Amazonen, Jungfern und Rennechsen - Universität Oldenburg
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<strong>Amazonen</strong>, <strong>Jungfern</strong> <strong>und</strong> <strong>Rennechsen</strong><br />
Von Smilla Ebeling<br />
Ausgehend von den „Feminist Science<br />
Studies“ sind auch die Naturwissenschaften<br />
im Kontext gesellschaftlicher<br />
Ordnungs- <strong>und</strong> Machtverhältnisse zu<br />
betrachten. Mit Blick auf die Kategorie<br />
„Geschlecht“ wird an Beispielen aus der<br />
Biologie aufgezeigt, dass nicht von objektiven<br />
naturwissenschaftlichen Tatsachen,<br />
sondern von historisch geb<strong>und</strong>enen <strong>und</strong><br />
kulturell vermittelten Wissensständen<br />
auszugehen ist.<br />
In diesem Beitrag geht es um Wechselwirkungen<br />
zwischen der Geschlechterordnung<br />
westlich-industrieller Gesellschaften <strong>und</strong> der<br />
naturwissenschaftlichen Wissensproduktion.<br />
Ein Beispiel dafür sind die evolutionsbiologischen<br />
Theorien über Parthenogenese.<br />
Unter diesem Begriff werden verschiedene<br />
Fortpflanzungsformen zusammengefasst,<br />
deren Eizellen sich ohne Befruchtung durch<br />
Spermien entwickeln. Zum Beispiel entwickeln<br />
sich die Eizellen der Eidechsenart<br />
Cnemidophorus uniparens <strong>und</strong> der Rädertiergruppe<br />
Bdelloidea immer ohne Befruchtung,<br />
während sich Blattläuse <strong>und</strong> Wasserflöhe<br />
abwechselnd parthenogenetisch <strong>und</strong> zweigeschlechtlich<br />
fortpflanzen. Die Weibchen<br />
der Fischart Poecilia formosa kopulieren<br />
hingegen mit artfremden Männchen, deren<br />
Spermien<br />
die Eizellen jedoch<br />
nicht<br />
Zwei kopulierende Cnemidophorus<br />
uniparens-Weibchen.<br />
„Feminist Science Studies“ has directed<br />
our attention towards power and control<br />
relationships in the natural sciences.<br />
With reference to the category „gender“,<br />
examples from the subject area biology<br />
show that historically based, culturally<br />
transmitted knowledge is operative here,<br />
rather than objective scientific fact.<br />
E I N B L I C K E N r. 4 3 / Fr ü h j a h r 2 0 0 6<br />
Carl von Ossietzky <strong>Universität</strong> <strong>Oldenburg</strong><br />
befruchten,<br />
sondern nur die Eizellenteilung<br />
anregen. Da in diesen <strong>Rennechsen</strong>-, Fisch<strong>und</strong><br />
Rädertierarten bisher keine Männchen<br />
gef<strong>und</strong>en wurden, werden sie als reine<br />
Weibchenarten bezeichnet. Die evolutionsbiologischen<br />
Darstellungen dieser reinen<br />
Weibchenarten spiegeln die Geschlechterverhältnisse<br />
westlicher industrieller Gesellschaften<br />
wider.<br />
Die deutsche Übersetzung des aus dem<br />
Griechischen stammenden Begriffs „Parthenogenese”<br />
lautet „<strong>Jungfern</strong>zeugung”.<br />
Dementsprechend finden sich in evolutionsbiologischen<br />
Texten Metaphern wie „Zölibat”,<br />
„Keuschheit”, „jungfräuliche Geburt”,<br />
„<strong>Jungfern</strong>” <strong>und</strong> „unbefleckte Empfängnis”.<br />
Über einen Sackfalter heißt es etwa: „Die<br />
Jungfer heißt Solenobia (...) Als Imago ist<br />
sie flügellos <strong>und</strong> harrt keusch <strong>und</strong> züchtig<br />
in ihrem Gehäuse aus wie eine Nonne in<br />
ihrem Kloster. Dort legt sie ihre Eier ab <strong>und</strong><br />
stirbt als Jungfrau, ohne es je verlassen <strong>und</strong><br />
sich je gepaart zu haben.” Die Weibchen der<br />
Fischart Poecilia formosa werden häufig als<br />
„jungfräuliche Weibchen” bezeichnet. Weibliche<br />
Insekten, Rädertiere <strong>und</strong> Fische, deren<br />
Eizellen sich ohne Befruchtung entwickeln,<br />
werden in dieser Metaphorik als „unberührt”,<br />
„rein” <strong>und</strong> „unschuldig” assoziiert. Die Metapher<br />
einer „unbefleckten<br />
Empfängnis” erinnert<br />
an das<br />
Bild Marias<br />
in der<br />
christlichen<br />
Religion,<br />
das mit<br />
dem Fortpflanzungsverhalten<br />
von Tieren verknüpft<br />
wird. Die Parthenogense<br />
wird dadurch auch mit der<br />
Vorstellung eines Gottes, der seinen<br />
Geist durch Maria weitergibt, verb<strong>und</strong>en.<br />
Maria kann dabei als Gefäß <strong>und</strong> Nährmaterial<br />
für Gottes Sohn angesehen werden. In<br />
diesem Kontext erscheint die rein weiblich<br />
geltende Parthenogenese als eine männliche<br />
Fortpflanzung.<br />
Auch in dem Beispiel der Poecilia formosa<br />
gibt es Parthenogenese eigentlich nicht. Ihr<br />
deutscher Trivialname lautet „<strong>Amazonen</strong>kärpfling”<br />
<strong>und</strong> verbindet die parthenogene-
EINBLICKE NR. 43 17<br />
tischen Fisch-Weibchen mit<br />
den <strong>Amazonen</strong> der griechischen<br />
Mythologie. So stehen<br />
die parthenogenetischen<br />
Fische im Kontext von Aberglaube<br />
<strong>und</strong> Fiktion <strong>und</strong> damit<br />
außerhalb wissenschaftlicher<br />
Rationalität. Nahegelegt<br />
wird durch die <strong>Amazonen</strong>-<br />
Metapher zudem, dass die<br />
<strong>Amazonen</strong>kärpflinge ebenso<br />
wie das besiegte Frauenvolk<br />
der <strong>Amazonen</strong> aussterben.<br />
In den biologischen Darstellungen<br />
der <strong>Rennechsen</strong>art<br />
Cnemidophorus uniparens<br />
wird deren eingeschlechtliche<br />
Fortpflanzung ebenfalls<br />
sprachlich negiert, wobei die bipolare<br />
Geschlechterkonzeption <strong>und</strong> die zweigeschlechtliche<br />
Fortpflanzung zitiert werden. So<br />
verwenden BiologInnen Begrifflichkeiten, die<br />
nur für die zweigeschlechtliche Fortpflanzung<br />
<strong>und</strong> nicht für die Cnemidophorus-Weibchen<br />
stimmig sind, wie etwa „weibchen- <strong>und</strong> männchen-ähnliches“<br />
Verhalten, „Pseudokopulationen“<br />
<strong>und</strong> durch Anführungsstriche hinterfragte<br />
Zuordnung zur Sexualität. Das folgende Zitat<br />
aus einem biologischen Lehrbuch illustriert<br />
die Darstellung als zweigeschlechtliche<br />
Fortpflanzung besonders krass: „Das obere<br />
Weibchen (‚M’) zeigt männchenähnliches,<br />
das untere (‚W’) weibchenähnliches Verhalten.<br />
‚M’ besteigt das paarungswillige ‚W’<br />
<strong>und</strong> ergreift mit seiner Schnauzenspitze die<br />
Nackenhaut von ‚W’. Wenige Minuten später<br />
schwingt ‚M’ seinen Schwanz unter ‚W’,<br />
<strong>und</strong> die Pseudokopulation erfolgt.“ In diesen<br />
Beschreibungen einer Tierart mit nur einem<br />
Geschlecht <strong>und</strong> einer entsprechenden eingeschlechtlichen<br />
Fortpflanzung wird ein kontinuierlicher<br />
Bezug zur Zweigeschlechtlichkeit<br />
<strong>und</strong> zur Heterosexualität hergestellt. Beide<br />
Konzeptionen werden dabei aufrechterhalten,<br />
die der eingeschlechtlichen Fortpflanzung<br />
hingegen diskursiv negiert.<br />
Parthenogenese <strong>und</strong> Männer<br />
Der Einfluss gesellschaftlicher Geschlechterverhältnisse<br />
auf biologische Beschreibungen<br />
wird auch durch den Bezug zu<br />
Männern deutlich. So wird etwa der Begriff<br />
„Mann” in der Rede über Tiere verwendet,<br />
oder es wird von parthenogenetischen Tieren<br />
auf die Situation von Männern geschlossen.<br />
Die Überschrift eines Kapitels, in dem Parthenogenese<br />
bei Wirbellosen thematisiert wird,<br />
lautet beispielsweise: „Die Abschaffung der<br />
Männer (Parthenogenese)”, <strong>und</strong> das Fehlen<br />
von Männchen wird als „dramatisch“ bezeichnet.<br />
Parthenogenese scheint also für Männer<br />
bedrohlich zu sein. In einem Text über mikroskopisch<br />
kleine Rädertiere heißt es: „Werden<br />
Männer jetzt völlig überflüssig? Genetik <strong>und</strong><br />
Reproduktionsmedizin entwickeln sich rasant.<br />
Eine friedliche, sexlose Mutter-Tochter-Gesellschaft,<br />
in der die Frauen unter sich bleiben,<br />
wird zur machbaren Utopie. Schließlich hat<br />
eine ganze Klasse im Tierreich, die Bdelloidea<br />
aus der Ordnung der Rädertierchen, in dreißig<br />
Millionen Jahren kein einziges Männchen<br />
hervorgebracht <strong>und</strong> sich dabei sehr erfolgreich<br />
auf dem Planeten verbreitet.”<br />
In ähnlicher Weise wird Parthenogenese bei<br />
Wirbeltieren mit einem „erschütterten männlichen<br />
Selbstbewusstsein“ <strong>und</strong> „dem Schicksal<br />
des Mannes“ verknüpft. Die Parthenogenese<br />
kann als Ausschluss von Männchen gelesen<br />
werden. Jedoch nur vor dem Hintergr<strong>und</strong><br />
einer männerzentrierten Perspektive <strong>und</strong> der<br />
Vorrangigkeit von Zweigeschlechtlichkeit<br />
wird die Bedrohlichkeit nachvollziehbar. Die<br />
folgenden Zitate verdeutlichen sowohl den<br />
expliziten Bezug zu Männern als auch die<br />
Wechselwirkungen zwischen gesellschaftlichen<br />
<strong>und</strong> wissenschaftlichen Diskursen.<br />
So heißt es über die Rädertiere, dass sie mit<br />
ihrem männchenlosen Leben eine „Antwort<br />
auf die Befreiungsbewegungen der Frauen“<br />
repräsentierten. In gleicher Weise habe die<br />
reine Weibchenart Poecilia formosa dem<br />
„Geschlechterkampf ein Ende gesetzt“ <strong>und</strong> die<br />
Weibchen würden in einem „feministischen<br />
Paradies“ leben.<br />
Das Bild des feministischen Paradieses impliziert,<br />
dass ein Leben ohne Männer für<br />
Feministinnen ein Paradies bedeuten würde.<br />
Hier wird nicht nur die Fortpflanzung der<br />
Weibchen in den Kontext der Frauenbewegungen<br />
gestellt, sondern die Abschaffung der<br />
Verschiedene<br />
reine<br />
Weibchenarten<br />
der<br />
parthogenetischen<br />
Bdelloidea.<br />
Männer wird als Ziel des Geschlechterkampfs<br />
bzw. der Frauenbewegung formuliert. In diesen<br />
Metaphern werden also Aussagen über<br />
die reinen Weibchenarten <strong>und</strong> auch über die<br />
gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisse<br />
getroffen. Wissenschaftliche Aussagen sind<br />
damit nicht unabhängig von gesellschaftlichen<br />
Verhältnissen, sondern immer auch<br />
von den dort herrschenden Vorstellungen<br />
geprägt. Im Falle biologischer Annahmen über<br />
Parthenogenese werden dabei Geschlechterverhältnisse,<br />
in denen beide Geschlechter als<br />
einander polar gegenüber stehende gedacht<br />
werden, mit dem Anschein des Natürlichen<br />
versehen <strong>und</strong> auf diese Weise gestärkt.<br />
Die Autorin<br />
Prof. Dr. Smilla Ebeling<br />
ist seit 2003 Juniorprofessorin<br />
für „Gender,<br />
Bio-Technologien<br />
<strong>und</strong> Gesellschaft: Körperdiskurse<br />
<strong>und</strong> Geschlechterkonstruktionen“<br />
am Institut<br />
für Soziologie sowie<br />
Mitglied der Sprecherinnengruppe<br />
des Zentrums für interdisziplinäre<br />
Frauen- <strong>und</strong> Geschlechterforschung<br />
(ZFG). Nach ihrem Biologiestudium <strong>und</strong><br />
einem Promotionsstudium im interdisziplinären<br />
Graduiertenkolleg „Strukturen, Genese<br />
<strong>und</strong> Folgen von Wissenschaft <strong>und</strong> Technik“<br />
(<strong>Universität</strong> Bielefeld) promovierte sie 2001<br />
an der TU Braunschweig. 2001-2002 war sie<br />
dort als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am<br />
Historischen Seminar <strong>und</strong> an der <strong>Universität</strong><br />
Basel als Wissenschaftliche Assistentin am<br />
Zentrum Gender Studies tätig. Ebelings<br />
aktueller Forschungsschwerpunkt ist die<br />
Geschlechterkonstruktion in der Biologie.