Historische Urteilsbildung im Geschichtsunterricht ... - Historicum.net
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Exposé<br />
Axel Becker<br />
„<strong>Urteilsbildung</strong> <strong>im</strong> <strong>Geschichtsunterricht</strong>“<br />
1. Thema und Fragestellung<br />
Die Geschichtsdidaktik sieht ihren Gegenstandsbereich längst nicht mehr nur<br />
in der Best<strong>im</strong>mung und Vermittlung von Unterrichtsinhalten und methodischen<br />
Ratschlägen für die Lehrenden. 1 Sie ist <strong>im</strong>mer noch, aber nicht mehr<br />
ausschließlich der Unterrichtsmethodik verpflichtet, sondern wendet ihren<br />
Blick auf die gesellschaftliche Rezeption von Geschichte in theoretischer,<br />
empirischer und pragmatischer Hinsicht. Die erkenntnistheoretische<br />
Grundsatzentscheidung, Geschichte als sprachliches Konstrukt sich ständig<br />
verändernder Denkfiguren und ihre Repräsentationen als Mischformen aller<br />
drei Zeitd<strong>im</strong>ensionen zu begreifen, best<strong>im</strong>mt auch mein Interesse am Thema<br />
der <strong>Urteilsbildung</strong> <strong>im</strong> <strong>Geschichtsunterricht</strong>.<br />
Wenn Geschichte ein dynamisches Konstrukt ist, dann muss die<br />
geschichtsdidaktische Forschung Wege aufzeigen, eine Kernfunktion von<br />
Geschichte <strong>im</strong> Unterricht an Schulen zu erforschen: Das Bedürfnis nach einer<br />
Orientierung innerhalb des historischen Ablaufs. Wer sich orientieren will, der<br />
muss die ihm verfügbaren, die ihm aufgedrängten Deutungen beurteilen,<br />
einschätzen und bewerten können. So gesehen ist <strong>Urteilsbildung</strong> eine<br />
begründbare Entscheidung mit Alternativen. Diese Alternativen aber stellt die<br />
Vergangenheit selbst nicht bereit, sondern sie stammen aus der<br />
Geschichtskultur. 2 Das ihr zugrunde liegende Forschungsparadigma gibt einen<br />
Hinweis auf verwandte Begriffe, die den Begriff Urteil beschreiben: Identität,<br />
Werte, Normen und Wahrheit. 3 So verstanden ist <strong>Urteilsbildung</strong> eine<br />
Operation, die auf einen Erkenntnisgewinn zielt und gleichzeitig die Grenzen<br />
1 Zum Selbstverständnis der Geschichtsdidaktik sei exemplarisch verwiesen auf : Bernd<br />
Schönemann: Geschichtsdidaktik, Geschichtskultur, Geschichtswissenschaft, in: Hilke<br />
Günther-Arndt (Hg.): Geschichtsdidaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II,<br />
Berlin 2003, 11-22.<br />
2 Vgl. ebd.<br />
3 Vgl. Julian Nida-Rümelin: Anmerkungen zur Geschichtskultur, in: Ulrich<br />
Baumgärtner/Waltraud Schreiber (Hg.): Geschichts-Erzählung und Geschichts-Kultur. Zwei<br />
geschichtsdidaktische Leitbegriffe in der Diskussion, München 2001, 159-169, bes. 160-162.<br />
1
der Erkenntnis reflektiert. <strong>Urteilsbildung</strong> ist folglich <strong>im</strong> historischen Lernen<br />
auch als Meta-Prinzip zu verstehen. Mein Dissertationsprojekt geht der Frage<br />
nach, welche Funktion <strong>Urteilsbildung</strong> für das historische Lernen hat.<br />
Die Arbeit soll sich auf vierfache Weise mit ihrem Gegenstand befassen:<br />
Theoretisch, historisch, empirisch und pragmatisch. 4<br />
- Theoretisch und historisch fundiert ist die Arbeit, weil sie eine ganze<br />
Reihe der <strong>Urteilsbildung</strong> verwandter Konzepte, wie Fakten und Fiktion,<br />
Objektivität und Wahrheit, Sprache und Erzählung, sowie<br />
Geschichtsbewusstsein und Geschichtskultur analysieren und<br />
gegebenenfalls zusammenführen muss.<br />
- Empirisch orientiert ist die Arbeit, da sie die Beschreibung,<br />
Beobachtung und Veränderung eines Zustandes zum Ziel hat.<br />
- Pragmatisch ausgerichtet ist die Arbeit, da sie sich der<br />
geschichtsdidaktischen Praxis verpflichtet sieht und<br />
Handlungsempfehlungen geben will.<br />
Mein Anspruch ist es dabei, den Begriff der <strong>Urteilsbildung</strong> innerhalb der<br />
geschichtsdidaktischen Forschung zwischen den Leitbegriffen<br />
Geschichtsbewusstsein und Geschichtskultur zu etablieren.<br />
2. Forschungsstand und Desiderata<br />
Es soll <strong>im</strong> folgenden zuerst die Diskussion innerhalb der<br />
geschichtsdidaktischen Forschung aufgezeigt werden. Danach werde ich<br />
übergehen zu den Leitprinzipien der Geschichtsdidaktik, ihren Arbeits- bzw.<br />
Forschungsbegriffen und wie sich <strong>Urteilsbildung</strong> dort positioniert.<br />
Abschließend werden der <strong>Urteilsbildung</strong> verwandte Begriffe und ihr Stand in<br />
der Geschichtstheorie dargestellt, um die theoretische Verortung und die sich<br />
daraus ergebenden Forschungsdiskurse best<strong>im</strong>men zu können.<br />
In der geschichtsdidaktischen Forschung besteht Einvernehmen darüber, dass<br />
die Ausbildung zur Fähigkeit der <strong>Urteilsbildung</strong> zentrales Anliegen des<br />
<strong>Geschichtsunterricht</strong>s ist. GOSMANN stellte fest, dass der <strong>Geschichtsunterricht</strong><br />
„einen Beitrag zur Emanzipation und politischen Mündigkeit der Schüler<br />
4 Zu diesen vier Ebenen der geschichtsdidaktischen Forschung vgl. Joach<strong>im</strong> Rohlfes:<br />
Geschichtsdidaktik: Geschichte, Begriff, Gegenstand, in: <strong>Geschichtsunterricht</strong> heute.<br />
Grundlagen – Probleme – Möglichkeiten, Seelze-Velber 1999, 18-21.<br />
2
leisten“ solle und daher „dem Aufbau und der Differenzierung der<br />
Urteilsfähigkeit eine herausragende Bedeutung“ zukommen müsse. 5 WEYMAR<br />
hatte ebenfalls auf die Notwendigkeit hingewiesen den Lernenden normative<br />
Orientierung zu vermitteln. 6 Analysiert man die fachdidaktischen<br />
Konzeptionen zur <strong>Urteilsbildung</strong>, dann wird jedoch deutlich, dass sich<br />
„urteilen“ begrifflich nur <strong>im</strong> Gesamtzusammenhang des jeweiligen<br />
Theoriegebäudes plausibel verstehen lässt. Die theoretischen und praktischen<br />
Hinweise werden von der Komplexität der geschichtsdidaktischen<br />
Leitprinzipien eher verdeckt oder eine differenzierte Betrachtung des Begriffs<br />
wird durch einen unübersichtlichen Apparat an angeblich erklärenden, neu<br />
eingeführten Kunstbegriffen, unmöglich gemacht, die nur <strong>im</strong> fachdidaktischen<br />
Konzept des jeweiligen Zitierkartells Sinn ergeben. Mit anderen Worten: Jeder<br />
meint etwas anderes, wenn er von <strong>Urteilsbildung</strong> spricht. Für die einen ist<br />
<strong>Urteilsbildung</strong> die „Parteinahme für Humanität“. 7 Andere wiederum halten<br />
Zurückhaltung für angebrachter als „jene flinke und forsche Art, über alles und<br />
jedes zu urteilen, die manche Lehrer und Schüler mit innerer Engagiertheit<br />
verwechseln.“ 8 Erstaunlich ist die mangelnde Theoriebildung hierzu auch<br />
deshalb, weil einerseits die Bedeutung von urteilsbildenden Prozessen für die<br />
historische Bildung regelmäßig angemahnt worden ist 9 und andererseits<br />
<strong>Urteilsbildung</strong> mittlerweile zu einer zentralen Kategorie für die<br />
Nachbardisziplin Politikdidaktik avanciert ist. 10<br />
GOSMANN bemerkte seinerzeit, dass es zur <strong>Urteilsbildung</strong> nicht genügend<br />
fachdidaktische Beiträge gab, auf die er habe zurückgreifen können. 11 Dies gilt<br />
heute sicher nicht mehr. Aber es ist noch <strong>im</strong>mer erstaunlich, dass es bisher nur<br />
einen Versuch gegeben hat, eine systematische Abhandlung vorzulegen, diese<br />
sich dann aber gleich in der Einleitung auf den Irrweg begibt, dass „Geschichte<br />
und Politik, sowohl fachwissenschaftlich als auch fachdidaktisch,<br />
5 Winfried Gosmann: Überlegungen zum Problem der <strong>Urteilsbildung</strong> <strong>im</strong> <strong>Geschichtsunterricht</strong>,<br />
in: Klaus Bergmann/Jörn Rüsen (Hg.): Geschichtsdidaktik. Theorie für die Praxis, Düsseldorf<br />
1978, 67-84, hier 67.<br />
6 Vgl. Ernst Weymar: Werturteile <strong>im</strong> <strong>Geschichtsunterricht</strong>, in: GWU 21 (1970) 198-215.<br />
7 Horst Gies: <strong>Geschichtsunterricht</strong>. Ein Handbuch zur Unterrichtsplanung, Köln/We<strong>im</strong>ar/Wien<br />
2004, 77.<br />
8 Joach<strong>im</strong> Rohlfes: Geschichte und ihre Didaktik, 3. erw. Aufl. Göttingen 2005, 278.<br />
9 Vgl. Weymar; Auch: Jörn Rüsen: Werturteile <strong>im</strong> <strong>Geschichtsunterricht</strong>, in: HbGD, 304-308,<br />
bes. 307f.<br />
10 Für die politische Bildung <strong>im</strong>mer noch maßgeblich ist: Politische <strong>Urteilsbildung</strong>. Aufgabe<br />
und Wege für den Politikunterricht hg. von der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn<br />
1997.<br />
11 Vgl. Gosmann, 67.<br />
3
zusammengehören“ und damit elegant um die bestehenden<br />
geschichtsdidaktischen Forschungslücken herummanövriert. 12 WEYMARS<br />
Dreischritt von Sachaussage, Sachurteil und Werturteil ist in JEISMANNS<br />
Geschichtsbewusstsein aufgegangen. In beiden Konzeptionen liegt der<br />
Schwerpunkt auf der Objektivität des historischen Erkenntnisprozesses, an<br />
dessen Ende zweierlei Urteile stehen. 13 WEYMAR hat diesen Dualismus von<br />
Sach- und Werturteil als geschichtsdidaktischen Arbeitsbegriff eingeführt, den<br />
KOSELLECK aus Sicht des Allgemeinhistorikers zu Recht mit einigem<br />
Unbehagen sieht. 14 Auch bei KAYSER/HAGEMANN haben die neuen<br />
Herausforderungen, die sich der Geschichtsdidaktik <strong>im</strong> Hinblick auf narrative<br />
Sinnbildung stellen, keine Konsequenzen für die Unterrichtspraxis. In der<br />
Theoriebildung verwandeln sie JEISMANNS analytische Trennung der drei<br />
D<strong>im</strong>ensionen des Geschichtsbewusstseins in einen Prozess und verknüpfen<br />
diesen mit MASSINGS 15 Kategorien zur <strong>Urteilsbildung</strong>, die sie ebenfalls<br />
gründlich falsch verstehen. Sie legen abschließend ein Modell vor, das sich zur<br />
Strukturierung eines Unterrichtsinhalts eig<strong>net</strong>, aber mit <strong>Urteilsbildung</strong> nur<br />
wenig zu tun hat, wenn man sie als eigenständige Denkoperation sieht, die ein<br />
rational begründbares und intersubjektiv überprüfbares Ergebnis zur Folge<br />
haben soll.<br />
Ganz offensichtlich verwenden alle Autoren <strong>Urteilsbildung</strong> synonym für eine<br />
Orientierung des Lernenden, die mit einer gewissen Auswahl aus zur<br />
Verfügung stehenden Alternativen zu tun hat. Besonders viel Wert auf<br />
kontroverse und verschiedene Sehweisen legt BERGMANNS Konzept der<br />
Multiperspektivität. Nicht erst mit diesem Prinzip beschäftigt sich die<br />
Fachdidaktik unmittelbar mit dem Problem verschiedener Interessen und<br />
Artikulationsformen auf der Ebene von Quellen und Darstellungen. 16 Aber nur<br />
BERGMANNS Multiperspektivität bezweifelt so entschieden den<br />
Erkenntnisgewinn objektivierbaren Wissens für Schülerinnen und Schüler.<br />
12 Jörg Kayser / Ulrich Hagemann: <strong>Urteilsbildung</strong> <strong>im</strong> Geschichts- und Politikunterricht, Bonn<br />
2005, hier 3.<br />
13 Karl-Ernst Jeismann: Geschichtsbewusstsein- Überlegungen zu einer zentralen Kategorie<br />
eines neuen Ansatzes der Geschichtsdidaktik, in: Hans Süssmuth (Hg.): Geschichtsdidaktische<br />
Positionen. Bestandsaufnahme und Neuorientierung, Paderborn 1980, 179-222.<br />
14 Weymar; Koselleck, Reinhart: Zeitschichten. Studien zur Historik, Frankfurt/Main 2003,<br />
338-350.<br />
15 Vgl. Peter Massing: Kategorien des politischen Urteilens und Wege zur politischen<br />
<strong>Urteilsbildung</strong>, in: Politische <strong>Urteilsbildung</strong>, 115-133.<br />
16 Vgl. die Aufsatzsammlung: Klaus Bergmann: Geschichtsdidaktik. Beiträge zu einer Theorie<br />
historischen Lernens, Schwalbach/Ts. 1998.<br />
4
Wichtiger ist ihm die Einsicht in die Konstruiertheit historischen Wissens und<br />
seiner Funktionalität in der Geschichtskultur.<br />
Die Lücken in der geschichtsdidaktischen Forschung bestehen also vor allem<br />
in einer systematischen Klärung des theoretischen Fundaments. So wird<br />
<strong>Urteilsbildung</strong> selten als eigenständige Kategorie des historischen Lernens<br />
verstanden, woraus sich folgerichtig ein Mangel an unterrichtspraktischen<br />
Hinweisen ergibt. Häufig wird der Begriff jedoch verwendet, um die<br />
Orientierung von gesellschaftlichen Normen und Werten zu kennzeichnen, die<br />
jedoch in allen Modellen, ausgenommen bei BERGMANN, den Blick auf den<br />
historischen Gegenstand versperren.<br />
3. Methodik und Ansatz<br />
Die bisherigen Anmerkungen haben deutlich gemacht, dass historische<br />
<strong>Urteilsbildung</strong>, verstanden als von Schülern zu erlernende Fähigkeit<br />
(Kompetenz?), eine Vielzahl theoretischer Probleme aufwirft, die ein<br />
interdisziplinäres Vorgehen ratsam erscheinen lässt. Die bisherige<br />
geschichtsdidaktische Forschung konnte den Urteilsbegriff weder präzisieren<br />
noch begründen. Die Geschichtstheorie kann und soll hier neue Perspektiven<br />
eröffnen.<br />
<strong>Urteilsbildung</strong> ist zunächst also ein Theorieproblem. Es ist zu klären, welche<br />
Bedeutung Historiker (in der Geschichtskultur aber auch Laien) Urteilen<br />
be<strong>im</strong>essen und was sie darunter überhaupt verstehen. Geht man davon aus,<br />
dass die kollektive Beschäftigung mit Geschichte notwendig ist und keine das<br />
Individuum allein betreffende Handlung darstellt, sondern als Teil eines<br />
kulturellen Gedächtnisses einer Gesellschaft fungiert 17 und somit performative<br />
Kraft besitzt, dann wäre kontrollierte und reflektierte <strong>Urteilsbildung</strong> eine<br />
emanzipatorische Handlung, die Orientierung in der Geschichtskultur<br />
ermöglicht. Diese Begründung würde es zudem ermöglichen, <strong>Urteilsbildung</strong><br />
als eigenständiges Prinzip und auch eigenständigen Unterrichtsinhalt zu<br />
etablieren. Denn <strong>Urteilsbildung</strong> befasst sich, so verstanden, nicht nur mit der<br />
Vergangenheit selbst, sondern mit der Art und Weise, wie Historiker mit ihr<br />
umgehen. Wie man also zu historischen Urteilen gelangt, gehört zu den<br />
Aufgaben der theoretischen Beschäftigung mit Geschichte. Es ist die Frage<br />
17 Diese Argumentation bei Rüsen: Geschichtskultur, in: HbGD, 38.<br />
5
nach dem Status wissenschaftlicher Erkenntnis und ihren Begriffen:<br />
Objektivität, Wahrheit und Methode. Es ist auch der Frage nachzugehen,<br />
welche Qualität ein so formuliertes Urteil haben soll und wie Qualität<br />
gemessen werden kann. Ist die Vorstellung vom objektiven oder gerechten<br />
Urteil überhaupt angemessen? Die bisherige geschichtsdidaktische Forschung<br />
hat dieses Problem eher vernachlässigt. So hat selbst BERGMANN bei seinem<br />
Prinzip der Multiperspektivität sich zum Problem der Unterscheidung<br />
zwischen angemessener oder unangemessener Darstellung wenig hilfreich<br />
geäußert. Der obligatorische Verweis auf korrekt anzuwendende Methodik<br />
genügt hier schon lange nicht mehr. Das formulierte Urteil wird zur<br />
sprachlichen Konstruktion (nicht Rekonstruktion) mit dem Anspruch auf<br />
Erklärungskraft und Vergleichbarkeit. In meiner Dissertation will ich daher<br />
auch Überlegungen zur Qualität der Darstellung untersuchen. 18 Ziel ist eine<br />
Klärung der wesentlichen Begriffe und Analyseinstrumente, sowie eine der<br />
Theorie verpflichtete Definition von historischer <strong>Urteilsbildung</strong> für den<br />
<strong>Geschichtsunterricht</strong>, die als Fundament für den empirischen Zugriff dienen<br />
soll.<br />
Die Etablierung von <strong>Urteilsbildung</strong> als Begriff <strong>im</strong> geschichtstheoretischen<br />
Diskurs muss die geschichtsdidaktische Verwendung <strong>im</strong> Blick behalten. Die<br />
Befunde müssen stets nach ihren Konsequenzen für das historische Lernen in<br />
der Schule befragt werden. Meine Arbeit soll eine modellierte Struktur von<br />
historischer <strong>Urteilsbildung</strong> für den <strong>Geschichtsunterricht</strong>, verstanden als eine<br />
begründete und rationale Entscheidung aus Alternativen, entwickeln. Ein<br />
solches Modell erfüllt seinen Zweck indes nur, wenn es auch zur Gewinnung<br />
empirischer Aussagen verwendet wird, die Handlungsempfehlungen für die<br />
Praxis erst möglich machen. Die Frage nach der Funktion von <strong>Urteilsbildung</strong><br />
für das historische Lernen ist damit noch nicht hinreichend behandelt. Eine<br />
Beschäftigung mit Vorstellungen zur Geschichtskultur soll den Bezug von<br />
Urteilen zur Lebenspraxis klären. 19 Ob dies Konsequenzen für die<br />
Unterrichtsinhalte und Themen hat, bedarf einer Klärung. 20<br />
18 Ausgangspunkt hierfür wäre etwa: Frank Ankersmit: Narrative logic. A semantic analysis of<br />
the historian´s language, Groningen 1984.<br />
19 Lernende sollen vom <strong>Geschichtsunterricht</strong> konkret <strong>im</strong> Alltag profitieren, fordert Joach<strong>im</strong><br />
Rohlfes: Geschichte und ihre Didaktik, S. 114.<br />
20 Vgl. zum lebenspraktischen Bezug auch Jörn Rüsen: Auf dem Weg zu einer Pragmatik der<br />
Geschichtskultur, in: Ulrich Baumgärtner / Waltraud Schreiber (Hg.): Geschichtserzählung und<br />
Geschichtskultur, bes. 82.<br />
6
Literatur zum Thema (Auwahl)<br />
Abkürzungen:<br />
HbGD – Handbuch der Geschichtsdidaktik, hg. von Klaus Bergmann u.a., Seelze-Velber 1997.<br />
GWU – Geschichte in Wissenschaft und Unterricht<br />
Barricelli, Michele: Schüler erzählen Geschichte. Narrative Kompetenz <strong>im</strong><br />
<strong>Geschichtsunterricht</strong>, Schwalbach/Ts. 2005.<br />
Bergmann, Klaus: Geschichtsdidaktik. Beiträge zu einer Theorie historischen Lernens,<br />
Schwalbach/Ts. 1998.<br />
Borries, Bodo von: Das Geschichtsbewusstsein Jugendlicher Erste repräsentative<br />
Untersuchung über Vergangenheitsdeutungen, Gegenwartswahrnehmungen und<br />
Zukunftserwartungen von Schülerinnen und Schülern in Ost- und Westdeutschland,<br />
Weinhe<strong>im</strong>/München 1995.<br />
Burke, Peter: Was ist Kulturgeschichte? Frankfurt/Main 2005.<br />
Flach, Werner: Urteil, in: Handbuch philosophischer Grundbegriffe hg. von Hermann Krings<br />
u.a., München 1974.<br />
Goertz, Hans-Jürgen: Unsichere Geschichte. Zur Theorie historischer Referentialität, Stuttgart<br />
2001.<br />
Goertz, Hans-Jürgen: Umgang mit Geschichte. Eine Einführung in die Geschichtstheorie,<br />
Hamburg 1995.<br />
Gosmann, Winfried: Überlegungen zum Problem der <strong>Urteilsbildung</strong> <strong>im</strong> <strong>Geschichtsunterricht</strong>,<br />
in: Klaus Bergmann/Jörn Rüsen (Hg.): Geschichtsdidaktik. Theorie für die Praxis, Düsseldorf<br />
1978, 67-84.<br />
Jeismann, Karl-Ernst: Geschichtsbewusstsein- Überlegungen zu einer zentralen Kategorie<br />
eines neuen Ansatzes der Geschichtsdidaktik, in: Hans Süssmuth (Hg.): Geschichtsdidaktische<br />
Positionen. Bestandsaufnahme und Neuorientierung, Paderborn 1980, 179-222.<br />
Kayser, Jörg / Hagemann, Ulrich: <strong>Urteilsbildung</strong> <strong>im</strong> Geschichts- und Politikunterricht, Bonn<br />
2005.<br />
Körber, Andreas: „Hätte ich mitgemacht?“ Nachdenken über historisches Verstehen und (Ver-)<br />
Urteilen <strong>im</strong> Unterricht, in: GWU 51 (2000), 430-448<br />
Koselleck, Reinhart: Zeitschichten. Studien zur Historik, Frankfurt/Main 2003, 338-350.<br />
Lorenz, Chris: Konstruktion der Vergangenheit. Eine Einführung in die Geschichtstheorie,<br />
Köln/We<strong>im</strong>ar/Wien 1997.<br />
Massing, Peter: Kategorien des politischen Urteilens und Wege zur politischen <strong>Urteilsbildung</strong>,<br />
in: Politische <strong>Urteilsbildung</strong>. Aufgabe und Wege für den Politikunterricht hg. von der<br />
Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1997, 115-133.<br />
Müller, Hans-Peter: Max Weber. Eine Einführung in sein Werk, Köln/We<strong>im</strong>ar/Wien 2007.<br />
Nida-Rümelin, Julian: Anmerkungen zur Geschichts-Kultur. Zwei geschichtsdidaktische<br />
Leitbegriffe in der Diskussion, München 2001, 159-169.<br />
7
Rohlfes, Joach<strong>im</strong>: Geschichte und ihre Didaktik, 3. erw. Aufl. Göttingen 2005.<br />
Rüsen, Jörn: Auf dem Weg zu einer Pragmatik der Geschichtskultur, in: Ulrich<br />
Baumgärtner/Waltraud Schreiber (Hg.): Geschichts-Erzählung und Geschichts-Kultur. Zwei<br />
geschichtsdidaktische Leitbegriffe in der Diskussion, München 2001, 81-98<br />
Rüsen, Jörn: Werturteile <strong>im</strong> <strong>Geschichtsunterricht</strong>, in: HbGD, 304-308.<br />
Schönemann, Bernd: Geschichtsdidaktik, Geschichtskultur, Geschichtswissenschaft, in: Hilke<br />
Günther-Arndt (Hg.): Geschichtsdidaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II,<br />
Berlin 2003, 11-22.<br />
Weymar, Ernst: Werturteile <strong>im</strong> <strong>Geschichtsunterricht</strong>, in: GWU 21 (1970) 198-215.<br />
Wunderer, Hartmann: <strong>Geschichtsunterricht</strong> in der Sekundarstufe II. Zweiter Durchgang oder<br />
Förderung der Studierfähigkeit, in: Hans-Jürgen Pandel/Gerhard Schneider (Hg.): Wie weiter?<br />
Zur Zukunft des <strong>Geschichtsunterricht</strong>s, Schwalbach/Ts. 2001, 98-112.<br />
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