2009<br />
nicht zum Führen entsprechender Kraftfahrzeuge<br />
<strong>im</strong> Inland berechtigt, wenn auf der Gr<strong>und</strong>lage sich<br />
durch Ermittlungen der zuständigen deutschen Behörden<br />
<strong>und</strong> Gerichte ergebender vom Ausstellermitgliedstaat<br />
herrührender unbestreitbarer Informationen<br />
feststeht, dass der Fahrerlaubnisinhaber<br />
zum Zeitpunkt des Erwerbs der Fahrerlaubnis seinen<br />
ordentlichen Wohnsitz nicht <strong>im</strong> Ausstellermitgliedstaat<br />
hatte.<br />
2. Ein Verstoß <strong>gegen</strong> das Wohnsitzerfordernis<br />
gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der 2. bzw. Art. 7<br />
Abs. 1 Buchst. e der 3. Führerscheinrichtlinie steht<br />
auf der Gr<strong>und</strong>lage vom Ausstellermitgliedstaat<br />
herrührender unbestreitbarer Informationen fest,<br />
wenn bei Heranziehung allein der Informationen,<br />
die vom Ausstellermitgliedstaat stammen, das Fehlen<br />
eines Wohnsitzes so sehr wahrscheinlich ist,<br />
dass kein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar<br />
überschauender Mensch noch zweifelt.
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz,<br />
Urteil vom 18. Juni 2010 – 10 A 10411/10.OVG –<br />
Aus den Gründen:<br />
Der Kläger kann nicht verlangen, dass der auf seinem<br />
tschechischen Führerschein angebrachte Vermerk<br />
der mangelnden Fahrberechtigung aufgr<strong>und</strong> dieser<br />
Fahrerlaubnis in Deutschland entfernt wird.<br />
Der Kläger hat mit dem Erwerb der tschechischen<br />
Fahrerlaubnis gemäß § 28 Abs. 4 Nr. 2 der Fahrerlaubnisverordnung<br />
in der hier noch heranzuziehenden Fassung<br />
vom 9. August 2004 – FeV –, soweit diese Regelung<br />
mit den europarechtlichen Vorgaben vereinbar ist,<br />
keine Fahrberechtigung für das <strong>B<strong>und</strong></strong>esgebiet erlangt.<br />
Nach dieser Best<strong>im</strong>mung gilt die gr<strong>und</strong>sätzliche Fahrberechtigung<br />
für EU-Fahrerlaubnisinhaber <strong>im</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esgebiet<br />
dann nicht, wenn sie zum Zeitpunkt der Erteilung<br />
ihren ordentlichen Wohnsitz <strong>im</strong> Inland hatten.<br />
Die Vorschrift st<strong>im</strong>mt allerdings nur insoweit mit<br />
der ihr zugr<strong>und</strong>e liegenden Richtlinie 91/439/EWG<br />
– 2. Führerscheinrichtlinie –, insbesondere Artikel 1<br />
Absatz 2, Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b <strong>und</strong> Artikel 8<br />
Absatz 4 Satz 1, überein <strong>und</strong> gelangt daher auch nur<br />
insoweit zur Anwendung, als sich der Verstoß <strong>gegen</strong><br />
das in Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b der 2. Führerscheinrichtlinie<br />
geregelte Wohnsitzerfordernis aus<br />
dem vom anderen EU-Mitgliedstaat – Ausstellermitgliedstaat<br />
– ausgestellten Führerschein oder anderen<br />
von diesem Staat herrührenden unbestreitbaren Informationen<br />
ergibt <strong>und</strong> dem betreffenden EU-Fahrerlaubnisinhaber<br />
in Deutschland – als Aufnahmemitgliedstaat<br />
– vor der Führerscheinausstellung die Fahrerlaubnis<br />
entzogen oder seine Fahrerlaubnis eingeschränkt,<br />
ausgesetzt oder aufgehoben worden war<br />
(vgl. hierzu die Urteile des EuGH vom 26. Juni 2008 -<br />
C –329 <strong>und</strong> 343/06 [BA 2008,<br />
255] <strong>und</strong> C – 334-336/06 ; ferner Urteil<br />
des Senats vom 18. März 2010, BA 2010, 261).<br />
Die genannten Voraussetzungen für eine Nichtanerkennung<br />
der tschechischen Fahrerlaubnis seitens der<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik Deutschland liegen hier vor.<br />
Dem Kläger wurde mit Strafbefehl des Amtsgerichts<br />
… wegen einer Trunkenheitsfahrt (<strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
1,7 Promille) die Fahrerlaubnis entzogen.<br />
Die Maßnahme konnte auch noch <strong>im</strong> Zeitpunkt<br />
des Erwerbs der tschechischen Fahrerlaubnis zum<br />
Nachteil des Klägers verwertet werden – <strong>und</strong> kann es<br />
sogar bis heute – (§ 29 Abs. 1 Satz 2, Abs. 5 Satz 1 des<br />
Straßenverkehrsgesetzes – StVG –).<br />
Die Missachtung der Wohnsitzvoraussetzung ist<br />
zudem <strong>im</strong> oben dargestellten Sinne offensichtlich. Die<br />
Verletzung des Wohnsitzprinzips ergibt sich aus der <strong>im</strong><br />
Berufungsverfahren vom Beklagten zu den Akten gereichten<br />
Mitteilung der Polizei der Tschechischen Republik,<br />
Landkreispolizeidirektion des Pilsner Kreises,<br />
vom 04. Mai 2010.<br />
Der Verwertung dieser Auskunft für die Beurteilung,<br />
ob der Kläger aufgr<strong>und</strong> seiner tschechischen<br />
Fahrerlaubnis in Deutschland fahrberechtigt ist, steht<br />
nicht ent<strong>gegen</strong>, dass sie auf Betreiben des Beklagten<br />
gegeben wurde. Der Senat hält insofern nicht mehr an<br />
Rechtsprechung<br />
367<br />
seiner <strong>im</strong> Beschluss vom 14. September 2009 – 10 B<br />
10819/09.OVG – geäußerten, auf die Rechtsprechung<br />
des EuGH in den Urteilen vom 26. Juni 2008 gestützten<br />
<strong>gegen</strong>teiligen Rechtsauffassung fest.<br />
In der besagten Entscheidung war der Senat davon<br />
ausgegangen, dass es dem Aufnahmemitgliedstaat mit<br />
Rücksicht auf die den Mitgliedstaaten auferlegte<br />
„klare <strong>und</strong> unbedingte Verpflichtung“ zur <strong>gegen</strong>seitigen<br />
Anerkennung der Führerscheine „ohne jede Formalität“<br />
sowie die in den Urteilen des EuGH vom<br />
26. Juni 2008 <strong>und</strong> auch nochmals in dem Urteil vom<br />
09. Juli 2009 – C – 445/08 – (Wierer) [BA 2009, 408]<br />
herausgestellten Gr<strong>und</strong>sätze verwehrt sei, bei den Behörden<br />
des Ausstellermitgliedstaates Nachforschungen<br />
dazu anzustellen, ob der Betroffene – dessen Führerschein<br />
keine Wohnsitzangabe enthält oder sogar<br />
einen Wohnsitz <strong>im</strong> Ausstellermitgliedstaat ausweist –<br />
bei Erteilung der Fahrerlaubnis dem Wohnsitzerfordernis<br />
genügte; eine gleichwohl – „unzulässigerweise“<br />
– angeforderte Auskunft hatte der Senat für unbeachtlich<br />
erachtet. Was die in den genannten Entscheidungen<br />
hervorgehobenen Gr<strong>und</strong>sätze angeht, hatte sich<br />
der Senat insbesondere auf die Aussagen bezogen,<br />
dass „die anderen Mitgliedstaaten …. nicht befugt ….<br />
(seien), die Beachtung der …. (in der 2. Führerscheinrichtlinie)<br />
aufgestellten Ausstellungsvoraussetzungen<br />
…. (durch den Ausstellermitgliedstaat) nachzuprüfen“,<br />
da „der Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten<br />
Führerscheins als Nachweis dafür anzusehen<br />
…. (sei), dass der Inhaber dieses Führerscheins am<br />
Tag der Erteilung des Führerscheins diese Voraussetzungen<br />
erfüllte“, <strong>und</strong> dass, wenn ein „Aufnahmemitgliedstaat<br />
triftige Gründe …. (habe), die Ordnungsgemäßheit<br />
eines von einem anderen Mitgliedstaat<br />
ausgestellten Führerscheins zu bezweifeln, …. er dies<br />
dem anderen Mitgliedstaat …. mitzuteilen“ habe, <strong>und</strong><br />
für den Fall, dass dieser „nicht die geeigneten Maßnahmen<br />
ergreift, …. <strong>gegen</strong> diesen Staat ein Verfahren<br />
nach Art. 227 EG einleiten“ könne. Zudem hatte er<br />
darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des<br />
EuGH Ausnahmen vom allgemeinen Gr<strong>und</strong>satz der<br />
<strong>gegen</strong>seitigen Anerkennung der Führerscheine – wie<br />
die vom EuGH in seinen Entscheidungen vom 26. Juni<br />
2008 „zugelassene“ Nichtanerkennung – restriktiv<br />
auszulegen seien. An dieser Rechtsprechung hält der<br />
Senat – wie gesagt – nicht mehr fest, nachdem der<br />
EuGH als die für die Ausdeutung des Gemeinschaftsrechts<br />
maßgebliche Instanz es in der Rechtssache Wierer<br />
unter Voranstellung alles dessen in Randnummer<br />
58 gebilligt hat, dass die zuständigen Behörden <strong>und</strong><br />
Gerichte des Aufnahmemitgliedstaates bei Behörden<br />
des Ausstellermitgliedstaates Informationen darüber<br />
einholen, ob bei der Erteilung der Fahrerlaubnis <strong>gegen</strong><br />
das Wohnsitzerfordernis verstoßen wurde – um sodann,<br />
wenn ihnen hierauf eine vom Ausstellermitgliedstaat<br />
herrührende unbestreitbare Information<br />
dahin zugeht, dass der Fahrerlaubnisinhaber zum Zeitpunkt<br />
der Führerscheinausstellung seinen ordentlichen<br />
Wohnsitz nicht in diesem Staat hatte, die Anerkennung<br />
des Führerscheins versagen zu können. Dieser rechtlichen<br />
Bewertung hat sich bereits das <strong>B<strong>und</strong></strong>esverwal-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
368 Rechtsprechung<br />
tungsgericht in seinem Urteil vom 25. Februar 2010<br />
(NJW 2010, 1828 [= BA 2010, 251]) angeschlossen.<br />
Ihr folgt so denn auch der Senat (so auch VGH Baden-<br />
Württemberg, Beschluss vom 27. Oktober 2009, DAR<br />
2010, 38 [= BA 2010, 41]).<br />
Klarstellend sei hierzu allerdings mit Blick darauf,<br />
dass in der Entscheidung des <strong>B<strong>und</strong></strong>esverwaltungsgerichts<br />
von der „Aberkennung“ des Rechts, von der<br />
Fahrerlaubnis <strong>im</strong> <strong>B<strong>und</strong></strong>esgebiet Gebrauch zu machen,<br />
die Rede ist, hervorgehoben, dass – auch – eine erst<br />
durch die Recherchen des Aufnahmemitgliedstaates –<br />
gegebenenfalls erst lange nach der Fahrerlaubniserteilung<br />
– „aufgedeckte“ Verletzung des Wohnsitzerfordernisses<br />
mit Rücksicht auf die rechtlichen Gegebenheiten<br />
in Deutschland, die Nichtanerkennung der<br />
Fahrerlaubnis bzw. das Fehlen einer Fahrberechtigung<br />
in Deutschland in den in § 28 Abs. 4 FeV genannten<br />
Fällen kraft Gesetzes – mit der fakultativen Möglichkeit<br />
des Erlasses eines diese Rechtslage feststellenden<br />
Verwaltungsaktes (vgl. hierzu die das nunmehr ausdrücklich<br />
klarstellende Best<strong>im</strong>mung des § 28 Abs. 4<br />
Satz 2 der Fahrerlaubnisverordnung in der ab dem<br />
19. Januar 2009 geltenden Fassung) –, die bereits ab<br />
der Fahrerlaubniserteilung bestehende Rechtslage, die<br />
mangelnde Fahrberechtigung in Deutschland von Anbeginn<br />
an, belegt. In dem vom <strong>B<strong>und</strong></strong>esverwaltungsgericht<br />
entschiedenen Fall ging es – wie <strong>im</strong> Übrigen auch<br />
schon in dem der Entscheidung dieses Gerichts vom<br />
11. Dezember 2008 (BVerwGE 132, 315 [= BA 2009,<br />
229]) zugr<strong>und</strong>e liegenden Verfahren – um die rechtliche<br />
Würdigung einer Fahrerlaubnisentziehung in Anwendung<br />
des § 11 Abs. 8 FeV, wobei dann <strong>im</strong> Rahmen<br />
dieser Würdigung darauf eingegangen wurde, ob der<br />
Fahrerlaubnisentziehung der europarechtliche Anerkennungsgr<strong>und</strong>satz<br />
ent<strong>gegen</strong>steht.<br />
Die Auskunft der tschechischen Polizei vom<br />
04. Mai 2010 stellt auch eine vom Ausstellermitgliedstaat<br />
Tschechische Republik herrührende unbestreitbare<br />
Information dahin dar, dass der Kläger zum Zeitpunkt<br />
der Ausstellung seines tschechischen<br />
Führerscheins nicht seinen ordentlichen Wohnsitz <strong>im</strong><br />
Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaates hatte.<br />
Dass eine Auskunft der tschechischen Polizei eine<br />
der Tschechischen Republik zurechenbare Mitteilung<br />
ist, bedarf keiner weiteren Vertiefung.<br />
Mit der Auskunft vom 04. Mai 2010 wird aber auch<br />
unbestreitbar darüber informiert, dass der Kläger <strong>im</strong><br />
Zeitpunkt des Erwerbs der tschechischen Fahrerlaubnis<br />
keinen ordentlichen Wohnsitz in der Tschechischen<br />
Republik hatte. Für ein „Feststehen aufgr<strong>und</strong> unbestreitbarer<br />
Information“, was das Fehlen eines ordentlichen<br />
Wohnsitzes des Betroffenen <strong>im</strong> Ausstellermitgliedstaat<br />
angeht, kann nicht mehr, aber auch nicht<br />
weniger als hinsichtlich des Beweismaßes für die richterliche<br />
Überzeugungsbildung in einem Prozess verlangt<br />
werden, d. h. es muss bei Heranziehung allein<br />
der Information das Fehlen eines Wohnsitzes so sehr<br />
wahrscheinlich sein, dass kein vernünftiger, die Lebensverhältnisse<br />
klar überschauender Mensch noch<br />
zweifelt.<br />
Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Es besteht zunächst kein Anlass, die Richtigkeit der<br />
von der tschechischen Polizei mitgeteilten Tatsachen<br />
in Zweifel zu ziehen. Es ist daher davon auszugehen,<br />
dass <strong>im</strong> tschechischen Register der Kraftfahrzeugfahrer<br />
als Anschrift des Klägers seine Wohnungsanschrift<br />
in Deutschland angegeben ist, das tschechische Einwohnermeldeamtsregister<br />
keinen Wohnsitz des Klägers<br />
in der Tschechischen Republik ausweist <strong>und</strong> sich<br />
auch aus dem tschechischen Register der Ausländerpolizei<br />
kein Aufenthalt des Klägers in der Tschechischen<br />
Republik ergibt.<br />
Bei dieser Faktenlage, bei einer Zusammenschau<br />
des Fehlens von Angaben zum Kläger sowohl <strong>im</strong> Einwohnermeldeamtsregister<br />
als auch <strong>im</strong> Ausländerpolizeiregister<br />
auf der einen Seite <strong>und</strong> andererseits der<br />
Führung des Klägers <strong>im</strong> Kraftfahrzeugfahrerregister<br />
mit seiner deutschen Wohnungsanschrift kann kein<br />
vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass der Kläger<br />
<strong>im</strong> Zeitpunkt der Fahrerlaubniserteilung nicht, worauf<br />
es nach der Legaldefinition des ordentlichen Wohnsitzes<br />
in Art. 9 der 2. Führerscheinrichtlinie ankommt,<br />
wegen persönlicher <strong>und</strong> beruflicher Bindungen oder<br />
persönlicher Bindungen mit engem Bezug dorthin in<br />
der Tschechischen Republik gewöhnlich, d.h. während<br />
mindestens 185 Tagen <strong>im</strong> Kalenderjahr, gewohnt hat –<br />
<strong>und</strong> die Wohnortangabe <strong>im</strong> Führerschein (Sokolov)<br />
falsch ist. Dem Umstand, dass der Kläger mit seiner<br />
deutschen Wohnungsanschrift in das Kraftfahrzeugfahrerregister<br />
aufgenommen ist, kommt dabei besondere<br />
Bedeutung zu. Dem kann nämlich nur zugr<strong>und</strong>e<br />
liegen, dass der Kläger das Verwaltungsverfahren zur<br />
Fahrerlaubniserteilung unter Angabe eben dieser Anschrift<br />
als der seinigen betrieben hat. Dafür gäbe es<br />
aber keinen vernünftigen Gr<strong>und</strong>, wenn er seinerzeit<br />
tatsächlich in der Tschechischen Republik seinen Lebensmittelpunkt<br />
<strong>im</strong> oben beschriebenen Sinne gehabt<br />
hätte.<br />
Ob – wie das Verwaltungsgericht, dem bei seiner<br />
Entscheidungsfindung nur die sich allein dazu verhaltende<br />
Auskunft des Gemeinsamen Zentrums der<br />
deutsch-tschechischen Polizei- <strong>und</strong> Zollzusammenarbeit<br />
vom 29. Dezember 2008 vorlag, gemeint hat <strong>und</strong><br />
wofür durchaus einiges spricht – sich das Fehlen eines<br />
ordentlichen Wohnsitzes <strong>im</strong> Sinne des Art. 9 der<br />
2. Führerscheinrichtlinie allein damit „belegen“ lässt,<br />
dass der Betroffene in einem Ausstellermitgliedstaat,<br />
in dem die Pflicht zur Anmeldung des Bezugs einer<br />
Wohnung besteht, nicht <strong>im</strong> Melderegister erfasst ist,<br />
kann so hier letztlich dahingestellt bleiben.<br />
(Mitgeteilt von Richter am Oberverwaltungsgericht<br />
Hermann Möller, Koblenz)<br />
65. *) 1. Für die Anordnung eines medizinischpsychologischen<br />
Gutachtens aufgr<strong>und</strong> wiederholt<br />
begangener Zuwiderhandlungen <strong>im</strong> Straßenverkehr<br />
unter <strong>Alkohol</strong>einfluss gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2<br />
Buchst. b FeV genügen gr<strong>und</strong>sätzlich auch <strong>im</strong> Ausland<br />
begangene Zuwiderhandlungen, wenn diese in
gleichem Maße hinreichend nachgewiesen sind, wie<br />
dies bei entsprechenden Zuwiderhandlungen <strong>im</strong><br />
Inland gefordert werden müsste.<br />
2. Ein Fahrerlaubnisinhaber muss den Entzug<br />
der Fahrerlaubnis dann hinnehmen, wenn hinreichend<br />
Anlass zu der Annahme besteht, dass aus seiner<br />
aktiven Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr<br />
eine Gefahr für dessen Sicherheit resultiert.<br />
Dieses Risiko muss deutlich über demjenigen liegen,<br />
das allgemein mit der Zulassung von Personen<br />
zum Führen von Kraftfahrzeugen <strong>im</strong> öffentlichen<br />
Straßenverkehr verb<strong>und</strong>en ist.<br />
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof,<br />
Beschluss vom 09. Juni 2010 – 11 CS 10.786 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Der 1963 geborene Antragsteller wendet sich <strong>gegen</strong><br />
den Sofortvollzug der Entziehung seiner Fahrerlaubnis.<br />
Mit Urteil vom 22. April 1998 entzog das Amtsgericht<br />
Starnberg dem Antragsteller seine Fahrerlaubnis<br />
<strong>und</strong> setzte eine Sperrfrist für die Neuerteilung von 18<br />
Monaten fest. Gr<strong>und</strong> für die Verurteilung war eine<br />
<strong>Alkohol</strong>fahrt des Antragstellers am 30. März 1998<br />
<strong>gegen</strong> 2.15 Uhr mit einer <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
(BAK) von 1,48 ‰ <strong>im</strong> Mittelwert.<br />
Am 09. Februar 2001 erteilte das Landratsamt dem<br />
Antragsteller die Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, M<br />
<strong>und</strong> L neu.<br />
Mit Schreiben vom 22. Oktober 2007 übersandte<br />
die Deutsche Botschaft in Ankara diesen Führerschein<br />
dem Landratsamt <strong>und</strong> unterrichtete es darüber, dass<br />
die türkischen Behörden den Führerschein gemäß Art.<br />
48/5 des (türkischen) Verkehrsgesetzes wegen Fahrens<br />
unter <strong>Alkohol</strong>einfluss (2,01 ‰) für die Dauer von<br />
sechs Monaten einbehalten hatten. Dem Schreiben war<br />
ein Protokoll in türkischer Sprache beigefügt, aus dem<br />
der Name des Antragstellers, der <strong>Alkohol</strong>promillewert<br />
von 2,01, das Datum 11. Juli 2007 <strong>und</strong> die Uhrzeit<br />
5.23 Uhr zu entnehmen sind.<br />
Auf Antrag wurde dem Antragsteller der Führerschein<br />
der Klasse B, BE, M <strong>und</strong> L am 27. November<br />
2007 neu ausgestellt.<br />
Am 26. November 2008 forderte das Landratsamt<br />
S. den Antragsteller zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen<br />
Gutachtens über die Kraftfahreignung<br />
auf <strong>und</strong> stützte diese Anordnung auf § 13<br />
Satz 1 Nr. 2 Buchst. b <strong>und</strong> c FeV. Nachdem der Antragsteller<br />
vorgetragen hatte, die Tat vom 11. Juli 2007<br />
sei nicht verwertbar, weil ein Nachweis fehle, dass das<br />
Verfahren zur Messung des <strong>Alkohol</strong>werts den gesetzlichen<br />
Vorgaben entspreche, forderte das Landratsamt<br />
ihn am 05. Februar 2009 erneut zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen<br />
Gutachtens auf <strong>und</strong> stützte<br />
diese Aufforderung nunmehr nur noch auf § 13 Satz 1<br />
Nr. 2 Buchst. b FeV. Der Antragsteller habe sowohl am<br />
30. März 1998 wie auch am 11. Juli 2007 ein Fahrzeug<br />
unter <strong>Alkohol</strong>einfluss geführt. Daher sei gemäß § 13<br />
Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV zwingend die Beibringung<br />
eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen.<br />
Rechtsprechung<br />
369<br />
Der Antragsteller legte das geforderte Gutachten<br />
innerhalb der ihm gesetzten Frist nicht vor.<br />
Auf Anfrage des Landratsamts bei der Deutschen<br />
Botschaft in Ankara, mit welchem Gerät die be<strong>im</strong><br />
Antragsteller festgestellte <strong>Alkohol</strong>konzentration von<br />
2,01 ‰ am Tattag gemessen worden sei, teilte die Botschaft<br />
mit, Angaben über das verwendete Gerät seien<br />
aus dem Schreiben des türkischen Außenministeriums<br />
nicht ersichtlich. Üblicherweise werde ein kleiner<br />
Streifen beigefügt, auf dem in der Kopfzeile das verwendete<br />
Gerät <strong>und</strong> Angaben zur letzten Kalibrierung<br />
zu ersehen seien. Weiter teilte die Botschaft mit, die ihr<br />
durch die türkischen Behörden zugesandten Führerscheine<br />
würden gr<strong>und</strong>sätzlich nur bei nachgewiesenen<br />
Fahrten unter <strong>Alkohol</strong>einfluss einbehalten <strong>und</strong> zugesandt.<br />
Die bei der Messung verwendeten Geräte entsprächen<br />
europäischen Standards <strong>und</strong> würden regelmäßig<br />
überprüft <strong>und</strong> kalibriert.<br />
Nach vorheriger Anhörung des Antragstellers entzog<br />
das Landratsamt ihm mit Bescheid vom 12. Januar<br />
2010 unter Anordnung des Sofortvollzugs die Fahrerlaubnis<br />
der Klassen B, BE, L, M <strong>und</strong> S.<br />
Am 02. Februar 2010 erhob der Antragsteller hier<strong>gegen</strong><br />
Klage zum Verwaltungsgericht München. Das<br />
Verwaltungsgericht lehnte den Antrag mit Beschluss<br />
vom 01. März 2010 ab.<br />
Gegen diese Entscheidung legte der Antragsteller<br />
Beschwerde ein.<br />
Aus den Gründen:<br />
Die Beschwerde, bei deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof<br />
gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO<br />
auf die form- <strong>und</strong> fristgerecht vorgetragenen Gründe<br />
beschränkt ist, hat keinen Erfolg.<br />
Zwar stehen die Erfolgsaussichten der vom Antragsteller<br />
<strong>gegen</strong> den Bescheid des Landratsamtes vom<br />
12. Januar 2010 erhobenen Klage nicht mit Sicherheit<br />
fest (1.). Die deshalb vorzunehmende Interessenabwägung<br />
führt jedoch zu dem Ergebnis, dass es dem Antragsteller<br />
zuzumuten ist, bis zur abschließenden Klärung<br />
<strong>im</strong> Hauptsacheverfahren auf die Fahrerlaubnis zu<br />
verzichten (2.).<br />
1. Die Erfolgsaussichten der Klage hängen entscheidend<br />
davon ab, ob die auf § 13 Satz 1 Nr. 2<br />
Buchst. b FeV gestützte Beibringungsanordnung vom<br />
05. Februar 2009 rechtmäßig war <strong>und</strong> die Fahrerlaubnisbehörde<br />
deshalb gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV aus<br />
der Nichtbeibringung des von ihr geforderten Gutachtens<br />
auf die Nichteignung des Antragstellers schließen<br />
durfte.<br />
Nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV ordnet die<br />
Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen<br />
über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis<br />
oder über die Anordnung von Beschränkungen<br />
oder Auflagen an, dass ein medizinischpsychologisches<br />
Gutachten beizubringen ist, wenn<br />
wiederholt Zuwiderhandlungen <strong>im</strong> Straßenverkehr<br />
unter <strong>Alkohol</strong>einfluss begangen wurden. Die Anwendung<br />
der Vorschrift setzt mindestens zwei verwertbare<br />
Zuwiderhandlungen voraus (Hentschel/König/Dauer,<br />
Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl. 2009, § 13 FeV RdNr.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
370 Rechtsprechung<br />
22). Gr<strong>und</strong>sätzlich genügen hierfür auch <strong>im</strong> Ausland<br />
begangene Zuwiderhandlungen, wenn diese in gleichem<br />
Maße hinreichend nachgewiesen sind, wie dies<br />
bei entsprechenden Zuwiderhandlungen <strong>im</strong> Inland gefordert<br />
werden müsste (OVG Greifswald, [NJW 2008,<br />
3016]; Hentschel/König/Dauer, a. a. O.).<br />
Im Fall des Antragstellers steht nicht mit Sicherheit<br />
fest, ob er neben der <strong>Alkohol</strong>fahrt am 30. März 1998<br />
mit einer BAK von 1,48 ‰ auch am 11. Juli 2007 in<br />
der Türkei eine Zuwiderhandlung <strong>im</strong> Straßenverkehr<br />
unter <strong>Alkohol</strong>einfluss begangen hat. Das wäre dann zu<br />
bejahen, wenn er am 11. Juli 2007 zumindest eine Ordnungswidrigkeit<br />
nach § 24a Abs. 1 StVG begangen<br />
hätte, d.h. wenn er <strong>im</strong> Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug<br />
geführt hätte, obwohl er 0,25 mg/l oder mehr <strong>Alkohol</strong><br />
in der Atemluft oder 0,5 ‰ oder mehr <strong>Alkohol</strong><br />
<strong>im</strong> Blut gehabt hätte, oder eine <strong>Alkohol</strong>menge <strong>im</strong> Körper,<br />
die zu einer solchen Atem- oder <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
führt. Aus den dem Senat vorliegenden Behördenakten<br />
geht nicht eindeutig hervor, ob die<br />
türkische Polizei be<strong>im</strong> Antragsteller am 11. Juli 2007<br />
eine BAK von 2,01 ‰ oder eine Atemalkoholkonzentration<br />
(AAK) von 2,01 ‰ (das entspricht einer BAK<br />
von 4,02 Promille) festgestellt hat. Im Schreiben der<br />
Deutschen Botschaft in Ankara an das Landratsamt S.<br />
vom 22. Oktober 2007 ist lediglich von „Fahren unter<br />
<strong>Alkohol</strong>einfluss (2,01 ‰)“ die Rede. Auch <strong>im</strong> „Führerscheinrücknahmeprotokoll“<br />
der türkischen Polizei,<br />
dessen deutsche Übersetzung mittlerweile auch dem<br />
Senat vorliegt, wird als Gr<strong>und</strong> für die Rücknahme des<br />
Führerscheins nur von „<strong>Alkohol</strong>promille 2,01“ gesprochen.<br />
Zwar deutet die Verwendung des Begriffs<br />
Promille in beiden Schreiben darauf hin, dass damit<br />
die BAK bezeichnet werden sollte, weil die AAK üblicherweise<br />
in mg/l angegeben wird. Eine zweifelsfreie<br />
Gewissheit, dass tatsächlich die BAK gemeint ist,<br />
kann daraus aber nicht abgeleitet werden.<br />
Unklar ist damit auch, auf welche Weise der angegebene<br />
Messwert ermittelt wurde, <strong>und</strong> ob die vom<br />
OVG Greifswald (a. a. O.) für die Verwertbarkeit einer<br />
Atemalkoholmessung genannten Voraussetzungen –<br />
falls es sich überhaupt um eine Atemalkoholmessung<br />
gehandelt haben sollte – erfüllt sind. Das Verwaltungsgericht<br />
wird diese Fragen <strong>im</strong> Klageverfahren aufzuklären<br />
haben, indem es über die Deutsche Botschaft in<br />
Ankara bei dem das „Führerscheinrücknahmeprotokoll“<br />
verfassenden türkischen „Verkehrsregisterüberwachungsamtspräsidium“<br />
entsprechende Nachfragen<br />
stellt.<br />
2. Die wegen der nicht mit völliger Sicherheit feststehenden<br />
Erfolgsaussichten in der Hauptsache vorzunehmende<br />
Interessenabwägung hat sich an den Vorgaben<br />
zu orientieren, die das <strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgericht<br />
<strong>im</strong> Beschluss vom 20. Juni 2002 (NJW 2002, 2378<br />
[= BA 2002, 362]) aufgestellt hat. Das Interesse der<br />
Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs<br />
<strong>und</strong> der aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ableitbare Auftrag<br />
zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib <strong>und</strong><br />
Leben (vgl. BVerfG vom 16.10.1977 BVerfGE 45,<br />
160/164) gebieten es danach, hohe Anforderungen an<br />
die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu stel-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
len. Ein Fahrerlaubnisinhaber muss den Entzug dieser<br />
Berechtigung dann hinnehmen, wenn hinreichend Anlass<br />
zu der Annahme besteht, dass aus seiner aktiven<br />
Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr eine Gefahr<br />
für dessen Sicherheit resultiert. Dieses Risiko<br />
muss deutlich über demjenigen liegen, das allgemein<br />
mit der Zulassung von Personen zum Führen von<br />
Kraftfahrzeugen <strong>im</strong> öffentlichen Straßenverkehr verb<strong>und</strong>en<br />
ist (BVerfG vom 20. 06. 2002, a. a. O.).<br />
Diese Interessenabwägung führt zu dem Ergebnis,<br />
dass das öffentliche Interesse am Sofortvollzug der<br />
Fahrerlaubnisentziehung das private Interesse des Antragstellers<br />
an der Wiederherstellung der aufschiebenden<br />
Wirkung seiner Klage überwiegt. Maßgebend für<br />
dieses Ergebnis ist zum einen, dass eine erhebliche<br />
Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass die türkische<br />
Polizei den am 11. Juli 2007 festgestellten Promillewert<br />
von 2,01 zutreffend ermittelt hat, zumindest aber<br />
vom Antragsteller die in § 24a Abs. 1 StVG best<strong>im</strong>mten<br />
<strong>Alkohol</strong>werte erreicht worden sind. Für den, wie<br />
oben dargestellt, wahrscheinlicheren Fall, dass es sich<br />
bei dem Promillewert um die be<strong>im</strong> Antragsteller festgestellte<br />
BAK handelt, ist es schwer vorstellbar, dass<br />
die türkische Polizei bzw. der von ihr beauftragte Laborarzt<br />
unzutreffenderweise eine um mehr als das<br />
Vierfache über dem in § 24a Abs. 1 StVG bezeichneten<br />
Wert von 0,5 ‰ liegende BAK festgestellt haben<br />
sollte. Noch mehr gilt das für den weniger wahrscheinlichen<br />
Fall, dass mit dem Promillewert von 2,01 eine<br />
be<strong>im</strong> Antragsteller gemessene AAK gemeint sein sollte,<br />
weil dann der in § 24a Abs. 1 StVG best<strong>im</strong>mte Wert<br />
von 0,25 mg/l <strong>Alkohol</strong> in der Atemluft um mehr als<br />
das Achtfache zu hoch best<strong>im</strong>mt worden sein müsste.<br />
In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen,<br />
dass der Antragsteller weder ausdrücklich bestritten<br />
hat, am 11. Juli 2007 in der Türkei eine <strong>Alkohol</strong>fahrt<br />
mit einem Kraftfahrzeug unternommen zu haben, noch<br />
irgendwelche Angaben darüber gemacht hat, in welcher<br />
Weise die türkische Polizei die ihm angelastete<br />
<strong>Alkohol</strong>konzentration gemessen hat. Vielmehr hat er<br />
sich darauf beschränkt vorzutragen, dass das Vorliegen<br />
der vom OVG Greifswald genannten Voraussetzungen<br />
für die Verwertbarkeit einer Atemalkoholmessung bei<br />
ihm nicht nachgewiesen sei.<br />
Zum anderen ist bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen,<br />
dass der Antragsteller am 30. März<br />
1998 nachweislich mit einer BAK von 1,48 ‰, die<br />
deutlich über der Grenze der absoluten Fahrunsicherheit<br />
von 1,1 ‰ liegt, ein Kraftfahrzeug <strong>im</strong> Straßenverkehr<br />
geführt hat.<br />
Soweit der Antragsteller vorbringt, dass die Entscheidung<br />
des Landratsamts aufgr<strong>und</strong> eines türkischsprachigen<br />
Schriftstücks getroffen worden sei, ist<br />
dem ent<strong>gegen</strong>zuhalten, dass Gr<strong>und</strong>lage für diese Entscheidung<br />
das in deutscher Sprache verfasste Schreiben<br />
der Deutschen Botschaft in Ankara vom 22. Oktober<br />
2007 war, das <strong>im</strong> Übrigen den Inhalt des<br />
Protokolls der türkischen Polizei zutreffend wiedergegeben<br />
hat, wie dessen sowohl dem Antragsgegner<br />
als auch dem Antragsteller vorliegende deutsche<br />
Übersetzung zeigt.
66. 1. Die gewohnheitsmäßige Einnahme von<br />
Cannabis kann nur dann als regelmäßig <strong>im</strong> Sinne<br />
von Nr. 9.2.1 Anlage 4 zur FeV angesehen werden,<br />
wenn sie nicht deutlich seltener als täglich erfolgt.<br />
2. Nr. 9.2 Anlage 4 zur FeV regelt die Auswirkungen<br />
der Einnahme von Cannabis auf die Kraftfahreignung<br />
abschließend; Nr. 9.4. Anlage 4 zur FeV ist<br />
daneben nicht anwendbar.<br />
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen,<br />
Beschluss vom 01. Juni 2010 – 16 B 428/10 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Ein Fahrerlaubnisinhaber konsumierte mehrfach,<br />
auch phasenweise häufiger sowie zu unterschiedlichen<br />
Gelegenheiten Cannabis. Er wurde allerdings nie unter<br />
Cannabiseinfluss am Steuer angetroffen. Das medizinisch-psychologische<br />
Gutachten stellte einen regelmäßigen<br />
Cannabiskonsum fest. Die Straßenverkehrsbehörde<br />
entzog daraufhin die Fahrerlaubnis. Das VG<br />
bestätigte diese Entscheidung <strong>im</strong> Eilverfahren unter<br />
Hinweis auf den gutachterlich festgestellten regelmäßigen<br />
Konsum. Die hier<strong>gegen</strong> gerichtete Beschwerde<br />
des Fahrerlaubnisinhabers hatte Erfolg.<br />
Aus den Gründen:<br />
Nach summarischer Bewertung erweist sich die<br />
angegriffene Ordnungsverfügung als offensichtlich<br />
rechtswidrig. Aus dem Umgang des Antragstellers mit<br />
Cannabis lässt sich nicht mit hinreichender Sicherheit<br />
ableiten, dass dieser ungeeignet zum Führen von<br />
Kraftfahrzeugen ist.<br />
Eine regelmäßige Cannabiseinnahme (Nr. 9.2.1 Anlage<br />
4 zur FeV) lässt sich nach derzeitiger Aktenlage<br />
nicht sicher feststellen. In der Rechtsprechung des Senats<br />
<strong>und</strong> des BVerwG ist bislang nicht abschließend<br />
geklärt, wann die Einnahme in diesem Sinne „regelmäßig“<br />
ist. Zusammenfassend lässt sich lediglich<br />
sagen, dass derjenige, der täglich, nahezu täglich oder<br />
gewohnheitsmäßig Cannabis einn<strong>im</strong>mt, <strong>im</strong> fahrerlaubnisrechtlichen<br />
Sinne regelmäßig konsumiert (vgl.<br />
BVerwG, Urteil vom 26.02.2009 – 3 C 1.08 –, juris<br />
Rdn. 14 ff. (= BVerwGE 133, 186 [= BA 2009, 289]).<br />
Auslegungsbedürftig ist vor allem der Begriff des<br />
gewohnheitsmäßigen Konsums. Er kann neben dem<br />
Begriff des täglichen bzw. nahezu täglichen Konsums<br />
nur die Funktion haben, Konsumformen zu erfassen,<br />
die eine seltenere Häufigkeit als täglich aufweisen.<br />
Aus ihm lässt sich zunächst folgern, dass es für die Regelmäßigkeit<br />
unabhängig von der Häufigkeit („täglich“)<br />
auch darauf ankommen kann, ob der Konsum<br />
regel- bis zwanghaft erfolgt, er sich also als integraler<br />
Bestandteil des Alltagslebens des Fahrerlaubnisinhabers<br />
darstellt. Das BVerwG stellt den täglichen <strong>und</strong><br />
den gewohnheitsmäßigen Cannabiskonsums zwar als<br />
unterschiedliche Konsumformen nebeneinander, bewertet<br />
sie aber gleich. Daraus lässt sich ableiten, dass<br />
deutlich unterhalb einer täglichen Cannabiseinnahme<br />
bleibende Konsummuster nicht mehr erfasst sein sollen.<br />
Insbesondere scheidet es aus, einen Konsum, der<br />
einem festen zeitlichen Muster folgt, aber aufs Ganze<br />
Rechtsprechung<br />
371<br />
gesehen ein seltenes Ereignis bildet, allein wegen dieser<br />
Regelhaftigkeit als gewohnheitsmäßig zu bewerten.<br />
Wenn der Normgeber in Anlage 4 zur FeV auf die<br />
„Regelmäßigkeit“ des Konsums abstellt, soll damit der<br />
besonderen Gefährlichkeit dieser Konsumform Rechnung<br />
getragen werden. Wegen der Häufigkeit <strong>und</strong> der<br />
Regel- bzw. Zwanghaftigkeit des Konsums kann be<strong>im</strong><br />
regelmäßigen Cannabiskonsumenten nicht davon ausgegangen<br />
werden, dass er zuverlässig <strong>Drogen</strong>konsum<br />
<strong>und</strong> Kraftfahren auseinanderhalten kann, wiewohl er<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich dazu bereit sein mag. Der Normzweck<br />
der Nr. 9.2 Anlage 4 zur FeV würde verfehlt, wenn<br />
man allein auf die Regelhaftigkeit des Konsums<br />
– ohne Berücksichtigung auch der Häufigkeit – abstellen<br />
wollte. Denn derjenige, der unter Einhaltung eines<br />
festen Zeitschemas, insgesamt aber selten Cannabis<br />
konsumiert, wird wahrscheinlich seine gr<strong>und</strong>sätzliche<br />
Bereitschaft umsetzen können, Cannabiskonsum <strong>und</strong><br />
Kraftfahren zu trennen. Es spricht sogar manches<br />
dafür, dass die Zuweisung fester Zeiten für den Konsum<br />
die konsequente Vermeidung von Kraftfahrten<br />
unter Cannabiseinfluss eher erleichtert. Das Risiko,<br />
dass der regelhaft aber selten Konsumierende ein<br />
Kraftfahrzeug unter Cannabiseinfluss führt, obwohl er<br />
dieses für sich gr<strong>und</strong>sätzlich ausgeschlossen hat, ist<br />
deutlich geringer als bei einem täglichen oder nahezu<br />
täglichen Konsumenten. Diese unterschiedlichen Konsumformen<br />
dürfen also nicht zu derselben Rechtsfolge<br />
führen.<br />
Im Ergebnis folgt daraus, dass die gewohnheitsmäßige<br />
Einnahme von Cannabis nur dann als regelmäßig<br />
<strong>im</strong> fahrerlaubnisrechtlichen Sinne angesehen werden<br />
kann, wenn sie nicht deutlich seltener als täglich erfolgt<br />
(vgl. OVG NRW, Beschluss vom 31. 03. 2009<br />
– 16 B 1611/09 –; auch BayVGH, Beschluss vom<br />
04. 05. 2009 – 11 CS 09.262 –, juris Rdn. 15: kein regelmäßiger<br />
Konsum bei max<strong>im</strong>al vier Konsumvorgängen<br />
pro Woche oder höchstens zwanzig Konsumvorgängen<br />
pro Monat).<br />
Hiervon ausgehend konsumiert der Antragsteller<br />
nach Aktenlage nicht regelmäßig Cannabis. Aus seinen<br />
Einlassungen ergibt sich lediglich der von ihm<br />
auch mit der Beschwerdeschrift eingeräumte gelegentliche<br />
Konsum. Die anamnestisch festgestellten Konsumvorgänge<br />
belegen – nicht zuletzt wegen ihrer fehlenden<br />
Klarheit – nur einen Konsum, der deutlich<br />
seltener als täglich erfolgt (2007: zwei Monate<br />
„abends drei Joints“, „zum Wochenende samstags <strong>und</strong><br />
sonntags jeweils einen Joint“; „am 16. 04. 2009 habe<br />
er bis 23. 07. 2009 Marihuana geraucht“; 25. 07. 2007:<br />
„zwei Tage vorher Marihuana konsumiert“;<br />
19. 09. 2009: letzter Konsum). Die Frage der Regelmäßigkeit<br />
des Konsums ist eine Rechtsfrage, die abschließend<br />
von den Gerichten zu beantworten ist. Deswegen<br />
hat die <strong>im</strong> Gutachten geäußerte Bewertung, es<br />
handele sich um regelmäßigen Konsum, keine Bindungswirkung.<br />
Ent<strong>gegen</strong> der Annahme des VG genügt<br />
sie auch nicht, um Regelmäßigkeit ohne eigene Prüfung<br />
anzunehmen. Das gilt vorliegend umso mehr, als<br />
das Gutachten nicht darlegt, nach welchem Maßstab es<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
372 Rechtsprechung<br />
den gelegentlichen vom regelmäßigen Konsum unterscheidet.<br />
Auch die vom VG auf der Gr<strong>und</strong>lage der gutachterlichen<br />
Bewertung angenommene missbräuchliche<br />
Einnahme von anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen<br />
(Nr. 9.4 Anlage 4 zur FeV) liegt nicht vor. Nach der<br />
Systematik der Nr. 9 Anlage 4 zur FeV ist der Konsum<br />
von Cannabis abschließend in den beiden speziellen<br />
Vorschriften der Nr. 9.2 geregelt. Der Rückgriff auf die<br />
allgemeinere Nr. 9.4 scheidet für diese Droge aus.<br />
(Mitgeteilt von der Veröffentlichungskommission<br />
der Richter des Oberverwaltungsgerichts<br />
für das Land Nordrhein-Westfalen)<br />
67. *) 1. Ein festgestellter THC-Wert von 33,0<br />
ng/ml übersteigt den zu § 24a Abs. 2 StVG durch<br />
die Grenzwertkommission festgesetzten Wert von<br />
1 ng/g bzw. ml bei weitem <strong>und</strong> rechtfertigt daher<br />
die Annahme eines mangelnden Trennungsvermögens<br />
i. S. d. Ziff. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV <strong>im</strong><br />
Sinne eines zeitnahen Konsums mit entsprechender<br />
Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit.<br />
2. Für den Nachweis, dass der Betreffende nunmehr<br />
den Konsum von Cannabis <strong>und</strong> Fahren trennen<br />
kann bzw. drogenfrei lebt, schreibt die Fahrerlaubnis-Verordnung<br />
zwingend eine medizinischpsychologische<br />
Untersuchung vor (§ 14 Abs. 2 FeV);<br />
ein Zertifikat des TÜV Nord über den Nachweis<br />
der <strong>Drogen</strong>abstinenz genügt insoweit nicht.<br />
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen,<br />
Beschluss vom 07. Mai 2010 – 7 L 427/10 –<br />
Aus den Gründen:<br />
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage<br />
des Antragstellers <strong>gegen</strong> die Ordnungsverfügung des<br />
Antragsgegners vom 25. März 2010 wiederherzustellen,<br />
ist gemäß § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung<br />
– VwGO – zulässig, aber unbegründet.<br />
Die <strong>im</strong> Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens<br />
vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu<br />
Lasten des Antragstellers aus, weil die Ordnungsverfügung<br />
bei summarischer Prüfung mit großer Wahrscheinlichkeit<br />
rechtmäßig ist.<br />
Ausgangspunkt der Betrachtung ist <strong>im</strong> vorliegenden<br />
Fall, dass der Antragsteller am 16. Januar 2010 ein<br />
Kraftfahrzeug unter Cannabiseinfluss geführt <strong>und</strong> dadurch<br />
bewiesen hat, dass er zwischen Konsum von<br />
Cannabis <strong>und</strong> Fahren nicht trennen kann (vgl. Oberverwaltungsgericht<br />
für das Land Nordrhein-Westfalen<br />
, Beschluss vom 15. Dezember 2003<br />
– 19 B 2493/03 –).<br />
Der <strong>im</strong> Blut des Antragstellers nach dem Ergebnis<br />
des rechtsmedizinischen Gutachtens von Prof. Dr. N.<br />
(Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums<br />
C.) vom 19. Februar 2010 festgestellte THC-<br />
Wert von 33,0 ng/ml übersteigt den zu § 24a Abs. 2<br />
StVG durch die Grenzwertkommission festgesetzten<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Wert von 1 ng/g bzw. ml bei weitem <strong>und</strong> rechtfertigt<br />
daher die Annahme eines zeitnahen Konsums mit<br />
entsprechender Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit.<br />
Das Erreichen dieses Grenzwertes ist nämlich<br />
für die Annahme relevanten Cannabiseinflusses erforderlich,<br />
aber auch ausreichend (vgl. <strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgericht,<br />
Beschluss vom 21. Dezember 2004<br />
– 1 BvR 2652/03 – [BA 2005, 156 mit Anm. Scheffler/Halecker]<br />
mit zahlreichen Nachweisen aus Rechtsprechung<br />
<strong>und</strong> Literatur).<br />
Die weiteren Ergebnisse des Gutachtens legen auch<br />
die Annahme nahe, dass der Antragsteller tatsächlich<br />
häufiger über einen längeren Zeitraum Cannabis konsumiert<br />
hat. Bei ihm ist ein THC-COOH-Wert (THC-<br />
Metabolit) von 210 ng/ml festgestellt worden, der ausweislich<br />
des Gutachtens für einen regelmäßigen bzw.<br />
sogar gewohnheitsmäßigen Konsum spricht.<br />
Das vom Antragsteller nunmehr vorgelegte Zertifikat<br />
des TÜV Nord über den Nachweis der <strong>Drogen</strong>abstinenz<br />
vom 01. April 2010 rechtfertigt keine andere<br />
Entscheidung. Danach hat er zwar offenbar – wie vorgetragen<br />
– seinen <strong>Drogen</strong>konsum inzwischen eingestellt.<br />
Eine derartige Untersuchung ist aber als Nachweis<br />
dafür, dass der Betreffende nunmehr den Konsum<br />
von Cannabis <strong>und</strong> Fahren trennen kann bzw. drogenfrei<br />
lebt, alleine nicht geeignet. Insoweit schreibt die<br />
Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) zwingend eine medizinisch-psychologische<br />
Untersuchung vor (vgl. § 14<br />
Abs. 2 FeV); diese (auf der Gr<strong>und</strong>lage mehrerer Screenings)<br />
vorzulegen, muss der Antragsteller auf ein<br />
Wiedererteilungsverfahren verwiesen werden.<br />
Angesichts der <strong>im</strong> Zeitpunkt der Entziehung feststehenden<br />
Ungeeignetheit des Antragstellers bestehen<br />
keinerlei Bedenken <strong>gegen</strong> die Anordnung der sofortigen<br />
Vollziehung der Entziehungsverfügung. Die von<br />
ihm ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit erscheint<br />
zu groß, als dass sie bis zur Entscheidung der<br />
Hauptsache hingenommen werden könnte. Vielmehr<br />
besteht ein das Suspensivinteresse des Antragstellers<br />
überwiegendes öffentliches Interesse daran, ihn durch<br />
eine sofort wirksame Maßnahme vorläufig von der<br />
Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr auszuschließen.<br />
68. *) Sind mehrere Entscheidungen nach § 28<br />
Abs. 3 Nr. 1 bis 9 StVG über eine Person in das<br />
Verkehrszentralregister eingetragen, ist die Tilgung<br />
einer Eintragung nach § 29 Abs. 6 StVG zwar<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich erst zulässig, wenn für alle betreffenden<br />
Eintragungen die Voraussetzungen der Tilgung<br />
vorliegen. Allerdings hemmen die <strong>im</strong> Verkehrszentralregister<br />
eingetragenen Ordnungswidrigkeiten<br />
lediglich die Tilgung von Entscheidungen<br />
wegen anderer Ordnungswidrigkeiten, hin<strong>gegen</strong><br />
jedoch nicht die Tilgungsfrist einer eingetragenen<br />
Straftat.<br />
Verwaltungsgericht Bremen,<br />
Beschluss vom 08. Juni 2010 – 5 V 684/10 –
Zum Sachverhalt:<br />
Der Antragsteller begehrt <strong>im</strong> Eilverfahren Rechtsschutz<br />
<strong>gegen</strong> die Anordnung, an einem Aufbauseminar<br />
teilzunehmen.<br />
Dem Antragsteller wurde am 31. Januar 1985 die<br />
Fahrerlaubnis erteilt. Mit Urteil vom 16. Juni 2004<br />
wurde er aufgr<strong>und</strong> eines Vorfalls vom 04. Oktober<br />
1998 wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in<br />
den Straßenverkehr verurteilt <strong>und</strong> es wurden zehn<br />
Punkte in das Verkehrszentralregister eingetragen. Seit<br />
dem Jahr 2007 wurden weitere Verkehrsverstöße des<br />
Antragstellers in das Verkehrszentralregister eingetragen.<br />
Am 03. Dezember 2009 wies das Kraftfahrt-<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esamt das Stadtamt B. darauf hin, dass der Antragsteller<br />
insgesamt 16 Punkte erreicht habe. Mit<br />
Verfügung vom 03. Mai 2010 ordnete das Stadtamt B.<br />
die Teilnahme des Antragstellers an einem Aufbauseminar<br />
an. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antragsteller<br />
sei aufgr<strong>und</strong> der bisher <strong>im</strong> Straßenverkehr<br />
begangenen Zuwiderhandlungen mit Schreiben vom<br />
02. November 2004 verwarnt worden. Die Punktzahl<br />
des Antragstellers betrage nunmehr 16 Punkte. Ergäben<br />
sich 14, aber nicht mehr als 17 Punkte, habe die<br />
Fahrerlaubnisbehörde die Teilnahme an einem Aufbauseminar<br />
anzuordnen. Gegen die Verfügung legte<br />
der Antragsteller am 28. Mai 2010 Widerspruch ein.<br />
Darin machte er geltend, die Punkteeintragung hinsichtlich<br />
der Verurteilung wegen gefährlichen Eingriffs<br />
in den Straßenverkehr sei seit dem 25. Juni 2009<br />
tilgungsreif. Bei der Verurteilung handele es sich<br />
weder um eine <strong>Alkohol</strong>- noch um eine <strong>Drogen</strong>straftat,<br />
noch sei die Fahrerlaubnis entzogen oder eine Sperre<br />
verhängt worden.<br />
Der Antragsteller hat am 31. Mai 2010 einen Antrag<br />
auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines<br />
Widerspruchs gestellt. Er wiederholt seine Ausführungen<br />
aus dem Widerspruchsverfahren. Ergänzend trägt<br />
er vor, die am 24. Juni 2004 eingetragene Straftat sei<br />
am 25. Juni 2009 tilgungsreif geworden, so dass die<br />
Eintragung nach einer Überliegefrist von 12 Monaten<br />
am 25. Juni 2010 zu löschen sei.<br />
Aus den Gründen:<br />
Der Antrag hat Erfolg. Er ist zulässig <strong>und</strong> begründet.<br />
Rechtsgr<strong>und</strong>lage für die Anordnung der Teilnahme<br />
an einem Aufbauseminar ist § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2<br />
StVG. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde <strong>gegen</strong>über<br />
dem Inhaber einer Fahrerlaubnis, der 14 oder mehr<br />
Punkte <strong>im</strong> Verkehrszentralregister hat, die Teilnahme<br />
an einem Aufbauseminar anzuordnen. Diese Voraussetzungen<br />
sind nicht erfüllt, denn zum maßgeblichen<br />
Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung des Stadtamtes<br />
vom 03. Mai 2010 (vgl. BVerwG, Urteil vom<br />
25. 09. 2008, Az. 3 C 34/07) betrug der Punktestand<br />
des Antragstellers nicht 14 oder mehr Punkte, weil die<br />
am 16. Juni 2004 abgeurteilte Straftat bereits tilgungsreif<br />
<strong>und</strong> damit unverwertbar war.<br />
Der Punktestand des Antragstellers erreichte ausweislich<br />
des Auszuges aus dem Verkehrszentralregister<br />
nach Eintragung einer Ordnungswidrigkeit wegen<br />
Rechtsprechung<br />
373<br />
Geschwindigkeitsübertretung am 04. April 2008<br />
einen Punktestand von 14 Punkten. Mit Eintragung<br />
vom 19. Mai 2009 wegen einer Überholverbotsmissachtung<br />
erreichte der Antragsteller einen Punktestand<br />
von 15 <strong>und</strong> mit Eintragung wegen einer Geschwindigkeitsübertretung<br />
vom 10. November 2009 insgesamt<br />
16 Punkte. Nach Eintragung des mit zehn Punkten geahndeten<br />
gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr<br />
hatte das Stadtamt B. den Antragsteller mit Schreiben<br />
vom 02. November 2004 gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 1 StVG<br />
verwarnt. Nach dieser Norm hat die Fahrerlaubnisbehörde<br />
den Inhaber einer Fahrerlaubnis schriftlich zu<br />
verwarnen <strong>und</strong> ihn auf die Möglichkeit der Teilnahme<br />
an einem Aufbauseminar hinzuweisen, wenn sich acht,<br />
aber nicht mehr als 13 Punkte, ergeben. Nach § 4<br />
Abs. 5 StVG wird der Punktestand auf 13 reduziert,<br />
wenn der Betroffene 14 oder 18 Punkte erreicht oder<br />
überschreitet, ohne dass die Fahrerlaubnisbehörde die<br />
Maßnahmen nach Absatz 3 Satz 1 Nr. 1 ergriffen hat.<br />
Aufgr<strong>und</strong> der entsprechenden schriftlichen Verwarnung<br />
hat sich der Punktestand des Antragstellers folglich<br />
nicht reduziert.<br />
Die anlässlich der Verurteilung vom 16. Juni 2004<br />
eingetragenen Punkte waren bei Erlass der Verfügung<br />
vom 03. Mai 2010 jedoch bereits tilgungsreif. Nach<br />
§ 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StVG betragen die Tilgungsfristen<br />
für die <strong>im</strong> Verkehrszentralregister gespeicherten<br />
Eintragungen fünf Jahre bei Entscheidungen<br />
wegen Straftaten mit Ausnahme von Entscheidungen<br />
wegen Straftaten nach § 315c Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe<br />
a, den §§ 316 <strong>und</strong> 323a des Strafgesetzbuches <strong>und</strong> Entscheidungen,<br />
in denen die Entziehung der Fahrerlaubnis<br />
nach den §§ 69 <strong>und</strong> 69b des Strafgesetzbuchs oder<br />
eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuchs<br />
angeordnet worden ist. Die Eintragung wegen<br />
vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr<br />
beruht auf §§ 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, 315<br />
Abs. 3 Nr. 1 b, 56 Abs. 1, 53 StGB. Die Tilgungsfrist<br />
beträgt somit gemäß § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StVG<br />
fünf Jahre. Die Tilgungsfrist beginnt bei strafgerichtlichen<br />
Verurteilungen nach § 29 Abs. 4 Nr. 1 StVG mit<br />
dem Tag des ersten Urteils. Das Urteil erging am<br />
16. Juni 2004, so dass Tilgungsreife mit Ablauf des<br />
15. Juni 2009 vorlag.<br />
Ent<strong>gegen</strong> der Auffassung der Antragsgegnerin hemmen<br />
die <strong>im</strong> Verkehrszentralregister für den Antragsteller<br />
eingetragenen Ordnungswidrigkeiten nicht die Tilgungsfrist<br />
der eingetragenen Straftat. Sind mehrere<br />
Entscheidungen nach § 28 Abs. 3 Nr. 1 bis 9 StVG<br />
über eine Person in das Verkehrszentralregister eingetragen,<br />
ist die Tilgung einer Eintragung nach § 29<br />
Abs. 6 StVG zwar gr<strong>und</strong>sätzlich erst zulässig, wenn<br />
für alle betreffenden Eintragungen die Voraussetzungen<br />
der Tilgung vorliegen. Dies war vorliegend der<br />
Fall, denn für den Antragsteller wurden innerhalb der<br />
für die am 16. Juni 2004 abgeurteilte Straftat geltenden<br />
fünfjährigen Tilgungsfrist weitere Ordnungswidrigkeiten<br />
in das Verkehrszentralregister eingetragen. Die<br />
Tilgungsfrist der letzten Eintragung vom 10. November<br />
2009 (rechtskräftig seit 27. November 2009)<br />
wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit läuft nach<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
374 Rechtsprechung<br />
§ 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StVG erst zwei Jahre nach<br />
Rechtskraft der Bußgeldentscheidung ab. Eintragungen<br />
von Entscheidungen wegen Ordnungswidrigkeiten<br />
hindern nach § 29 Abs. 6 Satz 3 StVG jedoch nur<br />
die Tilgung von Entscheidungen wegen anderer Ordnungswidrigkeiten,<br />
so dass die ab dem Jahr 2007 eingetragenen<br />
Ordnungswidrigkeiten nicht die Tilgung<br />
der am 16. Juni 2004 abgeurteilten Straftat hindern<br />
(vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., 2009,<br />
§ 29 StVG Rdnr. 8; Bouska/Laeverenz, Fahrerlaubnisrecht,<br />
4. Aufl., 2004, § 29 StVG Rdnr. 19). Die am<br />
16. Juni 2004 abgeurteilte Straftat war somit tilgungsreif<br />
<strong>und</strong> nicht mehr verwertbar. Damit ergab sich <strong>im</strong><br />
maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen<br />
Verfügung für Maßnahmen nach § 4 StVG lediglich<br />
ein Punktestand von sechs Punkten.<br />
69. *) Der Besitz einer Ecstasy-Tablette hat nicht<br />
zwingend die Anordnung einer ärztlichen Begutachtung<br />
zur Überprüfung der Fahreignung zur<br />
Folge, da der Gesetzgeber mit § 14 Abs. 1 Satz 2<br />
FeV gezeigt hat, dass er in diesem Fall die Anordnung<br />
einer ärztlich Untersuchung in das Ermessen<br />
der Behörde stellt. Werden jedoch neben der Ectasy-Tablette<br />
<strong>im</strong> Rahmen einer Hausuntersuchung<br />
auch Konsumutensilien für Betäubungsmittel sichergestellt,<br />
so begründen diese Umstände in ihrer<br />
Gesamtschau die Annahme, dass der Betroffene<br />
selbst auch diese Betäubungsmittel konsumiert <strong>und</strong><br />
führen daher zwingend zu der Anordnung einer<br />
ärztlichen Begutachtung.<br />
Verwaltungsgericht Augsburg,<br />
Urteil vom 19. Juli 2010 – Au 7 K 09.888 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Die Parteien streiten um die Rechtmäßigkeit der<br />
Entziehung einer Fahrerlaubnis.<br />
1. Die Fahrerlaubnisbehörde des Beklagten erhielt<br />
mit Schreiben vom 26. März 2008 eine Mitteilung der<br />
Kr<strong>im</strong>inalpolizeiinspektion ..., wonach der Kläger <strong>im</strong><br />
Verdacht stehe, <strong>im</strong> Zeitraum vom 15. Juli 2007 bis<br />
zum 08. September 2007 in fünf Fällen zwischen 5 <strong>und</strong><br />
12 g Kokain erworben zu haben. Das Kokain habe teilweise<br />
dem Eigenkonsum gedient. Bei einer Wohnungsdurchsuchung<br />
seien Konsumutensilien aufgef<strong>und</strong>en<br />
worden.<br />
Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 05.<br />
April 2008 wurde das Ermittlungsverfahren <strong>gegen</strong><br />
den Kläger hinsichtlich des Erwerbs von Kokain in<br />
8 Fällen gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, da einziges<br />
Beweismittel Telefonüberwachungsprotokolle<br />
seien, welche aber nicht verwertet werden könnten, da<br />
dem Kläger keine Katalogtat nach § 100a StPO nachweisbar<br />
sei. Soweit dem Kläger zur Last gelegt wurde,<br />
eine Ecstasy-Tablette aufbewahrt zu haben, wurde<br />
gemäß § 153a Abs. 1 StPO von der Erhebung der<br />
öffentlichen Klage <strong>gegen</strong> Zahlung einer Geldauflage<br />
in Höhe von 100,00 € abgesehen.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Mit Schreiben vom 23. Oktober 2008 forderte die<br />
Fahrerlaubnisbehörde des Beklagten den Kläger auf,<br />
bis zum 09. Dezember 2008 ein Gutachten mit zwei<br />
Urin- oder einer Haaranalyse eines Arztes einer Begutachtungsstelle<br />
für Fahreignung beizubringen. Zur Begründung<br />
wurde ausgeführt, in der Wohnung des Klägers<br />
seien eine Ecstasy-Pille <strong>und</strong> Konsumutensilien<br />
sichergestellt worden. Daher bestünde die Möglichkeit,<br />
dass der Kläger unter <strong>Drogen</strong>einfluss am Straßenverkehr<br />
teilnehmen könnte. Das Gutachten sollte die<br />
Frage klären, ob der Kläger Betäubungsmittel <strong>im</strong> Sinne<br />
des Betäubungsmittelgesetzes oder andere psychoaktiv<br />
wirkende Stoffe einnehme, die die Fahreignung<br />
nach Anlage 4 FeV in Frage stellen würden. Die Frage,<br />
ob eine Einnahme von Betäubungsmitteln vorliege, sei<br />
mit mindestens zwei Urinanalysen zu klären.<br />
Mit Schreiben vom 04. November 2008 teilte der<br />
Prozessbevollmächtigte des Klägers der Fahrerlaubnisbehörde<br />
des Beklagten mit, dass nach § 14 Abs. 1<br />
S. 2 FeV bei widerrechtlichem Besitz von Betäubungsmitteln<br />
die Anordnung eines ärztlichen Gutachtens<br />
nur bei Hinzutreten weiterer Umstände, die eine<br />
Klärung geboten erscheinen ließen, möglich sei. Solche<br />
weiteren Umstände würden aber nicht angegeben.<br />
2. Mit Bescheid des Beklagten vom 09. Juni 2009<br />
wurde dem Kläger die Fahrerlaubnis entzogen. Da<strong>gegen</strong><br />
richtet sich die vom Kläger erhobene Klage.<br />
Aus den Gründen:<br />
I. Die zulässige Anfechtungsklage ist nicht begründet,<br />
da der Bescheid des Beklagten vom 09. Juni 2009<br />
rechtmäßig ist <strong>und</strong> den Kläger nicht in seinen subjektiv-öffentlichen<br />
Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1<br />
der Verwaltungsgerichtsordnung ).<br />
1. Die Aufforderung der Beklagten, ein ärztliches<br />
Gutachten vorzulegen, konnte auf § 14 Abs. 1 Satz 2<br />
FeV gestützt werden. Danach kann die Beibringung<br />
eines ärztlichen Gutachtens angeordnet werden, wenn<br />
der Betroffene Betäubungsmittel <strong>im</strong> Sinne des Betäubungsmittelgesetzes<br />
widerrechtlich besitzt oder besessen<br />
hat.<br />
Diese Voraussetzung ist bei dem Kläger durch den<br />
Besitz der Ecstasy-Tablette erfüllt. Zwar handelt es<br />
sich bei § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV um eine Ermessensvorschrift.<br />
Die Fahrerlaubnisbehörde hat jedoch <strong>im</strong><br />
Rahmen der Gutachtensanforderung ausgeführt, es bestehe<br />
die Möglichkeit, dass der Kläger unter dem Einfluss<br />
von <strong>Drogen</strong> am Straßenverkehr teilnehmen<br />
würde bzw. dass sein Konsumverhalten zum Ausschluss<br />
der Fahreignung führen könnte.<br />
2. Selbst wenn man jedoch diese Ausführungen<br />
nicht als ordnungsgemäße Ausübung des eingeräumten<br />
Ermessens ansehen, sondern darin einen Ermessensfehler<br />
sehen würde, so könnte die Anforderung<br />
des ärztlichen Gutachtens jedenfalls auf § 14 Abs. 1<br />
Satz 1 Nr. 2 FeV gestützt werden. Danach ordnet die<br />
Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen<br />
über die Erteilung oder die Verlängerung der<br />
Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen<br />
oder Auflagen an, dass ein ärztliches Gutachten<br />
(§ 11 Abs. 2 Satz 3 FeV) beizubringen ist, wenn
Tatsachen die Annahme begründen, dass die Einnahme<br />
von Betäubungsmitteln <strong>im</strong> Sinne des Betäubungsmittelgesetzes<br />
vorliegt.<br />
Allein der Besitz der Ecstasy-Tablette stellt zwar<br />
keine Tatsache dar, die die Annahme der Einnahme<br />
von Betäubungsmitteln begründen kann, da der Gesetzgeber<br />
mit § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV gezeigt hat, dass<br />
er in diesem Fall die Anordnung einer ärztlichen<br />
Untersuchung nicht zwingend vorsieht, sondern diese<br />
vielmehr in das Ermessen der Behörde stellt.<br />
Vorliegend wurde jedoch bei dem Kläger nicht nur<br />
eine Ecstasy-Tablette gef<strong>und</strong>en, sondern <strong>im</strong> Rahmen<br />
der Hausdurchsuchung konnten auch Konsumutensilien<br />
für Betäubungsmittel in der Wohnung des Klägers<br />
sichergestellt werden. Diese Umstände begründen in<br />
ihrer Gesamtschau die Annahme, dass der Kläger<br />
selbst auch diese Betäubungsmittel konsumiert <strong>und</strong><br />
führen daher zwingend zu der Anordnung einer ärztlichen<br />
Begutachtung. Die vorliegenden Verdachtsmomente<br />
gehen damit insbesondere über die bloße Vermutung<br />
eines <strong>Drogen</strong>konsums, die für sich genommen<br />
als Rechtfertigung für eine Gutachtensaufforderung<br />
nicht ausreichen würde, hinaus (BayVGH vom<br />
17. 08. 2009 – 11 CS 09.1063 [BA 2009, 442] in einem<br />
ähnlich gelagerten Fall). Andererseits steht es nicht mit<br />
hinreichender Sicherheit fest, dass der Kläger tatsächlich<br />
Betäubungsmittel <strong>im</strong> Sinne des Betäubungsmittelgesetzes<br />
konsumiert hat, was zu einem Entzug der<br />
Fahrerlaubnis ohne vorheriges Gutachten berechtigen<br />
würde (vgl. § 46 Abs. 1 i.V. mit § 11 Abs. 1 Satz 2<br />
FeV <strong>und</strong> Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV). Hierfür wäre<br />
ein Nachweis etwa in Form einer positiven Blut- oder<br />
Urinprobe zu fordern, der vorliegend nicht erbracht<br />
wurde, so dass es bei einem konkreten <strong>und</strong> hinreichenden<br />
Verdacht des Betäubungsmittelkonsums bleibt,<br />
der die Gutachtensbeibringungsaufforderung rechtfertigt<br />
(BayVGH vom 17.08. 2009 – a. a. O.).<br />
Bei der Behauptung des Klägers, die Konsumutensilien<br />
hätten dem Gast einer Party gehört, handelt es<br />
sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine Schutzbehauptung.<br />
Dem braucht jedoch nicht näher nachgegangen<br />
zu werden, weil der <strong>Drogen</strong>konsum zur Anforderung<br />
eines ärztlichen Gutachtens nicht sicher feststehen<br />
muss. Ausreichend ist schon, dass konkrete Tatsachen<br />
die Annahme von <strong>Drogen</strong>konsum begründen.<br />
Dies ist – wie oben dargelegt – der Fall.<br />
Da es sich bei § 14 Abs. 1 Satz 1 FeV um eine geb<strong>und</strong>ene<br />
Entscheidung handelt, ist es unerheblich, ob<br />
die Behörde ausreichende Ermessenserwägungen bei<br />
der Anforderung des Gutachtens angestellt hat.<br />
Das ärztliche Gutachten ist demnach zu Recht angefordert<br />
wurde. Daher durfte die Behörde aus dessen<br />
Nichtvorlage gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung<br />
des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen<br />
schließen.<br />
70. 1. Bei langjähriger <strong>und</strong> hochdosierter Methadonsubstitution<br />
ist eine medizinisch-psychologische<br />
Begutachtung des Fahrerlaubnisinhabers<br />
Rechtsprechung<br />
375<br />
auch dann erforderlich, wenn dessen behandelnder<br />
Arzt einen entsprechenden Therapieerfolg bestätigt<br />
<strong>und</strong> negative Auswirkungen der Substitution<br />
auf die Fahreignung verneint.<br />
*) 2. Bei Methadon handelt es sich um ein Betäubungsmittel<br />
<strong>im</strong> Sinne des Betäubungsmittelgesetzes<br />
(vgl. Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG), weshalb<br />
dessen Einnahme die Kraftfahreignung gemäß Nr.<br />
9.1 der Anlage 4 gr<strong>und</strong>sätzlich ausschließt; auf die<br />
Frage, ob der Betroffene unter dem Einfluss dieses<br />
Betäubungsmittels ggf. ein Kraftfahrzeug <strong>im</strong> Straßenverkehr<br />
geführt hat, kommt es dabei nicht an.<br />
Verwaltungsgericht Osnabrück,<br />
Beschluss vom 17. Juni 2010 – 6 B 42/10 –<br />
Aus den Gründen:<br />
Nach §§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, 46 Abs. 1 Satz 1<br />
FeV ist, ohne dass der Behörde insoweit Ermessen eingeräumt<br />
ist, die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich<br />
deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen<br />
erweist. Ungeeignet in diesem Sinne ist<br />
gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere derjenige,<br />
bei dem Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen<br />
4, 5 oder 6 vorliegen; von letzterem dürfte <strong>im</strong> Fall des<br />
Antragstellers zum jetzigen Zeitpunkt auszugehen<br />
sein. Nach seinem eigenen Vorbringen war der Antragsteller<br />
in der – allerdings schon lange zurückliegenden<br />
– Vergangenheit von Hartdrogen abhängig <strong>und</strong> hat sich<br />
deshalb <strong>im</strong> Jahre 1995 einer Methadon-Behandlung<br />
unterzogen, die bis heute andauert. Da es sich auch bei<br />
Methadon um ein Betäubungsmittel <strong>im</strong> Sinne des Betäubungsmittelgesetzes<br />
handelt (vgl. Anlage III zu § 1<br />
Abs. 1 BtMG), schließt dessen Einnahme die Kraftfahreignung<br />
des Antragstellers gemäß Nr. 9.1 der Anlage<br />
4 ebenfalls gr<strong>und</strong>sätzlich aus, weil es demjenigen,<br />
der als <strong>Drogen</strong>abhängiger mit Methadon substituiert<br />
wird, regelmäßig an der <strong>im</strong> Straßenverkehr erforderlichen<br />
hinreichend beständigen Anpassungs- <strong>und</strong> Leistungsfähigkeit<br />
fehlt (vgl. Begutachtungs-Leitlinien zur<br />
Kraftfahrereignung, 6. Aufl., Leitsätze zu Nr. 3.12.1,<br />
S. 44) <strong>und</strong> trotz der Methadon-Behandlung die Opiatabhängigkeit<br />
des Betroffenen zumindest auf psychischer<br />
Ebene weiter bestehen bleibt (vgl. Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan,<br />
Kommentar zu<br />
den Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung,<br />
2. Aufl., Kap. 3.12.1, S. 173); auf die Frage, ob der Betroffene<br />
unter dem Einfluss dieses Betäubungsmittels<br />
ggf. ein Kraftfahrzeug <strong>im</strong> Straßenverkehr geführt hat,<br />
kommt es dabei nicht an (vgl. VGH München, B. v.<br />
22. 03. 2007 – 11 CS 06.3306 –, juris; OVG Saarlouis,<br />
B. v. 27. 03. 2006 – 1 W 12/06 –, NJW 2006, 2651 [= BA<br />
2007, 59]; OVG Bremen, B. v. 16. 03. 2005 – 1<br />
S 58/05 –, NordÖR 2005, 263; Hentschel/ König/Dauer,<br />
Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 2 StVG Rn. 17k).<br />
Besondere Umstände, die Anlass zu einer Abweichung<br />
von der in Ziff. 9.1 aufgestellten Regelvermutung<br />
geben könnten (vgl. insoweit Nr. 3 der Vorbemerkung<br />
zu Anlage 4), sind <strong>im</strong> vorliegenden Fall nicht<br />
gegeben. Zwar ist in Fällen der Methadonsubstitution<br />
in seltenen Ausnahmefällen eine positive Eignungs-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
376 Rechtsprechung<br />
beurteilung möglich, wenn dies durch besondere Umstände<br />
des Einzelfalles gerechtfertigt ist. Dazu gehören<br />
u. a. eine mehr als einjährige Methadonsubstitution,<br />
eine psychosoziale stabile Integration, die – durch<br />
geeignete, regelmäßige <strong>und</strong> zufällige Kontrollen während<br />
der Therapie nachgewiesene – Freiheit von Beigebrauch<br />
anderer psychoaktiv wirkender Substanzen<br />
einschließlich <strong>Alkohol</strong> seit mindestens einem Jahr, der<br />
Nachweis für Eigenverantwortung <strong>und</strong> Therapie-<br />
Compliance sowie das Fehlen einer Störung der Gesamtpersönlichkeit,<br />
wobei gerade den Persönlichkeits<strong>und</strong><br />
Leistungs- sowie den verhaltens- <strong>und</strong> sozialpsychologischen<br />
Bef<strong>und</strong>en erhebliche Bedeutung für die<br />
Begründung einer positiven Regelausnahme zukommt<br />
(vgl. Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung,<br />
Leitsätze zu Nr. 3.12.1, S. 44). Dieser Fragenkomplex<br />
kann regelmäßig nur auf der Gr<strong>und</strong>lage einer<br />
medizinisch-psychologischen Begutachtung beantwortet<br />
werden (vgl. OVG Lüneburg, B. v. 03. 04. 2000<br />
– 12 M 1216/00 –, www.dbovg.niedersachsen.de;<br />
OVG Saarlouis, a. a. O.; OVG Hamburg, B. v.<br />
06. 12. 1996 – Bs VI 104/96 –, juris), so dass <strong>gegen</strong> die<br />
diesbezügliche Gutachtenanordnung der Antragsgegnerin<br />
vom 01. 03. 2010 keine durchgreifenden Bedenken<br />
bestehen. Gegenstand einer solchen Begutachtung<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
haben dabei <strong>im</strong> vorliegenden Fall insbesondere auch<br />
die von der Antragsgegnerin konkret aufgeworfenen<br />
Fragen zu sein, ob die mittlerweile rd. 15-jährige <strong>und</strong><br />
seit vielen Jahren mit einer – auch nach Mitteilung des<br />
behandelnden Arztes des Antragstellers – <strong>im</strong> Vergleich<br />
zu anderen Patienten sehr hohen Dosierung durchgeführte<br />
Methadonbehandlung als solche Beeinträchtigungen<br />
der Fahreignung bzw. der allgemeinen Leistungsfähigkeit<br />
zur Folge, möglicherweise sogar<br />
toxische Wirkungen hat <strong>und</strong> ob die in der Strafanzeige<br />
der Polizei vom 10. 12. 2009 vermerkten Verhaltensauffälligkeiten<br />
<strong>und</strong> St<strong>im</strong>mungsschwankungen – wie<br />
der Antragsteller geltend macht – allein durch die konkrete<br />
Situation bedingt waren oder ihre Ursache ggf. in<br />
der langjährigen, hoch dosierten Methadonbehandlung<br />
haben. Da sich der Antragsteller einer medizinischpsychologischen<br />
Begutachtung bislang (während der<br />
gesamten Dauer seiner Methadonbehandlung) nicht<br />
unterzogen hat, kann eine Ausnahme von der o. g.<br />
Regelvermutung ungeachtet dessen, dass <strong>im</strong> Laufe des<br />
vorliegenden Verfahrens zumindest eine mehr als einjährige<br />
Methadonsubstitution sowie eine entsprechend<br />
lange Freiheit von Beigebrauch anderer psychoaktiver<br />
Substanzen als Methadon nachgewiesen worden ist,<br />
derzeit nicht bejaht werden.
Vol. 47 (Supplement II)<br />
Jahrgang 2010<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Sup II - 2<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Seite<br />
Editorial: PROF. DR. BARBARA WILHELM<br />
Tagungspräsidentin DGVM & DGVP-Symposium<br />
Tübingen 2010, Tübingen<br />
PROF. DR. VOLKER DITTMANN<br />
Präsident der Deutschen Gesellschaft für<br />
Verkehrsmedizin, Basel<br />
PROF. DR. WOLFGANG SCHUBERT<br />
Präsident der Deutschen Gesellschaft für<br />
Verkehrspsychologie, Berlin ................................................ Sup II - 8<br />
Abstracts * ): Vorträge der Sitzung 2: Begutachtung <strong>und</strong> Rehabilitation<br />
Die Beurteilungskriterien – Wissenschaftlichkeit versus<br />
Umsetzung <strong>im</strong> StVG <strong>und</strong> der FeV<br />
R. MATTERN, W. SCHUBERT, Heidelberg, Berlin .................. Sup II - 9<br />
Vorträge der Sitzung 3: Möglichkeiten der Prävention<br />
schläfrigkeitsbedingter Verkehrsunfälle<br />
Prävention schläfrigkeitsbedingter Verkehrsunfälle in<br />
Deutschland – Welchen Beitrag kann die Pupillographie<br />
leisten?<br />
B. WILHELM, Tübingen ........................................................ Sup II - 10<br />
Zur Gestaltung der Autobahn <strong>im</strong> Spannungsfeld zwischen<br />
Ablenkung <strong>und</strong> Monotonie<br />
E. STEPHAN, Köln ................................................................ Sup II - 11<br />
* ) Die Anordnung der hier zur Veröffentlichung eingereichten Abstracts entspricht der beabsichtigten Vortragsreihenfolge.<br />
Die jeweiligen Referenten sind hervorgehoben.
Vorträge der Sitzung 4: Gemeinsame Sitzung mit der<br />
Deutschen Gesellschaft für Schlafmedizin:<br />
Tagesschläfrigkeit <strong>und</strong> Unfallhäufigkeit be<strong>im</strong> obstruktiven<br />
Schlafapnoe-Syndrom<br />
Unfallhäufigkeit <strong>und</strong> Fahrtauglichkeit bei obstruktivem<br />
Schlafapnoe-Syndrom<br />
M. ORTH, Mannhe<strong>im</strong> ............................................................ Sup II - 12<br />
Vorträge der Sitzung 5: Neuere Ansätze zur Schläfrigkeitsdetektion<br />
Ein neuer Ansatz für die Messung extremer Schläfrigkeit<br />
M. GOLZ, Schmalkalden ...................................................... Sup II - 13<br />
Videoanalyse als Methode zur Beurteilung von Fahrerschläfrigkeit<br />
A. MUTTRAY, O. WEIRICH, L. HAGENMEYER,<br />
B. GEIßLER, Mainz, Stuttgart ................................................ Sup II - 14<br />
„Du hörst dich müde an“ – Automatische Detektion<br />
schläfrigkeitssensitiver St<strong>im</strong>mqualitäts- <strong>und</strong> Artikulationsmerkmale<br />
J. KRAJEWSKI, S. SCHNIEDER, D. SOMMER,<br />
M. GOLZ, Wuppertal, Schmalkalden .................................... Sup II - 15<br />
Poster-Session 1: Freie Themen<br />
Inhaltsverzeichnis Sup II - 3<br />
P 1 – Evaluation des verkehrspsychologischen Gruppengesprächs<br />
<strong>im</strong> Rahmen der Mehrphasenausbildung in Österreich<br />
M. NECHTELBERGER, R. SCHEIBLECKER,<br />
F. NECHTELBERGER, Wien .................................................... Sup II - 15<br />
P 2 – Das <strong>Drogen</strong>-Screening in Urin- <strong>und</strong> Haarproben<br />
<strong>im</strong> Rahmen der MPU – Untersuchungsergebnisse nach<br />
Anwendung der neuen Grenzwerte<br />
T. NADULSKI, B. DUFAUX, R. AGIUS,<br />
H.-G. KAHL, Bad Salzufen .................................................. Sup II - 16<br />
P 3 – Bedeutung des Nachweises von Ethylglucuronid in<br />
Urin- <strong>und</strong> Haarproben für die <strong>Alkohol</strong>-Abstinenzkontrolle<br />
T. NADULSKI, B. DUFAUX, R. AGIUS,<br />
H.-G. KAHL, Bad Salzufen .................................................. Sup II - 17<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Sup II - 4<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
P 4 – Fahrtauglichkeit bei Patienten mit frontotemporaler<br />
Demenz <strong>und</strong> Alzhe<strong>im</strong>er Demenz<br />
J. ERNST, S. KRAPP, T. SCHUSTER, H. FÖRSTL, A. KURZ,<br />
J. DIEHL-SCHMID, München ................................................ Sup II - 17<br />
P 5 – Leistungsfähigkeit der Teilsysteme <strong>im</strong> Straßenverkehr<br />
J. BÖNNINGER, M. GOLZ, L. HOFMANN, U. SCHÜPPEL,<br />
T. TRAUTMANN, Dresden ...................................................... Sup II - 18<br />
P 6 – Veränderung der visuellen Wahrnehmung durch<br />
endogene <strong>und</strong> exogene Faktoren<br />
L. BALIGAND, V. KIELSTEIN, I. BÖCKELMANN,<br />
S. DARIUS, Magdeburg .......................................................... Sup II - 19<br />
P 7 – Zur Wirksamkeit des § 70-Kurses zur Wiederherstellung<br />
der Kraftfahreignung für alkoholauffällige Kraftfahrer IFT in<br />
der Weiterentwicklung durch die DEKRA Akademie GmbH<br />
G. RUDINGER, N. HILGER,<br />
B. KOLLBACH, Bonn, Berlin ................................................ Sup II - 20<br />
P 8 – Analytische Bef<strong>und</strong>e bei Substitutionspatienten zur<br />
Funktion des Haares als Expositionsmarker<br />
G. SKOPP, A. KNIEST, K. MANN,<br />
D. HERMANN, Mannhe<strong>im</strong>, Heidelberg .................................. Sup II - 21<br />
P 9 – Welche Rolle spielt der Einfluss von psychotropen<br />
Substanzen auf die Fahrtüchtigkeit von älteren<br />
Kraftfahrern in Hamburg?<br />
S. IWERSEN-BERGMANN, A. MUELLER,<br />
H. ANDRESEN, Hamburg........................................................ Sup II - 21<br />
P10 – Detektion des <strong>Alkohol</strong>-Einflusses auf den freien<br />
Stand mit Neuronalen Netzen<br />
D. SOMMER, T. SCHNUPP, M. GOLZ, Schmalkalden ............ Sup II - 22<br />
Poster-Session 2: Schläfrigkeitsdetektion<br />
P11 – Eine neue Test-Methodik zur Erfassung von Vigilanz<br />
M. BERG, W. SCHUBERT, Berlin............................................ Sup II - 23<br />
P12 – Measurement of circadian rhythms in heart rate data<br />
C. HEINZE, U. TRUTSCHEL, M. GOLZ, J. FUCHS,<br />
D. SOMMER, J. HAUEISEN, Schmalkalden,<br />
Stoneham/Massachusetts, Ilmenau ...................................... Sup II - 24
Inhaltsverzeichnis<br />
Sup II - 5<br />
P13 – „Du bist müde! Halt an...“ – „Nein, so müde<br />
bin ich gar nicht.“<br />
K. REINPRECHT, E. MUHRER,<br />
M. VOLLRATH, Braunschweig .............................................. Sup II - 25<br />
P14 – „Keep it s<strong>im</strong>ple?“ – Spurhaltemaße <strong>und</strong> Lenkbewegungen<br />
zur aufwandsarmen Best<strong>im</strong>mung von<br />
Fahrerschläfrigkeit<br />
J. KRAJEWSKI, C. HEINZE, T. SCHNUPP, D. SOMMER,<br />
T. LAUFENBERG, M. GOLZ, Wuppertal, Schmalkalden ........ Sup II - 25<br />
P15 – Anwendung Computergestützter Intelligenz auf<br />
Daten der Kompensatorischen Verfolgungsaufgabe zur<br />
Detektion von Schläfrigkeit<br />
T. SCHNUPP, C. SCHENKA, J. KRAJEWSKI,<br />
M. GOLZ, Schmalkalden, Wuppertal .................................... Sup II - 26<br />
P16 – Mikroschlafdichte: Ein neues Maß zur Quantifizierung<br />
starker Schläfrigkeit<br />
D. Sommer, M. Golz, Schmalkalden.................................... Sup II - 27<br />
P17 – Fatigue Monitoring Technologies:<br />
Zur Einschätzung des Fahrerzustandes<br />
D. SOMMER, M. GOLZ, U. TRUTSCHEL, Schmalkalden........ Sup II - 28<br />
P18 – Visualisierung der ermüdenden <strong>Alkohol</strong>wirkung per PST<br />
F. PRIEMER, T. KELLER,<br />
F. MONTICELLI, München, Salzburg .................................... Sup II - 29<br />
P19 – Wie einschlafgefährdet sind Busfahrer <strong>im</strong> Reisefernverkehr?<br />
Beobachtungen aus einer Feldstudie<br />
G. BRITTA, L. HAGENMEYER, K. MEINKEN,<br />
A. MUTTRAY, Mainz, Stuttgart .............................................. Sup II - 30<br />
P20 – Der Einfluss von Medikamentösen Therapieänderungen<br />
<strong>und</strong> der STN (sub-thalamic nucleus)<br />
St<strong>im</strong>ulation auf die Fahrfähigkeiten von Parkinson Patienten<br />
W. H. ZANGEMEISTER, L. MAINTZ, J. HIERLING,<br />
C. BUHMANN, Hamburg Eppendorf ...................................... Sup II - 30<br />
Poster-Session 3: Prävention schläfrigkeitsbedingter<br />
Unfälle / Freie Themen<br />
P21 – Mult<strong>im</strong>odaler Ansatz zur Prävention schläfrigkeitsbedingter<br />
Unfälle von Berufskraftfahrern<br />
S. ELLER, V. WIENHAUSEN-WILKE, Gerlingen .................... Sup II - 31<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Sup II - 6<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
P22 – Die Prävention schläfrigkeitsbedingter Unfälle<br />
am Arbeitsplatz LKW<br />
W. JANKOWSKI, Essen .......................................................... Sup II - 32<br />
P23 – Eine Erhebung von körperlichen sowie fahrspezifischen<br />
Anzeichen für akute Müdigkeit am Steuer sowie<br />
eine Analyse der eingeleiteten Gegenmaßnahmen der<br />
FahrerInnen<br />
F. TORNER, B. SCHÜTZHOFER, Wien .................................... Sup II - 33<br />
P24 – Der Einfluss mangelnder Aktivierung bei<br />
Verkehrsunfällen<br />
B. PUND, M. JÄNSCH, Hannover .......................................... Sup II - 34<br />
P25 – Aufmerksamkeit, Verkehrslage <strong>und</strong> Unfallrisiko<br />
K.-F. VOSS, Hannover .......................................................... Sup II - 35<br />
P26 – Müdigkeitswarnung zwischen Akzeptanz <strong>und</strong> Nutzen<br />
K. REINPRECHT, E. MUHRER, M. SCHRÖDER,<br />
M. VOLLRATH, Braunschweig .............................................. Sup II - 36<br />
P27 – Seminare für BerufskraftfahrerInnen zum Thema<br />
„Müdigkeit“ – das Projekt „ERIC“<br />
C. TURETSCHEK, Wien .......................................................... Sup II - 36<br />
P28 – Erste Erfahrungen mit PST-Messungen <strong>im</strong><br />
Rahmen von Verkehrskontrollen bei Berufskraftfahrern<br />
in Deutschland<br />
T. PETERS, C. GRÜNER, I. ZÖLLNER, P.M. BITTIGHOFER,<br />
W. DAUB, W. DAUENHAUER, W. DURST, P. EDINGER,<br />
E. HÄRTIG, C. HENKEL-HANCOK, G. HORRAS-HUN,<br />
I. HÜGLE, C. HÜTTER, H. NETZEL, J. SCHAAF,<br />
H. WAGNER, R. HAGEN, B. WILHELM, Baden-Württemberg,<br />
Tübingen, Böblingen, Stuttgart-Vaihingen, Linz .................. Sup II - 37<br />
P29 – Ergonomie <strong>und</strong> Lichtverhältnisse in der<br />
LKW-Fahrerkabine – die Vigilanz fordernd oder fördernd?<br />
H.-P. DANCKWORTH, L. TOPPEL, Dernbach / Westerwald.... Sup II - 38
Inhaltsverzeichnis<br />
Vorträge der Sitzung 7: Freie Themen<br />
Sup II - 7<br />
Sek<strong>und</strong>enschlaf bei Flugzeugführern – Ein Sicherheitsrisiko?<br />
M. J.A. VON MÜLMANN, Frankfurt a.M. .............................. Sup II - 39<br />
Die Einführung eines Verkehrscoachings in Österreich<br />
A. KALTENEGGER, Wien ...................................................... Sup II - 40<br />
Mögliche Ursachen für Schläfrigkeitsunfälle auf Autobahnen<br />
W. MÖHLER, Aachen ............................................................ Sup II - 41<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Sup II - 8<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Editorial<br />
Willkommen zum 6. Gemeinsamen Symposium der<br />
Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie <strong>und</strong> der<br />
Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin in Tübingen!<br />
Das Symposium soll Sie mit vielen Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen aus den unterschiedlichsten<br />
Fachbereichen in einen anregenden <strong>und</strong> ergebnisreichen Gedankenaustausch bringen.<br />
Dies geschieht Mitten <strong>im</strong> Herzen unserer 931 Jahre alten schönen Universitätsstadt in<br />
historischer Kulisse. Wieder steht das gesamte Spektrum der Verkehrsmedizin <strong>und</strong> Verkehrspsychologie<br />
auf dem Programm. Wir erwarten zahlreiche Teilnehmer, da in diesem<br />
Jahr erstmals die Jahrestagung der DGVM mit dem Symposium zusammenfällt.<br />
Erstmals haben unsere beiden Gesellschaften als Schwerpunktthema Tagesschläfrigkeit,<br />
Gefahren <strong>und</strong> Konsequenzen für den Straßenverkehr gewählt. Wir möchten damit ein<br />
Signal setzen <strong>und</strong> der Bedeutung, die Schläfrigkeit als Unfallursache hat, intensiv Rechnung<br />
tragen. Damit öffnet sich unser Symposium auch nachdrücklich dem Gebiet der<br />
Schlafforschung <strong>und</strong> Schlafmedizin. Die Vielfalt der eingereichten Beiträge zeigt, dass<br />
sich eine ganze Reihe von Verkehrspsychologen <strong>und</strong> Verkehrsmedizinern bereits mit dem<br />
Thema Schläfrigkeit wissenschaftlich <strong>und</strong> politisch beschäftigt <strong>und</strong> etliche Gäste aus anderen<br />
Bereichen der Medizin <strong>und</strong> Psychologie die Diskussion bereichern werden.<br />
Schläfrigkeit am Steuer ist eine der häufigsten Ursachen schwerer Verkehrsunfälle, zu<br />
deren Prävention noch ein enormer Handlungsbedarf besteht. Nationale <strong>und</strong> europäische<br />
Daten schläfrigkeitsbedingter Verkehrsunfälle sowie deren auslösende Faktoren, Möglichkeiten<br />
der Prävention <strong>und</strong> technische Lösungen werden diskutiert. Schläfrigkeit am Steuer<br />
kann sowohl ges<strong>und</strong>e Menschen als auch Patienten mit Schlafstörungen betreffen. In<br />
der Begutachtung zur Kraftfahrereignung geht es vor allem um die Erkennung von Erkrankungen,<br />
die zu chronischer Tagesschläfrigkeit führen können. Die Neuauflage der Begutachtungsleitlinien<br />
trägt dieser Tatsache mit einem neuen Kapitel „Tagesschläfrigkeit“<br />
Rechnung. Deshalb liegt ein weiterer Schwerpunkt des Symposiums auf Testverfahren zur<br />
Erfassung von Schläfrigkeit <strong>und</strong> daraus resultierenden Leistungseinschränkungen, sowie<br />
den Erfahrungsaustausch zur Begutachtung schwieriger Fälle. Einen weiteren Schwerpunkt<br />
stellt die Gestaltung des Verkehrsraumes zur Vermeidung von Monotoniebedingungen<br />
auf <strong>B<strong>und</strong></strong>esautobahnen dar.<br />
Unser Dank gilt dem <strong>B<strong>und</strong></strong> <strong>gegen</strong> <strong>Alkohol</strong> <strong>und</strong> <strong>Drogen</strong> <strong>im</strong> Straßenverkehr e.V. <strong>und</strong> insbesondere<br />
dem Präsidenten des B.A.D.S., Herrn Dr. Gerhardt <strong>und</strong> der Schriftleitung der<br />
Zeitschrift „<strong>Blutalkohol</strong>“, Herrn Prof. Dr. Püschel <strong>und</strong> Herrn Prof. Dr. Scheffler sowie<br />
Frau Dr. Halecker für die Bereitstellung eines Abstract-Supplementheftes in der September-Ausgabe<br />
der Zeitschrift „<strong>Blutalkohol</strong>“.<br />
PROF. DR. BARBARA WILHELM<br />
Tagungspräsidentin<br />
PROF. DR. VOLKER DITTMANN<br />
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin e.V.<br />
PROF. DR. WOLFGANG SCHUBERT<br />
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie e.V.
Abstracts<br />
Klinikum der Universität Heidelberg, Institut für Rechtsmedizin <strong>und</strong> Verkehrsmedizin, Heidelberg 1 )<br />
DEKRA Automobil GmbH, Fachbereich Verkehrspsychologie, Berlin 2 )<br />
R. MATTERN 1 ), W. SCHUBERT 2 )<br />
Sup II - 9<br />
Die Beurteilungskriterien zur medizinisch-psychologischen Fahreignungsdiagnostik<br />
– Wissenschaftlichkeit versus Umsetzung <strong>im</strong> StVG <strong>und</strong> der FeV<br />
Das Straßenverkehrsgesetz (StVG) <strong>und</strong> die Fahrerlaubnisverordung (FeV) sehen vor, die Kraftfahrereignung<br />
überprüfen zu lassen, wenn Tatsachen bekannt wurden, die Bedenken an der Kraftfahrer-Eignung begründen oder<br />
wenn die Fahrerlaubnis nach Entzug wegen erwiesener Nichteignung neu erteilt werden soll. Die Verwaltungsentscheidung<br />
kann sich auf ärztliche oder medizinisch-psychologische Gutachten stützen; Gegenstand solcher<br />
Gutachten ist die Einschätzung der aktuellen <strong>und</strong> zukünftigen Kraftfahrereignung. Die Begutachtung darf nur<br />
nach anerkannten wissenschaftlichen Gr<strong>und</strong>sätzen durchgeführt werden.<br />
Damit steht die Begutachtung der Kraftfahrereignung als Aussage über die zukünftige Verkehrsbewährung <strong>im</strong><br />
Verkehr <strong>im</strong> Spannungsfeld von Recht auf Mobilität, vorbeugender Gefahrenabwehr, Rechtssicherheit, Einzelfallgerechtigkeit,<br />
Verhältnismäßigkeit, Best<strong>im</strong>mtheit <strong>und</strong> wissenschaftlich belegbarer Evidenz.<br />
Gesetze <strong>und</strong> Verordnungen legen in verfassungsrechtlich legit<strong>im</strong>ierten Verfahren allgemeine <strong>und</strong> konkrete verbindliche<br />
Regeln fest (z. B., dass ein Kraftfahrer ungeeignet ist, wenn er missbräuchlich <strong>Alkohol</strong> konsumiert, wenn er<br />
ständig einen Diastolischen Blutdruck über 130 mmHg aufweist oder wenn er Betäubungsmittel <strong>im</strong> Sinne des BtmG<br />
einn<strong>im</strong>mt (ausgenommen gelegentlicher Cannabiskonsum bei Fähigkeit der Trennung von Konsum <strong>und</strong> Fahren)).<br />
Der Ausschluss ungeeigneter Fahrer folgt aus dem Schutzauftrag des Staates, Verkehrsteilnehmer vor erhöhten<br />
Unfallrisiken durch ungeeignete Kraftfahrer zu schützen.<br />
Das zukünftige Unfallrisiko eines einzelnen Kraftfahrers, dessen Eignung begutachtet werden soll, aber auch<br />
sein Risiko, durch Fahrunsicherheit wegen unzureichender Eignung eine gefährliche Verkehrssituation herbei zu<br />
führen, kann kaum mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zutreffend best<strong>im</strong>mt werden:<br />
Erkenntnisse zu erhöhten Unfallrisiken best<strong>im</strong>mter – als ungeeignet geltender – Kraftfahrer beziehen sich<br />
<strong>im</strong>mer auf retrospektiv beobachtete Kollektive definierter Gruppen: Wenn z. B. als wissenschaftlich erwiesen<br />
gelten sollte, dass erstmals alkoholauffälliger Kraftfahrer innerhalb von 5 Jahren zu 40 % rückfällig werden,<br />
heißt dies gleichzeitig, dass ein aktuell zu untersuchender Kraftfahrer rückfällig werden kann oder nicht: Seine<br />
statistische Chance, nicht rückfällig zu werden, ist sogar größer als sein Rückfallrisiko. Deshalb eignet sich das<br />
Gruppenrisiko, das dem Gesetzgeber Anlass für seine Regelung gab, nicht zur Beurteilung des Einzelfalls.<br />
Die Gutachter könnten prüfen, ob aus retrospektiven Untersuchungen wissenschaftlich belastbare Merkmale<br />
bekannt sind, die den Rückfäller zuverlässig vom Nicht-Rückfäller unterscheiden lassen, welche Merkmale bei<br />
dem zu Begutachtenden zweifelsfrei festzustellen sind <strong>und</strong> welche Prognose (einschließlich Irrtumsrisiko) deshalb<br />
gestellt werden kann. Das ist sehr schwierig, auch weil die wissenschaftliche Datenlage mager ist.<br />
Besser gelingt es, durch Untersuchung zu beurteilen, ob Krankheiten, missbräuchlicher Konsum oder abweichende<br />
Verhaltenseigenschaften, die Eignungszweifel oder Eignungsausschluss begründeten, durch Therapie<br />
oder Spontanverlauf beseitigt sind <strong>und</strong> in absehbarer Zukunft auch bleiben.<br />
Auch das ist nicht einfach – <strong>und</strong> wenn es nach anerkannten wissenschaftlichen Gr<strong>und</strong>sätzen erfolgen soll,<br />
müssen diese Gr<strong>und</strong>sätze allen Gutachtern bekannt sein.<br />
Dazu dienen Leitlinien – <strong>und</strong> als Richtlinien ihrer konkreten Umsetzung – Beurteilungskriterien.<br />
Für Wissenschaft sind Wissenschaftler zuständig – aber nicht jede Äußerung eines Wissenschaftlers, sei es <strong>im</strong><br />
Vortrag oder in einer Publikation, hält der kritischen Überprüfung Stand. Jeder ist berechtigt, Äußerungen eines<br />
Wissenschaftlers kritisch zu überprüfen; vor allem ist es aber Aufgabe der Wissenschaftsgemeinschaft <strong>und</strong> der<br />
wissenschaftlichen Fachgesellschaften: Sie haben festzustellen, was unumstritten ist, welcher Grad an Evidenz<br />
einer Erkenntnis zukommt <strong>und</strong> zu welchen Fragestellungen unterschiedliche Auffassungen bestehen, die derzeit<br />
nicht entscheidbar sind.<br />
Die Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher medizinischer Fachgesellschaften (AWMF) hat Methoden erarbeitet,<br />
die Qualität wissenschaftlicher Erkenntnisse <strong>und</strong> den Grad ihrer Evidenz explizit benennen.<br />
Die Begutachtungsleitlinien der Kraftfahrer-Eignung berufen sich bisher nicht auf die Qualitätsanforderungen<br />
der AWMF; sie sind auch nicht explizit Empfehlungen der wissenschaftlichen Fachgesellschaften.<br />
Die Beurteilungskriterien zur medizinisch-psychologischen Fahreignungsdiagnostik sind von zwei der zuständigen<br />
wissenschaftlichen Fachgesellschaften (DGVM <strong>und</strong> DGVP) herausgegeben. Präsidiumsmitglieder einer dritten<br />
wissenschaftlichen Fachgesellschaft, der deutschen Gesellschaft für forensische <strong>und</strong> toxikologische Chemie<br />
(GTFCh), haben mitgearbeitet <strong>und</strong> sollten zukünftig ihre Verantwortung durch Mitherausgeberschaft unterstreichen.<br />
Die Verantwortung wissenschaftlicher Fachgesellschaften für Begutachtungs-Leitlinien <strong>und</strong> Beurteilungskriterien<br />
besteht u. a. darin, den Stand der Wissenschaft einem breiten Anwenderfeld zur Kenntnis zu bringen, aber<br />
auch, Änderungen wissenschaftlicher Erkenntnis rechtzeitig wahrzunehmen <strong>und</strong> ihre Relevanz zu prüfen. Die<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Sup II - 10 Abstracts<br />
Fachgesellschaften übernehmen die Pflicht zur Weiterentwicklung <strong>und</strong> zur zeitnahen Verbreitung neuer Erkenntnisse,<br />
z. B. durch Informationsschreiben, aber auch durch öffentliche Symposien.<br />
Trotzdem werden Empfehlungen von Fachgesellschaften – hier unterliegen sie ähnlichen Einschränkungen<br />
wie Gesetze <strong>und</strong> Verordnungen – nicht jede Einzelfallgestaltung umfassend regeln können. Es bedarf der sachk<strong>und</strong>igen<br />
Anwendung <strong>und</strong> Interpretation durch erfahrene <strong>und</strong> fortgebildete Gutachter.<br />
In diesem Feld der Ermessensspielräume ist mit Interpretationsunterschieden zu rechnen, die – wenn nicht anders<br />
klärbar – nach rechtsstaatlichen Regeln zu entscheiden sind, z. B. durch Gerichtsverfahren, zu denen Wissenschaftler<br />
als Experten geladen werden, durchaus als Gutachter <strong>und</strong> Gegengutachter. Nicht <strong>im</strong>mer erweist sich dabei die wissenschaftliche<br />
Wahrheit: Wenn sie auch unter Wissenschaftlern umstritten bleibt, wird nach Beweislast entschieden.<br />
Solche Fälle geben Anlass zur konstruktiven wissenschaftlichen Debatte. Als mögliche Folgen solcher Debatten<br />
kommen aus Sicht der DGVM, der DGVP <strong>und</strong> der GTFCh – abgest<strong>im</strong>mt auf Symposien <strong>und</strong> in den Fachkreisen<br />
– Anpassungen der Beurteilungskriterien in Betracht, die Weiter- oder Neuentwicklung von Methoden,<br />
vielleicht auch die wissenschaftlich begründete Anerkennung, dass eine Entscheidung nach dem Stand der Erkenntnis<br />
nicht möglich ist.<br />
Schlüsselwörter<br />
Fahreignungsdiagnostik – Beurteilungskriterien – Begutachtungs-Leitlinien<br />
Anschrift für die Verfasser<br />
Prof. Dr. Rainer Mattern<br />
Voßstraße 2<br />
69115 Heidelberg<br />
Email: rainer_mattern@med.uni-heidelberg.de<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
STZ eyetrial am Department für Augenheilk<strong>und</strong>e, Universität Tübingen<br />
B. WILHELM<br />
Prävention schläfrigkeitsbedingter Verkehrsunfälle in Deutschland<br />
– welchen Beitrag kann die Pupillographie leisten?<br />
Einleitung: Seit einigen Jahren ist bekannt, welche verheerende Rolle Schläfrigkeit als Ursache schwerer<br />
LKW-Unfälle spielt. Zum einen existieren jedoch wenige Untersuchungen, die sich mit konkreten Erfassungen<br />
des Problems bei Fahrern befasst haben, zum anderen kommen politische Entscheidungen in Richtung Prävention<br />
schläfrigkeitsbedingter Unfälle erst allmählich in Gang. Während bei Kontrollen des fließenden Verkehrs<br />
Fahrzeugzustand, Einhaltung der Lenk- <strong>und</strong> Ruhezeiten geprüft werden, bleibt der aktuelle Zustand des Fahrers<br />
hinsichtlich seines Wachheitsgrades derzeit noch unberücksichtigt.<br />
Methoden: Der Pupillographische Schläfrigkeitstest (PST, AMTech Dossenhe<strong>im</strong>) ist ein validiertes <strong>und</strong> normiertes<br />
Verfahren, welches aus der Schlafforschung kommt <strong>und</strong> dessen Robustheit in Feldstudien am Arbeitsplatz<br />
sowie Autobahnraststätten <strong>und</strong> ähnlichen Kontrollsituationen gezeigt wurde. Die mobile Geräteausführung<br />
(F2D) ist dafür anwendbar.<br />
Ergebnisse: In Deutschland liegen bisher Ergebnisse von freiwilligen Schläfrigkeitsmessungen aus punktuellen<br />
Messaktionen an deutschen Autobahnen sowie zwei auf den Berufskraftfahrer fokussierten Studien, eine<br />
davon unter Beteiligung von dem Autobahnpolizeirevier Stuttgart-Vaihingen <strong>und</strong> weiteren Partner, vor. Der Anteil<br />
auffallend schläfriger Fahrer lag dabei zwischen 5 <strong>und</strong> 25 %. Eine umfangreiche oberösterreichische Pilotanwendung<br />
fand bei jedem vierten bis fünften LKW- <strong>und</strong> Busfahrer extreme Tagesschläfrigkeit.<br />
Diskussion: Eine wichtige Voraussetzung für die sinnvolle Anwendung <strong>und</strong> Verlässlichkeit der Pupillographie<br />
bei Verkehrskontrollen ist die Schulung in den Prinzipien der Messung sowie die f<strong>und</strong>ierte Einweisung in die Gerätebedienung<br />
<strong>und</strong> die Gewährleistung, dass nur geschultes polizeiliches Personal die Messungen durchführt.<br />
Weitere, regional übergreifende pupillographische Studien mit stärker repräsentativem Charakter sind wünschenswert.<br />
Mult<strong>im</strong>odale Studienkonzepte für die weitere wissenschaftliche Absicherung des Verfahrens (u. a.
Sup II - 11<br />
Definition von Grenzwerten) <strong>im</strong> Hinblick auf den Zusammenhang der pupillographischen Messwerte mit Fahrfehlern<br />
wurden bereits von Verkehrsmedizinern <strong>und</strong> Schlafforschern erarbeitet <strong>und</strong> können bei entsprechender<br />
Förderung umgesetzt werden.<br />
Mit dem PST könnten <strong>im</strong> Rahmen von Verkehrskontrollen schläfrige Fahrer identifiziert <strong>und</strong> zu einer Schlafpause<br />
angehalten werden. Stärkere Sanktionen sind nicht zu befürchten <strong>und</strong> der Zeitbedarf für diese wirksame<br />
Gegenmaßnahme <strong>gegen</strong> Fahrerschläfrigkeit ist gering. Dennoch ginge davon ein erheblicher Sicherheitsgewinn<br />
für den Betroffenen selbst <strong>und</strong> den fließenden Verkehr aus. Der Einsatz der Pupillographie könnte so bei Verkehrskontrollen<br />
eine wirksame Präventionsmaßnahme <strong>gegen</strong> Sek<strong>und</strong>enschlaf-Unfälle darstellen.<br />
Anschrift der Verfasserin<br />
Prof. Dr. Barbara Wilhelm<br />
Schleichstr. 12–16<br />
72076 Tübingen<br />
Email: barbara.wilhelm@stz-eyetrial.de<br />
Abstracts<br />
Universität Köln, Psychologisches Institut, Köln<br />
E. STEPHAN<br />
Die Gestaltung von Autobahnen <strong>im</strong> Spannungsfeld von Ablenkung <strong>und</strong><br />
Monotonie<br />
Einleitung: Planung <strong>und</strong> Bau von Autobahnen hat aus planerischer <strong>und</strong> technischer Perspektive in der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik<br />
ein außergewöhnlich hohes Sicherheitsniveau erreicht. Dabei wurde seit Jahrzehnten gemäß der Prämisse<br />
geplant <strong>und</strong> gebaut, dass die Fahrer dem fließenden Verkehr zu Gunsten der Verkehrssicherheit umso mehr<br />
Aufmerksamkeit widmen werden je weniger sie durch Straßenführung <strong>und</strong> die Gestaltung der Fahrbahnränder<br />
abgelenkt werden. Bei kritischer Betrachtung erweist sich diese gr<strong>und</strong>legende Prämisse allerdings als Fiktion.<br />
Werden an die Fahrer durch Straßenführung <strong>und</strong> Steuerung des Kraftfahrzeuges nur sehr geringe Anforderungen<br />
gestellt <strong>und</strong> bietet die Gestaltung des Seitenstreifens der Fahrbahn keine die Aufmerksamkeit weckenden Reize,<br />
wird keineswegs für den fließenden Verkehr eine besonders hohe Aufmerksamkeit gesichert. Viel eher tritt das<br />
Gegenteil ein: Erleben von Monotonie <strong>und</strong> daraus resultierend Schläfrigkeit, Tagträumerei <strong>und</strong> „automatisches<br />
Fahren“. Auswirkungen, die die Verkehrssicherheit nicht fördern, sondern gefährden. Daher erscheint es notwendig,<br />
die Auswirkungen der „traditionellen“ – reizarmen – Autobahngestaltung, ihre Vorteile <strong>und</strong> Risiken für<br />
die Verkehrssicherheit empirisch zu überprüfen.<br />
Methoden: Eine objektive Messung der durch Straßenführung <strong>und</strong> Anforderungen des aktuell fließenden Verkehrs<br />
gegebenen Anforderungen, <strong>und</strong> damit der Unter- oder Überforderung von Fahrern auf einem jeweils gegebenen<br />
Autobahnabschnitt, kann durch die Bearbeitung einer Zweitaufgabe parallel zum Führen eines Kraftfahrzeuges<br />
erfolgen. Das Kölner Verfahren zur Messung der Belastung <strong>im</strong> Verkehr (K-VEBIS) ermöglicht eine<br />
solche objektive <strong>und</strong> zugleich exakte Messung. Je häufiger die Zweitaufgabe parallel zum Führen eines Kraftfahrzeuges<br />
auf einem Autobahnabschnitt erfolgreich bewältigt wird, desto geringer sind die parallel gegebenen<br />
Anforderungen an den Fahrer. Werden solche Ergebnisse auf der Basis der Messungen bei 20 <strong>und</strong> mehr Fahrern<br />
je überprüftem Autobahnabschnitt abgesichert, so können die Ergebnisse als Kriterium für die Beurteilung herangezogen<br />
werden, auf welchen Autobahnabschnitten zu wenig Ablenkung (also Monotonie) <strong>und</strong> auf welchen<br />
Abschnitten zu viel Ablenkung (also Überforderung, z. B. an Baustellen) gegeben sind. Begleitet werden müssen<br />
diese Messungen von Fahrverhalten <strong>und</strong> Zweitaufgabe durch parallele Videoaufnahmen des fließenden Verkehrs<br />
– aus der Perspektive des Fahrers –, da nur so die Auswirkungen der Gestaltung des Verkehrsraumes auf das Führen<br />
des Kraftfahrzeuges <strong>und</strong> die parallele Bewältigung der Zweitaufgabe angemessen gewürdigt werden können.<br />
Ergänzt werden können die objektiven Daten durch standardisierte Interviews bei UntersuchungsteilnehmerInnen<br />
<strong>und</strong> anderen Autobahnnutzern.<br />
Ergebnisse: Bei 200 FahrerInnen wurden insgesamt 14.000 Fahrkilometer gemessen. Einbezogen waren Abschnitte<br />
auf vier Autobahnen (A4, A31, A57, A42) mit sehr unterschiedlichen Charakteristika des Verkehrsraumes<br />
aber auch der Verkehrsdichte. Die Ergebnisse sprechen für Reduzierung der Leistungsfähigkeit bei Monotoniebedingungen<br />
<strong>im</strong> Verkehrsraum. Die Leistungsfähigkeit bei der Zweitaufgabe sank insbesondere bei der<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Sup II - 12<br />
Kombination von geringem Verkehr <strong>und</strong> Monotoniebedingungen <strong>im</strong> Verkehrsraum. Diese Ergebnisse werden<br />
durch insgesamt 400 standardisierte Interviews gestützt.<br />
Diskussion: Die eingesetzte Messmethodik (K-VEBIS) ermöglichte es zuverlässig, objektiv <strong>und</strong> valide, Autobahnabschnitte<br />
zu identifizieren, bei denen die Gefahr von Monotonieerleben <strong>und</strong> in der Folge Tagträumerei,<br />
Schläfrigkeit <strong>und</strong> nachlassende Aufmerksamkeit bei einem Großteil der Verkehrsteilnehmer zu Lasten der Verkehrssicherheit<br />
empirisch belegbar ist.<br />
Monotone Bedingungen <strong>im</strong> Verkehrsraum <strong>und</strong> damit nachteilige Wirkungen für die Verkehrssicherheit können<br />
allerdings durch besonders dichten Verkehr kompensiert werden. Besonders nachteilig für das Aufrechterhalten<br />
der Aufmerksamkeit der FahrerInnen ist die Kombination von geringen Anforderungen durch den fließenden<br />
Verkehr <strong>und</strong> monotone Bedingungen der Straßenführung <strong>und</strong> der Gestaltung der Seitenstreifen der Autobahn.<br />
Die empirischen Ergebnisse durch objektive Leistungsmessung <strong>und</strong> die Ergebnisse der standardisierten Interviews<br />
sprechen dafür, in Zukunft gerade bei längeren monotonen Autobahnabschnitten die Aufmerksamkeit der<br />
Fahrerinnen durch „ablenkende“ aber damit auch in positiver Weise st<strong>im</strong>ulierende Reize zu wecken <strong>und</strong> aufrechtzuerhalten.<br />
Insoweit bedarf es eines Paradigmenwechsel bei den zu beachtenden Kriterien für die Gestaltung des Verkehrsraumes,<br />
der sich in der Formel zusammenfassen lässt:<br />
Mehr Sicherheit durch wohldosierte Ablenkung an den empirisch als monoton identifizierten Autobahnabschnitten.<br />
Anschrift des Verfassers<br />
Prof. Dr. Egon Stephan<br />
Herbert-Lewin-Straße 2<br />
50931 Köln<br />
Email: egon.stephan@uni-koeln.de<br />
Theresienkrankenhaus <strong>und</strong> St. Hedwig-Klinik GmbH, Pneumologie, Pneumologische Onkologie, Schlaf- <strong>und</strong><br />
Beatmungsmedizin, Mannhe<strong>im</strong><br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Abstracts<br />
M. ORTH<br />
Unfallhäufigkeit <strong>und</strong> Fahrtauglichkeit bei obstruktivem<br />
Schlafapnoe-Syndrom<br />
Müdigkeit bei der Teilnahme am Straßenverkehr kann zu Sek<strong>und</strong>enschlaf mit konsekutiven katastrophalen Unfällen<br />
führen. Das obstruktive Schlafapnoe-Syndrom (OSAS) stellt die häufigste Schlafstörung für die Verursachung<br />
müdigkeitsbedingter Unfälle dar. Epidemiologische Untersuchungen an Berufskraftfahrern haben ergeben,<br />
dass die Prävalenz des OSAS bei dieser Berufsgruppe ca. 16 % beträgt <strong>und</strong> somit <strong>im</strong> Vergleich zur Normalbevölkerung<br />
um den Faktor 4 erhöht ist. Zusätzlich klagen 25 % der befragten Berufskraftfahrer über pathologische<br />
Tagesmüdigkeit. Bei Patienten mit OSAS ist die Unfallhäufigkeit um das 2–7fache <strong>im</strong> Vergleich zu Ges<strong>und</strong>en<br />
erhöht. Unter einer adäquaten Therapie kann eine Normalisierung der Unfallhäufigkeit erzielt werden.<br />
In zunehmdem Maße sind Schlafmediziner insbesondere <strong>im</strong> Rahmen von gutachterlichen bzw. arbeitsmedizinischen<br />
Fragestellungen aufgefordert, die Fahrtüchtigkeit von Patienten mit OSAS aber auch anderen Schlafstörungen<br />
zu beurteilen. Hierzu stehen verschiedene Instrumente zur Verfügung:<br />
1. Anamnese<br />
2. neurophysiologische – bzw. psychologische Untersuchungmethoden<br />
3. Fahrs<strong>im</strong>ulatoruntersuchungen.<br />
Anamnestische Angaben können von motivationalen Faktoren (z. B. drohender Führerscheinverlust bzw. Rentenbegehren)<br />
beeinflusst werden. So konnte gezeigt werden, dass 2/3 der von OSAS-Patienten verursachten Unfälle<br />
bzw. Beinahe-Unfälle zunächst verschwiegen werden.<br />
Zu den neurophysiologischen Untersuchungsmethoden zählen u. a. die Pupillographie, der Multiple-Schlaf-<br />
Latenztest (MSLT) <strong>und</strong> der Maintenance-of-Wakefulness Test (MWT). Im Hinblick auf die Beurteilung des Therapieerfolges<br />
bei müdigkeitsbedingten Erkrankungen stellt der MWT, der beurteilt, wie lange der Patient wachbleiben<br />
kann, <strong>im</strong> Vergleich zum MSLT die aussagekräftigere Untersuchungsmethode dar.
Sup II - 13<br />
Neurophysiologische Untersuchungen testen die verschiedenen Aufmerksamkeitskomponenten, die u. a. be<strong>im</strong><br />
Steuern eines Fahrzeuges erforderlich sind. Hierzu gehören die einfache Aufmerksamkeit (z. B. Bremsreaktion),<br />
die geteilte Aufmerksamkeit (z. B. Stadtverkehr, Beifahrer) <strong>und</strong> die Vigilanz (z. B. lange, monotone Autobahnfahrt).<br />
Insbesondere bei letztgenannter Situation treten Unfälle gehäuft auf. Normierte Daten zum Vergleich liegen<br />
für nahezu alle neuropsychologischen Untersuchungsverfahren vor. Der Nachteil besteht darin, dass jeweils<br />
nur eine Aufmerksamkeitskomponente getestet werden kann, be<strong>im</strong> Steuern eines Fahrzeuges je nach Situation<br />
aber alle Komponenten gefordert sind.<br />
Fahrs<strong>im</strong>ulatoruntersuchungen sollten so relaitätsnah wie möglich gestaltet werden <strong>und</strong> alle relevanten Aufmerksamkeitsaspekte<br />
testen. Es stehen zahlreiche Modelle zur Verfügung. In eigenen Untersuchungen konnte<br />
mit dem Modell C.A.R.® (Dr. Ing. R. Foerst, Gummersbach) bei OSAS-Patienten eine <strong>im</strong> Vergleich zu Ges<strong>und</strong>en<br />
deutlich erhöhte Häufigkeit von Unfällen <strong>und</strong> Konzentrationsfehlern sowie eine signifikante Absenkung der<br />
Fehler in der s<strong>im</strong>ulierten Fahrsituation nach 14 Tagen <strong>und</strong> 6 Wochen nachgewiesen werden.<br />
Alle genannten Untersuchungsmethoden dienen dem Zweck, die Frage nach der Fahrtauglichkeit bei Erkrankungen<br />
mit pathologischer Schläfrigkeit zu beantworten. Die Erkenntnis, dass Tageschläfrigkeit einen Risikofaktor<br />
<strong>im</strong> Straßenverkehr darstellt, hat inzwischen zu einer Neuerung der Fahrerlaubnisverordnung geführt<br />
(15.07.2007), wonach nicht behandelte Personen mit Schlafstörungen <strong>und</strong> messbar auffälliger Tagesschläfrigkeit<br />
künftig nicht mehr tauglich zum Führen von Fahrzeugen sind. Bedingte Fahrtauglichkeit besteht unter der Voraussetzung,<br />
dass keine messbar auffällige Tagesschläfrigkeit mehr vorliegt.<br />
Anschrift der Verfasserin<br />
Prof. Dr. Maritta Orth<br />
Bassermannstr. 1<br />
68165 Mannhe<strong>im</strong><br />
Email: Maritta.Orth@ruhr-uni-bochum.de<br />
Abstracts<br />
Fachhochschule Schmalkalden, Fakultät Informatik, Schmalkalden<br />
M. GOLZ<br />
Ein neuer Ansatz für die Messung extremer Schläfrigkeit<br />
Mit der Quantifizierung der Schläfrigkeit in monotonen, ereignisarmen Situationen, die fortwährende Aufmerksamkeit<br />
abfordern, haben sich viele Autoren beschäftigt. Dabei standen vor allem Schläfrigkeiten mit geringer<br />
<strong>und</strong> mittlerer Ausprägung <strong>im</strong> Fokus, weil sie für viele Anwendungen benötigt werden. Eine reliable <strong>und</strong><br />
valide Methode zur Überwachung der Schläfrigkeit konnte bisher noch nicht gef<strong>und</strong>en werden.<br />
Anhand eines Überblicks zu aktuellen Geräten werden verschiedene Ansätze beleuchtet.<br />
Der Bereich der extremen Schläfrigkeit bietet deutliche Verhaltensmerkmale, die sogenannten Mikroschlafepisoden<br />
(MS). Wir demonstrieren, dass sich MS anhand des EEG <strong>und</strong> EOG zuverlässig detektieren lassen mit<br />
einer Genauigkeit von 97 %. Aus der fortwährenden Anwendung dieses MS-Detektors über die gesamte Aufzeichnungsdauer<br />
lässt sich ein neuer Parameter, die MS-Dichte, konstruieren. Sie ist der relative Anteil von MSähnlichen<br />
Zuständen <strong>im</strong> EEG <strong>und</strong> EOG, der in festgelegten Mittelungsintervallen berechnet wird.<br />
Validationsuntersuchungen zeigten, dass die MS-Dichte sowohl mit hoher Sensitivität als auch hoher Spezifität<br />
geschätzt wird.<br />
Im Rahmen einer Pilotstudie konnte gezeigt werden, dass die MS-Dichte stark mit der Standardabweichung<br />
der lateralen Position des Fahrzeugs, die eine unabhängige Variable der Fahrleistungsfähigkeit ist, korreliert.<br />
Auch die von vielen Autoren als Referenzgröße verwendete Selbsteinschätzung der Schläfrigkeit auf der Karolinska<br />
Sleepiness Scale korreliert stark mit der MS-Dichte. Darüber hinaus wird ein Zusammenhang der MS-<br />
Dichte mit dem Auftreten von Unfällen vorgestellt.<br />
Die vorgestellte Methodik ist zwar aufwendig, dafür erlaubt sie über größere intra- <strong>und</strong> inter-individuelle Unterschiede<br />
hinweg eine zuverlässige Quantifizierung der Schläfrigkeit. Wir schlagen vor, die Messgröße als Refe-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Sup II - 14<br />
renzgröße <strong>im</strong> Labor einzusetzen, um andere Methoden der Schläfrigkeitsüberwachung zu validieren. So können<br />
bspw. Gerätelösungen zur Überwachung von Schläfrigkeit oder neu vorgeschlagene Parameter überprüft werden.<br />
Anschrift des Verfassers<br />
Prof. Dr. Martin Golz<br />
Blechhammer 4-9<br />
98574 Schmalkalden<br />
Email: m.golz@fh-sm.de<br />
Institut für Arbeits-, Sozial- <strong>und</strong> Umweltmedizin, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität<br />
Mainz 1 ),<br />
Institut für Arbeitswissenschaft <strong>und</strong> Technologiemanagement, Universität Stuttgart 2 )<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
A. MUTTRAY 1 ), O. WEIRICH 1 ), L. HAGENMEYER 2 ), B. GEIßLER 1 )<br />
Videoanalyse als Methode zur Beurteilung von Fahrerschläfrigkeit<br />
Einleitung: Fahrerschläfrigkeit ist eine bedeutende Unfallursache. In einer gr<strong>und</strong>legenden Arbeit mit S<strong>im</strong>ulatorfahrern<br />
als Probanden schlugen Wierwille <strong>und</strong> Ellsworth (1994) ein Verfahren zur Bewertung von Fahrerschläfrigkeit<br />
mittels Videoanalyse vor. Unsere Fragestellung lautete, ob die Methode so auch für Fahrer <strong>im</strong> realen<br />
Straßenverkehr anwendbar ist <strong>und</strong> ob sie reliabel <strong>und</strong> valide ist.<br />
Methoden: In Vorversuchen wurde die Wierwille-Methode erprobt <strong>und</strong> modifiziert. In Exper<strong>im</strong>ent (E) 1 wurden<br />
drei verschiedene Algorithmen für die Auswertung von Videofilmen erarbeitet <strong>und</strong> von einem Bewerter miteinander<br />
verglichen (Muttray et al. 2007). In E2 analysierten drei geschulte Bewerter je zwe<strong>im</strong>al <strong>im</strong> Abstand von<br />
einem Monat dreih<strong>und</strong>ert einminütige Videosequenzen von Reisebus- <strong>und</strong> S<strong>im</strong>ulatorfahrern. Als Maß für die<br />
Übereinst<strong>im</strong>mung der Algorithmen bzw. der Videoscores von Bewertern wurden in beiden Exper<strong>im</strong>enten die<br />
Kappa-Maße (mit klassierten Daten) berechnet sowie Bland-Altman-Diagramme erstellt. E3 war eine Pilotstudie<br />
zur Validierung. 20 Probanden fuhren nachts 30 Minuten auf einem einfachen PC-gestützten Fahrs<strong>im</strong>ulator einen<br />
monotonen Kurs. Davor wurden die Schläfrigkeit mit der KSS <strong>und</strong> der Pupillenunruheindex (PUI, n = 18) gemessen.<br />
Während der Fahrt wurden Videoaufnahmen von Fahrern <strong>und</strong> Fahrkurs angefertigt <strong>und</strong> das EEG abgeleitet.<br />
Für die 30 einminütigen Segmente wurden jeweils der Schläfrigkeitsscore, das Schlafstadium <strong>im</strong> EEG<br />
(AASM-Manual) <strong>und</strong> die Zahl der Fahrfehler ermittelt. Die Effekte potentieller Einflussgrößen auf die Zielgröße<br />
Fahrfehler wurden mit einem generalisierten gemischten Poissonmodell untersucht.<br />
Ergebnisse: In den Vorversuchen erwies sich eine Ordinalskala von 0 bis 4 mit 16 Intervallen von 0,25 als<br />
günstig (Muttray et al. 2007). E1 ergab, dass die vollständige Betrachtung aller Videosegmente mit normaler<br />
Geschwindigkeit <strong>im</strong> Vergleich zu vermeintlich zeitsparenden Methoden keinen wesentlichen Mehrbedarf an Zeit<br />
bedeutete. E1 <strong>und</strong> E2 ergaben eine gute Intra- <strong>und</strong> Inter-Rater-Reliabilität (Kappa stets > 0,6, gute Übereinst<strong>im</strong>mungen<br />
in den Bland-Altman-Diagrammen). In E3 war der Videoscore für Fahrerschläfrigkeit eindeutig die<br />
stärkste Einflussgröße (p < 0,001). Einen schwächeren Einfluss wiesen der Kaffeekonsum (p = 0,063) <strong>und</strong> das<br />
EEG-(Schlaf)Stadium (p = 0,089) auf. KSS-Score, Alter, Geschlecht, Rauchen <strong>und</strong> PUI (in einem zweiten Modell,<br />
n = 18) waren nicht mit der Zahl der Fahrfehler assoziiert.<br />
Diskussion: Bei gut trainierten Bewertern besitzt die von uns weiter entwickelte Methode eine gute Intra- <strong>und</strong><br />
Inter-Rater-Reliabilität. Die Pilotstudie deutet auf eine möglicherweise gute Validität hin. Weitergehende Untersuchungen<br />
an einem Fahrs<strong>im</strong>ulator zur Frage der Validität sind in Vorbereitung.<br />
Anschrift für die Verfasser<br />
Prof. Dr. Axel Muttray<br />
Obere Zahlbacher Straße 67<br />
55131 Mainz<br />
Email: amuttray@uni-mainz.de<br />
Abstracts
Universität Wuppertal, Exper<strong>im</strong>entelle Wirtschaftspsychologie, Wuppertal 1 )<br />
Fachhochschule Schmalkalden, Neuroinformatik, Schmalkalden 2 )<br />
J. KRAJEWSKI 1 ), S. SCHNIEDER 1 ), D. SOMMER 2 ), M. GOLZ 2 )<br />
Sup II - 15<br />
„Du hörst dich müde an“ – Automatische Detektion schläfrigkeitssensitiver<br />
St<strong>im</strong>mqualitäts- <strong>und</strong> Artikulationsmerkmale<br />
Ziel des vorliegenden Beitrags ist die Entwicklung <strong>und</strong> Validierung eines phonetisch-akustischen Messverfahrens<br />
zur st<strong>im</strong>mbasierten Schläfrigkeitsdetektion. Die Vorzüge dieses automatisierten Messansatzes liegen in der<br />
belästigungsarmen, sensorapplikationsfreien Handhabung. Das hier gewählte St<strong>im</strong>manalyseprozedere folgt dem<br />
aus der Sprachemotionserkennung entlehnten Standardvorgehen: (a) Aufnahme des Testsatzes, (b) Berechnung<br />
von 170 Prosodie, Artikulation <strong>und</strong> St<strong>im</strong>mqualität beschreibenden Kennzahlen, (c) Maschinelles Lernen <strong>und</strong> (d)<br />
Evaluation. In einer Schlafdeprivationsstudie (N = 32; 20.00–04.00) wurden insgesamt 380 s<strong>im</strong>ulierte Fahrerassistenzsätze<br />
aufgezeichnet. Als externer Validierungsanker diente der aus einem selbst- <strong>und</strong> zwei fremdberichten<br />
fusionierte Karolinska Sleepiness Scale (KSS) Schläfrigkeitswert. Als besonders schläfrigkeitssensitiv erwiesen<br />
sich die Merkmale: Cepstrum-Koeffizienten, Formantbandbreiten, Intensität <strong>und</strong> Slope des F<strong>und</strong>amentalfrequenzverlaufs.<br />
Die über lineare Regression vorhergesagte st<strong>im</strong>mbasierte Schläfrigkeitsmessung erreichte eine<br />
signifikante Validitätkorrelation von r = .58*.<br />
Schlüsselwörter<br />
Phonetisch-akustische Merkmale – Mustererkennung – Signalverarbeitung – Support Vector Machine –<br />
Schläfrigkeitsmessung<br />
Anschrift für die Verfasser<br />
Prof. Dr. Jarek Krajewski<br />
Gausstr. 20<br />
42097 Wuppertal<br />
Email: krajewsk@uni-wuppertal.de<br />
Abstracts<br />
AAP – Angewandte Psychologie <strong>und</strong> Forschung GmbH, Wien<br />
M. NECHTELBERGER, R. SCHEIBLECKER, F. NECHTELBERGER<br />
Evaluation des verkehrspsychologischen Gruppengesprächs <strong>im</strong><br />
Rahmen der Mehrphasenausbildung in Österreich<br />
Fragestellung: Nach der klassischen Führerschein-Ausbildung sind Österreichs Führerscheinneulinge verpflichtet,<br />
<strong>im</strong> Rahmen einer 3 stufigen Post Graduate Ausbildung zwei Feedbackfahrten mit speziell ausgebildeten<br />
Fahrlehrern sowie ein Fahrsicherheitstraining inklusive zweistündigem verkehrspsychologischen Gruppengesprächs<br />
zu absolvieren. Im Rahmen des verkehrspsychologischen Gruppengesprächs sind die für Fahranfänger<br />
typischen Unfalltypen, insbesondere der Alleinunfall <strong>und</strong> die zugr<strong>und</strong>e liegenden Unfallrisiken, wie beispielsweise<br />
Selbstüberschätzung, geringe soziale Verantwortungsbereitschaft oder Auslebenstendenzen unter aktiver<br />
Mitarbeit der Teilnehmer zu erarbeiten. Darüber hinaus hat auch eine individuelle Risikobetrachtung zu erfolgen,<br />
wobei die Teilnehmer dahin gehend anzuleiten sind, sich über potentiell unfallkausale persönliche Schwächen <strong>im</strong><br />
Allgemeinen, aber vor allem auch <strong>im</strong> speziellen Zusammenhang mit situationsspezifischen Außenreizen (die zu<br />
erhöhter Irritierbarkeit, erhöhter Impulsivität, situationsspezifischer reaktiver Aggressivität oder Selbstüberforderung<br />
führen können) sowie mit <strong>Alkohol</strong>- oder Suchtmittelmissbrauch bewusst zu werden <strong>und</strong> darauf aufbau-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Sup II - 16<br />
end individuelle unfallpräventive Lösungsstrategien zu erarbeiten. Die Studie soll das Gruppengespräch evaluieren<br />
<strong>und</strong> die Wirksamkeit aufzeigen.<br />
Methoden: Anhand einer Pretest-Posttest Evaluation werden sowohl Wissenszuwächse als auch Einstellungsänderungen<br />
<strong>und</strong> Meinungen der Jugendlichen zum <strong>gegen</strong>ständlichen Thema erfragt.<br />
Ergebnisse: Durch zwei zeitlich versetzte Evaluationen mit hinreichend großen Stichproben (2003, 2009) kann<br />
der positive Aspekt der verkehrspsychologischen Kurse auf die Führerscheinneulinge belegt werden (Wissen,<br />
Einstellung, Zufriedenheit mit dem Training).<br />
Schlussfolgerungen: Das verkehrspsychologische Gruppengespräch <strong>im</strong> Rahmen der Führerscheinausbildung<br />
ist in Österreich ein wichtiges Instrument, um präventiv Unfallzahlen zu senken <strong>und</strong> eine sichere Mobilität der<br />
Fahranfänger zu gewährleisten.<br />
Anschrift für die Verfasser<br />
Dipl.-Ing. Dr. Martin Nechtelberger<br />
Mariahilfergürtel 37/2/5<br />
1150 Wien<br />
Email: martin.nechtelberger@aap.co.at<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Labor Krone, Forensische <strong>und</strong> Klinische Toxikologie, Bad Salzuflen<br />
T. NADULSKI, B. DUFAUX, R. AGIUS, H.-G. KAHL<br />
Das <strong>Drogen</strong>-Screening in Urin- <strong>und</strong> Haarproben <strong>im</strong> Rahmen<br />
der MPU – Untersuchungsergebnisse nach Anwendung der<br />
neuen Grenzwerte<br />
Im Zuge des Inkrafttretens der 2. Auflage der Beurteilungskriterien für die medizinisch-psychologische<br />
Untersuchung (MPU) <strong>im</strong> Jahre 2009 wurden auch neue Grenzwerte für den Nachweis von <strong>Drogen</strong>wirkstoffen<br />
in Urin- <strong>und</strong> Haarproben <strong>im</strong> Rahmen der Chemisch-Toxikologischen Untersuchung festgelegt. Nach einem<br />
Jahr der Anwendung dieser neuen Grenzwertregelung kann statistisch gezeigt werden, dass die Zahl der positiv<br />
getesteten Probanden für alle <strong>Drogen</strong>wirkstoff-Gruppen deutlich gestiegen ist. Im Vergleich mit Untersuchungsergebnissen<br />
aus dem Geltungszeitraum der alten Nachweisgrenzen (01/2009–06/2009, n = 3536) kann<br />
sowohl für Urin- als auch für Haarproben gezeigt werden, dass die Absenkung der Nachweisgrenzen bzw. Cutoff-Werte<br />
zu einer statistisch signifikanten Erhöhung der Aufdeckung eines zurückliegenden <strong>Drogen</strong>konsums<br />
<strong>im</strong> vermeintlichen Abstinenzzeitraum geführt hat (07/2009–12/2009, n = 5058). So stieg die Zahl der positiven<br />
Cannabis-Bef<strong>und</strong>e <strong>im</strong> Urin um 60 %, die von Amphetaminen um das 7-fache, für Cocain <strong>und</strong> Opiate jeweils<br />
um das 3-fache.<br />
Anschrift für die Verfasser<br />
Dr. Thomas Nadulski<br />
Siemensstr. 40<br />
32105 Bad Salzuflen<br />
Email: tnadulski@laborkrone.de<br />
Abstracts
Abstracts<br />
Labor Krone, Forensische <strong>und</strong> Klinische Toxikologie, Bad Salzuflen<br />
T. NADULSKI, B. DUFAUX, R. AGIUS, H.-G. KAHL<br />
Sup II - 17<br />
Bedeutung des Nachweises von Ethylglucuronid in Urin- <strong>und</strong> Haarproben<br />
für die <strong>Alkohol</strong>-Abstinenzkontrolle<br />
Sowohl <strong>im</strong> Zusammenhang mit medizinisch-psychologischen Untersuchungen (MPU), als auch bei Fragestellungen<br />
des Workplace Drug Testing sowie <strong>im</strong> Rahmen von allgemeinen Therapiekontrollen bei Abstinenzprogrammen<br />
gewinnt die Untersuchung von Ethylglucuronid als sicherer <strong>und</strong> signifikanter Marker<br />
für einen zurückliegenden <strong>Alkohol</strong>konsum bzw. Missbrauch stetig an Bedeutung. Dabei kommt je nach<br />
Fragestellung die Untersuchung von Urin- <strong>und</strong>/oder Haarproben auf Ethylglucuronid in Betracht. Wir diskutieren<br />
nach einer bereits 5-jährigen Laborerfahrung auf dem Gebiet des EtG-Nachweises <strong>und</strong> nach statistischer<br />
Auswertung von insgesamt 4900 Urinproben <strong>und</strong> 750 Haarproben des Jahres 2009 Grenzwerte <strong>und</strong><br />
Bef<strong>und</strong>interpretation sowie mögliche Fehlerquellen be<strong>im</strong> EtG-Nachweis <strong>im</strong> Rahmen der MPU.<br />
Hierbei stellt sich die Bef<strong>und</strong>verteilung wie folgt dar: EtG < 7.0 pg/mg Haar (81 %), EtG 7–29 pg/mg<br />
Haar (9 %), EtG 30–49 pg/mg Haar (4 %) <strong>und</strong> EtG > 50 pg/mg Haar (6 %). Die positiv-Rate von EtG <strong>im</strong> Urin<br />
(> 0,1 mg/L) betrug ~ 1,9 %.<br />
Anschrift für die Verfasser<br />
Dr. Thomas Nadulski<br />
Siemensstr. 40<br />
32105 Bad Salzuflen<br />
Email: tnadulski@laborkrone.de<br />
TU München, Klinik <strong>und</strong> Poliklinik für Psychiatrie <strong>und</strong> Psychotherapie, München 1 ),<br />
TU München, Institut für Medizinische Statistik <strong>und</strong> Epidemiologie der TU München, München 2 )<br />
J. ERNST 1 ), S. KRAPP 1 ), T. SCHUSTER 2 ), H. FÖRSTL 1 ), A. KURZ 1 ), J. DIEHL-SCHMID 1 )<br />
Fahrtauglichkeit bei Patienten mit frontotemporaler Demenz <strong>und</strong><br />
Alzhe<strong>im</strong>er Demenz<br />
Hintergr<strong>und</strong>: In den letzten Jahren haben sich verschiedene Autoren mit Beeinträchtigungen bezüglich der<br />
Fahrtauglichkeit von Patienten mit Demenz befasst. Die meisten Untersuchungen wurden an Patienten mit Alzhe<strong>im</strong>er-Demenz<br />
(AD) durchgeführt. Wenig ist bekannt über das Fahrverhalten <strong>und</strong> Unfallrisiko bei Patienten mit<br />
frontotemporaler Lobärdegeneration (FTLD).<br />
Fragestellung: Die Untersuchung auftretender Veränderungen <strong>im</strong> Fahrverhalten bei Patienten mit Alzhe<strong>im</strong>er-<br />
Demenz (AD) <strong>und</strong> Demenz bei frontotemporaler Lobärdegeneration (FTLD) mittels Angehörigeninterviews.<br />
Patienten <strong>und</strong> Methoden: Angehörige von 30 Patienten mit FTLD (20 mit frontotemporaler Demenz, 10 mit<br />
semantischer Demenz) <strong>und</strong> 26 mit AD wurden mittels eines standardisierten Fragebogens zu Veränderungen <strong>im</strong><br />
Fahrverhalten befragt. Das Interview enthielt Fragen zu Fahrverhalten, Übertretungen der Verkehrsregeln, Unfällen,<br />
Einsichtigkeit <strong>und</strong> zuletzt zu den Konsequenzen, die sich daraus ergaben.<br />
Ergebnisse: 90 % der Patienten mit FTLD <strong>und</strong> 58 % der Patienten mit AD hatten <strong>im</strong> Rahmen ihrer Erkrankung<br />
Veränderungen in ihrem Fahrverhalten gezeigt. Bei den Patienten mit AD fielen in erster Linie zunehmende<br />
Schwierigkeiten auf, sich zu orientieren. Die Patienten mit FTLD zeigten hin<strong>gegen</strong> einen aggressiven, risikofreudigen<br />
Fahrstil mit auffällig häufigen Übertretungen der Verkehrsregeln. 36.7 % der Patienten mit FTLD hatten<br />
seit Beginn der Erkrankung einen Unfall verschuldet, verglichen mit 19.2 % der Patienten mit AD. Während<br />
die meisten der Patienten mit AD sich einsichtig hinsichtlich ihres veränderten Fahrverhaltens zeigten, sah der<br />
Großteil der Patienten mit FTLD nicht ein, das Autofahren aufzugeben.<br />
Schlussfolgerung: Patienten mit FTLD sollten frühestmöglich <strong>im</strong> Krankheitsverlauf das Autofahren einstellen.<br />
Bei Patienten mit leichtgradiger AD muss individuell abgewogen werden.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Sup II - 18<br />
Schlüsselwörter<br />
Frontotemporale Demenz – Alzhe<strong>im</strong>er-Demenz – Fahrverhalten – Unfälle – Vergleichende Studie<br />
Anschrift für die Verfasser<br />
Dr. Julia Ernst<br />
Möhlstr. 26<br />
81675 München<br />
Email: j.ernst@lrz.tum.de<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
FSD Fahrzeugsystemdaten GmbH, Dresden<br />
J. BÖNNINGER, M. GOLZ, L. HOFMANN, U. SCHÜPPEL, T. TRAUTMANN<br />
Leistungsfähigkeit der Teilsysteme <strong>im</strong> Straßenverkehr<br />
In den nächsten Jahrzehnten wird ein technischer Wandel <strong>im</strong> Bereich der Automobilität beginnen, wie er in seiner<br />
Tragweite vergleichbar ist mit der Einführung des Automobils selbst.<br />
Durch die <strong>B<strong>und</strong></strong>esregierung wird die Einführung von Fahrzeugen mit alternativen Antriebskonzepten enorme<br />
Unterstützung erfahren, z. B. sollen bis 2020 insgesamt 1 Mio. Elektrofahrzeuge in den Verkehr gebracht werden.<br />
Weitaus häufiger werden Hybrid-Fahrzeuge auf unseren Straßen zu finden sein, die <strong>im</strong> Jahr 2030 bis zu 50 % des<br />
Fahrzeugbestandes ausmachen können. Mit der Modernisierung der Antriebskonzepte werden sich auch sicherheitsrelevante<br />
Assistenzfunktionen <strong>im</strong> Fahrzeug weiter durchsetzen.<br />
Sicherheitsfunktionen wie ABS <strong>und</strong> ESP, die bereits heute Folgen von Fahrfehlern ausgleichen, werden um<br />
Funktionen ergänzt, die z. B. be<strong>im</strong> Verlassen der Fahrspur warnen, die den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug<br />
halten <strong>und</strong> autonom bremsen, falls eine Fahrerreaktion ausbleibt. Die Entwicklung dieser Funktionen sind<br />
konsequente Schritte zur Umsetzung der „Vision Zero“, der Umsetzung des Gr<strong>und</strong>rechts auf Unversehrtheit,<br />
auch <strong>im</strong> automobilen Verkehr.<br />
Mit Hilfe der technischen Weiterentwicklung wird der sensomotorische Fähigkeitsbereich des Fahrers erweitert,<br />
sodass dieser bei der Bewältigung dieser unfallträchtigen Fahrmanöver unterstützt wird, um Unfälle <strong>im</strong><br />
besten Fall zu vermeiden oder mindestens deren Folgen zu verringern. Die automatische Notbremse wird bereits<br />
heute vor allem in Nutzfahrzeugen verbaut, um die Unfallzahlen <strong>und</strong> Unfallfolgen <strong>im</strong> Längsverkehr zu verringern.<br />
Funktionen, welche Einbiegen/Kreuzen-Unfälle verhindern können, wie z. B. Kreuzungsassistenz, sind<br />
hin<strong>gegen</strong> nur als Prototypenentwicklung <strong>im</strong> Verkehr.<br />
Mit der Weiterentwicklung der Fahrzeugtechnik wird auch die Schnittstelle zwischen Fahrzeug <strong>und</strong> Fahrer<br />
weiterentwickelt. Dazu wurde <strong>im</strong> Projekt DDS 21 der FSD ein Versuch unternommen, ob unter Einbeziehung<br />
vorhandener Fahrzeugzustandsdaten unsichere Fahrweisen detektiert werden können, die dem Fahrer auch zurückgemeldet<br />
werden könnten.<br />
Schlüsselwörter<br />
Fahrzeugtechnik – Fahrerassistenzsysteme – Handlungsausführung – Fahrleistung<br />
Anschrift für die Verfasser<br />
Dipl.-Ing. Jürgen Bönninger<br />
Wintergartenstraße 4<br />
01307 Dresden<br />
Email: juergen.boenninger@fsd-web.de<br />
Abstracts
Sup II - 19<br />
Otto-von-Guericke Universität, Bereich Arbeitsmedizin, Magdeburg 1 ),<br />
Klinik an der Sternbrücke GmbH, Klinik für Abhängigkeitserkrankungen <strong>und</strong> psychosomatische Störungen,<br />
Magdeburg 2 )<br />
L. BALIGAND 1 ), V. KIELSTEIN 2 ), I. BÖCKELMANN 1 ), S. DARIUS 1 )<br />
Veränderung der visuellen Wahrnehmung durch endogene <strong>und</strong><br />
exogene Faktoren<br />
Im Straßenverkehr werden hohe Anforderungen an das optische System gestellt. Reize müssen nicht nur aus<br />
dem zentralen, sondern besonders auch aus dem peripheren Gesichtsfeld wahrgenommen werden. Eine schnelle<br />
<strong>und</strong> der Situation angemessene Reaktion sollte die Folge des visuellen Reizes sein. Endogene Faktoren, wie z. B.<br />
Alter, <strong>und</strong> exogene Faktoren, z. B. <strong>Alkohol</strong>, können sowohl das Gesichtsfeld einschränken als auch die Reaktionszeit<br />
verlängern.<br />
Ziel dieser Arbeit ist es, die Einflüsse von Alter einerseits <strong>und</strong> von <strong>Alkohol</strong> andererseits auf die periphere<br />
Wahrnehmung <strong>und</strong> die visuelle Reizverarbeitung zu überprüfen.<br />
In der Studie wurden das Gesichtsfeld <strong>und</strong> optische Wahrnehmungsleistungen von 70 Probanden untersucht.<br />
Diese können in drei Gruppen eingeteilt werden. In der Kontrollgruppe (I) untersuchten wir 31 Probanden <strong>im</strong><br />
Alter von 24,2 ± 2,4 (19 bis 30) Jahren. Der Gruppe der älteren Arbeitnehmer (II) <strong>im</strong> Durchschnittsalter von<br />
50,2 ± 8,1 (39 bis 70) Jahren wurden 28 Probanden zugeordnet. Um den Einfluss von <strong>Alkohol</strong> zu überprüfen,<br />
wurden 11 Patienten der Suchtklinik (III) <strong>im</strong> Alter von 44,6 ± 10,2 (26 bis 59) Jahren unmittelbar nach dem Entzug<br />
einbezogen.<br />
Die Untersuchung des Gesichtsfeldes erfolgte monokular mit einem automatischen Per<strong>im</strong>eter „Medmont<br />
M700. Das Gesichtsfeld wurde weiterhin mit den Verfahren „Neglect <strong>und</strong> „Visuelles Scanning aus der Testbatterie<br />
zur Aufmerksamkeitsprüfung (TAP) geprüft. Zur Erfassung der optischen Wahrnehmungsleistungen <strong>und</strong> Reaktionszeit<br />
wurden die Tests „Periphere Wahrnehmung <strong>und</strong> „Tachistoskopischer Verkehrsauffassungstest aus<br />
dem Wiener Testsystem verwendet.<br />
Im Vergleich der Gruppen I <strong>und</strong> II konnte gezeigt werden, dass Jüngere ein größeres Gesichtsfeld aufweisen<br />
(172,8 ± 9,5 Grad) als Ältere (163,7 ± 5,0 Grad, p 0,05). In den Tests „Neglect <strong>und</strong> „Visuelles Scanning wurden<br />
längere Reaktionszeiten der Gruppe II deutlich (p 0,05).<br />
Im Vergleich der Gruppen I <strong>und</strong> II mit der Gruppe III wurden keine signifikanten Unterschiede der Leistungsparameter<br />
aus den Test des TAP- <strong>und</strong> Wiener System gef<strong>und</strong>en.<br />
Durch die Untersuchungen lässt sich zeigen, dass der endogene Faktor Alter Einfluss auf das periphere Sehen<br />
<strong>und</strong> die Reizverarbeitung n<strong>im</strong>mt. <strong>Alkohol</strong>iker nach Ende ihrer Entwöhnung zeigen keine Auffälligkeiten in den<br />
optischen Wahrnehmungsleistungen, sie wären somit als fahrtauglich einzustufen. Es sind weitere Untersuchungen<br />
an einer größeren Stichprobe erforderlich, in denen auch einem Dosis-Wirkungs-Zusammenhang nachzugehen<br />
wäre.<br />
Schlüsselwörter<br />
periphere Wahrnehmung – Verkehrsauffassungstest – Neglect – Alter – <strong>Alkohol</strong><br />
Anschrift für die Verfasser<br />
Lelia Baligand<br />
Leipzigerstraße 44<br />
39120 Magdeburg<br />
Email: l.baligand@gmx.de<br />
Abstracts<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Sup II - 20<br />
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität, Zentrum für Evaluation <strong>und</strong> Methoden, Bonn 1 ),<br />
DEKRA Akademie GmbH, MPD, Berlin 2 )<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
G. RUDINGER 1 ), N. HILGER 1 ), B. KOLLBACH 2 )<br />
Zur Wirksamkeit des § 70-Kurses zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung<br />
für alkoholauffällige Kraftfahrer IFT in der Weiterentwicklung<br />
durch die DEKRA Akademie GmbH<br />
Als Beleg der Beeinflussung auffälliger Kraftfahrer zu verkehrssicherem Verhalten ist die Evaluation <strong>und</strong> die<br />
periodische Re-Evaluation für die Anerkennung gemäß § 70 der FeV gesetzlich vorgeschrieben. Denn diese zielgruppenspezifischen<br />
Nachschulungsprogramme entfalten als Rechtsfolge die Wiederherstellung der Kraftfahreignung<br />
ohne erneute medizinisch-psychologische Begutachtung (MPU).<br />
Das IFT-Kursprogramm wurde vor gut 30 Jahren vom Institut für Therapieforschung München <strong>im</strong> Auftrag der<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esanstalt für Straßenwesen (BASt) entwickelt. Es hat seither seine Wirksamkeit in Evaluationsstudien<br />
mehrfach unter Beweis gestellt <strong>und</strong> ist in allen <strong>B<strong>und</strong></strong>esländern als § 70-Kurs anerkannt. Anlassgebend für die erneute<br />
Re-Evaluation war sowohl die in Anerkennungsbescheiden für § 70-Kurse geforderte Re-Evaluationsfrist<br />
als auch die von der BASt geforderte Weiterentwicklung des IFT-Kursprogramms durch die DEKRA Akademie<br />
GmbH als akkreditiertem Träger der Kursstelle (DEKRA Akademie GmbH, 2003).<br />
Zentrale Fragestellung der Re-Evaluation war, ob das Kursprogramm IFT auch unter besonderer Berücksichtigung<br />
der Weiterentwicklung seine Wirksamkeit zur Senkung der Wiederauffälligkeit alkoholauffälliger Kraftfahrer<br />
nach Neuerteilung der Fahrerlaubnis belegen kann. Hierzu wurde in enger Anlehnung an die Kriterien des<br />
„Leitfaden der <strong>B<strong>und</strong></strong>esanstalt für Straßenwesen zur Anerkennung von Kursen gemäß § 70 FeV (Verkehrsblatt<br />
2002) eine Re-Evaluationsstudie durchgeführt. Im Beitrag werden ausgewählte Ergebnisse dieser 2009 vorgelegten<br />
Studie vorgestellt. Die Beurteilung des Kriteriums der Legalbewährung von 435 IFT-Teilnehmern über die<br />
<strong>im</strong> Verkehrszentralregister eingetragenen erneuten <strong>Alkohol</strong>verstöße fällt mit einer Rückfallquote von 6,7 % in<br />
einem 3-Jahreszeitraum nach Neuerteilung positiv aus. Der Referenzwert von 18,8 % wird deutlich unterschritten.<br />
Zur Erfassung der weiteren Evaluationskriterien, Veränderungen von Einstellung, berichtetem Verhalten,<br />
Wissenszuwachs <strong>und</strong> Akzeptanz der Maßnahme, wurden Daten von 568 Teilnehmern aus 89 Kursen mittels Prä-<br />
Post-Befragung ohne Kontrollgruppe erhoben. Neben einigen Vorschlägen zur weiteren Verbesserung des IFT-<br />
Kursprogramms kommt die Re-Evaluation zu dem Ergebnis, dass die Wirksamkeit des IFT Kurses auch unter<br />
dem veränderten Kurskonzept als bestätigt gelten kann.<br />
Erneut zeigte sich, dass die Maßnahme des Driver Improvements bei klarer Zielgruppendefinition <strong>und</strong> nach<br />
Eingangsdiagnostik wirksam zur Erhöhung der Verkehrsicherheit beiträgt. Abschließend werden die Ergebnisse<br />
der Re-Evaluation <strong>im</strong> Zusammenhang mit den derzeit in Deutschland zur Anerkennung von Kursprogrammen<br />
führenden Bedingungen <strong>und</strong> Qualitätsstandards sowie mit den Empfehlungen des Workpackages 5 der DRUID-<br />
Studie diskutiert.<br />
Schlüsselwörter<br />
Fahren unter <strong>Alkohol</strong>einfluss – Verkehrssicherheit – Rehabilitation – Evaluation – <strong>Alkohol</strong><br />
Anschrift für die Verfasser<br />
Prof. Dr. Georg Rudinger<br />
Oxfordstr. 15<br />
53111 Bonn<br />
Email: rudinger@uni-bonn.de<br />
Abstracts
Institut für Rechtsmedizin <strong>und</strong> Verkehrsmedizin, Forensische Toxikologie, Heidelberg 1 ),<br />
Zentralinstitut für Seelische Ges<strong>und</strong>heit, Suchtmedizin, Mannhe<strong>im</strong> 2 )<br />
G. SKOPP 1 ), A. KNIEST 2 ), K. MANN 2 ), D. HERMANN 2 )<br />
Sup II - 21<br />
Analytische Bef<strong>und</strong>e bei Substitutionspatienten zur Funktion des Haares<br />
als Expositionsmarker<br />
Fragestellung: Die Idealvorstellung der Einlagerung körperfremder Substanzen in das Haar geht davon aus,<br />
dass diese über den Follikel in das wachsende Haar aufgenommen werden, dort während der Keratinisierung<br />
fixiert bleiben <strong>und</strong> mit dem Wachstum der Faser weiter transportiert werden. Hieraus ergibt sich die Hypothese,<br />
dass eine gewisse Beziehung zwischen der Höhe der Fremdstoffbelastung <strong>und</strong> der resultierenden Haarkonzentration<br />
besteht.<br />
Methoden: Haare von mit Methadon (n = 18) <strong>und</strong> Buprenorphin (n = 18) substituierten Personen wurden mit<br />
GC/MS bzw. LC/MS/MS auf Methadon <strong>und</strong> EDDP bzw. auf Buprenorphin <strong>und</strong> Norbuprenorphin untersucht. Es<br />
standen Angaben zur Dosierung der Medikamente, für die Buprenorphin-Gruppe auch anthropometrische Daten<br />
zur Verfügung.<br />
Ergebnisse: Bei der mit Methadon gestützten Therapie war Methadon der Hauptanalyt, bei der Gabe von<br />
Buprenorphin war Norbuprenorphin Hauptanalyt. Für beide Substitutionsmedikamente ergab sich ein Trend<br />
zwischen der Tagesdosis <strong>und</strong> dem Analysenwert <strong>im</strong> Haar, eine enge Korrelation fand sich nicht (r Methadon = 0,60,<br />
r EDDP = 0,49, r Buprenorphin = 0,57, r Norbuprenorphin = 0,56). Wurden in der Buprenorphin-Gruppe die Tagesdosen auf das<br />
Körpergewicht <strong>und</strong> die Auswertung auf den Summenparameter (Konzentrationen an Buprenorphin <strong>und</strong> Norbuprenorphin)<br />
bezogen, stieg die Korrelation für nicht kosmetisch behandelte Haare auf r = 0,89. Es werden weitere<br />
Parameter mit Einfluss auf das Ergebnis der Haaranalyse diskutiert.<br />
Schlussfolgerung: Bei der Begutachtung von Analysenergebnissen an Haaren sollte <strong>im</strong> Einzelfall große Zurückhaltung<br />
geübt werden, da zahlreiche Einflussparameter häufig nicht bekannt sind <strong>und</strong> daher nicht in die Beurteilung<br />
mit einbezogen werden können.<br />
Schlüsselwörter<br />
Haaranalyse – Dosis-Konzentrations-Beziehung – Methadon – Buprenorphin – Einflussfaktoren<br />
Anschrift für die Verfasser<br />
Prof. Dr. Gisela Skopp<br />
Voss-Str. 2<br />
69115 Heidelberg<br />
Email: gisela.skopp@med.uni-heidelberg.de<br />
Abstracts<br />
Institut für Rechtsmedizin, Toxikologie, Hamburg<br />
S. IWERSEN-BERGMANN, A. MUELLER, H. ANDRESEN<br />
Welche Rolle spielt der Einfluss von psychotropen Substanzen auf die<br />
Fahrtüchtigkeit von älteren Kraftfahrern in Hamburg?<br />
Fragestellung: Der demographische Wandel bedingt, dass zukünftig mit einem weiter steigenden Anteil der<br />
über 60 Jahre alten Fahrerlaubnisinhaber zu rechnen ist. Die Altersgruppe der Senioren weist aufgr<strong>und</strong> altersbedingt<br />
zunehmender Morbidität einen höheren Bedarf an Medikamenten auf, der <strong>im</strong> Hinblick auf die Fahrtüchtigkeit<br />
relevant sein könnte.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Sup II - 22<br />
Methoden: Es wurden daher von Hamburger Verkehrsfällen mit einem Untersuchungsauftrag auf „andere berauschende<br />
Mittel“ die ärztlichen Untersuchungsprotokolle <strong>und</strong> die Blutbef<strong>und</strong>e der Jahre 2003–2009 für Kraftfahrer<br />
≥ 60 Jahre ausgewertet, um zu überprüfen, unter welchen Bedingungen <strong>und</strong> in welchem Umfang ältere<br />
Verkehrsteilnehmer <strong>im</strong> Straßenverkehr medikamenten- oder drogenbedingt auffällig werden.<br />
Ergebnisse: Der Anteil der älteren Kraftfahrer <strong>im</strong> Untersuchungskollektiv ist relativ niedrig. Insgesamt handelt<br />
es sich um 106 von insgesamt 11.357 Fällen. Verglichen mit einer ähnlichen Untersuchung, die die Jahre 1991–<br />
2000 umfasste, hat der relative Anteil von polizeilicherseits <strong>im</strong> Hinblick auf eine mögliche Beeinflussung durch<br />
psychotrope Substanzen überprüften älteren Straßenverkehrsteilnehmern somit von 2 % auf 0,93 % abgenommen.<br />
Überproportional häufig war ein Unfallgeschehen der Untersuchungsanlass (54 Fälle). Obwohl nur in 43<br />
Fällen tatsächlich ein positiver Medikamentennachweis geführt wurde, war in 66 Fällen die Aufnahme von verschiedensten<br />
Medikamenten angegeben worden. Hier handelte es sich um Hormonpräparate, Antihypertonika,<br />
Asthmatherapeutika, Diuretika, nichtsteroidale Antirheumatika, pflanzliche Arzne<strong>im</strong>ittel wie z. B. Baldrian,<br />
Vitaminpräparate, Urikostatika, Schlafmittel, Magentherapeutika, Lithium, Bromazepam, Codein, Zopiclon,<br />
Antidepressiva, Prostatamittel <strong>und</strong> Zytostatika. Der Grad der Auffälligkeit, der bei der anlassbezogenen ärztlichen<br />
Untersuchung dokumentiert wurde, korrelierte dabei nicht mit einem tatsächlichen Substanznachweis.<br />
Obwohl in 8,5 % der Proben <strong>Drogen</strong> nachgewiesen wurden, kommt den zentralwirksamen Arzne<strong>im</strong>itteln, insbesondere<br />
der Gruppe der Benzodiazepine (Nachweishäufigkeit 22,6 %), die größere Bedeutung zu. Sie wurden<br />
überproportional häufig bei Unfällen nachgewiesen. Der Großteil der positiven Benzodiazepinbef<strong>und</strong>e <strong>im</strong> Blut<br />
weist auf eine nicht therapiegemäße Einnahme hin (hohe Dosis, Kombination mit <strong>Alkohol</strong> <strong>und</strong>/oder anderen Medikamenten).<br />
Schlussfolgerung: Angesichts der Vielzahl von Benzodiazepinverordnungen an Senioren spricht die geringe<br />
Fallzahl auffällig gewordener älterer Kraftfahrer dafür, dass die große Mehrheit der Senioren mit zentralwirksamen<br />
Arzne<strong>im</strong>itteln <strong>im</strong> Zusammenhang mit dem Straßenverkehr sehr verantwortungsbewusst umgeht.<br />
Schlüsselwörter<br />
ältere Kraftfahrer – Fahrtüchtigkeit – Medikamente – <strong>Drogen</strong> – Unfälle<br />
Anschrift für die Verfasser<br />
Dr. Stefanie Iwersen-Bergmann<br />
Butenfeld 34<br />
22529 Hamburg<br />
Email: s.iwersen-bergmann@uke.uni-hamburg.de<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Abstracts<br />
Fachhochschule Schmalkalden, Informatik, Schmalkalden<br />
D. SOMMER, T. SCHNUPP, M. GOLZ<br />
Detektion des <strong>Alkohol</strong>-Einflusses auf den freien Stand mit Neuronalen<br />
Netzen<br />
In einer Posturographie-Studie wurden insgesamt 49 freiwillige, ges<strong>und</strong>e Personen (Alter zwischen 19 <strong>und</strong> 28<br />
Jahren) instruiert, in Romberg-Stellung möglichst geringe Schwankungen zuzulassen. Gemessen wurde jeweils<br />
unmittelbar vor <strong>und</strong> 40 Minuten nach <strong>Alkohol</strong>aufnahme (100 g <strong>Alkohol</strong> in einem 500 ml Mischgetränk). Es<br />
wurde untersucht, wie gut sich zwischen den beiden Bedingungen 0 versus 40 Minuten nach <strong>Alkohol</strong>aufnahme<br />
die Posturographie unterscheiden lässt. Hierfür wurden die mediolateralen <strong>und</strong> antero-posterioren Bewegungen<br />
des Fußkraft-Schwerpunktes (centre of foot pressure, COFP) aufgezeichnet <strong>und</strong> von beiden Signalkomponenten<br />
die spektralen Leistungsdichten geschätzt. Anschließend wurden verschiedene Künstliche Neuronale Netze der<br />
Kategorie des Wettbewerbslernens angewendet <strong>und</strong> empirische Opt<strong>im</strong>ierungen von freien Parametern vorgenommen,<br />
von denen sich die Anzahl der Neuronen als wichtigster freier Parameter herausstellte. Als beste Methode<br />
der Diskr<strong>im</strong>inanzanalyse stellte sich das Netz vom Typ Lernende Vektor-Quantisierung heraus, das mittlere<br />
Richtigklassifikationsraten (accuracy, ACC) von 95,3 % erzielte. Die ACC-Standardabweichung lag bei
Sup II - 23<br />
2,5 %. Damit ergab sich eine relativ hohe <strong>und</strong> gering streuende Genauigkeit. Eine Weiterentwicklung der Methodik<br />
hin zu einer verbesserten Differenzierung verschiedener Einflüsse auf den freien Stand <strong>und</strong> auch auf Einflüsse<br />
mit geringer Wirkung sollte in Zukunft angestrebt werden.<br />
Anschrift für die Verfasser<br />
Dr. David Sommer<br />
Blechhammer 4-9<br />
98574 Schmalkalden<br />
Email: d.sommer@fh-sm.de<br />
I.T.E.A – Institut für Testentwicklung <strong>und</strong> -anwendung., FE, Berlin 1 ),<br />
DEKRA Automobil GmbH, Fachbereich Verkehrspsychologie, Berlin 2 )<br />
M. BERG 1 ), W. SCHUBERT 2 )<br />
Eine neue Test-Methodik zur Erfassung von Vigilanz<br />
Vigilanz wird hier verstanden als die Fähigkeit, bei sehr monotoner Anforderung in einem schwellennahen<br />
Wahrnehmungsbereich die räumlich fokussierte Aufmerksamkeit aufrecht zu erhalten. Diese Fähigkeit ist unter<br />
Anderem wichtig für die Verkehrssicherheit, man denke an lange Fahrten auf leeren Autobahnen bei Dämmerung.<br />
Testanforderungen verlangen in der Regel, bei einer Abfolge von gleichförmigen Reizen nur (selten) auf<br />
geringfügig abweichende Reize zu reagieren.<br />
Das nach dem Konstituentenansatz (Berg, 1993) konstruierte <strong>und</strong> in der Erprobung befindliche Testverfahren<br />
Corporal -V wurde über die Variation schwierigkeitsstiftender Aufgabenvariablen zunächst intern validiert. Erste<br />
Daten mit dem neuen Test zeigen, dass die Differenz zwischen der (horizontalen) Standard-Bewegung der Testfigur<br />
<strong>und</strong> der (seltenen) Erweiterung dieser Bewegung die Vigilanz-Leistung (Sensitivität d' <strong>im</strong> Sinne der Signalerkennungstheorie)<br />
entscheidend beeinflusst <strong>und</strong> dadurch auch eine Opt<strong>im</strong>ierung der Testlänge <strong>und</strong> somit der<br />
Zeitökonomie erlaubt.<br />
Darüber hinaus ist es mit diesem Vigilanz-Test aber auch möglich, Beeinträchtigungen besser als bisher einzugrenzen,<br />
nämlich durch interne Vergleiche innerhalb des Test-Systems Corporal mit unterschiedlichen, aber<br />
vergleichbaren kognitiven Anforderungen. So, wie z. B. die Minderleistung in einem Gedächtnistest nicht unbedingt<br />
durch ein Gedächtnisdefizit verursacht sein muss (auch ein Aufmerksamkeitsdefizit kann die Ursache sein),<br />
ist auch bei einer verminderten Leistung in einem Vigilanz-Test eine Verursachung durch andere Defizite nicht<br />
auszuschließen. Schon mit einem Subsystem min<strong>im</strong>alen Umfangs (Vigilanz etwa <strong>im</strong> Vergleich zu räumlich fokussierter<br />
Aufmerksamkeit) wird die Diagnostik präziser als bisher möglich.<br />
Schlüsselwörter<br />
Vigilanz – Test – Methodik – Verkehrssicherheit – Signalerkennungstheorie<br />
Anschrift für die Verfasser<br />
PD Dr. Michael Berg<br />
Kavalierstraße 17<br />
13187 Berlin<br />
Email: itea@aol.com<br />
Abstracts<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Sup II - 24<br />
Fachhochschule Schmalkalden, Fakultät für Informatik, Schmalkalden 1 ),<br />
Circadian Technologies Inc., Stoneham/Massachusetts, USA 2 ),<br />
Technische Universität Ilmenau, Institut für Biomedizinische Technik <strong>und</strong> Informatik, Ilmenau 3 )<br />
C. HEINZE 1 ), U. TRUTSCHEL 2 ), M. GOLZ 1 ), J. FUCHS 1 ), D. SOMMER 1 ), J. HAUEISEN 3 )<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Measurement of circadian rhythms in heart rate data<br />
In today’s industry, working schedules and other complex influences conflict with physiological rhythms, in<br />
particular with the human sleep-wake cycle (SWC). In order to ensure sustained wakefulness and performance<br />
during work t<strong>im</strong>e as well as to support worker’s long-term health, it’s desireable to forecast the human SWC by<br />
individualized biomathematical models. This way, potential conflicts of work duty with physiological rhythms<br />
can be anticipated and managed in advance. Such models require objective markers in order to determine parameters<br />
such as circadian phase and period length of an individual’s SWC.<br />
We analyze the suitability of ECG-based parameters as circadian markers. Three subjects participated in a field<br />
survey in which a continuous ECG was recorded for 50 hours during normal every-day routine. In addition, the<br />
participants recorded a subjective Visual-Analogue Scale (VAS) of their alertness every 15 minutes. Each subject<br />
conducted the survey three t<strong>im</strong>es. These data may contain indications of inter- as well as intra-individual differences.<br />
Heart rate (HR) measures were derived from recorded ECGs, such as:<br />
• t<strong>im</strong>e domain: heart rate, standard deviation, pNN50, zero-crossings<br />
• t<strong>im</strong>e-frequency domain: low and high frequency band<br />
• wavelet space: coefficients of discrete wavelet transform<br />
• phase space: 2- and 3-d<strong>im</strong>ensional phase space diagrams.<br />
All HR measures were computed over successive overlapping windows. In addition to these short-term segments,<br />
power spectra, using Fourier Transform and Max<strong>im</strong>um Entropy Est<strong>im</strong>ation, over entire recordings were<br />
computed.<br />
For all three subjects, the VAS of alertness shows a clear circadian rhythm with a peak aro<strong>und</strong> late morning and<br />
a steep decrease in the late evening. For HR measures, the most pronounced circadian behaviour can be seen in:<br />
heart rate (peak aro<strong>und</strong> 12 am, trough aro<strong>und</strong> 4 am), power of low frequency band (reduced during night t<strong>im</strong>e)<br />
and the semi-minor axis (SD1) of a fitted ellipse, which displays an inverse polarity with a peak aro<strong>und</strong> 5 am.<br />
Spectral analysis reveals a dominant 24-hour component in all 50-hour RR intervals. This is also confirmed by<br />
fitted cosine curves to heart rate and SD1 series. There’re also indications of 4- and 8- hour subharmonic components,<br />
i. e. ultradian rhythms, but their assessment is ambiguous.<br />
To conclude, several HR measures display clear circadian characteristics and appear promising. Their suitability<br />
as circadian markers should be validated against physiological measures, e. g. core body temperature. Furthermore,<br />
the circadian stability of HR measures should be evaluated <strong>und</strong>er conditions of sleep deprivation or<br />
t<strong>im</strong>e shift.<br />
Schlüsselwörter<br />
circadian rhythm – heart rate variability – spectral analysis – state space – poincaré plot<br />
Anschrift für die Verfasser<br />
Christian Heinze<br />
Am Schw<strong>im</strong>mbad<br />
98574 Schmalkalden<br />
Email: c.heinze@fh-sm.de<br />
Abstracts
TU Braunschweig, Lehrstuhl für Kognitions- <strong>und</strong> Ingenieurpsychologie, Braunschweig<br />
K. REINPRECHT, E. MUHRER, M. VOLLRATH<br />
„Du bist müde! Halt an…“ – „Nein, so müde bin ich gar nicht.“<br />
Sup II - 25<br />
Fragestellung: Bei der Entwicklung von Müdigkeitswarnsystemen wird eine Referenz benötigt, um die entsprechenden<br />
Methoden zu opt<strong>im</strong>ieren. Selbstberichte sind problematisch, da diese möglicherweise ihre Müdigkeit<br />
unterschätzen. Bei Beobachtungen stellt sich die Frage, ob die relevanten Zustände auch entdeckt werden.<br />
Ein wichtiges Kriterium ist die müdigkeitsbedingte Verschlechterung der fahrerischen Leistung. In dem vorliegenden<br />
Beitrag wird untersucht, wie diese verschiedenen Möglichkeiten zu bewerten sind, um die sicherheitsrelevanten<br />
Aspekte von Müdigkeit möglichst gut einzuschätzen.<br />
Methoden: Um der Frage nach der Übereinst<strong>im</strong>mung von Selbst- <strong>und</strong> Fremdbeurteilung des Müdigkeitsstatus<br />
nachzugehen, wurde eine Fahrs<strong>im</strong>ulatorstudie durchgeführt. Die Teststrecke bestand aus einer zweistündigen<br />
Nachtfahrt, wobei die Hälfte davon auf einer Autobahn, die Hälfte auf einer Landstraße gefahren wurde. Alle<br />
Fahrversuche fanden ab 20 Uhr statt. Die Stichprobe bestand aus 23 Testfahrern (10 Männer, 13 Frauen) mit<br />
einem Durchschnittsalter von 41.8 Jahren (SD = 13.5). Für die Selbstbewertung wurde <strong>im</strong> Zehnminutenrhythmus<br />
eine Müdigkeitsskala in die S<strong>im</strong>ulation eingeblendet, anhand derer die Fahrer Ihren Müdigkeitsstatus angeben<br />
sollten. Für die Fremdbewertung wurden aus dem gesamten Video der Fahrt alle zehn Minuten zwe<strong>im</strong>inütige<br />
Videos extrahiert (T<strong>im</strong>e-Sampling-Methode), die <strong>im</strong> Anschluss an die Fahrt von den Beurteilern bewertet wurden.<br />
Bei der Fremdbewertung wird anhand objektiv ersichtlicher Müdigkeitsmerkmale (Lidschlussverhalten,<br />
Manierismen, Sitzposition...) eine Müdigkeitsstufe von geschulten Beobachtern zugeordnet.<br />
Ergebnisse: Der Vergleich der Methoden der Selbst- mit der Fremdbewertung sowie das Fahrverhalten unter<br />
unterschiedlichen Müdigkeitsstufen werden vorgestellt. Es zeigt sich, dass Fahrer ihre Müdigkeit häufiger geringer<br />
einschätzen, als dies bei der Fremdbewertung der Müdigkeit der Fall ist. Mit Hilfe der Fahrdaten wird diskutiert,<br />
wie diese Unterschiede zu bewerten sind.<br />
Schlussfolgerungen: Um Systeme zu opt<strong>im</strong>ieren, die die Müdigkeit von Fahrern bei der Fahrt entdecken sollen,<br />
ist es wesentlich, den Aspekt der Müdigkeit zu erfassen, der zu Leistungsbeeinträchtigungen führt. Aus dem hier<br />
dargestellten systematischen Vergleich lassen sich Hinweise geben, wie <strong>und</strong> mit welcher Güte dies möglich ist.<br />
Schlüsselwörter<br />
Müdigkeitserkennung – Fahrs<strong>im</strong>ulator – Fahrerverhalten – Fremdbeobachtung – Fahrerassistenz<br />
Anschrift für die Verfasser<br />
Dipl.-Psych. Klaus Reinprecht<br />
Gaußstraße 23<br />
D-38106 Braunschweig<br />
Email: k.reinprecht@tu-bs.de<br />
Abstracts<br />
Universität Wuppertal, Exper<strong>im</strong>entelle Wirtschaftspsychologie, Wuppertal 1 )<br />
FH Schmalkalden, Neuroinformatik, Schmalkalden 2 )<br />
J. KRAJEWSKI 1 ), C. HEINZE 2 ), T. SCHNUPP 2 ), D. SOMMER 2 ), T. LAUFENBERG 1 ), M. GOLZ 2 )<br />
„Keep it s<strong>im</strong>ple?“ – Spurhaltemaße <strong>und</strong> Lenkbewegungen zur aufwandsarmen<br />
Best<strong>im</strong>mung von Fahrerschläfrigkeit<br />
Die kontinuierliche Erfassung von Fahrerschläfrigkeit <strong>im</strong> Alltagseinsatz erfordert eine robuste, auch in<br />
schwierigen Umweltbedingungen arbeitende, messgenaue Sensorik. Darüber hinaus sollte sie aus Fahrerperspektive<br />
keinen Zusatzaufwand vor, während oder nach der Messung z.B. in Form von Sensorapplikation, Ein-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Sup II - 26<br />
schränkung der Sitzmobilität oder Wartungsarbeiten verursachen. Neben akustischen Verfahren könnten insbesondere<br />
lenkradbewegungs- <strong>und</strong> spurhaltebasierte Ansätze diese Anforderungen bewältigen. Wichtige Entwicklungsdesiderate<br />
dieser Schläfrigkeitsmessansätze liegen jedoch in ihren bislang belästigend hohen „falschen<br />
Alarmraten“. Die breite Ausschöpfung der <strong>im</strong> Lenkrad- <strong>und</strong> Spurhaltesignal enthaltenen Informationen über<br />
Signalverarbeitungs- <strong>und</strong> Mustererkennungsstrategien eröffnet in dieser Hinsicht vielversprechende Perspektiven.<br />
Zwölf Probanden fahren innerhalb einer Nachtfahrt-S<strong>im</strong>ulationsstudie (01–08 Uhr) in sieben 40-Min. Sessions.<br />
Neben Spurhaltemaßen <strong>und</strong> Lenkradbewegungen werden Videoaufnahmen <strong>und</strong> elektrophysiologische<br />
Signale (EEG, EOG) erfasst. Als Abschätzung des echten Schläfrigkeitswerts wird alle 4 Min. der selbst- <strong>und</strong><br />
fremdberichtete KSS verwendet. Um die in den Signalen enthaltene Information möglichst vollständig auszuschöpfen,<br />
werden die 975 jeweils 4 Min. langen Fahrsignale über 1251 elementar-statistische, spektrale <strong>und</strong><br />
nicht-lineare Dynamiken erfassende Signalfeatures beschrieben <strong>und</strong> über ein Standard-Mustererkennungsprozedere<br />
zu Schläfrigkeits-Prognosewerten verdichtet.<br />
Die Fehlerrate bei der Klassifikation von starker vs. moderater Müdigkeit lag für das Lenkradbewegungssignal<br />
bei 13.9 % <strong>und</strong> verbesserte sich durch die Fusion mit Spurhalteinformation auf 13.2 %. Spurhaltemaße liefern<br />
somit über die besonders aufwandsarm zu erfassende Lenkradbewegung hinaus keinen relevanten Detektions-<br />
Mehrwert.<br />
Schlüsselwörter<br />
Lenkbewegung – Spurhaltemaße – Schläfrigkeitsdetektion – Signalverarbeitung – Computational Intelligence<br />
Anschrift für die Verfasser<br />
Prof. Dr. Jarek Krajewski<br />
Gausstr. 20<br />
42097 Wuppertal<br />
Email: krajewsk@uni-wuppertal.de<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Abstracts<br />
Fachhochschule Schmalkalden, Fakultät Informatik, Schmalkalden 1 ),<br />
Universität Wuppertal, Exper<strong>im</strong>entelle Wirtschaftspsychologie, Wuppertal 2 )<br />
T. SCHNUPP 1 ), C. SCHENKA 1 ), J. KRAJEWSKI 2 ), M. GOLZ 1 )<br />
Anwendung Computergestützter Intelligenz auf Daten der Kompensatorischen<br />
Verfolgungsaufgabe zur Detektion von Schläfrigkeit<br />
Fragestellung: Die kompensatorische Verfolgungsaufgabe (Compensatory Tracking Task, CTT) wurde von<br />
Scott Makeig <strong>und</strong> Keith Jolley unter der Zielstellung entwickelt, schläfrigkeitsbedingte Einbrüche sowie Fluktuationen<br />
der Vigilanz zu detektieren. Die Aufgabe des Probanden besteht darin, den Cursor mit einer bildschirmmittigen<br />
Zielmarke (target) zur Deckung zu bringen. Der Cursor wird durch zwei Störgrößen so beeinflusst, dass<br />
dem Probanden eine Vorhersage der Bewegungsrichtung nicht möglich ist. Die erste Störgröße, die „buffeting<br />
force“, ist jeweils in X- <strong>und</strong> Y-Richtung eine Überlagerung von sechs Sinusschwingungen mit zufälligen Phasenwinkeln.<br />
Die zweite Störgröße wirkt radial <strong>und</strong> stößt den Cursor vom Zentrum ab. Gemessen wird der Cursor-<br />
Target Abstand als kontinuierliches Signal. Dieser Beitrag untersucht mit einer Pilotstudie, welche Detektionsgenauigkeit<br />
durch den Einsatz computergestützter Intelligenz erzielt <strong>und</strong> ob die Testdauer von 10 Minuten<br />
verkürzt werden kann.<br />
Methoden: An einer Pilotstudie nahmen 10 junge, ges<strong>und</strong>e Freiwillige <strong>im</strong> Alter von 19 bis 28 Jahren teil. Nach<br />
Abschluss des Trainings wurden zwei Referenzmessungen mit geringer Wachzeit (t<strong>im</strong>e-since-sleep, TSS) von 2<br />
bis 4 h durchgeführt. In einer späteren Versuchsnacht wurde stündlich eine CTT absolviert. Die aufgezeichneten<br />
Signale wurden sowohl <strong>im</strong> Zeit- als auch <strong>im</strong> Frequenzbereich analysiert. Vorerst wurden die Messungen zu zwei<br />
Klassen zugeordnet: Klasse „wach“, falls 2 h < TSS < 4 h, sowie Klasse „schläfrig“, falls 17 h < TSS < 19 h. Die<br />
übrigen Messungen wurden in dieser Analyse nicht betrachtet. Die nichtlineare Diskr<strong>im</strong>inanzanalyse wurde mit
Sup II - 27<br />
Support-Vektor Maschinen (SVM) durchgeführt <strong>und</strong> die Korrektklassifikationsrate (ACC, accuracy) mit der<br />
nahezu unverzerrten leave-one-out Validierung geschätzt. Kürzere Testdauern wurden durch eine Verkürzung der<br />
aufgezeichneten Signale s<strong>im</strong>uliert.<br />
Ergebnisse: Die Analyse <strong>im</strong> Spektralbereich war erfolgreicher als jene <strong>im</strong> Zeitbereich. Es konnten um ~ 4 %<br />
erhöhte ACC erreicht werden. Die höchste ACC wurde erreicht, wenn die spektralen Leistungsdichten in empirisch<br />
opt<strong>im</strong>ierten, äquidistanten Bändern gemittelt <strong>und</strong> die Parameter der SVM sorgfältig opt<strong>im</strong>iert wurden. Die<br />
Messdauer <strong>im</strong> Bereich von 6 bis 8 min hat keinen entscheidenden Einfluss auf die Ergebnisse. Als opt<strong>im</strong>al erwies<br />
sich eine Messdauer von 6 Minuten. Die höchste ACC lag bei 96,9 %.<br />
Schlussfolgerungen: Es konnte gezeigt werden, dass sowohl die Anwendung von Methoden der Computergestützten<br />
Intelligenz als auch die s<strong>im</strong>ulierte Verkürzung der Testdauer zu einer hohen Genauigkeit der Schläfrigkeitsdetektion<br />
führen. Umfangreichere Studien müssen zeigen, wie stabil diese Ergebnisse sind <strong>und</strong> wie hoch<br />
sowohl die inter- als auch die intra-individuelle Variabilität ist. Außerdem ist noch offen, ab welchem<br />
Schläfrigkeitsgrad der CTT anspricht. Der praktische Einsatz des CTT ist durch das zuvor erforderliche Training<br />
l<strong>im</strong>itiert. Bei den hier untersuchten Probanden stellte sich nach 3–5 Trainingssitzungen von je 2 Minuten eine<br />
Sättigung der Lernkurve ein.<br />
Schlüsselwörter<br />
Compensatory Tracking Task – Schläfrigkeit – Adaptive Signalanalyse – Computergestützte Intelligenz –<br />
Support-Vektor Maschinen<br />
Anschrift für die Verfasser<br />
Dipl.-Informatiker Thomas Schnupp<br />
Am Schw<strong>im</strong>mbad<br />
98574 Schmalkalden<br />
Email: t.schnupp@fh-sm.de<br />
Abstracts<br />
Fachhochschule Schmalkalden, Informatik, Schmalkalden<br />
D. SOMMER, M. GOLZ<br />
Mikroschlafdichte: Ein neues Maß zur Quantifizierung starker Schläfrigkeit<br />
Einleitung: Bislang gibt es noch keine etablierte Variable, um Fahrermüdigkeit zu best<strong>im</strong>men. Aufgr<strong>und</strong> vielfältiger<br />
Verhaltensmerkmale <strong>und</strong> hoher inter-individueller Unterschiede gehen die Ansätze verschiedener Autoren<br />
stark auseinander. Im Gegensatz zur mittleren Müdigkeit existiert bei starker Müdigkeit ein unmissverständliches<br />
Anzeichen, das Auftreten von Mikroschlaf (MS). Es lässt sich zeigen, dass MS mit Methoden der Computergestützten<br />
Intelligenz aus Biosignalen zuverlässig erkannt wird.<br />
Frage: Kann die Mikroschlaf-Detektion zur Quantifizierung starker Fahrermüdigkeit eingesetzt werden?<br />
Material: Die Analysen basieren auf Biosignalen (EEG, EOG) <strong>und</strong> Videoaufnahmen von 10 ges<strong>und</strong>en, jungen<br />
Erwachsenen, die jeweils 70 Nachtfahrtsitzungen in unserem Fahrs<strong>im</strong>ulationslabor absolviert haben. Trainierte<br />
Bef<strong>und</strong>er haben visuell insgesamt 2290 MS-Beispiele markiert. Hierbei wurden nur evidente Ereignisse<br />
berücksichtigt, die durch verlängerte Lidschlüsse, Kopfnicken oder Abkommen von der Fahrbahn gekennzeichnet<br />
waren. Unsicher einschätzbare Phasen wurden ignoriert. Anschließend wurde die gleiche Anzahl an<br />
Gegenbeispielen (Nicht-MS) markiert. Die Fahrer waren auch hier ermüdet, konnten aber die Fahraufgabe noch<br />
erfüllen.<br />
Methoden: Zur Klassifikation der beiden Ereignistypen wurden Support-Vektor Maschinen eingesetzt, die<br />
Korrektklassifikationsraten von 2 % erzielen konnten. Mit den genannten Beispielen wurden jedoch nur 15 % der<br />
gesamten Fahrtzeit eingeschätzt. In den restlichen 85 % befanden sich die Fahrer in relativ lang andauerndem<br />
Nicht-MS oder in unsicher einschätzbaren Phasen. Um insbesondere für letztere auch eine Quantifizierung zu erhalten,<br />
wurden für den kompletten Datensatz (100 % der Fahrtzeit) die Klassifikatoren kontinuierlich eingesetzt,<br />
jedoch nur <strong>im</strong> Recall-, nicht <strong>im</strong> Trainings-Modus.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Sup II - 28<br />
Ergebnisse: Eine anschließende Validation zeigte, dass die Klassifikatoren sowohl eine hohe Sensitivität als<br />
auch Spezifität aufwiesen. Aus den Ausgangsvariablen der kontinuierlichen Klassifikation kann nun die MS-<br />
Dichte als relativer Anteil von MS-ähnlichen Zuständen <strong>im</strong> EEG / EOG in festgelegten Mittlungsintervallen berechnet<br />
werden. Sowohl die Anzahl der detektierten MS-ähnlichen Phasen als auch deren Länge beeinflussen<br />
diese neue Variable. Es zeigte sich, dass die MS-Dichte stark mit unabhängigen Variablen der Fahrleistungsfähigkeit<br />
<strong>und</strong> der Selbsteinschätzung der Schläfrigkeit auf der Karolinska Sleepiness Scale korreliert.<br />
Fazit: Trotz erheblicher intra- <strong>und</strong> inter-individueller Unterschiede sowohl <strong>im</strong> Verhalten als auch in der Charakteristik<br />
des EEG / EOG wurden hohe Korrelationen zu beiden Variablen gef<strong>und</strong>en. Damit konnte gezeigt werden,<br />
dass eine Quantifizierung starker Fahrermüdigkeit auf Gr<strong>und</strong>lage einer automatischen <strong>und</strong> kontinuierlichen<br />
Detektion von MS möglich ist.<br />
Anschrift für die Verfasser<br />
Dr. David Sommer<br />
Blechhammer 4-9<br />
98574 Schmalkalden<br />
Email: d.sommer@fh-sm.de<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Abstracts<br />
Fachhochschule Schmalkalden, Informatik, Schmalkalden<br />
D. SOMMER, M. GOLZ, U. TRUTSCHEL<br />
Fatigue Monitoring Technologies: Zur Einschätzung des Fahrerzustandes<br />
Einleitung: Geräte zur Überwachung der Fahrermüdigkeit (FMT, Fatigue Monitoring Technologies) haben die<br />
Aufgabe, gefährliche Zustände von Aufmerksamkeitsdefiziten während des Fahrens festzustellen <strong>und</strong> geeignete<br />
Gegenmaßnahmen einzuleiten. In einem jüngst veröffentlichten Forschungsbericht von Caterpillar Machine Research<br />
wurden über 35 FMT-Lösungen berichtet, von denen 22 kommerziell verfügbar waren. Die meisten Geräte<br />
verwenden Messgrößen des Fahrerverhaltens wie bspw. Lidschlagvariablen. Als Alternative messen 5 Geräte<br />
nicht direkt sondern indirekt das Verhalten über Variablen der Fahrleistung wie bspw. die Standardabweichung<br />
der lateralen Position in der Fahrspur, des Lenkwinkels <strong>und</strong> der longitudinalen Geschwindigkeit.<br />
Fragestellung: In diesem Beitrag wird basierend auf solchen Variablen der Frage nachgegangen, wie gut sich<br />
die Fahrermüdigkeit unter den idealen Bedingungen eines Fahrs<strong>im</strong>ulators schätzen lässt. Dabei soll insbesondere<br />
die intra-individuelle Streuung geschätzt werden.<br />
Probanden <strong>und</strong> Messungen: Hierfür wurden Probanden angeworben, die bereit waren, insgesamt 10 Nächte in<br />
unserem Fahrs<strong>im</strong>ulationslabor mit Realfahrzeug zu verbringen. Die Probanden absolvierten alle zwei Wochen jeweils<br />
eine Untersuchungsnacht, so dass ihr Schlaf-Wach-Zyklus nicht nachhaltig beeinflusst wurde. Hier berichten<br />
wir über vorläufige Ergebnisse eines einzigen Probanden (männlich, 26 Jahre alt). In jeder der 10 Nächte absolvierte<br />
er unter partieller Schlafdeprivation stündlich zwischen 1:00 <strong>und</strong> 7:00 Uhr jeweils 40 Minuten lange<br />
Fahrs<strong>im</strong>ulationssitzungen. Die selbst berichtete Schläfrigkeit auf der Karolinska Sleepiness Scale (KSS) wurde<br />
alle 2 Minuten per Mikrofon abgefragt.<br />
Auswertungsmethoden: Zwei Klassen wurden anhand der KSS-Werte eingeteilt (KSS ≤ 7, müde, aber keine<br />
Probleme wach zu bleiben <strong>und</strong> KSS ≥ 8, sehr müde, Probleme wach zu bleiben). Von allen Fahrleistungs-Variablen<br />
wurden bandgemittelte, logarithmierte Leistungsdichten <strong>im</strong> Spektralbereich berechnet. Diese waren anschließend<br />
die Eingangsvariablen von Support-Vektor Maschinen. Durch Kreuzvalidierung konnte die intra-individuelle<br />
Variabilität geschätzt werden. Hierbei wurde der komplette Datensatz einer Untersuchungsnacht als<br />
Testmenge verwendet, während die Datensätze der anderen neun Untersuchungsnächte als Trainingsmenge dienten.<br />
Dies wurde so oft wiederholt, bis jeder Datensatz als Testmenge den verbleibenden neun Datensätzen als<br />
Trainingsmenge <strong>gegen</strong>überstand.<br />
Ergebnisse: Mittlere Richtigklassifikationsraten (accuracy, ACC) von 85 bis 90 % wurden erzielt. Davon abweichend<br />
wurden für zwei Untersuchungsnächte eine deutlich schlechtere ACC erreicht. Die Ursachen hierfür<br />
konnten nicht aufgedeckt werden. Vermutungen, dass eventuell vorübergehende technische Veränderungen am<br />
Fahrs<strong>im</strong>ulator eine Rolle gespielt haben, konnten <strong>im</strong> Nachhinein nicht mehr überprüft werden.<br />
Schlussfolgerungen: Im Vergleich zur inter-individuellen Streuung, die durch ACC von 60 bis 90 % geschätzt<br />
wurde, ist die intra-individuelle deutlich geringer. Sie ist jedoch selbst unter kontrollierten exper<strong>im</strong>entellen Be-
Sup II - 29<br />
dingungen sehr empfindlich von diesen abhängig. Es zeigt sich, dass allein auf Basis von Fahrleistungsvariablen<br />
eine robuste <strong>und</strong> genaue Schätzung der Fahrermüdigkeit noch nicht erreichbar ist. Deshalb wird empfohlen, weitere<br />
Messgrößen zu integrieren, die den Fahrerzustand besser abbilden.<br />
Schlüsselwörter<br />
Fahrerzustand – Fahrermüdigkeit – Fahrs<strong>im</strong>ulator<br />
Anschrift für die Verfasser<br />
Dr. David Sommer<br />
Blechhammer 4–9<br />
98574 Schmalkalden<br />
Email: d.sommer@fh-sm.de<br />
Hochschule Nürtingen, Institut für forensisches Sachverständigenwesen (IfoSA), München 1 )<br />
Paris Lodron Universität Salzburg, Institut für Gerichtliche Medizin , Salzburg 2 )<br />
F. PRIEMER 1 ), T. KELLER 2 ), F. MONTICELLI 2 )<br />
Visualisierung der ermüdenden <strong>Alkohol</strong>wirkung per PST<br />
Bekanntermaßen ist ein mehrstündiger Gaststättenabend mit entsprechendem <strong>Alkohol</strong>genuss ermüdend.<br />
In der bereits durchgeführten Studie von Priemer et al. (1998) war bei 15 von 17 Probanden dieser Effekt nach<br />
4–5 St<strong>und</strong>en Daueralkoholisierung durch das Auftreten von langsamen Pupillenoscillationen (sleepiness waves),<br />
gemessen mit dem CIP (AMTech) einerseits festzustellen, andererseits war dieser Effekt nach Abfallen der<br />
<strong>Alkohol</strong>isierung reversibel.<br />
Die Ergebnisse dieser <strong>und</strong> einer aktuellen Serie von 12 Probanden, diesmal gemessen <strong>und</strong> hinsichtlich Pupil<br />
Unrest Index (PUI) ausgewertet mit dem F2D (AMTech), werden vorgestellt <strong>und</strong> hinsichtlich der Relevanz für<br />
den Straßenverkehr diskutiert.<br />
Schlüsselwörter<br />
<strong>Alkohol</strong>wirkung – Pupillenoscillationen<br />
Anschrift für die Verfasser<br />
Dr. Fritz Priemer<br />
Dall Armistr. 16<br />
80638 München<br />
Email: dr.f.priemer@gmx.de<br />
Abstracts<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Sup II - 30<br />
Institut für Arbeits-, Sozial- <strong>und</strong> Umweltmedizin, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz 1 ),<br />
Institut für Arbeitswissenschaft <strong>und</strong> Technologiemanagement, Universität Stuttgart 2 )<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
B. GEIßLER 1 ), L. HAGENMEYER 2 ), K. MEINKEN 2 ), A. MUTTRAY 1 )<br />
Wie einschlafgefährdet sind Busfahrer <strong>im</strong> Reisefernverkehr?<br />
Beobachtungen aus einer Feldstudie<br />
Einleitung: Schläfrigkeit <strong>und</strong> Einschlafen am Steuer sind wesentliche Ursachen für schwere Verkehrsunfälle.<br />
Unsere Fragestellung lautete: Wie groß ist das Ausmaß an Schläfrigkeit bei Busfahrern, die <strong>im</strong> Reisefernverkehr<br />
tätig sind?<br />
Methoden: Die Messungen wurden während regulärer Dienstfahrten vorgenommen. Ziele waren Städte innerhalb<br />
Europas. Der überwiegende Teil der Fahrten erfolgte zumindest teilweise nachts. In die Studie eingeschlossen<br />
wurden 45 männliche Busfahrer (MW = 44 Jahre, SD = 9,7 Jahre). Vor Fahrtbeginn <strong>und</strong> nach Fahrtende<br />
wurde der Pupillographische Schläfrigkeitstest (PST) durchgeführt, bei dem <strong>im</strong> Sitzen spontane Pupillenoszillationen<br />
in Dunkelheit über 11 Minuten mittels Infrarot-Videographie aufgezeichnet werden. Ergebnisparameter<br />
bei der mobilen Geräteversion ist der relative Pupillenunruheindex (PUI [min-1]) als Maß für die Schwankungen<br />
der Pupillenweite. Ein hoher PUI zeigt ein niedriges zentralnervöses Aktivierungsniveau an <strong>und</strong> wird üblicherweise<br />
als ein Maß für die Schläfrigkeit angesehen. Da viele Probanden während der Messung einschliefen <strong>und</strong><br />
dieses einen Schlafdruck anzeigt, wurde eine Differenzierung vorgenommen: Je nach Zeitpunkt des Einschlafens<br />
wurde ein fiktiver PUI-Wert zwischen 3 <strong>und</strong> 4 min-1 vergeben. Jeweils nach der PST-Messung wurde die subjektive<br />
Schläfrigkeit mit der Karolinska Schläfrigkeitsskala (KSS) gemessen. Die Studie wurde von der zuständigen<br />
Ethikkommission gebilligt.<br />
Ergebnisse: Die PST-Messungen von 42 Fahrern konnten ausgewertet werden. 12 von 42 Fahrern (29 %)<br />
schliefen während der PST-Messung ein: 2 Fahrer nur bei der Messung vor der Fahrt, einer sowohl vor als auch<br />
nach der Fahrt <strong>und</strong> 9 Fahrer nur bei der Messung nach der Fahrt. Bei weiteren 8 Fahrern lag der relative PUI oberhalb<br />
der 97,7 Perzentile eines externen Vergleichskollektivs. Der mediane Score der KSS betrug vor Fahrtantritt<br />
3 (3. Quartil = 4), nach Fahrtende 5 (3. Quartil = 7). Subjektiv schätzten sich die Fahrer nach der Fahrt schläfriger<br />
ein als vor der Fahrt (p < 0,0001, Wilcoxon-Test).<br />
Schlussfolgerungen: Bei etwa einem Viertel der Reisebusfahrer ergaben sich Hinweise auf eine vermehrte<br />
Schläfrigkeit <strong>und</strong> Einschlafgefährdung. Wegen der positiven Selektion der Stichprobe ist zu vermuten, dass in der<br />
Gr<strong>und</strong>gesamtheit der Reisebusfahrer ein deutlich höheres Ausmaß an Schläfrigkeit vorliegt.<br />
Danksagung: Die Studie wurde von der <strong>B<strong>und</strong></strong>esanstalt für Arbeitsschutz <strong>und</strong> Arbeitsmedizin gefördert.<br />
Anschrift für die Verfasser<br />
Dr. Britta Geißler<br />
Obere Zahlbacher Straße<br />
55131 Mainz<br />
Email: geisslbr@uni-mainz.de<br />
Abstracts<br />
Neurologische Univ.-Klinik Hamburg Eppendorf<br />
W. H. ZANGEMEISTER, L. MAINTZ, J. HIERLING, C. BUHMANN<br />
Der Einfluss von Medikamentösen Therapieänderungen <strong>und</strong> der STN<br />
(sub-thalamic nucleus) St<strong>im</strong>ulation auf die Fahrfähigkeiten<br />
von Parkinson Patienten<br />
PKW-Fahren ist für Parkinson(PD)-Patienten eine ganz wesentliche alltägliche Aufgabe. Krankheitsspezifische<br />
Defizite können hier in unterschiedlich ausgeprägter Weise zu Einschränkungen <strong>und</strong> Fahrfehlern führen.
Sup II - 31<br />
Dazu gehören: Eingeschränkter Aufmerksamkeitsfokus, verlängerte senso-motorische Überleitungs-Reaktions-<br />
Zeiten, Tremor, Bewegungsverlangsamung mit Rigidität <strong>und</strong> Hypometrie; insbesondere können auch hypometrische<br />
Sakkaden (schnelle Willküraugenbewegungen) <strong>und</strong> gestörte Blickfolge-Bewegungen mit ungenauer statischer<br />
<strong>und</strong> dynamischer Fixation zu Schwierigkeiten führen.<br />
Mittels eines Gazetrackers (Infrarotsystem mit freier Kopf-Augen-Bewegung) haben wir die Kopf-Augen-<br />
Blick-Koordination zusammen mit den Steuer-, Blinker-, Gas/Bremse-Bewegungen <strong>im</strong> Fahrs<strong>im</strong>ulator bei 20 vergleichbaren<br />
Ges<strong>und</strong>en <strong>und</strong> bei 20 Parkinsonpatienten aufgezeichnet, davon 10 mit STN St<strong>im</strong>ulator, Altersmittel<br />
63,4 Jahre, davon 4 Patientinnen. Die PD Klassifizierung erfolgte gemäß UPDRS sowie Hoehn <strong>und</strong> Yahr scale,<br />
MMST, Demtect. Mittlere Krankheits-Symptomdauer war 5 Jahre (±0,8 J.). Alle Patienten waren unter L-Dopa<br />
Medikation. Nach einigen Basisprüfungen der Oculomotorik konnten die Patienten 5 Minuten am Fahrs<strong>im</strong>ulator<br />
üben, um dann einen 5-minütigen S<strong>im</strong>ulationskurs zu durchfahren (Bessier, 3D-Fahrschule). Dabei wurde<br />
verglichen zwischen Medikation on, off, <strong>und</strong> on bzw. St<strong>im</strong>ulation on, off, <strong>und</strong> on. Die umfangreichen Daten wurden<br />
mithilfe einer Spezialsoftware (Fa. Mangold: Interact & Dataview) ausgewertet nach Fehlerklassen.<br />
Folgende Defizite wurden dabei gef<strong>und</strong>en: 1. Generell zu langsames Fahren, insbesondere wenn schwierigere<br />
Situationen vorkamen, z. B. Linksabbiegen, mit teilweise gleichzeitigem Bremsen <strong>und</strong> Gasgeben. 2. Verlängerte<br />
Reaktionszeiten insbesondere be<strong>im</strong> Bremsen zusammen mit verlängerten sakkadischen Reaktionszeiten, 3. Inakkurate<br />
statische <strong>und</strong> dynamische (= Folgebewegungs-) Fixation mit der Folge des Blickzielverlustes, Reaktionsverlängerung,<br />
<strong>und</strong> Mittellinienüberfahren. 4. Erschwertes Kurvenfahren, insbesondere <strong>im</strong> Kreisverkehr,<br />
5. Zu häufige <strong>und</strong> ineffiziente Steuerbewegungen vorzugsweise in der Off-kondition. 6. Räumliche Einengung<br />
des Aufmerksamkeitsfensters mit gelegentlichem Nicht-Beachten von Verkehrsgebotszeichen (bis hin zu Rot-<br />
Überfahren).<br />
Wie erwartet fielen die Defizite deutlich mehr auf in der jeweiligen Off-Kondition. Allerdings hatten eine<br />
Reihe von Patienten auch in der On-Kondition noch Schwierigkeiten, fehlerfrei zu fahren. Als erste Schlussfolgerung<br />
ist aus unseren Ergebnissen abzuleiten, dass ein ggf. zu wiederholendes Fahrtraining mit Fahr-Überprüfung<br />
bei Parkinsonpatienten anzustreben ist.<br />
Das Poster wird anhand von Abbildungen typische Situationen zeigen.<br />
Anschrift für die Verfasser<br />
Prof. Dr. Wolfgang H. Zangemeister<br />
Martinistr.52<br />
20251 Hamburg<br />
Email: whiz@uke.uni-hamburg.de<br />
Abstracts<br />
Klinik Schillerhöhe, Schlaflabor, Gerlingen<br />
S. ELLER, V. WIENHAUSEN-WILKE<br />
Mult<strong>im</strong>odaler Ansatz zur Prävention schläfrigkeitsbedingter Unfälle von<br />
Berufskraftfahrern<br />
Fragestellung: Mindestens 15 – 20 % der Verkehrsunfälle in Deutschland sind auf Schläfrigkeit zurückzuführen.<br />
Unter allen Verkehrsteilnehmern sind Berufskraftfahrer besonderen Belastungen ausgesetzt (z. B. Stress,<br />
Schichtdienst <strong>und</strong> gleichzeitige Monotonie bei langen Autobahnfahrten). Kann die Schlafmedizin durch das<br />
Screening <strong>und</strong> die Sensibilisierung einer besonders exponierten Berufsgruppe frühzeitig Risikopersonen benennen<br />
<strong>und</strong> durch konsequente Therapie verheerende Folgen verhindern?<br />
Methode: Teilnehmer: 28 männliche LKW-Fahrer Durchschnittsalter 44,5 Jahre (20 – 57 Jahre) Mittlerer<br />
BMI: 27.6; Schichtdienst: 25 % Nachtdienst; Kooperationspartner: internationales Logistikunternehmen. Drei<br />
Schwerpunkte:<br />
• 3 Schulungseinheiten à 45 Minuten, Alertness-Management, Kleingruppen, Lernzielkontrolle<br />
• Schlafmedizinisches Screening (Apnoe Screening, ESS, PSQI, Pupillografie, Quatember Maly, körperliche<br />
Untersuchung, berufsbezogene Anamnese)<br />
• Risikoprofilorientierte, individuelle Beratung, zügige Therapieeinleitung, enge Kooperation mit Fachärzten.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Sup II - 32<br />
Ergebnisse:<br />
• Deutlicher Wissenszuwachs zum Thema Schlaf (19,5 % versus 75 % richtig beantwortete Fragen nach Schulung)<br />
• Beträchtlicher Konsum „gängiger St<strong>im</strong>ulanzien“ (Kaffeekonsum bei 96 % der Fahrer, Mittel 5,8 Tassen<br />
sowie 65 % Raucher <strong>im</strong> Kollektiv)<br />
• Schlafdauer 6,4 St<strong>und</strong>en, eigene Schlafgüteneinschätzung Note 2,7<br />
• Anamnestisch Schnarcher 78 %, AHI 9,25/h, kontrollbedürftig 18<br />
• Leicht erhöhter mittlerer PUI, 6,9 mm/min (Pupillografie)<br />
• Hervorragende Reaktionszeit (Quatember Maly) bei geringer subjektiver Schläfrigkeit (ESS)<br />
• Therapie: Rückenlagmeidung 46 %, Polysomnografie erforderlich 10,7 %, Lebensstiländerung 58 %,Schlafhygiene<br />
43%<br />
Schlussfolgerungen: Berufskraftfahrer wiesen überdurchschnittlich schnelle Reaktionszeiten auf, aber leichte<br />
Überschätzungen der eigenen Wachheit. Fast die Hälfte der Fahrer zeigten lageabhängig Atemregulationsstörungen,<br />
in 10,7% der Fälle war eine Polysomnografie erforderlich. Die Schulungsmaßnahmen erfuhren eine hohe<br />
Akzeptanz mit sehr gutem Wissenszuwachs. Um am Arbeitsplatz Straße das Ziel einer erhöhten Verkehrssicherheit<br />
<strong>und</strong> Produktivität zu erreichen, sind neben strukturierten Schulungen gezielte schlafmedizinische Untersuchungen<br />
hilfreich.<br />
Schlüsselwörter<br />
Prävention – LKW-Fahrer – Alertness-Managment – Pupillografie – Schläfrigkeit<br />
Anschrift für die Verfasser<br />
Dipl. Psych. Sabine Eller<br />
Solitudestr. 18<br />
70839 Gerlingen<br />
Email: sabine.eller@web.de<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Abstracts<br />
Ges<strong>und</strong>heitswerk Ruhr, Konzeptentwicklung, Essen<br />
W. JANKOWSKI<br />
Die Prävention schläfrigkeitsbedingter Unfälle am Arbeitsplatz LKW<br />
Nicht erholsamer Schlaf ist Ursache <strong>und</strong> Folge einer Vielzahl von körperlichen <strong>und</strong> seelischen Störungen mit<br />
Krankheitswert. Die gesetzlichen Krankenkassen haben zu § 20 SGB V Präventionsfelder <strong>und</strong> methodische Herangehensweisen<br />
für die Pr<strong>im</strong>ärprävention beschrieben. Das Störungsbild „Nicht Erholsamer Schlaf“ korrespondiert<br />
zwar mit den durch die GKV definierten Handlungsfeldern, ist diesen aber nicht explizit zugeordnet. Ursache<br />
hierfür ist nicht zuletzt ein erst allmähliches Bewusstwerden des Faktors Schläfrigkeit als ursächlich für<br />
erhebliche Leistungseinschränkungen <strong>und</strong> viele schwerwiegende Erkrankungen wie z. B. Schlaganfälle oder Depressionen.<br />
Die Prävention schläfrigkeitsbedingter Unfälle setzt pr<strong>im</strong>är-, sek<strong>und</strong>är- <strong>und</strong> tertiärpräventives Handeln voraus.<br />
Im Bereich der Verkehrssicherheit zeigt sich die Notwendigkeit, dem Störungsbild „Nicht erholsamer<br />
Schlaf“ insgesamt mehr Aufmerksamkeit zuzuwenden als von der <strong>im</strong> Wesentlichen auf das organische Geschehen<br />
ausgerichteten Schlafmedizin bisher geleistet wird. Die Eingliederung des Handlungsfeldes „Nicht Erholsamer<br />
Schlaf“ in allgemeine Maßnahmen der betrieblichen Ges<strong>und</strong>heitsförderung <strong>und</strong> in spezielle Maßnahmen zur<br />
Erhöhung der Sicherheit <strong>im</strong> Straßenverkehr ist nicht zuletzt auch wirtschaftliche <strong>und</strong> u. U. haftungsrechtliche<br />
Notwendigkeit. Im Fokus pr<strong>im</strong>ärpräventiver Maßnahmen stehen v. a. Schlafstörungen der Gruppen 1 B <strong>und</strong> 1 C<br />
nach ICSD<br />
1. Dyssomnien<br />
1. B. Extrinsische Schlafstörungen<br />
1. Inadäquate Schlafhygiene
Sup II - 33<br />
2. Umweltbedingte Schlafstörung<br />
3. Schlafmangelstörung<br />
4. Schlafstörung aufgr<strong>und</strong> mangelnder Schlafdisziplin<br />
5. Einschlafstörung durch Fehlen des gewohnten Schlafrituals<br />
1. C. Störungen des zirkadianen Rythmus<br />
1. Schlafstörung bei Schichtarbeit<br />
2. Unregelmäßiges Schlaf-Wach-Muster<br />
3. Schlaf-Wach-Störung bei Abweichung vom 24-St<strong>und</strong>en-Rhythmus<br />
Die Arbeitssituation in speziellen Anwendungsbereichen wie dem Transportwesen lässt eine Teilnahme an<br />
Präsenzkursen nach dem üblichen Schema (x-mal wöchentlich zu festen Zeiten in den Abendst<strong>und</strong>en) nur selten<br />
zu. Alternativ hierzu wurde eine Online-Version entwickelt, die den GKV-Kriterien zu § 20 SGB V entspricht.<br />
Damit wird auf Nachfragen aus sicherheitsrelevanten Arbeitsfeldern wie dem Straßen-, Schienen-, <strong>und</strong> Luftverkehr<br />
eingegangen.<br />
Basisdaten für die methodische Entwicklung einer pr<strong>im</strong>ärpräventiven Maßnahme werden über die Störungsanalyse<br />
Erholsamer Schlaf SES © (Multifaktorielle Analyse subjektiv wahrgenommener Schlafstörungen) erfasst.<br />
Das Kursprogramm in der Online-Version kann über den Bord-Computer abgerufen <strong>und</strong> damit jederzeit an jedem<br />
Ort durchgearbeitet werden. Unter Lizenz stehen adjuvante Maßnahmen (Entspannungsübungen, Ratgeberfunktionen<br />
usw.) online zu Verfügung.<br />
Schlüsselwörter<br />
Sek<strong>und</strong>enschlaf – Online-Schlaftraining – Pr<strong>im</strong>ärprävention – Ges<strong>und</strong>heitsmanagement – Haftung<br />
Anschrift des Verfassers<br />
Walter Jankowski<br />
Hüttmannstr. 71<br />
45143 Essen<br />
Email: info@optinet-nrw.de<br />
Abstracts<br />
sicher unterwegs – Verkehrspsychologische Untersuchungen GmbH, Verkehrspsychologische Forschung, Wien<br />
F. TORNER, B. SCHÜTZHOFER<br />
Eine Erhebung von körperlichen sowie fahrspezifischen Anzeichen<br />
für akute Müdigkeit am Steuer sowie eine Analyse der eingeleiteten<br />
Gegenmaßnahmen der FahrerInnen<br />
Die präsentierte Studie beinhaltet die Auswertung einer Fragebogenerhebung von N = 161 Personen (KursteilnehmerInnen<br />
von Rehabilitationsmaßnahmen von <strong>im</strong> Straßenverkehr auffällig gewordenen LenkerInnen)<br />
zum Thema „Müdigkeit am Steuer“. Die Notwendigkeit, jenes Phänomen näher zu untersuchen, sehen die Studienautoren<br />
in den relativ hohen Prozentzahlen jener tödlichen Unfälle, die auf die akute Übermüdung der LenkerInnen<br />
zurückzuführen sind (beispielsweise spricht der österreichische Autobahnen- <strong>und</strong> Schnellstraßennetz-<br />
Betreiber ASFINAG von 16 Prozent). In der aktuellen Befragung gaben 26,7 % aller LenkerInnen an, dass sie<br />
bereits am Steuer eingeschlafen sind, bzw. einen Sek<strong>und</strong>enschlaf be<strong>im</strong> Autofahren erlitten haben. Aus verkehrspsychologischer<br />
Sicht zeigte sich ein ambivalentes Ergebnis: Positiv zu werten ist zwar die durchaus realistische<br />
<strong>und</strong> adäquate Einschätzung des Gefahrenmoments „Müdigkeit am Steuer“, jedoch muss aus den Ergebnissen auch<br />
ein massiver Handlungsbedarf hinsichtlich einer notwendigen Bewusstseinsbildung bezüglich effektiver Gegenmaßnahmen<br />
(Strategien, um einen drohenden Sek<strong>und</strong>enschlaf zu verhindern) abgeleitet werden. Jene Erkenntnis<br />
bezieht sich auf die Vielzahl der angegebenen Strategien, welche fälschlicherweise als effektive Gegenmaßnahmen<br />
eingeschätzt <strong>und</strong> auch tatsächlich während der Fahrt angewendet wurden. Zudem belegt die Studie, dass sich<br />
Müdigkeit am Steuer eindeutig in körperlichen <strong>und</strong> fahrspezifischen Symptomen zeigt. Hinsichtlich mehrerer<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Sup II - 34<br />
Symptome weisen LenkerInnen, die am Steuer eingeschlafen sind auch signifikant stärkere Ausprägungen bezüglich<br />
der Symptomatik auf, als FahrerInnen, die „nur müde unterwegs gewesen sind“. Jene Symptome, welche<br />
als Warnsignale für einen drohenden Sek<strong>und</strong>enschlaf interpretiert werden können, werden vorgestellt <strong>und</strong> die Ergebnisse<br />
in Bezug auf andere Studien kritisch diskutiert.<br />
Schlüsselwörter<br />
Müdigkeit am Steuer – Sek<strong>und</strong>enschlaf – Anzeichen <strong>und</strong> Warnsignale – Gegenmaßnahmen –<br />
Bewusstseinsbildung<br />
Anschrift für die Verfasser<br />
Mag. Felix Torner<br />
Schottenfeldgasse 28/8<br />
1070 Wien<br />
Email: f.torner@sicherunterwegs.at<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Abstracts<br />
TÜV Hessen, Hannover 1 )<br />
Medizinische Hochschule, Hannover 2 )<br />
B. PUND 1 ), M. JÄNSCH 2 )<br />
Der Einfluss mangelnder Aktivierung bei Verkehrsunfällen<br />
Nach der Einführung einer statistisch repräsentativen Unfallursachen-Datenerhebung mittels GIDAS (German<br />
In-Depth-Accident-Study) <strong>im</strong> Jahre 1999 wurde in mehreren Schritten eine Methodik zur Analyse von verkehrspsychologisch<br />
erklärbaren menschlichen Ursachen entwickelt. Seit Anfang des Jahres 2008 wird die Methode<br />
ACASS (Accident Causation Analysis with Seven Steps) bei den Erhebungen am Unfallort in Hannover <strong>und</strong><br />
Dresden eingesetzt. Das sequenzielle Gr<strong>und</strong>modell geht von hierarchisch aufgebauten Analyseschritten aus, die<br />
menschliche Gr<strong>und</strong>funktionen repräsentieren. Mit der Kernmethode des Beteiligteninterviews werden Hypothesen<br />
über den Einfluss menschlicher Merkmale geprüft, die sich auf die Prozesskette vom Informationszugang bis<br />
zur Ausführung der (Notfall-)Handlung beziehen.<br />
Im Schritt der Informationsaufnahme wurde ein Indikator zur Erklärung einer mangelnden Beobachtungsqualität<br />
aufgenommen, in dem sich Unfallursachen einer zu niedrigen psycho-physischen Aktivierung wiederspiegeln<br />
(z. B. Beanspruchung, Müdigkeit, Einfluss von Krankheiten/Medikamenten).<br />
Im Rahmen einer <strong>im</strong> Jahr 2009 erstellten Studie zur Verkehrssicherheit auf der Autobahn A2 in Niedersachsen<br />
wurde retrospektiv mittels ACASS das Profil der Unfallursachen bei Unfällen mit Todesfolge auf der A2 analysiert<br />
<strong>und</strong> der Einfluss von Faktoren aus dem Bereich der zu niedrigen Aktivierung dargestellt. Als Datenbasis für<br />
die Analyse dienten die Dokumente aus den Gerichtsakten der Staatsanwaltschaften zu 35 Unfällen mit Todesfolge.<br />
Außergewöhnlich häufig wurden hier mit 64 % menschliche Ursachenfaktoren aus der Kategorie 2 (Informationsaufnahme)<br />
ermittelt. Bei Unfällen mit Todesfolge zum Unfallhergang ist der Anteil von Ursachencodes,<br />
bei der keine detaillierte Angabe zu Ursachenfaktoren gemacht werden konnte, vergleichsweise hoch. Bei <strong>im</strong>merhin<br />
12 von 29 Ursachencodes innerhalb der Kategorie Informationsaufnahme lag eine detaillierte Codierung<br />
vor. 9 dieser 12 Codes ging auf eine zu niedrige Aktivierung des Beteiligten als Einflusskriterium innerhalb<br />
der Kategorie Informationsaufnahme zurück, so dass konstatiert werden kann, dass eine zu niedrige Aktivierung<br />
von Beteiligten zu den Hauptursachen von tödlichen Unfällen auf der A2 gehört. Innerhalb des Kriteriums der zu<br />
niedrigen Aktivierung wurde die Müdigkeit als häufigster Indikator, gefolgt von <strong>Alkohol</strong>- <strong>und</strong> <strong>Drogen</strong>gebrauch<br />
genannt.<br />
Bei den 17 Codes der Kategorie Informationsaufnahme ohne detaillierte Ursachenkodierung konnte mangels<br />
Befragungsmöglichkeit keine eindeutige Zuordnung zu einem Einflusskriterium vorgenommen werden (z. B. ungebremstes<br />
Auffahren auf ein vorausfahrendes Fahrzeug). Hier kann davon ausgegangen werden, dass der Beteiligte<br />
abgelenkt, übermüdet oder/<strong>und</strong> anderweitig (ges<strong>und</strong>heitlich oder durch Rauschmittel) in der Informationsaufnahme<br />
eingeschränkt war. Ein noch größerer Einfluss der Müdigkeit ist bei tödlichen Unfällen von
Sup II - 35<br />
LKW-Fahrern wahrscheinlich: Nahezu alle menschlichen Ursachen (83 %) sind hier auf einen Fehler <strong>im</strong> Bereich<br />
der Informationsaufnahme zurückzuführen. Auch wenn nur in 2 Einzelfällen detailliertere Angaben zu den Ursachenfaktoren<br />
innerhalb der Kategorie Informationsaufnahme vorlagen, ist der Einfluss von Müdigkeit durchaus<br />
wahrscheinlich, da sich über die Hälfte der von Lkw verursachten Unfälle mit Todesfolge in den frühen Morgenst<strong>und</strong>en<br />
zwischen 5 <strong>und</strong> 9 Uhr ereigneten.<br />
In der Präsentation werden die Ergebnisse der Studie anschaulich dargestellt <strong>und</strong> den aktuellen GIDAS-Erhebungen<br />
unter spezieller Betrachtung der Ursachen-Indikatoren einer mangelnden Aktivierung <strong>gegen</strong>übergestellt.<br />
Anschrift für die Verfasser<br />
Dipl.-Psych. Bernd P<strong>und</strong><br />
Bahnhofstraße 4, 30159 Hannover<br />
Email: bernd.p<strong>und</strong>@tuevhessen.de<br />
Förderung der Verkehrssicherheit, Hannover<br />
K.-F. VOSS<br />
Aufmerksamkeit, Verkehrslage <strong>und</strong> Unfallrisiko<br />
Fragestellung: Bislang war man der Auffassung, dass Verkehrsteilnehmer mit einem erhöhten Unfallrisiko<br />
unterwegs sind, wenn das persönliche Befinden die Aufmerksamkeit beeinträchtigt. Mehrere Untersuchungen<br />
sprechen jedoch dafür, dass die Verkehrssicherheit bei abhängigen Verkehrsbewegungen größer ist als bei unabhängigen.<br />
Das unterstützt die Vermutung, dass z. B. die Aufmerksamkeit als „Gegenspieler der Schläfrigkeit“<br />
entsprechend verteilt ist. Es soll untersucht werden, ob das Risiko unabhängig von der Verkehrslage ist, oder ob<br />
es mit dem Anteil abhängiger Verkehrsbewegungen zun<strong>im</strong>mt oder abn<strong>im</strong>mt.<br />
Methode: Um andere Faktoren konstant zu halten, wird die Untersuchung auf LKW <strong>und</strong> auf Autobahnen beschränkt.<br />
Der Sicherheitsstandard der Lkws hat sich <strong>im</strong> Untersuchungszeitraum <strong>im</strong> Vergleich zu anderen Fahrzeugen<br />
wenig verändert, <strong>und</strong> Autobahnen sind bis auf Ausnahmen <strong>im</strong> Vergleich zu anderen Straßenklassen einheitlich<br />
in Bezug auf Querschnitt, Beschilderung <strong>und</strong> Gestaltung der Ein-<strong>und</strong> Ausfahrten etc..<br />
So wird die Entwicklung der Anzahl der LKW-Unfälle über Erhebungszeiträume mit unterschiedlichen Verkehrsbelastungen<br />
ermittelt, sowie die entsprechende Fahrleistung <strong>und</strong> die jeweilige Verkehrsbelastung.<br />
Aus der Anzahl der LKW-Unfälle <strong>und</strong> der entsprechenden Fahrleistung wird das Unfallrisiko ermittelt. Als<br />
Indikator für die Verkehrslage wird die durchschnittliche tägliche Verkehrsbelastung (DTV) verwendet. Damit<br />
steht für jeden Erhebungszeitraum ein Wertepaar zur Verfügung. Diese Daten führen zum Ergebnis der Untersuchung.<br />
Ergebnis: Die Entwicklung des Unfallrisikos kann exakt mit einer logistischen Regression beschrieben werden.<br />
Das heißt, dichter Verkehr stellt als Folge einer erhöhten Aufmerksamkeit ein relativ geringes Unfallrisiko<br />
dar, während eine geringe Verkehrsbelastung ein hohes Risiko bedeutet. Mithin schätzen die meisten Autofahrer<br />
<strong>und</strong> einige Behörden das Unfallrisiko bei einer geringen Verkehrsbelastung nicht korrekt ein, da sie dichten Verkehr<br />
mit einem hohen Unfallrisiko verknüpfen. Vielmehr stellt die freie Straße das wesentliche Risiko dar, da sich<br />
dort u. a. eine Schläfrigkeit entwickeln kann. Die Folge ist dann, dass der Fahrer Hindernisse – wie etwa ein Stauende<br />
– nicht rechtzeitig oder gar nicht erkennt. Dem wäre nun vorzubeugen durch Bildung von Konvois, durch<br />
Förderung der Aufmerksamkeit, Vermeiden von allem, was zur Ablenkung führen kann <strong>und</strong> durch Sensoren, die<br />
dem Fahrer ein Stauende melden.<br />
Anschrift des Verfassers<br />
Dr. Karl-Friedrich Voss<br />
Hamburger Allee 41<br />
30161 Hannover<br />
Email: dr.voss@verkehrspsych-praxis.de<br />
Abstracts<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Sup II - 36<br />
Technische Universität Braunschweig, Kognitions- <strong>und</strong> Ingenieurpsychologie, Braunschweig 1 ),<br />
Georg August Universität Göttingen, Institut für Psychologie, Göttingen 2 )<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
K. REINPRECHT 1 ), E. MUHRER 1 ), M. SCHRÖDER 2 ), M. VOLLRATH 1 )<br />
Müdigkeitswarnung zwischen Akzeptanz <strong>und</strong> Nutzen<br />
Fahrerassistenzsysteme, die Müdigkeit detektieren, bieten mittlerweile nahezu alle Fahrzeughersteller an. Die<br />
meisten Systeme weisen mittels visuellem HMI den Fahrer darauf hin, dass er müde ist <strong>und</strong> eine Pause machen<br />
sollte. Im Gegensatz zu anderen Assistenzsystemen wird dem Fahrer eine Rückmeldung über seinen Zustand gegeben.<br />
Dies beinhaltet, dass der Fahrer jederzeit für sich entscheiden kann, ob dieser Zustand auch tatsächlich zutrifft<br />
oder nicht, <strong>und</strong> ob er der Empfehlung des Systems Folge leisten wird. In besonderem Maße ist der Nutzen für<br />
die Verkehrssicherheit somit eine Funktion der Akzeptanz. Große Diskrepanzen zwischen selbst wahrgenommenem<br />
<strong>und</strong> vom System rückgemeldeten Müdigkeitszustand könnten dazu führen, dass das System vom Fahrer als<br />
fehlerhaft eingestuft <strong>und</strong> ignoriert bzw. deaktiviert wird. Übereinst<strong>im</strong>mungen zwischen eigener Wahrnehmung<br />
<strong>und</strong> Systemrückmeldung könnten zwar zu einer hohen Akzeptanz <strong>und</strong> dem Bewusstsein führen, dass das System<br />
funktioniert, der Nutzen ist jedoch fraglich, wenn sich der Fahrer über seinen Zustand ohnehin <strong>im</strong> Klaren ist.<br />
Wann <strong>und</strong> wie soll man nun dem Fahrer vermitteln, dass er zu müde ist, um seine Fahrt fortzusetzen? Müssen<br />
erst rechtliche Konsequenzen folgen, damit diese Fahrerassistenzsysteme ihre „Wirkung entfalten können? Um<br />
diesen Fragestellungen nachzugehen, wurde in der Abteilung Kognitions- <strong>und</strong> Ingenieurpsychologie der TU<br />
Braunschweig ein Fragebogen zum Thema „Gestaltung von Müdigkeitswarnungen be<strong>im</strong> Autofahren <strong>und</strong> deren<br />
Folgen für die Akzeptanz entwickelt. Dabei wurden Aspekte wie „Einstellung zur Müdigkeitswarnung“ sowie<br />
„Veränderung dieser Einstellungen unter veränderten rechtlichen Konsequenzen“, „Zeitpunkt der Müdigkeitswarnung“<br />
<strong>und</strong> „Gestaltung der Müdigkeitswarnung“ untersucht. Die Stichprobe bestand aus 134 Personen (91<br />
Frauen, 43 Männer) zwischen 17 <strong>und</strong> 69 Jahren mit einem Durchschnittsalter von 30.8 Jahren (SD = 12.0). Die<br />
Befragung wurde teilweise als Face To Face-Interview, teilweise als Online-Umfrage realisiert.<br />
In Bezug auf die Ergebnisse wird der Nutzen von Müdigkeitswarnungen deutlich, wenn man betrachtet, dass<br />
36.6 % der Befragten bereits Erfahrung mit Sek<strong>und</strong>enschlaf hatten. Während sich 66.4 % mit System zwar<br />
sicherer fühlen würden als ohne, bewerten nur 37.4 % der Befragten die Möglichkeit einer Müdigkeitswarnung<br />
als sehr gut bis gut, während 16.7 % der Befragten eine Warnung für nicht notwendig erachten. Diese Ergebnisse<br />
sowie oben angeführte Schwerpunkte des Fragebogens werden <strong>im</strong> Detail vorgestellt <strong>und</strong> Schlussfolgerungen für<br />
die Gestaltung abgeleitet.<br />
Anschrift für die Verfasser<br />
Dipl.-Psych. Klaus Reinprecht<br />
Allerstraße 42<br />
38106 Braunschweig<br />
Email: k.reinprecht@tu-bs.de<br />
Abstracts<br />
FACTUM – INFAR, Wien<br />
C. TURETSCHEK<br />
Seminare für BerufskraftfahrerInnen zum Thema „Müdigkeit“ –<br />
das Projekt „ERIC“<br />
Müdigkeit kann als eine der Hauptunfallursachen <strong>im</strong> Straßenverkehr angesehen werden (DLR, 2010). In<br />
Österreich werden 4,3 % der Verkehrsunfälle mit Müdigkeit in Verbindung gebracht, wobei eine Dunkelziffer<br />
von 35 % angenommen wird (ÖAMTC, 2010). Laut einer Studie durchgeführt von der BASt ist jeder fünfte<br />
LKW-Unfall (über 7,5 t) auf Übermüdung zurückzuführen (BASt, 2010).
Sup II - 37<br />
Diese Zahlen waren Anlass dafür, sich <strong>im</strong> Rahmen des EU-Projekts ERIC neben dem Thema „Fahrphysik“,<br />
besonders dem Problem „Müdigkeit <strong>im</strong> Straßenverkehr“ zu widmen. In vier Ländern (Deutschland, Spanien,<br />
Polen <strong>und</strong> Österreich) wurde unter der Leitung des DVR (Deutscher Verkehrssicherheitsrat) eine vom DVR mitentwickelte<br />
Lern-CD eingesetzt, um vorwiegend BerufskraftfahrerInnen für die Problematik zu sensibilisieren.<br />
Vertreten von der Firma FACTUM OHG hatten in Österreich r<strong>und</strong> 40 Buslenker <strong>im</strong> Rahmen eines eintägigen<br />
Seminars die Möglichkeit, ihr Wissen zum Thema „Müdigkeit <strong>im</strong> Straßenverkehr“ mittels Bearbeitung der entsprechenden<br />
Lern-CD zu erweitern. Vermittelte Lerninhalte waren etwa, wie Müdigkeit entsteht <strong>und</strong> welche Faktoren<br />
sie beeinflussen, woran man die eigene Müdigkeit erkennen <strong>und</strong> was man als BerufskraftfahrerIn da<strong>gegen</strong><br />
unternehmen kann. Die Lern-CDs wurden <strong>im</strong> Rahmen der Seminare einerseits zur Wissensvermittlung <strong>und</strong> andererseits<br />
als Diskussionsgr<strong>und</strong>lage für eine Bewusstseinsbildung genutzt. Mit den Teilnehmern wurden Vor- <strong>und</strong><br />
Nachteile von Strategien besprochen, die Schwierigkeiten des eigenen Berufsalltags aufgegriffen <strong>und</strong> Lösungen<br />
diskutiert.<br />
Das Ziel des Seminars war es, den Berufskraftfahrern ihre eigene Verantwortlichkeit <strong>und</strong> die daraus resultierenden<br />
Konsequenzen bewusst zu machen, aber auch gemeinsam Ansätze etwa zum Erkennen der ersten Anzeichen<br />
von Müdigkeit <strong>und</strong> daraus ableitbare Handlungen in konkreten Situationen zu diskutieren, die <strong>im</strong> Berufsalltag<br />
für den Einzelnen praktikabel scheinen. Insgesamt waren die Rückmeldungen der Teilnehmer durchwegs<br />
positiv, weisen aber auch darauf hin, dass der Lenker selbst, oft durch die ihn umgebende Struktur in seinen<br />
Handlungen, sehr eingeschränkt wird <strong>und</strong> eine effektive Verkehrssicherheitsarbeit <strong>im</strong> Hinblick auf das Thema<br />
„Müdigkeit“ auch die Firmen als Zielgruppe mitberücksichtigen sollte.<br />
Anschrift der Verfasserin<br />
Christine Turetschek<br />
Danhausergasse 6/4<br />
1040 Wien<br />
Email: christine.turetschek@factum.at<br />
Abstracts<br />
Landesges<strong>und</strong>heitsamt Baden-Württemberg 1 )<br />
STZ eyetrial am Department für Augenheilk<strong>und</strong>e, Universität Tübingen 2 )<br />
Landratsamt Böblingen 3 )<br />
Autobahnpolizeirevier Stuttgart-Vaihingen 4 )<br />
Da<strong>im</strong>ler AG 5 )<br />
Amt der Oö. Landesregierung, Linz 6 )<br />
T. PETERS 2 ), C. GRÜNER 1 ), I. ZÖLLNER 1 ), P.M. BITTIGHOFER 1 ), W. DAUB 4 ),<br />
W. DAUENHAUER 3 ), W. DURST 2 ), P. EDINGER 1 ), E. HÄRTIG 1 ), C. HENKEL-HANCOK 5 ),<br />
G. HORRAS-HUN 1 ), I. HÜGLE 1 ), C. HÜTTER 2 ), H. NETZEL 4 ), J. SCHAAF 4 ), H. WAGNER 1 ),<br />
R. HAGEN 6 ), B. WILHELM 2 )<br />
Erste Erfahrungen mit PST-Messungen <strong>im</strong> Rahmen von Verkehrskontrollen<br />
bei Berufskraftfahrern in Deutschland<br />
Einleitung: Schläfrigkeit ist eine beträchtliche Ursache schwerer LKW-Unfälle, jedoch hat diese Tatsache<br />
noch wenig konkrete Konsequenzen <strong>im</strong> Hinblick auf Kontrollen des fließenden Verkehrs gezeigt.<br />
Während in Österreich in einem großangelegten Pilotversuch mit der mobilen Version des Pupillographischen<br />
Schläfrigkeitstests (F2D) mehr als 1000 Berufskraftfahrer gemessen wurden, liegen in Deutschland derartige<br />
Untersuchungen nur spärlich <strong>und</strong> punktuell vor. Dabei wurde bei 8 (Müller et al. 2006) bis 23 % der LKW-<br />
Fahrer ein auffallend schläfriger Pupillenunruheindex festgestellt (Wilhelm et al. 2008). Die vorhandene Datenbasis<br />
sollte mit der geplanten Studie ergänzt werden <strong>und</strong> erstmals in Deutschland <strong>im</strong> Rahmen von routinemäßigen<br />
LKW-Kontrollen von Polizei <strong>und</strong> Gewerbeaufsicht auf freiwilliger Basis die Schläfrigkeit von LKW-Fahrern<br />
mittels ESS, SSS <strong>und</strong> PST untersucht werden.<br />
Methoden: Im Rahmen allgemeiner Verkehrskontrollen von Polizei <strong>und</strong> Gewerbeaufsicht an einer Autobahnraststätte.<br />
Nach Abschluss der Verkehrskontrolle F2D (freiwillig <strong>und</strong> ohne Rückwirkung auf die polizeiliche<br />
Kontrolle) <strong>und</strong> Fragebögen zur Berufssituation <strong>und</strong> Schlaf-Wach-Verhalten, Stanford Schläfrigkeitsskala (SSS),<br />
Epworth Schläfrigkeitsskala (ESS); Beratung bei auffälligen Bef<strong>und</strong>en (Kurzschlaf, Fahrerwechsel).<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Sup II - 38<br />
Die ebenfalls erhobenen Daten der Lenk- <strong>und</strong> Ruhezeiten sowie der Kontrollgruppe werden vom LGA ausgewertet.<br />
Ergebnisse: 137 Fahrer nahmen an der Untersuchung teil. Der relative PUI konnte von 126 Lastwagenfahrern<br />
ausgewertet werden.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Var. Mean SD Min Q1 Median Q3 Max<br />
rPUI 0,845 0,401 0,26 0,525 0,79 1.03 2,35<br />
Die große Mehrzahl der Fahrer zeigten eine normale Schlafdauer sowie unauffällige ESS <strong>und</strong> SSS Scores.<br />
Auffallend war der sehr hohe Anteil (99 von 137) von Fahrern, die vor der Messung Kaffee getrunken hatten.<br />
Diskussion: Mit dieser Pilotstudie wurde die Machbarkeit der PST-Anwendung <strong>im</strong> Rahmen von Verkehrskontrollen<br />
<strong>im</strong> b<strong>und</strong>esdeutschen Rahmen belegt. Gr<strong>und</strong>sätzlich kann die Situation einer Verkehrskontrolle einen Stressmoment<br />
darstellen, jedoch fanden die oberösterreichischen Messungen – mit einem höheren Anteil schläfriger<br />
Messwerte – unter ähnlichen Bedingungen statt. Ein Selektionsbias mag z. B. darin bestehen, dass überwiegend<br />
angestellte Fahrer größerer Speditionen sich zu einer Studienteilnahme bereiterklärten, obwohl diese einen kleineren<br />
Teil der Gesamtheit der Fahrer darstellen.<br />
Mit dem PST könnten extrem schläfrige Fahrer identifiziert <strong>und</strong> zu einer Schlafpause angehalten werden.<br />
Dies könnte eine wirksame Präventionsmaßnahme <strong>gegen</strong> Sek<strong>und</strong>enschlaf-Unfälle darstellen. Studienkonzepte<br />
zur Ermittlung justitiabler Grenzwerte liegen bereits vor <strong>und</strong> könnten bei entsprechender Förderung umgesetzt<br />
werden.<br />
Anschrift für die Verfasser<br />
Tobias Peters<br />
Schleichstr. 12-16<br />
72076 Tübingen<br />
Email: tobias.peters@stz-eyetrial.de<br />
Abstracts<br />
Herz-Jesu Krankenhaus Dernbach / Westerwald,<br />
Felbermayr Deutschland GmbH Hilden,<br />
Spedition Michels Meudt / Westerwald,<br />
Spedition Gebr. Schröder Ebernhahn / Westerwald<br />
H.-P. DANCKWORTH, L. TOPPEL<br />
Ergonomie <strong>und</strong> Lichtverhältnisse in der LKW-Fahrerkabine –<br />
die Vigilanz fordernd oder fördernd?<br />
Einleitung: Die Fahrerkabine hat <strong>im</strong> Arbeitsleben eines Berufskraftfahrers verschiedene Funktionen. Zum<br />
einem dient sie der Bewegung <strong>und</strong> Lenkung des Fahrzeuges, zum anderen ist sie Aufenthaltsort für mehrere Tage<br />
<strong>und</strong> Wochen, so z. B. <strong>im</strong> Fernverkehr. Zahlreiche Gesetze <strong>und</strong> Vorschriften regeln den Arbeitsplatz Fahrerkabine<br />
sowie die Konstruktion des Führerhauses. Dieser Arbeitsplatz ist fortzuentwickeln mit dem Ziel, ihn nach neuesten<br />
technischen <strong>und</strong> arbeitsmedizinischen Erkenntnissen zu gestalten. Der Fahrer stellt dabei das wichtigste Bindeglied<br />
zwischen Fahrzeug <strong>und</strong> Umfeld dar. Es bildet sich ein Mensch-Maschine-System, ein spezielles Subsystem<br />
<strong>im</strong> Straßenverkehr. Der Fahrer, also der Mensch, beeinflusst aktiv durch seine getroffenen Entscheidungen<br />
dieses Subsystem. Aufgabe <strong>und</strong> Ziel seiner Tätigkeit am Fahrerarbeitsplatz ist es, eine Transportleistung mit opt<strong>im</strong>aler<br />
Sicherheit bei umweltschonender <strong>und</strong> ökonomischer Fahrweise zu erbringen.<br />
Problemdarstellung : Die Aufgabe des Kraftfahrers ist das Bewegen des Fahrzeuges, eine Tätigkeit, die Lenken,<br />
Pedalbetätigung, Schaltvorgänge, Bedienungen von Hebeln <strong>und</strong> Schaltern, die Beobachtung der Anzeigeninstrumente<br />
sowie des Straßenverkehrs umfasst. Um eine opt<strong>im</strong>ale Transportleistung zu garantieren, muss der<br />
Arbeitsplatz <strong>im</strong> Nutzfahrzeug für diese Tätigkeiten nach Erkenntnissen der Ergonomie gestaltet werden.<br />
Als Referenzpunkt für den Arbeitsplatz dient der „Sitz-Index-Punkt“ (SIP)(DIN EN 25353). Mit der Anthropometrie<br />
werden nach dem Max<strong>im</strong>um/ Min<strong>im</strong>um-Prinzip ( 95 Perzentil Männer / 5 Perzentil Frauen ) die ergonomischen<br />
Parameter festgelegt: Freiräume (DIN ISO 3411), Körperhaltung (DIN 33408), Greifräume, Er-
Sup II - 39<br />
träglichkeits- <strong>und</strong> Reichweitenbereiche (DIN ISO 6682), Sehbedingungen <strong>und</strong> Sichtverhältnisse. Freiräume garantieren<br />
akzeptable Körperhaltungen für große <strong>und</strong> kleine Personen, Greifräume werden an der kleinen Frau<br />
(5. Perzentil) orientiert. Im Erträglichkeits- <strong>und</strong> Reichweitenbereich sind Bedienelemente 1. Priorität anzuordnen.<br />
Sehachse, Gesichts- <strong>und</strong> Blickfeld positionieren die Anzeigeinstrumente. Die Tageslichtblendung bei umfänglicher<br />
Fahrerhausverglasung führt zu einer permanenten Blendung von cranial <strong>und</strong> lateral. Die Seitenfenster<br />
bewirken in der Fahrzeugbewegung einen stroboskop-ähnlichen Effekt (hell-dunkel). Diese Phänomene belasten<br />
ausgeprägt das Auge, überfordern das zentrale Nervensystem <strong>und</strong> begünstigen eine Ermüdung <strong>und</strong> somit eine Reduzierung<br />
der Vigilanz.<br />
Bei Nachtfahrten mit Fahrerkabinen-Beleuchtungen (grün, rot, blau) können Fehlsichtigkeiten auftreten.<br />
Rotes Umfeldlicht beeinflusst die Brechkraft in Richtung Hyperopie, grünes <strong>und</strong> blaues Licht verschiebt die<br />
Brechkraft in Richtung Kurzsichtigkeit. Daraus resultieren Adaptations-Schwierigkeiten für den Fahrer be<strong>im</strong><br />
Blick aus der Fahrerkabine. Fahrfehler, falsche Entfernungsabschätzung (Auffahrunfälle) sind die Folge, erhöhte<br />
Aufmerksamkeitspotentiale sind erforderlich. – Zusätzliche mentale Belastungen ergeben sich aus der Installation<br />
der Telematik (Telekommunikation & Informatik), sachgerechte Positionierung der EDV-Systeme sind<br />
bisher nicht erkennbar. – Der Tagesablauf des Kraftfahrers wird durch eine rigide Lenk- <strong>und</strong> Ruhezeitenregelung<br />
best<strong>im</strong>mt, die keine ausreichenden Regenerationsphasen ermöglicht.<br />
Lösungsansätze: Gr<strong>und</strong>sätzlich ist zu bedenken, dass auf Gr<strong>und</strong> vielfältiger Vorschriften für die Umsetzung<br />
von Ergonomie, Sicherheit <strong>und</strong> Komfort bei der Konstruktion einer Fahrerkabine nur die Maße (L x B x H)<br />
2,35 x 2,50 x 4,00 m zur Verfügung stehen.<br />
Freiräume garantieren akzeptable Körperhaltungen für große <strong>und</strong> kleine Personen. Die Verstellbarkeit von<br />
Fahrersitz, Lenkrad <strong>und</strong> Bedienungselementen opt<strong>im</strong>iert die physiologische Körperhaltung. Im Aktionsfeld des<br />
physiologisch max<strong>im</strong>alen Greifraum sind die Stellteile 1. Ordnung, <strong>im</strong> anatomisch max<strong>im</strong>alen Greifraum Stellteile<br />
2. Ordnung anzuordnen (halbkreisförmige Anordnung der Bedienelmente). Im Erträglichkeits- <strong>und</strong> Reichweitenbereich<br />
sind die die Stellteile 1. Ordnung so zu positionieren, dass sie blind ertastet werden können. – Die<br />
Sehachse, das Gesichts- <strong>und</strong> Blickfeld positionieren die Anzeigeinstrumente (Tachometer, Drehzahlmesser), die<br />
wegen der Rechtsdeviation der Sehachse <strong>im</strong> Rechtsverkehr rechtsbündig anzuordnen sind. Mit einem Blick sind<br />
sofort zwei Informationen abrufbar. Sichtverhältnisse werden bei durch Tageslichtblendung bei umfänglicher<br />
Fahrerhausverglasung ungünstig beeinflusst. Die Minderung cranialer <strong>und</strong> lateraler Blendungen mit stroboskopähnlichem<br />
Charakter erfordert, den Arbeitsplatz Fahrerkabine so dunkel wie möglich (Bunkerprinzip) zu gestalten.<br />
Die Dachkonstruktion sollte die Funktion eines Mützenschirms haben, Schmale Seitenfenster reduzieren die<br />
Seitenblendung. Rote, grüne, blaue nächtliche Innenbeleuchtung bewirken Fehlsichtigkeiten (Hyperopie / Myopie),<br />
die das Sehen in der Ferne verändern. Die opt<strong>im</strong>ale Innenbeleuchtung ist blendfreies diffuses schwaches<br />
weißes Licht. Die bedenklichen Lichtverhältnisse in der Lkw-Fahrerkabine führen zu einer Überbeanspruchung<br />
des ZNS, fordern die Vigilanz <strong>und</strong> fördern somit die Vigilanzminderung des Kraftfahrers; zusätzlich unterstützt<br />
durch die Überbeanspruchung der Telematikbedienung.<br />
Anschrift für die Verfasser<br />
Dr. Hans-Peter Danckworth<br />
Südring 8<br />
56428 Dernbach/Westerwald<br />
Email: Danckworth@t-online.de<br />
Abstracts<br />
Deutsche Lufthansa AG, Medizinischer Dienst, Frankfurt am Main<br />
M.J.A. VON MÜLMANN<br />
Sek<strong>und</strong>enschlaf bei Flugzeugführern – ein Sicherheitsrisiko?<br />
Die Schlafapnoe ist eine mit etwa 2 % bis 3 % weitverbreitete Erkrankung in der Gesamtbevölkerung, von der<br />
vorwiegend Männer betroffen sind. Mit zunehmendem Alter steigt das Erkrankungsrisiko auch für Frauen, insbesondere<br />
mit Beginn der Menopause. Die Symptome sind relativ unspezifisch <strong>und</strong> erschweren so die Diagnosestellung<br />
falls keine Fremdanamnese erhoben werden kann. Während von der Schlafapnoe alleine nur Befindlichkeits-<br />
<strong>und</strong> auch Ges<strong>und</strong>heitsstörungen ausgehen, ist der Sek<strong>und</strong>enschlaf als häufige Folge auch für<br />
Unbeteiligte von nicht unerheblichen Konsequenzen, wenn z. B. hierdurch ein Verkehrsunfall verursacht wird.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Sup II - 40<br />
Besondere Bedeutung haben beide Erkrankungen für Personen aus dem Bereich Fahr-, Steuer- <strong>und</strong> Überwachungspersonal,<br />
also der Kreis gemäß G20 <strong>und</strong> hier insbesondere Luftfahrzeugführer ohne Berücksichtigung der<br />
Art der Lizenz – siehe JAR-FCL 3.160 (g), Abschnitte B <strong>und</strong> C. Prinzipiell können sie in diesen Bereichen zunächst<br />
nicht eingesetzt werden, sondern erst unter einer erfolgreichen Therapie. Für alle Tauglichkeitsklassen besteht<br />
eine weitere Barriere – das medizinische Tauglichkeitszeugnis muss zunächst verweigert <strong>und</strong> erst danach<br />
kann ein Überprüfungsverfahren eingeleitet werden. In jedem Falle wird aber die Auflage OML ausgesprochen<br />
werden müssen um alle Belange der Flugsicherheit zu erfüllen.<br />
Im Aero Medical Center Frankfurt der Deutschen Lufthansa AG wurden während eines 13 1 / 2monatigen Zeitraumes<br />
777 Flugzeugführer mit dem standardisierten Fragebogen Epworth Sleepiness Scale befragt. Zwei Fragestellungen<br />
wurden dabei verfolgt:<br />
Allgemeine Häufigkeit des Sek<strong>und</strong>enschlafes als möglicher Hinweis auf eine Schlafapnoe. Besteht ein (möglicherweise)<br />
berufsbedingter Zusammenhang durch die besondere Exposition wiederkehrender Zeitverschiebungen)?<br />
Die Auswertung zeigte, dass zwar allgemeine Müdigkeitserscheinungen bedingt durch die kontinuierlich aufeinanderfolgenden<br />
Flüge mit Zeitverschiebung einerseits, aber auch durch die Kurz- <strong>und</strong> Mittelstreckenflüge mit<br />
äußerst irregulären Dienstzeiten andererseits, häufiger zu verzeichnen waren.<br />
Es fanden sich keine eindeutigen Hinweise, dass die Schlafapnoe in dieser Berufsgruppe häufiger wäre als in<br />
der Allgemeinbevölkerung. Die Ursache bleibt zunächst unklar, da kein weiterführendes Screening stattgef<strong>und</strong>en<br />
hat. Möglicherweise spielen die medizinische Auswahl, berufliche Motivation, gesündere Lebensführung (Healthy-Worker-Effekt)<br />
<strong>und</strong> Ähnliches eine Rolle.<br />
Schlafapnoe <strong>und</strong> Sek<strong>und</strong>enschlaf spielen in der kommerziellen Luftfahrt unter Aspekten der Flugsicherheit<br />
keine Rolle, auch wenn <strong>im</strong>mer wieder einzelne Vorkommnisse gemeldet werden. Hier handelt es sich aber in der<br />
Vergangenheit <strong>im</strong>mer um Ereignisse, die zum regulären Schlaf <strong>im</strong> Cockpit, bedingt durch Übermüdung, Unterschreitung<br />
der gesetzlichen Ruhezeiten, Schlafdefizit etc., geführt haben.<br />
Schlüsselwörter<br />
Sek<strong>und</strong>enschlaf – Flugzeugführer<br />
Anschrift des Verfassers<br />
Dr. Matthias J. A. von Mülmann<br />
Airportring Tor 21 LH-Basis FRA PM/F<br />
60546 Frankfurt am Main<br />
Email: vonmuelmann@aol.com<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Abstracts<br />
Kuratorium für Verkehrssicherheit, Recht & Normen, Wien<br />
A. KALTENEGGER<br />
Die Einführung eines Verkehrscoachings in Österreich<br />
Am 01. September 2009 wurde in Österreich eine neue Maßnahme <strong>im</strong> Kampf <strong>gegen</strong> <strong>Alkohol</strong> am Steuer eingeführt.<br />
Lenker, die erstmals mit 0,8 bis 1,19 Promille be<strong>im</strong> Lenken eines Kfz angetroffen werden, haben fortan<br />
ein „Verkehrscoaching“ zu absolvieren. Bislang blieben diese Lenker ohne Betreuung, lediglich Geldstrafe <strong>und</strong><br />
Führerscheinentziehung waren die Folge des Vergehens. Diese neue verkehrspsychologische Maßnahme umfasst<br />
zwei Teile á zwei St<strong>und</strong>en. Im Mittelpunkt stehen dabei einerseits die generellen Gefahren des alkoholisierten<br />
Fahrens <strong>und</strong> andererseits die persönlichen Trink-Fahr-Gewohnheiten des Lenkers. Durch die Konfrontation mit<br />
Unfallfotos <strong>und</strong> Erfahrungsberichten <strong>im</strong> ersten Teil des Kurses, geleitet von Ärzten oder Notfallsanitätern, wird<br />
bei den Teilnehmern emotionale Betroffenheit <strong>und</strong> damit Furcht vor den Konsequenzen des eigenen Verhaltens<br />
ausgelöst. Dies erzeugt Aufmerksamkeit <strong>und</strong> regt zur Auseinandersetzung mit den Folgen alkoholisierten Fahrens<br />
sowie zur Entwicklung möglicher Bewältigungsstrategien an. Damit dieser initiierte Verarbeitungsprozess<br />
nicht mit dem Negieren der Nachricht, das heißt mit dem angstbedingten Ablehnen <strong>und</strong> Verdrängen des Gehör-
Sup II - 41<br />
ten endet, sondern in der gewünschten Einstellungs- <strong>und</strong> Intentionsveränderung mündet, müssen zusätzlich zur<br />
furchterregenden Botschaft wirksam erscheinende Maßnahmen zur Gefahrenkontrolle aufgezeigt werden. Selbiges<br />
geschieht <strong>im</strong> von Psychologen geleiteten zweiten Teil in Form einer Diskussion der geeigneten Verhaltensmuster.<br />
Die genauen Vorgaben für die Durchführung des Verkehrscoachings, insbesondere die Organisationsform der<br />
Trägereinrichtung, die zur faktischen Durchführung einzusetzenden Experten, die zeitlichen <strong>und</strong> inhaltlichen<br />
Rahmenbedingungen, die Kosten <strong>und</strong> dergleichen werden detailliert in einer das Führerscheinrecht ausführenden<br />
Verordnung geregelt.<br />
Der Referent stellt die Entstehungsgeschichte, die Einführung <strong>und</strong> die erste Realbewährung dieser Maßnahme<br />
dar. Dabei ist hervorzuheben, dass jüngste Zahlen der Exekutive für einen Erfolg der Maßnahme sprechen, auch<br />
eine erste qualitative Befragung von Kursteilnehmern liefert ein für die weitere Zukunft opt<strong>im</strong>istisch st<strong>im</strong>mendes<br />
Bild.<br />
Schlüsselwörter<br />
Verkehrspsychologische Maßnahmen – <strong>Alkohol</strong>sanktionen – 0,8 Promille – Verhaltensänderung – Verkehrssicherheit<br />
Anschrift des Verfassers<br />
Dr. Armin Kaltenegger<br />
Schleiergasse 18<br />
1100 Wien<br />
Email: armin.kaltenegger@kfv.at<br />
Abstracts<br />
Sachverständigenbüro für Unfallrekonstruktion, Aachen<br />
W. MÖHLER<br />
Mögliche Ursachen für Schläfrigkeitsunfälle auf Autobahnen<br />
Unfälle auf Autobahnen ohne Fremdeinfluss (Auffahren <strong>und</strong> Abkommen von der Fahrlinie) sind überwiegend<br />
auf menschliches Versagen <strong>und</strong> – zu vermuten – in vielen Fällen auf Tagesschläfrigkeit zurückzuführen.<br />
Bei LKW-Fahrern sind zwei Ursachengruppen für Tagesschläfrigkeit zu unterscheiden: a) Bedingungen<br />
außerhalb des Fahrbetriebs, in den vorgeschriebenen Ruhezeiten <strong>und</strong> währende der Nachtruhe <strong>und</strong> b) <strong>im</strong> Fahrbetrieb.<br />
a) Durch die festgelegten Lenk- <strong>und</strong> Ruhezeiten kommen Berufskraftfahrer in Situationen, in Wachzeiten<br />
Ruhepausen einlegen zu müssen, die dann bei Ermüdung „verbraucht“ sind. Die Schlafphase ist zudem störanfällig.<br />
Die bei LKW-Fahrern augenscheinlich verbreitete Adipositas ist einer der Auslöser für Schlafapnoe. Die<br />
schlafhygienischen Bedingungen an Autobahnrastplätzen sind oft unzulänglich. Der mittlere Schallpegel in der<br />
Fahrerkabine autobahnnah geparkter LKW kann deutlich über 50 dB(A) liegen, mit Spitzen bis 70 dB(A). Zur<br />
Abgasbelastung kommen Störgeräusche durch benachbarte Fahrzeuge.<br />
b) Monotonie bei Fahraufgaben scheint zur Abnahme an Aufmerksamkeit <strong>und</strong> einer Reduzierung von Wahrnehmungsprozessen<br />
zu führen. Laboruntersuchungen zeigten, dass auf bekannten Fahrstrecken die Aufmerksamkeit<br />
abnahm. Monotonie entsteht auch bei Kolonnenfahrten <strong>und</strong> auf strukturarmen Strecken). Moderne Nutzfahrzeuge<br />
unterfordern offenbar den Fahrer, was sich in diversen funktionsfremden Tätigkeiten äußert. Sie<br />
binden Aufmerksamkeit, was zu Reaktionsverspätungen bei einem plötzlichen Situationswechsel führen kann.<br />
Zu dichtes Auffahren beschneidet pr<strong>im</strong>är die Möglichkeiten adäquater Reaktion. Daneben wird die visuelle<br />
Wahrnehmung massiv beeinflusst. Bei einem Abstand von z. B. 10 m wird damit <strong>im</strong> zentralen Sehfeld des Fahrers<br />
ein Horizontalwinkel von 14 ° verdeckt, bei 25 m Abstand <strong>im</strong>mer noch ein Winkel von r<strong>und</strong> 6. Zwangsläufig<br />
entsteht dabei eine visuelle Monotonie <strong>im</strong> zentralen Sehbereich. Untersuchungen zum nutzbaren Sehfeld weisen<br />
darauf hin, dass die Abnahme an Aufmerksamkeit auch die periphere visuelle Wahrnehmung berührt, die<br />
visuell nutzbare Zone also, die dann noch alleine verbleibt. Zwar wird die Okulomotorik nicht als besonders trag-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Sup II - 42<br />
fähiger Indikator für die Detektion von einsetzender Schläfrigkeit eingestuft. Gleichwohl konnten Zusammenhänge<br />
zwischen Fixationsdauer <strong>und</strong> Müdigkeit aufgezeigt werden. Die Frage ist nun, welchen Einfluss die<br />
visuelle Monotonie <strong>im</strong> zentralen Sehfeld be<strong>im</strong> Kolonnenverkehr mit der zu vermutenden, abnehmenden Okulomotorik<br />
auf die Tagesschläfrigkeit n<strong>im</strong>mt. Zwar muss nicht sicher eine Kausalität zwischen fehlenden Sehreizen<br />
<strong>im</strong> zentralen Sehfeld <strong>und</strong> Schläfrigkeit bestehen. Sicher tragen aber die beschriebenen Faktoren <strong>im</strong> geb<strong>und</strong>enen<br />
Verkehr zur Risikoerhöhung bei.<br />
Schlüsselwörter<br />
Schlafhygiene – Kolonnenverkehr – Zentrales Sehfeld – Monotonie – Okulomotorik<br />
Anschrift des Verfassers<br />
Dr.-Ing. Werner Möhler<br />
Hasselholzer Weg 34<br />
52074 Aachen<br />
Email: wm@svmoehler.de<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Abstracts
Seiten 377–382<br />
Dettling / Cakeljic / Gut / Haffner,<br />
Änderungen der taktilen Wahrnehmung unter <strong>Alkohol</strong>einfluss<br />
Institut für Rechtsmedizin <strong>und</strong> Verkehrsmedizin, Universität Heidelberg 1 )<br />
DEKRA Automobil GmbH, Stuttgart 2 )<br />
ANDREA DETTLING 1 ), DANIJEL CAKELJIC 2 ), THOMAS GUT 2 ), HANS THOMAS HAFFNER 1 )<br />
Änderungen der taktilen Wahrnehmung unter <strong>Alkohol</strong>einfluss<br />
Changes in tactile perception <strong>und</strong>er the influence of alcohol<br />
Einleitung<br />
Bei der Beurteilung von Fahrerfluchtdelikten steht insbesondere bei Bagatellunfällen in<br />
foro gelegentlich die Frage der Bemerkbarkeit der Kollision <strong>im</strong> Mittelpunkt. Dabei spielt<br />
die Wahrnehmung optischer, akustischer <strong>und</strong> taktiler Reize als Einzelqualitäten <strong>und</strong> in<br />
Kombination eine Rolle. Gleichzeitig gelten Fahrerfluchtdelikte als typische <strong>Alkohol</strong>delikte<br />
[2, 5, 12]. Insofern erweitert sich die Thematik mitunter um die Fragestellung, ob <strong>Alkohol</strong>einfluss<br />
die Wahrnehmungsschwellen anheben kann. Hierzu gibt es einige Untersuchungen<br />
in Bezug auf optische <strong>und</strong> akustische Wahrnehmung [8, 9, 10, 13]. Zur<br />
Beeinträchtigung der taktilen Wahrnehmung durch <strong>Alkohol</strong> ist da<strong>gegen</strong> wenig bekannt<br />
[14]. Die Bedeutung der Wahrnehmbarkeit taktiler Reize <strong>und</strong> ihrer eventuellen Beeinträchtigung<br />
durch <strong>Alkohol</strong> ist jedoch hoch. Die Wahrnehmbarkeit der optischen <strong>und</strong><br />
akustischen Reize wird in foro schon unabhängig von der <strong>Alkohol</strong>isierung häufig unter<br />
Verweis auf situative Gegebenheiten wie bspw. Uneinsehbarkeit der Kollisionsstelle <strong>und</strong><br />
Geräuschüberdeckung durch Nebengeräusche in Abrede gestellt. Dies ist für die Bemerkbarkeit<br />
eines taktilen Reizes selten möglich. Gerade bei Bagatellunfällen mit geringen Geschwindigkeiten<br />
sind Überdeckungen eines Anstoßes bspw. durch die Schwingungen des<br />
Fahrzeugs oder durch Fahrbahnunebenheiten eher zu vernachlässigen.<br />
Material <strong>und</strong> Methode<br />
Die Untersuchung wurde mithilfe eines DEKRA-Fahrs<strong>im</strong>ulators durchgeführt. Dieser<br />
war zusätzlich zu der üblichen Ausstattung am Fahrersitz hinten mit einem Pendel ausgerüstet,<br />
mit dem der Sitz in longitudinaler Richtung angestoßen werden konnte (Abb. 1).<br />
Abb. 1: Pendelvorrichtung mit Pendel <strong>und</strong> Messscheibe zur Best<strong>im</strong>mung des Grades der Auslenkung.<br />
377<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
378<br />
Durch die Masse <strong>und</strong> den Auslenkwinkel des Pendels ließen sich die Anstoßstärken grob<br />
steuern. Pendel <strong>und</strong> Auftrefffläche am Sitz waren so gepolstert, dass be<strong>im</strong> Pendelanprall<br />
lediglich ein leises Geräusch entstand, das durch die durch Lautsprecher übertragenen<br />
Fahrgeräusche weitgehend übertönt wurde. Eine fahrtbedingte Vibration des Sitzes wurde<br />
nicht s<strong>im</strong>uliert. Auf die Sitzfläche war ein Sensor aufgelegt, der die Beschleunigung durch<br />
die Pendelanschläge aufzeichnete. Links neben dem Lenkrad befand sich eine Reaktionstaste,<br />
deren Auslösung zeitparallel zu den Anstößen registriert werden konnte.<br />
An der Untersuchung nahmen 12 ges<strong>und</strong>e männliche Probanden <strong>im</strong> Alter von 21 bis 27<br />
Jahren teil. Sie erhielten die Aufgabe, an dem Fahrs<strong>im</strong>ulator nüchtern <strong>und</strong> in zwei unterschiedlich<br />
starken <strong>Alkohol</strong>isierungsgraden eine definierte Fahrstrecke zurückzulegen. Die<br />
Fahrstrecke entstammte einem den Probanden bekannten Computerspiel. Zusätzlich hatten<br />
die Probanden die Möglichkeit, sich vor der Versuchsdurchführung mit dem Fahrs<strong>im</strong>ulator<br />
<strong>und</strong> der Strecke vertraut zu machen. Dabei wurden ihnen auch die Pendelanstöße<br />
in unterschiedlicher Stärke demonstriert. Um ihre Aufmerksamkeit nicht ausschließlich<br />
auf die Pendelanstöße zu konzentrieren, wurde in der Einführung das eigentliche Ziel der<br />
Untersuchung nicht extra herausgestellt. Es wurde den Probanden lediglich erklärt, sie<br />
sollten die Fahrstrecke möglichst fehlerfrei zurücklegen, die Geschwindigkeit sei sek<strong>und</strong>är.<br />
Weiter sollten sie auf die Pendelanstöße möglichst schnell mit einem Druck auf die<br />
Reaktionstaste antworten.<br />
Je nach der gefahrenen Geschwindigkeit dauerte das Zurücklegen einer Fahrstrecke ca.<br />
5 Minuten. Während dieser Zeit wurde versucht, 9 Pendelanstöße auszulösen, je 3 mit den<br />
Auslenkwinkeln von etwa 45°, 60° <strong>und</strong> 90°. Die Pendelanstöße erfolgten nur bei geradem<br />
Streckenverlauf <strong>und</strong> in anspruchslosen Fahrsituationen.<br />
Vor den Fahrten in nüchternem Zustand wurde die <strong>Alkohol</strong>-Nüchternheit mittels Atemalkoholtestung<br />
gesichert. Vor den Fahrten in alkoholisiertem Zustand erhielten die Probanden<br />
alkoholische Getränke nach freier Wahl. Sie wurden so bemessen, dass sie bei der<br />
Fahrt einmal eine <strong>Blutalkohol</strong>konzentration (BAK) von etwa 0,4 ‰ erreichten, einmal<br />
eine BAK von etwa 0,9 ‰. Die Trinkverläufe wurden ebenfalls mittels Atemalkoholmessungen<br />
(AAK) kontrolliert; der erreichte <strong>Alkohol</strong>isierungsgrad wurde mittels <strong>Blutalkohol</strong>messungen<br />
dokumentiert.<br />
Die Versuche wurden an zwei aufeinander folgenden Tagen durchgeführt. Um Verfälschungen<br />
durch Übungseffekte auszumitteln wurden die 12 Probanden in 6 Paare eingeteilt,<br />
die mit unterschiedlichen Teilversuchen (nüchtern / 0,4 ‰, / 0,9 ‰) begannen <strong>und</strong><br />
die dann noch ausstehenden Teilversuche in unterschiedlicher Reihenfolge absolvierten.<br />
Ergebnisse<br />
Die BAK lag in der Gruppe 0,4 ‰ <strong>im</strong> Mittel bei 0,42 ‰ ± 0,10 ‰, (Median 0,395 ‰,<br />
Min<strong>im</strong>um 0,31 ‰, Max<strong>im</strong>um 0,58 ‰), in der Gruppe 0,9 ‰ <strong>im</strong> Mittel bei 0,91 ‰<br />
± 0,10 ‰, (Median 0,920 ‰, Min<strong>im</strong>um 0,72 ‰, Max<strong>im</strong>um 1,07 ‰).<br />
Von den insgesamt 9 Pendelanstößen konnten nicht in jedem Fall alle ausgewertet werden.<br />
Teilweise reichte die Fahrzeit nicht aus, alle Reize unter den vorgegebenen Bedingungen<br />
(anspruchslose Fahrsituation) zu setzen. Teilweise kam es auch zu Störungen bei<br />
der Aufzeichnung, bspw. durch eine <strong>im</strong> Hintergr<strong>und</strong> ablaufende Datensicherung oder<br />
durch zu heftige Bewegungen der Probanden <strong>im</strong> Sitz, die die Reiz-Aufzeichnung partiell<br />
überdeckten. Ausgewertet wurden deshalb nur die jeweils ersten 2 auswertbaren Impulse<br />
einer jeden Reizstärke.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Dettling / Cakeljic / Gut / Haffner,<br />
Änderungen der taktilen Wahrnehmung unter <strong>Alkohol</strong>einfluss
Dettling / Cakeljic / Gut / Haffner,<br />
Änderungen der taktilen Wahrnehmung unter <strong>Alkohol</strong>einfluss<br />
In der Gruppe 30° lag die Beschleunigung bei <strong>im</strong> Mittel 0,36 m/sec 2 ± 0,062 m/sec 2<br />
(Median 0,36 m/sec 2 , Min<strong>im</strong>um 0,25 m/sec 2 , Max<strong>im</strong>um 0,54 m/sec 2 ), in der Gruppe 60°<br />
bei <strong>im</strong> Mittel 0,64 m/sec 2 ± 0,091 m/sec 2 (Median 0,625 m/sec 2 , Min<strong>im</strong>um 0,42 m/sec 2 ,<br />
Max<strong>im</strong>um 0,88 m/sec 2 ) <strong>und</strong> in der Gruppe 90° bei <strong>im</strong> Mittel 1,23 m/sec 2 ± 0,165 m/sec 2<br />
(Median 1,24 m/sec 2 , Min<strong>im</strong>um 0,84 m/sec 2 , Max<strong>im</strong>um 1,75 m/sec 2 ).<br />
Zu beobachten waren zwei unterschiedliche Formen von Fehlern: falsch negative Reaktionen,<br />
d. h. das Auslassen einer Antwort auf einen gesetzten Reiz, <strong>und</strong> falsch positive Reaktionen,<br />
d. h. das Auslösen der Reaktionstaste, ohne dass zuvor ein Reiz gesetzt worden war.<br />
In alkoholnüchternem Zustand wurden alle gesetzten Reize beantwortet. Bei 0,4 ‰ kam<br />
es bei zwei Probanden zu je einer Auslassung, beide bei niedriger Reizstärke (30°). Bei<br />
0,9 ‰ wurden bei 4 Probanden insgesamt 6 falsch negative Reaktionen beobachtet, 4 bei<br />
30°-Anstößen <strong>und</strong> 2 bei 60°-Anstößen (Abb. 2).<br />
Abb. 2: Beispielhafte Darstellung einer Aufzeichnung der Reaktionen eines Probanden bei 0,9 ‰. Roter Peak<br />
entspricht dem Anstoß des Pendels, grüner Peak entspricht der Reaktion des Probanden.<br />
Die beiden Auslassungen nach Anstößen mittlerer Stärke (60°) kamen bei Probanden<br />
vor, die <strong>im</strong> gleichen Versuch auch jeweils einen 30°-Anstoß nicht beantwortet hatten<br />
(Tab. 1).<br />
Falsch positive Reaktionen traten insgesamt häufiger auf (n = 18), waren jedoch teilweise<br />
bereits in alkoholnüchternem Zustand zu beobachten (zusammen n = 3 bei 2 Probanden).<br />
4 Probanden reagierten je einmal falsch positiv bei 0,4 ‰. In der Gruppe 0,9 ‰<br />
kamen insgesamt 11 falsch positive Reaktionen bei 5 Probanden vor (Tab. 1).<br />
BAK (g/kg) 0,0 ‰ 0,4 ‰ 0,9 ‰<br />
Falsch negativ 30° 0 2 4<br />
Falsch negativ 60° 0 0 2<br />
Falsch negativ 90° 0 0 0<br />
Falsch positiv 3 4 11<br />
Tab. 1: Anzahl falsch negativer <strong>und</strong> falsch positiver Reaktionen bei den drei verschiedenen <strong>Alkohol</strong>isierungsgraden.<br />
Differenzierung der falsch negativen Reaktionen nach den 3 Auslenkungsgraden.<br />
379<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
380<br />
Zwei Probanden gaben an, den Pendelanschlag trotz der eingespielten Fahrgeräusche zu<br />
hören. Die Ergebnisse dieser beiden Probanden wiesen jedoch auch falsch positive Reaktionen<br />
auf.<br />
Zwischen dem Auftreten von Fehlern beider Art <strong>und</strong> dem Grad der <strong>Alkohol</strong>isierung<br />
ergab sich eine signifikante Korrelation (r = 0,415; p = 0,01). Bei der getrennten Auswertung<br />
von falsch negativen <strong>und</strong> falsch positiven Reaktionen war bei der jeweils nur kleinen<br />
Fehlerzahl kein signifikanter Zusammenhang zu sichern.<br />
Bezüglich der falsch negativen Reaktionen wurde der gemeinsame Einfluss von Reizstärke<br />
<strong>und</strong> BAK mittels logistischer Regression überprüft. Dabei ließen sich sowohl die<br />
Variable Reizstärke als auch die Variable BAK als signifikante Einflussfaktoren sichern<br />
(Reizstärke: Wald-Chi2: 5,224, p = 0,022 / BAK: Wald-Chi2: 5,428; p = 0,020). Es zeigte<br />
sich <strong>im</strong> backstep-Verfahren wie auch <strong>im</strong> forwardstep-Verfahren, dass sich die Anpassung<br />
des Modells durch die Variable BAK signifikant verbessert (p = 0,038).<br />
Diskussion<br />
Kollisionen können von den Insassen beteiligter Fahrzeuge in der Regel optisch, akustisch<br />
<strong>und</strong> taktil wahrgenommen werden. Beeinträchtigungen des Sehvermögens durch<br />
<strong>Alkohol</strong> stehen zwar gr<strong>und</strong>sätzlich außer Zweifel [6]. Sie dürften jedoch allenfalls bei hochgradigen<br />
Intoxikationen ein Ausmaß erreichen, das für die Wahrnehmbarkeit einer Kollision<br />
von Bedeutung ist. Über alkoholbedingte akustische Einschränkungen liegen unterschiedliche<br />
Ergebnisse vor. Rein tonaudiometrisch war überwiegend keine Absenkung der<br />
Hörschwelle durch <strong>Alkohol</strong>einfluss zu beobachtet gewesen [8, 10]. Signifikante Unterschiede<br />
zwischen <strong>Alkohol</strong>nüchternen <strong>und</strong> <strong>Alkohol</strong>isierten ergaben sich aber in Testverfahren,<br />
in denen auch Konzentration <strong>und</strong> Aufmerksamkeit eine Rolle spielen [1, 3, 4, 7, 11].<br />
In der vorliegenden Untersuchung – insbesondere in der Auswertung der falsch negativen<br />
Reaktionen – konnte nun eine signifikante Korrelation zwischen der Wahrnehmung<br />
taktiler Reize einerseits <strong>und</strong> der Anstoßstärke sowie der <strong>Alkohol</strong>isierung andererseits festgestellt<br />
werden. Allerdings war die Versuchsanordnung so gestaltet, dass sie den Verhältnissen<br />
in der Praxis möglichst nahe kommt. Dies bedeutet, dass die Aufmerksamkeit der<br />
Probanden nicht alleine auf die Pendelanschläge konzentriert, sondern wie in realen Verkehrssituationen<br />
durch mehrere Fokusse gleichzeitig in Anspruch genommen wurde. Es<br />
lässt sich daher pr<strong>im</strong>är nicht sicher differenzieren, inwieweit die Auslassungen auf ein sensorisches<br />
Defizit, auf eine Störung der Aufmerksamkeit, insbesondere eine übersteigerte<br />
Tenazität, oder auf ein Zusammenwirken beider Faktoren zurückzuführen ist. Für die<br />
Praxis der Begutachtung scheint dies jedoch auch von untergeordneter Bedeutung. Eine<br />
Dämpfung der taktilen Wahrnehmung eines Anstoßes durch <strong>Alkohol</strong>beeinflussung wird<br />
man wie auch eine Anhebung der Wahrnehmungsschwelle für akustische Reize nicht ausschließen<br />
können, unabhängig von deren jeweiliger Ursache.<br />
Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die herabgesetzte Sensitivität für taktile Reize zumindest<br />
nicht alleine auf Ablenkung bzw. Störungen der konzentrativen Spaltbarkeit zurückzuführen<br />
sind. Diese liegen in dem gehäuften Vorkommen falsch positiver Reaktionen.<br />
Sie belegen, dass die Probanden sehr wohl auf die Wahrnehmung der Anstöße<br />
konzentriert waren. Offensichtlich gelang es ihnen unter <strong>Alkohol</strong>einfluss aber nicht mehr<br />
hinreichend, eine sichere Differenzierung zwischen den durch Pendelanstoß gesetzten<br />
Reizen <strong>und</strong> Störeinflüssen, etwa den durch die eigenen Körperbewegungen ausgelösten<br />
Bewegungen des Sitzes vorzunehmen.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Dettling / Cakeljic / Gut / Haffner,<br />
Änderungen der taktilen Wahrnehmung unter <strong>Alkohol</strong>einfluss
Dettling / Cakeljic / Gut / Haffner,<br />
Änderungen der taktilen Wahrnehmung unter <strong>Alkohol</strong>einfluss<br />
Das Ergebnis der Untersuchung hinsichtlich der angewandten Reizstärken ist rein qualitativ<br />
zu interpretieren. Sie mussten nach den Erfahrungen von Vorversuchen so gewählt<br />
werden, dass sie in den Versuchsbedingungen bis nahe an die Grenzen der Wahrnehmbarkeit<br />
herabreichten, hier bis etwa 0,35 m/sec 2 . In dieser Reizstärke wurden in alkoholnüchternem<br />
Zustand alle Pendelanstöße bemerkt. Der Pendelanstoß am Sitz des Fahrs<strong>im</strong>ulators<br />
ist mit dem Anstoß <strong>im</strong> Rahmen einer Fahrzeugkollision nicht direkt zu vergleichen. Die<br />
Bemerkbarkeitsgrenze ist in der Praxis unter anderem von Anstoßart, Anstoßwinkel <strong>und</strong><br />
Stoßhärte abhängig. Auch der Verzögerungsanstieg spielt hier eine entscheidende Rolle.<br />
Diese Zusammenhänge können deshalb keineswegs in Frage gestellt werden. Ebenso ist<br />
die Datenbasis zu schmal, um daraus schon in Analogie auf Grenzbereiche der Bemerkbarkeit<br />
in der Praxis bei unterschiedlichen <strong>Alkohol</strong>isierungsgraden zu schließen. Man wird<br />
aber bei alkoholisierten Unfallverursachern über diesen Grenzbereich hinaus mit positiven<br />
Feststellungen der Bemerkbarkeit zurückhaltend sein müssen.<br />
Zusammenfassung<br />
Die Untersuchung am Fahrs<strong>im</strong>ulator umfasste 12 ges<strong>und</strong>e männliche Probanden <strong>im</strong> Alter von 21 bis 27 Jahren.<br />
An dem mit einem Pendel ausgestatteten Fahrs<strong>im</strong>ulator wurde nüchtern <strong>und</strong> in zwei unterschiedlich starken<br />
<strong>Alkohol</strong>isierungsgraden (0,4 ‰ <strong>und</strong> 0,9 ‰) eine definierte Fahrstrecke zurückgelegt. Die Pendelanstöße erfolgten<br />
dabei mit den Auslenkwinkeln von etwa 30°, 60° <strong>und</strong> 90°.<br />
Während der Untersuchung waren zum einen falsch negative Reaktionen, d.h. das Auslassen einer Antwort auf<br />
einen gesetzten Reiz, zum anderen falsch positive Reaktionen, d.h. das Auslösen der Reaktionstaste zu beobachten.<br />
Eine signifikante Korrelation fand sich zwischen dem Auftreten von Fehlern bei der Art <strong>und</strong> dem Grad der<br />
<strong>Alkohol</strong>isierung. Eine getrennte Auswertung von falsch negativen <strong>und</strong> falsch positiven Reaktionen zeigte bei der<br />
nur kleinen Fehlerzahl keinen signifikanten Zusammenhang.<br />
Schlüsselwörter<br />
taktile Wahrnehmung – <strong>Blutalkohol</strong> – Unfallflucht<br />
Summary<br />
The investigation with a driving s<strong>im</strong>ulator involved 12 healthy male volunteers between 21 and 27 years of<br />
age. The driving s<strong>im</strong>ulator was equipped with a pendulum. The volunteers had to cover a defined distance, both<br />
in a sober state and in two different degrees of alcoholisation (0.4 ‰ <strong>und</strong> 0.9 ‰). The pendulum was activated<br />
with deviation angles of aro<strong>und</strong> 30°, 60° and 90°.<br />
False negative reactions, i.e. the failure to respond to a specific st<strong>im</strong>ulus, and false positive reactions, i.e. the<br />
pressing of the reaction button when there was no <strong>im</strong>pact of the pendulum on the seat, were observed. A significant<br />
correlation was observed between the occurrence of false negative and false positive mistakes and the degree<br />
of alcoholisation. The separate evaluation of the few false negative and false positive reactions did not reveal a<br />
significant correlation.<br />
Keywords<br />
tactile perception – blood alcohol concentration – hit-and-run offence<br />
Danksagung<br />
Wir bedanken uns bei der „Verkehrswacht Bruchsal-Bretten e.V.“ für die fre<strong>und</strong>liche Unterstützung.<br />
381<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
382<br />
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[14] Wolff H (1992) Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen der Wahrnehmbarkeit leichter PKW- Kollisionen. Eurotax AG,<br />
Pfäffikon.<br />
Anschrift für die Verfasser<br />
Dr. med. Andrea Dettling<br />
Institut für Rechtsmedizin <strong>und</strong> Verkehrsmedizin<br />
Universität Heidelberg<br />
Voßstr. 2<br />
69115 Heidelberg<br />
Email: Andrea.Dettling@med.uni-heidelberg.de<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Dettling / Cakeljic / Gut / Haffner,<br />
Änderungen der taktilen Wahrnehmung unter <strong>Alkohol</strong>einfluss
Seiten 383–393<br />
Brieler/Zentgraf,<br />
Kurs zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung gem. § 70 FeV<br />
für alkoholauffällige Kraftfahrer: Programm IFT<br />
PAUL BRIELER, MARITTA ZENTGRAF<br />
Kurs zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung gem. § 70 FeV<br />
für alkoholauffällige Kraftfahrer: Programm IFT<br />
Teilnehmerstruktur <strong>und</strong> Wirksamkeit<br />
The DWI rehabilitation programm IFT (§ 70 FeV)<br />
participans and evaluation results<br />
1. Kurse zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung<br />
Kurse zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung sind mit Einführung der Fahrerlaubnis-Verordnung<br />
(FeV) in den §§ 11 <strong>und</strong> 70 rechtsförmlich verankert. In Deutschland erhalten<br />
jährlich ca. 14.100 medizinisch-psychologisch Begutachtete eine Empfehlung,<br />
bestehende Eignungsmängel durch die Teilnahme an einem Kurs für alkoholauffällige<br />
Kraftfahrer gemäß § 70 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) zu beheben [10].<br />
In § 70 FeV sind die Anerkennungsvoraussetzungen benannt [6]:<br />
– Der Kurs muss auf wissenschaftlicher Gr<strong>und</strong>lage konzipiert sein.<br />
– Ein unabhängiges wissenschaftliches Gutachten muss die Eignung des Kursprogramms<br />
für die Zwecke des § 11 (10) FeV bestätigen.<br />
– Die Kursleiter müssen die Qualifikationsvoraussetzungen erfüllen.<br />
– Der Träger des Kurses muss ein Qualitätssicherungssystem vorlegen, welches von der<br />
Begutachtungsstelle Fahrerlaubniswesen bei der <strong>B<strong>und</strong></strong>esanstalt für Straßenwesen<br />
(BASt) überprüft wird.<br />
– Die Wirksamkeit des Kurses muss durch eine Evaluation nachgewiesen werden. Diese<br />
Forderung kann nur erfüllt werden, wenn der Kurs auch bei der vorgesehenen Zielgruppe<br />
eingesetzt werden kann. Daher werden neue Kursprogramme, welche die anderen<br />
Anerkennungsvoraussetzungen erfüllen, bis zur Vorlage der Evaluationsergebnisse<br />
vorläufig bzw. befristet anerkannt.<br />
In der FeV sind also hohe Zugangsvoraussetzungen definiert, auch um Betroffene <strong>und</strong><br />
die Allgemeinheit vor unqualifizierten Angeboten zu schützen – denn schließlich soll die<br />
Verkehrssicherheit erhöht werden. Erfolgreichen Kursteilnehmern wird nämlich ausschließlich<br />
auf der Gr<strong>und</strong>lage der Teilnahmebescheinigung <strong>und</strong> ohne erneute Begutachtung<br />
die Fahrerlaubnis neu erteilt.<br />
Vor der rechtsförmlichen Einbindung wurden die Kurse als Nachschulungskurse für<br />
alkoholauffällige Kraftfahrer seit 1979 <strong>im</strong> Rahmen von Modellversuchen, die durch Ländererlasse<br />
geregelt waren, erfolgreich erprobt. Die drei eingesetzten Kursmodelle – IFT,<br />
IRaK <strong>und</strong> LEER – unterschieden sich sowohl <strong>im</strong> methodischen Ansatz als auch in der<br />
Kursgestaltung (vgl. [14]). Alle drei konnten <strong>im</strong> Rahmen der umfangreichen, <strong>im</strong> Auftrag<br />
der BASt <strong>im</strong> Jahre 1988 erstellten ALKOEVA-Studie [16] ihre Wirksamkeit nachweisen:<br />
Während in der MPU positiv begutachtete Personen in dem 36-monatigen Bewährungszeitraum<br />
zu 18,2 % rückfällig wurden – also erneut mit einer aktenk<strong>und</strong>igen Trunkenheitsfahrt<br />
aufgefallen waren –, trat dies bei den negativ begutachteten Personen mit einer<br />
383<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
384<br />
sog. Kursempfehlung nur in 13,3 % der Fälle ein (s. Tab. 3). Der nach wie vor empfohlene<br />
Referenzwert zum Nachweis der Kurswirksamkeit <strong>im</strong> Leitfaden der BASt orientiert sich<br />
an dieser anerkannten Studie zur Verkehrsbewährung.<br />
Die Wirksamkeitseffekte blieben auch 60 Monate nach Neuerteilung der Fahrerlaubnis<br />
erhalten: Während 21,6 % der Kursteilnehmer nach diesem Zeitraum eine erneute <strong>Alkohol</strong>fahrt<br />
aufwiesen, trat dies <strong>im</strong> Vergleich bei 26,4 % der positiv Begutachteten auf [17].<br />
Als weiteres Ergebnis der Evaluationsstudie konnte belegt werden, dass auch Risikopopulationen,<br />
gekennzeichnet durch eine Vorbelastung mit mehreren Trunkenheitsfahrten, eine<br />
Vorbelastung mit einer BAK über 2,0 Promille oder mit einer Auffälligkeit <strong>im</strong> höheren Lebensalter<br />
– was <strong>im</strong> Allgemeinen eine längere Trinkkarriere bedeutet – mittels einer zielgruppenspezifischen<br />
Schulungsmaßnahme positiv beeinflusst werden können.<br />
Unter b<strong>und</strong>esweiter Anwendung der Beurteilungskriterien wurde in dem mit hohem<br />
Aufwand betriebenen EVAGUT-Forschungsprojekt die Bewährung von Kraftfahrern<br />
nach einer medizinisch-psychologischen Untersuchung anhand der Legalbewährung<br />
untersucht [8]. Die Rückfallquote der alkoholauffälligen Kraftfahrer betrug in der Gesamtgruppe<br />
nach erfolgreichem Absolvieren eines Nachschulungskurses 13,8 %, für<br />
positiv Begutachtete 11,2 %. Bei <strong>Alkohol</strong>ersttätern erwies sich der Kurs mit einer<br />
Rückfälligkeit von 11,3 % (positiv Begutachtete 12,2 %) als wirksamer als bei <strong>Alkohol</strong>-<br />
Mehrfachtätern mit 14,5 % (positiv Begutachtete 9,9 %) (s. Tab. 3). Als Referenzstudie<br />
für Kurse für alkoholauffällige Kraftfahrer wurde allerdings nicht die EVAGUT-Studie,<br />
sondern die ALKOEVA-Studie ausgewählt; die Gründe für diese Entscheidung sind den<br />
Autoren nicht bekannt.<br />
2. Kursprogramm IFT<br />
Das hier zu diskutierende Kursprogramm IFT wurde ursprünglich <strong>im</strong> Auftrag der BASt<br />
vom Institut für Therapieforschung in München auf einer lerntheoretischen bzw. verhaltenstherapeutischen<br />
Basis entwickelt. Die Autoren gehen bei <strong>Alkohol</strong>konsum von einem<br />
gelernten Verhalten aus, das prinzipiell modifiziert werden kann. Entweder kommt es zu<br />
einer Löschung (in Form einer Abstinenz) oder zu einer Lernmodifikation, die einen kontrolliert<br />
– bewussten <strong>Alkohol</strong>konsum generiert. In der ursprünglichen Version wurden<br />
6 bis 12 Teilnehmer in 13 Sitzungen über eine Dauer von 26 St<strong>und</strong>en geschult. Ergänzt<br />
wurde die Maßnahme durch die Bearbeitung häuslicher Trainingsaufgaben zwischen den<br />
Sitzungen (vgl. [14]). Anders als jüngst von Meyer in dieser Zeitschrift konstatiert ([11],<br />
66) folgen die Kursleiter nicht sklavisch einem festgelegten Ablaufschema, sondern kombinieren<br />
in Abhängigkeit der je aktuellen Kursgruppe <strong>und</strong> der einzelnen Kursteilnehmer<br />
die obligatorischen mit den fakultativen Kurselementen, so dass eben nicht jeder Kurs dem<br />
anderen gleicht.<br />
Das Kursmodell wurde in den Folgejahren seit 1979 in mehreren Auflagen weiterentwickelt<br />
(vgl. [2]), d. h. zum einen erfolgte eine Anpassung des Kurses <strong>und</strong> der Teilnehmermaterialien<br />
jeweils an den Stand von Wissenschaft <strong>und</strong> Technik, zum anderen wurde<br />
die Sitzungsanzahl auf 4 bis 7 Termine in mindestens 21 Tagen festgelegt. Aufgr<strong>und</strong> der<br />
Nachfrage der Teilnehmer nach einer kompakten Schulung an Wochenendterminen wurde<br />
die Schulung <strong>im</strong> Wesentlichen an 4 Terminen durchgeführt.<br />
Die Dekra Akademie hat <strong>im</strong> Jahr 2003 das ursprüngliche Kursmodell in einer eigenen<br />
Version überarbeitet [3].<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Brieler/Zentgraf,<br />
Kurs zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung gem. § 70 FeV<br />
für alkoholauffällige Kraftfahrer: Programm IFT
Brieler/Zentgraf,<br />
Kurs zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung gem. § 70 FeV<br />
für alkoholauffällige Kraftfahrer: Programm IFT<br />
3. Mehrjahresvergleich (2002 – 2008) der Teilnehmerstruktur<br />
Die 7.312 Teilnehmer, die das IFS in den Jahren 2002 – 2008 in dem Kursprogramm IFT<br />
geschult hat, wurden jeweils am Kursende um soziobiographische <strong>und</strong> auffälligkeitsbezogene<br />
Angaben gebeten. Die Ergebnisse dieser Erhebung erfolgen in Prozent <strong>und</strong> berücksichtigen<br />
die Gesamtzahl der Antworten zur jeweiligen Frage (bei einzelnen Fragen haben<br />
sich Mehrfachnennungen ergeben, entweder weil Teilnehmer Angaben zu mehreren Auffälligkeiten<br />
gemacht haben, oder zu einem Delikt, z. B. verschiedene Trinkorte nacheinander<br />
vor dem Delikt). Die Auswertung der Teilnehmer-Statistik beruht auf einer heterogenen<br />
Datenbasis, da aufgr<strong>und</strong> der Freiwilligkeit nicht alle Teilnehmer Angaben zu allen<br />
Kategorien gemacht haben. Es wurden keine signifikanten Abweichungen in der Stichprobe<br />
der Wirksamkeitsuntersuchung festgestellt.<br />
3.1 Soziodemographische Daten<br />
Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf standardisierte Befragungen aus IFT-<br />
Kursen der Jahre 2002 – 2008, die jeweils am Kursende durch den Kursleiter auf einem<br />
standardisierten Erhebungsbogen eingetragen wurden.<br />
Geschlecht: An den IFT-Kursen nahmen 92,02 % männliche <strong>und</strong> 7,98 % weibliche<br />
Personen teil. Dieses Verhältnis blieb über den Erhebungszeitraum konstant <strong>und</strong> findet<br />
sich vergleichbar <strong>im</strong> Verkehrszentralregister, wo am 01. 01. 2008 90,54 % Männer <strong>und</strong><br />
9,46 % Frauen wegen der Deliktart <strong>Alkohol</strong> eingetragen waren. Die alkoholauffällige Teilnahme<br />
am Straßenverkehr bleibt eine männliche Domäne (vgl. [11]).<br />
Lebensalter: 15,2 % der Teilnehmer waren 18 bis 22 Jahre alt, 30,5 % waren 23 bis 29<br />
Jahre alt, <strong>und</strong> der größte Anteil der Teilnehmer war über 30 Jahre alt (53,6 %). Unter<br />
18-Jährige Teilnehmer (0,6 %) sind zu vernachlässigen, wobei wir auch künftig nicht erwarten,<br />
dass sich wegen BF 17 1 ) deren Anteil beachtenswert erhöhen wird. Über die Jahre<br />
ist eine Verringerung des Durchschnittsalters festzustellen, d. h. mehr 18- bis 29-Jährigen<br />
wurde von den Begutachtungsstellen für Fahreignung eine Kursteilnahme empfohlen.<br />
Das durchschnittliche Lebensalter von 34,1 Jahren entspricht dem der Referenzstudie<br />
ALKOEVA (33,3 Jahre, vgl. [16]).<br />
Schulbildung: Der überwiegende Teil der Kursteilnehmer hat einen einfachen bzw.<br />
mittleren Bildungsabschluss (Realschule 44,9 %, Hauptschule 37,6 %), der Anteil mit<br />
einem höheren Bildungsabschluss beträgt 13,9 %. Ohne Schulabschluss waren durchschnittlich<br />
3,5 %.<br />
Im Vergleich mit der Gesamtbevölkerung 2 ) (höherer Bildungsabschluss 28,8 %; mittlerer<br />
Bildungsabschluss (Realschule <strong>und</strong> Hauptschule) 61,2 %; ohne Abschluss 3,2 %; noch<br />
in beruflicher Ausbildung 6,5 %) ist in den IFT-Kursen der mittlere Bildungsabschluss<br />
deutlich überrepräsentiert.<br />
Beruflicher Abschluss: Der weit überwiegende berufliche Abschluss ist die Gesellenprüfung<br />
(42,3 %). Zudem hat ein bemerkenswerter Teil keinen beruflichen Abschluss<br />
(19,0 %) bzw. befindet sich noch in der Lehre (29,0 %). Zu vernachlässigen sind der Abschluss<br />
als Meister (0,6 %) bzw. einer Fachschule (2,7 %) oder einer Hochschule (2,0 %).<br />
Andere mit 5,4 % betreffen z. B. Rentner, Zivildienstleistende, etc.<br />
Wiederum <strong>im</strong> Vergleich mit der Gesamtbevölkerung 3 ) sind die Abschlüsse der Lehre<br />
(50,2 %), der Meisterschule bzw. Fachschule (7,4 %) <strong>und</strong> der Hochschule (13,6 %) deutlich<br />
unterrepräsentiert, diejenigen ohne Abschluss (Gesamtbevölkerung 27,3 %) entspre-<br />
385<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
386<br />
chend überrepräsentiert. Dies könnte als Hinweis auf eine soziale Auslese in der Fahreignungsbegutachtung<br />
u. a. durch eine höhere Prüfungskompetenz (Information <strong>und</strong> Vorbereitung)<br />
interpretiert werden. Möglich wäre auch eine bildungsabhängig höhere Auffälligkeit<br />
mit <strong>Alkohol</strong>, weil entweder unterschiedliche Konsummuster gepflegt werden oder<br />
eine geringere Kompetenz bzw. Bereitschaft vorliegt, trotz übermäßigen <strong>Alkohol</strong>konsums<br />
Alternativen zur Führung des eigenen Fahrzeugs (Taxi, etc.) zu nutzen.<br />
Im Vergleich der Jahre 2002 bis 2008 hat sich somit die soziodemographische Struktur<br />
der Kursteilnehmer nicht wesentlich verändert.<br />
3.2 Angaben zur Auffälligkeit<br />
Anzahl der Auffälligkeiten mit <strong>Alkohol</strong> <strong>im</strong> Straßenverkehr: Weit überwiegend<br />
sind die Teilnehmer zum ersten Mal mit <strong>Alkohol</strong> <strong>im</strong> Straßenverkehr auffällig geworden<br />
(82,6 %), <strong>im</strong>merhin 15,8 % sind Zweitauffällige 4 ). Nur 1,6 % sind mehr als zwei Mal mit<br />
<strong>Alkohol</strong> <strong>im</strong> Straßenverkehr aufgefallen. In den Jahren 2004, 2006 <strong>und</strong> 2007 sind deutlich<br />
weniger Zweitauffällige in den IFT-Kursen geschult worden. Eine Erklärung dafür zu finden,<br />
fällt schwer, da weder Änderungen in der Beurteilungspraxis der Gutachter aufgr<strong>und</strong><br />
weiterentwickelter Beurteilungskriterien, wie z. B. eine erneute Auffälligkeit mit <strong>Alkohol</strong><br />
<strong>im</strong> Straßenverkehr als negativen Prognoseindikator zu (be-)werten, noch in der regionalen<br />
Verteilung der Schulungsangebote festzustellen waren.<br />
<strong>Blutalkohol</strong>konzentration (BAK) in Promille: Die Delikte verteilen sich nach der<br />
BAK fast zur Hälfte auf den Bereich zwischen 1,6 <strong>und</strong> 1,99 ‰ (45,7 %). Immerhin 22,1 %<br />
der Teilnehmer wiesen eine BAK über 2,0 ‰ auf. Unter 1,6 ‰ lagen insgesamt 32,3 % der<br />
Teilnehmer (17,8 % hatten 1,1 bis 1,59 ‰, <strong>und</strong> 14,4 % bis 1,09 ‰). Die nahe liegende<br />
Erklärung, dass es sich <strong>im</strong> Wesentlichen um Mehrfach-Auffällige gehandelt hat, kann<br />
durch die Angaben zur Anzahl der Auffälligkeiten nicht bestätigt werden. Auf einen mehrfachauffälligen<br />
kamen fünf erstauffällige Kursteilnehmer. Es scheint sich eher um Teilnehmer<br />
mit einer verkehrsrechtlichen Fragestellung zu handeln, die sich aufgr<strong>und</strong> einer<br />
gewissen Punktebelastung, inkl. einer <strong>Alkohol</strong>fahrt, einer Fahreignungsbegutachtung mit<br />
Verkehrsfragestellung unterziehen mussten, <strong>und</strong> bei denen aus gutachterlicher Sicht speziell<br />
die <strong>Alkohol</strong>thematik noch in einem § 70-Kurs bearbeitet werden sollte.<br />
Art des Auffälligwerdens: Bei der Frage, wie die <strong>Alkohol</strong>fahrt(-en) entdeckt wurde(-n),<br />
zeigt sich <strong>im</strong> Vergleich der Jahre kein eindeutiges Bild. Im Mittelwert sind die drei Kategorien<br />
‚Unfall‘, ‚Kontrolle‘ <strong>und</strong> ‚Auffällige Fahrweise‘ etwa gleich stark vertreten: Unfall<br />
mit 27,9 %, Kontrolle mit 32,0 %, auffällige Fahrweise mit 31,7 %. Durch Dritte gemeldet<br />
bzw. angezeigt wurden 5,2 % der Teilnehmer. ‚Anderes‘ mit durchschnittlich 3,2 % beinhaltet<br />
z. B. Personenverwechselung, Handynutzung <strong>und</strong> Führen eines Kfz ohne Sicherheitsgurt.<br />
Trinkorte: Hauptsächlich wurde der <strong>Alkohol</strong> vor Fahrtantritt in geselligen Kontexten<br />
konsumiert. Hierbei entfielen auf Gastwirtschaft <strong>und</strong> Diskothek 37,7 %, auf private Partys<br />
29,9 % <strong>und</strong> auf den Fre<strong>und</strong>eskreis 16,1 %. Auch die Kategorie ‚Anderes‘ mit 8,3 % beinhaltet<br />
vor allem öffentliche gesellige Veranstaltungen wie Kirmes, Konzerte, Altstadtfeste<br />
u. ä. Der Konsum alkoholischer Getränke findet damit weit überwiegend in Gesellschaft<br />
statt, <strong>und</strong> funktioniert als ‚soziales Gleitmittel‘, wie eine K<strong>und</strong>in jüngst formulierte. Eher<br />
selten erfolgte der <strong>Alkohol</strong>konsum auf der Arbeitsstelle (3,2 %) oder aber allein zu Hause<br />
(4,8 %). Diese Verteilung spiegelt die gesellschaftliche Wertung, die sich auch in den Beurteilungskriterien<br />
(vgl. [12]) zeigt: Gesellschaftlicher Konsum wird als akzeptabel ange-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Brieler/Zentgraf,<br />
Kurs zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung gem. § 70 FeV<br />
für alkoholauffällige Kraftfahrer: Programm IFT
Brieler/Zentgraf,<br />
Kurs zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung gem. § 70 FeV<br />
für alkoholauffällige Kraftfahrer: Programm IFT<br />
sehen, allein <strong>Alkohol</strong> zu konsumieren erscheint da<strong>gegen</strong> als problematisch <strong>und</strong> für den<br />
Gutachter <strong>im</strong> Rahmen eines § 70-Kurses als nicht genügend beeinflussbar. Eine solche generalisierende<br />
Sicht verstellt den Blick darauf, dass der auch in geselligen Zusammenhängen<br />
stattfindende <strong>Alkohol</strong>überkonsum kritisch in seinen individuellen Motiven zu hinterfragen<br />
ist. Insofern setzt die Motivarbeit in den Kursen bei individuell generierten<br />
Begründungskontexten für die <strong>Alkohol</strong>wahl an.<br />
Umgang mit <strong>Alkohol</strong> nach Kurs: Vorgegeben waren ‚<strong>Alkohol</strong>abstinenz‘, ‚kontrolliertbewusster<br />
<strong>Alkohol</strong>konsum‘ <strong>und</strong> ‚unverändert‘. 68,4 % der Teilnehmer wollen in Zukunft<br />
einen kontrolliert-bewussten <strong>Alkohol</strong>konsum pflegen, mit der Notwendigkeit, nicht nur<br />
die selbst gesetzte Trinkhöchstgrenze <strong>und</strong> Konsumhäufigkeit konsequent einzuhalten,<br />
sondern auch den Trink-Fahr-Konflikt <strong>im</strong> Sinne einer ‚Punktnüchternheit‘ zu lösen. Entweder<br />
<strong>Alkohol</strong>konsum oder Kfz-Bedienung, es gibt keine Max<strong>im</strong>almengen bei der Kfz-<br />
Führung. 23,6 % der Teilnehmer haben sich dafür entschieden, gar keinen <strong>Alkohol</strong> mehr<br />
zu konsumieren. In den meisten Fällen stand vor Kursbeginn diese Entscheidung bereits<br />
fest, als Begründung wird hier oftmals die Vermeidung eines möglichen Rückfalls in ein<br />
altes, unkontrolliertes Trinken angeführt. Den meisten Teilnehmern ist am Ende des Kurses<br />
bewusst, dass ein unkontrolliert hoher <strong>Alkohol</strong>konsum die Gefahr einer erneuten Kfz-<br />
Nutzung in alkoholisiertem Zustand nach sich zieht.<br />
8,0 % der <strong>im</strong> Sinne der Kursregeln erfolgreichen Teilnehmer (d. h. sie haben aktiv mitgearbeitet,<br />
alle Kursaufgaben erledigt, sind mit 0,0 ‰ zum Kurs gekommen <strong>und</strong> waren zu<br />
allen Kurssitzungen pünktlich erschienen) gaben bei der Frage <strong>Alkohol</strong>konsum nach Kursende<br />
die Kategorie ‚unverändert‘ an. Es wurde nicht differenziert erhoben, ob ‚unverändert‘<br />
bedeutet: <strong>Alkohol</strong>konsumverhalten vor Kursbeginn <strong>und</strong> nach Kursende ist gleich,<br />
oder unverändert zum Trinkverhalten zum Zeitpunkt der <strong>Alkohol</strong>auffälligkeit. Aus Rückmeldungen<br />
von Kursleitern ist bekannt, dass in den IFT-Kursen <strong>im</strong>mer wieder fehl zugewiesene<br />
Teilnehmer sitzen, die ihr Trinkverhalten eben nicht geändert hatten <strong>und</strong> wohl<br />
durch die MPU ‚durchgerutscht‘ sind. Im Kursverlauf hin<strong>gegen</strong> geben sie fre<strong>im</strong>ütig an, so<br />
<strong>Alkohol</strong> zu trinken wie sie es bereits zum Zeitpunkt der Trunkenheitsfahrt getan hatten. Insofern<br />
befinden sich unter den 8 % ‚unverändert‘ auch diese Teilnehmer.<br />
4. Wirksamkeitsuntersuchung Kursprogramm IFT<br />
Die Rechtsfolge einer Neuerteilung der Fahrerlaubnis erfordert es, hohe Anforderungen<br />
an die Wirksamkeit der § 70-Kurse zu stellen. Die Verpflichtung zur Evaluation <strong>und</strong><br />
Re-Evaluation von Kursen zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung wurde vom Verordnungsgeber<br />
entsprechend normiert.<br />
In der Fahrerlaubnis-Verordnung vom 18. August 1998 wurde in § 76 Nr. 17 FeV best<strong>im</strong>mt,<br />
dass Kurse, die vor dem 01. Januar 1999 von den zuständigen obersten Landesbehörden<br />
anerkannt waren <strong>und</strong> von ihrem Träger durchgeführt wurden, bis zum 31. Dezember<br />
2009 erneut zu evaluieren sind. Bei diesen Kursen für alkoholauffällige Kraftfahrer<br />
handelt es sich – neben den ersten Versionen der Kursprogramme IRaK <strong>und</strong> LEER – auch<br />
um das Kursprogramm IFT.<br />
Die FeV trifft allerdings keine Aussagen zur Bewertung der Wirksamkeit eines Kursprogramms.<br />
In der Folge eines von der BASt ausgerichteten Expertengesprächs [6] wurde<br />
ein mit den relevanten Gruppen abgest<strong>im</strong>mter Leitfaden zur Anerkennung von Kursen<br />
gemäß § 70 FeV [12] erstellt. Danach kann der Nachweis der Kurswirksamkeit entweder<br />
387<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
388<br />
durch einen Vergleich mit einer Kontrollgruppe, d. h. positiv Begutachteten nach Neuerteilung<br />
der Fahrerlaubnis, oder mit einem Referenzwert geführt werden. Im Leitfaden wird<br />
dazu ausgeführt: „Bis auf weiteres bietet es sich an, als Referenzwert die Rückfallquote<br />
der positiv begutachteten Personen aus den einschlägigen, in der Literatur diskutierten<br />
Evaluationen heranzuziehen.<br />
Die folgenden Referenzwerte werden empfohlen:<br />
– Kurse zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung für Personen mit vorausgegangener<br />
<strong>Alkohol</strong>auffälligkeit: 18,8 % (…)<br />
Die Rückfallquote der Teilnehmer des zu evaluierenden Kurses sollte den Referenzwert<br />
nicht signifikant übersteigen.“ ([12], 135)<br />
Der Träger (Institut für Schulungsmaßnahmen GmbH) des Kursprogramms IFT hatte<br />
das KBA mit der Durchführung einer Wirksamkeitsuntersuchung (Legalbewährung <strong>im</strong><br />
Verkehrszentralregister (VZR)) beauftragt. Dazu wurden die Daten von insgesamt 350<br />
Personen, die <strong>im</strong> Zeitraum Juli 2005 bis Dezember 2005 an einem Kurs IFT teilgenommen<br />
haben, geliefert. Es handelte sich hierbei um eine Komplettmeldung, d. h. es wurden keine<br />
IFT-Kurse oder einzelne IFT-Kursteilnehmer zuvor selektiert.<br />
Definition des Beobachtungszeitraums: Der Beobachtungszeitraum von insgesamt<br />
3 Jahren beginnt mit der Neuerteilung der Fahrerlaubnis. „Da Mitteilungen wegen des Instanzenweges<br />
erst nach vielen Wochen oder gar Monaten das VZR erreichen, wurde die<br />
VZR-Abfrage erst 9 Monate nach Beobachtungsende durchgeführt, um die zwischenzeitlich<br />
noch eingegangenen Eintragungen der Beobachtungsphase noch zu erfassen. Der variable<br />
Rekrutierungszeitraum <strong>und</strong> somit auch der individuell unterschiedliche Beobachtungsbeginn<br />
führt in Kombination mit der VZR-Abfrage zu einem festen Termin dazu,<br />
dass die Zeitspanne zwischen dem Beobachtungsbeginn <strong>und</strong> dem Abfragezeitpunkt bei<br />
den Kursteilnehmern unterschiedlich groß ist: Personen, die bereits <strong>im</strong> Juli 2005 ihre FE<br />
neu erteilt bekommen haben, erreichen problemlos ihre dreijährige Beobachtungszeit mit<br />
zusätzlicher Verzugsdauer von 9 Monaten. Da<strong>gegen</strong> liegt die Beobachtungsdauer von Personen<br />
mit Kursteilnahme <strong>und</strong>/oder FE-Neuerteilung zu einem späteren Zeitpunkt ggfs.<br />
unter den angestrebten Werten.“ [4] Bei einem Teil der Probanden kann die Verkürzung der<br />
Beobachtungszeit auch durch eine erneute Entziehung verursacht sein.<br />
Datenerhebung <strong>und</strong> -aufbereitung: Im Oktober 2009 wurden 350 Personen <strong>im</strong> VZR<br />
abgefragt: für einen Teilnehmer gab es aufgr<strong>und</strong> fehlerhafter Personenangaben keine Auskunft,<br />
15 Teilnehmer waren nicht <strong>im</strong> VZR registriert (s. Tab. 1), so dass für 334 Kursteilnehmer<br />
die Eintragungen erfasst werden konnten.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Brieler/Zentgraf,<br />
Kurs zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung gem. § 70 FeV<br />
für alkoholauffällige Kraftfahrer: Programm IFT<br />
VZR-Abfrage N %<br />
Keine VZR-Auskunft 1 0,3<br />
Kein VZR-Treffer 15 4,3<br />
VZR-Treffer 334 95,4<br />
mit Neuerteilung <strong>im</strong> VZR 282 80,6<br />
mit Neuerteilung <strong>im</strong> ZFER 8 2,3<br />
ohne Neuerteilung <strong>im</strong> VZR/ZFER 44 12,6<br />
Gesamt 350 100,0<br />
Tab. 1: Auskunftsergebnisse der Verkehrszentralregister-(VZR-)Abfrage [4].
Brieler/Zentgraf,<br />
Kurs zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung gem. § 70 FeV<br />
für alkoholauffällige Kraftfahrer: Programm IFT<br />
Im Folgenden wurde eine Neuerteilung der Fahrerlaubnis nach Kursteilnahme <strong>im</strong> VZR<br />
bzw. <strong>im</strong> Zentralen Fahrerlaubnisregister (ZFER) geprüft. Teilnehmer ohne nachgewiesene<br />
Neuerteilung wurden von der Auswertung ausgeschlossen.<br />
Letztendlich konnte für 290 Kursteilnehmer eine Neuerteilung nachgewiesen werden.<br />
Für diese wurden Verkehrsverstöße nicht berücksichtigt, die nach Ende des Beobachtungszeitraums<br />
oder nach erneuter Entziehung der Fahrerlaubnis begangen worden sind.<br />
Auswertung: Alle <strong>Alkohol</strong>verstöße (Straftaten, Ordnungswidrigkeiten sowie Entziehungen/Verzichte/Aberkennungen),<br />
die die Kursteilnehmer während ihres Beobachtungszeitraumes<br />
(Dauer insgesamt: 3 Jahre ab individuellem Startdatum, zusätzlich 9 Monate<br />
,Nachlauf‘ – die Beobachtungsdauer ergibt sich aus Tab. 2) begangen haben, werden als<br />
kritisches Ereignis gewertet.<br />
Beobachtungsdauer der Kursteilnehmer N %<br />
Beobachtung = 3 Jahre, Verzug = 9 Monate 214 73,8<br />
Beobachtung = 3 Jahre, Verzug < 9 Monate 38 13,1<br />
Beobachtung 1,5 – 3 Jahre 23 7,9<br />
Beobachtung < 1,5 Jahre 15 5,2<br />
Gesamt 290 100,0<br />
Durchschnittliche Beobachtungsdauer (Tage) 1328<br />
Standardabweichung<br />
Durchschnittliche Dauer zwischen Kursteil-<br />
316<br />
nahme <strong>und</strong> Neuerteilung (Tage) 50<br />
Standardabweichung 130<br />
Tab. 2: Kursteilnehmer nach Beobachtungsdauer [4].<br />
Insgesamt sind 29 Personen erneut mindestens mit einem <strong>Alkohol</strong>verstoß oder einer Entziehung<br />
aufgr<strong>und</strong> eines <strong>Alkohol</strong>verstoßes während der Beobachtungszeit auffällig geworden.<br />
Damit weist das Kursprogramm IFT eine Rückfallquote von 10,0 % auf (s. Tab. 3).<br />
Rückfallraten (%) Kontrollgruppe<br />
Studia / Träger Zielgruppe N nach Neuerteilung<br />
Kursteilnahme nach MPU<br />
ALKOEVA Zweittäter 1.127 13,5 18,2 (N = 1130)<br />
Winkler et al. 13,5 (IFT) 17,7 (IFT)<br />
(1988) 12,8 (IRaK) 18,6 (IRaK)<br />
EVAGUT<br />
14,0 (LEER) 18,3 (LEER)<br />
Jacobshagen & Ersttäter n. MPU 0 259 11,3 (LEER) 12,2 (N = 224)<br />
Utzmann<br />
(1996)<br />
Zweittäter n. MPU 0 421 14,5 (LEER) 09,9 (N = 323)<br />
Heinzmann <strong>Alkohol</strong>täter 0 290 10,0 18,2<br />
(2009) nach MPU (IFT) (nach ALKOEVA)<br />
Heinzmann <strong>Alkohol</strong>täter 0 273 06,6 18,2<br />
(2010) 6 ) nach MPU (IRaK) (nach ALKOEVA)<br />
Tab. 3: Evaluationen Kurse mit Rechtsfolgen für alkoholauffällige Kraftfahrer<br />
(Bewährungszeitraum 36 Monate).<br />
389<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
390<br />
5. Diskussion<br />
Das vorgelegte Evaluationsergebnis belegt ebenso wie aktuelle Evaluationsergebnisse<br />
anderer Kursprogramme für alkoholauffällige Kraftfahrer (s. Tab. 3) die Wirksamkeit des<br />
IFT-Kurses gem. Leitfaden: Negativ Begutachtete fallen nach erfolgreicher Teilnahme an<br />
einem problemspezifischen Rehabilitationskurs weniger häufig erneut mit <strong>Alkohol</strong> <strong>im</strong><br />
Straßenverkehr auf als nach dem Referenzwert – basierend auf Rückfallquoten positiv Begutachteter,<br />
denen ohne weitere Auflagen die Fahrerlaubnis neu erteilt worden ist – innerhalb<br />
eines Zeitraums von 36 Monaten zu erwarten gewesen wäre.<br />
Der Kurs IFT zeigte sich auch wirksamer als bei der ersten Evaluation, was sicherlich<br />
auch an der veränderten Zuweisungspraxis liegt. Waren die Kurse bei Einführung dieser<br />
Rehabilitationskurse für die Zielgruppe der mehrfach <strong>im</strong> Straßenverkehr <strong>Alkohol</strong>auffälligen<br />
konzipiert worden, so werden heute mit einem Anteil von mehr als 80 % (s. o.) überwiegend<br />
erstmals <strong>Alkohol</strong>auffällige zugewiesen, obwohl sich die Zuweisungskriterien <strong>im</strong><br />
Gr<strong>und</strong>e nicht verändert haben. Noch in den 90er Jahren wurde auf Basis der empirischen<br />
Kenntnisse <strong>und</strong> der ausnehmend positiven Erfahrungen die Rehabilitation Betroffener in<br />
verkehrspsychologisch f<strong>und</strong>ierten Kursen gefördert, lag z. B. 1993 die sog. Nachschulungsquote<br />
bei der Fragestellung <strong>Alkohol</strong> bei 23 % – aktuell sind es kaum mehr 14 % [10].<br />
Dieser augenscheinliche Vertrauensverlust erscheint als rational nicht begründbar: zum<br />
einen weil die damaligen Nachschulungskurse für wiederholt alkoholauffällige Kraftfahrer<br />
konzipiert wurden, also für eine problematischere Zielgruppe als die der heutigen<br />
Kurszugewiesenen, bei denen es sich überwiegend um erstmals alkoholauffällige Kraftfahrer<br />
mit einer Tatzeit-BAK unter 2,0 Promille handelt. Und zum anderen weil sich das<br />
Kursziel verändert hat: weg vom Anspruch zu lernen, wie man Trinken <strong>und</strong> Fahren trennen<br />
kann, hin zu einem radikal veränderten Umgang mit <strong>Alkohol</strong> – entweder zu einer auf<br />
<strong>Alkohol</strong> verzichtenden Lebensweise oder zu einem kontrolliert-reduzierten Konsum auf<br />
Genussniveau.<br />
Ein Vergleich der BAK der Teilnehmer ist wegen fehlender Angaben in der alten Studie<br />
von 1988 [16] nicht möglich, aufgr<strong>und</strong> der damaligen Rechtslage ist von einer durchschnittlich<br />
höheren BAK auszugehen. Allerdings hatte die Folgestudie EVAGUT gezeigt,<br />
dass die Höhe der BAK bei der Auffälligkeit nicht als spezifischer Rückfallindikator angesehen<br />
werden kann (vgl. [8], 68 f.).<br />
Wie bereits ausgeführt, gehen wir von einem Teil fehl zugewiesener Teilnehmer aus,<br />
die ihr Trink- <strong>und</strong> Fahrverhalten eben nicht gr<strong>und</strong>legend geändert haben. Vor dem Hintergr<strong>und</strong><br />
der Rückmeldungen der Kursleiter ist zu vermuten, dass sich ein wesentlicher<br />
Anteil der 10 % rückfälligen IFT-Kursteilnehmer nach 36 Monaten aus dieser Gruppe<br />
rekrutiert.<br />
Leider liegen derzeit keine aktuellen Rückfallquoten für positiv Begutachtete vor. Die<br />
bisher verwendeten Referenzwerte müssen aufgr<strong>und</strong> verkehrs- <strong>und</strong> verwaltungsrechtlicher<br />
sowie gesellschaftlicher Veränderungen als überholt eingestuft werden [11]. Die<br />
BASt plant derzeit in Zusammenarbeit mit dem Kraftfahrt-<strong>B<strong>und</strong></strong>esamt (KBA) ein Projekt<br />
zur „Legalbewährung nach Neuerteilung der Fahrerlaubnis“. In diesem sollen „unter Einbeziehung<br />
ausgewiesener Methoden- <strong>und</strong> Inhaltsexperten verbindliche Anforderungen für<br />
die Evaluationen von § 70-Kursen erarbeitet <strong>und</strong> damit die Voraussetzungen für eine methodisch<br />
angemessene Durchführung <strong>und</strong> eine sachgerechte Bewertung von Evaluationsstudien<br />
zu § 70-Kursen geschaffen (werden). Dabei ist die Bereitstellung valider Refe-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Brieler/Zentgraf,<br />
Kurs zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung gem. § 70 FeV<br />
für alkoholauffällige Kraftfahrer: Programm IFT
Brieler/Zentgraf,<br />
Kurs zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung gem. § 70 FeV<br />
für alkoholauffällige Kraftfahrer: Programm IFT<br />
renzwerte insbesondere vor dem Hintergr<strong>und</strong> der Harmonisierungstendenzen in Europa<br />
von besonderer Bedeutung.“ [1]<br />
Die Wahl eines Kontrollgruppendesigns verspricht zwar validere Ergebnisse, es gibt jedoch<br />
in diesem Praxisfeld diverse Problemstellungen, die nicht so ohne weiteres zu lösen<br />
sind: Es muss ein Zugang zu den entsprechenden Daten bestehen, um eine gematchte Kontrollgruppe<br />
zusammenstellen zu können. Dies erfordert eine konstruktive Zusammenarbeit<br />
mit allen Trägern, von denen Begutachtete <strong>im</strong> Kurs geschult worden sind. Dabei ist zu beachten,<br />
dass die Kosten <strong>im</strong> Rahmen bleiben; zudem sind datenschutzrechtliche Probleme<br />
zu klären.<br />
Allerdings würde auch ein solch deutlich aufwendigeres Vorgehen die Problematik der<br />
wahren Rückfallquote, verstanden als erneutes Fahren unter <strong>Alkohol</strong>einfluss, nicht lösen<br />
können, da es belastbare Angaben über das wahre Ausmaß, die sog. Dunkelziffer bei Trunkenheitsfahrten,<br />
ebenso wenig gibt wie bei dem wirklich gepflegten Umgang mit <strong>Alkohol</strong><br />
<strong>im</strong> Anschluss an eine positive Begutachtung bzw. an einen Kurs zur Wiederherstellung der<br />
Kraftfahreignung .<br />
Ein umfassendes Evaluationskonzept, wie z. B. jüngst von JACOBSHAGEN & NICKEL [7]<br />
vorgeschlagen worden ist, wäre allerdings ein wesentlicher Fortschritt <strong>im</strong> Bemühen um<br />
eine wissenschaftlich f<strong>und</strong>ierte Beurteilung der Wirkung der medizinisch-psychologischen<br />
Ansätze zur Förderung der Verkehrssicherheit: die vollständige Datenerhebung<br />
durch eine in § 59 FeV ergänzend aufgenommene routinemäßig erfolgende Meldung der<br />
Fahrerlaubnisbehörden, der Träger von Begutachtungen <strong>und</strong> der Träger von Schulungs<strong>und</strong><br />
Rehabilitationsmaßnahmen mit einer Auswertung durch das Kraftfahrt-<strong>B<strong>und</strong></strong>esamt.<br />
Durch ein solch verbindliches Verfahren wären die Unabhängigkeit <strong>und</strong> Objektivität gewährleistet,<br />
die Vergleichbarkeit der Ergebnisse sichergestellt, das Vertrauen Dritter in die<br />
Ergebnisse zu erwarten, <strong>und</strong> Konsequenzen möglich, wie z. B. eine empirisch f<strong>und</strong>ierte<br />
Weiterentwicklung des Systems, der einzelnen diagnostischen bzw. edukativen, wiederherstellenden<br />
<strong>und</strong> therapeutischen Komponenten.<br />
Die Ergebnisse des BASt-Projekts wären bereits ein Schritt in diese Richtung <strong>und</strong> werden<br />
sicherlich die von MEYER [11] angemahnte Diskussion über das gesellschaftlich zu<br />
tolerierende Gefährdungspotenzial nicht nur in fachpolitischen Kreisen befördern <strong>und</strong><br />
möglicherweise zu entsprechenden politischen Vorgaben führen. Auch sind Konsequenzen<br />
für die Urteilsfindung innerhalb einer MPU <strong>und</strong> damit den Beurteilungsquoten – positiv<br />
wie negativ – zu erwarten. In der Folge würde sich zwangsläufig auch die Zusammensetzung<br />
der Kurse (negativ mit Kursempfehlung) zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung<br />
(§ 70 FeV) verändern.<br />
In den Anforderungen der Begutachtungsstelle Fahrerlaubniswesen an Träger von Kursen<br />
zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung bei der BASt 5 ) ist die Pflicht zur ständigen<br />
Weiterentwicklung der Kursprogramme festgelegt. Die Autoren des Kursprogramms<br />
sind dem nachgekommen, die Weiterentwicklung wurde 2008 mit der 5. Auflage des Kursleiterhandbuches<br />
abgeschlossen [2] <strong>und</strong> der damaligen Akkreditierungsstelle Fahrerlaubniswesen<br />
zur Begutachtung vorgelegt, welche die Änderungen als erfolgversprechend bewertet<br />
hat. Die Evaluationsergebnisse für das weiterentwickelte Kursprogramm IFT<br />
werden bis Ende 2013 vorgelegt werden.<br />
391<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
392<br />
Zusammenfassung<br />
Die erfolgreiche Teilnahme an einem Kurs zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung ist eine erprobte <strong>und</strong><br />
bewährte Maßnahme für Fahrerlaubnisbehörden, ohne erneute Begutachtung der Kraftfahreignung eine Fahrerlaubnis<br />
neu erteilen zu können. Voraussetzung dafür ist das Vertrauen in die Qualität der Maßnahme, u. a. durch<br />
Nachweis der Wirksamkeit. Nach Darstellung der Teilnehmerstruktur des Kursprogramms IFT für alkoholauffällige<br />
Kraftfahrer werden die Evaluationsergebnisse mitgeteilt: innerhalb eines dreijährigen Bewährungszeitraums<br />
sind 10 % der Teilnehmer erneut mit <strong>Alkohol</strong> <strong>im</strong> Straßenverkehr auffällig geworden. Dies sind deutlich<br />
weniger, als nach dem Referenzwert von 18,8 % zu erwarten gewesen wäre, was den Erfolg des Kursprogramms<br />
IFT belegt.<br />
Schlüsselwörter<br />
Kraftfahreignung – Kurse – alkoholauffällige Kraftfahrer – Evaluation – Legalbewährung – Rückfallquote –<br />
MPU<br />
Summary<br />
Participating successfully in a rehabilitation program to reestablish the fitness to drive is an approved, and established,<br />
measure for license authorities to be able to issue a new drivers license without another driver assessment<br />
(MPU). The gro<strong>und</strong>s are trust in the quality of the measure, as by evidence of the effectiveness. After describing<br />
the structure of participants of the program IFT for DWI-drivers, the results of the evaluation are presented: Within<br />
a three year probation t<strong>im</strong>eframe, 10 % of the participants have again been apparent in road traffic. This is distinctly<br />
less than what was to be expected by the reference figure of 18.8 %, which proves the effectiveness of this<br />
program.<br />
Keywords<br />
fitness to drive – rehabilitation programs – DWI – evaluation – criteria of quality – relapse rate – driver assessment<br />
(MPU)<br />
Literatur<br />
[1] BASt (2009) Evaluation der § 70-Kurse (Forschungsbericht Nr.4409002). Unter: www.bast.de<br />
[2] Brieler, P., Grunow, H.-P., Zentgraf, M. (2008) <strong>Alkohol</strong>trinken <strong>und</strong> Fahren – Verfahren zur Verhaltensänderung.<br />
IFT – Kursleitermanual (5. überarb. Aufl.). Hamburg: Institut für Schulungsmaßnahmen (unveröffentl.<br />
Ms)<br />
[3] DEKRA Akademie GmbH (Hrsg.) (2003) Kursleiterhandbuch IFT – Kurs zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung<br />
für alkoholauffällige Kraftfahrer. Autoren: Badorrek W, Berg M, Kollbach B, Kranich U, Mehlhorn<br />
L, Miecke T, Petersen W, Thurath U. Berlin: DEKRA Akademie GmbH (unveröffentl. Ms.)<br />
[4] Heinzmann, H.-J. (2009) Evaluation des Kursprogramms IFT – Abschlußbericht. Flensburg: KBA (unveröffentl.)<br />
[5] Hoffmann, H., Rompe, P., Schmidt, S. (2000) Expertengespräch zur Klärung von Fragen bezüglich der Ausführungen<br />
des § 70 FeV. Zeitschrift für Verkehrssicherheit, 46, 136–138<br />
[6] FeV (2008). Fahrerlaubnis-Verordnung. Kohlhammer<br />
[7] Jacobshagen, W., Nickel, W.-R. (2010) Bessere Wirksamkeitskontrollen von MPU <strong>und</strong> Kursen. Warum die<br />
Routinemitteilungen an das Verkehrszentralregister ergänzt werden müssen. Zeitschrift für Verkehrssicherheit<br />
(56), 74–78<br />
[8] Jacobshagen W, Utzelmann H-D (1996) Medizinisch-Psychologische Fahreignungsbegutachtungen bei<br />
alkoholauffälligen Fahrern <strong>und</strong> Fahrern mit hohem Punktestand. Forschungsberichte des Verbandes der<br />
Technischen Überwachungsvereine e.V. 178. Köln: Verlag TÜV Rheinland<br />
[9] KBA (2008) Jahresbericht 2007. Unter: www.kba.de<br />
[10] Knoche, A. (2009) Begutachtung der Fahreignung – 2008. Zeitschrift für Verkehrssicherheit, 55, 205/206<br />
[11] Meyer, H. (2010) Verkehrs-Intervention in Deutschland. Empirische Bef<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Zukunftsperspektiven.<br />
<strong>Blutalkohol</strong>, 47, 61–88<br />
[12] Schmidt, S., Pfafferott, I. (2002) Leitfaden zur Anerkennung von Kursen gemäß § 70 FeV. Zeitschrift für<br />
Verkehrssicherheit, 48, 134/135<br />
[13] Schubert, W., Mattern, R. (Hrsg.) (2009) Beurteilungskriterien – Urteilsbildung in der medizinisch-psycho-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Brieler/Zentgraf,<br />
Kurs zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung gem. § 70 FeV<br />
für alkoholauffällige Kraftfahrer: Programm IFT
logischen Fahreignungsdiagnostik (2. Aufl.). Bonn: Kirschbaum Verlag<br />
[14] Spoerer, E., Ruby, M. (1996) Zurück ans Steuer. Theorie <strong>und</strong> Praxis der Rehabilitation auffälliger Kraftfahrer.<br />
Braunschweig: Rot-Gelb-Grün (Faktor Mensch <strong>im</strong> Verkehr, Bd. 39)<br />
[15] Statistisches <strong>B<strong>und</strong></strong>esamt (2009) Statistisches Jahrbuch 2008. Unter: www.destatis.de<br />
[16] Winkler, W., Jacobshagen, W., Nickel, W.-R. (1988) Wirksamkeit von Kursen für wiederholt alkoholauffällige<br />
Kraftfahrer. BASt (Hrsg.), Unfall- <strong>und</strong> Sicherheitsforschung Straßenverkehr, H. 64. Bremerhaven:<br />
NW Wirtschaftsverlag<br />
[17] Winkler, W., Jacobshagen, W., Nickel, W.-R. (1990) Zur Langzeitwirkung von Kursen für wiederholt alkoholauffällige<br />
Kraftfahrer. <strong>Blutalkohol</strong>, 27, 154–174<br />
Fussnoten<br />
1 ) Modellversuch Begleitetes Fahren ab 17 Jahren – Bericht s. unter www.bast.de.<br />
2 ) eig. Berechnung aus ‚Bevölkerung 2007 nach Altersgruppen <strong>und</strong> Bildungsabschluss‘, Altersgruppe bis 60<br />
Jahre, Statistisches <strong>B<strong>und</strong></strong>esamt [13].<br />
3 ) a. a. O.<br />
4 ) In der Referenzstudie waren alle Teilnehmer mehrfach auffällig, bei IFT mit durchschnittlich 2,3 Bestrafungen<br />
wegen Trunkenheit am Steuer ([17], 19 f.).<br />
5 ) s. unter www.bast.de.<br />
6 ) Mitteilung AFN e.V., aufgr<strong>und</strong> Heinzmann, H.-J. (2010) Evaluation des Kursprogramms IRaK – Abschlussbericht.<br />
Flensburg: KBA (unveröffentl.)<br />
Anschrift für die Verfasser<br />
Dr. Paul Brieler<br />
Institut für Schulungsmaßnahmen GmbH<br />
Baumeisterstr. 11<br />
20099 Hamburg<br />
E-Mail: brieler@ifs-seminare.de<br />
Brieler/Zentgraf,<br />
Kurs zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung gem. § 70 FeV<br />
für alkoholauffällige Kraftfahrer: Programm IFT<br />
The role of the drinking driver in traffic accidents<br />
(THE GRAND RAPIDS STUDY)<br />
R. F. Borkenstein<br />
R. F. Crowther, R. P. Shumate, W. B. Ziel, R. Zylman<br />
1974:<br />
Second Edition prepared especially for BLUTALKOHOL<br />
(Re-edited by R. F. Borkenstein)<br />
CENTER FOR STUDIES OF LAW IN ACTION<br />
DEPARTMENT OF FORENSIC STUDIES<br />
(formerly Department of Police Administration)<br />
INDIANA UNIVERSITY<br />
BLOOMINGTON, INDIANA U.S.A.<br />
132 pages, stitched, 14,33 €, US $ 20,–<br />
Steintor-Verlag GmbH, Grapengießerstraße 30, 23556 Lübeck,<br />
Postfach 32 48, 23581 Lübeck<br />
393<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
394 Zur Diskussion<br />
Beurteilungskriterien für die Begutachtung der körperlichen<br />
<strong>und</strong> geistigen Eignung von Kraftfahrzeugführern – „Rechtsgutachterliche<br />
Stellungnahme“ der Kanzlei Quaas <strong>und</strong> Partner<br />
Im Jahr 2005 wurden von der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie e.V.<br />
(DGVP) <strong>und</strong> der Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin e.V. (DGVM) die Beurteilungskriterien<br />
für die Begutachtung der körperlichen <strong>und</strong> geistigen Eignung von Kraftfahrzeugführern<br />
veröffentlicht. Die <strong>B<strong>und</strong></strong>esanstalt für Straßenwesen (BASt) übernahm<br />
diese <strong>im</strong> Jahr 2006 in die Anforderungen an Träger von Begutachtungsstellen für Fahreignung;<br />
seitdem finden die Beurteilungskriterien b<strong>und</strong>esweit Anwendung. Zwischenzeitlich<br />
erfolgte eine Überarbeitung <strong>und</strong> Publikation der Beurteilungskriterien in zweiter Auflage.<br />
Seit Anfang 2010 sollen sie verbindlich Anwendung finden.<br />
Aufgr<strong>und</strong> der Annahme, dass durch die Überarbeitung der Beurteilungskriterien insbesondere<br />
die sog. „cut-off-Werte“ deutlich gesenkt <strong>und</strong> darüber hinaus nur noch solche<br />
Labore zur Probenanalyse zugelassen sein würden, die der DIN ISO/IEC 17025 entsprechen,<br />
erarbeitete die Kanzlei QUAAS <strong>und</strong> Partner, hier: Rechtsanwalt DR. PETER SIEBEN,<br />
Stuttgart, <strong>im</strong> Auftrag von DR. MED. DR. RER. NAT. HANS-MICHAEL VAN DE LOO, Schwäbisch<br />
Gmünd, <strong>und</strong> DIPL. SOZ.-PÄD. MICHAEL HEMBERGER, Göppingen, eine rechtsgutachterliche<br />
Stellungnahme zu folgenden Fragen:<br />
1. Gibt es eine rechtliche Gr<strong>und</strong>lage dafür, die Beurteilungsrichtlinien verbindlich vorzuschreiben?<br />
2. Verstößt die Herabsetzung der cut-off-Werte mit der Folge falsch-positiver Ergebnisse<br />
<strong>gegen</strong> höherrangiges Recht?<br />
3. Verstößt die Regelung, dass nur noch Labore, die einen forensischen Chemiker beschäftigen,<br />
Untersuchungen <strong>im</strong> Rahmen der Eignungsprüfung durchführen können,<br />
<strong>gegen</strong> Art. 12 Gr<strong>und</strong>gesetz?<br />
Das Ergebnis der Stellungnahme lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass<br />
– es eine Ermächtigungsgr<strong>und</strong>lage für die BASt, die Beurteilungsrichtlinien für verbindlich<br />
zu erklären, nicht gebe;<br />
– die „Festsetzung derart geringer cut off-Werte … mit höherrangigem Recht unvereinbar“<br />
sei <strong>und</strong><br />
– in der eingeschränkten Zulassung von Laboren zur Probenanalyse ein nicht gerechtfertigter<br />
Eingriff in Art. 12 Abs. 1 Gr<strong>und</strong>gesetz liege.<br />
Das umfangreiche Rechtsgutachten <strong>im</strong> gesamten Wortlaut ist zu finden unter<br />
http://www.idiotentest-hilfe.de. Die zwischenzeitlich auf das Rechtsgutachten erfolgten<br />
Reaktionen sollen durch die Publikation verschiedener Stellungnahmen <strong>im</strong> Anschluss kurz<br />
skizziert werden.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Zur Diskussion<br />
Seiten 394–403<br />
Die Schriftleitung
Zur Diskussion<br />
Einleitende Ausführungen<br />
Nach Kenntnisnahme der Ausführungen der Rechtsanwälte PROF. DR. M. QUAAS et al.<br />
zu den die Medizin, Psychologie <strong>und</strong> Toxikologie betreffenden Themenkomplexen hat<br />
sich die ständige Arbeitsgruppe Beurteilungskriterien der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie<br />
(DGVP) <strong>und</strong> der Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin (DGVM)<br />
gemeinsam mit der Gesellschaft für toxikologische <strong>und</strong> forensische Chemie (GTFCh; Präsident<br />
PROF. DR. MUßHOFF) mit den gestellten Fragen <strong>und</strong> Problemen kritisch auseinandergesetzt.<br />
Die daraus <strong>und</strong> unter Berücksichtigung der Einbeziehung weiterer Wissenschaftler <strong>und</strong><br />
Praktiker verfassten Anmerkungen der DGVP <strong>und</strong> DGVM wurden den Länderministerien<br />
zur Verfügung gestellt <strong>und</strong> werden nun auch der Leserschaft der Fachzeitschrift BLUT-<br />
ALKOHOL zur Kenntnis gegeben.<br />
Die erweiterte <strong>und</strong> überarbeitete 2. Auflage der Beurteilungskriterien (2009, Kirschbaumverlag)<br />
entspricht dem Stand von Wissenschaft <strong>und</strong> Technik <strong>und</strong> richtet sich nach<br />
anerkannten wissenschaftlichen Gr<strong>und</strong>sätzen. Diese Einschätzung wird auch vom<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esministerium für Verkehr, Bau <strong>und</strong> Stadtentwicklung (BMVBS) sowie von der<br />
BASt geteilt. Damit haben die Betroffenen die Möglichkeit, sich mit den derzeit bestmöglichen<br />
in der Praxis anwendbaren Methoden – die man ihnen nicht vorenthalten darf – von<br />
den behördlichen Zweifeln an der Fahreignung zu entlasten.<br />
Der Stand von Wissenschaft <strong>und</strong> Technik kann folgendermaßen definiert werden<br />
(nach 1 )):<br />
Anerkannte Regeln für die Begutachtung der Kraftfahrereignung sind verkehrsmedizinische,<br />
verkehrspsychologische, toxikologische <strong>und</strong> technische Gr<strong>und</strong>sätze, die nach<br />
wissenschaftlichen Erkenntnissen als theoretisch richtig gelten, die sich in der Praxis<br />
über längere Zeit bewährt haben <strong>und</strong> von einschlägigen Fachkreisen allgemein anerkannt<br />
sind.<br />
Die Anerkennung der Beurteilungskriterien (BKs) in Fachkreisen lässt sich durch publizierte<br />
Rezensionen (z. B. KROJ 2 ); PRAGST 3 )) belegen; die Praxisbewährung wurde vor der<br />
Veröffentlichung durch thematisch bezogene Workshops <strong>im</strong> Rahmen der Symposien der<br />
Deutschen Fachgesellschaften für Verkehrsmedizin <strong>und</strong> für Verkehrspychologie sichergestellt.<br />
Alle Anwender waren <strong>und</strong> sind aufgefordert, Bedenken oder Schwierigkeiten zu<br />
benennen.<br />
1 ) Schubert, W. & Mattern, R. (2006) Criteria for the evaluation of future assessment models of physical and<br />
mental fitness of drivers. In: W.-R. Nickel & P. Sardi (Eds.) Fit to Drive 1st International Traffic Expert Congress<br />
Berlin from May 3rd – 5th 2006 – Tagungsband (p. 106 – 110). Bonn: Kirschbaum Verlag.<br />
2 ) Kroj Günter (2009): Bücher <strong>und</strong> Schriften: Urteilsbildung in der Medizinisch-Psychologischen Fahreignungsdiagnostik<br />
– Beurteilungskriterien. Zeitschrift für Verkehrssicherheit 2/2009 S 109–110).<br />
3 ) Pragst Fritz (2009): Buchbesprechung Urteilsbildung in der Medizinisch-Psychologischen Fahreignungsdiagnostik<br />
– Beurteilungskriterien. Toxichem Kr<strong>im</strong>tech 2009;76(3):256.<br />
395<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
396<br />
In diesem Zusammenhang soll nicht unerwähnt bleiben, dass der EuGH für Menschenrechte,<br />
5. Sektion, sich in einem Urteil (Aktenzeichen 77144/01, 35493/05) unter anderem<br />
mit den Fragen des Themenkomplexes des Artikel 2 Abs. 1 der Konvention befasst hat:<br />
„Das Recht jedes Menschen auf Leben wird gesetzlich geschützt.“<br />
Demnach ist jeder Staat verpflichtet, angemessene Maßnahmen zu treffen, um das<br />
Leben derjenigen zu schützen, die sich in seinem Hoheitsbereich befinden. Dies bedeutet,<br />
auf das Straßenverkehrsrecht angewendet, dass dem Schutz der Allgemeinheit vor ungeeigneten<br />
Kraftfahrern ein gesellschaftlich höherer Stellenwert beizumessen ist, als dem<br />
Recht auf individuelle automotive Mobilität.<br />
Die Anwendung der 2. Auflage der Beurteilungskriterien erfüllt die Forderung der Begutachtung<br />
nach dem Stand der Wissenschaft <strong>und</strong> versetzt die deutschen Fahrerlaubnisbehörden<br />
in die Lage, diese <strong>im</strong> Widerspruch stehenden Rechtsgüter auf einer wissenschaftlich<br />
gesicherten Gr<strong>und</strong>lage abzuwägen, um zu einer gerechten Entscheidung zu finden.<br />
Insofern leistet die konsequente Anwendung der 2. Auflage der Beurteilungskriterien<br />
einen wichtigen Beitrag zur Erhöhung der Qualität, der Transparenz, der Rechtssicherheit<br />
sowie der Rechtsgleichheit zur Verbesserung der Verkehrssicherheit.<br />
Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> stellt sich für den einzelnen Gutachter <strong>im</strong> Sinne der Einzelfallgerechtigkeit<br />
<strong>und</strong> der Entlastungsdiagnostik weniger die Frage der Rechtsverbindlichkeit<br />
der BKs, jedoch stets die Frage des Grades der „Verbindlichkeit“ der Kriterien.<br />
Selbstverständlich sollen die Kriterien für den einzelnen Gutachter verbindlich sein –<br />
<strong>und</strong> zwar <strong>im</strong> Sinne der regelmäßigen Anwendungsverpflichtung, solange nicht für den<br />
aktuell zu begutachtenden Einzelfall Anhaltspunkte für eine zu rechtfertigende Abweichung<br />
gegeben sind. Hat ein Gutachter jedoch gr<strong>und</strong>sätzliche Zweifel an der Anwendbarkeit<br />
über den Einzelfall hinaus, so sollte er versuchen, auf geeignetem Weg (nämlich über<br />
seine Begutachtungsstelle für Fahreignung <strong>und</strong> die medizinischen <strong>und</strong> psychologischen<br />
sowie toxikologischen Fachgesellschaften, die Berufsverbände, die Ärztekammern<br />
etc.) eine Änderung herbeizuführen.<br />
Die Kriterien haben nicht den Charakter eines Gesetzes bzw. einer Verordnung. Zutreffend<br />
heißt es <strong>im</strong> Geleitwort von Herrn PROF. DR. LÜTKE DALDRUP, BMVBS, zur 2. Auflage:<br />
„Die Beurteilungskriterien sind für die praktische Arbeit eine zuverlässige Orientierung<br />
<strong>und</strong> Hilfestellung bei der Bewertung <strong>und</strong> Beurteilung der Fahreignung“.<br />
Empfehlungen wissenschaftlicher Fachgesellschaften, etwa der Deutschen Ophthalmologischen<br />
Gesellschaft <strong>und</strong> des Berufsverbandes der Augenärzte Deutschlands zur Fahreignungsbegutachtung<br />
für den Straßenverkehr (3. Auflage 2003), entfalten gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
keine Gesetzes- oder Verordnungswirkung.<br />
Sie helfen aber, den Stand der Wissenschaft einem breiten Anwenderfeld zur Kenntnis<br />
zu bringen <strong>und</strong> Änderungen rechtzeitig wahrzunehmen. Die Fachgesellschaften übernehmen<br />
die Pflicht zur Weiterentwicklung <strong>und</strong> zur zeitnahen Verbreitung neuer Erkenntnisse,<br />
z. B. durch Informationsschreiben, aber auch durch öffentliche Symposien.<br />
Trotzdem werden Empfehlungen von Fachgesellschaften – hier unterliegen sie ähnlichen<br />
Einschränkungen wie Gesetze <strong>und</strong> Verordnungen – nicht jede Einzelfallgestaltung<br />
umfassend regeln können. Es bedarf der sachk<strong>und</strong>igen Anwendung <strong>und</strong> Interpretation<br />
durch erfahrene <strong>und</strong> fortgebildete Gutachter.<br />
In diesem Feld der Ermessensspielräume ist mit Interpretationsunterschieden zu rechnen,<br />
die – wenn nicht anders zu klären – nach rechtsstaatlichen Regeln zu entscheiden sind.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Zur Diskussion
Zur Diskussion<br />
Solche Fälle geben Anlass zur konstruktiven wissenschaftlichen Debatte. Als mögliche<br />
Folgen solcher Debatten kommen aus Sicht der DGVM <strong>und</strong> der DGVP – abgest<strong>im</strong>mt auf<br />
Symposien <strong>und</strong> in den Fachkreisen –, Anpassungen der Beurteilungskriterien in Betracht,<br />
die Weiter- oder Neuentwicklung von Methoden, vielleicht auch die wissenschaftlich begründete<br />
Anerkennung, dass eine Entscheidung nach dem Stand der Erkenntnis nicht möglich<br />
ist.<br />
PROF. DR. MED. RAINER MATTERN PROF. DR. RER.NAT. WOLFGANG SCHUBERT<br />
Vizepräsident der DGVM 1. Vorsitzender der DGVP<br />
Anmerkungen der DGVP <strong>und</strong> DGVM<br />
– Ständiger Arbeitskreis Beurteilungskriterien –<br />
Die o. g. Stellungnahme kommt zu weitreichenden Schlussfolgerungen hinsichtlich der<br />
Verbindlichkeit <strong>und</strong> der Rechtmäßigkeit der von den Fachgesellschaften „Deutsche Gesellschaft<br />
für Verkehrspsychologie (DGVP)“ <strong>und</strong> „Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin<br />
(DGVM)“ herausgegebenen Beurteilungskriterien 1 ). Der Ständige Arbeitskreis Beurteilungskriterien<br />
(StAB) hat die Stellungnahme fachlich geprüft <strong>und</strong> sieht sich<br />
veranlasst, <strong>im</strong> Folgenden einige klärende Anmerkungen dazu auszuführen.<br />
Zwar kann von Seiten des StAB keine juristische Wertung der Stellungnahme erfolgen,<br />
es ist jedoch festzustellen, dass die Rechtsgutachter von einer in weiten Teilen falschen<br />
Sachverhaltsschilderung (<strong>im</strong> Gutachten zitierte Angaben der Aufraggeber, Herrn Laborarzt<br />
DR. DR. VAN DE LOO <strong>und</strong> Herrn DIPL. SOZ.-PÄD. M. HEMBERGER) ausgehen <strong>und</strong><br />
mithin nicht zu zutreffenden Schlussfolgerungen gelangen konnten.<br />
Zu den drei „Gutachtenfragen“<br />
1.) Die erste Gutachtenfrage prüft die Rechtsgr<strong>und</strong>lagen für die Verbindlichkeit der Beurteilungskriterien.<br />
Hierzu kann der StAB, der sich aus Medizinern, Toxikologen <strong>und</strong><br />
Psychologen zusammensetzt, keine differenzierte <strong>und</strong> fachlich f<strong>und</strong>ierte Stellungnahme<br />
abgeben. Es entsteht jedoch der Eindruck, dass die Funktion der Beurteilungskriterien <strong>im</strong><br />
Rahmen der Fahreignungsbegutachtung nicht hinreichend bekannt war. Nach Anlage 15<br />
zu § 11 FeV Nr. 1 c) darf „die Untersuchung nur nach anerkannten wissenschaftlichen<br />
Gr<strong>und</strong>sätzen vorgenommen werden.“ Solche Gr<strong>und</strong>sätze entziehen sich einem formalen<br />
Akt der Anerkennung <strong>und</strong> stellen vielmehr den Konsens der in einem Fachgebiet tätigen<br />
Wissenschaftler <strong>und</strong> Spezialisten über den jeweiligen Erkenntnisstand dar. Es ist die Aufgabe<br />
der Beurteilungskriterien, eben diesen „Stand der Wissenschaft“ zusammenzutragen<br />
<strong>und</strong> den Gutachtern leicht zugänglich zu machen. Die Anforderungen an einen als Abstinenzkontrolle<br />
verwertbaren Laborbef<strong>und</strong> sind also keine direkten Anforderungen an Labore,<br />
sondern Prüfkriterien für Gutachter, die über die Verwertbarkeit von vorgelegten Attesten<br />
entscheiden müssen.<br />
1 ) Schubert, W. & Mattern, R. (2009) Urteilsbildung in der medizinisch-psychologischen Eignungsdiagnostik –<br />
Beurteilungskriterien. Erweiterte <strong>und</strong> überarbeitete 2. Auflage. Bonn: Kirschbaum-Verlag.<br />
397<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
398<br />
2.) Anders als in der 2. Gutachtenfrage angenommen, wurden die Cut-off-Werte in den<br />
Beurteilungskriterien nicht gesenkt, vielmehr gab es bisher für die Durchführung von Abstinenzkontrollen<br />
gar keine verbindlichen Werte. Jedes Labor hat nach eigenem Gefallen<br />
gearbeitet, was zu einer erheblichen Problematik hinsichtlich der Gleichbehandlung Betroffener<br />
geführt hatte. Cut-off-Werte wurden bisher auch allenfalls bei <strong>im</strong>munchemischen<br />
Verfahren eingesetzt <strong>und</strong> ein Vergleich der Werte, die verschiedenste Labore verwendet<br />
hatten <strong>und</strong> die von den Begutachtungsstellen bewertet werden mussten, hat erhebliche<br />
Unterschiede in der täglichen Praxis aufgewiesen.<br />
In den Richtlinien der Fachgesellschaft (GTFCh) heißt es:<br />
„Die von den Herstellern <strong>im</strong>munchemischer Tests vorgeschlagenen Cut-off-Werte sind<br />
… für forensische Untersuchungen häufig zu hoch gewählt. Prinzipiell ist es aus wissenschaftlicher<br />
Sicht nicht möglich, für <strong>im</strong>munchemische Methoden generell feste Cutoff-Werte<br />
vorzugeben, da diese stark vom verwendeten Test <strong>und</strong> dem entsprechenden<br />
Antikörper bzw. den Kreuzreaktivitäten strukturverwandter Substanzen abhängen.<br />
Jedes Labor muss prüfen, ob die verwendeten Cut-off-Werte <strong>im</strong>munchemischer Verfahren<br />
für die Differenzierung ,positiv‘ versus ,negativ‘ adäquat gewählt sind: Authentische<br />
Proben mit Analytkonzentrationen an der forensisch erforderlichen Grenze des<br />
identifizierenden, chromatographischen Verfahrens in der jeweiligen Matrix sollten <strong>im</strong><br />
<strong>im</strong>munchemischen Vortestverfahren ein positives Ergebnis anzeigen.“<br />
Werden Immunoassays als „hinweisgebende“ Verfahren eingesetzt, müssen sie den forensischen<br />
Anforderungen hinsichtlich eines positiven Bef<strong>und</strong>es bei Anwesenheit eines Analyten<br />
in der Probe erfüllen. Es sind also Analytkonzentrationen festzusetzen, die bei Verwendung<br />
eines chromatographischen Verfahrens dann quasi als Ahndungsgrenzen verwendet werden.<br />
Dies ist endlich erstmals in der 2. Auflage der Beurteilungskriterien erfolgt, die damit den<br />
Stand der Wissenschaft wiedergibt <strong>und</strong> zu einer Gleichbehandlung Betroffener führt.<br />
Erste Erfahrungen nach wenigen Monaten mit der neuen Vorgehensweise haben zu folgenden<br />
Beobachtungen geführt:<br />
a) Die Anzahl positiver Amphetaminbef<strong>und</strong>e hat sich erheblich gesteigert, da endlich ein<br />
Nachweisfenster von 3 Tagen überschaut werden kann. Die Inzidenz positiver Fälle<br />
gleicht sich nun der Inzidenz des tatsächlichen Konsums von Amphetaminen an.<br />
b) Für Cocain(metabolite) werden noch außergewöhnlich viele positive Bef<strong>und</strong>e bis zu<br />
ca. 20 ng/ml Benzoylecgonin beobachtet, so dass sogar noch eine Herabsetzung der<br />
Nachweisgrenze diskutiert wird.<br />
c) Bzgl. THC-COOH wird ebenfalls eine Herabsetzung auf 5 ng/ml diskutiert.<br />
d) Bei allen anderen Mitteln sind deutlich mehr positive Bef<strong>und</strong>e zu verzeichnen, da<br />
endlich ein Abstinenznachweis zumindest für ca. 3 Tage erfolgt.<br />
Nur in absoluten Einzelfällen wäre ein Nachweis von THC-COOH bei chronischen Konsumenten<br />
über Wochen zu erwarten. Gerade bei THC-COOH merken derzeit viele Labore<br />
an, dass sie bisher sogar mit niedrigeren Nachweisgrenzen <strong>im</strong> Urin gearbeitet haben <strong>und</strong> es<br />
wird – wie schon erwähnt – der Wunsch geäußert, die Grenze auf 5 ng/ml herabzusenken.<br />
3.) Auch der 3. Gutachtenfrage liegt eine falsche Information zugr<strong>und</strong>e. Die Aussage,<br />
dass Voraussetzung für eine Akkreditierung die Beschäftigung eines forensischen Toxikologen<br />
sei, ist unzutreffend <strong>und</strong> fehlerhaft aus den Beurteilungskriterien zitiert. Es wird<br />
lediglich gefordert, dass der leitende Arzt oder Naturwissenschaftler eine entsprechende<br />
Weiterbildung <strong>im</strong> Bereich Forensik aufweist <strong>und</strong> es gibt zahlreiche Beispiele für akkreditierte<br />
Laboratorien, in denen kein Fachtitelträger tätig ist. In CTU 3 (Kriterium 3 zur Be-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Zur Diskussion
Zur Diskussion<br />
wertung chemisch-toxikologischer Untersuchungen) Abs. 1 (S. 176/177 der BK) ist „von<br />
einem verantwortlichen Arzt oder Naturwissenschaftler mit forensisch-toxikologischer<br />
Erfahrung <strong>und</strong> Weiterbildung“ die Rede. Es wird weiter ausgeführt, dass die Voraussetzungen<br />
bei einem Fachtitelträger per se erfüllt sind, ein Fachtitel wird aber nicht gefordert.<br />
Insofern sind die Ausführungen zur Ausbildungsdauer <strong>im</strong> Rechtsgutachten obsolet. Dass<br />
eine entsprechende einschlägige Weiterbildung erforderlich ist, sollte in Anbetracht allgemeiner<br />
Qualitätssicherungsmaßnahmen selbstverständlich sein.<br />
Zu den Ausführungen zur Analytik als Gr<strong>und</strong>lage der Stellungnahme<br />
(S. 3 ff. des Rechtsgutachtens)<br />
Nicht nachvollziehbar ist die Ausführung, dass man „quantitative“ Immunoassays<br />
durchführe. Aufgr<strong>und</strong> von Kreuzreaktivitäten zu verschiedenen Wirkstoffen <strong>und</strong> Metaboliten<br />
ist dieses per se nicht machbar. Tests der Firma Abbott spielen seit Jahren <strong>im</strong> Bereich<br />
der forensisch-toxikologischen Analytik nur noch eine untergeordnete bis keine Rolle, da<br />
sie für klinische Fragestellungen (akute Intoxikationen mit hohen Substanzkonzentrationen)<br />
konzipiert sind, nicht aber für Abstinenzuntersuchungen mit erwünschten Nachweisfenstern<br />
von 2–3 Tagen.<br />
Ad 1.): Es wurde kein Cut-off von 50 ng/ml für einen Benzodiazepin-IA (Immuno-<br />
Assay) „festgelegt“, hier fehlt wieder ein entsprechendes Verständnis. Es geht darum, bei<br />
einer Anwesenheit definierter Benzodiazepine ≥ 50 ng/ml (ermittelt per Chromatographie-Verfahren)<br />
auch sicher einen positiven Bef<strong>und</strong> <strong>im</strong> IA zu erhalten. Schwellenwerte für<br />
Immuno-Assays werden in den Beurteilungskriterien an keiner Stelle aufgeführt (vgl.<br />
hierzu CTU 3, Indikator 5 i. V. m. Indikator 6, S. 177).<br />
Mittlerweile sind aber auch Immunoassays verfügbar, die den Anforderungen entsprechen.<br />
Bei einer hinreichenden Weiterbildung <strong>und</strong> einem Einholen von aktuellen Informationen<br />
sollte dies bekannt sein. Zudem geht der Trend dahin, keine Immunoassays mehr<br />
durchzuführen, sondern z. T. mit einer einzigen chromatographischen Analysenmethode<br />
alle Analyte abzudecken. In den letzten 20 Jahren hat sich viel getan auf dem Analysensektor<br />
<strong>und</strong> mit der Einführung moderner Methoden nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft<br />
sind die aktuellen Anforderungen nach den BKs ohne Probleme zu erfüllen.<br />
Ad 2.): Kontrollen können ohne weiteres verdünnt gemessen werden, zudem haben Hersteller<br />
auf die Umstellung reagiert <strong>und</strong> erste Kontrollen sind verfügbar.<br />
Ad 3.): Hier sind wir wieder bei der Problematik, dass Ringversuche für die Klinische<br />
Chemie <strong>und</strong> vom Institut Instand an klinische Fragestellungen (Intoxikation), nicht aber an<br />
forensischen ausgerichtet sind. Ein forensisch-toxikologisch tätiges Labor muss entsprechend<br />
andere <strong>und</strong> ggf. höhere Anforderungen erfüllen.<br />
Ad 4.): Entnahme unter Aufsicht: Hier können Bedenken z. T. geteilt werden, wenngleich<br />
eine kurzfristige Einbestellung <strong>und</strong> eine Abnahme unter Sichtkontrolle unumgänglich<br />
sind. Der StAB wird allerdings vorschlagen, den Kreis der für die Probennahme in<br />
Frage kommender Personen aus Praktikabilitätsgründen zu erweitern. Schon heute werden<br />
nachvollziehbar dokumentierte Alternativen akzeptiert, wenn sie von den Begutachtungsstellen<br />
als ausreichend erachtet werden.<br />
Zu den Ausführung <strong>im</strong> Abschnitt III – Absenkung Cut-off-Werte<br />
(S. 7 des Rechtsgutachtens)<br />
Der niedrige Cut-off-Wert für Ethyl-Glucuranid (EtG) gilt nur für Probanden innerhalb<br />
eines vereinbarten Programmes, die über mögliche Interferenzen aufgeklärt sind (gleiches<br />
399<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
400<br />
gilt für <strong>Drogen</strong>konsumenten bzgl. Hanfprodukte oder Mohn). Positive Amphetaminbef<strong>und</strong>e<br />
durch Arzne<strong>im</strong>ittel sind eine absolute Rarität <strong>und</strong> werden <strong>im</strong> Rahmen einer Anamnese<br />
abgeklärt. Für Diazepam (was sind Diazepame?) gibt es keine anderen Quellen als entsprechende<br />
Arzne<strong>im</strong>ittel selbst.<br />
Zu den Ausführungen in Abschnitt IV – weitere fachliche Einwände<br />
<strong>gegen</strong> die Beurteilungskriterien (S. 8 ff. des Rechtsgutachtens)<br />
Die zeitlichen Fristen für die Postzustellung können in der Tat ein Problem sein, über das<br />
ggf. noch zu diskutieren ist. Einige Untersuchungsstellen haben komplett auf telefonische<br />
Einbestellung umgestellt, was problemlos funktioniert.<br />
CDT (Carbohydrate Deficient Transferrin, eine Variante des Glycoproteins Transferrin) <strong>und</strong><br />
Leberwerte sind eher Langzeitmarker <strong>und</strong> Missbrauchsindikatoren. Sie weisen zudem eine<br />
schlechte Sensitivität <strong>und</strong> Spezifität auf, weshalb sie als Abstinenzkontrollen nur ausnahmsweise<br />
geeignet sind (z. B. Verlaufskontrollen bei erhöhtem Wert <strong>im</strong> Tatzeitserum <strong>und</strong> Normalisierung<br />
in der Kontrollphase). EtG-Teste entsprechen dem aktuellen Stand der Wissenschaft.<br />
Bzgl. der Kosten hat sich durch Aufbau moderner Analysenmethoden <strong>und</strong> Automatisierung<br />
durch die Definition der Nachweisgrenzen <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>ene Laboranalytik<br />
allenfalls eine geringe Kostenerhöhung, angepasst an die allgemeine Kostenentwicklung,<br />
ergeben. Zu berücksichtigen ist aber auch der logistische Aufwand bzgl. der unvorhersehbaren<br />
Einbestellung.<br />
Methadon ist in den Standardumfang des polytoxikologischen <strong>Drogen</strong>screenings aufgenommen<br />
worden, da es sich um ein Betäubungsmittel (BtM) handelt, das seit Jahren <strong>im</strong><br />
großen Umfang auf dem Schwarzmarkt vertrieben wird. Der StAB wird jedoch die Ergebnisse<br />
von Stichprobenuntersuchungen von Abstinenzkontrollen dahingehend bewerten, in<br />
welchem Umfang ein polytoxikologisches Konsumverhalten wahrscheinlich <strong>und</strong> damit zu<br />
berücksichtigen ist. Diesem Umstand wurde bereits jetzt durch die Definition verschiedener<br />
Untersuchungsumfänge abhängig von der Vorgeschichte Rechnung getragen.<br />
Probennahmen zur Abstinenzkontrolle können nicht bei <strong>im</strong> Vorfeld vereinbarten Arztterminen<br />
erfolgen, da auch bei Verwendung moderner Analysenmethoden allenfalls Nachweisfenster<br />
von bis zu 3 Tagen bestehen. Bei einer Vorwarnung wäre wohl kein positiver<br />
Bef<strong>und</strong> mehr zu erwarten, Kontrollen wären nicht mehr aussagekräftig <strong>und</strong> überflüssig.<br />
Betroffene Antragsteller hätten damit keine Möglichkeit mehr, ihre <strong>Drogen</strong>freiheit zu belegen<br />
<strong>und</strong> Eignungszweifel auszuräumen.<br />
Bzgl. der Frage der angesprochenen Akkreditierung sei darauf verwiesen, dass die DIN<br />
EN ISO 15189 nur für Laboratorien gilt, die (humane) Untersuchungen für diagnostische<br />
Zwecke durchführen. Entsprechendes ist genau in der DIN EN ISO 15189 festgelegt.<br />
Daher haben sich alle Akkreditierungsstellen in Europa darauf verständigt, dass nur „medizinische“<br />
Laboratorien nach ISO 15189 akkreditiert werden (können). Forensische Laboratorien<br />
hin<strong>gegen</strong> können nur nach DIN EN ISO/IEC 17025 akkreditiert werden. Eine<br />
Akkreditierung nach ISO 15189 kann deshalb nicht für forensische Zwecke anerkannt<br />
werden. Auch von Seiten der EU steht wohl ein entsprechender Rahmenbeschluss vor der<br />
Verabschiedung.<br />
Unter Ziffer 8 <strong>und</strong> 9 des Abschnitts IV werden weitere Ausführungen zur diagnostischen<br />
Einordnung von <strong>Alkohol</strong>konsummustern <strong>und</strong> <strong>Drogen</strong>gefährdung gemacht, die jedoch<br />
nicht erkennbar zur rechtlichen Würdigung in der Stellungnahme beigetragen haben. Deshalb<br />
soll an dieser Stelle auch nicht differenziert darauf eingegangen werden.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Zur Diskussion
Fazit<br />
Zusammengefasst kommt der StAB zu der Auffassung, dass es gerade durch die vorliegende<br />
„Rechtsgutachterliche Stellungnahme“ deutlich wird, wie unzureichend der Kenntnis-<br />
<strong>und</strong> Informationsstand einiger <strong>im</strong> System der Fahreignungsdiagnostik <strong>und</strong> der Vorbereitung<br />
tätiger Kollegen ist <strong>und</strong> wie sehr es einer Weiterbildung bedarf. In Anbetracht der<br />
Folgen für Betroffene ist eine qualifizierte Laborleitung (forensisch-toxikologische Erfahrung)<br />
demnach offensichtlich unverzichtbar.<br />
DIPL.-PSYCH. JÜRGEN BRENNER-HARTMANN<br />
Federführender StAB<br />
Zur Diskussion<br />
PROF. DR. RAINER MATTERN PROF. DR. WOLFGANG SCHUBERT<br />
Vizepräsident DGVM 1. Vorsitzender DGVP<br />
Rechtliche Qualität <strong>und</strong> Verbindlichkeit der Beurteilungskriterien<br />
Für die juristische Bewertung der <strong>im</strong> Rechtsgutachten von DR. SIEBEN aufgeworfenen<br />
drei Fragen ist eine korrekte juristische Einstufung der Beurteilungskriterien <strong>im</strong> Normgefüge<br />
des Rechtsstaates <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik Deutschland unverzichtbar.<br />
Bei den Beurteilungskriterien 1 ), die nach ihrer Zielsetzung der Urteilsbildung in der medizinisch-psychologischen<br />
Fahreignungsdiagnostik dienen, ist es müßig, zunächst einmal<br />
– wie aber <strong>im</strong> Gutachten geschehen – festzustellen, dass es sich bei diesen Normen weder<br />
um ein Gesetz, noch um eine Satzung oder Rechtsverordnung handelt.<br />
Ersichtlich wurden die Beurteilungskriterien von einem „Arbeitskreis Beurteilungskriterien“<br />
erarbeitet, der sich aus Experten des Fachausschusses Medizinisch-Psychologische<br />
Untersuchung (MPU) des Vereins der Technischen Überwachungsvereine (VdTÜV)<br />
sowie der organisierten Träger der Begutachtungsstellen für Fahreignung (u. a. DEKRA)<br />
zusammensetzt 2 ). Somit kann es sich, da die Organqualität dieses Expertengremiums fehlt,<br />
weder um eine Satzung, noch gar um eine Rechtsverordnung oder um ein Gesetz handeln.<br />
Bei einer juristisch korrekten Klassifizierung der Beurteilungskriterien hilft eine Entscheidung<br />
des <strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgerichts (BVerfG) aus dem Jahr 1998, in dem das<br />
BVerfG u. a. auch Stellung zur Rechtsqualität von DIN-Normen bezog 3 ). In dieser Entscheidung<br />
erkannte das BVerfG für die angesprochenen Bereiche die „<strong>im</strong> technischen Sicherheits-,<br />
Bauordnungs- <strong>und</strong> Umweltrecht praktizierte Regelungstechnik [an], durch<br />
amtliche Einführung unter bloßem Verweis auf die F<strong>und</strong>stelle klarzustellen, welche technischen<br />
Regeln die jeweilige Generalklausel ausfüllen“ 4 ).<br />
1 ) So auch der einschlägige Untertitel der Publikation, vgl. dazu näher Schubert, Wolfgang/Mattern, Rainer<br />
(Hrsg.), Beurteilungskriterien, 2. Aufl., Bonn 2009.<br />
2 ) Schubert, Wolfgang/Mattern, Rainer (Hrsg.), Beurteilungskriterien, S. 11.<br />
3 ) Beschluss des BVerfG vom 29. 07. 1998, Az. 1 BvR 1143/90, Abs. 1–46.<br />
4 ) Beschluss des BVerfG, a. a. O., Abs. 44.<br />
401<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
402<br />
Diese Regelungssystematik der Erklärung einer Allgemeinverbindlichkeit von durch<br />
Expertenkreise erarbeiteten Handlungsgr<strong>und</strong>lagen ist übertragbar auf andere Bereiche, in<br />
denen auf der Gr<strong>und</strong>lage allgemein anerkannter Regeln der Technik praktisch gearbeitet<br />
wird. Für den technischen Bereich stellte das BVerfG fest, dass solcherart „amtlich eingeführte<br />
technische Baubest<strong>im</strong>mungen mindestens als Beweislastregel zugunsten des sich<br />
auf sie berufenen Bürgers wirken“ 5 ).<br />
Mit keiner Silbe stellt das BVerfG diesen Regelungsmechanismus in Frage, fordert allerdings,<br />
dass sich diese technischen Regelungswerke einer gesetzlichen Generalklausel<br />
unterordnen. Als mögliche Generalklauseln zieht der Gutachter DR. SIEBER die §§ 11, 13<br />
<strong>und</strong> 14 FeV heran.<br />
Allerdings sollte bei dieser wichtigen Frage schon die einschlägige gesetzliche Gr<strong>und</strong>lage<br />
herangezogen werden, die zunächst in der Verordnungsermächtigung des § 6 Abs. 1<br />
Nr. 1 Buchst. c StVG zu finden ist, wonach das <strong>B<strong>und</strong></strong>esministerium für Verkehr, Bau <strong>und</strong><br />
Stadtentwicklung dazu ermächtigt wird, mit Zust<strong>im</strong>mung des <strong>B<strong>und</strong></strong>esrates eine Rechtsverordnung<br />
u. a. „zur Beurteilung der Eignung durch Gutachten“ zu erlassen. Diese Verordnung<br />
ist in Form der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) erlassen worden <strong>und</strong> in dem Verfahren<br />
der Begutachtung der Fahreignung in den §§ 11 bis 14 FeV umgesetzt worden.<br />
Das gesetzliche Erfordernis der Qualifikation von „Stellen oder Personen, die die Eignung<br />
oder Befähigung zur Teilnahme am Straßenverkehr … beurteilen oder prüfen“ ergibt<br />
sich aus dem Rechtsinstitut der gesetzlichen oder amtlichen Anerkennung oder Beauftragung<br />
gem. § 2 Abs. 13 Satz 1 StVG. Die Umsetzung dieser gesetzlichen Gr<strong>und</strong>lage erfolgt<br />
durch die Vorschrift des § 66 FeV.<br />
Zu Recht verortet DR. SIEBER in seinem Gutachten die juristische Gr<strong>und</strong>lage für die<br />
Durchführung der ärztlichen <strong>und</strong> der medizinisch-psychologischen Untersuchung in § 11<br />
Abs. 5 FeV, der auf die Anlage 15 zur FeV verweist, in der die allgemeinen Gr<strong>und</strong>sätze für<br />
die Durchführung der Untersuchungen <strong>und</strong> die Erstellung der Gutachten geregelt werden<br />
6 ). Die Anlage 15 zur FeV ist jedoch ersichtlich nicht als vollständige Arbeitsgr<strong>und</strong>lage<br />
für die Begutachtung von Personen durch die Begutachtungsstellen für Fahreignung gedacht<br />
<strong>und</strong> konzipiert worden. Sie enthält vielmehr lediglich deren „Gr<strong>und</strong>sätze“ 7 ) <strong>und</strong> ist<br />
deshalb als alleinige Quelle der Begutachtung unbrauchbar <strong>und</strong> vor diesem Hintergr<strong>und</strong><br />
ausfüllungsbedürftig. Der Gutachter DR. SIEBER verschweigt in seinem Gutachten, dass<br />
die Anlage 15 in ihrer Nr. 1 Buchst. c formuliert: „Die Untersuchung darf nur nach anerkannten<br />
wissenschaftlichen Gr<strong>und</strong>sätzen vorgenommen werden.“ Dadurch werden für die<br />
ärztliche <strong>und</strong> die medizinisch-psychologische Untersuchung anerkannte wissenschaftliche<br />
Untersuchungsgr<strong>und</strong>sätze verbindlich gefordert. Diese Forderung zerfällt in die beiden<br />
Teile „wissenschaftliche Untersuchungsgr<strong>und</strong>sätze“ sowie „anerkannt“.<br />
Um nichts anderes als derartige von den o. g. Experten erarbeitete wissenschaftliche<br />
Untersuchungsgr<strong>und</strong>sätze handelt es sich bei den Beurteilungskriterien, deren Anerkennung<br />
durch die <strong>B<strong>und</strong></strong>esanstalt für Straßenwesen als berufener Behörde mit dem von dem<br />
Leiter der Akkreditierungsstelle der BASt an alle Träger amtlich anerkannter Begutachtungsstellen<br />
für Fahreignung versandten Schreiben vom 20. 05. 2005 (Az. U5-f-bff) als<br />
„normatives Dokument“ zum Zwecke der Vereinheitlichung der Begutachtung der körperlichen<br />
<strong>und</strong> geistigen Eignung in Deutschland erfolgt ist.<br />
5 ) Beschluss des BVerfG, a. a.O., Abs. 43.<br />
6 ) BGBl. 1998 Teil I, S. 2292 f.<br />
7 ) Anlage 15 zur FeV Nr. 1 erster Halbsatz.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Zur Diskussion
Zur Diskussion<br />
Diese Beurteilungskriterien sind <strong>im</strong> Übrigen eine vergleichbare anerkannte wissenschaftliche<br />
Arbeitsgr<strong>und</strong>lage wie die von der Gesellschaft für Toxikologische <strong>und</strong> Forensische<br />
Chemie (GTFCh) erarbeiteten „Richtlinien der GTFCh zur Qualitätssicherung bei<br />
forensisch-toxikologischen Untersuchungen“, die von dem Gutachter DR. SIEBER, bei konsequenter<br />
Argumentation ebenfalls hätten hinterfragt werden müssen, weil diese von den<br />
Fachwissenschaftlern ebenfalls regelmäßig dem jeweiligen Stand der Wissenschaft angeglichen<br />
werden 8 ).<br />
Mit diesen beiden Schritten wurde ein wie oben gezeigter gesetzlich abzuleitender <strong>und</strong><br />
<strong>im</strong> Rahmen der FeV ausformulierter Auftrag umgesetzt.<br />
Wenn aber anerkannte wissenschaftliche Gr<strong>und</strong>sätze existieren, so darf den Fachwissenschaftlern<br />
keineswegs die Kompetenz abgesprochen werden, bei Vorliegen neuester<br />
wissenschaftlicher Erkenntnisse ihre Arbeitsgr<strong>und</strong>lage zu reformieren wie dies ganz konkret<br />
mittels der Herabsetzung der Cut-off-Werte geschehen ist. Die vorgenommene Veränderung<br />
ist daher juristisch gedeckt <strong>und</strong> greift allein durch das Vorhandensein neuer Untersuchungsparameter<br />
nicht in unzulässiger Form in die Gr<strong>und</strong>rechte der zu begutachtenden<br />
Personen ein.<br />
Bei der <strong>im</strong> Gutachten von DR. SIEBER weiterhin aufgeworfenen Frage einer Eignung niedrigerer<br />
Cut-off-Werte für das Ziel der Feststellung der Fahreignung handelt es sich ersichtlich<br />
um eine medizinisch-psychologische Fragestellung mit einer toxikologischen<br />
Komponente, die ohne eine fachk<strong>und</strong>ige Beratung durch Mediziner, Psychologen <strong>und</strong> Toxikologen<br />
einer juristischen Bewertung nicht zugänglich ist. Ein Eingriff in das Gr<strong>und</strong>recht<br />
auf Allgemeine Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 Gr<strong>und</strong>gesetz ist daher ohne genaueste<br />
Hintergr<strong>und</strong>informationen nicht erkennbar. Eine Unvereinbarkeit der Herabsetzung<br />
von Cut-off-Werten mit höherrangigem Recht lässt sich vor diesem Hintergr<strong>und</strong><br />
nicht verifizierbar behaupten.<br />
Die Zulassung von ausschließlich denjenigen Laboren zur Probenanalyse, die nach DIN<br />
ISO/IEC 17025 zugelassen sind <strong>und</strong> einen forensischen Toxikologen beschäftigen, folgt<br />
der spezielleren Arbeitsgr<strong>und</strong>lage der Richtlinien der GTFCh zur Qualitätssicherung bei<br />
forensisch-toxikologischen Untersuchungen unter II. A. 1., wo in dem Kapitel „Personelle<br />
Voraussetzungen“ das Vorhandensein eines Forensischen Toxikologen als Qualitätsmerkmal<br />
der Qualitätssicherung toxikologischer Untersuchungen gefordert wird. Ein Eingriff<br />
in die Berufsfreiheit oder Berufsausübungsfreiheit von Laboren gem. Art. 12 Abs. 1 GG ist<br />
vor diesem Hintergr<strong>und</strong> nicht erkennbar.<br />
403<br />
PROF. DR. JUR. DIETER MÜLLER<br />
Hochschule der Sächsischen Polizei (FH), Rothenburg<br />
8 ) Vgl. dazu näher die Website der GTFCh unter http://www.gtfch.org/cms/index.php/mitteilungen/287-aktualisierung-<strong>und</strong>-renovierung-von-richtlinien.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
404 Zur Information<br />
89. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin<br />
– Kurzbericht –<br />
Die 89. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin hat dieses Jahr, ausgerichtet<br />
von PROF. TSOKOS <strong>und</strong> seinen Mitarbeitern, vom 22. bis 25. September 2010 in<br />
Berlin stattgef<strong>und</strong>en. Tagungsort war das Langenbeck-Virchow-Haus <strong>im</strong> Bereich der traditionsreichen<br />
Charité, passend zu der langen Tradition herausragender Berliner Rechtsmediziner,<br />
allein in jüngerer Zeit, z. B. PROKOP, GESERICK oder V. SCHNEIDER.<br />
Kurz angesprochen werden sollen <strong>im</strong> Folgenden nur die Vorträge <strong>und</strong> Poster, die für die<br />
Leser dieser Zeitschrift von besonderem Interesse sein dürften. Abstracts aller Vorträge<br />
<strong>und</strong> Poster, die wie üblich das gesamte Spektrum der aktuellen wissenschaftlichen rechtsmedizinischen<br />
Forschung umfassen, sind nachzulesen in Rechtsmedizin 20 (4) 304 bis<br />
372.<br />
Ein wichtiges Thema rechtsmedizinischer Forschung ist nach wie vor der <strong>Alkohol</strong>.<br />
BLÜMKE <strong>und</strong> STILLER (Halle) untersuchten alkoholisierte Frauen <strong>im</strong> Straßenverkehr vor 15<br />
Jahren <strong>und</strong> heute. Bei einem Vergleich der Daten der Jahre 1994, 1999 <strong>und</strong> 2009 zeigte<br />
sich ein steigender Anteil der Blutproben von Frauen von 3,1 % auf 6,0 %. Im Gegensatz<br />
dazu sank die Rate der an Unfällen beteiligten Frauen von 44,4 % (1999) auf 20 % (2009).<br />
Die ärztliche Beurteilung des Trunkenheitsgrades änderte sich <strong>im</strong> genannten Zeitraum<br />
nicht.<br />
VERHOFF <strong>und</strong> Mitarbeiter (Gießen) sind der Frage nachgegangen, wie sich eine <strong>Alkohol</strong>aufnahme<br />
durch Strohhalm-Trinken auswirkt. In zwei Versuchsreihen <strong>im</strong> Abstand von<br />
einer Woche wurden von Probanden selbst gewählte Getränke <strong>und</strong> Trinkmengen einmal<br />
konventionell <strong>und</strong> einmal über einen Strohhalm aufgenommen. Bei einem Trinken von<br />
Spirituosen mit Strohhalm wiesen die Probanden 15 <strong>und</strong> 30 Minuten nach dem Trinkende<br />
deutlich höhere <strong>Blutalkohol</strong>konzentrationen als bei der konventionellen Aufnahme auf.<br />
Bei dem Konsum von Bier <strong>und</strong> Rotwein wurden derartige Unterschiede in den <strong>Alkohol</strong>kurven<br />
da<strong>gegen</strong> nicht festgestellt. Die Untersuchungsergebnisse deuten darauf hin, dass<br />
das Trinken mit dem Strohhalm bei hochprozentigen Getränken zu einer rascheren <strong>Alkohol</strong>anflutung<br />
führt.<br />
DINGES <strong>und</strong> Mitarbeiter (München) sind einer möglicherweise beschleunigten <strong>Alkohol</strong>el<strong>im</strong>ination<br />
durch chinesische Phyto-Therapeutika nachgegangen. Es sollte die Hypothese<br />
eines schnelleren <strong>Alkohol</strong>abbaus durch eine Beschleunigung der <strong>Alkohol</strong>dehydrogenase<br />
untersucht werden. Dazu erhielten Probanden in zwei Versuchsreihen Wein einmal in<br />
Kombination mit einer speziellen chinesischen Phyto-Therapeutikamischung in Teeform,<br />
einmal mit Schwarztee. Die stündliche El<strong>im</strong>inationsrate zeigte keine wesentlichen Unterschiede<br />
– <strong>im</strong> Mittel 0,163 ‰ ohne <strong>und</strong> 0,160 ‰ mit Phyto-Therapeutika-Konsum. Wiederum<br />
ein Beleg dafür, dass die <strong>Alkohol</strong>el<strong>im</strong>inationsrate kaum zu manipulieren ist.<br />
SCHULZ <strong>und</strong> Mitarbeiter (u. a. Dresden) haben die Best<strong>im</strong>mung getränkecharakteristischer<br />
Aromastoffe in Serumproben zur Überprüfung von Nachtrunkbehauptungen bear-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Zur Information<br />
Seiten 404–415
Zur Information<br />
beitet. Bislang werden die wesentlichen Begleitalkohole untersucht. Vorgestellt wurde<br />
jetzt eine Methode zur Untersuchung von getränkecharakteristischen Aromastoffen, wie<br />
sie z. B. in Ouzo, Underberg oder Pfefferminzlikör vorkommen. In Trinkversuchen, aber<br />
auch in Proben von Straßenverkehrsteilnehmern, konnten Aromastoffe wie Anethol, zeitnah<br />
zu einem entsprechenden Konsum nachgewiesen werden. Derartige Untersuchungen<br />
können empfohlen werden, wenn ein Nachtrunk eines anishaltigen Getränks durch die<br />
gängigen Untersuchungsverfahren nicht ausgeschlossen oder bestätigt werden kann.<br />
SCHNEIDER <strong>und</strong> Mitarbeiter (Frankfurt, Homburg, Maastricht) untersuchten den Einfluss<br />
von <strong>Alkohol</strong> auf die Pharmakokinetik von Cannabinoiden bei chronischen Cannabiskonsumenten.<br />
Eine St<strong>und</strong>e nach dem Rauchen <strong>und</strong> einer <strong>Blutalkohol</strong>konzentration von 0,5 ‰<br />
ist die Tetrahydrocannabinol-Konzentration mit 18,5 ng/mL etwas niedriger als die ohne<br />
<strong>Alkohol</strong>belastung mit 24,7 ng/mL. Die El<strong>im</strong>inationshalbwertszeit von Tetrahydrocannabinol<br />
war leicht verlängert. Diese Unterschiede waren <strong>im</strong> Gegensatz zu niedrigeren Konzentrationen<br />
des Tetrahydrocannabinol-Metaboliten 11-Nor-delta-9-THC-9-Carbonsäure<br />
unter <strong>Alkohol</strong>einfluss verglichen mit der Kontrollgruppe signifikant.<br />
Ebenfalls forschungsrelevant sind die (neueren) <strong>Drogen</strong>. BREITMEIER <strong>und</strong> Mitarbeiter<br />
(Hannover <strong>und</strong> Polizeikommissariat Bad Münder) haben ihre bereits <strong>im</strong> letzten Jahr in<br />
Basel vorgestellten Untersuchungen mit dem standardisierten Erfassungsbogen für Polizeibeamte<br />
zur Erkennung beeinflusster Fahrzeugführer <strong>im</strong> Straßenverkehr fortgesetzt. Die<br />
Autoren konnten feststellen, dass der standardisierte Erfassungsbogen sehr gut geeignet<br />
ist, die Fahrsicherheit zu bewerten. Ent<strong>gegen</strong> amerikanischer Untersuchungsergebnisse<br />
war eine Einschätzung hinsichtlich der konsumierten Substanzklasse auf Gr<strong>und</strong> der<br />
Testergebnisse allerdings nicht möglich. Es bleibt also essentiell, dass nach wie vor in<br />
Deutschland bei entsprechenden Verkehrsdelikten eine Blutentnahme durchgeführt werden<br />
muss. Die Ergebnisse von BREITMEIER können allerdings ganz wesentlich zur Verdachtserhärtung<br />
beitragen. TESKE <strong>und</strong> Mitarbeiter (Hannover) haben Untersuchungen zur<br />
Prävalenz synthetischer Cannabinoide aus „Spice“ vorgelegt. Nachdem <strong>im</strong> Untersuchungszeitraum<br />
November 2008 bis Januar 2009 eine Prävalenz derartiger synthetischer<br />
Cannabinoide von 5,2 % beobachtet wurde, war in einem nachfolgenden Untersuchungszeitraum<br />
ein Rückgang der positiven Bef<strong>und</strong>e festzustellen. Dennoch muss auch bei Straßenverkehrsteilnehmern<br />
nach wie vor mit einem derartigen Gebrauch von Cannabinoiden,<br />
die zumindest nach § 24a StVG nicht zu sanktionieren sind, gerechnet werden.<br />
MATTIS <strong>und</strong> Mitarbeiter (Jena) berichteten über Untersuchungen zur Häufigkeit neuer<br />
<strong>Drogen</strong> in Serumproben aus Straßenverkehrsdelikten in Thüringen. Während <strong>im</strong> Januar<br />
2007 der Konsum neuerer <strong>Drogen</strong> ein sehr seltenes Ereignis war, bestand 2010 ein Trend<br />
von häufigeren Aufnahmen derartiger Substanzen. Diese werden allerdings zumeist bei<br />
Routine-Screening-Untersuchungen bislang nicht erfasst.<br />
ROTH <strong>und</strong> Mitarbeiter (Freiburg) erforschten die Stabilität von Tetrahydrocannabinol,<br />
Hydroxytetrahydrocannabinol <strong>und</strong> 11-Nor-delta-9-THC-9-Carbonsäure unter Lagerungsbedingungen.<br />
Insbesondere sollte festgestellt werden, ob Unterschiede zwischen Glasröhrchen<br />
<strong>und</strong> Polyacrylat-Röhrchen (mit Fluorid-Zusatz) nachweisbar sind. Innerhalb von<br />
zwei Monaten konnten keine signifikanten Unterschiede bei der Lagerung festgestellt werden.<br />
Nach zwei Jahren <strong>und</strong> drei Einfrier-Auftauzyklen wurde allerdings für Tetrahydrocannabinol<br />
eine durchschnittliche Verringerung der Konzentration um 50 % festgestellt.<br />
Dies muss bei der Beurteilung von Ergebnissen einer etwaigen Nachuntersuchung eines<br />
konkreten Falles berücksichtigt werden.<br />
405<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
406 Zur Information<br />
KNEISEL <strong>und</strong> Mitarbeiter (Freiburg) untersuchten den Nachweis von neun synthetischen<br />
Cannabinoiden (CB1 Rezeptor Agonisten) <strong>im</strong> Serum mittels LC/MS-MS. Es wurde eine<br />
Screeningmethode entwickelt, die bei Nachweisgrenzen <strong>im</strong> Bereich von 0,02 bis 0,2<br />
ng/mL Serum entsprechende Nachweise erlaubt.<br />
SINICINA <strong>und</strong> Mitarbeiter (München) überprüften die Prävalenz von Fentanyl in der <strong>Drogen</strong>szene.<br />
Fentanyl ist etwa 100mal wirksamer als Morphin <strong>und</strong> wird in Deutschland in<br />
großem Maße in Form transdermaler Pflaster in der Schmerztherapie eingesetzt. Ein Mißbrauch<br />
ist möglich durch eine Extraktion des Fentanyls aus dem Pflaster <strong>und</strong> anschließende<br />
Injektion oder auch eine orale Aufnahme. Im Münchner Institut wurden <strong>im</strong> Jahr 2009<br />
mehr als 20 Todesfälle mit Fentanyl festgestellt, so dass insgesamt von einem erheblichen<br />
Missbrauch – auch von Straßenverkehrsteilnehmern – auszugehen ist. Das Opioid Fentanyl<br />
zählt nicht zum Katalog der in der Anlage zu § 24a Abs. 2 StVG aufgeführten Substanzen.<br />
Einen weiteren Schwerpunkt bilden die forensisch-toxikologischen Untersuchungen <strong>im</strong><br />
Rahmen der (Wieder-)Erteilung der Fahrerlaubnis. SPORKERT <strong>und</strong> Mitarbeiter (Lausanne)<br />
untersuchten die Ethylglucuronideinlagerung ins Rattenhaar in Abhängigkeit von der aufgenommenen<br />
Ethanolmenge <strong>und</strong> der Haarpigmentierung. So wurde Ethanol an Ratten mit<br />
pigmentiertem <strong>und</strong> unpigmentiertem Haar gegeben. Das neugewachsene pigmentierte<br />
bzw. unpigmentierte Haar wurde rasiert <strong>und</strong> separat mittels GC-MS analysiert. Ferner<br />
wurden auch Blutproben untersucht. Es zeigte sich, dass die Ethylglucuronideinlagerung<br />
ins Haar von der Pigmentierung unabhängig ist. Die Einlagerung war abhängig von der<br />
Ethanol-Dosis <strong>und</strong> der Ethylglucuronid-Konzentration <strong>im</strong> Blut.<br />
ALBERMANN <strong>und</strong> Mitarbeiter (Bonn) haben die Konzentrationen von Ethylglucuronid <strong>und</strong><br />
best<strong>im</strong>mter Fettsäureethylester in Haaren bei einer bestehenden <strong>Alkohol</strong>problematik best<strong>im</strong>mt<br />
<strong>und</strong> mit Trinkangaben verglichen. Dazu wurden 80 Haarsegmente von vier<br />
Patienten mit einem chronischen Abusus untersucht. In 60 % der Fälle war eine Zuordnung<br />
zu gelegentlichem bzw. exzessiven <strong>Alkohol</strong>konsum möglich <strong>und</strong> es ergab sich eine Übereinst<strong>im</strong>mung<br />
mit den gemachten Angaben zum Trinkverhalten. In 40 % der Fälle ergaben<br />
sich da<strong>gegen</strong> teils gravierende Abweichungen, die einer weiteren Abklärung bedürfen.<br />
MUßHOFF <strong>und</strong> Mitarbeiter (Bonn) bearbeiteten die Validierung von <strong>im</strong>munchemischer<br />
Vortestverfahren auf Gr<strong>und</strong>lage der Bestätigungsanalysen <strong>im</strong> Serum. Insbesondere zur<br />
Abstinenzkontrolle sind die von den Herstellern der Immunoassays angegebenen Cut-off-<br />
Werte zu hoch angesetzt, wodurch es zu falsch-negativen Ergebnissen kommen kann. Erforderliche<br />
niedrigere Cut-off-Werte sind in jedem Labor entsprechend zu validieren. Bei<br />
allen Tests waren Cut-off-Werte festzulegen, bei denen unter Zugr<strong>und</strong>elegung der Entscheidungsgrenzen<br />
nach § 24a StVG <strong>im</strong> Serum bzw. der Fahreignungsbegutachtung <strong>im</strong><br />
Urin eine Sensitivität über 90 % (ausgenommen Amfetamin <strong>und</strong> Cannabis) <strong>und</strong> auch eine<br />
Spezifität von über 90 % erreicht wurde. Das verwendete Testsystem mit CEDIA <strong>und</strong> DRI<br />
ist somit für die oben genannten Fragestellungen geeignet. Auf dieser Gr<strong>und</strong>lage haben<br />
ebenfalls MUßHOFF <strong>und</strong> Mitarbeiter (Bonn <strong>und</strong> Synlab/Weiden) über erste Erfahrungen<br />
mit den neuen Entscheidungsgrenzen bei <strong>Drogen</strong>screenings <strong>im</strong> Rahmen der Fahreignungsdiagnostik<br />
berichtet. Die Bedeutung der Absenkung <strong>und</strong> Vereinheitlichungen der<br />
Nachweisgrenzen in der Fahreignungsbeurteilung ergibt sich beispielhaft für Cocain: Bei<br />
einem Cut-off von 150 ng/mL wären in einem best<strong>im</strong>mten Kollektiv 8 positive Fälle aufgetreten,<br />
bei einem Cut-off von 30 ng/mL wären es sogar 30 positive Fälle. Niedrige Entscheidungsgrenzen<br />
bei <strong>Drogen</strong>screening zum Abstinenzbeleg sind notwendig, um zutreffende<br />
Aussagen hinsichtlich einer Abstinenz machen zu können.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Zur Information<br />
RUST <strong>und</strong> Mitarbeiter (Zürich) überprüften die Prävalenz von Benzodiazepinen sowie<br />
der pharmakologisch ähnlich wirkenden Sedativa Zolpidem <strong>und</strong> Zopiclon („Z-<strong>Drogen</strong>“)<br />
in Haaren <strong>und</strong> verglichen die Ergebnisse mit den Angaben der Betroffenen zum Konsum.<br />
In den positiven Haarproben war Zolpidem mit 36 % besonders häufig nachweisbar, gefolgt<br />
von Diazapam <strong>und</strong> Nordiazepam sowie Oxazepam. Angaben der Betroffenen hinsichtlich<br />
einer Änderung des Konsumverhaltens führten bei einer segmentweisen Haaranalyse<br />
zu korrespondierenden Konzentrationsänderungen. Diese Bef<strong>und</strong>e sind wichtig<br />
hinsichtlich der Beurteilung des Konsumverhaltens, z. B. bei einer Abstinenzkontrolle vor<br />
Wiedererteilung der Fahrerlaubnis.<br />
Anschrift des Verfassers<br />
Prof. Dr. Herbert Käferstein<br />
Institut für Rechtsmedizin, Uniklinik Köln AöR<br />
Melatengürtel 60–62<br />
50823 Köln<br />
Email: herbert.kaeferstein@uk-koeln.de<br />
407<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
408 Zur Information<br />
Wissen um <strong>Alkohol</strong>-L<strong>im</strong>its für Kfz-Lenker EU-weit gering<br />
Bei etwa jedem fünften tödlichen Verkehrsunfall auf Europas Straßen spielt <strong>Alkohol</strong> am<br />
Steuer eine Rolle. Trotzdem: Das aktuelle Eurobarometer der Europäischen Kommission,<br />
bei dem EU-weit r<strong>und</strong> 26 800 Menschen zu ihren Einstellungen zu <strong>Alkohol</strong> befragt wurden,<br />
zeigt, dass das Wissen um die gesetzlich erlaubten <strong>Alkohol</strong>höchstgrenzen für Kfz-<br />
Lenker gering ist: Nur ein Viertel (27 %) der befragten EU-Bürger konnte das richtige<br />
<strong>Alkohol</strong>l<strong>im</strong>it ihres Landes nennen. Mehr als ein Drittel (36 %) nannte eine falsche Grenze,<br />
ebenso viele (37 %) wussten den gesetzlich erlaubten Höchstwert für den <strong>Alkohol</strong>gehalt<br />
<strong>im</strong> Blut nicht. Vor allem die Belgier (82 %), Niederländer (70 %) <strong>und</strong> Spanier (66 %)<br />
nannten falsche Grenzwerte. Am besten ist das Wissen um die erlaubte <strong>Alkohol</strong>grenze in<br />
Tschechien: Drei Viertel aller Befragten konnten das richtige L<strong>im</strong>it nennen. Österreich<br />
liegt auf dem zweiten Platz mit 69 %, gefolgt von Finnland mit 67 %.<br />
<strong>Alkohol</strong> am Steuer erhöht die Unfallgefahr deutlich<br />
Eine Mehrheit von knapp zwei Drittel (61 %) der befragten EU-Bürger gab bei der europaweiten<br />
Befragung an, dass das Lenken eines Fahrzeugs innerhalb von zwei St<strong>und</strong>en,<br />
nachdem man eines oder mehrere alkoholische Getränke konsumiert hat, nicht sicher sei.<br />
Doch nur 15 % der Befragten waren der Ansicht, dass es am sichersten sei, gar keinen<br />
<strong>Alkohol</strong> zu trinken, wenn man sich hinters Steuer setzen möchte. Jeder zweite polnische<br />
Befragte (48 %) teilte die Meinung, dass vor dem Fahren keinen <strong>Alkohol</strong> zu trinken, am<br />
sichersten sei. Auch in Ungarn (47 %), Schweden (45 %) <strong>und</strong> der Slowakei (44 %) ist<br />
jeder Zweite dieser Ansicht. In Österreich betrug allerdings der Anteil jener, die keinen<br />
<strong>Alkohol</strong> vor dem Lenken eines Fahrzeugs als sicherste Variante nannten, nur 14 %.<br />
Wenn junge Erwachsene <strong>Alkohol</strong> trinken, dann eher viel<br />
Weitere Ergebnisse des Eurobarometers: 57 % der Befragten konsumieren ein bis zwei<br />
Getränke, wenn sie <strong>Alkohol</strong> trinken. 18 % drei bis vier <strong>und</strong> jeder Zehnte trinkt fünf oder<br />
mehr Getränke, wenn er <strong>Alkohol</strong> konsumiert. Vor allem junge Erwachsene <strong>im</strong> Alter von<br />
15 bis 24 Jahren konsumieren eher viel: Jeder zweite Jugendliche trinkt drei oder mehr<br />
alkoholische Getränke, während es in der Gruppe der 25- bis 39-jährigen jeder Dritte, bei<br />
den 40- bis 54-jährigen nur mehr jeder Vierte <strong>und</strong> ab 55 Jahren jeder Fünfte ist, der drei<br />
oder mehr alkoholische Getränke konsumiert.<br />
(Aus einer Mitteilung des Österreichischen Kuratoriums für Verkehrssicherheit, KfV,<br />
vom 19. Mai 2010)<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Zur Information<br />
Forschern gelingt Nachweis von Amphetaminen in Atemluft<br />
Schwedische Wissenschaftler des Karolinska-Institutes haben eine Methode zum Nachweis<br />
von Amphetaminen in der Atemluft entwickelt. Das neue Testverfahren könnte künftig<br />
die deutlich aufwendigere Untersuchung von Blut- oder Urinproben <strong>im</strong> Verdachtsfall<br />
ersetzen <strong>und</strong> so die <strong>Drogen</strong>kontrolle <strong>im</strong> Straßenverkehr erleichtern. Die Wissenschaftler<br />
beschreiben ihr Verfahren in der Juniausgabe des Journal of Analytical Toxicology (June<br />
2010, Vol. 34, No. 5,233–237).<br />
Das neue Analyseverfahren ist zwar noch nicht validiert, ein erster Praxistest verlief aber<br />
vielversprechend. Bei zwölf Patienten, die zuvor wegen akuter Amphetamin-Vergiftung<br />
behandelt werden mussten, gelang nach Ausnüchterung der Nachweis der Substanz in der<br />
Atemluft. Für die Untersuchung der Atemluft mussten die Studienteilnehmer zehn Minuten<br />
lang in eine Maske mit einem speziellen Filter atmen, an dessen siliziumhaltiger Oberfläche<br />
die ausgeatmeten Amphetamin-Moleküle haften blieben. Mit einer Kombination<br />
aus Flüssigkeitschromatografie <strong>und</strong> Tandem-Massenspektometrie gelang anschließend<br />
der Nachweis von Amphetamin <strong>und</strong> Methamphetamin auf dem Filter. Die untersuchten<br />
Patienten atmeten zwischen 0,2 <strong>und</strong> 139 Pikogramm Amphetamin pro Minute ab. Die Amphetamin-Konzentration<br />
in der Atemluft war demnach sehr viel niedriger als in den ebenfalls<br />
untersuchten Blut- <strong>und</strong> Urinproben. Dennoch gelang bei allen zwölf Studienteilnehmern<br />
der eindeutige Nachweis von Amphetamin <strong>und</strong> Methamphetamin in der Atemluft. In<br />
einer Kontrollgruppe mit acht ges<strong>und</strong>en Freiwilligen fanden sich weder Amphetamin noch<br />
Methamphetamin in der Atemluft.<br />
Studienleiter Professor Olof Beck vom Karolinska-Institut in Stockholm erläutert: „Das<br />
Ergebnis unserer Untersuchung ist sehr vielversprechend. Wir wollen nun versuchen, die<br />
Analysenmethode auch für andere Substanzen anwendbar zu machen. Wenn es gelingt, ein<br />
Messgerät zum Nachweis von verschiedenen <strong>Drogen</strong> in der Atemluft zu entwickeln, wäre<br />
das opt<strong>im</strong>al für die Narkotika-Kontrolle <strong>im</strong> Straßenverkehr.“<br />
409<br />
(Aus einer Mitteilung der Ärzte Zeitung vom 08. Juni 2010)<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
410 Zur Information<br />
Studie: Überschreitung des Grenzwertes für das <strong>Alkohol</strong>abbauprodukt<br />
Ethylglucuronid (EtG) in Urintests?<br />
Urintests lassen sich durch geringe Ethanolmengen, wie sie etwa in überreifen Früchten<br />
zu finden sind, kaum irritieren. Das zeigt eine Studie der Universität Bonn, die kürzlich <strong>im</strong><br />
International Journal of Legal Medicine erschienen ist (doi: 10.1007/s00414-010-0511-z).<br />
Hintergr<strong>und</strong> der Untersuchung ist eine Frage, die in Fachkreisen seit längerem für<br />
Diskussionen sorgt: Ist der aktuelle Grenzwert für das <strong>Alkohol</strong>-Abbauprodukt Ethylglucuronid<br />
(EtG) <strong>im</strong> Urin angemessen? Oder ist er so niedrig, dass er schon nach dem Verzehr<br />
von Lebensmitteln mit einem geringen <strong>Alkohol</strong>gehalt überschritten werden kann?<br />
<strong>Alkohol</strong> wird von der Leber relativ schnell abgebaut. EtG lässt sich da<strong>gegen</strong> noch einige<br />
Tage <strong>im</strong> Urin nachweisen. Man nutzt entsprechende Harntests beispielsweise bei <strong>Alkohol</strong>sündern<br />
<strong>im</strong> Straßenverkehr, denen der Führerschein entzogen wurde: Sie müssen sich<br />
<strong>im</strong> Laufe eines halben Jahres bis zu sechsmal einem EtG-Test unterziehen, um zu zeigen,<br />
dass sie abstinent gewesen sind. Nur bei sechs negativen Ergebnissen erhalten sie die Fahrerlaubnis<br />
zurück.<br />
Die Tests erfolgen zu zufällig festgelegten Zeiten. Die Betroffenen werden 24 St<strong>und</strong>en<br />
vorher benachrichtigt, dass sie sich zur Urinprobe einzufinden haben. Generell, aber insbesondere<br />
innerhalb dieser Vorwarnzeit dürfen sie keine Lebensmittel zu sich nehmen, die<br />
<strong>Alkohol</strong> enthalten können. Dazu zählen beispielsweise Sauerkraut, alkoholfreies Bier (das<br />
nie gänzlich alkoholfrei ist), Traubensaft oder überreife Bananen.<br />
„Positiv getestete Personen behaupten <strong>im</strong>mer wieder, sie hätten kurz vor dieser 24-St<strong>und</strong>en-Periode<br />
große Mengen derartiger Produkte verzehrt“, erklärt der Bonner Rechtsmediziner<br />
PROFESSOR DR. FRANK MUßHOFF. „Wir haben nun exper<strong>im</strong>entell überprüft, ob das tatsächlich<br />
zu einer Grenzwertüberschreitung führen kann.“<br />
Dazu haben die Forscher insgesamt 19 Probanden „zur Schlacht am Büffet“ gebeten. Bis<br />
zu drei Liter alkoholfreies Bier, zwei Liter Saft, 1,3 Kilogramm Sauerkraut oder 700<br />
Gramm Bananen nahmen die Testpersonen zu sich. In den darauf folgenden 30 St<strong>und</strong>en<br />
best<strong>im</strong>mten die Forscher regelmäßig den EtG-Gehalt <strong>im</strong> Urin der Teilnehmer.<br />
Bislang gelten Harntests ab einer EtG-Menge von 0,1 Milligramm pro Liter als positiv.<br />
„Dieser Wert wurde nur in wenigen Ausnahmefällen überschritten“, erklärt der Leiter der<br />
Bonner Rechtsmedizin PROFESSOR DR. BURKHARD MADEA. „R<strong>und</strong> drei bis sieben St<strong>und</strong>en<br />
nach der Mahlzeit erreichte der EtG-Gehalt dabei jeweils sein Max<strong>im</strong>um. Nach 24 St<strong>und</strong>en<br />
lag er stets deutlich unter 0,1 Milligramm pro Liter Urin.“<br />
Angesichts dieser Daten empfehlen die Wissenschaftler, den aktuellen Grenzwert beizubehalten<br />
– zumindest bei Fällen von <strong>Alkohol</strong>-bedingtem Führerschein-Entzug: „Angesichts<br />
der 24-stündigen Wartezeit zwischen Benachrichtigung <strong>und</strong> Urinprobe sind falsche<br />
Testergebnisse aufgr<strong>und</strong> alternativer <strong>Alkohol</strong>quellen nicht zu erwarten“, betont MUßHOFF.<br />
Anders sehe es für unangekündigte Tests aus: „Kurzfristig können best<strong>im</strong>mte Nahrungsmittel<br />
die EtG-Konzentration tatsächlich über den zulässigen Wert steigen lassen.“<br />
(Aus einer Pressemitteilung der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn<br />
vom 04. Oktober 2010)<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
Zur Information<br />
Verkehrswacht-Fachtagung 2010<br />
Die Fachtagung der Deutschen Verkehrswacht (DVW) anlässlich ihrer Jahreshauptversammlung<br />
am 05. Juni in Hamburg kam zum Ergebnis, dass trotz deutlicher Rückgänge<br />
der allgemeinen Unfallzahlen das Fahren unter <strong>Alkohol</strong>einfluss weiterhin ein erhebliches<br />
Problem darstellt. Allerdings habe sich das Problem zunehmend auf die „fahrenden Trinker“<br />
verlagert. Daher komme der Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU)<br />
eine große Bedeutung zu. Sie sei eine wichtige Hilfe für <strong>Alkohol</strong>abhängige, um zukünftig<br />
abstinent zu sein.<br />
Darüber hinaus zeigten Statistiken aus anderen Ländern, dass der Preis für <strong>Alkohol</strong> unzweifelhaft<br />
die Konsummenge beeinflusst. Insofern wäre eine Anhebung der Steuern auf<br />
<strong>Alkohol</strong> hilfreich.<br />
Der Erfolg des absoluten <strong>Alkohol</strong>verbots für Fahranfänger <strong>und</strong> 18- bis 21-jährige Fahrer<br />
wurde als richtige Maßnahme gewürdigt. Da die Probleme in der Altersgruppe der 21- bis<br />
24-Jährigen noch größer seien, solle die Null-Promille-Regelung auf diese Altersgruppe<br />
erweitert werden. Positiv wurde auch die aus Belgien übernommene Aktion BOB gewertet,<br />
die zum Ziel hat, dass ein Fahrer in einer Gruppe nicht trinkt. Dabei wird der mit einem<br />
Schlüsselanhänger BOB gekennzeichnete Fahrer mit einem alkoholfreien Freigetränk belohnt.<br />
Für alle Risikogruppen wurde eine mindestens gleichbleibende Kontrollintensität der<br />
Polizei gefordert. Alle Umfragen zeigten, dass sich die Einstellung zum Fahren unter <strong>Alkohol</strong>einfluss<br />
seit den siebziger Jahren erheblich verändert hat. Junge Leute unter 25 Jahren<br />
lehnen nach Untersuchungen der Unfallforschung der Versicherer (UDV) zu drei Vierteln<br />
alkoholisiertes Fahren ab <strong>und</strong> fordern daher entsprechende Kontrollen.<br />
DVW-Präsident KURT BODEWIG würdigte die Konferenzergebnisse als wichtigen Beitrag<br />
zur aktuellen Debatte. „Die wissenschaftliche Diskussion zeigt, dass Schnellschüsse<br />
nicht weiterhelfen“, so Bodewig. „Die DVW treibt in ihrer Organisation die Meinungsbildung<br />
zum Thema generelle Null-Promille-Regelung für Fahrzeugführer weiter.“<br />
(Aus einer Mitteilung des Deutsche Verkehrswacht e. V., vom 06. Juni 2010)<br />
411<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
412 Zur Information<br />
Kraftfahrtb<strong>und</strong>esamt: Fahrerlaubnismaßnahmen <strong>im</strong> Jahr 2009<br />
1. Fahrerlaubnismaßnahmen – Deutschland <strong>und</strong> seine Länder <strong>im</strong> Jahr 2009<br />
2. Fahrerlaubnismaßnahmen – Deutschland <strong>und</strong> seine Länder <strong>im</strong> Jahr 2009<br />
<strong>im</strong> Vergleich zum Jahr 2008<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Maßnahmen zu allgemeinen Fahrerlaubnissen <strong>im</strong> Jahr 2009 nach <strong>B<strong>und</strong></strong>esländern<br />
Land Entziehungen Ab- Isolierte Fahrverbote Versagungen Verzichte Insgesamt<br />
erkennungen Sperren<br />
Baden-<br />
Württemberg<br />
16.923 871 2.904 61.789 3.066 4.382 89.935<br />
Bayern 17.397 1.066 2.547 68.417 1.769 4.771 95.967<br />
Berlin 5.600 192 1.472 17.247 971 1.003 26.485<br />
Brandenburg 4.005 62 706 14.555 531 598 20.457<br />
Bremen 916 21 383 3.606 155 290 5.371<br />
Hamburg 2.365 73 584 10.076 381 246 13.725<br />
Hessen 9.102 507 2.046 30.707 1.225 1.799 45.386<br />
Mecklenburg-<br />
Vorpommern<br />
3.154 29 984 10.785 246 451 15.649<br />
Niedersachsen 11.479 386 2.542 47.277 1.781 2.792 66.257<br />
Nordrhein-<br />
Westfalen<br />
23.292 850 6.345 95.884 4.138 4.444 134.953<br />
Rheinland-<br />
Pfalz<br />
6.699 342 1.451 20.283 640 1.539 30.954<br />
Saarland 1.769 91 573 4.431 71 149 7.084<br />
Sachsen 5.331 140 1.060 21.815 653 795 29.794<br />
Sachsen-<br />
Anhalt<br />
3.671 63 582 11.499 711 237 16.763<br />
Schleswig-<br />
Holstein<br />
4.199 99 899 13.867 462 754 20.280<br />
Thüringen 3.437 103 773 10.827 393 534 16.067<br />
Insgesamt 1 ) 120.375 8.581 26.425 465.273 17.245 24.926 662.825<br />
1 ) Einschließlich ohne Angabe zum <strong>B<strong>und</strong></strong>esland.<br />
Maßnahmen zu allgemeinen Fahrerlaubnissen <strong>im</strong> Jahr 2009 nach <strong>B<strong>und</strong></strong>esländern <strong>im</strong> Vergleich zum Jahr 2008<br />
Veränderungen Entziehungen Ab- Isolierte Fahrverbote Versagungen Verzichte Insgesamt<br />
<strong>gegen</strong>über<br />
2008 in<br />
%<br />
Land<br />
erkennungen Sperren<br />
Baden-<br />
Württemberg<br />
– 8 + 39 – 7 – 6 – 6 – 5 – 6<br />
Bayern – 9 + 28 – 13 – 6 – 3 – 3 – 7<br />
Berlin – 8 + 12 + 1 – 3 – 21 + 8 – 4
Zur Information<br />
Maßnahmen zu allgemeinen Fahrerlaubnissen <strong>im</strong> Jahr 2009 nach <strong>B<strong>und</strong></strong>esländern <strong>im</strong> Vergleich zum Jahr 2008<br />
Veränderungen Entziehungen Ab- Isolierte Fahrverbote Versagungen Verzichte Insgesamt<br />
<strong>gegen</strong>über erkennungen Sperren<br />
2008 in<br />
%<br />
Land<br />
Brandenburg – 7 X – 5 – 11 – 32 – 8 – 10<br />
Bremen + 9 X – 13 – 4 X – 44 – 4<br />
Hamburg – 5 X – 10 + 3 + 6 – 2 + 1<br />
Hessen – 7 + 17 – 13 – 5 + 10 – 1 – 5<br />
Mecklenburg-<br />
Vorpommern<br />
– 9 X + 11 – 6 – 2 + 27 – 5<br />
Niedersachsen – 10 + 13 – 10 – 3 – 13 – 2 – 5<br />
Nordrhein-<br />
Westfalen<br />
– 3 + 6 – 7 + 0 – 1 + 8 + 0<br />
Rheinland-<br />
Pfalz<br />
– 1 + 33 – 7 + 1 – 18 + 7 + 0<br />
Saarland – 4 X – 13 + 0 X – 25 – 3<br />
Sachsen – 15 + 27 – 10 – 14 + 12 – 1 – 14<br />
Sachsen-<br />
Anhalt<br />
– 6 X – 22 – 19 – 18 – 32 – 17<br />
Schleswig-<br />
Holstein<br />
– 1 X – 3 + 7 – 8 + 1 + 4<br />
Thüringen – 6 – 5 – 3 – 10 – 17 + 11 – 9<br />
Insgesamt 1 ) – 7 + 10 – 8 – 4 – 7 – 1 – 5<br />
1 ) Einschließlich ohne Angabe zum <strong>B<strong>und</strong></strong>esland.<br />
3. Fahrerlaubnismaßnahmen – Basistabelle <strong>im</strong> Jahr 2009<br />
Maßnahmen zu allgemeinen Fahrerlaubnissen durch Gerichte <strong>und</strong> Bußgeldbehörden <strong>im</strong> Jahr 2009<br />
nach Gr<strong>und</strong> der Maßnahmen <strong>und</strong> Unfallbeteiligung<br />
Gr<strong>und</strong> der Entziehungen Aberkennungen Isolierte Sperren Fahrverbote<br />
Maßnahme in<br />
Verbindung mit ...<br />
413<br />
mit Unfall mit Unfall mit Unfall mit Unfall<br />
<strong>Alkohol</strong> oder 70.650 22.170 4.299 1.042 12.689 3.539 80.357 1.510<br />
anderen <strong>Drogen</strong><br />
Hinweis: Der Gr<strong>und</strong> der Maßnahme wird aus Tatkennziffern ermittelt. Da bis zu fünf Angaben möglich sind,<br />
enthält diese Tabelle Mehrfachnennungen.<br />
(Aus Veröffentlichungen des Kraftfahrtb<strong>und</strong>esamtes online)<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
414 Zur Information<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
49. Deutscher Verkehrsgerichtstag 2011<br />
– Ankündigung –<br />
Vom 26. bis 28. Januar 2011 veranstaltet der Deutsche Verkehrsgerichtstag – Deutsche<br />
Akademie für Verkehrswissenschaft – e. V., Hamburg, in Goslar seinen 49. Deutschen<br />
Verkehrsgerichtstag. Hierzu lädt er alle ein, die auf den Gebieten des Verkehrsrechts <strong>und</strong><br />
diesem Rechtsgebiet verb<strong>und</strong>enen Wissenschaften tätig sind.<br />
Die Arbeitskreise<br />
AK I (Leitung: KÖNIG): <strong>Drogen</strong>delikte <strong>im</strong> Verkehr<br />
Naturwissenschaftliche Gr<strong>und</strong>lagen der Fahrlässigkeit /<br />
Rechtliche Konsequenzen / Sofortiges Fahrverbot<br />
Referenten: BÖNKE, DALDRUP, HÄCKER, RIEGER<br />
AK II (Leitung: BALL): Tücken des Kraftfahrzeug-Leasing<br />
Reguläre Vertragsbeendigung: Restwertrisiko, Abrechnung,<br />
Abnutzung / Vorzeitige Vertragsbeendigung:<br />
Kündigung, Mehrerlös, Ausfallschaden / Auswirkungen<br />
der Verbraucherkreditrichtlinie<br />
Referenten: REINKING, SCHATTENKIRCHNER, STRAUSS<br />
AK III (Leitung: LOOSCHELDERS): Stillschweigende Haftungsbeschränkungen<br />
Gefälligkeit <strong>und</strong> Probefahrt / Sportveranstaltungen /<br />
Auslandsunfall<br />
Referenten: DIEBOLD, WESSEL, ZICKFELD<br />
AK IV (Leitung: WELLNER): Betrieb <strong>und</strong> Gebrauch des Kraftfahrzeuges<br />
Haftung <strong>und</strong> Deckung aus<br />
– haftungsrechtlicher,<br />
– versicherungsrechtlicher <strong>und</strong><br />
– europäischer Sicht<br />
Referenten: ERNST, RIEDMEYER, STAAB<br />
AK V (Leitung: EICHENDORF): LKW: Motor der Wirtschaft oder „rollende Bombe“<br />
Sicherheitsgewinn durch Technik <strong>und</strong> Anreizsysteme /<br />
Wettbewerb, Sozialvorschriften <strong>und</strong> Europäischer<br />
Rahmen / Geldbuße oder Gewinnabschöpfung<br />
Referenten: KÜHNER, MARTIN, NEUFANG, RÖSKES<br />
AK VI (Leitung: STORJOHANN): Bewegung <strong>im</strong> ruhenden Verkehr?<br />
Einschränkungen <strong>und</strong> Regelungen / Private<br />
Verkehrsüberwachung / Nutzerprivilegien<br />
Referenten: BRENNER, HANSEN, LEUE
Zur Information<br />
AK VII (Leitung: LANGWIEDER): Sachgerechte Untersuchung tödlicher<br />
Verkehrsunfälle<br />
Was bieten Medizin <strong>und</strong> Technik heute? / Ist der derzeitige<br />
Standard der Unfallaufnahme noch vertretbar? /<br />
Strafverfolgung – Opferschutz – Präventionen<br />
Referenten: BÄUMLER, GRAW, NOTKA, ZILCH<br />
AK VIII (Leitung: EHLERS): Offshore Windkraft: Herausforderungen für die<br />
Sicherheit auf See<br />
Vorhaben / Zielkonflikte <strong>und</strong> Sicherheitskonzepte /<br />
Verantwortlichkeiten<br />
Referenten: EVER, KUHBIER, MONSEES<br />
Anfragen an: Deutscher Verkehrsgerichtstag<br />
– Deutsche Akademie für Verkehrswissenschaft – e.V.<br />
Baron-Voght-Straße 106a<br />
22607 Hamburg<br />
– Mo. bis Fr.: 09:00 bis 12:00 Uhr<br />
– Tel.: 0 40 – 89 38 89<br />
– Fax: 0 40 – 89 32 92<br />
– E-Mail:<br />
service@deutscher-verkehrsgerichtstag.de<br />
organisation@deutscher-verkehrsgerichtstag.de<br />
Weitere Informationen unter: http://www.deutscher-verkehrsgerichtstag.de<br />
Frühere Jahrgänge der Zeitschrift »<strong>Blutalkohol</strong>«<br />
(1961–2008, Vol. 1–45), in Leinen geb<strong>und</strong>en, können noch geliefert werden.<br />
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415<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
416 Laudatio Seiten 416–418<br />
Laudatio für Landespolizeipräsidenten Bernd Merbitz,<br />
stellvertretend für die Verkehrssicherheitsarbeit der Polizei <strong>im</strong><br />
Freistaat Sachsen<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Laudatio<br />
anlässlich der Verleihung der<br />
„SENATOR-LOTHAR-DANNER-MEDAILLE“<br />
in Gold am 01. Oktober 2010<br />
– Auszug –<br />
Von DR. PETER GERHARDT<br />
Sehr geehrter Herr Landespolizeipräsident,<br />
der Vorstand des <strong>B<strong>und</strong></strong>es <strong>gegen</strong> <strong>Alkohol</strong> <strong>und</strong> <strong>Drogen</strong> <strong>im</strong> Straßenverkehr (B.A.D.S.) hat<br />
beschlossen, Sie heute stellvertretend für die Verkehrssicherheitsarbeit der Polizei in Sachsen<br />
mit der Senator-Lothar-Danner-Medaille in Gold auszuzeichnen.<br />
Ich möchte aus diesem Anlass zunächst kurz Ihren Lebenslauf schildern.<br />
Sie wurden 1956 in Zumrode <strong>im</strong> Bezirk Leipzig geboren, sind verheiratet <strong>und</strong> haben drei<br />
Kinder. Nach dem Abitur traten sie 1975 in den Polizeidienst ein. Von 1984 bis 1986 studierten<br />
sie Staatswissenschaften. Anschließend leiteten sie von 1986 bis 1991 die Mordkommission<br />
in Leipzig. Es folgte eine kurze Tätigkeit als Leiter des Dezernats Leben <strong>und</strong><br />
Ges<strong>und</strong>heit bei der Bezirkspolizeibehörde in Leipzig. Vom 15. 07. 1991 bis 31. 08. 1998<br />
waren sie Leiter der Abteilung Staatsschutz be<strong>im</strong> Landeskr<strong>im</strong>inalamt Sachsen, vom<br />
01. 09. 1998 bis 31. 12. 2004 Leiter der Polizeidirektion Gr<strong>im</strong>ma, ab 01. 01. 2005 Leiter der<br />
Polizeidirektion Sachsen. Dort wurden sie am 01. 09. 2005 zum Polizeipräsidenten<br />
ernannt. Seit dem 02. 07. 2007 sind Sie <strong>im</strong> Sächsischen Innenministerium beschäftigt <strong>und</strong><br />
leiteten zunächst die Abteilung 3 – Öffentliche Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung. Am 01.10. 2007<br />
wurden sie Landespolizeipräsident in Sachsen. Mit diesem Amt sind sie auch Repräsentant<br />
der Verkehrssicherheitsarbeit der Polizei in Sachsen.<br />
Alle neuen <strong>B<strong>und</strong></strong>esländer wurden bei der Wiedervereinigung vor 20 Jahren <strong>im</strong> Bereich<br />
der Verkehrssicherheitsarbeit vor ein großes Problem gestellt: Einerseits wuchs die Motorisierung<br />
stark an, anderseits bestand durch den Wegfall der früheren 0,0-Promillegrenze<br />
die große Gefahr, dass von den Verkehrsteilnehmern die Problematik des <strong>Alkohol</strong>s <strong>im</strong><br />
Straßenverkehr verkannt <strong>und</strong> verharmlost wurde. Erforderlich war ein Konzept aus Aufklärung<br />
<strong>und</strong> verstärkter Verkehrsüberwachung. Wie die Zahlen zeigen, ist dies der Polizei<br />
in Sachsen sehr gut gelungen. Nach dem befürchteten Anstieg ist die Zahl der <strong>Alkohol</strong>unfälle<br />
in Sachsen von 8 577 <strong>im</strong> Jahre 1995 auf 2 184 <strong>im</strong> Jahre 2009, d. h. um 74,5 % gesunken.<br />
Die Zahl der <strong>Alkohol</strong>unfälle mit Verletzten ging dabei um 73,8 %, der Unfälle mit Getöteten<br />
um 89,3 % zurück.
Laudatio<br />
Wie der B.A.D.S. bereits in seinen Leitsätzen für die Verkehrssicherheitsarbeit auf dem<br />
Gebiet <strong>Alkohol</strong> <strong>und</strong> Fahren herausgestellt hat, erfordert eine wirksame Bekämpfung der<br />
Trunkenheitsfahrten <strong>im</strong> Straßenverkehr neben der Aufklärung auch eine wirksame Verkehrsüberwachung<br />
durch die Polizei. Dem kam die Verkehrspolizei in Sachsen durch anlassbezogene<br />
Verkehrskontrollen neben der generellen Verkehrsüberwachung in großem<br />
Umfang nach. Sichtbar wird dies durch die aufgedeckten folgenlosen Trunkenheitsfahrten.<br />
1995 erfolgten 7 777 Feststellungen, 1999 sogar ca. 18 000, 2009 wurden 9 042 Fälle registriert.<br />
Sie gliederten sich auf in 4 874 Straftaten nach § 316 StGB, d. h. folgenlose Trunkenheitsfahrten,<br />
3 859 Ordnungswidrigkeiten nach § 24a StVG, dem 0,5-Promillegesetz<br />
<strong>und</strong> 309 Verstößen <strong>gegen</strong> § 24c StVG, dem absoluten <strong>Alkohol</strong>verbot für Fahranfänger.<br />
Seit Mitte der neunziger Jahre erfolgte nach entsprechenden Studien der Rechtsmedizin<br />
eine intensive Ausweitung der Tätigkeit der Verkehrspolizei auf dem Gebiet <strong>Drogen</strong> <strong>im</strong><br />
Straßenverkehr. Das Sächsische Staatsministerium des Innern hat bereits frühzeitig in den<br />
90er Jahren Maßnahmen zur Bekämpfung von „<strong>Alkohol</strong> <strong>im</strong> Straßenverkehr“ angeordnet,<br />
deren Umsetzung sich in den folgenden Jahren positiv auf die Verkehrssicherheit <strong>im</strong> Freistaat<br />
Sachsen ausgewirkt hat. Sachsen führte dabei als eines der ersten <strong>B<strong>und</strong></strong>esländer das<br />
Früherkennungsprogramm für <strong>Drogen</strong>fahrten ein. Bei der entsprechenden Schulung der<br />
Beamten war auch der B.A.D.S. maßgebend beteiligt, unter anderem durch den derzeitigen<br />
Landesvorsitzenden PROF. DR. MÜLLER <strong>und</strong> seinen Vertreter Herrn Oberstaatsanwalt<br />
GREGOR. Zur Erkennung drogenbeeinflusster Kraftfahrzeugführer wird seit dem Erlass des<br />
Staatsministeriums des Innern vom 17. 03. 1999 <strong>im</strong> Freistaat Sachsen das <strong>Drogen</strong>vortestgerätes<br />
„Drugwipe“ angewendet. Mit dem Vortestgerät wird der Verdacht des Fahrens<br />
unter <strong>Drogen</strong>einfluss erhärtet, wenn entsprechende Ausfallerscheinungen festgestellt <strong>und</strong><br />
dokumentiert wurden.<br />
Ab dem Jahre 2000 erfolgte durch die Polizei eine statistische Erfassung der sog. folgenlosen<br />
<strong>Drogen</strong>fahrten. Durch die zunehmende Sensibilisierung der Polizeibeamten stieg<br />
die Zahl der Feststellungen von 624 <strong>im</strong> Jahr 2000 auf 2 745 <strong>im</strong> Jahre 2005. Seit dem Jahr<br />
2006 ist die Zahl rückläufig <strong>und</strong> sank 2009 auf 1 443 Fälle. Entsprechend dem b<strong>und</strong>esweiten<br />
Trend stieg da<strong>gegen</strong> die Zahl der Verkehrsopfer von <strong>Drogen</strong>fahrten. Im Jahre 2009<br />
waren in Sachsen insgesamt 84 drogenbedingte Verkehrsunfälle mit 2 Getöteten, 24<br />
Schwerverletzten <strong>und</strong> 39 Leichtverletzten zu beklagen.<br />
Auch die Aufklärungstätigkeit wurde von der Polizei in Sachsen intensiv betrieben. Seit<br />
Beginn der neunziger Jahre fand dabei eine enge Zusammenarbeit mit dem B.A.D.S. statt,<br />
begünstigt durch die Person des ersten Vorsitzenden unserer Landessektion Sachsen, des<br />
früheren Polizeidirektors HORST ZEIDLER aus Dresden. Er war in seiner aktiven Zeit bei der<br />
Verkehrspolizei in Sachsen tätig. So wird zum Beispiel vom B.A.D.S. <strong>und</strong> der Verkehrswacht<br />
unter Beteiligung der Polizei die Aktion „Junge Fahrer in Sachsen“ durchgeführt.<br />
Besonders hervorzuheben ist in diesem Rahmen auch der Einsatz unseres Fahrs<strong>im</strong>ulators<br />
bei Aufklärungstätigkeiten der Polizei an Schulen. Der Fahrs<strong>im</strong>ulator wird der Polizei vom<br />
B.A.D.S. seit 1991 kostenfrei zur Verfügung gestellt <strong>und</strong> von ihr in vielen Einsätzen intensiv<br />
genutzt.<br />
Ein weiterer wichtiger Bestandteil der <strong>Alkohol</strong>- <strong>und</strong> <strong>Drogen</strong>prävention ist die Förderung<br />
der Tätigkeit von Trägern der Verkehrssicherheitsarbeit. Beispielhaft hierfür ist die Bewilligung<br />
von Fördermitteln für das Peerprojekt zur Punktnüchternheit <strong>im</strong> Straßenverkehr<br />
an Fahr- <strong>und</strong> Berufsschulen <strong>im</strong> Raum Dresden der Sächsischen Landesstelle <strong>gegen</strong> die<br />
Suchtgefahren e.V. Im Rahmen des Projektes gehen Peers, d. h. Gleichaltrige, in Fahr-<br />
417<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
418<br />
schulen. Sie informieren die Fahrschüler/innen in zusätzlichen Unterrichtseinheiten über<br />
die Gefahren von <strong>Alkohol</strong> <strong>und</strong> <strong>Drogen</strong> <strong>im</strong> Straßenverkehr <strong>und</strong> diskutieren zusammen über<br />
mögliche Folgen. In den so genannten Peer-Einheiten werden gemeinsam mit den Fahrschülern<br />
Strategien <strong>und</strong> Regeln entwickelt, wie alkohol- <strong>und</strong> drogenbedingte Rauschfahrten<br />
vermieden werden können.<br />
Auch zukünftig wird die Bekämpfung von „<strong>Alkohol</strong> <strong>und</strong> <strong>Drogen</strong> <strong>im</strong> Straßenverkehr“ <strong>im</strong><br />
Freistaat Sachsen nach den Planungen eine Kernaufgabe der Polizei darstellen, um durch<br />
intensive <strong>und</strong> kontinuierliche Verkehrsüberwachungsmaßnahmen dieses Deliktfeld einzudämmen.<br />
Dies ergibt sich auch aus der b<strong>und</strong>esweiten Befassung mit dieser Problematik.<br />
So wurde <strong>im</strong> Rahmen der Arbeitstagung der b<strong>und</strong>esweiten Arbeitsgruppe Verkehrspolizeiliche<br />
Angelegenheiten am 16./17. 06. 2010 die Notwendigkeit zur Bekämpfung dieses Deliktfeldes<br />
verdeutlicht. Ganz klar wurde herausgearbeitet, dass in diesem Bereich der Verfolgungsdruck<br />
flächendeckend auszubauen <strong>und</strong> insgesamt zu erhöhen ist.<br />
Herr Landespolizeipräsident MERBITZ, Ihr Amt steht für die erfolgreiche Tätigkeit der<br />
Polizei in Sachsen <strong>im</strong> Bereich <strong>Alkohol</strong> <strong>und</strong> <strong>Drogen</strong> <strong>im</strong> Straßenverkehr. Wir verleihen<br />
Ihnen deshalb in diesem Jahre die Senator-Lothar-Danner-Medaille in Gold, stellvertretend<br />
für die Verkehrssicherheitsarbeit der Polizei <strong>im</strong> Freistaat Sachsen.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Laudatio
Seiten 419–444<br />
Rechtsprechung<br />
Rechtsprechung<br />
Die mit einem *) bezeichneten Leitsätze sind von der Schriftleitung formuliert worden.<br />
71. Unabhängig von der Anzahl der nächtlich<br />
auftretenden Fälle gebietet es der Richtervorbehalt<br />
nach § 81a Abs. 2 StPO nicht, einen richterlichen<br />
Notdienst auch zur Nachtzeit einzurichten.<br />
Oberlandesgericht Zweibrücken,<br />
Beschluss vom 23. September 2010 – 1 SsBs 6/10 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
1. Der Bußgeldrichter des Amtsgerichts Grünstadt<br />
hat den Betroffenen am 14. Dezember 2009 wegen<br />
einer fahrlässig begangenen Ordnungswidrigkeit –<br />
Führen eines Kraftfahrzeugs mit mehr als 0,5 Promille<br />
(0,71 Promille) <strong>Alkohol</strong> <strong>im</strong> Blut – zu einer Geldbuße<br />
in Höhe von 500 € verurteilt <strong>und</strong> ein Fahrverbot von<br />
drei Monaten verhängt (§§ 24a Abs. 2 <strong>und</strong> 3 StVG, 25<br />
Absatz 1 StVG). Hier<strong>gegen</strong> richtet sich die Rechtsbeschwerde<br />
des Betroffenen, mit der die Verletzung formellen<br />
<strong>und</strong> materiellen Rechts gerügt wird. Beanstandet<br />
wird insbesondere die Verletzung des Richtervorbehalts<br />
gemäß § 81a Abs. 2 StPO sowie die damit<br />
verb<strong>und</strong>ene Dokumentationspflicht über die Voraussetzungen<br />
der Annahme von Gefahr <strong>im</strong> Verzug durch<br />
den/ die anordnenden Polizeibeamten. Die am 20. Januar<br />
2009 um 1:00 Uhr gewonnene Blutprobe unterliege<br />
wegen eines groben Organisationsmangels der<br />
Justizverwaltung einem Verwertungsverbot, da <strong>im</strong><br />
Landgerichtsbezirk Frankenthal (Pfalz) kein richterlicher<br />
Bereitschaftsdienst zur Nachtzeit eingerichtet<br />
sei. Im Übrigen wird die allgemeine Sachrüge erhoben.<br />
2. Der Einzelrichter des Senats hat durch Beschluss<br />
vom 15. 09. 2010 gemäß § 80a OWiG das weitere Verfahren<br />
dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei<br />
Richtern übertragen. Zur Begründung ist in dem Beschluss<br />
ausgeführt:<br />
„Es ist geboten, das Urteil zur Fortbildung des<br />
Rechts nachzuprüfen (§ 80a OWiG); dies betrifft die<br />
Frage, ob die gr<strong>und</strong>sätzlich fehlende Erreichbarkeit<br />
des diensthabenden Bereitschaftsrichters <strong>im</strong> Landgerichtsbezirk<br />
Frankenthal (Pfalz) zur Nachtzeit<br />
(21:00 Uhr bis 6:00 Uhr) zur Feststellung eines Fehlers<br />
bei der Beweiserhebung <strong>und</strong> ggf. zu einem Verwertungsverbot<br />
<strong>im</strong> Straf-/Bußgeldverfahren führt.“<br />
Aus den Gründen:<br />
Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache<br />
keinen Erfolg. Die erhobene Verfahrensrüge <strong>und</strong> auch<br />
die erhobene Sachrüge erweisen sich als unbegründet.<br />
1. Nach Feststellungen des Amtsgerichts Grünstadt<br />
führte der Betroffene am 20. Januar 2009 <strong>gegen</strong><br />
23:25 Uhr <strong>im</strong> Stadtgebiet G. einen Pkw. Die ihm am<br />
21. Januar 2009 um 1:00 Uhr ohne richterliche Anordnung<br />
entnommene Blutprobe ergab eine <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
von 0,71 Promille.<br />
419<br />
Bereits in der Vergangenheit war der Betroffene<br />
straßenverkehrsrechtlich in Erscheinung getreten.<br />
Unter anderem wurde <strong>gegen</strong> ihn eine Geldbuße in<br />
Höhe von 150 € festgesetzt <strong>und</strong> ein Fahrverbot von<br />
einem Monat verhängt. Der Betroffene hatte am<br />
23. Juni 2006 mit einer <strong>Blutalkohol</strong>konzentration von<br />
0,89 Promille einen Pkw geführt.<br />
2. Die Rüge, es sei vorliegend bei der Beweiserhebung<br />
<strong>im</strong> Ermittlungsverfahren <strong>gegen</strong> § 81a Abs. 2<br />
StPO verstoßen worden, hat in der Sache keinen Erfolg.<br />
Es liegt weder ein Verstoß <strong>gegen</strong> den Richtervorbehalt<br />
vor, noch wurden bei der konkreten Beweiserhebung<br />
Dokumentationspflichten in relevanter Weise<br />
verletzt. Im Übrigen würden Fehler der gerügten Art<br />
<strong>im</strong> Rahmen der Beweiserhebung nach § 81a StPO<br />
nicht zu einem Verwertungsverbot führen.<br />
a) Zwar müssen die Strafverfolgungsbehörden auch<br />
<strong>im</strong> Rahmen des einfachgesetzlichen Richtervorbehalts<br />
nach § 81a Abs. 2 StPO regelmäßig versuchen, eine<br />
Anordnung des zuständigen Richters zu erlangen<br />
(BVerfG Kammerbeschluss vom 12. Februar 2007,<br />
2 BvR 273/06, juris Rn. 17 [= BA 2008, 71]). Es ist jedoch<br />
unschädlich, dass ein solcher Versuch vorliegend<br />
unterblieben ist. Im Landgerichtsbezirk Frankenthal<br />
(Pfalz) ist der richterliche Bereitschaftsdienst derart<br />
geregelt, dass ein Richter, sei es der Ermittlungsrichter<br />
oder der Bereitschaftsrichter, zwischen 6:00 Uhr morgens<br />
<strong>und</strong> 21:00 Uhr abends erreichbar sein muss. Es<br />
liefe daher auf eine bloße Förmelei hinaus, würde man<br />
von den Ermittlungsbehörden in jedem konkreten Einzelfall<br />
die Überprüfung verlangen, ob ein Richter –<br />
ent<strong>gegen</strong> den gr<strong>und</strong>sätzlichen zeitlichen Vorgaben –<br />
ausnahmsweise doch in der Zeit zwischen 21:00 <strong>und</strong><br />
6:00 Uhr erreichbar ist. Die Erreichbarkeit des richterlichen<br />
Bereitschaftsdienstes ist den Ermittlungsbehörden<br />
bekannt <strong>und</strong> wird – gerichtsbekannt – entsprechend<br />
genutzt.<br />
b) Die Anordnung durch die Ermittlungsbeamten<br />
war wegen der Gefahr eines Beweismittelverlustes in<br />
Folge des natürlichen <strong>Alkohol</strong>abbaus <strong>im</strong> Körper des<br />
Betroffenen bis zur erneuten Erreichbarkeit des Bereitschaftsrichters<br />
am 21. Januar 2009 um 6:00 Uhr morgens<br />
gerechtfertigt, insoweit lag Gefahr <strong>im</strong> Verzug vor.<br />
Der drohende Beweismittelverlust ist vorliegend darin<br />
begründet, dass ein Zuwarten bis zur erneuten Erreichbarkeit<br />
des Bereitschaftsrichters um 6:00 Uhr morgens<br />
mit einer (weiteren) fünfstündigen Abbauphase verb<strong>und</strong>en<br />
gewesen wäre.<br />
c) Die Gründe für die Annahme von Gefahr <strong>im</strong> Verzug<br />
mussten auch nicht gesondert dokumentiert werden.<br />
Zwar muss die drohende Gefährdung des Untersuchungserfolgs<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich mit Tatsachen begründet<br />
werden, die auf den Einzelfall bezogen sein<br />
müssen <strong>und</strong> in den Ermittlungsakten niederzulegen<br />
sind. Dies gilt allerdings nicht bei evidenter Dringlich-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
420 Rechtsprechung<br />
keit (BVerfG Kammerbeschluss vom 12. Februar 2007,<br />
2 BvR 273/06, juris Rn. 17; Kammerbeschluss vom<br />
28. Juli 2008, 2 BvR 784/08, juris Rn. 10 [= BA 2008,<br />
386]). Ein schriftlicher Hinweis auf die <strong>im</strong> Falle eines<br />
Abwartens fünfstündige Abbauzeit in den Akten<br />
würde ebenfalls einer bloßen Förmelei gleichkommen.<br />
d) In der Regelung der Erreichbarkeit des Bereitschaftsdienstes<br />
<strong>im</strong> Landgerichtsbezirk Frankenthal<br />
(Pfalz) liegt auch kein Organisationsverschulden der<br />
Justizverwaltung, das einen Verstoß <strong>gegen</strong> den Richtervorbehalt<br />
des § 81a Abs. 2 StPO begründen könnte.<br />
Für die Anordnung von Durchsuchungen (§ 105 Abs. 1<br />
StPO) müssen die Justizverwaltungen trotz der verfassungsrechtlichen<br />
Verpflichtung aus Art. 13 Abs. 2 GG,<br />
die Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters gegebenenfalls<br />
auch über die Einrichtung eines Eil- oder Notdienstes<br />
zu sichern, nicht stets auch zur Nachtzeit <strong>im</strong><br />
Sinne von § 104 Abs. 3 StPO unabhängig vom konkreten<br />
Bedarf einen richterlichen Eildienst zur Verfügung<br />
stellen, sondern nur dann, wenn hierfür ein praktischer<br />
Bedarf besteht, der über den Ausnahmefall hinausgeht<br />
(BVerfG Kammerbeschluss vom 10. Dezember 2003,<br />
2 BvR 1481/02, juris Rn. 13).<br />
Dieses am Richtervorbehalt des Art. 13 Abs. 2 GG<br />
entwickelte Erfordernis lässt sich nach Ansicht des<br />
Senats allerdings nicht ohne weiteres auf den einfachgesetzlichen<br />
Richtervorbehalt nach § 81a Abs. 2 StPO<br />
übertragen (vgl. OLG Hamm vom 10. September<br />
2009, 4 Ss 316/09, juris Rn. 6 [= BA 2010, 302]; a. A.<br />
OLG Hamm Urteil vom 18. August 2009, 3 Ss 293/08,<br />
juris Rn. 37; Beschluss vom 22. Dezember 2009,<br />
3 Ss 497/09, juris Rn. 7).<br />
Die Gründe dafür, dass aus dem Richtervorbehalt<br />
des § 81a Abs. 2 StPO nach Ansicht des Senats – unabhängig<br />
von der Anzahl der nächtlich auftretenden<br />
Fälle – keine Verpflichtung der Justizverwaltung erwächst,<br />
hierfür einen richterlichen Notdienst auch zur<br />
Nachtzeit einzurichten, liegen darin, dass der Eingriff<br />
nach § 81a StPO zum einen von relativ geringer Natur<br />
ist. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber durch die Regelung<br />
der – wenn auch nachrangigen – Anordnungskompetenz<br />
von Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> Ermittlungsbehörden<br />
zu erkennen gegeben hat, dass er dem<br />
Richtervorbehalt nach § 81a Abs. 2 StPO aus objektiver<br />
Sicht eine geringere Bedeutung beigemessen hat.<br />
Beides spiegelt sich in der (nur) einfachgesetzlichen<br />
Ausgestaltung des Vorbehalts wieder. Der Richtervorbehalt<br />
des § 81a Abs. 2 StPO dürfte insoweit nicht<br />
zum rechtsstaatlichen Mindeststandard zählen (BVerfG<br />
Kammerbeschluss vom 28. Juli 2008, 2 BvR 784/08,<br />
juris Rn. 12).<br />
Die fehlende Erreichbarkeit eines Richters bei Anordnung<br />
der Blutprobe berührte daher nicht den<br />
Rechtskreis des Betroffenen.<br />
e) Selbst wenn man - ent<strong>gegen</strong> der Ansicht des Senats<br />
– einen Verstoß <strong>gegen</strong> den Richtervorbehalt des<br />
§ 81a Abs. 2 StPO sehen würde, würde dieser Fehler<br />
bei der Beweiserhebung zu keinem Beweisverwertungsverbot<br />
führen. Hinsichtlich der Rechtslage zu<br />
einem Verwertungsverbot <strong>im</strong> Rahmen des § 81a StPO<br />
wird auf die Entscheidung des Senats vom 16. August<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
2010 (1 SsBs 2/10, JBl. RP 2010, 122 [in diesem<br />
Heft]) Bezug genommen. Gegenstand des dortigen<br />
Verfahrens war eine zur Tageszeit von einem Polizeibeamten<br />
wegen Gefahr <strong>im</strong> Verzug angeordnete Blutprobe.<br />
Der Senat erachtete zwar die Voraussetzungen<br />
der Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch Verzögerung<br />
(§ 81a Abs. 2 StPO) nicht als erfüllt, gelangte<br />
aber dennoch <strong>im</strong> Ergebnis nicht zur Annahme eines<br />
Verwertungsverbotes, weil nach den Umständen des<br />
Einzelfalles, insbesondere dem Gewicht des Eingriffs,<br />
dem damit verfolgten hochrangigen Interesse der<br />
Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs <strong>und</strong> dem<br />
zum Vorfallszeitpunkt gegebenen Stand der rechtlichen<br />
Diskussion um die Auslegung des § 81a Abs. 2<br />
StPO kein grober, rechtsstaatlich unerträglicher <strong>und</strong><br />
deshalb ein Verwertungsverbot fordernder Verstoß anzunehmen<br />
sei. Die dort aufgestellten Gr<strong>und</strong>sätze gelten<br />
für den vorliegenden Fall erst Recht.<br />
3. Die vom Amtsgericht verhängte Rechtsfolge<br />
unterliegt keinen Bedenken. Der fehlerfrei festgestellte<br />
Sachverhalt erfüllt die Voraussetzungen des Tatbestandes<br />
der Lfd. Nr. 241.1 BKatV in seiner bis zum<br />
31.Januar 2009 gültigen Fassung. Die ausgeurteilte<br />
Sanktion entspricht sowohl hinsichtlich der Höhe des<br />
Bußgeldes als auch hinsichtlich der Dauer des Fahrverbots<br />
dem zur Tatzeit gültigen Regelfall.<br />
Der Senat erachtet es nicht für geboten, die Sache<br />
gemäß § 79 Abs. 3 OWiG i.V. m. § 121 Abs. 2 GVG<br />
dem <strong>B<strong>und</strong></strong>esgerichtshof zur Entscheidung vorzulegen.<br />
Zwar hält der 3. Strafsenat des OLG Hamm in seiner<br />
Entscheidung vom 22. Dezember 2009 (3 Ss 497/09)<br />
an seiner <strong>im</strong> Urteil vom 18. August 2008 (3 Ss 293/08)<br />
dargelegten Rechtsauffassung fest, dass die Anzahl der<br />
Ermittlungsmaßnahmen nach § 81a StPO den (verfassungsrechtlichen)<br />
Bedarf nach einem richterlichen<br />
Dienst zur Nachtzeit begründen kann. Erforderlich für<br />
eine Vorlage ist allerdings nicht nur eine in der Begründung,<br />
sondern eine auch <strong>im</strong> Ergebnis abweichende<br />
Entscheidung (BGH, Beschluss vom 14. Dezember<br />
1999, 5 AR (VS) 2/99, NStZ 2000, 222). In dem Beschluss<br />
vom 22. Dezember 2009 n<strong>im</strong>mt der 3. Strafsenat<br />
des OLG Hamm in einem ähnlich gelagerten Fall,<br />
wie dem vorliegendem, zwar einen Verstoß <strong>gegen</strong><br />
den Richtervorbehalt an, kommt aber ebenfalls zu<br />
dem Ergebnis, darin kein Beweisverwertungsverbot zu<br />
sehen.<br />
72. 1. Kein Verwertungsverbot hinsichtlich einer<br />
Blutprobe, die <strong>im</strong> Bezirk des Pfälzischen Oberlandesgerichts<br />
Zweibrücken <strong>im</strong> November 2008 an<br />
einem Werktag um 15.40 Uhr auf polizeiliche Anordnung<br />
entnommen worden ist, obwohl Gefahr <strong>im</strong><br />
Verzug nicht vorgelegen hat.<br />
2. Einzelfall einer noch ohne Beschuldigtenbelehrung<br />
zulässigen polizeilichen Befragung bei Verdacht<br />
einer <strong>Drogen</strong>fahrt.<br />
Oberlandesgericht Zweibrücken,<br />
Beschluss vom 16. August 2010 – 1 SsBs 2/10 –
Zum Sachverhalt:<br />
Die Bußgeldrichterin des Amtsgerichts Germershe<strong>im</strong><br />
hat den Betroffenen am 13. November 2009<br />
wegen (fahrlässigem) Führen eines Fahrzeugs unter<br />
Wirkung des berauschenden Mittels Cannabis zu einer<br />
Geldbuße von 500 € verurteilt <strong>und</strong> ein Fahrverbot von<br />
3 Monaten <strong>gegen</strong> ihn festgesetzt (§§ 24a Abs. 2 <strong>und</strong> 3<br />
StVG, 25 Abs. 1 StVG, Anlage zu § 24a StVG). Hier<strong>gegen</strong><br />
richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen,<br />
mit der die Verletzung förmlichen <strong>und</strong> sachlichen<br />
Rechts gerügt wird. Es wird geltend gemacht, das<br />
Amtsgericht habe zu Unrecht Sachangaben des Betroffenen<br />
<strong>gegen</strong>über der Polizei verwertet, die ohne<br />
ordnungsgemäße Belehrung zustande gekommen<br />
seien. Ebenso unverwertbar sei auch die dem Betroffenen<br />
entnommene Blutprobe, da sie ohne richterliche<br />
Anordnung bewirkt worden sei, obwohl die Voraussetzungen<br />
der „Gefahr <strong>im</strong> Verzug“ nicht vorgelegen hätten.<br />
Zur Sachrüge wird ausgeführt, das Amtsgericht<br />
habe keine hinreichenden Feststellungen zur Begründung<br />
des Schuldspruchs getroffenen, sondern sich nur<br />
auf Vermutungen gestützt.<br />
Der Einzelrichter des Senats hat durch Beschluss<br />
vom 04. August 2010 gemäß § 80a OWiG das weitere<br />
Verfahren dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei<br />
Richtern übertragen. Zur Begründung ist in dem Beschluss<br />
ausgeführt:<br />
„Es ist geboten, das Urteil zur Fortbildung des<br />
Rechts nachzuprüfen (§ 80a Abs. 3 S. 1 OWiG);<br />
dies betrifft die Fragen des Vorliegens einer sog. informatorischen<br />
Vernehmung (§ 46 Abs. 1 OWiG;<br />
§§ 163a Abs. 4, 136 Abs. 1 StPO) sowie der Annahme<br />
von Gefahr <strong>im</strong> Verzug bei der Anordnung einer<br />
Blutentnahme (§ 81a Abs. 2 StPO).“<br />
Das zulässige Rechtsmittel bleibt hinsichtlich des<br />
Schuldspruches ohne Erfolg.<br />
Aus den Gründen:<br />
Das Amtsgericht hat den Betroffenen zu Recht verurteilt;<br />
auch die erhobenen Verfahrensrügen erweisen<br />
sich als unbegründet. Hinsichtlich der Rechtsfolgen<br />
führt aber die Sachrüge zu einer Ermäßigung von<br />
Geldbuße <strong>und</strong> Fahrverbot.<br />
Nach den in erster Instanz getroffenen Feststellungen<br />
fuhr der Betroffene am Donnerstag, den 20. November<br />
2008 <strong>gegen</strong> 14.30 Uhr mit dem Pkw von S.<br />
nach G., wo er auf der Polizeiinspektion einen Bekannten<br />
abholen wollte. Der auf der Dienststelle anwesende<br />
Polizeibeamte P. gewann den Eindruck, der Betroffene<br />
stehe unter <strong>Drogen</strong>einfluss. Auf seine Frage, wie er<br />
nach G. gekommen sei, erklärte der Betroffene, er sei<br />
mit dem Auto gefahren. Daraufhin belehrte der Polizeibeamte<br />
den Betroffenen als Beschuldigten <strong>und</strong> setzte<br />
die Befragung fort, wobei sich der Betroffene in Widersprüche<br />
verwickelte. Nachdem ein freiwilliger <strong>Drogen</strong>vortest<br />
ein „positives“ Ergebnis erbrachte, ordnete P.<br />
wegen Gefahr <strong>im</strong> Verzug eine Blutprobe an, die um<br />
15.40 Uhr auf der Wache entnommen wurde. Sie ergab<br />
einen THC-Wert von 18,7 ng/ml, der auf eine engfristige<br />
Cannabisaufnahme <strong>und</strong> einen deutlichen akuten<br />
Cannabiseinfluss zum Entnahmezeitpunkt hinweist.<br />
Rechtsprechung<br />
421<br />
Die dem<strong>gegen</strong>über von der Rechtsbeschwerde erhobenen<br />
Verfahrensrügen erweisen sich <strong>im</strong> Ergebnis<br />
als unbegründet.<br />
Es begründet keine Verletzung des Verfahrensrechts,<br />
dass das Amtsgericht auch die vor der Beschuldigtenbelehrung<br />
gefallene Äußerung des Betroffenen verwertet<br />
hat, er sei mit dem Auto nach G. gefahren. Seit<br />
einer Gr<strong>und</strong>satzentscheidung des <strong>B<strong>und</strong></strong>esgerichtshofes<br />
aus dem Jahr 1992 ist zwar anerkannt, dass der Verstoß<br />
<strong>gegen</strong> die Belehrungspflicht bei der ersten Vernehmung<br />
des Beschuldigten durch die Polizei (§§ 163a<br />
Abs. 4 S. 2, 136 Abs. 1 S. 2 StPO; hier i. V. m. § 46<br />
Abs. 1 OWiG) gr<strong>und</strong>sätzlich ein Verwertungsverbot<br />
nach sich zieht (BGH NJW 1992, 1463 = BGHSt 38,<br />
214; vgl. a. Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl. § 136<br />
Rn. 20). Dabei wird aber davon ausgegangen, dass<br />
nicht jeder unbest<strong>im</strong>mte Tatverdacht bereits die Beschuldigteneigenschaft<br />
begründet mit der Folge einer<br />
entsprechenden Belehrungspflicht; vielmehr kommt<br />
es auf die Stärke des Verdachts an. Es obliegt der Strafverfolgungsbehörde,<br />
nach pflichtgemäßer Beurteilung<br />
darüber zu befinden, ob dieser sich bereits so verdichtet<br />
hat, dass die vernommene Person ernstlich als Täter<br />
oder Beteiligter der untersuchten Straftat in Betracht<br />
kommt. Falls der Tatverdacht aber so stark ist, dass die<br />
Strafverfolgungsbehörde anderenfalls willkürlich die<br />
Grenzen ihres Beurteilungsspielraums überschreiten<br />
würde, ist es verfahrensfehlerhaft, wenn der Betreffende<br />
ohne Beschuldigtenbelehrung vernommen wird<br />
(BGH NJW 1992, 1463, 1466; NJW 2007, 2706, 2707<br />
f.; Meyer-Goßner a. a. O., Einl. Rn. 77.)<br />
Diese Grenze der sog. informellen Befragung erachtet<br />
der Senat als hier noch nicht überschritten. Der<br />
Tatbestand der <strong>Drogen</strong>fahrt nach § 24a Abs. 2 StVG<br />
setzt einerseits einen durch den Genuss von <strong>Drogen</strong><br />
geschaffenen körperlichen Zustand voraus, <strong>und</strong> andererseits,<br />
dass in diesem Zustand ein Fahrzeug geführt<br />
wird. Die Wahrnehmungen des Polizeibeamten deuteten<br />
zunächst nur auf den Einfluss von <strong>Drogen</strong> hin. Der<br />
Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs<br />
wurde erst durch die Antwort hergestellt, die der Betroffene<br />
auf die an ihn gestellte erste Frage gegeben<br />
hatte. Die Wertung des Beamten, der erst hierdurch<br />
den zur Belehrungspflicht führenden Verdachtsgrad<br />
als erfüllt erachtete, ist nicht zu beanstanden.<br />
Es kann auch nicht mit Erfolg gerügt werden, der<br />
Polizeibeamte P. habe eine Belehrung des Betroffenen<br />
überhaupt unterlassen mit der Folge, dass auch dessen<br />
<strong>im</strong> Urteil erwähnten weiteren – widersprüchlichen –<br />
Angaben einem Verwertungsverbot unterliegen könnten.<br />
Ob, wie <strong>im</strong> Urteil unterstellt, <strong>im</strong> Anschluss an die<br />
zunächst durchgeführte informelle Befragung die nach<br />
§ 163a Abs. 4 StPO vorgeschriebene Belehrung erteilt<br />
wurde, hatten das Amtsgericht <strong>und</strong> nunmehr der Senat<br />
<strong>im</strong> Freibeweisverfahren zu klären. Nr. 45 Abs. 1<br />
RiStBV schreibt zwar vor, dass auch die polizeiliche<br />
Belehrung aktenk<strong>und</strong>ig zu machen ist, was hier unterblieben<br />
ist. Dies stellt aber lediglich ein Indiz <strong>im</strong> Rahmen<br />
der freibeweislichen Würdigung dar; absolute Beweiskraft<br />
kommt dem nicht zu. Ein Verwertungsverbot<br />
scheidet dabei bereits dann aus, wenn sich hinreichend<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
422 Rechtsprechung<br />
verlässliche Anhaltspunkte für eine Belehrung ergeben;<br />
der Gr<strong>und</strong>satz „Im Zweifel für den Angeklagten“<br />
gilt nicht (zum Ganzen vgl. BGH StV 2007, 65 f.;<br />
NStZ 1997, 609, 610; NJW 1992, 1463, 1465; KK-<br />
StPO 6. Aufl. § 163a Rn. 38; Dahs/Dahs, Die Revision<br />
<strong>im</strong> Strafprozess 7. Aufl. Rn. 484).<br />
Der Senat sieht hier keine Gründe, um die Wertung<br />
des Amtsgerichts in Zweifel zu ziehen, wonach aufgr<strong>und</strong><br />
der glaubhaften Angaben P. von einer rechtzeitigen<br />
Belehrung auszugehen war; jedenfalls die positive<br />
Feststellung eines Belehrungsmangels scheidet aus.<br />
Zwar ergibt sich der Zeitpunkt der Belehrung aus der<br />
Niederschrift der ersten Befragung des Beamten in der<br />
später ausgesetzten Hauptverhandlung vom 06. Juli<br />
2009 nicht mit der Deutlichkeit, wie sie später vom<br />
Amtsgericht zugr<strong>und</strong>e gelegt worden ist. Es lässt sich<br />
aber nicht erkennen, dass gerade dieser Umstand bei<br />
dieser Vernehmung näher hinterfragt worden wäre.<br />
Das Verfahrensrecht ist ebenso wenig verletzt durch<br />
die Verwertung der auf polizeiliche Anordnung entnommenen<br />
Blutprobe. Der Senat erachtet zwar die<br />
Voraussetzungen der Gefährdung des Untersuchungserfolgs<br />
durch Verzögerung (§ 81a Abs. 2 StPO) nicht<br />
als erfüllt, gelangt aber dennoch <strong>im</strong> Ergebnis nicht zur<br />
Annahme eines Verwertungsverbots.<br />
Hinsichtlich der sog. „Gefahr <strong>im</strong> Verzug“ als Voraussetzung<br />
der polizeilichen Anordnungsbefugnis<br />
mag zwar überlegt werden, ob bei Straßenverkehrsdelikten,<br />
bei denen es auf die Wirkung berauschender<br />
Mittel auf die Fahruntüchtigkeit ankommt, nicht eine<br />
evidente Dringlichkeit in diesem Sinne in der Regel als<br />
gegeben zu erachten ist (in diese Richtung etwa OLG<br />
Hamm, Beschluss vom 28. 04. 2009, 2 Ss 117/09 juris<br />
Rn. 18; OLG Oldenburg NdsRpfl 2009, 296 f.; anders<br />
die wohl weit überwiegende Meinung, vgl. etwa OLG<br />
Schleswig StraFo 2010, 194, 195; OLG Brandenburg<br />
OLGR § 81a StPO Nr. 9; OLG Bamberg NJW 2009,<br />
2146, 2147 [= BA 2009, 217]; Meyer-Goßner a. a. O.,<br />
§ 81a Rn. 25b). Dies könnte zumindest gelten, soweit<br />
es sich – wie hier – nicht um den Einfluss von <strong>Alkohol</strong><br />
handelt, bei dem verhältnismäßig genaue Bewertungen<br />
<strong>und</strong> Rückrechnungen anhand fester Erfahrungswerte<br />
möglich sind, sondern um <strong>Drogen</strong>, bei denen die<br />
Beurteilung mit weit größeren Unsicherheiten behaftet<br />
ist (vgl. OLG Hamm StV 2009, 459, 461; NJW 2009,<br />
242, 244 [= BA 2008, 388]; OLG Karlsruhe, Beschluss<br />
vom 29. 05. 2008, 1 Ss 151/07 – juris Rn. 3; Rabe von<br />
Kühlwein JR 2007, 517, 518).<br />
Auch dies unterstellt, hätten die Polizeibeamten<br />
aber zumindest versuchen müssen, die Zeitspanne, die<br />
regelmäßig zwischen dem Vorfall bzw. dem Auftreten<br />
der Erforderlichkeit einer Blutentnahme <strong>und</strong> deren tatsächlicher<br />
Durchführung anfällt, zur Herbeiführung<br />
einer richterlichen Entscheidung zu nutzen. Es ist zumindest<br />
nicht ausgeschlossen, dass eine solche telefonisch<br />
<strong>und</strong> binnen einer verhältnismäßig kurzen Zeitspanne<br />
– <strong>im</strong> Idealfall innerhalb einer viertel St<strong>und</strong>e –<br />
eingeholt werden kann (vgl. BverfG, Kammerbeschluss<br />
vom 11.06.2010, 2 BvR 1046/08 [BA 2010,<br />
356]Tz. 30; OLG Schleswig StV 2010, 13; OLG Stuttgart<br />
VRS 113, 365, 366 [= BA 2008, 76]; Meyer-Goß-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
ner a. a. O., § 81a Rn. 25b). Dies kann notfalls – nach<br />
Maßgabe von §§ 163 Abs. 2, 165 StPO – auch ohne<br />
Einschaltung der Staatsanwaltschaft geschehen (vgl.<br />
Meyer-Goßner a. a. O., § 163 Rn. 26). Der Beschuldigte<br />
kann währenddessen aufgr<strong>und</strong> eigener Anordnung<br />
der Ermittlungsperson festgehalten <strong>und</strong> – soweit erforderlich<br />
– auf den Weg zur Blutentnahme gebracht werden<br />
(OLG Hamm StV 2009, 459, 461).<br />
Ein solcher Versuch war auch hier nicht von vornherein<br />
zum Scheitern verurteilt. Wie die Rechtsbeschwerde<br />
zutreffend vorträgt, war der Betroffene um<br />
14.55 Uhr auf der Dienststelle erschienen. Die Erforderlichkeit<br />
einer Blutentnahme hatte sich spätestens<br />
bis 15.10 Uhr ergeben; zu diesem Zeitpunkt wurde<br />
diese durch den Polizeibeamten P. angeordnet. Wie <strong>im</strong><br />
Urteil festgestellt, wurde die Maßnahme dann um<br />
15.40 Uhr in den Räumen der Polizeiinspektion – also<br />
offenbar durch einen dorthin gerufenen Arzt – ausgeführt.<br />
Es handelte sich um die übliche Kernarbeitszeit<br />
an einem Werktag, so dass ohne weiteres die Aussicht<br />
bestand, be<strong>im</strong> örtlichen Amtsgericht Germershe<strong>im</strong><br />
einen zuständigen Richter telefonisch zu erreichen <strong>und</strong><br />
mit der Sache zu befassen.<br />
Der festgestellte Verstoß führt aber nicht zu einem<br />
Verwertungsverbot hinsichtlich des Ergebnisses der<br />
Blutprobe.<br />
Die Strafprozessordnung enthält keine ausdrückliche<br />
Regelung zur Verwertbarkeit von Beweisen, die<br />
unter Verstoß <strong>gegen</strong> § 81a Abs. 2 StPO erlangt worden<br />
sind. Ein allgemeiner Gr<strong>und</strong>satz, wonach jeder Verstoß<br />
<strong>gegen</strong> die Vorschriften über die Erhebung des Beweises<br />
das Verbot der Verwertung der so gewonnenen<br />
Erkenntnisse nach sich ziehe, ist dem Strafverfahrensrecht<br />
fremd. Nach gefestigter, vom <strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgericht<br />
gebilligter höchst- <strong>und</strong> obergerichtlicher<br />
Rechtsprechung ist die Frage der Verwertbarkeit vielmehr<br />
nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls,<br />
insbesondere nach der Art des Verbots <strong>und</strong> dem Gewicht<br />
des Verstoßes, unter Abwägung der widerstreitenden<br />
Interessen zu entscheiden. Dabei muss beachtet<br />
werden, dass die Annahme eines Verwertungsverbots,<br />
auch wenn die Strafprozessordnung nicht auf Wahrheitserforschung<br />
„um jeden Preis“ gerichtet ist, eines<br />
der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts<br />
einschränkt, nämlich den Gr<strong>und</strong>satz, dass das Gericht<br />
die Wahrheit zu erforschen <strong>und</strong> dazu die Beweisaufnahme<br />
von Amts wegen auf alle Tatsachen <strong>und</strong> Beweismittel<br />
zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind.<br />
Daran gemessen bedeutet ein Beweisverwertungsverbot<br />
eine Ausnahme, die, wenn eine ausdrückliche gesetzliche<br />
Vorschrift fehlt, nur aus übergeordneten<br />
wichtigen Gründen <strong>im</strong> Einzelfall anzuerkennen ist.<br />
Maßgeblich beeinflusst wird das Ergebnis der demnach<br />
vorzunehmenden Abwägung vom Gewicht des in<br />
Frage stehenden Verfahrensverstoßes. Dieses wird seinerseits<br />
wesentlich von der Bedeutung der <strong>im</strong> Einzelfall<br />
betroffenen Rechtsgüter einerseits <strong>und</strong> andererseits<br />
davon best<strong>im</strong>mt, ob die Annahme von Gefahr <strong>im</strong><br />
Verzug willkürlich erfolgte oder auf einer besonders<br />
groben Fehlbeurteilung beruhte. Sind insbesondere<br />
best<strong>im</strong>mte Rechtsgüter durch Eingriffe fern jeder
Rechtsgr<strong>und</strong>lage so massiv beeinträchtigt worden,<br />
dass dadurch das Ermittlungsverfahren als ein nach<br />
rechtsstaatlichen Gr<strong>und</strong>sätzen geordnetes Verfahren<br />
nachhaltig beschädigt wurde, kann sich jede andere<br />
Lösung als die Annahme eines Verwertungsverbots als<br />
unerträglich darstellen (vgl. BVerfG – Kammer – NJW<br />
2008, 3053 [= BA 2008, 386] Tz. 9 f.; BGH NJW<br />
2007, 2269 Tz. 20 f.; OLG Hamm StV 2009, 459, 461;<br />
Meyer-Goßner a. a. O., Einl. Rn. 55a; § 81a Rn. 32).<br />
Nach Auffassung des Senats sprechen die Umstände<br />
des Einzelfalles hier sehr deutlich <strong>gegen</strong> die Annahme<br />
eines Verwertungsverbots. Zu berücksichtigen ist das<br />
hier berührte hochrangige Interesse an der Sicherheit<br />
des öffentlichen Straßenverkehrs, das es erforderlich<br />
macht, dass den Gefahren, die von alkoholisierten oder<br />
unter Einfluss von <strong>Drogen</strong> stehenden Verkehrsteilnehmern<br />
ausgehen, wirksam begegnet werden kann. Dem<br />
<strong>gegen</strong>über steht die Blutentnahme als verhältnismäßig<br />
geringfügiger Eingriff in die körperliche Unversehrtheit,<br />
der heute als Standardmaßnahme bei vielen medizinischen<br />
Untersuchungen <strong>und</strong> Behandlungen regelmäßig<br />
<strong>und</strong> ohne weitere körperliche Beeinträchtigungen<br />
<strong>und</strong> Risiken vorgenommen wird (vgl. etwa<br />
OLG Bamberg NJW 2009, 2146, 2148 f.). Dabei<br />
kommt der möglichst tatzeitnahen Ermittlung einer<br />
Beeinflussung durch <strong>Alkohol</strong> oder insbesondere auch<br />
<strong>Drogen</strong> besondere Bedeutung zu, weil Rückrechnungen<br />
über eine längere Zeitspanne in aller Regel mit besonderen<br />
Schwierigkeiten verb<strong>und</strong>en sind (vgl. KG<br />
Berlin, Beschluss vom 30. 12. 2009, 2 Ss 312/09 – juris<br />
Rn. 5).<br />
Das Gewicht des Verstoßes in Hinsicht auf die<br />
Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens wird auch dadurch<br />
geprägt, dass es sich hier nicht um einen verfassungsrechtlich<br />
geregelten, sondern nur um einen sog. einfachgesetzlichen<br />
Richtervorbehalt handelt (vgl.<br />
BVerfG NJW 2008, 3053 Tz. 11 f.; OLG Bamberg<br />
NJW 2009, 2146, 2148, 2149). Ein Eingriff „fern jeder<br />
Rechtsgr<strong>und</strong>lage“, wie ihn der <strong>B<strong>und</strong></strong>esgerichtshof in<br />
best<strong>im</strong>mten, weitaus schwerwiegenderen Sachverhalten<br />
angenommen hat (vgl. etwa BGH NJW 2007, 2269<br />
Tz. 21), liegt dabei auch deshalb nicht vor, weil die<br />
Strafprozessordnung in § 81a Abs. 2 StPO eine Eilzuständigkeit<br />
auch der Beamten des Polizeidienstes<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich vorsieht (vgl. OLG Karlsruhe StV 2009,<br />
516, 517). Zudem kann nach Lage des Falles kein<br />
Zweifel daran bestehen, dass auch eine richterliche<br />
Anordnung hätte ergehen müssen; auch dies setzt das<br />
Gewicht des Verstoßes herab (vgl. OLG Hamm, Beschluss<br />
vom 28. 04. 2009, 2 Ss 117/09 – juris Rn. 19).<br />
Zwar wäre der die Blutentnahme anordnende Polizeibeamte<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich gehalten gewesen, die Gründe,<br />
die ihn zu der Eilmaßnahme veranlasst haben, zeitnah<br />
in den Akten niederzulegen (OLG Celle NJW 2009,<br />
3524, 3525 [= BA 2009, 416]); auch da<strong>gegen</strong> ist hier<br />
verstoßen worden. Diese fehlende Dokumentation<br />
allein kann aber ein Verwertungsverbot nicht begründen<br />
(BVerfG NJW 2008, 3053 Tz. 10; OLG Karlsruhe<br />
StV 2009, 516, 517).<br />
Nach alledem kann auch die Betrachtung der allgemeinen<br />
Rechtsentwicklung zur Frage von Eilanord-<br />
Rechtsprechung<br />
423<br />
nungen nach § 81a Abs. 2 StPO für den hier maßgeblichen<br />
Zeitpunkt (November 2008) nicht dazu führen,<br />
von einem groben, rechtsstaatlich unerträglichen <strong>und</strong><br />
deshalb ein Verwertungsverbot fordernden Verstoß<br />
auszugehen. Dabei kann zwar nicht allein darauf abgestellt<br />
werden, dass sich der die Anordnung treffende<br />
Polizeibeamte an eine allgemeine Dienstanweisung<br />
oder – wie hier – an eine über längere Zeit hinweg<br />
praktizierte tatsächliche Übung gehalten hat, deren<br />
rechtliche Tragfähigkeit für ihn nicht ohne weiteres zu<br />
überschauen war. In solchen Fällen ist vielmehr zu fragen,<br />
ob die Dienstvorgesetzten des Beamten ein erheblicher<br />
Vorwurf deshalb trifft, weil sie es versäumt hätten,<br />
auf eine dem Gesetz entsprechende Handhabung<br />
hinzuwirken (vgl. OLG Oldenburg NJW 2009, 3591,<br />
3592).<br />
Auch ein solcher Vorwurf wäre aber nicht begründet.<br />
Dabei kann – ent<strong>gegen</strong> der Auffassung des<br />
3. Strafsenats des Oberlandesgerichts Hamm (OLG<br />
Hamm StV 2009, 459, 462) – nicht schon das Urteil<br />
des <strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgerichts vom 20. Februar 2001<br />
(BVerfG NJW 2001, 1121) als Anfangspunkt einer<br />
Entwicklung begriffen werden, die die bisherige<br />
Praxis der Eilanordnungen nach § 81a Abs. 2 StPO zunehmend<br />
in Frage gestellt hätte. Diese Entscheidung<br />
betrifft die Anordnung der Wohnungsdurchsuchung<br />
nach § 105 Abs. 1 S. 1 StPO <strong>und</strong> betont in diesem Zusammenhang<br />
die besondere Bedeutung des verfassungsrechtlichen<br />
Richtervorbehaltes nach Art. 13<br />
Abs. 2 GG. Andererseits wird auch der Zweck der Eilkompetenz<br />
herausgestellt, den Verlust von Beweismitteln<br />
zu verhindern. Auch an andere Stelle hat das<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgericht – wie ausgeführt – auf den<br />
Unterschied zwischen verfassungsrechtlichem <strong>und</strong><br />
einfachrechtlichem Richtervorbehalt hingewiesen<br />
(BVerfG NJW 2008, 3053 Tz. 11 f.).<br />
Nach Ansicht des Senats ist deshalb auf die <strong>im</strong><br />
Februar <strong>und</strong> Oktober 2007 ergangenen Kammerentscheidungen<br />
des <strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgerichts abzustellen.<br />
Die Erstgenannte (BVerfG NJW 2007, 1345<br />
[= BA 2008, 71]) betrifft dabei einen Sonderfall, in<br />
dem es lediglich um den allgemeinen Nachweis ging,<br />
dass der Beschuldigte Umgang mit Betäubungsmitteln<br />
hatte; auf die alsbaldige Feststellung der <strong>Drogen</strong>beeinflussung<br />
zu einem der Tat möglichst nahen Zeitpunkt<br />
kam es deshalb nicht an. Die spätere Entscheidung<br />
(BVerfG, Kammerbeschluss vom 31.10. 2007, 2 BvR<br />
1346/07, juris Rn. 16) enthält folgende Passage:<br />
„Darüber hinaus wäre die vom Landgericht<br />
wiedergegebene dienstliche Stellungnahme des<br />
handelnden Staatsanwalts für sich genommen inhaltlich<br />
nicht geeignet, eine Prüfung des Vorliegens<br />
der Voraussetzungen für Gefahr <strong>im</strong> Verzug zu tragen.<br />
Das Landgericht teilt lediglich mit, aus der<br />
dienstlichen Stellungnahme ergebe sich, der handelnde<br />
Staatsanwalt habe bei seiner Entscheidung<br />
eine zeitnahe Blutentnahme wegen der Konzentration<br />
der Betäubungsmittelabbaustoffe <strong>im</strong> Blut beabsichtigt,<br />
um eine eventuelle Einlassung des Beschuldigten,<br />
beispielsweise zum Passivrauchen,<br />
überprüfen zu können. Gesichtspunkte, die das Vor-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
424 Rechtsprechung<br />
liegen von Gefahr <strong>im</strong> Verzug tragen könnten, insbesondere<br />
solche, die die Frage betreffen, ob <strong>und</strong> mit<br />
welchen Konsequenzen für den Erfolg der beabsichtigten<br />
Maßnahme eine richterliche Anordnung<br />
hätte erlangt werden können, lassen sich dem nicht<br />
entnehmen.“<br />
Hierin kann nach Auffassung des Senats durchaus<br />
ein Hinweis darauf gesehen werden, dass die bisherige<br />
Praxis einer regelmäßig nur polizeilichen Anordnung<br />
von Blutentnahmen in Frage zu stellen sei. Diese Entscheidung<br />
hat keinen nachhaltigen Eingang in die juristische<br />
Zeitschriftenliteratur gef<strong>und</strong>en; F<strong>und</strong>stellen<br />
sind – soweit ersichtlich – nur nachgewiesen mit<br />
BVerfGK 12, 374 <strong>und</strong> StRR 2008, 21.<br />
Durch die anschließende obergerichtliche Rechtsprechung<br />
ist allerdings verdeutlicht worden, dass die<br />
allgemeine Problematik des körpereigenen Abbaus<br />
von <strong>Alkohol</strong> oder <strong>Drogen</strong> allein die Wahrnehmung der<br />
Eilkompetenz nicht zu rechtfertigen vermögen (bis<br />
zum November 2008 ergangene Entscheidungen,<br />
dabei ein Verwertungsverbot offen lassend: OLG<br />
Hamburg NJW 2008, 2597 [= BA 2008, 198]; OLG<br />
Hamm – 3. Strafsenat – NJW 2009, 242; verneinend:<br />
OLG Stuttgart NStZ 2008, 238; OLG Köln NStZ<br />
2009, 406 [= BA 2009, 44]). Ein klares Bild hatte sich<br />
danach bis November 2008 noch nicht ergeben (vgl.<br />
OLG Karlsruhe StV 2009, 516, 517 f.). Verschiedene<br />
Instanzgerichte etwa hatten die Auffassung vertreten,<br />
wegen der Unsicherheiten einer Rückrechnung bestehe<br />
auch be<strong>im</strong> Verdacht einer Trunkenheitsfahrt allgemein<br />
das polizeiliche Anordnungsrecht (LG Hamburg<br />
NZV 2008, 213 [= BA 2008, 77]; LG Braunschweig<br />
NdsRpfl. 2008, 84; AG Tiergarten BA 2008, 322).<br />
Die Oberlandesgerichte Karlsruhe (Beschluss vom<br />
29. 05. 2008, 1 Ss 151/07 – juris Rn. 3) <strong>und</strong> Dresden<br />
(StV 2009, 571) hatten es offen gelassen, ob einer solchen<br />
Auffassung gefolgt werden könne. Auch der allgemein<br />
anerkannte Kommentar von Meyer-Goßner<br />
zur Strafprozessordnung hatte es noch in der <strong>im</strong> Jahr<br />
2008 erschienenen 51. Auflage nahe gelegt, dass bei<br />
„<strong>Alkohol</strong>delikten <strong>im</strong> Straßenverkehr in der Regel Gefahr<br />
<strong>im</strong> Verzug vorliegen wird“ (a. a. O. § 81a Rn. 25).<br />
Erst ab der 52. Auflage (Erscheinungsjahr 2009) wird<br />
klargestellt, dass in solchen Fällen Gefahr <strong>im</strong> Verzug<br />
nicht schon allein wegen des körpereigenen Abbaus<br />
vorliegen werde (a. a. O. § 81a Rn. 25b).<br />
Dementsprechend fand diese neue Rechtsentwicklung<br />
nur zögernd Eingang in die polizeiliche Praxis<br />
(vgl. OLG Brandenburg OLGR § 81a StPO Nr. 9). Das<br />
Niedersächsische Justizministerium hatte noch in<br />
einer Verfügung vom 19. Juli 2007 die Auffassung vertreten,<br />
auch in Ansehung der Entscheidung des<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgerichts vom Februar 2007 sei für<br />
die Feststellung der <strong>Blutalkohol</strong>konzentration regelmäßig<br />
von der Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden<br />
auszugehen (Nachweis bei OLG Oldenburg NdsRpfl.<br />
2009, 296).<br />
Der Senat als örtlich zuständiges Obergericht hatte<br />
bis heute <strong>und</strong> damit selbstverständlich auch bis November<br />
2008 keine Gelegenheit, zu der Problematik<br />
Stellung zu nehmen; auch dies ist <strong>im</strong> hiesigen Bezirk<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
für die Bewertung des damaligen Verstoßes von Bedeutung<br />
(vgl. OLG Celle VRS 117, 294, 297 [= BA<br />
2009, 419]).<br />
Nach alledem verneint der Senat hier <strong>im</strong> Ergebnis<br />
ein Verwertungsverbot. Diese Bewertung kann <strong>und</strong><br />
muss sich aber mit fortschreitender rechtlicher Diskussion<br />
verändern. Spätestens nach Bekanntwerden vorliegender<br />
Entscheidung könnte eine unter vergleichbaren<br />
Umständen ergehende <strong>und</strong> auf Gefahr <strong>im</strong> Verzug<br />
gestützte polizeiliche Anordnung als grober Verstoß<br />
einzustufen sein (vgl. OLG Celle VRS 117, 294, 297).<br />
Der Senat sieht sich nicht veranlasst, die Sache<br />
gemäß § 79 Abs. 3 OWiG, § 122 Abs. 2 GVG dem<br />
<strong>B<strong>und</strong></strong>esgerichtshof vorzulegen. Die obergerichtliche<br />
Rechtsprechung ist allerdings uneinheitlich; in ähnlichen<br />
Fällen wurde ein Verwertungsverbot teils verneint<br />
(OLG Oldenburg – 1. Strafsenat – NdsRpfl.<br />
2009, 296; KG Berlin NJW 2009, 3527 [= BA 2009,<br />
341]; OLG Karlsruhe StV 2009, 516; OLG Jena DAR<br />
2009, 283 [= BA 2009, 214]; OLG Hamm – 4. Strafsenat<br />
– DAR 2009, 280 [= BA 2009, 95]; OLG Dresden<br />
– 3. Strafsenat – StV 2009, 571 [= BA 2009, 213];<br />
OLG Brandenburg OLGSt § 81a StPO Nr. 9; OLG<br />
Bamberg NJW 2009, 2146; OLG Stuttgart NStZ 2008,<br />
238), teils aber auch bejaht (OLG Schleswig, StraFo<br />
2010, 194; OLG Oldenburg – Senat für Bußgeldsachen<br />
– NJW 2009, 3591; OLG Hamm – 3. Strafsenat<br />
– StV 2009, 459; OLG Dresden – 1. Strafsenat – NJW<br />
2009, 2149 [= BA 2009, 344]; OLG Celle NJW 2009,<br />
3524). Allerdings ist – wie ausgeführt – die Frage eines<br />
Verwertungsverbots nach den Umständen des Einzelfalles<br />
zu entscheiden, so dass die Problematik nur bedingt<br />
auf eine die Vorlage gebietende, allgemeine<br />
Rechtsfrage zurückgeführt werden kann (vgl. OLG<br />
Celle VRS 117, 294, 298). Es kann zwar andererseits<br />
nicht übersehen werden, dass der Diskussion durchaus<br />
Rechtssätze allgemeinerer Art zugr<strong>und</strong>e liegen, die<br />
von den verschiedenen Obergerichten in der einen<br />
oder anderen Weise gewichtet werden. Entscheidend<br />
ist aber, dass auch die Entscheidung des Senats – wie<br />
ausgeführt – unter dem Vorbehalt der weiteren Rechtsentwicklung<br />
steht <strong>und</strong> dabei nicht zuletzt auch durch<br />
die Verhältnisse des hiesigen Bezirks mitgeprägt wird<br />
(vgl. OLG Oldenburg NJW 2009, 3591, 3592). Eine<br />
Vorlage könnte daher der von § 121 Abs. 2 GVG bezweckten<br />
Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung<br />
(Meyer-Goßner a. a. O., § 121 GVG Rn. 5) <strong>im</strong><br />
Ergebnis nicht dienen.<br />
Auch die vom Betroffenen erhobene allgemeine<br />
Sachrüge führt hinsichtlich des Schuldspruches nicht<br />
zur Aufdeckung von Rechtsfehlern. [wird ausgeführt]<br />
Keinen uneingeschränkten Bestand hat aber die<br />
Rechtsfolgenentscheidung des Amtsgerichts. Nach<br />
Nr. 242 der BKatV in der bis 01. Februar 2009 geltenden<br />
Fassung bestand für den hier festgestellten Verstoß<br />
eine Regelahndung von 250 € Geldbuße <strong>und</strong> 1 Monat<br />
Fahrverbot. Nur unter der Voraussetzung einer Vorahndung<br />
werden von Nr. 242.1 die hier verhängten<br />
Rechtsfolgen von 500 € <strong>und</strong> 3 Monaten Fahrverbot<br />
angedroht. Dahingehende oder sonstige eine höhere<br />
Ahndung tragende Feststellungen hat das Amtsgericht
aber nicht getroffen. Eine Aufhebung <strong>und</strong> Zurückverweisung<br />
zur Aufklärung möglicher Erschwerungsgründe<br />
(§ 79 Abs. 3 OWiG, § 354 Abs. 2 StPO) erachtet<br />
der Senat in dieser Situation nicht als angemessen<br />
(s. a. § 77 Abs. 1 OWiG), zumal die hierdurch ausgelöste<br />
weitere Verfahrensdauer als ausgleichender Milderungsgr<strong>und</strong><br />
in Betracht käme. Da die Urteilsgründe<br />
Besonderheiten des Falles nicht erkennen lassen, werden<br />
deshalb die Rechtsfolgen gemäß § 79 Abs. 6<br />
OWiG auf das Regelmaß herabgesetzt.<br />
73. 1. Wird mit der Revision gerügt, das Ergebnis<br />
der Untersuchung einer ohne richterliche Anordnung<br />
entnommenen Blutprobe hätte nicht verwertet<br />
werden dürfen, so muss nicht nur dargelegt<br />
werden, wann der Verwertung des Sachverständigengutachtens<br />
widersprochen wurde, sondern<br />
auch, dass dies spätestens nach der ersten Einführung<br />
des Gutachtens <strong>im</strong> Rahmen einer (evtl. auch<br />
später ausgesetzten) Hauptverhandlung geschehen<br />
ist.<br />
2. Die fehlende Erreichbarkeit eines Richters für<br />
die Anordnung der Blutentnahme auch am Wochenende<br />
stellt einen justiziellen Organisationsmangel<br />
dar, der zu einem Beweisverwertungsverbot führen<br />
könnte.<br />
Oberlandesgericht Celle,<br />
Beschluss vom 11. August 2010 – 32 Ss 101/10 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Das Amtsgericht – Strafrichter – Verden verurteilte<br />
den Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit <strong>im</strong><br />
Verkehr zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je<br />
25,00 €. Außerdem entzog es ihm die Fahrerlaubnis<br />
<strong>und</strong> ordnete für deren erneute Erteilung eine Sperre<br />
von sieben Monaten an.<br />
Am Sonntag, den 20. 12. 2009 befuhr der Angeklagte<br />
<strong>gegen</strong> 07:15 Uhr mit seinem PKW die D. Straße in<br />
V., obwohl er aufgr<strong>und</strong> zuvor genossenen <strong>Alkohol</strong>s<br />
nicht mehr fahrtüchtig war, was er hätte erkennen<br />
können <strong>und</strong> müssen. Die Untersuchung seines um<br />
09:13 Uhr auf polizeiliche Anordnung entnommenen<br />
Blutes ergab eine <strong>Blutalkohol</strong>konzentration von<br />
1,58 g ‰. Der Angeklagte kam in Höhe des Hauses D.<br />
mit seinem Kfz nach rechts von der Fahrbahn ab <strong>und</strong><br />
prallte <strong>gegen</strong> die Gr<strong>und</strong>stücksmauer. An dieser entstand<br />
ein Schaden in Höhe von 300,00 €.<br />
Die Feststellung hinsichtlich der Fahrereigenschaft<br />
stützte das Amtsgericht auf die Angabe der Zeugin L.,<br />
der PKW des Angeklagten habe vor dem Haus gestanden<br />
<strong>und</strong> der Angeklagte sei <strong>im</strong> Besitz des Kfz-Schlüssels<br />
gewesen. Weitere Personen seien nicht dort gewesen.<br />
Nach den Angaben des Polizeibeamten D. sei der<br />
Schlüssel später <strong>im</strong> Hausflur der Zeugin L. gef<strong>und</strong>en<br />
worden. Nach den Angaben der Polizeibeamten F. <strong>und</strong><br />
H. sei von der Fahrerseite des Pkw des Angeklagten <strong>im</strong><br />
Schnee nur eine Fußspur zu dem Haus der Zeugin L.<br />
zu sehen gewesen. Auf die Fahruntüchtigkeit <strong>und</strong> den<br />
Rechtsprechung<br />
425<br />
<strong>Blutalkohol</strong>gehalt um 09:13 Uhr schloss der Strafrichter<br />
aus dem verlesenen Gutachten über die Untersuchung<br />
der zweiten Blutprobe.<br />
Bei der Strafzumessung ging das Amtsgericht vom<br />
Strafrahmen des § 316 Abs. 1 StGB aus. Bei der Wahl<br />
der konkreten Strafe berücksichtigte es strafmildernd<br />
die bisherige Unbescholtenheit des Angeklagten.<br />
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit<br />
der Revision. Er rügt die Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen<br />
Rechts. Das Gutachten über die Best<strong>im</strong>mung<br />
des <strong>Blutalkohol</strong>gehalts hätte nicht verwertet werden<br />
dürfen. Die Blutentnahme sei ohne Einwilligung des<br />
Angeklagten unter Umgehung des Richtervorbehalts<br />
durch einen Polizeibeamten angeordnet worden. Das<br />
Fehlen eines richterlichen Eildienstes zur Tagzeit <strong>im</strong><br />
Sinne des § 104 Abs. 3 StPO stelle einen organisatorischen<br />
Mangel dar, mit dem Gefahr <strong>im</strong> Verzug nicht begründet<br />
werden dürfe. Auch hätte vor der Anordnung<br />
durch den Polizeibeamten D. zunächst der Bereitschaftsstaatsanwalt<br />
angerufen werden müssen, da dieser<br />
vorrangig <strong>gegen</strong>über Polizeibeamten zur Entscheidung<br />
über die Entnahme einer Blutprobe berufen<br />
gewesen wäre. Zudem sei ein Beweisantrag zur Häufigkeit<br />
von Anordnungen <strong>im</strong> Landgerichtsbezirk Verden,<br />
die dem Richtervorbehalt unterfallen, zu Unrecht<br />
mit der Begründung abgelehnt worden, die behauptete<br />
Tatsache sei als wahr zu unterstellen. Die Sachrüge ist<br />
nicht weiter ausgeführt worden.<br />
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die<br />
Revision als unbegründet zu verwerfen.<br />
Aus den Gründen:<br />
Das Rechtsmittel ist in der Sache erfolglos.<br />
1. a) Die Verfahrensrüge ist hinsichtlich der Verwertung<br />
des <strong>Blutalkohol</strong>gutachtens bereits nicht in der<br />
durch § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO vorgeschriebenen<br />
Form erhoben. Die Revisionsbegründung muss alle für<br />
die Prüfung der gerügten Verletzung des Verfahrensrechts<br />
relevanten Tatsachen <strong>und</strong> Vorgänge ohne Bezugnahmen<br />
<strong>und</strong> Verweisungen enthalten (vgl. nur Meyer-<br />
Goßner, StPO, 52. Aufl., § 344 Rn. 20 f.). Zur Prüfung<br />
der Verletzung eines etwaigen Verwertungsverbots ist<br />
es daher unerlässlich, nicht nur mitzuteilen, dass, sondern<br />
auch wann der Verwertung widersprochen wurde<br />
<strong>und</strong> hierbei auch die Tatsachen anzugeben, aus denen<br />
sich ergibt, dass dies noch rechtzeitig war (vgl. BGH<br />
NStZ-RR 2001, 260; Senat, Beschlüsse vom<br />
11.05. 2010, Az. 32 Ss 5/10, <strong>und</strong> vom 06. 08. 2010,<br />
Az. 32 Ss 91/10). Daran fehlt es hier.<br />
Voraussetzung für die Prüfung eines Verstoßes<br />
<strong>gegen</strong> ein Verwertungsverbot ist der rechtzeitige<br />
Widerspruch des Angeklagten <strong>gegen</strong> die Verwertung.<br />
Diesen hat er spätestens zu dem in § 257 Abs. 2 StPO<br />
genannten Zeitpunkt nach der Einführung des Beweises<br />
in der Hauptverhandlung direkt <strong>im</strong> Anschluss zu<br />
formulieren (vgl. statt vieler BGHSt 38, 214 Rn. 26,<br />
zitiert nach juris). Es handelt sich insoweit um ein prozessuales<br />
Gestaltungsrecht des Angeklagten, das er<br />
auch nach Aussetzung einer Hauptverhandlung, in der<br />
er bereits hätte widersprechen können, davon jedoch<br />
trotz Einführung des Beweises keinen Gebrauch<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
426 Rechtsprechung<br />
machte, nicht nachholen kann. Die Ausübung des<br />
Widerspruchsrechts oder deren fristgerechtes Unterlassen<br />
gestaltet die prozessuale Rechtslage unabhängig<br />
vom Verfahrensstand <strong>und</strong> wirkt daher auch in einer<br />
neuen Hauptverhandlung fort, sei es in der Berufungsinstanz<br />
(vgl. Senat, Beschluss vom 09. 12. 2009, 32 Ss<br />
188/09; OLG Karlsruhe, NJW-Spezial 2010, 442,<br />
zitiert nach juris), sei es nach Aufhebung <strong>und</strong> Zurückverweisung<br />
in der Revisionsinstanz (vgl. BGHSt 50,<br />
272, zitiert nach juris). Ebenso ist es nicht nötig, einen<br />
in einer ausgesetzten Hauptverhandlung erhobenen<br />
Widerspruch in der neuen Hauptverhandlung zu<br />
wiederholen (OLG Stuttgart, StV 2001, 388, zitiert<br />
nach juris).<br />
Daraus folgt, dass zu einem vollständigen Vortrag<br />
zur Überprüfung eines Verstoßes <strong>gegen</strong> ein Verwertungsverbot<br />
nicht nur die Mitteilung gehört, dass in<br />
einer Hauptverhandlung spätestens direkt <strong>im</strong> Anschluss<br />
an die Erhebung des Beweises widersprochen<br />
wurde, sondern auch, dass der Beweis nicht bereits<br />
zuvor in dieser oder einer früheren, ausgesetzten<br />
Hauptverhandlung erhoben worden war.<br />
b) Im Übrigen merkt der Senat aber noch an, dass<br />
auch eine erfolgreiche Rüge der Verletzung eines Beweisverwertungsverbotes<br />
nicht zu dem beantragten<br />
Freispruch des Angeklagten hätte führen können, da<br />
<strong>im</strong> Hinblick auf den Tatablauf jedenfalls eine relative<br />
Fahruntüchtigkeit des Angeklagten nahe lag.<br />
2. Die weitere Verfahrensrüge, das Amtsgericht<br />
habe den Beweisantrag hinsichtlich der Häufigkeit<br />
von Wohnungsdurchsuchungen, Blutprobeentnahmen<br />
<strong>und</strong> anderen dem Richtervorbehalt unterliegenden Ermittlungsmaßnahmen<br />
außerhalb der Zeit, in der be<strong>im</strong><br />
Amtsgericht Verden ein Bereitschaftsdienst besteht,<br />
fehlerhaft abgelehnt, ist unbegründet. Es handelte sich<br />
schon nicht um eine <strong>im</strong> Wege des Strengbeweisverfahrens<br />
zu klärende Frage. Beweisziel war ausweislich<br />
der mitgeteilten Begründung des Beweisantrags allein<br />
die Klärung einer Verfahrensfrage, nämlich des Vorliegens<br />
eines Beweisverwertungsverbots. Außerdem<br />
unterstellte der Strafrichter die Beweisbehauptung mit<br />
dem ablehnenden Beschluss als wahr <strong>und</strong> setzte sich<br />
zu dieser Beschlussbegründung auch <strong>im</strong> Urteil nicht in<br />
Widerspruch.<br />
3. Die allgemein erhobene Sachrüge deckt keine<br />
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Die<br />
Feststellungen <strong>im</strong> angegriffenen Urteil tragen den<br />
Schuldspruch der fahrlässigen Trunkenheit <strong>im</strong> Verkehr.<br />
Der Angeklagte war mit mehr als 1,58 g ‰ absolut<br />
fahruntüchtig. Die Feststellungen beruhen auch auf<br />
einer tragfähigen Beweiswürdigung. Die Strafzumessung<br />
<strong>und</strong> die Dauer der Fahrerlaubnissperre sind nachvollziehbar<br />
begründet.<br />
Abschließend weist der Senat darauf hin, dass die<br />
fehlende Erreichbarkeit eines Richters für die Anordnung<br />
einer Blutentnahme zu der in § 104 Abs. 3 StPO<br />
definierten Tagzeit unabhängig vom Wochentag einen<br />
justiziellen Organisationsmangel begründen könnte,<br />
der dem willkürlichen Verstoß <strong>gegen</strong> den Richtervorbehalt<br />
des § 81a StPO gleichstehen <strong>und</strong> <strong>im</strong> Einzelfall<br />
nicht nur ein Beweiserhebungsverbot begründen, son-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
dern auch zu einem Beweisverwertungsverbot führen<br />
könnte. Die Rechtsprechung des <strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgerichts<br />
(NJW 2004, 1442; NJW 2007, 1444) verlangt<br />
für die Anordnung von Durchsuchungsmaßnahmen<br />
zur Tagzeit nach § 104 Abs. 3 StPO die Entscheidung<br />
eines Richters. Dieselben Gr<strong>und</strong>sätze gelten für die<br />
Anordnung einer Blutentnahme nach § 81a StPO<br />
(vgl. etwa BVerfGK 12, 374). § 104 Abs. 3 StPO<br />
unterscheidet nicht zwischen Arbeitstagen <strong>und</strong> Wochenenden<br />
bzw. Feiertagen, sodass auch an solchen Tagen<br />
mindestens außerhalb der Nachtzeit ein Richter für die<br />
Eilentscheidungen nach §§ 105, 81a StPO erreichbar<br />
sein muss.<br />
Das <strong>B<strong>und</strong></strong>esverfassungsgericht unterscheidet auch<br />
nicht zwischen dem verfassungsrechtlichen Richtervorbehalt<br />
gem. Art. 13 GG <strong>und</strong> dem einfachgesetzlichen<br />
Vorbehalt nach § 81a StPO. Solange der Gesetzgeber<br />
am Vorbehalt nach § 81a StPO festhält, der<br />
<strong>im</strong> Jahre 1933 durch die damalige Reichsregierung mit<br />
einem gänzlich anderen Regelungsgehalt in das Strafprozessrecht<br />
eingefügt wurde, solange sind die Gerichte<br />
an diesen Vorbehalt geb<strong>und</strong>en.<br />
74. *) 1. Eine vorsätzliche Tatbegehung <strong>im</strong> Sinne<br />
des § 316 Abs. 1 StGB ist nur dann gegeben, wenn<br />
der Täter seine Fahrunsicherheit kennt oder mit<br />
ihr zumindest rechnet <strong>und</strong> sie billigend in Kauf<br />
n<strong>im</strong>mt, gleichwohl aber am öffentlichen Straßenverkehr<br />
teiln<strong>im</strong>mt.<br />
2. Eine vorsätzliche Trunkenheit <strong>im</strong> Verkehr<br />
kann nicht bereits aus einer hohen <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
zur Tatzeit geschlossen werden. Vielmehr<br />
müssen noch weitere Umstände hinzukommen,<br />
die den Schluss rechtfertigen, der Täter habe<br />
seine Fahruntüchtigkeit gekannt <strong>und</strong> dennoch am<br />
öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen.<br />
3. Haben die Ermittlungsbehörden aufgr<strong>und</strong><br />
einer Dienstanweisung bei der Anordnung einer<br />
Blutprobe zur Feststellung der <strong>Alkohol</strong>konzentration<br />
wegen der Geschwindigkeit des <strong>Alkohol</strong>abbaus<br />
<strong>im</strong> Blut regelmäßig von Gefahr <strong>im</strong> Verzug auszugehen,<br />
erweist sich dies als bewusste Umgehung des<br />
Richtervorbehalts gemäß § 81a Abs. 2 StPO.<br />
4. Für die Feststellung einer relativen Fahruntüchtigkeit<br />
kann der Atemalkoholwert ein gewichtiges<br />
Indiz darstellen, das in der Gesamtschau mit<br />
anderen Anzeichen einer alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit<br />
der Beweiswürdigung durch den Tatrichter<br />
zugänglich ist.<br />
Oberlandesgericht Brandenburg,<br />
Beschluss vom 13. Juli 2010 – (2) 53 Ss 40/10 (21/10) –<br />
Zum Sachverhalt<br />
Das Amtsgericht Frankfurt (Oder) hat den Angeklagten<br />
am 03. Dezember 2009 wegen vorsätzlicher<br />
Trunkenheit <strong>im</strong> Verkehr zu einer Geldstrafe von 45 Tagessätzen<br />
zu jeweils 30,– EUR verurteilt. Es hat ihm<br />
außerdem die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führer-
schein eingezogen <strong>und</strong> die Verwaltungsbehörde angewiesen,<br />
ihm vor Ablauf von drei Monaten keine neue<br />
Fahrerlaubnis zu erteilen.<br />
Zur Tat hat das Amtsgericht das Folgende festgestellt:<br />
„Am 28. 03. 2009 befuhr der Angeklagte <strong>gegen</strong><br />
06.50 Uhr mit einem Personenkraftwagen … in alkoholbedingt<br />
fahruntüchtigem Zustand unter anderem<br />
die …-Straße in F…. Nachdem die Zeugen bei<br />
dem Angeklagten <strong>Alkohol</strong>geruch wahrnahmen,<br />
führten sie vor Ort mit dem Angeklagten einen<br />
Atemalkoholtest durch, der einen Wert von 1,48 ‰<br />
ergab. Den Zeugen M… <strong>und</strong> H… war die Vorschrift<br />
des § 81a StPO bekannt. Ohne den Angeklagten explizit<br />
nach der Freiwilligkeit einer Blutentnahme zu<br />
befragen, wurde der Angeklagte nach Rücksprache<br />
mit dem Einsatzbearbeiter durch die Zeugen M…<br />
<strong>und</strong> H… zu einem Arzt verbracht, der die Blutentnahme<br />
be<strong>im</strong> Angeklagten durchführte. Es wurde<br />
vorher nicht versucht, einen Richter zu erreichen.<br />
Es befindet sich auch keine Dokumentation der Eilbedürftigkeit<br />
in der Akte. Die Ärztin stellte fest,<br />
dass der Angeklagte einen schwankenden Gang<br />
hatte, die plötzliche Kehrtwendung unsicher war<br />
<strong>und</strong> er be<strong>im</strong> Romberg-Test ein geringes Schwanken<br />
aufwies. Die Finger-Finger- <strong>und</strong> Nasen-Finger-<br />
Probe waren sicher, die Sprache deutlich <strong>und</strong> das<br />
Bewusstsein klar. Die ihm am 28. 03. 2009 um<br />
07.25 Uhr entnommene Blutprobe hat eine <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
von 1,78 ‰ ergeben. Diese<br />
<strong>Blutalkohol</strong>konzentration bewirkt in jedem Falle<br />
Fahruntüchtigkeit. Die Fahruntüchtigkeit war ihm<br />
bewusst.<br />
Am 27. 03. 2009 erhielt die Polizeiwache in F…<br />
unter Bezugnahme auf einen Erlass des Ministeriums<br />
des Innern die Anweisung, dass der vor Ort befindliche<br />
Polizeibeamte auf Gr<strong>und</strong> eigener Eilkompetenz<br />
wegen der Geschwindigkeit des <strong>Alkohol</strong>abbaus<br />
<strong>im</strong> Blut die Entnahme einer Blutprobe selbst<br />
anzuordnen hat. Die Beamten sollten entsprechend<br />
angewiesen werden.“<br />
Gegen das Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt<br />
<strong>und</strong> diese mit Schriftsatz seines Verteidigers<br />
vom 13. Januar 2010 rechtzeitig begründet. Er rügt die<br />
Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts.<br />
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Revision<br />
als unbegründet <strong>im</strong> Sinne des § 349 Abs. 2 StPO<br />
zu verwerfen.<br />
Das Rechtsmittel hat Erfolg.<br />
Aus den Gründen:<br />
Die Revision ist zulässig <strong>und</strong> begründet.<br />
1. Bereits die Sachrüge führt zur Aufhebung des angefochtenen<br />
Urteils.<br />
a) Die von dem Amtsgericht <strong>im</strong> Rahmen der Beweiswürdigung<br />
angestellten Erwägungen zum subjektiven<br />
Tatbestand des § 316 Abs. 1 StGB tragen die Annahme<br />
vorsätzlicher Tatbegehung nicht.<br />
Der Schuldspruch muss auf einer tragfähigen Beweisgr<strong>und</strong>lage<br />
aufbauen, die die objektiv hohe Wahrscheinlichkeit<br />
der Richtigkeit des Beweisergebnisses<br />
Rechtsprechung<br />
427<br />
ergibt (BVerfG NJW 2003, 2444, 2445). Die Beweiswürdigung<br />
ist dabei die ureigene Aufgabe des Tatrichters,<br />
die mit der Revision nur eingeschränkt überprüft<br />
werden kann. Sie muss jedoch vollständig <strong>und</strong> ohne<br />
Rechtsfehler sein (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53.<br />
Aufl., § 337, Rn. 26 m. w. N.). Rechtsfehlerhaft ist die<br />
Beweiswürdigung insbesondere dann, wenn sie in sich<br />
widersprüchlich, lückenhaft oder unklar ist oder <strong>gegen</strong><br />
Denkgesetze <strong>und</strong> Erfahrungssätze verstößt oder wenn<br />
der Tatrichter überspannte Anforderungen an die für<br />
eine Verurteilung erforderliche Gewissheit stellt.<br />
Dabei müssen seine Schlussfolgerungen nicht zwingend<br />
sein. Es genügt, dass sie möglich sind <strong>und</strong> der<br />
Tatrichter von ihrer Richtigkeit überzeugt ist (vgl.<br />
BGHSt 26, 63; 29, 18, 20).<br />
Im Rahmen der Beweiswürdigung hat das Amtsgericht<br />
Folgendes ausgeführt:<br />
„Nach dem festgestellten Sachverhalt hat sich<br />
der Angeklagte der vorsätzlichen Trunkenheit <strong>im</strong><br />
Verkehr gemäß § 316 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.<br />
Er befuhr mit einem PKW eine zum öffentlichen<br />
Straßenverkehr gehörende Straße, wobei zu<br />
seinen Gunsten davon auszugehen ist, dass das<br />
Trinkende unmittelbar vor Tatbeginn liegt <strong>und</strong> demnach<br />
keine Rückrechnung erfolgt (da zwischen Tat<br />
<strong>und</strong> Blutentnahme weniger als zwei St<strong>und</strong>en liegen)<br />
<strong>und</strong> demnach von einer <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
von 1,78 ‰ zum Tatzeitpunkt auszugehen ist. Dieser<br />
Wert übersteigt den allgemein anerkannten Wert<br />
der absoluten Fahruntüchtigkeit (1,1 ‰) erheblich.<br />
Allein auf Gr<strong>und</strong> dieses erheblichen Überschreitens<br />
des allgemein anerkannten Wertes der absoluten<br />
Fahruntüchtigkeit ist davon auszugehen, dass dem<br />
Angeklagten seine Fahruntüchtigkeit bewusst war.<br />
Er zeigte zudem Ausfallerscheinungen <strong>gegen</strong>über<br />
der Ärztin, wie den schwankenden Gang, die unsichere<br />
plötzliche Kehrtwendung <strong>und</strong> das geringe<br />
Schwanken be<strong>im</strong> Romberg-Test, die ihm bewusst<br />
gemacht haben, dass er zum Führen eines Kraftfahrzeuges<br />
nicht mehr in der Lage ist. Dass er nicht<br />
bei allen von der Ärztin durchgeführten Tests Ausfallerscheinungen<br />
zeigte, steht dem nicht ent<strong>gegen</strong>.“<br />
Diese Erwägungen erweisen sich als lückenhaft,<br />
denn sie belegen nicht die Feststellung, der Angeklagte<br />
habe bei der Trunkenheitsfahrt seine Fahruntüchtigkeit<br />
billigend in Kauf genommen.<br />
Eine vorsätzliche Tatbegehung <strong>im</strong> Sinne des § 316<br />
Abs. 1 StGB ist nur dann gegeben, wenn der Täter<br />
seine Fahrunsicherheit kennt oder mit ihr zumindest<br />
rechnet <strong>und</strong> sie billigend in Kauf n<strong>im</strong>mt, gleichwohl<br />
aber am öffentlichen Straßenverkehr teiln<strong>im</strong>mt<br />
(vgl. OLG Hamm, NZV 2005, 161 [= BA 2005,<br />
390]). Ob dieses Wissen von der Fahruntauglichkeit<br />
als innere Tatseite nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung<br />
festgestellt ist, hat der Tatrichter unter Heranziehung<br />
<strong>und</strong> Würdigung aller Umstände des Einzelfalles,<br />
insbesondere der Täterpersönlichkeit, des<br />
Trinkverlaufs, dessen innerem Zusammenhang mit<br />
dem Fahrtantritt sowie des Verhaltens des Täters<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
428 Rechtsprechung<br />
während <strong>und</strong> nach der Fahrt zu entscheiden (vgl.<br />
OLG Hamm, a. a. O).<br />
Eine vorsätzliche Trunkenheit <strong>im</strong> Verkehr kann aber<br />
nicht bereits aus einer hohen <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
zur Tatzeit geschlossen werden. Es gibt nämlich keinen<br />
Erfahrungssatz, dass derjenige, der erhebliche<br />
Mengen <strong>Alkohol</strong> getrunken hat, sich seiner Fahrunsicherheit<br />
bewusst wird oder diese billigend in Kauf<br />
n<strong>im</strong>mt (st. Rspr. des Senats, vgl. etwa Beschlüsse vom<br />
08. April 2008, Az.: 2 Ss 27/08 <strong>und</strong> 17. Dezember<br />
2009, Az.: 2 Ss 61/09; vgl. auch OLG Hamm a. a. O.).<br />
Vielmehr müssen zu einer hohen <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
noch weitere Umstände hinzukommen, die den<br />
Schluss rechtfertigen, der Täter habe seine Fahruntüchtigkeit<br />
gekannt <strong>und</strong> dennoch am öffentlichen<br />
Straßenverkehr teilgenommen. Dabei ist auch zu bedenken,<br />
dass die Fähigkeit des Täters, seine Fahruntüchtigkeit<br />
aufgr<strong>und</strong> der Trinkmenge einzuschätzen,<br />
umso geringer sein wird, je weiter der Entschluss zur<br />
Fahrt vom Trinkende entfernt liegt (OLG Frankfurt<br />
a. M. NStZ-RR 1996, 86).<br />
Derartige weitere Umstände, die zusammen mit der<br />
Höhe der <strong>Blutalkohol</strong>konzentration einen rechtsfehlerfreien<br />
Schluss auf den Vorsatz des Angeklagten zuließen,<br />
sind nicht erkennbar. Das Amtsgericht sieht<br />
einen solchen Umstand etwa darin, dass der Angeklagte<br />
bei der Entnahme der Blutprobe Ausfallerscheinungen<br />
zeigte. Es zieht daraus den Schluss, dass<br />
der Angeklagte um seine Fahruntüchtigkeit wusste,<br />
weil er dies bemerkte. Abgesehen davon, dass Letzteres<br />
nicht festgestellt ist <strong>und</strong> sich deshalb als bloße Vermutung<br />
erweist, trägt dieser Schluss auch nicht, denn<br />
es kommt nicht darauf an, ob sich der Angeklagte bei<br />
der Entnahme der Blutprobe seiner Fahruntüchtigkeit<br />
bewusst war, sondern bei der (vorangegangenen)<br />
Fahrt.<br />
b) Die Beweiswürdigung des Amtsgerichts erweist<br />
sich auch deshalb als lückenhaft, weil nicht mitgeteilt<br />
wird, ob <strong>und</strong> gegebenenfalls wie sich der Angeklagte<br />
zum Tatvorwurf eingelassen hat. Dies stellt in der<br />
Regel einen sachlich-rechtlichen Mangel der Beweiswürdigung<br />
dar (BGH NStZ-RR 1997, 172; OLG<br />
Düsseldorf, NStZ 1985, 323). Eine Erörterung <strong>und</strong><br />
Würdigung der erhobenen Beweise einschließlich der<br />
Einlassung des Angeklagten ist jedenfalls dann notwendig,<br />
wenn das Revisionsgericht nur auf dieser<br />
Gr<strong>und</strong>lage nachprüfen kann, ob das materielle Recht<br />
richtig angewendet worden ist <strong>und</strong> ob die Denk- <strong>und</strong><br />
Erfahrungssätze beachtet worden sind. Nur bei sachlich<br />
<strong>und</strong> rechtlich einfach gelagerten Fällen von geringer<br />
Bedeutung kann das Gericht auf die Wiedergabe<br />
der Einlassung <strong>und</strong> auf eine Auseinandersetzung mit<br />
dieser ohne Verstoß <strong>gegen</strong> seine materiell-rechtliche<br />
Begründungspflicht verzichten (vgl. OLG Düsseldorf<br />
a. a. O.). Das ist hier nicht der Fall. Denn aus der Einlassung<br />
des Angeklagten können sich Hinweise ergeben,<br />
die für die Beurteilung der subjektiven Tatseite<br />
von Bedeutung sein können.<br />
2. Auf die gleichzeitig erhobene Verfahrensrüge<br />
kommt es nicht mehr an. Der Senat bemerkt jedoch,<br />
dass auch diese Erfolg gehabt hätte.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Die Rüge ist noch in zulässiger Weise erhoben, trotz<br />
des teilweise unübersichtlichen Vorbringens, worauf<br />
die Generalstaatsanwaltschaft mit Recht hinweist.<br />
Sie wäre auch begründet. Der Angeklagte rügt zu<br />
Recht, dass hinsichtlich der Verwertung des Ergebnisses<br />
der Blutprobenentnahme ein Beweisverwertungsverbot<br />
bestand.<br />
Der Senat hat bereits mit Urteil vom 16. Dezember<br />
2008 (Az.: 2 Ss 69/08) entschieden, dass die Strafverfolgungsbehörden<br />
regelmäßig versuchen müssen, eine<br />
Anordnung des zuständigen Richters zu erlangen,<br />
bevor sie selbst eine Blutprobenentnahme anordnen.<br />
Die Gefährdung des Untersuchungserfolges muss mit<br />
Tatschen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen<br />
sein müssen. Wenn vor diesem Hintergr<strong>und</strong> eine<br />
Dienstanweisung ergeht, nach der die Ermittlungsbehörden<br />
bei der Anordnung einer Blutprobe zur Feststellung<br />
der <strong>Alkohol</strong>konzentration wegen der Geschwindigkeit<br />
des <strong>Alkohol</strong>abbaus <strong>im</strong> Blut regelmäßig<br />
von Gefahr <strong>im</strong> Verzug auszugehen haben, erweist sich<br />
dies als bewusste Umgehung des Richtervorbehalts<br />
des § 81a StPO (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom<br />
11. Juni 2010, Az.: 2 BvR 1046/08 [BA 2010, 356]).<br />
Zwar hat das Amtsgericht zu Recht angenommen, dass<br />
den derart angewiesenen Polizeibeamten selbst nicht<br />
der Vorwurf der Willkür zu machen sei. Objektiv willkürlich<br />
ist aber die bezeichnete Anweisung an die Beamten,<br />
denn sie stellt eine gröbliche Verkennung <strong>und</strong><br />
Verletzung der den Richtervorbehalt begründenden<br />
Rechtslage dar (vgl. OLG Karlsruhe StV 2009, 516;<br />
OLG Oldenburg NJW 2009, 3591).<br />
Eine Freisprechung des Angeklagten durch den<br />
Senat kam allerdings nicht in Betracht. Auch bei<br />
Nichtverwertbarkeit des Ergebnisses der Blutprobenentnahmen<br />
ist eine Verurteilung nicht ausgeschlossen.<br />
Dabei kann, jedenfalls für die Feststellung einer relativen<br />
Fahruntüchtigkeit, der Atemalkoholwert ein gewichtiges<br />
Indiz darstellen, das in der Gesamtschau mit<br />
anderen Anzeichen einer alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit<br />
der Beweiswürdigung durch den Tatrichter<br />
zugänglich ist (vgl. OLG Nürnberg DAR 2010, 217;<br />
OLG Celle NJW 2009, 3524 [= BA 2009, 416]). Insoweit<br />
erscheinen weitere Feststellungen möglich. Insbesondere<br />
lässt das angefochtene Urteil offen, wie <strong>und</strong><br />
aus welchem Gr<strong>und</strong> die Polizeibeamten den Angeklagten<br />
feststellten, so dass sie bei ihm <strong>Alkohol</strong>geruch<br />
wahrnehmen konnten, mithin, ob sich etwa aus dem<br />
Verhalten des Angeklagten bei seiner Fahrt für die Beamten<br />
Anhaltspunkte dafür ergaben, er sei möglicherweise<br />
alkoholisiert.<br />
75. *) Die vorsätzliche Deliktsbegehung bei einer<br />
Trunkenheitsfahrt kann nicht bereits aus einer<br />
hohen <strong>Blutalkohol</strong>konzentration des Täters zur<br />
Tatzeit geschlossen werden. Hierfür bedarf es vielmehr<br />
der Berücksichtigung aller Umstände des<br />
Einzelfalles, insbesondere der Täterpersönlichkeit,<br />
der Trinkgewohnheiten – namentlich in zeitlichem<br />
Zusammenhang mit dem Fahrtantritt – sowie des
Täterverhaltens während <strong>und</strong> nach der Trunkenheitsfahrt.<br />
Oberlandesgericht Düsseldorf,<br />
Beschluss vom 30. Juni 2010<br />
– III-1 RVs 59/10, 1 RVs 59/10 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher<br />
Trunkenheit <strong>im</strong> Verkehr zu einer Geldstrafe<br />
von sechzig Tagessätzen zu je 10 Euro verurteilt; es hat<br />
ferner die Entziehung der Fahrerlaubnis sowie eine<br />
sechsmonatige Sperre für deren Wiedererteilung angeordnet.<br />
Hier<strong>gegen</strong> wendet sich der Angeklagte mit seiner<br />
Sprungrevision.<br />
Aus den Gründen:<br />
I. Das Rechtsmittel hat bereits mit der allgemeinen<br />
Sachrüge (vorläufigen) Erfolg, so dass sich eine Prüfung<br />
der darüber hinaus erhobenen Verfahrensrügen erübrigt.<br />
1. Das angefochtene Urteil ist insoweit lückenhaft,<br />
als es keine Feststellungen zur Schuldform enthält <strong>und</strong><br />
infolge dessen dem Senat nicht die Prüfung ermöglicht,<br />
ob das Amtsgericht zu Recht von einer – zumindest<br />
bedingt – vorsätzlichen Tatbegehung ausgegangen<br />
ist. Zwar sind nähere Ausführungen zur<br />
subjektiven Tatseite in der Regel entbehrlich, wenn bereits<br />
die Urteilsfeststellungen zum objektiven Tatgeschehen<br />
(hier: Führen eines Kraftfahrzeugs mit einer<br />
<strong>Blutalkohol</strong>konzentration von 1,99 Promille) ohne<br />
weiteres den Schluss auf ein vorsätzliches Handeln des<br />
Täters zulassen. Eine derartige Konstellation ist <strong>im</strong><br />
vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben.<br />
Nach einhelliger Rechtsprechung der Oberlandesgerichte<br />
kann die vorsätzliche Deliktsbegehung bei<br />
einer Trunkenheitsfahrt nicht bereits aus einer hohen<br />
<strong>Blutalkohol</strong>konzentration des Täters zur Tatzeit geschlossen<br />
werden. Da mit fortschreitender <strong>Alkohol</strong>isierung<br />
die Kritik-, Erkenntnis- <strong>und</strong> Selbsteinschätzungsfähigkeit<br />
der betroffenen Person <strong>im</strong> Allgemeinen<br />
abn<strong>im</strong>mt, existiert kein Erfahrungssatz, dass derjenige,<br />
der in erheblichen Mengen <strong>Alkohol</strong> getrunken hat,<br />
seine Fahruntüchtigkeit auch tatsächlich erkennt, insbesondere<br />
etwaige Ausfallerscheinungen bewusst<br />
wahrn<strong>im</strong>mt <strong>und</strong> aus ihnen die richtigen Schlüsse zieht.<br />
Für die Annahme vorsätzlicher Tatbegehung bedarf es<br />
vielmehr der Berücksichtigung aller Umstände des<br />
Einzelfalles, insbesondere der Täterpersönlichkeit, der<br />
Trinkgewohnheiten – namentlich in zeitlichem Zusammenhang<br />
mit dem Fahrtantritt – sowie des Täterverhaltens<br />
während <strong>und</strong> nach der Trunkenheitsfahrt<br />
(Senatsbeschluss vom 05. November 2009<br />
– III-2 Ss 220/09-149/09 I –; vgl. ferner OLG Zweibrücken<br />
DAR 1999, 132 f. [= BA 2000, 191]; OLG<br />
Koblenz NZV 1993, 444 [= BA 1994, 48]; OLG Karlsruhe<br />
NZV 1993, 117, 118; OLG Hamm VM 1998, 68 f.;<br />
Fischer, StGB, 57. Auflage 2010, § 316 Rdnr. 46<br />
m. w. N.). Ausführungen hierzu fehlen <strong>im</strong> angefochtenen<br />
Urteil völlig.<br />
2. Der dargelegte Rechtsfehler führt zur Aufhebung<br />
des angefochtenen Urteils mit den zugr<strong>und</strong>e liegenden<br />
Rechtsprechung<br />
429<br />
Feststellungen <strong>und</strong> zur Zurückverweisung der Sache<br />
an eine andere Abteilung des Amtsgerichts (§§ 353,<br />
354 Abs. 2 Satz 1 StPO), denn die Möglichkeit ergänzender<br />
Feststellungen zur inneren Tatseite ist be<strong>im</strong><br />
<strong>gegen</strong>wärtigen Sachstand nicht auszuschließen.<br />
II. Das weitere Vorbringen zur Revisionsrechtfertigung<br />
gibt Anlass, für die neue Hauptverhandlung auf<br />
folgende Gesichtspunkte hinzuweisen:<br />
1. Zur Problematik des Richtervorbehalts (§ 81a<br />
Abs. 2) bei der Anordnung von Blutentnahmen<br />
zwecks Feststellung von Trunkenheitsdelikten <strong>im</strong> Straßenverkehr<br />
hat sich der Senat in seinem Beschluss vom<br />
21. Januar 2010 (III-1 RVs 1/10) gr<strong>und</strong>legend geäußert.<br />
2. Bei einer 45 Minuten nach dem Tatgeschehen ermittelten<br />
<strong>Blutalkohol</strong>konzentration von 1,99 Promille<br />
dürfte die Frage zu erwägen sein, ob der Angeklagte<br />
zur Tatzeit vermindert schuldfähig <strong>im</strong> Sinne von § 21<br />
StGB war (vgl. hierzu Fischer, a. a. O., § 20 Rdnrn. 13,<br />
21, 21a).<br />
76. *) 1. Die tatrichterliche Würdigung der Umstände,<br />
aus denen eine relative Fahruntüchtigkeit<br />
gefolgert wird, ist zwar der Nachprüfung durch das<br />
Revisionsgericht weitestgehend entzogen. Rechtsfehlerhaft<br />
ist es jedoch, wenn diese Beweiswürdigung<br />
augenfällige Lücken enthält <strong>und</strong> gewichtige<br />
Umstände, deren Erörterung sich geradezu aufdrängen<br />
musste, völlig außer Betracht lässt.<br />
2. Beachtlich <strong>im</strong> Sinne des Nachweises relativer<br />
Fahruntüchtigkeit ist ein Fahrfehler nur dann,<br />
wenn das Gericht die Überzeugung gewinnt, der<br />
Fahrfehler wäre dem Angeklagten ohne alkoholische<br />
Beeinträchtigung nicht unterlaufen.<br />
Oberlandesgericht Köln,<br />
Beschluss vom 03. August 2010<br />
– III-1 RVs 142/10, 1 RVs 142/10 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger<br />
Trunkenheit <strong>im</strong> Verkehr zu einer Geldstrafe von 60<br />
Tagessätzen zu je 30 Euro verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis<br />
entzogen, seinen Führerschein eingezogen <strong>und</strong> die<br />
Straßenverkehrsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf<br />
von 8 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.<br />
Es hat zum Schuldspruch festgestellt:<br />
„Der Angeklagte bestieg in der Nacht vom<br />
05.12. 2008 auf den 06. 12. 2008 <strong>im</strong> Anschluss an<br />
eine betriebliche Weihnachtsfeier seinen Pkw, um<br />
nach Hause zu fahren. Denn aufgr<strong>und</strong> einer aufsteigenden<br />
Grippe fühlte sich der Angeklagte <strong>im</strong> Verlauf<br />
des Abends zunehmend unwohl. Um 1:20 Uhr<br />
befuhr der Angeklagte, der mit 0,67 Promille alkoholisiert<br />
war, die <strong>B<strong>und</strong></strong>esautobahn A ... aus B. kommend<br />
in Richtung X. Zu diesem Zeitpunkt war am<br />
Autobahnrastplatz I. eine Großkontrollstelle durch<br />
die Polizei eingerichtet. Die Kontrollstelle war so<br />
gestaltet, dass die zweispurige Autobahn zunächst<br />
durch L. H., einen leuchtenden Richtungspfeil <strong>und</strong><br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
430 Rechtsprechung<br />
Baken mit Blitzlampen über einen längeren Verlauf<br />
auf eine Spur reduziert wurde. Im Bereich der Auffahrt<br />
zum Rastplatzgelände war wiederum durch<br />
Baken, Hüte <strong>und</strong> einen Leuchtpfeil eine Scheidestelle<br />
eingerichtet. Für die Fahrzeuge, die nicht kontrolliert<br />
wurden, zeigten Baken <strong>und</strong> ein leuchtender<br />
Richtungspfeil an, dass der Spur in einer leichten<br />
Linkskurve von der rechten auf die linke Fahrbahn<br />
zu folgen war. Für die Fahrzeuge, die kontrolliert<br />
werden sollten, war die Ausfahrt zum Rastplatz<br />
durch Baken in die rechte Fahrbahn hinein verlängert.<br />
In diesem Bereich stand der Zeuge G., bekleidet<br />
mit einem neonfarbenen Anorak <strong>und</strong> einer<br />
weißen Mütze <strong>und</strong> wies die zu kontrollierenden<br />
Fahrzeuge mit einer Kelle in den Kontrollbereich<br />
ein. Der Angeklagte näherte sich der Kontrollstelle<br />
als drittes Fahrzeug in einer Kolonne. Der Zeuge G.<br />
winkte die beiden vorausfahrenden Fahrzeuge heraus,<br />
die daraufhin in die Kontrollstelle einfuhren.<br />
Auch dem Angeklagten signalisierte der Zeuge G.<br />
mit der Kelle, in die Kontrollstelle zu fahren. Der<br />
Angeklagte fuhr aber unbeirrt <strong>und</strong> in gleichbleibender<br />
Geschwindigkeit weiter, weil er aufgr<strong>und</strong> seiner<br />
<strong>Alkohol</strong>isierung die Verkehrssituation nicht mehr<br />
vollständig überblickte <strong>und</strong> zu spät reagierte. Der<br />
Zeuge trat daraufhin mit der Kelle winkend auf die<br />
Fahrbahn heraus, um den Angeklagten zum Einlenken<br />
zu bewegen. Als der Angeklagte dann nur noch<br />
wenige Meter entfernt war <strong>und</strong> weiterhin keine Reaktion<br />
zeigte, ging der Zeuge zügig in den abgesperrten<br />
Bereich zurück <strong>und</strong> ließ den Angeklagten<br />
passieren. Die Zeugen T. <strong>und</strong> H., die von ihm über<br />
Funk benachrichtigt wurden, folgten dem Angeklagten.<br />
Als sie ihn schließlich <strong>im</strong> Bereich der C.<br />
Straße anhalten konnten, stellten sie bei ihm <strong>Alkohol</strong>geruch,<br />
ein leichtes Schwanken <strong>und</strong> glasige, gerötete<br />
Augen fest.“<br />
Im Rahmen der Beweiswürdigung hat das Amtsgericht<br />
ausgeführt:<br />
„Der Angeklagte bestreitet nicht, in entsprechend<br />
alkoholisiertem Zustand am 06. 12. 2008 um<br />
1:20 Uhr gefahren zu sein. Er behauptet aber, es sei<br />
ihm verkehrsbedingt nicht möglich gewesen, der<br />
Einweisung durch den Zeugen G. Folge zu leisten.<br />
Ein ihm vorausfahrender silberner Pkw habe die<br />
Ausfahrt schon nicht mehr rechtzeitig genommen<br />
<strong>und</strong> sei daher <strong>im</strong> Bereich der Scheidestelle plötzlich<br />
stehen geblieben. Er sei daraufhin reaktionsschnell<br />
nach links ausgewichen <strong>und</strong> habe danach keine<br />
Möglichkeit gesehen, das Fahrzeug noch in die<br />
Kontrollstelle zu lenken oder risikolos anzuhalten.<br />
Diese Einlassung ist nach Durchführung der Beweisaufnahme<br />
widerlegt. Die Zeugen haben glaubhaft<br />
<strong>und</strong> übereinst<strong>im</strong>mend bek<strong>und</strong>et, dass es mit<br />
Ausnahme des Angeklagten an diesem Abend keine<br />
Schwierigkeiten gegeben habe, Fahrzeuge in die<br />
Kontrollstelle zu leiten. Insbesondere der Zeuge G.<br />
hatte eine sichere <strong>und</strong> lebhafte Erinnerung an die<br />
Örtlichkeit <strong>und</strong> die dortigen Vorgänge. Seine persönliche<br />
Einbindung in das Geschehen macht dies<br />
auch nachvollziehbar <strong>und</strong> er hätte das nach der<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Schilderung des Angeklagten fehlgeleitete Fahrzeug<br />
wahrnehmen müssen, da es unmittelbar vor<br />
ihm zum Stehen gekommen wäre. Dass der Zeuge<br />
das von ihm Wahrgenommene <strong>im</strong> Übrigen wahrheitsgemäß<br />
geschildert hat, ist auch insofern anzunehmen,<br />
als bei ihm eine Belastungstendenz nicht<br />
festzustellen war.<br />
Vielmehr ist aufgr<strong>und</strong> der Aussage des Zeugen<br />
G. zugunsten des Angeklagten erwiesen, dass durch<br />
dessen Verhalten keine konkrete Gefährdung des<br />
Zeugen eingetreten ist. Denn der Zeuge G. gab an,<br />
dem herannahenden Fahrzeug <strong>im</strong> schnellen Gehen<br />
ausgewichen zu sein, ohne dass ein Zusammenprall<br />
unmittelbar bevorgestanden hätte.<br />
Der festgestellte BAK-Wert von 0,67 Promille<br />
beruht auf dem <strong>Alkohol</strong>-Bef<strong>und</strong> des Instituts für<br />
Rechtsmedizin der Universität K. vom 08.12. 2008.“<br />
Zur rechtlichen Wertung heißt es <strong>im</strong> amtsgerichtlichen<br />
Urteil:<br />
„Der Angeklagte hat sich danach wie erkannt der<br />
fahrlässigen Trunkenheit <strong>im</strong> Verkehr gem. § 316<br />
Abs. 1, 2 StGB strafbar gemacht. Bei dem Angeklagten<br />
lag mit einem festgestellten BAK von 0,67<br />
Promille relative Fahruntüchtigkeit vor, die angesichts<br />
der getroffenen Feststellungen mit konkreten<br />
Ausfallerscheinungen <strong>im</strong> Straßenverkehr einherging.<br />
Es ist als Ausfallerscheinung zu bewerten,<br />
dass es dem Angeklagten nicht gelungen ist, auf die<br />
Einweisung des Zeugen G. rechtzeitig zu reagieren<br />
<strong>und</strong> in die Kontrollstelle einzufahren. Denn die<br />
<strong>Alkohol</strong>isierung verminderte die Fähigkeit auf unerwartete<br />
Ereignisse <strong>und</strong> eine komplexe Verkehrsführung<br />
schnell <strong>und</strong> sicher zu reagieren. Dies hat<br />
sich in dem vorliegenden Geschehen niedergeschlagen.“<br />
Die Revision des Angeklagten rügt die Verletzung<br />
formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts.<br />
Aus den Gründen:<br />
Das Rechtsmittel hat (vorläufigen) Erfolg. Es führt<br />
auf die Sachrüge zur Aufhebung der angefochtenen<br />
Entscheidung <strong>und</strong> zur Zurückverweisung der Sache an<br />
das Amtsgericht.<br />
Der Schuldspruch hält rechtlicher Überprüfung<br />
nicht stand.<br />
Zwar hat das Amtsgericht auch zu den Umständen,<br />
die <strong>im</strong> Zusammenhang mit der festgestellten BAK von<br />
0,67 Promille eine alkoholbedingte (relative) Fahruntüchtigkeit<br />
des Angeklagten belegen, ausreichende<br />
Feststellungen getroffen.<br />
Die Feststellungen werden aber von der Beweiswürdigung<br />
nicht getragen. Diese ist vielmehr in revisionsrechtlich<br />
bedeutsamer Weise materiell-rechtlich<br />
unvollständig. Die tatrichterliche Würdigung der Umstände,<br />
aus denen eine relative Fahruntüchtigkeit gefolgert<br />
wird, ist zwar der Nachprüfung durch das Revisionsgericht<br />
weitestgehend entzogen. Rechtsfehlerhaft<br />
ist es jedoch, wenn diese Beweiswürdigung augenfällige<br />
Lücken enthält <strong>und</strong> gewichtige Umstände, deren<br />
Erörterung sich geradezu aufdrängen musste, völlig<br />
außer Betracht lässt (SenE v. 20. 12. 1994 – Ss559/94 –
= NZV 1995, 454 mit Nachweisen). So verhält es sich<br />
hier.<br />
Das Amtsgericht hat es – ohne nähere Begründung –<br />
als Ausfallerscheinung bewertet, dass es dem Angeklagten<br />
nicht gelungen sei, auf die Zeichen/Weisungen<br />
des Zeugen G. rechtzeitig zu reagieren <strong>und</strong> in die Kontrollstelle<br />
einzufahren.<br />
Die dieser Wertung zugr<strong>und</strong>e liegende Beweiswürdigung<br />
ist aber schon insofern lückenhaft, als das<br />
Amtsgericht nicht die naheliegende Fragestellung erörtert<br />
hat, ob der Angeklagte die Kontrollstelle nicht<br />
ganz bewusst „umfahren“ wollte, um dadurch etwaigen<br />
Fragen <strong>und</strong> Tests der Polizeibeamten hinsichtlich<br />
einer <strong>Alkohol</strong>isierung zu entgehen.<br />
Hätte das Amtsgericht diese Fragestellung – mit<br />
nachvollziehbarer Begründung unter Einbeziehung<br />
der Einlassung des Angeklagten – verneint, dann hätte<br />
es näherer Erörterungen dazu bedurft, ob die gesamte<br />
– sich aus den Feststellungen ergebende – Verkehrssituation<br />
nicht so komplex war, dass sie vom Angeklagten<br />
auch <strong>im</strong> nüchternen Zustand nicht gemeistert worden<br />
wäre.<br />
Beachtlich <strong>im</strong> Sinne des Nachweises relativer Fahruntüchtigkeit<br />
ist ein Fahrfehler nämlich nur, wenn das<br />
Gericht die Überzeugung gewinnt, der Fahrfehler wäre<br />
dem Angeklagten ohne alkoholische Beeinträchtigung<br />
nicht unterlaufen. Dabei kommt es nicht darauf an, wie<br />
sich irgendein nüchterner Kraftfahrer oder der durchschnittliche<br />
Kraftfahrer ohne <strong>Alkohol</strong>einfluß verhalten<br />
hätte, sondern festzustellen ist, dass der Angeklagte<br />
sich ohne <strong>Alkohol</strong> anders verhalten hätte (SenE<br />
a. a. O.; SenE v. 09. 01. 2001 – Ss 477/00 – = VRS 100,<br />
123 = VM 2001 Nr. 57 [= BA 2002, 480] – jeweils mit<br />
Nachweisen; Fischer, StGB, 57. Auflage, § 316<br />
Rn. 34). Das Verhalten eines durchschnittlichen nüchternen<br />
Kraftfahrers ist nur mittelbar von Bedeutung. Je<br />
seltener ein best<strong>im</strong>mter Fahrfehler bei nüchternen Fahrern<br />
vorkommt <strong>und</strong> je häufiger er erfahrungsgemäß<br />
von alkoholisierten Fahrern begangen wird, desto eher<br />
wird der Schluss gerechtfertigt sein, der Fehler wäre<br />
auch dem Angeklagten <strong>im</strong> nüchternen Zustand nicht<br />
unterlaufen (Senat a. a. O.). Andererseits haben Fehlleistungen,<br />
die erfahrungsgemäß auch nüchternen<br />
Fahrern bisweilen unterlaufen, geringeren Indizwert<br />
(Senat VRS 100, 123 mit Nachweisen).<br />
Zu diesem Fragenkreis lässt sich der Beweiswürdigung<br />
<strong>im</strong> angefochtenen Urteil indes nichts entnehmen.<br />
77. 1. Die vorsorgliche Entziehung einer ausländischen<br />
Fahrerlaubnis, die der Angeklagte nur<br />
möglicherweise besitzt, ist nicht zulässig.<br />
*) 2. Nach der europarechtskonformen Regelung<br />
des § 28 Abs. 4 Nr. 2 FeV n. F. berechtigt eine<br />
EU- oder EWR-Fahrerlaubnis in aller Regel nicht<br />
zum Führen von Kraftfahrzeugen <strong>im</strong> Inland, wenn<br />
der Berechtigte ausweislich des Führerscheins oder<br />
vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer<br />
Informationen seinen ordentlichen<br />
Rechtsprechung<br />
431<br />
Wohnsitz zum Zeitpunkt der Fahrerlaubniserteilung<br />
in der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik Deutschland hatte.<br />
Oberlandesgericht Stuttgart,<br />
Beschluss vom 23. September 2010 – 5 Ss 471/10 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Das Amtsgericht – Strafrichter – Stuttgart-Bad<br />
Cannstatt hatte den Angeklagten am 01. Oktober 2009<br />
wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu<br />
der Freiheitsstrafe von drei Monaten mit Strafaussetzung<br />
zur Bewährung verurteilt. Weiter hat es ihm „die<br />
ausländische Fahrerlaubnis, soweit sie ihm inzwischen<br />
erteilt wurde,“ entzogen. Es wurde eine Sperrfrist von<br />
18 Monaten für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis<br />
angeordnet <strong>und</strong> der Führerschein des Angeklagten eingezogen.<br />
Gegen dieses Urteil legte der Angeklagte<br />
rechtzeitig Berufung ein. Er erstrebte einen Freispruch.<br />
Mit Urteil vom 06. Mai 2010 hat die kleine Strafkammer<br />
des Landgerichts Stuttgart die Berufung als<br />
unbegründet verworfen. Sie hat festgestellt, dass der<br />
Angeklagte am 14. Januar 2009 <strong>gegen</strong> 13.35 Uhr in S.<br />
als Pkw-Fahrer am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen<br />
hat, obwohl er wusste, dass ihm durch rechtskräftiges<br />
Urteil des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt<br />
vom 09. Oktober 2008 wegen eines Verkehrsdelikts<br />
die Fahrerlaubnis entzogen <strong>und</strong> eine Sperrfrist<br />
von 8 Monaten für ihre Wiedererteilung angeordnet<br />
worden war.<br />
Gegen dieses Urteil wendet sich die zulässige Revision<br />
des Angeklagten.<br />
Aus den Gründen:<br />
1. Soweit sich die Revision <strong>gegen</strong> den Schuldspruch<br />
<strong>und</strong> den Strafausspruch richtet, ist sie entsprechend<br />
dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft unbegründet<br />
<strong>im</strong> Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die<br />
Nachprüfung des Urteils aufgr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung<br />
hat insoweit keinen Rechtsfehler zum Nachteil<br />
des Angeklagten ergeben. Sollte der Angeklagte<br />
eine EU- oder EWR-Fahrerlaubnis besitzen, hätte<br />
diese ihn während des Laufs der Sperrfrist aus dem<br />
Urteil des Amtsgerichts Stuttgart Bad-Cannstatt vom<br />
09. Oktober 2008 bis zum Juni 2009 nach § 28 Abs. 4<br />
Nr. 4 FeV nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen in<br />
der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik Deutschland berechtigt.<br />
2. Da<strong>gegen</strong> können die angeordneten Fahrerlaubnismaßnahmen<br />
keinen Bestand haben. Das Urteil ist<br />
nach einst<strong>im</strong>miger Entscheidung des Senats insoweit<br />
gemäß § 349 Abs. 4 StPO aufzuheben.<br />
Das Landgericht hat lediglich festgestellt, dass der<br />
Angeklagte über keine deutsche Fahrerlaubnis verfügt.<br />
Es hat aber keine Feststellungen dazu getroffen,<br />
ob er <strong>im</strong> Besitz einer ausländischen Fahrerlaubnis ist.<br />
Die Strafkammer hat lediglich berichtet, der aus Österreich<br />
stammende <strong>und</strong> zeitweise in G./Österreich lebende<br />
Angeklagte habe die Auskunft auf die Frage verweigert,<br />
ob er über eine österreichische Fahrerlaubnis<br />
verfügt.<br />
Damit hat das Landgericht seiner Kognitionspflicht<br />
aus §§ 244 Abs. 2, 261 StPO nicht ausreichend genügt.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
432 Rechtsprechung<br />
Auch die Entziehung einer ausländischen Fahrerlaubnis<br />
nach §§ 69 Abs. 1, 69b StGB setzt die Feststellung<br />
des Gerichts voraus, dass diese Fahrerlaubnis besteht<br />
(Fischer, StGB, 57. Auflage, § 69 Rdnr. 3a;<br />
Gübner, NJW 2008, 2278). Hat der Täter keine Fahrerlaubnis,<br />
so wird gemäß § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB nur<br />
eine Sperrfrist für deren Wiedererteilung angeordnet.<br />
Stellt das Tatgericht fest, dass der Täter eine ausländische<br />
Fahrerlaubnis besitzt, ist diese zu entziehen. Die<br />
Entziehung hat aber lediglich die Wirkung einer Aberkennung<br />
des Rechts, von der Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Inland<br />
Gebrauch zu machen (§ 69b Abs. 1 StGB). Ist in diesem<br />
Fall der ausländische Führerschein von der<br />
Behörde eines Mitgliedstaats der Europäischen Union<br />
ausgestellt worden <strong>und</strong> hat der Inhaber seinen ordentlichen<br />
Wohnsitz <strong>im</strong> Inland, wie es be<strong>im</strong> Angeklagten<br />
den Feststellungen des Landgerichts nach der Fall ist,<br />
so wird der Führerschein <strong>im</strong> Urteil eingezogen <strong>und</strong> an<br />
die ausstellende Behörde zurückgesandt (§ 69b Abs. 2<br />
Satz 1 StGB).<br />
Das Amtsgericht Lahr (NJW 2008, 2277 f.) hat sich<br />
dem<strong>gegen</strong>über für eine vorsorgliche Entziehung der<br />
Fahrerlaubnis be<strong>im</strong> Vorliegen eines auch nur vagen<br />
Verdachts, der Täter könne <strong>im</strong> Besitz einer ausländischen<br />
Fahrerlaubnis sein, ausgesprochen. Der Senat<br />
tritt dem ent<strong>gegen</strong>. Nach § 261 StPO darf das Gericht<br />
eine tatsächliche Voraussetzung eines Straftatbestands<br />
sowie einer Vorschrift, die eine Maßregel der Besserung<br />
<strong>und</strong> Sicherung vorsieht, nur dann heranziehen,<br />
wenn es davon überzeugt ist, dass sie gegeben ist. Ein<br />
bloßer Verdacht reicht dafür nicht aus. Es ist allein<br />
Sache des Gesetzgebers, durch die besondere Ausgestaltung<br />
von Voraussetzungen der Strafbarkeit oder<br />
von Maßregeln der Besserung <strong>und</strong> Sicherung Ausnahmen<br />
hiervon zuzulassen. Dies ist etwa be<strong>im</strong> Straftatbestand<br />
der üblen Nachrede in § 186 StGB in der Form<br />
geschehen, dass <strong>im</strong> Falle des Beweises der Richtigkeit<br />
der behaupteten ehrenrührigen Tatsache – <strong>und</strong> nur in<br />
diesem Fall – eine objektive Bedingung der Strafbarkeit<br />
entfällt. Eine solche Vorschrift findet sich hier<br />
nicht.<br />
Darüber hinaus besteht ein Bedürfnis für eine Verdachtsentziehung<br />
der Fahrerlaubnis jedenfalls nicht<br />
mehr. Nach § 28 Abs. 4 Nr. 4 FeV berechtigt eine EUoder<br />
EWR-Fahrerlaubnis während des Laufs einer gerichtlich<br />
angeordneten Sperrfrist für die Fahrerlaubniserteilung<br />
nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen <strong>im</strong><br />
Inland. Der Täter, der dem zuwiderhandelt, macht sich<br />
regelmäßig wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis gem.<br />
§ 21 StVG strafbar (so auch OLG Hamm VRR 2010,<br />
108 f.). Nach § 28 Abs. 4 Nr. 2 FeV n. F. berechtigt<br />
überdies eine EU- oder EWR-Fahrerlaubnis in aller<br />
Regel nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen <strong>im</strong> Inland,<br />
wenn der Berechtigte ausweislich des Führerscheins<br />
oder vom Ausstellungsmitgliedsstaat herrührender<br />
unbestreitbarer Informationen seinen ordentlichen<br />
Wohnsitz zum Zeitpunkt der Fahrerlaubniserteilung<br />
in der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik Deutschland hatte. Nach<br />
der neueren Rechtsprechung des EuGH (Urteile vom<br />
26. Juni 2008 – C 329 <strong>und</strong> 343 [BA 2008, 255] sowie<br />
334 bis 336/06 –) entspricht eine solche Regelung der<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
durch Art. 8 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 91/439/EWG<br />
eröffneten Befugnis der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik Deutschland,<br />
die Führerscheinanerkennung bei einem Verstoß <strong>gegen</strong><br />
das Wohnsitzerfordernis zu versagen. Sie ist damit<br />
europarechtskonform (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss<br />
vom 12. August 2010, Az.: 10 A 10093/10).<br />
3. Die Zurückverweisung der Sache an das Landgericht<br />
ist geboten, um die fehlende Feststellung nachzuholen.<br />
Anhaltspunkte gibt es allein dafür, dass der<br />
Angeklagte <strong>im</strong> Besitz einer österreichischen <strong>und</strong> vermutlich<br />
in G. ausgestellten Fahrerlaubnis ist. Eine Klärung<br />
kann voraussichtlich durch ein Ersuchen des Gerichts<br />
an den polizeilichen Sachbearbeiter erfolgen, er<br />
möge über das LKA Baden-Württemberg – Abteilung<br />
Rechtshilfe bei den österreichischen Behörden unter<br />
Berufung auf den Deutsch-Österreichischen Polizei<strong>und</strong><br />
Justizvertrag vom 10. November 2003/19. Dezember<br />
2003 um entsprechende Auskunft nachsuchen.<br />
Gegenüber dem LKA sind die Personalien des Angeklagten,<br />
ein kurzer Sachverhalt <strong>und</strong> die Fragestellung<br />
anzugeben. Es soll dabei darauf hingewiesen werden,<br />
dass es sich um eine bloße Vermutung handelt, die<br />
Fahrerlaubnis für den Angeklagten könne in G. ausgestellt<br />
sein.<br />
Die Dauer der Sperrfrist, die der Senat mit 18 Monaten<br />
nicht beanstandet, kann durch die neue Strafkammer<br />
insbesondere um die seit dem Urteil des<br />
Landgerichts vergangene Zeit ermäßigt werden.<br />
4. Die Gesetzesverletzung berührt den Schuldspruch<br />
nicht. Der Senat schließt auch aus, dass <strong>im</strong><br />
Falle der Nichtentziehung der Fahrerlaubnis durch die<br />
neue Strafkammer eine geringere Freiheitsstrafe <strong>gegen</strong><br />
den Angeklagten festgesetzt werden würde. Der<br />
Schuldspruch <strong>und</strong> der Strafausspruch können daher<br />
bestehen bleiben.<br />
78. Bei einer Tatzeitblutalkoholkonzentration von<br />
3,0 Promille <strong>und</strong> mehr muss der Tatrichter die<br />
Schuldfähigkeit unter Berücksichtigung aller wesentlichen<br />
objektiven <strong>und</strong> subjektiven Umstände<br />
des Erscheinungsbildes <strong>und</strong> des Verhaltens des Täters<br />
vor, während <strong>und</strong> nach der Tat prüfen. Die Annahme<br />
der Schuldfähigkeit ist näher zu begründen<br />
<strong>und</strong> hat sich in der Regel auf sachverständige Feststellungen<br />
zu stützen.<br />
Oberlandesgericht Naumburg,<br />
Beschluss vom 06. Juli 2010 – 2 Ss 85/10 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Der Strafrichter des Amtsgerichts Halle hat den Angeklagten<br />
am 19. August 2009 vom Vorwurf der vorsätzlichen<br />
Trunkenheit <strong>im</strong> Verkehr freigesprochen.<br />
Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht<br />
am 18. März 2010 dieses Urteil aufgehoben<br />
<strong>und</strong> den Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit<br />
<strong>im</strong> Verkehr zu einer Geldstrafe von 35 Tagessätzen zu<br />
je 8 € verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen <strong>und</strong><br />
angeordnet, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis die
Wirkung hat, dass dem Angeklagten das Recht von der<br />
in Polen erteilten Fahrerlaubnis <strong>im</strong> Inland Gebrauch zu<br />
machen, für die Dauer von noch drei Monaten aberkannt<br />
wird, mit der Rechtskraft der Entscheidung das<br />
Recht zum Führen von Kraftfahrzeugen <strong>im</strong> Inland erlischt<br />
<strong>und</strong> während der Dauer der Sperre weder das<br />
Recht, von der ausländischen Fahrerlaubnis wieder<br />
Gebrauch zu machen, noch eine ausländische Fahrerlaubnis<br />
erteilt werden darf. Ferner wurde angeordnet,<br />
dass der in Polen ausgestellte Führerschein des Angeklagten<br />
eingezogen <strong>und</strong> an die ausstellende Behörde<br />
zurückgesandt wird. Da<strong>gegen</strong> wendet sich der Angeklagte<br />
mit seiner Berufung, mit der er die Verletzung<br />
formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts rügt.<br />
Aus den Gründen:<br />
Die Revision ist zulässig (§§ 333, 341 Abs. 1, 344,<br />
345 Abs. 1 StPO) <strong>und</strong> führt mit der Sachrüge zur Aufhebung<br />
des Schuldspruchs. Im Übrigen hat die Nachprüfung<br />
des Urteils aufgr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung<br />
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten<br />
aufgedeckt (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />
Die bisherigen Feststellungen tragen den Schuldspruch<br />
wegen fahrlässiger Trunkenheit <strong>im</strong> Verkehr<br />
(§ 316 Abs. 1 <strong>und</strong> 2 StGB) nicht.<br />
Gegen die Verwertung der Blutprobe bestehen keine<br />
Bedenken.<br />
Nach den bisherigen Feststellungen ist jedoch nicht<br />
auszuschließen, dass der Angeklagte <strong>im</strong> Zustand der<br />
Schuldunfähigkeit handelte (§ 20 StGB). Nach dem<br />
Ergebnis der Blutuntersuchung war der Angeklagte<br />
zur Tatzeit am 29. September 2008 <strong>gegen</strong> 08.20 Uhr<br />
erheblich alkoholisiert. Die ihm um 09.10 Uhr entnommene<br />
Blutprobe wies eine <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
von 2,83 ‰ auf. Unter Berücksichtigung eines<br />
stündlichen Anbaus von 0,2 ‰ <strong>und</strong> eines Sicherheitszuschlages<br />
von weiteren 0,2 ‰ errechnet sich zur Tatzeit<br />
eine mögliche <strong>Blutalkohol</strong>konzentration von 3,23<br />
‰. Bei <strong>Blutalkohol</strong>konzentrationen von 3 g ‰ <strong>und</strong><br />
darüber sind die Voraussetzungen des § 20 StGB naheliegend,<br />
daher stets zu prüfen <strong>und</strong> in der Regel auch<br />
gegeben (BGH StV 1991, 297). Ob die Steuerungsfähigkeit<br />
ausgeschlossen ist, muss der Tatrichter unter<br />
Würdigung aller Umstände des Einzelfalles beurteilen,<br />
wobei er neben der errechneten <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
alle wesentlichen objektiven <strong>und</strong> subjektiven<br />
Umstände, die sich auf das Erscheinungsbild <strong>und</strong><br />
das Verhalten des Täters vor, während <strong>und</strong> nach der Tat<br />
beziehen, zu berücksichtigen hat (BGH NStZ 1995,<br />
539). Wird Schuldfähigkeit – wie hier – bei hohen<br />
BAK-Werten bejaht, bedarf dies näherer Begründung;<br />
es setzt meist die Anhörung eines Sachverständigen<br />
voraus (Fischer, a. a. O.). Auf einen Sachverständigen<br />
kann gr<strong>und</strong>sätzlich nur verzichtet werden, wenn es an<br />
den tatsächlichen Gr<strong>und</strong>lagen für das zu erstattende<br />
Gutachten fehlt oder das Gericht ausnahmsweise, etwa<br />
in einfacheren Fällen der Feststellung <strong>und</strong> Bewertung<br />
der <strong>Blutalkohol</strong>konzentration oder sonst bei Vorliegen<br />
von besonderem richterlichen Erfahrungswissen auf<br />
best<strong>im</strong>mten Teilbereichen über die erforderliche besondere<br />
Sachk<strong>und</strong>e verfügt, was dann in der Regel<br />
Rechtsprechung<br />
433<br />
näher darzulegen ist (OLG Koblenz VRS 104, 300;<br />
OLG Rostock Beschluss vom 22. 03. 2001 1 Ss 244/00<br />
– zitiert nach juris –). Ein solcher Ausnahmefall, unter<br />
dem die alkoholbedingte Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit<br />
ohne sachverständige Hilfe aufgeklärt werden<br />
kann, liegt hier nicht vor. Die Erwägungen des<br />
Landgerichts, mit dem es die Schuldfähigkeit bejaht<br />
hat, vermögen auch nicht zu überzeugen. Dass der Angeklagte<br />
zur Arbeit fahren wollte, ansprechbar war,<br />
sich ohne fremde Hilfe bewegen konnte <strong>und</strong> die<br />
Durchführung eines <strong>Blutalkohol</strong>tests möglich war,<br />
schließt eine Aufhebung des Steuerungsvermögens für<br />
sich nicht aus (s. BGH StV 1991, 297). Zu den Trinkgewohnheiten<br />
des Angeklagten <strong>und</strong> dazu, wie er sich<br />
während der ärztlichen Untersuchung verhielt, wurde<br />
nichts festgestellt. Auch der Untersuchungsbef<strong>und</strong> des<br />
blutabnehmenden Arztes ist nicht mitgeteilt.<br />
Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen sind<br />
von Rechtsfehlern nicht beeinflusst <strong>und</strong> bleiben bestehen<br />
(§ 353 Abs. 2 StPO).<br />
79. *) Anders als be<strong>im</strong> <strong>Alkohol</strong>konsum eines<br />
Kraftfahrers ist eine Fahruntüchtigkeit i. S. d.<br />
§§ 316 StGB <strong>und</strong> 315c Abs. 1 Nr. 1 a) StGB nach<br />
Genuss von <strong>Drogen</strong> allein aufgr<strong>und</strong> eines positiven<br />
Wirkstoffspiegels <strong>im</strong> Blut nach dem <strong>gegen</strong>wärtigen<br />
Stand der Wissenschaft (noch) nicht zu begründen.<br />
Der Nachweis kann gr<strong>und</strong>sätzlich nur aufgr<strong>und</strong><br />
des konkreten rauschmittelbedingten Leistungsbildes<br />
des Betreffenden <strong>im</strong> Einzelfall geführt werden.<br />
Dazu bedarf es außer des positiven Blutwirkstoffbef<strong>und</strong>es<br />
regelmäßig weiterer aussagekräftiger Beweisanzeichen.<br />
Oberlandesgericht Hamm,<br />
Beschluss vom 29. Juni 2010<br />
– III-3 RVs 45/10, 3 RVs 45/10 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger<br />
Gefährdung des Straßenverkehrs <strong>und</strong> vorsätzlicher<br />
Trunkenheit <strong>im</strong> Verkehr in Tateinheit mit<br />
unerlaubtem Entfernen vom Unfallort zu einer<br />
Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 15,– €<br />
verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen<br />
Führerschein eingezogen <strong>und</strong> eine noch fünfmonatige<br />
Sperre für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis<br />
angeordnet.<br />
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts war der<br />
Angeklagte am 12. 04. 2009 um 21.12 Uhr aufgr<strong>und</strong><br />
vorherigen Kokainkonsums zur sicheren Führung von<br />
Kraftfahrzeugen nicht in der Lage. Dessen ungeachtet<br />
nahm er seinen auf einem Parkplatz an der N-Straße in<br />
C. abgestellten Pkw in Betrieb. Obwohl der Angeklagte<br />
<strong>im</strong> Vorwärtsgang aus der Parklücke hätte herausfahren<br />
müssen, legte er infolge seiner rauschmittelbedingten<br />
Fahruntüchtigkeit versehentlich den Rückwärtsgang<br />
ein <strong>und</strong> fuhr auf den hinter ihm abgestellten Pkw<br />
der G. auf. Infolge des starken Aufpralls wurde dieser<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
434 Rechtsprechung<br />
Pkw auf den dahinter parkenden Pkw des P. geschoben.<br />
Beide Fahrzeuge wurden beschädigt.<br />
Obwohl – so heißt es <strong>im</strong> Urteil weiter – dem Angeklagten<br />
aufgr<strong>und</strong> des Unfallgeschehens nunmehr klar<br />
war, dass er infolge des Rauschmittelkonsums nicht<br />
mehr fahrtüchtig war, beschloss er, sich vom Unfallort<br />
zu entfernen. Den Pkw stellte er in einiger, von der Unfallstelle<br />
nicht mehr sichtbaren Stelle ab, setzte seinen<br />
Weg zu Fuß fort <strong>und</strong> wurde kurz danach von eintreffenden<br />
Polizeibeamten angetroffen.<br />
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit<br />
der Revision <strong>und</strong> rügt die Verletzung formellen <strong>und</strong><br />
materiellen Rechts.<br />
Aus den Gründen:<br />
Die zulässige Sprungrevision ist begründet <strong>und</strong><br />
führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils <strong>und</strong><br />
zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung<br />
des Amtsgerichts Bielefeld (§§ 349 Abs. 4, 354<br />
Abs. 2 StPO).<br />
Die Revision hat bereits mit der erhobenen Sachrüge<br />
Erfolg. Die tatrichterlich getroffenen Feststellungen<br />
tragen die Verurteilung nicht.<br />
1. Hinsichtlich des Schuldspruchs der fahrlässigen<br />
Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c Abs. 1<br />
Nr. 1 a), Abs. 3 Nr. 2 StGB sowie der vorsätzlichen<br />
Trunkenheit <strong>im</strong> Verkehr gem. § 316 Abs. 1 StGB belegen<br />
die Feststellungen nicht in ausreichender Weise,<br />
dass der Angeklagte – <strong>im</strong> Zustand relativer Fahruntüchtigkeit<br />
– infolge des Genusses berauschender<br />
Mittel nicht in der Lage war, sein Fahrzeug sicher zu<br />
führen.<br />
Es fehlt sowohl an Angaben zur Menge des konsumierten<br />
Betäubungsmittels als auch an hinreichenden<br />
Ausführungen zur betäubungsmittelbedingten kausalen<br />
Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit des Angeklagten.<br />
Anders als be<strong>im</strong> <strong>Alkohol</strong>konsum eines Kraftfahrers<br />
ist eine Fahruntüchtigkeit nach Genuss von <strong>Drogen</strong><br />
allein aufgr<strong>und</strong> eines positiven Wirkstoffspiegels <strong>im</strong><br />
Blut nach dem <strong>gegen</strong>wärtigen Stand der Wissenschaft<br />
(noch) nicht zu begründen (BGH, BeckRS 2009, 5128;<br />
Senatsbeschl. v. 30. 03. 2010 – III-3 RVs 7/10). Trotz<br />
der erheblichen Gefahren, die von der Teilnahme eines<br />
unter Rauschgifteinfluss stehenden Kraftfahrers <strong>im</strong><br />
Straßenverkehr ausgehen können, kann der für die Erfüllung<br />
der geltenden §§ 316 StGB <strong>und</strong> 315c Abs. 1<br />
Nr. 1 a) StGB vorausgesetzte Nachweis der „relativen“<br />
Fahruntüchtigkeit auch nach der <strong>gegen</strong>wärtigen<br />
Gesetzeslage gr<strong>und</strong>sätzlich nur aufgr<strong>und</strong> des konkreten<br />
rauschmittelbedingten Leistungsbildes des Betreffenden<br />
<strong>im</strong> Einzelfall geführt werden. Dazu bedarf es<br />
außer des positiven Blutwirkstoffbef<strong>und</strong>es regelmäßig<br />
weiterer aussagekräftiger Beweisanzeichen (BGH,<br />
NZV 1999, S. 48 [= BA 1999, 61]). Nicht unbedingt<br />
erforderlich ist, dass sich die rauschmittelbedingten<br />
Ausfallerscheinungen in Fahrfehlern ausgewirkt<br />
haben müssen; u. U. können auch Auffälligkeiten <strong>im</strong><br />
Verhalten in der Anhaltesituation genügen, die konkrete<br />
Hinweise auf eine schwerwiegende Beeinträchtigung<br />
der Wahrnehmungs- <strong>und</strong> Reaktionsfähigkeit<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
geben (BGH, NZV 1999, S. 48). Hierfür können ggf.<br />
mangelnde Ansprechbarkeit, Unfähigkeit zu koordinierter<br />
Bewegung sowie stark verlangsamte Reaktionen<br />
bei der polizeilichen Kontrolle <strong>im</strong> Zusammenhang<br />
mit offensichtlichen Fahrfehlern herangezogen werden.<br />
Allgemeine Merkmale, die üblicherweise mit<br />
<strong>Drogen</strong>konsum einhergehen, wie gerötete Augen, erweiterte<br />
Pupillen (vgl. zum Rebo<strong>und</strong>-Effekt OLG<br />
Zweibrücken, BeckRS 2004, 5288) sowie nervöses<br />
oder unruhiges Verhalten rechtfertigen die Annahme<br />
relativer Fahruntüchtigkeit hin<strong>gegen</strong> nicht (Senatsbeschl.<br />
v. 30. 03. 2010 – III-3 RVs 7/10; OLG Hamm,<br />
Beschl. v. 03. 04. 2003 – 4 Ss 158/03). Soweit teilweise<br />
vertreten wird, bei sehr hohen Wirkstoffwerten eines<br />
Betäubungsmittels könne ein einzelnes weiteres Anzeichen<br />
zur Begründung der Fahruntüchtigkeit genügen,<br />
werden für diesen Fall zugleich hohe Anforderungen<br />
an die Zuverlässigkeit der festgehaltenen Ausfallerscheinung<br />
gestellt, d.h., diese muss so gravierend<br />
sein, dass ein sicheres Fahren ohne weiteres ausgeschlossen<br />
werden kann (vgl. OLG Zweibrücken,<br />
BeckRS 2004, 5288). Hinzu kommen muss aber, dass<br />
das angefochtene Urteil ergibt, ob die festgestellten<br />
Werte <strong>im</strong> Sinne einer konkreten Dosis-Konzentrations-Wirkungs-Beziehung<br />
überhaupt als „hoch“ anzusehen<br />
sind, was wegen der erheblichen Wirkungsunterschiede<br />
von <strong>Drogen</strong> in jedem Fall näherer<br />
Darlegung bedarf (BGH, BeckRS 2009, 5128; BGH,<br />
NZV 1999, S. 48).<br />
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil<br />
nicht gerecht, vielmehr erschöpft es sich in der<br />
Feststellung des Kokainkonsums <strong>und</strong> der hierdurch<br />
begründeten Fahruntüchtigkeit, wobei es an Angaben<br />
zur Höhe eines ermittelten Blutwirkstoffbef<strong>und</strong>es<br />
ebenso fehlt wie an der Auseinandersetzung mit insoweit<br />
gewonnenen <strong>und</strong> in die Hauptverhandlung eingeführten<br />
Erkenntnissen.<br />
Durch den festgestellten Fahrfehler lässt sich<br />
gleichfalls kein kausal verknüpfender Rückschluss<br />
auf kokainkonsumbedingte Fahruntüchtigkeit belegen.<br />
Das versehentliche Einlegen des Rückwärtsganges<br />
ist nicht als schwerer oder ungewöhnlicher, durch andere<br />
Umstände nicht erklärbarer Fahrfehler anzusehen,<br />
der einem nicht unter Rauschmittel stehenden<br />
Kraftfahrzeugführer nicht unterlaufen wäre. Denkbar<br />
ist gleichermaßen ein gänzlich rauschmittelunabhängiges<br />
augenblickliches Versagen, zumal das Urteil<br />
auch nicht mitteilt, dass der Angeklagte etwa mit einer<br />
auffallend hohen Rückfahrgeschwindigkeit zurückgesetzt<br />
<strong>und</strong> aufgr<strong>und</strong> dessen Schadensbilder besonderen<br />
Ausmaßes verursacht hat.<br />
Sonstige Ausfallerscheinungen des Angeklagten<br />
verzeichnet das Urteil nicht, so dass es insgesamt an<br />
hinreichenden Feststellungen zur rauschmittelbedingten<br />
relativen Fahruntüchtigkeit nach §§ 315c Abs. 1<br />
Nr. 1 a), 316 Abs. 1 StGB mangelt.<br />
2. Die tatrichterlichen Ausführungen zum unerlaubten<br />
Entfernen vom Unfallort nach § 142 Abs. 1<br />
Nr. 1 StGB bedürfen der Konkretisierung. [wird ausgeführt]
80. Erwirbt ein wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis<br />
Angeklagter nach der Tat eine neue Fahrerlaubnis,<br />
so kann bei nachfolgender mehr als 3-monatiger<br />
unbeanstandeter Teilnahme am<br />
öffentlichen Straßenverkehr der sich eigentlich aus<br />
der Tat ergebende Eignungsmangel weggefallen<br />
sein. Es kann dann aber geboten sein, ein Fahrverbot<br />
nach § 44 StGB festzusetzen.<br />
Amtsgericht Lüdinghausen,<br />
Urteil vom 14. September 2010<br />
– 9 Ds 82 Js 3172/10-86/10, 9 Ds 86/10 –<br />
Aus den Gründen:<br />
Aufgr<strong>und</strong> einer Trunkenheitsfahrt vom 02. 06. 2009<br />
wurde der Angeklagte durch das hiesige Gericht am<br />
03. 11. 2009 wegen fahrlässiger Trunkenheit <strong>im</strong> Straßenverkehr<br />
zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu<br />
je 30,00 Euro verurteilt. Die Fahrerlaubnis wurde entzogen<br />
<strong>und</strong> der Führerschein eingezogen – festgesetzt<br />
wurde zudem eine Sperrfrist bis zum 02. 04. 2010. Die<br />
hier<strong>gegen</strong> eingelegte Berufung nahm der Angeklagte<br />
<strong>im</strong> Hauptverhandlungstermin vor dem Landgericht N.<br />
am 18. 03. 2010 zurück. Bereits am nächsten Tage,<br />
also am 19. 03. 2010 befuhr der Angeklagte in T. um<br />
8.41 Uhr die P. Straße mit seinem fahrerlaubnispflichtigen<br />
Fahrzeug. Der Angeklagte wollte in T. einen Arzt<br />
aufsuchen, um eine ärztliche Bescheinigung zu besorgen,<br />
die er für die Wiedererteilung seiner Fahrerlaubnis<br />
benötigte. Seit dem 28. 05. 2010 ist der Angeklagte<br />
wieder Inhaber einer gültigen Fahrerlaubnis, nachdem<br />
ihm eine solche von der zuständigen Verwaltungsbehörde<br />
wieder erteilt wurde.<br />
Der Angeklagte war geständig <strong>und</strong> dementsprechend<br />
wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis<br />
gem. § 21 Abs. 1 StVG zu bestrafen.<br />
Tat- <strong>und</strong> schuldangemessen erschien dem Gericht<br />
zur Einwirkung auf den Angeklagten unter Berücksichtigung<br />
aller für <strong>und</strong> <strong>gegen</strong> ihn sprechenden<br />
Umstände eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je<br />
5,00 Euro. Die geringe Tagessatzhöhe ergibt sich aus<br />
der Tatsache, dass dem Angeklagten durch die Stadt P.<br />
derzeit lediglich eine Schlichtwohnung zur Verfügung<br />
gestellt wird, er jedoch keinerlei Sozialhilfeleistungen<br />
seitens der Stadt erhält.<br />
Zwar hat sich der Angeklagte durch seine Tat als ungeeignet<br />
zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen.<br />
Diese Ungeeignetheit ergab sich aus der Tatbegehung<br />
bereits einen Tag nach der Berufungshauptverhandlung<br />
<strong>und</strong> dem inneren Zusammenhang der Tat mit dem<br />
Verfahren zur Wiedererlangung der Fahrerlaubnis.<br />
Diese Ungeeignetheit aus der Tat konnte das Gericht<br />
jedoch zum Zeitpunkt der Urteilsfällung nicht mehr<br />
feststellen. Es war nämlich zu berücksichtigen, dass<br />
seit der Tat nicht nur etwa 6 Monate vergangen sind,<br />
sondern zwischenzeitlich auch eine neue Fahrerlaubnis<br />
erteilt wurde <strong>und</strong> der Angeklagte hiermit etwa 3 1 / 2<br />
Monate beanstandungsfrei wieder am Straßenverkehr<br />
teiln<strong>im</strong>mt.<br />
Folgerichtig erschien es ausreichend, aber auch erforderlich,<br />
ein Fahrverbot gem. § 44 StGB von ange-<br />
Rechtsprechung<br />
435<br />
messenen 3 Monaten als „Denkzettel“ festzusetzen.<br />
Bei der Bemessung der Fahrverbotsdauer hat das Gericht<br />
angesichts der dargestellten Tatumstände das max<strong>im</strong>ale<br />
Maß festsetzen müssen.<br />
81. *) Das Ergebnis einer Atemalkoholmessung<br />
ist <strong>im</strong> Falle einer fehlenden Belehrung über die<br />
Freiwilligkeit der Teilnahme nicht verwertbar.<br />
Amtsgericht Frankfurt am Main,<br />
Urteil vom 18. Januar 2010<br />
– 998 OWi 2022-955 Js-OWi 20697/09 –<br />
Aus den Gründen:<br />
Der heute 36-jährige Betroffene ist italienischer<br />
Staatsangehöriger <strong>und</strong> verheiratet. Er betreibt mehrere<br />
Restaurants.<br />
Der Betroffene befuhr am 24. 10. 2008 um<br />
01:40 Uhr in F. die B. Straße mit seinem Pkw. Er<br />
wurde einer verdachtsunabhängigen Verkehrskontrolle<br />
unterzogen. <strong>Alkohol</strong>bedingte Ausfallerscheinungen<br />
konnten nicht festgestellt werden. Da der Betroffene<br />
einräumte, <strong>Alkohol</strong> konsumiert zu haben, wurde er<br />
zum Polizeipräsidium F. verbracht. Danach erfolgte in<br />
der Zeit von 02:27 Uhr <strong>und</strong> 02:36 Uhr eine Messung<br />
seiner Atemalkoholkonzentration mit einem Atemalkoholmessgerät<br />
Alcotest 7110 Evidential, Typ MK III.<br />
Das Gerät war zuletzt am 07. 10. 2008 geeicht worden;<br />
die Gültigkeit der Eichung dauerte bis zum 30. 04. 2009<br />
an. Die beiden Einzelwerte der Messung ergaben<br />
0,259 bzw. 0,257 mg/l <strong>und</strong> ein Durchschnittswert von<br />
0,25 mg/l.<br />
Der Betroffene hat einer Verwertung dieser Atemalkoholmessung<br />
widersprochen <strong>und</strong> behauptet, er sei<br />
nicht über die Freiwilligkeit der Messung belehrt worden.<br />
Das Protokoll zur Atemalkoholmessung enthält den<br />
Hinweis, dass eine Belehrung des Probanden durchgeführt<br />
worden sei, schweigt sich jedoch über deren Inhalt<br />
aus. Der Zeuge, der die Messungen durchgeführt<br />
hatte, konnte sich nicht daran erinnern, ob er den Betroffenen<br />
über die Freiwilligkeit der Atemalkoholmessung<br />
belehrt hat.<br />
Daher war zu Gunsten des Betroffenen davon auszugehen,<br />
dass die erforderliche Belehrung vor der<br />
Messung nicht erfolgt ist. Der Betroffene war daher<br />
vom Vorwurf der fahrlässigen Ordnungswidrigkeit<br />
nach § 24a StVG freizusprechen.<br />
Das Ergebnis des Alcotests ist wegen der fehlenden<br />
Belehrung über die Freiwilligkeit an der Teilnahme<br />
nicht verwertbar. Die Teilnahme an dem Test kann<br />
nicht erzwungen werden, da dies eine aktive Betätigung<br />
des Betroffenen erfordert <strong>und</strong> er nicht verpflichtet<br />
werden kann, aktiv an der eigenen Überführung<br />
mitzuwirken. Über die Freiwilligkeit <strong>und</strong> die Nichterzwingbarkeit<br />
muss der Betroffene von den Ermittlungsbehörden<br />
belehrt werden. Zum Zeitpunkt der<br />
Durchführung dieses Tests hatte der Betroffene den<br />
Beschuldigtenstatus <strong>und</strong> war bereits über seine prozes-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
436 Rechtsprechung<br />
sualen Rechte nach §§ 136 Abs. 1, 163a StPO belehrt<br />
worden. Bemerkenswerter Weise enthält die Belehrung<br />
des Betroffenen den ausführlichen Text dieser<br />
Belehrung, so dass über deren Inhalt kein Zweifel besteht.<br />
Das Gericht ist der Ansicht, dass die Verletzung dieser<br />
Belehrungspflicht zum Atemalkoholtest auch ein<br />
Verwertungsverbot zur Folge hat.<br />
Der Betroffene war daher freizusprechen mit der<br />
Kostenfolge, dass die Staatskasse die Kosten des Verfahrens<br />
<strong>und</strong> seine notwendigen Auslagen zu tragen hat.<br />
82. 1. Hat ein Radfahrer mit einem <strong>Blutalkohol</strong>gehalt<br />
von 1,6 Promille oder mehr am Straßenverkehr<br />
teilgenommen, so bestehen berechtigte Zweifel<br />
an seiner Eignung zum Führen eines nicht<br />
erlaubnispflichtigen Fahrzeugs, die eine Anordnung<br />
zur Beibringung eines Gutachtens gem. §§ 3<br />
Abs. 2, 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c) FeV rechtfertigen.<br />
Dies gilt auch bei einem sog. Ersttäter, der nicht <strong>im</strong><br />
Besitz einer Fahrerlaubnis für Kraftfahrzeuge<br />
ist (a. A. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom<br />
25. 09. 2009 – 10 B 10930/09 –, DAR 2010, 35 = NZV<br />
2010, 54 = NJW 2010, 457 = BA 2009, 437).<br />
*) 2. Fehlende finanzielle Mittel stellen in aller<br />
Regel keinen ausreichenden Gr<strong>und</strong> dar, um die<br />
Vorlage eines zu Recht verlangten Fahreignungsgutachtens<br />
zu unterlassen, ohne dass dem Betroffenen<br />
einer solchen Anordnung die Rechtsfolge des<br />
§ 11 Abs. 8 Satz 1 FeV ent<strong>gegen</strong>gehalten werden<br />
kann.<br />
Hessischer Verwaltungsgerichtshof,<br />
Urteil vom 06. Oktober 2010 – 2 B 1076/10 –<br />
Aus den Gründen:<br />
Dem Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe<br />
für das Beschwerdeverfahren kann - unabhängig<br />
von den persönlichen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Verhältnissen<br />
des Antragstellers - nicht entsprochen werden. Prozesskostenhilfe<br />
ist gemäß § 166 der Verwaltungsgerichtsordnung<br />
(VwGO) i. V. m. § 114 der Zivilprozessordnung<br />
(ZPO) nur dann zu bewilligen, wenn die<br />
beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung<br />
hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet <strong>und</strong> nicht<br />
mutwillig erscheint. Die vom Antragsteller beabsichtigte<br />
Rechtsverfolgung ist indes nicht hinreichend erfolgversprechend.<br />
Die per Telefax am 26. Mai 2010 rechtzeitig vor Ablauf<br />
der in § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO best<strong>im</strong>mten<br />
Frist be<strong>im</strong> Hessischen Verwaltungsgerichtshof eingegangene<br />
Beschwerdebegründung, die dieser allein<br />
prüft (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), lässt keinen Gesichtspunkt<br />
erkennen, der zu einer Abänderung der angefochtenen<br />
erstinstanzlichen Entscheidung <strong>und</strong> zur<br />
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der<br />
vom Antragsteller am 21. Dezember 2009 be<strong>im</strong> Verwaltungsgericht<br />
Gießen erhobenen Anfechtungsklage<br />
führen könnte. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
zutreffend erkannt, dass die zuständige Behörde<br />
gemäß § 3 Abs. 2 i. V. m. § 11 Abs. 8 Satz 1 der Verordnung<br />
über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr<br />
(Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV –) bei<br />
ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des betroffenen<br />
Fahrzeugführers schließen darf, wenn dieser sich<br />
weigert, sich untersuchen zu lassen, oder wenn er der<br />
Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten<br />
nicht fristgerecht beibringt. Ferner hat das erstinstanzliche<br />
Gericht als Voraussetzung hierfür fehlerfrei<br />
zu Gr<strong>und</strong>e gelegt, dass die Anordnung zur Beibringung<br />
eines (hier: medizinisch-psychologischen) Eignungsgutachtens<br />
auf der Gr<strong>und</strong>lage von § 3 Abs. 2<br />
i. V. m. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c) FeV sich als rechtmäßig<br />
erweisen muss.<br />
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde<br />
das Führen von nicht erlaubnispflichtigen<br />
Fahrzeugen oder das Führen von Tieren zu untersagen,<br />
zu beschränken oder die erforderlichen Auflagen anzuordnen,<br />
wenn sich jemand als ungeeignet oder nur<br />
noch bedingt geeignet hierzu erweist. Rechtfertigen<br />
Tatsachen die Annahme, dass der Führer eines fahrerlaubnisfreien<br />
Fahrzeugs oder Tieres zum Führen ungeeignet<br />
oder nur noch bedingt geeignet ist, finden die<br />
Vorschriften der §§ 11 bis 14 FeV gemäß § 3 Abs. 2<br />
FeV entsprechend Anwendung, um Eignungszweifel<br />
zu klären bzw. eine behördliche Entscheidung über die<br />
Untersagung, Beschränkung oder die Anordnung von<br />
Auflagen vorzubereiten. Zur Klärung von Eignungszweifeln<br />
bei einer <strong>Alkohol</strong>problematik ordnet die Fahrerlaubnisbehörde<br />
gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c) FeV<br />
dann zwingend, d. h. ohne dass ihr ein Ermessen eingeräumt<br />
wäre, die Beibringung eines medizinisch-psychologischen<br />
Eignungsgutachtens an, wenn ein Fahrzeug <strong>im</strong><br />
Straßenverkehr bei einer <strong>Blutalkohol</strong>konzentration von<br />
1,6 ‰ oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration<br />
von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde.<br />
Die Anordnung zur Beibringung eines Eignungsgutachtens<br />
vom 30. Oktober 2008 durch den Antragsgegner<br />
ist hier ent<strong>gegen</strong> der Ansicht des Antragstellers<br />
auch von § 3 Abs. 2 i. V. m. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c)<br />
FeV gedeckt, nachdem der Antragsteller mit rechtskräftigem<br />
Strafbefehl des Amtsgerichts Gießen vom<br />
30. Juli 2008 wegen fahrlässiger Trunkenheit <strong>im</strong> Straßenverkehr<br />
verurteilt worden ist. Nach seinem eindeutigen<br />
Wortlaut setzt § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c) FeV<br />
nicht das Führen eines Kraftfahrzeugs, sondern lediglich<br />
das Führen eines Fahrzeugs unter erheblichem<br />
<strong>Alkohol</strong>einfluss voraus, so dass die Teilnahme am öffentlichen<br />
Straßenverkehr als Radfahrer ausreichend<br />
ist (BVerwG, Urteil vom 21. Mai 2008 – 3 C 32.07 –,<br />
BVerwGE 131, 163 = NJW 2008, 2601 = DAR 2008,<br />
537 = NZV 2008, 646 = VerkMitt 2008, Nr. 73 = VRS<br />
115, 149 = Buchholz 442.10 § 2 StVG Nr. 14, m. w. N.<br />
[= BA 2008, 410]). Allerdings sind mit der rechtskräftigen<br />
Verurteilung des Antragstellers noch nicht die<br />
Voraussetzungen für eine Untersagungsanordnung<br />
nach § 3 Abs. 2 FeV erfüllt. Auch genügt der am<br />
30. Juni 2008 be<strong>im</strong> Antragsteller festgestellte <strong>Blutalkohol</strong>gehalt<br />
von deutlich mehr als 1,6 ‰ (zur Tatzeit<br />
um 4.15 Uhr mindestens 1,75 ‰, siehe hierzu: vorläu-
figes <strong>Blutalkohol</strong>-Gutachten des Universitätsklinikums<br />
G. <strong>und</strong> M. GmbH), noch nicht, um automatisch<br />
die Eignung zum Führen erlaubnisfreier Fahrzeuge zu<br />
verneinen. Dies folgt aus dem systematischen Verhältnis<br />
von § 3 Abs. 2 <strong>und</strong> § 13 FeV. Nach § 13 Satz 1<br />
Nr. 2 Buchst. c) FeV ist eine solche – be<strong>im</strong> Antragsteller<br />
nach dem Inhalt der Verwaltungsvorgänge bislang<br />
nur einmal festgestellte – Trunkenheitsfahrt mit einer<br />
<strong>Blutalkohol</strong>konzentration von mehr als 1,6 ‰ zunächst<br />
nur Anlass für die Einholung eines medizinisch-psychologischen<br />
Gutachtens zur Vorbereitung<br />
einer Entscheidung der Fahrerlaubnisbehörde gemäß<br />
§ 3 Abs. 1 FeV. Dem steht weder der stets zu beachtende<br />
Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismäßigkeit noch der Wortlaut<br />
des § 3 Abs. 2 FeV ent<strong>gegen</strong>, nachdem die Vorschriften<br />
der §§ 11 bis 13 FeV entsprechend<br />
Anwendung finden. Danach setzt die Anordnung einer<br />
medizinisch-psychologischen Eignungsbegutachtung<br />
(auch) auf der Gr<strong>und</strong>lage des § 3 Abs. 2 i. V. m. § 13<br />
Satz 1 Nr. 2 Buchst. c) FeV <strong>gegen</strong>über einem Fahrradfahrer,<br />
der – wie hier der Antragsteller – nicht <strong>im</strong> Besitz<br />
einer Fahrerlaubnis für Kraftfahrzeuge ist, nicht<br />
voraus, „… dass sich eine naheliegende <strong>und</strong> schwerwiegende,<br />
an die Risiken bei auffällig gewordenen<br />
Fahrerlaubnisinhabern heranreichende Gefährdung<br />
des öffentlichen Straßenverkehrs durch den Radfahrer<br />
aus den konkreten Umständen des Einzelfalls herleiten<br />
lässt.“ (so: OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom<br />
25. September 2009 – 10 B 10930/09 –, NJW 2010,<br />
457 = DAR 2010, 35 = NZV 2010, 54 = BA 2009,<br />
437). Dieser Auffassung des Oberverwaltungsgerichts<br />
Rheinland-Pfalz folgt der beschließende Senat ebenso<br />
wenig wie der in der Beschwerdebegründung zum<br />
Ausdruck gebrachten Ansicht, der in § 13 Satz 1 Nr. 2<br />
Buchst. c) FeV vom Verordnungsgeber festgelegte<br />
Wert eines <strong>Blutalkohol</strong>gehalts von mindestens 1,6 ‰<br />
könne bei einem Fahrradfahrer, der nicht <strong>im</strong> Besitz<br />
einer Fahrerlaubnis sei, nicht zum Anlass für die Anordnung<br />
einer medizinisch-psychologischen Eignungsbegutachtung<br />
genommen werden.<br />
Einer derartigen Auslegung <strong>und</strong> Anwendung von<br />
§ 3 Abs. 2 i. V. m. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c) FeV<br />
wäre nur dann zu folgen, wenn sich Anhaltspunkte<br />
dafür finden ließen, dass der Gesetz- <strong>und</strong> Verordnungsgeber<br />
die Risiken für den Straßenverkehr, die allein<br />
auf der <strong>Alkohol</strong>problematik eines bislang nicht<br />
mit einem Kraftfahrzeug auffällig gewordenen Führers<br />
eines erlaubnisfreien Fahrzeugs beruhen, ausdrücklich<br />
hinnehme. Hierzu finden sich jedoch weder <strong>im</strong><br />
Straßenverkehrsgesetz noch in der Fahrerlaubnis-Verordnung<br />
hinreichende Anhaltspunkte. Insbesondere<br />
kann aus der Tatsache, dass die Teilnahme am öffentlichen<br />
Straßenverkehr mit einem Fahrrad allen Personen<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich voraussetzungslos gestattet ist, nicht<br />
ohne weiteres geschlossen werden, dass auch bei der<br />
Anordnung von Maßnahmen zur Aufklärung von Eignungszweifeln<br />
aufgr<strong>und</strong> eines unkontrollierten <strong>Alkohol</strong>konsums<br />
bei Fahrradfahrern, die nicht <strong>im</strong> Besitz<br />
einer Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen sind,<br />
strengere rechtliche Maßstäbe gelten als bei Fahrerlaubnisinhabern<br />
(a. A.: OVG Rheinland-Pfalz, Be-<br />
Rechtsprechung<br />
437<br />
schluss vom 25. September 2009 – 10 B 10930/09 –,<br />
a. a. O.).<br />
Mit der Etablierung der 1,6 ‰-Grenze (§ 13 Satz 1<br />
Nr. 2 Buchst. c) FeV) hat der Gesetzgeber der schon<br />
lange bestehenden <strong>und</strong> schließlich auch nicht mehr<br />
durchgreifend angezweifelten Erkenntnis Rechnung<br />
getragen, dass ein Verkehrsteilnehmer, der diese <strong>Alkohol</strong>konzentration<br />
erreichen <strong>und</strong> sich gleichwohl noch<br />
„koordiniert“ in den Straßenverkehr begeben kann, die<br />
Vermutung regelmäßigen, übermäßigen <strong>Alkohol</strong>konsums<br />
<strong>und</strong> eines Verlusts des Trennungsvermögens <strong>im</strong><br />
Hinblick auf die Teilnahme am Straßenverkehr begründet<br />
(vgl. amtliche Begründung zur Fahrerlaubnis-<br />
Verordnung, VkBl. 98, 1070; BVerwG, Urteil vom<br />
21. Mai 2008 – 3 C 32.07 –, a. a. O.; so auch: OVG<br />
Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 25. September 2009<br />
- 10 B 10930/09 –, a. a. O.). Allein diese objektiv messbar<br />
eingetretene Situation rechtfertigt daher Fahreignungszweifel<br />
<strong>und</strong> die Anordnung einer medizinischpsychologischen<br />
Begutachtung. Der Gr<strong>und</strong> hierfür<br />
liegt in der Erkenntnis, dass der so genannte Geselligkeitstrinker<br />
alkoholische Getränke allenfalls bis zu<br />
einem <strong>Blutalkohol</strong>wert von 1,0 oder 1,3 ‰ verträgt<br />
oder zu sich nehmen kann, <strong>und</strong> dass Personen, die<br />
<strong>Blutalkohol</strong>werte von über 1,6 ‰ erreichen, regelmäßig<br />
an einer dauerhaft ausgeprägten <strong>Alkohol</strong>problematik<br />
leiden. Nicht an <strong>Alkohol</strong> gewöhnte Personen sind<br />
nicht in der Lage, ihr Fahrzeug aufzufinden, es in<br />
Gang zu setzen <strong>und</strong> es über eine gewisse Strecke zu<br />
bewegen. Dies gilt auch bzw. besonders bei einem<br />
Fahrrad, dessen Gebrauch ein gesteigertes Maß an Balance<br />
erfordert <strong>und</strong> damit besondere Anforderungen an<br />
den Gleichgewichtssinn stellt. Dies wird auch bestätigt<br />
durch die Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung,<br />
die als Niederschlag sachverständiger<br />
Erfahrung von Gewicht sind (BVerwG, Urteil vom<br />
21. Mai 2008 – 3 C 32.07 –, a. a. O., m. w. N.). Dort ist<br />
unter Anmerkung 2.3 des Kommentars zu Kapitel<br />
3.11.1, Missbrauch, ausgeführt:<br />
„Es kann kein Zweifel darüber herrschen, dass<br />
ein Radfahrer, der mit 1,6 Promille <strong>und</strong> mehr am<br />
Straßenverkehr teilgenommen hat, keine hinreichende<br />
Kontrolle mehr über seinen <strong>Alkohol</strong>konsum<br />
hatte. Denn er hat hierbei in eklatanter Weise sowohl<br />
die eigene als auch die allgemeine Verkehrssicherheit<br />
gefährdet, indem er entsprechend § 316<br />
StGB <strong>und</strong> dessen Auslegung in der Rechtsprechung<br />
<strong>im</strong> Zustand absoluter Fahrunsicherheit ein Fahrzeug<br />
<strong>im</strong> Straßenverkehr geführt hat. Entsprechendes<br />
gilt auch, wenn er mit einer <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
unter 1,6 Promille eine Straftat nach § 315c<br />
StGB Abs. 1 begangen hat, d. h. ein Fahrzeug <strong>im</strong><br />
Straßenverkehr geführt hat, obwohl er infolge des<br />
Genusses alkoholischer Getränke nicht in der Lage<br />
war, das Fahrzeug sicher zu führen. …<br />
Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Führen<br />
eines Fahrrades vor dem Zeitpunkt der Eignungsbeurteilung,<br />
für sich allein genommen lediglich ein<br />
Beleg für das Bestehen von <strong>Alkohol</strong>missbrauch in<br />
der Vergangenheit ist <strong>und</strong> damit begründeter Anlass<br />
für Eignungsbedenken der Verkehrsbehörde.“<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
438 Rechtsprechung<br />
Mit der Regelung des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c)<br />
FeV trägt der Verordnungsgeber in abstrakt-genereller<br />
Weise der Erkenntnis Rechnung, dass die Teilnahme<br />
am Straßenverkehr mit jedem Fahrzeug in erheblich<br />
alkoholisiertem Zustand eine Gefahr für die Sicherheit<br />
des Straßenverkehrs darstellt. Diese Einschätzung<br />
liegt auch dem § 316 des Strafgesetzbuchs (StGB) zu<br />
Gr<strong>und</strong>e, der Trunkenheitsfahrten mit jedem Fahrzeug -<br />
nicht nur mit einem Kraftfahrzeug - unter Strafe stellt<br />
(vgl.: BVerwG, Urteil vom 21. Mai 2008 – 3 C 32.07 –,<br />
a. a. O.; vgl. zu § 15b Abs. 1 Satz 2 StVZO a. F.:<br />
BVerwG, Urteil vom 27. September 1995 – 11 C 34.94 –,<br />
BVerwGE 99, 249 = DAR 1996, 70 = NZV 1996, 84 =<br />
VerkMitt 1986 Nr. 89 = VRS 91, 221 = Buchholz<br />
442.16 § 15b StVZO Nr. 24).<br />
Dem kann der Antragsteller nicht unter Berufung<br />
auf den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts<br />
Rheinland-Pfalz vom 25. September 2009 (– 10 B<br />
10930/09 –, a. a. O.) mit Aussicht auf Erfolg ent<strong>gegen</strong>halten,<br />
das Gefahrenpotenzial für andere Verkehrsteilnehmer<br />
sei wegen der allgemein geringeren Betriebsgefahren<br />
eines Fahrrads deutlich niedriger (einzuschätzen)<br />
als bei einem Kraftfahrzeug.<br />
Der beschließende Senat geht zwar ebenso wie das<br />
Oberverwaltungsgericht Niedersachsen (siehe: Beschluss<br />
vom 01. April 2008 – 12 ME 35/08 –, NJW<br />
2008, 2049 = VerkMitt 2008, 44) davon aus, dass die<br />
Gefahren, die von dem Führer eines erlaubnisfreien<br />
Fahrzeugs ausgehen, geringer einzustufen sein mögen,<br />
als diejenigen die ungeeignete Führer von Kraftfahrzeugen,<br />
also von erlaubnispflichtigen Fahrzeugen verursachen.<br />
Sie sind aber erheblich genug, um die entsprechende<br />
Anwendung der Vorschriften der §§ 11 bis<br />
14 FeV für gerechtfertigt zu halten, wenn Tatsachen<br />
die Annahme rechtfertigen, dass der Führer eines Fahrzeugs<br />
zum Führen ungeeignet oder nur bedingt geeignet<br />
ist (§ 3 Abs. 2 FeV). Es liegt auf der Hand, dass<br />
Verkehrsunfälle, die ungeeignete Fahrer nicht erlaubnispflichtiger<br />
Fahrzeuge verursachen, ebenfalls mit<br />
schwerwiegenden Folgen für Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Leben<br />
anderer Verkehrsteilnehmer verb<strong>und</strong>en sein können.<br />
Motorisierte Verkehrsteilnehmer, die sich <strong>im</strong> Allgemeinen<br />
schneller als Fahrradfahrer <strong>im</strong> Straßenverkehr<br />
bewegen, gefährden sich <strong>und</strong> andere erheblich, wenn<br />
sie wegen der unvorhersehbaren Fahrweise eines unter<br />
<strong>Alkohol</strong> fahrenden Radfahrers zu riskanten <strong>und</strong> folgenschweren<br />
Ausweichmanövern verleitet werden.<br />
Die Folgen eines auf solche Art verursachten Unfalls<br />
können dabei genauso schwerwiegend sein wie die<br />
Folgen eines Verkehrsunfalls, der durch einen ungeeigneten<br />
Führer eines Kraftfahrzeugs unmittelbar verursacht<br />
wird (so auch: Bay VGH, Beschluss vom<br />
22. Oktober 2009 – 11 ZB 09.832 –, juris; siehe hierzu<br />
auch: Geiger, Verbot des Führens nicht fahrerlaubnispflichtiger<br />
Fahrzeuge, SVR 2007, 161). Soweit das<br />
Oberveraltungsgericht Rheinland-Pfalz in seinem Beschluss<br />
vom 25. September 2009 (– 10 B 10930/09 –,<br />
a. a. O.) dem<strong>gegen</strong>über allein darauf abstellt, dass solche<br />
„… folgenschweren Ereignisse … aber doch die<br />
Ausnahme …“ darstellten, um damit die Unzulässigkeit<br />
einer uneingeschränkten Anwendung des § 13<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Satz 1 Nr. 2 Buchst. c) FeV auf das Führen eines erlaubnisfreien<br />
Fahrzeugs zu begründen, kann dieses Argument<br />
nicht überzeugen. So trifft die Begründung,<br />
Fahrradfahrer benutzten weder Autobahnen noch vergleichbar<br />
ausgebaute Schnellstraßen mit einer hohen<br />
Verkehrsdichte, in gleichem Maße auch auf Fahrer von<br />
Kraftfahrzeugen der Klasse M zu (siehe: § 18 der Straßenverkehrsordnung<br />
– StVO –); gleichwohl findet<br />
§ 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c) FeV insoweit uneingeschränkte<br />
Anwendung. So lassen sich denn auch Anhaltspunkte<br />
für einen erkennbaren Willen des Normgebers,<br />
die Aufklärung von Eignungszweifeln <strong>im</strong><br />
Zusammenhang mit einem unkontrollierten <strong>Alkohol</strong>konsum<br />
<strong>und</strong> dem Führen eines nicht fahrerlaubnispflichtigen<br />
Fahrzeugs <strong>im</strong> Straßenverkehr nur unter<br />
über den Wortlaut des Tatbestandes des § 13 Satz 1<br />
Nr. 2 Buchst. c) FeV hinausgehenden, auf den Einzelfall<br />
bezogenen, strengen Voraussetzungen zuzulassen,<br />
nicht finden. Vielmehr stellt – wie bereits vorstehend<br />
festgestellt wurde – die Teilnahme am Straßenverkehr<br />
unter erheblicher <strong>Alkohol</strong>isierung mit jedem Fahrzeug<br />
eine Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs dar<br />
(vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Mai 2008 – 3 C 32.07 –,<br />
a. a. O.; Geiger, a. a. O.).<br />
Auf die Frage, wie das Straf- oder Ordnungswidrigkeitenrecht<br />
den Konsum von <strong>Alkohol</strong> bewertet, insbesondere<br />
ab welcher <strong>Blutalkohol</strong>konzentration von<br />
einer absoluten Fahruntüchtigkeit auszugehen ist,<br />
kommt es hier nicht an. Die Aufklärung von Zweifeln<br />
an der Fahreignung gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c)<br />
FeV dient – ebenso wie eine Maßnahme nach §§ 3<br />
Abs. 1 oder 46 Abs. 1 FeV – nicht der (repressiven)<br />
Ahndung vorangegangener Verkehrsverstöße, sondern<br />
der Abwehr von Gefahren, die künftig durch die Teilnahme<br />
von zum Führen von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen<br />
nicht geeigneten Fahrern am Straßenverkehr<br />
entstehen können (BVerwG, Urteil vom 21. Mai 2008<br />
– 3 C 32.07 –, a. a. O.; OVG Niedersachen, Beschluss<br />
vom 01. April 2008 – 12 ME 35/08 –, a. a. O.; VG<br />
München, Urteil vom 17. März 2010 – M 6a K<br />
09.5785 –, juris).<br />
Die auf der Gr<strong>und</strong>lage des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst.<br />
c) FeV angeordnete Überprüfung der Eignung des Antragstellers<br />
zum Führen von nicht fahrerlaubnispflichtigen<br />
Fahrzeugen vom 30. Oktober 2008 war somit ein<br />
geeignetes <strong>und</strong> verhältnismäßiges Mittel, um die berechtigten<br />
Eignungszweifel aufzuklären. Sie verletzt<br />
nicht das Persönlichkeitsrecht des Antragstellers, denn<br />
bei dem bei ihm zum Tatzeitpunkt am 27. Juni 2008<br />
festgestellten, normabweichend hohen <strong>Blutalkohol</strong>gehalt<br />
besteht ein Bedürfnis nach umfassender Klärung<br />
der weiteren Fahreignung durch ein angemessenes <strong>und</strong><br />
vollständiges medizinisch-psychologischen Gutachten.<br />
Das somit zu Recht angeforderte Gutachten wurde<br />
vom Antragsteller weder innerhalb der ihm hierfür<br />
vom Antragsgegner gesetzten Frist noch bis zum Erlass<br />
des Widerspruchsbescheids am 03. Dezember<br />
2009 beigebracht. Aus diesem Gr<strong>und</strong> durfte der Antragsgegner<br />
gemäß §§ 3 Abs. 2 i. V. m. 11 Abs. 8 Satz 1<br />
FeV auf die Ungeeignetheit des Antragstellers zum<br />
Führen von nicht fahrerlaubnispflichtigen Fahrzeugen
schließen <strong>und</strong> ihm deshalb gemäß § 3 Abs. 1 FeV das<br />
Führen solcher Fahrzeuge <strong>im</strong> öffentlichen Straßenverkehr<br />
untersagen.<br />
Dabei erweist sich die Untersagungsverfügung vom<br />
07. April 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides<br />
vom 03. Dezember 2009 ent<strong>gegen</strong> der Ansicht<br />
des Antragstellers nicht deshalb als unverhältnismäßig,<br />
weil er „… aufgr<strong>und</strong> seiner finanziellen Situation<br />
als Student nicht in der Lage ist, das Gutachten<br />
erstellen zu lassen <strong>und</strong> einzureichen.“<br />
Nach der ständigen Rechtsprechung des <strong>B<strong>und</strong></strong>esverwaltungsgerichts,<br />
der sich auch der beschließende<br />
Senat sowie andere Oberverwaltungsgerichte angeschlossen<br />
haben, stellen fehlende finanzielle Mittel in<br />
aller Regel keinen ausreichenden Gr<strong>und</strong> dar, um die<br />
Vorlage eines zu Recht verlangten Fahreignungsgutachtens<br />
zu unterlassen, ohne dass dem Betroffenen<br />
einer solchen Anordnung die Rechtsfolge des § 11<br />
Abs. 8 Satz 1 FeV ent<strong>gegen</strong>gehalten werden kann. Bei<br />
einer berechtigten Anforderung eines Eignungsgutachtens<br />
kann es auf die wirtschaftlichen Verhältnisse<br />
des Betroffenen ebenso wenig ankommen wie bei anderen<br />
Maßnahmen der Straßenverkehrsbehörde, die<br />
<strong>im</strong> Interesse der Verkehrssicherheit erforderlich sind.<br />
Nur unter ganz besonderen Umständen kann einem<br />
Verkehrsteilnehmer zugebilligt werden, der Aufforderung<br />
zur Beibringung eines Eignungsgutachtens ent<strong>gegen</strong>zuhalten,<br />
es sei ihm unzumutbar, die damit einhergehenden<br />
Kosten aus eigenen Mitteln oder mit<br />
fremder Hilfe aufzubringen. Die Beibringungslast, die<br />
§ 11 Abs. 2 bis Abs. 4 sowie §§ 13 f. FeV dem Betroffenen<br />
auferlegen, wenn berechtigte Zweifel an seiner<br />
Eignung zum Führen von Fahrzeugen bestehen, bezieht<br />
sich nicht nur auf das geforderte Gutachten<br />
selbst; sie umfasst auch diejenigen Tatsachen, die in<br />
seinem besonderen Fall die Zahlung der Kosten des<br />
Gutachtens als nicht zumutbar erscheinen lassen.<br />
Kommt der Betroffene der Pflicht zur Darlegung dieser<br />
Tatsachen nicht nach, so kann von einer gr<strong>und</strong>losen<br />
Weigerung, sich begutachten zu lassen, ausgegangen<br />
<strong>und</strong> die Nichteignung zum Führen von Fahrzeugen als<br />
erwiesen angesehen werden. Da ein wirtschaftliches<br />
Unvermögen somit nur ganz ausnahmsweise als ein<br />
ausreichender Gr<strong>und</strong> dafür anerkannt werden kann,<br />
dass die in § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV bezeichnete Rechtsfolge<br />
nicht eintritt, <strong>und</strong> Vorsorge da<strong>gegen</strong> getroffen<br />
werden muss, dass eine Bedürftigkeit lediglich vorgeschoben<br />
wird, um eine <strong>im</strong> Interesse der Verkehrssicherheit<br />
gebotene Aufklärung der Fahreignung zu verhindern,<br />
sind an den Nachweis fehlender finanzieller<br />
Mittel als Hinderungsgr<strong>und</strong> für die Beibringung eines<br />
Eignungsgutachtens strenge Anforderungen zu stellen.<br />
Zu verlangen ist deshalb nicht nur eine lückenlose<br />
Offenlegung der persönlichen <strong>und</strong> wirtschaftlichen<br />
Lage durch den Betroffenen, wobei die Richtigkeit der<br />
gemachten Angaben durch aussagekräftige Unterlagen<br />
zweifelsfrei zu belegen ist. Von einem zur Vorlage<br />
eines Eignungsgutachtens verpflichteten Verkehrsteilnehmer<br />
ist vielmehr auch zu fordern, dass er alle nach<br />
Sachlage ernsthaft in Betracht kommenden Möglichkeiten<br />
ausschöpft, um die einer Begutachtung ent-<br />
Rechtsprechung<br />
439<br />
<strong>gegen</strong>stehenden finanziellen Hemmnisse auszuräumen<br />
(vgl.: BVerwG, Urteil vom 12. März 1985 – 7 C<br />
26.83 –, BVerwGE 71, 93 = NJW 1985, 2490 = VkBl.<br />
1995, 393 = VerkMitt 1985, 59 = VRS 69, 154 = Buchholz<br />
442.10 § 4 StVG Nr. 71; Urteil vom 13. November<br />
1997 – 3 C 1.97 –, NZV 1998, 300 = Buchholz<br />
442.16 § 15b StVZO Nr. 28; BayVGH, Beschluss vom<br />
07. November 2006 – 11 ZB 05.3034 –, juris; Beschluss<br />
vom 09. Februar 2005 – 11 CS 04.2438 –,<br />
juris; Hess VGH, Beschluss vom 07. April 2010<br />
– 2 D 58/10 –).<br />
Dieser Darlegungslast ist der Antragsteller hier<br />
nicht nachgekommen. Zwar wird in der Beschwerdebegründung<br />
behauptet, er habe „… schon <strong>im</strong> Verwaltungsverfahren<br />
…“ auf seine finanzielle Situation hingewiesen.<br />
Dies ist aber – abgesehen vom Schreiben<br />
seines Vaters vom 06. Juni 2009 – nach dem Inhalt der<br />
Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners nicht nachvollziehbar.<br />
Insbesondere hat es der Antragsteller versäumt,<br />
bereits <strong>im</strong> Verwaltungsverfahren seine persönliche<br />
<strong>und</strong> wirtschaftliche Lage offen zu legen <strong>und</strong><br />
deren Richtigkeit durch aussagekräftige Unterlagen<br />
zweifelsfrei zu belegen. Darüber hinaus hat er während<br />
des Verwaltungsverfahrens nach dem Inhalt der<br />
Verwaltungsvorgänge nicht alle ernsthaft in Betracht<br />
kommenden Möglichkeiten ausgeschöpft, um die<br />
einer Begutachtung ent<strong>gegen</strong>stehenden finanziellen<br />
Hemmnisse auszuräumen. Insbesondere ist nichts<br />
dafür ersichtlich, dass sich der Antragsteller bei den<br />
für eine Gutachtenerstellung in Frage kommenden Institutionen<br />
darum bemüht hat, eine Ratenzahlungsvereinbarung<br />
für ein Gutachten zu schließen bzw. von<br />
dem zuständigen Sozialhilfeträger Leistungen für eine<br />
Gutachtenerstellung bewilligt zu erhalten. Der Antragsteller<br />
hat somit während des Verwaltungsverfahrens<br />
weder in ausreichendem Maß nachgewiesen, dass er<br />
außer Stande ist, die Kosten einer medizinischpsychologischen<br />
Begutachtung aufzubringen, noch<br />
hat er die von Rechts wegen gebotenen Anstrengungen<br />
unternommen, um etwaige Gründe finanzieller Art,<br />
die einer Beibringung des verlangten medizinischpsychologischen<br />
Gutachtens angeblich ent<strong>gegen</strong>stehen,<br />
auszuräumen.<br />
Die Untersagungsverfügung des Antragsgegners<br />
vom 07. April 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides<br />
vom 03. Dezember 2009 ist auch frei von<br />
Ermessensfehlern ergangen. Im Unterschied zum Entzug<br />
einer Fahrerlaubnis ist die Rechtsfolge des § 3<br />
Abs. 1 FeV gr<strong>und</strong>sätzlich zunächst ins Ermessen der<br />
Behörde gestellt, da das Gesetz neben der Untersagung<br />
der Berechtigung zum Führen von nicht fahrerlaubnispflichtigen<br />
Fahrzeugen auch deren Beschränkung oder<br />
die Anordnung von Auflagen vorsieht (sog. Rechtsfolgeermessen).<br />
Nachdem der Antragsteller das von ihm<br />
geforderte medizinisch-psychologische Eignungsgutachten<br />
jedoch nicht beigebracht hat, ist das Ermessen<br />
des Antragsgegners insoweit auf Null reduziert. Denn<br />
wenn – wie hier – kein Gutachten beigebracht wird,<br />
das auch zur Aufklärung dar Frage dient, ob Anknüpfungspunkte<br />
bestehen, nach denen eine Beschränkung<br />
oder Anordnung von Auflagen ausreichend sein könn-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
440 Rechtsprechung<br />
ten, bleibt der Behörde schlichtweg keine andere Möglichkeit,<br />
als zum Ausschluss der Gefährdung anderer<br />
Verkehrsteilnehmer <strong>und</strong> der Aufrechterhaltung der<br />
Sicherheit des Straßenverkehrs das Führen von fahrerlaubnisfreien<br />
Fahrzeugen ohne Einschränkung zu<br />
untersagen (vgl. BayVGH, Beschluss vom 08. Februar<br />
2010 – 11 C 09.2200 –, ZfS 2010, 296 = VD 2010,<br />
137, m. w. N.).<br />
Schließlich ist auch nicht erkennbar, dass der Antragsteller<br />
zur Fortsetzung seines Studiums zwingend<br />
auf die Benutzung eines Fahrrads angewiesen ist. Der<br />
von ihm abgelehnte Verweis auf die Benutzung öffentlicher<br />
Verkehrsmittel mag zu einer nicht unerheblichen<br />
Verlängerung der Fahrzeiten führen. Es ist jedoch<br />
weder vorgetragen noch sonst wie ersichtlich, dass<br />
damit – zumal unter Berücksichtigung der <strong>gegen</strong>läufigen<br />
Belange der öffentlichen Verkehrssicherheit – für<br />
ihn unzumutbare Nachteile verb<strong>und</strong>en sind. Insoweit<br />
hat der Antragsgegner nämlich zu Recht darauf hingewiesen,<br />
dass der Antragsteller als eingeschriebener<br />
Student mit seinem Studentenausweis nicht nur das<br />
Angebot des innerstädtischen öffentlichen Personennahverkehrs<br />
in A-Stadt, sondern auch den regionalen<br />
Bahnverkehr zwischen Marburg <strong>und</strong> Frankfurt am<br />
Main kostenlos benutzen kann.<br />
83. 1. Ist eine Eintragung über eine gerichtliche<br />
Entscheidung <strong>im</strong> Verkehrszentralregister getilgt,<br />
hat sich der Betroffene insoweit <strong>im</strong> Sinne der Verkehrssicherheit<br />
bewährt.<br />
2. Geht daher ein zur Klärung von Eignungszweifeln<br />
bei <strong>Alkohol</strong>problematik beigebrachtes<br />
medizinisch-psychologisches Gutachten von einem<br />
wiederholten Führen eines Kraftfahrzeuges unter<br />
<strong>Alkohol</strong>einfluss aus, obwohl eine der beiden mit<br />
einem Bußgeld geahndeten Taten getilgt ist, beruht<br />
das Gutachten auf einer fehlerhaften Tatsachengr<strong>und</strong>lage.<br />
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz,<br />
Beschluss vom 23. Juni 2010 – 10 B 10545/10 –<br />
Aus den Gründen:<br />
Die Beschwerde des Antragstellers hat Erfolg. Die<br />
von ihm dargelegten Gründe führen zu einer von dem<br />
angefochtenen Beschluss abweichenden Interessenabwägung.<br />
Hiernach wiegt das Interesse des Antragstellers<br />
an der Aussetzung der Vollziehung des Entzugs<br />
seiner Fahrerlaubnis schwerer als das öffentliche Interesse<br />
am Sofortvollzug der Verfügung, weil die angegriffene<br />
Entscheidung offensichtlich rechtswidrig ist.<br />
Ent<strong>gegen</strong> der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts<br />
hat sich der Antragsteller nämlich nicht als ungeeignet<br />
zum Führen von Kraftfahrzeugen <strong>im</strong> Sinne<br />
des § 46 Abs. 1 der Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV –<br />
erwiesen. Das vom Antragsgegner angeforderte medizinisch-psychologische<br />
Gutachten vermag die Eignungsfrage<br />
nicht zu klären; da die Fahrerlaubnisbehörde<br />
insoweit beweispflichtig ist (vgl. hierzu den<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Beschluss des erkennenden Senates vom 21. Juli 2009<br />
– 10 B 10508/09.OVG – ESOVGRP), kommt eine<br />
Fahrerlaubnisentziehung auf der Gr<strong>und</strong>lage dieses<br />
Gutachtens nicht in Betracht.<br />
Keine Bedenken bestehen allerdings – was auch der<br />
Antragsteller zugesteht – hinsichtlich der gr<strong>und</strong>sätzlichen<br />
Verwertbarkeit des Gutachtens. Wie bereits das<br />
Verwaltungsgericht unter Verweis auf die Rechtsprechung<br />
des <strong>B<strong>und</strong></strong>esverwaltungsgerichts ausgeführt hat,<br />
kommt es nicht darauf an, ob vorliegend ein hinreichender<br />
Anlass <strong>im</strong> Sinne des § 13 Satz 1 Nr. 2 b) FeV<br />
für die angeordnete medizinisch-psychologische Begutachtung<br />
bestand. Hat sich der Betroffene nämlich –<br />
wie hier – einer angeordneten Begutachtung gestellt<br />
<strong>und</strong> liegt der Behörde das Gutachten vor, so ist dies<br />
eine neue Tatsache, die selbständige Bedeutung hat<br />
<strong>und</strong> der Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis<br />
zugr<strong>und</strong>e gelegt werden kann.<br />
Für den Senat steht aber nach Würdigung des Gutachtens<br />
nicht fest, dass der Antragsteller gemäß § 46<br />
Abs. 1 Satz 2 FeV i. V. m. Ziffer 8.1 der Anlage 4 zur<br />
FeV wegen <strong>Alkohol</strong>missbrauchs, also des Nichttrennenkönnens<br />
zwischen einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden<br />
<strong>Alkohol</strong>konsum <strong>und</strong> dem Führen eines<br />
Kraftfahrzeuges, zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet<br />
ist. Denn das Gutachten beantwortet die<br />
Frage der Eignung des Antragstellers auf einer fehlerhaften<br />
Tatsachengr<strong>und</strong>lage, indem es den Anlass der<br />
Begutachtung <strong>im</strong> wiederholten Führen eines Kraftfahrzeuges<br />
durch den Antragsteller unter erhöhtem<br />
<strong>Alkohol</strong>einfluss sieht. Ausgehend von dieser Prämisse<br />
prüft es, ob der Antragsteller auch zukünftig ein Kraftfahrzeug<br />
unter Einfluss von <strong>Alkohol</strong> führen wird (vgl.<br />
S. 2 des Gutachtens). Nach § 29 Abs. 8 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz<br />
– StVG – darf jedoch das Führen eines<br />
Kraftfahrzeugs durch den Antragsteller mit einer <strong>Blutalkohol</strong>konzentration<br />
von 0,77 Promille am 20. Januar<br />
2007, welches mit seit 12. April 2007 rechtskräftigem<br />
Bußgeldbescheid geahndet wurde, nicht mehr für die<br />
Fahreignungsbeurteilung (vgl. § 28 Abs. 2 Nr. 1 StVG)<br />
herangezogen werden, weil die Eintragung der als<br />
Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld <strong>und</strong> einem<br />
Fahrverbot geahndeten Trunkenheitsfahrt <strong>im</strong> Verkehrszentralregister<br />
getilgt ist. Die Tilgungsfrist dieser Bußgeldentscheidung<br />
begann nach § 29 Abs. 4 Nr. 3 StVG<br />
mit dem Tag der Rechtskraft der Entscheidung, mithin<br />
am 12. April 2007, so dass aufgr<strong>und</strong> der zweijährigen<br />
Tilgungsfrist des § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StVG diese<br />
am 12. April 2009 getilgt war. Die Eintragung der seit<br />
14. August 2009 rechtskräftigen Bußgeldentscheidung<br />
aufgr<strong>und</strong> eines neuerlichen Führens eines Kraftfahrzeuges<br />
mit einer <strong>Blutalkohol</strong>konzentration von 0,63 Promille<br />
durch den Antragsteller am 12. Mai 2009 führte<br />
trotz Tatbegehung <strong>und</strong> rechtskräftiger Entscheidung<br />
während der Überliegefrist der ersten Entscheidung<br />
von einem Jahr (vgl. § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG) nicht<br />
zur Hemmung des Ablaufs der Tilgungsfrist der ersten<br />
Bußgeldentscheidung. Voraussetzung hierfür ist nämlich<br />
nach § 29 Abs. 6 Satz 2 StVG nicht nur die Eintragung<br />
der neuen Tat in das Verkehrszentralregister bis
zum Ablauf der Überliegefrist, sondern zusätzlich die<br />
Begehung der Tat vor dem Ablauf der Tilgungsfrist<br />
nach § 29 Abs. 1 StVG.<br />
Unterliegt damit die Bußgeldentscheidung wegen<br />
der Ordnungswidrigkeit vom 20. Januar 2007 der Tilgung,<br />
darf die Tat dem Antragsteller nicht mehr vorgehalten<br />
werden; er hat sich insoweit <strong>im</strong> Sinne der Verkehrssicherheit<br />
bewährt (vgl. Hentschel/König/Dauer,<br />
Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl. 2009, § 29 StVG<br />
Rdnr. 2). Zur Beurteilung der Eignungsfrage herangezogen<br />
werden durfte damit nur eine <strong>Alkohol</strong>auffälligkeit<br />
<strong>im</strong> Straßenverkehr, nämlich das Führen eines<br />
Kraftfahrzeugs unter <strong>Alkohol</strong>einfluss am 12. Mai<br />
2009. Das <strong>im</strong> Gutachten angenommene wiederholte<br />
Führen eines Kraftfahrzeuges hat dem<strong>gegen</strong>über eine<br />
andere Qualität, wie sich Ziffer 8.1 der Anlage 4 zur<br />
FeV in Verbindung mit Ziffer 3.11 der Begutachtungs-<br />
Leitlinien zur Kraftfahrereignung entnehmen lässt,<br />
wonach <strong>Alkohol</strong>missbrauch, d. h. fehlendes Vermögen,<br />
das Führen eines Kraftfahrzeuges <strong>und</strong> einen die<br />
Fahrsicherheit beeinträchtigenden <strong>Alkohol</strong>konsum<br />
hinreichend sicher zu trennen, regelmäßig nur bei<br />
wiederholtem Führen eines Kraftfahrzeuges unter unzulässig<br />
hoher <strong>Alkohol</strong>konzentration vorliegt. Geht<br />
mithin das Gutachten von einer fehlerhaften Tatsachengr<strong>und</strong>lage<br />
aus, kann es zum Beweis der Nichteignung<br />
des Antragstellers zum Führen eines Kraftfahrzeuges<br />
nicht herangezogen werden <strong>und</strong> liegen die<br />
Voraussetzungen für den Entzug der Fahrerlaubnis<br />
nicht vor.<br />
84. *) Bereits der einmalige Konsum von Amphetamin<br />
schließt <strong>im</strong> Regelfall die Fahreignung<br />
aus.<br />
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof,<br />
Beschluss vom 26. Juli 2010 – 11 CS 10.1278 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Der Antragsteller wendet sich <strong>gegen</strong> den Sofortvollzug<br />
der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen<br />
B, L, M <strong>und</strong> S.<br />
Nach Mitteilung der Polizeiinspektion W.-O. vom<br />
11. Februar 2010 wurde bei einer Personenkontrolle<br />
am 10. Januar 2010 am Hauptbahnhof in W. festgestellt,<br />
dass der Antragsteller eine Plastikbox mit sich<br />
führte, in der sich 2,2 g Marihuana, 0,3 g Amphetamin<br />
<strong>und</strong> 8,1 g Tabak-Marihuana-Mischung befanden.<br />
Mit Schreiben vom 24. Februar 2010 ordnete das<br />
Landratsamt W. (Landratsamt) an, dass der Antragsteller<br />
zur Klärung von Eignungszweifeln sich auf eigene<br />
Kosten einer Fahreignungsuntersuchung unterziehen<br />
<strong>und</strong> bis spätestens 10. April 2010 ein ärztliches Gutachten<br />
eines Facharztes mit verkehrsmedizinischer<br />
Qualifikation <strong>und</strong> mit der Gebietsbezeichnung Neurologie/Psychiatrie<br />
vorlegen müsse. Der Antragsteller<br />
sei <strong>im</strong> Besitz von Betäubungsmitteln gewesen <strong>und</strong><br />
deshalb nicht auszuschließen, dass er selbst Konsument<br />
dieser Betäubungsmittel sei. Es bestünden daher<br />
Rechtsprechung<br />
441<br />
erhebliche Bedenken <strong>gegen</strong> seine Kraftfahrtauglichkeit,<br />
die gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV durch Vorlage<br />
eines Facharztgutachtens auszuräumen seien.<br />
Mit Schreiben vom 12. März 2010 teilte das Landratsamt<br />
der vom Antragsteller beauftragten Fachärztin<br />
Dr. v. B. mit, dass das Gutachten die Frage zu beantworten<br />
habe, ob der Antragsteller Betäubungsmittel <strong>im</strong><br />
Sinne des Betäubungsmittelgesetzes oder andere<br />
psychoaktiv wirkende Stoffe einn<strong>im</strong>mt, die die Fahreignung<br />
nach Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung<br />
(FeV) in Frage stellen.<br />
Am 17. März 2010 unterzog sich der Antragsteller<br />
einer Untersuchung bei der genannten Fachärztin. Mit<br />
Schreiben vom 07. April 2010 verlängerte das Landratsamt<br />
die Frist zur Vorlage des Gutachtens bis 15.<br />
April 2010.<br />
Am 08. April 2010 teilte der Antragsteller dem<br />
Landratsamt telefonisch mit, dass Frau Dr. v. B. das<br />
Gutachten erstellt habe. Er werde es jedoch nicht vorlegen,<br />
da es seiner Meinung nach falsch sei. Er bestehe<br />
darauf, dass ein neues Gutachten erstellt werde.<br />
Mit Schreiben vom 13. April 2010 lehnte das Landratsamt<br />
den Antrag des Antragstellers ab, die Frist für<br />
die Vorlage des Gutachtens bis Mitte Mai 2010 zu verlängern.<br />
Mit Schreiben vom 12. April 2010 legte der<br />
Antragsteller dem Landratsamt Auszüge aus dem Gutachten<br />
von Frau Dr. v. B. vom 25. März 2010 vor. Da<br />
das Gutachten wegen fehlender Anamnese-Aufnahme<br />
nicht verwertbar sei, solle Herr Dr. med. K. ein neues<br />
Gutachten erstellen. Das Landratsamt wurde gebeten,<br />
Herrn Dr. K. die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung<br />
zu stellen, da er bei diesem am 21. April 2010 zur<br />
Begutachtung erscheinen könne.<br />
Mit Bescheid vom 19. April 2010 entzog das Landratsamt<br />
dem Antragsteller die Fahrerlaubnis.<br />
Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller<br />
Widerspruch ein <strong>und</strong> beantragte be<strong>im</strong> Verwaltungsgericht<br />
Würzburg, „die durch Bescheid des Landratsamts<br />
W... vom 19. April 2010 ausgesprochene sofortige<br />
Vollziehbarkeit hinsichtlich des Fahrerlaubnisentzugs<br />
auszusetzen“. Mit dem Antrag legte er dem Gericht<br />
das von Frau Dr. v. B. erstellte Gutachten vom<br />
25. März 2010 vor.<br />
Mit Beschluss vom 07. Mai 2010 lehnte das Verwaltungsgericht<br />
den Antrag ab. Hier<strong>gegen</strong> richtet sich<br />
die Beschwerde des Antragstellers.<br />
Aus den Gründen:<br />
Die zulässige Beschwerde, bei deren Prüfung der<br />
Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6<br />
VwGO auf die form- <strong>und</strong> fristgerecht vorgetragenen<br />
Gründe beschränkt ist, ist nicht begründet.<br />
Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen,<br />
dass die angefochtene Entziehung der Fahrerlaubnis<br />
rechtmäßig ist, weil der Antragsteller seine<br />
Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen durch den<br />
Konsum von Amphetamin verloren hat. Nach § 11<br />
Abs. 7 FeV bedurfte es deshalb nicht der vorherigen<br />
Einholung eines ärztlichen Gutachtens, so dass es auch<br />
dahinstehen kann, ob die Beibringungsanordnung des<br />
Landratsamtes vom 24. Februar 2010 rechtmäßig war.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
442 Rechtsprechung<br />
Gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt der Inhaber einer<br />
Fahrerlaubnis insbesondere dann als ungeeignet zum<br />
Führen von Kraftfahrzeugen, wenn Erkrankungen<br />
oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV<br />
vorliegen. Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV ist die<br />
Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu verneinen<br />
bei Einnahme von Betäubungsmitteln <strong>im</strong> Sinne<br />
des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis),<br />
zu denen auch Amphetamin gehört. Bereits der<br />
einmalige Konsum dieser Droge schließt <strong>im</strong> Regelfall<br />
die Fahreignung aus (ständige Rechtsprechung, z. B.<br />
BayVGH vom 17. 06. 2010 Az. 11 CS 10.991).<br />
Der zumindest einmalige Konsum von Amphetamin<br />
durch den Antragsteller steht fest aufgr<strong>und</strong> seiner eigenen<br />
Angaben <strong>im</strong> Untersuchungsgespräch bei der ärztlichen<br />
Gutachterin Frau Dr. v. B. am 17. März 2010.<br />
Ausweislich der Seite 4 dritter Absatz des Gutachtens<br />
vom 25. März 2010 hat der Antragsteller bei dieser Gelegenheit<br />
geäußert, dass er „<strong>im</strong> Januar zuletzt Amphetamine<br />
genommen“ habe. Der Antragsteller hat diese<br />
Äußerung in seiner <strong>und</strong>atierten Stellungnahme zu diesem<br />
Gutachten nicht bestritten, behauptet aber in seiner<br />
Beschwerdebegründung, dass der letzte Amphetaminkonsum<br />
nicht <strong>im</strong> Januar 2010, sondern <strong>im</strong> Januar<br />
2009 stattgef<strong>und</strong>en habe.<br />
Der Senat hält dies für eine nicht glaubhafte Schutzbehauptung.<br />
Denn es ist schwer nachvollziehbar, dass<br />
der Antragsteller in einem am 17. März 2010 stattfindenden<br />
Begutachtungsgespräch mit der Äußerung,<br />
dass er zuletzt <strong>im</strong> Januar Amphetamin konsumiert<br />
habe, nicht den Januar 2010, sondern den Januar 2009<br />
gemeint haben will. Hinzu kommt, dass dieses Begutachtungsgespräch<br />
nicht zuletzt darauf zurückzuführen<br />
ist, dass die Polizei bei ihm am 10. Januar 2010 den<br />
Besitz von Amphetamin feststellte.<br />
Nicht aussagekräftig ist insoweit der vom Antragsteller<br />
vorgelegte Laborbef<strong>und</strong> vom 08. Juni 2010, bei<br />
dem kein Amphetamin <strong>im</strong> Haar nachgewiesen wurde,<br />
weil die Haarlänge des Antragstellers mittlerweile nur<br />
noch 2,0 cm betrug. Das ist für den Nachweis eines<br />
fünf Monate zurückliegenden <strong>Drogen</strong>konsums (Januar<br />
2010) zu wenig, da von einem durchschnittlichen<br />
Haarwachstum vom ca. 1 cm <strong>im</strong> Monat auszugehen ist<br />
(Hettenbach/Kalus/Möller/Uhle, <strong>Drogen</strong> <strong>und</strong> Straßenverkehr,<br />
2. Aufl. 2010, § 3 RdNr. 214).<br />
Einer Berücksichtigung der <strong>im</strong> Gutachten von Frau<br />
Dr. v. Baumgarten wiedergegebenen Äußerung des<br />
Antragstellers über seinen letzten Amphetaminkonsum<br />
steht nicht die vom Senat offen gelassene eventuelle<br />
Rechtswidrigkeit der Gutachtensanordnung<br />
vom 24. Februar 2010 ent<strong>gegen</strong>. Denn die Verwertbarkeit<br />
eines derartigen fachärztlichen Gutachtens hängt,<br />
wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat,<br />
nicht von der Rechtmäßigkeit der Beibringungsanordnung<br />
ab. Soweit der Antragsteller eine Nichtverwertbarkeit<br />
dieses Gutachtens damit begründet, dass es<br />
seine Angaben nicht richtig wiedergegeben habe, trifft<br />
das nicht auf die Wiedergabe seiner Äußerung zum<br />
letztmaligen Amphetaminkonsum zu, die der Antragsteller<br />
selbst nicht bestritten hat.<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
Nach alledem ist die Beschwerde mit der Kostenfolge<br />
des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.<br />
85. *) 1. Für eine Gutachtenanforderung nach<br />
§ 13 Nr. 2 Buchst. e FeV muss ein früherer <strong>Alkohol</strong>missbrauch<br />
nachgewiesen sein <strong>und</strong> Tatsachen müssen<br />
die Annahme seiner Fortdauer begründen.<br />
2. Die die Annahme von <strong>Alkohol</strong>missbrauch begründenden<br />
Tatsachen, etwa eine konkrete <strong>Alkohol</strong>auffälligkeit,<br />
müssen nicht <strong>im</strong> direkten Zusammenhang<br />
mit einer Teilnahme am Straßenverkehr<br />
stehen. Für die Gutachtenanforderung<br />
genügt es, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür<br />
bestehen, dass der Betroffene zwischen einem<br />
schädlichen <strong>Alkohol</strong>konsum <strong>und</strong> einer Teilnahme<br />
am Straßenverkehr nicht hinreichend sicher trennen<br />
kann, d. h. wenn aufgr<strong>und</strong> der Gesamtumstände<br />
Zweifel an seinem Trennungsvermögen bestehen.<br />
Verwaltungsgericht Bremen,<br />
Beschluss vom 04. August 2010 – 5 V 912/10 –<br />
Zum Sachverhalt:<br />
Die Antragstellerin wendet sich <strong>gegen</strong> die Entziehung<br />
ihrer Fahrerlaubnis.<br />
Der Antragstellerin wurde 1970 eine Fahrerlaubnis<br />
der Klasse drei erteilt. Nach einer Trunkenheitsfahrt<br />
mit einer <strong>Blutalkohol</strong>konzentration (BAK) von 2,35 ‰<br />
<strong>im</strong> Jahr 1992 entzog ihr das Amtsgericht Bremen mit<br />
Strafbefehl vom 22. September 1992 die Fahrerlaubnis.<br />
Im Mai 1993 beantragte die Antragstellerin die<br />
Wiedererteilung der Fahrerlaubnis. Ein medizinischpsychologische<br />
Gutachten vom Juli 1993 fiel negativ<br />
aus. Nach erneuter Antragstellung <strong>im</strong> Juli 1994 <strong>und</strong><br />
positiver Begutachtung <strong>im</strong> August 1994 wurde der Antragstellerin<br />
<strong>im</strong> Januar 1995 eine Fahrerlaubnis der<br />
Klasse drei erteilt. Aufgr<strong>und</strong> einer Trunkenheitsfahrt<br />
mit einer BAK von 2,33 ‰ am 09. Februar 2003 entzog<br />
das Amtsgericht Bremen der Antragstellerin mit<br />
Strafbefehl vom 16. Mai 2003 erneut die Fahrerlaubnis.<br />
Einen Wiedererteilungsantrag aus April 2004<br />
lehnte das Stadtamt B. wegen fehlender Vorlage eines<br />
medizinisch-psychologischen Gutachtens <strong>im</strong> Dezember<br />
2005 ab. Ein <strong>im</strong> Widerspruchsverfahren vorgelegtes<br />
medizinisch-psychologisches Gutachten vom<br />
27. März 2006 kam zu dem Ergebnis, dass die Vorgeschichte<br />
der Klägerin auf eine massive <strong>Alkohol</strong>problematik<br />
hinweise. Diese sei bereits <strong>im</strong> Vorgutachten<br />
<strong>im</strong> Jahr 2004 als „zumindest <strong>im</strong> Vorfeld einer <strong>Alkohol</strong>abhängigkeit<br />
anzusiedeln“ bewertet worden. Verschiedene<br />
medizinische Bef<strong>und</strong>e seien mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />
auf früheren <strong>Alkohol</strong>missbrauch zurückzuführen.<br />
Seit Oktober 2004 liege aber eine ausreichend<br />
stabile Abstinenz vor. Es sei nicht zu erwarten,<br />
dass die Klägerin künftig ein Fahrzeug unter Einfluss<br />
von <strong>Alkohol</strong> führen werde. Der Klägerin wurde daraufhin<br />
am 07. August 2006 eine Fahrerlaubnis der<br />
Klassen B/M/L/T/S erteilt.
Am 30. Juli 2009 wurde die Klägerin von Beamten<br />
der Polizei B. in Gewahrsam genommen, nachdem sie<br />
in Schlangenlinien den Rad- <strong>und</strong> Fußweg benutzt hatte<br />
<strong>und</strong> zusammengebrochen war. Ausweislich des Polizeiberichts<br />
vom 31. Juli 2009 war sie „aufgr<strong>und</strong> des<br />
<strong>Alkohol</strong>konsums“ nicht in der Lage aufzustehen,<br />
konnte Fragen nach ihrem Ziel nur schwer folgen,<br />
hatte Probleme sich auf den Beinen zu halten <strong>und</strong><br />
schwankte stark hin <strong>und</strong> her. Mit Schreiben vom 13.<br />
August 2009 forderte das Stadtamt B. die Antragstellerin<br />
zur Ausräumung von Bedenken an ihrer Fahreignung<br />
zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen<br />
Gutachtens auf.<br />
Mit Verfügung vom 02. März 2010 entzog die Fahrerlaubnisbehörde<br />
der Antragstellerin die Fahrerlaubnis<br />
zum Führen von Kraftfahrzeugen, forderte sie zur Abgabe<br />
des Führerscheins auf <strong>und</strong> ordnete die sofortige<br />
Vollziehung der Verfügung an. Zur Begründung wurde<br />
ausgeführt, die Antragstellerin habe die ihr gesetzte<br />
Frist zur Rückgabe der Einverständniserklärung mit<br />
der Beibringung eines medizinisch-psychologischen<br />
Gutachtens verstreichen lassen. Der Antragstellerin<br />
werde unterstellt, dass sie ihre Eignung ausschließende<br />
Mängel verbergen wolle. Gegen die Verfügung vom<br />
16. Juni 2010 legte die Antragstellerin am 13. Juli<br />
2010 anwaltlich Widerspruch ein. Darin machte sie<br />
geltend, bei dem Vorfall vom 30. Juli 2009 habe es<br />
keine Untersuchung auf eine <strong>Alkohol</strong>isierung gegeben.<br />
Sie habe vielmehr ein Schmerzmedikament zusammen<br />
mit einem Schlafmittel eingenommen, welches<br />
den von den Polizeibeamten beschriebenen<br />
Zustand hervorgerufen habe. Unter diesen Umständen<br />
sei es unverhältnismäßig, ihr aufzugeben, sich einer<br />
kostenträchtigen Begutachtung zu unterziehen. Über<br />
den Widerspruch ist bislang nicht entschieden worden.<br />
Die Antragstellerin hat am 13. Juli 2010 um einstweiligen<br />
Rechtsschutz ersucht.<br />
Aus den Gründen:<br />
Der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO statthafte Antrag<br />
ist zulässig, aber unbegründet.<br />
Der Rechtsbehelf der Antragstellerin verspricht<br />
nach derzeitigem Erkenntnisstand keinen Erfolg in der<br />
Hauptsache, denn die angefochtene Verfügung vom<br />
16. Juni 2010 stellt sich bei der <strong>im</strong> Eilverfahren gebotenen<br />
summarischen Prüfung als offensichtlich rechtmäßig<br />
dar. Private Interessen der Antragstellerin,<br />
denen ein höheres Gewicht als dem öffentlichen Interesse<br />
an der baldigen Durchsetzung der Regelung zuzumessen<br />
wäre, sind nicht ersichtlich.<br />
Rechtsgr<strong>und</strong>lage für die Entziehung der Fahrerlaubnis<br />
ist § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG)<br />
i. V m. § 3 Abs. 1, 11 Abs. 2 <strong>und</strong> 8, 46 Abs. 1 der Fahrerlaubnis-Verordnung<br />
(FeV). Danach ist demjenigen<br />
die Fahrerlaubnis zu entziehen, der sich als ungeeignet<br />
zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt<br />
gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere dann,<br />
wenn eine Erkrankung oder Mängel nach den Anlagen<br />
4, 5 oder 6 der FeV vorliegen. Nach Nr. 8.1 der Anlage<br />
4 zur FeV ist die Kraftfahreignung nicht gegeben,<br />
wenn das Führen von Kraftfahrzeugen <strong>und</strong> ein die<br />
Rechtsprechung<br />
443<br />
Fahrsicherheit beeinträchtigender <strong>Alkohol</strong>konsum<br />
nicht hinreichend sicher getrennt werden.<br />
Die Fahrerlaubnisbehörde hatte der Antragstellerin<br />
die Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 S. 1 StVG, § 46<br />
Abs. 1 S. 1 FeV zu entziehen, nachdem sie gemäß § 11<br />
Abs. 8 FeV auf deren Nichteignung geschlossen hatte.<br />
Nach § 11 Abs. 8, 46 Abs. 3 FeV darf die Behörde auf<br />
die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn<br />
dieser der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte<br />
Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Die Antragstellerin<br />
hat das von der Fahrerlaubnisbehörde geforderte<br />
Gutachten nicht beigebracht. Sie hat die<br />
Beibringung <strong>im</strong> vorliegenden Verfahren ausdrücklich<br />
verweigert.<br />
Die Beibringungsaufforderung vom 13. August 2009<br />
ist formell <strong>und</strong> materiell rechtmäßig. Die Anordnung,<br />
ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen,<br />
genügte den formellen Anforderungen des<br />
§ 11 Abs. 6 Satz 2 FeV. Die Fahrerlaubnisbehörde hat<br />
darin mitgeteilt, dass die Frage der Kraftfahreignung<br />
der Antragstellerin zu klären sei, nachdem sie <strong>im</strong> Jahr<br />
2003 durch eine Trunkenheitsfahrt aufgefallen war<br />
<strong>und</strong> bei der medizinisch-psychologischen Untersuchung<br />
<strong>im</strong> März 2006 angegeben habe, nunmehr alkoholabstinent<br />
zu leben. Aufgr<strong>und</strong> des Vorfalls vom<br />
30. Juli 2009 sei zu vermuten, dass die Klägerin erneut<br />
<strong>Alkohol</strong>missbrauch betreibe. Die Anordnung enthält<br />
die erforderliche Fristsetzung, einen Hinweis auf die<br />
Kostentragungspflicht des Betroffenen <strong>und</strong> die Angabe,<br />
dass das Gutachten von einer amtlich anerkannten<br />
Begutachtungsstelle für Fahreignung zu erstellen ist.<br />
Außerdem ist die Antragstellerin auf die Folgen einer<br />
Weigerung, sich untersuchen zu lassen, oder einer<br />
nicht fristgerechten Vorlage des Gutachtens hingewiesen<br />
worden (§ 11 Abs. 8 Satz 2 FeV).<br />
Die Beibringungsaufforderung ist auch materiell<br />
rechtmäßig. Sie hatte ihre Gr<strong>und</strong>lage in § 13 Nr. 2<br />
Buchst. e FeV. Danach ordnet die Fahrerlaubnisbehörde<br />
zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung<br />
der Fahrerlaubnis die Beibringung eines medizinischpsychologischen<br />
Gutachtens an, wenn zu<br />
klären ist, ob <strong>Alkohol</strong>missbrauch oder <strong>Alkohol</strong>abhängigkeit<br />
nicht mehr besteht. Für eine Gutachtensanforderung<br />
nach § 13 Nr. 2 Buchst. e FeV muss daher ein<br />
früherer <strong>Alkohol</strong>missbrauch nachgewiesen sein <strong>und</strong><br />
Tatsachen müssen die Annahme seiner Fortdauer begründen<br />
(vgl. BayVGH, Urt. v. 12. 04. 2006, Az. 11 ZB<br />
05.3395). <strong>Alkohol</strong>missbrauch <strong>im</strong> fahrerlaubnisrechtlichen<br />
Sinn bedeutet nach Nr. 8.1 der Anlage 4 zur<br />
FeV, dass das Führen von Fahrzeugen <strong>und</strong> ein die<br />
Fahrsicherheit beeinträchtigender <strong>Alkohol</strong>konsum<br />
nicht hinreichend sicher getrennt werden können. Die<br />
die Annahme von <strong>Alkohol</strong>missbrauch begründenden<br />
Tatsachen, etwa eine konkrete <strong>Alkohol</strong>auffälligkeit,<br />
müssen nicht <strong>im</strong> direkten Zusammenhang mit einer<br />
Teilnahme am Straßenverkehr stehen. Für die Gutachtensanforderung<br />
nach dieser Vorschrift genügt es,<br />
wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der<br />
Betroffene zwischen einem schädlichen <strong>Alkohol</strong>konsum<br />
<strong>und</strong> einer Teilnahme am Straßenverkehr nicht hinreichend<br />
sicher trennen kann, d. h. wenn aufgr<strong>und</strong> der<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010
444 Rechtsprechung<br />
Gesamtumstände Zweifel an seinem Trennungsvermögen<br />
bestehen (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht,<br />
40. Aufl. 2009, § 13 FeV Rdnr. 21; vgl.<br />
BayVGH, Beschluss vom 04. 02. 2010, Az. 11 CS<br />
09.3034).<br />
Ein die Fahreignung ausschließender <strong>Alkohol</strong>missbrauch<br />
i. S. d. Ziffer 8.1 der Anlage 4 zur FeV steht für<br />
die Vergangenheit aufgr<strong>und</strong> der Trunkenheitsfahrt<br />
vom 09. Februar 2003 (2,33 ‰ BAK), die zu der Verurteilung<br />
durch das Amtsgericht Bremen durch Strafbefehl<br />
vom 23. Februar 2003 führte, sowie den Feststellungen<br />
<strong>im</strong> medizinisch-psychologischen Gutachten<br />
des TÜV-Nord vom 27. März 2006 hinreichend<br />
fest. Ausweislich der Bef<strong>und</strong>würdigung der medizinisch-psychologischen<br />
Untersuchung vom 14. März<br />
2006 war bei der Klägerin von einer massiven <strong>Alkohol</strong>problematik<br />
„zumindest <strong>im</strong> Vorfeld einer <strong>Alkohol</strong>abhängigkeit“<br />
auszugehen.<br />
Der Vorfall vom 30. Juli 2009 gab der Behörde hinreichenden<br />
Anlass zur Prüfung, ob der in der Vergangenheit<br />
festgestellte <strong>Alkohol</strong>missbrauch nicht mehr<br />
bestand. Der zumindest mittelbare Zusammenhang<br />
mit einer Teilnahme am Straßenverkehr unter <strong>Alkohol</strong>einfluss<br />
ist darin zu sehen, dass die positive Fahreignungsbegutachtung<br />
<strong>im</strong> medizinisch-psychologischen<br />
Gutachten aus dem Jahr 2006 maßgeblich auf die „stabile<br />
Abstinenz“ der Antragstellerin abstellte <strong>und</strong> die<br />
positive Prognose davon abhängig machte. Diese positiven<br />
Schlussfolgerungen aus dem medizinischpsychologischen<br />
Gutachten sind durch den Vorfall<br />
vom 30. Juli 2009 nach <strong>gegen</strong>wärtiger Auffassung des<br />
Gerichts widerlegt worden. Das Gericht hat keine<br />
Zweifel an der Richtigkeit der Angaben <strong>im</strong> Polizeibericht<br />
vom 31. Juli 2009, wonach die Klägerin <strong>Alkohol</strong><br />
konsumiert hatte <strong>und</strong> infolgedessen hilflos war. Den<br />
Vortrag der Antragstellerin, wonach ihr Verhalten nicht<br />
auf einen <strong>Alkohol</strong>konsum, sondern auf eine „Medika-<br />
BLUTALKOHOL VOL. 47/2010<br />
menten-Wechselwirkung nach einem heißen Spätsommertag“<br />
zurückzuführen sei, wertet das Gericht als<br />
Schutzbehauptung. Am 30. Juli 2009 betrug die Tageshöchsttemperatur<br />
22,2 Grad Celsius (16:53 Uhr). Zum<br />
Vorfallszeitpunkt um 23:35 Uhr war niedrigste Tagestemperatur<br />
von 13,1 Grad Celsius (23:53 Uhr) nahezu<br />
erreicht (vgl. Daten der Wetterstation B.-F., abrufbar<br />
unter www.ach-du-schan.de). Von einem „heißen<br />
Spätsommertag“ kann insofern keine Rede sein. Im<br />
Übrigen sind die Angaben der Antragstellerin zu der<br />
behaupteten Medikamenteneinnahme vage <strong>und</strong> unsubstantiiert<br />
geblieben. Die Antragstellerin kann sich ferner<br />
nicht darauf berufen, dass die <strong>Alkohol</strong>isierung<br />
nicht mittels Messung des Blut- oder Atemalkoholgehalts<br />
festgestellt wurde. Eine solche Vorgehensweise<br />
war <strong>im</strong> vorliegenden Fall, in dem weder ein Bußgeldnoch<br />
Straftatbestand von der Antragstellerin erfüllt<br />
worden war, nicht angezeigt. Die Ingewahrsamnahme<br />
erfolgte allein zum Schutz der Antragstellerin, so dass<br />
schon aus Verhältnismäßigkeitsgründen kein Raum für<br />
eine Best<strong>im</strong>mung des <strong>Alkohol</strong>isierungsgrades mittels<br />
Entnahme einer Blutprobe oder Vornahme eines Atemalkoholtests<br />
war. Ent<strong>gegen</strong> der Ansicht der Antragstellerin<br />
kann der <strong>im</strong> Polizeibericht als Gr<strong>und</strong> für die<br />
Ingewahrsamnahme der Antragstellerin angegebene<br />
<strong>Alkohol</strong>konsum nicht als Mutmaßung der Polizeibeamten<br />
abgetan werden, denn eine <strong>Alkohol</strong>isierung<br />
kann auch auf andere Weise, beispielsweise anhand<br />
der Atemluft <strong>und</strong> der Motorik des Betroffenen (hier:<br />
Gehen in Schlangenlinien, starkes Schwanken) festgestellt<br />
werden. Da die Ingewahrsamnahme alkoholisierter<br />
oder sonst hilfloser Personen zu den regelmäßigen<br />
Aufgaben der Beamten des Polizeivollzugsdienstes<br />
gehört, ist zudem davon auszugehen,<br />
dass diese einen erheblichen Erfahrungswert in Bezug<br />
darauf haben, ob die betroffene Person alkoholisiert<br />
ist oder nicht.
Hinweise für Autoren<br />
Arbeiten überwiegend naturwissenschaftlichen Inhalts sind zu richten an:<br />
Prof. Dr. med. KLAUS PÜSCHEL, Institut für Rechtsmedizin der Universität Hamburg, Buten feld 34, 22529 Hamburg,<br />
Telefon: (+49 40) 74 105-21 30, Fax: (+49 40) 74 105-93 83<br />
Email: pueschel@uke.de<br />
Arbeiten überwiegend geisteswissenschaftlichen Inhalts sind zu richten an:<br />
Prof. Dr. iur. Dr. phil. UWE SCHEFFLER /Dr. iur. DELA-MADELEINE HALECKER, Europa-Universität Viadrina,<br />
Große Scharrn straße 59, 15230 Frankfurt/Oder, Telefon: (+49 335) 55 34-24 63, Fax: (+49 335) 55 34-24 56<br />
Email: blutalkohol@euv-frankfurt-o.de<br />
Aufbau der Manuskripte:<br />
– Name des Verfassers<br />
– ggf. Name der Institutionen mit Angabe des verantwortlichen Leiters<br />
– Titel der Arbeit in deutscher <strong>und</strong> englischer Sprache<br />
– Zusammenfassung in deutscher <strong>und</strong> englischer Sprache<br />
– jeweils fünf Schlüsselwörter in deutscher <strong>und</strong> englischer Sprache<br />
– Literatur / Fußnoten<br />
– Anschrift des Verfassers<br />
– Legenden zu Abbildungen <strong>und</strong> Tabellen auf gesondertem Blatt<br />
Einzusenden sind druckfertige Manuskripte in dreifacher Ausfertigung in deutscher oder englischer Sprache,<br />
nach Möglichkeit mit einer zusätzlichen Diskette/CD-Rom. Angenommen werden nur wissenschaftliche Originalarbeiten,<br />
die möglichst klar <strong>und</strong> übersichtlich gegliedert sind. Ist die Arbeit bereits <strong>im</strong> Inland oder Ausland<br />
veröffentlicht, ist entsprechend darauf hinzuweisen.<br />
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bitten wir folgendes zu beachten:<br />
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Werkzeug Ihrer Textverarbeitung erstellen <strong>und</strong> am Ende der Manuskript-Datei anfügen, danach die<br />
Abbildungs legenden. Die Einfügestellen für Abbildungen <strong>und</strong> Tabellen bitte deutlich kennzeichnen.<br />
2. Abbildungen als separate Dateien, 1 Datei je Abbildung, dem Manuskript beifügen – nicht in den Manu skripttext<br />
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…, <strong>und</strong> die Dateiformate mit den unter Windows üblichen Dateinamenerweiterungen (.rtf, .tif, .eps, .wmf)<br />
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5. Gegebenenfalls bitte die Email-Größe auch <strong>im</strong> eigenen Interesse durch Erstellung eines kompr<strong>im</strong>ierten<br />
Archivs (.zip, .arj, .sit, …) verringern.<br />
6. Wollen Sie, zunächst oder zusätzlich, eine „Lesefassung“ mit eingefügten Abbildungen, Tabellen usw.<br />
einsenden, dann erstellen Sie nach Möglichkeit ein PDF.<br />
Zusätzliche Anforderungen an naturwissenschaftliche Arbeiten:<br />
Bei Untersuchungen an Probanden oder Patienten muß erklärt werden, daß das Versuchsprotokoll von einer<br />
Ethikkommission begutachtet wurde <strong>und</strong> somit den Standards der Deklaration von Helsinki in der jeweils gültigen<br />
Fassung <strong>und</strong> den einschlägigen deutschen Gesetzen entspricht. Tierversuchsprogramme müssen den Hinweis<br />
enthalten, daß die „Principles of laboratory an<strong>im</strong>al care“ <strong>und</strong> die nationalen Regelungen (Tierschutzgesetz in<br />
aktueller Fassung) eingehalten worden sind.<br />
Literaturhinweise <strong>im</strong> Text erhalten die Literaturnummer in eckigen Klammern, nur diese werden in das Literaturverzeichnis<br />
aufgenommen, <strong>und</strong> zwar numeriert in alphabetischer Reihenfolge. Abkürzungen richten sich nach<br />
dem Index medicus.<br />
Beispiele:<br />
1. Iffland R, Grassnack F (1995) Epidemiologische Untersuchung zum CDT <strong>und</strong> anderen Indikatoren über<br />
<strong>Alkohol</strong>probleme <strong>im</strong> Blut alkoholauffälliger deutscher Pkw-Fahrer. <strong>Blutalkohol</strong> 32: 26–41<br />
2. Janssen W (1977) Forensische Histologie. Schmidt-Römhild, Lübeck<br />
3. Harth O (1980) Nierenfunktion. In: Schmidt R F, Thews G (Hrsg.) Physiologie des Menschen, 20. Aufl.<br />
Springer, Berlin – Heidelberg – New York, S. 668–702
Zusätzliche Anforderungen an geisteswissenschaftliche Arbeiten:<br />
Quellenangaben <strong>im</strong> Text sind durch Fußnoten zu kennzeichnen <strong>und</strong> wie folgt zu zitieren:<br />
Beispiele:<br />
1 ) Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl. 2001, § 24a Rn. 17.<br />
2 ) Katzgraber/Rabl/Stainer/Wehinger, BA 1995, 274.<br />
3 ) OLG Köln, BA 2001, 192.<br />
Jeder Autor erhält 40 Sonderdrucke kostenlos. Weitere Sonderdrucke können bei Rück sendung der Korrekturabzüge<br />
bestellt <strong>und</strong> <strong>gegen</strong> einen angemessenen Preis vom Verlag bezogen werden.<br />
Für Rückfragen stehen wir Ihnen gern unter pueschel@uke.de bzw.<br />
blutalkohol@euv-frankfurt-o.de zur Verfügung.<br />
Notice to authors<br />
Papers of a predominantly scientific nature are to be sent to:<br />
Prof. Dr. med. KLAUS PÜSCHEL, Institut für Rechtsmedizin der Universität Hamburg, Butenfeld 34, 22529<br />
Hamburg, tel.: (+49 40) 74 105-21 30, fax: (+49 40) 74 105-93 83<br />
email: pueschel@uke.de<br />
Papers of a predominantly arts/humanities nature are to be sent to:<br />
Prof. Dr. iur. Dr. phil. UWE SCHEFFLER /Dr. iur. DELA-MADELEINE HALECKER, Europa-Universität Viadrina,<br />
Große Scharrnstraße 59, 15230 Frankfurt/Oder, tel.: (+49 335) 55 34-24 63, fax: (+49 335) 55 34-24 56<br />
email: blutalkohol@euv-frankfurt-o.de<br />
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– Name of author<br />
– if applicable name of institution with reference to person responsible<br />
– title in German and English<br />
– summary in German and English<br />
– five key words in German and English<br />
– bibliography/footnotes<br />
– author’s address<br />
– legends with illustrations and tables on a separate sheet<br />
Manuscripts should be sent in triplicate, ready to print in German or English, if possible with an additional<br />
disk/CD-ROM. Only scientific originals will be accepted, which should be as clearly structured as possible. Prior<br />
publication in Germany or abroad needs to be acknowledged accordingly.<br />
Please note the following when sending manuscripts by email or by electronic data medium:<br />
1. Word processor documents are to be sent in rich text format, not as “.doc”. When sending scientific papers<br />
please list bibliography according to “Medline“ format. Please write tables using your word processing table<br />
tool and attach to the end of the manuscript file. This should be followed by legends with illustrations. Please<br />
ensure places where tables and illustrations should be inserted are clearly marked.<br />
2. Illustrations should be enclosed as separate files – one file per illustration – in the manuscript. They should<br />
not be inserted into the manuscript text.<br />
3. Photos should be sent as compressed TIFFs, graphs as .eps or .wmf.<br />
4. Please use original author’s name for file names. Illustrations should be named abb.01, ..., or fig.01, ..., and<br />
data format should be labelled with the usual Windows file name extensions (.rtf, .tif, .eps, .wmf).<br />
5. If necessary, please reduce email size by creating a compressed archive (.zip, .arj, .sit).<br />
6. If you wish to send a version for reading with enclosed illustrations, tables etc please draw up a PDF.
Additional requirements for scientific papers:<br />
In investigations involving volunteers or patients, a declaration has to be made confirming that the exper<strong>im</strong>ent<br />
was examined by the ethic commission and therefore complies with the applicable version of the Helsinki de c -<br />
laration as well as the relevant German laws. An<strong>im</strong>al exper<strong>im</strong>ent programmes have to contain the notice that the<br />
‚Principles of laboratory an<strong>im</strong>al care‘ and the national regulations (the current version of the an<strong>im</strong>al protection<br />
act) were followed.<br />
Bibliographical references in the text should be identified by square parentheses as only these will be added to<br />
the bibliography, numbered, in alphabetical order. Abbreviations should be used in accordance with the Index<br />
medicus/Medline.<br />
Examples:<br />
1. Iffland R., Grassnack F (1995) Epidemiologische Untersuchung zum CDT <strong>und</strong> anderen Indikatoren über<br />
<strong>Alkohol</strong>probleme <strong>im</strong> Blut alkoholauffälliger deutscher Pkw-Fahrer. <strong>Blutalkohol</strong> 32: 26-41<br />
2. Janssen W (1977) Forensische Histologie. Schmidt-Römhild, Lübeck<br />
3. Harth O (1980) Nierenfunktion. In: Schmidt R F, Thews G (Hrsg.) Physiologie des Menschen, 20. Aufl.<br />
Springer, Berlin – Heidelberg – New York, S. 668–702<br />
Additional requirements for arts/humanities papers:<br />
Sources need to be identified by footnotes and are to be quoted as follows:<br />
Examples:<br />
1 ) Hentschel, Straßenverkehrrecht, 36. Aufl. 2001, § 24a Rn. 17.<br />
2 ) Katzgraber/Rabl/Stainer/Wehinger, BA 1995, 274.<br />
3 ) OLG Köln, BA 2001, 192.<br />
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