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Schilfrohr zur Dämmung von Denkmal - bauplusenergie

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HOLZBAU Baustelle des Monats<br />

<strong>Schilfrohr</strong> <strong>zur</strong> <strong>Dämmung</strong> <strong>von</strong> <strong>Denkmal</strong><br />

Ziel der baubiologischen Sanierung eines denkmalgeschützten Schulhauses <strong>von</strong> 1857 in Murrhardt, war<br />

ein möglichst diffusionsoffenes Gebäude zu schaffen. Die Verwendung <strong>von</strong> regenerativem Schilf für die<br />

Dachdämmung wurde <strong>von</strong> der Stiftung BAU gefördert.<br />

Von Achim Pilz<br />

Die Aufnahme <strong>von</strong><br />

1957 zeigt die Schüler<br />

und ihren Lehrer, der<br />

im Schulhaus seine<br />

Wohnung hatte. Neun<br />

Jahre später wurde der<br />

Schulbetrieb eingestellt<br />

Quelle: Rolf Canters<br />

44 5.2012<br />

Das ehemalige Schulhaus in Murrhärle ist ein stattliches<br />

Fachwerkhaus mit einem Sockelgeschoss aus<br />

Naturstein. Sein Dach wird <strong>von</strong> einem Glockenturm<br />

mit barocken Elementen gekrönt. Der Schulbetrieb<br />

war bereits 1966 eingestellt worden. Im alten Schulsaal<br />

im ersten Stock fanden noch sporadisch Gottesdienste<br />

statt, im Erdgeschoss stand der nie benötigte<br />

örtliche Feuerwehrwagen. Dementsprechend schlecht<br />

gepflegt war der Rest: Aus der Fassade kippten die<br />

Ausfachungen, es gab weder eine funktionierende<br />

Heizung noch moderne sanitäre Anlagen.<br />

Umfassende Sanierung des alten Bestandes<br />

Nach der umfassenden baubiologischen und energetischen<br />

Sanierung bietet es heute gut 260 m 2 Platz<br />

zum Wohnen und Arbeiten. „Auf jeden Fall möchte ich<br />

beim eigenen Objekt über den Stand der Technik hinausgehen<br />

und Methoden im Grenzbereich erproben“,<br />

erzählt der Planer Rolf Canters, der nicht nur Baubiologe,<br />

sondern auch Bauingenieur und staatlicher<br />

Energieberater ist. Das bedeutet für ihn unter anderem,<br />

dass die <strong>Dämmung</strong> Passivhausstandard möglich<br />

macht. Das wurde beispielsweise im Boden mit<br />

Schaumglasschotter erreicht. Zum anderen mit einer<br />

Heizung, die mit regenerativer Energie auskommt und<br />

angenehme Strahlungswärme erzeugt. Wichtigster<br />

Bestandteil dabei ist ein feinstaubarmer Holzvergaserkessel,<br />

der Wand- und Sockelheizungen versorgt<br />

und ein alter, wieder aufgebauter Kachelofen, der eine<br />

integrierte, schwerkraftgespeiste Fußbodenheizung<br />

versorgt.<br />

Die Sanierungsdetails erzählen Geschichten<br />

Bei den Entkernungsarbeiten wurde ersichtlich, dass<br />

die originalen deutschen Kamine (100 x 100 cm) ausgebaut<br />

und durch russische mit kleinerem Querschnitt<br />

ersetzt worden waren. Die Last der schweren Originalkamine<br />

hatte die Innenwände 10 cm tiefer abgesenkt<br />

als die Umfassungswände. Alle Fassaden oberhalb<br />

des Sandsteinsockels waren ursprünglich<br />

ausgefacht, die Wetterseiten im Westen und Süden<br />

zudem verputzt gewesen. Die Originalbalken waren<br />

gebeilt und teils zum zweiten oder dritten Mal verwendet,<br />

wie die gefundenen Nummerierungen be-


Informationen über die Stiftung B-A-U<br />

Die gemeinnützige Stiftung B-A-U versteht sich als Forum <strong>von</strong> Baubiologen,<br />

Architekten und Umweltmedizinern, das sich effektiv und kreativ den<br />

notwendigen baubiologisch-umweltmedizinischen Aufgaben widmet.<br />

legten. Für die Sanierung wurde sehr früh ein Restaurator<br />

hinzugezogen, der die historischen Farbfassungen<br />

ermittelte. Den Bauherren lag der möglichst umfassende<br />

Erhalt der Originalsubstanz am Herzen. Das<br />

<strong>Denkmal</strong>amt würdigte diese Sorgfalt und zeigte sich<br />

sehr kooperativ.<br />

Statische Ertüchtigung<br />

Durch die neue Nutzung waren keine größeren Lasten<br />

zu erwarten, so dass das Tragwerk nicht verstärkt<br />

werden musste. Allerdings waren in der Küche und<br />

den Nassbereichen die Konstruktionshölzer morsch<br />

geworden sowie die Fußpfetten, die direkt auf dem<br />

Baustelle des Monats HOLZBAU<br />

Fundament auflagen und mit Putz abgedeckt gewesen<br />

waren. Wo nötig wurden die Fußpfetten entfernt, ansonsten<br />

mit Eichenverblendungen verstärkt und wo<br />

statisch nicht erforderlich gesundgeschnitten. Im heutigen<br />

Wohnzimmer gab es eine sehr weiche Holzbalkendecke<br />

mit fast 5 m Spannweite. Hier sollte der<br />

historische Kachelofen, der durch einen leichten Kaminofen<br />

ersetzt worden war, an seiner alten Stelle<br />

rekonstruiert werden. Aus statischen und Brandschutzgründen<br />

wurde eine Holz-Beton Verbunddecke<br />

eingebaut. Um die Holzbalken vor Feuchte zu schützen,<br />

wurde hier die einzige diffusionsdichte Kunststofffolie<br />

im gesamten Haus verlegt. Ohne Vorbohren<br />

5.2012<br />

Die <strong>zur</strong> Straße gelegene<br />

Ostfassade wurde als<br />

erstes saniert: die Hölzer<br />

sandgestrahlt, die<br />

Fensterfaschen mit gut<br />

abgelagertem Eichenholz<br />

erneuert und die<br />

Balken des Fachwerks<br />

<strong>zur</strong> Südfassade hin<br />

gesundgeschnitten und<br />

ausgebessert<br />

Foto: Achim Pilz<br />

45


HOLZBAU Baustelle des Monats<br />

Vor der Dachsanierung<br />

wurde der Glockenturm<br />

ausgesteift und mit<br />

einem Kran vor das<br />

Haus gestellt<br />

Um die Gesimse zu<br />

erhalten, wurden neben<br />

den Dachziegeln und<br />

der Lattung auch die<br />

Aufschieblinge entfernt.<br />

Auf die gebeilten<br />

Sparren wurden<br />

12 cm Schilfdämmung<br />

aufgelegt und<br />

angeheftet<br />

Im Giebeldreieck<br />

bildete eine 35 mm<br />

starke Seekieferplatte<br />

die ausssteifende<br />

sowie luft- und<br />

diffusionsdichte<br />

Unterkonstruktion.<br />

Die Fußpfette wurde<br />

aufgedoppelt<br />

46 5.2012<br />

wurden die Verbundschrauben (Hersteller: Friedrich<br />

Verbundsysteme) alle 12 bis 15 cm überkreuz in die<br />

freigelegten Balken geschraubt und danach der sehr<br />

trocken angemischte, PE-faserverstärkte Frischbeton<br />

C20 / 25 eingebracht. Zur thermischen Aktivierung<br />

wurden kunststoffummantelte Kupferrohre (2 x 25 m<br />

DN 25) in den Beton nahtlos eingelegt. Nach dem Härten<br />

ist die Betonplatte schubfest mit den Holzbalken<br />

verbunden. Diese nehmen die Zugkräfte auf, der Beton<br />

wirkt als Druckplatte.<br />

Diffusionsoffene Dachdämmung mit Schilf<br />

Auf der Suche nach historischem Dämmmaterial entschied<br />

sich der Baubiologe Canters für den nachwachsenden<br />

Rohstoff Schilf als Fassaden- und Dachdämmung.<br />

Als Dachdämmung und -deckung war dieser<br />

Baustoff aus Brandschutzgründen immer seltener<br />

verwendet worden. Im Vergleich zu einer konventionellen<br />

<strong>Dämmung</strong> hat Schilf eine bessere Ökobilanz.<br />

Von der Stiftung BAU gefördert, führte Canters Brandschutzversuche<br />

mit verschiedenen Silikaten durch,<br />

entschied sich aber letztendlich, im Dach das Schilf<br />

<strong>von</strong> Innen durch Lehm zu schützen. Nach den Dachziegeln<br />

und der Lattung wurden auch die Aufschieblinge<br />

entfernt, um genügend Höhe für insgesamt 22 cm<br />

<strong>Dämmung</strong> zu erhalten, ohne die Gesimse entfernen<br />

zu müssen. Die erste Lage der 12 cm starker Schilfplatten<br />

wurde möglichst auf den Balken gestoßen. Die<br />

Platten sind so stabil, dass sie allerdings auch bis zu<br />

50 cm auskragen können, ohne dass später Risse im<br />

Putz auftreten (Format: 1,25 m × 0,8 m × 0,12 m, zusätzlich<br />

auch erhältlich in 0,08 m / 0,06 m / 0,03 m).<br />

Die Luftdichtheit garantiert eine darauf verlegte hochdiffusionsoffene,<br />

UV-beständige Unterdachbahn (Stamisol<br />

Eco plus). Die Durchdringungen, beispielsweise<br />

an den auskragenden Balkenköpfen, wurden besonders<br />

sorgfältig abgedichtet und verklebt. 8 x 10 cm<br />

Kanthölzer, die mit bis zu 40 cm langen Schrauben mit<br />

den Sparren verschraubt wurden, verstärken diese<br />

konstruktiv. Anschließend wurde in die entsprechend<br />

der historischen Balkenlage unterschiedlich breiten<br />

Zwischenfelder, 8 cm starke Schilfplatten eingepasst.<br />

Eine 20 mm starke, mit Paraffin hydrophobierte Holzfaserplatte<br />

fungiert als regensicheres Unterdach für<br />

Lattung und Konterlattung aus resistenter, heimischer<br />

Douglasie. In den oberen Lagen wurden ausschließlich<br />

nichtrostende Befestigungsmittel verwendet – verzinkt<br />

oder aus Edelstahl.<br />

Auch bei der Dachdeckung wurde ökologisch<br />

korrekt gehandelt<br />

Als Dachbelag <strong>zur</strong> gut sichtbaren Straßenseite wurden<br />

über 100 Jahre alte, handgestrichene Biberschwanzziegel<br />

in Kronendeckung verlegt. „Recycling ist die


este Art und Weise, baubiologisch zu fertigen“, ist das<br />

Credo <strong>von</strong> Rolf Canters. „Zu guter Letzt macht es einfach<br />

auch Freude, mit alten Materialien nochmals<br />

umzugehen.“ Zum Garten wurden die alten Muldenfalzziegel<br />

verwendet und mit einem Trockenfirst angeschlossen,<br />

der die Hinterlüftung gewährleistet.<br />

Fassadenlifting<br />

Auf der Südseite war das Fachwerk bei einer historischen<br />

Sanierung verputzt, auf der Westseite war es<br />

sogar durch ein verputztes Mauerwerk ersetzt worden,<br />

das gut erhalten war. Es musste nur mit Wasserhochdruck<br />

gereinigt werden. Wenn die Haushaltslage der<br />

Bauherren eine weitere Investition möglich macht,<br />

soll im Süden eine Solaranlage die Fassade schützen.<br />

Der Zustand des Sichtfachwerks auf der Ostseite war<br />

gut, bis auf einige Balken und Fußpfetten. Allerdings<br />

waren die Gefache teilweise lose, wiesen breite Fugen<br />

auf oder waren sogar aus der Fassade gekippt. 5 Prozent<br />

der Gefache wurden entfernt und mit einem<br />

Leichttonmörtel neu eingesetzt. Die offenen Fugen<br />

zwischen Ausfachungen und Fachwerk wurden ausgekratzt<br />

und mit Mörtel wieder geschlossen. Der ver-<br />

Baustelle des Monats HOLZBAU<br />

Zimmerleute schnitten<br />

schadhaftere Stellen<br />

bis zu 10 cmtief gesund.<br />

Zu über 2 / 3 zerstörte<br />

Hölzer wurden durch<br />

Douglasie ersetzt<br />

Statisch tragende<br />

Kanthölzer sind mit<br />

bis zu 40 cm langen<br />

Schrauben mit den alten<br />

Sparren verklammert.<br />

Zwischen sie wurden<br />

8 cm starke<br />

Schilfplatten eingepasst<br />

Die Dachfensterlaibung<br />

mit dem handbehauenen<br />

alten Sparren, die zwei<br />

Dämmschichten, der<br />

dazwischenliegenden<br />

Winddichtung und dem<br />

Unterdach aus einer<br />

Holzfaserplatte<br />

Fotos (6): Rolf Canters<br />

47


HOLZBAU Baustelle des Monats<br />

Abschließend schützt<br />

das Giebeldreieck eine<br />

Schalung, das EG ein<br />

Kalkputz<br />

Foto: Achim Pilz<br />

48 5.2012<br />

einheitlichende neue Deckputz aus Kalk wurde mit<br />

einer reinen Silikatfarbe gestrichen, die mit Titanoxid<br />

leicht gelblich pigmentiert war. Die morschen Hölzer<br />

beilte der Hausherr eigenhändig ab und besserte sie<br />

mit abgelagertem Eichenholz aus, die Fensterfaschen<br />

fertigte er aus dem gleichen Material neu. Dann wurde<br />

das Holz einheitlich mit Leinöl gestrichen.<br />

Die Nordfassade war am stärksten geschädigt. Obwohl<br />

die Hölzer hochgradig vom Hausbock befallen waren,<br />

wurde auf Holzschutzmittel verzichtet. Zimmerleute<br />

beilten sie ab<br />

oder schnitten<br />

schadhaftere<br />

Stellen bis zu 10<br />

cm tief gesund.<br />

Die über 2 / 3<br />

zerstörten Hölzer wurden durch Douglasie ersetzt.<br />

Damit wurde ein Holz gewählt, das dauerhafter als<br />

das ursprüngliche Nadelholz ist.<br />

„Recycling ist die beste Art und Weise,<br />

baubiologisch zu fertigen“<br />

Neue Fassade auf altem Fachwerk<br />

Das Patchwork aus Alt und Neu verschwand allerdings<br />

hinter einer neuen Fassade. Eine 35 mm starke<br />

Seekieferplatte bildete die ausssteifende sowie luft-<br />

und diffusionsdichte Unterkonstruktion – ein kleiner<br />

baubiologischer Kompromiss, wegen der verwendeten<br />

Kleber. Baubiologisch optimal wäre eine Beplankung<br />

aus Vollholz gewesen. Auf den Platten wurde eine Außendämmung<br />

aus 12 cm Schilf mit Draht und Tellerdübeln<br />

befestigt. Sie erhielt einen Grundlehmputz mit<br />

Armierung aus Kälberhaaren, die rottbeständiger sind<br />

als Flachs. Durch 40 cm Dachüberstand und Wiederkehr<br />

geschützt, werden hier Lehm-, Kalk- und Silikatbeschichtungen<br />

erprobt.<br />

Bautafel (Auswahl)<br />

Projekt Baubiologische Sanierung des alten Schulhauses in Murrhärle<br />

Bauherren Eva und Rolf Canters, Murrhärle<br />

Projektleitung Rolf Canters<br />

Restauratorische Untersuchung Erwin Raff, Denkendorf<br />

Restaurierung des Dachstuhls<br />

Ökologischer Holzhausbau Helmut Müller,<br />

Wielandsweiler<br />

Lehm- und Putzarbeiten Willi Enchelmeier<br />

Schilfplatten Hisreet, Bad Oldesloe<br />

Lehmprodukte Claytec, Viersen Lehm Eiwa, Bisterschied<br />

Feinlehmputz Lesando, Dettelbach<br />

Mineralische Farben Beeck`sche Farben, Stuttgart<br />

Holz-Beton Verbundanker Friedrich, Helmbrechts<br />

Auf dem Putz im EG und<br />

der Holzplatte wurde<br />

eine Außendämmung<br />

aus 12 cm Schilf mit<br />

Draht und Tellerdübeln<br />

befestigt. Sie erhielt<br />

einen Grundlehmputz<br />

mit Armierung aus<br />

Kälberhaaren<br />

Foto: Rolf Canters<br />

Fazit: Passivhausstandard mit nachhaltigen<br />

Baustoffen erreicht<br />

Mit den neuen Dämmstoffen erreicht die Sanierung<br />

Passivhausstandard. Das Gebäude wird nun zu 100<br />

Prozent mit erneuerbarer Energie geheizt. Schilfdämmung<br />

ist eine gute Möglichkeit, Handwerkliche Leistung<br />

zu verkaufen und ökologische Beratungskompetenz<br />

zu zeigen. Für die Zimmerleute war die Bau stelle<br />

ebenfalls interessant und erfolgreich. Sie haben an<br />

einem ökologisch innovativen Projekt mitgearbeitet.<br />

Autor<br />

Achim Pilz ist Architekt und Buchautor und publiziert vor allem<br />

über nachhaltig relevante Themen im Baubereich, www.bausatz.net.

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