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Erschließung - eule2003

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Thema 3:<br />

Analyse des Dialogs über Sühne und Ehre in Fontanes „Effi Briest“ (Kapitel 27/2)<br />

a) Erschließen Sie den Textabschnitt aus Fontanes „Effi Briest“ und arbeiten Sie heraus, in welchem Dilemma<br />

sich der Protagonist befindet.<br />

b) Erläutern Sie, inwiefern dieser Textabschnitt sowohl thematisch als auch inhaltlich typisch realistische<br />

Züge aufweist.<br />

Einleitung<br />

- z.B. Duell als eine Form des ritualisierten Ehrenmords im 19. Jahrhundert; gesetzlich verboten, aber allgemein<br />

praktiziert; Beispiel: Puschkin, Lassalle<br />

<strong>Erschließung</strong> des Textabschnitts<br />

Weiterer Kontext<br />

- Eheroman, arrangierte Versorgungsehe, Achtung statt Liebe, Unterschiede in Alter und Naturell, langweiliges<br />

Provinzleben und „Schritt vom Wege“ (Crampas)<br />

Engerer Kontext<br />

- Innstetten Ministerialrat in Berlin, Effi in Kur, Brieffund; Ausblick: Duell und Verstoßung Effis, Wendepunkt:<br />

gesellschaftlicher, seelischer, schließlich physischer Tod<br />

Aufbau und Inhalt<br />

0. Kerninhalt: Innstetten bittet seinen Freund Wüllersdorf ihm als Sekundant bei seinem Duell gegen den<br />

Liebhaber seiner Frau zur Verfügung zu stehen. Obwohl er seine Frau liebt und trotz der Bedenken<br />

Wüllersdorfs unterwirft sich Innstetten dabei dem herrschenden Ehrbegriff.<br />

1. Duellforderung und Sachverhalt<br />

- Empfang und Bitte um Freundschaftsdienst (Männerfreundschaft)<br />

- Erster Einwand Wüllersdorfs (jugendlicher Überschwang) und Darlegung des Sachverhalts<br />

2. Innstettens innere Disposition<br />

* Verjährung (nicht formaljuristische Regel, sondern pragmatische Lebensweisheit)<br />

* weder Hass noch Racheverlangen<br />

* Liebe und Wunsch nach persönlichem Verzeihen<br />

3. Die überpersönlichen Forderungen der Pflicht<br />

3.1 Die ungeschriebenen Gesetze der Gesellschaft<br />

- Verzicht auf Glück<br />

- Notwendigkeit der Achtung (durch die Mitmenschen, vor sich selbst)<br />

- Die unanfechtbare Macht des Ehrbegriffs<br />

3.2 Innstettens Eingeständnis eines tragischen Fehlers<br />

- mangelnde Selbstbeherrschung und impulsives Handeln<br />

- Wüllersdorf als „Mitwisser“ und potenzielle Bedrohung der Selbstachtung<br />

3.3 Internalisierung des gesellschaftlich gültigen Ehrenkultus als persönlicher Ehrbegriff<br />

Strukturprinzipien<br />

- Wüllersdorf als Repräsentant der Vernunft (Stichwortgeber, Untergliederung durch Einwürfe)<br />

- Dominanz der inneren vor der äußeren Handlung<br />

- Abgeschlossenheit, Steigerung, Wendepunkt


Sprache und Stil [nicht gefordert]<br />

- militärisch knapper Ton, kein Plauderstil (atypisch für Fontane!)<br />

- Zurücktreten des Autors (Flaubert: impersonnalité, impartialité, impassibilité) , spärliche Szenenanweisungen,<br />

maximale Figurenperspektive<br />

- Vorherrschen der adversativen Konjunktion aber<br />

- Unterstrukturierung: Zeigen und Andeuten statt Sagen<br />

Typisch realistische Züge in Thematik und Inhalt<br />

- gesellschaftskritische Dimension, v.a. Emanzipation der Frau<br />

- Determination durch „race, milieu et moment historique“ (Hippolyte Taine): Genetische Determination<br />

kommt hier nicht vor, aber:<br />

- Prägung durch ungeschriebene gesellschaftliche Regeln („milieu“)<br />

Internalisierung und Einhaltung der herrschenden Spielregeln trotz rationaler Einsicht in ihre moralische<br />

Fragwürdigkeit und trotz der Gewissheit dass alle Beteiligten dadurch unglücklich werden<br />

keine Autonomie des vernunftgesteuerten Individuums (klassischer Humanismus), sondern sogar<br />

Dominanz von Konventionen über die Gesetze (dass das Duell verboten war, wird hier nicht einmal<br />

erwähnt!)<br />

- Prägung durch „moment historique“ („solange der Götze gilt“, Z.104)<br />

- gesellschaftliche Konventionen wichtiger als natürliche Gefühle (Liebe) und vernü nftige Erwägungen<br />

(Gegensatz zum „Kreatürlichen“, cf. Briest). Im Unterschied zur Romantik wertneutrale Darstellung des<br />

Spießigen.<br />

- Protagonisten und relevante Hauptfiguren entstammen dem gehobenen Bürgertum (anders als im Naturalismus<br />

bewusste Einschränkung der realistischen Darstellung auf die gesellschaftlich tonangebende<br />

Schicht und ihrer Probleme)<br />

- pessimistische, resignative Grundhaltung<br />

tragische Ironie: Gerade dadurch, dass Innstetten sich an Wüllersdorf wendet, hat er einen Mitwisser<br />

und kann er nicht mehr zurück<br />

wenig idealistischer Freundschaftsbegriff: Anders als in anderen Epochen (Sturm und Drang,<br />

Klassik) keine Seelenfreundschaft, kein unbedingtes Vertrauensverhältnis, sondern konventionelle<br />

Männerfreundschaft, in der Wüllersdorf letztlich zum Repräsentanten der gesellschaftlichen Regeln<br />

wird (Freundschaft ad absurdum geführt, Vereinsamung durch Ehrbegriff)<br />

- Skepsis: Figuren sind selbst unsicher, was richtig ist und was falsch, unterliegen wider besseres Wissen<br />

dem Anpassungsdruck eines unbestimmten sie „tyrannisierende[n] Gesellschafts-Etwas“ Urteilsenthaltung:<br />

„Das ist ein weites Feld“<br />

- „Götzendienst“ des Ehrbegriffs statt Gottesdienst und Nächstenliebe, Gegensatz zu natürlicher Religion<br />

bzw. neutestamentlicher Religion der Liebe Motivgeflecht: Wendenmotiv (Herthadienst: Opfer!),<br />

Christuskirche (alttestamentarische Strenge)<br />

Schluss<br />

Die entscheidende Diskussion über das Schicksal Effis findet ohne ihr Wissen und Beisein statt. Obwohl<br />

sie ihren Fehler letztlich durch eigene Kraft überwunden hat, gibt es für sie – anders als vor dem Gesetz<br />

(Verjährung) und in der Religion (Vergebung) keine Chance. Fontane hat mit dieser Darstellung gesellschaftlich<br />

bestehende Tendenzen bewusst verabsolutiert (cf. Vergleich EB mit Vorlage E lisabeth von<br />

Ardenne!), um Kritik an der Mitleidlosigkeit den gesellschaftlichen, konventionellen Moralvorstellungen<br />

zu üben.<br />

zb

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