30 Jahre und ein Ende. Stimmen zur Einstellung der - Oeko-Net
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FEUILLETON<br />
256<br />
REDAKTION<br />
<strong>30</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>und</strong> <strong>ein</strong> <strong>Ende</strong><br />
<strong>Stimmen</strong> <strong>zur</strong> <strong>Einstellung</strong> <strong>der</strong> »Kommune« –<br />
mit <strong>ein</strong>igen Fragen <strong>zur</strong> Zukunft<br />
So manche/r hatte die in <strong>der</strong> Ausgabe 1/12<br />
begründete Entscheidung, die Kommune<br />
mit dem letzten Heft des <strong>Jahre</strong>s 2012 <strong>ein</strong>zustellen,<br />
erst gar nicht wahrgenommen. Zu nebenbeihattenwirdiesenTextaufSeite8insHeft<br />
gesetzt. So war <strong>der</strong> Heidelberger Autor Michael<br />
Buselmeier <strong>ein</strong>er <strong>der</strong> Ersten, <strong>der</strong> ob <strong>der</strong> Nachricht<br />
vom <strong>Ende</strong> <strong>der</strong> Kommune das Wort in <strong>der</strong><br />
Wochenzeitung Freitag ergriff. In jenem M<strong>ein</strong>ungsmedium<br />
heißt es am 22.3.12 in <strong>der</strong> Überschrift<br />
süffisant: »Das Zentralorgan <strong>der</strong> Grünen<br />
gibt den Geist auf«.Dann führt Buselmeier aus:<br />
»Die Zeitschrift Kommune, im Januar 1983<br />
als Forum für Politik, Ökonomie <strong>und</strong> Kultur<br />
begründet, ist hervorgegangen aus den Trümmern<br />
<strong>und</strong> dem Kapital, das den Mitglie<strong>der</strong>n<br />
<strong>ein</strong>er maoistischen Minipartei namens ›Kommunistischer<br />
B<strong>und</strong> Westdeutschland‹ abgepresst<br />
wurde. In den ersten <strong>Jahre</strong>n war sie <strong>ein</strong>e<br />
ziemlich lebendige Monatszeitschrift heimatlos<br />
gewordener Linker, dann avancierte sie rasch<br />
zu <strong>ein</strong>em inoffiziellen Theorieorgan <strong>der</strong> Grünen.<br />
<strong>Jahre</strong> vor <strong>der</strong> Wende wurde authentisch über<br />
die angespannte Situation in Osteuropa <strong>und</strong><br />
auf dem Balkan berichtet, so erschien hier zuerst<br />
auf Deutsch Milan K<strong>und</strong>eras Essay ›Die<br />
Tragödie Zentraleuropas‹ <strong>und</strong> es gab, Heft um<br />
Heft, <strong>ein</strong>e ›grüne Strategie-Debatte‹.<br />
Die ist schon lange <strong>ein</strong>geschlafen. Und wie<br />
sich die Grünen in <strong>ein</strong>e kreuznormale Partei<br />
verwandelt haben, ist auch die Kommune behäbig<br />
<strong>und</strong> <strong>ein</strong> Stück weit staatstragend geworden.Sieersch<strong>ein</strong>tnochallezweiMonatemit<br />
<strong>ein</strong>em eher schwachen, profilarmen Feuilleton<br />
<strong>und</strong> <strong>ein</strong>em materialreichen Politikteil – lange<br />
Abhandlungen, oft zähflüssig <strong>und</strong> mit Statistiken<br />
durchsetzt. Im aktuellen Heft geht es anfangs<br />
um die Finanzkrise sowie um die wachsende<br />
Schere zwischen Arm <strong>und</strong> Reich, durch<br />
welche das Vertrauen in die Demokratie gefährdet<br />
werde.Ein Politikwechsel ›hin zu mehr<br />
Gerechtigkeit‹ sei ebenso notwendig wie <strong>ein</strong><br />
neues Steuersystem, m<strong>ein</strong>t Karl-Martin Hentschel.<br />
Um ›Gerechtigkeit‹ geht es auch Jochen<br />
Henninger, wenn er <strong>ein</strong>e ›Wende‹ im Ges<strong>und</strong>heitswesen<br />
for<strong>der</strong>t. Das ist etwas matt.«<br />
Die Methode, aus <strong>ein</strong>er Ausgabe <strong>und</strong> drei<br />
Artikeln etwas aufzuspießen, um daraus <strong>ein</strong>e<br />
Summe zu ziehen, kennen wir aus alten Zeiten<br />
ziemlich gut. Bezeichnend aber, dass sie von<br />
<strong>ein</strong>em alten 68er noch heute gepflegt wird, <strong>der</strong><br />
auch wie<strong>der</strong> Abrechnungsprosa schreibt:<br />
»In den Anfangsjahren profitiert die Zeitschrift<br />
noch von <strong>der</strong> revolutionären Aura ihres<br />
Mitgrün<strong>der</strong>s Joscha Schmierer. Schmierer war<br />
<strong>ein</strong>st redegewandter Führer des Heidelberger<br />
SDS gewesen, in den siebziger <strong>Jahre</strong>n dann Sekretär<br />
des Zentralkomitees <strong>der</strong> KBW, <strong>ein</strong> VerehrervonMao<strong>und</strong>PolPot.Nach<strong>der</strong>Selbstauflösung<br />
<strong>der</strong> K-Gruppen ermöglichte ihm die<br />
Kommune die Fortsetzung <strong>der</strong> politischen Laufbahn<br />
als Publizist, <strong>der</strong> Monat um Monat, nun<br />
als Anhänger <strong>der</strong> Grünen, die Weltlage <strong>ein</strong>schätzte<br />
<strong>und</strong> s<strong>ein</strong>e Rolle als stalinistischer Parteiführer<br />
im Stile <strong>ein</strong>es Renegaten verdrängte.<br />
Schmierer stand in den ersten <strong>Jahre</strong>n als<br />
Chefredakteur im Zentrum <strong>der</strong> Zeitschrift,mit<br />
s<strong>ein</strong>em gesammelten Wissen, s<strong>ein</strong>er Fähigkeit<br />
zu schreiben <strong>und</strong> zu polemisieren <strong>und</strong> zu polarisieren.<br />
Als er nun, Joschka Fischer beratend,<br />
ins Außenministerium wechselte, verlor die<br />
Kommune ihren wichtigsten Mann. Seit s<strong>ein</strong>er<br />
Pensionierung schreibt Schmierer wie<strong>der</strong> für<br />
das Blatt, vorwiegend sind es Buchbesprechungen.<br />
Manchmal meldet er sich auch noch als<br />
reformistischer ›Kopf mit Durchblick‹ zu Wort.«<br />
Altheidelberg lebt.<br />
Nachdem dem »Blatt« am Anfang <strong>ein</strong>e behäbige,<br />
staatstragende Zähflüssigkeit beschieden<br />
war, heißt es anschließend: »Der massive<br />
Antikapitalismus <strong>der</strong> frühen <strong>Jahre</strong> ist <strong>ein</strong>em<br />
linken Moralismus gewichen, <strong>der</strong> zwischen Gut<br />
<strong>und</strong> Böse stets korrekt zu unterscheiden weiß.<br />
Es fehlt ›journalistischer Biss‹, <strong>ein</strong> brillanter<br />
o<strong>der</strong> wenigstens polemischer Ton, <strong>der</strong> sich mit<br />
allem anlegt, auch mit den eigenen Voraussetzungen.«<br />
Wie passen denn diese Aussagen zusammen?<br />
Es ist k<strong>ein</strong>e Schande, wenn Buselmeier<br />
die Kommune nicht liest, aber die Annahme,<br />
in ihr würde stets korrekt zwischen<br />
Gut <strong>und</strong> Böse unterschieden, wirkt geradezu<br />
bizarr. Eine <strong>der</strong> häufigsten Kritiken an <strong>der</strong> Kommune<br />
war <strong>und</strong> ist, dass sie nicht <strong>ein</strong>deutig genug<br />
zwischen richtig <strong>und</strong> falsch unterscheide.<br />
Der blasiert beleidigte Ton dieses »Nachrufs«<br />
bildet allerdings <strong>ein</strong>e Ausnahme in den<br />
<strong>Stimmen</strong>, die uns bis heute erreichten. Albrecht<br />
von Lucke, Redakteur <strong>der</strong> Blätter für deutsche<br />
<strong>und</strong> internationale Politik, schreibt uns am<br />
15.2.12: »Nachdem ich erst Euer Editorial <strong>und</strong><br />
dann das ganze famose Heft fast am Stück gelesen<br />
habe, finde ich Eure Ankündigung umso<br />
bedauerlicher (so gut sie begründet s<strong>ein</strong> mag).<br />
Das <strong>Ende</strong> <strong>der</strong> Kommune wäre <strong>ein</strong> Riesenverlust!!!<br />
Vielleicht überlegt Ihr es Euch ja doch<br />
noch <strong>ein</strong>mal! – In jedem Fall seid Ihr Eurem<br />
Anspruch, <strong>ein</strong> gutes Abschlussjahr hinzulegen,<br />
mit dem ersten Heft des <strong>Jahre</strong>s voll <strong>und</strong> ganz<br />
gerecht geworden.«<br />
Marie Luise Knott,ehemalige Chefin <strong>der</strong> Le<br />
monde diplomatique <strong>und</strong> freie Autorin schrieb<br />
am 10.2.12: »... das ist <strong>ein</strong>e schlechte Nachricht,<br />
dass Ihr aufhören wollt. Ehrlich gesagt<br />
dachte ich bisher, dass Ihr so was wie <strong>ein</strong>e Gem<strong>ein</strong>schaft<br />
bildet: Redaktion <strong>und</strong> Leser. Nicht<br />
dass ich wirklich dazugehörte, aber ... von<br />
halbaußen sah es aus,als ob Ihr nicht am <strong>Ende</strong><br />
wäret....Jedenfalls wünsche ich Euch <strong>ein</strong> gutes<br />
letztes Jahr, macht möglichst viel draus!!!«<br />
Bodo von Greiff schreibt am 8.6.12: »... mit<br />
Verspätung <strong>ein</strong> Wort zum Artikel von Rolf Wiggershaus<br />
in Kommune 2/12: Als früherer Chefredakteur<br />
<strong>der</strong> Zeitschrift Leviathan bin ich bei<br />
<strong>der</strong> Lektüre des letzten Kommune-Heftes fast<br />
neidisch geworden. Immer wie<strong>der</strong> produziert<br />
Ihr Journal in Serie kluge, aktuelle, lehrreiche<br />
<strong>und</strong> ›gebildete‹ Hefte. Beson<strong>der</strong>s fiel mir das<br />
wie<strong>der</strong> auf im Heft 2/12,wo nach vielen klugen<br />
aktuellen Texten <strong>ein</strong> langer Aufsatz von Rolf<br />
Wiggershaus folgt, <strong>der</strong> sich mit dem Naturbegriff<br />
<strong>der</strong> Kritischen Theorie befasst, insbeson<strong>der</strong>e<br />
bei Adorno <strong>und</strong> Horkheimer. W<strong>und</strong>erbar.<br />
K<strong>ein</strong>e Schwierigkeit wird gescheut, <strong>und</strong> so erfährt<br />
<strong>der</strong> Leser in diesem Heft Aktuelles aus<br />
Politik <strong>und</strong> Wirtschaft <strong>und</strong> <strong>ein</strong>e Tiefenbohrung<br />
zu den Anfängen <strong>der</strong> Öko-Bewegung in<br />
<strong>der</strong> Philosophie. – Ein schönes Heft, <strong>ein</strong>e f<strong>ein</strong>e<br />
Zeitschrift.«<br />
In <strong>der</strong> Schweizer Zeitschrift P.S. vom 23.8.<br />
12 attestiert Hans Steiger <strong>der</strong> Kommune noch<br />
<strong>ein</strong>mal, sie sei »gepflegt« <strong>und</strong> verfüge über <strong>ein</strong>en<br />
»eigensinnigen Kulturteil«. In Heft 4/12<br />
sei »zum Boom <strong>der</strong> Piraten erneut Bemerkenswertes<br />
zu finden«. Weit über <strong>ein</strong>e Spalte referiert<br />
Steiger aus dem Artikel »Weshalb es Piraten<br />
gibt« von Peter Lohauß, <strong>der</strong> ja auch <strong>ein</strong>e<br />
Lagebeschreibung <strong>der</strong> deutschen Parteienlandschaft<br />
war. Schließlich wird <strong>ein</strong> Abgesang angestimmt:<br />
»Ja,die grünrote R<strong>und</strong>schau aus <strong>der</strong><br />
Nachbarschaft wird fehlen, zumal <strong>der</strong> Blick stets<br />
über Deutschland hinaus gerichtet war, querwelt<strong>ein</strong><br />
...«<br />
Und Udo Scheer, freier Autor <strong>und</strong> Publizist<br />
aus Jena <strong>und</strong> langjähriger Mitarbeiter,schreibt<br />
am 14.2.: »Bei allem Beharrungsvermögen,<br />
auch ich finde (schweren Herzens),wenn nicht<br />
an<strong>der</strong>s möglich, besser <strong>ein</strong> Schnitt als <strong>ein</strong> quälendes<br />
Dahinschleppen. Wir müssen <strong>ein</strong>fach<br />
konstatieren,die Lese- <strong>und</strong> Diskussionsgewohn-<br />
Kommune 6/2012
AUSGANG<br />
heiten <strong>der</strong> Internetgeneration sind an<strong>der</strong>e, meist<br />
oberflächlich, verkürzt, dafür impulsiv <strong>und</strong><br />
weltweit schnell.Hier erfolgt <strong>ein</strong> medialer Umbruch,den<br />
alle Printmedien zu spüren bekommen.<br />
Wenn alles s<strong>ein</strong>e Zeit hat, war <strong>und</strong> ist die<br />
Kommune-Zeit <strong>ein</strong>e gute Zeit.«<br />
Kommune 6/2012<br />
Was uns an Bedauern <strong>und</strong> Enttäuschung<br />
über unsere Entscheidung in Gesprächen<br />
<strong>und</strong> Telefongesprächen erreichte, können wir<br />
schwerlich wie<strong>der</strong>geben. Stellvertretend hier<br />
jedoch weitere schriftliche <strong>Stimmen</strong> von Autoren,<br />
Lesern <strong>und</strong> Abonnenten. Wolfgang Groß<br />
schreibt am 15.10.: »... gerade habe ich mich<br />
mal wie<strong>der</strong> in <strong>der</strong> vorletzten Ausgabe festgelesen<br />
<strong>und</strong> kann es doch nicht wirklich glauben,<br />
dass es nur noch <strong>ein</strong>e Ausgabe geben soll. …<br />
Es ist schwer zu beschreiben, wie unglaublich<br />
viel Diskussionsstoff sie geliefert hat <strong>und</strong> ebenso<br />
viel Informationen politisch <strong>und</strong> auch beson<strong>der</strong>s<br />
kulturell – wie soll ich ohne die Kommune<br />
in Zukunft auskommen? Ich weiß es<br />
nicht, aber ich muss Ihnen allen danken für<br />
Ihr Engagement, Ihre tolle, unermüdliche Arbeit<br />
– das <strong>Ende</strong> <strong>der</strong> Kommune ist für mich <strong>ein</strong><br />
unersetzlicher Verlust.«<br />
»... mit Bedauern haben wir die ›<strong>Einstellung</strong>sverfügung‹<br />
gelesen. Schließlich haben wir<br />
die Dame im besten Erwachsenenalter kennen<br />
gelernt, als sie noch Forum Academicum hieß.<br />
Da mag man <strong>ein</strong>fach nicht glauben, dass <strong>ein</strong>en<br />
da schon Grabeskühle anweht !«, schreibt Jochen<br />
Henninger am 18.2. Und Achim Russer,<br />
unser gelegentlicher treuer Frankreich-Analytiker,<br />
ruft uns am 20.2. zu: »Nach den frohen<br />
Neujahrsgrüßen nun dieser herbe Schlag! Er<br />
hat mich erst <strong>ein</strong>mal sprachlos gemacht. Ehrlich<br />
gesagt stehe ich noch immer unter dem<br />
Schock. – Sicher, besser in Schönheit sterben<br />
als langsam dahinsiechen. Schade trotzdem<br />
um die Kommune, jammerschade. …«<br />
Achim Dresler schreibt am 14.5.: »... erst<br />
jetzt las ich in <strong>der</strong> Ausgabe 1/12 Euren angekündigten<br />
Abschied. … Als Abonnent <strong>der</strong> ersten<br />
St<strong>und</strong>e <strong>und</strong> mit dem alten Stallgeruch <strong>der</strong><br />
KBW-Ursprünge behaftet danke ich Euch für<br />
die intellektuelle Begleitung durch die Kommune,<br />
die ich in m<strong>ein</strong>er sächsischen Diaspora<br />
gerne genossen habe.«<br />
Markus Hesse, lehren<strong>der</strong> Stadtforscher <strong>und</strong><br />
in<strong>der</strong>SachehochkompetenterAutorin<strong>der</strong><br />
Kommune, schreibt am 10.6.: »Das ist schon<br />
sehr, sehr schade. (Und irgendwie <strong>ein</strong> Schocker.<br />
Wenn man mindestens 25 <strong>Jahre</strong> als Leser <strong>und</strong><br />
gelegentlicher Autor dabei war, geht <strong>ein</strong>em das<br />
auch persönlich nahe). An<strong>der</strong>erseits: Respekt<br />
für die Entscheidung! Das hat was. Finde ich –<br />
theoretisch – gut nachvollziehbar. Praktisch<br />
ist es nur schwer vorstellbar, dass es <strong>ein</strong>fach so<br />
aufhört ...«<br />
Eine unsere treuesten Mitarbeiterinnen,<br />
Uschi Eid, Afrika-Spezialistin <strong>der</strong> Bündnisgrünen,<br />
mailt uns am 12.12. nach ihrer letzten<br />
Nord-Süd-Kolumne: »Ich danke <strong>der</strong> Redaktion<br />
für all ihr Engagement, ihre Leidenschaft <strong>zur</strong><br />
Sache sowie Unterstützung <strong>und</strong> Geduld mit den<br />
Autoren … Etwas Wehmut schwingt natürlich<br />
mit, denn ich habe gerne die Kolumne geschrieben,<br />
da es immer wie<strong>der</strong> <strong>ein</strong>e kl<strong>ein</strong>e Herausfor<strong>der</strong>ung<br />
war <strong>ein</strong> Thema zu finden, das<br />
sonst nicht o<strong>der</strong> ganz an<strong>der</strong>s behandelt wurde.<br />
Natürlich kam mir auch die Frage ›wer liest das?‹,<br />
zumal ich in letzter Zeit k<strong>ein</strong>e Rückmeldungen<br />
mehr von Leserinnen/Lesern erhielt.«<br />
Wolfgang Schlott, Osteuropahistoriker <strong>und</strong><br />
Mitarbeiter an <strong>der</strong> Forschungsstelle Osteuropa<br />
in Bremen, summiert am 27.8. mit <strong>ein</strong>em latenten<br />
Auftrag für die Zukunft: »Ihr habt in diesem<br />
Zeitraum <strong>ein</strong>en Wandlungsprozess durchlaufen,<br />
<strong>der</strong> sich im Inhalt <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Gestaltung<br />
nie<strong>der</strong>schlägt. Lei<strong>der</strong> seid Ihr nunmehr<br />
mit <strong>ein</strong>er Generation von 20- <strong>und</strong> <strong>30</strong>-Jährigen<br />
konfrontiert, die sich an<strong>der</strong>er Kommunikationsweisen<br />
bedient. Über diesen Wandel lohnt es<br />
sich nachzudenken.«<br />
Denn tatsächlich ist das alles auch <strong>ein</strong>e Generationenfrage<br />
<strong>und</strong> führt zu mancher Bilanzierung.<br />
Ronald Voullié, Übersetzer aus dem<br />
Französischen <strong>und</strong> Englischen (dem die Redaktion<br />
so manche f<strong>ein</strong>e Übersetzung zu verdanken<br />
hat) gibt am 7.9. zu bedenken: »Dass die<br />
Kommune das Handtuch werfen muss, ist wirklich<br />
schade, <strong>und</strong> ich hätte es nicht gedacht. Vor<br />
<strong>ein</strong>igen <strong>Jahre</strong>n war ich auf <strong>ein</strong>er Art von erweitertem<br />
Klassentreffen.Der Einzige,<strong>der</strong> wusste,<br />
was ich mache,war ›Vozi‹ aus unserer Parallelklasse,<strong>der</strong><br />
damals immer etwas unterbelichtet<br />
wirkte. Heute ist er Apotheker in Bremen-Walle<br />
<strong>und</strong> hat die Kommune abonniert, in <strong>der</strong> ihm<br />
m<strong>ein</strong> Name aufgefallen war.Da hab ich mir ge-<br />
dacht,Mensch,guck mal an,wenn die Kommune<br />
selbst in solchen Kreisen gelesen wird, kann es<br />
ihr nicht schlecht gehen ... Mit 60, nach 150 größeren<br />
Übersetzungen in <strong>30</strong> <strong>Jahre</strong>n frage ich mich<br />
manchmal auch,ob unser<strong>ein</strong>s aus <strong>der</strong> ›mo<strong>der</strong>nen<br />
Welt‹ rausgefallen ist.Ob all die Arbeit <strong>ein</strong>e<br />
Wirkung gehabt hat, ist zweifelhaft, aber dafür<br />
stehe ich zwar nicht mit <strong>ein</strong>em B<strong>ein</strong> im Grab,<br />
aber dafür immer <strong>ein</strong>en Schritt vor Hartz IV ...«<br />
Während Michael Buselmeier herablassend<br />
von <strong>der</strong> Kommune als von »Statistiken<br />
durchsetzt« sprach, waren wir als Redaktion<br />
über <strong>Jahre</strong> dankbar für die »Nachgezählt«- Kolumne<br />
des in Berlin forschenden Statistikers <strong>und</strong><br />
Publizisten Peter Lohauß. Wer s<strong>ein</strong>e Kolumne<br />
regelmäßig las, war nicht nur in <strong>der</strong> jeweiligen<br />
Sache für manche Diskussion gewappnet, ihr<br />
Gehalt war im besten Sinne vom Geist nachdenklicher<br />
Interpretation <strong>und</strong> Aufklärung geprägt.<br />
Er schreibt am 11.3.:<br />
257
AUSGANG<br />
258<br />
»Tatsächlich war ich schon länger dankbar<br />
für jede Nummer dieser besten Zeitschrift <strong>der</strong><br />
Welt, <strong>der</strong>en fortdauerndes Ersch<strong>ein</strong>en immer<br />
mehr ans W<strong>und</strong>erbare grenzte. … Das Erreichen<br />
des <strong>30</strong>. Jahrgangs zeugt doch davon, dass<br />
hier nicht nur <strong>ein</strong>e Tradition verwaltet wurde,<br />
son<strong>der</strong>n dass die Kommune gut, wichtig <strong>und</strong><br />
wirksam ist.Aber wohl nicht in <strong>der</strong> Lage,ihren<br />
Leserkreis zu verjüngen <strong>und</strong> auszudehnen.<br />
Vom Medium her müsste man dafür ins Internet<br />
(wie alle an<strong>der</strong>en Publikationen auch) mit<br />
dennoch unsicherer Zukunft. Der alte Leserstamm<br />
würde da vermutlich nicht mitkommen,<br />
ob <strong>ein</strong> neuer zu gewinnen wäre, steht auch dahin.<br />
Was gerade an <strong>der</strong> Kommune zu schätzen<br />
ist: <strong>der</strong> Versuch, <strong>ein</strong>en politisch-kulturellen Diskurs<br />
auch theoretisch zu f<strong>und</strong>ieren, hat generell<br />
wenig Publikum.Wir gehen ja gerade nicht<br />
daran <strong>ein</strong>, dass die Leserschaft zu übermächtigen<br />
Konkurrenzblättern abwan<strong>der</strong>t. Euch in<br />
<strong>der</strong> Redaktion gebührt schon das Verdienst,<br />
diesbezüglich das beste Blatt Deutschlands zu<br />
machen.<br />
Was ich außerhalb <strong>der</strong> Kommune an Interessantem<br />
<strong>und</strong> Anregendem finde, ist sehr zerstreut<br />
<strong>und</strong> in den letzten <strong>Jahre</strong>n immer häufiger<br />
in internationalen Blättern. …<br />
Für die heroische Haltung, nicht langsam<br />
abzunippeln, son<strong>der</strong>n noch <strong>ein</strong>en phantastischen<br />
<strong>30</strong>. Jahrgang hinzulegen, m<strong>ein</strong>en tief<br />
empf<strong>und</strong>enen Dank an Euch.«<br />
Nenad Stefanov, Fre<strong>und</strong> des Hauses <strong>und</strong><br />
Kollege ehemals in Frankfurt, heute Osteuropahistoriker<br />
in Berlin <strong>und</strong> <strong>ein</strong>er unserer<br />
jüngeren Autoren, schreibt am 22.3.: »Die Nachricht<br />
hat mich traurig gemacht: gerade in <strong>der</strong><br />
letzten Zeit war die Kommune für mich <strong>ein</strong>e<br />
wichtige Orientierungsmöglichkeit in <strong>der</strong> ganzen<br />
Debatte über Europa, Bankenkrise/Staatschuldenkrise,<br />
jenseits flotter Tagesberichterstattung<br />
mit vielen Seifenblasen <strong>und</strong> wissenschaftlichem<br />
in den Bart Gemurmel auf Phoenix<br />
<strong>und</strong> angrenzenden Zeitschriften. In m<strong>ein</strong>er<br />
Wahrnehmung droht <strong>ein</strong>e riesige Leerstelle,<br />
zwischen schlecht professionellem Journalismus<br />
<strong>und</strong> bescheuklappter Wissenschaftlichkeit,<br />
wenn es tatsächlich k<strong>ein</strong>e Kommune mehr geben<br />
sollte. – Gibt es denn k<strong>ein</strong>e an<strong>der</strong>e Variante,<br />
in <strong>der</strong> ihr weiter arbeiten würdet? …«<br />
Diese Frage wurde in vielfältiger Weise an<br />
uns gerichtet. Auch unser Autor Ralph Graf<br />
stellt sie ins Zentrum s<strong>ein</strong>er Würdigung (vom<br />
20.9.12): »Eure wohlüberlegte Entscheidung<br />
ist nachvollziehbar <strong>und</strong> auch Ausdruck von<br />
Souveränität. … Dennoch frage ich mich, ob<br />
es nicht doch lockere Formen <strong>der</strong> Fortsetzung<br />
geben könnte. Zum Beispiel wäre <strong>ein</strong>e Diskussionsplattform<br />
auf eurer Homepage denkbar,<br />
auf <strong>der</strong> man unter zwei, drei Rubriken (Politik,<br />
Der Dank <strong>der</strong> Redaktion geht an:<br />
Assoziation e. V. mit den Vorstandsmitglie<strong>der</strong>n<br />
Franz Dick, Martina Klaus, Gert Turk, Willi Pressmar,<br />
Bernd Wagner<br />
Jutta Deny (ehemals Aboverwaltung)<br />
Hildegard Gräber, Caro-Satz<br />
Marianne Gräber, Caro-Satz<br />
die »Hausfotografen«: Ilja C. Hendel, Markus Kirchgeßner,<br />
Beate Moser, Hans-Jürgen Serwe<br />
Gerd H<strong>ein</strong>emann, unseren früheren Mit-Redakteur<br />
<strong>und</strong> dann bis heute Geschäftsführer <strong>und</strong> treuer<br />
Berater <strong>und</strong> Organisator<br />
die Herausgeber Michael Ackermann, Franz Dick,<br />
Cornelia Falter (Walther), Annette Mönich, Annemarie<br />
Nikolaus, Günter Schabram, Joscha Schmierer,<br />
Thomas Siegner, Herbert Sörje, Bernd Wagner, Jürgen<br />
Walla, die uns haben schalten <strong>und</strong> walten lassen<br />
trotz mancher unserer Schwächen<br />
Jutta Maixner für jahrelange unermüdliche Unterstützung<br />
im Alltag<br />
die ehemaligen <strong>und</strong> zwischenzeitlichen Redakteurinnen<br />
<strong>und</strong> Redakteure Friedemann Bleicher, Michael<br />
Blum, Cornelia Falter, Marlies Ibrahim-Knoke,<br />
Krisztina Koenen, Theo Mehlen, Dunja Melcic<br />
Karin R<strong>ein</strong>hard-Hirschel, Korrektorin bis zuletzt<br />
Wolfgang Röckel, »Häuptling flinke Pfote«, <strong>der</strong> uns<br />
von <strong>der</strong> <strong>ein</strong>stigen Manuskript-Erfassung bis <strong>zur</strong><br />
heutigen Ausführung <strong>der</strong> Korrekturen über die<br />
Jahrzehnte begleitet hat<br />
Joscha Schmierer, den Mitgrün<strong>der</strong> <strong>und</strong> ersten verantwortlichen<br />
Redakteur, <strong>der</strong> s<strong>ein</strong>en Nachfolgern<br />
vertraute <strong>und</strong> auf den wir immer bauen konnten<br />
Metti Schönknecht, Caro-Druck<br />
Inge Strietzel, Aboverwaltung<br />
Peter Schughart, früherer Korrektor<br />
Gerti Schumann, Caro-Druck<br />
Klaus Sutor, den Mann des Drucks bei Caro-Druck<br />
Jochen Vielhauer, Meister <strong>der</strong> Programme, Computer,<br />
eigener Software (Aboverwaltung) <strong>und</strong> Helfer in<br />
vielen digitalen Notlagen<br />
… <strong>und</strong> an viele, die wir im Einzelnen nicht alle erwähnen<br />
können.<br />
*<br />
Auch dieses letzte Heft ist dem Andenken an unseren<br />
am 19. September 2012 verstorbenen Genossen,<br />
Herausgeber <strong>und</strong> mit Herz <strong>und</strong> Kopf immer engagierten<br />
Fre<strong>und</strong> Bernd Wagner gewidmet.<br />
Ökonomie, Kultur etwa) Diskussionsbeiträge<br />
<strong>und</strong> Kommentare zu aktuellen Themen posten<br />
könnte. Natürlich muss auch das kontrolliert<br />
<strong>und</strong> mo<strong>der</strong>iert werden, aber ich stelle mir das<br />
weniger zeitaufwändig <strong>und</strong> kraftraubend vor<br />
als das bisherige Zeitschriftenprojekt. Damit<br />
würde die Kommune nicht bloß als Zeitschriftenarchiv<br />
weiter bestehen, son<strong>der</strong>n eben auch<br />
als Internetplattform, die Stellungnahmen <strong>und</strong><br />
Diskussionen ermöglicht. Und f<strong>und</strong>ierte Diskussionsforen<br />
sind im <strong>Net</strong>z nun wahrlich eher<br />
Mangelware. Ein politischer Diskussionszusammenhang<br />
nicht nur für die Autoren <strong>und</strong> Autorinnen<br />
<strong>der</strong> Kommune wäre doch <strong>ein</strong> interessantes<br />
Angebot,das sich vielleicht zu <strong>ein</strong>er festen<br />
Größe im <strong>Net</strong>z weiterentwickeln könnte.<br />
Es gäbe k<strong>ein</strong>en Zeit- <strong>und</strong> Termindruck, man<br />
könnte das also recht entspannt angehen, <strong>und</strong><br />
wenn sich nach <strong>ein</strong>igen Monaten doch kaum<br />
Resonanz zeigen sollte, wäre das k<strong>ein</strong> B<strong>ein</strong>bruch.<br />
… Wie gesagt, es geht nicht um <strong>ein</strong>en<br />
großen Wurf, <strong>ein</strong> neues großes Projekt, son<strong>der</strong>n<br />
um <strong>ein</strong>e lockere Form <strong>der</strong> Fortsetzung <strong>ein</strong>es<br />
bewährten Diskussionszusammenhangs.«<br />
Kritisch aufweckend gewendet schreibt uns<br />
Michael Jäger, unser langjähriger Autor<br />
<strong>und</strong> Redakteur <strong>und</strong> Mitarbeiter beim Freitag<br />
am 16.11.: »... schon lange habe ich mir vorgenommen,<br />
gegen das Editorial ›Das dreißigste<br />
Jahr‹ ausdrücklich m<strong>ein</strong>en Einwand zu erheben,<br />
obwohl ich natürlich weiß, dass es nichts<br />
nützt, nur <strong>ein</strong>e ohnmächtige Geste ist. Hier ist<br />
<strong>der</strong> Einwand. Ihr sprecht von den ›Wurzeln in<br />
den rebellischen Bewegungen‹ <strong>und</strong> fahrt dann<br />
fort: ›Diese Prägung durch <strong>ein</strong>e politische Generation<br />
ist sicher die Stärke, auf Dauer aber<br />
auch <strong>ein</strong>e Schwäche <strong>der</strong> Kommune.‹<br />
Bei diesem Abgleich von Stärke <strong>und</strong> Schwäche<br />
habt Ihr wahrsch<strong>ein</strong>lich mehr an die Generation<br />
im biologischen Sinn gedacht, dass<br />
sie nämlich immer älter wird,irgendwann den<br />
Anschluss an die Denk- <strong>und</strong> Fühlweise jüngerer<br />
Menschen verliert <strong>und</strong> diese dann auch<br />
nichts mehr mit <strong>der</strong> von Älteren gemachten<br />
Zeitschrift anfangen können, als an die Prägung.<br />
Ich m<strong>ein</strong>e, wenn man von <strong>der</strong> Prägung<br />
ausginge, könnte man den Satz auch umkehren:<br />
›Diese Prägung ist sicher <strong>ein</strong>e Schwäche,<br />
es kommen aber Zeiten, wo sie wie<strong>der</strong> <strong>zur</strong> Stärke<br />
wird.‹ Wenn nämlich neue rebellische Bewegungen<br />
aufkommen –wiehier <strong>und</strong> jetzt.Istes<br />
dann nicht sinnvoll <strong>und</strong> notwendig, <strong>ein</strong>en Bogen<br />
zwischen den Zeiten zu schlagen? Könnte<br />
esdanichtdochnoch<strong>und</strong>jetzt erst zum Gespräch<br />
zwischen den Generationen kommen?<br />
Sind die Erfahrungen <strong>der</strong> Älteren für die Jüngeren<br />
etwa ganz nutzlos? Ich glaube das nicht.<br />
Deshalb, wenn ich Einfluss auf die Geschicke<br />
<strong>der</strong> Zeitschrift hätte,würde ich wohl ihre Form<br />
verän<strong>der</strong>n – denn die Hochglanz-Kommune<br />
des letzten Jahrzehnts ist sicher etwas an<strong>der</strong>es<br />
als die äußere Form, in <strong>der</strong> sich <strong>ein</strong>e Weitergabe<br />
rebellischer Erfahrung sichtbar machen<br />
möchte –, nicht aber, ausgerechnet in <strong>ein</strong>em<br />
solchen historischen Moment, ihre Existenz<br />
beenden …«<br />
So zeichnet sich also mit vielen <strong>Stimmen</strong> ab,<br />
dass es auf <strong>der</strong> Mitarbeiter- <strong>und</strong> Autorenkonferenz<br />
am 9. März in Frankfurt unter dem Motto<br />
»Was nun?« <strong>ein</strong>iges zu diskutieren gibt. Auch<br />
das registrieren wir mit Dankbarkeit.<br />
Kommune 6/2012