16.11.2013 Aufrufe

„Familie ist, wo man nicht rausgeworfen wird ...“ - GJW

„Familie ist, wo man nicht rausgeworfen wird ...“ - GJW

„Familie ist, wo man nicht rausgeworfen wird ...“ - GJW

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

WWW.<strong>GJW</strong>.DE<br />

Anne Naujoks & Volkmar Hamp<br />

<strong>„Familie</strong> <strong>ist</strong>, <strong>wo</strong> <strong>man</strong> <strong>nicht</strong><br />

rausge<strong>wo</strong>rfen <strong>wird</strong> ...<strong>“</strong><br />

Materialheft zur Aktion<br />

KINDER HELFEN KINDERN OHNE ELTERN 2010 | 2011


Anne Naujoks & Volkmar Hamp<br />

<strong>„Familie</strong> <strong>ist</strong>, <strong>wo</strong> <strong>man</strong> <strong>nicht</strong><br />

rausge<strong>wo</strong>rfen <strong>wird</strong> ...<strong>“</strong><br />

Materialheft zur Aktion KINDER HELFEN KINDERN OHNE ELTERN 2010 | 2011<br />

Mit einem Beitrag „Gemeinde als Familie?<strong>“</strong> von OLAF KORMANNSHAUS<br />

Gemeindejugendwerk des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland K.d.ö.R.


Impressum<br />

© 2009 Gemeindejugendwerk des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland K. d. ö. R.<br />

Julius-Köbner-Straße 4 · 14641 Wustermark · T 033234/74-118 · F 033234/74-121 · E gjw@bapt<strong>ist</strong>en.de · www.gjw.de<br />

Layout: Volkmar Hamp<br />

Fotos: Sofern <strong>nicht</strong> anders vermerkt, sind alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von den Projekten in Indien, Bulgarien, Rumänien,<br />

Kenia und Uganda zur Verfügung gestellt <strong>wo</strong>rden.


INHALTSVERZEICHNIS<br />

Vor<strong>wo</strong>rt (Anne Naujoks & Volkmar Hamp)................................................................... 6<br />

I. Stundenentwürfe für den Kindergottesdienst (Anne Naujoks).............................. 8<br />

Erste Einheit:<br />

Meine Familie und ich................................................................................................................................................... 8<br />

Zweite Einheit:<br />

Wenn Kinder keine Eltern haben – Waisenkinder.................................................................................................... 10<br />

Dritte Einheit:<br />

Zur Familie Gottes dazugehören: Gott – Vater und Mutter..................................................................................... 13<br />

Vierte Einheit:<br />

Zur Familie Gottes dazugehören: Jesus – unser Bruder.......................................................................................... 15<br />

Fünfte Einheit:<br />

Zur Familie Gottes dazugehören: Die Gemeinde – Leben als Schwestern und Brüder!?......................................17<br />

II. <strong>„Familie</strong> <strong>ist</strong>, <strong>wo</strong> <strong>man</strong> <strong>nicht</strong> rausge<strong>wo</strong>rfen <strong>wird</strong> ...<strong>“</strong> – Bausteine für einen<br />

generationenübergreifenden Gottesdienst zum Thema <strong>„Familie</strong><strong>“</strong> (Mk 3,31-35)<br />

(Anne Naujoks & Volkmar Hamp) ............................................................................... 19<br />

III. Ideen für Aktionen (Anne Naujoks)....................................................................... 25<br />

IV. Länderinfos und Projektbeschreibungen (Volkmar Hamp)................................ 26<br />

1. Deutschland ................................................................................................................................................. 26<br />

2. Indien ................................................................................................................................................. 27<br />

3. Bulgarien ................................................................................................................................................. 28<br />

4. Rumänien ................................................................................................................................................. 30<br />

5. Uganda ..................................................................................................................................................31<br />

6. Kenia ................................................................................................................................................. 32<br />

V. Hintergrundinformationen und Sachtexte............................................................. 33<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

1. Kinder ohne elterliche Fürsorge.<br />

Informationen des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen UNICEF zum Thema............................................. 33<br />

2. Familie in biblisch-theologischer, h<strong>ist</strong>orischer und soziologischer Perspektive (Volkmar Hamp................. 35<br />

3. <strong>„Familie</strong> <strong>ist</strong>, <strong>wo</strong> <strong>man</strong> <strong>nicht</strong> rausge<strong>wo</strong>rfen <strong>wird</strong> ...<strong>“</strong> – Familie im Wandel (Volkmar Hamp).............................. 38<br />

4. Gemeinde als Familie? (Olaf Kor<strong>man</strong>nshaus)....................................................................................................... 42<br />

KINDER HELFEN KINDERN OHNE ELTERN 2010 | 2011


Vor<strong>wo</strong>rt<br />

KINDER HELFEN KINDERN ...<br />

... <strong>ist</strong> eine Aktion des Gemeindejugendwerks. Die Idee dahinter <strong>ist</strong>, dass Kindergruppen in unseren Gemeinden – Kindergottesdienste und<br />

Sonntagsschulen, aber auch Jungscharen und Pfadfindergruppen – sich mit einem Thema des Globalen Lernens beschäftigen und dabei etwas für<br />

Kinder in anderen Ländern dieser Welt tun.<br />

2006/2007 haben wir so Kindergärten und Kinderheime für von AIDS betroffene Kinder in Südafrika unterstützen können. 2008/2009 waren es<br />

Sommercamps für kriegstraumatisierte Kinder im Libanon.<br />

Allen, die sich in diesen Jahren an der Aktion KINDER HELFEN KINDERN beteiligt haben, <strong>wo</strong>llen wir an dieser Stelle noch einmal unseren herzlichen<br />

Dank aussprechen. Schön, wenn ihr auch 2010/2011 wieder mit dabei seid! Und allen, die sich in diesen Jahren zum ersten Mal beteiligen,<br />

gilt unser herzliches „Willkommen!<strong>“</strong><br />

2010/2011 beschäftigt sich die Aktion KINDER HELFEN KINDERN mit Waisenkindern in aller Welt. Deshalb heißt unsere Aktion in diesen Jahren<br />

auch KINDER HELFEN KINDERN OHNE ELTERN 2010/2011.<br />

Dabei steht diesmal <strong>nicht</strong> nur ein Projekt im Zentrum der Aufmerksamkeit. Wir haben gleich fünf Projekte von drei Kontinenten ausgewählt,<br />

die sich in besonderer Weise mit dem Schicksal von Waisenkindern in ihrem jeweiligen Kontext beschäftigen. Es sind dies zwei Projekte in Afrika<br />

(Kenia & Uganda), zwei Projekte in Osteuropa (Bulgarien & Rumänien) und ein Projekt in Indien.<br />

Wir <strong>wo</strong>llen auf diese Weise die globale Dimension des Themas „Waisenkinder<strong>“</strong> deutlich machen. Wir <strong>wo</strong>llen euch aber auch den Zugang zum<br />

Thema erleichtern: Vielleicht gibt es in eurer Gemeinde bereits Kontakte in eins dieser Länder, die ihr nutzen könnt. Vielleicht könnt ihr solche<br />

Kontakte auch durch Menschen im Umfeld eurer Gemeinde herstellen. Vielleicht habt ihr aber auch über andere Aktivitäten schon eine besondere<br />

Beziehung zu einem der drei Kontinente und könnt an entsprechende Vorerfahrungen anknüpfen.<br />

„FAMILIE IST, WO MAN NICHT RAUSGEWORFEN WIRD ...<strong>“</strong>


VORWORT<br />

Als Mitarbeitende habt ihr die Möglichkeit, hier eine Vorentscheidung<br />

zu treffen und den Kindern in euren Gruppen eins<br />

dieser fünf Projekte als „euer<strong>“</strong> Projekt vorzuschlagen. Im Sinne<br />

eines Mehr an Beteiligung könnt ihr euch aber auch mit allen<br />

fünf Projekten beschäftigen und die Kinder selbst entscheiden<br />

lassen, für welches dieser Projekte ihr Herz in besonderer<br />

Weise schlägt.<br />

Für uns als Gemeindejugendwerk <strong>ist</strong> diese Art KINDER HELFEN<br />

KINDERN zu gestalten ein Experiment. Für die kommenden<br />

Jahre können wir uns vorstellen, dass diese Aktion verstärkt<br />

dazu dienen kann, Projekte, die sowieso von einzelnen Ortsgemeinden<br />

begleitet und unterstützt werden, einmal für eine<br />

gewisse Zeit ins Zentrum der Aufmerksamkeit aller Gemeinden<br />

in unserem Bund zu rücken. Die kommenden zwei Jahre <strong>wo</strong>llen<br />

wir dafür nutzen, dafür eine entsprechende Plattform, Auswahlkriterien<br />

und ein „Bewerbungsverfahren<strong>“</strong> zu entwickeln. Ihr könnt also gespannt sein, wie KINDER HELFEN KINDERN sich in Zukunft weiterentwickeln<br />

<strong>wird</strong>. Wir werden euch rechtzeitig darüber informieren, <strong>wo</strong>hin die Reise geht.<br />

2010/2011 geht es also um Kinder ohne Eltern. Dies <strong>ist</strong> weltweit ein großes und drängendes Problem – hier bei uns in Deutschland hingegen<br />

eher ein gesellschaftliches Randthema. Das Thema <strong>„Familie</strong><strong>“</strong> hingegen genießt auch hier bei uns seit Jahren große Aufmerksamkeit. Darum laden<br />

wir euch ein, euch im Rahmen der Aktion KINDER HELFEN KINDERN OHNE ELTERN mit den Kindern in euren Gruppen einmal intensiv mit diesem<br />

Thema zu beschäftigen. Dafür findet ihr im vorliegenden Materialheft jede Menge Bausteine und Ideen, Hintergrundinformationen und Sachtexte.<br />

Wir wünschen euch viel Spaß dabei, gute Erfahrungen miteinander und mit Gott!<br />

Und wir freuen uns über jede Spende, mit der ihr und die Kinder in euren Gruppen eins der Projekte von KINDER HELFEN KINDERN OHNE EL-<br />

TERN 2010/2011 unterstützt!<br />

Volkmar Hamp & Anne Naujoks<br />

Spendenkonto:<br />

<strong>GJW</strong><br />

Projekt 56222 (+ Ländername)<br />

Spar- und Kreditbank Bad Homburg<br />

Konto 72605<br />

BLZ 500 921 00<br />

Spar- und Kreditbank Bad Homburg<br />

Bitte das jeweilige Land – Uganda, Kenia, Bulgarien, Rumänien<br />

oder Indien – zusätzlich zur Projektnummer mit angeben!<br />

Spenden ohne ausdrückliche Zweckbestimmung werden gleichmäßig<br />

auf alle Projekte aufgeteilt.<br />

KINDER HELFEN KINDERN OHNE ELTERN 2010 | 2011


I. Stundenentwürfe<br />

für den Kindergottesdienst<br />

Erste Einheit:<br />

Meine Familie und ich<br />

Vorbemerkungen<br />

In dieser Einheit beschäftigen sich die Kinder mit ihren eigenen Familien:<br />

• Wer gehört zu meiner Familie?<br />

• Was verbindet uns miteinander?<br />

• Wozu brauchen wir eine Familie?<br />

Außerdem lernen sie die Familien der anderen Kinder kennen und erfahren, dass es ganz unterschiedliche Familienformen gibt.<br />

Jede Familie <strong>ist</strong> einzigartig! Wir dürfen Gott für unsere Familien danken und ihm unsere Sorgen bringen!<br />

Ein spielerischer Einstieg ins Thema<br />

<strong>„Familie</strong> Mayer<strong>“</strong> bzw. Tierfamilien<br />

In der Vorbereitung werden kleine Zettel mit dem Familiennamen „Mayer<strong>“</strong> in unterschiedlichen Schreibweisen versehen (Mayer, Meyer, Maier,<br />

Meier). Außerdem steht auf dem Zettel ein Familienmitglied (Vater, Mutter, Sohn, Tochter, Opa, Oma). Jedes Kind zieht einen Zettel und muss nun<br />

so schnell wie möglich den Rest seiner Familie finden. Dabei muss auf die richtige Schreibweise geachtet werden. Ist die Familie komplett, setzen<br />

sich die Familienmitglieder gemeinsam auf einen Stuhl. Folgende Reihenfolge sollte eingehalten werden: Opa, Oma, Vater, Mutter, Sohn, Tochter.<br />

Welche Familie sitzt als erstes?<br />

Variante für jüngere Kinder: Auf die Zettel werden verschiedene Tierfamilien gemalt. Die Kinder müssen ihre <strong>„Familie</strong><strong>“</strong> durch die entsprechenden<br />

Tierlaute finden (oder ohne Worte, nur mit Bewegungen). Welche Tierfamilie <strong>ist</strong> als erstes komplett?<br />

Material: entsprechend vorbereitete Zettel.<br />

Das <strong>ist</strong> meine Familie<br />

Familienstammbaum<br />

Jedes Kind gestaltet seinen eigenen Familienstammbaum. Eltern, Geschw<strong>ist</strong>er, Großeltern, Tanten und Onkel, Cousins und Cousinen finden darin<br />

einen Platz. Aber auch gute Freunde, die irgendwie „dazu gehören<strong>“</strong> dürfen <strong>nicht</strong> vergessen werden. Anschließend darf jedes Kind der Gruppe<br />

seine Familie vorstellen.<br />

Material: Papier (entweder große Papierbögen, Tapetenrolle oder Plakate), verschiedene Stifte.<br />

Familie malen<br />

Jüngere Kinder können ihre Familie einfach malen, ohne die einzelnen Familienmitglieder einem Stammbaum zuzuordnen. Auch darüber können<br />

wir miteinander ins Gespräch kommen.<br />

Material: Papier und Stifte.<br />

„FAMILIE IST, WO MAN NICHT RAUSGEWORFEN WIRD ...<strong>“</strong>


STUNDENENTWÜRFE FÜR DEN KINDERGOTTESDIENST<br />

So leben wir in unserer Familie<br />

Ein ganz normaler Tag in meiner Familie<br />

In der Vorbereitung suchen wir nach Bildern (z.B. aus Zeitschriften), die bestimmte alltägliche Situationen zeigen (z.B. Wecken, Aufstehen, Schule,<br />

Hausaufgaben machen, gemeinsames Essen, Spielen, Fernsehen ...). Wenn genug Zeit <strong>ist</strong>, kann sich jedes Kind auch selber ein Bild mit einer<br />

Alltagssituation suchen und aus der Zeitschrift ausschneiden.<br />

Nun gehen wir gemeinsam einen ganz normalen Tag durch. Wer zeitlich gesehen das früheste Bild hat (z.B. Frühstück), darf erzählen, wie diese<br />

Situation bei ihm zuhause aussieht (z.B. Wer bereitet das Frühstück vor? Essen alle gemeinsam? Was gibt es?). Dann gehen wir weiter im Tagesablauf,<br />

und das nächste Kind berichtet, wie sein Tag weiter verläuft. So kommt jedes Kind mit einem Element aus seinem persönlichen Tagesablauf<br />

vor, und wir erfahren voneinander, wie Familienalltag gelebt <strong>wird</strong>.<br />

Natürlich können wir die Bilder vom Tagesablauf auch aufkleben und im Gruppenraum aufhängen.<br />

Variante: „Ein ganz normaler Tag in meiner Familie<strong>“</strong> kann auch mit einem Mini-Anspiel präsentiert werden.<br />

Material: Zeitschriften (oder vorbereitete Bilder), Scheren, Kleber, Stifte, Tapetenrolle.<br />

Wir feiern miteinander<br />

Wie werden in der Familie besondere Ereignisse begangen oder Feste gefeiert? Darüber <strong>wo</strong>llen wir miteinander ins Gespräch kommen. Als<br />

Gesprächsanregung können Gegenstände in die Mitte gelegt werden, die für bestimmte Feste und Ereignisse stehen (z.B. Chr<strong>ist</strong>baumkugel für<br />

Weihnachten, Geschenk oder Kerze für Geburtstag, Urlaubskatalog für gemeinsame Ferien, Spielzeugauto für einen Ausflug usw.). Reihum darf<br />

jedes Kind von einem Fest oder Ereignis in der Familie erzählen.<br />

Material: evtl. Symbole.<br />

Gute und schlechte Zeiten in meiner Familie<br />

Ein Plakat gestalten<br />

Ein großer Fotokarton <strong>wird</strong> mit einem Strich in der Mitte halbiert. Auf die eine Hälfte schreiben und malen die Kinder auf, was sie an ihren Familien<br />

mögen, was ihnen gut tut und <strong>wo</strong>rauf sie in der Familie <strong>nicht</strong> verzichten möchten. Auf der anderen Hälfte werden die Dinge festgehalten, die<br />

<strong>nicht</strong> so gut laufen, über die <strong>man</strong> sich ärgert oder die traurig machen. Nun sehen wir uns das Plakat miteinander an und unterhalten uns darüber.<br />

Material: Plakat und Stifte.<br />

Gott kennt meine Familie<br />

und <strong>ist</strong> immer dabei<br />

Nun <strong>wo</strong>llen wir miteinander für unsere<br />

Familien beten. Dafür können wir das<br />

gestaltete Plakat als Grundlage nehmen<br />

oder wir sammeln vorher, für welche<br />

Dinge wir dankbar sind und was uns<br />

Sorgen macht.<br />

Die Kinder dürfen selber Gebete formulieren<br />

und/oder die Mitarbeitenden<br />

beten für die Kinder.<br />

Material: keins.<br />

Anne Naujoks<br />

KINDER HELFEN KINDERN OHNE ELTERN 2010 | 2011


STUNDENENTWÜRFE FÜR DEN KINDERGOTTESDIENST<br />

Zweite Einheit:<br />

Wenn Kinder keine Eltern haben – Waisenkinder<br />

Vorbemerkungen<br />

In dieser Einheit <strong>wo</strong>llen wir die Kinder in den Mittelpunkt<br />

rücken, die ohne Eltern aufwachsen. Sie brauchen ganz<br />

besonders Menschen, die für sie da sind, die sie lieben<br />

und die für sie sorgen. Die vorgestellten Projekte aus aller<br />

Welt (s.u. Seite 26-32) zeigen uns vielfältige Hilfsangebote.<br />

Wir <strong>wo</strong>llen für die Problematik sensibel werden und Wege<br />

suchen, wie wir Waisenkinder gezielt unterstützen können.<br />

Anregungen dazu bieten die weiter unten aufgel<strong>ist</strong>eten<br />

Ideen für Projekte und Aktionen (s.u. Seite 25).<br />

Jedes Kind braucht Eltern!?<br />

Pantomime: Situationen, in denen es gut<br />

<strong>ist</strong>, <strong>nicht</strong> alleine zu sein<br />

Die Kinder stellen pantomimisch Situationen dar, in denen es<br />

gut <strong>ist</strong>, <strong>nicht</strong> alleine zu sein und eine Familie bzw. Eltern zu<br />

haben. Vielleicht bereiten wir ein paar Situationen als Anregung<br />

vor. Die Kinder können natürlich eigene Ideen ergänzen.<br />

Mögliche Situationen: Wecken am frühen Morgen, Arzttermin,<br />

Hausaufgaben, Krankheit, Trost und Geborgenheit, Lieblingsessen,<br />

von Sorgen und Problemen erzählen, sich freuen ...<br />

Wichtiger Hinweis: Wir überlegen gemeinsam, wer für uns da<br />

<strong>ist</strong>, wenn die Eltern fehlen. Welche Bezugspersonen gibt es?<br />

– Bei diesen Überlegungen können wir darüber ins Gespräch<br />

kommen, dass <strong>man</strong>che Kinder ohne Eltern aufwachsen. Auch<br />

sie brauchen natürlich vertraute Bezugspersonen.<br />

Material: einige vorbereitete Situationen.<br />

Fragebogen: „Wer darf was?<strong>“</strong><br />

Jedes Kind füllt den Fragebogen „Wer darf was?<strong>“</strong> (Seite 11) aus.<br />

Anschließend tauschen wir uns darüber aus. Auch hier kann<br />

das Gespräch darauf kommen, wer für uns da <strong>ist</strong>, wenn die<br />

Eltern fehlen.<br />

Material: Fragebogen „Wer darf was?<strong>“</strong> (Seite 11), Stifte.<br />

10 „FAMILIE IST, WO MAN NICHT RAUSGEWORFEN WIRD ...<strong>“</strong>


STUNDENENTWÜRFE FÜR DEN KINDERGOTTESDIENST<br />

Fragebogen A: „Wer darf was?<strong>“</strong><br />

In die drei freien Spalten können weitere Personen, z.B. Freund/in, Lehrer/in, Jungscharmitarbeiter/in, Nachbar/in eingetragen werden.<br />

Wer darf was?<br />

mir etwas zu essen geben<br />

mich kämmen<br />

mir ein Pflaster aufkleben<br />

mir bei den Aufgaben helfen<br />

mich mit Worten trösten<br />

mich mit Streicheln trösten<br />

mich mit Küssen trösten<br />

mich verhauen<br />

mich knuddeln<br />

mich ausschimpfen<br />

von mir einen Kuss verlangen<br />

mich baden oder abtrocknen<br />

mich bei der Hand nehmen<br />

mir einen Weg seigen<br />

mir etwas Hübsches schenken<br />

mit etwas Schönes zeigen<br />

mich im Auto mitnehmen<br />

mich kitzeln<br />

Eltern<br />

Fragebogen B: „Wer darf was<strong>“</strong><br />

Bei „Wer<strong>“</strong> bzw. „Wer <strong>nicht</strong><strong>“</strong> sollen <strong>nicht</strong> Namen von einzelnen Personen genannt werden, sondern Personengruppen, z.B. Freunde/innen, Geschw<strong>ist</strong>er,<br />

Lehrer/innen, Eltern, Jungscharmitarbeiter/innen, Großeltern.<br />

mich streicheln<br />

mich auf den Mund küssen<br />

mich eincremen<br />

mich auf den Schoß nehmen<br />

mich abtrocknen<br />

mit mir schmusen<br />

mich in den Arm nehmen<br />

mich trösten<br />

mir Kleider schenken<br />

mir einen Kuss auf die Wange geben<br />

mir die Haare schneiden<br />

Wer darf?<br />

Wer darf <strong>nicht</strong>?<br />

KINDER HELFEN KINDERN OHNE ELTERN 2010 | 2011 11


STUNDENENTWÜRFE FÜR DEN KINDERGOTTESDIENST<br />

Wenn Kinder keine Eltern haben<br />

Gründe, warum Kinder ohne Eltern aufwachsen<br />

Wir überlegen gemeinsam, welche Gründe es geben kann, dass<br />

Kinder ohne ihre Eltern aufwachsen müssen, z.B. Tod der Eltern<br />

durch Krieg, Krankheit, einen Unfall oder die Eltern sind <strong>nicht</strong> in<br />

der Lage, für ihr Kind zu sorgen (wegen Krankheit, Behinderung,<br />

Überforderung) oder die Eltern haben <strong>nicht</strong> gut für ihr Kind gesorgt<br />

(Misshandlungen, Gewalt, Vernachlässigung). Alle Gründe halten<br />

wir schriftlich auf einem Plakat fest. Das Gespräch über dieses<br />

Thema sollten wir sensibel und kindgerecht führen. Wir <strong>wo</strong>llen den<br />

Kindern ein Gespür dafür geben, in welchen Situationen <strong>man</strong>che<br />

Kinder leben (müssen), ohne sie zu überfordern.<br />

Material: Plakat, Stifte.<br />

Ein Projekt vorstellen<br />

Auch - und gerade! - Kinder, die ohne ihre Eltern aufwachsen, brauchen viel Liebe und Fürsorge. Glücklicherweise gibt es gute Einrichtungen,<br />

die sich in besonderer Form um Waisenkinder kümmern und ihnen ein „normales<strong>“</strong> Leben ermöglichen. Wir stellen den Kindern ein ausgewähltes<br />

Projekt vor, in dem Waisenkinder ein Zuhause finden mit Menschen, die es gut mit ihnen meinen.<br />

Variante: Größere Kindern könnten sich auch selbst in Kleingruppen mit den Projektbeschreibungen beschäftigen und einander anschließend ihr<br />

jeweiliges Projekt gegenseitig vorstellen.<br />

Material: Projektbeschreibung(en) (s.u. Seite 26-32), evtl. Internezugang.<br />

Gott lässt Waisenkinder <strong>nicht</strong> im Stich<br />

Bibelverse und Gebete<br />

Gott sorgt sich in besonderer Weise um „Witwen und Waisen<strong>“</strong>,<br />

also um Menschen, die allein gelassen sind. In der Bibel finden wir<br />

dazu gerade in den Psalmen Gottes Zusage. Psalm 68,6: „Ein Vater<br />

der Waisen und ein Helfer der Witwe <strong>ist</strong> Gott in seiner heiligen<br />

Wohnung!<strong>“</strong> Und Psalm 146,9a: „Der Herr behütet die Fremdlinge<br />

und erhält Waisen und Witwen ...<strong>“</strong><br />

Wir dürfen uns darauf verlassen und können Gott also gerade die<br />

Kinder, die alleine sind, anvertrauen. Wir <strong>wo</strong>llen für sie beten. Gott<br />

<strong>wird</strong> sich um sie kümmern.<br />

Material: Bibelverse.<br />

... und was können wir tun?<br />

Wie können wir uns für Kinder, die ohne Eltern aufwachsen, einsetzen? Was können wir als Kindergruppe ganz konkret tun. Darüber <strong>wo</strong>llen wir uns<br />

Gedanken machen und überlegen, wie wir ein Projekt unterstützen können. Hilfreich sind möglicherweise die weiter unten aufgel<strong>ist</strong>eten Ideen für<br />

Aktionen (s.u. Seite 25).<br />

Material: Ideen für Projekte und Aktionen (s.u. Seite 25), Papier und Stifte.<br />

Anne Naujoks<br />

12 „FAMILIE IST, WO MAN NICHT RAUSGEWORFEN WIRD ...<strong>“</strong>


STUNDENENTWÜRFE FÜR DEN KINDERGOTTESDIENST<br />

Dritte Einheit:<br />

Zur Familie Gottes dazugehören: Gott – Vater und Mutter<br />

Vorbemerkungen<br />

Wir alle gehören zur großen Familie Gottes – auch unsere Kinder haben hier ihren Platz. Gott <strong>ist</strong> in dieser Familie wie ein liebender<br />

Vater oder eine liebende Mutter. Dieses Gottesbild möchten wir unseren Kindern vermitteln. Dabei müssen wir behutsam vorgehen,<br />

denn <strong>nicht</strong> jedes Kind verbindet mit Vater oder Mutter ein positives Erlebnis. Darauf <strong>ist</strong> unbedingt zu achten und nach Bedarf<br />

entsprechend zu reagieren, indem wir die Kinder mit ihrer Geschichte und ihren Erfahrungen ernst nehmen und Verständnis<br />

zeigen.<br />

Gott <strong>ist</strong> wie ein guter Vater / eine gute Mutter<br />

Ein guter Vater / eine gute Mutter ...<br />

Wir sammeln mit den Kindern Eigenschaften, die einen guten Vater / eine gute Mutter ausmachen und notieren sie einzeln auf kleine Zettel<br />

(z.B. „Ein guter Vater / eine gute Mutter ... hört mir zu, ... nimmt mich in den Arm, ... hilft mir bei den Hausaufgaben, ... hat Zeit für mich<strong>“</strong> usw.).<br />

Anschließend versuchen wir, die Zettel zu sortieren: Die Eigenschaften, die besonders wichtig sind, kommen in die Mitte. Alle anderen Eigenschaften,<br />

legen wir je nach Bedeutung weiter entfernt oder näher an die Mitte heran. So <strong>wird</strong> deutlich, auf welche zentralen Eigenschaften wir<br />

bei einem guten Vater / einer guten Mutter auf keinen Fall verzichten <strong>wo</strong>llen. – Gott hat diese Eigenschaften. Er <strong>ist</strong> wie ein liebender Vater / eine<br />

liebende Mutter, der/die es immer gut mit uns meint. Das können wir im Gespräch deutlich machen.<br />

Material: Zettel, Stifte.<br />

So <strong>ist</strong> Gott<br />

Es gibt viele Bibelstellen und Liedtexte, die Gott beschreiben. Die Kinder dürfen selber in der Bibel und in Liederbüchern forschen und dabei<br />

Eigenschaften Gottes sammeln. Vielleicht notieren wir sie auf einem großen Plakat. So erhalten wir ein vielseitiges Bild von Gott.<br />

Material: Bibeln, Konkordanz, Liederbücher, Plakat, Stifte.<br />

Begegnungen mit Gott<br />

Zeit mit Papa und/oder Mama<br />

Wann <strong>ist</strong> an einem ganz normalen Tag die beste Zeit, um mit Vater und/oder Mutter etwas zu unternehmen, miteinander zu reden oder einfach<br />

nur zusammen zu sein? Oder gibt es Tage, <strong>wo</strong> diese Zeit fehlt und die Kinder eine bewusste Begegnung mit ihren Eltern vermissen? Wir unterhalten<br />

uns in der Gruppe darüber. Vielleicht gibt es ein besonderes Erlebnis mit Vater oder Mutter, an das sich die Kinder immer wieder gerne<br />

erinnern. Auch davon können sie erzählen.<br />

Material: keins.<br />

Zeit mit Gott<br />

Für Kinder <strong>ist</strong> es wichtig, dass sie Zeit mir ihren Eltern verbringen, etwas miteinander unternehmen, sich gegenseitig zuhören und <strong>nicht</strong> alleine<br />

sind. So <strong>ist</strong> das auch in unserer Beziehung zu Gott. Er hat immer Zeit für uns und ein offenes Ohr für unsere schönen Erlebnisse, aber auch für<br />

unsere Sorgen und Probleme. Aber wann und <strong>wo</strong> können wir ihm begegnen? Wir suchen gemeinsam nach Möglichkeiten.<br />

Material: keins.<br />

KINDER HELFEN KINDERN OHNE ELTERN 2010 | 2011 13


STUNDENENTWÜRFE FÜR DEN KINDERGOTTESDIENST<br />

Gott liebt mich, wie Vater und Mutter ihr Kind – ich darf ihm alles sagen<br />

Ein Brief an Gott<br />

Jedes Kind darf seinen ganz persönlichen Brief an Gott schreiben. Gott interessiert sich dafür, was seine Kinder bewegt, <strong>wo</strong>rüber sie sich freuen,<br />

was ihnen Angst macht, was sie interessiert und was sie langweilt. Die Briefe werden <strong>nicht</strong> vorgelesen. Sie sind nur für Gott bestimmt und dürfen<br />

mit nach Hause genommen werden.<br />

Jüngere Kinder können selbstverständlich auch ein Bild für Gott malen.<br />

Idee: Das Briefpapier kann vorher selber gestaltet (bemalt, beklebt ...) werden.<br />

Material: Briefpapier, Briefumschläge, Stifte.<br />

„Unser Vater im Himmel<strong>“</strong><br />

Das Vaterunser <strong>ist</strong> in der ganzen Welt bekannt. Wir können es mit den Kindern zusammen beten – auch mit Bewegungen.<br />

Vater unser: Die Arme vor der Brust kreuzen (wie ein Vater, der sein Kind in die Arme nimmt)<br />

Im Himmel: Nach oben zeigen.<br />

Geheiligt werde dein Name: Mit den Fingern ein großes, rechteckiges Namensschild andeuten.<br />

Dein Reich komme: Mit den Armen die große Erdkugel beschreiben.<br />

Dein Wille geschehe: Die Hände wie ein aufgeschlagenes Buch vor sich halten.<br />

Wie im Himmel: Nach oben zeigen.<br />

So auf Erden: Nach unten zeigen.<br />

Unser tägliches Brot gib uns heute: Mit den Händen einen duftenden Laib frischen Brotes andeuten.<br />

Und vergib uns unsere Schuld: Schuldbewusst und gebeugt dastehen.<br />

Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern: Dem Neben<strong>man</strong>n / Der Nebenfrau die Hand reichen.<br />

Und führe uns <strong>nicht</strong> in Versuchung: Abwehrender Karateschritt nach vorn.<br />

Sondern erlöse uns von dem Bösen: Hände wie gefesselt aneinander halten und dann die Fesseln zerreißen.<br />

Denn dein <strong>ist</strong> das Reich: Mit den Armen die große Erdekugel beschreiben.<br />

Und die Kraft: Muskeln zeigen.<br />

Und die Herrlichkeit in Ewigkeit: Sich recken und strecken wie beim Aufwachen am Morgen.<br />

Amen: Beide Hände an den Körper zurückführen.<br />

(Diese Bewegungen haben sich vor einigen Jahren Kinder bei einer Kinderbibel<strong>wo</strong>che zum Vaterunser ausgedacht!)<br />

Ältere Kinder können auch ihr eigenes, ganz persönliches Vaterunser formulieren. Wir geben nur den Anfang des Gebetes vor „Unser Vater (unsere<br />

Mutter) im Himmel ...<strong>“</strong> – den Rest dürfen die Kinder selbst formulieren. Dabei können ihr Dank, aber auch ihre Bitten zum Ausdruck kommen.<br />

Wer möchte, darf zum Abschluss sein Gebet vorlesen.<br />

Anne Naujoks<br />

14 „FAMILIE IST, WO MAN NICHT RAUSGEWORFEN WIRD ...<strong>“</strong>


STUNDENENTWÜRFE FÜR DEN KINDERGOTTESDIENST<br />

Vierte Einheit:<br />

Zur Familie Gottes dazugehören: Jesus – unser Bruder<br />

Vorbemerkungen<br />

Wenn wir das Bild der Familie Gottes verwenden, können wir gemeinsam mit den Kindern Jesus als unseren großen Bruder kennen<br />

lernen. Was bewundern wir an einem großen Bruder? Was wünschen wir uns von ihm? Und welche Eigenschaften entdecken wir an<br />

Jesus? Mit diesen Fragen <strong>wo</strong>llen wir uns auseinandersetzen.<br />

Idealbild eines Bruders<br />

So wünsche ich mir (m)einen großen<br />

Bruder<br />

Jedes Kind bekommt ein Blatt, auf dem ein Körperumriss<br />

gemalt <strong>ist</strong>. Dieser Körper soll nun zu einem „Wunsch-Bruder<strong>“</strong><br />

gestaltet werden. Die Kinder können „ihren<strong>“</strong> Bruder<br />

mit allen Eigenschaften, die sie sich wünschen malen und<br />

beschriften (z.B. Muskeln – mein Bruder <strong>ist</strong> stark, lachender<br />

Mund – mit meinem Bruder habe ich viel Spaß usw.).<br />

Anschließend stellen wir uns gegenseitig die „Wunsch-Brüder<strong>“</strong><br />

vor.<br />

Material: ausreichende Anzahl mit Kopien von Körperumrissen,<br />

Stifte.<br />

KINDER HELFEN KINDERN OHNE ELTERN 2010 | 2011 15


STUNDENENTWÜRFE FÜR DEN KINDERGOTTESDIENST<br />

Jesus als Bruder<br />

So <strong>ist</strong> Jesus<br />

Wir sammeln mit den Kindern Geschichten aus der Bibel, in denen deutlich <strong>wird</strong>, wie Jesus war und was er getan hat. Diese Eigenschaften notieren<br />

wir und erhalten am Ende ein vielseitiges Bild von unserem ganz besonderen Bruder Jesus. Dieses Bild können wir mit den „Wunsch-Brüdern<strong>“</strong><br />

vergleichen, die die Kinder selber gestaltet haben. Gibt es Übereinstimmungen? Wo sind Unterschiede?<br />

Mögliche Geschichten aus der Bibel:<br />

• Bergpredigt (Matthäus 5-7), Maria und Marta (Lukas 10,38-42), Gleichnisse (z.B. Lukas 15) – Jesus kann spannend erzählen.<br />

Die Menschen haben ihm gerne zugehört.<br />

• Die Speisung der Fünftausend (Markus 6,30-44) – Jesus kann aus wenig viel machen.<br />

• Jesus in Gethse<strong>man</strong>e (Matthäus 26,36-46) – Jesus hat Angst.<br />

• Die Heilung eines Taubstummen (Markus 7,3-37), Die Heilung eines Blinden (Markus 8,22-26) u.a. – Jesus kümmert sich um kranke<br />

Menschen.<br />

• Die Segnung der Kinder (Markus 10,13-16) – Jesus mag Kinder.<br />

• Die Tempelreinigung (Markus 11,12-17) – Jesus <strong>wird</strong> wütend.<br />

• Zachäus (Lukas 19,1-10) – Jesus gibt jedem Menschen eine zweite Chance und kümmert sich um Außenseiter.<br />

Material: großes Papier, Stifte, Bibeln, evtl. vorbereitete Bibelstellen.<br />

Ich bin Jesu Bruder bzw. Schwester<br />

Ich möchte wie mein Bruder<br />

sein<br />

Manchmal sind wir stolz auf unsere Geschw<strong>ist</strong>er<br />

und nehmen sie uns zum Vorbild. Nun<br />

haben wir viele Seiten von unserem Bruder<br />

Jesus kennen gelernt. Die Kinder dürfen sich<br />

eine oder zwei Eigenschaften Jesu aussuchen,<br />

die sie gerne selber hätten. Wir überlegen<br />

gemeinsam, wie <strong>man</strong> nach dem Vorbild<br />

Jesu leben kann – das beginnt schon in ganz<br />

alltäglichen Situationen, es muss sich <strong>nicht</strong><br />

um die großen Taten handeln.<br />

Material: evtl. Papier und Stifte.<br />

Gespräch mit unserem Bruder Jesus<br />

Wir können mit Jesus sprechen, wie mit unserem Bruder. Das <strong>wo</strong>llen wir tun und miteinander beten.<br />

Material: keins.<br />

Anne Naujoks<br />

16 „FAMILIE IST, WO MAN NICHT RAUSGEWORFEN WIRD ...<strong>“</strong>


STUNDENENTWÜRFE FÜR DEN KINDERGOTTESDIENST<br />

Fünfte Einheit:<br />

Zur Familie Gottes dazugehören: Die Gemeinde –<br />

Leben als Schwestern und Brüder!?<br />

Vorbemerkungen<br />

Nun steht die Gemeinde als Familie Gottes im Mittelpunkt. Die Kinder sollen die Möglichkeit haben, „ihre<strong>“</strong> Gemeindefamilie besser<br />

kennen zu lernen. Dabei sollen sie sich selbst als Teil dieser Familie erleben. Sie gehören dazu, dürfen mitreden und gestalten das<br />

<strong>„Familie</strong>nleben<strong>“</strong> aktiv mit. (Zur Problematik der Übertragung des Familienbildes auf die Gemeinde vgl. unten, Seite 42-43, den<br />

Beitrag „Gemeinde als Familie?<strong>“</strong> von Olaf Kor<strong>man</strong>nshaus!)<br />

Die Gemeindefamilie<br />

Wer gehört dazu? – Dingsda<br />

Auf spielerische Art und Weise lernen die Kinder „ihre Gemeindefamilie<strong>“</strong> besser kennen. Wer gehört dazu und wer hat welche Rolle bzw. Aufgabe<br />

– darüber <strong>wo</strong>llen wir ins Gespräch kommen. Dabei kann uns ein „Gemeinde-Dingsda<strong>“</strong> helfen. Dazu beschreibt ein Kind eine Person in der<br />

Gemeinde, ohne sie zu nennen, z.B. Pastor, Chorleiterin, Jungscharmitarbeiter. (Hierbei kann es sich erst mal um die „Rolle<strong>“</strong> handeln und <strong>nicht</strong><br />

um Namen.) Die anderen Kinder raten, um wen es sich handelt. Ist die richtige Person genannt, können wir miteinander klären, welche Aufgaben<br />

diese Person hat.<br />

Material: keins.<br />

Schwestern und Brüder in der Gemeindefamilie<br />

Auch heute noch sprechen sich in vielen Gemeinden gerade die Älteren mit „Bruder<strong>“</strong> und „Schwester<strong>“</strong> an. Für die Kinder <strong>ist</strong> das möglicherweise<br />

fremd. Doch dadurch <strong>wird</strong> das Bild der Gemeinde als Familie Gottes deutlich. Das möchten wir den Kindern erklären. Dabei können wir die eigenen<br />

Erfahrungen der Kinder mit Geschw<strong>ist</strong>ern einbeziehen. Warum <strong>ist</strong> es schön, Geschw<strong>ist</strong>er zu haben? Was <strong>ist</strong> <strong>man</strong>chmal schwierig? Themen wie<br />

Zusammenhalt, gemeinsame Erlebnisse, Streit, Eifersucht usw. können dabei aufgegriffen und Parallelen zum Gemeindealltag gezogen werden.<br />

Material: keins.<br />

Zusammenleben in der Gemeindefamilie<br />

<strong>„Familie</strong>nalltag<strong>“</strong> in unserer Gemeinde<br />

Wie sieht eine ganz normale Woche in unserer Gemeindefamilie aus? Und gibt es <strong>„Familie</strong>nfeste<strong>“</strong>, die wir miteinander feiern? Die Kinder erstellen<br />

einen Gemeinde-Wochenplan. Als Hilfsmittel dienen Gemeindebriefe oder ein Blick auf die Homepage der Gemeinde.<br />

Material: Gemeindebriefe, evtl. Laptop mit Internetzugang, Plakat für Wochenplan, Stifte.<br />

Regeln für ein gutes Zusammenleben<br />

Welche Regeln gibt es in unserer Gemeinde bei uns im Kindergottesdienst? – Lassen sich die Regeln auf die gesamte Gemeindefamilie übertragen?<br />

Welche Regeln wären uns da besonders wichtig? Darüber <strong>wo</strong>llen wir mit den Kindern nachdenken. Vielleicht lassen wir die Kinder für sie<br />

wichtige bzw. wünschenswerte Regeln für den Gemeindealltag aufschreiben oder malen. Hilfreich <strong>ist</strong> dafür möglicherweise ein Satzanfang oder<br />

eine Überschrift, z.B. „In der Gemeindefamilie <strong>ist</strong> es wichtig, dass ...<strong>“</strong>, „Für meine Gemeindefamilie wünsche ich mir ...<strong>“</strong><br />

Material: Papier und Stifte.<br />

KINDER HELFEN KINDERN OHNE ELTERN 2010 | 2011 17


STUNDENENTWÜRFE FÜR DEN KINDERGOTTESDIENST<br />

Meine Gemeindefamilie und ich<br />

Wir malen auf ein Plakat die Umrisse eines großen Hauses mit mehreren Etagen, Keller und Dach. Über dem Dach gibt es ein paar weiße Wolken.<br />

Das Haus steht für unsere Gemeinde(familie). Wir überlegen mit den Kindern, was sie an der Gemeindefamilie mögen, schätzen und toll finden.<br />

All das darf in das Haus geschrieben werden. Dinge, die die Kinder <strong>nicht</strong> gut und langweilig finden, landen im Keller. Träume und Wünsche für die<br />

Gemeindefamilie notieren wir in den Wolken. Vielleicht können wir auch überlegen, wie sich Wünsche und Träume realisieren lassen.<br />

Material: Plakat, Stifte<br />

Gott als Familienvater/-mutter<br />

Bezug nehmen auf die Einheit „Gott als Vater/Mutter<strong>“</strong><br />

Wir erinnern uns an das Bild von Gott als liebendem Vater / liebender Mutter. Auch in unserer Gemeinde <strong>ist</strong> Gott das <strong>„Familie</strong>noberhaupt<strong>“</strong>. Er hält<br />

die Familie zusammen und meint es gut mit seinen Kindern, selbst wenn es Streit unter den Geschw<strong>ist</strong>ern gibt. Gott sorgt für seine Familie, auch<br />

wenn es schwere Zeiten gibt. Darauf dürfen wir uns jederzeit verlassen. In der Bibel finden wir an vielen Stellen Gottes Zusage, für uns wie ein<br />

Vater zu sein, z.B. Psalm 103,13; Johannes 16,15; 2. Korinter 1,3; Galater, 3,26; Matthäus 12,49f.<br />

Material: Bibelstellen.<br />

Gebet für unsere Gemeindefamilie<br />

Wir <strong>wo</strong>llen Gott, unserem Vater, für unsere Gemeindefamilie danken. Gleichzeitig dürfen wir ihm auch unsere Sorgen bringen. Er sorgt für uns und<br />

lässt seine Gemeinde <strong>nicht</strong> im Stich.<br />

Material: keins.<br />

Anne Naujoks<br />

18 „FAMILIE IST, WO MAN NICHT RAUSGEWORFEN WIRD ...<strong>“</strong>


II. <strong>„Familie</strong> <strong>ist</strong>, <strong>wo</strong> <strong>man</strong> <strong>nicht</strong><br />

rausge<strong>wo</strong>rfen <strong>wird</strong> ...<strong>“</strong><br />

Bausteine für einen generationenübergreifenden<br />

(Advents-)Gottesdienst zum Thema <strong>„Familie</strong><strong>“</strong> (Markus 3,31-35)<br />

Vorbemerkungen<br />

Der Gottesdienst kann in der Adventszeit stattfinden, muss es aber <strong>nicht</strong>. Die Predigt stellt am Anfang und am Ende einen Bezug<br />

zur Adventszeit her, der aber auch problemlos weggelassen werden kann. Wird der Gottesdienst in der Adventszeit gefeiert, kann<br />

das eine oder andere Lied durch ein Adventslied ersezt werden.<br />

Ablauf<br />

Vorspiel oder Einspiellied<br />

Der Gottesdienst beginnt – wie ge<strong>wo</strong>hnt – mit einem Vorspiel oder Einspiellied. Vielleicht können hier schon die Kindergottesdienstkinder beteiligt<br />

werden!<br />

Begrüßung<br />

<strong>„Familie</strong> <strong>ist</strong>, <strong>wo</strong> <strong>man</strong> <strong>nicht</strong> rausge<strong>wo</strong>rfen <strong>wird</strong> ...<strong>“</strong> – Das <strong>ist</strong> das Thema dieses generationenübergreifenden Gottesdienstes, den wir mit Erwachsenen<br />

und Kindern, mit Alten und Jungen, mit Singles und Familien in ganz unterschiedlichen Familienformen feiern.<br />

Wir tun diese im Namen des Vaters, der Sohnes und des Heiligen Ge<strong>ist</strong>es. Amen.<br />

Lied<br />

Halli, Hallo (Jede Menge Töne 43)<br />

Eingangsvers / Textlesung<br />

Als Textlesung zum Eingang eignet sich zum Beispiel Römer 8,14-17 („Welche der Ge<strong>ist</strong> Gottes treibt, die sind Gottes Kinder ...<strong>“</strong>).<br />

Lied<br />

He’s got the whole <strong>wo</strong>rld / Er hält die ganze Welt (Jede Menge Töne 117)<br />

Sich als Brüder und Schwestern begrüßen<br />

Zu Beginn des Gottesdienstes begrüßen alle ihre „Brüder<strong>“</strong> und „Schwestern<strong>“</strong>, die in der Nähe sitzen.<br />

KINDER HELFEN KINDERN OHNE ELTERN 2010 | 2011 19


GOTTESDIENST ZUM THEMA „FAMILIE<strong>“</strong><br />

Lied<br />

B<strong>ist</strong> du groß oder b<strong>ist</strong> du klein (Jede Menge Töne 163) – Das Lied kann mit Bewegungen gesungen werde!<br />

Zur Familie Gottes gehören<br />

Wir zeigen eine mit Musik unterlegte Powerpoint-Präsentation mit Fotos von „Kindern Gottes<strong>“</strong> aus der Gemeinde, aber auch aus der gesamten<br />

Gesellschaft (Geschäftsleute, Taxifahrer, Obdachlose, Verkäufer, Ausländer, Kinder, Alte, Kranke ...). Hier <strong>wird</strong> deutlich: In der Familie Gottes hat<br />

jeder seinen Platz.<br />

Lied<br />

Vergiss es nie (Jede Menge Töne 162)<br />

Anspiel<br />

Jesus und seine Verwandten (Markus 3,31-35)<br />

Der Predigttext <strong>wird</strong> in Form eines Anspiels präsentiert. Dies kann von Kindern aus dem Kindergottesdienst vorbereitet werden.<br />

Predigt<br />

Jesus und seine Verwandten (Markus 3,31-35) (siehe unten!)<br />

Während der Predigt malen die jüngeren Kinder in einer Mal-Ecke im Gottesdienstraum oder in einem Nebenraum Bilder zum Thema <strong>„Familie</strong><strong>“</strong>.<br />

Diese Bilder werden nach der Predigt den „Großen<strong>“</strong> gezeigt und ggfs. erklärt und verschenkt.<br />

Lied<br />

Vater, ich komme jetzt zu dir (Jede Menge Töne 31)<br />

Füreinander beten<br />

Brüder und Schwestern sind füreinander da. Das kann sich auch im Gebet füreinander zeigen.<br />

Möglichkeit 1: Jede/r schreibt (anonym oder mit Namen) ein Gebetsanliegen auf einen Zettel. Die Zettel werden eingesammelt und anschließend<br />

wieder verteilt. Nun kann jede/r in der kommenden Woche für ein konkretes Anliegen beten<br />

Möglichkeit 2: Gebetspatenschaften! Jedes Kind der Gemeinde <strong>wird</strong> fotografiert. Die Fotos sind für Gebetspaten bestimmt, die es sich zur Aufgabe<br />

machen, über einen längeren Zeitraum ein Kind im Gebet zu begleiten.<br />

Kollekteninformation und Kollekte<br />

Die Kollekte sammeln wir zugunsten eines Projekts der Aktion KINDER HELFEN KINDERN OHNE ELTERN. Kindergottesdienstkinder stellen das<br />

Projekt vor, laden zur Kollekte ein und sammeln diese auch ein.<br />

Segen / Segenslied<br />

Miteinander essen<br />

Eine gute Tradition im Familienleben <strong>ist</strong> es, miteinander zu essen. Das können wir auch als „Gemeindefamilie<strong>“</strong> tun, z.B. mit einem Mittagessen<br />

nach dem Gottesdienst.<br />

Anne Naujoks & Volkmar Hamp<br />

20 „FAMILIE IST, WO MAN NICHT RAUSGEWORFEN WIRD ...<strong>“</strong>


GOTTESDIENST ZUM THEMA „FAMILIE<strong>“</strong><br />

Jesus und seine Verwandten (Markus 3,31-35)<br />

Eine (Advents-)Predigt zum Thema <strong>„Familie</strong><strong>“</strong><br />

Diese Predigt kann als Adventspredigt gehalten werden, muss es aber <strong>nicht</strong>! Bezüge zum Advent werden nur am Anfang und am<br />

Schluss hergestellt. Sie können problemlos weggelassen werden, wenn der Gottesdienst <strong>nicht</strong> in der Adventszeit stattfindet.<br />

Ein typischer Adventstext <strong>ist</strong> das <strong>nicht</strong>!<br />

Advent, das heißt Ankunft. In der Adventszeit warten wir – jedes Jahr wieder – auf die Ankunft Gottes in dieser Welt. Und dann feiern wir Weihnachten:<br />

die Menschwerdung Gottes in seinem Sohn Jesus Chr<strong>ist</strong>us.<br />

In der Adventszeit erinnern wir uns aber auch daran, dass dieser Jesus einmal wiederkommen <strong>wird</strong>. Dass die Gottesherrschaft, deren Anbruch er<br />

vor 2.000 Jahren angekündigt hat, dann endgültig Wirklichkeit <strong>wird</strong>. Dass Gott alle Tränen abwischen, alles Leid beenden und den Tod abschaffen<br />

<strong>wird</strong>. Dass er einen neuen Himmel und eine neue Erde schafft, in denen er selbst dann alles in allem <strong>ist</strong>. Was für eine Zukunft, die wir da erwarten!<br />

Jesus und seine Familie<br />

Auch in unserem Bibeltext warten Menschen auf Jesus: Seine Mutter und seine Brüder stehen draußen vor dem Haus, in dem er sich aufhält, und<br />

warten darauf, dass er herauskommt. Sie haben ihn rufen lassen – und nun warten sie, dass er ihrem Ruf folgt.<br />

Ich frage mich: Warum? Warum stehen Jesu Mutter und seine Brüder eigentlich draußen vor der Tür? Warum gehen sie <strong>nicht</strong> selbst in das Haus,<br />

um mit Jesus zu sprechen, sondern schicken einen Boten? Nur wegen der vielen Leute? Oder weil das Leute sind, zu denen <strong>man</strong> eben <strong>nicht</strong> geht?<br />

Leute mit zweifelhaftem Ruf vielleicht – jenes Klientel eben, mit dem Jesus sich vorzugsweise abgibt.<br />

Ich frage mich auch: Warum sind die Mutter Jesu und seine Brüder <strong>nicht</strong> schon längst bei Jesus? Sie sind doch seine Familie! Die Menschen, die<br />

ihm, biologisch betrachtet, am nächsten stehen. Sollten <strong>nicht</strong> gerade sie in seiner Nähe sein? Was für eine D<strong>ist</strong>anz, was für ein Abgrund zwischen<br />

Jesus und seinen nächsten Verwandten tut sich hier auf?<br />

Neu <strong>ist</strong> das den ersten Lesern des Markusevangeliums <strong>nicht</strong>! Zwar kennen sie vermutlich <strong>nicht</strong> die Geschichte vom 12-jährigen Jesus im Tempel.<br />

Die erzählt nur Lukas und deutet so schon sehr früh den sich abzeichnenden Konflikt zwischen Jesus und seiner Familie an.<br />

Aber Markus berichtet ein paar Verse vorher schon einmal von einer ganz ähnlichen Begebenheit wie dieser hier: Jesus erregt Aufsehen. Die<br />

Massen laufen ihm zu. Da machen seine Angehörigen sich auf den Weg, um ihn mit Gewalt zurückzuholen. Sie sagen. „Er <strong>ist</strong> von Sinnen! Verrückt!<br />

Total durchgeknallt!<strong>“</strong><br />

Vielleicht war Jesu Verwandten da schon klar: „Mit seiner Botschaft von der Gottesherrschaft bringt Jesus <strong>nicht</strong> nur sich selbst, sondern auch<br />

uns in Gefahr! Die neue Welt- und Werteordnung, die er <strong>nicht</strong> nur predigt, sondern auch noch selber lebt, wenn er sich mit Zöllnern und Sündern<br />

abgibt, <strong>wird</strong> die religiöse und politische Führungselite <strong>nicht</strong> hinnehmen. Juden wie Römer! Besser, wir schieben dem schnell einen Riegel vor!<strong>“</strong><br />

Doch Jesus lässt sich davon <strong>nicht</strong> beirren! Er nimmt den Konflikt mit seiner Familie in Kauf. „Er macht sein Ding!<strong>“</strong>, würden wir heute sagen. Er tut,<br />

was er von Gott her für richtig hält. Und das bedeutet ihm mehr als familiäre Bande und verwandtschaftliche Solidarität.<br />

Jesus und sein „Vater im Himmel<strong>“</strong><br />

Nicht ohne Grund nennt er Gott seinen „Vater im Himmel<strong>“</strong> – und benutzt dafür ein Wort, das im Hebräischen fast so etwas wie ein Kose<strong>wo</strong>rt <strong>ist</strong>:<br />

Abba, das heißt: Papa, Vati!<br />

Liebevoller und mit mehr Zuneigung kann <strong>man</strong> seinen Vater <strong>nicht</strong> ansprechen. So spricht nur einer, der Gott als liebenden Vater kennen gelernt<br />

hat. Aus dieser Gotteserfahrung heraus lebt Jesus sein Leben. Von dieser Liebe <strong>ist</strong> seine Botschaft geprägt. Mit dieser Liebe begegnet er den<br />

Menschen, die sonst keiner liebt – und macht sich damit im Blick auf seine eigene Verwandtschaft zum Außenseiter.<br />

Doch war das wirklich nötig? Ich muss gestehen: Als ich vor einigen Wochen diesen Text nach längerer Zeit mal wieder bewusst wahrgenommen<br />

habe, kam mir das Verhalten Jesu erst einmal reichlich sonderbar vor. Wie das eines 15-jährigen Teenagers, der sich von seiner Familie abgrenzen<br />

muss, um zu seiner eigenen Identität zu finden. Nicht wie das eines erwachsenen Mannes, der sich mit seiner Biografie auseinandergesetzt und<br />

versöhnt hat!<br />

Und irgendwie passt dieses Jesusbild auch <strong>nicht</strong> zu diesem anderen Jesus, wie er uns zum Beispiel im Johannesevangelium begegnet. Zu einem<br />

Jesus, der sich noch sterbend am Kreuz liebevoll um die Altersvorsorge für seine Mutter kümmert!<br />

Und gehörte später <strong>nicht</strong> doch zumindest einer seiner Brüder, Jakobus, zum Kernkreis der entstehenden Urgemeinde?<br />

KINDER HELFEN KINDERN OHNE ELTERN 2010 | 2011 21


GOTTESDIENST ZUM THEMA „FAMILIE<strong>“</strong><br />

Und ich denke (etwas ketzerisch): Vielleicht wäre Jesus kein Zacken aus der Heilandskrone gebrochen, wenn er in dieser Situation hier aufgestanden<br />

und hinausgegangen wäre, um sich mit seiner Familie auseinanderzusetzen. Meinetwegen nachdem er die Prioritäten klargestellt und seine<br />

neue Definition von Familie verkündigt hat.<br />

Darum bin ich ganz froh, dass unser Text eigentlich kein richtiges Ende hat. Ich stelle mir vor, dass Jesus – nachdem er gesagt hat, was zu sagen<br />

war – aufsteht, zu seiner Mutter und zu seinen Brüdern geht und ihnen mit derselben Zuneigung und Liebe begegnet, die er auch den „Verlorenen<strong>“</strong>,<br />

zu denen er sich gesandt weiß, entgegenbringt.<br />

Aber das <strong>ist</strong> natürlich reine Spekulation! Wunschdenken! Aber ein frommer Wunsch, wie ich finde. Also: Warum <strong>nicht</strong>!?<br />

Konflikte gehören dazu<br />

Dass solch ein versöhnlicher Schluss hier fehlt, macht freilich deutlich, dass es Markus gar <strong>nicht</strong> in erster Linie um Jesus und seine Verwandten<br />

geht, sondern um eine Erfahrung, die die ersten Leser seines Evangeliums betrifft: Wer sich zu Jesus hält, das haben sie schnell gemerkt, muss<br />

unter Umständen Konflikte mit den Lebensbezügen, aus denen er kommt, in Kauf nehmen!<br />

Manchmal werden das in der Tat Familienkonflikte gewesen sein. Vor allem aber Konflikte mit der Synagoge. Mit einer jüdischen Tradition, die sich<br />

schwer damit tat, die Freiheit des Evangeliums zu akzeptieren. Zu akzeptieren, dass plötzlich gerade denen einen Zugang zu Gott eröffnet <strong>wird</strong>,<br />

denen dieser im Judentum verwehrt <strong>ist</strong>: den Sündern, den Unreinen, den Ausgestoßenen, den Gottfernen, den Heiden. Uns!<br />

Und dies ohne den Umweg über das Judentum, über die Beschneidung und das Befolgen des jüdischen Gesetzes!<br />

Später kamen Konflikte mit den politischen Machthabern hinzu: Wer Jesus, den Sohn Gottes, und seinen Vater im Himmel anbetet, kann seine<br />

Knie <strong>nicht</strong> mehr vor anderen Göttern oder Menschen, die sich als Götter verehren lassen, beugen. „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers <strong>ist</strong>!<strong>“</strong> – das<br />

heißt auch: Gebt ihm <strong>nicht</strong> das, was allein Gott zusteht!<br />

So geht schon bald ein Riss durch die antike Welt. Ein Kampf der Kulturen und Religionen, aus dem, zumindest was die westliche Welt betrifft, im<br />

4. Jahrhundert nach Chr<strong>ist</strong>us erst einmal das Chr<strong>ist</strong>entum als Sieger hervorgeht – mit allen Konsequenzen, die ein solcher Sieg mit sich bringt:<br />

Machtzuwachs und Machtmissbrauch, gute chr<strong>ist</strong>liche Werte auf der einen Seite, aber auch eine gewisse „Siegermentalität<strong>“</strong> auf der anderen:<br />

Zwangsmissionierung, Hass und Gewalt im Namen Chr<strong>ist</strong>i!<br />

Und immer wieder die Frage: War das wirklich das, was Jesus <strong>wo</strong>llte mit seiner guten Nachricht von der anbrechenden Gottesherrschaft, die sich<br />

quer stellt zu aller Herrschaft von Menschen über Menschen? Er predigte das Reich Gottes – und was kam, war die Kirche!?<br />

Eine neue Art von <strong>„Familie</strong><strong>“</strong><br />

Schauen wir genauer hin: Was tut Jesus, wenn er hier der „normalen<strong>“</strong>, biologischen Familie eine andere Art von Familie gegenüberstellt? Wenn er<br />

den Familienbegriff neu definiert und damit erweitert: ihn durchsichtig macht für die Wirklichkeit Gottes?<br />

Das deutsche Wort <strong>„Familie</strong><strong>“</strong> kommt aus dem Lateinischen: von „familiar<strong>“</strong> – „vertraut<strong>“</strong>. Familie, das sind die Menschen, mit denen <strong>man</strong> vertraut<br />

<strong>ist</strong>, auf die <strong>man</strong> sich verlassen, denen <strong>man</strong> vertrauen kann. So sollte es zumindest sein! Ein 13-jähriges Mädchen hat ihre Vorstellung von Familie<br />

kürzlich so auf den Punkt gebracht: <strong>„Familie</strong> <strong>ist</strong>, <strong>wo</strong> <strong>man</strong> <strong>nicht</strong> rausge<strong>wo</strong>rfen <strong>wird</strong>!<strong>“</strong> Familie <strong>ist</strong>, <strong>wo</strong> <strong>man</strong> <strong>nicht</strong> rausge<strong>wo</strong>rfen <strong>wird</strong>. Das <strong>ist</strong> unser<br />

Familienideal – wie immer die konkreten Familienformen dann auch aussehen.<br />

In seine Herkunfts- oder Ursprungsfamilie <strong>wird</strong> <strong>man</strong> hinein geboren. Und <strong>man</strong> bleibt Teil dieser Familie, bis <strong>man</strong> stirbt. Wenn alles seinen normalen<br />

Gang geht, gibt <strong>man</strong> einen Teil von sich selbst – seine Gene, seine Erfahrung, sein Wissen, seine Werte – an seine Kinder weiter und sorgt<br />

damit – von Generation zu Generation – dafür, dass das Leben weitergeht.<br />

Und das <strong>ist</strong> gut so! Gott selbst hat sich das so ausgedacht! Die Weitergabe des Lebens von einer Generation zur nächsten <strong>ist</strong> Teil der guten<br />

Schöpfungsordnung Gottes!<br />

Das <strong>wird</strong> sehr schön deutlich, wenn <strong>man</strong> in der sog. „Urgeschichte<strong>“</strong> in den ersten elf Kapiteln der Bibel die Geschlechtsreg<strong>ist</strong>er der Vorfahren Abrahams<br />

liest oder zu Beginn der Evangelien im Neuen Testament die Stammbäume Jesu: Diese – zugegeben – etwas drögen L<strong>ist</strong>en machen klar:<br />

Gott verfolgt im Rahmen dieser natürlichen Ordnung des Aufeinanderfolgens der Generationen seinen Plan mit seinem Volk und mit dieser Welt.<br />

Sie <strong>ist</strong> Ausdruck des Segens, unter den Gott von Anfang an seine Welt und in besonderer Weise die Menschheit gestellt hat.<br />

Zugleich wissen wir aber auch, dass diese Segensgeschichte sich nur gebrochen und unvollkommen gestaltet. Das meinen wir, wenn wir von<br />

„Sünde<strong>“</strong> sprechen. In diesem Begriff steckt ja das Wort „Sund<strong>“</strong>. Es meint, dass da ein Riss durch die gute Schöpfung Gottes geht, ein Abgrund,<br />

der Menschenwelt und Gottes Welt voneinander trennt.<br />

Und so hinken wir alle auch dem Familienideal hinterher, das den guten Schöpfungsgedanken Gottes entspricht: Wie in der Familie Jesu, gibt es<br />

auch in unseren Familien Konflikte und Streit. Viel zu oft sind Familien gerade <strong>nicht</strong> der Raum des Vertrauens, der sie – vom Wort und von der<br />

Idee her – sein sollten. Familien zerbrechen. Familienformen wandeln sich. Und wenn jenes 13-jährige Mädchen formuliert: <strong>„Familie</strong> <strong>ist</strong>, <strong>wo</strong> <strong>man</strong><br />

<strong>nicht</strong> rausge<strong>wo</strong>rfen <strong>wird</strong>!<strong>“</strong>, dann stehen dahinter vielleicht genau solche Erfahrungen. Es könnte sein, dass dieser Teenager mit einem solchen<br />

Satz für sich selbst eine neue Familie erfindet: einen Kreis von Vertrauten, aus dem sie eben <strong>nicht</strong> ausgeschlossen <strong>wird</strong>!<br />

22 „FAMILIE IST, WO MAN NICHT RAUSGEWORFEN WIRD ...<strong>“</strong>


GOTTESDIENST ZUM THEMA „FAMILIE<strong>“</strong><br />

Genau dies tut Jesus auch: Er erfindet eine neue Familie. Der natürlichen, biologischen Familie in allen ihren Formen stellt er die neue Familie<br />

Gottes gegenüber, in der es um mehr geht als um das Aufeinanderfolgen der Generationen und die Weitergabe des Lebens von einer Generation<br />

zur nächsten. In dieser Familie geht es um das Reich Gottes.<br />

Nicht ohne Grund umschreibt die Bibel das Chr<strong>ist</strong> werden mit dem Bild einer „neuen Geburt<strong>“</strong>: Wer Chr<strong>ist</strong> <strong>wird</strong>, <strong>wird</strong> hinein geboren in ein neues<br />

Leben. Und damit wächst ihm eine neue, eine zweite Familie zu – mit einem großen Bruder, der so gar <strong>nicht</strong>s „Big Brother<strong>“</strong>-mäßiges an sich hat,<br />

und einem Vater, der <strong>nicht</strong> nur hin und wieder Liebe gibt, sondern selbst die Liebe <strong>ist</strong>!<br />

„Wenn wir den Willen Gottes tun!<strong>“</strong><br />

Und wie <strong>wird</strong> <strong>man</strong> nun Teil dieser neuen Familie Gottes? Die Ant<strong>wo</strong>rt unseres Textes <strong>ist</strong> so schlicht wie überraschend: „Wenn wir den Willen<br />

Gottes tun!<strong>“</strong> Oder, wie Lukas es in seinem Evangelium formuliert: „Wenn wir das Wort Gottes hören und uns daran halten!<strong>“</strong><br />

Eigentlich müsste jetzt ein Aufschrei der Entrüstung durch eure Reihen gehen – oder doch zumindest ein unwilliges Raunen. Haben wir <strong>nicht</strong> alle<br />

– zunächst von Paulus, dann von Luther, dann von unserem Pastor – gelernt, dass wir gerade <strong>nicht</strong> durch „gute Werke<strong>“</strong>, sondern allein durch<br />

den Glauben selig werden? Und <strong>ist</strong> dem gegenüber das, was Jesus hier formuliert, <strong>nicht</strong> lupenreine „Werkgerechtigkeit<strong>“</strong>? Als könnten wir uns die<br />

Zugehörigkeit zur Familie Gottes durch gute Taten verdienen?<br />

Ich denke <strong>nicht</strong>, dass das so gemeint <strong>ist</strong>. Der Wille Gottes, das „Auf sein Wort hören und es auch tun<strong>“</strong>, das schließt ja mit ein, dass wir uns und<br />

unser Leben Gott anvertrauen und dass wir dann – aus diesem Vertrauen heraus – „ver-ant<strong>wo</strong>rtlich<strong>“</strong> leben: Gott, uns selbst, anderen Menschen<br />

und der gesamten Schöpfung gegenüber.<br />

Aber genau das <strong>ist</strong> der Punkt: Glaube, Vertrauen in die guten Absichten Gottes mit uns und mit seiner Schöpfung, das beinhaltet immer auch,<br />

dass wir einander und dieser Welt gut tun, dass wir es gut meinen miteinander. „Was ihr einem der geringsten meiner Brüder (oder Schwestern)<br />

getan habt, das habt ihr mir getan!<strong>“</strong> sagt Jesus. Und in seiner großen Gerichtsrede in Matthäus 25 <strong>wird</strong> genau dies zum Kriterium für den Zugang<br />

zum „ewigen Leben<strong>“</strong>.<br />

„Glaube ohne Werke <strong>ist</strong> tot<strong>“</strong> <strong>wird</strong> Jakobus später schreiben. Und er hat Recht! Wenn unser Glaube keinen Unterschied mehr macht für unseren<br />

Umgang mit uns selbst, mit anderen Menschen und mit dieser Welt, dann brauchen wir ihn <strong>nicht</strong>, dann <strong>ist</strong> er tot, dann hilft er keinem mehr zum<br />

Leben!<br />

Darum <strong>ist</strong> Glauben im Sinne Jesu Chr<strong>ist</strong>i und der Bibel eben <strong>nicht</strong> das Für wahr halten bestimmter Glaubenssätze, sondern ein Akt des Vertrauens:<br />

Ich vertraue mich und mein Leben der Gnade und Fürsorge Gottes an. Und aus dieser Erfahrung heraus, dass Gott sich um mich kümmert<br />

und für mich sorgt, kann ich mich nun auch um andere kümmern und für sie sorgen.<br />

So entsteht die neue Familie Gottes, der Raum des Vertrauens, den wir Gemeinde nennen. So werden wir zu Brüdern und Schwestern Jesu Chr<strong>ist</strong>i,<br />

zu einer <strong>„Familie</strong><strong>“</strong>, aus der – hoffentlich! – nie<strong>man</strong>d rausge<strong>wo</strong>rfen <strong>wird</strong>.<br />

Kinder der Zukunft<br />

„Wer den Willen Gottes erfüllt, der <strong>ist</strong> für mich Bruder und Schwester<strong>“</strong>, sagt Jesus – „und Mutter.<strong>“</strong> An diesem letzten Wort bin ich hängen geblieben.<br />

Bruder und Schwester – okay! Und Gott <strong>ist</strong> der Vater im Himmel. Aber Mutter?<br />

Von „Vätern und Müttern in Chr<strong>ist</strong>us<strong>“</strong> hat <strong>man</strong> früher gesprochen. Wohl dem, der in seinem Leben solchen Menschen begegnet <strong>ist</strong>. Das können<br />

die eigenen Eltern gewesen sein oder ältere Geschw<strong>ist</strong>er aus der Gemeinde. Menschen, die einen teilhaben lassen an der eigenen Lebens- und<br />

Glaubenserfahrung – und einem so den Start in der neuen Familie Gottes erleichtern. Vielleicht <strong>ist</strong> das hier gemeint ...<br />

Aber ich bin noch auf einen anderen Bibeltext gestoßen – und damit schließt sich der Kreis zum Anfang und unsere Geschichte <strong>wird</strong> endgültig zu<br />

einer Adventsgeschichte!<br />

Im Galaterbrief, Kapitel 4, kommt Paulus auf Ismael und Isaak zu sprechen, die beiden Söhne Abrahams. Noch so eine Familiengeschichte. Patch<strong>wo</strong>rk.<br />

Ein Vater, zwei Mütter, zwei Söhne. Konflikte, Streit. Trennung.<br />

Doch Paulus interpretiert diese alttestamentliche Familiengeschichte höchst eigenwillig und kreativ: Er stellt Ismael, den Sohn der Hagar, Isaak<br />

gegenüber, dem Sohn der Verheißung. „Der Sohn der Sklavin (Hagar)<strong>“</strong>, schreibt er, „wurde auf natürliche Weise gezeugt, der Sohn der Freien<br />

(Sara) aufgrund der Verheißung.<strong>“</strong> (Vers 23)<br />

Ihr kennt die Hintergründe: Sara, Abrahams Frau, konnte keine Kinder bekommen. Da beschließt sie, ihrem Mann die Sklavin Hagar als Zweitfrau<br />

zu geben, damit sie ihm den ersehnten Nachkommen schenkt. Antike Leihmutterschaft sozusagen – und durchaus üblich im alten Israel. Dann<br />

klappt es doch noch mit dem eigenen Nachwuchs. Isaak <strong>wird</strong> geboren – und plötzlich <strong>ist</strong> der kleine Ismael, der Sohn Hagars, ein unwillkommener<br />

Konkurrent um das Erbe Abrahams.<br />

Paulus nimmt nun diese beiden Frauen und macht sie zum Bild für das irdische und das himmlische Jerusalem: „Hagar<strong>“</strong>, schreibt er, „<strong>ist</strong> ein<br />

Gleichnis für das jetzige Jerusalem (für das Volk Israel also), das mit seinen Kindern in Knechtschaft lebt.<strong>“</strong> (Vers 25) Sara aber, fährt er fort, <strong>ist</strong> ein<br />

Bild für das himmlische Jerusalem, für die neue Gottesfamilie, für das Reich Gottes, das auf uns zukommt. Sie, schreibt Paulus, <strong>ist</strong> frei. Und dann<br />

folgt ein seltsamer Satz: „Dieses Jerusalem <strong>ist</strong> unsere Mutter.<strong>“</strong> (Vers 26).<br />

KINDER HELFEN KINDERN OHNE ELTERN 2010 | 2011 23


GOTTESDIENST ZUM THEMA „FAMILIE<strong>“</strong><br />

Was für ein Bild! Das „himmlische Jerusalem<strong>“</strong>, die von Gott verheißene neue Welt, das Reich der Freiheit, das mit dem Kommen Jesu in diese Welt<br />

angebrochen <strong>ist</strong> und mit seiner Wiederkehr endgültig aufgerichtet werden <strong>wird</strong> – das <strong>ist</strong> unsere Mutter! Da kommen wir her!<br />

Als Chr<strong>ist</strong>en sind wir Kinder der Zukunft. Wir leben hier und heute schon ein Stück „Himmel auf Erden<strong>“</strong>. Wir sind hinein geboren in ein Reich der<br />

Freiheit. „Nicht Kinder der Sklavin, sondern Kinder der Freien<strong>“</strong>, wie Paulus schreibt.<br />

Auch das <strong>ist</strong> Advent: Wir warten auf den Chr<strong>ist</strong>us und die Gottesherrschaft, ja. Und wir sind real<strong>ist</strong>isch genug, um festzustellen: Noch <strong>ist</strong> es <strong>nicht</strong><br />

so weit! Noch <strong>ist</strong> alles, was wir hier von Gott und seinem Reich wahrnehmen unvollkommen und gebrochen.<br />

Und trotzdem dürfen wir so leben, als wäre Gottes Reich schon da! Das, was auf uns zukommt, die gute Zukunft Gottes, kann schon jetzt unser<br />

Leben, unsere Familien, unsere Gemeinden und diese Welt prägen!<br />

Als Befreite ziehen wir los und setzen andere in Freiheit. Als Menschen, die Zukunft und Hoffnung haben, bringen wir Zukunft und Hoffnung in diese<br />

Welt. Als Kinder Gottes lehren wir unsere Kinder, was es heißt auf Jesus zu vertrauen und mit ihm zu leben. Als von Gott veränderte Menschen<br />

verändern wir die Welt, in der wir leben.<br />

Advent<br />

Ich wünsche euch – und mir – eine Adventszeit, in der Gott und sein Reich ankommen können: bei mir und bei euch. Und durch euch und mich<br />

bei den Menschen, denen wir in dieser Zeit begegnen: in unseren Familien, in den Schulen, in die wir gehen, und an unseren Arbeitsplätzen. In<br />

der Gemeinde und allen anderen Bezügen, in denen wir leben.<br />

Dass Menschen erleben und spüren: Hier weht ein anderer Wind! Hier hat sich eine Tür geöffnet zum „himmlischen Jerusalem<strong>“</strong>. Hier sind Menschen,<br />

deren Leben erschöpft sich <strong>nicht</strong> im Hier und Jetzt und in der Aufeinanderfolge der Generationen. Hier gibt es eine Familie, aus der <strong>man</strong><br />

<strong>nicht</strong> heraus ge<strong>wo</strong>rfen <strong>wird</strong>. Hier sind Leute, die kümmern und sorgen sich, die leben die Freiheit der Kinder Gottes und setzen andere in Freiheit.<br />

Hier <strong>ist</strong> das Reich Gottes <strong>nicht</strong> nur Zukunftsmusik, sondern der Soundtrack für das alltägliche Leben. Hier sind Menschen, die machen es wie<br />

Gott: Sie werden Mensch und sind für andere Menschen da!<br />

In diesem Sinne: eine gesegnete Adventszeit!<br />

Foto: bonsai5 / photocase<br />

Volkmar Hamp<br />

24 „FAMILIE IST, WO MAN NICHT RAUSGEWORFEN WIRD ...<strong>“</strong>


III. Ideen für Aktionen<br />

Kinder helfen<br />

Kindern ...<br />

... das heißt auch, dass wir mit den Kindern<br />

in unseren Gruppen Geld für die Waisenkinderprojekte<br />

der Aktion KINDER HELFEN<br />

KINDERN OHNE ELTERN 2010/2011 sammeln<br />

<strong>wo</strong>llen.<br />

Nun haben Kinder in der Regel wenig eigenes<br />

Geld, von dem sie etwas abgeben können. Was<br />

liegt also näher, als sich gemeinsam eine Aktion<br />

auszudenken, mit der wir in der Gemeinde und<br />

darüber hinaus auf die Aktion KINDER HELFEN<br />

KINDERN aufmerksam machen und gleichzeitig<br />

Geld für das von uns favorisierte Projekt zusammenkriegen<br />

können!?<br />

Hier ein paar praktische Ideen für solche Aktionen<br />

• Bilderrahmen für (Familien-)Fotos gestalten und verkaufen<br />

• (Familien-)Fotos nach dem Gottesdienst machen (gegen eine Spende)<br />

• Familienfiguren aus Ton formen (verschiedene Größen, nur als Formen – ohne Gesichter) und verkaufen – so kann sich jede/r ihre/seine<br />

Familie zusammenstellen<br />

• Familienausflug organisieren (z.B. eine Wanderung mit Schnitzeljagd, einen Stationslauf, ein Fußballturnier ...) und Teilnahmebeitrag nehmen<br />

• Der Kindergottesdienst kocht eine Suppe für das gemeinsame Mittagessen nach dem Gottesdienst – die Suppe <strong>wird</strong> verkauft<br />

• Familienflohmarkt in der Gemeinde – alles rund um die Familie <strong>wird</strong> für den guten Zweck verkauft<br />

• Die Gemeinde als Familie: jeder darf sich gegen eine Spende fotografieren lassen, die Fotos werden an einer Wand in ein großes Haus geklebt<br />

– hier hat jede/r ihren/seinen Platz<br />

• Weihnachtsbaumschmuck basteln und verkaufen – für das große Familienfest<br />

• Eine CD mit Familiengeschichten (Erlebnissen, Erinnerungen,<br />

lustigen und traurigen Geschichten) aufnehmen<br />

und verkaufen (unterschiedliche Menschen<br />

– Erwachsene und Kinder – erzählen die Geschichten)<br />

• Gemeinde-Familienalbum gestalten (jeder darf sich<br />

eine Seite kaufen und diese selber gestalten – zusammen<br />

ergibt das ein Familienalbum der besonderen<br />

Art)<br />

• Kontaktaufnahme mit einem Kinderheim in der<br />

Nähe – Kennenlernen, Besuch, gemeinsame Aktion ...<br />

Wenn ihr eine dieser Aktionen oder auch etwas ganz<br />

anderes durchführt, freuen wir uns über einen Bericht<br />

für unsere Homepage! Bitte, wenn möglich, mit Fotos<br />

per E-Mail an vhamp@bapt<strong>ist</strong>en.de schicken!<br />

Anne Naujoks<br />

KINDER HELFEN KINDERN OHNE ELTERN 2010 | 2011 25


IV. Länderinfos und<br />

Projektbeschreibungen<br />

Im Folgenden findet ihr einige kurz gefasste Informationen zu den Partnerländern von KINDER HELFEN KINDERN OHNE ELTERN<br />

2010/2011 (Quelle: wikipedia). Außerdem kurze Beschreibungen der Waisenkinder-Projekte, die wir mit dieser Aktion unterstützen<br />

<strong>wo</strong>llen.<br />

Deutschland<br />

Amtssprache: Deutsch<br />

Hauptstadt: Berlin<br />

Staatsform: Parlamentarische Bundesrepublik<br />

Fläche: 357.104,07 km2<br />

Ein<strong>wo</strong>hnerzahl: 82.002356 (Dezember 2008)<br />

Hu<strong>man</strong> Development Index (HDI): 0.947 (22.)<br />

Der Hu<strong>man</strong> Development Index, abgekürzt HDI, <strong>ist</strong> ein Index der menschlichen Entwicklung in den Ländern der Welt. Der HDI <strong>wird</strong> seit 1990 im<br />

jährlich erscheinenden Hu<strong>man</strong> Development Report des UNDP veröffentlicht.<br />

Der HDI wurde im Wesentlichen von dem pak<strong>ist</strong>anischen Ökonomen Mahbub ul Haq entwickelt, der eng mit dem indischen Ökonomen und<br />

Nobelpre<strong>ist</strong>räger Amartya Sen sowie dem britischen Wirtschaftswissenschaftler und Politiker Meghnad Desai zusammenarbeitete.<br />

Anders als der Ländervergleich der Weltbank berücksichtigt er <strong>nicht</strong> nur das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Ein<strong>wo</strong>hner eines Landes in KKP-$<br />

(Kaufkraftparität), sondern ebenso die Lebenserwartung und den Bildungsgrad mit Hilfe der Alphabetisierungsrate und der Einschulungsrate der<br />

Bevölkerung.<br />

Der Faktor Lebenserwartung gilt als Indikator für Gesundheitsfürsorge, Ernährung und Hygiene; das Bildungsniveau steht, ebenso wie das Einkommen,<br />

für er<strong>wo</strong>rbene Kenntnisse und die Teilhabe am öffentlichen und politischen Leben für einen angemessenen Lebensstandard.<br />

Die UNDP unterteilt die Länder nach dem HDI-Wert in drei Entwicklungskategorien:<br />

• Länder mit hoher menschlicher<br />

Entwicklung: HDI ≥ 0,8<br />

(sogenannte „erste Welt<strong>“</strong>)<br />

• Länder mit mittlerer menschlicher<br />

Entwicklung: HDI < 0,8<br />

und ≥ 0,5 (sogenannte „zweite<br />

Welt<strong>“</strong>)<br />

• Länder mit geringer menschlicher<br />

Entwicklung: HDI < 0,5<br />

(sogenannte „dritte Welt<strong>“</strong>)<br />

Die Zahl, die hinter dem jeweiligen<br />

HDI-Wert in Klammern<br />

steht, bezeichnet den Platz des<br />

jeweiligen Landes in der „HDI-<br />

Rangl<strong>ist</strong>e<strong>“</strong>.<br />

Foto: maria_a / photocase<br />

26 „FAMILIE IST, WO MAN NICHT RAUSGEWORFEN WIRD ...<strong>“</strong>


LÄNDERINFOS UND PROJEKTBESCHREIBUNGEN<br />

Indien<br />

Amtssprache: Hindi und Englisch<br />

Hauptstadt: Neu-Delhi<br />

Staatsform: Parlamentarische Bundesrepublik<br />

Fläche: 3.287.590 km2<br />

Ein<strong>wo</strong>hnerzahl: 1.166.079.217 (Juli 2009)<br />

Hu<strong>man</strong> Development Index (HDI): 0,619 (128.)<br />

Das Kinderheim in Madhapur <strong>ist</strong> eines von fünf Kinder- und Waisenheimen, das<br />

die EBM in Indien unterstützt. Dieses Kinderheim <strong>wird</strong> von einer Bapt<strong>ist</strong>engemeinde<br />

in Hyderabad getragen. Es gibt einen Trägerkreis in dieser Gemeinde,<br />

der für dieses Kinderheim und dazu noch fünf Vorschulen zuständig <strong>ist</strong>. Die<br />

Gemeinde versteht diese Arbeit als ihren diakonischen Beitrag für Kinder in<br />

Not. Da sie bei der Finanzierung dieser Arbeit auf Unterstützung von außen<br />

angewiesen sind, <strong>ist</strong> die EBM Projektpartner ge<strong>wo</strong>rden. Die EBM hat für diese<br />

Unterstützung einen Finanzbedarf von ca. 12.000 Euro im Jahr.<br />

Auf dem Bild links steht Dr. Judson, der Leiter dieser<br />

Waisenheimarbeit zusammen mit zwei von über 50<br />

Kindern. Die Eltern dieser beiden Jungen haben sich<br />

innerhalb kurzer Zeit selbst das Leben genommen.<br />

Ein Verwandter hat die beiden in der Stadt ausgesetzt.<br />

Nun haben sie im Kinderheim ein Zuhause<br />

gefunden.<br />

Das Bild rechts zeigt die Räumlichkeiten des Kinderheims.<br />

Acht Kinder schlafen in einem Schlafsaal 50<br />

Kinder im Alter von 5 bis 16 Jahren leben in diesem<br />

Kinderheim: Voll- oder Halbwaisen oder von Eltern<br />

verstoßene Kinder. Sie können dort in die Schule<br />

gehen oder eine Ausbildung machen als Schneider.<br />

Mehr Infos: www.ebm-masa.org<br />

KINDER HELFEN KINDERN OHNE ELTERN 2010 | 2011 27


LÄNDERINFOS UND PROJEKTBESCHREIBUNGEN<br />

Bulgarien<br />

Amtssprache: Bulgarisch<br />

Hauptstadt: Sofia<br />

Staatsform: Republik<br />

Fläche: 110.994 km2<br />

Ein<strong>wo</strong>hnerzahl: 7.606.551 (Dezember 2008)<br />

Hu<strong>man</strong> Development Index (HDI): 0,824 (53)<br />

Vlady Raichinov, Leiter der Bulgarian Bapt<strong>ist</strong> Youth Organisation<br />

(BBYO), des bulgarischen „Gemeindejugendwerks<strong>“</strong>, beschreibt die<br />

Situation von Kindern ohne Eltern in Bulgarien folgendermaßen:<br />

Ein relativ großer Prozentsatz der Kinder, mit denen wir arbeiten,<br />

kommt aus einer kaputten Familie und lebt mit nur einem Elternteil.<br />

Die Gründe dafür sind entweder Scheidung oder Tod. In einigen<br />

traurigen Fällen sind beide Elternteile verstorben, und die Kinder<br />

<strong>wo</strong>hnen bei ihren Großeltern.<br />

Unsere Gesellschaft <strong>ist</strong> <strong>nicht</strong> für den Umgang mit kaputten Familien vorbereitet. Allein erziehende Eltern erhalten keine Unterstützung von staatlichen<br />

Einrichtungen und stoßen auch in der Gesellschaft weder auf Verständnis noch auf Ermutigung. Die Kirche <strong>ist</strong> die einzige Institution, die<br />

solchen gebrochenen Menschen Unterstützung anbietet.<br />

Die Bulgarian Bapt<strong>ist</strong> Youth Organisation (BBYO) hat sich schon<br />

immer vorrangig um Kinder aus kaputten Familien gekümmert.<br />

Wir haben ihnen ermöglicht, zu einem ermäßigten Preis an<br />

Freizeiten teilzunehmen. Wir haben dafür gesorgt, dass sie mit<br />

Kleidung und Material für das Camp ausgestattet werden. Wir<br />

haben ihnen kostenlose Bibeln und Kinderbücher gegeben. Und<br />

dennoch haben sie große Bedürfnisse. Aus diesem Grund schlagen<br />

wir vor, dass Kinder, die von nur einem Elternteil erzogen<br />

werden, in das Programm „Kinder helfen Kindern<strong>“</strong> aufgenommen<br />

werden.<br />

Die me<strong>ist</strong>en der Kinder, die in bulgarischen Waisenhäusern<br />

aufwachsen, sind keine Waisenkinder im eigentlichen Sinne.<br />

Sie haben Eltern, aber aus finanziellen Gründen wurden sie von<br />

ihnen in staatliche Obhut gegeben. Das mag schockierend klingen,<br />

<strong>ist</strong> aber tatsächlich so. Ungefähr 80 bis 90 % der Kinder, die<br />

in unserem Land in Waisenhäusern leben, haben immer noch Eltern. Aber ihre Mütter und Väter können (oder möchten) <strong>nicht</strong> die Verant<strong>wo</strong>rtung<br />

für sie übernehmen. Viele von ihnen kommen aus „Zigeuner<strong>“</strong>-Familien (Sinti und Roma) oder gehören zur ärmsten Gesellschaftsschicht.<br />

Deswegen lautet der offizielle Name für ein bulgarisches Waisenhaus „Zuhause für Kinder ohne elterliche Fürsorge<strong>“</strong>. Das Härteste, was diese<br />

Kinder in ihrem Leben erfahren, <strong>ist</strong>, dass es irgend<strong>wo</strong> irgendje<strong>man</strong>den gibt, der entschieden hat, sie <strong>nicht</strong> zu lieben.<br />

Wir schlagen vor, diese verlassenen Kinder in das „Kinder helfen Kindern<strong>“</strong>-<br />

Programm aufzunehmen und sie wissen zu lassen, dass es irgend<strong>wo</strong> irgendje<strong>man</strong>den<br />

gibt, der entschieden hat, sie zu lieben.<br />

In den Heimen leben auch Kinder, deren Eltern verstorben sind. Das <strong>ist</strong> ein<br />

kleinerer Prozentsatz, aber es gibt sie. Im Gegensatz zur zweiten Gruppe,<br />

deren Kinder verärgert über ihre Eltern aufwachsen, sind die Kinder der dritten<br />

Gruppe wütend auf ihr Schicksal, wütend auf Gott. Die Arbeit mit ihnen<br />

erfordert eine andere Herangehensweise. Was sie brauchen, <strong>ist</strong> ein wenig<br />

Hoffnung in ihrer hoffnungslosen Lage.<br />

Als Chr<strong>ist</strong>en müssen wir sensibel und vorsichtig mit den Bedürfnissen jedes<br />

einzelnen Kindes umgehen. Wir müssen jedes einzelne mit seiner Geschichte<br />

kennen lernen und versuchen, mit ihnen persönlich zu sprechen.<br />

Es <strong>ist</strong> ein Fehler, alle Heimkinder unter einen gemeinsamen Nenner zu stellen<br />

– daran sollten wir denken! Anstatt ihnen immer dieselben Geschenke,<br />

dieselbe Kleidung, dieselbe Nahrung zu geben, müssen sie ganz individuell<br />

28 „FAMILIE IST, WO MAN NICHT RAUSGEWORFEN WIRD ...<strong>“</strong>


LÄNDERINFOS UND PROJEKTBESCHREIBUNGEN<br />

behandelt werden. Chr<strong>ist</strong>us sieht sie <strong>nicht</strong> als Einheit, er sieht eine<br />

Vielzahl von ganz persönlichen Lebensgeschichten, die dringend<br />

auf seine Gnade angewiesen sind.<br />

Wir schlagen vor, dass das Programm „Kinder helfen Kindern<strong>“</strong><br />

auch Waisen aufnimmt. Wenn sich deutsche und bulgarische<br />

Kinder zusammentun und für diese Kinder ohne Eltern gemeinsam<br />

Unterstützung aufbringen, dann <strong>ist</strong> das ein großes Zeichen von<br />

Hoffnung im Leben dieser Kinder.<br />

Da das BBYO bereits in mehreren bulgarischen Waisenhäusern<br />

arbeitet, wäre es toll, durch dieses Programm das, was mit den<br />

Camps begonnen wurde, weiter zu führen und zu ergänzen.<br />

2008 haben wir 26 Kinder aus Waisenhäusern und weitere zwei<br />

Dutzend aus zerrütteten Familien zu unseren Camps eingeladen.<br />

2009 sind die Zahlen gestiegen, und es <strong>ist</strong> uns gelungen, 31 Waisen<br />

und ungefähr genauso viele mit nur einem Elternteil einzuladen.<br />

Zusätzlich arbeiten kleine Jugendmissionsteams des BBYO mit Waisenkindern. Dadurch haben im vergangenen Sommer mehrere Heimkinder<br />

Jesus als ihren Retter und Herrn angenommen!<br />

Wir wünschen uns, diese Arbeit in den kommenden Jahren fortzuführen. Für 2010 und 2011 plant das BBYO, noch mehr elternlose Kinder zu den<br />

Freizeiten einzuladen, damit sie Jesus kennen lernen können. Im Moment stehen uns die Türen für die Zusammenarbeit mit solchen Einrichtungen<br />

noch offen, aber wer weiß, wie lange noch? Wir glauben, dass es eine kluge und von Gott geführte Entscheidung <strong>ist</strong>, unsere Arbeit mit Waisen und<br />

allein gelassenen Kindern zu vertiefen.<br />

In den kommenden Jahren <strong>wo</strong>llen wir<br />

• elternlose Kinder an Freizeiten und Jugendveranstaltungen teilnehmen lassen,<br />

• Jugendmissionsteams auf kurzfr<strong>ist</strong>ige Einsätze in Waisenhäuser schicken,<br />

• bestimmten Kindern gute Literatur als persönliches Geschenk überreichen,<br />

• Waisenkinder für ein Wochenende oder einen Urlaub aus den Heimen holen,<br />

• Briefverkehr zwischen Waisenkindern und Kindern aus chr<strong>ist</strong>lichem Elternhaus initiieren,<br />

• Waisenkindern bei ihren Schulprojekten und wöchentlichen Hausaufgaben helfen,<br />

• Kinder aus chr<strong>ist</strong>lichem Elternhaus dazu motivieren, für Waisenkinder und ihre Bedürfnisse zu beten,<br />

• Fundraising für Projekte von Kindern aus chr<strong>ist</strong>lichen Elternhäusern betreiben.<br />

Es <strong>ist</strong> eine wunderbare Idee, deutsche und bulgarische Kinder aus chr<strong>ist</strong>lichen Elternhäusern zu ermutigen, gemeinsam benachteiligte Kinder zu<br />

unterstützen. Lasst uns gemeinsam um Gottes Leitung in der Umsetzung dieses Programms bitten. Von unserer Seite aus können wir sagen, dass<br />

die Kinder, mit denen wir arbeiten, durch ein solches Programm inspiriert werden, und sie werden gerne etwas von ihrem eigenen Taschengeld<br />

geben, um anderen Kindern zu helfen.<br />

KINDER HELFEN KINDERN OHNE ELTERN 2010 | 2011 29


LÄNDERINFOS UND PROJEKTBESCHREIBUNGEN<br />

Rumänien<br />

Amtssprache: Rumänisch<br />

Hauptstadt: Bukarest<br />

Staatsform: Parlamentarische Republik<br />

Fläche: 238.391 km2<br />

Ein<strong>wo</strong>hnerzahl: 21.489.000 (2008)<br />

Hu<strong>man</strong> Development Index (HDI): 0,813 (60.)<br />

Das Waisenhaus Casa Sperantei in Timisuara wurde 1995 gegründet. Die<br />

lokale Bapt<strong>ist</strong>enkirche E<strong>man</strong>uel beschloss damals, sich in den sozialen<br />

Problemen der rumänischen Gesellschaft zu engagieren und Hilfe für<br />

Waisen oder von ihren Eltern verlassene Kinder anzubieten.<br />

Mehr als 100.000 Kinder und Jugendliche wachsen derzeit in Rumänien<br />

ohne Eltern auf. Das 22 Millionen Ein<strong>wo</strong>hner zählende Land gehört damit<br />

zusammen mit Bulgarien zu den EU-Ländern mit den me<strong>ist</strong>en Waisenkindern.<br />

Zum Vergleich: Deutschland hat bei 82 Millionen Ein<strong>wo</strong>hnern<br />

etwa 64.000 Heimkinder. Auch wenn es den rumänischen Waisen heute<br />

materiell weitaus besser geht als nach dem Ende der Ceausescu-Diktatur,<br />

gehören sie noch immer zu den gesellschaftlichen Verlierern.<br />

In Waisenhaus Casa Sperantei leben zur Zeit 16 Kinder – 9 Jungen und 7 Mädchen – zwischen 8 und 19 Jahren. Ihr Tagesablauf <strong>ist</strong> so normal wie<br />

in einer Familie: Schule, Hausaufgaben, Freizeit, Hausarbeit (Aufräumen, Abwaschen etc.).<br />

Jedes dieser Kinder hat eine traurige Geschichte und einen schwierigen Hintergrund. In Casa Sperantei sollen sie erfahren, dass sie trotzdem<br />

geliebt und wertvoll sind. Die Kinder hören vom Evangelium und kommen in Kontakt mit der Gemeinde. Jeden Tag halten sie eine Andacht mit der<br />

Familie, die sie betreut. Die Hoffnung <strong>ist</strong> groß, dass sie irgendwann zum Glauben und zu Jesus finden.<br />

Aber zunächst einmal gilt es, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen:<br />

Nahrung, Kleidung, Fürsorge, Bildung. In einem der ärmsten Länder<br />

Osteuropas sind die Ressourcen dafür oft sehr knapp! Schon um die<br />

Raumtemperatur im Winter etwas zu erhöhen, fehlt es an Geld. Energie<br />

<strong>ist</strong> teuer in Rumänien. Gesundes Essen auch. Doch in Zukunft sollen die<br />

Kinder wenigstens zweimal in der Woche Obst bekommen können. Und<br />

für den Sommer <strong>ist</strong> ein einwöchiges Sommercamp geplant. Vielleicht<br />

gelingt es sogar, für zwei musikalisch begabte Kinder Musikinstrumente<br />

anzuschaffen ...<br />

Mehr Infos: www.e<strong>man</strong>uel-tm.ro/index.php/casasper/87<br />

30 „FAMILIE IST, WO MAN NICHT RAUSGEWORFEN WIRD ...<strong>“</strong>


LÄNDERINFOS UND PROJEKTBESCHREIBUNGEN<br />

Uganda<br />

Amtssprache: Englisch, Swahili<br />

Hauptstadt: Kampala<br />

Staatsform: Präsidialrepublik<br />

Fläche: 241.040 km2<br />

Ein<strong>wo</strong>hnerzahl: 31.367.972<br />

Hu<strong>man</strong> Development Index (HDI): 0,505 (154.)<br />

„... um eine Generation von verwa<strong>ist</strong>en Kindern zu unterstützen<br />

und zu ermutigen - zuerst in einem Dorf und dann<br />

im nächsten!<strong>“</strong> Das <strong>ist</strong> die Vision von Embrace Uganda, einer<br />

privaten, amerikanischen Hilfsorganisation, die Waisenkinder<br />

in Uganda unterstützt.<br />

Es begann mit einer E-Mail: Die Geschichte eines kleinen<br />

Mädchens aus Uganda mit Namen Jane erreichte das Haus<br />

einer deutsch-amerikanischen Familie im Bundesstaat North<br />

Carolina: Als sie fünf war, verlor sie ihren juengeren Bruder<br />

durch Tuberkulose. Mit sechs starb ihr Vater an AIDS. Mit sieben wurden ihre Mutter und ihre Schwester ermordet. Jane blieb zurück. Sie lag<br />

still, mit einem eingeschlagenen Schädel und Schnittwunden an den Beinen. Sie hielten sie für tot, doch sie überlebte. Mit acht war sie in einem<br />

Krankenhaus in Kalifornien zur Operation ihrer Kopfwunden.<br />

In Janes Dorf, Kaihura in West Uganda, leben über 1.500 verwa<strong>ist</strong>e Kinder. Eine einheimische<br />

Hilfsorganisation - „Bringing Hope to the Family<strong>“</strong> - nimmt sich dieser Kinder an. Sie betreibt<br />

ein Waisenhaus, eine Berufsschule, eine Klinik. Faith Kunihira, einst im Dorf geboren, hat die<br />

Leitung.<br />

Unser anderer Partner <strong>ist</strong> Michael Okwakol, Pastor der Agape Bapt<strong>ist</strong> Church in Ntinda,<br />

einem Vorort von Kampala, Präsident der Uganda Bapt<strong>ist</strong> Union und Gründer von African<br />

Church Empowerment, einer Organisation zur Unterstützung afrikanischer Gemeinden.<br />

Die Arbeit geht weiter! Schwerpunkte:<br />

• eine neue Klinik (Baubeginn Sommer 2009)<br />

• ein Konto für medizinische Notfälle<br />

• ein Programm zur Unterstützung von einheimischen Schulkindern und Studenten<br />

• unsere eigenen Missionare wurden im Februar 2009 entsandt:<br />

A.J. und Ana Overton<br />

Mehr Infos: www.embraceuganda.de / www.embraceuganda.org<br />

KINDER HELFEN KINDERN OHNE ELTERN 2010 | 2011 31


LÄNDERINFOS UND PROJEKTBESCHREIBUNGEN<br />

Kenia<br />

Amtssprache: Englisch, Swahili<br />

Hauptstadt: Nairobi<br />

Staatsform: Präsidialrepublik<br />

Fläche: 580.367 km2<br />

Ein<strong>wo</strong>hnerzahl: 39.002.772 (2009)<br />

Hu<strong>man</strong> Development Index (HDI): 0,532 (144.)<br />

„Uzimatele<strong>“</strong> heißt so viel wie „Das volle Leben<strong>“</strong>. Das <strong>ist</strong> es, was<br />

wir benachteiligten Menschen in Nairobi ermöglichen <strong>wo</strong>llen.<br />

Zielgruppe sind Kinder, Jugendliche und Hinterbliebene, die sich<br />

durch die Auswirkungen von AIDS in schwierigen Situationen<br />

befinden.<br />

Uzimatele Min<strong>ist</strong>ry arbeitet in Partnerschaften mit WIR GE-<br />

STALTEN e.V. Berlin, Deutschland; Nairobi Chapel und Tumaini<br />

Church, Kenia.<br />

Aktivitäten von Uzimatele sind:<br />

• 11 Waisenkindern ein Zuhause zu bieten<br />

• Beratung und Schulgeld für Kinder ohne Eltern,<br />

die noch in ihrer Großfamilie leben, zur<br />

Verfügung zu stellen<br />

• Ausbildung und Berufsförderung von Witwen zu<br />

ermöglichen<br />

• Uzimatele Teenagers’ Chr<strong>ist</strong>ian Group (UTCG),<br />

eine chr<strong>ist</strong>liche Sozialarbeit für arbeitslose<br />

Jugendliche: eine Mischung aus sportlichen<br />

und kirchlichen Aktivitäten, Ausbildungsberatung<br />

und -ermöglichung<br />

Mehr Infos: www.uzimatele.org<br />

32 „FAMILIE IST, WO MAN NICHT RAUSGEWORFEN WIRD ...<strong>“</strong>


V. Hintergrundinformationen<br />

und Sachtexte<br />

1. Kinder ohne elterliche Fürsorge<br />

Informationen des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen UNICEF<br />

zum Thema<br />

Vorbemerkungen<br />

UNICEF, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen stellt fest:<br />

Millionen Kinder wachsen weltweit ohne Eltern oder mit nur einem Elternteil auf. Armut, Behinderung oder HIV/AIDS, Naturkatastrophen und<br />

bewaffnete Konflikte sind ausschlaggebende Faktoren dafür, dass Kinder von ihren Eltern getrennt werden. Kinder ohne elterliche Fürsorge werden<br />

oft diskriminiert, missbraucht und ausgebeutet. Es <strong>ist</strong> schwierig zu überprüfen, ob ihr Wohlbefinden gewährle<strong>ist</strong>et <strong>ist</strong>. Viele Kinder werden für<br />

unnötig lange Zeiträume in Betreuungseinrichtungen untergebracht, <strong>wo</strong> sie <strong>nicht</strong> nur zuwenig Aufmerksamkeit erhalten, um sich altersgemäß zu<br />

entwickeln, sondern auch in vielen Fällen mit Missbrauch und anderen Formen der Gewalt konfrontiert werden.<br />

Daten und Fakten<br />

• Ungefähr 1,5 Millionen Kinder in Zentral- und Osteuropa und der Gemeinschaft unabhängiger Staaten leben unter staatlicher Aufsicht.(1) In<br />

Europa und Zentralasien leben über eine Million Kinder in Heimen.(2)<br />

• Nach Schätzungen gab es Ende 2003 in 93 Ländern in der Sub-Sahara-Region, Asien, Lateinamerika und in der Karibik in etwa 143 Millionen<br />

Waisen (Kinder von 0-17, die einen oder beide Elternteile verloren haben); davon sind 15 Millionen AIDS-Waisen (12 Millionen alleine in der Sub-<br />

Sahara-Region).(3)<br />

• Asien hat generell die me<strong>ist</strong>en Waisenkinder, und zwar 87,6 Millionen (2003).<br />

Menschenrechte<br />

Waisenkinder oder Kinder, die von ihrer Familie getrennt wurden oder deren Familien eine ernsthafte Bedrohung für ihre Gesundheit und Entwicklung<br />

darstellen, haben das Recht auf andere Formen der Betreuung. Artikel 20 der Kinderrechtskonvention besagt, dass als Alternativen die<br />

Aufnahme in eine Pflegefamilie, die Kafala nach islamischem Recht, die Adoption oder, falls erforderlich, die Unterbringung in einer geeigneten<br />

Kinderbetreuungseinrichtung in Betracht zu ziehen sind.<br />

Aufbau einer schützenden Umgebung für Kinder<br />

Engagement und Kapazitäten von Regierungen<br />

Ausgeweitete Kinder<strong>wo</strong>hlfahrtsdienste und Armutsbekämpfungsinitiativen sind notwendig, um einer Trennung zwischen Eltern und Kind vorzubeugen.<br />

Familienlösungen sind einer institutionellen Unterbringung vorzuziehen – dafür <strong>ist</strong> Hilfe von Regierungen in Form von angemessenen Strategien,<br />

der Bereitstellung von finanziellen Mitteln und entsprechender Gesetzgebung notwendig. Die Betreuung von Kindern, die unter staatlicher<br />

Obhut stehen, muss überwacht werden und so<strong>wo</strong>hl nationalen als auch internationalen Standards entsprechen, sowie der Kinderrechtskonvention.<br />

KINDER HELFEN KINDERN OHNE ELTERN 2010 | 2011 33


HINTERGRUNDINFORMATIONEN UND SACHTEXTE<br />

Gesetzgebung<br />

Gesetze müssen Kinder vor unnötiger Trennung von ihren Familien<br />

schützen. Kinder ohne elterliche Fürsorge müssen vor Diskriminierung,<br />

Gewalt und Missbrauch geschützt werden. Der Zugang zu Bildung<br />

und Gesundheitsdiensten muss gewährle<strong>ist</strong>et sein. Kinder, die<br />

einen oder beide Elternteile durch HIV/AIDS verloren haben, dürfen<br />

<strong>nicht</strong> zu Opfern der Diskriminierung durch Erbschaftsgesetze werden.<br />

Vorurteile und Gebräuche<br />

Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Behinderung, Zugehörigkeit<br />

zu einer Volksgruppe oder HIV-Status, die oft zu einer Unterbringung<br />

in Betreuungseinrichtungen führt, muss sofort aufhören. Inlandsadoptionen<br />

oder die Unterbringung in Pflegefamilien müssen als gute<br />

Alternativen gesehen werden.<br />

Offene Diskussion<br />

Medien können dazu beitragen, Mythen zu zerstreuen, die eine Unterbringung in Betreuungseinrichtungen idealisieren. Sie können die Öffentlichkeit<br />

über Inlandsadoptionen, die Unterbringung in Pflegefamilien und das Recht des Kindes, in einem familiären Umfeld aufzuwachsen, aufklären.<br />

Fähigkeiten, Wissen und Beteiligung von Kindern<br />

Besonders Kinder ohne elterliche Fürsorge müssen die Gelegenheit bekommen, ihre Meinungen und Wünsche in Bezug auf ihre Unterbringung<br />

auszudrücken. Sie müssen sich über ihre Rechte bewusst sein, um sich vor Ausbeutung, Missbrauch, Kinderhandel und HIV/AIDS schützen zu<br />

können.<br />

Familie und Erziehung<br />

Sozialle<strong>ist</strong>ungen auf Gemeindeebene, Elternbildungseinrichtugen und Hilfskräfte für behinderte Kinder sind notwendig, damit sich Familien besser<br />

um ihre Kinder kümmern können oder damit weitere Familienangehörige oder Gemeindemitglieder die Pflege übernehmen können.<br />

Monitoring<br />

Mechanismen zur Überprüfung von Betreuungseinrichtungen, die öffentliche oder private Pflege le<strong>ist</strong>en, und die Unterbringung in Pflegefamilien<br />

müssen eingeführt werden. Um öffentliche Meinungen zu ändern und bessere Praktiken zu fördern <strong>ist</strong> Datenerhebung und -analyse notwendig.<br />

Fußnoten:<br />

(1) UNICEF, TransMonee 2005: Data, Indicators and Fea-tures on the Situation of Children in CEE/CIS and Baltic States, UNICEF Innocenti Forschungszentrum,<br />

Florenz, 2005, S. 5.<br />

(2) UNICEF: Stop Violence against Children: Act Now, Report of the Regional Consultation for the UN Study on Violence against Children, 5-7.Juli<br />

2005, Ljubljana, Slowe-nien, UNICEF, 2005, S. 9.<br />

(3) UNICEF und USAID (United States Agency for Interna-tional Development): Children on the Brink 2004: A Joint Report of New Orphan Estimates<br />

and a Frame<strong>wo</strong>rk for Action, Population, Health and Nutrition Information Project under USAID, Washington, D.C., Juli 2004, S. 7-8.<br />

34 „FAMILIE IST, WO MAN NICHT RAUSGEWORFEN WIRD ...<strong>“</strong>


HINTERGRUNDINFORMATIONEN UND SACHTEXTE<br />

2. Familie in biblisch-theologischer, h<strong>ist</strong>orischer und soziologischer<br />

Perspektive<br />

Familie als Teil der guten Schöpfung<br />

Gottes<br />

Die Online-Enzyklopädie Wikipedia definiert den Begriff <strong>„Familie</strong><strong>“</strong> so: „Eine<br />

Familie (lat. familia „Hausgemeinschaft<strong>“</strong>) <strong>ist</strong> soziologisch eine durch Partnerschaft,<br />

Heirat und/oder Abstammung begründete Lebensgemeinschaft,<br />

im westlichen Kulturkreis me<strong>ist</strong> aus Eltern bzw. Erziehungsberechtigten und<br />

Kindern bestehend, gelegentlich durch weitere, mitunter auch im gleichen<br />

Haushalt <strong>wo</strong>hnende, Verwandte erweitert. Die Familie <strong>ist</strong> demnach eine<br />

engere Verwandtschaftsgruppe.<strong>“</strong><br />

In biblisch-theologischer Perspektive wäre diese Definition dahingehend zu<br />

ergänzen, dass die Bibel diese „Verwandtschaftsgruppe<strong>“</strong> von Anfang an als<br />

Teil der guten Schöpfung Gottes sieht. Gott <strong>ist</strong> es, der den Menschen als<br />

sein Gegenüber in der Polarität von Mann und Frau schafft (Gen 1,26-27;<br />

vgl. Gen 2,18-24) und ihn mit Nachkommenschaft segnet (Gen 1,28).<br />

Foto: Miss X / photocase<br />

Familie unter dem besonderen Schutz Gottes<br />

Darum steht die Ehe (und damit die Familie) auch in einer aus der Gottesnähe herausgefallenen Welt weiter unter dem besonderen Schutz Gottes.<br />

Die Gebote zu den Themen Ehebruch (Ex 20,14; vgl. Dtn 5,28) und Begehren (Ex 20,17; vgl. Dtn 5,21) sind hier genauso zu nennen, wie die neutestamentlichen<br />

Hilfen zur Gestaltung des familiären Lebens (Eph 5,21 – 6,9; Kol 3,18 – 4,1) – wie immer <strong>man</strong> diese Texte im Kontext sich wandelnder<br />

Familienformen heute (s.u.) auch interpretieren mag!<br />

Auch die vielfachen Aufforderungen, die Rechte von Witwen und Waisen zu schützen, gehören hierher: Dass gerade denen, die die Sicherheit und<br />

Geborgenheit der eigenen Familie verloren haben, die besondere Fürsorge Gottes gilt, macht deutlich, welch hohen Stellenwert die Familie an<br />

sich – als soziale, aber auch als theologische Größe – in der Bibel hat.<br />

Familie als Ort der Gottesbegegnung<br />

In der Familie findet schon in alttestamentlicher Zeit die religiöse Sozialisation statt („Wenn dein Kind dich morgen fragt ...<strong>“</strong> – Dtn 6,20). Und auch<br />

im Neuen Testament gehört die Erziehung „in der Zucht und Weisung des Herrn<strong>“</strong> (Eph 6,4) zu den vornehmlichen Aufgaben der Eltern (hier: der<br />

Väter!).<br />

„Als Erziehungsgemeinschaft in einem umfassenden Sinne<strong>“</strong> hat die Familie „die Aufgabe, ihre Kinder auf dem Weg ins Leben zu begleiten und zu<br />

entlassen. Das heißt im besonderen, sie ihrer Gotteskindschaft gewiss werden zu lassen, damit sie als mündige Chr<strong>ist</strong>en ihren Lebensweg gehen<br />

und vor Gott die Verant<strong>wo</strong>rtung für sich selbst und ihre Umwelt übernehmen können.<strong>“</strong> (Keil 6)<br />

Familie als Bild für die Gottesbeziehung<br />

Der hohe Stellenwert, den die Familie in der jüdisch-chr<strong>ist</strong>lichen Tradition hat, zeigt sich auch daran, dass familiäre Beziehungen zu Bildern für die<br />

Gottesbeziehung selbst werden können: Gott <strong>ist</strong> unser „Vater im Himmel<strong>“</strong> (Mt 6,9 u.ö.). Er „tröstet uns, wie einen eine Mutter tröstet<strong>“</strong> (Jes 66,13).<br />

Durch Jesus Chr<strong>ist</strong>us, den Sohn Gottes, der unser Menschenbruder wurde, und durch Gottes Ge<strong>ist</strong> werden wir selbst zu Söhnen und Töchtern<br />

Gottes, die zu Gott Vater („Abba<strong>“</strong>) sagen dürfen (Römer 8,14-17).<br />

KINDER HELFEN KINDERN OHNE ELTERN 2010 | 2011 35


HINTERGRUNDINFORMATIONEN UND SACHTEXTE<br />

Die Gottesbeziehung als Vorbild für Familienbeziehungen<br />

Umgekehrt <strong>wird</strong> nun das Verhältnis der Familienmitglieder untereinander durch die Vorstellung von der Gotteskindschaft des Menschen geprägt:<br />

„Die innere Verfasstheit dieser Gemeinschaft kann sich umso mehr von jeder Form hierarchischer Über- und Unterordnung entfernen, je stärker<br />

sich die neutestamentliche Botschaft von der Gotteskindschaft in den realen Bezügen der Familienmitglieder untereinander auswirkt. Für die<br />

Beziehung der Eltern untereinander scheint hier ein langer h<strong>ist</strong>orischer Prozess allmählich an sein Ziel zu gelangen. Für das Verhältnis zwischen<br />

Eltern und Kindern <strong>wird</strong> diese Entwicklung in jeder Familie mit der zunehmenden Mündigkeit der Kinder neu zu verfolgen sein.<strong>“</strong> (Keil 5) Weil jedes<br />

neugeborene Menschenkind als Kind seiner Eltern zugleich ein Gotteskind <strong>ist</strong>, steht es in dieser Hinsicht vor Gott mit ihnen auf einer Stufe.<br />

Familie im Wandel der Zeiten<br />

All dies gilt – soziologisch gesprochen – zunächst einmal der aus Eltern und (ihren) Kindern bestehenden „Kernfamilie<strong>“</strong>. Doch <strong>nicht</strong> ihr allein! Wir<br />

dürfen die uns vertraute Familienform dieser „Kernfamilie<strong>“</strong> <strong>nicht</strong> zum Maß aller Dinge machen! Das zeigt ein Blick in die Kulturgeschichte der<br />

Familie (vgl. zum Folgenden Weber-Keller<strong>man</strong>n, Die Familie).<br />

Die Bibel selbst zum Beispiel kennt den Begriff <strong>„Familie</strong><strong>“</strong> im oben genannten Sinn eigentlich überhaupt <strong>nicht</strong>! Hier <strong>ist</strong> das „Haus<strong>“</strong> die kleinste soziale<br />

Einheit. Diese „Schicksalsgemeinschaft aller, die unter einem Dach <strong>wo</strong>hnen<strong>“</strong> (Olaf Kor<strong>man</strong>nshaus) schließt als „patriarchalische Großfamilie<strong>“</strong><br />

die ledigen Verwandten und die Sklaven mit ein (vgl. unten, Seite 42-43, den Sachtext „Gemeinde als Familie?<strong>“</strong>).<br />

Bis ins späte Mittelalter hinein war die Familie „Ort und Einheit des Miteinanders unter einem Dach<strong>“</strong> (Ochs/Orban 28). Die gefühlsmäßige<br />

Bindung innerhalb der Familie spielte dabei keine große Rolle. In einer von unvorstellbarer Not und großem Elend geprägten Zeit, in der es für die<br />

me<strong>ist</strong>en Menschen ums nackte Überleben ging, gab es für „familiäre Intimität<strong>“</strong> keinen Platz.<br />

Das, was wir heute meinen, wenn wir von <strong>„Familie</strong><strong>“</strong> sprechen, bildete sich erst ab dem 15. Jahrhundert heraus. Doch noch bis ins 19. Jahrhundert<br />

hinein blieben ganze Bevölkerungsgruppen unverheiratet. „Zum einen war es ihnen (standes)rechtlich überhaupt <strong>nicht</strong> möglich zu heiraten, zum<br />

anderen waren sie wirtschaftlich <strong>nicht</strong> in der Lage, sich eine eigene Familie zu le<strong>ist</strong>en. Der Single <strong>ist</strong> also wahrlich keine Erfindung der postmodernen<br />

Gesellschaft.<strong>“</strong> (Ochs/Orban 28)<br />

Erst in der Zeit der industriellen Revolution wurde die sog. „bürgerliche Familie<strong>“</strong> zum Ort des Rückzugs, vor allem für den in den Arbeits- und Konkurrenzkampf<br />

eingebundenen Mann. Erst nach der industriellen Revolution, um 1870, „hatte die bürgerliche Kleinfamilie allgemeine gesellschaftliche<br />

Anerkennung gefunden. Sie war – zumindest in den westlichen Industrieländern – zum Leitbild schlechthin ge<strong>wo</strong>rden.<strong>“</strong> (Ochs/Orban 28)<br />

Ihre „Hoch-Zeit<strong>“</strong> erlebte dieses Familienideal dann in den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts:<br />

„Es sind dies in der damaligen Bundesrepublik die Jahre des Wiederaufbaus, des Wirtschaftswunders, in denen die Werte der bürgerlichen Kleinfamilie<br />

zu den Werten der breiten Bevölkerung wurden. Aus dieser Zeit spe<strong>ist</strong> sich das Familienideal von heute: Die Kernfamilie, angeführt vom Vater<br />

als Brötchenverdiener und der Mutter als Hausfrau, kam zur Blüte. Noch heute <strong>ist</strong> dieses Bild in sehr vielen Köpfen vorherrschend. Es <strong>ist</strong> auch<br />

deshalb so verlockend, weil wir damit den Traum von einer heilen Welt verbinden. Nach den Grauen des Naziregimes und des Zweiten Weltkrieges<br />

fanden die Menschen hier ihren Ort der Geborgenheit. Sie bauten im wahrsten Sinne des Wortes ihre Zukunft und ließen sich fallen in eine Form<br />

der Familie, die von Gott gesandt schien. Nach dem Erwachen aus der Hölle der Kriegsjahre verknüpften viele Menschen mit dieser privatisierten<br />

Gatten-Kleinfamilie, wie die Fünfziger-Jahre-Familie von Soziologen auch genannt <strong>wird</strong>, <strong>wo</strong>hl so etwas wie das Leben im Paradies. Es schien<br />

beständig bergauf zu gehen.<br />

Als jedoch auch die neuen Gesellschaften des Westens in die Krise gerieten, fand die Brötchenverdiener-und-Hausfrau-Familie ein schnelles Ende.<br />

Außerdem traten die mit dieser Familienform verbundenen psychologischen Schwierigkeiten bald zutage ...<strong>“</strong> (Ochs/Orban 29)<br />

Familie heute<br />

Heute kennt die Familienforschung (mindestens) vier verschiedene Definitionen von Familie (vgl. zum Folgenden Ochs/Orban 30-32):<br />

1. den jur<strong>ist</strong>ischen Familienbegriff: „Er versteht Familie als eine legalisierte soziale Institution, die unter dem Schutz des Staates steht und von<br />

ihm Vergünstigungen erhält.<strong>“</strong> (Ochs/Orban 30)<br />

2. den genealogischen Familienbegriff: Hier <strong>wird</strong> Familie durch das „Verwandtschaftsprinzip<strong>“</strong> definiert. „Verschwägerte und Blutsverwandte<br />

zählen dabei zur Familie, Stiefväter/Stiefmütter, Adoptivkinder, homosexuelle Partner etc, allerdings <strong>nicht</strong>.<strong>“</strong> (Ochs/Orban 30)<br />

3. den religiösen Familienbegriff: <strong>„Familie</strong> definiert sich hier über Blutsverwandtschaft und den gemeinsamen Besitz spiritueller Kompetenzen.<strong>“</strong><br />

(Ochs/Orban 31)<br />

4. den psychologischen Familienbegriff: Im Mittelpunkt dieses Familienbegriffs steht ein „gemeinschaftlicher Lebensvollzug<strong>“</strong>, kombiniert mit<br />

„interpersoneller Involviertheit<strong>“</strong>. Darüber hinaus zeichnet sich Familie in dieser psychologischen Definition durch folgende Charakter<strong>ist</strong>ika aus (vgl.<br />

Ochs/Orban 31f):<br />

36 „FAMILIE IST, WO MAN NICHT RAUSGEWORFEN WIRD ...<strong>“</strong>


HINTERGRUNDINFORMATIONEN UND SACHTEXTE<br />

Nähe: Damit <strong>ist</strong> so<strong>wo</strong>hl physische und ge<strong>ist</strong>ige als auch gefühlsmäßige Nähe gemeint.<br />

Abgrenzung: Familie muss eine erkennbare Grenze zur restlichen sozialen Umwelt aufweisen, z.B. durch das gemeinsame Verbringen von Zeit,<br />

Wohnen etc.<br />

Privatheit: Intimität <strong>ist</strong> dauerhaft nur in einem klar umgrenzten Lebensraum möglich.<br />

Dauerhaftigkeit: Nur durch längerfr<strong>ist</strong>ige Bindungen sind wechselseitige Verpflichtung und Zielorientierung möglich.<br />

Angesichts des familialen Wandels der letzten 50 Jahre (s.u., Seite 38-41) besteht die Herausforderung für die Zukunft <strong>wo</strong>hl darin, die theologische<br />

Bedeutung der Familie mit der heutigen gesellschaftlichen Realität von Familie zusammen zu denken und zu gestalten.<br />

<strong>„Familie</strong> <strong>ist</strong> so individuell, dass nie<strong>man</strong>d hier definitorische Allmacht durchzusetzen hat. Stellen Sie sich gegen solche Ansprüche. Bündeln Sie<br />

Ihre Energien, um Ihre eigene familiäre Lebenssituation befriedigend zu gestalten. Das kostet ohnehin schon genug Kraft!<strong>“</strong> (Ochs/Orban 180)<br />

Literatur:<br />

Eia Asen, So gelingt Familie. Hilfen für den alltäglichen Wahnsinn. Heidelberg 2008.<br />

Siegfried Keil, Art. <strong>„Familie</strong><strong>“</strong>. In: Theologische Realenzyklopädie 11. Berlin 1983, S. 1-23.<br />

Matthias Ochs / Rainer Orban, Familie geht auch anders. Wie Alleinerziehende, Scheidungskinder und Patch<strong>wo</strong>rkfamilien glücklich werden.<br />

Heidelberg 2008.<br />

Ingeborg Weber-Keller<strong>man</strong>n (Hrsg.), Die Familie. Eine Kulturgeschichte der Fanilie. Frankfurt am Main 1976.<br />

Volkmar Hamp<br />

KINDER HELFEN KINDERN OHNE ELTERN 2010 | 2011 37


HINTERGRUNDINFORMATIONEN UND SACHTEXTE<br />

3. <strong>„Familie</strong> <strong>ist</strong>, <strong>wo</strong> <strong>man</strong> <strong>nicht</strong> rausge<strong>wo</strong>rfen <strong>wird</strong>!<strong>“</strong> – Familie im Wandel<br />

Vgl. zum Folgenden vor allem Michael Domsgen, Familie und Religion. Grundlagen einer religionspädagogischen Theorie der Familie.<br />

Evangelische Verlagsanstalt Leipzig 2004; Ders., <strong>„Familie</strong> <strong>ist</strong>, <strong>wo</strong> <strong>man</strong> <strong>nicht</strong> rausge<strong>wo</strong>rfen <strong>wird</strong><strong>“</strong>. Zur Bedeutung der Familie für<br />

die Theologie – Überlegungen aus religionspädagogischer Perspektive. In: Theologische Literaturzeitung 131/2006 5, 467-486.<br />

Bedeutungsgewinn der Familie<br />

Das Thema <strong>„Familie</strong><strong>“</strong> <strong>ist</strong> wieder im Gespräch – <strong>nicht</strong> nur bei Politikern! In den letzten Jahrzehnten lässt sich sogar so etwas wie ein „Bedeutungsgewinn<strong>“</strong><br />

der Familie beobachten. Schätzten 1980 68 % die Familie als „sehr wichtig<strong>“</strong> ein, waren es 1998 bereits 80 %. In Ostdeutschland stieg<br />

dieser Wert von 1993 bis 1998 von 82 % auf 85 %.<br />

Doch mit dieser Hochschätzung der Herkunftsfamilie geht <strong>nicht</strong> mehr selbstverständlich die Gründung einer eigenen Familie einher. Die gegenwärtigen<br />

Geburtenraten liegen in Deutschland bei 1,4 Kindern pro Frau. Sie sind schon lange <strong>nicht</strong> mehr in der Lage, die für die Reproduktion der<br />

Bevölkerung notwendige Anzahl von 2,1 Geburten zu realisieren. Mittelfr<strong>ist</strong>ig <strong>wird</strong> sich dieser Trend <strong>nicht</strong> umkehren.<br />

Die positive Bewertung der Herkunftsfamilie führt also <strong>nicht</strong> mehr zur Gründung einer eigenen Zielfamilie.<br />

Gewandelter Familienbegriff<br />

Auch das, was Menschen heute unter <strong>„Familie</strong><strong>“</strong> verstehen, hat sich gewandelt. „DIE Familie<strong>“</strong> gibt es <strong>nicht</strong> mehr. Man kann etwa 16 verschiedene,<br />

momentan mögliche Familientypen unterscheiden: Elternfamilien mit bzw. ohne formale Eheschließung, Mutter- bzw. Vater-Familien, Familienbildungsprozesse<br />

durch Geburt, Adoption, Scheidung/Trennung, Verwitwung, Wiederheirat, Pflegschaft. Wechsel von der einen zur anderen<br />

Familienform im Lebenszyklus sind üblich. Dadurch wandeln sich die Rollen der Familienmitglieder im Laufe der Zeit.<br />

Konstitutiv für alle Familienformen <strong>ist</strong>, dass die ältere Generation gegenüber der jüngeren Verant<strong>wo</strong>rtung übernimmt und ein pädagogisches<br />

Verhältnis eingeht. Die besondere Aufgabe der Familie liegt in ihrer „Erziehungsle<strong>ist</strong>ung<strong>“</strong>. Ob dann Kinder (und Eltern) leiblich sind oder <strong>nicht</strong>, <strong>ist</strong><br />

<strong>nicht</strong> grundlegend. Auch die gemeinsame Haushaltsführung <strong>ist</strong> kein ausschließliches Kriterium mehr. Familie <strong>ist</strong> ein besonderes Kooperations- und<br />

Solidaritätsverhältnis – prägnant formuliert in der Erklärung eines Kindes: <strong>„Familie</strong> <strong>ist</strong>, <strong>wo</strong> <strong>man</strong> <strong>nicht</strong> rausge<strong>wo</strong>rfen <strong>wird</strong>.<strong>“</strong><br />

Foto: aussi97 / photocase<br />

38 „FAMILIE IST, WO MAN NICHT RAUSGEWORFEN WIRD ...<strong>“</strong>


HINTERGRUNDINFORMATIONEN UND SACHTEXTE<br />

Entwicklungen der letzten 50 Jahre<br />

1. Der Verbindlichkeits- und Verpflichtungscharakter der Ehe nimmt deutlich ab<br />

Die Ehe <strong>ist</strong> keine lebensgeschichtliche Selbstverständlichkeit und Notwendigkeit mehr. Sie hat vor allem als Form partnerschaftlichen Zusammenlebens<br />

an Bedeutung verloren. Seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts <strong>ist</strong> sie zu einer Lebensform neben anderen ge<strong>wo</strong>rden.<br />

Mehr als ein Drittel aller Ehen <strong>wird</strong> in Deutschland geschieden (Tendenz: gleich bleibend bis steigend!). Rund ein Fünftel aller Kinder erlebt in den<br />

ersten beiden Lebensjahrzehnten die Scheidung bzw. Trennung der Eltern.<br />

Auch die Heiratsneigung – vor allem in der Gruppe der Hochschulabsolventen – geht zurück. Es <strong>wird</strong> immer später und seltener geheiratet. Das<br />

durchschnittliche Heiratsalter von Männern und Frauen liegt mittlerweile im Osten mit 30,7 bzw. 28,0 Jahren fast genauso hoch wie im Westen<br />

(31,3 bzw. 28,5 Jahre). Der Rückgang der Heiratsneigung betrifft vor allem die jüngeren Generationen. Hier nimmt besonders im Osten die<br />

Ledigenquote zu und liegt leicht über derjenigen in Westdeutschland, <strong>wo</strong>bei Männer überdurchschnittlich oft ledig bleiben. Der Lebensform des<br />

Ledigseins kommt also insgesamt wachsende Bedeutung zu.<br />

In Ostdeutschland <strong>ist</strong> die <strong>nicht</strong>eheliche Familiengründung inzwischen zur mehrheitlichen Norm ge<strong>wo</strong>rden. So wurden im Jahr 2000 51,5 % der<br />

Kinder außerehelich geboren (18,6 % im Westen. In Westdeutschland sind Ehe und Elternschaft viel stärker miteinander verknüpft.<br />

Trotzdem gilt für ganz Deutschland, dass die Ehe <strong>nicht</strong> mehr als konstitutiv für Familie gesehen <strong>wird</strong>, sondern die Beziehung zwischen Eltern und<br />

ihren Kindern. Die Rechtsprechung hat dieser Entwicklung mit dem Kindschaftsreformgesetz von 1998 Rechnung getragen (gemeinsames Sorgerecht<br />

auch ohne Ehe).<br />

2. Die Pluralisierung der familialen Lebensformen nimmt zu<br />

Von allen Familien in Deutschland mit minderjährigen Kindern waren im Jahr 2000 78,4 % Ehepaarfamilien, 15,4 % Alleinerziehende ohne Lebenspartner<br />

im Haushalt und 6,2 % <strong>nicht</strong>eheliche Lebensgemeinschaften. Gesamtdeutsch dominiert also die als klassisch angesehene Form der<br />

„Normal- oder Kernfamilie<strong>“</strong> von miteinander verheirateten Eltern.<br />

Allerdings <strong>ist</strong> hier zu differenzieren: Zum einen <strong>ist</strong> die Zahl der Ehepaarfamilien seit Jahren insgesamt rückläufig. Zum anderen zeigt sich in Ost<br />

und West ein unterschiedliches Bild: Während in Westdeutschland die Zahl der Ehepaarfamilien (81,2 %) klar dominiert, liegt sie in Ostdeutschland<br />

(66,8 %) darunter. Gleichzeitig <strong>ist</strong> der Anteil der Alleinerziehenden (19,8 %) und <strong>nicht</strong>ehelichen Lebensgemeinschaften (13,5 %) im Osten deutlich<br />

höher als im Westen (14,3 % bzw. 4,5 %).<br />

Aus der Sicht der Kinder ergibt sich eine leicht veränderte Perspektive. Da verheiratete Paare mehr Kinder haben als Alleinerziehende und unverheiratete<br />

Paare, liegt der Anteil der Kinder, die in Ehepaarfamilien aufwachsen, leicht über den o.g. Zahlen: im Jahr 2000 83,9 % (West); 69,9 %<br />

Ost.<br />

Zu beachten sind zudem Veränderungen der Lebensform innerhalb des Lebenszyklus. Sie nehmen insgesamt zu. Allerdings sind ostdeutsche<br />

Kinder stärker davon betroffen als westdeutsche. Sie erleben zum Beispiel die Trennung ihrer Eltern <strong>nicht</strong> nur zu einem größeren Anteil, sondern<br />

auch in einem jüngeren Lebensalter.<br />

Weitere Aspekte: Jedes fünfte Kind in Deutschland wächst in einer Familie mit Migrationshintergrund auf. Die Zahl der sog. „transkulturellen<strong>“</strong><br />

Familien steigt (vor allem im Westen). Berufsmobilität hemmt oder verhindert sogar die Familienentwicklung.<br />

3. Die Familieneinheiten werden kleiner<br />

Die Mehrzahl der Kinder in Deutschland hat Geschw<strong>ist</strong>er. Ungefähr ein Fünftel bleibt während der gesamten Kindheit Einzelkind.<br />

In Westdeutschland sind die Geschw<strong>ist</strong>erstrukturen von 1991-2000 „relativ stabil<strong>“</strong> geblieben. Dort wuchsen im Jahr 2000 47,2 % mit einem Geschw<strong>ist</strong>er<br />

und 22,9 % mit zwei oder mehr Geschw<strong>ist</strong>ern im Haushalt auf. 22,9 % waren Enzelkinder.<br />

In Ostdeutschland sieht das anders aus. Dort stieg der Einzelkindanteil von 1991-2000 um 5 % und lag im Jahr 2000 bei 32,2 %. 18,8 % der Kinder<br />

wuchsen mit zwei oder mehr Geschw<strong>ist</strong>ern im haushalt auf. 49 % hatten ein Geschw<strong>ist</strong>er.<br />

Ob der Anstieg des Anteils der Einzelkinder ein vorübergehendes Phänomen <strong>ist</strong>, bleibt für Westdeutschland abzuwarten. Für Ostdeutschland kann<br />

<strong>man</strong> durchaus schon von einem Trend zur Ein-Kind-Familie sprechen.<br />

Das Aufschieben der Familiengründung sowie die wachsende Kinderlosigkeit führen dazu, dass weniger Kinder geboren werden. Dadurch geraten<br />

Kinder immer stärker in eine Minoritätenstellung. Das gilt mit Blick auf die Gesamtbevölkerung, <strong>wo</strong> immer mehr Menschen (vor allem in Ostdeutschland)<br />

in ihren lebensweltlichen Bezügen Kindern <strong>nicht</strong> mehr begegnen, wie auch mit Blick auf die eigene Familie.<br />

Die geringe Geburtenzahl führt in Verbindung mit der kontinuierlich zunehmenden Lebenserwartung zur Herausbildung von Familiensystemen, die<br />

immer mehr Generationen umfassen, aber nur wenige Mitglieder derselben Generation: „Bohnenstangenfamilien<strong>“</strong> (Rüdiger Peuckert). Dadurch<br />

geht auch die Selbstverständlichkeit im Umgang mit Kindern verloren. Gesamtgesellschaftlich zeichnet sich hinsichtlich der Haushaltsstrukturen<br />

KINDER HELFEN KINDERN OHNE ELTERN 2010 | 2011 39


HINTERGRUNDINFORMATIONEN UND SACHTEXTE<br />

eine „Polarisierung der Lebensformen in einen Familiensektor und einen Nichtfamiliensektor<strong>“</strong> ab. Der Anteil der Bevölkerung, der in Haushalten<br />

mit Kindern lebt, <strong>ist</strong> seit Jahrzehnten rückläufig.<br />

4. Die Eltern-Kind-Beziehung <strong>wird</strong> immer wichtiger<br />

Die sinkenden Kinderzahlen sind <strong>nicht</strong> gleichzusetzen mit einer abnehmenden Bedeutung von Kindern. Kinder setzt <strong>man</strong> heute in aller Regel <strong>nicht</strong><br />

unbedacht und zufällig in die Welt. Gerade weil <strong>man</strong> dem Kind das Beste bieten will, kommt es zum Aufschub oder gar zum Verzicht des Kinderwunsches.<br />

Die Emotionalisierung des familialen Binnenraums hat zu einer veränderten Position des Kindes innerhalb der Familie geführt. Es rückt als eigene<br />

Persönlichkeit in den Mittelpunkt, was mit einer Verschiebung der Machtbalance zwischen Eltern und Kind einhergeht. Die Folge <strong>ist</strong> ein kindorientierter<br />

Erziehungsstil, dem reichlich zwei Drittel der Familien heute folgen.<br />

Kinder leben gegenwärtig länger als je zuvor mit ihren Eltern zusammen. Auch nach dem Auszug aus dem Elternhaus bleiben die Beziehungen<br />

in Entfernung und Kontaktdichte erstaunlich stabil: „multilokale Mehrgenerationenfamilie<strong>“</strong> (Hans Bertram). Für Eltern haben Kinder einen hohen<br />

Stellenwert, <strong>wo</strong>bei dies in Ostdeutschland stärker ausgeprägt zu sein scheint als in Westdeutschland. Zugleich stehen sie in der Gefahr, instrumentalisiert<br />

zu werden. An die Partnerbeziehung werden hohe emotionale Erwartungen geknüpft, denen sie oft <strong>nicht</strong> standzuhalten vermag. Das<br />

Kind verheißt nun „eine Bindung, die so elementar, umfassend, unauflöslich <strong>ist</strong> wie sonst keine in dieser Gesellschaft<strong>“</strong>.<br />

5. Die innerfamiliale Arbeitsteilung ändert sich kaum<br />

Die Chancengleichheit von Frauen und Männern im Bereich formaler Bildungsabschlüsse hat sich heute durchgesetzt, <strong>wo</strong>bei Frauen bereits<br />

bessere Abschlüsse vorweisen können als Männer. Die höhere Bildungspartizipation führt zu einer verstärkten Erwerbsbeteiligung von Frauen. So<br />

stieg in Westdeutschland der Aneil erwerbstätiger Mütter kontinuierlich an, vor allem bei Frauen, deren Kinder das Schulalter erreicht hatten. Die<br />

Erwärbstätigenquote lag im Jahr 2000 bei 60,8 %. In Ostdeutschland kam es nach der Wende zu einem deutlichen Rückgang der Erwerbstätigenquote<br />

von Müttern. Im Jahr 2000 lag sie für Frauen mit Kindern bei 71,3 %.<br />

Auch wenn sich die bildungs- und berufsmäßige Gleichberechtigung von Frauen weitgehend durchgesetzt hat, so kann <strong>man</strong> dies keineswegs<br />

für die Frau als Mutter konstatieren. Die zeitliche Belastung der Frauen in Hausarbeit und Kinderbetreuung <strong>ist</strong> fast doppelt so hoch wie die der<br />

Männer. In den Familien dominiert also weiterhin das traditionelle Rollenmodell. Der ungleichen Arbeitsbelastung entspricht eine deutlich weiblich<br />

dominierte Entscheidungsstruktur in der Familie. Frauen tragen die hauptsächliche Verant<strong>wo</strong>rtung für den Alltag und organisieren fast ausschließlich<br />

die familialen Aktivitäten. Auch für die „unsichtbare Beziehungsarbeit<strong>“</strong> in der Familie <strong>ist</strong> immer noch die Frau zuständig. Dazu zählen die<br />

Harmonisierung widersprüchlicher Ansprüche der Familienmitglieder, die Entwicklung familiärer Sinngebung und die Herstellung von alltäglicher<br />

Gemeinschaft.<br />

6. Die Bedeutung der außerfamilialen Betreuung wächst<br />

Der Anteil aktiv erwerbstätiger Mütter mit Kindern unter drei Jahren stieg in den Jahren von 1996-2000 deutlich an. In Ostdeutschland erhöhte<br />

sich die Quote von 33,5 auf 40,4 % In Westdeutschland liegt sie zwar mit 29 % deutlich niedriger, stieg aber auch dort an. Deutlich erhöhte sich<br />

da der Anteil aktiv erwerbstätiger Frauen mit einem jüngeren Kind im Alter von drei bis fünf Jahren. Dazu beigetragen haben dürften der seit 1996<br />

bestehende Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, sowie die sich verschärfende ökonomische Situation in vielen Familien. Auch wenn der<br />

„Normkomplex gute Mutter<strong>“</strong> in Westdeutschland weiterhin eine große Rolle spielt, könnten sich darin erste Tendenzen zu einer Neuorientierung<br />

widerspiegeln.<br />

Die außerfamiliale Betreuung kleiner Kinder <strong>wird</strong> (insbesondere mit zunehmendem Alter) <strong>nicht</strong> mehr per se abgelehnt, wenn entsprechende<br />

Betreuungsangebote vorhanden sind. In Ostdeutschland zeigt sich ein ungebrochenes Verhältnis zur außerfamilialen Betreuung (Auch schon bei<br />

Kleinstkindern). So wurden 2001 36,1 % der unter Dreijährigen außerfamilial betreut. In Westdeutschland waren es nur 5,2 %, <strong>wo</strong>bei hier das<br />

wesentlich geringere Betreuungsangebot zu beachten <strong>ist</strong>.<br />

Der Besuch eines Kindergartens <strong>ist</strong> in Deutschland inzwischen zu einer biographischen Normalität ge<strong>wo</strong>rden (96 % der 5- bis 6-Jährigen besuchen<br />

ihn). Allerdings unterscheidet sich der Alltag der Kindergartenkinder in Ost und West nach wie vor erheblich. Im Westen besuchen zwei Drittel der<br />

5-6-Jährigen einen Vormittagskindergarten ohne Mittagessen, und nur ein Fünftel nutzt Ganztagsangebote. Im Osten dagegen nehmen drei Viertel<br />

ein ganztägiges Angebot mit Mittagessen in Anspruch.<br />

Naben den außerfamilialen Angeboten spielen auch ergänzende private Betreuungsangebote eine große Rolle. Dabei le<strong>ist</strong>en Großeltern den<br />

größten Teil der Zusatzbetreuung, vor allem in Mittelschichtfamilien. Familien mit hohem Status setzen <strong>nicht</strong> nur auf die Familie, sondern nehmen<br />

häufig bezahlte, private Zusatzbetreuung in Anspruch. Insgesamt zeigt sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen der sozioökonomischen Situation<br />

einer Region und der Länge der Kinderbetreuungszeiten.<br />

40 „FAMILIE IST, WO MAN NICHT RAUSGEWORFEN WIRD ...<strong>“</strong>


HINTERGRUNDINFORMATIONEN UND SACHTEXTE<br />

7. Die strukturellen Schwierigkeiten werden <strong>nicht</strong> kleiner<br />

Es gibt verschiedene Indikatoren, die sich negativ auf die Entwicklung der Familien in Deutschland auswirken, z.B. „strukturelle Rücksichtslosigkeit<strong>“</strong><br />

(Franz-Xaver Kauf<strong>man</strong>n): In Deutschland <strong>wird</strong> die Übernahme der Elternverant<strong>wo</strong>rtung als private Angelegenheit betrachtet. Das bringt den<br />

Kinderlosen im Regelfall Konkurrenzvorteile. So sind die Anforderungen, die sich aus der Logik des Arbeitsmarktes ergeben, auf den Einzelnen<br />

bezogen und <strong>nicht</strong> mit den Bedürfnissen der Familie abgestimmt.<br />

Eine große Rolle für die kindliche Entwicklung spielt die elterliche Wohnung wie auch das Nahumfeld. Knapp ein Drittel der Kinder lebt in mehrfach<br />

risikobelasteten Wohnverhältnissen (kleine Wohnung, wenig Spielmöglichkeiten im Nahumfeld, hohe Verkehrsbelastung). Ein weiteres Drittel<br />

wächst dagegen in ausgesprochen günstigen Verhältnissen auf. Kinder in Ostdeutschland leben öfter in schlechten Wohnverhältnissen als ihre<br />

westdeutschen Altersgenossen.<br />

Zusätzliche Risiken sind ein geringes Haushaltseinkommen, geringe Bildung, ein niedriger sozialer Status und ein Migrationshintergrund der Eltern.<br />

Sie treten oft gemeinsam mit riskanten Wohnverhältnissen auf bzw. verstärken oder verursachen diese. Allerdings lässt sich auch von diesen<br />

Faktoren <strong>nicht</strong> direkt auf das Wohl der Kinder schließen.<br />

Insgesamt fühlen sich die me<strong>ist</strong>en Kinder in Familie und Freundeskreis <strong>wo</strong>hl. Zudem haben sie ein ausgesprochen positives Bild von sich. Entscheidend<br />

für das Wohlbefinden sind das Familienklima und – ab dem schulpflichtigen Alter – die Schulnoten. „Daneben <strong>ist</strong> nur noch – und zwar<br />

negativ – die Armutslage beachtlich.<strong>“</strong><br />

Volkmar Hamp<br />

KINDER HELFEN KINDERN OHNE ELTERN 2010 | 2011 41


HINTERGRUNDINFORMATIONEN UND SACHTEXTE<br />

4. Gemeinde als Familie?<br />

Aus: Olaf Kor<strong>man</strong>nshaus, Einander Wegbegleiter sein. Aspekte der Gemeindeseelsorge.<br />

Oncken Verlag: Kassel 2004, Seite 65-68.<br />

Bilder entwickeln oft eine Eigendynamik. Die ersten Chr<strong>ist</strong>en nannten Jesus den „kurios<strong>“</strong>, den Herrn,<br />

den Besitzer oder Eigentümer ihres Lebens. Ihr selbstbewusstes Bekenntnis „Kurios Jesous<strong>“</strong> war<br />

zugleich eine Absage an andere Herren und ihre Eigentumsansprüche: „Herr <strong>ist</strong> Jesus – und <strong>nicht</strong><br />

der Kaiser!<strong>“</strong> – das war die Pointe des Chr<strong>ist</strong>usbekenntnisses im römischen Reich im 1. Jahrhundert<br />

n.Chr. Heutige Rede vom „lieben Herrn Jesus<strong>“</strong> bleibt oft hinter der Klarheit dieses alten Bekenntnisses<br />

zurück.<br />

Oft betonen Freikirchen, dass ihre Gemeinden „wie eine große Familie<strong>“</strong> seien. Sicher <strong>wo</strong>llen sie<br />

Unterschiede zu volkskirchlich geprägten Gemeinden heraus stellen. Doch der Gebrauch dieses Bildes<br />

bedarf einer sorgfältigen Prüfung, damit <strong>nicht</strong> einfach unsere Vorstellung der bürgerlichen Familie als<br />

Modell für Gemeinde genommen <strong>wird</strong>.<br />

Zunächst einmal: Das Bild der Familie <strong>ist</strong> im Neuen Testament kein leitendes Bild für die Gemeinde;<br />

unser modernes Verständnis von Familie, zumal von der Kleinfamilie, <strong>ist</strong> der Bibel unbekannt. Die Gemeinde<br />

<strong>wird</strong> in Bildern vom „Volk Gottes<strong>“</strong> oder vom „Leib Chr<strong>ist</strong>i<strong>“</strong> beschrieben. In dieser Betrachtung<br />

können wir <strong>nicht</strong> der kirchengeschichtlichen Frage nachgehen, warum <strong>man</strong>che Gemeinden das Bild von der Familie ins Zentrum ihres Gemeindeverständnisses<br />

gerückt haben. Die folgenden Gedanken und Fragen möchten helfen, die Grenzen und die Chancen der Bildes „Gemeinde als<br />

Familie<strong>“</strong> zu beleuchten.<br />

1. Welches Modell von Familie meinen wir,<br />

wenn wir Gemeinde mit ihr vergleichen?<br />

Im Alten wie im Neuen Testament kommt unser Begriff von Familie <strong>nicht</strong> vor. Stattdessen begegnen wir dem „Haus<strong>“</strong>. Im AT hat das aus festen<br />

Baumaterialien erstellte „Haus<strong>“</strong> eine Bedeutungsverschiebung zu allem, was sich im Haus befindet, erfahren. Es umfasst Vermögen, Besitz und<br />

die durch den gemeinsamen Wohnsitz verbundene Hausgemeinschaft. Die patriarchalische Großfamilie schließt die ledigen Verwandten und die<br />

Sklaven ein. Haus <strong>ist</strong> die Schicksalsgemeinschaft aller, die unter einem Dach <strong>wo</strong>hnen.<br />

Auch im Neuen Testament <strong>wird</strong> „Haus<strong>“</strong> (oikos, oikia) im Sinn der Wohngemeinschaft benutzt. In der übertragenen Bedeutung <strong>„Familie</strong><strong>“</strong> <strong>ist</strong> diese<br />

<strong>nicht</strong> auf die biologische Zusammengehörigkeit begrenzt; Menschen aus unterschiedlichen sozialen Verhältnissen, Freigelassene und Sklaven,<br />

gehören dazu.<br />

Meinen wir dieses Modell von Familie, wenn wir von „Gemeinde als Familie<strong>“</strong> reden? Dann betonen wir mit Epheser 2: „Chr<strong>ist</strong>us, unser Friede, hat<br />

die beiden Teile, Juden und Heiden vereinigt.<strong>“</strong> Und uns gilt die Zusage: „Ihr seid jetzt also <strong>nicht</strong> mehr Fremde ohne Bürgerrecht, sondern Mitbürger<br />

der Heiligen und Hausgenossen Gottes!<strong>“</strong> (Epheser 2, 19) In diesem Sinn <strong>ist</strong> Gemeinde tatsächlich „familia Dei<strong>“</strong> – Familie Gottes. Hoffentlich<br />

versteht sie sich so! Dieses Verständnis verbietet familiäre Exklusivität und steht auch in Spannung zu einem einseitig „zielgruppenorientierten<strong>“</strong><br />

Gemeindeverständnis. Es <strong>ist</strong> gerade ein Kennzeichen des „Hauses<strong>“</strong>, dass die Einteilungen in soziologische Gruppen (Freie – Sklaven) überwunden<br />

sind.<br />

2. „Gemeinde als Familie<strong>“</strong> – Missverständnisse stellen sich ein<br />

Wenn wir heute von Gemeinde als Familie sprechen, liegen Missverständnisse nahe. Die moderne Familie <strong>ist</strong>, anders als zur Zeit der Bibel, eine<br />

sehr geschlossene Gruppe, biologisch und soziologisch betrachtet klar abgegrenzt. Klare Grenzen nach außen sind gesunde und wünschenswerte<br />

Kennzeichen der Familie. Nicht jeder gehört dazu, <strong>nicht</strong> jeder darf hinein, auch <strong>nicht</strong> jeder will es.<br />

Diesen Aspekt meinen wir eher <strong>nicht</strong>, wenn wir von „Gemeinde als Familie<strong>“</strong> sprechen? Er würde jedem missionarischen Bemühen zuwider laufen.<br />

Doch <strong>man</strong>chmal <strong>ist</strong> Sprache verräterisch. Da werden Familiennachrichten in den öffentlichen (!) Gottesdiensten so familiär weiter gegeben, dass<br />

jeder „gemeindefremde<strong>“</strong> Besucher sich aus der Gemeindefamilie ausgeschlossen fühlen muss. Es werden nur Vornamen genannt: „unsere liebe<br />

Monika<strong>“</strong> – wer genau <strong>ist</strong> gemeint? Offenbar wissen alle Bescheid, nur der „fremde<strong>“</strong> Besucher <strong>nicht</strong>! Von Ehepaaren <strong>wird</strong> als Bruder und Schwester<br />

gesprochen: für die eigene <strong>„Familie</strong><strong>“</strong> vertraut, für Gäste irritierend. Möchte Gemeinde doch familiär „unter sich<strong>“</strong> sein oder bleiben? Und was<br />

offenbart eigentlich der Satz: „Als Gemeindfamilie müssen wir doch ‚du‘ zueinander sagen<strong>“</strong>?<br />

42 „FAMILIE IST, WO MAN NICHT RAUSGEWORFEN WIRD ...<strong>“</strong>


HINTERGRUNDINFORMATIONEN UND SACHTEXTE<br />

Möchte die Gemeinde „Fremde<strong>“</strong> in die Familie aufnehmen? Dann müssen diese sich den familiären Gepflogenheiten und Traditionen anpassen.<br />

Wer zu Chr<strong>ist</strong>us gefunden hat, muss jetzt diese Hürde nehmen. Was bleiben wir den Menschen schuldig, die sich zwar zu Chr<strong>ist</strong>us bekehrten, aber<br />

<strong>nicht</strong> in die Familie „passen<strong>“</strong>? Gebe Gott, dass sie in anderen Kirchen Heimat finden.<br />

3. „Das kommt in den besten Familien vor!<strong>“</strong><br />

Konkurrenz, Rivalität, Streit, Neid, Eifersucht gibt es in jeder Familie. Manche Familien reden offen darüber, andere versuchen, nach außen den<br />

Anschein einer „heilen<strong>“</strong> oder „konfliktfreien<strong>“</strong> Familie zu erhalten. Ein allzu sehr betontes Verständnis von „Gemeinde als Familie<strong>“</strong> lädt geradezu<br />

ein, alte familiäre Erfahrungen und Muster neu zu beleben. Psychologen sprechen von „Übertragungen<strong>“</strong> früherer Erfahrungen auf die gegenwärtigen<br />

Gesprächs- oder Konfliktpartner. „Geschw<strong>ist</strong>er<strong>“</strong> rivalisieren und streiten miteinander oder buhlen um die Anerkennung der „Eltern<strong>“</strong>, z.B. des<br />

Pastors. Typische Eltern-Kind-Konflikte treten auf. Junge Leute fühlen sich den „Eltern<strong>“</strong> gegenüber unterlegen oder überlegen, trotzen, rebellieren,<br />

resignieren oder emigrieren, ganz so wie sie in der eigenen Familie früher getan haben.<br />

In <strong>man</strong>chen Familien gibt es den so genannten IP, den „identifizierten Patienten<strong>“</strong>. Ein Familienmitglied <strong>ist</strong> das Sorgenkind oder der Sündenbock.<br />

Es <strong>ist</strong> <strong>nicht</strong> „schlechter<strong>“</strong> als die anderen, und doch scheint es an allem Schuld zu sein, was <strong>nicht</strong> gelingt. Gemeindefamilien müssen wachsam<br />

sein, dass sie <strong>nicht</strong> auch solchen „Problemfällen<strong>“</strong> in der Gemeinde alle Schuld geben, wenn das Gemeindeleben <strong>nicht</strong> mehr so gedeihlich wie<br />

früher <strong>ist</strong>, wenn die Gemeinde <strong>nicht</strong> wächst usw.<br />

In der Gemeinde begegnen sich unterschiedliche Arten der Konfliktbewältigung, welche die Erfahrungen der verschiedenen Familien widerspiegeln.<br />

In einer Familie wurden Meinungsunterschiede direkt, offen, auch kontrovers ausgetragen: klar, aber fair. Alle erlebten es als befreiend. Für<br />

andere Familien waren deutliche Meinungsverschiedenheiten zwischen den Generationen oder innerhalb der Geschw<strong>ist</strong>erschar immer bedrückend.<br />

Sofort fühlte <strong>man</strong> die Einheit der Familie gefährdet. In der Gemeinde stoßen die unterschiedlichen Muster aufeinander. Was die einen frei<br />

durchatmen lässt, verschlägt anderen den Atem.<br />

Wenn es gut geht, kann das Bild von der „Gemeinde als Familie<strong>“</strong> helfen, die bevorzugten Strategien als solche familiären Muster zu erkennen. In<br />

der neuen „Großfamilie<strong>“</strong> darf und muss <strong>man</strong> offen und klar über unterschiedlich geprägtes Empfinden sprechen und gemeinsam anhand der Bibel<br />

fragen, wie denn die „Gemeindefamilie<strong>“</strong> der „familia Dei<strong>“</strong> gemäße Konfliktlösungen erarbeitet.<br />

Die starke Betonung der „Gemeindefamilie<strong>“</strong> weckt schließlich bei <strong>man</strong>chen Menschen Sehnsucht nach solch einer Familie, in der sie aufgehoben<br />

und gut versorgt sind. Anderen bereitet sie eher Unbehagen. Die sich nach ihr sehnen, überfordern die Gemeinde oft. Sie soll ihnen alles schenken,<br />

was die eigene Familie ihnen <strong>nicht</strong> geben konnte. Riesig groß werden u. U. die Erwartungshaltungen an „die Gemeinde<strong>“</strong> oder „den Vorstand<strong>“</strong>.<br />

Die verant<strong>wo</strong>rtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, vor allem der Pastor sollen sich als „Mutter<strong>“</strong> oder „Vater<strong>“</strong> ständig um das „Kind<strong>“</strong> kümmern<br />

und es umsorgen. Nun gibt es eine Förderung, die stark und selbständig werden lässt. Wer aber grenzenlos fordert und bekommt, was er will, <strong>wird</strong><br />

selbst passiv, unzufrieden und maßlos. Das Geschenk der Zugehörigkeit zur Gemeindefamilie darf – z. B. bei einem Taufzeugnis – <strong>nicht</strong> stärker<br />

betont werden als die Chr<strong>ist</strong>uszugehörigkeit, sonst folgt der Gemeindeaufnahme bald die große Enttäuschung. Keine Gemeinde kann oder soll alle<br />

Erwartungen erfüllen.<br />

4. Gemeinde als Familie? Eine Chance!<br />

Nach den kritischen Überlegungen möchte ich abschließend eine Chance des Bildes der „Gemeinde als (gesunder) Familie<strong>“</strong> aufzeigen. Jede<br />

Mutter, jeden Vater erfüllt es mit Freude, wenn die Kinder auf „eigenen Beinen stehen<strong>“</strong> und selber für sich sorgen können. Sie sind nun in der<br />

Lage, sich bei Fragen und Problemen eine eigene Meinung zu bilden. Eltern freuen sich an der Selbständigkeit ihrer Kinder; sie drängen sich <strong>nicht</strong><br />

ungefragt auf, sind aber zur Stelle, wenn sie gebraucht werden und ihr Rat erbeten <strong>wird</strong>.<br />

Wenn uns das Bild der Gemeinde als Familie so lieb <strong>ist</strong>, sollten wir auch diesen Gedanken aufnehmen, auch wenn er mehr das moderne als das<br />

antike Familienmodell widerspiegelt. Eltern übergeben ihren Kindern Verant<strong>wo</strong>rtung. „Väter und Mütter in Chr<strong>ist</strong>us<strong>“</strong> freuen sich, wenn jüngere<br />

in die Leitungsaufgaben hinein wachsen. Sie vertrauen ihnen und können sich zurücknehmen. Gerade darum begegnet <strong>man</strong> ihnen mit Respekt<br />

und Achtung. Sie haben es <strong>nicht</strong> nötig, als „graue Eminenzen<strong>“</strong> der aktiven Generation die Mitarbeit schwer zu machen. Sie müssen <strong>nicht</strong> alles<br />

kommentieren und werden gerade darum gerne um Rat gefragt, wenn er vonnöten <strong>ist</strong>. Keine Gemeinde braucht innerlich zu seufzen, weil sie aus<br />

„Rücksicht<strong>“</strong> auf einen bewährten Bruder einleuchtende Veränderungen <strong>nicht</strong> vornehmen kann, solange dieser noch lebt.<br />

Wenn schon „Gemeinde als Familie<strong>“</strong>, dann mit solchen Müttern und Väter in Chr<strong>ist</strong>us, die sich von Herzen freuen, wenn gutes Vorbild, rechte<br />

Unterweisung und Wirken des Ge<strong>ist</strong>es Gottes dazu führen, dass die nächste Generation fröhlich Verant<strong>wo</strong>rtung übernimmt.<br />

Olaf Kor<strong>man</strong>nshaus<br />

KINDER HELFEN KINDERN OHNE ELTERN 2010 | 2011 43

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!