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Das Theatrum Europaeum - Digitale Sammlungen

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Bibliographische Angaben<br />

(Druckvorlage / digitale Fassung):<br />

Autor: Bingel, Hermann<br />

Titel: <strong>Das</strong> <strong>Theatrum</strong> <strong>Europaeum</strong>.<br />

Titelzusatz: Ein Beitrag zur Publizistik des 17. und 18. Jahrhunderts<br />

Ausgabe: Neudruck der Ausgabe 1909 (Verlag Matthiesen, Lübeck)<br />

Ort: Schaan/Liechtenstein<br />

Verlag: Sändig<br />

Jahr: 1982<br />

Signatur: Universitätsbibliothek Augsburg, 01/AP 29700 T 374<br />

<strong>Digitale</strong> Fassung erstellt am: 22.08.2001<br />

Bemerkungen:<br />

Volltextfassung im Format Adobe Acrobat pdf gibt die gedruckte Textvorlage in<br />

Orthographie und Seitenumbruch (nicht Zeilenumbruch) originalgetreu wieder.<br />

Hinweis: Vorlage enthält vielfach unterschiedliche Schreibweisen, Zitate aus den<br />

historischen Vorlagen sind nicht konsequent durch Anführungszeichen<br />

gekennzeichnet.


Von<br />

Hermann Bingel<br />

<strong>Das</strong> <strong>Theatrum</strong> <strong>Europaeum</strong><br />

ein Beitrag zur<br />

Publizistik des 17. und 18. Jahrhunderts


(Münchener Inaugural-Dissertation)<br />

[1909]


Literaturverzeichnis<br />

[-5-]<br />

Prutz, Geschichte des deutschen Journalismus 1843<br />

I. Opel, Anfänge der deutschen Zeitungspresse, im Archiv f. Gesch. d. deutschen<br />

Buchhandels 1879<br />

F. Stieve, Ueber die ältesten halbjährigen Zeitungen oder Meßrelationen, in den Abh. d.<br />

Kön. Bayr. Ak. d. Wiss. I Abt. Bd. XVI, 1881<br />

G. Droysen, Arlanibaeus Godofredus Abelinus, Habilitat.-Schrift, 1864<br />

A. Lersner, Chronik der Stadt Frankfurt a. Main<br />

Kirchner, Geschichte von Frankfurt a. Main<br />

M. Hertz, Bibliotheca germanica, 1679<br />

I. H. Boecler, Historia Universalis 1680<br />

I. G. Sulpicius, De Studio juris Publici recte instituendo 1700<br />

Ch. Gryphius, de scriptoribus Sec. XVII 1710<br />

Hübner, Hamburger Bibliotheca historica 1725<br />

Joecher-Adelung, Allgemeines Gelehrtenlexikon 1750<br />

Zedler, Universal-Lexikon<br />

F. W. Strieder, Hessische Gelehrte<br />

Baumgarten, Nachrichten von merkwürdigen Büchern 1753<br />

Iugler, Bibliotheca hist. litt. selecta 1754<br />

Struve, Bibliotheca historica 1802.


Uebersichts-Tabelle<br />

[-6-]<br />

Verfasser Zeit Editionen Benutzte Ausgabe<br />

I. J. Ph. Abelinus 1618 - 1628 1645, 1643, 1662 1662<br />

II. ders. 1620 - 1632 1633, 1637, 1646,<br />

1679<br />

1679<br />

III. H. Oraeus 1633 - 1638 1639, 1644, 1670 1670<br />

IV. ders. 1639 - 1642 1643, 1648, 1692 1692<br />

V. J. P. Lotichius 1643 - Juni 1647 1647, 1651, 1707 1707<br />

VI. J. G. Schleder Juli 1647 - 1650 1652, 1663 1652<br />

VII. ders. 1651 - März 1657 1663, 1685 1663<br />

VIII. M. Meyer April 1657 - Mai<br />

1660<br />

1667, 1693 1667<br />

IX. ders. Juni 1660 - 1665 1672, 1699 1672<br />

X. W. J. Geiger 1665 - 1671 1677, 1703 1677<br />

XI. Anonymus 1672 - 1678/79 1682 1682<br />

XII. Anonymus 1679 - 1686 1691 1691<br />

XIII. ders. 1687 - 1690 1698 1698<br />

XIV. ders. 1691 - 1695 1702 1702<br />

XV. ders. 1696 - 1700 1707 1707<br />

XVI. D. Schneider 1701 - 1703 1717 1717<br />

XVII. ders. 1704 - 1706 1718 1718<br />

XVIII. ders. 1707 - 1709 1720 1720<br />

XIX. ders. 1710 - 1712 1723 1723<br />

XX. ders. 1713 - 1715 1734 1734<br />

XXI. ders. 1716 - 1718 1738 1738


[Einleitung]<br />

[- 7 - ]<br />

<strong>Das</strong> <strong>Theatrum</strong> <strong>Europaeum</strong> beschreibt in 21 Bänden die denkwürdigen Geschichten<br />

eines Jahrhunderts (1618—1718). Die Ausgabe seiner einzelnen Teile erstreckt sich über die<br />

Jahre 1633—1738. Eine unvollständige Uebersicht gibt Struve. Die hier vorausgeschickte<br />

Tabelle ist nach den auf der Münchener Staats- und der Universitätsbibliothek sowie in der<br />

Wormser Paulus-Bibliothek vorhandenen Exemplaren gebildet. Die Neuauflagen sind im<br />

großen und ganzen einfache Abdrücke der ersten Edition. <strong>Das</strong> Werk, das in verschiedenen<br />

Frankfurter Druckereien unter die Presse kam, erscheint bei der weitberühmten Buch- und<br />

Kunsthandlung Merian. Drei Generationen dieser Familie sind mit Eifer und Erfolg an der<br />

Herausgabe tätig. Eine Urenkelin des Matthäus Merian, des Stammvaters der<br />

Künstlerfamilie, verheiratet sich mit dem churbrandenburgischen Architekten Eosander von<br />

Göthe, der das gesamte Merianische Vermögen ererbt und durchbringt. Der Verlag Merian<br />

findet so ein wenig rühmliches Ende. Der letzte Band des <strong>Theatrum</strong> besitzt überhaupt keine<br />

Verlagsangabe mehr.<br />

Versuch einer Stoffgliederung.<br />

In seinen 21 bis zu 1500 Seiten starken Folianten hat das <strong>Theatrum</strong> <strong>Europaeum</strong> eine<br />

ungeheuere Stoffmasse aufgespeichert. Wenn wir diese gewaltige Menge des Materials einer<br />

Betrachtung unterziehen wollen, verlangen wir nach einer Stoffeinteilung, die, indem sie<br />

Gleichartiges in gleiche


-8-<br />

Abteilungen eingliedert, die Mannigfaltigkeit verringert und so einen<br />

beherrschenden Ueberblick ermöglicht. Anhaltspunkte zu einer solchen<br />

Stoffgliederung können wir aus den von den Autoren des <strong>Theatrum</strong><br />

beobachteten Ordnungsverfahren gewinnen. Schon Abelinus stellt einen<br />

gewissen Teil des beigebrachten Materials an den Schluß eines jeden<br />

Jahres, und die in der letzten Hälfte der gesamten Bände fest ausgebildete<br />

Rubrikeneinteilung faßt den nämlichen Stoff in etwa neun besonders<br />

numerierten Abteilungen zusammen. Die Verfasser haben offenbar das<br />

Empfinden, daß es sich um eine besondere Stoffgattung handelt, die sich<br />

vom übrigen scheiden läßt. Die Dinge, um die es sich hier handelt,<br />

machen die Ueberschriften der Rubriken namhaft. Es werden genannt:<br />

„Todts-Fälle unterschiedlicher hoher und vornehmer Stands-Personen<br />

oder sonst berühmter Leute, hohe Geburten und Kind-Tauffen an einem<br />

und andern Königl. oder Fürstl. Hofe, Duelle und greuliche Mord-,<br />

Diebs- und andere dergleichen Schand- und Laster-Thaten, schädliche<br />

Feuers-Brünste, schädliche Ergießungen der Wasser und Ströhme,<br />

grausame Sturmwinde zur See und auff dem Lande wie auch<br />

erschreckliche Erdbeben, schädliche Donner- und Hagel-Wetter,<br />

wunderbare Geschichten, Omina, Portenta und Zeichen in der Lufft und<br />

auff Erden”, endlich finden wir, da diese Geschichten sich über die<br />

verschiedensten Gebiete und Gegenstände erstrecken und sich deshalb<br />

nicht alle namhaft machen lassen, noch eine „Klasse” für sonderbare<br />

Geschichten und Fälle überhaupt. Wenn wir nach einem allen diesen<br />

Erzählungen gemeinsamen, charakteristischen Merkmale suchen, so<br />

können wir sagen, es handelt sich hier um das, was den üblichen Lauf der<br />

Natur und des gewöhnlichen Menschenlebens überschreitet, um<br />

außerordentliche, wunderbare und herrliche oder schädliche und<br />

gräßliche Ereignisse. Bei der Ausmalung der durch die soeben genannten<br />

Adjektive zum Ausdruck kommenden Eigenschaften trägt die<br />

schriftstelle-


-9-<br />

rische Manier dieser Erzählungen recht grelle Farben auf. Mit der<br />

Aufnahme dieses Stoffes in das <strong>Theatrum</strong> wird dem absonderlichen<br />

Qeschmacke jener Zeit Rechnung getragen, wenn wir auch nicht<br />

übersehen dürfen, daß bis in die Gegenwart derartiges Material immer<br />

noch manche Spalte unserer Zeitungen füllen hilft. Wenn wir nun diese<br />

Stoffgattung von dem Gesichtspunkt aus betrachten, daß sie der<br />

Ergötzung des Lesers dienen soll, so läßt sich vielleicht dafür der<br />

Ausdruck Unterhaltungsstoff gebrauchen, den wir der Kürze halber im<br />

folgenden als Schlagwort beibehalten wollen. Was nach Abzug des<br />

Unterhaltungsstoffes übrig bleibt, das sind die eigentlich denkwürdigen<br />

Geschichten, die von den Haupt- und Staatsaktionen berichten. Hier<br />

handelt es sich um Ereignisse von umfassender und bleibender<br />

Bedeutung, die die großen Religions-, Staats- und Kriegsparteien zum<br />

Mittelpunkt haben, dort aber um Dinge, die sich vornehmlich nur um<br />

einzelne Personen oder um kleine Gemeinschaften abspielen, die meist<br />

von lokal beschränktem Einfluß sind und die in den großen<br />

Oeschichtsverlauf nicht merklich eingreifen. Neben den<br />

Unterhallungsstoff tritt also der eigentliche Geschichtsstoff. Der letztere<br />

besteht wieder aus zwei verschiedenen Gruppen, deren Scheidung<br />

bisweilen von den Autoren erstrebt wird. Gelegentlich wird diese<br />

Verschiedenartigkeit damit erklärt, daß die Verfasser auf die beiden<br />

Gebiete aufmerksam machen, auf denen in jenen kriegerischen Zeiten<br />

vornehmlich das politische Leben sich abspielte. Ehe man zum Degen<br />

griff, wurde meist zuvor ein langer Kampf mit der Feder geführt. Die<br />

Berichte über die Geschehnisse bei diesem Waffen- und Federstreit<br />

liegen den Autoren in verschiedener äußerer Gestalt vor. Von den<br />

kriegerischen Ereignissen erhält man aus erzählenden Relationen, die von<br />

den Autoren des <strong>Theatrum</strong> beliebig umgearbeitet werden können, Kunde.<br />

Bei den Zwistigkeiten, die mit Feder und Tinte ausgetragen werden,<br />

ergeben sich Schriftstücke, die durch einen be-


-10-<br />

sonderen Stil gekennzeichnet sind und eine feste Form bewahren; es sind<br />

Akten und Urkunden aller Art. Indem der Kompilator die Berichte in<br />

erzählender Gestaltung zusammenstellt, ohne ihren Zusammenhang<br />

durch Einreihung von Aktenstücken allzuviel zu unterbrechen, tritt von<br />

selbst das Aktenmateriaf zu größeren Gruppen zusammen. Wir können<br />

von dieser Gliederung des Geschichtsstoffes Gebrauch machen, wenn wir<br />

beobachten wollen, wie die einzelnen Autoren neben dem erzählenden<br />

Stoff der sogenannten Schriftwechslung größeren oder geringeren Raum<br />

zuweisen. Diese Frage ist deshalb von Interesse, weil wir aus jener Zeit<br />

<strong>Sammlungen</strong> besitzen, die ausschließlich Acta publica zusammenzutragen<br />

sich zur Aufgabe gemacht haben. Wir halten also im folgenden<br />

fest an einer Zweiteilung des Stoffs in Unterhaltungs- und<br />

Geschichtsstoff, wovon der letztere noch in erzählendes und urkundliches<br />

Material geschieden werden kann.<br />

Godofredus sive Abelinus.<br />

Am 22. September 1593 wurde Matthäus Merian (Allg. D. Biogr.)<br />

zu Basel als Sohn eines Ratsherrn geboren. Der Vater war in der Lage,<br />

den künstlerischen Anlagen seines Sohnes eine angemessene Ausbildung<br />

zuteil werden zu lassen. Matthäus Merian legte bei dem Züricher<br />

Ratsherrn und Kupferstecher Dietrich Meyer „die ersten Fundamente”<br />

seiner Kunst (Widmung des V. Teils der Chronik Gottfrieds). Bald erhielt<br />

er Aufträge, die ihn nach Frankreich zogen, wo er sich mit dem<br />

Kupferstecher Jaques Callot befreundete. Auf Reisen kam er nach<br />

Frankfurt am Main und lernte daselbst seine Frau, die Tochter des<br />

Kupferstechers de Bry, kennen, dessen Kunst- und Buchhandlung er<br />

ererbte. Als Verleger (seit 1624) gab Merian eine Reihe medizinischer,


-11-<br />

topographischer und historischer Bücher heraus, die er selbst mit<br />

Kupferstichen ausschmückte. (Vorrede zu Band l.) Unter den<br />

Geschichtswerken lenkt zunächst die von 1629 bis 1634 in acht Teilen<br />

nach und nach erscheinende Chronik, die die Ereignisse „vom Anfang<br />

der Welt biß auff unsere Zeitten” behandelt, unsere Aufmerksamkeit auf<br />

sich. Zusammengetragen und in Ordnung gebracht ist dieses Werk von<br />

Johann Ludwig Gottfried. <strong>Das</strong> letzte Jahr der historischen Chronik (1618)<br />

ist schon das Anfangsjahr des ersten Bandes des <strong>Theatrum</strong> <strong>Europaeum</strong>.<br />

Am Schluß der Chronik finden wir sogar eine Bemerkung, die den<br />

günstigen Leser, der sich für die Geschichten dieses und der folgenden<br />

Jahre näher interessiert, „auff unser Historisches Werck, so wie unter<br />

dem Titul Theatri Europei mit ehistem geliebts Gott auch an's Liecht<br />

zubringen vorhabens seyn”, verweist. Der I. Band des <strong>Theatrum</strong> erscheint<br />

(1635) nicht wieder unter dem Namen Joh. Ludwig Gottfrieds, sondern<br />

nennt als Verfasser Johann Philipp Abelinus. In seiner Schrift<br />

„Arlanibaeus. Godofredus. Abelinus” hat Droysen erwiesen, daß unter<br />

diesen drei Namen sich der gleiche Autor verberge. Droysen knüpft an<br />

die Tradition an, die zum größten Teil in offensichtlicher Abhängigkeit<br />

von Gryphius behauptet:<br />

“Johan. Ludovicus Gothofredus vel potius Johan. Philipp Abelinus.” Für<br />

uns kommt vornehmlich das in Betracht, was Droysen in dem „De<br />

auctore” betitelten letzten Abschnitt seiner Schrift für die Gleichheit des<br />

Verfassers der historischen Chronik und des Autors des <strong>Theatrum</strong><br />

<strong>Europaeum</strong> Bd. I und II ins Feld führt. Hierfür weist Droysen zunächst<br />

darauf hin, daß ihre Werke bei den gleichen Druckern und in demselben<br />

Verlag Merian erschienen sind. Wir dürfen indessen annehmen, daß bei<br />

der Wahl des Druckers in Betracht kam, wer wenig mit Arbeit belastet<br />

war und eine schnelle Lieferung versprechen konnte. So sagt z. B. der<br />

Autor des XI. Bandes, daß mit der Abfassung seines Werkes sehr geeilt<br />

worden sei, „und, ehe noch die


-12-<br />

Feder solche gäntzlichen vollbracht, in unterschiedlichen Officinen der<br />

Truck angelegt” worden sei. So wenig der Verlag an einen Drucker, so<br />

wenig fühlten sich die Kompilatoren zu jener Zeit an einen Verlag<br />

gebunden. Außer bei Merian arbeitet Abelinus, was Droysen auch bei<br />

seiner Quellenuntersuchung entgangen zu sein scheint, gleichzeitig für S.<br />

Latome am Mercurius Gallo-Belgicus. Ebenso kompiliert Schieder für<br />

Merian und für Latome, und M. Meyer arbeitet für Serlin und Merian.<br />

Auch die scheinbar so unzweideutigen wechselseitigen Verweise der<br />

historischen Chronik und des <strong>Theatrum</strong> haben keine zwingende<br />

Beweiskraft für die Identität Gottfrieds und Abelins. Droysen führt nur<br />

einen dieser Hinweise an, nämlich den am Schluß der Chronik, wo es<br />

etwa heißt: „wir wollen den günstigen Leser auff unser Historisches<br />

Werck, so wie unter dem Titui Theatri Europaei bereits an das Liecht<br />

kommen lassen, verwiesen haben.” In der ersten Ausgabe der Chronik<br />

von 1634 aber lauten die letzten Worte noch: „mit ehistem ge-liebts Gott<br />

ans Liecht zu bringen vorhabens seyn, verwiesen haben”. Diese Stelle ist<br />

also einer Wandelbarkeit unterworfen. Dazu ist sie in der ersten Ausgabe<br />

weit kleiner als der vorausgehende Text der Chronik gedruckt. Sie dürfte<br />

danach vielleicht eher als Anmerkung des Verlegers aufzufassen sein,<br />

zumal der Ausdruck „an das Liecht kommen lassen” besser für den<br />

Herausgeber als den Autor paßt. Aehnlich verhält es sich mit dem Anfang<br />

des I. Bandes des <strong>Theatrum</strong> in der Ausgabe von 1662, wo<br />

verschiedentlich von „unserm Buch Monarchia” die Rede ist. Gemeint ist<br />

damit die nach Monarchien eingeteilte Chronik. Allein in der ersten<br />

Ausgabe von Band I (1635) steht eine ganz andere Einleitung, die diese<br />

Verweise nicht hat. Nun teilt uns Merian in einer Vorrede zur zweiten<br />

Ausgabe des II. Bandes (1637) mit, daß Abelin bereits verstorben sei.<br />

Demnach kann die spätere und neue Einleitung zum I. Bande nicht aus<br />

der Feder Abelins stammen und daher dürfen auch


-13-<br />

die dortigen Hinweise nicht zur Identifizierung Gottfrieds und Abelins<br />

verwertet werden. Allein im achten und letzten Teile der Chronik wird<br />

noch an etlichen Stellen, die ohne Zweifel der Hand Gottfrieds<br />

entstammen (ed. 1634, S. 210, 259 und 270), auf das <strong>Theatrum</strong> Bezug<br />

genommen. Da heißt es z. B.: „Wie solches alles in unserer<br />

Historischen Beschreibung, so wir von dieser Unruh angefangen und<br />

durch die folgende Jahr continuirt, weittläuftiger zu finden.” Aber selbst<br />

die Beweiskraft, die dieser Stelle eigen zu sein scheint, bedarf der<br />

Einschränkung. Man muß nämlich beachten, wie Verleger und Verfasser<br />

im <strong>Theatrum</strong> von den einzelnen Bänden reden. Merian spricht stets von<br />

„unserem historischen Werk”, einmal sogar von „dieser meiner<br />

Historischen Chronik Continuation”. Ebenso verweisen die Autoren<br />

einfach auf die einzelnen Teile „dieser unserer Europäischen Histori-<br />

Beschreibung” und dergl. Ist also bei Beachtung dieses Sprachgebrauchs<br />

auf den ersten Teil des oben zitierten Satzes kein Wert zu legen, so ist<br />

doch der zweiten Hälfte einige Beweiskraft für die Gleichsetzung Abelins<br />

und Gottfrieds nicht abzusprechen. Indessen findet die Identifizierung<br />

beider von anderen Gesichtspunkten aus ihre Bestätigung. Obschon die<br />

Tätigkeit der Kompilatoren in der Hauptsache in einem Aneinanderreihen<br />

der einzelnen Quellen besteht, so tragen doch ihre Arbeiten, in mancher<br />

Hinsicht eine persönliche Prägung. <strong>Das</strong> Hervortreten persönlicher<br />

Auffassung des Kompilators kommt vornehmlich in zwei Punkten zur<br />

Geltung: einmal in der Art, wie er sich die Anordnung des wirr<br />

vorliegenden Quellenmaterials ausdenkt, und dann, wie gelegentlich<br />

seine politischen und religiösen Anschauungen mehr oder minder<br />

deutlich die Darstellung beeinflussen. Beachtenswert ist zunächst, daß<br />

Gottfried in der Chronik sich von einem von Tag zu Tag streng<br />

chronologisch ordnenden Verfahren, wie es zu seiner Zeit bei den<br />

Kompilatoren Sitte war, fernhält und dafür eine Anordnung einführt, die<br />

eine Reihe von Jahren als Ab-


-14-<br />

schnitt zusammennimmt und innerhalb dieses Zeitraums mit dem Reich<br />

beginnend die Geschichte der einzelnen Staaten der Welt nacheinander<br />

behandelt. Seine Ordnungsmethode gibt er uns einmal (Chronik Teil VII<br />

S. 67) mit folgenden Worten kund: „In den vorigen Theilen sind wir also<br />

verfahren, daß wir alle Geschichten, so sich under der Regierung eines<br />

Keysers entweder zu Rom oder in Graecia oder letztlich in Teutschland<br />

vom Anfang seines Imperii biß zum Ende desselben begeben, bevorauß<br />

aber desselben Verrichtungen ordentlich nach einander erzehlet, darnach<br />

uns zu Außländischen Läuffen und Historien, die sich in andern<br />

Königreichen und Provincien außerhalb deß Keyserthums zugetragen<br />

gewendet und derselben ebenmäßig gebührliche Meldung gethan haben.”<br />

Dementsprechend wird in dem achten und letzten Teil, der naturgemäß<br />

die meiste Aehnlichkeit mit den beiden ersten Bänden des <strong>Theatrum</strong><br />

aufweist, zuerst von den Ereignissen im Reich, dann in den<br />

außerdeutschen Staaten gesprochen. Genau die gleiche Anordnung finden<br />

wir auch in den von Abelinus verfaßten Bänden des <strong>Theatrum</strong>. Besonders<br />

auffallend ist, daß ebenso wie schon in der Chronik, der<br />

Unterhaltungsstoff am Schluß der Jahresabteilung angesammelt wird.<br />

Wenn wir ferner, was später noch näher ausgeführt werden soll, in den<br />

beiden ersten Bänden des <strong>Theatrum</strong> eine ausgesprochen evangelische<br />

Tendenz vorfinden, so läßt sich das ebenfalls von der Chronik<br />

nachweisen. Sehen wir nur einmal nach, was Gottfried für das Jahr 1517<br />

zur Reformation sagt: „Luther hat das Evangelium auß der Finsterniß des<br />

Pabstthumbs wider ans Liecht gebracht.” Allein sogar in den nämlichen<br />

Worten wird der evangelischen Tendenz Ausdruck gegeben. Wie in der<br />

Chronik, so im <strong>Theatrum</strong> hört man von „unzeytigem Religionseifer”<br />

(Chronik VIII S. 12, 30, 145 u.ö.; <strong>Theatrum</strong> I 859) und von „Trangsalen<br />

und Beschwernussen gegen die Evangelische” (Chronik VIII S. 208;<br />

<strong>Theatrum</strong> I 14). Wie das <strong>Theatrum</strong> von dem „Intent der Katholischen


-15-<br />

wider die Evangelischen” spricht (<strong>Theatrum</strong> I 848, II 392), so redet die<br />

Chronik (VIII S. 43) davon, daß „die Päbstische damit umbgiengen, wie<br />

sie den evangelischen eine gute Schlappen versetzen möchten”. Wir<br />

finden also in den beiden Punkten, in denen sich das persönliche Moment<br />

bei den Kompilatoren am stärksten durchzusetzen pflegt, im<br />

Ordnungsverfahren und in der Tendenz eine überraschende<br />

Uebereinstimmung. Es wird deshalb kaum mehr etwas gegen die<br />

Richtigkeit der Tradition „Godofredus sive Abelinus” einzuwenden sein.<br />

Nachdem nun das Hindernis, das in der Angabe verschiedener Verfasser<br />

sich beim Uebergang von der Chronik zum <strong>Theatrum</strong> in den Weg stellte,<br />

beseitigt ist, können wir die engen Beziehungen, die zwischen beiden<br />

Werken bestehen, näher erörtern.<br />

Historische Chronik und <strong>Theatrum</strong> <strong>Europaeum</strong>.<br />

Schon von Jugend auf, so sagte einmal Matthäus Merian (<strong>Theatrum</strong><br />

Bd. I, Vorrede), habe er sich vorgenommen, in diesem <strong>Theatrum</strong> oder<br />

Schaw Platz der Geschichten der Welt sich zu üben. .Es erscheint<br />

demnach als die Erfüllung eines langgehegten Wunsches, wenn Merian<br />

während der Jahre 1629—34 die „Historische Chronik an den Tag geben<br />

kann. Bei der Veröffentlichung seiner historischen Werke rechnet er mit<br />

dem doppelten Zweck, sowohl dem Nutzen als der Unterhaltung des<br />

Lesers zu dienen (Chronik, Teil I, Vorrede). Der Gedanke des Verlegers,<br />

daß die Geschichtsdarstellung auf die Belehrung und Erziehung des<br />

Lesers hinzielen soll, wird in der Chronik auch von dem Autor<br />

aufgenommen. Daraus mag es erklärt werden, daß häufig Geschichten<br />

dazu benutzt werden, um eine am Anfang oder Schluß angefügte<br />

Sentenz- und Lebenswahrheit zu bestätigen und zu bekräftigen. Der<br />

Absicht, für die Ergötzung des


-16-<br />

Lesers zu sorgen, wird die Chronik vornehmlich durch ihre sehr<br />

ansprechenden Kupferstiche gerecht, die allein schon dem Werke viele<br />

Liebhaber und Freunde verschafft haben mögen. Da Merian offenbar mit<br />

der Chronik einen guten Erfolg erzielt hat, kommt er zu folgendem<br />

Entschluß: „Wann ich aber bißher verspüret, daß angeregt Historisch´<br />

Werk und Chronicon dem Leser so wol gelehrten Leuten als dem<br />

gemeinen Mann nicht wenig angenehm und aber der Author desselben<br />

solches nicht länger dann biß auff das Jahr 1618 continuirt, als hab ich<br />

unangesehen, daß es viel Mühe und nicht geringen Kosten erfordert, mich<br />

dahin beworben, daß der Cursus Historicus zu vollkommener Ausführung<br />

des Werckes noch in zweyen Theilen fortgesetzt werde” (Bd. II ed. 1633,<br />

Vorrede). Der erste dieser hier versprochenen Teile erscheint 1633. Er ist<br />

immer noch „Historische Chronik” betitelt und hält damit die engste<br />

Verbindung mit der Chronik Gottfrieds aufrecht. Allerdings ist er nicht<br />

unmittelbare Fortsetzung der letzteren, sondern behandelt die Zeit<br />

1629—33. Allein die hier klaffende Lücke von 1618—29 ist bereits<br />

ausgefüllt, d.h. der Verfasser, der sich nun Abelinus nennt, hat auch<br />

diesen Zeitraum schon bearbeitet. Der Teil für 1618—29 ist „allbereit<br />

fertig und nur an dem truckcn hat es gemangelt” (Bd. II ed. 1633,<br />

Vorrede). Doch vielleicht hat diese Verzögerung noch tiefere Gründe.<br />

Wie Droysen bemerkt, hat ja Abelin unter den Namen Gottfried und<br />

Arlanibaeus bereits die Kämpfe Gustav Adolphs, also einen Hauptteil des<br />

1633 erscheinenden Bandes, ausgiebig behandelt. Sodann ist nicht zu<br />

vergessen, daß Abelinus im Mercurius Gallo-Belgicus die Zeit von der<br />

Ostermesse 1628 bis zur Herbstmesse 1634 bearbeitet, also damals 1633<br />

wenigstens schon einmal die Geschichten der Jahre 1628—33, wenn auch<br />

nur in kurzer Form und lateinischer Sprache zusammengestellt hat. Zur<br />

Behandlung der Zeit 1618—29 liegen aber noch nicht in so umfassender<br />

Weise eigene Vorarbeiten vor und daher kann hier die Fertig-


-17-<br />

Stellung erst später (1635) erfolgen. Dieser 1635 ausgegebene Teil, auf<br />

den ja die Chronik schon 1634 verschiedentlich hingewiesen hat, nennt<br />

sich nur noch im Untertitel „Historischer Chroniken Continuation"; als<br />

Hauptbezeichnung aber führt er den neuen Namen „<strong>Theatrum</strong><br />

<strong>Europaeum</strong>”. 1633 bei der Herausgabe des Teils für 1629—33 hat man<br />

an diese Neubenennung noch nicht gedacht und zuerst die Chronik<br />

eröffnet 1634, daß ihre Fortsetzung „unter dem Titul Theatri Europaei”<br />

erscheinen soll. Zwar mag es schon auffallen, daß Merian in der Vorrede<br />

zu dem 1633 erscheinenden Band die Worte „Bücher auf das öffentliche<br />

<strong>Theatrum</strong> der Welt producieren” gebraucht. Der Ausdruck <strong>Theatrum</strong> ist<br />

ihm offenbar geläufig. Ist doch die Bezeichnung <strong>Theatrum</strong> auch als<br />

Büchertitel in jener Zeit öfters gebraucht worden. Daß Merian diesen<br />

Titel zu „<strong>Theatrum</strong> <strong>Europaeum</strong>” erweitert, kommt daher, daß „bei uns<br />

Hochdeutschen, die wir uns unter dem Teutschen Römischen Reich<br />

befinden, seithero Anno 1618 eine merckliche große Bewegung in ihre<br />

Wirckung getretten, in welche das Fatum noch viel andere Monarchien<br />

und Königreiche zeitlich mit eingeflochten, daß wir diese aussehende<br />

Commotionen wohl pro Europaea halten und sie also nennen mögen”.<br />

(Bd. I ed. 1635 S. 1.)<br />

I und II.<br />

Der ursprünglich 1633 nur „Historische Chronik” betitelte Band<br />

erhält bei seiner zweiten Ausgabe 1637 gleichfalls den neuen Titel<br />

„<strong>Theatrum</strong> <strong>Europaeum</strong>”. Was sich mit dieser zweiten Auflage für ein<br />

besonderer Zweck verbindet, das erfahren wir aus einem Einschub in die<br />

alte Vorrede. Nachdem Merian zuvor betont hat, daß er sich bei der<br />

Publizierung der beiden ersten Teile des <strong>Theatrum</strong>


-18-<br />

zweier Dinge beflissen habe, einmal, daß die Geschichtserzählung nur<br />

auf dem vesten Grund der unlaugbaren bloßen Wahrheit fundiert werden<br />

möchte und dann, daß das Werk mit Kupferstichen aller Art reichlich<br />

ausgeschmückt werden solle, fährt er fort: „So viel das erste betrifft, hatte<br />

ich zwar wünschen mögen, daß der nunmehr verstorbene Author<br />

Johannes Philippus Abelinus seliger dem vorgesetzten Zweck etwas<br />

fleißiger nachgegangen wäre. Insonderheit aber auch sich der<br />

Partheilichkeit und eignes Urtheils enthalten hätte. In Betrachtung<br />

solches einem rechtschaffenen Historico nicht anstehet, sondern ihme<br />

vielmehr gebühren und obliegen wil, die Sachen also wie sie sich<br />

begeben und zugetragen haben ohne einige Privat-Affektion Loben oder<br />

Schelten zu erzehlen. Dieweil aber, was einmal geschehen ist, nicht zu<br />

ändern als habe ich bey dieser andern Edition, so viel wegen Enge der<br />

Zeit und Eyl der Buchtrucker Pressen vor dißmal zuthun möglich<br />

gewesen, diesen andern Theyl deß Theatri Europaei durch Joannem<br />

Flittnerum revidiren, an vielen Orten was überflüssig herauß thun, was<br />

ermangelt und doch historischer Erzehlung würdig gewesen, hinein<br />

rucken und in Summa umb ein merckliches, wie der Leser selbst in Acht<br />

nehmen wirdt, verbessern lassen.” Worin die Parteilichkeit Abelins<br />

bestanden und worin Joh. Flitner, der übrigens in Frankfurt mehr als Poet<br />

denn als Schriftsteller bekannt ist (Lersner), Aenderungen vorgenommen<br />

hat, das läßt sich aus einer Nebeneinanderstellung des alten (1633) und<br />

des neuen (1637) Titelblattes abnehmen. 1633 wird nämlich der später als<br />

II. Band des <strong>Theatrum</strong> bezeichnete Teil genannt: „Historische Chronick<br />

oder wahrhaffte Beschreibung aller vornehmen und denckwürdigen<br />

Geschichten so sich hin und wider in der Welt von Anno Christi 1629 biß<br />

auff das Jahr 1633 zugetragen. Insonderheit was auff das im Reich<br />

publicierte Kayserliche die Röstitution der Geistlichen von den<br />

Protestirenden in Teutschland eingezogenen Güter betreffende Edict für


-19-<br />

Jammer und Landesverwüstung erfolget: Was die Evangelischen für<br />

Trangsalen von den Römisch-Catholischen erleyden müssen und wie sie<br />

endlichen durch den Göttlichen Beystand und Ihrer Mayest. Gustav<br />

Adolphi, Königs zu Schweden, Ritterliche und Siegreiche Waffen darauß<br />

mehrenteils wider errettet und in vorige Libertet gesetzt worden” usw.<br />

Die 1637 publizierte Ausgabe hingegen trägt den Titel: „Theatri<br />

Europaei: <strong>Das</strong> ist Historischer Chronick oder wahrhaffter Beschreibung<br />

aller fürnehmen und denckwürdigen Geschichten, so sich hin und wieder<br />

in der Welt meistenteils aber in Europa von Anno Christi 1629 biß auff<br />

das Jahr 1633 zugetragen; Insonderheit was auff das im Reich publicirte<br />

Kayserliche die Restitution der geistlichen von den Protestierenden<br />

eingezogenen Güter betreffende Edict so wol in Kriegs- als Politischen<br />

und anderen Sachen zwischen den Catholischen eines; Sodann den<br />

Evangelischen mit Assistenz deß Königs in Schweden anderen .Theiles<br />

erfolget; Der Andere Theil” usw. Während ferner noch 1633 der Name<br />

Abelins als Autor genannt wird, führt die Ausgabe von 1637 nur die<br />

Abkürzung M. J. P. A. und fügt bei: „Jetzo aber guten Theils verbessert<br />

und revidirt durch Johannem Flitnerum Francum.” Es geht aus dem<br />

Vergleich beider Titel klar hervor, daß eine von Abelin offen vertretene<br />

evangelisch-schwedische Tendenz von dem Emendator Flitner möglichst<br />

abgeschwächt wird. Die Umarbeitung durch den Revisor scheint eine<br />

nicht allzu gründliche gewesen zu sein; deshalb taucht in späteren<br />

Ausgaben (1646, 1679) der Name M. Johannes Philippus Abelinus<br />

wieder vollständig auf, und Flitner wird weder dem Titelblatt noch in der<br />

Vorrede als Emendator genannt. Wie Flitner bei der Revision scharfe<br />

Ausdrücke Abelins gemildert hat, ergibt z. B. der Vergleich einer Stelle<br />

im Anfang beider Ausgaben:


-20-<br />

<strong>Theatrum</strong> Bd. II.<br />

ed. 1633 ed. 1637<br />

... sobald die Römisch<br />

Catholische Ihr Intent wider die<br />

Evangelische und Protestirende<br />

an Tag gegeben und dasjenige<br />

darmit sie biß dahin umbgangen<br />

anfangen in´s Werck zurichten.<br />

Zu Rohm usw.<br />

... so bald das zwischen den<br />

Catholischen und Evangelischen<br />

biß dahero in der Aschen<br />

gleichsam enthaltene glimmende<br />

Feuer je länger je mehr herfür zu<br />

(nunundandenTagzugeben<br />

angefangen. Zu Rohm usw.<br />

Die Abänderungen Flitners treten besonders beim Titelblatt und im<br />

Anfang hervor, sie sollen also recht in die Augen fallen und den<br />

Anschein erwecken, als ob mit der evangelisch-schwedischen Tendenz<br />

gründlich aufgeräumt worden sei. Allein, daß die Parteilichkeit nicht<br />

vollständig aus der Darstellung getilgt worden ist, das geht daraus hervor,<br />

daß. auch aus den späteren Ausgaben sich die Tendenz Abelins noch<br />

recht deutlich nachweisen läßt, wie die weiter unten folgende Behandlung<br />

dieser Frage zeigen soll. Bemerkenswert ist, daß ausdrücklich der II.<br />

Band, in dem die Kämpfe unter Gustav Adolph geschildert werden,<br />

umgeändert wird. Es wird allerdings auch der erste Teil (1635) später<br />

wenigstens mit einem neuen Anfang versehen, so daß bei ihm gleichfalls<br />

von einer „beschehenen Revision und Verbesserung” (1662) geredet<br />

werden konnte. Außerdem finden wir in der dritten Auflage beider Bände<br />

einige Verschiebungen. Bd.. I ed. 1635 behandelt auf Seite 1305 bis 1316<br />

Ereignisse des Jahres 1629, die später (1662) weggelassen und zum II.<br />

Band gezogen werden. Ebenso wird das, was in Band II ed. 1633 und<br />

1637 auf Seite 658—681 aus dem Jahre 1633 erzählt wird, später (1679)<br />

an den Anfang des dritten Bandes gestellt. Die letzten Ausgaben beider<br />

Bände erstrecken sich also über 1618—28 und 1629—32.<br />

Bei der soeben dargestellten Entwicklung der Herausgabe der<br />

Chronik und der beiden ersten Teile des <strong>Theatrum</strong> sind zwei auffallende<br />

Tatsachen unbegründet geblieben. Einmal, warum tritt Abelin gerade mit<br />

1633 und der Ver-


-21-<br />

öffentlichung des späteren zweiten Bandes des <strong>Theatrum</strong>, der wegen<br />

seiner offensichtlichen schwedisch-evangelischen Tendenz ihm sehr<br />

leicht Anfeindungen zuziehen konnte, mit seinem wahren Namen auf und<br />

dann, warum entschließt sich Merian erst 1637 den II. Band nicht mehr in<br />

der von Abelin gebotenen tendenziösen Form zu veröffentlichen? Die in<br />

diesen beiden Fragen liegenden Schwierigkeiten lösen sich, wenn wir die<br />

politische Lage der Stadt Frankfurt am Main während der angegebenen<br />

Zeitpunkte zur Erklärung heranziehen. Zu dem Jahre 1632 bemerkt<br />

einmal Abelin selbst (11 567): „So fiengen der Zeit bey deß Königs<br />

glücklichen Progressen die Leuth dasselbsten an, gut schwedisch zu<br />

werden.” Der Verlagsstadt Frankfurt scheint es auch so gegangen zu sein,<br />

als der siegreiche Schwedenkönig sich der Main-Rhein-Linie<br />

bemächtigte. Am 11. II. 1632 zieht der König und die Königin von<br />

Schweden nebst dem. Pfalzgrafen Friedrich in Frankfurt ein. Als der<br />

letztere im gleichen Jahre noch ein zweites Mal in die Stadt kommt,<br />

verehrt ihm der Rat „ein Faß Wein und einen Wagen mit Habern”<br />

(Lersner). Gustav Adolph erläßt 1631 und 1632 verschiedene Edikte zur<br />

Sicherung der Frankfurter Messe, insbesondere zum Schutz und freien<br />

Durchzug der nach der Stadt ziehenden Kaufleute (II 493, 555). Auf<br />

seinen Wunsch wird sogar 1632 eine Messe um acht Tage verlängert. Am<br />

26. August 1632 läßt Gustav Horn zu Sachsenhausen eine evangelische<br />

Predigt halten. <strong>Das</strong> gleiche geschieht am 30. Juni 1633 auf Anordnung<br />

des Grafen Oxenstierna (Lersner). Es steht also 1632 und 1633 Frankfurt<br />

am Main gerade in der Zeit, in der die Ausarbeitung des zweiten Bandes<br />

erfolgte, unter dem stärksten Einfluß der schwedischen Eroberer. Kein<br />

Wunder, daß nunmehr Abelin, der zuerst seine Darstellung der<br />

schwedischen Kämpfe im Inventarium Sueciae nur unter dem Namen<br />

Gottfried zu veröffentlichen wagte, allmählich im Bereich und unter dem<br />

Schutz der schwedischen Waffen sich sicher fühlt und mit


-22-<br />

offenem Visier hervorzutreten sich erkühnt. Es ist wohl kaum zu<br />

bezweifeln, daß Merian die schwedisch-protestantische Prägung, die<br />

Band II des <strong>Theatrum</strong> 1633 trug, schon vor der Drucklegung gekannt und<br />

gebilligt hat. Schon aus der Fassung des Titelblattes allein konnte er<br />

erkennen, was für Töne sein Autor Abelin hier anzuschlagen begann. Daß<br />

M. Merian die Begeisterung für die schwedisch-evangelische Sache<br />

damals offen teilte, das geht schon daraus hervor, daß er selbst zwei<br />

große Kupferstiche von dem Schwedenkönig und seiner Gemahlin<br />

anfertigte und mit rühmenden lateinischen Versen versehen ließ. Doch als<br />

er 1637 seine Mißbilligung über die von Abelin beobachtete Tendenz<br />

ausspricht und die Umarbeitung durch Flitner vornehmen läßt, beseitigt<br />

er wohlweislich auch diese beiden Stiche. <strong>Das</strong> ist der deutlichste Beweis,<br />

daß er ein schwedisch-protestantisches Gepräge seines Unternehmens<br />

nicht mehr offen zu bekennen wagt. Was ihn dazu veranlaßt, das ergibt<br />

sich aus einer Beobachtung der politischen Vorgänge in der Verlagsstadt<br />

während der Zeit 1633—37. Nach der Niederlage bei Nördlingen 1634<br />

gerät die bisher innegehabte feste Stellung der Schweden ins Wanken.<br />

1635 sieht sich Frankfurt, das sich dem Prager Frieden anschließt,<br />

veranlaßt, den Kaiserlichen die Hand zu reichen, um die ungern<br />

weichende schwedische Garnison auszutreiben. 1635 wird Generalmajor<br />

Hans Vitzthumb, der sich in Sachsenhausen festgesetzt hat, von<br />

Frankfurter Stadtsoldaten im Verein mit den Kaiserlichen angegriffen<br />

und muß akkordieren (III, 532). Solche Ereignisse haben zweifellos zu<br />

einer Ernüchterung der vielfach vertretenen hellen Schwedenbegeisterung<br />

geführt. Außerdem muß der Verleger Merian nunmehr wieder mit einem<br />

wirksamen Hervortreten kaiserlichen Einflusses rechnen. Daß er wirklich<br />

daran gedacht hat, daß sein <strong>Theatrum</strong> Anfeindungen ausgesetzt sein<br />

werde, das spricht er in der Widmung des ersten Bandes an den<br />

Frankfurter Magistrat, den er um Schutz seines neuen


-23-<br />

Unternehmens bittet, schon 1635 aus: „Sintemahl aber es unmöglich, in<br />

solchen so wichtigen, hohen und vielerley darbey fürgefallenen<br />

Veränderungen einem jedweden seinem Willen und Gefallen nach das<br />

Placebo zu singen und zu schreiben, was ihm wohlgefällt und dahero mir<br />

leichtlich die Rechnung zu machen habe, daß sich Censores und Zoili<br />

finden werden, welche entweder diese Labores straffen und tadeln oder<br />

wol gar in Gefahr zu setzen sich understehen möchten.” Von einer Seite<br />

nun drohte Merian, falls sich der kaiserliche Einfluß wieder voll und ganz<br />

durchsetzte, besondere Gefahr. Wir wissen nämlich, daß in Frankfurt, das<br />

anfangs die erste Stelle im deutschen Buchhandel einnahm, schon 1579<br />

eine kaiserliche Bücherkommission die Zensur ausübte (Kirchner, Opel).<br />

Einer Kontrolle aber (durch diese Kommission konnte die Ausgabe von<br />

1633, die die schwedisch-evangelische Prägung auf der Stirne trägt,<br />

zweifellos nicht standhalten. Eine etwaige Strafe hätte nicht nur den<br />

Autor, sondern auch den Herausgeber getroffen. Insbesondere mußte<br />

Merian gewärtig sein, daß seinem Verlag jegliche kaiserliche Privilegien,<br />

dieer,wiederVermerkC.P.S.C.M.aufdenTitelkupfernbestätigt,<br />

tatsächlich besaß, entzogen wurden. Es darf uns daher nicht verwundern,<br />

daß Merian 1637 der Zeitlage Rechnung trägt, alle Schuld der<br />

Parteilichkeit seinem verstorbenen Autor Abelin in die Schuhe schiebt<br />

und sich zu einer Revision herbeiläßt. Wir sehen also, wie auch die<br />

Verleger auf den Gang der politischen Ereignisse Rücksicht nahmen und<br />

stets beizeiten ihr Mäntelchen nach dem Wind zu hängen wußten.<br />

Ueber die Lebensschicksale des Autors der in Frage stehenden<br />

beiden ersten Bände des <strong>Theatrum</strong> sind wir nicht besonders gut<br />

unterrichtet. Johannes Philippus Abelinus heißt eigentlich Abele. Die<br />

Latinisierung seines Namens ergibt Abelinus oder Abeleus. Er hat die<br />

Würde eines Magister Philosophiae und war seit dem 27. Sept. 1625 am<br />

städtischen Gymnasium im Barfüßerkloster zu Frankfurt


-24-<br />

angestellt. Allein Lersner in dem Abschnitt über die Rectores und<br />

Praeceptores der Lateinschule liefert uns auch die folgende kurze Notiz:<br />

„1630 M. Johannes Philippus Abele, VI. Classis Praeceptor, wird wegen<br />

Unfleißes den 11. Mertz in diesem Jahre dimittiert.” Wir haben es also<br />

mit einem entlassenen Schulmeister zu tun, der wie seine Kollegen<br />

Arthus, Lundorp und Schieder schon neben seiner Lehrtätigkeit sich als<br />

Uebersetzer und Kompilator schriftstellerisch betätigt. Zu dem Verlag<br />

Latome steht Abele insofern in Verbindung, als er der Vormund der<br />

Kinder des verstorbenen Sigismund Latome ist. Als solcher hat er eine<br />

Bittschrift der Witwe Latome und ihrer Kinder an den Frankfurter<br />

Magistrat mitunterzeichnet (Opel). Abele muß, wenn wir der Angabe<br />

Merians in der Vorrede zu Band II ed. 1637 trauen dürfen, zwischen<br />

Ende 1634 und 1637 gestorben sein, also zu einer Zeit, in der sich<br />

Frankfurt und Umgebung durch Kriegselend und Hungersnot in einem<br />

kaum zu beschreibenden Elend befand (III, 771). Die unter den Namen<br />

Abelinus, Abeleus, J. L. Gottfried, Ph. Arlanibäus (Droysen) laufenden<br />

Schriften werden ihm zugeschrieben. Eine Aufzählung derselben, die in<br />

der ersten Zeit vornehmlich aus Uebersetzungen bestehen, geben<br />

Adelung, die Nouvelle Biogr. generale und die Allg. D. Biogr. Uns<br />

interessieren in erster Linie seine späteren, kompilatorischen historischen<br />

Werke: l. Mercurius Gallo-Belgicus tom. XVII-XX lib. I, von der<br />

Ostermesse 1628 bis zur Herbstmesse 1634, bei S. Latome. 2. Historische<br />

Chronik 1629—1634 unter dem Namen J. L. Gottfried bei Merian. 3.<br />

Arma Suecica als Phil. Arlanibäus bei Hülsius 1631 f. (Drosen). 4.<br />

Inventarium Sueciae unter dem Namen J. L. Gottfried bei Hülsius 1632f.<br />

5. <strong>Theatrum</strong> <strong>Europaeum</strong> I und II.<br />

Diese beiden Bände des <strong>Theatrum</strong> behandeln die denkwürdigen<br />

Geschichten der Jahre 1618—1632. Im Mittelpunkt der Darstellung<br />

stehen die Vorgänge im Reich, besonders also der große deutsche Krieg.<br />

Die Ereignisse in den außer


-25-<br />

deutschen Ländern bilden nur den Anhang dazu. Zu dieser Cohaerentz,<br />

wie es der Verfasser zu bezeichnen pflegt, gehören vornehmlich:<br />

spanische und vereinigte Niederlande, Siebenbürgen und Ungarn,<br />

Schweiz, England, Frankreich, Spanien, Italien, Türken, Tataren, Polen,<br />

Moskowiter, Schweden und Dänemark. Je näher diese Gebiete an<br />

Deutschland liegen, um so mehr Nachrichten darüber fließen dem<br />

Verfasser zu und um so ausführlicher werden sie deshalb behandelt. Am<br />

dürftigsten sind daher außereuropäische Geschichten mit in die<br />

Behandlung gezogen. Den einzelnen genannten Ländern wird Jahr für<br />

Jahr ein besonderer Abschnitt zugewiesen. Auch innerhalb des<br />

Hauptteils, der sich mit den deutschen Ereignissen befaßt, ist eine<br />

Disponierung nach einzelnen Kampfesschauplätzen angestrebt. Als<br />

Orientierungspunkte für die Darstellung dienen bei Abelin vielfach<br />

Ereignisse von einschneidender Bedeutung. So münden einmal alle<br />

Linien der Darstellung in die Schlacht am weißen Berg bei Prag ein (I<br />

373) oder die Belagerung und Eroberung Magdeburgs bildet den<br />

Richtpunkt für die vorausgehenden und folgenden Erzählungen. Diesen<br />

Hauptereignissen wird entsprechend ihrer Wichtigkeit auch eine<br />

ausgedehntere Behandlung zuteil. Man merkt deutlich, daß hier dem<br />

Verfasser die Quellen reichlicher zuströmen. Er bringt mehrere Berichte,<br />

besonders Schilderungen von Augenzeugen, die nicht nur die nackten<br />

Tatsachen aufzählen, sondern zugleich Stimmungsbilder von dem<br />

betreffenden Vorgang entwerfen (I 414). Ganz an den Schluß des Jahres<br />

stellt unser Verfasser gewöhnlich die Nachrichten von „hoher und<br />

vornehmer Personen Absterben und Tod, von Wundern und Zeichen,<br />

Wasser- und Feuerschaden, Sturm und Erdbeben”, also das, was wir kurz<br />

als Unterhaltungsstoff bezeichnen wollten. Allerdings nicht aller<br />

derartiger Stoff wird am Jahresende lokalisiert, vielmehr ist er zum guten<br />

Teil noch in die Hauptdarstellung eingestreut und wird dann bisweilen<br />

am Schluß nochmals wiederholt. Besonders gerne


-26-<br />

erwähnt der Autor in Verbindung mit wichtigeren Vorfällen die<br />

vorausgehenden oder nachfolgenden Omina, obwohl sie als<br />

Wunderzeichen doch erst beim Jahresabschluß angeführt werden sollten.<br />

Mit diesem Ordnungssystem weicht Abelin von der Grundmethode<br />

der zeitgenössischen Kompilatoren merklich ab. Diese reihen, ohne auf<br />

inhaltliche Gesichtspunkte Rücksicht zu nehmen, streng chronologisch<br />

ihre Quellen aneinander. Monat für Monat, sogar Tag für Tag wird<br />

vorgenommen und hier werden die einlaufenden Relationen ihrem Datum<br />

gemäß postiert. Bei solchen Zusammenstellungen kann natürlich von<br />

einem inneren Zusammenhang nicht die Rede sein. Diese Zerrissenheit<br />

der Darstellung umgeht Abelin, indem er den Stoff entsprechend seinen<br />

Länderabteilungen zusammenstellt. Innerhalb der Rubriken ist dann<br />

leicht eine verständliche Reihenfolge einzuhalten. Allerdings sieht auch<br />

Abelin bei diesen Abteilungen noch immer darauf, die Ereignisse<br />

möglichst chronologisch zu ordnen, selbst wenn ein und das andere<br />

Zusammengehörige zerteilt wird. Bisweilen aber läßt er auch dabei lieber<br />

von der Chronologie als von der inhaltlichen Verknüpfung (I 835). Setzt<br />

er sich doch sogar ab und zu über die Jahresabteilung hinweg, wenn er<br />

z.B. die türkischen Händel der Jahre 1629—32 zu einem Abschnitt<br />

zusammenstellt, um sie nicht in einzelnen kleinen „Cohaerentzen” dem<br />

Leser vorsetzen zu müssen (II 718). Es ist Abelin recht hoch<br />

anzurechnen, daß er sich von der strengen Chronologie, dem<br />

vermeintlichen Grundprinzip der Geschichtsschreibung, freimacht und<br />

eine für die folgenden Bände vorbildliche Ordnung aufstellt, die den<br />

Autor nötigt, auf inhaltliche Gesichtspunkte zu achten und nicht nur rein<br />

mechanisch und teilnahmslos die Quellen nach ihren Datumsbestimmungen<br />

aneinanderzureihen.<br />

Wenn wir nun fragen, woraus Abelin den Stoff schöpft, mit dem er<br />

seine Rubriken anfüllt, so gibt dafür zunächst


-27-<br />

die Darstellung selbst einige wichtige Anhaltspunkte. Von vielen<br />

Aktenstücken erklärt der Verfasser, daß sie ihm gedruckt vorliegen (I 17,<br />

284, 286; II 44, 465 u.ö.). Bisweilen sind sie ihm erst kürzlich<br />

kommuniziert worden (II 465). Zum Teil sind sie so weit im Druck<br />

verbreitet, daß er, wenn sie ihm zu weitläufig erscheinen, auf eine<br />

Einreihung in seine Darstellung verzichtet, da der Leser sie leicht sonst<br />

finden kann (I 45). Es lassen sich femer vielfach ohne Mühe die<br />

Uebergangssätze erkennen, mit denen Abelin seine Einzelquellen<br />

verbunden hat. Bei Belagerungsschilderungen zeigt oft schon die<br />

Introduktion (II 586, 587) dieser Stücke, daß ein besonderer Bericht folgt,<br />

der meist von einem Augenzeugen abgefaßt ist. Unverhohlen zitiert<br />

Abelin einzelne Relationen (I 414). Er nennt ihren Verfasser (I 1047) und<br />

bisweilen sogar Name und Ort der Druckerei (I 778). Eine ganze Reihe<br />

von Traktätchen, besonders solche, in denen sich Gelehrte über<br />

Gegenstände des Unterhaltungsstoffes verbreitet haben, werden mit<br />

Angabe des Autors angeführt (I 455, 619, II 112, 514) und ausdrücklich<br />

benützt (l 786). <strong>Das</strong> Bestreben des Verfassers bei der Verarbeitung seiner<br />

„Relationen” geht dahin, alle Merkmale, die sie als Sonderprodukte<br />

kennzeichnen, zu entfernen und sie so unauffällig zu einer allgemeinen<br />

Darstellung auszugleichen. Bisweilen ist Abelin in der Austilgung dieses<br />

persönlichen Charakters seiner Quellen sehr nachlässig. So geht z. B.<br />

einmal (II 285) urplötzlich die Erzählung in einen Augenzeugenbericht<br />

über, in dem von „unserer Armada” und „wir waren diese Tage so nahe<br />

an den Feind kommen” gesprochen wird.<br />

Indessen nicht nur einzelne Flugblätter und Traktätchen hat Abelin<br />

benützt, sondern es haben ihm bereits einen größeren Zeitraum<br />

behandelnde Schrifteil vorgelegen. Solche Darstellungen existieren<br />

namentlich dann, wenn Abelin durch einen größeren Zwischenraum von<br />

den zu schildernden Ereignissen getrennt ist. Also besonders ist dies für<br />

Band I, worin er erst gegen 1635 die Jahre 1618—28 beschreibt,


-28-<br />

anzunehmen. In der Tat finden sich Hinweise auf vorausgehende, die<br />

gleiche Zeit betreffende Schriften. Nicht nur auf Andeutungen<br />

allgemeiner Art, wie: „es schreiben etliche” (I 629; II 81) sind wir<br />

beschränkt, vielmehr nennt Abelin seine Gewährsmänner bei Namen. So<br />

führt er bei der Darstellung der Ereignisse, die zur Schlacht am weißen<br />

Berg führen (I 405—411), Caspar Enß, Constaninus Peregrinus<br />

(Expeditio Caesareo-Bouquoiana ed. 1630; bei Gryphius S. 65) und<br />

Wilhelmus Staden (Trophaea Verdugiana ed. 1630; bei Gyphius S. 78)<br />

an. Besonders beachtenswert ist femer, daß Abelin dem Leser einmal für<br />

ausführlichere Nachrichten den Mercurius Gallicus (I 286) und ein<br />

andermal für weitere Dokumente „andere Acta publica” (I 384)<br />

empfiehlt.<br />

Diese Verweise lenken unsere Aufmerksamkeit notwendig auf die<br />

dem <strong>Theatrum</strong> vorausgehenden kompitatorischen Werke. Unter ihnen<br />

wollen wir den bedeutendsten Frankfurter Unternehmungen, die dauernd<br />

dem <strong>Theatrum</strong> vorauslaufen, vorwiegende Beachtung schenken, nämlich<br />

dem Mercurius Gallo-Belgicus und den Relationes historicae, die beide<br />

gleichzeitig zu jeder Oster- und Herbstmesse in Frankfurt bei S. Latome<br />

erscheinen und den durch die Meßtermine begrenzten Zeitraum<br />

beschreiben. Leicht erkennen wir, daß zwischen den genannten Werken<br />

und dem <strong>Theatrum</strong> eine überraschende, fast wörtliche Uebereinstimmung<br />

einzelner Partien besteht, wovon die folgende Nebeneinanderstellung<br />

eine Probe geben soll.<br />

<strong>Theatrum</strong> I ed. 1635<br />

S. 906<br />

Verf.: Abelinus<br />

Und darmit solche nicht<br />

überdasWasserNester<br />

übersetzten hat er<br />

Vlotkam, solchen Pass<br />

mit seinem<br />

underhabenden<br />

Kriegsvolck in<br />

verwahrung zu nemen<br />

abgefertigt, den<br />

Borsock aber mit etlich<br />

100 Reu-<br />

Mercurius G.-B. tom.<br />

XVlib2S.14<br />

Verf.: G. Arthus<br />

datis simul pro<br />

transitu Nistero<br />

flumine observando ad<br />

Voltacum literis,<br />

Borsaco vero et<br />

Deferamo Satrapis, ut<br />

pugnando hostem<br />

paululum delinerent,<br />

monitis usw.<br />

Rel. hist. OM-HM 1624<br />

Verf.: Caspar Casparsen<br />

und darmit solche nit<br />

überdasWasserNester<br />

übersetzeten hat er Herrn<br />

Vlotkam solchen Paass<br />

mit seinem und<br />

erhabendem Kriegsvolck<br />

in verwahrung zu<br />

nehmen anbefohlen den<br />

Herrn Borsack


ter sampt dem<br />

Weyowoden Defera mit<br />

seinen Cosaggen den<br />

Cricasi genennet neben<br />

noch andern mehr<br />

gegen sie zu<br />

scharmutzieren<br />

abgeordnet usw.<br />

Den andern Tag ist der<br />

general nach<br />

Knaetovam unnd förter<br />

auf Kabatinum<br />

verreiset; allda er den<br />

dritten dieses frü vor tag<br />

ankommen.<br />

-29-<br />

postero die Dux<br />

Generalis peracto<br />

cultu divino<br />

Cnetovam et<br />

Cabatinum porro<br />

excurrit.<br />

aber mit etlich hundert<br />

seiner Reutter sambt den<br />

Herrn Waiowaden<br />

Deferam mit seinen<br />

Cosaggen die Rricasij<br />

genennet sambt noch<br />

andere mehr gegen zu<br />

scharmützieren abgeordnet.<br />

usw.<br />

Den andern tag, welches<br />

der2.Febr.waramPest<br />

unser lieben Frauen<br />

Reinigung oder<br />

Liechtmesstag seind wir<br />

still gelegen und unsere<br />

Andacht verrichtet, nach<br />

vollendlem Gottesdienst ist<br />

der Herr General nach<br />

Knetovam und forders auff<br />

Kabatinum verreiset, allda<br />

er den 3. eiusdem früh vor<br />

tags ankommen.<br />

Dieses Beispiel kann das Verhältnis des <strong>Theatrum</strong> zum Mercurius<br />

klarlegen. Wir stellen zunächst fest, daß das <strong>Theatrum</strong> an den<br />

hervorgehobenen Stellen ein deutliches Plus aufweist. <strong>Das</strong> läßt vermuten,<br />

daß es den allerdings früher erscheinenden Mercurius nicht benutzt hat.<br />

Dann können wir uns ihre weitgehenden wörtlichen Uebereinstimmungen<br />

nur so erklären, daß sie beide auf die gleiche Quelle<br />

zurückgehen. Es ist uns nun in der beigefügten Meßrelation diese<br />

gemeinsame Quelle erhalten. Es handelt sich um ein Schreiben aus<br />

Zarthovez vom 10. Februar 1624, das die Meßrelation ungeändert<br />

abdruckt. So allein erklärt sich auch leicht und einfach, daß der<br />

Mercurius gleichfalls gegenüber dem <strong>Theatrum</strong> ein Plus aufweisen kann.<br />

Denn bald benutzt das <strong>Theatrum</strong>, bald der Mercurius die ursprüngliche<br />

Quelle ausführlicher. Wir werden aber noch öfters auf die gleiche<br />

Beobachtung stoßen, daß der Mercurius, was schon durch den Charakter<br />

einer Uebersetzung bedingt ist, zumeist den knappsten Bericht bietet, so<br />

daß


-30-<br />

aus ihm für die Quellenuntersuchung des <strong>Theatrum</strong> wenig zu erschließen<br />

sein wird. Es ist ja ohnedies ganz unwahrscheinlich, daß die Autoren des<br />

<strong>Theatrum</strong> den lateinischen Mercurius benützt haben sollten, wo ihnen die<br />

Meßrelationen in weit zugänglicherer und ausführlicherer Form die nämlichen<br />

Nachrichten boten. Bemerkenswert ist noch bei einem Vergleich<br />

der Meßrelation und des <strong>Theatrum</strong>, daß erstere die ursprüngliche<br />

Quellrelation wörtlich wiedergibt, während das letztere die persönlichen<br />

Merkmale des Briefstils tilgt und der Darstellung damit eine allgemeine<br />

Form gibt. Nun müssen wir aber auch mit der Möglichkeit rechnen, daß<br />

das <strong>Theatrum</strong> nicht die in der Meßrelation erhaltene Quelle, sondern<br />

diese selbst benutzt. In der Tat hat diese Vermutung recht viel<br />

Wahrscheinlichkeit .für sich. Abelin beschreibt etwas vor 1635 die Zeit<br />

1618—28. Er ist also von den in seiner Darstellung enthaltenen<br />

Ereignissen durch einen ziemlich großen Zeitraum getrennt. Es mag<br />

daher fraglich erscheinen, ob er noch die ursprünglichen ersten<br />

Relationen zur Hand bekommen konnte. Deshalb mußte es doch viel<br />

einfacher für ihn sein, wenn er sich der Meßrelationen bediente, wo ja<br />

seine Quellen schon gesammelt waren. Wirklich finden wir bei einem<br />

Vergleich der historischen Relationen mit dem <strong>Theatrum</strong> eine geradezu<br />

erstaunliche wörtliche Uebereinstimmung beider in vielen einzelnen<br />

Stücken. Fast immer sogar bietet dabei die Meßrefation die<br />

ausführlichere Darstellung, so daß sie sehr wohl die Quelle des <strong>Theatrum</strong><br />

gewesen sein könnte. Allein es ist uns trotzdem die Möglichkeit gegeben,<br />

in vielen Punkten nachzuweisen, daß die Verwandtschaft der beiden<br />

Werke nur auf eine Verarbeitung derselben Quellen zurückzuführen ist.<br />

Hist.Rel. OM 1627 -<br />

HM 1627 S. 76<br />

Wiewol die Dänische<br />

Besatzung in Nyenburg<br />

sich nunmehr eine<br />

geraume Zeit gegen und<br />

<strong>Theatrum</strong> I ed. 1635<br />

S1110<br />

Die Dänische<br />

Besatzung in Nienburg<br />

hat sich zwar geraume<br />

Zeit gegen den<br />

Keyserischen<br />

Merc. G.-B. tom. XVI<br />

lib. 4 S. 108<br />

Urgent interea<br />

Caesareani obsidionem<br />

urbis Nienburgi, cuius<br />

praesidiarii haciendus


wider die Kayersiliche<br />

Armada vergeblich<br />

auffgehalten, haben sich<br />

doch endlich nach dem<br />

auch der darin ligendte<br />

Oberste Limbach todts<br />

verfahren deren Sieg<br />

reichen Waffen weiters<br />

nicht widerstehen<br />

können, sondern auff<br />

getroffenen Accord die<br />

statt den Kayerischen<br />

Obersten ubergeben und<br />

darauff den 16.<br />

Novembris Abends<br />

ungefähr 4 uhren<br />

aussgezogen.<br />

tapffer gehalten unnd<br />

ihnen nicht wenig zu<br />

schaffen gemacht; als aber<br />

endlich sie so hart bloquirt<br />

worden, dass kein<br />

Proviand mehr<br />

hineingebracht werden<br />

können uber das die Pest<br />

darinnen hefftig grassirt,<br />

welche under andern auch<br />

den Obristen Limpach so<br />

uber die Besatzung<br />

Commandirt<br />

weggenommen unnd sie<br />

also nicht länger<br />

Widerstand thun können<br />

haben sie mit den<br />

Keyserischen accordirt,<br />

die Festung ubergeben und<br />

den 16. Novembris<br />

aussgezogen.<br />

sed frustra<br />

oppugnationem<br />

sustinuerant. verum<br />

Limbachio<br />

praesidiariorum Duce<br />

fato functo urbem<br />

Caesareanis dedicere<br />

et 16 Nov. quarta<br />

pomeridiana civitate<br />

sunt egressi.<br />

Hier hat einmal das <strong>Theatrum</strong> im Vergleich zur Meßrelation die genauere<br />

Berichterstattung. Wenn wir aber nicht an das Vorhandensein und die<br />

Verwertung einer zweiten Quelle beim <strong>Theatrum</strong>, was bei einer solch<br />

geringfügigen Begebenheit kaum zu erwarten ist, denken wollen, so lösen<br />

sich alle Schwierigkeiten am besten bei der Annahme, daß beiden<br />

Werken die gleiche Quelle zugrunde lag. So läßt es sich verstehen, daß<br />

teils das <strong>Theatrum</strong>, teils die historische Relation ausführlicher ist. Der<br />

Mercurius, der in dem gleichen Verlag erscheint und meist von denselben<br />

Autoren verfaßt ist wie die Meßrelation, schließt sich mehr an die Form<br />

der letzteren an und liefert wieder den am meisten gekürzten Bericht.<br />

Die auffallende Tatsache, daß das <strong>Theatrum</strong> gegenüber der Meßrelation<br />

in den übereinstimmenden Partien nur selten über ein Plus verfügt, findet<br />

in dem verschiedenen Charakter der beiden Unternehmungen eine<br />

ausreichende Erklärung. Die „Historischen Relationen” bieten zumeist<br />

einfach ungeänderte Abdrücke der Einzelquellen. Sie behalten den<br />

Ausgangsort, das Datum und die Form der ur-


-32-<br />

sprünglichen Relationen bei. <strong>Das</strong> <strong>Theatrum</strong> hingegen merzt diese<br />

Merkmale aus und verallgemeinert sie, um so aus den Einzelstücken eine<br />

zusammenhängende Darstellung zu bilden. Die Meßrelationen sind<br />

Quellensammlungen, das <strong>Theatrum</strong> ist eine Quellenverarbeitung. So ist<br />

es kein Wunder, daß das <strong>Theatrum</strong> zumeist die verwerteten Berichte<br />

kürzt, während dies bei den Meßrelationen nur in sehr seltenen Fällen<br />

geschieht. Es ist also in weit umfangreicherem Maße, als es bei einer<br />

oberflächlichen Vergleichung der beiden Werke scheinen könnte, nur an<br />

eine Verwertung gleicher Quellen zu denken, wenn auch in einzelnen<br />

Fällen eine direkte Benützung der Meßrelation durch das <strong>Theatrum</strong> in das<br />

Gebiet der Möglichkeit gezogen werden muß.<br />

Die zuletzt zitierte Vergleichsstelle verdient übrigens noch von<br />

anderer Seite aus Beachtung. Sehen wir einmal auf den Unterschied in<br />

den Ausdrücken der drei Beschreibungen. Die Meßrelation spricht von<br />

einem vergeblichen (cf. frustra) Aufhalten der Eroberung und von den<br />

siegreichen Waffen der kaiserlichen Armada. Nach dem <strong>Theatrum</strong><br />

hingegen macht die dänische Besatzung „nicht weilig zu schaffen”; die<br />

Worte „siegreiche Waffen” fehlen ganz und sollten sie schon in der<br />

(ursprünglichen Einzelrelation gestanden haben, so sind sie sogar<br />

gestrichen worden. Wenn wir jetzt an die Hinneigung Abelins zu der<br />

von den Dänen vertretenen protestantischen Partei denken, so liegt es<br />

nahe, in der von ihm gebotenen Form keine zufällige, sondern von<br />

seiner Tendenz bedingte Gestaltung der Erzählung zu erblicken.<br />

Im II. Bande des <strong>Theatrum</strong> dehnt sich die beobachtete<br />

Verwandtschaft auf eine noch umfangreichere Gruppe von Schriften aus.<br />

Die Aehnlichkeit zwischen <strong>Theatrum</strong>, Inventarium Sueciae und Arma<br />

Suecica hat Droysen schon mit Beispielen belegt. Wir können aber zu<br />

einer Nebeneinanderstellung auch den für die fragliche Zeit von Abelin<br />

verfaßten Mercurius und die Meßrelation hinzuziehen.


Inventarium Sueciae ed. 1632<br />

ercurius G.-B. tom. XVIII lib. 4<br />

el. Hist. H.M. 1631-O.M.<br />

632 S. 27<br />

Arma Suecica ed. 1631<br />

(anonym) S. 155<br />

<strong>Theatrum</strong> II. ed. 1633 S. 433<br />

[- 33 -]<br />

Demnach ließen sie das Bischoffliche<br />

Schloß auffordern, aber die<br />

Kayserischen darinn wollten sich<br />

nicht ergeben, schossen auch so<br />

hefftig mit Stücken auf die steinerne<br />

Brück, dass sie zwey Joch daran fast<br />

zu nicht machten, theten auch dem in<br />

der Statt liegenden Schwedischen<br />

Volck nicht geringen Schaden,<br />

deßwegen dann Ihre Königliche<br />

Mayestät die Resolution genommen<br />

nicht eher förter zurücken, sie hetten<br />

dann solch Schloß in ihrem Gewalt<br />

zu solchem End eylends approchiret<br />

also, dass sie den achten Octobr. mit<br />

den Lauffgräben an den halben Mond<br />

bei der Schlossbrücken kommen,<br />

selbigen mit stürmender Hand<br />

eingenommen, auch zugleich das<br />

Thor des Vorhoffs zu ersteigen<br />

vermeinet, aber die Brücke<br />

abgeworffen befunden. Darauff Ihre<br />

Mayestät etlich Volck in den Gräben<br />

geordnet, welche nach dem sie in<br />

zwo Stund lang mit der Besatzung<br />

tapffer gefochten das Thor an der<br />

andern Seiten des Schlosses mit<br />

großer Fury erstiegen, dasselbe mit<br />

Gewalt eröffnet und sich also deß<br />

Vorhoffs bemächtigt.<br />

.. arcis praesidiariis deditionem<br />

mperavit. Gubernatore autem<br />

ormentorum diplosionibus petitis<br />

epugnante et oppido multum<br />

amni inferente. Rex non prius<br />

lterius progredi, quam arcem vi<br />

xpugnasset, decrevit: quem in<br />

inem arcta obsessione illiam cinxit<br />

t vineis ad propugnaculum<br />

immidiatae Lunae forma ponti<br />

bjectum procurrens et summa vi<br />

llud capiens, cum atrii portam<br />

nutili successu occupare annixus<br />

uisset magnam militum manum in<br />

ossam misit, quae ad duas horas<br />

um praesidiariis continuata<br />

imicatione porta ad aletrum latus<br />

ita petita magno impetu in atrium<br />

rrupit.<br />

.. das Schloß auffordern lassen.<br />

emnach der Guberator aber<br />

ich zu gütlichen Ergebung<br />

icht verstehen wollen, sondern<br />

er Statt Besatzung mit<br />

nauffhörlichem Schießen<br />

roßen Schaden zugefügt. Als<br />

at Ihre Königliche May. die<br />

nwandelbare Resolution<br />

enommen nicht ehe förder<br />

urücken, sie betten dann solch<br />

chloß mit Gewalt erobert<br />

estalt sie dann eylends<br />

bbrochiret, auch den 8. dieses<br />

it dero Lauffgräben an dem<br />

alben Mond bey der<br />

ehlossbrücken gelanget<br />

elbigen mit stürmender Hand<br />

in-bekommen und das Thor<br />

ess Vorhoffs zu ersteigen<br />

ermeint, aber die Brücken<br />

bgeworffen befunden, dahero<br />

ie dann viel Volcks in den<br />

raben geordnet, welche nach<br />

wey stündigem Fechten das<br />

hor an der andern Seiten deß<br />

chlosses in großer Fury<br />

rstiegen, dasselbe mit Gewalt<br />

röffnet und sich also des<br />

orhoffs impatroniret.<br />

... ungeachtet deß<br />

continuirlichen herunter<br />

schießens doch immer<br />

fortgefahren dero gestalt biß sie<br />

endlich nach vier gantzer Tag<br />

unnd Nacht lang<br />

außgestandener gefährlicher<br />

Mühe und Arbeit am Sonn-<br />

Abend, den 8. (18.) Octobr.<br />

frühe umb 4 Uhren Ihre<br />

Majestät an der Seiten gegen<br />

der Stadt das Schloß mit Sturm<br />

besteigen und da sie das<br />

erstemal etwas abgetrieben<br />

worden das andermal auff<br />

dieser und auch der andern<br />

Seiten zugleich zum<br />

zweytenmal glücklich<br />

erstiegen, die Soldaten alle<br />

darnider gemacht, deren in die<br />

2000 mit dem Außschuß<br />

gewesen.<br />

Unangesehen aber solches<br />

continuirlichen Schießens hat<br />

der König gegen dem Schloß<br />

mit etlicher Macht approchiret<br />

und endlich nach 4 gantzer Tag<br />

und Nacht lang<br />

aussgestandener gefährlicher<br />

Mühe und Arbeit den 8.<br />

Octobr. früh umb 4 Uhren an<br />

dem halben Mond bey der<br />

Schlossbrücken mit den<br />

Lauffgräben angelanget,<br />

selbigen alsbald mit<br />

stürmender Hand<br />

einbekommen, darauff das Thor<br />

dess Vorhoffs zuersteigen<br />

gemeynt, aber die Brücke<br />

abgeworffen befunden unnd<br />

dahero etwas zurück weichen<br />

müssen. Aber bald hernach ist<br />

der Sturmb zum zweyten mahl<br />

angangen, da das Schloß so<br />

wohl auff der einen Seithen<br />

gegen der Statt als auff der<br />

andern zugleich mit Gewalt<br />

erstiegen, die Soldaten in 1500<br />

mit dem Ausschuß gewesen<br />

alle nidergemacht worden.


-34-<br />

Von einer direkten Abhängigkeit der Meßrelation und des Mercurius<br />

kann hier nicht die Rede sein, da beide gleichzeitig zur Ostermesse 1632<br />

erscheinen. Ihre Aehnlichkeit muß also auf die Benutzung der gleichen<br />

Quelle zurückzuführen sein, die .wir der Kürze halber mit A bezeichnen<br />

wollen. Dieselbe ursprüngliche Relation, denn um etwas anderes handelt<br />

es sich bei den den Ereignissen so nahestehendeil kompilatorischen<br />

Werken nicht, nimmt Abelin 1632 nochmals beim Inventarium vor, da<br />

dieses so ausführlich ist (z.B. „aber die Brücke .abgeworfen befunden”),<br />

daß es nicht einfache Rückübersetzung des Mercurius sein kann. Die<br />

Arma Succica bieten einen ganz anderen Bericht (B) von der Eroberung<br />

des Würzburger Schlosses, der aber die Einzelheiten des ersten Sturmes<br />

nicht so genau ausmalt wie A. <strong>Das</strong> <strong>Theatrum</strong> nun legt B zugrunde, setzt<br />

aber an der hervorgehobenen Stelle die Detailschilderung des .ersten<br />

Angriffs aus A ein. Ob das <strong>Theatrum</strong> zu der im Inventarium gebotenen<br />

Bearbeitung oder zu A selbst gegriffen hat, läßt sich auf Grund unserer<br />

vergleichenden Uebersicht nicht entscheiden. Wohl aber hat Droysen im<br />

„Arlanibäus” S. 33 an einem Beispiel klar gezeigt, daß das <strong>Theatrum</strong><br />

nicht auf das Inventarium, sondern wieder auf die ursprünglichen<br />

Einzelrelationen zurückgeht.<br />

Wir können daher für die Bearbeitung des <strong>Theatrum</strong> folgende<br />

Schlüsse ziehen. Der Autor greift bei einer abermaligen Behandlung des<br />

gleichen Themas wieder auf die ursprünglichen Einzelrelalionen zurück,<br />

nicht aber schreibt er eine bereits von ihm angefertigte Darstellung<br />

durchweg ab. <strong>Das</strong> <strong>Theatrum</strong> bietet ferner als die letzte Bearbeitung die<br />

vollständigste Erzählung. Denn es stehen ihm zwei ausführliche Berichte<br />

über denselben Gegenstand zur Verfügung, aus denen es seine<br />

Beschreibung bilden kann. Die Verhältnisse liegen hier besonders<br />

günstig, da Abelin sich mit dem im <strong>Theatrum</strong> beigebrachten Stoff schon<br />

mehrere Male beschäftigt hat. Es darf deshalb wohl gesagt werden, daß


-35-<br />

die Kompilatoren in den Teilen des <strong>Theatrum</strong>, an denen schon eigene<br />

Arbeiten vorliegen, es zu einer vollkommeneren Kenntnis, des Materials,<br />

also auch zu einer besseren Darstellung zu bringen vermögen. Ob die hier<br />

für die kompilatorische Arbeitsmethode aus Einzelfällen aufgestellten<br />

Sätze eine Verallgemeinerung vertragen, muß vorläufig noch<br />

dahingestellt bleiben.<br />

Der Einblick in die Quellenverhältnisse hat uns bereits an einem<br />

Beispiel gezeigt, wie Abelin zugunsten seiner .Tendenz seine Relationen<br />

bearbeitet haben mag. Schon die Fassung des Titelblattes in .Band II ed.<br />

1633 ließ femer keinen Zweifel darüber, daß es sich dabei um eine<br />

.Hinneigung unseres Verfassers zur evangelisch-schwedischen Partei<br />

handelt. Wie sich im einzelnen die Tendenz in der Darstellung äußert, das<br />

soll noch näher ausgeführt werden.<br />

Allerdings betont Merian stets in seinen Vorreden, daß historische<br />

Wahrhaftigkeit, mit der sich eine Parteilichkeit nicht verträgt, in seinen<br />

Werken obwalten solle. Auch Abelin selbst erkennt diese Forderung in<br />

ihrer vollen Berechtigung an. Er bemerkt wiederholt, daß er über eine<br />

strittige Frage lieber andere urteilen lassen (II 265) und dem Leser sein<br />

judicium (l 63) freistellen will. Und in der .Tat finden sich Ansätze dazu,<br />

daß der Autor einen völligen Durchbruch seiner persönlichen<br />

Anschauungen zurückzudrängen sucht. So können wir die Beobachtung<br />

machen, daß er mit Rechtfertigungsschriften von beiden Seiten nicht<br />

zurückhält, sondern sich hierin einer gleichmäßigen Mitteilung befleißigt.<br />

Obwohl er ferner der kaiserlichen Soldateska nichts ungerügt durchgehen<br />

läßt, so redet er doch .auch „von böhmischer Defensoren Excessen” (I<br />

264) und nennt Christian von Halberstadt den braunschweigischen<br />

Brandmeister (I 632). Wenn er sodann bei der Schilderung der von<br />

katliolischier Seite durchgeführten Reformation evangelischer Gebiete<br />

zwar weniger in offen hervorbrechenden


-36-<br />

Ausfällen seiner Mißbilligung Ausdruck gibt als vielmehr durch<br />

möglichst nachdrückliche Betonung und Ausmalung der durch die<br />

Bekehrungsmaßregeln entstandenen Not Mitleid und Parteinahme<br />

wachzurufen sucht, so fühlt er hier, daß seine Darstellung der von ihm<br />

selbst aufgestellten Forderung der Unparteilichkeit doch vielleicht nicht<br />

entsprechen könnte. Daher glaubt er, sich in einem „Der Historiographus<br />

entschuldigt sich hier etwas” betitelten Abschnitt (II 47) im voraus gegen<br />

denVorwurfverwahrenzumüssen,„obthätenwir,wasChristlichund<br />

wohl gemeynet, ungleich auslegen”, und versichert nachdrücklich dabei,<br />

daß seine Beschreibung genau den Talsachen entspreche. Also er sucht<br />

hier den in Anspruch genommenen Ruf eines unparteiischen<br />

Schriftstellers zu retten. Doch seine persönlichen Empfindungen sind so<br />

stark, daß sie häufig die durch die Forderung der Tendcnzlösigkeit<br />

freiwillig angelegten Fesseln zersprengen.<br />

Bei der Feststellung der Stücke, aus denen wir auf eine Tendenz des<br />

Verfassers schließen können, muß mit einiger Vorsicht zu Werke<br />

gegangen werden. Man muß nämlich beachten, daß, wie die<br />

Quellenuntersuchung ergibt, der größte Teil der Darstellung aus fremden<br />

Stücken zusammengestellt ist, die vielleicht bereits eine tendenziöse<br />

Färbung an sich getragen haben und samt dieser übernommen worden<br />

sind. Zwar wäre ja der durch Nichtbeachtung eines solchen Verfahrens<br />

entstehende Fehler nicht allzu groß, da wir dem Autor doch so viel<br />

selbständige Denkkraft zutrauen dürfen, daß er nur Stücke mit einer<br />

seinen Anschauungen nicht zuwiderlaufenden Tendenz ungeändert<br />

übernommen hat. Wie wir ja tatsächlich bei der Quellenuntersuchung<br />

sahen, daß Abelin Ausführungen, deren Gepräge ihm nicht zusagt,<br />

umformt. Die vornehmste Beachtung bei der Frage nach der Tendenz<br />

verdienen freilich die Abschnitte, die zweifellos der Hand des Verfassers<br />

entstammen, also besonders die die


-37-<br />

Crzählungs- und Aktenstücke verbindenden Uebergänge und<br />

Zwischenbemerkungen aller Art.<br />

Die Zugehörigkeit zur evangelischen Konfession macht sich öfters<br />

bemerkbar. Es schließt sich Abelin sogar einmal offen in die<br />

protestantische Partei ein, wenn er sagt oder doch wenigstens aus seiner<br />

Quelle unbeanstandet übernimmt, Kardinal Clesel habe das den<br />

Protestanten .widerfahrene Leid als „göttliches Verhängniß zu verdienter<br />

Abstraffung unserer großen Sünden” erklärt. Der Autor stellt ferner die<br />

seinen Glaubensgenossen allerorten auferlegten „Proceduren und<br />

Drangsale”, die durch das „strenge und unzeitige Reformieren” und<br />

„Zwang zur Bäbstischen Religion” verursacht werden, dem Leser<br />

eindringlich vor Augen. Mit einer gewissen Bewunderung vermerkt er es<br />

dabei, wenn Evangelische „lieber alles leyden als dem Römischen Babel<br />

dienen” wollen (I 895). Mit sichtlichem Interesse verfolgt er ebenso alle<br />

Bestrebungen, die darauf ausgehen, die Evangelischen .zu einem einigen<br />

Vorgehen anzuspornen (I 309). Als Protestant betrachtet unser Verfasser<br />

die Uebertragung Mecklenburgs auf Wallenstein unter dem<br />

Gesichtspunkt, daß damit ein evangelisches Land „auf den Hertzogen von<br />

Friedland und also in Päbstische Hand gebracht” werde (I 1061). Die<br />

Absichten, die Abelin der katholisch-kaiserlichen Partei zuschreibt,<br />

lassen sich in den Satz fassen: „Der Katholischen gantzer Intent ist auff<br />

die Austilgung der Evangelischen Religion gerichtet” (I 164). Fast in den<br />

gleichen Ausdrücken kehrt er diesen Gedanken immer wieder hervor. Der<br />

Papisten Intent wider die Evangelische (I 848) ist, die Religion auf alle<br />

Weiß und Weg aller Orthen abzuschaffen (I 662). Es ist ihr um eine lange<br />

Zeit hero practicirtes Vorhaben, die Evangelischen wider dem<br />

Päpstischen Stuhl zu unterwerffen und ihre Länder an sich zu ziehen (II<br />

392). Die evangelischen Fürsten, insbesondere der Kurfürst von Sachsen<br />

(I 726), merken nur nach und nach diese Absicht, fangen dann aber an,<br />

Gegenrüstungen zu


-38-<br />

treffen (II 379). Gegenüber dem Kaiser hält Abelin sehr zurück. Er ist an<br />

aller Not nicht schuldig, sondern nur übel beraten. Alle Vorwürfe wenden<br />

sich gegen die falschen und bösen Räte, die das Gute hintertreiben (I<br />

164). Ganz besonders beschuldigt Abelin die Katholischen weiter, daß<br />

sie, als das Vaterland durch den Lübecker Frieden kaum zur Ruhe<br />

gekommen war, wiederum eine neue Kriegsursache erdacht hätten. Nicht<br />

den Religionseifer will er ihnen verdenken, aber das nimmt er ihnen übel,<br />

daß sie gerade jetzt, wo das Reich dem Frieden nahe, mit der Forderung<br />

der Restitution der geistlichen Güter auftraten, und daß damit „nach<br />

gelöschtem einem Feuer ein anders auffgegangen sey” (II 7). Wenn die<br />

Juden zu Wien gegen Erlegung von 300000 Reichstaler von der<br />

Forderung, die katholische Religion anzunehmen, befreit wurden, fügt<br />

der Verfasser bei: „welches eben die rechte Braut gewesen darumb man<br />

getantzet” (I 731). Damit findet er die Ansicht bestätigt, daß, „theils auß<br />

unzeitigem Eiffer der Religion, mehrerentheils aber auß Privat-Nutzen<br />

und Interesse” (II 117) die Reformationen vorgenommen worden sind.<br />

Eine Resolution der Liga beurteilt Abelin dahin, daß damit „die<br />

Päbstische nunmehr sich fein weißbrennen und alle Schuld auff die<br />

Evangelische legen” wollten (I 337). Für die Katholischen setzt er öfters<br />

den Ausdruck „Papisten” ein; fällt hingegen das Wort „Ketzerey”, so<br />

versäumt er nicht beizufügen: „wie sie vermeyneten” (I 840). Die bisher<br />

beobachtete einseitige und ungünstige Beurteilung der katholischen<br />

Partei überhaupt erstreckt sich auch auf die ihre Interessen verteidigenden<br />

Truppen. <strong>Das</strong> zeigt sich besonders darin, daß er mit großem Eifer alle<br />

Vergehen der kaiserlichen Soldaten vermerkt. Bevor jedoch näher darauf<br />

eingegangen werden soll, muß ein für die vom Verfasser beobachtete<br />

Tendenz wichtiger Punkt der Darstellung hervorgehoben werden. Es ist<br />

dies das Eingreifen Gustav Adolfs in die deutschen Verhältnisse. Nicht<br />

um eine Aende-


-39-<br />

rung der bisherigen antikatholischen Tendenz handelt es sich, sondern um<br />

eine Steigerung. Mit dem Augenblick, wo der Schwedenkönig auf<br />

deutschem Boden landet, nimmt die Darstellung einen gut schwedischen<br />

Charakter an. Mit der Liebe, die der schwedischen Sache<br />

entgegengebracht wird, steigt der Haß gegen die katholische Partei. Der<br />

schwedische Standpunkt muß noch dahin näher bestimmt werden, daß es<br />

sich weniger um Zuneigung zu Schweden überhaupt handelt als um<br />

Begeisterung für die Heldengestalt Gustav Adolfs. Alle Evangelischen<br />

müssen ihm dafür dankbar sein, daß er gekommen ist, sie von der<br />

„Kayserischen Tyranney” zu erlösen. Seine Absichten werden als die<br />

lautersten hingestellt. Wenn auch politische Interessen der Krone<br />

Schwedens (II 78) nicht völlig unerwähnt gelassen werden, so<br />

verschwindet das doch gänzlich hinter der fortgesetzten Betonung der<br />

Tatsache, daß der König nur „aus .Christlichem Königlichem Mitleyden”<br />

seinen Glaubensverwandten Hilfe leistet (I 1041, II 86 u.ö.). Nicht genug<br />

kann Abelin darin tun, die Tapferkeit, Klugheit und alle sonstigen<br />

hochherzigen Eigenschaften Gustav Adolfs zu rühmen und zu preisen.<br />

<strong>Das</strong> Lob des Feldherrn geht auch auf die Truppen über. Immer wieder<br />

wird konstatiert, daß jedermann sich über die Bereitschaft der<br />

schwedischen Soldaten verwundert habe. Aber jedesmal wird der<br />

treffliche Zustand. der Truppen auf die Vortrefflichkeit ihres Führers<br />

zurückgeleitet und damit gezeigt, daß er allein das Zentrum des Interesses<br />

bildet. Muß der Verfasser sich schließlich doch auch über die<br />

Verwilderung der unter schwedischer Fahne fechtenden Soldaten abfällig<br />

äußern, so betont er zugleich' doch wieder, daß das wider Willen ihres<br />

Feldherrn geschehen und von ihm gerügt worden sei. Wie sich der Autor<br />

in seiner Schwedenbegeisterung zu einem ungerechten Urteil gegen die<br />

kaiserlichen Truppen verleiten läßt, mag an einigen Beispielen illustriert<br />

werden. Während die kaiserlichen Kontributionen als Beispiele großer<br />

Härte aufgezeich-


-40-<br />

net werden, erfahren die schwedischen keinerlei Beurteilung. Oft wird<br />

fast mit den gleichen Worten eine Antithese zwischen beiden Parteien<br />

festgestellt. Die Leutseligkeit Gustav Adolphs ist nicht genugsamb zu<br />

rühmen und zu beschreiben (II 490); bald darauf sagt der Verfasser:<br />

„Was sonsten bey diesem Abzug die Tylische mit plündern, brennen,<br />

morden und anderm Muthwillen aller Orthen daherumb vor Schaden<br />

gethan, ist nicht genugsamb zu beschreiben” (II 492). Sehr viel besagt<br />

eine Gegenüberstellung der beiden folgenden Stellen in denen der<br />

Verfasser schreibt oder vielleicht besser aus seinen Quellen<br />

unbeanstandet übernimmt: „Der Graf von Tylli hat wider alle alte Kriegs-<br />

Manier und Gebrauch aus einem unchristlichen und teuffelischen Eyfer<br />

den armen Cörpern die Erde nicht gegönnet, sondern sie nach der Elbe<br />

führen und ins Wasser werffen lassen” (II 370), dagegen bei der<br />

Eroberung Donauwörths durch den Schwedenkönig: „Von den Tyllischen<br />

wurden in und umb die Stadt und auff der Brücken über 500 Todte<br />

gefunden, so alle in die Donau begraben worden” (II 578). Es kann<br />

keinem Zweifel unterliegen, daß Abelin seiner Tendenz entsprechend bei<br />

der Auswahl der Quellen entschieden hat. Unschwer kann man<br />

beobachten, wie er in großer Anzahl von evangelischschwedischer Warte<br />

geschriebene Berichte verwertet.<br />

Wir haben also festgestellt, daß Abelin Anhänger der schwedischprotestantischen<br />

Sache ist. Neben Aeußerungen nach dieser Seite finden<br />

sich aber auch solche, aus denen eine sich über die Parteieinseitigkeit<br />

erhebende patriotische Stimmung spricht. Des Verfassers Wunsch geht<br />

dahin, „unserem geliebten Vatterland”, „dem übelgeplagten<br />

Deutschland”, Ruhe zu verschaffen. Mit Freuden werden alle Vorschläge<br />

zur Beendigung der Kriegsunruhen begrüßt und mit Bedauern berichtet,<br />

wenn sich die Verhandlungen darüber zerschlagen haben. Der Friede<br />

wird als „der von allen getreuen Patrioten erwünschte Zweck” bezeichnet<br />

(I


-41-<br />

977), „danach männiglich sich hefftig sehnete” (I 999). <strong>Das</strong> Verlangen<br />

nach Ruhe äußert sich auch in der „Conclusio Tomi Primi”, wenn er Gott<br />

„um deß mächtigen großen entstandenen Unheyls gnädige Abwendung”<br />

bittet. Die gleiche Stimmung begegnet uns übrigens noch stärker in den<br />

Vorreden zu den von Abelin verfaßten Bänden des Mercurius Gallo-<br />

Belgicus. Er bedauert dort, daß er immer wieder Jahr für Jahr von nichts<br />

anderem berichten könne als von Rauben und Morden.<br />

III und IV.<br />

In der Vorrede zu dem revidierten Teil II (ed. 1637) bemerkt M.<br />

Merian: „Gestalt dann ermeldter Flitnerus in Verfertigung deß Dritten<br />

Theils dieses Historischen Wercks, so sich von Anno 1633 biß 1636<br />

beydes inclusive erstrecken wird und allbereits in Arbeit begriffen ist, das<br />

Ampt eines unpartheyischen wahrhafften Historicus zu vertretten ... ihm<br />

angelegen seyn lassen wirdt.” 1639 erscheint der III. Band, der indessen<br />

die Zeit 1633—1638 umfaßt und H. Oraeus als Autor nennt. Es müssen<br />

sich demnach in kurzer Zeit die Verhältnisse derart geändert haben, daß<br />

entgegen der 1637 von Merian geäußerten Absicht der vorgenommene<br />

Zeitraum erweitert und ein anderer Verfasser bestimmt wird.<br />

Lieber den Lebenslauf des Oräus sind wir verhältnismäßig gut<br />

unterrichtet. (Strieder Band X u. Allg. .D. Biogr.) Heinrich Oraeus aus<br />

Assenheim (1584—1646) ist theologischer Schriftsteller. Nach seinem<br />

Studium in Straßburg und Frankfurt bereist er fremde Länder; z. B. hält<br />

er sich 1603 in Rom auf. Zurückgekehrt wurde er Schulmeister, aber bald<br />

finden wir ihn als Pfarrer in der Wetterau, wo er


-42-<br />

bis 1639 bleibt. In diesem Jahre erhielt er eine mit der Schulaufsicht<br />

betraute angesehene Pfarrstelle in Hanau.<br />

Der III. Band trägt den Namen Henricus Oraeus auf dem Titelblatt.<br />

Der IV. Band hingegen bezeichnet als Verfasser J. P. A. V. M. Trotzdem<br />

sehen wir uns veranlaßt, auch ihn dem Oraeus zuzuschreiben. Gegen<br />

Ende des III. Bandes spricht Oraeus wiederholt die Absicht aus, eine<br />

Fortsetzung zu liefern (III 1011; 1027). Es fällt nun im Anfang des IV.<br />

Bandes auf, daß dessen Autor sehr oft sich auf „unseren tomo III” beruft<br />

(IV 68 u.ö.). Besonders eine der dortigen Verweisstellen (IV 67) erregt<br />

Bedenken. Sie lautet nämlich etwa: „Von diesen Sachen haben wir schon<br />

in Tomo nostro tertio sub Anno 1638 unterschiedlicher Orten viel<br />

eingeführet unnd mit Documentis belegt, auch bald Eingangs dieses Tomi<br />

IV davon gehandelt” (ed. 1643, S. 73). <strong>Das</strong> hier gebrauchte „Wir”, in. das<br />

sich der Verfasser einschließt, bezieht sich offenbar auf beide Bände<br />

gleichmäßig. <strong>Das</strong> mag den ersten Anstoß dazu geben, eine<br />

Zusammengehörigkeit von III und IV ins Auge zu fassen. Einige<br />

Anhaltspunkte liefern Vergleiche der Vorreden und Schlußworte beider<br />

Bände. Ueberall finden wir hier eine merkliche Breite sowie eine mit<br />

lateinischen Ausdrücken und Zitaten durchsetzte Gelehrtensprache, die<br />

zugleich reich an Wendungen ist, welche in den Mund eines Theologen<br />

passen. <strong>Das</strong> überall besprochene Hauptthema ist die Unzuverlässigkeit<br />

des Quellenmaterials. Bis ins einzelne ließen sich Vergleiche anstellen.<br />

Z.B. der bescheidene Gedanke in der Vorrede zu IV, daß in dem Werke<br />

mehr Mühe und Arbeit als Erudition sei, findet sich schon in der<br />

Conclusio zu III, wo auf die angewandte Mühe, Fleiß und Unkosten<br />

aufmerksam gernacht wird. Zwei wichtige Andeutungen über die<br />

persönlichen Verhältnisse des Verfassers finden sich ferner in IV (nur ed.<br />

1643). Der Autor erklärt nämlich 1643, daß ihm vor 42 Jahren England<br />

„im reysen bekant worden” sei. (Vorrede zu IV.) Es kann kaum ein<br />

zufälliges Zusammentreffen


-43-<br />

sein, daß das Jahr 1601 uns genau in die Reisezeit des Oraeus führt. Sehr<br />

zutreffend stimmt auch für Oraeus, wenn in der Conclusio zu IV eine<br />

Fortsetzung versprochen wird, „auff den Fall wir in Gesundheit und<br />

längerem Alter, dessen wir zwar sonsten eine ergebliche Anzahl auff uns<br />

haben vermittelst Göttlicher Verleihung verfahren möchten”. Oraeus, der<br />

damals 59 Jahre alt ist, mußte schon mit der Möglichkeit eines baldigen<br />

Lebensendes rechnen, das 1646 erfolgte, so daß er den 1647<br />

erscheinenden V. Band nicht mehr besorgen konnte. Bedenken könnte<br />

erregen, warum Oraeus bei dem IV. Band seinen Namen verschweigt.<br />

Vielleicht mag er mit Rücksicht auf seine neue Lebensstellung in Hanau<br />

seit 1639 es vorgezogen haben, 1643 nicht mehr sich zur Verfasserschaft<br />

offen zu bekennen. Als Schriftsteller, der bereits auf theologischpolemischem<br />

Gebiet tätig war, ist er pseudonyme Veröffentlichungen<br />

gewöhnt. Er hat nämlich unter einer ganzen Reihe angenommener Namen<br />

geschrieben (cf. Strieder). Die Anfangsbuchstaben J. P. A. waren ihm<br />

durch die 1637 erfolgte Ausgabe des II. Bandes an der Hand gegeben,<br />

worin Flitner den Namen Johann Philippus Abelinus also abgekürzt hatte.<br />

<strong>Das</strong> ganze Gepräge der beiden Bände III und IV stimmt endlich in allen<br />

wesentlichen Punkten überein, so daß wir kein Bedenken zu tragen<br />

brauchen, diese beiden Teile des <strong>Theatrum</strong> gemeinsam zu besprechen.<br />

Um einen Einblick zu gewinnen, auf welchem Gebiete und in<br />

welchem Sinne Oraeus sich gelegentlich schon schriftstellerisch betätigt<br />

hat, sei der Titel eines zufällig zur Hand gekommenen Flugblattes vom<br />

Januar 1632, das mit .Henricus Oraeus unterzeichnet ist, angeführt:<br />

„Eyfferige Dancksagung für die wunderthätige Errettung und Sieg,<br />

welche Gott seinem heiligsten Nahmen zu Ehren und der Evangelischen<br />

Kirchen Teutschen Lands zur Fortpflanzung wider den Antichrist. Durch<br />

den Durchleuchtigsten und Großmächtigsten Fürsten und Herrn, Herrn<br />

Gustavum


-44-<br />

Adolphum, König der Schweden, Gothen und Wenden etc. Als einem<br />

Gedeon sieghafft verliehen; Sampt einem Gebett: Daß Gott der<br />

Allmächtig der Königl. May. ferneren Sieg wider den Antichrist und<br />

Gottes Feinde verleyhen und Sie vor allem Unfall behüten und bewahren<br />

wolle. Allen Evangelischen Christen und trewen Teutschen täglich<br />

zusprechen. Getruckt Im Jahr 1632.” Wenn wir von der in solchen<br />

tendenziösen Flugblättern gewöhnlichen Schärfe absehen, so ist es doch<br />

klar, daß wir hiernach eine religiös-politische Stellung unseres Autors zu<br />

erwarten hätten, die sich mit den Anschaungen Abelins zum mindesten<br />

deckt, wenn nicht über sie hinausgeht. Allein es fällt schon auf, daß sich<br />

auf dem Titelblatt des Bandes III die Worte: „mit großem Fleiß und<br />

sonderbahrer Treu gantz unparteyisch und ohne Affection gestellet”<br />

finden. In der Vorrede an den Leser betont Oraeus weiter, daß der<br />

Scribent als sacerdos veritatis seinen Affecten nicht nachgeben dürfe.<br />

„Die Affecten, sagt man, sind böse Rathgeber und wer derselbigen<br />

Einraunen folget, muß offtermahlen neben der Wahrheit her spatzieren<br />

und entweder betriegen oder betrogen werden.” Der Scribent soll „auch<br />

dasjenige, was ihme doch widrig, ohne Vorurtheil rein und<br />

unverschrenckt erzehlen.” Oraeus versichert, daß er sich nie unterstanden<br />

habe, deß Lectoris Judicium auf halbem Wege zu intercipieren oder<br />

auffzufangen. Im Verlaufe seiner Darstellung betont er wiederholt, daß er<br />

sich mit Mutmaßungen, die man über den einen oder den anderen Vorfall<br />

angestellt habe, nicht abgeben, sondern das Urteil dem Leser<br />

anheimstellen wolle (III 576; IV 5; 123 u.ö.). Doch nicht nur in Worten,<br />

sondern auch in der Tat bleibt Oraeus seinem Vorsatze, ohne<br />

Hervorkehrung der eigenen Affekte zu schreiben, getreu. Die durch die<br />

katholischen Reformationen entstehenden Mißstände schildert er ruhig<br />

und sachlich, nicht wie Abelin in so grellen Farben, daß die Erzählung<br />

einer Anklage gleichkommen mußte. Ist wirklich einmal ein im<br />

protestantischen Sinne wirksames Interesse zu ver-


-45-<br />

spüren, so ist der Autor sofort schon mit einer einschränkenden<br />

Entschuldigung bei der Hand. Sagt er so einmal: „wir erdichten allhier<br />

nichts in odium Patrum, sondern referiren pure wie es an uns kommen”,<br />

dann verrät er deutlich hiermit, daß er auf ein Gebiet getroffen ist, auf<br />

dem für ihn die Gefahr bestand, vom Pfade der Unparteilichkeit<br />

abzuweichen (III 34 cf. IV 786). Man darf auch nicht von einem<br />

wirksamen Durchdringen der Anschauungen des Verfassers auf<br />

politischem Gebiet reden. Oraeus zählt nicht nur die Uebergriffe der<br />

kaiserlichen Truppen auf, sondern er vergißt auch nicht, die Ausartung<br />

der schwedischen Soldateska zu kennzeichnen. Ebenso läßt sich ihm in<br />

der Quellenauswahl nicht gesuchte Einseitigkeit vorwerfen. Wir finden<br />

wohl Quellen von schwedischer Warte, die in den Schweden die vom<br />

göttlichen Beistand bedachte Partei sehen (III 90 u.ö.). Allein daneben<br />

sind Berichte verwertet, die von einer der kaiserlichen Partei<br />

nahestehenden Seite gegeschrieben sind und von der Tyrannei der<br />

schwedischen Feinde reden. (III 317 u.ö.). Wir sind bei dieser<br />

Zurückhaltung des Autors nicht in der Lage, seine politischen<br />

Anschauungen scharf zu erkennen. Einmal allerdings bei der Ausdeutung<br />

eines Mondzeichens gibt Oraeus uns Gelegenheit, einen interessanten<br />

Einblick zu gewinnen, in welcher Richtung sich seine politischen<br />

Hoffnungen bewegen. Nachdem er nämlich eine fremde Auslegung des<br />

Wundergesichtes wiedergegeben hat. sagt er weiter: „So wir aber den<br />

Deutungen etwas nachgehen sollen, wollen wir viel eher darfür halten,<br />

der kleine Mond bedeute ein kleines beständiges Häufflein, so sich mit<br />

dem großen in einen Vollmond wachsenden aber auch der Lunarischen<br />

Unbeständigkeit unterworffenem Häuffen noch werde vereinigen, also<br />

auß der großen Religions-Discrepantz etwas einiges noch werden<br />

müssen, welches seinen Ingressum mit deß Königs zu Schweden<br />

Erscheinung und Ankunfft auch dessen Bildnuß Widerkunfft angefangen<br />

habe und fortan continuiren werde.”


-46-<br />

(III 92). Beachtenswert ist das besondere Interesse für die Person Gustav<br />

Adolphs, dessen Auftreten als Beginn einer Bewegung angesehen wird,<br />

die noch einmal zur Beilegung des Religionszwistes führen möge. Ganz<br />

ähnlich redet er in der Conclusio zu IV (ed. 1643) von der „Discrepantz",<br />

aus der der Krieg entsprungen sei, und von der erstrebenswerten<br />

Einigung in Glaubenssachen, wobei er fortfährt: „Leben demnach der<br />

Christlichen Hoffnung, es solle diese Unitet zum wenigsten gantz<br />

Teutschland, wann wir uns zuvor biß auff ein Ende miteinander<br />

abgebissen und abgemattet haben, durch ein unpartheyisches Generale<br />

Concilium zum ersten widerfahren.” Wir können also gelegentlich das<br />

Mitklingen religiös-politischer Ansichten des Verfassers beobachten,<br />

nicht aber ist, wie dies bei Band I und II der Fall war, eine offen<br />

auftretende und die Darstellung färbende .Tendenz aufzuweisen.<br />

Was veranlaßt Oraeus, der, wie der oben zitierte Flugblattitel erhellt,<br />

doch Farbe zu bekennen verstand, jetzt zu diesem maßvollen,<br />

unparteiischen Ton? Wir erinnern uns zunächst, daß Merian<br />

hauptsächlich mit Rücksicht auf die veränderten politischen Verhältnisse<br />

die ausgesprochene evangelisch-schwedische Tendenz der von Abelin<br />

verfaßten beiden ersten Bände zu mißbilligen und sich durch eine<br />

Revision dieser Teile seines Werkes vor etwaigen Anfeindungen zu<br />

schützen für gut befand. Es unterliegt keinem Zweifel, daß er dann auch<br />

dem Autor des III. Bandes im voraus eingeschärft hat, eine streng<br />

unparteiische Schilderung zu geben. Diesem Verlangen des Verlegers<br />

entspricht Oraeus schon, wenn er in den Vorreden an den Leser<br />

nachdrücklich versichert, daß er es streng vermieden habe, seinen<br />

Affecten die Zügel schießen zu lassen. Er hütet sich aber auch von selbst<br />

vor Hervorkehren einer Parteilichkeit, die recht gefährlich für ihn werden<br />

konnte. Oraeus spricht dies, daß es nun angebracht sei, mit der<br />

Schriftstellerei recht vorsichtig zu Werke zu gehen, einmal etwa mit<br />

folgenden Worten


-47-<br />

aus: „Dann es ist bekandt und gantz unverneinlich, daß so .irgend zu<br />

einer Zeit bös, beschwerlich und gefährlich Historien .und vergangene<br />

Geschichten zubeschreiben, so ist es fürwahr besonders zu dieser bösen<br />

und betrübten Zeit.” Doch nicht nur unter dem Zwang äußerer<br />

Verhältnisse schlägt Oraeus in dem III. und IV. Bande einen so<br />

maßvollen Ton an. Es bieten sich uns vielmehr Anhaltspunkte, daß er in<br />

der späteren Zeit, in der er am <strong>Theatrum</strong> <strong>Europaeum</strong> mitarbeitet, bereits<br />

eine mehr auf den Frieden als auf den Streit bedachte Gesinnung<br />

angenommen hat. Politische und persönliche Erfahrungen wirken hier<br />

gleichmäßig auf unseren Verfasser ein. Gustav Adolf, dessen<br />

einnehmende Persönlichkeit so viele veranlaßt hatte, gut schwedisch zu<br />

werden, war bei Lützen gefallen, und in der Zeit nach der Schlacht bei<br />

Nördlingen war die schwedische Sache wenig vom Glück begünstigt.<br />

Viele evangelische Stände, vor allem das maßgebende Sachsen, einigten<br />

sich mit dem Kaiser. Die schwedischen und sächsischen<br />

Glaubensverwandten kämpfen sogar „unchristlicher und feindseliger<br />

Weise” gegeneinander (III 581). Schon im Hinblick auf diese politischen<br />

Verhältnisse konnte man schwerlich einen Standpunkt behaupten, der das<br />

Recht ausschließlich auf der einen Seite sehen wollte. Sodann aber war<br />

sicherlich das, was Oraeus als Pfarrer in der Wetterau lange Zeit mit<br />

eigenen Augen vom Kriegstreiben geschaut hatte und drum im <strong>Theatrum</strong><br />

mit lebendigeren Farben schildern konnte, nicht ohne nachhaltigen<br />

Einfluß. Er mußte erfahren wie „beyde Freunde und Feind furios und<br />

Tyrannisch gehandelt, daß man keinen Unterscheyd verspüret” (III 719).<br />

„In dem Reich gieng es dieser Zeit erbärmlich her; die Landkinder waren<br />

vertrieben und frembde hatten das Reich ein, welche aber noch zu Hause<br />

waren, wurden dermaßen von den frembden Völckern gehandelt, daß sie<br />

lieber das bittere Elend hätten bauen, als den Untergang deß Vatterlandes<br />

sehen sollen. Auff einer Seyten wüteten die Schweden, Finnen, Lappen,<br />

Irrländer


-48-<br />

und dergleichen auff der andern Croaten, Cossaggcn, Polacken,<br />

Hussaren, Spanier, Wallonen und wuste niemand, wer da Freund und<br />

Feind wäre, dann es war da kein ünterscheyd” (III 365). Mit einem<br />

Wechsel in der Besetzung eines Ortes ist weder dem privaten noch dem<br />

gemeinen Wesen gedient, denn beide Parteien hausen ja in gleicher<br />

Weise (IV 196). Durch die fortdauernde Kriegsnot ist Oraeus schon<br />

gegen alles das abgestumpft. Er will nicht viel Worte machen, zumalen<br />

weiln das fast männiglich, was der Soldateska procedere mit sich bringe,<br />

bewußt ist, welches man mit wenig Worten: la maniere & raison de<br />

guerre das ist Weise und Eigenschaft des Krieges zu entschuldigen pflegt<br />

(IV 120). Es ist aus diesen Gedankengängen verständlich, wenn deshalb<br />

bei Oraeus eine unwillige Empfindung über die Okkupation deutschen<br />

Gebietes durch die Franzosen auftauchen kann. „Hätte man gar alles noch<br />

einnehmen können”, sagt der Verfasser, „es würde am guten Willen nit<br />

ermangelt haben” (IV 9 cf. 194). Wie das anhaltende Kriegselend<br />

einerseits dazu veranlaßt, gegen alle daran beteiligten Parteien sich<br />

ablehnend zu verhalten, so mahnt es andererseits dazu, auf eine<br />

Beruhigung des eigenen Landes zu sehen. Alle Hoffnung, der Not<br />

abzuhelfen, stützt sich auf einen die streitenden Parteien einigenden<br />

Frieden. Drum spendet Oraeus Lob allen denen, die sich um die<br />

Friedensbestrebungen verdient machen, ganz abgesehen davon, auf<br />

welcher Seite sie stehen, dem Kurfürsten von Sachsen (III 375), dem<br />

Landgrafen Georg von Hessen (III 306) ebenso wie dem Erzbischof von<br />

Mainz (III 684), dem Kaiser (IV 300; 309) und dem Papst (III 901; IV<br />

107, 150). Als er allerdings 1641 auf eine gegen die Protestanten<br />

gerichteteSchriftdesPapsteszusprechenkommt,kanneressicheinmal<br />

nicht versagen, seine bisherige Beurteilung des Oberhaupts der<br />

katholischen Kirche zu korrigieren und zu bemerken, daß dies am<br />

Teutschen Frieden nichts hat befördern wollen (IV 482). Dürfen wir also<br />

nicht von einer


-49-<br />

beherrschenden Tendenz bei Oraeus reden, so doch von einer Stimmung,<br />

die als Grundton den III. und IV. Band des <strong>Theatrum</strong> durchklingt,<br />

nämlich der Sehnsucht nach Ruhe und Frieden. Sobald nur das Wort<br />

Friede fällt, wird es mit Attributen wie heilsam, gemeinnützig,<br />

hocherwünscht, lieb, gülden u. ä. ausgeschmückt. Mit Interesse verfolgt<br />

Oraeus die Friedensverhandlungen. So sagt er einmal: „man hat allerseits<br />

gute Hoffnung zur Widerbringung eines allgemeinen, beständigen und<br />

seeligen Friedens getragen” (III 414). Er begrüßt es, wenn sich eine Thür<br />

zum Friedens-Eingang zu eröffnen scheint und beklagt es, wenn leyder<br />

nichts anders als eine beharrliche Fortführung und Flamme der<br />

Kriegswaffen aller Orten erfolgt (IV l) und man nur den Frieden auf der<br />

Zunge getragen hat (IV 67). Sein Bedauern darüber, daß die<br />

Friedensverhandlungen sich in Aeußerlichkeiten ergehen und aufhalten,<br />

anstatt schnurstracks auf das Endziel loszugehen, liegt in den Worten:<br />

„Wie oft ist von den Leutmaritzischen, Pragerischen und Pirnischen<br />

Friedens Tractaten gesagt und geschrieben! wie begierig hat mans gehört<br />

und gelesen! wie viel tausend mal lieber und begieriger hätte man den<br />

Effect und Nachtruck gesehen! aber so offt davon geredt, so wenig hat es<br />

fortgehen wollen.” (III 375).<br />

Der schon durch das Arbeiten mit Ausrufezeichen an der<br />

letztzitierten Stelle hervortretende Schwung erinnert uns an den<br />

Kanzelredner Oraeus. Daß der Autor Theologe ist, ist nicht ohne Einfluß<br />

auf die Form der Darstellung gewesen. Es soll indessen nur noch auf ein<br />

öfters wiederkehrendes Merkmal aufmerksam gemacht werden, nämlich<br />

auf den Hang zum Moralisieren (III 77). Die Heimsuchungen durch<br />

„Krieg, Theuerung und Pestilentz” geben Anlaß zu bedenken, „warumb<br />

uns Gott der Herr so kräfftiglich heimbsuchet” (III 607). Die zahlreichen<br />

Wunderdinge, die Oraeus als merkliche Zeichen göttlichen Zornes faßt,<br />

mahnen


-50-<br />

uns, von unsern bösen Wercken, die wir sowohl publicis als privatis<br />

Actionibus begehen, nachzulassen (IV 124).<br />

Als theologischer Schriftsteller hat sich Oraeus vornehmlich mit<br />

Schriften befaßt, die strittige religiöse Probleme erörtern. Auf dem<br />

Gebiete historisch-kompilatorischer Arbeit ist er aber Neuling. Daher<br />

fällt seine Darstellung gegenüber der Abelins bedeutend ab. Sehr<br />

ungeschickt ist zunächst seine Ordnungsmethode. Er hat die Wahl<br />

zwischen einer Rubrikeneinteilung, wofür Abelin das naheliegende<br />

Vorbild gab, und der gewöhnlichen streng chronologischen Methode.<br />

Oraeus entscheidet sich im III. Bande für einen Mittelweg. Er überträgt<br />

eine Länderordnung nicht wie Abelin auf ein ganzes Jahr, sondern auf<br />

einen Monat, innerhalb dessen er dazu noch möglichst eine<br />

Tagesordnung erstrebt. Da er aber natürlich nicht genug Stoff hat, um<br />

jedes Land .innerhalb eines Monats aufführen zu können, so bleiben von<br />

der Rubrikenabteilung nur kaum bemerkbare Spuren und hervor tritt<br />

allein die chronologische Ordnung, weshalb er sehr mit Recht sein Werk<br />

schon im Eingang des III. Bandes als chronologicum opus bezeichnet.<br />

Die Darstellung bietet infolgedessen ein Bild innerer Zerrissenheit,<br />

worüber auch die phantasievollsten Ueber-Igänge nicht hinweghelfen<br />

wollen. Zerteilt doch Oraeus zugunsten seiner Monatsgruppierung alle<br />

Quellen, die sich über mehrere Monate erstrecken. Dabei macht er sogar<br />

ganz ungeschickte Fehler. Für den Februar 1633 z.B. schildert er aus<br />

einer Quelle die Ereignisse an der Weser. Als er im März die gleiche<br />

Quelle wieder aufnehmen will, weiß er nicht mehr, wo er beim Februar<br />

aufgehört hat und wiederholt nochmals größere Partien. Es deckt sich<br />

also in diesem Falle das Ende des Februarberichts (III 23) fast wörtlich<br />

mit dem Anfang des Märzberichts (III 23). Solche Dubletten finden sich<br />

aber nicht vereinzelt, sondern recht oft (III 75 cf. 84; 254 cf. 269). Dieses<br />

Ordnungssystem des Oraeus hat sicherlich wenig Beifall gefunden, zumal<br />

die Darstellung


-51-<br />

gegen die Abelins deutlich abstach. So erklärt es sich, daß Oraeus im IV.<br />

Bande zu einem anderen, sichtlich an Band I und II anknüpfenden<br />

Verfahren übergeht, das er in der Vorrede zu IV mit folgenden Worten<br />

ankündigt: „Wir haben eine solche Ordnung und methodum in opere<br />

geführet, daz wir von einem Königreich und Land zum andern durchs<br />

gantze Jahr gegangen, deß meistens von Hispanien und ex parte von<br />

Italien angefangen und jedes Jahr mit der Kay. und Schwedischen<br />

Armaden actionibus, in welche die Teutsche Nation mit eingeschlossen<br />

und viel darinnen concurriret biß auff die Varia und allerley ereignete<br />

accidentia, die keinen sonderbahren Tituluin füglich haben mögen,<br />

geendet haben” (Vorrede zu IV ed. 1643). Mit dieser neuen Anordung<br />

wird aber deshalb die Darstellung nur wenig besser als in III, da Oraeus<br />

sie gar nicht von Anfang an einführt, sondern immer noch sich scheut,<br />

von der Chronologie abzugehen. Sodann macht er den Fehler, daß er die<br />

deutschen Kriegsereignisse, die den meisten Raum einnehmen, in<br />

allzuviel einzelne kleine Kriegsschauplätze säuberlich zu trennen sucht<br />

und dabei keinen größeren Ueberblick gewinnen kann. Auch Spuren<br />

nachlässiger Arbeit sind wieder recht häufig. Einzelne Ereignisse finden<br />

sich in meist wörtlicher Wiederholung mehrere Male (z.B.: die Einnahme<br />

von Laredo und S. Antonio IV 16, 34, 121; ein Munitionsverzeichnis<br />

vom Hohentwiel IV 552 und 792). Auf schlechte Umformung der<br />

Quellen zurückzuführende Spuren ihrer ursprünglichen Fassung (z.B.:<br />

„der unsrigen Werke” III 85; IV 362) gehören bei Oraeus nicht zu den<br />

Seltenheiten. Ueberhaupt ist die Verarbeitung in beiden Bänden recht<br />

schlecht. Ganz deutlich lassen sich noch die einzelnen Stücke, aus denen<br />

die Darstellung zusammengeflickt ist, erkennen. Einmal wird sogar eine<br />

„Relation auß Hamburg vom 30. November styl. vet. wie Gen. Arnheimb<br />

auß Schwedischer Gefängnuß entkommen” (III 1020) samt dieser im<br />

Druck besonders hervorgehobenen Ueberschrift zitiert. Unter dem<br />

-52-<br />

beigebrachten Quellenmaterial fällt sehr deutlich in die Augen die<br />

ergiebige Verwertung kurzer depeschenartiger Berichte, die durch<br />

Angabe eines genauen Datums, des Ausgangspunktes, bisweilen sogar<br />

der Uebergangsstation sowie durch besondere Introduktionen (“es wird<br />

advisirt”, „berichtet”, „die Zeitungen haben mit sich gebracht” usw.)<br />

unschwer in beiden Bänden erkennbar sind. Es sind Nachrichten, die für<br />

die Zeitungen oder Advisen bestimmt sind, aus denen sie der Autor<br />

entnommen haben mag. Zu ihren charakteristischen Merkmalen gehört<br />

eine große Unzuverlässigkeit. Kein Wunder, daß daher der Verfasser in<br />

den Vorreden zu III und IV sich über die Unsicherheit seiner Quellen<br />

beklagt und auch in der Darstellung selbst fortgesetzt mit<br />

widersprechenden Nachrichten sich abmühen muß. (III 141, 197; IV 614,<br />

699). Besonders schlimm steht es mit den femer gelegenen Ereignissen


z.B. den Türkenkämpfen (III 281), worüber man Schreiben „ordinarie nur<br />

über Venedig” empfängt (IV 699), oder dem polnisch-moskowitischen<br />

Krieg (III 179).<br />

Die ungeschickte Anordnung, die flüchtige Bearbeitung und die<br />

Verwertung unzuverlässigen Quellenmaterials, worauf Oraeus, der sofort<br />

nach Ablauf der zu behandelnden Ereignisse diese beschreibt und<br />

demnach das Einlaufen der späteren bestimmten Nachrichten nicht<br />

abwarten kann, angewiesen war, haben stets zu den abfälligsten Urteilen<br />

über Band III und IV geführt. Gryphius macht auf den Unterschied<br />

zwischen den beiden ersten und den folgenden Bänden aufmerksam.<br />

Sulpicius sieht am <strong>Theatrum</strong> eine Bestätigung der Tatsache, daß ein gut<br />

begründetes Unternehmen leicht dadurch, daß es in eine ungeübte Hand<br />

kommt, verdorben werden könne. Dementsprechend lobt er Band I und<br />

II, während er im Gegensatz dazu von den späteren Teilen sagt: eo minus<br />

posteriores possunt aestimari, qui, cum eadem praesidia prae se ferre<br />

volebant, revera ... non nisi ex rumoribus vulgi desumptas relationes<br />

saepius


-53-<br />

sibimet ipsis post tertiam aut quartam paginam contrarias continent.<br />

Wir wollen endlich nicht unterlassen die Verwandtschaft, die<br />

zwischen den Meßrelationen -und allen Teilen des <strong>Theatrum</strong> besteht,<br />

auch an einem Beispiel aus den von Oraeus stammenden Bänden ru<br />

illustrieren.<br />

<strong>Theatrum</strong> IV ed. 1643 S.<br />

77<br />

...sampt vielen andern<br />

Materialien, sie<br />

erledigten auch den<br />

gefangenen Obristen<br />

Zschirnhausen,<br />

erhielten 3 Flüsse die<br />

Warte. Noteiz und<br />

Trotte sampt 30<br />

Stättlein und Oerter<br />

dieselben in<br />

Contribution zu setzen<br />

unnd gewannen einen<br />

Platz von grosser<br />

Importantz: auch blieb<br />

der Brandenburgische<br />

Commendant Obr.<br />

Leutenant Grebel von<br />

zwei Picquen-Stichen in<br />

seinem Schlaf-Peltz<br />

darüber todt.<br />

Rel. Hist. HM 1639-OM<br />

1640 S. 57<br />

...sampt vielen andern<br />

praeparatoriis befunden.<br />

Es ist auch zugleich der<br />

gefangene Schwedische<br />

Obr. Zschienhausen<br />

seiner captur entlediget<br />

unnd nicht allein<br />

Preussen von<br />

Churbrandenburg<br />

hiedruch abgeschnitten,<br />

sondern auch die<br />

Ströme Warta, Notez<br />

und Trage zum Behuff<br />

der Schwedischen<br />

verlohren unnd der<br />

Chur-Brandenburgische<br />

Commendant Obrister<br />

Leutenant Grebe in<br />

seinem Schlafpeltz mit<br />

zween Spiessen<br />

erstochen worden.<br />

Merc. G.-B. tom. XXII<br />

lib. 4 S. 82<br />

...aliorumque<br />

apparatuum bellicorum<br />

et tormentatiorum<br />

copiam inibi reperunt et<br />

non solum Tribunus<br />

Zschinhusius nuper<br />

interceptus in libertatem<br />

rursum assertus ac Borussia<br />

a Marchia nova<br />

per hanc expugnationen<br />

divisa verum etiam<br />

Commendator<br />

Brandenburgicus<br />

Locumtenens primarius<br />

Grebius in pellicea sua<br />

chlamyde binis<br />

bipamibus confectus et<br />

interfectus est.<br />

Es bestätigen sich hier die bisherigen Erfahrungen. Teils hat das<br />

<strong>Theatrum</strong>, teils die Meßrelation ein Plus aufzuweisen, d. h. bald benützt<br />

das <strong>Theatrum</strong> bald die historische Relation die beiden zugrunde liegende<br />

Quelle ausführlicher. Der Mercurius, in dem die Worte der Meßrelation:<br />

„auch die Ströme Warta, Notez und Trage zum Behuff der Schwedischen<br />

verlohren” fehlen, ist wieder am kürzesten.<br />

V.<br />

Band V ist erschienen in den Jahren 1647, 1651 und 1707. Eine<br />

längere Einleitung des Verfassers über die ver-


-54-<br />

schieden einzuschätzenden Arten der Bücher ist schon in der zweiten<br />

Ausgabe weggelassen. Außerdem nimmt die Seitenzahl mit jeder<br />

Neuauflage erheblich ab. Die letzte Ausgabe nennt sogar den Namen des<br />

Autors Lotichius nicht mehr. Ueber den Lebenslauf des Johann Peter<br />

Lotichius gibt die Allg. D. Biogr. ausreichenden Aufschluß. Er ist<br />

Leibarzt, Rat und Historiograph Ferdinands III. gewesen. Seinen<br />

Aufenthaltsort hat er sehr oft gewechselt. Zur Zeit der Abfassung des<br />

<strong>Theatrum</strong> weilt er wieder einmal in Frankfurt a. Main. Medizinische,<br />

poetische, philologische und historische Bücher entstammen seiner<br />

Feder. Zu den letzteren gehört eine in Latein abgefaßte deutsche<br />

Geschichte für 1617—43 und Band V unseres <strong>Theatrum</strong>, der die Zeit<br />

1643 bis Juli 1647 umfaßt. Daß Lotichius Arzt von Beruf ist, das äußert<br />

sich im vorliegenden Bande bisweilen durch ein besonderes Interesse für<br />

medizinische Fragen. So widmet er z. B. der Erzählung von einem<br />

Heilbrunnen zu Hornhausen, worüber sich in der Frankfurter Meßrelation<br />

nur ein kurzer Bericht findet, eine längere Abhandlung (V 1117 bis<br />

1120), worin genau die Wirkungskraft des Heilwassers für<br />

unterschiedliche Krankheiten besprochen wird.<br />

In dem,dringenden Ruf nach Frieden und dem Zurückhalten eigener<br />

Ansichten hat Lotichius vieles mit Oraeus gemein. Auch bei dem<br />

Verfasser des fünften Bandes ist der überall durchklingende Grundton die<br />

Sehnsucht nach der Beendigung des deutschen Krieges. Schon wenn er in<br />

der einleitenden Vorrede (ed. 1647) auf die deutsche Nation zu sprechen<br />

kommt, macht er dazu die wehmütige Bemerkung: „als bey welcher<br />

dieser langwürige, blutige und erbärmliche Krieg seinen Anfang<br />

genommen und gleich einem verzehrenden Fewer, Gott erbarm es! noch<br />

immerdar .wäret”. Seine Gedanken konzentrieren sich daher auf das eine<br />

Ziel, die Beilegung des verderbenbringenden Zwistes. Der Friede ist ein<br />

heylsames und gemeiner Christenheit nothwendiges Werck (17), nach<br />

dem jedes gerade und redliche


-55-<br />

Gemüt ein sonderbares Verlangen trägt (81). Lotichius lebt der Hoffnung,<br />

daß der liebe Qott nochmals die güldenen Friedensstrahlen hinwiederum<br />

scheinen lassen möge. . Mit Interesse verfolgt der Autor die schleppenden<br />

Friedensverhandlungen, bei denen die consilia sich nach dem eventus<br />

belli zu richten pflegen. Schon das Titelblatt vermerkt nicht mit Unrecht,<br />

daß neben dem weltlichen Regiment und Kriegswesen auch die zwischen<br />

mehrenteils kriegenden Partheyen nacher Münster Oßnabrück<br />

angesetzten bishero gepflogenen General-Friedens-Tractaten zu Wort<br />

kommen sllen. In einer Zeit, in der alles mit dem Zwang und der Gewalt<br />

der leidigen Waffen verrichtet werden will (84), werden alle<br />

Bestrebungen, die auf friedlichen Ausgleich der zum Krieg reizenden<br />

Gegensätze ausgehen, mit Freuden begrüßt. Dem König Wladislaus IV.<br />

von Polen gebührt deshalb, weil er durch das sogenannte Colloquium<br />

Charitativum zu Thorn 1645 eine Aufhebung der vorhandenen religiösen<br />

Spannung in seinem Lande zu erreichen sucht, wegen seines gottseligen<br />

Eyffers ein sonderbares unsterbliches Lob (561). Es schätzt also<br />

Lotichius ganz ähnlich wie Oraeus Personen nach ihrer Ab- oder<br />

Zuneigung zu friedenbringenden Unternehmungen ein. So wird weiter<br />

die Interposition Dänemarks zum Frieden als hochlöbliche Sorgfalt<br />

gepriesen (14). Es sichert ferner schon die Begierde und Neigung zum<br />

lieben Frieden, die sich der Kaiser sehr angelegen sein läßt (13, 815), ihm<br />

eine günstige Beurteilung. Unter dem gleichen Gesichtswinkel wird der<br />

neue Papst betrachtet. „Jetziger Pabst ist sehr zur Auffrichtigkeit geneigt,<br />

führet in seinem Wapen den Olivenbaum dahero man gute Hoffnung zum<br />

Frieden schöpffet” (443); so gibt er uns über die Person des neuerwählten<br />

Innocenz X. Aufschluß.<br />

Wie sich Lotichius zu den Parteiungen seiner Zeit verhält, darüber<br />

müssen wir zunächst seine Darstellung selbst befragen. Doch sie bietet<br />

uns nur wenige Anhaltspunkte. Der Autor weiß die Aufrichtigkeit des<br />

von ihm wie allen


-56-<br />

andern ausgesprochenen Wunsches, eine unparteiische Darlegung zu<br />

liefern, in mannigfacher Weise zu bekräftigen. Trifft er auf eine Stelle, an<br />

der die Quellen entsprechend den Passionen und Affekten eines jeden<br />

Berichterstatters auseinandergehen, so befolgt er das bei allen unsern<br />

Verfassern in diesem Falle übliche Verfahren, beiderseitige Berichte<br />

sowohl kaiserliche als schwedische dem Leser darzubieten (534-544).<br />

Führt er einmal eine Relation an, die bereits eine Beurteilung der<br />

Sachlage enthält, so stellt er es dem Leser anheim, dieser Auffassung<br />

seinen Beifall zu geben (318, 236). Auch in der Schilderung des<br />

Verhaltens der beiderseitigen Truppen verfährt Lotichius gleichmäßig.<br />

Von schwedischer wie von kaiserlicher Seite weiß er von Räubereien und<br />

Verwüstungen zu erzählen. Allerdings verwendet er auf dieses Thema<br />

nicht allzuviel Zeit, da er sich ausdrücklich bewußt ist, daß der Leser, für<br />

den sein Werk bestimmt ist, aus langjähriger eigener Erfahrung die Not<br />

des Landes kennt. Nach diesen bisher angestellten Beobachtungen hätten<br />

wir es also mit einem Manne zu tun, der darauf bedacht ist, eine von<br />

eigenen Ansichten ungetrübte Darstellung zu liefern. In der Tat gelingt es<br />

nur mit Mühe und auf Grund weniger Belegstellen über die Parteistellung<br />

des Verfassers klar zu werden. Allerdings, was er von den Kämpfen der<br />

Christen und Türken hält, das verschweigt er nicht. Der „Erbfeind<br />

christlichen Namens” benutzt den „von gantzen dreyßig Jahren hero<br />

währenden, hefftigen, blutigen und continuirlichen Krieg, in dem die<br />

Christenheit gleich als in einer Stadt und Vestung unter einander uneinig,<br />

um nun mit hellem Hauffen aus gantz Asien herfür zu brechen und den<br />

Christen gegenüber den Meister und Garaus zu spielen” (644). In dieser<br />

Einschätzung des Türken als des Feindes der Gesamtchristenheit trägt<br />

uns der Verfasser aber keine etwa für ihn besonders charakteristische<br />

Meinungsäußerung vor, vielmehr teilt er darin die Anschauung aller<br />

unserer Autoren, wie seiner Zeit überhaupt. Weit inter-


-57-<br />

essanter, aber äußerst selten, so daß sie unter der Masse des gebotenen<br />

Stoffs verschwinden können, sind einige .wichtige Bemerkungen, mit<br />

denen Lotichius seine Ansichten über Entstehung .und Stand des<br />

gegenwärtigen Krieges durchblicken läßt. Dem weisen Wladislaus IV.,<br />

der auf eine friedliche Einigung der Religionsstreitigkeiten bedacht ist,<br />

teilt einmal der Verfasser seine eigenen Reflexionen zu, wenn er sagt, der<br />

Polenkönig habe gesehen und erfahren, „daß die bißhero enthobene und<br />

eingerissene Strittigkeiten in der Religion in dem Heil. Röm. Reich<br />

Teutscher Nation die .Gemüther Chur-Fürsten und Ständen mercklich<br />

alienirt und divellirt. Daher dann auß sothanen einschleichendem<br />

Mißtrauen fürters beyderseits Bündnussen als Union eines und die Liga<br />

anders theils entsprossen. Und diese brennende Kohlen etliche Jahr lang<br />

gleichsam unter der Aschen gelegen, biß endlich die zufürderst auch in<br />

der Religion strittige Böhmische Stände solche glimmende Aschen<br />

meisterlich auffgeblasen und in ein brennende Kriegs-Flamm<br />

außgebreitet. Welche hoch schädliche Funcken nun in so viel Jahr lang<br />

durch gantz Teutschland geflogen und in ein betrübten, innerlichen,<br />

hefftigen biß dato leyder! ohn unterlaß continuirlichen Kriege nach dem<br />

andern häuffig ausgeschlagen” (561). Aus diesen Worten spricht wieder<br />

die durch das langjährige Elend hervorgerufene Abneigung gegen den<br />

leidigen Krieg. Allein diese wehmütige Stimmung steigert sich hier zu<br />

einer gewissen Verbitterung, deren Spitze gegen die sich wider die<br />

kaiserliche Regierung empörenden böhmischen Stände, von denen die<br />

ersten Ursachen des Zwistes ausgegangen sind, gewendet ist. Daß diese<br />

Worte wohl in solchem Sinne aufzufassen sind, das bestätigt eine auf<br />

gleicher Linie sich haltende Stelle, an der sich Lotichius gegen das<br />

Verhalten der schwedischen Armee abfällig äußert und dagegen für die<br />

Sächsischen, Bayerischen und Kaiserlichen einzutreten sich veranlaßt<br />

sieht (502). „Von alters her pfleget man zu sagen: Felicitatis comes est<br />

insolentia:<br />

-58-<br />

Bey Glück ist gemeiniglich Hochmuth. Solches konte man bey nahe<br />

dieser Zeit von Schwedischen, wo nicht allen jedoch den mehrentheil<br />

verstehen. Sintemalen nach dem aus Göttlicher sonderbahrer Verhängnuß<br />

etliche Jahr hero wolen bey deß trefflichen Königs Gustavi Lebzeiten als<br />

nach dessen tödlichen hintritt selbige Völcker im Heiligen Römischen<br />

Reich Teutscher Nation starcke Progressen gethan und unterschiedliche<br />

Victorien erhalten, ist auch obiges Sprichwort an ihnen so weit wahr<br />

geworden; so daß die Kriegs-Fortun die gewöhnliche Insolentz bey vielen<br />

nach sich gezogen.” In diesen Sätzen sind zunächst die verschiedenen<br />

Abschwächungen zu beachten, die ebenso wie die bald danach folgende<br />

Bemerkung des Verfassers, daß er aus Schriftstücken den schwedischen<br />

Hochmut belegen könne, noch als Nachwirkungen der fest


vorgenommenen Unparteilichkeit verstanden werden können. Aber auch<br />

dann bleibt ganz offenkundig, daß wir es hier mit Aussagen zu tun haben,<br />

die einer antischwedischen Tendenz entspringen. Die nächste Ursache zu<br />

diesen schwedenfeindlichen Aeußerungen gibt die Fortsetzung der<br />

zitierten Stelle. Zu der Mißachtung, die die Schweden ihren Gegnern<br />

angedeihen lassen, bemerkt Lotichius nämlich weiter: „Gleichsam als ob<br />

die Schwedischen allein Soldaten wären hingegen Chursächsische, Chur-<br />

Bayerische und Kayserliche nur fungi & pepones und ihnen nicht zu<br />

vergleichen, da doch diese hefftige langwierige Kriege von fremden<br />

einbrechenden Nationen mehrentheils mit Teutschen gegen und wider die<br />

Teutschen allein wegen Zwyspalt in der Religion verführet werden.<br />

Benebenst auch vielbesagte Schwedische bei Nürnberg, Lützen,<br />

Nördlingen, Freyberg und andern Treffen der Kayserlichen, Bayerischen<br />

und Sächsischen Valor empfunden und geprüfet.” Hier regt sich auch das<br />

Nationalbewußtsein unseres Autors. Er mag es nicht ungerügt lassen, daß<br />

fremde Eindringlinge, die dazu noch mit deutschen Söldlingen ihre<br />

Schlachten schlagen, seinen Landsleuten Feigheit vorwerfen. Es ist also<br />

eine


-59-<br />

weite Kluft zwischen Abelin, der in den Schweden die Retter und<br />

Schirmer evangelischen Glaubens sieht, und Lotichius, dem kaiserlichen<br />

Leibarzt und Historiographen, der sie als die sich in den deutschen<br />

Religionsstreit einmischenden Fremdlinge betrachtet. Die Brücke<br />

zwischen diesen Anschauungen kann uns Oraeus bieten. Die ideale<br />

Auffassung Abelins von der schwedischen Hilfeleistung, die schon<br />

Oraeus .wegen seiner ernüchternden persönlichen und politischen<br />

Erfahrungen nicht mehr aufrechtzuerhalten wagte, kommt bei Lotichius<br />

ganz zu Fall.<br />

Wir haben also eine nicht schwedenfreundliche Tendenz des V.<br />

Bandes festgestellt, waren aber im wesentlichen nur auf eine einzige<br />

Stelle angewiesen. Allein der Verfasser der beiden nächsten Bände gibt<br />

uns in dieser Hinsicht einige sehr willkommene Unterstützungspunkte.<br />

Im Anfang des VI. Bandes führt Schleder zum Teil die letzten Ereignisse<br />

von V nochmals vor. Wenn er auch im allgemeinen direkte<br />

Wiederholungen vermeiden will, so kann er es sich doch nicht versagen,<br />

in einzelnen Punkten die Mitteilungen seines Vorgängers zu kritisieren<br />

und ihnen zu widersprechen. Schleder hat etliche Male Anlaß gefunden.<br />

Lotichius zu korrigieren, und zwar tut er dies in einem fast spöttisch<br />

klingenden Tone, so daß es den Anschein erwecken muß, daß die<br />

unrichtigen Angaben des V. Bandes weniger auf schlechter Kenntnis als<br />

auf einseitiger Auswahl des Quellenmaterials beruhen. Nehmen wir diese<br />

Aenderungen Schleders zusammen, so zeigt es sich, daß Lotichius die<br />

schwedischen Verluste überall zu hoch angegeben (VI 4, 6, 7) und damit<br />

die kaiserlichen Vorteile vergrößert hat. Einen Einblick in diese Sachlage<br />

gewährt der Vergleich der Erzählungen von einem Treffen bei Triebel<br />

1647 in Band V, VI und der gleichfalls von Schleder stammenden<br />

Meßrelation. Lotichius gebraucht eine einseitig kaiserliche Relation (V<br />

ed. 1647, S. 1393 f.), Schleder hingegen in der Meßrelation einen<br />

schwedisch gefärbten Bericht (Rel. Hist. 0. M. - H. M. 1647,


-60-<br />

S. 81 und 82). <strong>Das</strong> ist der deutlichste Beweis, daß in dem gleichen Jahre,<br />

in das jenes Treffen fällt, noch keine zuverlässigen, sondern nur<br />

parteiische Nachrichten vorliegen. Allerdings, Lotichius entschließt sich<br />

entsprechend seiner Tendenz lieber für die kaiserliche Quelle, von der<br />

Schleder ausdrücklich versichert (VI 6), daß sie ihm nicht bekannt<br />

geworden sei. In Band VI nimmt nun Schleder gegen die von Lotichius in<br />

V verwertete parteiische Quelle Stellung, aber er benutzt im <strong>Theatrum</strong><br />

auch seinen einseitig schwedischen Bericht, den er in der Meßrelation vor<br />

etwa fünf Jahren verwertet hatte, nur noch mehr an einzelnen Stellen,<br />

während er in der Hauptsache eine sehr genaue, beide Parteien<br />

gleichmäßig behandelnde Erzählung bieten kann (VI S. 5 u. 6). Daraus<br />

sehen wir zugleich, daß dem <strong>Theatrum</strong> in den Teilen, die in einem<br />

größeren Abstand von den Ereignissen geschrieben sind, zuverlässigeres<br />

und besseres Material zur Verfügung steht.<br />

Wie an dem soeben nur kurz skizzierten und der Umständlichkeit<br />

wegen nicht zitierten Beispiel ersichtlich war, daß das <strong>Theatrum</strong> in Band<br />

V gelegentlich ganz andere Relationen als die Meßrelation benutzt, so<br />

mag nunmehr noch ein Beleg dafür beigebracht werden, wie auch da, wo<br />

nahe Verwandtschaft zwischen beiden Unternehmungen besteht, nur an<br />

die selbständige Verarbeitung der gleichen Quellen zu denken ist.<br />

<strong>Theatrum</strong> V ed. 1647 S. 1079 Rel. Hist. OM.-HM. 1646 S. 28 und 29<br />

Da dann mit denen auß der Vestung<br />

Gießen abgefolgten groben Stücken<br />

undFeuermörsern auch Einwerffung<br />

Granaten dem Ort hart zugesetzt<br />

worden. Also daß nach Schließ-und<br />

Fällung einer Brechen ein Sturmb<br />

beschehen jedoch von den Nieder-<br />

Hess. abgeschlagen und verbawet<br />

worden. Ob schon nun ein<br />

Darmbstättischer Hauptmann sampt<br />

wenig andern in der Breche<br />

niedergelegt wurde. Jedoch weiln die<br />

.... diesselbe mit denen auß der Vestung<br />

Gießen zugeschickten groben Stücken<br />

und Feuermörseln dergestalt<br />

angegriffen, Presse geschossen und mit<br />

Einwerffung Feuerballen ihnen<br />

zugesetzt, daß die darinn gelegene<br />

Nider-Hessische Völcker solche selben<br />

Abends noch (weiln der Nachricht<br />

nach mehr nicht dann nur 50 Mann zu<br />

Fuß unnd 10 Reutter underm Com-


Niederhessis. Defensionirer von den<br />

übrigen Außziehenden fast kaum 100<br />

Mann zu Ross und Fuss zusammen<br />

bringen konnten. Die Bürger gäntzlich<br />

wegen ihrer Lands Obrigkeit die Hand<br />

abgezogen. Benebenst die Nacht und<br />

grössere Gefahr herein tratten;Ist<br />

darauf noch selbigen Abends die Sach<br />

zu einem Accord kommen. Also, daß<br />

folgenden Tags die Niderhess.<br />

Besatzung uff gegebene Geysel mit<br />

Sack und Pack, Ober- und<br />

Untergewehr, klingendem Spiel und<br />

dergleichen nach Kriegsmanier<br />

außgezogen. Und von Hessen<br />

Darmbstättischen biß gegen Kirchheyn<br />

convoyirt worden.<br />

-61-<br />

mando eines Capitains Rorich genannt<br />

gelegen) mit Accord übergeben müssen<br />

gestalt dann die Hessen-CasseIische<br />

den 30. diß nit Ober- und<br />

Undergewehr, auch Sack und Pack<br />

auß- und bey Giessen vorüber gezogen<br />

unnd von den Hessen-Darmstättischen<br />

biß gen Kirchhain Begleit bey sich<br />

gehabt.<br />

Die wörtliche Uebereinstimmung im Anfang und Schluß dieser<br />

Stellen zeigt, daß beide auf die gleiche Quelle zurückgehen können. Die<br />

Meßrelation streicht aber aus dieser ursprünglichen Relation ein Stück,<br />

das infolgedessen im <strong>Theatrum</strong> als Plus dasteht, und ersetzt es durch<br />

Einfügung einer anderen „Nachricht”, was durch die den Zusammenhang<br />

unterbrechenden Klammern deutlich gekennzeichnet ist. Unter diesen<br />

Umständen ist die Meßrelation sicherlich nicht Vorlage des <strong>Theatrum</strong><br />

gewesen. An der hervorgehobenen Stelle schreibt die Meßrelation die<br />

ursprüngliche, gemeinsame Quelle genauer aus (cf. Merc. Gallo-Belg.<br />

XXVIlib.l,S.31).<br />

Band V krankt wieder an denselben Uebeln wie III und IV. Sofort<br />

schon auf den ersten Seiten fällt die verhältnismäßig starke Verwertung<br />

des schlechten Quellenmaterials in die Augen, auf das Lotichius wegen<br />

des kurzen Abstands von den Ereignissen noch angewiesen ist. Die<br />

Klagen über die kurzen, unzuverlässigen Advisen, die die zuerst<br />

eintreffenden dunklen Gerüchte verbreiten und selbst bei geringfügigen<br />

und nicht allzu ferne stehenden Ereignissen fortgesetzte Disharmonie<br />

aufweisen, nehmen einen weiten Raum ein. Andauernd sieht der<br />

Verfasser sich gezwungen


-62-<br />

festzustellen, daß ihm Contrari-Advisen und widerwertige Zeitungen<br />

vorliegen (66, 67, 95, 105, 303, 306, 318, 340, 422, 466, 553, 899, 906<br />

u.ö.). Es handelt sich aber hier nicht bloß um geringfügige Unterschiede,<br />

sondern um scharfe Widersprüche. Soweit kommt es, daß recht oft der<br />

eine Bericht dieser, der andere jener Partei den endgültigen Sieg<br />

zuschreibt (306). Viele Mängel des V. Bandes haben ferner ihre letzte<br />

Ursache in der schlechten Anordnung. <strong>Das</strong> von Lotichius eingehaltene<br />

Ordnungssystem erinnert an das von Oraeus im III. Bande beobachtete<br />

Verfahren. Als Ordnungseinheit wird der Monat zugrunde gelegt.<br />

Innerhalb dieses Zeitraums wird jedem Kriegsschauplatz oder Land eine<br />

besondere Rubrik eingeräumt. Einen besonderen Abschnitt nehmen stets<br />

die Friedenstraktaten ein. Die Reihenfolge der verschiedenen Rubriken<br />

innerhalb eines Monats ist vielfach eine gleichförmige, aber noch keine<br />

bestimmt festgehaltene. Ist für einen derartigen Abschnitt in einem Monat<br />

zu wenig Stoff vorhanden, so wird er ruhig für die gleiche Rubrik im<br />

nächsten Monat aufgehoben. Diese Freiheit gegenüber der<br />

chronologischen Monatseinteilung, sowie ein größeres Geschick und<br />

bessere Uebung lassen die Mängel dieses Ordnungsverfahrens nicht so<br />

hervortreten wie bei Oraeus in Band III. Gleichwohl rechnet die Tradition<br />

V nicht mit Unrecht zu den von I und II sich abhebenden, schlechten<br />

Bänden des <strong>Theatrum</strong>. Auch der Verlag mag mit der Arbeit des Lotichius<br />

(1598-1669) nicht zufrieden gewesen sein, da man ihm die Besorgung<br />

des 1652 erscheinenden VI. Bandes nicht mehr anvertraut hat, und<br />

Schleder es sich gestatten kann, an den Ausführungen seines Vorgängers<br />

Kritik zu üben.<br />

VI und VII.<br />

Schleder ist einer der beachtenswertesten Frankfurter Kompilatoren<br />

des XVII. Jahrhunderts. Mehrere Jahrzehnte


-63-<br />

liegt die Abfassung der Frankfurter Relationes Historicae und lange Zeit<br />

auch die des Mercurius Gallo-Belgicus, die beide im Vertag von S.<br />

Latome erscheinen, in seinen Händen. In dem Mercurius ist er als Autor<br />

stets genannt; die Meßrelationen allerdings unterzeichnet er nur mit J. G.<br />

S. V. R. Allein in der den Zeitraum von der Herbstmesse 1658 bis zur<br />

Ostermesse 1659 behandelnden Relation (S. 10) nennt er bei Einfügung<br />

eines seiner vielfach in seine deutschen Schriften eingestreuten Gedichte<br />

seinen vollen Namen: Johann Georg Schleder von Regensburg. Auch<br />

Band VI und VII des <strong>Theatrum</strong> sind laut Titelblatt von ihm<br />

zusammengetragen und beschrieben. Band VI trägt die Benennung<br />

„Theatri Europae sechster und letzter Theil“, Band VII den neuen<br />

Haupttitel: „Irenico-Polemographia“. VI beginnt mit dem Juli 1647 und<br />

reicht bis Ende 1650. Im Verhältnis zu den vorausgehenden Bänden<br />

erscheint dieser Teil ziemlich spät, erst 1652. Der Autor führt etliche,<br />

einen tieferen Einblick in die Verhältnisse der Verlagsanstalt gestattende<br />

Gründe dafür an, daß der VI. Band so spät ans Liecht kommen und sich<br />

in der Welt sehen lassen wollen (VI, Vorrede). Vornehmlich bringt der<br />

Todesfall des Verlegers (1650) einige Verwirrung. Die Erben sind<br />

unschlüssig, was sie für eine Resolution fassen sollen, zumal der älteste<br />

Sohn Matthäus nicht innheimisch ist und man seine Ankunft erwarten<br />

will. So kommt es auch, daß die Leute, die bisher gegen billigen<br />

Recompens einige Materialien zu communicieren versprochen haben,<br />

ungewiß sind, ob die Erben das kosten- und mühereiche Unternehmen<br />

fortsetzen. Sie mögen ferner befürchten, daß ihnen kein Recompens mehr<br />

geleistet oder daß die verakkordierte Vergütung geschmälert wird. Sie<br />

halten daher mit der Mitteilung von Dokumenten, besonders gedruckten<br />

und geschriebenen Relationen zurück, so daß das Werk nicht begonnen<br />

werden kann. Band VII, der die Zeit von Anfang 1651 bis Mitte März<br />

1657 umfaßt, erscheint gleichfalls spät, erst 1663. Wiederum hat die Un-


-64-<br />

zuverlässigkeit etlicher Leute, die Nachrichten und Pläne zu liefern<br />

versprachen, die unerfreuliche Verzögerung verursacht.<br />

Ueber den Lebenslauf Schleders bieten die meisten der benützten<br />

Nachschlagewerke nichts; nur Joecher überliefert uns: „Schleder,<br />

Johannes George, ein deutscher Historicus von Regensburg, florirte<br />

zwischen 1652—63 und verfertigte zu dem bekannten Theatro Europaeo<br />

den 6. und 7. Tomum von 1647 bis mit 1658 unter dem Titel: Irenico-<br />

Polemographia; gab auch königliche und ertzhertzogliche<br />

Reisebeschreibungen und Andr. Corvini fontem latinitatis bicornem<br />

vermehrter heraus.” In einem Sonett, das Schleder seiner lieben<br />

Vaterstadt Regensburg widmet (VI 984), macht er. einige Andeutungen<br />

über seinen Lebenslauf. Danach ist er frühestens 1610 zu Regensburg<br />

geboren und erzogen, sodann ging er in die Fremde. Seit dem 15. Mai<br />

1635 finden wir unseren Autor als Klassenführer der VI. Klasse des<br />

Frankfurter Gymnasiums. Am 11. August 1657 rückt er in die V. Klasse<br />

auf, die er bis zu seinem Lebensende 1689 behält (Lersner). <strong>Das</strong><br />

besondere Interesse für seine alte und seine neue Heimat, Regensburg<br />

und Frankfurt, macht sich überall in den beiden vorliegenden Bänden in<br />

einer Weise bemerkbar, wie es zuvor nicht zu beobachten war. Von der<br />

Verlagsstadt redet er nur mit Worten wie: „bey uns in Frankfurt” u.ä. (VI<br />

632, 779; VII 161, 1013). Werden z. B. in vielen Städten Freudenfeiern<br />

veranstaltet, so beschreibt der Kürze wegen der Verfasser nur die<br />

Frankfurter Festlichkeiten (VI 1086; VII 365). Von Regensburg spricht er<br />

als von seiner „Geburtsstadt und werthem Vatterland”; dabei begeistert er<br />

sichso,.daßersichzudemobenerwähntenSonettaufschwingt.Zu<br />

diesem Hervortreten persönlicher Empfindungen paßt das lebhafte<br />

Gepräge der Ausdrucksweise. Es finden sich oft Zwischenrufe, wie:<br />

„Siehe da!” oder „Was geschieht?” Freudige Ereignisse und glückliche<br />

Wendungen werden mit einem „Gott Lob!” begrüßt, traurigen und


-65-<br />

unglücklichen Geschehnissen wird ein die Anteilnahme verratendes<br />

„leyder!” beigefügt. Zu diesem lebhaften Stil paßt es, wenn der Verfasser<br />

vielfach in seiner Darstellung den „großgünstigcn Leser” anredet. Ein<br />

Ausfluß persönlicher Empfindungen sind ferner die Gratulationen<br />

Schleders zu glücklichen und fröhlichen Ereignissen, die meist in Verse<br />

gebracht sind (VI 939. 881, 1082; VII 97). Unser Autor gewährt auch<br />

dem Leser Einblick in seine Tätigkeit und macht ihn auf seine eigenen<br />

Arbeiten aufmerksam. Er verweist gelegentlich (VI 13) auf Mercurii mei<br />

continuati Tom. XXV, also auf den Mercurius Gallo-Belgicus, und teilt<br />

öfters mit, daß zitierte Relationen von ihm selbst ins Hochdeutsche<br />

übertragen worden sind (VI 365, 558; VII 112).<br />

Bei einer Betrachtung der persönlichen Anschauungen der Verfasser<br />

der vorausgehenden Bände konnten wir bisweilen von der den Autor<br />

erfüllenden Friedenssehnsucht ausgehen, welche die Grundlage für<br />

Urteile nach den verschiedensten Richtungen bot. Wohl gedenkt auch<br />

Schleder noch der Kriegsnot und des allgemeinen Verlangens nach dem<br />

Frieden (VI 518, 658) und, sobald er in seinem Werke den Punkt des<br />

Friedensschlusses erreicht hat, gibt er seiner Freude darüber in einem in<br />

Reime gebrachten Segenswunsch auf Kaiser Ferdinand II und die<br />

Schwedenkönigin Christine Ausdruck. Aber dennoch ist bei ihm nicht<br />

etwa die Friedensfreude die alles andere zurückdrängende Stimmung. Die<br />

Sehnsucht nach Ruhe hat ihr Ziel erreicht und es bleibt nur noch die<br />

freudige Erinnerung an den glücklichen Friedensschluß. Daß aber auch<br />

Schleder zu den Leuten gehörte, die von ganzem Herzen eine<br />

Beendigung des leidigen Krieges wünschten, das beweisen seine<br />

Meßrelationen aus jener Zeit. Es liegt daher nahe, daß bei ihm eine<br />

einseitige Parteinahme, die nur dazu dienen konnte, die zur Ruhe<br />

gekommenen Gegensätze zu neuem Streit anzufachen, nicht zu erwarten<br />

ist. In der Tat ist von einer bestimmten politischen Tendenz nichts zu<br />

verspüren. Wenn


-66-<br />

Schleder Gelegenheit nimmt über einzelne Staaten oder besser nur über<br />

ihre Regenten zu urteilen, so beweist er nach allen Seiten das gleiche<br />

Wohlwollen. Er zeigt .sich als der Mann, der geeignet war „königliche<br />

und ertzhertzogliche Reisebeschreibungen” zu verfertigen. Allen<br />

möglichen Fürsten, besonders aber den Angehörigen des kaiserlichen und<br />

schwedischen Herrscherhauses, bringt er, sobald ihm seine Darstellung<br />

dazu Anlaß bietet, bei Freud und Leid alleruntertänigst seinen<br />

Glückwunsch oder Anteilnahme meist in poetischer Form entgegen.<br />

Diese nach allen Seiten sich wendende und deshalb ziellose Ergebenheit<br />

bürgt dafür, daß unser Autor die von ihm wiederholt in Anspruch<br />

genommene Parteilosigkeit in politischer Beziehung zu wahren vermag.<br />

Selbst in der Quellenauswahl verspricht er Tendenzlosigkeit. Er will nur<br />

glaubwürdige und unparteiische, bei wichtigen Begebenheiten ganz<br />

ungeänderte Berichte bringen. In zweifelhaften Fällen bietet er mehrere<br />

Relationen und läßt die Wahl vollständig frei. Gerade damit will er<br />

zeigen, „wie wenig ihm daran gelegen“, welcher Nachricht der Leser<br />

Glauben zustellen will (VI 343; VII 938). Was „allzu stachlicht und<br />

Ehren rührig” ist, wird mit Stillschweigen übergangen (VII 626).<br />

Ueberall sonst hält er sich streng an die ihm zugestellten briefschaftlichen<br />

Urkunden und Dokumente und ist bereit, im Notfalle seine Darstellung<br />

mit „glaubhafften Documentis literariis” zu belegen (VI 804) oder die<br />

benutzten Relationen auf Begehren vorzuweisen (VII 77).<br />

Wenn Schleder auf politischem Gebiet sich eines einseitigen Urteils<br />

enthielt, so war das daraus verständlich, daß nach dem Friedensschluß die<br />

leidenschaftlichen Parteizwistigkeiten nachgelassen hatten. Die religiösen<br />

Gegensätze indessen waren noch nicht zur Ruhe gekommen. Die<br />

Reformationen und Restitutionen gaben noch zu manchen Strittigkeiten<br />

Anlaß. Es mag daher nicht wundernehmen, wenn in religiösen Fragen der<br />

Autor gelegentlich Töne in


-67-<br />

seiner Darstellung anschlägt, die uns in seine persönlichen Empfindungen<br />

einen Einblick gestatten. Wenn der Verfasser einmal Dinge bringt, die,<br />

wie er sagt, die Katholischen nach Möglichkeit zu unterdrücken suchen,<br />

so geht daraus schon hervor, daß er selbst auf evangelischem Standpunkt<br />

steht (VI 972). Als Protestant empfindet Schleder Mitleid mit seinen<br />

durch die Reformationen in die Enge geratenen Glaubensgenossen in<br />

Oesterreich und Schlesien. Die .innere Anteilnahme verraten seine in<br />

bewegten Ausdrücken gehaltenen Schilderungen. Einmal entschlüpft ihm<br />

bei der Erwähnung, des Reformationswesens sogar die Bemerkung:<br />

„gleich ob geschehe Gott dem Herrn ein besonderer Dienst daran” (VII<br />

179). Ganz besonders warmes Interesse zeigt Schieder bei den<br />

„Barbarischen Greuelthaten” gegen die Waldenser (VII 832). Daß<br />

Schieder etwas auf seine Religionszugehörigkeit gibt, das geht z. B.<br />

daraus hervor, daß bei den Segenswünschen, die er seiner Vaterstadt<br />

Regensburg zuteil werden läßt, an erster Stelle die reine Lehre genannt<br />

wird. Als Verfechter der reinen Lehre zeigt sich der Autor in seiner<br />

Stellungnahme gegen Nichtchristen. Bei der Schilderung der<br />

Türkenkämpfe, in denen Venedig die Führerschaft hat, nennt er die<br />

christliche Partei durchweg nur die „Unserigen“. Er beglückwünscht die<br />

glorreiche Republik zu ihren Siegen gegen den Erbfeind christlichen<br />

Namens. Einigkeit aller christlichen Staaten gegen den gemeinsamen<br />

Feind ist sein lebhafter Wunsch (VI 801). Als Nichtchristen erfahren<br />

auch die Juden eine äußerst ungünstige Beurteilung (VI 643). Es<br />

sprechen allerdings bei dieser antisemitischen Stimmung zweifellos<br />

soziale Erfahrungen mit. So wird nämlich eine Einschränkung der<br />

jüdischen Religion durch den Hamburger Magistrat, weil man befunden,<br />

daß der Bürgerschaft die Juden ihre Nahrung allzu sehr entziehen, als<br />

heilsam, Preiß- und Ruhmwürdig bezeichnet (VI 639). Als eifriger und<br />

strenger Anhänger des Christentums empfindet der Verfasser Abscheu<br />

gegen


-68-<br />

die Sekten, wie sie namentlich in England wie Pilze aus dem Boden<br />

sproßten. Die Quäker belegt er mit der Bezeichnung Teufelsbrut (VII<br />

1000). Wenn an den Höfen die Fastnacht gefeiert wird, so hat er dafür die<br />

Bemerkung: „nicht auf Christliche, sondern nach recht Heydnischer<br />

Gewohnheit” (VII 4QO). In den Segenswünschen und salbungsvollen<br />

Schlußbemerkungen unseres Autors prägt sich sein tiefgehender Glaube<br />

aus. Es ist ihm mit seiner Frömmigkeit ernst. Alles Wirken in der<br />

Geschichte wie in der Natur schreibt er dem Walten Gottes zu. Von hier<br />

aus nimmt er auch Stellung zu der in seiner Zeit üblichen Ausdeutung<br />

von Wunderzeichen. Sie sind seiner Ansicht nach meist Vorboten<br />

künftigen Unheils. Gelegentlich führt er wohl Auslegungen anderer an,<br />

zumal, wenn sie durch die folgenden Ereignisse ihre Bestätigung erfahren<br />

haben. Im allgemeinen jedoch verneint er die Möglichkeit, ihre<br />

Bedeutung, die Gott allein bekannt ist, zu erforschen. „Was nun Gott der<br />

Allmächtige durch dergleichen erschröckliche Zeichen und Wunder<br />

wolle vordeuten gleichwie es menschlicher Vernunft zu erforschen<br />

unmöglich, also müssen wirs deß Großen und Wunderthätigen Gottes<br />

Allwissenheit billich allein anheim gestellt seyn lassen: Der richte es alles<br />

zu seines Großmächtigsten Namens Lob, Ehr und Preiß. Uns armen sündhafftigen<br />

Menschen aber zu unser zeitlichen, allermeist aber ewigen<br />

Wolfahrt und Seligkeit. Umb Jesu Christi unseres Heylandes willen” (VII<br />

467).<br />

Der Ordnung, die Schleder in Band VI und VII zur Bewältigung<br />

seines Stoffes anwendet, liegt eine Einteilung nach sogenannten Titeln,<br />

Paragraphen, Klassen oder Rubriken zugrunde. Im Register des VI.<br />

Bandes sind die Titel der verschiedenen Rubriken namhaft gemacht.<br />

Jedes Land oder gelegentlich der Hof desselben erhält einen besonderen<br />

Paragraphen. Die letzten Klassen sammlen den Unterhaltungsstoff. Die<br />

Rubrikeneinteilung hängt gelegentlich vom Stoff selbst ab. Kommen<br />

neue Kämpfe z. B. vor, so erhalten


-69-<br />

sie eine eigene Rubrik zugewiesen. Fehlen gelegentlich cin-inal<br />

denkwürdige Begebenheiten für einen Paragraphen, so lallt er einfach<br />

aus. Innerhalb der einzelnen Klassen wird auf chronologische<br />

Reihenfolge gesehen. Der Zeitraum, in den diese Einteilung eingeführt<br />

wird, ist verschieden. Meist erstreckt er sich über ein ganzes Jahr, aber<br />

hei reichlichem Stoff wird ein halbes Jahr nach dem ändern an der Hand<br />

der Rubrikenfolge durchlaufen. Mit dieser Klassenabteilung, die im<br />

großen und ganzen eine Wiederaufnahme des von Abelin in Band l und II<br />

beobachteten Verfahrens bedeutet, bleibt Schleder für alle folgenden<br />

Bände grundlegend. Noch bei Schneider, dem letzten unserer Autoren,<br />

sind die Hauptzüge der auf ein Jahr übertragenen Abteilungsordming<br />

Schleders erkennbar. Ungeschickt muß es erscheinen, daß Schleder den<br />

Unterhaltungsstoff zum Teil in die Hauptrubriken schon einstreut, aber<br />

ihn am Jahresschluß in den dazu reservierten Paragraphen nochmals<br />

wörtlich wiederholt, so daß fortwährend hier Dubletten bestehen (VI 882<br />

cf. 1029; VII 63 cf. 116). Besonders anerkennenswerten Fleiß hat<br />

Schleder ferner auf die Verarbeitung verschiedenartiger Berichte gelegt,<br />

die er gründlich miteinander vergleicht und kleinere Differenzen in<br />

Zahlen-, Namen- und Zeitangaben nebeneinanderstellt. Ebenso bemüht er<br />

sich redlich, den geschichtlichen Verlauf zusammenhängend und klar<br />

darzustellen, wobei ihm seine Rubrikeneinteilung sehr zustatten kommt.<br />

Für die Schilderung der schwedischen Truppenbewegungen gibt ihm eine<br />

Marschroutenkarte der schwedischen Hauptarmee unter Torstensohn und<br />

Wrangel, die von dem Generalquartiermeisterleutenant G. W. Kleinstretl<br />

verfertigt ist und mit Nummern die täglichen Quartiere markiert, den<br />

roten Faden ab. Die gute Disposition ist schon äußerlich dadurch<br />

gekennzeichnet, daß die Randschriften oder „Concordanzen” vielfach in<br />

Zusammenhang miteinander stehen und, wie Schleder in seiner Vorrede<br />

zu VI sagt, einen kurtzen Auszug der Histori vorstellen können.


-70-<br />

Aus alle dem geht hervor, daß der VI. und VII. Band nicht zu den<br />

schlechtesten gehören kann. Struve hat daher sehr mit Recht Schleder<br />

neben Abelin und Schneider aus der Reihe der Autoren des <strong>Theatrum</strong><br />

hervorgehoben. Vor seinen nächsten beiden Vorgängern hat Schleder<br />

einige Vorteile voraus. Er schreibt erst mehrere Jahre nach den<br />

Ereignissen und kann also eine Uebersicht über das einlaufende<br />

Quellenmaterial gewinnen, ohne sich auf jene ersten und schlechten<br />

Nachrichten allein verlassen zu müssen. Seine von einer strengen<br />

Chronologie freie Ordnung bewahrt ihn vor vielen der in III, IV und V<br />

beobachtbaren Mängel. Sodann verfügt Schleder über eine langjährige<br />

kompilatorische Praxis. Besonders ist er mit dem im <strong>Theatrum</strong><br />

verwerteten Quellenmaterial zum guten Teil schon aus seinen<br />

vorausgehenden Arbeiten an den Meßrelationen und dem Mercurius<br />

vertraut.<br />

Es ist daher ein Vergleich der Meßrelationen und des <strong>Theatrum</strong><br />

diesmal besonders interessant und lehrreich.<br />

<strong>Theatrum</strong> VI ed. 1652 S. 147 Rel. Hist. HM. 1647 - OM. 1648<br />

.... welche dann den 5. 15. früe umb 2<br />

uhren mit den Stücken einen Anfang<br />

gemacht und die darinnen dergestalt<br />

geängstiget, daß sie sich Nachmittags<br />

umb 2 Uhren auf Discretion ergeben<br />

müssen. Worauff der Flecken und<br />

Schloß mit den armen Leuten<br />

außgeplündert alles Vieh abgenommen<br />

und 19 Mann undergestellt, der<br />

Lieutenant aber so selbe commandirt in<br />

Arrest genommen worden. Solchem<br />

nach ist Sonnabends den 6. 16. die<br />

Artillerie sampt etwas Reutterey mit<br />

obgedachtem H. Gen. Passagi in den<br />

Wormbsichen Vor-Stätten, das<br />

Oehmische Regiment aber zu Pferd<br />

unnd das Klugische zu Fuss in<br />

Pfedersheim ein Meyl von gedachtem<br />

Franckenthal und ein Meyl von<br />

Wormbs wieder angelanget.<br />

...welcher es am 5. 15. früh biß nach<br />

Mittag also beschossen, daß sich der<br />

darinn gelegene Leutnant auff<br />

discretion ergeben, im Arrest<br />

verbleiben und die bey sich gehabte 19<br />

Knecht understellen müssen. Demnach<br />

nun erwehnter General-Major besagtes<br />

Schloß sampt dem Flecken plündern<br />

laßen, ist er mit den Stücken auch theils<br />

Völckern den 6. 16. Novemb. in die<br />

Wormbsische Vorstätte zurück das<br />

übrige aber zu Pfödershelm<br />

ankommen.<br />

Daß Schleder in beiden Fällen die gleiche Relation zu-


-71-<br />

grunde gelegt hat, ergibt sich aus der Aehnlichkeit. Allein im <strong>Theatrum</strong><br />

schreibt er den ursprünglichen Bericht genauer aus, als er es in der<br />

Meßrelation getan hatte. Wir haben also hier eine Bestätigung der schon<br />

bei Abelin gemachten Erfahrung, daß die Kompilatoren nicht eine<br />

frühere eigene Bearbeitung der gleichen Ereignisse einfach abschreiben,<br />

sondern nochmals aus den Urquellen eine neue Darstellung formen.<br />

VIII und IX.<br />

Die Vorrede des VII. Bandes vom 12. April 1663 behauptet, daß der<br />

Autor des folgenden Teiles bereits „in würcklicher Arbeit begriffen ” sei.<br />

Der neue Kompilator, den der Verlag Merian gewonnen hat, ist Martin<br />

Meyer vom Hayn (Haynau) in Schlesien. Sein Geburtsjahr laßt sich auf<br />

um 1640 (Vorrede zu Ortelius) berechnen. Auf der Stadtschule zu<br />

Liegnitz ist er seiner eigenen Aussage nach „zu einem vernünfftigen<br />

Menschen erzogen” worden. Er bezeichnet sich in seinen Schriften als<br />

Philolog. et Hist. Stud. oder als Historiophilus. Wegen seines geliebten<br />

Vatterlandes bißherigen unruhigen und traurigen und (leyder!) noch<br />

trauriger hervorscheinenden Zustands hat er zu Frankfurt gleichsam<br />

verbannt leben müssen (Ortelius; Vorrede). Meyer hat es offenbar zu<br />

keiner festen Berufsstellung gebracht, sondern verdient sich durch<br />

publizistische Tätigkeit sein tägliches Brot. Nachdem er bereits mit einer<br />

Fortsetzung des Ortelius, des Philemerus Irenicus Elisius und Lundorps<br />

betraut worden war, erhält er von dem Verlag Merian den Auftrag das<br />

<strong>Theatrum</strong> <strong>Europaeum</strong> zu kontinuieren. Sein Vorgänger Schleder mußte<br />

nämlich „wegen herbeynahendcn, unvermögenden Alters und anderer<br />

schwer obliegender Ampts-Geschäfften” die Ausarbeitung der folgenden<br />

Bände von sich abwälzen. Der VII. Band war nur bis


-72-<br />

zum März 1657 fortgeführt. Im VIII. Band behandelt Meyer den Rest<br />

des Jahres 1657 und führt die Darstellung bis zum Mai 1660. Hier bricht<br />

er ab, weil der Band bereits zu umfangreich geworden ist. Der VIII. Teil<br />

des <strong>Theatrum</strong> erscheint erst 1667. Die durch den Tod M. Merlan des<br />

Aelteren erfolgte Stockung in dem Unternehmen scheint immer noch<br />

nicht ganz überwunden zu sein. Dazu bemerkt Meyer, daß wiederum die<br />

Zusendung von Dokumenten und Plänen zu spät erfolgt sei. Endlich<br />

nimmt er einen Teil der Schuld für die Verzögerung auf sich. Die Zahl<br />

der vorhandenen Relationen sei zu groß gewesen. Dabei wollte er sich<br />

bemühen, nichts Wichtiges zu übergehen und besonders durch Mitteilung<br />

aller Urkunden den verschiedenen Parteieil gerecht zu werden. Mit dem<br />

nächsten IX. Band, den er bereits unter den Händen habe, will er sich<br />

drum um so mehr beeilen, um die mißgünstige und neidische Behauptung,<br />

als ob dieses unser Werck gäntzlich ins Stecken gerathen<br />

zugleich mit zurück in die finstere Schand-Höle der Unwahrheit zu<br />

treiben (VIII Vorrede). Allein der IX. Band, der mit dem Juni 1660<br />

beginnt und noch etwa die Hälfte der Rubriken des 1665 Jahres<br />

behandelt, erscheint auch erst wieder 1672.<br />

Meyer behält die Rubrikenordnung seines Vorgängers bei. Wenn er<br />

sich auch nicht scheut, entsprechend den Ereignissen alte Rubriken<br />

abzuschaffen oder neue zu erschließen, so ist er doch darin unselbständig,<br />

daß er in seinen beiden Bänden die gleiche Reihenfolge der Rubriken<br />

fortgesetzt einhält und die einzelnen Abteilungen zu säuberlich<br />

voneinander trennt. Er entzieht sich also der Einsicht, daß, wenn<br />

Ereignisse von einem Staat in den andern überspielen, am besten die<br />

diesen beiden Ländern zugewiesenen Rubriken nebeneinandergestellt und<br />

ihr Inhalt nicht zu scharf geschieden werden darf.<br />

In der Stoffaufnahme treten ferner bei Meyer einige Aenderungen<br />

auf. Seine Bände stehen den vorausgehenden


-73-<br />

nicht im geringsten an Seitenzahl nach, vielmehr übertreffen sie diese<br />

sogar. Der durch das Ende des deutschen Krieges bedingte Stoffausfall<br />

wird durch die bei Meyer besonders in den Vordergrund tretenden<br />

Türkenkämpfe lange nicht ausgefüllt. Er holt daher den für seine<br />

mächtigen Bände noch fehlenden Stoff vornehmlich aus zwei Gebieten.<br />

In weitem Maße zieht er zunächst Hofgeschichtcn heran. Es handelt sich<br />

hier in der Hauptsache um fürstliche Freuden- und Traucrfeierlichkcitcn,<br />

die nach Art ihrer Ausmalung z.B.: genaue Schilderung von Haltung,<br />

Kleidung, Schmuck, Zug- und Rangordnung u.ä. dem Unterhaltungsstoff<br />

zuzuweisen sind. Er selbst nennt dieses Gebiet einmal Materie von lauter<br />

Zierde, Pracht, Herrlichkeit und Lust. Dieser Stoff zieht auch nach und<br />

nach Verwandtes an sich. So werden Eheverlöbnisse, Geburten,<br />

Todesfälle, Hinrichtungen vornehmer Personen, endlich Wunder,<br />

Wasser- und Feuerschaden u. ä. in den Hauptrubriken untergebracht.<br />

Aeußerlich kann man diese Tatsache daran konstatieren, daß der<br />

Verfasser, wenn er an die dem Unterhaltungsstoff Uoch eigentlich<br />

zugewiesenen Schlußrubrikcn kommt, gar kein Materiaf dafür mehr hat<br />

und sich großenteils mit Verweisen auf die vorausgehenden<br />

Hauptrubriken begnügen muß. Ein großes Gebiet bekommen sodann<br />

Aktenstücke zugewiesen. Meyer mag von seiner Arbeit am Diarium und<br />

Lundorp die Vorliebe für diese Art des Materials mitgebracht haben. Im<br />

IX. Bande scheint er aber zur Erkenntnis gekommen zu sein, daß im<br />

<strong>Theatrum</strong> mehr der Erzählungs- als der Aktenstoff überwiegen soll und<br />

bemerkt daher in der Vorrede, daß dieser Teil „frey von ictis publicis und<br />

gewechselten Schrillten” sei.<br />

Wir kommen nun dazu die Züge der Darstellung aufzuweisen, die<br />

als Ausdruck persönlicher Verhältnisse, Anlagen und Empfindungen des<br />

Autors zu fassen sind. Wie Schleder so orientiert Meyer seine<br />

Beschreibung nach seinem derzeitigen Wohnsitz Frankfurt a/Mayn, von<br />

dem er mit „all-


-74-<br />

hier”, „unsere Stadt” u.ä. redet. Als leicht mißverständlicher<br />

Sprachgebrauch unseres Verfassers muß weiter festgestellt werden, daß<br />

er von einer Stadt oder Gegend, die er einmal namhaft gemacht hat, im<br />

nächstfolgenden Zusammenhang einfach nur noch mit Ausdrücken wie<br />

„allhier” und „hiesiger Orten” spricht. Ein für ihn gleichfalls<br />

charakteristisches, wenn auch seltener auftretendes Merkmal ist der<br />

Einschub „sag ich”. Ein Kennzeichen seines Stils ist femer die Einfügung<br />

von Sprichwörtern und Zitaten in die Darstellung. Besonders in den<br />

Einleitungen zu den einzelnen Rubriken geht Meyer meist von einer<br />

lateinischen oder deutschen Sentenz aus, die er auf die politischen<br />

Geschicke des in Frage stehenden Landes ausdeutet. Nicht nur<br />

Sprichwörter, sondern auch aus Natur und Menschenleben genommene<br />

Vergleiche, die vielfach nicht ungeschickt durchgeführt werden, sind zu<br />

Einführungen benützt.<br />

Von den religiös-politischen Anschauungen Meyers läßt sich wenig<br />

sagen. Die Gestaltung und Form der Erzählung bei religiösen<br />

Streitigkeiten, sowie gelegentliche, spärliche Aeußerungen (IX 1455)<br />

lassen uns den Verfasser als Protestanten erkennen. Für ein Hervortreten<br />

politischer Tendenzen liegen schon die Verhältnisse, aus denen der<br />

Verfasser schreibt, wenig günstig. Der große deutsche Krieg, der das<br />

Reich in verschiedene Heerlager spaltete, ist vorüber. So bietet sich also<br />

unserem Autor wenig Gelegenheit zur Parteinahme. Was aber damals<br />

vornehmlich noch das ganze Reich und die gesamte Christenheit bewegt,<br />

das sind die Türkenkämpfe. Diese Zeit, in der allerorten in Deutschland<br />

die Türkenglocken läuteten, hat allerdings einen Nachklang im Herzen<br />

unseres Verfassers hinterlassen. Denn er hat es erlebt, wie die ganze<br />

Christenheit sich zur Abwehr des Erbfeindes christlichen Namens rüstete.<br />

Dazu hat er sich auch in seinen Schriften, besonders dem Ortelius, d. i.<br />

den „Ungarischen Kriegsempörungen”, mit diesen Ereig-<br />

-75-<br />

nissen eingehend beschäftigt. Die Türkenkämpfe bilden mit Bewußtsein<br />

ein Hauptstück namentlich des IX. Bandes. <strong>Das</strong> ist auf dem Titelblatt<br />

ausdrücklich vermerkt, und auf dem Titelkupfer sehen wir dem Kaiser<br />

den Sultan gegenüberstehen und unter ihnen kämpfende türkische und<br />

christliche Reiter. Es ist ohne weiteres klar, daß Meyer eine<br />

türkenfeindliche Tendenz vertritt. <strong>Das</strong> macht ihm niemand zum Vorwurf<br />

der Parteilichkeit, das war vielmehr für einen Christen Recht, wenn nicht<br />

Pflicht. Mit den abfälligsten Ausdrücken beklagt er es, wie der Wüterich<br />

zu Konstantinopel unter den armen, verlassenen Christen eine<br />

Menschenhatz anstellen läßt. Die armen christlichen Gefangenen werden<br />

von den „barbarischen Hunden” mißhandelt und verlockt, zu dem<br />

Unglauben und Greuel des „Lügenpropheten Mahomet” überzutreten.<br />

<strong>Das</strong> Bestreben, die Christenheit „wider den gemeinen Erbfeind zu


vereinigen, findet Lob und Beifall des Verfassers. Er bedauert es, wenn<br />

bei der drohenden Türkengefahr irgendwo die Reichsharmonie gestört zu<br />

werden droht, wenn wieder irgendwo Christenblut vergossen und das<br />

wider die boßhafftige und treulose Mahometaner verordnete Kraut und<br />

Loth wider Christen und gleiche Religionsgenossen angewendet werden<br />

soll. Nicht nur wegen des gemeinsamen Vorgehens gegen den Erbfeind<br />

liegt Einigung aller christlichen Potentaten dem Autor am Herzen. Seine<br />

ängstliche Sorge um Aufrechterhaltung des Friedens läßt sich noch als<br />

anhaltende Nachwirkung der abstoßenden Landesnot im dreißigjährigen<br />

Krieg verstehen. Wenn der große deutsche Krieg als die berühmteste<br />

Kriegsschule bezeichnet wird, so kann er es sich nicht versagen,<br />

hinzuzufügen: „leider zu des gantzen Landes höchstem Schaden!” Und<br />

als einmal bei den Frankfurter Beratungen 1658 der Churfürst von der<br />

Pfalz von dem churbayrischen Abgesandten gereizt, nach diesem ein<br />

Tintenfaß schleudert, ein Affront, der zu schweren Komplikationen<br />

Anlaß geben


-76-<br />

konnte, da bemerkt Meyer: „Hierüber entstund bei allen getreuen<br />

Patrioten nicht wenig bekümmerte Vorsorg, als ob dem Vatterland<br />

hierauß eine neue Ungelegenheit und Weittläufttigkeit, ja wohl gar ein<br />

Landverderblicher Krieg zuwachsen dörffte.”<br />

Bezüglich des benutzten Quellenmaterials läßt sich aus Band Vlll<br />

und IX selbst nicht mehr wie sonst ersehen. Meyer wird wegen der<br />

Parteilichkeit seiner Quellen gelegentlich mehrere Relationen von den<br />

verschiedenen Seiten anzuführen genötigt (Vlll 912). Betreffs der<br />

Unsicherheit der einlaufende Berichte macht er einmal (VIII 985) die<br />

interessante Mitteilung, daß die Nachrichten um so spärlicher und<br />

schlechter einlaufen, je weiter der Schauplatz der darin beschriebenen<br />

Ereignisse vom deutschen Reich entfernt ist. So kommt z.B. von<br />

Norwegen wegen der großen Entfernung nur wenig ein (Vlll 923).<br />

Bemerkenswert ist noch, daß das Titelblatt besagt, daß das Werk „auß<br />

vielen treulich mitgeteilten Schrifften, nachrichtlichen Berichten und<br />

brieflichen Urkunden zusammengetragen” ist. Wir können aber noch auf<br />

anderem Wege in die Quellenverhältnisse des Vlll. und IX. Bandes tiefer<br />

eindringen.<br />

In Betracht zu ziehen sind hier vor allem die bereits vorliegenden<br />

eigenen Arbeiten Meyers über die im <strong>Theatrum</strong> VIII und IX behandelten<br />

Ereignisse, nämlich das Diarium <strong>Europaeum</strong>, das von Band III (1660) aus<br />

seiner Feder stammt, und der Ortelius, den er gerade für die Zeit 1658—<br />

64, wie die Vorrede versichert, nicht aus anderen Schriftstellern, sondern<br />

aus Einzelrelationen zusammenstellt. In der Vorrede der<br />

„Kriegsempörungen” gibt Meyer zugleich einen wertvollen Einblick in<br />

die Art seiner Arbeit. Auch im vorausgehenden Diarium hat er schon die<br />

türkischen Geschichten besprochen. Er sagt aber ausdrücklich, daß er<br />

später beim Ortelius nochmals die alten Einzelrelationen zur Hand<br />

genommen, neue hinzugefügt Und daraus zum


-77-<br />

zweiten Male eine Darstellung gebildet habe. Danach zu schließen, wird<br />

Meyer seiner Arbeitsmethode entsprechend beim <strong>Theatrum</strong> nochmals die<br />

Urquellen vornehmen und nicht etwa den Ortelius oder das Diarium<br />

selbst.<br />

Schon ein oberflächlicher Vergleich des Diarium, des Ortelius und<br />

des <strong>Theatrum</strong> zeigt, daß zahlreiche wörtliche Uebereinstimmungen<br />

zwischen diesen drei Werken bestehen. An einigen Beispielen mag dies<br />

illustriert werden. Im Diarium V. Teil findet sich im Appendix ein<br />

Dokument, das betitelt ist: „Der Ungarischen Herrn Consiliarien, so zu<br />

Orätz versammelt, Meynungen: Wegen beschchenen Angriffs auf<br />

Wardeyn”. Dieses Schriftstück, das hier noch ganz allein steht, wird in<br />

die Darstellung des Ortelius (II S. 180), sowie in die des <strong>Theatrum</strong> (IX S.<br />

28) eingearbeitet. Wir können daraus ersehen, wie schon im Diarium<br />

vorliegende Urkunden für Ortelius und <strong>Theatrum</strong> wieder verwertet<br />

worden sind. Selbst zwischen den beiden ersten Teilen des Diarium für<br />

die Jahre 1657—59, die noch gar nicht von Meyer verfaßt sind, und dem<br />

<strong>Theatrum</strong> besteht schon die gleiche innige Verwandtschaft Als Beleg<br />

mag die Beschreibung der Reise Leopolds zur Kaiserwahl nach Frankfurt<br />

angezogen werden.<br />

Rel. Hist. OM.-HM.<br />

1658 S. 83<br />

Selbigen Tags Abend<br />

hat man sich zu Fürth<br />

Onspach. und Nürnb.<br />

Jurisdiction einquartirt<br />

vondannenaußviel<br />

unterschiedliche Hof-<br />

Cavagliri deß Kön.<br />

Comitats sich in<br />

Nürnberg begeben, um<br />

die Statt zu besichtigen:<br />

denen von E. E. Rath<br />

die allda verwahrte<br />

hochansehnliche<br />

Reliquien mit ward zu<br />

Fürth Kön. Tafel<br />

gehalten usw.<br />

<strong>Theatrum</strong> VIII S. 348<br />

und 349<br />

Auff den Abend<br />

quartierte man sich zu<br />

Fürth ein, welches<br />

Fürstl. Ohnspachischen<br />

Gebiets ist. Von hier<br />

auß begaben sich viel<br />

Hof-Cavalliere nach<br />

Nürnberg die Stadt zu<br />

besichtigen, denen von<br />

Einem Wol Edlen und<br />

Hochweisen Rath allda<br />

die bei Ihnen<br />

wohlverwahrte hochan-<br />

Diarium <strong>Europaeum</strong><br />

S. 576<br />

Auff den Abend hat<br />

mansichzuFürth,<br />

Onspach-<br />

Nürnbergischem<br />

Gebiethes einquartirt.


ehöriger Andacht. In<br />

gleichem der erwehlten<br />

Röm. Keyser Zierat und<br />

Kleidungen als Cron<br />

Scepter etc. wie auch<br />

Keysers Caroli Magni<br />

Schwert, womit bey<br />

Kayserl. Crönungen die<br />

Ritter pflegen<br />

geschlagen werden,<br />

willig gezeigt worden.<br />

Montags, den 25. Febr.<br />

ward zu Fürth Kön.<br />

Tafel gehalten usw.<br />

-78-<br />

sehentliche Reliquien<br />

mit gebührender<br />

Andacht: Ingleichen der<br />

erwählten Röm. Keyser<br />

Zierrath und<br />

Kleinodien, als Kron,<br />

Scepter, Reichs- Apffel<br />

und anders mehr wie<br />

auch Keyser Carls des<br />

Großen Schwerd,<br />

womit bey einer<br />

Keyserl. Crönung die<br />

Ritter pflegen<br />

geschlagen werden,<br />

gezeigt ward. Den 15.<br />

25. wurde zu besagtem<br />

Fürth Königl. Taffel<br />

gehalten usw.<br />

I S. 597<br />

Den 15. dieses (zu<br />

welcher Zeit Ih. Königl.<br />

Maj. zu Ungarn und<br />

Böhmen noch immer<br />

Reißfertig waren)<br />

wurde zu Fürth dahin<br />

den 14. dieses kommen,<br />

Königl. Tafel gehalten<br />

usw.<br />

Eine wertvolle Hilfe bietet die Meßrelation. Sie zeigt, daß es sich<br />

hier ursprünglich um eine Einzelrelation handelte, die eine „Umständige<br />

Beschreibung der zu Hungarn und Böheim K. M. Leopolden etc. Reise<br />

nach Frankfurt” gab. <strong>Das</strong> <strong>Theatrum</strong> kann bei seiner Rubrikeneinteilungden<br />

ganzen Bericht einreihen, das Diarium hingegen mit seiner<br />

in seinen ersten Teilen eingehaltenen strengen Tagesordnung reißt die<br />

ganze Relation in einzelne Tagesstationen auseinander (Diarium I S. 565,<br />

573, 574, 575, 576, 597, 598, 603, 614, 615, 629, 630). Bei dieser<br />

Trennungsarbeit hat das Diarium zwischen den von. uns zitierten Stellen<br />

ein Stück ausfallen lassen, das infolgedessen bei dem <strong>Theatrum</strong> und der<br />

Meßrelation als Plus dasteht. <strong>Das</strong> <strong>Theatrum</strong> hat also unmöglich hier das<br />

Diarium benützt. Ihre Aehnlichkeiten erklären sich nur aus einem<br />

Zurückgehen auf dieselbe Quelle. Jetzt taucht aber sofort die Frage auf,<br />

ob nicht etwa die Meßrelation die Quelle des <strong>Theatrum</strong> war. Die<br />

bisherigen Untersuchungen haben stets zu zeigen gesucht, daß auch die<br />

Verwandtschaft des <strong>Theatrum</strong> und der Meßrelation nur aus einer<br />

beiderseitigen Verwertung des gleichen Quellenmaterials herzuleiten ist.<br />

<strong>Das</strong> wird ebenso an dem hier angeführten Beispiel wieder<br />

wahrscheinlich, wenn wir beob-


-79-<br />

achten, daß das <strong>Theatrum</strong> die Stelle der Meßrelation: „Zierat und<br />

Kleidungen als Cron, Scepter” in einer erweiterten und andersartigen<br />

Fassung: „Zierrath und Kleinodien als Krön, Scepter, Reichs-Apffel”<br />

aufweist. Es ließe sich demnach vielleicht die enge Verwandtschaft<br />

zwischen Meßrelationen, Diarium und <strong>Theatrum</strong> aus einer selbständigen<br />

Benützung des gleichen Quellenmaterials in allen drei Werken erklären.<br />

Wie steht es nun mit diesen Fragen an den Partien des <strong>Theatrum</strong>, an<br />

denen die von Meyer selbst verfaßten Teile des Diarium und seine<br />

Fortsetzung des Ortelius vorliegen? (s. S. 80.)<br />

Aus der Nebeneinanderstellung dieser Berichte läßt sich folgendes<br />

schließen. Die 1660 erscheinenden Relaliones historicae geben die<br />

verwerteten Nachrichten in ihrer ursprünglichsten Form wieder. Es waren<br />

zwei Schreiben, das eine aus Caschau und das andere aus der Tükei. <strong>Das</strong><br />

Diarium, das auch schon 1660 herausgegeben wurde, kannte nur das<br />

letztere Berichtschreiben und hat daraus das Treffen zu Clausenburg so<br />

dargestellt, daß man es für einen Sieg Ragoczys halten muß. Ortelius<br />

erschien erst 1665, hatte also mehr Zeit sich nach Quellenmaterial<br />

umzusehen und bekam dabei das Schreiben aus Caschau zur Hand, was<br />

dazu ver-antaßte, das Treffen bei Clausenburg als Niederlage<br />

hinzustellen, ohne aber die im Diarium verwertete Relation ganz<br />

auszuschalten. Im <strong>Theatrum</strong> <strong>Europaeum</strong> erinnern nur noch einzelne Züge<br />

an die beiden ersten Berichtschreiben. <strong>Das</strong> <strong>Theatrum</strong> hat 1667 ganz<br />

sichere Mitteilungen zur Hand bekommen. <strong>Das</strong> Treffen steht als<br />

Niederlage des Ragoczy fest. Die Uebertreibungen der ersten, unsicheren<br />

Nachrichten sind gestrichen und gemifdert. Im übrigen ist eine<br />

ausführliche und in ihren Angaben bestimmt auftretende Schilderung des<br />

für den Fürsten so unglücklichen Kampfes geboten. Die Vorzüge des<br />

<strong>Theatrum</strong>, die sich also hier ergeben, sind eine Selbständigkeit gegenüber<br />

allen vor-


<strong>Theatrum</strong> VIII S. 1388 (ed. 1667)<br />

Ortelius II S. 179 (ed. 1665)<br />

Diarium <strong>Europaeum</strong> III S. 568 (ed.<br />

1660)<br />

Rel. Hist. O.M.-H.M. 1660 (ed. 1660) S.<br />

24<br />

Wie berichtet wird, soll er in die<br />

rechte Seyte einen Schuß, in die<br />

Lincke aber einen Stich und auffs<br />

Haupt drei Wunden empfangen<br />

auch dergestalt verzweiffelt<br />

gefochten haben, daß er 17 Mann<br />

mit eigener Hand niedergemacht.<br />

Der Seinigen wären nur 600, der<br />

Türcken aber 6000 geblieben. Als<br />

seine Officiere gesehen etc.<br />

[- 80 - ]<br />

Fürst Ragotzy wolte zwar seinen<br />

nothleidenden Schwadronen zu Hülff<br />

kommen, satzte auch so erhitzt auf<br />

die Türcken an, daß er allein mit<br />

eygener Faust 7 Sättel leer und so<br />

viel vornehme Türcken<br />

niedermachte. Aber er ward von den<br />

seinigen nicht entsetzt und bekam<br />

darüber 4 harte Wunden, zwo am<br />

Haupte und die übrigen an andern<br />

Orten dess Leibs. Sein Fußvolck<br />

blieb fast gantz auff der Schlacht<br />

Banck liegen oder fiel in Schlaverey<br />

und von der Reiterey auch nicht<br />

wenig so daß man der Todten<br />

zusammen über 3000 Mann zehlte.<br />

Acht Feldstücke und die Fürstl<br />

Haupt-Fahne mit vielen andern, auch<br />

allen Proviant-Wägen kamen in deß<br />

Feindes Gewalt. Aber Fürst Ragotzy<br />

wurde also tödlich verwundet von<br />

den seinigen auß der Schlacht erretet<br />

etc.<br />

... worinnen er in die rechte Seyte<br />

einen Schuß, in die lincke aber<br />

einen Stich und auffs Haupt drei<br />

Wunden bekam auch dergestalt<br />

ritterlich und gleichsam<br />

verzweyffelt fochte, daß er 17<br />

Mann mit eygener Hand<br />

niedermachte, wobey sein<br />

meistes Volck und alle Munition<br />

verloren ging und er von 130<br />

Standarten nit mehr als noch 20<br />

behielt ja selbsten auf dem<br />

fünfften Pferd tödtlich verwundet<br />

davon kam, wiewol die Türcken<br />

auch in 6000 dabey zusetzen<br />

mußten. Als seine Officiere<br />

gesehen etc.<br />

Dienstag, den 22. May, 1. Junij gar spät<br />

waren von 26. Schreiben aus Caschau zu<br />

Wien ankommen, welche mitgebracht,<br />

daß vielgedachter Fürst Ragoczy den 22.<br />

May bei Clausenburg mit den Tiircken<br />

geschlagen, aber den kürtzeren gezogen,<br />

sein meistes Fußvolk auch alle Munition<br />

verlohren und von 130 Standarten nicht<br />

mehr denn 20 behalten habe, ja selbst auf<br />

dem fünfften Pferdt tödtlich verwundet<br />

entkommen seye. Dieses blutige treffen<br />

bestätigen andere Briefe auss Türckey<br />

unterm dato 7. Junij, worinnen Bericht<br />

geschieht: Wie nemlich der Fürst<br />

Ragoczy bey vorgegangenem Treffen in<br />

die rechte Seiten einen Schuß, in die<br />

Lincke aber einen stich und auffs Haupt<br />

drey Wunden empfangen, auch dergestalt<br />

desperat gefochten habe, daß er<br />

siebenzehn Mann mit eigner Faust<br />

niedergemacht, ja es seynd der Seinigen<br />

ungefähr nur sechshundert, der Türcken<br />

aber bey Sechstausend Mann tode<br />

geblieben. Nachdem aber seine Officiere<br />

gesehen etc.


-81-<br />

ausgehenden kornpilatorisdien Schritten und eine weit größere<br />

Zuverlässigkeit. Ferner ergibt sich für die Arbeitsmethode unseres<br />

Kompilators, daß er in allen seinen drei Werken jedesmal die Berichte<br />

von neuem durchsieht und verarbeitet, so daß seine letzte und dritte<br />

Darstellung der ungarischen Ereignisse im <strong>Theatrum</strong> als die beste<br />

bezeichnet werden darr. Bei den übrigen Rubriken des <strong>Theatrum</strong> nimmt<br />

Meyer zwar erst zum zweiten Male dieselben Quellen vor, aber auch das<br />

genügt, um ihm einen sehr vorteilhaften Üeberblick über die einlaufenden<br />

Nachrichten zu verschaffen. Daß übrigens, je weiter die zeitliche<br />

Entfernung von den Ereignissen ist und je öfter die Quellen neu<br />

gesammelt und verarbeitet werden, um so mehr sich das Geschichtsbild<br />

ändert, das hat Meyer selbst erfahren und empfunden, so daß er in der<br />

Vorrede zu Band IX zu sagen sich gedrungen fühlt: „Daß, wenn jemand<br />

in diesem Theatro eine und andere Geschichte als zum Exempel etwan<br />

die Siebenbürgische und Ungarische Kriegshändcl mit wcitläuftigcren<br />

oder wol gantz ändern Umständen als in dem anderweit von mir unter<br />

meinem oder dem Namen Philemeri Irenici beschriebenen Chronicken<br />

und Oeschichtserzehlungen antreffen wird, niemand deßwegen einigen<br />

ungleichen Verdacht fasse, als ob auß Partheilichkeit der Sache entweder<br />

dort zuwenig oder allhie zuviel geschehen seyn möchte: denn die Zeit als<br />

eine Mutter der Wahrheit hat seithero manches an deß Tages Liecht<br />

gebracht, welches anfangs unter den noch raßenden Waffen so bald nicht<br />

zum Vorscheine kommen können; so haben auch hohe Generals-<br />

Personcn und andere vornehme Kriegs-Bediente ihnen gnädig und<br />

hochgeneigt belieben lassen mit ihren nicht weniger durch kluge und<br />

fürsichtige Anstalt als auch tapfere Faust preißwürdigst hinauß geführten<br />

und beydes mit der Feder entworffenen und dann auch mit dem Pinsel<br />

gleichsam lebendig vorgestellten Actionen und Verrichtungen unser<br />

<strong>Theatrum</strong> zu unterstützen und zu bezieren, weilen demselben


-82-<br />

hochverdienter Rhum dorten nur als auß einem tunckelen Schatten<br />

erkannt werden müssen.”<br />

X.<br />

Schon der IX. Band hat in seiner Vor- und Schlußrede einige<br />

Bemerkungen gemacht, die sich auf den folgenden Teil bezogen. Der IX.<br />

Band war unter den Händen so umfangreich geworden, daß Meyer sich<br />

entschloß, mitten im 1665ten Jahre abzubrechen und die übrige biß auff<br />

das 1670te Jahr schon meistens fertige Materie in einen neuen, und zwar<br />

den zehenden Theil zu versparen (IX 1576). Fast mit denselben Worten<br />

wird versichert, daß die für den Rest von 1665 wie auch die zu den den<br />

Jahren 1666, 67, 68 und 69 bereits verfertigte Materie beysammen biß in<br />

den bald bald lind (wenn Gott Leben und Gesundheit fristen wird) in dem<br />

nächsten Jahre folgenden Zehenden Theil versparet bleiben wird<br />

(Vorrede zu IX). Wenn Meyer hier weiter verspricht, bis zum Jahre 1673<br />

den folgenden Band fertigzustellen, der die Ereignisse für 1665—72<br />

behandeln sollte, so müssen wir in der Tat annehmen, daß wenigstens<br />

schon für die ersten der genannten Jahre die Materie druckreif war. Wenn<br />

wir nun den X. Teil zur Hand nehmen, der 1677 die Geschichten der<br />

Jahre 1665—71 veröffentlichte, fällt auf, daß die erste Hälfte X, I S. 1—<br />

982 mit einem besonderen Register schließt. .Sodann beginnt die zweite<br />

Hälfte mit einer eigenen Seitenzählung X, II S. 1—620 und fügt am<br />

Schluß gleichfalls ein Register an. Wenn dabei die erste Hälfte gerade die<br />

nach der Aussage Meyers bereits von ihm ausgearbeitete Materie der<br />

Jahre 1665—68 enthält, so werden wir schon von hier aus zur Vermutung<br />

gedrängt, daß X, I der Feder des Autors des VIII. und IX. Bandes<br />

entstammt. Sollte diese Annahme ihre Richtigkeit haben, dann muß sich<br />

eine Verwandtschaft dieser ersten Hälfte des X. Bandes mit den beiden<br />

vor-


-83-<br />

ausgehenden Teilen des <strong>Theatrum</strong> nachweisen lassen. Die<br />

Rubrikenordnung, wie überhaupt die Anlage des Stoffs und Verwertung<br />

der Quellen, ebenso auch der ein besonderes Interesse verratende,<br />

eifernde Ton gegen den Erbfeind (90) stimmen mit VIII und IX überein.<br />

Allein es sind dies alles Dinge, die nicht als die für eine Persönlichkeit<br />

ausschließlich charakteristischen Merkmale gelten können, sondern die<br />

sich als eine von Verfasser zu Verfasser sich fortpflanzende Tradition<br />

verstehen lassen. Als ein Zeichen der Verwandtschaft darf aber vielleicht<br />

eher die Tatsache betrachtet werden, daß die für Meyer charakteristische<br />

Verwertung von Sentenzen, Zitaten oder Vergleichen zur Einleitung der<br />

einzelnen Rubriken sich X, I wiederfindet (cf. X, I 2, 69, 199, 253, 560).<br />

Bemerkenswert ist es schließlich vor allem, daß der von Meyer<br />

bevorzugte Gebrauch, für die Stadt oder das Gebiet, das er gerade<br />

behandelte, einfach die Ausdrücke „allhier” (X I 76) oder „hiesig” (X I 4,<br />

9, 18, 36, 91, 841) einzusetzen gleichfalls in X, I wiederkehrt, während<br />

X, II sich höchstens einmal der Worte „dasselbst” und „selbig” bedient.<br />

Aus den angeführten Gründen darf es als sehr wahrscheinlich gelten, daß<br />

die erste Hälfte des X. Teils noch von Meyer fertiggestellt war und daß<br />

der als Autor des X. Bandes eingeführte Geiger nur die zweite Hälfte zur<br />

Ergänzung angefügt hat.<br />

.Wolffgang Jakob Geiger, der Rechten Beflissener, schreibt in<br />

Frankfurt; denn er kann für diese Stadt die Bezeichnung „allhie”<br />

anwenden (X, II 476, 478). Daß er seiner Darstellung ein besonderes<br />

persönliches Gepräge verliehen habe, kann kaum behauptet werden.<br />

Gelegentlich gibt er einmal seine Anteilnahme durch ein dazwischengeworfenes<br />

„leyder” zu verstehen. Wenn er bei den Kämpfen der<br />

Christen und Türken hie und da (X, II 32, 141) einfach von den<br />

„Unsrigen” spricht, so ist immer noch zweifelhaft, ob .wir dies als<br />

Zeichen des Interesses oder als unvorsichtige Quellenbenutzung auslegen<br />

sollen. Der Autor verwertet


-84-<br />

ferner in gleicher Weise ohne Abstriche oder Ausgleich katholisch wie<br />

protestantisch gefärbte Berichte. In Ordnung und Anlage schließt er sich<br />

eng an seinen Vorgänger an. Wie bei Meyer, so füllen sich auch seine<br />

von den Höfen handelnde Rubriken stark mit den in Unterhaltungsstoffmanier<br />

schildernden Hofgeschichten. Selbst von Geburtstagsfeiern wird<br />

in eingehender Weise Nachricht gegeben. Bei seiner offensichtlichen<br />

Gleichgültigkeit gegen den behandelten Stoff bringt es der Verfasser<br />

nicht zu einer innigeren Verbindung seiner Quellen, so daß die einzelnen<br />

Relationen vielfach lose aneinandergefügt sind. Daß Geiger von der ihm<br />

wegen des Zeitabstandes von den geschilderten Ereignissen gebotenen<br />

Möglichkeit, das Quellenmaterial zu bereichern und zu sichten, wenig<br />

Gebrauch gemacht hat, das laßt sich zu gutem Teil auch aus der<br />

Quellenuntersuchung ersehen.<br />

Zunächst kann hier festgestellt werden, daß der erste Teil des X.<br />

Bandes wiederum genau die gleichen Quellen benützt, wie sie dem<br />

Diarium <strong>Europaeum</strong> schon zur Verfügung standen. Z.B. läßt sich die<br />

Rubrik über Dänemark im <strong>Theatrum</strong> X, I S. 831 und 832 aus einzelnen<br />

Stücken des Diarium zusammensetzen (Diarium, Teil XIX, S. 87, 88,<br />

184, 300, 253, 390, 391; XX 22, 23). Nur für einen Abschnitt des<br />

<strong>Theatrum</strong> („Herr Güldenlöw wird beordert sich nacli Norwegen zu<br />

begeben”) findet sich im Diarium keine Parallele. Entsprechend der<br />

bisher beobachteten Methode, die Meyer bei der Kompilation seiner<br />

Schriften befolgt, dürfen wir uns die weitgehende Uebereinstimmung des<br />

Diarium und des <strong>Theatrum</strong> X, I wieder damit erklären, daß das letztere<br />

nicht das erstere selbst, sondern nur die gleichen Quellen benützt. Wenn<br />

wir aber weiter bedenken, daß das <strong>Theatrum</strong> gegenüber dem Diarium nur<br />

über ein äußerst geringes Plus an Berichten verfügt, so können wir hier<br />

die interessante Tatsache konstatieren, daß das Quellenmaterial dieser<br />

beiden Werke im wesentlichen auf denselben


-85-<br />

Umfang beschränkt bleibt. In gleicher Weise lassen sicii Rubriken von X,<br />

II fast vollständig aus Stücken des Diarium zusammensetzen (z.B. die<br />

Aufzählung der Feuersbrünste im Jahre 1671: <strong>Theatrum</strong> X, II 614—616).<br />

Auch hier finden wir also dieselbe Begrenzung des Quellenmaterials. Da<br />

könnte doch wieder die Frage auftauchen, ob nicht etwa das <strong>Theatrum</strong><br />

einfach das Diarium ausgeschrieben habe. Einen Einblick in diese<br />

Verhältnisse gewährt die folgende Uebersicht:<br />

Rel. Hist. OM.-HM.<br />

1671 S. 77<br />

Von Madrit hatte man,<br />

daß kurtz vor Außgang<br />

des May Monats ein<br />

Feuer im Escurial<br />

ausgegangen, wodurch<br />

der meiste Theil dieses<br />

Gebäus (an welchem<br />

König Phllippus II. in<br />

Hispanien, wie man<br />

lieset, zwantzig<br />

Millionen Goldes<br />

verwendet: hoc fuit<br />

superfluum) mit einer<br />

Bibliothek von sehr viel<br />

schönen Büchern und<br />

raren Manuscriplen<br />

verbrunnen.<br />

<strong>Theatrum</strong> X, II 615 Diarium XXIV 156<br />

So empfände auch<br />

Spanien bei der<br />

Einäscherung des<br />

Wunderwerks der Welt,<br />

deß köstlichen Eskurials<br />

(andessenErbauung<br />

König Philippus II.<br />

zwantzig Millionen<br />

Golds verwandet) einen<br />

so hoch empfindlichen<br />

Verlust, allda am Gebäu<br />

vornehmlichaberander<br />

außerlesenen Bibliothek<br />

unaußsprechlicher<br />

Schaden geschehen und<br />

würdederselbenoch<br />

grösser geworden seyn,<br />

heylsamer Platzregen<br />

die wütende Flamme<br />

nicht gedämpfet hätte.<br />

Zu Madrit ist in dem<br />

königlichen Gebäude<br />

Escurial genandt (an<br />

welches König<br />

Philippus in Hispanien<br />

zwantzig Millionen<br />

Goldes verwendet)<br />

unversehens ein Feuer<br />

außkommen, wodurch<br />

dasselbe sampt einer<br />

Bibliothek von sehr viel<br />

schönen Büchern und<br />

raren Manuscriptis<br />

verbrunnen und hat man<br />

die Flamme 15 Meilen<br />

Wegs sehen können.<br />

Die letzten Worte des <strong>Theatrum</strong> stellen ein Sondergut dar, das eine<br />

Benützung allein der Meßrelation oder des Diarium ausschließt. An ein<br />

Einarbeiten einer zweiten Quelle am Schluß des <strong>Theatrum</strong> ist aber bei<br />

einer so geringfügigen Nachricht kaum zu denken. <strong>Das</strong> Verhältnis der<br />

drei zitierten Darstellungen erklärt sich am einfachsten wieder so, daß sie<br />

alle auf die gleiche Relation aus Madrid zurückgehen, aber dieselbe in<br />

verschiedener Weise ausgeschrieben haben. Die Tatsache, daß der<br />

Umfang des in X, II benützten


-86-<br />

Quellenmaterials fast derselbe ist wie im Diarium, läßt sich dann daraus<br />

erklären, daß beiden Werken, ebenso wie den Meßrelationen stets etwa<br />

die gleiche Masse der in der Verlagsstadt Frankfurt zusammenlaufenden<br />

Advisen, Relationen und Akten zu Gebote standen.<br />

Allein, vielleicht liegen der weitgehenden Uebereinstimmung von<br />

Diarium und <strong>Theatrum</strong> X, II noch andere Motive zugrunde. Es gilt zwar<br />

als feststehende Tatsache, daß mit dem 1669 erscheinenden XIX. Teile<br />

des Diarium die Autorschaft M. Meyers zu Ende ist, weil von da ab die<br />

folgenden Bände nicht mehr seinen Namen tragen, und hier knüpft sich<br />

sofort die Schlußfolgerung an, daß Meyer 1669 oder 1670 gestorben sein<br />

wird (Allg. D. Biogr.). Die letztere Vermutung läßt sich dadurch<br />

zweifellos widerlegen, daß M. Meyer noch 1672 die Vorrede zum IX.<br />

Teile des <strong>Theatrum</strong> geschrieben hat. Man könnte also sein Verschwinden<br />

aus der Reihe der Frankfurter Kompilatorcn höchstens zwischen 1672<br />

und 1677, dem Erscheinen des X. Bandes des <strong>Theatrum</strong>, festsetzen.<br />

Wenn also Meyer sicherlich wenigstens noch bis 1672 in Frankfurt tätig<br />

war, so ist eigentlich nicht einzusehen, warum er bis zu dieser Zeit nicht<br />

auch sein Diarium fortgesetzt haben soll, zumal beim Uebergang vom<br />

XIX. zum XX. Teil keine Aenderung, es sei denn das Verschwinden des<br />

Namens des Autors beobachtet werden kann. Es ist aber gar nicht selten,<br />

daß die Koinpilatoren, wenn sie einmal eine Zeitlang .an einem Werk<br />

gearbeitet haben, keinen Wert mehr darauf legen, daß ihr Name auf dem<br />

Titelblatt prangt, wie die verschiedenen Teile von Gottfrieds Chronik<br />

beweisen können, oder auch aus persönlichen Gründen es plötzlich<br />

vorziehen, ihren Namen nicht mehr zu veröffentlichen, wie Oraeus im<br />

IV. Bande des <strong>Theatrum</strong>. Es ist also das Fehlen des Autornamens im XX.<br />

und den folgenden Teilen des Diarium kein ausreichender Grund die<br />

Verfasserschaft Meyer abzusprechen. Erst in der Vorrede des XXX. Teils<br />

(1675) wird


-87-<br />

davon gesprochen, daß im vorausgehenden Band alles wirr und konfus<br />

durcheinander gesetzt worden sei, daß aber nun wieder alles methodisch<br />

und ordentlich verfaßt werden soll. Dazu beginnt eine neue<br />

Bändenumerierung des jetzt „Neueingerichtetes Diarium <strong>Europaeum</strong>”<br />

genannten Werkes. Also erst um diese Zeit treten Wechsel in der<br />

Verfasserschaft des Diarium auf. Man könnte demnach die auf XIX<br />

nächstfolgenden Bände noch Meyer zusprechen. Dann aber wäre die<br />

Beziehung zu unserem <strong>Theatrum</strong> etwa so zu denken. Aus seinen schon<br />

für das Diarium benützten Quellen hat Meyer die Darstellung für 1665—<br />

68 (X I) des <strong>Theatrum</strong> ausgearbeitet und sie ist deshalb als besonderer<br />

Teil im X. Bande gedruckt worden. Den Rest des Bandes, nämlich die<br />

Jahre 1669—71, hat Geiger vielleicht aus dem von Meyer für sein<br />

Diarium zusammengetragenen und hinterlassenen Quellenmaterial neu<br />

geschaffen.<br />

XI.<br />

Als im Oktober 1672 Seine Churfürstlichc Durchl. zu Brandenburg<br />

Dero Hauptquartier in dem Hanauischen Städtlein Bergen ohnweit<br />

Franckfurt nahmen, empfunden Sie Belieben diese berühmte Kayserliche<br />

Wahlstadt und was darinnen schauenswürdig zu sehen, ließen derowegen<br />

durch Dero Oberhoff-Marschalln Freyherrn von Kanitz Matthäi Merians<br />

Haus in Augenschein nehmen und als solches derselbe nicht allein an<br />

sich selbsten für bequem, sondern auch den großen Saal mit allen<br />

Nebenzimmern von den herrlichsten und raresten Gemählden bezierret<br />

fande, wurde sobalden durch die Churfürstl. Bedienten zu einem<br />

prächtigen Panquet fertigste Anstalt gemacht (XI 54). Von diesem<br />

Aufenthalt des Großen Kurfürsten her scheinen seine Beziehungen zur<br />

Familie Merian zu datieren, als deren Niederschlag es wohl zu verstehen<br />

ist, daß wir Matthäus Merian d. J.


-88-<br />

die Vertrauensstellung eines churbrandenburgischen Residenten begleiten<br />

sehen. Als jetzt der Verlag Merian sich nach einem Verfasser umsehen<br />

mußte, der für das <strong>Theatrum</strong> den XI. Band mit der Zeit 1672—78<br />

bearbeiten sollte, wird man vermutlich schon daran gedacht haben, mit<br />

der Erledigung dieses Auftrags einen Autor zu bedenken, der wenigstens<br />

eine dem churbrandenburgischen Hause nicht abholde politische<br />

Anschauung vertrat. Es kann jedenfalls nicht wundernehmen, daß uns als<br />

Verfasser des XI. Bandes ein Mann begegnet, der das regste Interesse<br />

und die wärmste Teilnahme für Brandenburg und seine Politik hegt. Er<br />

führt in verständiger Entwicklung den Gang der brandenburgischen<br />

Politik vor, wobei er überall mit anerkennenden oder rechtfertigenden<br />

Beifügungen nicht kargt. Stets bemüht er sich, das Vorgehen dieses<br />

Staates als ein dem gemeinen Interesse wider die. Reichsfeinde dienliches<br />

auszudeuten (1186). Mit der Parteinahme für den churbrandenburgischen<br />

Staat ist aufs engste eine schwärmerische Bewunderung für die<br />

Kriegsaktionen seines Fürsten verbunden. Brandenburg verteidigt sich<br />

stattlich mit der Feder, aber auch mit dem Schwert (822). Mit des<br />

höchsten Beystand (830) verrichtet der Held, der so tapffer streiten<br />

lernen, seine glorreichen Kriegsoperationen. Immer wieder wird darauf<br />

hingewiesen, wie wegen seiner Heldentaten viel tausend vor Freuden<br />

weyneten und abwesend den Arm dieses Helden küsseten (831) und wie<br />

sich viel vormahls Eysenveste Hertzen erweichen und gewinnen ließen<br />

,(1191). Von der Parteinahme für Churbrandenburg aus orientieren sich<br />

die sämtlichen politischen Anschauungen des Verfassers. Frankreich<br />

stellt natürlich im schlechtesten Lichte da. Seine Politik ist hinterlistig<br />

und auf Schrauben gesetzt (45). Wenn der Autor namentlich daran<br />

kommt, die Verwüstungen in den von den Franzosen durchzogenen<br />

Gegenden zu schildern, so trägt er hier die grellsten Farben auf.<br />

Greuliche Tyranney blutdürstiger Hunde (519; 156), Sengen und<br />

Brennen, Mord-


-89-<br />

brennerey und derartige Ausdrücke nimmt er hier in seine Darstellung<br />

auf. Auch das von Frankreich zu der gegen Churbrandenburg<br />

vorgenommen Ruptur verleitete Schweden stellt nicht in seiner Gunst.<br />

Dänemark, der Kaiser, Spanien und Holland werden als Bundesgenossen<br />

Brandenburgs gut beurteilt. Als aber die letzteren Brandenburg plötzlich<br />

allein stehen lassen und sich mit Frankreich einigen, hält der Autor mit<br />

mißbilligenden Ausdrücken nicht zuruck. Neben der<br />

churbrandenburgischen Tendenz bricht gelegentlich eine protestantische<br />

Richtung durch. Der Autor spricht von den ihrer Gewissensfreiheit<br />

beraubten Untertanen (74), „so einig und allein der Röm. Clerisey Blutund<br />

Herrschgierigkeit viele recht Catholisch gesinnte selbsten<br />

uhrheblisch beymaßen” (76). Doch drängen sich die religiösen Ansichten<br />

des Verfassers keineswegs in allzu einseitiger Weise durch. Der Papst<br />

Clemens, der Friedliebende Vatter (320), getreue Hirte und Weise<br />

Richter (322) wird auch wegen seines Eifers gegen den Erbfeind,<br />

besonders aber wegen der Abwehr des streit- und ränkesüchtigen<br />

Frankreich aufrichtig gelobt. Wie sehr aber die politischen Anschauungen<br />

des Autors die gesamte Anlage der Darstellung beeinflussen, tritt deutlich<br />

zutage. Vor allem macht sich die Tendenz in der Auswahl der Quellen<br />

fühlbar. Obwohl der Verfasser in der Vorrede bemerkt, daß es „an<br />

Materi” für die Kriegsereignisse nicht ermangelte, daß sogar der Stoff<br />

schier zu häuffig geworden sei, so hütet er sich doch von französischem<br />

Standpunkt geschriebene Quellen zu benutzen. Fast immer werden die<br />

Franzosen in den benutzten Berichten als die „Feinde” bezeichnet. Er<br />

sagt bisweilen, daß anderslautende, parteiische französische Relationen<br />

existieren, läßt sie aber meist unangeführt. In Fällen, wo sich die Berichte<br />

darüber nicht einig sind, wem der Sieg zuzuschreiben sei, entscheidet<br />

sich unser Verfasser stets zugunsten der Alliierten.<br />

<strong>Das</strong> besondere Interesse für Churbrandenburg veranlaßt ferner sogar eine<br />

Erweiterung der in den vorausgehenden


-90-<br />

Bänden festgehaltenen Rubrikeneinteilung. indem den Vorgängen im<br />

Reich stets ein besonderer Abschnitt, der von den Ereignissen am<br />

churfürstlichen Hofe zu Berlin handelt, angehängt wird. Auch kann es<br />

sich der Verfasser nicht versagen, obwohl seine Darstellung nur bis<br />

1678 reicht, die brandenburgischen Aktionen bis zum Friedensschluß<br />

im. 1679ten Jahre noch zu verfolgen.<br />

Daß der Autor an den Dingen, die er beschreibt, meist inneren<br />

Anteil nimmt, ist für die Ausgestaltung der Darstellung von günstigem<br />

Einfluß gewesen. Hat er sich doch, wie er ausdrücklich sagt,<br />

vorgenommen, „etwas mehreres als die facta externa vorzustellen,<br />

nemlich deren Einleitung aus den vortrefflichsten consiliis zu zeigen”.<br />

Gerade damit, daß die Kriegsereignisse der Jahre 1672—78 das<br />

Hauptinteresse in Anspruch nehmen, kommt unser Verfasser wieder<br />

mehr von dem Unterhaltungsstoff ab, dem seine beiden nächsten<br />

Vorgänger ein zu weites Gebiet einräumen mußten. Besonders in den<br />

Hofberichten werden die nach der Manier des Unterhaltungsstoffes in<br />

Detailmalerei sich ergehenden höfischen Ereignisse eingeschränkt und<br />

dafür eher auf den Gang des diplomatischen Verkehrs das Augenmerk<br />

gelenkt.<br />

Daß der Verfasser des XI. Bandes in seiner Darstellung<br />

Brandenburg so hervortreten ließ, das entspricht zwar auch den<br />

geschichtlichen Tatsachen. Allein die Art, wie der Autor für diesen Staat<br />

und seinen Fürsten eintritt, zeigt deutlich, daß er zu denen gehört, die in<br />

nationalen Hoffnungen ihren Blick auf Churbrandenburg richteten. <strong>Das</strong><br />

kommt in der Conclusio des XI. Bandes in den folgenden Worten zum<br />

Ausdruck: „Der Allerhöchste Gott. der biß dahin J. C. D. preißwürdigste<br />

Consilia und Waffen zu hohem Ersprieß des werthen Vaterlandes mit so<br />

vielem Sieg und Segen bekrönet, der wolle den Ihrem Durchlauchtigsten<br />

Namen dadurch zugewachsenen hohen splendor zu noch fernerem Heil<br />

so wohl ihro hohen Churhauses als der gantzen teutschen Nation<br />

beständig gläntzen lassen, damit jeder männiglich


-91-<br />

des nunmehro so theuer wiedergebrachten Friedens erwündschten Genuß<br />

empfinden, ein jeder unter seinem Weinstock und Feigenbaum sicher und<br />

ruhig bleiben, Gott und dem Kaiser das ihre geben, in so Christmäßigem<br />

Verhalten alle Seelen und Leibeswohltahrt empfinden, solche auch auf<br />

die liebe posteriörität wieder alle dagegen sich erhebende Sturmwinde<br />

beständig fortgrünen und die Ehre und Frey-hcit der Teutschen Nation bis<br />

ans Ende der Zeiten empor bleiben möge.”<br />

XII-XV.<br />

Wenn wir XII—XV als eine zusammengehörige Gruppe fassen<br />

wollen, so müssen wir die Verwandtschaft dieser vier Bände miteinander,<br />

sowie ihre Scheidung von XI und XVI zu erweisen suchen. Wir lenken<br />

zunächst unser Augenmerk auf die Vorreden der fraglichen Bände. Da<br />

fällt uns bei XII (ed. 1691) auf, daß der Autor versichert, daß man diesen<br />

gegenwärtigen grausamen Krieg zu einem absonderlichen Volumine<br />

zurückgelegt habe und dem Geschichtliebenden Leser ehst möglichst<br />

mitzutheilen gedencke. Auf einen solchen Hinweis ist im allgemeinen<br />

wenig Gewicht zu legen. Die Autoren haben fast immer den Vorsatz,<br />

auch den folgenden Teil des <strong>Theatrum</strong> zu besorgen. Doch da zwischen<br />

den Editionen der einzelnen Bände meist ein Zeitraum von mehreren<br />

Jahren liegt, so haben sich die Verhältnisse sehr oft inzwischen derart<br />

geändert, daß wieder ein ganz anderer Verfasser auf der Bildfläche<br />

erscheint. Nur dann ist derartigen Verweisen Wert beizumcssen, wenn<br />

der Autor im folgenden Band auf seine im vorausgehenden<br />

ausgesprochene und nunmehr erfüllte Verheißung sich bezieht. In der Tat<br />

beginnt die Vorrde zu XIII (cd. 1698) mit den Worten: „Unserem<br />

Versprechen nach kommt dieser XIII. Theil von dem Theatro Europaeo<br />

auch an das Liecht."


-92-<br />

Genau so sagt der Autor schon in XIII, daß. man nicht ermangeln werde,<br />

mit der Continuation im XIV. Theil so bald es möglich hervorzukommen,<br />

und der Anfang der Vorrede zu XIV (ed. 1702) lautet: „Wie sehr wir<br />

verlangt dem G. Leser unserm bei dem XIIIten Theil gethanen<br />

Versprechen zu schuldigster Folge mit dieses jetzigen Tomi schleunigerer<br />

Heraußgebung ehender aufzuwarten” usw. Auffallend ist übrigens die<br />

große Aehnlichkeit in der Form der Vorreden zu XII, XIII und XIV. Der<br />

Verfasser pflegt überall in allgemeinen, großzügigen Umrissen<br />

vorzuzeichnen, was der Leser in dem betreffenden Band finden wird.<br />

Zugleich damit spricht er meist seine Scheu aus, diese Inhaltsangabe zu<br />

weit auszudehnen. Es wird nun ferner auch im XIV. Band zwar die<br />

vorgesetzte baldige Heraußgebung des XVten Theils, mit dem das<br />

Saeculum beschlossen werden soll, im voraus verkündigt, allein in XV<br />

findet sich keine Bezugnahme auf dieses Versprechen. Doch läßt sich die<br />

Zusammengehörigkeit von XIV und XV anderweitig begründen. Vor<br />

allem ist die große Vertrautheit des Autors von XV mit den zunächst<br />

vorausgehenden Bänden hervorzuheben. Insbesondere vergeht fast keine<br />

Rubrik, in der nicht auf die Verbindung mit XIV aufmerksam gemacht<br />

wird. Der Verfasser von XV kennt bis ins einzelne genau die in XIV<br />

eingehaltene Reihenfolge der Ereignisse. Daß die Hinweise auf XIV<br />

.gelegentlich persönliche Form annehmen, z.B.: „wir haben im Tomo<br />

XIV gesehen” (XV 504), darauf darf ja zwar nicht zuviel gegeben<br />

werden, doch sollte es nicht unerwähnt bleiben. Wie deutlich bisweilen<br />

auf die Anordnung des vorausgehenden Bandes Bezug genommen wird,<br />

mag mit zwei Belegen illustriert werden: „Weil auch in dem vorigen<br />

XIV. Theile f. 788 bey denen daselbst gemeldeten Friedensvorschlägen<br />

der An. 1695 geschehenen Erneuerung der großen Alliance der hohen<br />

Aliierten gedacht worden, so hat man auch vor diesesmal hiervon bey<br />

eben dem Titul gedencken und nur mit wenigen melden


-93-<br />

wollen” (XV S. 38) oder: „Bey Anführung dieses Titels in dem vorigen<br />

Jahre (1695, d.i. Bd. XIV) ist als sonderlich merckwürdig erinnert<br />

worden, daß gleich mit dem Eintritt deselben unterschiedene hohe<br />

Standespersonen fast zu einer Zeit von dem Tode weggeraffet worden:<br />

Bey gegenwärtigem aber fällt eine andere und noch größere<br />

Merkwürdigkeit vor” usw. (XV S. 113). Bei dieser bis ins Detail<br />

gehenden Vertrautheit des XV. mit dem XIV. Teil dürften wir kaum<br />

fehlgehen, wenn wir sie zusammen mit XII und XIII dem gleichen Autor<br />

zuschreiben. Die Trennung dieser Gruppe von XI macht allerdings einige<br />

Schwierigkeiten. Diese Rubrikenordnung der Bände XI und XII ist im<br />

wesentlichen die gleiche. Die Vorrede von XI (ed. 1682) aber zeigt kaum<br />

Aehnlichkeiten mit den folgenden Teilen. Zwar gibt auch XI der<br />

Hoffnung Ausdruck, „in den nun folgenden Jahren eitel Freuden-<br />

Begebnüsse aus Teutschland auff die Europäische Schau-Bühne<br />

zustellen”, allein dieser Verweise ist durch keine Bezugnahme darauf in<br />

XII gedeckt. Es kann sich in der Zwischenzeit (1682—1691) leicht eine<br />

Aenderung vollzogen haben. Neben dem Mangel an Verweisen zwischen<br />

XI und XII darf vielleicht noch auf Unterschiede im Charakter beider<br />

Bände hingewiesen werden. Die Tendenz ist zwar, weil es sich hier um in<br />

weiten Kreisen vertretene „patriotische” Anschauungen handelt, nicht<br />

auffallend verschieden. Allein sie tritt doch, wie wir noch sehen werden,<br />

im XI. Band bedeutend stärker hervor wie in den folgenden Teilen.<br />

Besonders betont ferner der Autor von XI die Absicht, nicht nur die<br />

nackten Tatsachen vorzuführen, sondern auch die „Einleitung aus den<br />

vortrefflichsten Consiliis” zu zeigen. Dieser Gedanke jedoch kehrt in<br />

keinem der folgenden Bände wieder. Leichter als hier vollzieht sich die<br />

Trennung von XV und XVI. Die Vorreden von XVI an sind ganz anders<br />

geartet, vor allem viel langatmiger. Sodann unterzeichnet sich der Autor<br />

von XVI f. stets eigentümlicher Weise mit „dessen Schreiber". Endlich<br />

kommt


-94-<br />

uns die Tradition (Struve) zur Hilfe, die von XVI ab die Abfassung in die<br />

Hände Schneiders legt. Ein äußeres Merkmal, das auf eine Verbindung<br />

von XII —XV deutet, mag nicht unerwähnt bleiben. Während nämlich XI<br />

und XVI den üblichen Titel eines „Theatri Europaei oder ausführlich<br />

fortgeführter Friedens- und Kriegsbeschreibung und was mehr von<br />

denckwürdigsten Geschichten in Europa usw. vorgegangen” führen, ist<br />

dagegen den Teilen XII—XV die Bezeichnung eines „Theatri Europaei<br />

Continuati das ist abermalige ausführliche Fortsetzung denk- und<br />

merkwürdigster Geschichten, welche ihrer gewöhnlichen Eintheilung<br />

nach an verschiedenen Orten durch Europa usw. sich begeben”<br />

gemeinsam.<br />

Ueber unseren Autor läßt sich wenig sagen. Er lebt und schreibt<br />

allhier in Frankfurt (XII 497; XIII 244). Daher mag er vielleicht in den<br />

Reihen der dortigen Kompilatoren gesucht werden, die an ähnlichen<br />

Unternehmungen mitarbeiten. In seiner Arbeitsmethode unterscheidet er<br />

sich kaum von den übrigen Autoren des <strong>Theatrum</strong>. Beachtenswert ist<br />

allerdings, daß er über eine gute Kenntnis der .weit voraus-liegenden<br />

Geschichte verfügt. Er unternimmt es sogar auf Dinge, die in früheren<br />

Bänden, z. B. VI und XI (XV 665) nicht ausführlich genug besprochen<br />

worden sind, zurückzugreifen. Auffallend ist es ferner, daß unser<br />

Verfasser den Erzählungen von Omina und Wunderzeichen, die seine<br />

Vorgänger zumeist als sichere Vorboten künftigen Unglücks gläubig<br />

hinzunehmen pflegten, einen gewissen Skeptizismus entgegenbringt. Er<br />

macht darauf aufmerksam, daß sie nicht widerspruchsfrei und für<br />

Gedichte einer müßigen Feder zu halten sind (XIII 1353). Vielfach bilden<br />

sich Leute ohne Grund ein, derartige Dinge gesehen zu haben (XII 496).<br />

Solche Geschichten können bei keinem Verständigen leicht mehr<br />

Glauben finden (XIV 724). Eine große Vorliebe hingegen hat unser<br />

Autor für das Spielen mit sonderbaren Zahlen oder das Nachdenken über<br />

merkwürdig zusammen-


treffende Ereignisse. Er vergißt nicht darauf aufmerksam zu machen, daß<br />

die Jahreszahl 1691 unigekehrt ebenso gelesen werden könne (XIV 231)<br />

und es fällt ihm auf, daß mehrere königliche Personen vor .der<br />

Jahrhundertwende sterben, so daß es scheint, Gott der Herr wolle mit<br />

dem bevorstehenden neuen Seculo den großen Schauplatz der Welt mit<br />

neuen Personen verändern (XV 113).<br />

In der Stoffgruppierung schließt sich unser Autor wenigstens<br />

zunächst an seine Vorgänger an, wenn er sich auch allmählich ein etwas<br />

verändertes Ordnungssystem bildet. Die alte Rubrikeneintcilung bleibt<br />

zwar dauernd grundlegend. Allein schon in XII wird außer der aus XI<br />

übernommenen „churbrandenburgischen Hofgeschichte” eine neue<br />

Abteilung für die „ottomannische Pforte” (XII 951) eingeführt und bei<br />

den „Reichsgeschichten” ist eine Disponierung nach einzelnen<br />

Abschnitten zu verspüren. Von XIII ab entschließt sich der Autor<br />

alljährlich die Kricgs-ereignisse vorauszustellen. Voran steht der Kampf<br />

des Kaisers, der Polen, Moskowiter und Venedigs mit den Türken,<br />

danach werden die deutsch-französischen Streitigkeiten erzählt. Diese<br />

Anordnung entspricht einer wohlberechneten Ueberlegung. An diesen<br />

beiden Kriegen sind eine große Reihe von Staaten beteiligt. Wenn nun<br />

bei der jedem Staat zugewiesenen Rubrik dessen Kriegsaktionen erzählt<br />

werden sollten, so würde die ganze Kriegsgeschichte in Stücke zerissen<br />

werden, wobei außerdem immer die gleichen Ereignisse nochmals<br />

gestreift, also dauernd Wiederholungen vorgenommen werden müßten.<br />

Diese Fehler vermeidet der Verfasser durch die Vorausstellung der<br />

Kriegsereignissc, die übrigens wieder in eine Reihe von Abschnitten<br />

gegliedert sind. Danach folgen die von Schleder her bekannten Rubriken.<br />

Aber dabei liebt der Autor nicht nur Zusätze neuer Abteilungen, sondern<br />

er zerkleinert die einzelnen Titel selbst noch weiter. Er trennt z. B.<br />

spanische und vereinigte Niederlande ebenso wie er die einzelnen


-96-<br />

italienischen Staaten zu sondern sucht. Wie dieses Zerteilen so findet<br />

wieder bisweilen ein Zusammenziehen statt. Der Autor geht also recht<br />

frei mit seiner Anordnung um. Bestimmend für ihn ist hierbei der Lauf<br />

der Geschichte selbst. Ist einmal Frieden mit Frankreich und der Türkei<br />

getroffen, so fällt die gewöhnlich vorausgeschickte Darlegung der<br />

Kriegsbegebenheiten einfach weg. Besonders beachtenswert ist endlich<br />

die Gliederung der alten Reichsrubrik. Es werden nämlich hier der<br />

Rangfolge nach Kaiserliche, Churfürst-liche, Fürstliche, Gräfliche und<br />

zuletzt weltlicher und geistlicher Stände Sachen abgehandelt. <strong>Das</strong> hat<br />

eine unmittelbare Folge, die dein ganzen Werk einen etwas anders<br />

gearteten Charakter verleiht. Bei den zunächst vorausgehenden Bänden<br />

nämlich war das Reich nur eine Rubrik neben der die den außerdeutschen<br />

Staaten zugewiesenen Paragraphen gleichberechtigt standen. Nunmehr<br />

wird aber durch die Vielseitigkeit der Behandlung innerhalb der<br />

Reichsrubrik ein entschiedener Nachdruck auf die deutschen Ereignisse<br />

gelegt. Sodann wird, was gleichfalls nicht zu übersehen ist, weil bei den<br />

einzelnen Reichsgliedern vielfach intern-deutsche Streitigkeiten in<br />

starkem Maße herangezogen werden, die vornehmlich mit der Feder<br />

ausgetragen wurden, dem Aktenstoff ein weites Gebiet eingeräumt.<br />

Die den Kriegsaktionen gewidmeten Abschnitte werden mit den<br />

deutsch-französischen und christlich-türkischen kämpfen ausgefüllt. In<br />

beiden Fällen ist die Parteistellung unseres Autors die natürlich gegebene.<br />

Als Reichsdeutscher ist er gegen Frankreich, als Christ gegen die Türken<br />

eingenommen. Frankreich ist der allgemeine Reichsfeind. Seine<br />

Anforderungen sind unfriedsam (XII 129), seine Anschläge unrechtmäßig<br />

(XII 112, 134). Die Krone Frankreich gibt zwar vor, den Frieden<br />

heiliglich zu halten, indessen aber nimmt sie die herrlichsten Festungen<br />

hinweg (XV 515). Straßburg eine Vormauer des Reichs ist sogar ohne<br />

Belagerung übergeben worden (XII 277). Besonders scharfe


-97-<br />

Verbitterung lösen die Gewalttätigkeiten und Feindseligkeiten (XIII 999;<br />

328), sowie der unersetzliche Schaden durch die Exactiones (XIII 359)<br />

der französischen Mordbrenner (XIII 798) in der Pfalz. Sie verüben<br />

Tyrannei (XIV 451) und suchen alles mit Feuer und Schwert heim (XIV<br />

754). Trotzdem wollen sie ihre harten und barbarischen Prozeduren (XII<br />

269; XIV 32, 452) mit Scheingründen justifiziercn. jedoch die<br />

Gcgenschriften der Alliierten vermögen die Ungerechtigkeit der<br />

französischen Waffen der Welt für Augen zu legen (XIII 331). Unter den<br />

gegen Frankreich Konföderierten wird nicht mehr so wie in XI<br />

Brandenburg hervorgehoben. Die Begeisterung allerdings, die sich um<br />

die Person des Großen Kurfürsten und seine Heldentaten, dc die Welt in<br />

Staunen setzten, konzentrierte, war auch bei unserem Autor vorhanden,<br />

das zeigt der beim Ableben Friedrich Wilhelms eingefügte Nekrolog<br />

(XIII 399). Mehr als Brandenburg tritt der Kaiser, der sich die Sicherheit<br />

des Reichs zum höchsten angelegen sein läßt (XII 287), besonders wegen<br />

der Abwehr der Türkengefahr hervor. Zwar begegnen wir auf diesem<br />

Felde auch Brandenburgs siegreichen Waffen (XII 948), die dazu das<br />

ihrige glorwürdig beytragen (XII 1026). Allein: „vornehmlich wird<br />

jedweder Patriote unsers geliebten Vaterlandes mit größester Anmut<br />

lesen, wie der Höchste Gott die Waffen des glorwürdigsten Hauses<br />

Oesterreich in Hungarn dergestalt gesegnet, daß wir uns allem<br />

menschlichem Ansehen nach keines gefährlichen Einfalls in Deutschen<br />

Gräntzen von den Ungläubigen so bald zu befürchten haben” (XIII<br />

Vorrede, 647, 668). Der nach Christenblut dürstende Erbfeind (XII 524)<br />

gedachte den in Zwiespalt befindlichen christlichen Potentaten einen<br />

ordentlichen Schlag zu versetzen; aber Gott hat es anders verordnet (XV<br />

115). Die für die Ehre seines Namens streitenden christlichen Soldaten<br />

hat er nicht im Stich gelassen (XIII 51). Die tyrannischen und grausamen<br />

Barbaren und Raubvögel (XIII 651) werden schließlich nach


-98-<br />

so vielen großen Niederlagen des Krieges überdrüssig und schicken sich<br />

zum Frieden an (XV 515).<br />

Neben den politischen verdienen die religiösen Ansichten unseres<br />

Autors Beachtung. Die Art und Weise der Darstellung bei religiösen<br />

Streitfragen läßt keinen Zweifel darüber, daß der Verfasser Protestant<br />

ist. Besonders tritt das hervor in den dargebotenen Berichten von der<br />

Austreibung der Hugenotten und Waldenser. Ein solcher<br />

Gewissenszwang (XII 665), solche Prozeduren sind bey keinem Heyden<br />

noch Türken, ja selbst bei den allergrausamsten Verfolgern der<br />

Christlichen Religion nicht zu finden (XII 892). Bei den Dragonaden hat<br />

man diese Unmenschen anstatt der Catholischen Geistlichen gebraucht<br />

(XII 920). Die Inquisition wird mit Ausdrücken wie unzeitiger Eyfer<br />

(XV 101) und grausame Exekution belegt. Wie von religiösem<br />

Gesichtspunkt politische Vorfälle gewürdigt werden, das zeigt die<br />

Beurteilung des Thronwechsels in England. Den Sturz Jakobs von<br />

England nennt er ein fatales oder auch heylsames Ereignis (XIII 254).<br />

Er mag zum Schlüsse auch bei den soeben besprochenen Teilen des<br />

<strong>Theatrum</strong> auf die nahe Verwandtschaft mit den Meßrelationen<br />

aufmerksam gemacht werden.<br />

Rel. Hist. OM.-HM. 1693 S. 115 <strong>Theatrum</strong> Bd. XIV S. 557<br />

Im Monat April erhube sich in<br />

Stockholm eine starcke Feuersbrunst,<br />

wovon das schöne Wrangelische<br />

Palatinum, so über drei Thonen Goldes<br />

zu bauen gekostet, verzehrt wurde.<br />

Den 23. Mart. brannte zu Stockholm<br />

der Stadt Brauhauss aufm Süderholm<br />

mit vielen daherum stehenden Häusern<br />

ab, worunter auch der schöne<br />

Wrangelische Palast gewesen, so bey<br />

drey Tonnen Goldes gekostet.<br />

Rel. Hist. OM.-HM. 1693 S. 115 <strong>Theatrum</strong> Bd. XIV S. 557<br />

Am 28. dito legte eine zu Horneburg<br />

entstandene Feuers-Brunst innerhalb 5<br />

Stunden28HauserindieAschen.<br />

Ingleichen entstund im Monat April zu Hor<br />

Feuersbrunst, welche bei einem starcken W<br />

Nachmittags bis 7 Uhr Abends dergestalt g<br />

solcher Zelt 22 Häuser gäntzlich in die Asc


-99-<br />

Rel. Hist. OM.-HM. 1694 <strong>Theatrum</strong> Bd. XIV S. 719<br />

alles in dem Platz gefundene Geschütz<br />

mitgenommen, wiederum nach Algiers<br />

zurückgekehrt und beschriebenermaßen<br />

dem Krieg, der bloßerdings auß einem<br />

auff den Bey Hammet von Tunis<br />

geworffenen Haß ... usw.<br />

... sie nahmen die Geschütze aus der<br />

Stadt mit weg und kehreten mit<br />

Freuden und Sieg wieder nach Algiers<br />

zurücke; gestalt sie denn auch bei<br />

währendem Lauff ihrer Victorien zu<br />

unterschiedenenmalen daselbst das<br />

Geschütz lossbrennen und andere<br />

Freuden-Zeichen sehen lassen;und<br />

weil dieser Krieg bloß aus einem<br />

besonderen auf den Bey von Tunis<br />

geworffenen Haß .... usw.<br />

Bei dem hier gebotenen Tatbestand läßt sich die Verwandtschaft<br />

beider Werke, wobei das <strong>Theatrum</strong> überall über die ausführlichere<br />

Darstellung verfügt, kaum anders erklären als, daß das <strong>Theatrum</strong> 1702<br />

noch die gleichen Quellen benutzt wie die Meßrelation 1693 und 1694.<br />

Wir dürfen weiter annehmen, daß diese gemeinsamen Quellen in den<br />

ursprünglichen Einzelrelationen zu suchen sind. Daß an den oben<br />

zitierten Stellen einmal die Meßrelationen die von ihnen verwerteten<br />

Berichte sichtlich kürzen, ist aus dem veränderten Charakter dieses<br />

Werkes zu erklären. In früheren Zeiten waren die „Relationes Historicae”<br />

primitive Quellsammlungen, die ihre Berichte ganz ungeändert zumeist<br />

abdruckten. Aber besonders unter den Händen Schleders, der lange Jahre<br />

hindurch ihre Herausgabe besorgte, sind sie zu einem fortgeschritteneren<br />

Stadium gelangt, so daß sie nunmehr bisweilen ihre Relationen kürzen<br />

und verarbeiten.<br />

XVI-XXI.<br />

Die Bände XVI—XXI, die zumeist für jedes behandelte Jahr eine<br />

besondere Seitenzählung einrichten und so in einzelne im folgenden als I,<br />

II etc. zitierte Teile zerfallen, führen uns in den Zeitraum 1701—1718 ein<br />

und erscheinen


- 100 -<br />

im Verlauf der Jahre 1717—1738. Eine eigenartige und doch durchweg<br />

gleichbleibende Auswahl und Rubrizierung des angezogenen Stoffes<br />

sowie ein überall ebenmäßig wirksames Hervortreten der politischen und<br />

religiösen Anschauungen könnte genügen, um die Urheberschaft der<br />

fraglichen Bände einem Manne zuzuschreiben. Selbst stilistische<br />

Eigenheiten lassen sich durch alle diese Teile des <strong>Theatrum</strong> hindurch<br />

verfolgen. Abgesehen von öfters wiederkehrenden Uebergangssätzen<br />

und'Wendungen sei nur auf ein unscheinbares dialektisches Merkmal<br />

aufmerksam gemacht. Wie bei Meyer der bevorzugte Gebrauch des<br />

Wörtleins „hiesig” auffallen mußte, so zeigt unser Autor eine ganz<br />

besondere Vorliebe für die Beifügung eines „dasig”, das vornehmlich in<br />

'den erzählenden Partien selbst auf kleinen Strecken mehrmals zu finden<br />

ist. Auch die Vorreden, die der Verfasser Vorberichte zu nennen und mit<br />

der Unterschrift „dessen Schreiber” zu versehen pflegt, bieten eine Reihe<br />

von Anhaltspunkten für die Zusammengehörigkeit der Teile XVI bis<br />

XXI. In dem Vorbericht zu XVI wird bemerkt, daß mancher gerne das<br />

<strong>Theatrum</strong> „als eine kleine Bibliothek” gebrauchen will. Der gleiche<br />

Ged'anke, daß das Werk „den Außzug einer historischen Bibliothek<br />

sowohl der Staats- als Kriegssachen abgeben könne", findet sich bei<br />

XVII. Die Vorrede zu XXI endlich besagt wiederum, daß die Dinge, die<br />

in einer großen auch gar manchen Folianten ausmachenden Menge<br />

Bücher vorhanden sind, im <strong>Theatrum</strong> in einem „Auszug und kurtzen<br />

Begriff” vorliegen, so daß es den Vorzug der „Summarien” größerer<br />

Bücher teile. Hier also verbindet die Wiederkehr desselben Gedankens<br />

die fraglichen Teile miteinander. Allein der Verfasser selbst behandelt<br />

XVI—XXI als eine gesonderte Gruppe. Er weist ausdrücklich darauf hin,<br />

daß sich die Register „in denen sechs letzten Bänden anders und so<br />

umständlich eingerichtet” befinden, daß man sich leicht über die darin<br />

enthaltenen mannigfachen Dinge orientieren kann. Wenn der Autor


- 101 -<br />

sich dabei auf eines „unpartheyisch-achtsamcn Lesers Urtheil” beruft, so<br />

bittet er „nahmentlich auf die sechs letzteren Theile” zu achten (XXI).<br />

Nicht zu übergehen ist ferner eine allerdings sich nicht ganz deutlich<br />

aussprechende Bezugnahme auf die im XVI. Bande gegebenen<br />

Ausführungen über den Charakter des <strong>Theatrum</strong>. „Bei Herausgebung des<br />

XVI Theils”, so heißt es in dem Vorbericht zu XXI, „ist von der Art, von<br />

dein Gebrauch und Nutzen seines Inhalls und seiner Vorstellungen schon<br />

ein und anders, darauff man sich hier abermahls bezogen haben will,<br />

erinnert und zu bedencken gegeben worden.” Ueber die Person unseres<br />

Autors gibt Struve Aufschluß, der zu Band XVI—XIX beifügt: „auctore<br />

Schneidero Pastore turn Lauba-censi, qui ab hero suo comite Solmensi<br />

Friderico atque ab aliis viris illustribus praeclara accepit subsidia.” Eine<br />

Schwierigkeit in dieser Mitteilung Struves liegt darin, daß er nur XVI<br />

XIX Schneider, hingegen XX und XXI einein Anonymus zuschreibt. Die<br />

vorausgehenden Ausführungen indessen verlangen für die Gruppe XVI—<br />

XXI einen Verfasser, zumal noch. durch verschiedene Gründe gerade die<br />

Zusammengehörigkeit von XVI—XIX mit XX und XXI selir<br />

wahrscheinlich gemacht wird. Zunächst ist XX mit XIX durch eine große<br />

Anzahl Hinweise verknüpft, die zwar wie gewöhnlich recht allgemein<br />

gehalten sind, aber bisweilen doch etwas deutlicher werden. Es wird z. B.<br />

die spanische Rubrik in dem ersten in Band XX behandelten Jahre<br />

eröffnet: „Girona haben wir vorigen Jahrs von den Kayserl. und Königl.<br />

Spanischen Truppen belagert gelassen” (XX I 508). Schon ein Einblick<br />

ferner in das Register der letzten beiden Bände des <strong>Theatrum</strong>s genügt, um<br />

festzustellen, daß der Verfasser ein ganz außergewöhnliches Interesse für<br />

die Familienereignisse der Solmsischen Grafen insbesondere der<br />

Laubachcr Linie an den Tag legt. In der Widmung des XXI Bandes<br />

erzählt weiter der Autor, daß er bei der Gefangennahme des Prinzen von<br />

Mecklenburg in Schlangenbad


- 102 -<br />

durch die Franzosen (1709) zugegen gewesen sei. Diese Geschichte<br />

berichtet das <strong>Theatrum</strong> XVIII S. 133. Wenn wir nun unter den bei diesem<br />

Vorfall beteiligten Personen suchen, zu wessen Begleitung unser<br />

Verfasser wohl gehört liaben mag, so begegnet uns hier wieder ein Graf<br />

von Solms-Braunfels. Noch deutlicher ist die an gleicher Stelle (XXI)<br />

gegebene Mitteilung des Autors, er habe der in tiefster Betrübnis<br />

schwebenden Mutter des Prinzen die bald erfolgte glückliche Befreiung<br />

ihres Sohnes anzeigen, auch „hernachmahls in Christlicher Gebets-<br />

Versammlung Gott für seine große Güte und Treue geziemend dancken”<br />

können. Man hat wohl dem Solmsischen Hoftheologen die<br />

Benachrichtigung der ängstlichen Mutter anvertraut, der dann auch einen<br />

Dankgottesdienst -für die glückliche Errettung des Prinzen abzuhalten<br />

unternahm. Also auf diesem Wege kommen wir gleichfalls dazu die<br />

Abfassung von XX und XXI für Schneider in Anspruch zu nehmen.<br />

Wenn wir schließlich bedenken, daß die Grafen von Solms nebst ihrem<br />

Anhang vielfach Mitglieder der Reichsgerichtshöfe waren, so erklärt es<br />

sich zugleich, .woher der Autor von XVI—XXI ein so überaus<br />

reichliches Aktenmaterial von allerlei Streitigkeiten im Reich, besonders<br />

soweit sie beim Kammergericht anhängig waren, schöpfen mag. Es ist<br />

also die Angabe Struves dahin richtig zu stellen, daß auch die Bände XX<br />

und XXI aus der Feder Schneiders stammen. Diese Annahme bestätigt<br />

Zedler, der zugleich eine recht ausführliche Lebensbeschreibung des<br />

Autors von XVI-XXI gibt.<br />

Daniel Schneider wurde am 6. Oktober 1667 zu Breslau geboren.<br />

Nachdem er die deutsche Schule und das Gymnasium seiner Vaterstadt<br />

besucht hatte, wünschte man, „daß er die Handelsschaft in Großen außer<br />

Landes lernen solle”. Die Verhandlungen, die man deswegen in<br />

Amsterdam angeknüpft hatte, zerschlugen sich. Im 18. Jahre entschloß er<br />

sich eine akademische Laufbahn einzuschlagen. Von neuem besuchte er<br />

deshalb das Gymnasium und 1689 konnte er in


- 103 -<br />

Leipzig seine theologischen Studien aufnehmen. Neben der Theologie<br />

verlegte er sich auf die Rechtswissenschaft; aber er zeigte auch Interesse<br />

für Geschichte und Mathematik. Schon während seiner Studienzeit war er<br />

als Hofmeister tätig. 1695 erhielt er eine Pfarrsteile zu Goldberg. Durch<br />

seine Berufung sahen sich etliche Leute in ihrer Hoffnung auf<br />

Beförderung getäuscht. Der junge Pfarrer hatte bald eine Partei gegen<br />

sich (<strong>Theatrum</strong> XVI 1703 S. 156). Zu den Verdächtigungen, die seine<br />

Feinde gegen ihn ausstreuten, gehörte die, daß hinter den Worten seiner<br />

Predigten ein heimliches Gift verborgen sei, „weil er zu Halle gewesen<br />

und daselbst sowohl als zu Leipzig Thomasen gehöret” habe. Den<br />

Gegnern Schneiders gelingt es, ihn zu vertreiben und schließlich sogar<br />

seine Verhaftung als Irrlehrer durchzusetzen. Nachdem aber Leipziger<br />

und Gießener Theologen sein Glaubensbekenntnis als evangelisch<br />

anerkannt haben, bewirkt der Graf Friedrich Ernst zu Solms-Laubach, der<br />

Präsident des Reichskammergerichts seine Losfassung und beruft ihn als<br />

Hofprediger nach Laubach. Schneider befindet sich meist im Gefolge der<br />

Solmsischen Grafen. So begleitet er 1709 (XVIII 1709 S. 133), wie<br />

bereits oben erwähnt, den Grafen Wilhelm Moritz von Solms-Braunfels<br />

nach Schlangenbad. Auch noch nach dem Tode seines Gönners (1723)<br />

bleibt Schneider bei der gräflichen Familie. 1728 tritt er als<br />

Superintendent, Konsistorialrat und Oberpfarrer zu Michelstadt in<br />

Erbachsche Dienste.<br />

Daß wir es diesmal mit einem protestantischen Theologen zu tun<br />

haben, ist auf die Darstellung nicht ohne Einfluß geblieben. Weniger mag<br />

auf fromme Redewendungen hingewiesen werden, denn solche sind auch<br />

bei den sonstigen Autoren des <strong>Theatrum</strong> nichts Ungewöhnliches. Aber es<br />

ist nicht zu verkennen, zu welcher Seite der Autor in religiösen<br />

Streitfragen neigt, selbst dann, wenn er nur ein fremdes Urteil anfuhren<br />

und mit seinem eigenen zurückhalten will (XX, II 143, 327). Als<br />

protestantischer Schriftsteller kann er


- 104 -<br />

einmal sagen, daß „auch katholische Scribenten gestehen” (XVI, II 351).<br />

Er redet von einer unrechtmäßigen Verbrennung der Schriften Lutheri zu<br />

Rom (XXI, II 283) und von seiner heilsamen Reformation (XXI, II 408).<br />

Wie fast alle seine Vorgänger unterläßt es Schneider nicht, die<br />

Gewisscns-Drangsale (XVII, II 97; XVIII, I 80) seiner<br />

Konfesssionsgenossen und die gegen sie gebrauchte „Schärfte und<br />

Grausamkeit” (XVI, I 291) recht nachdrücklich hervorzuheben. Einen<br />

Anlaß, in seinen Aussagen deutlicher zu werden, geben dem Verfasser<br />

die Selbständigkeitsbestrebungen der gallikanischen Kirche. „Die<br />

Frantzösische Nation ist etwas wachsamer bey ihren Gerechtigkeiten<br />

gewesen und hat denen Geistlichen niemahls eine so freye Jurisdiktion<br />

zugestanden, welche sie zur Zerstörung der innerlichen Landes-Ruhe<br />

hätten anwenden können” (XXI, II 307). „Es fehlet also nicht in der<br />

Römisch-Catholischen Kirche an aufgeweckten Geistern, welche den<br />

blinden Gehorsam gegen den Römischen Stuhl' nicht begreiffen können<br />

und .auch öffentlich davon zu reden sich nicht scheuen” (XXI, II 308).<br />

Weniger gegen das Oberhaupt der katholischen Kirche wendet sich der<br />

Autor als wie gegen ihre Geistlichkeit, wobei er sich bisweilen in wenig<br />

maßvollen Aeußerungen bewegt. Trotz alle dem verfällt Schneider nicht<br />

in blindeifernde Einseitigkeit. Bei den Konflikten auf religiösem Gebiet<br />

legt er nicht immer allein der katholischen Seite alle Schuld zu (XVII, I<br />

60; II 259). Wir können schon dabei beobachten, wie er religiöse<br />

Sreitigkeiten von einem Standpunkt auffassen kann, der ihn über den<br />

Parteien stehen läßt. Besonders deutlich beweist dies der Autor bei den<br />

Differenzen der Lutherischen und Reformierten. Er führt die<br />

entsetzlichen Sätze eines blind eyffernden Hamburger Gymnasiallehrers<br />

gegen die Kalvinisten an, damit man daraus ersehen soll, wie weit „der<br />

Fleischliche Zorn unterm Namen eines Geistlichen Eyffers gehen kan”<br />

(XVII, III 150). Die Einigkeitsbestrebungen zwischen Lutheranern und<br />

Reformierten glaubt er „allen


- 105 -<br />

Christlich friedliebenden Seelen, allen insgesamt Thcologis aber<br />

insonderheit” anempfehlen zu dürfen (XVIII, II 39). Ein ähnliches über<br />

religiöse Einseitigkeit erhabenes Verhalten können wir bei den<br />

Wechselbeziehungen der religiösen und politischen Anschauungen des<br />

Verfassers beobachten. Die protestantischen Staaten haben zwar immer<br />

einen gewissen Vorzug. Besonders Brandenburg, das wegen der<br />

ausgebreiteten Macht dieses vortrefflichen Hauses in fast keiner<br />

Jahresrubrik unerwähnt bleiben kann, macht sich um das Reich auch<br />

gemeine Sache sehr verdient (XVI, I 732; XVII, III 108). „Die<br />

brandenburgischen Gründe zur Annahme der Königswürde haben an und<br />

vor sich ihre Richtigkeit und überhaupt von allen der Sachen<br />

verständigen und unpar-theyischen Gemüthern für bündig erkennet<br />

werden müssen” (XVI, I 140). Allein das hindert Schneider nicht bei<br />

einer Schilderung der Reichslage zu erklären (XX, I 32): „Indessen gieng<br />

doch die Reichs-Kriegs-Angelegenheit eben nicht besser als sonsten von<br />

statten; sondern blieb in gewöhnlichen Verzögerungen und vielfältigen<br />

widersinnigen auch eigennutzigen Meynungen oder Absichten stecken<br />

und hieß es nicht ohne Wahrscheinlichkeit, daß hieran der Zeit Chur-<br />

Sachsen, Brandenburg und Braunschweig größten Theils Schuld<br />

gewesen, die da wie sonst auch verschi'edent-lich geschehen mit der<br />

Sprache nicht recht herausgehen wollen, wannhero deren<br />

Gesandtschafften den Abgang des nöthigen Verhaltungs-Befehls<br />

vorschützen müssen, obgleich das Vaterland damit gar schlecht beschützt<br />

gewesen. So bliebe es mit tapffermüthig nachdrücklicherer Kriegs-Anstalt<br />

stecken, ob gleich durchgehends und zum gewissesten bekandt war,<br />

daß Kayser und Reich verlassen und von allen beyderseits Alliirten<br />

darunter auch Mitglieder des Reichs 'waren, besondere Friedensschlüsse<br />

zu ihrer endlichen Vollkommenheit gebracht worden.” Holland und<br />

England lassen Kaiser und Reich unziemlich im Stich (XX, I 420). Durch<br />

Eigennutz verblendet (XX, I 368) nähert sich England an


- 106 -<br />

Frankreich. Gegen den Kaiser gebraucht es daher „Künsteleyen” (XX, I<br />

420), so daß sein Verhalten eine schnöde und ausstudierte Betrügerey<br />

heißen möge (XIX, II 346). Aus allen diesen Zitaten spricht schon ein<br />

stark ausgeprägtes Nationalbewußtsein. Vor allem aber erkennen wir,<br />

woher der Verfasser die bei religiösen Fragen eingenommene Stellung<br />

über den Parteiungen gewinnen konnte. Er verirrt sich deshalb nicht auf<br />

in religiöser Einseitigkeit sich verlierende Abwege, weil er ein höheres<br />

Interesse, nämlich das für Kaiser und Reich, kennt. Wir können es<br />

deshalb verstehen, wenn der Autor mit Unmut und nicht ohne Kritik die<br />

kleinlichen Zerwürfnisse der Reichsglieder, die ein einiges tatkräftiges<br />

Zusammengehen der Nation unmöglich machen, betrachtet. „Auch dieses<br />

Jahr konte ohne Ceremoniel-Plag und Zänckerey bey dem Reichs-<br />

Convent nicht hingehen (XXI, I 53).” „<strong>Das</strong> war wieder viel gesagt,<br />

worauf doch im Haupt-Wercke so wenig als auf das vorher gegangene<br />

erfolgte” (XXI, III 5). Bitter beklagt er es, daß gute Worte aufs Papier in<br />

das Protokoll kommen, aber deren nachdrückliche und würckliche<br />

Erfüllung ausbleibe (XX, I 37). Manches „leyder!” fließt in die<br />

Darstellung der zerrütteten und trostlosen Reichszustände mit ein. Für das<br />

Reichsoberhaupt zeigt Schneider stets wohlwollendes Interesse,<br />

besonders für Karl VI. Kaum hat dieser Kaiser Friede mit Frankreich, da<br />

naht schon der Türkenkrieg, „damit ja bey so mancherley Anfällen von<br />

allen Seiten her die sonderbare Vorsorge Gottes und Dero ohngemein<br />

tapffere Standhafftig-keit desto offenbarer würde” (XX, III 40). Mit<br />

dieser Sympathie für das Haus Oesterreich mußte das Mitleid für die<br />

bedrängten Evangelischen notwendig in Konflikt kommen. Der Autor<br />

sucht hierbei einen Ausweg, indem er von dem Kaiser ebenso wie seinen<br />

Untertanen absieht und die Schuld in Schlesien auf die Ungunst des<br />

Königl. Ober-Amts (XVII, II 91), in Ungarn auf den um das Volkswohl<br />

unbekümmerten Eigennutz der Rädelsführer (XVII, III 73) abwälzt. Auf


- 107 -<br />

politischem Gebiet stellt Schneider ganz auf Seiten der kaiserlichen<br />

Partei. Der spanische Erbfolgekrieg ist dem Kaiser aufgenötigt (XVI, I<br />

57) worden, weshalb das Recht auf seiner Seite steht. .Daher hat bei der<br />

Sache des Kaisers und der Alliierten Gott seine Hand im Spiel (XVII, III<br />

272). Selbst der Bayernfürst, der sich Frankreich angeschlossen hat und<br />

nicht auf bessere Gedanken zu bringen war, erkennt Gottes Finger bey<br />

der Sache (XVII, III 182). Unzweideutig nimmt Schneider überall für die<br />

Truppen des Kaisers und der Alliierten Partei. Er spricht nur von den<br />

„Unserigen”, wie er meist schon in seinen Quellen vorfand. Die<br />

Franzosen sind überall „die Feinde", die alles verwüsten, um nicht ohne<br />

Gestanck,wiemansagte,zuscheiden.DerAutorgehtmitFrankreich<br />

scharf zu Gericht. Herrschsüchtige Absichten (XVII, II 256) und<br />

besonders gerne „Künsteleyen” (XVIII, III 213; XIX, I 181; XX, III 266)<br />

hält er dem arglistigen Frankreich (XVI, I 283; XIX, I 186) vor. „Die<br />

pflegt tnan ins Fäustchen auszulachen, welche sich durch Traktate «nd<br />

Worte blenden und kirren lassen (XVI, I 364). Auch im Reich versucht es<br />

sich mit seinen Künstelungen, um den Samen der Uneinigkeit mittels<br />

vorgewandter Religion unter Haupt und Gliedern des Reichs<br />

auszustreuen (XVI, I 527). Nicht ungerügt läßt der Verfasser die<br />

gewöhnliche, überflüssige Prahlerei (XVII, II 263; XIX, II 433), die mit<br />

dem durch Geldmacherey und Geldschinderey (XX, III 266) unter dem<br />

französischen Volk herrschenden Elend in keinem Einklang stellt. Diese<br />

seine Abneigung gegen Frankreich faßt Schneider nicht als Parteilichkeit<br />

auf, vielmehr setzt er die gleiche Stimmung bei seinen Lesern voraus.<br />

Nicht ohne Verwunderung und Mißbilligung des unpartheyischen Lesers<br />

zeigen die Geschichten des Theatri nach und nach, daß König Karl<br />

gezwungen wurde, ganz Catalonien zu verlassen (XIX, I 295). Im<br />

Türkenkrieg stehen ebenso selbstverständlich alle Sympathien auf der<br />

christlich-kaiserlichen Seite. Der Autor bewegt sich hier in denselben<br />

Ausdrücken wie seine Vor-


- 108 -<br />

ganger. Der Allerhöchste Gott hat die gerechtesten Kayserlichen Waffen<br />

gesegnet. Unter der heldenmütigen Anführung des Prinzen Eugen erringt<br />

man hei Belgrad 1717 über den hochmütigen und grausamen Feind (XXI,<br />

I 29) einen herrlichen und vollkommenen Sieg mit unsterblicher Glorie<br />

und Ruhm aller kaiserlichen Soldaten (XXI, II 101).<br />

In seinem Ordnungssystem schließt sich Schneider im allgemeinen<br />

an die hergebrachte Rubrikenabteilung an. Mit seinem nächsten<br />

Vorgänger gemein hat er die durch den deutsch-französischen Krieg und<br />

durch die reichliche Verwertung des aus den innerdeutschen<br />

Streitigkeiten erwachsenden Aktenmaterials veranlaßte Betonung der<br />

Reichsgeschichten, deren Unterabteilungen er entsprechend der<br />

Reichskreiseinteilung benennt. Eine bisher unbekannte Rubrik ist die für<br />

das Reichskammergericht. Innerhalb der einzelnen Abteilungen ist<br />

wieder die chronologische Methode maßgebend. Die Kriegsereignisse,<br />

die der Verfasser von XII—XV nicht ungeschickt vorausgestellt und im<br />

Zusammenhang behandelt hatte, zerteilt Schneider nicht immer<br />

vorteilhaft auf mehrere Rubriken. Doch weiß er sich oft damit zu helfen,<br />

daß er sich nicht sklavisch an seine Einteilung hält. So zieht er<br />

gelegentlich England und Holland zusammen, in richtiger Erkenntnis,<br />

daß, weil alles gar sehr untereinander gelauffen, die Sonderling nur<br />

Undeutlichkeit machen oder veranlassen dörffte, einer Sache mehr als<br />

einmal zu gedenken (XIX, II 284),<br />

Nicht mit Unrecht zählt Struve neben den von Abelin und Schleder<br />

verfaßten die aus Schneiders Feder stammenden Bände zu den<br />

beachtenswertesten. Es ist nicht zu verkennen, daß der Autor seine<br />

Quellen nicht mechanisch aneinanderfügt, sondern daß er ihren Inhalt<br />

erfaßt. Mit staunenswerter Geschicklichkeit findet er sich so in den eine<br />

ungeheuere Fülle von Aktenmaterial bietenden großen und kleinen<br />

Streitigkeiten zurecht. Indem Schneider sein Augenmerk auf den Gang<br />

der Politik und die große Ge-


- 109 -<br />

schichte lenkt, bleiben die sonst so beliebten, in der Manier des<br />

Unterhaltungsstoffes erzählenden Hofgeschichten auf das notwendig<br />

erscheinende Maß beschränkt.<br />

In der Quellenbenutzung befolgt Schneider die bisher übliche<br />

Methode, bei den Hauptereignisscn mindestens zwei Berichte von den<br />

verschiedenen Seiten zu bieten. In der Ausrottung der persönlichen<br />

Merkmale seiner Quellen scheint er nicht seine Hauptaufgabe zu<br />

erblicken. Für die gegen die Franzosen und die gegen die Türken<br />

kämpfcndcn Truppen gebraucht er meist die Bezeichnung die<br />

„Unsrigen”, läßt aber ebenso bisweilen ein „Wir” in der Erzählung<br />

stehen, wie es seine Quellen geboten haben. Ueber den Parteistandpunkt<br />

der von ihm verwerteten Relationen legt er manchmal Rechnung ab. Er<br />

gibt an, im Sinne welcher Partei das bisher Erzählte gehalten war (XVIII,<br />

II 265); er äußert sich darüber, ob ein gebotener Bericht stark gefärbt<br />

oder „ziemlich unpartheyisch” (XVIII, III 235) geschrieben ist. Mit der<br />

Mitteilung mehrerer Quellen verbindet er den Zweck, daß der Leser „sich<br />

hernachmahlen aus der Gegeneinanderhaltung dieser Nachrichten<br />

selbsten den wahrscheinlichsten Entwurff dieser Dinge in seinem<br />

Gemüthe machen möge” (XVI, I 1020; XVIII, III 231).<br />

Im Verhältnis zu den Meßrelationen hat das <strong>Theatrum</strong> schon wegen<br />

seines Aktenstoffes, der Schneider vermutlich aus bester Quelle zufließt,<br />

ein bedeutendes Plus. Vielfach sind in den beiden Werken ganz<br />

verschiedene Relationen über die gleichen Ereignisse benützt. Die aber<br />

immer noch bestehende Verwandtschaft läßt sich wieder aus einer<br />

Verwertung der gleichen Quellen erklären, wie aus dem folgenden<br />

Beispiel deutlich hervorgeht.<br />

Rel. Hist. HM 1707-OM. 1708 S. 103 <strong>Theatrum</strong> XVIII, III 382<br />

Den 14. Sept. Ist in der Stadt Moskau<br />

ein sehr hefftiger Brand entstanden,<br />

welcher bey 11000<br />

Es entstunde den 14. Septbr. in der<br />

Residentz Stadt Moscau ein<br />

entsetzlicher Brand, durch welchen<br />

1100 Häuser unter andern auch


Häuser verzehrt und dem Czar allein an<br />

Taback 10000 Rubles Schaden<br />

verursacht.<br />

- 110 -<br />

dasjenige darinnen der Englische<br />

Consul gewohnet hat, indieAsche<br />

gelegt wurden, da denn Se.<br />

Czaarischen Majest. allein an Taback<br />

von mehr als 10000 Rubeln Schaden<br />

gelitten, welcher in einem Packhause<br />

gelegen.


Anhang<br />

1. Die Autoren<br />

[ - 111 - ]<br />

Einige der am <strong>Theatrum</strong> beteiligten Verfasser, vornehmlich die,<br />

welche in Frankfurt ihren Wohnsitz haben, sind zugleich Mitarbeiter an<br />

anderen kompilatorischen Unternehmungen, so besonders an den<br />

Meßrelationen, dem Mercurius Gallo-Belgicus, dem Diarium <strong>Europaeum</strong><br />

und vielleicht an den ersten Frankfurter Zeitungen (Opel). Fast alle,<br />

außer Meyer, der ausschließlich von seiner kompilatorischen Tätigkeit<br />

lebt, und Abelin, den man aus dem Schuldienst entlassen hat, scheinen<br />

einen festen Beruf zu haben und die Schriftstellerei nur als Nebenerwerb<br />

zu betreiben. <strong>Das</strong> leitende Motiv bei der Abfassung ihrer Werke ist die<br />

Wahrheitsliebe. Sie schließt vornehmlich die überall in Anspruch<br />

genommene Unparteilichkeit (Stieve) in sich, von der selbst die nicht<br />

abgehen wollen, die sich gar nicht viel Muhe geben, ihre Tendenz zu<br />

verbergen. Die Unparteilichkeit wird oft als gleichbedeutend mit<br />

Genauigkeit, d. h. wortgetreuem Festhalten an den Formalia, den<br />

vorliegenden Quellen, gefaßt. <strong>Das</strong> Urteil anderer durfte man schon<br />

einmal mitteilen, mit dem eigenen hielt man zurück. Vor einer<br />

durchgängigen, den Leser beeinflussenden Hervorkehrung der<br />

persönlichen Affekte sich zu hüten, nahm man sich schon deshalb vor,<br />

weil ein offenes Bekenntnis der politischen und religiösen<br />

Anschauungen die Aufmerksamkeit der Gegner auf sich zog. Gerade<br />

darum war ja, wie die Verfasser selbst gestehen, das Historienschreiben<br />

in jener Zeit nicht ungefährlich. Es suchen daher die Autoren wie die<br />

Verleger in angesehenen und mächtigen Personen, denen sie ihre Werke<br />

zueignen, einen schützenden Rückhalt. Schon aus diesen Gründen sind<br />

fast alle regierungsfreundlich gestimmt. Diese Ergebenheit gegen höher<br />

gestellte, fürstliche Persönlichkeiten äußert sich zumeist in einem<br />

devoten Respekt vor ihrer Würde und Erhabenheit. Daher erklärt sich<br />

auch die Vorliebe und das Interesse des Autors wie des Lesers für die<br />

traurigen und freudigen Ereignisse an den fürstlichen Höfen, wobei ja<br />

gleichmäßig deren Macht und Glanz sichtbaren Ausdruck fand. Darin<br />

liegen zugleich die Motive, die die Menschen jener Zeit


- 112 -<br />

veranlaßten, die Lektüre eines Hauptteils des Unterhaltungsstoffes,<br />

nämlich der Hofgeschichten, mit besonderer Lust zu betreiben. Die<br />

zweite Hälfte dieser Literaturgattung, also vornehmlich die Erzählungen<br />

von den den gewöhnlichen Lauf der Natur überschreitenden Dingen<br />

erlangt aus anderen Gründen Beliebtheit. Die Frömmigkeit gefiel sich<br />

nämlich darin, auf das Wirken Gottes in der Geschichte deutlich den<br />

Finger zu legen. Wo aber ließ sich das besser beobachten als an den<br />

Vorgängen, welche die gewohnte Ordnung der Dinge merklich<br />

überschritten? Man sah in diesen Vorfällen meist in unheilvollem Sinne<br />

aufgefaßte Winke Gottes. Hier bot sich Gelegenheit, eine moralisierende<br />

Tendenz in die Darstellung einzufügen, wie dies namentlich in Gottfrieds<br />

Chronik, weniger im <strong>Theatrum</strong> geschieht. Mit der dabei hervortretenden<br />

Frömmigkeit der Autoren paart sich ein gutes Stück Aberglaube. Aber<br />

schon ist in den letzten Bänden der Hauch einer neuen Zeit zu verspüren,<br />

die den Spuk- und Wundergeschichten auf den Grund geht und<br />

berechtigte Zweifel wagt. Die Anschauungen, die wir bei den Autoren<br />

feststellen können, werden großenteils bei den Lesern die gleichen<br />

gewesen sein. Ebenso bietet uns der von den einzelnen Autoren<br />

vertretene politische Standpunkt zugleich ein Bild einer Ueberzeugung,<br />

wie sie in weiten Kreisen herrschend war.


2. Die Quellen<br />

- 113 -<br />

<strong>Das</strong> <strong>Theatrum</strong> ist „auß vielen treulich mitgetheilten Schrifften,<br />

glaubwürdigen Berichten, und briefflichen Urkunden“, sowie „auß der<br />

Sachen eigentlichem Verlauff“ zusammengetragen und beschrieben. Daß<br />

aus der persönlichen Erfahrung das Wenigste geschöpft worden ist, das<br />

geben die Autoren selbst zu. Nur für kurze eingeschobene Abschnitte, die<br />

auf die Zeitlage Bezug nehmen, mögen eigene Erlebnisse bestimmend<br />

gewesen sein. Denn nicht einmal Ereignisse, die in Frankfurt vor ihren<br />

Augen passieren, beschreiben sie frei aus dem Gedächtnis, sondern sie<br />

legen hier überall feste Relationen unter, die sie nur auf Grund Ihrer<br />

Ortskenntnisse mit kleinen Zusätzen versehen. Die Hauptmasse des im<br />

<strong>Theatrum</strong> verwerteten Materials holte man zweifellos aus den in dem<br />

Frankfurter Sammelbecken zusammenfließenden journalistischen und<br />

publizistischen Produkten. Mannigfache Andeutungen des <strong>Theatrum</strong><br />

besagen, daß ein guter Teil der benützten Relationen im Druck vorlag.<br />

Von diesen in Frankfurt zusammenkommenden fliegenden Blättern leben<br />

alle kompilatorischen Unternehmungen jener Stadt in der Hauptsache.<br />

Schon die Verleger sammeln wohl die einzelnen Flugblätter und<br />

übergeben sie den Autoren zur Verarbeitung. Die Verfasser bemühen sich<br />

selbst, möglichst viel Stoff zusammenzubringen. Die Vorreden des<br />

<strong>Theatrum</strong> sprechen deshalb wiederholt die Bitte aus, der Leser möge<br />

doch ihm zur Verfügung stehendes Material übersenden oder die Leute,<br />

die selbst an den Ereignissen mitwirken und ihre Unternehmungen richtig<br />

im <strong>Theatrum</strong> beschrieben haben wollen, sollen Berichte von ihren Taten<br />

abfassen und dem Verlag übermitteln. Nicht nur Gönner des <strong>Theatrum</strong>,<br />

als solcher erscheint einmal der schwedische General Wrangel (V),<br />

schicken Delineationen und Schilderungen einzelner Vorgänge, sondern<br />

der Verlag Merian hat eine Reihe von Leuten, vornehmlich Offiziere und<br />

Ingenieure, an der Hand,


- 114 -<br />

die gegen entsprechende Vergütung Zeichnungen und Beschreibungen<br />

der Kriegsaktionen liefern. Auf den Kupfern werden die Ingenieure<br />

genannt und in der Darstellung wird angegeben, daß der das Kupfer<br />

erläuternde Bericht aus der Feder des Zeichners stammt. Hier sind also,<br />

wenn schon nur zu geringem Teil, handschriftliche Relationen im<br />

<strong>Theatrum</strong> verwertet worden. Eine wichtige Frage ist ferner die nach der<br />

Herkunft des Aktenstoffes. Es ist in den Vorreden ausgesprochen, daß<br />

hessische Archive durch die Gunst des Landgrafen Georg (III) den<br />

Verlag mit Material bedachten. Von Schneider wird überliefert, daß ihm<br />

durch seinen Patron, den Grafen Friedrich von Solms, wertvolle Quellen<br />

erschlossen wurden. Endlich darf vielleicht an eine Nutzbarmachung .der<br />

Schätze der churmainzischen Archive gedacht werden.<br />

Die Quellen (Prutz, Opel, Stieve), die uns im <strong>Theatrum</strong><br />

verarbeitet vorliegen, bieten als literarische Gattungen aufgefaßt ein Bild<br />

buntester Mannigfaltigkeit. Wir können zwar die einzelnen Quellenstücke<br />

nach Ausgangspunkt und Entstehung oder nach Absicht und Zweck wie<br />

nach Form und Inhalt charakterisieren. Allein absolute<br />

Einteilungsprinzipien, die eine reinliche Scheidung in einzelne Gruppen<br />

gestatten, werden wir vergebens suchen. Bei der folgenden Uebersicht ist<br />

daher eine Ordnung eingehalten, die von dem persönlich zu dem<br />

allgemein Gehaltenen, von dem nur an die Familienangehörigen oder den<br />

Freund vertraulich gerichteten Brief zu der dem Zweck der<br />

Geschichtsschreibung dienenden Schrift übergeht. Unter den<br />

vertraulichen Schreiben spielt eine wichtige Rolle der Soldatenbrief. Der<br />

im Felde stehende Gemeine oder Offizier, auch der in einer gefährdeten<br />

und belagerten Stadt gebliebene Bürger schreibt seine fernen<br />

Angehörigen oder Bekannten. Den gleichen Weg gehen die offiziellen<br />

Berichte des Feldherrn an seine esetzte Regierung, die dann als<br />

„Schlachtenbulletins“ der Öffentlichkeit preisgegeben werden. Hierher<br />

sind zu-


- 115 -<br />

gleich die im <strong>Theatrum</strong> häufig vorkommenden Material-, Truppen- und<br />

Verlustlisten zu rechnen. Unter die Handschreiben gehört ferner der<br />

vielleicht dem Paket beigelegte Geschäftsbrief, der nebenbei<br />

Lokalnachrichten übermittelt. Auf derselben Linie liegen die<br />

bedeutenderen „Correspondenzen der Handelshäuser“. Hier schließen<br />

sich die im <strong>Theatrum</strong> meist schlecht verarbeiteten und daher um so mehr<br />

auffallenden Schiffsnachrichten an. Die aus den überseeischen Ländern<br />

ankommenden Schiffe bringen die Zeitungen aus den Kolonien mit,<br />

Listen, die uns als trockene Aufzählungen anmuten, verraten dem<br />

neugierigen Leser, aus was für kostbaren, fremdländischen Erzeugnissen<br />

die Ladung bestellt. Eine regelrechte Korrespondenz mit Bekannten oder<br />

Beauftragten unterhielten ferner die Zeitungsschreiber, die anfänglich mit<br />

den Postmeistern identisch sind. Bei diesen Berichten kam es darauf an,<br />

recht rasch die neusten Nachrichten zu übermitteln. Sie sind daher nicht<br />

mit Unrecht mit unseren Depeschen verglichen worden. Wie diese, so<br />

bringen sie aber meist nur knappe, noch trübe und ungewisse<br />

Mitteilungen. Es sind die sogenannten Advisen, die noch im <strong>Theatrum</strong><br />

nach der Einarbeitung durch Angabe des Datums, des Aufgabeorts und<br />

manchmal der Uebergangsstation gekennzeichnet sind. Ein reichliches<br />

Material liefert die „Schriftwechslung“ von Staaten und Ständen, ihre<br />

Beratungen untereinander und ihr Verkehr mit den Untertanen. Hier<br />

ergibt sich eine ungeheure Fülle von Schriftstücken, die im <strong>Theatrum</strong><br />

meist bestimmte Namen tragen, wie Declarationen, Justificationen,<br />

Propositionen, Resolutionen, Edikte, Manifeste usw. Ein guter Teil dieser<br />

Dokumente, namentlich wenn sie sich als Erklärungen und Rechtfertigungen<br />

an weite Kreise wenden, bedient sich sofort des Drucks als<br />

des bequemsten Verbreitungsmittels. In meist nicht zu langen<br />

Flugblättern und Relationen werden ferner Erzählungen von allen<br />

möglichen Geschehnissen im Druck veröffentlicht. Eine besondere Rolle<br />

dabei spielen


- 116 -<br />

die Gegenstände des Unterhaltungsstoffes. Unter diesen werden<br />

vornehmlich wieder die wunderbaren Ereignisse in Natur und<br />

Menschenleben von Gelehrten, besondere Medizinern, Naturwissenschaftlern<br />

und Theologen in bisweilen umfangreicheren Traktätchen<br />

einer wissenschaftlichen Behandlung unterzogen. Zuerst mag von einem<br />

hierin besprochenen Vorgang eine kurze Relation erschienen sein, die<br />

diese Gelehrten aufgreifen und mit einem Kommentar versehen neu<br />

ausgehen lassen. In ein späteres Stadium fallen auch die eigentlichen<br />

„historischen“ Schriften. Sie warten die ersten Nachrichten über<br />

Einzelvorgänge gemächlich ab und geben dann einen Ueberblick über<br />

längere Zeitabschnitte. Alle diese Literatur, soweit sie noch nicht oder<br />

nur in wenigen Exemplaren gedruckt ist, wird von<br />

unternehmungslustigen Spekulanten unter die Presse gebracht und findet<br />

bei dem wißbegierigen Publikum jener Zeit meist guten Absatz.<br />

3. Quellenverarbeitung<br />

Was fängt nun der Kompilator an, wenn er die in der besprochenen<br />

Literatur gebotenen Quellen gesammelt hat? Zunächst geht im großen<br />

und ganzen das Bestreben dahin, alle persönliche Stilformen, sowie<br />

überhaupt alle die Einzelnachricht kennzeichnende Merkmale des<br />

Datums, Ausgangspunktes usw. auszumerzen, so daß lauter Stücke in<br />

allgemeiner Fassung entstehen. Dabei bleiben doch aus Versehen oft die<br />

ursprüngliche Form verratende Reste stehen. Nach dem<br />

verallgemeinernden Ausgleich werden die einzelnen Stücke nach<br />

Maßgabe des jeweiligen Ordnungsverfahrens aneinandergereiht. Dabei<br />

sind allerlei Aenderungen nötig. Bei streng chronologischem<br />

Ordnungsverfahren müssen oft größere Quellen zerteilt, bei einer<br />

Rubrikenordnung zeitlich nacheinander einlaufende kurze Notizen über<br />

einen Gegenstand zusammengezogen werden.


- 117 -<br />

Die einen Partien der Erzählung, die dem Verfasser zu breit erscheinen,<br />

werden durch Streichen gekürzt; die andern, die zu knapp gehalten sind,<br />

werden ausgeschaltet und dafür ein Stück einer ausführlicheren Quelle<br />

eingefügt. Alle diese Maßnahmen der Verarbeitung müssen bei der<br />

gewaltigen Menge des beigebrachten Materials natürlich recht rasch<br />

geschehen, und dabei laufen mancherlei Fehler unter. Eine schon<br />

geschicktere Art der Behandlung, wie sie bei Schleder zu beobachten<br />

war, verschafft sich eine Uebersicht über die verschiedenen Quellen über<br />

den gleichen Gegenstand. Ergeben sich besonders in Orts-, Zahlen- und<br />

Namenangaben Widersprüche, so wird die zweite Lesart in Klammern in<br />

der Darstellung beigefügt. Bei der Kompilation wird streng darauf<br />

gesehen, den Wortlaut beizubehalten. <strong>Das</strong> ist das Hindernis, das einer<br />

Entwicklung zu höherer Auffassung sich in den Weg stellte. Die<br />

Kompilatoren glauben im Wortlaut ihrer Quellen, denen sie kritiklos<br />

gegenüberstehen, die wahre Geschichte selbst gefunden zu haben. Den<br />

Quelleninhalt selbständig zu erfassen und danach ein eigenes<br />

Geschichtsbild zu konstruieren, dazu waren sie nicht imstande.<br />

4. Ordnungsmethoden<br />

Es lag zweifellos in der Anordnung der unter sich ursprünglich in<br />

keinerlei Zusammenhang stehenden Einzelquellen eine Schwierigkeit.<br />

Darüber hinwegzukommen standen dem Autor zwei Wege offen.<br />

Entweder man sah streng auf die zeitliche Reihenfolge der Ereignisse, so<br />

gelangte man zu einer chronologischen, womöglich von zu Tag<br />

schreitenden Ordnung; oder man achtete auf den Inhalt der Quellen, so<br />

ergab sich eine Einteilung, den in gleichen geographischen Gebieten sich<br />

abspielenden obschon mannigfaltigen Geschehnissen oder derartigen,<br />

obschon an verschiedenen Oertlichkeiten vorfallenden


- 118 -<br />

Ereignissen besondere Klassen zuweist. Einen Vertreter eines rein<br />

chronologischen Verfahrens haben wir im <strong>Theatrum</strong> nicht, wenn auch<br />

Oraeus sich einem solchen stark nähert (cf. Band III). Schon Abelin führt<br />

eine Rubrikenordnung ein und Schleder bildet eine mit bestimmten Titeln<br />

versehene Klassenabteilung, die von da an bis zum Ende des <strong>Theatrum</strong> in<br />

den Hauptzügen grundlegend bleibt. Die streng chronologische Methode<br />

sieht darauf, die Ereignisse Tag für Tag aufzuzeichnen und achtet nicht<br />

auf inhaltliche Beziehungen. Eine derartige Darstellung bietet<br />

infolgedessen ein Bild innerer Zerrissenbeit. Diesen Nachteil umgeht die<br />

Rubriken-Ordnung, da sie das Zusammengehörige sammelt. Jedoch kann<br />

auch hier noch eine strenge Beachtung der Zeitfolge innerhalb der<br />

einzelnen Klassen zerreißend wirken. Unvorteilhaft kann die<br />

Rubrikenordnung dann werden, wenn sie starr an einer bestimmten<br />

Reihenfolge festhält und die einzelnen Abteilungen zu säuberlich trennt.<br />

Am besten war dann um alle Fehler herumzukommen, wenn man nie<br />

zugunsten der Chronologie auf die inhaltliche Zusammengehörigkeit<br />

verzichtete und wenn man die Rubriken, falls ihre Geschichten sich<br />

inhaltlich berührten, nebeneinanderstellte oder ganz zusammenzog. Einer<br />

solchen Freiheit in der Anordnung nähert sich besonders die letzte Hälfte<br />

der Bände.<br />

5. Verwandte Literatur<br />

Es sollen unter verwandter Literatur solche kompilatorische Werke<br />

verstanden werden, die aus denselben Quellen wie das <strong>Theatrum</strong> die<br />

gleichen Begebenbeiten beschreiben. Unser Blick wendet sich daher auf<br />

die in Frankfurt um die gleiche Zeit erschienenen kompilatorischen<br />

Geschichtsbücher. Es gehören hierher vor allem die Meßrelationen, der<br />

Mercurius Gallo-Belgicus und das Diarium <strong>Europaeum</strong>. Einzelne frühere<br />

Arbeiten der Autoren des <strong>Theatrum</strong> über besondere Gebiete derselben<br />

Zeit sind bei der Spezialbehandlung der


- 119 -<br />

Bände namhaft gemacht worden. Es sind hierher ferner zu rechnen<br />

umfangreiche Aktensammlungen, wie die Acta publica Lundorps. Aber<br />

das <strong>Theatrum</strong> benutzt zu geringem Teil archivarisches Material, zum<br />

großen Teil liegen ihm die Aktenstücke in Separatdrucken vor, wie<br />

zahlreiche Bemerkungen der Autoren versichern. Es konnte dann nur in<br />

seltneren Fällen ein Verfasser des <strong>Theatrum</strong>, dem wegen der Entfernung<br />

von den zu behandelnden Gegenständen die Einzeldrucke nicht mehr<br />

zugänglich sind, sein Aktenmaterial aus anderweitigen <strong>Sammlungen</strong><br />

ergänzeil; Weit wichtiger ist die Verwandtschaft des <strong>Theatrum</strong> mit den<br />

zuvor genannten historischen komipilatorischen Werken, die stets dem<br />

<strong>Theatrum</strong> zeitlich vorauslaufen. Die hier leicht in die Augen springende<br />

wörtliche Gleichheit großer Partien, sowie die gleichmäßige Begrenzung<br />

des dargebotenen Materials haben jedenfalls Gryphius zu der Behauptung<br />

veranlaßt, daß einzelne Bände des <strong>Theatrum</strong> „utplurimum ex relationibus<br />

ut appellant semestralibus Francof, et Lipsiensium consarcinali“ seien.<br />

Dem widersprechen aber die mannigfachen Bemerkungen des <strong>Theatrum</strong><br />

selbst, die sich auf die Verwertung einzelner Relationen beziehen.<br />

Sodann haben einzelne Vergleiche zwischen <strong>Theatrum</strong> und Meßrelation<br />

ergeben, daß sich die nahe Verwandtschaft aus einem Zurückgehen<br />

beider auf die gleichen Quellen erklären läßt. Die gleichmäßige<br />

Beschränkung des angezogenen Stoffes erklärt sich so, daß beide Werke<br />

gerade die in Frankfurt zusammenlaufende Masse des Materials<br />

benützten. Die Beziehungen ferner, die zwischen dem <strong>Theatrum</strong> und<br />

früheren Arbeiten seiner Autoren für die gleiche Zeit bestehen, ergeben<br />

einen interessanten Einblick in die hier beobachtete Methode. Die<br />

Kompilatoren schreiben nämlich ihre Vorarbeiten nicht einfach ab,<br />

sondern sie nehmen beim <strong>Theatrum</strong> nochmals ihr erstes Quellenmaterial<br />

vor, ergänzen es mit neu hinzukommenden Relationen und formen daraus<br />

eine neue Darstellung. Dabei hat das <strong>Theatrum</strong> vor allen früheren<br />

Werken


- 120 -<br />

den Vorzug, daß es nicht allein auf die ersten, unzuverlässigen<br />

Nachrichten angewiesen ist, sondern sich der später einlaufenden<br />

abgeklärten und sicheren Mitteilungen bedienen kann. Wir haben soeben<br />

auf eine Beeinflussung des <strong>Theatrum</strong> durch die verwandte Literatur unser<br />

Augenmerk gelenkt. Wir dürfen aber auch mit der umgekehrten<br />

Möglichkeit rechnen. Die Autoren, die am <strong>Theatrum</strong> tätig sind, arbeiten<br />

gleichzeitig oder danach auch an anderen Werken. Dabei läßt es sich<br />

beobachten, daß Schleder seine nach Abelins Vorbild im <strong>Theatrum</strong><br />

geschaffene und bewährte Rubriken-Ordnung auf die Meßrelationen<br />

überträgt, und Meyer die ihm bei seiner Arbeit am <strong>Theatrum</strong> vertraut<br />

gewordene Klassenabteilung im Diarium einführt. Gleichzeitig damit<br />

beginnen Meßrelationen und Diarium die Quellen nach Art des<br />

<strong>Theatrum</strong>, wenn auch nicht in so starkem Maße, zu verarbeiten.<br />

6. Die Tendenz<br />

Wir müssen damit rechnen, daß schon die vom Kompilator verwerteten<br />

Quellen eine einseitige Parteistellung vertraten. <strong>Das</strong> tritt besonders bei<br />

den Kriegsrelationen hervor. Meistens läßt sich hier noch erkennen, von<br />

welcher Seite sie stammen. Ihr Verfasser hat am genausten Kenntnis von<br />

den Aktionen der eigenen Partei, auf deren Seite er den göttlichen<br />

Beistand sieht, von den Gegnern aber, die gewöhnlich als „die Feinde“<br />

bezeichnet werden, weiß er nur aus dem Munde von Gefangenen<br />

Bescheid. Die Autoren, die ohne besonderes Interesse und daher auch<br />

meist ohne bestimmte Tendenz arbeiten, geben sich keine Mühe, auf den<br />

von ihren Quellen vertretenen Standpunkt zu achten. Nur diejenigen, die<br />

energisch eine Tendenz vertreten, lassen die ihnen zusagend gefärbten<br />

Quellen ungeändert, während sie aus Relationen, die ihren Anschauungen<br />

nicht ent-


- 121 -<br />

sprechen, die anstößigsten Ausdrücke streichen. Ihre eigene Tendenz<br />

bringen die Autoren weniger durch Umbiegung der Quellen als wie in<br />

Uebergängen, Zwischenbemerkungen und Zusätzen zur Geltung.<br />

Besonders entsteht dann eine einseitige Darstellung, wenn ein Verfasser<br />

der von ihm vertretenen Tendenz zu Liebe nur Berichte einer Partei<br />

bringt und die Gegenseite nicht zu Wort kommen läßt.<br />

7. Die Kupfer<br />

Ein großer Teil der Kupferstiche des <strong>Theatrum</strong>, die nicht immer mit dem<br />

genauen Namen ihres Verfertigers versehen sind, verdankt Künstlern, die<br />

der Familie Merian angehören, seine Entstehung. Die erste Hälfte der<br />

Bände ist vornehmlich mit Kupfern von Matthäus Merian, seinen Söhnen<br />

Matthäus und Caspar und seinem Schwiegersohn Melchior Küssel<br />

ausgeschmückt. Unter ihren Gehilfen nimmt Peter Aubry als Ikonograph<br />

eine hervorragende Stelle ein. In den späteren Bänden kommen als<br />

Mitarbeiter aus der Familie Merian ein Urenkel des Stammvaters, namens<br />

Matthäus von Merian und dessen Schwiegersohn Eosander von Göthe in<br />

Betracht. Den weitaus größeren Teil der Stiche liefern jetzt aber eine<br />

stattliche Zahl Mitarbeiter, die alle namhaft zu machen zu weit führen<br />

würde. Es gereicht allen diesen Kupferstechern zum Nachteil, daß sie der<br />

Sitte ihrer Zeit folgend mehr auf Massenproduktion als auf gediegene<br />

Kunstleistung Wert legten (Allg. D. Biogr.). Allerdings die Gewissenhaftigkeit,<br />

die eine naturgetreue Wiedergabe sich zum Ziele setzt, lassen<br />

sie nicht vermissen. Nachdrücklich wird immer wieder betont (M. Merian<br />

in der Vorrede zu II, Schneider in der Vorrede zu XVI), daß die<br />

Illustrationen des <strong>Theatrum</strong> nicht „nach beliebiger Fantasie oder<br />

Einbildung, als sonst nicht selten bey historischen Wercken zu gesellen<br />

pfleget“, sondern nach Gemälden und Zeichnungen gebildet sind. Von<br />

dem älteren Matthäus


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Merian wissen wir, daß er auf Reisen eine große Anzahl Städtebilder, die<br />

in seinen Topographien gesondert herausgegeben worden sind, nach dem<br />

Augenschein aufgenommen hat. Von seinem gleichnamigen Sohn, einem<br />

geschickten Porträtmaler, wird überliefert, daß er besonders bei der<br />

Friedensfeier in Nürnberg und bei der Kaiserkrönung Leopolds in<br />

Frankfurt eine große Anzahl Aufträge von Fürstlichkeiten und Offizieren<br />

erhielt. Auch die Situationspläne von Schlachten, Belagerungen und<br />

dergl. sind von Personen angefertigt, die über eine genaue Kenntnis der<br />

wirklichen Vorgänge und Verhältnisse verfügten. Es sind auf den<br />

Kupfern eine Reihe von Offizieren und Ingenieuren genannt, die dem<br />

Verlag Merian gegen Entgelt Zeichnungen nebst erklärenden Berichten<br />

lieferten. In dauernder Verbindung mit dem Verlag stehen z. B. der<br />

kaiserliche Ingenieur Carlo Cappi, der schwedische Generalquartiermeister<br />

Leutenant Georg Wilhelm Kleinsträtel u. a. m.<br />

Die Kupfer des <strong>Theatrum</strong> finden sich auch in anderen Werken<br />

des Verlags. Einzelne Stiche kehren in mehreren Bänden wieder. Oft<br />

beruft sich der Text auf Kupfer, die überhaupt nicht aufgenommen<br />

wurden.<br />

8. <strong>Das</strong> Ende des <strong>Theatrum</strong><br />

Der durchweg apologetisch gehaltene Vorbericht zu Band XVI läßt uns<br />

die Anfeindungen des <strong>Theatrum</strong> durch Leute erkennen, die eine höhere<br />

Auffassung der Geschichtsschreibung gewonnen haben und deshalb mit<br />

kritiklosen und unselbständigen kompilatorischen Sammelwerken nicht<br />

mehr zufrieden sind. Schneider hat noch einmal versucht, die Angriffe,<br />

welche die Gelehrten gegen das <strong>Theatrum</strong> schleuderten, und ihre Kritik,<br />

der die vernichtende, aber auch ungerechte Schärfe eigen ist, mit der jede<br />

neue Zeit über eine überwundene Epoche urteilt, abzuwehren. Solche<br />

Vorwürfe, die man gegen das <strong>Theatrum</strong> erhob, mögen sein


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Ansehen erschüttert haben. Von größerem Einfluß auf den Untergang des<br />

Unternehmens indessen waren die Geschicke des Verlags. Solange<br />

Matthäus Merian d. A. die Zügel fest in den Händen halt, erscheinen die<br />

Bände meist sofort nach Ablauf der behandelten Ereignisse. Schon unter<br />

seinen Söhnen beginnen die ersten Stockungen. Bei den späteren<br />

Generationen werden die Verzögerungen in der Herausgabe der Bände<br />

immer schlimmer. Daß aber nicht etwa der Geschmack an kompilatorischen<br />

Werken erloschen war, das bezeugt die Tatsache, daß der<br />

Frankfurter Buchhändler Ph. Heinrich Sutter, der die Kupferplatten des<br />

Verlags Merian erworben hat, in den Jahren 1745-59 noch eine unter dem<br />

NamenJ.L.GottfriedlaufendeChronikindreiBändenherausgehen<br />

kann. Der erste Teil dieses Werkes ist ein Neudruck der wegen ihrer<br />

Kupfer beliebten Chronik Gottfrieds, der zweite und dritte aber enthält<br />

einen Auszug aus den 21 Teilen des <strong>Theatrum</strong> nebst einer Fortsetzung bis<br />

auf das Jahr 1750. Demnach hätte also auch eine Weiterführung des<br />

<strong>Theatrum</strong> noch Leser genug gefunden. Es fehlte aber dem Unternehmen<br />

vor allem an einem Manne, der, wie einst der als Künstler und Verleger<br />

gleich bedeutende M. Merian d. Ä., das mächtige Werk in sicheren<br />

Bahnen steuerte. Deshalb vornehmlich mag man von einer Fortsetzung<br />

des <strong>Theatrum</strong> abgesehen haben. Einen willkommenen Abschluß bot das<br />

Jahr 1718. Mit einem hundertjährigen Jubiläum fand das <strong>Theatrum</strong> ein<br />

äußerlich glänzendes, in Wahrheit aber ein klägliches Ende.

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