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die 44 wichtigsten Fälle für Anfangssemester ... - hemmer.shop

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VerwR Kapitel I: Anfechtungsklage 1<br />

Kapitel I: Anfechtungsklage<br />

Fall 1: Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs<br />

Sachverhalt:<br />

A betreibt einen kleinen Lebensmittelladen in der Stadt S. Da der Verdacht besteht,<br />

dass er häufig unversteuerte Zigaretten „unter dem Ladentisch“ verkauft, erlässt <strong>die</strong><br />

zuständige Behörde nach Anhörung des A eine Gewerbeuntersagung aufgrund<br />

§ 35 I Gewerbeordnung (GewO). A will dagegen klagen.<br />

Frage: Ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet?<br />

I. Einordnung<br />

Erste Voraussetzung <strong>für</strong> <strong>die</strong> Eröffnung<br />

des Verwaltungsrechtswegs ist, dass<br />

es sich um eine öffentlich-rechtliche<br />

Streitigkeit handelt.<br />

II. Gliederung<br />

1. Keine aufdrängende Sonderzuweisung<br />

2. § 40 I VwGO<br />

a) Öffentlich-rechtliche Streitigkeit<br />

Maßgeblich sind <strong>die</strong> streitentscheidenden<br />

Normen, hier <strong>die</strong> GewO.<br />

Öffentlich-rechtlich<br />

b) Nichtverfassungsrechtlicher Art<br />

c) Keine abdrängende Sonderzuweisung<br />

3. Ergebnis: Verwaltungsrechtsweg<br />

gem. § 40 I VwGO eröffnet.<br />

III. Lösung<br />

Gefragt ist nach der Eröffnung des<br />

Verwaltungsrechtswegs.<br />

1. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs<br />

aufgrund einer aufdrängenden<br />

Sonderzuweisung<br />

<strong>hemmer</strong>-Methode: Die einzige relevante<br />

aufdrängende Sonderzuweisung<br />

gilt <strong>für</strong> beamtenrechtliche Streitigkeiten<br />

nach § 126 I BBG.<br />

Für alle anderen Streitigkeiten kann<br />

sich der Verwaltungsrechtsweg nur aus<br />

§ 40 I VwGO ergeben.<br />

Eine aufdrängende Sonderzuweisung<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Klage des A besteht nicht.<br />

2. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs<br />

aus § 40 I VwGO<br />

Der Verwaltungsrechtsweg könnte<br />

gem. § 40 I VwGO eröffnet sein. Dazu<br />

müsste <strong>die</strong> Klage des A eine öffentlichrechtliche<br />

Streitigkeit darstellen, <strong>die</strong><br />

nichtverfassungsrechtlicher Art ist und<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> keine abdrängende Sonderzuweisung<br />

eingreift.<br />

a) Öffentlich-rechtliche Streitigkeit<br />

Eine Streitigkeit ist öffentlich-rechtlich,<br />

wenn <strong>die</strong> streitentscheidenden Normen<br />

öffentlich-rechtlich sind. Die Klage<br />

des A wäre gegen <strong>die</strong> Gewerbeuntersagung<br />

gerichtet.


2 Kapitel I: Anfechtungsklage VerwR<br />

Die <strong>für</strong> <strong>die</strong> Rechtmäßigkeit der Gewerbeuntersagung<br />

maßgeblichen Vorschriften<br />

ergeben sich aus der Gewerbeordnung,<br />

insbesondere aus § 35<br />

GewO. Die Vorschriften der GewO<br />

betreffen <strong>die</strong> hoheitliche Überwachung<br />

und Kontrolle der Gewerbeausübung<br />

und sind daher nach der Subordinationstheorie<br />

öffentlich-rechtliche Normen.<br />

Die Streitigkeit ist damit öffentlichrechtlich.<br />

<strong>hemmer</strong>-Methode: Prüfen Sie den<br />

öffentlich-rechtlichen Charakter einer<br />

Streitigkeit gedanklich in drei Schritten:<br />

1) Was ist Streitgegenstand?<br />

2) Welche ist <strong>die</strong> streitentscheidende<br />

Norm?<br />

3) Ist es eine öffentlich-rechtliche<br />

Norm?<br />

Punkt 2) bereitet bei der Anfechtungsklage<br />

(wie bei der Verpflichtungsklage)<br />

in aller Regel keine Schwierigkeiten.<br />

Wird um einen Verwaltungsakt gestritten,<br />

so ist es meist einfach zu sagen,<br />

welche Vorschriften <strong>für</strong> dessen Rechtmäßigkeit<br />

maßgeblich sind (streitentscheidende<br />

Normen). Anders ist <strong>die</strong>s<br />

bei allgemeiner Leistungsklage und<br />

allgemeiner Feststellungsklage (vgl.<br />

<strong>Fälle</strong> 39 und 41).<br />

Punkt 3) ist i.d.R. ebenso unproblematisch,<br />

und zwar bei allen Klagearten.<br />

Die Vorschriften des Baurechts (das<br />

Baugesetzbuch, <strong>die</strong> Bauordnungen der<br />

Bundesländer), <strong>die</strong> Gemeindeordnungen,<br />

<strong>die</strong> Polizei- und Ordnungsbehördengesetze,<br />

<strong>die</strong> Vorschriften des Gewerberechts<br />

wie <strong>die</strong> Gewerbeordnung,<br />

das Gaststättengesetz und <strong>die</strong> Handwerksordnung<br />

sind öffentlich-rechtliche<br />

Vorschriften. Dies brauchen Sie nicht<br />

zu begründen. Der öffentlich-rechtliche<br />

oder privatrechtliche Charakter einer<br />

Norm ist in aller Regel unproblematisch.<br />

Es ist daher nicht notwendig, <strong>die</strong> <strong>für</strong><br />

<strong>die</strong>se Abgrenzung vertretenen Theorien<br />

(Zuordnungstheorie, Subordinationstheorie,<br />

Interessentheorie, usw.) anzuführen.<br />

b) Nichtverfassungsrechtlicher Art<br />

Die Streitigkeit könnte nichtverfassungsrechtlicher<br />

Art sein. Eine<br />

Streitigkeit ist nur dann verfassungsrechtlicher<br />

Art, wenn eine sog. doppelte<br />

Verfassungsunmittelbarkeit vorliegt.<br />

Dazu ist erforderlich, dass zum einen<br />

zwei unmittelbar am Verfassungsleben<br />

Beteiligte (Verfassungsorgane oder<br />

deren Teile) streiten. Zum anderen<br />

muss um deren Rechte und Pflichten<br />

unmittelbar aus der Verfassung gestritten<br />

werden.<br />

Beide Voraussetzungen liegen hier<br />

nicht vor, sodass <strong>die</strong> Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher<br />

Art ist.<br />

c) Keine abdrängende Sonderzuweisung<br />

Eine abdrängende Sonderzuweisung<br />

<strong>für</strong> das Gebiet des Gewerberechts und<br />

damit <strong>für</strong> den hier vorliegenden Streit<br />

besteht nicht.<br />

<strong>hemmer</strong>-Methode: Abdrängende Sonderzuweisung<br />

bedeutet, dass eine<br />

Streitigkeit in einem anderen Rechtsweg<br />

(z.B. ordentliche Gerichte, Finanzgerichte,<br />

Sozialgerichte) als vor den<br />

Verwaltungsgerichten auszutragen ist.<br />

Vgl. dazu im Einzelnen Fall 3.<br />

Die Voraussetzungen des § 40 I VwGO<br />

liegen vor.


VerwR Kapitel I: Anfechtungsklage 3<br />

3. Ergebnis<br />

Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet.<br />

IV. Zusammenfassung<br />

• Wenn nicht wegen einer beamtenrechtlichen<br />

Streitigkeit § 126 I BBG<br />

eingreift, ist <strong>für</strong> <strong>die</strong> Eröffnung des<br />

Verwaltungsrechtswegs § 40 I<br />

VwGO zu prüfen.<br />

• Der öffentlich-rechtliche Charakter<br />

einer Streitigkeit ist gedanklich in<br />

drei Schritten zu prüfen:<br />

1. Was ist Streitgegenstand?<br />

2. Welche ist <strong>die</strong> streitentscheidende<br />

Norm?<br />

3. Ist <strong>die</strong>se Norm öffentlichrechtlich?<br />

• I.d.R. liegt hier kein Problem vor,<br />

daher sollten keine überlangen Ausführungen<br />

erfolgen, insbesondere<br />

kein Theorienstreit!<br />

V. Vertiefung<br />

• Hemmer/Wüst, Basics Öffentliches Recht II, Rn. 8 ff.<br />

• Hemmer/Wüst, Grundwissen Verwaltungsrecht, Rn. 23 ff.


4 Kapitel I: Anfechtungsklage VerwR<br />

Fall 2: Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs<br />

Sachverhalt:<br />

G möchte eine öffentliche Versammlung auf der Hauptstraße der Stadt W durchführen.<br />

Er meldet <strong>die</strong>s bei der zuständigen Behörde an (vgl. § 14 I Versammlungsgesetz<br />

- VersammlG). Daraufhin verbietet <strong>die</strong> Behörde <strong>die</strong> Versammlung, weil <strong>die</strong> Versammlung<br />

den Verkehr behindern würde. G fühlt sich dadurch in seinem Grundrecht auf<br />

Versammlungsfreiheit gem. Art. 8 I GG verletzt. Die Behörde müsse seine verfassungsrechtlich<br />

gewährleisteten Freiheiten beachten.<br />

Frage: Ist <strong>für</strong> eine Klage des G der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.<br />

I. Einordnung<br />

Der Verwaltungsrechtsweg ist nach<br />

§ 40 I VwGO nur dann eröffnet, wenn<br />

<strong>die</strong> öffentlich-rechtliche Streitigkeit<br />

nichtverfassungsrechtlicher Art ist.<br />

II. Gliederung<br />

1. Keine aufdrängende<br />

Sonderzuweisung<br />

2. § 40 I VwGO<br />

a) Öffentlich-rechtliche Streitigkeit<br />

(+), da <strong>die</strong> streitentscheidenden<br />

Normen aus dem VersammlG öffentlich-rechtlich<br />

sind.<br />

b) Nichtverfassungsrechtlicher Art<br />

keine doppelte Verfassungsunmittelbarkeit,<br />

da keine Beteiligten<br />

streiten, <strong>die</strong> unmittelbar am<br />

Verfassungsleben beteiligt sind.<br />

c) Keine abdrängende Sonderzuweisung<br />

3. Ergebnis: § 40 I VwGO (+)<br />

III. Lösung<br />

Fraglich ist <strong>die</strong> Eröffnung des<br />

Verwaltungsrechtswegs.<br />

1. Aufdrängende Sonderzuweisung<br />

Eine aufdrängende Sonderzuweisung<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Klage des G besteht<br />

nicht.<br />

2. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs<br />

aus § 40 I VwGO<br />

Der Verwaltungsrechtsweg könnte<br />

gem. § 40 I VwGO eröffnet sein.<br />

Dazu müsste <strong>die</strong> Klage des G eine<br />

öffentlich-rechtliche Streitigkeit darstellen,<br />

<strong>die</strong> nichtverfassungsrechtlicher<br />

Art ist, und <strong>für</strong> <strong>die</strong> keine abdrängende<br />

Sonderzuweisung eingreift.<br />

a) Öffentlich-rechtliche Streitigkeit<br />

Eine Streitigkeit ist öffentlichrechtlich,<br />

wenn <strong>die</strong> streitentscheidenden<br />

Normen öffentlich-rechtlich<br />

sind. Die Klage des G ist gegen das<br />

Verbot der Versammlung gerichtet.


VerwR Kapitel I: Anfechtungsklage 5<br />

Die hier<strong>für</strong> maßgeblichen Vorschriften<br />

finden sich im Versammlungsgesetz,<br />

insbesondere in § 15 I VersammlG.<br />

Dieses sind nach der Subordinationstheorie<br />

öffentlich-rechtliche Normen, da<br />

hoheitliches Tätigwerden vorliegt. Die<br />

Streitigkeit ist damit öffentlich-rechtlich.<br />

Anmerkung: Mit Inkrafttreten der Föderalismusreform<br />

zum 01.09.2006 hat<br />

der Bund auf seine Gesetzgebungskompetenz<br />

im Versammlungsrecht<br />

verzichtet. Das Bundesversammlungsgesetz<br />

gilt nach Art. 125a I GG aber<br />

dennoch solange weiter fort, bis es<br />

durch ein entsprechendes Landesgesetz<br />

ersetzt wird. Dies ist bislang u.a. in<br />

Bayern geschehen. Hier gilt seit dem<br />

01.10.2008 das BayVersG.<br />

b) Nichtverfassungsrechtlicher Art<br />

Die Streitigkeit müsste nichtverfassungsrechtlicher<br />

Art sein.<br />

Eine Streitigkeit ist dann verfassungsrechtlicher<br />

Art, wenn <strong>die</strong> sog. doppelte<br />

Verfassungsunmittelbarkeit vorliegt.<br />

Dazu ist erforderlich, dass zum einen<br />

zwei unmittelbar am Verfassungsleben<br />

Beteiligte (Verfassungsorgane) streiten.<br />

Zum anderen muss um deren Rechte<br />

und Pflichten unmittelbar aus der Verfassung<br />

gestritten werden.<br />

G ist hier der Ansicht, dass das Versammlungsverbot<br />

sein Grundrecht aus<br />

Art. 8 I GG verletzt. Ob <strong>die</strong>s tatsächlich<br />

so ist, ist eine Frage der Begründetheit.<br />

Sicher ist jedoch, dass das Grundrecht<br />

auf Versammlungsfreiheit hier zu beachten<br />

ist, denn <strong>die</strong> von G beabsichtigte<br />

Versammlung wird von <strong>die</strong>ser<br />

verfassungsrechtlichen Vorschrift geschützt.<br />

Bei einer Klage des G würde<br />

damit - zumindest auch - um verfassungsrechtliche<br />

Rechte des G gestritten<br />

werden.<br />

Die zweitgenannte Voraussetzung der<br />

sog. doppelten Verfassungsunmittelbarkeit<br />

ist daher gegeben.<br />

Jedoch müssten <strong>die</strong> Beteiligten <strong>die</strong>ses<br />

Streits solche sein, <strong>die</strong> unmittelbar am<br />

Verfassungsleben beteiligt sind. Dies<br />

ist hier hinsichtlich des G nicht der Fall,<br />

denn G ist eine „normale“ Privatperson<br />

und kein Verfassungsorgan. Ebenso ist<br />

<strong>die</strong> Behörde nicht unmittelbar am Verfassungsleben<br />

beteiligt.<br />

<strong>hemmer</strong>-Methode: Anhand des Falls<br />

wird klar, dass es nicht ausreichen<br />

kann, dass (auch) um Verfassungsrecht<br />

gestritten wird: Bei jeder öffentlich-rechtlichen<br />

Streitigkeit können<br />

Grundrechte eine Rolle spielen, da<br />

jegliche Staatsgewalt gem. Art. 1 III GG<br />

an <strong>die</strong> Grundrechte gebunden ist.<br />

Und: Jede belastende Maßnahme<br />

betrifft zumindest das Grundrecht auf<br />

allgemeine Handlungsfreiheit gem.<br />

Art. 2 I GG. Deshalb kann der Streit um<br />

verfassungsrechtliche Rechte und<br />

Pflichten allein nicht den „verfassungsrechtlichen“<br />

Charakter einer Streitigkeit<br />

begründen!<br />

Demnach liegt hier keine verfassungsrechtliche<br />

Streitigkeit vor. Diese ist<br />

vielmehr nichtverfassungsrechtlicher<br />

Art i.S.v. § 40 I VwGO.<br />

c) Keine abdrängende Sonderzuweisung<br />

Eine abdrängende Sonderzuweisung<br />

<strong>für</strong> das Gebiet des Versammlungsrechts<br />

und damit <strong>für</strong> den hier vorliegenden<br />

Streit besteht nicht.<br />

3. Ergebnis<br />

Der Verwaltungsrechtsweg ist gem.<br />

§ 40 I VwGO eröffnet.

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