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ZK-Nr. 13 36 - Kanton Bern

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<strong>ZK</strong> <strong>13</strong> <strong>36</strong>, publiziert Mai 20<strong>13</strong><br />

Entscheid der 1. Zivilkammer des Obergerichts des <strong>Kanton</strong>s <strong>Bern</strong><br />

vom 8. April 20<strong>13</strong><br />

Besetzung<br />

Oberrichter Studiger (Referent i.V.), Oberrichter Kunz und Oberrichterin Pfister Hadorn sowie<br />

Gerichtsschreiberin Künzi<br />

Verfahrensbeteiligte<br />

X. A.,<br />

vertreten durch Fürsprecherin Y.<br />

Beklagte/Beschwerdeführerin<br />

gegen<br />

X. B.,<br />

vertreten durch Rechtsanwalt Z.<br />

Kläger/Beschwerdegegner<br />

Gegenstand<br />

Kostenentscheid<br />

Beschwerde gegen die Verfügung des Regionalgerichts <strong>Bern</strong>-Mittelland vom 7. Januar 20<strong>13</strong><br />

Regeste:<br />

− Art. 106 und Art. 107 Abs. 1 Bst. c ZPO<br />

− Die Verfahrenskosten sind bei Ehescheidungsverfahren stets in Anwendung von Art. 107<br />

Abs. 1 Bst. c ZPO nach Ermessen zu verteilen. Dies gilt auch dann, wenn kein materieller<br />

Entscheid ergeht, weil bei einer Scheidungsklage die klagende Partei ihr<br />

Scheidungsbegehren zurückzieht.<br />

Redaktionelle Vorbemerkungen:<br />

Angefochten war ein erstinstanzlicher Kostenentscheid, welcher im Rahmen einer<br />

Abschreibungsverfügung erlassen wurde. Der Berufungsbeklagte zog die von ihm erhobene<br />

Scheidungsklage kurz vor der Hauptverhandlung zurück, worauf das<br />

Ehescheidungsverfahren infolge Klagerückzugs als gegenstandslos abgeschrieben wurde.


Die Gerichtskosten wurden den Parteien in Anwendung von Art. 107 Abs. 1 Bst. c ZPO je<br />

hälftig zur Bezahlung auferlegt. Die Beschwerdeführerin rügte im Beschwerdeverfahren, die<br />

Regelung von Art. 107 Abs. 1 Bst. c ZPO beziehe sich grundsätzlich nur auf Verfahren, in<br />

welchen die Hauptsache materiell entschieden werde. Der Spezialfall der<br />

Gegenstandslosigkeit wegen Klagerückzugs werde in Art. 106 Abs. 1, zweiter Satz, ZPO<br />

präzisiert, wonach die klagende Partei bei Klagerückzug als unterliegend zu gelten habe. Die<br />

besondere Kostenregelung von Art. 106 Abs. 1, zweiter Satz, ZPO gehe den Bestimmungen<br />

des Art. 107 ZPO vor.<br />

Die Kammer weist die Beschwerde ab.<br />

Auszug aus den Erwägungen:<br />

(...)<br />

IV.<br />

1. Gemäss Art. 106 Abs. 1 ZPO werden die Prozesskosten der unterliegenden Partei<br />

auferlegt. Bei Nichteintreten und bei Klagerückzug gilt die klagende Partei, bei<br />

Anerkennung der Klage die beklagte Partei als unterliegend. Das Gericht kann unter<br />

anderem in familienrechtlichen Verfahren von den Verteilungsgrundsätzen abweichen<br />

und die Prozesskosten nach Ermessen verteilen (Art. 107 Abs. 1 lit. c ZPO).<br />

2. Zu prüfen ist, ob die Bestimmung von Art. 107 Abs. 1 lit. c ZPO stets zur Anwendung<br />

gelangt, also auch bei Gegenstandslosigkeit eines Verfahrens wegen Rückzug der<br />

Scheidungsklage, oder ob in solchen Fällen die Kosten nach dem Unterliegerprinzip<br />

(Art. 106 Abs. 1 ZPO) zu verteilen sind. Nicht zur Anwendung gelangt Art. 107 Abs. 1<br />

lit. e ZPO, da das Gesetz sowohl für den Klagerückzug als auch für familienrechtliche<br />

Verfahren Spezialvorschriften vorsieht.<br />

3. Wie die Vorinstanz zu Recht festhält (pag. 239), herrscht in der Lehre Uneinigkeit<br />

darüber, ob die Kosten in familienrechtlichen Verfahren primär nach Art. 106 ZPO zu<br />

verlegen sind und Art. 107 Abs. 1 lit. c ZPO nur bei Vorliegen besonderer Umstände<br />

im Sinne einer Ausnahmeregelung zur Anwendung gelangen soll (vgl. etwa JENNY, in:<br />

SUTTER-SOMM/HASENBÖHLER/LEUENBERGER [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen<br />

Zivilprozessordnung (ZPO), 2. Auflage, Zürich/Basel/Genf 20<strong>13</strong>, N 12 zu Art. 107<br />

ZPO; STAEHELIN/STAEHELIN/GROLIMUND, Zivilprozessrecht, Zürich/Basel/Genf 2008, §<br />

16 N <strong>36</strong>; im Ergebnis auch RÜEGG, in: Basler Kommentar zur Schweizerischen<br />

Zivilprozessordnung, Basel 2010, N 1 f. zu Art. 107 ZPO) oder ob die<br />

Kostenverteilung in familienrechtlichen Verfahren stets nach Art. 107 Abs. 1 lit. c ZPO<br />

zu erfolgen hat (vgl. etwa STERCHI, in: <strong>Bern</strong>er Kommentar zur Schweizerischen<br />

Zivilprozessordnung, Band I, <strong>Bern</strong> 2012, N 2 zu Art. 107 ZPO; FANKHAUSER, das<br />

Scheidungsverfahren nach neuer ZPO, in: FamPra.ch 2010, S. 754 ff.; GASSER/RIKLI,<br />

Kurzkommentar Schweizerische Zivilprozessordnung, N 1 f. zu Art. 107 ZPO;<br />

URWYLER, in: DIKE-Kommentar ZPO, N 5 zu Art. 107 ZPO). Das Bundesgericht hat<br />

sich bislang soweit ersichtlich nicht zu dieser Frage geäussert.


Bereits die bernische Zivilprozessordnung enthielt eine entsprechende Bestimmung<br />

zur Kostenverteilung bei Streitigkeiten zwischen Ehegatten (Art. 58 ZPO BE). Die<br />

Verteilung der Kosten in Abweichung vom Unterliegerprinzip sollte die Parteien<br />

veranlassen, Streitigkeiten untereinander wenn irgend möglich aussergerichtlich zu<br />

erledigen (vgl. LEUCH/MARBACH/KELLERHALS/STERCHI, die Zivilprozessordnung im<br />

<strong>Kanton</strong> <strong>Bern</strong>, 5. Auflage, <strong>Bern</strong> 2000, N 8 zu Art. 58 ZPO BE). Die Einigung der<br />

Ehegatten über die Scheidung und die Scheidungsfolgen bildet eines der Hauptziele<br />

des geltenden Scheidungsrechts (vgl. SCHWENZER, FamKommentar Scheidung, Band<br />

I: ZGB, 2. Auflage, <strong>Bern</strong> 2011, N 19 zur Allgemeinen Einleitung). Wie die Vorinstanz<br />

richtigerweise festhält (pag. 239), muss der Anreiz sich aussergerichtlich zu einigen<br />

dabei auf beiden Seiten bestehen, weshalb auch die Kostenfolge beiden Parteien<br />

drohen soll. Bei einer Verteilung der Kosten nach dem Unterliegerprinzip würde der<br />

Anreiz zu einer aussergerichtlichen Einigung oder gar Versöhnung der Parteien<br />

zumindest für die klagende Partei (welche bei einem Rückzug der Scheidungsklage<br />

in Anwendung von Art. 106 Abs. 1 ZPO als unterliegend zu gelten hätte) wegfallen.<br />

Gemäss der Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung vom 28. Juni 2006<br />

liegt bei Scheidungen auf gemeinsames Begehren ein billiger Kostenentscheid auf<br />

der Hand, da es sinnwidrig wäre, in diesem Fall von obsiegenden und unterliegenden<br />

Parteien zu sprechen (vgl. Botschaft, S. 7297). Der Wortlaut der Botschaft lässt<br />

darauf schliessen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers zumindest bei<br />

Scheidungen auf gemeinsames Begehren die Kostenverteilung generell nach Art.<br />

107 Abs. 1 lit. c ZPO zu erfolgen hat. Unter die Bestimmung von Art. 107 Abs. 1 lit. c<br />

ZPO fallen jedoch nicht nur Scheidungen auf gemeinsames Begehren, sondern alle<br />

eherechtlichen Verfahren des 6. Titels (Art. 271 - 294 ZPO), mithin auch<br />

Ehescheidungsklagen (vgl. STERCHI, a.a.O., N 11 zu Art. 107 ZPO). Es erscheint<br />

folgerichtig, auch bei Scheidungsklagen die Kosten durchwegs nach Ermessen zu<br />

verteilen, da sich das Gericht letztlich bei einer Klage auf Scheidung mit denselben<br />

Themen zu befassen hat wie bei einer Scheidung auf gemeinsames Begehren. Hinzu<br />

kommt, dass auch bei Scheidungsklagen der Möglichkeit einer Einigung zwischen<br />

den Parteien grosses Gewicht zukommt, was sich unter anderem in der<br />

durchzuführenden Einigungsverhandlung (Art. 291 ZPO) zeigt.<br />

4. Zusammenfassend rechtfertigt es sich nach Ansicht der Kammer, die<br />

Verfahrenskosten bei Ehescheidungsverfahren stets nach Ermessen zu verteilen.<br />

Dies hat auch dann zu gelten, wenn kein materieller Entscheid ergeht, weil eine der<br />

Parteien ihr Scheidungsbegehren zurückzieht. Der Einwand der Beschwerdeführerin,<br />

wonach diese Praxis eine Verlockung für unüberlegte Klagen biete, ist insofern nicht<br />

zutreffend, als nach der <strong>Bern</strong>er Praxis die Gerichtskosten den Parteien je hälftig zur<br />

Bezahlung auferlegt werden. Ein Klagerückzug bleibt deshalb für die klagende Partei<br />

in jedem Fall nicht ohne Kostenfolgen. Bei einer offensichtlich unüberlegt erfolgten<br />

Scheidungsklage könnte im Rahmen der Ermessensausübung zudem in Abweichung<br />

von der <strong>Bern</strong>er Praxis auch eine Kostenverteilung zu Lasten der klägerischen Partei<br />

erfolgen.<br />

Die durch die Vorinstanz verfügte, hälftige Aufteilung der Gerichtskosten ist folglich zu<br />

bestätigen.


(...)<br />

Hinweis:<br />

Der Entscheid ist noch nicht rechtskräftig

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