Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers - Deutscher Bundestag
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Aktueller Begriff<br />
<strong>Richtlinienkompetenz</strong> <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>kanzlers<br />
„Der Bun<strong>des</strong>kanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung“ lautet<br />
Artikel 65 Satz 1 Grundgesetz (GG). Hieraus wird die <strong>Richtlinienkompetenz</strong> <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>kanzlers<br />
abgeleitet – auch Kanzlerprinzip genannt.<br />
Die Bun<strong>des</strong>regierung besteht gemäß Artikel 62 GG aus dem Bun<strong>des</strong>kanzler und den Bun<strong>des</strong>ministern,<br />
wohingegen die Parlamentarischen Staatssekretäre und Staatsminister nicht dazu gehören.<br />
Zwischen den Mitgliedern der Bun<strong>des</strong>regierung bestimmt sich die Aufgabenverteilung nach<br />
insgesamt drei in Artikel 65 GG aufgeführten Prinzipien: Die <strong>Richtlinienkompetenz</strong> <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>kanzlers<br />
(Satz 1) umschreibt seine Machtstellung in rechtlicher Hinsicht, seine politische Verantwortlichkeit<br />
innerhalb der Regierung und zusätzlich seine Verantwortlichkeit gegenüber dem Parlament.<br />
Im Hinblick auf die Tätigkeit der Bun<strong>des</strong>minister bestimmt das Ressortprinzip (Satz 2) die<br />
selbstständige Leitung der Geschäftsbereiche („Ressort“) durch die Minister. Zusätzlich ist eine<br />
Kompetenzzuweisung an die Bun<strong>des</strong>regierung als Kollegialorgan in Form <strong>des</strong> Kabinettsprinzips<br />
formuliert (Satz 3).<br />
Funktional ist die <strong>Richtlinienkompetenz</strong> <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>kanzlers als Instrument politischer Führung zu<br />
verstehen. Richtlinien lassen sich in diesem Sinne umschreiben als Grundsatzbestimmungen<br />
oder grundlegende politische Entscheidungen, also als die allgemeine politische Ausrichtung <strong>des</strong><br />
Regierungshandelns, die nicht je<strong>des</strong> Detail der Regierungspolitik vorgeben. Für ihren Erlass ist<br />
weder eine Form noch ein besonderes Verfahren vorgesehen. Für die Bun<strong>des</strong>minister sind sie<br />
verbindlich, in der Geschäftsordnung der Bun<strong>des</strong>regierung wird dies ausdrücklich betont und dem<br />
Bun<strong>des</strong>kanzler zusätzlich noch die Pflicht auferlegt, auf ihre Durchführung zu achten. Zur Durchsetzung<br />
dienen dem Bun<strong>des</strong>kanzler vorrangig seine in der Geschäftsordnung der Bun<strong>des</strong>regierung<br />
geregelten Befugnisse.<br />
Der <strong>Richtlinienkompetenz</strong> ist ferner eine gewisse Organisationsgewalt bei der Regierungsbildung<br />
und Schaffung von Ministerien immanent. Diese Kompetenz wird jedoch nicht nur durch koalitions-<br />
und parteiinterne Zwänge eingeschränkt, sondern auch durch in der Verfassung ausdrücklich<br />
vorgesehene Ministerien. Wird die Einrichtung eines Ressorts im Grundgesetz vorausgesetzt,<br />
findet die Organisationsgewalt <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>kanzlers dadurch ihre Grenze. Dies kommt in Artikel<br />
65a GG (Befehls- und Kommandogewalt <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>ministers der Verteidigung über die Streitkräfte<br />
im Friedensfall), Artikel 96 Abs. 2 GG (Gerichte im Geschäftsbereich <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>justizministers),<br />
Artikel 112 Satz 1 GG (Erfordernis der Zustimmung <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>ministers der Finanzen zu<br />
über- oder außerplanmäßigen Ausgaben) und in Artikel 114 Abs. 1 GG (Rechnungslegung) zum<br />
Ausdruck. Bei der Ausübung <strong>des</strong> verfassungsmäßigen Zustimmungsrechts nach Art. 112 Satz 1<br />
GG unterliegt der Bun<strong>des</strong>minister der Finanzen keinem Weisungsrecht <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>kanzlers. Auch<br />
kann die Verweigerung der Zustimmung nicht durch eine Richtlinie oder einen Kabinettsbeschluss<br />
übergangen werden.<br />
Nr. 15/09 (19. Februar 2009)<br />
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Das Dokument gibt nicht notwendigerweise die Auffassung <strong>des</strong> Deutschen Bun<strong>des</strong>tages oder seiner Verwaltung<br />
wieder und ist urheberrechtlich geschützt.<br />
Eine Verwertung bedarf der Zustimmung durch die Leitung der Abteilung W.
- 2 -<br />
Bei grundsätzlichen oder besonders bedeutsamen Themen kann die <strong>Richtlinienkompetenz</strong> auch<br />
eine Einzelweisung <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>kanzlers gegenüber einem Minister umfassen. Dies kann zu einem<br />
Spannungsverhältnis gegenüber dem Ressortprinzip führen, das jedem Minister ausreichend<br />
Freiraum zur eigenverantwortlichen Führung seines Geschäftsbereichs einräumt. Bei einem Streit<br />
darüber, ob eine Einzelweisung <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>kanzlers noch von <strong>des</strong>sen <strong>Richtlinienkompetenz</strong> gedeckt<br />
ist oder bereits einen Eingriff in die eigenverantwortliche Leitung <strong>des</strong> Geschäftsbereichs darstellt<br />
und dadurch das Ressortprinzip verletzt wird, könnte zwar im Wege <strong>des</strong> Organstreitverfahrens<br />
das Bun<strong>des</strong>verfassungsgericht angerufen werden (Artikel 93 Abs. 1 Nr. 1 GG). Hierbei dürfte<br />
es sich jedoch nur um eine theoretische Möglichkeit handeln, hat doch der Bun<strong>des</strong>kanzler jederzeit<br />
die Möglichkeit, einen Bun<strong>des</strong>minister gemäß Artikel 64 Abs. 1 GG dem Bun<strong>des</strong>präsidenten zur<br />
Entlassung vorzuschlagen. Einem solchen Vorschlag <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>kanzlers hat der Bun<strong>des</strong>präsident<br />
zu entsprechen.<br />
Das Verhältnis zwischen <strong>Richtlinienkompetenz</strong> und Kabinettsprinzip ist dadurch gekennzeichnet,<br />
dass der Bun<strong>des</strong>kanzler einerseits die Richtlinien der Politik bestimmt, andererseits aber<br />
in allen Fällen, die Kabinettsbeschlüsse vorsehen, an die Mehrheitsentscheidungen gebunden ist<br />
und sogar überstimmt werden kann. Nach der Geschäftsordnung der Bun<strong>des</strong>regierung fasst diese<br />
ihre Beschlüsse mit Stimmenmehrheit. Lediglich bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme<br />
<strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>kanzlers. Seine Führung <strong>des</strong> Kabinetts ist verfahrensrechtlicher Natur, indem er beispielsweise<br />
die Tagesordnungen der Kabinettssitzungen bestimmt. Unter Hinweis auf seine Richtlinienbefugnis<br />
kann er zwar auf den Inhalt von Kabinettsvorlagen Einfluss nehmen oder sogar Vorlagen<br />
verhindern, ein bereits gefasster Kollegialbeschluss kann jedoch nicht durch Richtlinienentscheidung<br />
aufgehoben werden. Die Fülle von Kompetenzzuweisungen an die Bun<strong>des</strong>regierung in<br />
der Verfassung (z. B. im Gesetzgebungsverfahren: Artikel 76 Abs. 1 und 77 Abs. 2 GG, haushaltsrechtliche<br />
Beschlüsse: Artikel 110, 113, 114 GG) kann insofern als Beschränkung der <strong>Richtlinienkompetenz</strong><br />
wirken. Diese Zuweisungen sind zwingend und können auch nicht durch die <strong>Richtlinienkompetenz</strong><br />
<strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>kanzlers außer Kraft gesetzt werden.<br />
Quellen:<br />
- Brockmeyer, Hans-Bernhard, Art. 65 GG, in: Schmidt-Bleibtreu, Bruno/Hofmann, Hans/Hopfauf, Axel, Kommentar<br />
zum Grundgesetz, 11. Auflage, Köln/ München 2008.<br />
- Meyn, Karl-Ulrich, Art. 65 GG, in: von Münch, Ingo/Kunig, Philip, Grundgesetzkommentar, Band 2, 5. Auflage, München<br />
2001.<br />
- Oldiges, Martin, Art. 65 GG, in: Sachs. Michael, Grundgesetz Kommentar, 4. Auflage, München 2007.<br />
- Geschäftsordnung der Bun<strong>des</strong>regierung im Internet:<br />
www.bun<strong>des</strong>regierung.de/Bun<strong>des</strong>regierung/-,8084/Geschaeftsordnung-der-Bun<strong>des</strong>re.htm<br />
Verfasser/in: Dr. Martin Limpert, Fachbereich WD 3, Verfassung und Verwaltung