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Verfahrensrecht - Hamm und Partner, Rechtsanwälte

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Arbeitsunterlagen<br />

zum Sommerlehrgang 2007<br />

1. bis 9. September 2007<br />

Zell am See / Österreich<br />

"Neue Rechtsprechung zum Strafprozessrecht <strong>und</strong> Strafrecht<br />

- Bedeutung für die Praxis der Strafverteidigung"<br />

Referenten:<br />

Vorsitzender Richter am B<strong>und</strong>esgerichtshof a.D. Dr. Gerhard Schäfer<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Rainer <strong>Hamm</strong><br />

(Skripterstellung unter Verwendung des laufenden Rechtsprechungsdienstes bei<br />

http://www.hammpartner.de/de/rechtsprechung durch Frau Melanie Kilinc)<br />

Übersicht:<br />

<strong>Verfahrensrecht</strong>...............................................................................................................................2<br />

StGB - Allgemeiner Teil..............................................................................................................216<br />

StGB - Besonderer Teil ...............................................................................................................267<br />

Nebenstrafrecht ...........................................................................................................................348<br />

Inhaltsverzeichnis........................................................................................................................394


<strong>Verfahrensrecht</strong><br />

StPO § 22 – Richterausschluss infolge Zeugenaussage im Parallelverfahren<br />

BGH, Beschl. vom 22.05.2007-5 StR 530/06<br />

Sachgleichheit im Sinne des § 22 Nr. 5 StPO bedeutet nicht Verfahrensidentität <strong>und</strong> kann auch<br />

dann gegeben sein, wenn ein Richter in einem anderen Verfahren als Zeuge zu demselben Tatgeschehen<br />

vernommen worden ist, das er jetzt abzuurteilen hat.<br />

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 13. Juni 2006 nach § 349 Abs. 4<br />

StPO mit den Feststellungen aufgehoben.<br />

Die Sache wird zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landgericht<br />

zurückverwiesen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Meineides in Tateinheit mit Urk<strong>und</strong>enfälschung <strong>und</strong> mit versuchtem<br />

Betrug, wegen Beihilfe zum Betrug in zwei Fällen, Diebstahls <strong>und</strong> falscher Verdächtigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von drei Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.<br />

Der Angeklagte rügt nach § 338 Nr. 2 StPO, dass ein gemäß § 22 Nr. 5 StPO von der Ausübung des Richteramtes<br />

ausgeschlossener Richter bei dem Urteil mitgewirkt hat. Dem liegt folgender Sachverhalt zugr<strong>und</strong>e:<br />

Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen beruht die Verurteilung des Angeklagten wegen gemeinschaftlich<br />

begangenen Diebstahls (§§ 242, 25 Abs. 2 StGB) darauf, dass der Angeklagte die gesondert Verfolgten T.<br />

, R. <strong>und</strong> Ri. dazu bestimmt hat, zwei Warmluftgeräte von einer Baustelle zu entwenden <strong>und</strong> ihm in seine Werkstatt<br />

zu bringen. Gr<strong>und</strong>lage der Verurteilung des die Tat bestreitenden Angeklagten war die Aussage des gesondert Verfolgten<br />

T. .<br />

Während des Laufs der Hauptverhandlung wurde der Vorsitzende der Strafkammer in dem vor dem Amtsgericht<br />

Tiergarten in Berlin gegen den gesondert Verfolgten R. wegen derselben Straftat anhängigen Strafverfahren als Zeuge<br />

gehört. Er machte dabei Angaben über den Inhalt der Aussage des gesondert Verfolgten T. in der Hauptverhandlung<br />

vor dem Landgericht.<br />

Die zulässig erhobene Verfahrensrüge ist begründet. Der Vorsitzende der Strafkammer war seit seiner Vernehmung<br />

vor dem Amtsgericht für das vorliegende Verfahren nach § 22 Nr. 5 StPO ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift ist<br />

ein Richter von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen, wenn er in der Sache als Zeuge oder<br />

Sachverständiger vernommen ist.<br />

Der B<strong>und</strong>esgerichtshof hat bereits mehrfach entschieden, dass Sachgleichheit nicht Verfahrensidentität bedeutet <strong>und</strong><br />

auch dann gegeben ist, wenn ein Richter in einem anderen Verfahren als Zeuge zu demselben Tatgeschehen vernommen<br />

worden ist, das er jetzt abzuurteilen hat (vgl. BGHSt 31, 358, 359; BGH NStZ 2006, 113, 114; Meyer-<br />

Goßner, StPO 49. Aufl. § 22 Rdn. 19).<br />

Weiterhin ist der Vorsitzende vor dem Amtsgericht förmlich als Zeuge gehört worden. Hierin unterscheidet sich der<br />

Fall von anderen Sachverhalten, bei denen ein Richter lediglich eine dienstliche Erklärung über Vorgänge abgibt, die<br />

den Gegenstand des bei ihm anhängigen Verfahrens betreffen <strong>und</strong> die er im Zusammenhang mit seiner amtlichen<br />

Tätigkeit in dieser Sache wahrgenommen hat (vgl. hierzu BGHSt 7, 330, 331; 44, 4, 9 f.; 45, 354, 361 f.; BGHR<br />

StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Prozessverschleppung 12).<br />

Schließlich ist der Vorsitzende auch zum Tatgeschehen vernommen worden. Vernehmung ist insoweit nicht nur die<br />

Wiedergabe eigener Wahrnehmung zum Tatgeschehen. Vielmehr wird jede Zeugenaussage zu solchen Fragen erfasst,<br />

die im Hinblick auf die Schuld- <strong>und</strong> Straffrage später richterlich in tatsächlicher <strong>und</strong> rechtlicher Hinsicht bewertet<br />

werden müssen (vgl. BGHSt 31, 358, 359; BGH NStZ 2006, 113, 114).<br />

Vorliegend hat der Vorsitzende als Zeuge im Verfahren gegen den gesondert Verfolgten R. Angaben gemacht über<br />

den Inhalt der Aussage des Belastungszeugen T. . Im vorliegenden Verfahren war derselbe Sachverhalt mit demselben<br />

Beweismittel zu würdigen. Der Vorsitzende hat sich – vor der abschließenden Urteilsberatung in seiner Strafkammer<br />

– durch seine Angaben darauf festgelegt, welchen Inhalt die Aussage des Zeugen T. hatte, so dass Zweifel<br />

an seiner Unvoreingenommenheit für das vorliegende Verfahren denkbar sind.<br />

Die Vorschrift des § 22 StPO erfordert nicht den Nachweis, dass der entscheidende Richter tatsächlich voreingenommen<br />

ist. Es soll bereits durch eine generelle Regelung der bloße Anschein einer sachfremden Beeinflussung<br />

2


vermieden werden (vgl. BGHSt 31, 358, 359). Sinn <strong>und</strong> Zweck der Vorschrift entspricht es, dass ein Richter, der<br />

förmlich als Zeuge vernommen worden ist, von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen ist,<br />

wenn er über ein identisches Geschehen zu urteilen hätte (vgl. Schmid GA 1980, 285, 286; Otto StV 2006, 676, 679).<br />

Diese Rechtsfolge wird zu bedenken sein, wenn in derartigen Fällen ein Gerichtspräsident über die Erteilung einer<br />

Aussagegenehmigung für einen als Zeugen benannten Richter zu befinden hat. Durch eine Versagung der Aussagegenehmigung<br />

werden weder die Verteidigungsinteressen des Angeklagten noch die Pflicht des Gerichts zur Wahrheitsermittlung<br />

von vornherein eingeschränkt. Es sind vorzugsweise andere Personen, die ebenfalls an der Verhandlung<br />

teilgenommen haben, als Zeugen zu den in Frage stehenden Tatsachen zu hören (vgl. dazu auch BGHR StPO §<br />

244 Abs. 3 Satz 2 Prozessverschleppung 12 sowie BGHSt 45, 354, 361 f.).<br />

StPO § 24 – Keine Revisibilität der Ablehnung erstinstanzlicher OLG-Richter<br />

BGH, Beschl. vom 16.01.2007 – 3 StR 251/06<br />

Der Senat hält an seiner mit Beschluss vom 5. Januar 1977 (BGHSt 27, 96) begründeten Rechtsprechung<br />

fest, wonach die Revision gegen ein erstinstanzliches Urteil des Oberlandesgerichts gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

nicht darauf gestützt werden kann, das Gericht habe ein Ablehnungsgesuch gegen einen<br />

erkennenden Richter zu Unrecht verworfen.<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> nach Anhörung der Beschwerdeführer<br />

am 16. Januar 2007 einstimmig beschlossen: Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des<br />

Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 26. Oktober 2005 werden als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des<br />

Urteils auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat (§<br />

349 Abs. 2 StPO). Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Ergänzend bemerkt der<br />

Senat:<br />

I. Zu den Verfahrensrügen:<br />

1. Ablehnungsgesuche gegen Richter des erkennenden OLG-Senats: (Revisionen der Angeklagten A. , D. <strong>und</strong> S.)<br />

Der Senat hält an seiner mit Beschluss vom 5. Januar 1977 (BGHSt 27, 96) begründeten Rechtsprechung fest, wonach<br />

die Revision gegen ein erstinstanzliches Urteil des Oberlandesgerichts gr<strong>und</strong>sätzlich nicht darauf gestützt werden<br />

kann, das Gericht habe ein Ablehnungsgesuch gegen einen erkennenden Richter zu Unrecht verworfen. Der<br />

Auffassung des Senats hat sich auch das Schrifttum ganz überwiegend angeschlossen (Rudolphi in SK-StPO § 28<br />

Rdn. 2; Pfeiffer in KK 5. Aufl. § 28 Rdn. 8; Siolek in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 28 Rdn. 28; Meyer-Goßner,<br />

StPO 49. Aufl. § 28 Rdn. 8; aA Schmidt-Leichner NJW 1977, 1804). Entgegen der Auffassung der Revision gebietet<br />

auch Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK keine Änderung. Dem Recht eines Angeklagten auf ein unparteiisches Gericht wird<br />

durch seine Möglichkeit, erkennende Richter nach Maßgabe der §§ 24 ff. StPO abzulehnen <strong>und</strong> hierüber gemäß § 27<br />

Abs. 1 StPO die Entscheidung des Gerichts ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters herbeiführen zu können,<br />

ausreichend Rechnung getragen. Der Gewährung eines Rechtsmittelzuges bedarf es hierzu nicht (BVerfGE 45, 363,<br />

375). Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass in der Entscheidung des Senats vom 5. Januar 1977 ausdrücklich<br />

offen gelassen wurde, ob eine Rüge auch dann unstatthaft ist, wenn das Ablehnungsgesuch aus willkürlichen Erwägungen<br />

zurückgewiesen worden war. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die Zurückweisung der Gesuche, insbesondere<br />

auch soweit sie die Vorbefassung der Richter mit dem vorab abgeurteilten Mittäter Ab. betrafen, ist nicht nur<br />

nicht willkürlich, sondern sachgerecht.<br />

2. Zurückweisung von Fragen an den Zeugen Ab. : (Revision des Angeklagten A. ) Auch diese Rüge hat keinen<br />

Erfolg.<br />

a) Hinsichtlich der Frage, ob der Zeuge Kontakt zu Landsleuten habe, ist die Rüge unzulässig, da eine Anrufung des<br />

Gerichts nach § 238 Abs. 2 StPO unterblieben ist.<br />

b) Hinsichtlich der Frage, ob sich der Zeuge nochmals dem Zeugenschutz entzogen habe, ist die Rüge unbegründet.<br />

Denn insoweit hat der Vorsitzende seine ursprüngliche Zurückweisung der Frage selbst revidiert <strong>und</strong> den Zeugen zur<br />

Beantwortung veranlasst.<br />

c) Dagegen fehlt es für die Zurückweisung der Frage, ob der Zeuge über ein Mobiltelefon verfüge, an der erforderlichen<br />

Abwägung zwischen den Belangen des Zeugenschutzes <strong>und</strong> der Bedeutung der Beantwortung der Frage für den<br />

Schuld- <strong>und</strong> Rechtsfolgenausspruch, wie sie der Senat in seinem - nach den beanstandeten Vorgängen ergangenen -<br />

Urteil vom 15. Dezember 2005 (BGHSt 50, 319, 330 f.) postuliert hat. Indes kann ausgeschlossen werden, dass auf<br />

der Nichtbeantwortung dieser Frage das Urteil beruht. Ein Zusammenhang dieser Frage mit dem abgeurteilten Sach-<br />

3


verhalt oder eine sonstige Bedeutung für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch ist weder der Fragestellung oder<br />

der Revisionsbegründung zu entnehmen noch sonst ersichtlich. Bei dieser Sachlage wäre ernsthaft zu erwägen gewesen,<br />

ob die Frage auch gemäß § 241 Abs. 2 StPO als nicht zur Sache gehörend zurückgewiesen hätte werden können.<br />

d) Soweit die Revision weiter rügt, ihr sei im Zusammenhang mit der Verlesung eines Vermerks durch den Vorsitzenden<br />

das Fragerecht insgesamt entzogen worden, ist dies abwegig. Der Vorsitzende hat in seiner vom Gericht<br />

bestätigten Entscheidung, Rechtsanwalt H. vorübergehend das Wort zu entziehen, ausdrücklich klargestellt, dass<br />

hierdurch dessen Fragerecht unberührt bleibe <strong>und</strong> nur die ungestörte Verlesung eines kurzen Vermerks ermöglicht<br />

werden sollte. Es braucht nicht entschieden zu werden, ob die beanstandete Unterbrechung der Befragung des Zeugen<br />

Ab. durch die Verlesung des Vermerks rechtlichen Bedenken begegnet, da hierauf jedenfalls nichts beruht.<br />

Selbst wenn der Zeuge - ohne Unterbrechung - unzutreffende Angaben dazu gemacht hätte, ob er sich ein weiteres<br />

Mal dem Zeugenschutz entzogen habe, hätte dies ersichtlich zu keiner anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit des<br />

Zeugen durch das Oberlandesgericht geführt.<br />

3. Rüge der Verletzung des Art. 6 Abs. 3 d MRK: (Revision des Angeklagten A. )<br />

Da das Oberlandesgericht - wie der Generalb<strong>und</strong>esanwalt zutreffend ausgeführt hat - die Ladung des Auslandszeugen<br />

Aw. ohne Rechtsfehler gemäß § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO abgelehnt hat, ist das sich aus Art. 6 Abs. 3 d MRK<br />

ergebende Recht auf die Heranziehung von Entlastungszeugen nicht verletzt. Auch das durch diese Regelung gewährleistete<br />

Recht auf Befragung eines Zeugen ist in der erforderlichen Gesamtschau gewahrt. Der Zeuge Ab. wurde<br />

an 50 Verhandlungstagen vernommen <strong>und</strong> von den Verteidigern umfangreich befragt. Im Übrigen wird hierzu auf<br />

die Ausführungen unter 2. verwiesen.<br />

4. Beweisantrag auf Vernehmung des Auslandszeugen B. : (Revision des Angeklagten S. )<br />

Die Beanstandung der Revision, das Oberlandesgericht habe über den hilfsweise gestellten Antrag, dem Zeugen im<br />

Falle einer Unerreichbarkeit oder sonstiger Ladungshindernisse einen Fragenkatalog zur Beantwortung zukommen<br />

zu lassen, nicht entschieden, ist nicht begründet. Wie sich aus dem Beschluss vom 23. August 2005 ergibt, wurde mit<br />

ihm der Beweisantrag vom 6. Juli 2005 vollständig, also einschließlich der Hilfserwägung, gemäß § 244 Abs. 5 Satz<br />

2 StPO zurückgewiesen, weil die Vernehmung des Zeugen durch die Aufklärungspflicht nicht geboten sei. Dies<br />

schließt die hilfsweise Vorlegung eines Fragenkatalogs ein.<br />

II. Sachlich-rechtliche Beanstandungen der Revision des Angeklagten S. :<br />

1. Die Urteilsfeststellungen belegen, dass der Angeklagte S. gemeinschaftlich mit Ab. versucht hat, den Mitangeklagten<br />

M. zur ungenehmigten Beschaffung von Kriegswaffen zu bestimmen (§ 30 Abs. 1 Satz 1 StGB). Danach<br />

hatte zunächst S. die Idee, u. a. mit Handgranaten einen Anschlag auf ein für jüdisch gehaltenes Objekt in E. zu begehen,<br />

für das Ab. die Waffen beschaffen sollte, der sich seinerseits an M. wandte (UA S. 45, 46). Über die weiteren<br />

Bemühungen wurde S. von Ab. informiert <strong>und</strong> gegenüber M. in dieser Beschaffungsangelegenheit als sein Vertreter<br />

benannt (UA S. 52). Als M. schließlich eine konkrete Bezugsquelle in Ha. gef<strong>und</strong>en hatte, forderte er S. auf, eine<br />

verbindliche Billigung der Kauforder gegenüber M. abzugeben, was S. befolgte (UA S. 52).<br />

2. Die Rüge, die Strafrahmenmilderung nach § 30 Abs. 1 Satz 2 StGB sei zu Unrecht nicht gewährt worden, geht ins<br />

Leere, da der Strafrahmen des § 129 a StGB <strong>und</strong> nicht der des Verbrechens, zu dem angestiftet werden sollte, zur<br />

Anwendung gelangt ist.<br />

3. Auch die Beanstandung der Strafzumessungserwägungen ist unberechtigt:<br />

a) Ausländerrechtliche Folgen sind in der Regel keine bestimmenden Strafzumessungsgründe (st. Rspr.; vgl. Nachw.<br />

bei Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 46 Rdn. 43 c).<br />

b) Die Erwägungen zur besonderen Gefährlichkeit der von den Angeklagten gebildeten Vereinigung <strong>und</strong> zur Schwere<br />

der von ihr ins Auge gefassten Straftaten stellen auf die im Vergleich zu anderen denkbaren terroristischen Vereinigungen<br />

besondere Schwere ab <strong>und</strong> verstoßen somit nicht gegen § 46 Abs. 3 StGB.<br />

c) Dass S. sich gegenüber Ab. drängend verhalten hat, wird durch den auf UA S. 191 f. mitgeteilten Sachverhalt<br />

belegt.<br />

4


StPO § 24 StPO, StGB § 266 Pressekontakte als Ablehnungsgr<strong>und</strong> –( Fall Allianz-Arena München)<br />

BGH, Urt. vom 09.08.2006 - 1 StR 50/06 -<br />

- Zur Richterablehnung wegen Pressekontakten<br />

- Untreue (§ 266 StGB) <strong>und</strong> Bestechlichkeit (§ 299 StGB)<br />

1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom<br />

13. Mai 2005 werden verworfen.<br />

2. Die Staatskasse trägt die durch das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft entstandenen Kosten <strong>und</strong> die dem Angeklagten<br />

dadurch entstandenen notwendigen Auslagen.<br />

3. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten W. wegen Untreue in Tateinheit mit Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr<br />

zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt. Der Angeklagte wendet sich mit seiner<br />

auf Verfahrensrügen <strong>und</strong> die Sachrüge gestützten Revision gegen seine Verurteilung. Die Staatsanwaltschaft greift<br />

das Urteil mit ihrer zuungunsten des Angeklagten eingelegten, auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten <strong>und</strong> auf<br />

die Sachrüge gestützten Revision an. Beide Rechtsmittel haben keinen Erfolg.<br />

A.<br />

Gegenstand des Verfahrens sind Zahlungen des Baukonzerns A. an den Angeklagten W. <strong>und</strong> den Mitangeklagten D.<br />

- der keine Revision eingelegt hat - im Zusammenhang mit dem Bau des Stadions "Allianz-Arena" in München. Das<br />

Landgericht hat zum Ausschreibungsverfahren <strong>und</strong> zu den Zahlungen des A. Konzerns an die Mitangeklagten folgende<br />

Feststellungen getroffen:<br />

1. Die Vereine FC Bayern München <strong>und</strong> TSV München von 1860 strebten den Bau eines fußballgerechten Stadions<br />

in München an, mit dem auch eine Bewerbung der Stadt München als Austragungsort für Spiele der Fußballweltmeisterschaft<br />

2006 unterstützt werden sollte. Am 19. Juli 2001 wurde die europäische Ausschreibung des Bauprojekts<br />

im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens bekannt gegeben. Dabei wurden Planung <strong>und</strong> Bau gemeinsam ausgeschrieben.<br />

Zusammen mit Vertretern der Vereine wurde ein Lenkungsausschuss gebildet, der sich mit organisatorischen<br />

Fragen befasste. Diesem gehörte auch der Angeklagte an. Aus einer Vielzahl von Angeboten wählten die<br />

Vereine acht Bietergemeinschaften aus <strong>und</strong> gaben diese am 30. August 2001 bekannt. Ein aus mehreren Personen<br />

gebildetes Obergutachtergremium - bestehend aus Vertretern planender Berufe, aus der Politik <strong>und</strong> dem Fußball -<br />

sollte auf Basis der eingereichten <strong>und</strong> für den weiteren Wettbewerb ausgewählten Beiträge eine Empfehlung abgeben.<br />

Diesem Obergutachtergremium gehörte der Angeklagte ebenfalls an. Die abschließende Vergabeentscheidung<br />

behielten sich die beiden Fußballvereine vor. Nach einer Zusammenkunft am 29./30. November 2001 empfahl das<br />

Obergutachtergremium den Vereinen, das Verhandlungsverfahren nur noch mit zwei Bietern fortzusetzen. Die verbliebenen<br />

Bieter waren die Bietergemeinschaft A. Deutschland GmbH/ Architekturbüro H. sowie die Firma B.<br />

GmbH/ Architekturbüro G. M. <strong>und</strong> P. (nachfolgend: B.). Am 12. Dezember 2001 gründeten die Vereine als Bauherren<br />

die Allianz Arena München Stadion GmbH (nachfolgend: Stadion GmbH). Die Stadion GmbH trat als Bauherrin<br />

des neuen Fußballstadions auf. Gesellschafter wurden je zur Hälfte die Kapitalgesellschaften der beiden Fußballvereine.<br />

Der Angeklagte war gleichrangig neben dem Zeugen Prof. S. vom 12. Dezember 2001 bis März 2004 Geschäftsführer<br />

der Stadion GmbH <strong>und</strong> damit umfassend verantwortlich für deren Vermögens- <strong>und</strong> Geschäftsinteressen.<br />

Darüber hinaus war der Angeklagte vom 28. Dezember 2001 bis März 2004 Geschäftsführer der TSV München<br />

1860 Geschäftsführungs GmbH, d.h. der Komplementärin der vereinseigenen KG aA, welche ihrerseits Mitgesellschafterin<br />

der Stadion GmbH war. Für beide Funktionen erhielt er jeweils eine Vergütung von jährlich 200.000 €<br />

netto. Am 31. Januar 2002 gaben die beiden verbliebenen Bieter A. Deutschland GmbH sowie B. ihre Letztangebote<br />

ab. Auf deren Gr<strong>und</strong>lage sollte endgültig über den Zuschlag entschieden werden. Am 8. Februar 2002 entschieden<br />

die Kapitalgesellschaften der Vereine, den Auftrag an die A. Deutschland GmbH zu vergeben. Vorausgegangen war<br />

ein dahingehendes Votum des Obergutachtergremiums, welches einstimmig ausfiel. Der Vertrag zwischen der Stadion<br />

GmbH <strong>und</strong> der A. Deutschland GmbH zum Bau eines Stadions wurde am 25. Februar 2002 geschlossen. Die<br />

Auftragssumme betrug einschließlich optionaler Gewerke insgesamt 285.917.206,69 €. Dem Zuschlag an die A.<br />

Deutschland GmbH ging Folgendes voraus:<br />

2. Der Angeklagte war neben seinen Tätigkeiten für den TSV 1860 München <strong>und</strong> für die Gremien im Zusammenhang<br />

mit dem Neubau der Allianz Arena auch - gemeinsam mit seinem Vater K. W. - geschäftsführender Gesellschafter<br />

der "W. Hi. Immobilien GmbH" (nachfolgend: WHI). Geschäftsgegenstand der WHI, die ihren Sitz in Dresden<br />

hat <strong>und</strong> ein Büro in München unterhält, war u. a. der Handel mit Immobilien sowie die Verwaltung <strong>und</strong> Errich-<br />

5


tung von Immobilien. Die Geschäfte in München betreute der Vater des Angeklagten, während dieser sich um das<br />

Dresdener Geschäft zu kümmern hatte. Der Mitangeklagte war Inhaber der Firma "D. Immobilien-Consulting" mit<br />

Sitz in München <strong>und</strong> war Inhaber einer Maklerlizenz. Gegenüber der A. Deutschland GmbH, deren Geschäftsführer<br />

der anderweitig verfolgte Al. junior (nachfolgend: Al. jun.) war, hatte der Mitangeklagte erhebliche Schulden. Ab<br />

1994 hatte er in Dresden auch geschäftlichen Kontakt mit der WHI <strong>und</strong> dem Angeklagten, mit dem er seit langem<br />

befre<strong>und</strong>et war. Gegenüber der WHI hatte D. r<strong>und</strong> 400.000 € Schulden.<br />

3. Auf Betreiben des Mitangeklagten fand am 6. Juli 2001 in den Münchener Geschäftsräumen der WHI ein Gespräch<br />

der beiden Angeklagten mit Al. jun. statt. Dabei wurde auch über das Stadionprojekt gesprochen. Der Angeklagte<br />

riet, die A. Deutschland GmbH solle sich gemeinsam mit dem Architektenbüro H. bewerben. Al. junior kündigte<br />

an, den Tipp seinem Vater, dem in Salzburg residierenden Konzernchef Al. -O. (nachfolgend: Al. sen.) weiterzugeben.<br />

Der Angeklagte glaubte zu diesem Zeitpunkt noch, dass der Mitangeklagte für Auftragsnachweise eine<br />

Maklerprovision von der A. Deutschland GmbH beanspruchen konnte, die zwischen ihnen beiden intern geteilt werden<br />

sollte. Aus dem Anteil des Mitangeklagten sollten die Schulden bei der WHI bezahlt werden. Am 26. Juli 2001<br />

übersandte der Mitangeklagte per Fax den veröffentlichten Mitteilungstext über das Verhandlungsverfahren bezüglich<br />

des Stadionneubaus an Al. jun.. Dieses Fax wurde in der Folgezeit der A. Deutschland GmbH zugeleitet, die sich<br />

an dem Ausschreibungsverfahren beteiligte.<br />

4. Die Bemühungen des Mitangeklagten, für den Hinweis auf das Ausschreibungsverfahren eine Provisionszahlung<br />

zu erlangen, schlugen jedoch fehl. Am 27. November 2001 traf sich der Mitangeklagte mit einem Angestellten der A.<br />

Deutschland GmbH mit dem Ziel, diesen zur Unterschrift unter eine von dem Mitangeklagten vorbereitete schriftliche<br />

Provisionsvereinbarung zu bewegen. Den Text hatte er dem Angeklagten gezeigt <strong>und</strong> mit diesem die verlangte<br />

Vergütung von 1,5 % der Auftragssumme abgestimmt. Der Angestellte der A. Deutschland GmbH machte jedoch<br />

eine wohlwollende Behandlung des "Provisionsthemas" vom Verrat von Insiderinformationen abhängig. In einem<br />

weiteren Treffen am 19. Dezember 2001 zeigte sich der Konzernchef Al. sen. dem von dem Mitangeklagten erhobenen<br />

Provisionsanspruch ablehnend gegenüber. Er erklärte, der Kostenrahmen sei zu eng, als dass er eine Maklerprovision<br />

- noch dazu in Höhe der verlangten 1,5 % der Auftragssumme - zusagen könne; allenfalls erscheine ihm eine<br />

Vergütung von 0,75 % denkbar, die er aber auch nur bezahlen könne, wenn in der Kalkulation dafür Raum durch<br />

Einsparungen geschaffen werde. Die dazu nötigen Informationen solle der Mitangeklagte über den Angeklagten<br />

beschaffen. Außerdem suche er - Al. sen. - bezüglich der Vergabe <strong>und</strong> für die Bauphase einen "Ansprechpartner".<br />

Dem Mitangeklagten wurde klar, dass Al. sen. nicht bereit war, ihm den Hinweis zu honorieren, welcher die Bewerbung<br />

der A. Deutschland GmbH um den Stadionauftrag ausgelöst hatte. Eine Zahlung seitens A. sollte vielmehr als<br />

Gegenleistung dafür erfolgen, dass der Angeklagte Auskünfte über geheime Daten aus dem Vergabeverfahren erteilte,<br />

die der A. Deutschland GmbH Einsparpotentiale aufzeigen würden. Gegenleistung für die Zahlung sollte auch die<br />

Vermittlung einer gewogenen Kontaktperson sein, welche eine Vergabe des Auftrags an die A. Deutschland GmbH<br />

erleichtern sollte.<br />

5. Im Rahmen des Bietergesprächs vom 8. Januar 2002 präsentierten die beiden Bieter vor Vertretern der Bauherrenseite<br />

(u. a. dem Angeklagten) ihre Projekte. Die Präsentation der Bietergemeinschaft A. Deutschland GmbH misslang<br />

dabei völlig, da nach Auffassung aller Beteiligten erhebliche Defizite fortbestanden, die seit dem letzten Bietergespräch<br />

hätten abgearbeitet werden sollen. In mehreren gemeinsamen Treffen mit Vertretern des A. Konzerns im<br />

Hotel "Kempinski" am Flughafen München zwischen dem 9. <strong>und</strong> dem 15. Januar 2002 erkannte der Angeklagte,<br />

dass Al. sen. zwar auf den Bewerbungstipp immer noch nichts bezahlen würde, den Auftrag für die Konzerntochter<br />

A. Deutschland GmbH aber unbedingt anstrebte. Dabei zeigte sich dieser bereit, erhebliche Summen aufzuwenden,<br />

wenn sich der Angeklagte für eine Vergabe an die A. Deutschland GmbH einsetzen <strong>und</strong> als Ansprechpartner für die<br />

Bauphase zur Verfügung stehen würde. In einem weiteren Gespräch im Hotel "Bayerischer Hof" in München am 17.<br />

Januar 2002 fragte Al. sen. den Angeklagten, wie viel Geld der Mitangeklagte der WHI schulde. Der Angeklagte, der<br />

wusste, dass die Schulden sich auf r<strong>und</strong> 800.000 DM beliefen, antwortete wahrheitswidrig, sie betrügen 5,5 Millionen<br />

DM. Al. sen. sicherte die Zahlung von 5,5 Millionen DM für den Fall des Zuschlags mündlich zu, weil er den<br />

Angeklagten zunächst als Fürsprecher bei der Vergabe, später auch als gewogenen Ansprechpartner in der Bauphase,<br />

namentlich bezüglich weiterer Nachtragsaufträge brauchte. Darüber hinaus erwartete er, dass der Angeklagte die<br />

Konzerntochter weiter mit Informationen über das Angebot des Mietbieters versorgen würde. Beiden Angeklagten<br />

war klar, dass dies die Gegenleistung für die in Aussicht gestellte Zahlung war, diese also ein Schmiergeld darstellte;<br />

sie bezeichneten sie gleichwohl als "Provision".<br />

6. Nachdem die A. Deutschland GmbH am 8. Februar 2002 den Zuschlag erhalten hatte, kam es zu einer Reihe von<br />

Treffen zwischen dem Mitangeklagten <strong>und</strong> Vertretern des A. Konzerns sowie einem Beauftragten der WHI. Es wurde<br />

vereinbart, die Gelder in drei Tranchen aufgr<strong>und</strong> von Scheinrechnungen <strong>und</strong> lediglich pro forma geschlossener<br />

Vereinbarungen zu zahlen. Der Angeklagte wollte mit Zahlungen im Zusammenhang mit dem Bauauftrag für das<br />

6


Stadion nicht in Verbindung gebracht werden. Der A. Konzern zahlte in der Folge aufgr<strong>und</strong> der Schmiergeldvereinbarungen<br />

an den Mitangeklagten insgesamt 2.812.094,82 € (entsprechend 5.499.979,41 DM), was ungefähr 1 % der<br />

Auftragssumme für den Stadionbau ausmachte. Dieser leitete hiervon insgesamt 2.587.779,50 € an den Angeklagten<br />

weiter.<br />

B. Die Revision des Angeklagten<br />

I. Die Verfahrensrügen sind unbegründet. Näherer Erörterung bedarf nur die Rüge, an dem Urteil habe in der Person<br />

der VRinLG Dr. Kn. eine Richterin mitgewirkt, nachdem sie wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt <strong>und</strong> das<br />

Ablehnungsgesuch zu Unrecht verworfen worden sei (Verstoß gegen § 24 Abs. 2 in Verbindung mit § 338 Nr. 3<br />

StPO).<br />

Dem Ablehnungsgesuch liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugr<strong>und</strong>e:<br />

1. Zu Prozessbeginn am 30. November 2004 erschien in der Münchener Abendzeitung (nachfolgend: AZ) auf Seite<br />

eins ein Artikel mit einer auf die Vorsitzende gemünzten Schlagzeile:<br />

"Heute Münchens größter Schmiergeldprozess: W. zittert vor Frau Gnadenlos", Unterzeile: "Richterin Kn. verknackte<br />

schon Boris Be. ."<br />

Aufgr<strong>und</strong> von Leserbeschwerden richtete der Chefredakteur der AZ am 1. Dezember 2004 ein Schreiben an die<br />

Vorsitzende, in dem er bedauerte, dass mit der Schlagzeile "eine Assoziation zu dem damaligen Hamburger Richter<br />

Sch. , dem sog. Richter Gnadenlos hergestellt" worden sei. Dies sei nicht die Absicht der AZ gewesen: "er bedauere<br />

dies <strong>und</strong> entschuldige sich dafür". Mit Schreiben vom 3. Dezember 2004 wandte sich die Präsidentin des Landgerichts<br />

München I an den Chefredakteur der AZ <strong>und</strong> schrieb u.a.: Schon allein durch den Bezug zu dem ehemaligen<br />

Hamburger Richter Sch. (jedenfalls nach dessen Bild in der Öffentlichkeit) stelle die Schlagzeile im Artikel vom 30.<br />

November 2004 eine ehrverletzende Äußerung dar. Der Vergleich sei "nicht nachvollziehbar" <strong>und</strong> könne so nicht<br />

stehen bleiben: "Frau Kn. ist als besonders integre Richterpersönlichkeit anerkannt, in ihrer Verhandlungsführung ist<br />

sie höflich <strong>und</strong> fair. Sie berücksichtigt dabei auch immer die menschlichen Aspekte. Ich gehe davon aus, dass die<br />

Abendzeitung in ihrer weiteren Berichterstattung über den W. -Prozess von ihrer anfänglichen Entgleisung deutlich<br />

abrückt." Die Präsidentin des Landgerichts brachte dieses Schreiben der Vorsitzenden <strong>und</strong> der Staatsanwaltschaft<br />

München I zur Kenntnis. Mit Schreiben vom 7. Dezember 2004 wandte sich der Chefredakteur der AZ an die Präsidentin<br />

des Landgerichts: "Niemals war es die Absicht der Abendzeitung, Frau Dr. Kn. mit Herrn Sch. zu vergleichen.<br />

Wenn dieser Eindruck entstanden ist, bedauern wir das. Ich habe dies auch bereits Frau Dr. Kn. versichert." Die<br />

Präsidentin des Landgerichts brachte auch dieses Schreiben der Vorsitzenden am 10. Dezember 2004 zur Kenntnis.<br />

2. Die Vorsitzende hatte sich ihrerseits schon am 6. Dezember 2004 direkt an die Chefredaktion der AZ gewandt <strong>und</strong><br />

mit Bezug auf das Entschuldigungsschreiben vom 1. Dezember 2004 eine öffentliche Entschuldigung verlangt: "Bitte<br />

haben Sie Verständnis dafür, dass ich trotz Ihrer Entschuldigung den Vorfall so nicht auf sich beruhen lassen kann.<br />

Der Gr<strong>und</strong> ist nicht etwa, dass ich mich selbst so wichtig nehme, sondern dass ich auch heute noch - fast eine Woche<br />

nach Ihrer ehrverletzenden Schlagzeile - ständig damit konfrontiert werde <strong>und</strong> keine Lust habe, diese Beleidigungen<br />

fortdauern zu lassen. … Abgesehen von dem sich aufdrängenden Vergleich mit Herrn Sch. , der für sich bereits eine<br />

Beleidigung darstellt, habe ich mir in meiner fünfzehnjährigen Zugehörigkeit zur Münchner Strafjustiz bei Staatsanwaltschaft<br />

<strong>und</strong> besonders bei Verteidigern den Ruf erworben, eben gerade nicht gnadenlos zu sein. Ein gnadenloser<br />

Richter stellt darüber hinaus eine Fehlbesetzung dar, wodurch Sie mit Ihrer Schlagzeile außer meiner Person auch<br />

meine Behörde beleidigen. Diesen guten Ruf haben Sie einer Schlagzeile willen angegriffen, ob ruiniert, wird sich<br />

zeigen. Es kann daher nicht angehen, dass Sie mich öffentlich beleidigen <strong>und</strong> diskriminieren, um sich dann "im stillen<br />

Kämmerlein" zu entschuldigen. … Suchen Sie daher nach einem anderen Weg, um Ihr Unrecht wieder gutzumachen;<br />

dieses lapidare Schreiben jedenfalls kann dies nicht erreichen."<br />

3. Die Hauptverhandlung wurde an vier weiteren Verhandlungstagen fortgesetzt. Am Morgen des fünften Verhandlungstages,<br />

dem 21. Dezember 2004, erschien folgender Artikel in der AZ, der im Zentrum der Verfahrensrüge steht:<br />

"Gesteht W. alles?" Unterzeile: "Die geschickte Verhandlungsstrategie der Richterin könnte Prozess abkürzen."<br />

"München. "Als Richter hat man gegenüber einem Angeklagten auch eine Fürsorgepflicht“ erklärt Kn. , die Vorsitzende<br />

der 4. Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht München I, ihren persönlichen Verhandlungsstil. Vor der Top-<br />

Juristin wird am heutigen Dienstag wieder W. jun. wegen der Stadion-Schmiergelder auf der Anklagebank Platz<br />

nehmen. Dessen Anwalt Dr. Ga. hatte am vergangenen Verhandlungstag eine herbe Niederlage einstecken müssen.<br />

Ga. wollte, dass gegen die Vertreter der Baufirma A. nicht in einem späteren Prozess allein verhandelt wird, sondern<br />

dass sich die mutmaßlichen Bestecher zusammen mit W. rechtfertigen müssen. Eine solche Aussetzung hätte den<br />

Prozess aber auf unbestimmte Zeit verzögert, was wiederum die U-Haft für W. jun. verlängert hätte. "Wollen Sie das<br />

wirklich?“ fragte Richterin Kn. den Angeklagten. Und als W. kleinlaut “Nein, eigentlich nicht, aber … “ sagte, war<br />

das juristische Waterloo für Ga. perfekt. Boris Be. war da klüger. Als der einstige Tennisstar wegen Steuerhinterziehung<br />

vor Kn. stand, akzeptierte er ohne wenn <strong>und</strong> aber seine Bewährungsstrafe. Auch hier hatte die Strafkammer, die<br />

7


aus drei Berufsrichtern <strong>und</strong> zwei Schöffen besteht, ein Urteil gefällt, das in Justizkreisen als angemessen <strong>und</strong> fair<br />

bewertet wurde. Lehrgeld mussten dagegen T. <strong>und</strong> F. Ha. bezahlen. Als die Kammer die einstigen Börsenstars "wegen<br />

vorsätzlich falscher Darstellung der Vermögensverhältnisse der Firma EM-TV“ zu 240 Tagessätzen verurteilte,<br />

gingen die Ha. -Brüder in Revision <strong>und</strong> kassierten prompt vor dem B<strong>und</strong>esgerichtshof die nächste Schlappe. ... Der<br />

Münchner Anwalt [Dr. Bo. ] hat die Erfahrung gemacht, dass durch den menschlichen Umgang der Richter mit den<br />

Angeklagten viele Verfahren sogar deutlich schneller abgeschlossen werden konnten. Bo. : "Viele Angeklagte fassen<br />

geradezu zu der Vorsitzenden Kn. regelrecht Vertrauen, erkennen ihre faire Verhandlungsführung. Häufig erleichtert<br />

dies Geständnisse der Angeklagten oder gar den Verzicht auf eine teuere Revision beim B<strong>und</strong>esgerichtshof, die keiner<br />

Seite nützt.“<br />

Gut möglich also, dass W. jun. heute oder an einem der anderen Verhandlungstage seine Verteidigungsstrategie<br />

ändert <strong>und</strong> alles gesteht. Vorteil für ihn: In der Regel fällt nach einem Geständnis das Urteil um bis zu einem Drittel<br />

niedriger aus.“<br />

Nach der Sitzung am 21. Dezember 2004 sprach die Vorsitzende den Artikel gegenüber dem Verteidiger Prof. Dr.<br />

Bu. an <strong>und</strong> schlug vor, ein von ihr zuvor angebotenes Rechtsgespräch in nicht öffentlicher Sitzung stattfinden zu<br />

lassen, um der Presse "keine weitere Munition" zu geben.<br />

4. Am 22. Dezember 2004 erhielt die Verteidigung einen Hinweis, dass die Vorsitzende am Entstehen des Artikels<br />

vom 21. Dezember 2004 beteiligt gewesen sei. Um genauere Informationen hierüber zu erhalten, bat die Verteidigung<br />

des Angeklagten die Vorsitzende in einem Schreiben vom 23. Dezember 2004 um eine unverzügliche Stellungnahme:<br />

"Sehr geehrte Frau Vorsitzende, die Unterzeichner bedauern, Sie mit dem im Betreff genannten Artikel<br />

(Anlage) befassen zu müssen. Uns ist gestern - nach Ende der Hauptverhandlung - mitgeteilt worden, dass der nämliche<br />

Artikel vom Rechtsanwalt der Abendzeitung, Herrn Dr. Bo. , mit Ihnen besprochen worden sein soll. Rechtsanwalt<br />

Bo. soll mit Ihnen wegen einer Beschwerde der Landgerichtspräsidentin über die Berichterstattung der Abendzeitung<br />

zu Ihrer Person im Zusammenhang mit dem W. -Prozess geredet <strong>und</strong> mit Ihnen einen neuen "günstigeren“<br />

Artikel abgesprochen haben. Darüber hinaus soll Ihnen der Inhalt zumindest in Teilen vor Veröffentlichung bekannt<br />

geworden sein. Sie wissen, dass die Verteidiger einem derart konkreten Hinweis nachgehen müssen <strong>und</strong> bitten Sie<br />

daher um eine kurzfristige Stellungnahme.“ Die Vorsitzende antwortete mit einem Schreiben vom selben Tag u.a.:<br />

"Der Artikel in der Abendzeitung ist mir am Dienstagvormittag von einem Kollegen auf den Schreibtisch gelegt<br />

worden, <strong>und</strong> er hat mich alles andere als begeistert, da er mich sehr unter Druck gesetzt hat. … Es ist richtig, dass<br />

Herr Rechtsanwalt Bo. mit einem Entwurf eines Artikels bei mir war, allerdings hat dieser Artikel mit dem, was<br />

später von der Redaktion daraus gemacht wurde, nicht mehr so sehr viel gemeinsam. Vor allem war in dem mir vorab<br />

überlassenen Artikel nicht die Rede von einem Geständnis des Herrn W. , noch von meiner geschickten Verhandlungsführung<br />

oder sonstigem, es war vielmehr das Thema, ob ich in meinen Entscheidungen gnadenlos, streng oder<br />

milde bin." Die Verteidigung ersuchte die Vorsitzende in einem zweiten Schreiben, ebenfalls noch vom 23. Dezember<br />

2004, um genauere Auskunft über den Inhalt des Gesprächs mit dem Anwalt der AZ, Rechtsanwalt Dr. Bo. : "Ihr<br />

Schreiben vom 23. Dezember 2004 hat uns hinsichtlich der Genese Ihrer Mitwirkung an dem in Rede stehenden<br />

Artikel der Abendzeitung – „Gesteht W. alles? Die geschickte Verhandlungsstrategie der Richterin könnte Prozess<br />

abkürzen“ - verunsichert, da wir nun von Ihnen bestätigt erhalten, dass der Entwurf für diesen Zeitungsartikel abgestimmt<br />

wurde. Sie teilen uns mit, dass der auf der Basis dieses Entwurfs <strong>und</strong> ihres Gesprächs mit Rechtsanwalt Dr.<br />

Bo. von der Abendzeitung veröffentlichte Artikel „nicht mehr so sehr viel gemeinsam“ mit dem Ihnen vorgelegten<br />

Text habe <strong>und</strong> beziehen sich auf Passagen des Artikels vom 21. Dezember 2004, der die Empfehlung an den Angeklagten<br />

enthält, ein „Geständnis“ abzulegen. Wir bitten um Auskunft, ob diese Empfehlung - oder sonstige Sachverhalte<br />

unseres Prozesses - Gegenstand Ihres Gespräches mit dem Beauftragten der Abendzeitung war. Ihrem Schreiben<br />

können wir allerdings nicht entnehmen, ob die in dem AZ-Artikel wiedergegebenen Wertungen des Verteidigungsverhaltens<br />

sowie einer - sinnentstellt zitierten - Äußerung des Herrn W. zum Antrag auf Aussetzung des Verfahrens<br />

bereits in dem mit Ihnen abgestimmten Entwurf enthalten war. Wir müssen Sie deshalb ersuchen, den von<br />

Ihnen von Rechtsanwalt Dr. Bo. zur Abstimmung vorgelegten Entwurf (sowie eventuelle, bei ihrem Gespräch vereinbarte<br />

Korrekturen) zu den Gerichtsakten <strong>und</strong> der Verteidigung zur Einsicht zu geben, damit feststellbar ist, welche<br />

Passagen <strong>und</strong> Formulierungen mit Ihnen tatsächlich abgestimmt sind bzw. waren. Ebenso bitten wir Sie, mit den in<br />

Ihrem Schreiben an uns vom 23. Dezember 2004 angesprochenen schriftlichen Mitteilungen zu verfahren, welche<br />

die Frau Landgerichtspräsidentin <strong>und</strong> Sie selbst an die Abendzeitung gerichtet haben. Diese Mitteilungen beinhalten<br />

eine gerichtspräsidiale <strong>und</strong> richterliche Kritik an der Berichterstattung des Blattes zum Auftakt des W. -Prozesses<br />

<strong>und</strong> betreffen somit das Verfahren 4 KLs … . Der Vollständigkeit halber fügen wir zu Ihren weiteren Hinweisen in<br />

Ihrem Schreiben vom 23. Dezember 2004 noch an, dass Sie „am Dienstag nach der Sitzung mit Herrn Prof. Bu. “<br />

zwar den in Rede stehenden AZ-Artikel in allgemeinen Formulierungen angesprochen, mit keinem Wort aber erwähnt<br />

haben, dass ein Entwurf zu diesem Artikel von der Abendzeitung mit Ihnen vorbesprochen war. Die Verteidi-<br />

8


gung wurde über diese Vorgeschichte ohne jede Kenntnis gehalten. Ebenso wurden wir erst durch Ihr Schreiben vom<br />

23. Dezember 2004 unterrichtet, warum Sie - entgegen Ihrem Angebot an uns - das Rechtsgespräch am 22. Dezember<br />

2004 in öffentlicher Sitzung haben stattfinden lassen. Die Verteidigung bittet, ihr die erbetenen Unterlagen bzw.<br />

eventuelle Rückäußerungen rechtzeitig vor der Fortsetzung der Hauptverhandlung am Dienstag, den 11. Januar 2005,<br />

zur Verfügung zu stellen." Mit Schreiben vom 29. Dezember 2004 antwortete die Vorsitzende: "Es trifft nicht zu,<br />

dass der von ihnen angesprochene Artikel in der Abendzeitung mit mir abgestimmt oder in sonstiger Weise mit mir<br />

abgesprochen war. Richtig ist, dass ich einen Tag vor Erscheinen des Artikels einen Entwurf hiervon zur Kenntnis<br />

erhielt. … Herr Rechtsanwalt Dr. Bo. war am Tag vor dem Erscheinen des schließlich veröffentlichten Artikels einige<br />

Minuten bei mir im Büro. Unmittelbar vorher hatte er mir per Fax den neuen Artikel im Entwurf übermittelt.<br />

Dazu bemerkte er, dass die Redaktion halt alles geändert hatte. … Soweit die Abendzeitung in dem Artikel <strong>und</strong> im -<br />

schließlich auch realisierten - Titelvorschlag ein mögliches umfassendes Geständnis Ihres Mandanten ansprach,<br />

überraschte mich dies ebenso wie Sie. Herr Rechtsanwalt Dr. Bo. erklärte mir dazu sinngemäß, das beruhe auf der<br />

Entschließung, die die Redaktion aufgr<strong>und</strong> des bisher beobachteten Prozessverlaufs gefasst habe. … Selbstverständlich<br />

befindet sich der gesamte Vorgang bei den Akten.“ Die Verteidigung nahm am 30. Dezember 2004 Einsicht in<br />

die Verfahrensakten. Hieraus wurde ersichtlich, dass der gesamte mit Schreiben vom 3. Dezember 2004 eingeleitete<br />

Vorgang am 27. Dezember 2004 zu den Akten genommen worden war.<br />

5. Am 4. Januar 2005 reichte der Angeklagte ein Ablehnungsgesuch gegen die Vorsitzende ein. Darin brachte er<br />

unter anderem vor:<br />

a) Die abgelehnte Vorsitzende habe die Verfolgung eigener Ansprüche mit dem von ihr dienstlich betreuten <strong>und</strong> als<br />

Vorsitzende Richterin auch noch geleite ten Strafverfahren gegen den Angeklagten verb<strong>und</strong>en. Sie habe dabei ihrer<br />

Anspruchsgegnerin - der AZ - gesetzlich nicht vorgesehene Wege der Informationssammlung eröffnet. Sie habe an<br />

einem veröffentlichten Presseartikel mitgewirkt, der den Angeklagten in sinnentstellender Weise zitiere <strong>und</strong> die<br />

Entscheidung über einen noch nicht verbeschiedenen hilfsweise gestellten Aussetzungsantrag vorwegnehme. Die<br />

abgelehnte Vorsitzende habe entgegen ihrer Fürsorgepflicht weder den Angeklagten noch die Verteidigung vor dem<br />

Erscheinen dieses Artikels informiert, obwohl die Veröffentlichung den Angeklagten in seinen Rechten verletze. Sie<br />

habe den Vorgang vor den Prozessbeteiligten verborgen <strong>und</strong> dadurch das faire Verfahren verletzt, indem sie diesen<br />

nicht rechtzeitig zur Akte gegeben habe; darüber hinaus habe sie die Verteidigung mit irreführenden Angaben bedient.<br />

Die abgelehnte Vorsitzende habe schließlich den anwaltlichen Vertreter ihrer Anspruchsgegnerin vom Inhalt<br />

des von ihr beabsichtigten Rechtsgesprächs informiert. Um Ihrer geschickten Prozessstrategie, die den Prozess verkürzen<br />

sollte, Nachdruck zu verleihen, habe sie dem Angeklagten eine höhere Strafe für den Fall angedroht, dass der<br />

Prozess länger dauere <strong>und</strong> er nicht freigesprochen werde.<br />

b) Der Angeklagte führte weiter aus, im Auftrag der AZ habe Rechtsanwalt Dr. Bo. die Vorsitzende am 17. Dezember<br />

2004 in ihrem Dienstzimmer aufgesucht <strong>und</strong> ihr einen ersten Entwurf eines "Wiedergutmachungsartikels" vorgelegt:<br />

"Die Vorsitzende der (XXX?) 4. Wirtschaftsstrafkammer beim Landgericht München I, Kn. , ist eine erfahrene<br />

Juristin, bei der schon Boris Be. (Steuern) <strong>und</strong> auch die Ha. -Brüder (EM-TV) „K<strong>und</strong>en“ gewesen seien. Boris hatte<br />

ihr Urteil sofort akzeptiert. Die Ha. -Brüder wollten es nicht glauben. Der B<strong>und</strong>esgerichtshof hat sie jetzt eines besseren<br />

belehrt <strong>und</strong> das Urteil der Strafkammer <strong>und</strong> die Fairness des Verfahrens bestätigt. … Daneben zeichnet sich die<br />

Vorsitzende dadurch aus, dass sie den Angeklagten als Menschen nie aus den Augen verliert. So durften sich die<br />

Eheleute W. in Sitzungspausen - natürlich unter polizeilicher Aufsicht - miteinander unterhalten oder gar umarmen.<br />

Dem Vater W. erlaubte sie, seinen Sohn in Ruhe zu besuchen, ohne dass dies die Medien erfuhren. Solche Zugeständnisse<br />

sind keine Selbstverständlichkeiten in Prozessen, in denen Angeklagte in Untersuchungshaft sitzen. Ihre<br />

Art der Prozessleitung führt nicht selten dazu, dass die Angeklagten zur Vorsitzenden regelrecht Vertrauen fassen,<br />

weil sie die besonders faire Verhandlungsführung erkennen. Häufig erleichtert dies Geständnisse der Angeklagten<br />

oder gar den Verzicht auf teure Revisionen beim B<strong>und</strong>esgerichtshof. Gerade für die Kombination aus Fachkompetenz<br />

<strong>und</strong> Menschlichkeit ist die Vorsitzende in Justizkreisen <strong>und</strong> Anwaltschaft bekannt. Ihre Prozessführung <strong>und</strong><br />

Urteile haben Frau Kn. den Ruf einer hervorragenden Spitzenjuristin eingebracht.<br />

Herr W. darf bei ihr mit Fug <strong>und</strong> Recht Gerechtigkeit mit menschlichem Augenmaß erwarten." Die Vorsitzende habe<br />

den Entwurf des Artikels handschriftlich kommentiert: "Bitte irgendwo erwähnen, dass sich AZ entschuldigt hat".<br />

Am 20. Dezember 2004 habe Rechtsanwalt Dr. Bo. der Vorsitzenden per Telefax einen zweiten Entwurf mit dem<br />

handschriftlichen Vermerk übersandt: „Die AZ musste den Text aus redaktionellen Gründen - Aktualität - ändern",<br />

"Sind Sie mit diesem Text auch einverstanden?" In diesem zweiten Entwurf, der dem am 21. Dezember 2004 erschienenen<br />

Artikel sehr nahe komme, habe die Vorsitzende dem Text über die "klein-laute" Antwort des Angeklagten<br />

auf ihre Frage "Wollen Sie das wirklich?" den Kommentar "So nicht richtig" angefügt. Den Absatz im Entwurf:<br />

"Gerne bedienen die Betroffenen dann nach einem strengen Urteilsspruch das Klischee der "Frau Gnadenlos", um<br />

eine Niederlage zu erklären" habe die Vorsitzende ebenso durchgestrichen wie den Vorschlag für die dann doch<br />

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erschienene Überschrift: "Gesteht W. alles? Die geschickte Verhandlungsstrategie der Richterin könnte Prozess<br />

abkürzen."<br />

6. Am 5. Januar 2005 gab die Vorsitzende zu dem Ablehnungsgesuch folgende dienstliche Stellungnahme ab. Darin<br />

heißt es u.a.: "Der Vorwurf, dass ich an dem genannten Artikel mitgewirkt hätte, liegt aus meiner Sicht neben der<br />

Sache. Ich habe mich um die Wahrung meiner Rechte gekümmert, um zu vermeiden, dass ich nochmals beleidigt<br />

werde. Wie man das als "Mitwirkung“ meinerseits (oder auch "Abstimmung" mit mir) bezeichnen oder den Standpunkt<br />

vertreten kann, ich hätte redaktionell mitgearbeitet, ist mir unerklärlich. Nebenbei habe ich Herrn Dr. Bo. , wie<br />

Ihnen bekannt ist, auf das fehlerhafte Zitat aufmerksam gemacht. Wie die Redaktion diesen Hinweis umsetzt, war<br />

deren Sache. Genauso wenig habe ich mich in die Entscheidung der Redaktion darüber eingemischt, wie die Abendzeitung<br />

den bisherigen Verfahrensverlauf beurteilt <strong>und</strong> welche Spekulationen sie über den weiteren Verfahrensgang<br />

anstellen will <strong>und</strong> welche Worte sie dabei im Einzelnen wählt. Für die Berichterstattung der Abendzeitung, die wegen<br />

des Artikels auf mich zukam <strong>und</strong> nicht umgekehrt, trage ich keine Verantwortung. … Ebenso wenig habe ich<br />

eine Verpflichtung übernommen, den Angeklagten oder seine Verteidiger über beabsichtigte Abendzeitungsartikel<br />

vorab zu informieren. Ich stehe auf dem Standpunkt, dass der Angeklagte sich mit der Abendzeitung selbst auseinandersetzen<br />

muss, wenn er sich durch deren Berichterstattung in seinen Rechten verletzt fühlt. … Dass ich die Abendzeitung<br />

vom Inhalt des beabsichtigten Rechtsgesprächs vorab informiert hätte, trifft nicht zu. Insbesondere habe<br />

ich Herrn Rechtsanwalt Dr. Bo. gegenüber mit keinem Wort erwähnt, dass, wann <strong>und</strong> wie beabsichtigt sei, mit den<br />

Prozessbeteiligten in ein Rechtsgespräch einzutreten. Dass ein solches sich anbieten könnte, hatten wir bereits am<br />

vierten Sitzungstag öffentlich erörtert. Wenn meine Äußerungen im Gespräch vom 22. Dezember 2004 als Drohung<br />

bezeichnet werden, so liegt das aus meiner Sicht neben der Sache. Ich habe nicht mit einer "höheren Strafe gedroht",<br />

sondern versucht, insbesondere dem nicht gerichtserfahrenen Angeklagten W. die Vorzüge eines Geständnisses darzulegen,<br />

sofern es etwas zu gestehen gebe. Über ein konkret denkbares Strafmaß wurde nicht gesprochen." In einem<br />

weiteren Schreiben vom 5. Januar 2005 an die Verteidiger teilte die Vorsitzende u.a. mit: "Das erste Gespräch mit<br />

Herrn Dr. Bo. habe ich alleine geführt. Beim zweiten Gespräch war der Kollege We. mit anwesend, weil er zufällig<br />

gleichzeitig zu mir ins Zimmer kam. Gemeinsam mit mir hat der Kollege We. Herrn Dr. Bo. den zutreffenden Wortlaut<br />

der Erklärung Ihres Mandanten zur Aussetzungsfrage aus dem Gedächtnis zu vermitteln versucht. … Ob <strong>und</strong><br />

wie bisher der Richter oder die Richterin eingeb<strong>und</strong>en war, welche/-r die Aufgaben eines Pressereferenten des Landgerichts<br />

München I wahrnimmt, ist mir nicht bekannt. Mir ist auch nicht bekannt, dass beim Landgericht München I<br />

für Strafsachen überhaupt ein Richter/eine Richterin Pressereferent(in) ist."<br />

7. Mit Schriftsatz vom 10. Januar 2005 erstreckte der Angeklagte sein Befangenheitsgesuch auf Ausführungen der<br />

abgelehnten Vorsitzenden aus der dienstlichen Stellungnahme. Sie habe erneut unwahre Behauptungen aufgestellt<br />

<strong>und</strong> erklärt, dass sie sich nach wie vor nicht dem Gebot der Fürsorge für den Angeklagten verpflichtet fühle, wenn<br />

gegenüber diesem unsachliche Angriffe durch die Presse erfolgten <strong>und</strong> sie vor Erscheinen dieser Artikel eine Einflussmöglichkeit<br />

gehabt habe. Schließlich habe sie in Zweifel gezogen, ob der Vorgang um die Berichterstattung der<br />

AZ überhaupt in die Akten gehört habe.<br />

8. Die Strafkammer des Landgerichts München I forderte am 10. Januar 2005 telefonisch eine Stellungnahme von<br />

Rechtsanwalt Dr. Bo. zu dem Befangenheitsgesuch gegen die Vorsitzende an, die per Fax am selben Tag beim<br />

Landgericht einging. Darin legte Rechtsanwalt Dr. Bo. dar, dass er nach Erscheinen des Artikels vom 30. November<br />

2004 mit der Überschrift „W. zittert vor Frau Gnadenlos“ vom Chefredakteur der AZ gebeten worden sei, einen<br />

tagesaktuellen Wiedergutmachungsartikel zu entwerfen. Da zu diesem Zeitpunkt gerade die Entscheidung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs<br />

über die Zurückweisung der Revisionen der Ha. -Brüder gegen ein Urteil der 4. Strafkammer veröffentlicht<br />

worden sei, habe er über die Vorteile eines Geständnisses berichten wollen; diese Gr<strong>und</strong>idee habe allein aus<br />

seiner Feder gestammt <strong>und</strong> sei weder von der Redaktion noch von Frau Kn. in irgendeiner Form angeregt worden.<br />

Mit diesem Textentwurf sei er dann am 17. Dezember 2004 zu Frau Kn. gefahren, um ihr den Entwurf zu zeigen.<br />

"Wir diskutierten inhaltlich lediglich, dass ein besonderer Absatz in den Textentwurf eingefügt werden sollte, der<br />

noch einmal ausdrücklich auf die ursprüngliche Berichterstattung der Abendzeitung mit dem Begriff "Frau Gnadenlos"<br />

eingehen sollte. Am darauf folgenden Montag erhielt ich dann von der Redaktion der Abendzeitung einen ganz<br />

erheblich geänderten Artikelentwurf, in dem sich zwar einige Passagen meines Ursprungsartikels befanden, der aber<br />

sehr viel stärker auf das aktuelle Verfahren gegen Herrn W. junior Bezug nahm <strong>und</strong> insbesondere Spekulationen über<br />

ein mögliches Geständnis von Herrn W. enthielt. In diesem Entwurf der Redaktion war erstmals diese Passage enthalten,<br />

dass Herr W selbst seine Verteidigungsstrategie ändern <strong>und</strong> alles gestehen könnte. Diesen Entwurf überarbeitete<br />

ich im direkten Kontakt mit der AZ-Redaktion ohne Information oder Beteiligung von Frau Kn. . Mit dieser<br />

überarbeiteten Version, die gleichzeitig einen Überschriftenvorschlag formuliert hatte: "Gesteht W. alles?“ mit der<br />

Unterzeile "Die geschickte Verhandlungsstrategie der Richterin könnte Prozess abkürzen“, begab ich mich dann<br />

erneut zu Frau Kn. . Dort teilte mir Frau Kn. mit, dass Herr W. auf die Frage, ob er die Konsequenz einer Verfah-<br />

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ensaussetzung wirklich wolle, nicht mit einem „Nein,“ sondern mit einer differenzierten Antwort reagiert hatte. Dies<br />

notierte ich mir handschriftlich mit: "Eigentlich nicht … andererseits“. ... Außerdem bat sie schlussendlich darum,<br />

den auf ihren Wunsch eingefügten Absatz mit dem Begriff "Frau Gnadenlos" nun doch ganz wegzulassen, weil sie<br />

nach meiner Einschätzung nun eine Wiederholung dieses Begriffes doch nicht mehr für ihr Anliegen förderlich hielt.<br />

Auch dies habe ich schriftlich notiert. ... Die Streichungen im Zusammenhang mit meiner Person erfolgten erst nach<br />

diesem Gespräch ohne Veranlassung oder Information von Frau Kn. . ... Frau Kn. teilte mir in den Besprechungen<br />

keine Interna des Verfahrens W. mit <strong>und</strong> kommentierte die Entwürfe auch nicht in den Teilen, die nicht verändert<br />

wurden. Sie äußerte sich auch nicht zur geplanten <strong>und</strong> später gedruckten Überschrift. Ein oder zweimal sagte sie<br />

sinngemäß, dass sie nicht in den redaktionellen Text der AZ eingreifen wolle <strong>und</strong> dies die Redaktion auch sicherlich<br />

nicht zulasse. Ich persönlich hatte den Eindruck, dass es Frau Kn. nur darum gegangen war, dass der negative <strong>und</strong><br />

nach ihrer Ansicht unberechtigte Eindruck einer "gnadenlosen" Person in der Zeitung korrigiert wurde. Der Textaufhänger<br />

"W. prozess" wurde von ihr als redaktionelle Notwendigkeit akzeptiert, spielte aber nach meiner Einschätzung<br />

für ihr eigenes Anliegen überhaupt keine Rolle.“<br />

9. Die Strafkammer berücksichtigte das Schreiben von Rechtsanwalt Dr. Bo. in ihrer Entscheidung nicht mehr,<br />

brachte es aber der Verteidigung am 12. Januar 2005 zur Kenntnis. Mit Beschluss vom 11. Januar 2005 wies die<br />

Strafkammer den Befangenheitsantrag vom 4. Januar 2005 zurück. Soweit der Antrag nicht bereits unzulässig sei,<br />

wurde er als unbegründet zurückgewiesen, da die vorgebrachten Gründe bei verständiger Würdigung nicht geeignet<br />

seien, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der Vorsitzenden zu rechtfertigen (§ 24 Abs. 2 StPO).<br />

10. Am 11. Januar 2005 erschien in der AZ folgende Stellungnahme: "Am 30. November 2004 erschien die Abendzeitung<br />

mit der Schlagzeile "Heute Münchens größter Schmiergeldprozess: W. zittert vor Frau Gnadenlos.“ Leider<br />

konnte durch diese Schlagzeile der Eindruck entstehen, die Prozessführung der Vorsitzenden Richterin Kn. ähnle<br />

dem b<strong>und</strong>esweit als Rechtspopulisten bekannten "Richter Gnadenlos" Sch. . Diese Assoziation war von der Redaktion<br />

nicht beabsichtigt. Die Abendzeitung hat sich deshalb bei Frau Kn. entschuldigt. Um diese Entschuldigung auch<br />

öffentlich deutlich zu machen, verfasste der Anwalt der Abendzeitung, Dr. Bo. , Mitte Dezember einen eigenen Artikel<br />

über Frau Kn. . Die Redaktion der Abendzeitung lehnte aber aus journalistischen Gründen ab, diesen Text zu<br />

drucken. Stattdessen wurde von der Redaktion im Vorfeld des Verhandlungstages vom 21. Dezember ein neuer Artikel<br />

über den Fall W. verfasst – <strong>und</strong> zwar ohne jedes Zutun von Frau Kn. <strong>und</strong> nach allgemein-journalistischen Maßstäben.<br />

In diesem Artikel kommt auch Dr. Bo. als Zeitzeuge zu Wort, der die Prozessführung von Frau Kn. seit Jahren<br />

kennt. Aus diesem Gr<strong>und</strong> wurde dieser Text mit Herrn Dr. Bo. besprochen. Und mit ein paar unwesentlichen<br />

Änderungen in der Ausgabe vom 21. Dezember 2004 veröffentlicht. Die Redaktion“.<br />

II. Die Revision hat zur Begründung ihrer Verfahrensbeschwerde ausgeführt, die Strafkammer habe das Gesuch zu<br />

Unrecht zurückgewiesen. Die Vorsitzende habe über die niveaulose Schlagzeile "W. zittert vor Frau Gnadenlos" zu<br />

Recht empört gewesen sein können. Nicht diese Empörung führe zur Besorgnis ihrer Befangenheit, sondern die<br />

Besorgnis der Befangenheit werde begründet mit der unglücklichen Reaktion der Vorsitzenden auf den empörenden<br />

Artikel <strong>und</strong> vollends durch ihr nachträgliches Vertuschungsbemühen.<br />

1. Es erscheine ausgeschlossen, dass ein Richter, der darauf hingewirkt habe, dass seine richterliche Tätigkeit in<br />

einer Rechtssache in der Presse in einer bestimmten Weise beschrieben werde, in dieser Sache weiter als Richter<br />

tätig sein könne. Die Vorsitzende habe selbst dazu beigetragen <strong>und</strong> daran mitgewirkt, dass die AZ gewissermaßen als<br />

Ausgleich <strong>und</strong> Wiedergutmachung für die Charakterisierung "Richterin Gnadenlos" ihre richterliche Tätigkeit "in<br />

ganz ungewöhnlicher Weise rühmend hervorgehoben" habe. Die Vorsitzende dürfe sich um ihrer Unabhängigkeit<br />

willen mit einer solchen überhöhenden Darstellung nicht einverstanden erklären, erst recht nicht dadurch, dass sie<br />

den entsprechenden Presseartikel im Vorhinein "redigiere" <strong>und</strong> "absegne". Nachdem ihr der von Rechtsanwalt Dr.<br />

Bo. verfasste "Wiedergutmachungsartikel" zur Billigung vorgelegen habe, sei die Vorsitzende unbedingt gehalten<br />

gewesen, sich gegen "das barocke Übermaß des Lobpreises" zu verwahren. Ein Richter, der aktiv dazu beitrage, dass<br />

er in dieser Weise in einem laufenden Verfahren als praktisch das Verfahren "allein entscheidender richterlicher<br />

Übermensch" öffentlich charakterisiert werde, sei in seiner Entscheidung nicht mehr frei.<br />

2. Aber selbst wenn man der Vorsitzenden zugestehen wollte, dass sie sich in ihrer Empörung auch persönlich an die<br />

AZ wenden durfte, so habe dies unter allen Umständen außerhalb des Strafverfahrens gegen den Angeklagten geschehen<br />

müssen. Dies habe die Vorsitzende auch ersichtlich bald erkannt <strong>und</strong> deshalb versucht, ihre Bemühungen<br />

um Wiedergutmachung zu vertuschen. Diese Vertuschungs- <strong>und</strong> Verdrängungsbemühungen hätten zu den unwahren<br />

Äußerungen vom 23. Dezember 2004 geführt, in denen eine Kenntnis vom Entwurf des schließlich erschienenen<br />

Artikels in Abrede gestellt worden sei, <strong>und</strong> vom 29. Dezember 2004 zur gerade eben hergestellten Aktenvollständigkeit.<br />

Gerade der letzte Punkt sei bezeichnend. Die Äußerung vom 29. Dezember 2004 "selbstverständlich befindet<br />

sich der gesamte Vorgang bei den Akten" sei nicht mehr vertretbar. Sie suggeriere, dass dem Gr<strong>und</strong>satz der Aktenvollständigkeit<br />

"selbstverständlich" Rechnung getragen werde. In Wahrheit sei das Gegenteil der Fall, wenn die mit<br />

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dem 1. Dezember 2004 beginnenden Vorgänge geschlossen erst nach dem 27. Dezember 2004 auf die Nachfrage der<br />

Verteidigung vom 23. Dezember 2004 zu den Akten gelangt seien. Unwahrheiten <strong>und</strong> Vertuschungen eines Richters<br />

im Umgang mit Verfahrensbeteiligten führten unweigerlich zur begründeten Besorgnis der Befangenheit.<br />

III. Der absolute Revisionsgr<strong>und</strong> des § 338 Nr. 3 StPO liegt nicht vor. Das Ablehnungsgesuch vom 4. Januar 2005<br />

wurde nicht mit Unrecht verworfen. Dies hat die nach Beschwerdegr<strong>und</strong>sätzen durchgeführte Prüfung des Senats<br />

ergeben.<br />

1. Die Prüfung nach Beschwerdegr<strong>und</strong>sätzen bedeutet, dass der Senat den Sachverhalt im Wege des Freibeweises<br />

selbst feststellt. Der der Vorsitzenden zum Vorwurf gemachte Sachverhalt muss bewiesen sein. Der Senat ist dabei<br />

auch nicht an die Begründung der Strafkammer geb<strong>und</strong>en.<br />

2. Der Senat hält den Sachverhalt für bewiesen, den der Rechtsanwalt der AZ Dr. Bo. in seinem Schreiben vom 10.<br />

Januar 2005 dargestellt <strong>und</strong> wie ihn die Redaktion der AZ in ihrer Stellungnahme vom 11. Januar 2005 öffentlich<br />

gemacht hat. Er beurteilt das Verhalten der Vorsitzenden deshalb nicht nach dem davon abweichenden Sachverhalt,<br />

den die Revision ihrer Bewertung zugr<strong>und</strong>e legt; diese geht auf die beiden Stellungnahmen nicht hinreichend ein.<br />

3. Für die rechtliche Bewertung des danach erwiesenen Sachverhalts gilt zunächst:<br />

a) Für die Befangenheit kommt es nicht darauf an, ob die Bemühungen der Vorsitzenden nach öffentlicher <strong>und</strong> nachhaltiger<br />

Wiedergutmachung hier angemessen waren (vgl. Ziffer III. 2.1 der Richtlinien für die Zusammenarbeit der<br />

bayerischen Justiz mit der Presse vom 26. Oktober 1978 (BayJMBl. 1978 S.188)). Insoweit hätte sie zu bedenken<br />

gehabt, dass die Vorgänge während einer laufenden Hauptverhandlung erfolgten <strong>und</strong> daher den ungestörten Ablauf<br />

des Verfahrens gefährden konnten (vgl. zur Ermahnung von Schöffen durch den Vorsitzenden zur Verhinderung von<br />

Befangenheitsanträgen durch Äußerungen gegenüber der Presse BGH, Beschl. vom 18. Oktober 2005 - 1 StR<br />

114/05). Ob auch - wie von der Verteidigung in der Revisionshauptverhandlung behauptet wurde - die Grenzen<br />

dienstlicher Pflichten überschritten wurden, muss der Senat ebenfalls nicht entscheiden. Denn allein der Umgang<br />

eines erkennenden Richters mit der Presse begründet nicht die Besorgnis der Befangenheit, selbst dann nicht, wenn<br />

das Verhalten des Richters persönlich motiviert oder sogar unüberlegt war.<br />

b) Maßstab für die Besorgnis der Befangenheit ist vielmehr, ob er den Eindruck erweckt, er habe sich in der Schuld-<br />

<strong>und</strong> Straffrage bereits festgelegt (vgl. BGH wistra 2002, 267, 268). Dies ist gr<strong>und</strong>sätzlich vom Standpunkt des Angeklagten<br />

aus zu beurteilen. Misstrauen in die Unparteilichkeit eines Richters ist dann gerechtfertigt, wenn der Ablehnende<br />

bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Gr<strong>und</strong> zu der Annahme hat, der Richter nehme<br />

ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die seine Unparteilichkeit <strong>und</strong> Unvoreingenommenheit störend beeinflussen<br />

kann. Zunächst berechtigt erscheinendes Misstrauen ist nach umfassender Information über den zugr<strong>und</strong>e<br />

liegenden Vorgang möglicherweise gegenstandslos (vgl. BGHSt 4, 264, 269 f.; BGH wistra 2002, 267; NStZ-RR<br />

2004, 208 jeweils m.w.N.).<br />

4. Die nach diesen Maßstäben vorgenommene Prüfung des Sachverhalts durch den Senat ergibt, dass weder der Inhalt<br />

<strong>und</strong> die Umstände des Zustandekommens des AZ-Artikels vom 21. Dezember 2004 noch die Kommunikation<br />

der Vorsitzenden mit der AZ <strong>und</strong> der Verteidigung einem verständigen Angeklagten Anlass geben konnten, an der<br />

Unvoreingenommenheit der Richterin zu zweifeln.<br />

a) Schon der Inhalt des Artikels vom 21. Dezember 2004 gab dem Angeklagten keinen Gr<strong>und</strong>, an der Unvoreingenommenheit<br />

der Vorsitzenden zu zweifeln. Der Artikel enthält journalistische Beschreibungen <strong>und</strong> Wertungen der<br />

Person der Vorsitzenden. Die Redaktion der AZ berichtet - anders als in ihrem Artikel vom 30. November 2004 mit<br />

dem Titel "W. zittert vor Frau Gnadenlos" - nunmehr über den "menschlichen Umgang" der Vorsitzenden in der<br />

bisherigen Hauptverhandlung. Sie sei "für ihre manchmal strengen Urteile bekannt, aber sie verliere dabei nie den<br />

Menschen aus dem Auge". Der Artikel enthält keinerlei Hinweise darauf, dass der Angeklagte befürchten musste, im<br />

weiteren Verlauf seines Prozesses von der Richterin nicht fair behandelt zu werden. Die Revision behauptet auch<br />

nicht, dass die Vorsitzende in ihrer Verhandlungsführung oder einer Äußerung gegenüber dem Angeklagten Anlass<br />

für eine Ablehnung wegen Befangenheit gegeben hätte. Soweit der Artikel die Strategie beim Antrag auf Aussetzung<br />

des Verfahrens als "juristisches Waterloo des Verteidigers" kommentiert - die Äußerung des Angeklagten in der<br />

Hauptverhandlung über die Folgen einer längeren Untersuchungshaft belegen, dass er mit einem solchen Antrag<br />

nicht einverstanden war - <strong>und</strong> die AZ spekuliert, dass der Angeklagte „seine Verteidigungsstrategie ändert <strong>und</strong> alles<br />

gesteht", sind dies ebenfalls erkennbar journalistische Wertungen aufgr<strong>und</strong> eigener Beobachtungen des Prozesses.<br />

Sie gehen weder auf Äußerungen der Vorsitzenden in der Hauptverhandlung zurück noch beruft sich die Redaktion<br />

auf Gespräche mit der Vorsitzenden außerhalb der Hauptverhandlung. Dies belegen - neben den Schreiben der Vorsitzenden<br />

an die Verteidiger <strong>und</strong> der dienstlichen Stellungnahme der Vorsitzenden - das Schreiben von Rechtsanwalt<br />

Dr. Bo. vom 10. Januar 2005 sowie die Stellungnahme der Redaktion der AZ am 11. Januar 2005, in der öffentlich<br />

gemacht wurde, Dr. Bo. habe Mitte Dezember 2004 einen eigenen Artikel über Frau Kn. verfasst. Die Redaktion<br />

habe es aber aus "journalistischen Gründen" abgelehnt, diesen Text zu drucken. Die Redaktion habe im Vorfeld des<br />

12


Verhandlungstages vom 21. Dezember 2004 einen neuen Artikel zum Fall W. verfasst - "<strong>und</strong> zwar ohne jedes Zutun<br />

von Frau Kn. <strong>und</strong> nach allgemein-journalistischen Maßstäben".<br />

b) Der Senat sieht aber auch nach genauer Analyse aller einzelnen Umstände, unter denen die Vorsitzende durch die<br />

Redaktion der AZ in die Entstehung des Artikels einbezogen wurde, keinen Gr<strong>und</strong>, weshalb bei einem verständigen<br />

Angeklagten Misstrauen gegen die Unbefangenheit <strong>und</strong> Unvoreingenommenheit der Vorsitzenden entstehen sollte.<br />

aa) Der Senat kann schon entgegen dem Vorbringen der Revision nicht feststellen, dass die Vorsitzende auf eine<br />

Berichterstattung "hingewirkt" hat, die "ihre richterliche Tätigkeit in ganz ungewöhnlicher Weise rühmend hervorhob".<br />

Zwar verfolgte die Vorsitzende mit dem Schreiben vom 6. Dezember 2004 das Ziel einer angemessenen <strong>und</strong><br />

öffentlichen Wiedergutmachung weiter. Entgegen dem Ablehnungsgesuch vom 4. Januar 2005 stellte sie in ihrem<br />

Schreiben aber weder einen Strafantrag wegen Beleidigung noch machte sie Schadensersatzansprüche oder formale<br />

presserechtliche Ansprüche gegen die AZ geltend. Die Idee eines "Wiedergutmachungsartikels" beruhte nach dem<br />

Schreiben des Rechtsanwalts Dr. Bo. vom 10. Januar 2005 - unabhängig vom Schreiben der Vorsitzenden vom 6.<br />

Dezember 2004 - auf Bemühungen der Chefredaktion der AZ, nachdem es auf die Schlagzeile "Frau Gnadenlos"<br />

Reaktionen aus der Leserschaft gegeben hatte. Nach dem ersten Entschuldigungsschreiben vom 1. Dezember 2004 -<br />

das für die Vorsitzende nicht ausreichend war - beauftragte der Chefredakteur der AZ Rechtsanwalt Dr. Bo. persönlich,<br />

einen Artikel über die Vorsitzende zu veröffentlichen, "der ihre bekannte menschliche Art der Prozessführung<br />

deutlich betonen sollte". Den ersten Textentwurf erstellte Herr Dr. Bo. ohne jede Beteiligung der Vorsitzenden. Er<br />

bestätigte auch, dass in dem ersten Entwurf für einen vom ihm konzipierten Wiedergutmachungsartikel auf Anregung<br />

der Vorsitzenden eine Passage aufgenommen werden sollte, in der "noch einmal ausdrücklich klargestellt wurde,<br />

dass der Begriff "Frau Gnadenlos" nicht gerechtfertigt gewesen war". Der von Dr. Bo. dargestellte Ablauf hat<br />

dem Senat die Gewissheit verschafft, dass ein "Hinwirken" oder ein qualitativer Einfluss auf die Gestaltung des ersten<br />

Entwurfes vom 17. Dezember 2004, den die Revision als "Redigieren" oder "Absegnen" ansieht, gerade nicht<br />

vorlag. Soweit sich aus dem Schreiben von Dr. Bo. eine Kommunikation mit der Vorsitzenden über den ersten Entwurf<br />

ergibt, stand diese nicht in einem von ihr hergestellten Bezug zu ihrer richterlichen Tätigkeit im laufenden W. -<br />

Verfahren.<br />

bb) Die Vorsitzende hat aber auch nicht auf den zweiten Entwurf vom 20. Dezember 2004 "hingewirkt". Dr. Bo. hat<br />

überzeugend dargelegt, dass der von ihm persönlich verfasste erste Entwurf vom 17. Dezember 2004 aus "Aktualitätsgründen"<br />

von der Redaktion der AZ ganz erheblich verändert worden sei. Der Artikel der AZ vom 11. Januar<br />

2005 belegt dies. Die Redaktion hatte es "aus journalistischen Gründen" abgelehnt, den "Wiedergutmachungsartikel"<br />

in der Fassung des ersten Entwurfs vom 17. Dezember 2004 als öffentliche Entschuldigung zu drucken. Dies lässt<br />

allein den Schluss auf Veränderungen im Meinungsbildungsprozess innerhalb der Redaktion der AZ zu. Jedenfalls<br />

überarbeitete Dr. Bo. den Entwurf in Kontakt mit der Redaktion <strong>und</strong> ohne Information oder Beteiligung der Vorsitzenden.<br />

Er betonte ausdrücklich, dass die "Gr<strong>und</strong>idee - Vorteile eines Geständnisses - allein aus seiner Feder stammte".<br />

Der zweite Entwurf erhielt damit eine andere Zielrichtung <strong>und</strong> stellte den laufenden W. -Prozess <strong>und</strong> die Ereignisse<br />

des letzten Hauptverhandlungstages in den Mittelpunkt, ohne dass die Vorsitzende darauf Einfluss hatte. Dr.<br />

Bo. übersandte den zweiten Entwurf per Fax mit der Frage, ob sie "auch mit diesem Entwurf" einverstanden sei <strong>und</strong><br />

suchte die Vorsitzende wiederum in ihrem Dienstzimmer auf, um ihr Einverständnis mit den von der Redaktion<br />

bewirkten Änderungen zu erlangen. Bei dem kurzen Gespräch war diesmal auch ein Beisitzer der Strafkammer anwesend.<br />

Beide wandten gegen über dem Entwurf - <strong>und</strong> zwar um den Angeklagten vor einer objektiv unrichtigen, für<br />

ihn nachteiligen Darstellung zu bewahren - ein, dieser habe auf die von der Vorsitzenden in der Hauptverhandlung<br />

gestellte Frage nach den Konsequenzen einer Aussetzung des Verfahrens nicht nur mit einem schlichten "Nein"<br />

geantwortet, sondern habe eine differenziertere Antwort gegeben. Im Übrigen wünschte die Vorsitzende nur die<br />

Streichung des Absatzes mit dem Begriff "Frau Gnadenlos", damit dieser nicht noch einmal in einem Artikel - selbst<br />

in dem Sinn einer Entschuldigung - erschien. Schließlich stellte Dr. Bo. klar, dass sich die Vorsitzende zu den gegenüber<br />

dem später erschienenen Artikel nicht veränderten Teilen des Entwurfs weder äußerte noch diese kommentierte,<br />

weil sie nicht in den redaktionellen Text der AZ eingreifen wollte <strong>und</strong> der - offensichtlich von ihm geteilten -<br />

Meinung war, dass dies die Redaktion auch sicherlich nicht zulasse.<br />

cc) Die Revision trägt zusätzlich vor, eine Befangenheit der Vorsitzenden ergebe sich auch daraus, dass sie sich "um<br />

ihrer Unabhängigkeit willen" nicht mit einer überhöhenden Darstellung ihrer Person als Richterin habe "einverstanden<br />

erklären" dürfen; auch habe sie sich nicht "gegen das barocke Übermaß des Lobpreises" "verwahrt". Dieses<br />

Vorbringen lässt nicht auf die Unvoreingenommenheit der Vorsitzenden schließen. Soweit die Revision damit meint,<br />

die Vorsitzende sei aufgr<strong>und</strong> der Kontakte zur AZ verpflichtet gewesen, gegen den Artikel vom 21. Dezember 2004<br />

aktiv vorzugehen, ist ihr Vorbringen widersprüchlich, denn damit verlangt sie ein Verhalten, das sie der Vorsitzenden<br />

zuvor noch zum Vorwurf gemacht hat.<br />

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dd) Darüber hinaus führt die Revision an, die Vorsitzende habe entgegen ihrer Fürsorgepflicht weder den Angeklagten<br />

noch seine Verteidiger vor dem Erscheinen des Artikels vom 21. Dezember 2004 informiert, obwohl die Veröffentlichung<br />

den Angeklagten in seinen Rechten verletzt habe. Der Senat vermag einen Rechtsgr<strong>und</strong> für eine solche<br />

Verpflichtung der Vorsitzenden nicht zu erkennen. Der Senat hat erwogen, ob die Bemühungen um einen Wiedergutmachungsartikel<br />

<strong>und</strong> der Kontakt zu Rechtsanwalt Dr. Bo. der Vorsitzenden gegenüber dem Angeklagten aufgr<strong>und</strong><br />

der Vorgeschichte eine solche Verpflichtung auferlegen konnten. Eine derartige Pflicht traf die Vorsitzende<br />

nicht, auch nicht aufgr<strong>und</strong> des Gr<strong>und</strong>satzes des fairen Verfahrens. Allerdings gebietet die Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofes,<br />

dem Angeklagten Zugang zu dem verfahrensbezogenen Tatsachen- <strong>und</strong> Beweismaterial zu ermöglichen,<br />

das die Strafverfolgungsorgane im Rahmen der gegen ihn gerichteten Ermittlungen gesammelt haben, damit<br />

er zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang <strong>und</strong> das Ergebnis des Verfahrens Einfluss nehmen kann (BVerfGE 63,<br />

45, 61 m.w.Nachw.). Dazu gehören auch die Ergebnisse von Ermittlungen, die das Gericht während der Hauptverhandlung<br />

ohne Wissen des Angeklagten <strong>und</strong> der Verteidigung veranlasst <strong>und</strong> die dann zu den Akten gelangen<br />

(BGHSt 36, 305, 308 ff.). Ein damit vergleichbarer Fall liegt hier nicht vor. Rechtsanwalt Dr. Bo. hat ausdrücklich<br />

hervorgehoben, dass die Vorsitzende in den beiden Gesprächen keine Interna des laufenden Verfahrens preisgegeben<br />

hat. Damit enthielten die beiden Entwürfe für den Artikel vom 21. Dezember 2004 keine von der Vorsitzenden offenbarten<br />

verfahrensbezogenen Tatsachen (mit Ausnahme der oben genannten Richtigstellung zugunsten des Angeklagten),<br />

noch hatte der Inhalt des Artikels Einfluss auf das Ergebnis des Prozesses.<br />

ee) Nach allem steht für den Senat fest, dass die Vorsitzende mit ihren Kontakten zur AZ allein das Ziel der öffentlichen<br />

Wiedergutmachung verfolgt hat. Einen darüber hinaus gehenden Einfluss auf die Entwürfe für den Artikel vom<br />

21. Dezember 2004 hat er nicht festgestellt<br />

b) Der Senat geht auch nicht davon aus, dass die Vorsitzende Teile der Vorgänge um die Entstehung des Artikels<br />

vom 21. Dezember 2004 gegenüber den Verteidigern "vertuscht" hat.<br />

aa) Die Revision meint unter Bezugnahme auf das Urteil des 5. Strafsenats vom 30. September 1992 - 5 StR 169/92-,<br />

wistra 1993, 19, 20 f., unabhängig von dem "Hinwirken" auf den Artikel in der AZ liege eine Befangenheit auch<br />

deshalb vor, weil der Angeklagte eine dienstliche Äußerung eines Richters "nicht nur für unklar, sondern auch für<br />

objektiv falsch halten" konnte. Dem Schreiben der Vorsitzenden vom 23. Dezember 2004 an die Verteidiger "Es ist<br />

richtig, dass Herr Rechtsanwalt Bo. mit einem Entwurf eines Artikels bei mir war, allerdings hat dieser Artikel mit<br />

dem, was später von der Redaktion daraus gemacht wurde, nicht mehr sehr viel gemeinsam. Vor allem war in dem<br />

von mir vorab überlassenen Artikel nicht die Rede von einem Geständnis des Herrn W. , noch von meiner geschickten<br />

Verhandlungsführung oder sonstigem, es war vielmehr das Thema, ob ich in meinen Entscheidungen gnadenlos,<br />

streng oder milde bin“ entnimmt die Revision, die Vorsitzende habe in ihrer Antwort an die Verteidiger bewusst nur<br />

den ersten Entwurf vom 17. Dezember 2004 angesprochen, in der Absicht, das zweite Gespräch mit Dr. Bo. über den<br />

zweiten Entwurf für den Artikel vom 21. Dezember 2004 zu verschweigen. Da ihr schon am 23. Dezember 2004 alle<br />

Einzelheiten bekannt gewesen seien, sie aber erst in dem Schreiben vom 29. Dezember 2004 den gesamten Sachverhalt<br />

offenbart <strong>und</strong> sich darüber hinaus nicht entschuldigt habe, habe die Vorsitzende "vertuschen" wollen. Diese<br />

Auslegung des Schriftwechsels durch die Revision steht unter der Prämisse, die Vorsitzende habe die Absicht gehabt,<br />

ihre Beteiligung an dem Artikel in der Form des "Hinwirkens", "Redigierens" oder "Absegnens" zu verheimlichen.<br />

Die Revision unterstellt, die Vorsitzende sei nach ihrem Schreiben vom 23. Dezember 2004 aufgr<strong>und</strong> des<br />

zweiten Schreibens der Verteidiger vom 23. Dezember 2004, mit dem diese weitere Einzelheiten erfragten <strong>und</strong> Akteneinsicht<br />

bis zum 11. Januar 2005 beantragten, unter einen "Druck" geraten <strong>und</strong> "gezwungen" gewesen, im Schreiben<br />

vom 29. Dezember 2004 das zweite Treffen mit Dr. Bo. <strong>und</strong> den zweiten Entwurf für den Artikel zu offenbaren.<br />

Dieser Bewertung des Sachverhalts folgt der Senat nicht (siehe oben unter III. 4. b)): Das zweite Schreiben der Verteidiger<br />

vom 23. Dezember 2004 enthält über den Wortlaut ihres ersten Schreibens vom selben Tag, ihnen "sei mitgeteilt<br />

worden", der Artikel sei mit der Vorsitzenden besprochen worden, <strong>und</strong> über den Antrag auf Akteneinsicht bis<br />

zum 11. Januar 2005 hinaus keine konkreteren Hinweise oder Vorhalte, aufgr<strong>und</strong> derer sich die Vorsitzende "entdeckt"<br />

fühlen musste, bisher "Verschwiegenes" zu offenbaren. Der Wortlaut des zweiten Schreibens der Verteidiger<br />

musste bei der Vorsitzenden auch nicht den Eindruck erwecken, sie hätten sie nochmals angeschrieben, weil sie über<br />

weitergehende Detailinformationen zur Entstehung des Artikels vom 21. Dezember 2004 verfügten. Auch unabhängig<br />

vom Inhalt der beiden Schreiben der Verteidiger gab es keinen Gr<strong>und</strong> für die Unterstellung der Revision, die<br />

Vorsitzende habe sich insoweit unter Druck gesetzt fühlen müssen. Die Vorsitzende machte in dem Schriftwechsel<br />

konsequent ihre Haltung deutlich, sie habe nur eine Wiedergutmachung gegenüber der AZ verlangt <strong>und</strong> habe mit<br />

dem Artikel vom 21. Dezember 2004 nichts zu tun. So berichtete sie in ihrem ersten Schreiben vom 23. Dezember<br />

2004, dass Rechtsanwalt Dr. Bo. wegen eines "Wiedergutmachungsartikels" bei ihr gewesen sei. Sie machte ebenso<br />

in diesem Schreiben deutlich, dass sie die weitere Entwicklung dieses Artikels, so wie er - "wohl um einer Schlagzeile<br />

willen" - am 21. Dezember 2004 erschienen sei, nicht zu verantworten habe. Auch ihr Schreiben vom 29. Dezem-<br />

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er 2004 leitete die Vorsitzende mit den Feststellungen ein: "Es trifft nicht zu, dass der von Ihnen angesprochene<br />

Artikel in der Abendzeitung mit mir abgestimmt oder in sonstiger Weise mit mir abgesprochen war." "Richtig ist,<br />

dass ich einen Tag vor Erscheinen des Artikels einen Entwurf hiervon zur Kenntnis erhielt." Aus ihrer Sicht begründete<br />

das "zur Kenntnis erhalten" entgegen der Unterstellung der Revision keinen "Druck" oder "Zwang", in dem<br />

Schreiben eine "aktive Beteiligung" an dem Artikel zu offenbaren. Diese Sichtweise bestätigt die Vorsitzende in<br />

ihrer dienstlichen Stellungnahme vom 5. Januar 2005 zum Ablehnungsgesuch vom 4. Januar 2005. Zum Antrag auf<br />

Akteneinsicht hat sie nachvollziehbar dargelegt, sie habe erst aufgr<strong>und</strong> des zweiten Schreibens der Verteidigung vom<br />

23. Dezember 2004 erkennen können, dass die Verteidigung sich für den Vorgang interessiert habe. Sie habe Verständnis<br />

dafür, dass ihr erstes - unter Zeitdruck zustande gekommenes - Antwortschreiben aus Sicht der Verteidigung<br />

Fragen offen gelassen habe. Darum habe sie im Schreiben vom 29. Dezember 2004 zu einer chronologischen Darstellung<br />

der Einzelheiten gegriffen. Gegen eine Vertuschungsabsicht spricht schließlich, dass die Vorsitzende die<br />

beantragte Akteneinsicht - die bis zum nächsten Verhandlungstag am 11. Januar 2005 erfolgen sollte - bereits am 30.<br />

Dezember 2004 gewährte <strong>und</strong> der Verteidigung sämtliche Vorgänge zur Nachprüfung zur Verfügung stellte. Selbst<br />

wenn man das Schreiben der Vorsitzenden vom 23. Dezember 2004 als unvollständig ansieht, hat sie mit ihrem<br />

Schreiben vom 29. Dezember 2004 - ohne dem von der Revision behaupteten erhöhten Druck ausgesetzt gewesen zu<br />

sein - von sich aus der Verteidigung alle ihr bekannten Einzelheiten über das Zustandekommen des am 21. Dezember<br />

2004 tatsächlich erschienenen Artikels mitgeteilt. Dies widerlegt den von der Revision erhobenen Vorwurf der<br />

Vertuschung.<br />

bb) Schließlich ist die Erklärung in dem Schreiben an die Verteidiger vom 29. Dezember 2004 "Selbstverständlich<br />

befindet sich der gesamte Vorgang bei den Akten" kein Beleg für weitere "Unwahrheiten <strong>und</strong> Vertuschungen eines<br />

Richters im Umgang mit Verfahrensbeteiligten". Die Vorsitzende hat in ihrer dienstlichen Stellungnahme vom 5.<br />

Januar 2005 dargelegt, sie habe es als zweifelhaft angesehen, ob die Vorgänge über die Entstehung des Artikels vom<br />

21. Dezember 2004 überhaupt in die Strafakten gehörten <strong>und</strong> was aus Sicht der Verteidigung "rechtzeitig" sei. Unbeschadet<br />

der Frage, ob die Vorgänge Bestandteile der Strafakten sind, erscheint es dem Senat nachvollziehbar, dass<br />

die Vorsitzende vor der - ohnehin erst - am 23. Dezember 2004 beantragten Akteneinsicht dem Vorgang zunächst<br />

keine derartige Bedeutung zugemessen hat, zumal sie auch dargelegt hat, sie sei am letzten Tag vor der Weihnachtspause<br />

mit der Haftbeschwerde des Angeklagten beschäftigt gewesen. Jedenfalls konnte sich die Verteidigung bei der<br />

Akteneinsicht vom 30. Dezember 2004 ein vollständiges Bild über die Entwürfe für den AZ-Artikel vom 21. Dezember<br />

2004 verschaffen. Dass die Vorsitzende jeweils von sich aus die Vorgänge um den Artikel nicht schnellstens<br />

zu den Akten gebracht hat, begründet nicht die Besorgnis der Befangenheit. Soweit der Angeklagte die Vorsitzende<br />

deshalb nicht für innerlich unabhängig hält, weil sie in Vertuschungsabsicht habe "suggerieren" wollen, sie habe dem<br />

Gr<strong>und</strong>satz der Aktenvollständigkeit seit Erscheinen des ersten Artikels vom 30. November 2004 unverzüglich Rechnung<br />

getragen, erweist sich dieses Vorbringen als reine Spekulation über innere Vorstellungen.<br />

IV. Die Überprüfung des Urteils aufgr<strong>und</strong> der Sachrüge hat keinen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben.<br />

1. Die Strafkammer hat den Angeklagten zu Recht wegen Untreue nach § 266 Abs. 1 StGB verurteilt. Er hatte als<br />

Mitgeschäftsführer der Stadion GmbH eine qualifizierte Vermögensbetreuungspflicht. Zu seinem Aufgaben- <strong>und</strong><br />

Pflichtenkreis gehörte es, im Vergabeverfahren darauf hinzuwirken, dass der Stadionneubau allen qualitativen Anforderungen<br />

entsprach <strong>und</strong> dass dabei ein möglichst günstiger Preis erzielt wurde. Wenn er in Erfüllung der Vereinbarung<br />

mit dem A. Konzern in der Person von Al. sen. Informationen über Einspar-potenziale bei seinem Wettbewerber<br />

herausgab, trug der Angeklagte dazu bei, dass bei der Vergabe dennoch der höhere Preis akzeptiert wurde,<br />

damit aus den bei der A. Deutschland GmbH erzielten Einsparungen das Schmiergeld an den Mitangeklagten gezahlt<br />

werden konnte. Insoweit hat der Angeklagte treuwidrig gehandelt, weil die erzielbaren Minderkosten nicht der Stadion<br />

GmbH zugute kamen, die nach dem Zuschlag den höheren Werklohn zu zahlen hatte (BGHSt 47, 295, 298 f.).<br />

Dadurch hat er die Stadion GmbH geschädigt.<br />

2. Das Landgericht hat aufgr<strong>und</strong> einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung den Angeklagten auch der in Tateinheit<br />

mit der Untreue begangenen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr (§ 299 Abs. 1 StGB) für schuldig bef<strong>und</strong>en.<br />

Entgegen dem Vorbringen der Revision hat das Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellt, dass es bis zum Zuschlag<br />

am 8. Februar 2002 einen echten Wettbewerb gab. Als Geschäftsführer der Stadion GmbH war der Angeklagte im<br />

Januar 2002 deren Beauftragter. Beauftragter ist, wer befugtermaßen für den Geschäftsbetrieb tätig werden kann,<br />

ohne Angestellter zu sein. Bei seinen Absprachen bezüglich einer Vergabe des Auftrags an die A. Deutschland<br />

GmbH betätigte sich der Angeklagte im geschäftlichen Verkehr. Es ging auch um gewerbliche Leistungen. Der von<br />

ihm erstrebte Vorteil bestand darin, dass der A. Konzern, geführt von Al. sen. in Salzburg, über den Mitangeklagten<br />

seiner Firma WHI r<strong>und</strong> 2,59 Millionen € zahlte. Die Zuwendung ließ sich der Angeklagte im Januar 2002 versprechen<br />

<strong>und</strong> nahm sie an in einem Zeitraum, in welchem er Geschäftsführer der Stadion GmbH <strong>und</strong> der Komplementä-<br />

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in der KG aA war. Auf diese Zuwendung des A. Konzerns hatte weder er selbst einen Anspruch noch seine Firmengruppe<br />

WHI. Der Vorteil war auch Bestandteil einer Unrechtsvereinbarung. Der Betrag wurde – auch das hat das<br />

Landgericht überzeugend <strong>und</strong> rechtsfehlerfrei festgestellt - nicht auf eine Provisionsforderung des Mitangeklagten<br />

bezahlt, sondern als Schmiergeld. Er wurde gewährt aufgr<strong>und</strong> der konkludent gezeigten Bereitschaft des Angeklagten,<br />

sich für eine Vergabe an die A. Deutschland GmbH einzusetzen <strong>und</strong> für Nachtragsaufträge <strong>und</strong> -forderungen ein<br />

gewogener Ansprechpartner zu sein sowie auch weiterhin geheime Informationen über das Angebot des Mitbieters<br />

zu liefern. Durch all dies sollte die A. Deutschland GmbH nach der Vorstellung von Al. senior, die der Angeklagte<br />

erkannte, im Vergabeverfahren bevorzugt werden. Bevorzugung bedeutet dabei die sachfremde Entscheidung zwischen<br />

zumindest zwei Bewerbern, setzt also Wettbewerb <strong>und</strong> Benachteiligung eines Konkurrenten voraus. Hierbei<br />

genügt es, wenn die zum Zwecke des Wettbewerbs vorgenommenen Handlungen nach der Vorstellung des Täters<br />

geeignet sind, seine eigene Bevorzugung oder die eines Dritten im Wettbewerb zu veranlassen (BGHSt 49, 214, 228;<br />

BGH NJW 2003, 2996, 2997; BGHSt 10, 358, 367 zu § 12 UWG aF). Zur Erfüllung des Tatbestandes braucht die<br />

vereinbarte Bevorzugung tatsächlich nicht eingetreten zu sein. Es muss auch keine objektive Schädigung eines Mitbewerbers<br />

eingetreten sein. Schutzgut des § 299 StGB ist die strafwürdige Störung des Wettbewerbs sowie die abstrakte<br />

Gefahr sachwidriger Entscheidungen (Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 299 Rdn. 2). Die Bevorzugung war<br />

hier unlauter, weil sich der Angeklagte am 17. Januar 2002 bereit zeigte, geheime Informationen über das Angebot<br />

des Mitbieters zu beschaffen. Er lieferte diese auch am 28. Januar 2002, indem er Al. sen. über Einsparpotenziale<br />

beim Mitbieter B. aufklärte. Er handelte dabei in der Absicht, über Al. sen. die A. Deutschland GmbH ebenfalls zu<br />

Einsparungen zu veranlassen, aus denen das Schmiergeld gezahlt werden sollte. Mithin handelte es sich um einen<br />

geradezu klassischen Fall der Bestechung im geschäftlichen Verkehr durch eine Schmiergeldzahlung. Nicht zu beanstanden<br />

ist schließlich, dass das Landgericht eine Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr in einem besonders<br />

schweren Fall angenommen hat. Die Vereinbarung mit Al. sen. bezog sich auf einen Vorteil großen Ausmaßes im<br />

Sinne von § 300 Satz 2 Nr. 1 StGB (vgl. BGHSt 48, 360).<br />

C. Die Revision der Staatsanwaltschaft<br />

Es kann hier offen bleiben, ob das Landgericht rechtsfehlerhaft keinen besonders schweren Fall der Untreue nach §<br />

266 Abs. 2, § 263 Abs. 3 StGB angenommen hat <strong>und</strong> deshalb bei der Strafzumessung von einem zu niedrigen Strafrahmen<br />

ausgegangen ist. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob hier das Regelbeispiel des § 263 Abs. 3 Nr. 2<br />

StGB des Vermögensverlustes großen Ausmaßes vorgelegen hat (vgl. dazu BGHSt 48, 354) oder ob im Hinblick auf<br />

die außerordentliche Höhe des Schadens <strong>und</strong> die Verschleierung der Zahlungsvorgänge mittels Scheinrechnungen<br />

ein besonders schwerer Fall im Sinne eines unbenannten Regelbeispiels vorgelegen hat. Die gegen den Angeklagten<br />

verhängte Freiheitsstrafe von vier Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten erscheint nämlich angemessen. Das Landgericht ist im<br />

Kern von dem zutreffenden Schuldumfang ausgegangen, indem es die Strafe dem oberen Bereich des Strafrahmens<br />

aus § 300 StGB entnommen hat. Auch im Übrigen kann der Senat die Angemessenheit der Strafe selbst beurteilen,<br />

weil alle für die Strafzumessung erforderlichen Tatsachen vom Landgericht mitgeteilt worden sind <strong>und</strong> es keiner<br />

weiteren Feststellungen bedarf.<br />

StPO § 24, § 243, § 244 – Richterablehnung nur bei willkürlichen oder abwegigen Verfahrensfehlern<br />

- Beweisantrag<br />

BGH, Urt. vom 20.06.2007 – 2 StR 84/07<br />

1. Die Weigerung des Vorsitzenden, anwaltliche Erklärungen zu dem, was die Angeklagten zur Sache<br />

zu sagen hätten, zu verlesen, begründet nicht die Besorgnis der Befangenheit.<br />

2. Anträge auf Verlesung von Schriftstücken, die sowohl nach ihrer Zweckbestimmung als auch<br />

nach ihrem Inhalt den Ausführungen, die ein Angeklagter im Rahmen der Hauptverhandlung in<br />

Anwendung des § 243 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 Satz 2 StPO als Äußerung zur Sache macht, entsprechen, sind<br />

keine ordnungsgemäßen Beweisanträge, da die Behauptung, in den Schriftstücken sei der Tathergang<br />

so, wie er von dem jeweiligen Angeklagten erinnert werde, wiedergegeben, durch deren Verlesung<br />

nicht bewiesen werden kann.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat auf Gr<strong>und</strong> der Hauptverhandlung vom 6. Juni 2007 in der Sitzung vom<br />

20. Juni 2007 für Recht erkannt:<br />

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Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bonn vom 11. August 2006 werden auf ihre<br />

Kosten verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubs verurteilt, den Angeklagten D. zu einer<br />

Freiheitsstrafe von fünf Jahren, den Angeklagten R. zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> neun Monaten <strong>und</strong><br />

den Angeklagten M. zu einer Jugendstrafe von neun Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.<br />

Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der Angeklagten mit Verfahrensrügen <strong>und</strong> mit der Sachrüge. Die<br />

Rechtsmittel haben keinen Erfolg.<br />

I. Übereinstimmende Verfahrensrügen aller Angeklagter<br />

1. Rüge der Mitwirkung der wegen Befangenheit abgelehnten Berufsrichter der Kammer (§ 338 Nr. 3, §§ 24 ff., §<br />

243 Abs. 4 Satz 2 StPO): Der Rüge liegt folgender Verfahrensablauf zugr<strong>und</strong>e: Nach der Belehrung der Angeklagten<br />

gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO erklärten die Verteidiger für die Angeklagten, dass sie die Angaben, die die Angeklagten<br />

ihnen gegenüber gemacht hätten, schriftlich niedergelegt hätten <strong>und</strong> diese verlesen wollten. Die Angeklagten<br />

seien auf Frage des Gerichts ausdrücklich bereit zu erklären, dass dies ihre eigenen Angaben seien, weitere Angaben<br />

würden sie nicht machen, sondern schweigen. Der Vorsitzende ließ die Verlesung der anwaltlichen Erklärungen<br />

nicht zu, die Strafkammer bestätigte diese Entscheidung. Das auf diesen Vorgang gestützte Ablehnungsgesuch gegen<br />

den Vorsitzenden <strong>und</strong> die Beisitzerin wies die Strafkammer ohne Mitwirkung der abgelehnten Richter als unbegründet<br />

zurück, weil die Nichtzulassung der Verlesung prozessordnungsgemäß gewesen sei <strong>und</strong> keine Anhaltspunkte<br />

aufgezeigt worden seien, die auf eine Voreingenommenheit der abgelehnten Richter schließen ließen. Die Ablehnung<br />

des Befangenheitsantrags ist nicht zu beanstanden. Nach § 24 Abs. 2 StPO kann ein Richter wegen Besorgnis der<br />

Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Gr<strong>und</strong> vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit<br />

zu rechtfertigen. Das ist der Fall, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts<br />

Gr<strong>und</strong> zur Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die die gebotene Unparteilichkeit<br />

<strong>und</strong> Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann (BGHSt 21, 334, 341; BGHR StPO § 24 Abs. 2 Befangenheit<br />

4). Diese Besorgnis lässt sich aber nicht schon allein mit einer fehlerhaften Sachbehandlung begründen.<br />

Verfahrensverstöße, die auf einem Irrtum oder auf einer unrichtigen Rechtsansicht beruhen, stellen gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

keinen Ablehnungsgr<strong>und</strong> dar (ständige Rechtsprechung, vgl. BGHSt 48, 4, 8), sondern nur dann, wenn die Entscheidungen<br />

abwegig sind oder den Anschein der Willkür erwecken. Abwegig oder willkürlich war die Entscheidung, als<br />

Einlassungen der Angeklagten nicht von deren Verteidigern verfasste Erklärungen verlesen zu lassen, nicht. Willkürlich<br />

könnte eine solche Entscheidung sein, wenn besondere Umstände, etwa Sprachfehler oder Sprachhemmungen,<br />

den Angeklagten am eigenen Vortrag hindern oder ihn wesentlich beeinträchtigen würden. Solche Umstände sind<br />

hier nicht vorgetragen. Die Entscheidung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs, des<br />

Reichsgerichts <strong>und</strong> mit Stimmen in der Literatur, wonach die Vernehmung des Angeklagten zur Sache gemäß § 243<br />

Abs. 4 Satz 2 StPO mündlich erfolgt <strong>und</strong> er sich nicht durch seinen Verteidiger vertreten lassen kann (vgl. RGSt 44,<br />

284; BGHSt 3, 368; BGH NStZ 2000, 439; NStZ 2004, 163, 164; NStZ 2004, 392; NStZ 2007, 349; Meyer-Goßner<br />

StPO 50. Aufl. § 243 Rdn. 30; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 243 Rdn. 88, 100; Tolksdorf in KK<br />

StPO 5. Aufl. § 243 Rdn. 44, 45; Pfeiffer StPO 5. Aufl. § 243 Rdn. 10 f.; Schlüchter in SK StPO § 243 Rdn. 48;<br />

Beulke in Festschrift zu Ehren des Strafrechtsausschusses der B<strong>und</strong>esrechtsanwaltskammer, 2006, S. 87, 92; Olk, JZ<br />

2006, 204, 206 f.; Meyer-Mews JR 2003, 361, 362; Michel MDR 1994, 658; Fezer JR 1980, 82, 83; a.A. OLG<br />

<strong>Hamm</strong> JR 1980, 82; OLG Saarbrücken NStZ 2006, 182; Salditt StV 1993, 442; Park StV 1998, 59, 60; vgl. auch<br />

Beulke a.a.O. S. 93 f. m.w.N.; Eisenberg/Pincus JZ 2003, 397, 403). Zudem spricht für diese Rechtsanwendung der<br />

Wortlaut des § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO, wonach der zur Äußerung bereite Angeklagte „nach Maßgabe des § 136<br />

Abs. 2 [StPO] zur Sache vernommen“ wird. Diese Meinung ist zwar nicht unbestritten. Dennoch kann angesichts der<br />

vertretenen unterschiedlichen Auffassungen die Entscheidung der Strafkammer gegen die Zulässigkeit der Verlesung<br />

weder als abwegig noch als aus sonstigen Gründen willkürlich angesehen werden. Die Strafkammer hat durch ihr<br />

Vorgehen im Zeitpunkt der Antragstellung <strong>und</strong> Antragsablehnung auch nicht zu erkennen gegeben, dass sie sich dem<br />

Sachvortrag der Angeklagten vollständig verschließen <strong>und</strong> ihnen auch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung<br />

keine Gelegenheit zur Äußerung geben werde. Ihr Verhalten bot deshalb für einen besonnenen Angeklagten keinen<br />

Anlass zur Besorgnis der Befangenheit.<br />

2. Rüge der fehlerhaften Ablehnung des Antrags, ein vom jeweiligen Verteidiger der Angeklagten übergebenes<br />

Schreiben als Urk<strong>und</strong>e zu verlesen (§ 244 Abs. 3, § 245 Abs. 1 StPO): Am zweiten Hauptverhandlungstag stellten<br />

die Verteidiger Anträge, dem Gericht übergebene Schreiben als Urk<strong>und</strong>en zu verlesen zum Beweis der Tatsache,<br />

„dass Herr … außerhalb der Hauptverhandlung eine Erklärung zu seiner Person in schriftlicher Form verfasst hat, in<br />

der zu den Vorwürfen, die die Anklage erhebt, Stellung genommen wird <strong>und</strong> dass in dieser Erklärung der Tathergang,<br />

so wie von Herrn … erinnert wird, wiedergegeben ist“. Das Landgericht hat die Beweisanträge als unzulässig<br />

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verworfen, weil sie darauf abzielten, die Einlassungen der Angeklagten zu ersetzen. Die Ablehnung der Anträge hält<br />

im Ergebnis der rechtlichen Nachprüfung stand.<br />

a) Soweit das Landgericht die Schreiben als „Einlassung“ der Angeklagten ausgelegt hat, war die Ablehnung der<br />

Anträge, die Schreiben zu verlesen, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Schreiben entsprachen sowohl<br />

nach ihrer Zweckbestimmung als auch nach ihrem Inhalt den Ausführungen, die ein Angeklagter im Rahmen der<br />

Hauptverhandlung in Anwendung des § 243 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 Satz 2 StPO als Äußerung zur Sache macht, sofern er hierzu<br />

bereit ist. Dies gilt sowohl für die von den Verteidigern erfassten Erklärungen als auch für die handschriftlichen<br />

Zusätze der Angeklagten. Eine Verlesung durch das Gericht kann die Einlassung des Angeklagten nicht ersetzen<br />

(BGH NJW 1994, 2904, 2906).<br />

b) Die von den Verteidigern gestellten Anträge auf Verlesung der Schreiben als Urk<strong>und</strong>en waren keine ordnungsgemäßen<br />

Beweisanträge. Sie enthielten keine Bezeichnung <strong>und</strong> Behauptung einer bestimmten Beweistatsache. Dass die<br />

Angeklagten jeweils eine Erklärung mit Stellungnahme zu den Anklagevorwürfen verfasst hatten, war als solches<br />

keine für den Schuld- oder Strafausspruch relevante Tatsache (vgl. BGH NJW 1994, 2904, 2906; NStZ 2000, 439;<br />

Schäfer in Festschrift für Hans Dahs 2005 S. 441, 448 f). Die Behauptung, in den Schriftstücken sei der Tathergang<br />

so, wie er von dem jeweiligen Angeklagten erinnert werde, wiedergegeben, konnte durch deren Verlesung nicht<br />

bewiesen werden. Die Verlesung der von den Verteidigern der Angeklagten verfassten Schriftstücke nebst handschriftlicher<br />

Zusätze der Angeklagten war nicht geeignet, die Übereinstimmung ihres Inhalts mit der tatsächlichen<br />

Erinnerung der Angeklagten zu beweisen.<br />

c) Das Landgericht war auch nicht verpflichtet, die Schreiben nach den Regeln des § 245 StPO als präsentes Beweismittel<br />

zu verlesen. Die Schreiben waren nicht im Sinne von § 245 Abs. 1 StPO als Beweisgegenstand vom Gericht<br />

herbeigeschafft worden (BGHSt 37, 168; BGH NJW 1994, 2904, 2906). Für alle übrigen Fälle in der Hauptverhandlung<br />

vorliegender Beweismittel gilt § 245 Abs. 2 Satz 1 StPO: Nur ein förmlicher Beweisantrag (oder die Aufklärungspflicht)<br />

kann das Gericht verpflichten, das Beweismittel in die Hauptverhandlung einzuführen. Für einen<br />

solchen Beweisantrag im Rahmen des § 245 Abs. 2 StPO gelten die Bestimmtheitserfordernisse des Beweisantragsrechts,<br />

die hier nicht erfüllt waren.<br />

d) Ob darüber hinaus auch der Gr<strong>und</strong>satz der persönlichen Vernehmung einer Ersetzung der Einlassungen der Angeklagten<br />

durch die gerichtliche Verlesung einer vom Verteidiger zu diesem Zwecke verfassten Erklärung entgegen<br />

stünde (vgl. dazu einerseits Geppert in Festschrift für Rudolphi 2004, 643 ff.; andererseits Schäfer a.a.O. S. 447 ff.),<br />

kann deshalb dahingestellt bleiben. Eine Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) durch die Nichtverlesung<br />

der Erklärungen ist in diesem Zusammenhang nicht gerügt.<br />

3. Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht durch Unterlassung der Verlesung der schriftlichen Erklärungen der<br />

Mitangeklagten (§ 244 Abs. 2 StPO): Die Rügen, das Landgericht habe sich aufgr<strong>und</strong> der Aufklärungspflicht jeweils<br />

zur Verlesung der ihm übergebenen schriftlichen Erklärungen der beiden Mitangeklagten gedrängt sehen müssen,<br />

sind unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), weil sie wesentliche Verfahrensvorgänge nicht mitteilen. Die Revisionen<br />

tragen nicht vor, auf Gr<strong>und</strong> welcher Umstände sich das Landgericht zu der vermissten Verlesung hätte gedrängt<br />

sehen müssen. Alle drei Angeklagten sind im Ermittlungsverfahren von dem Kriminalhauptkommissar K. vernommen<br />

worden; dieser wurde in der Hauptverhandlung als Zeuge gehört. Das tragen die Revisionen nicht vor. Allein<br />

der Vortrag der Tatsache, dass die Mitangeklagten in der Hauptverhandlung von ihrem Recht zu schweigen<br />

Gebrauch gemacht hatten, reicht nicht aus, um beurteilen zu können, ob das Tatgericht bei sorgfältiger <strong>und</strong> verständiger<br />

Würdigung dieses Umstands begründete Zweifel an der Richtigkeit der (auf Gr<strong>und</strong> der bisherigen Beweisaufnahme<br />

erlangten) Überzeugung haben <strong>und</strong> deshalb durch die Verlesung der schriftlichen Erklärungen weiteren Erkenntnisgewinn<br />

erwarten konnte, so dass es diese Möglichkeit zu weiterer Beweiserhebung nutzen musste. Das Tatgeschehen<br />

in der Wohnung hat das Landgericht aufgr<strong>und</strong> der Aussagen der Zeugen Michael F. , Nadine Fr. <strong>und</strong><br />

Marcel Me. festgestellt. Der frühere Mitangeklagte A. hatte die Richtigkeit der gegen ihn <strong>und</strong> die Mitangeklagten<br />

erhobenen Vorwürfe pauschal bestätigt. Aus diesem äußeren Tatgeschehen hat das Landgericht gefolgert, dass Ausführungsart<br />

<strong>und</strong> Zielrichtung der Tat vorher abgesprochen waren, was die Angeklagten in ihren schriftlichen Erklärungen<br />

bestritten. Unter diesen Umständen hätten die Revisionen nähere Ausführungen machen müssen, um dem<br />

Revisionsgericht die Überprüfung zu ermöglichen, ob sich der Strafkammer die Verlesung der schriftlichen Erklärungen<br />

aufdrängen musste, zumal deren Beweiswert gr<strong>und</strong>sätzlich nicht so hoch eingeschätzt werden kann wie derjenige<br />

von mündlichen Angaben eines Mitangeklagten, der auf Nachfragen antwortet <strong>und</strong> dem Vorhalte gemacht<br />

werden können. Der Angeklagte M. hatte bei der Polizei Angaben gemacht, der Vernehmungsbeamte K. ist ausweislich<br />

der Urteilsgründe dazu vernommen worden. Die Revisionen teilen nicht mit, ob die frühere Aussage des Angeklagten<br />

M. mit seiner schriftlichen Erklärung inhaltlich übereinstimmte, so dass seine Angaben inhaltlich bereits<br />

Gegenstand der Beweisaufnahme waren. Die Revisionen teilen auch nicht mit, was die Angeklagten D. <strong>und</strong> R. bei<br />

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ihren polizeilichen Vernehmungen ausgesagt haben <strong>und</strong> ob diese Vernehmungen Gegenstand der Hauptverhandlung<br />

waren.<br />

4. Rüge der Verletzung der Hinweispflicht gemäß § 265 Abs. 1 StPO: Alle drei Angeklagten erheben ferner die Rüge,<br />

dass sie wegen erpresserischen Menschenraubs (§ 239 a StGB) verurteilt worden sind, ohne einen rechtlichen<br />

Hinweis auf die Möglichkeit einer Verurteilung nach § 239 a StGB erhalten zu haben. Der Rüge liegt nach dem<br />

Vortrag der Revisionen folgendes Verfahrensgeschehen zu Gr<strong>und</strong>e: die Anklage zum Jugendschöffengericht hatte<br />

den Angeklagten gemeinschaftlichen Raub in Tateinheit mit gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung zur<br />

Last gelegt. Durch Beschluss vom 13. Februar 2006 hatte das Jugendschöffengericht die Sache der Jugendkammer<br />

bei dem Landgericht mit der Bitte um Prüfung der Übernahme gemäß § 209 Abs. 2 StPO vorgelegt, weil das Landgericht<br />

die Tat im Beschwerdeverfahren als erpresserischen Menschenraub bewertet habe <strong>und</strong> die Strafgewalt des<br />

Jugendschöffengerichts möglicherweise nicht ausreiche. Das Landgericht übernahm die Sache <strong>und</strong> ließ die Anklage<br />

unverändert zur Hauptverhandlung zu. Die Angeklagten wurden wegen erpresserischen Menschenraubs verurteilt,<br />

ohne dass zuvor in der Hauptverhandlung ein entsprechender ausdrücklicher rechtlicher Hinweis erging. Die Rügen<br />

sind jedenfalls unbegründet. Ein ausdrücklicher Hinweis gemäß § 265 Abs. 1 StPO war nicht erforderlich, weil die<br />

Angeklagten aus dem Beschluss des Amtsgerichts in Verbindung mit dem Übernahmebeschluss des Landgerichts<br />

ohne weiteres erkennen konnten, dass nunmehr der strafrechtliche Vorwurf des erpresserischen Menschraubs gemäß<br />

§ 239 a StGB im Raum stand. Dass der Beschluss des Amtsgerichts den Angeklagten nicht zur Kenntnis gebracht<br />

worden sei, tragen die Revisionen nicht vor.<br />

II. Verfahrensrügen des Angeklagten D.<br />

1. Rüge der Mitwirkung des wegen seiner Äußerungen im Haftprüfungstermin <strong>und</strong> wegen der Terminierung abgelehnten<br />

Vorsitzenden (§ 338 Nr. 3, §§ 24 ff. StPO): Der Verteidiger des Angeklagten D. hat den Vorsitzenden der<br />

Strafkammer namens des Angeklagten am ersten Hauptverhandlungstag abgelehnt. Dem Ablehnungsgesuch lagen<br />

zum einen Äußerungen des Vorsitzenden im Haftprüfungstermin vom 6. April 2006 zu Gr<strong>und</strong>e. Zum anderen wurde<br />

es darauf gestützt, dass der Vorsitzende das Verfahren trotz Untersuchungshaft des Angeklagten nicht unverzüglich<br />

terminiert habe, sondern sich darauf berufen habe, dass er es als Verteidiger wegen der mitwirkenden Personen nicht<br />

kurzfristig zwischen anderen Verfahren habe terminieren können <strong>und</strong> zusätzliche Verhandlungstage habe einplanen<br />

müssen. Die Rüge ist, soweit sie sich auf die Äußerungen des Vorsitzenden stützt, unzulässig <strong>und</strong> im Übrigen unbegründet.<br />

Der Vorsitzende Richter hat in seiner Dienstlichen Erklärung zu den Vorwürfen im Befangenheitsantrag auf<br />

das Protokoll des Haftprüfungstermins vom 6. April 2006 sowie auf den Inhalt eines Beschlusses vom 11. Mai 2006<br />

verwiesen. Den Inhalt dieser Schriftstücke teilt die Revision nicht mit (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Dass der Vorsitzende<br />

Richter von einer möglicherweise längeren Verfahrensdauer ausgegangen ist <strong>und</strong> „Reservetage“ bei der Terminierung<br />

der Hauptverhandlung eingeplant hat, ist nicht zu beanstanden. Die von der Revision im Zusammenhang<br />

mit den Verfahrensrügen mitgeteilten Auszüge aus dem Hauptverhandlungsprotokoll belegen, dass die Erwartung<br />

des Strafkammervorsitzenden, die beigeordneten Verteidiger, die ihm aus früheren Strafverfahren bekannt waren,<br />

würden zahlreiche Anträge zum Verfahrensablauf stellen, erfüllt worden ist. Die Übernahme des Verfahrens vom<br />

Jugendschöffengericht war angesichts des Vorwurfs eines Verbrechens nach § 239 a StGB ohne weiteres sachgerecht.<br />

2. Rüge der rechtsfehlerhaften Ablehnung eines Beweisantrags wegen Bedeutungslosigkeit (§ 244 Abs. 3 Satz 2<br />

StPO): Den Beweisantrag auf Vernehmung des Zeugen Refile H. hat die Strafkammer rechtsfehlerfrei als bedeutungslos<br />

abgelehnt. Auf die Frage, in welchem Umfang der Bruder des Geschädigten bei dem Angeklagten D.<br />

Schulden hatte, kam es für den Tatvorwurf nicht an.<br />

III. Verfahrensrügen des Angeklagten R.<br />

1. Rüge der Mitwirkung des wegen Befangenheit abgelehnten Vorsitzenden (§ 338 Nr. 3, §§ 24 ff. StPO): Der Verteidiger<br />

des Angeklagten R. hat namens des Angeklagten den Vorsitzenden der Strafkammer vor Beginn der Hauptverhandlung<br />

wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, weil zwischen dem Vorsitzenden <strong>und</strong> ihm, Rechtsanwalt<br />

Ru. , persönliche Differenzen bestanden, die ihren Ursprung in einem anderen Strafverfahren hatten. Der Vorsitzende<br />

Richter hatte es zunächst trotz ausdrücklichem Wunsch des Angeklagten abgelehnt, Rechtsanwalt Ru. als Verteidiger<br />

beizuordnen, <strong>und</strong> ordnete Rechtsanwalt S. bei. Außer auf die Umstände der Beiordnung von Rechtsanwalt Ru.-<br />

war der Befangenheitsantrag darauf gestützt, dass die Strafkammer am 29. März 2006 einen Haftbefehl gegen den<br />

Angeklagten R. erlassen hatte, nachdem mehrere Zustellungen den Angeklagten nicht erreicht hatten. Die Zustellversuche<br />

erfolgten alle unter einer falschen Anschrift, weil in den Zustellungsurk<strong>und</strong>en, wie auch in der Anklageschrift,<br />

die Hausnummer fehlerhaft angegeben war. Die richtige Anschrift des Angeklagten war aus den Akten ersichtlich.<br />

Die Strafkammer erkannte ihr Versehen noch am selben Tage <strong>und</strong> hob den Haftbefehl wieder auf. Während des<br />

Ablehnungsverfahrens lehnte der Angeklagte auch das zur Mitwirkung an der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch<br />

berufene Mitglied der Strafkammer, Richter am Landgericht Dr. Fre. - , ab, weil dieser am Erlass des Haftbe-<br />

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fehls beteiligt gewesen war. Das Landgericht hat beide Befangenheitsanträge zu Recht als unbegründet verworfen.<br />

Zwar ergibt sich aus dem Revisionsvorbringen, dass zwischen dem Vorsitzenden Richter <strong>und</strong> Rechtsanwalt Ru. ein<br />

„Privatkrieg“ geführt wurde. Eine Besorgnis der Befangenheit für den Angeklagten ergab sich daraus jedoch noch<br />

nicht. Der Vorsitzende ist im Ergebnis der Rechtsansicht des Oberlandesgerichts Köln gefolgt <strong>und</strong> hat Rechtsanwalt<br />

Ru. beigeordnet. Dafür, dass er dem Angeklagten gegenüber voreingenommen war, ergeben sich aus dem Revisionsvorbringen<br />

keine Anhaltspunkte. Ihm sind keine hinreichend konkreten Hinweise darauf zu entnehmen, dass der<br />

Angeklagte befürchten musste, der Vorsitzende werde Anträge seines Verteidigers nur deshalb ablehnen, weil sie<br />

von Rechtsanwalt Ru. kämen. Die Einplanung zusätzlicher Terminstage <strong>und</strong> die Beiordnung eines zweiten Verteidigers<br />

zur Verfahrenssicherung spricht eher gegen eine solche Befürchtung. Im Übrigen war dieses Vorgehen für sich<br />

gesehen sachgerecht. Der fehlerhafte Erlass des Haftbefehls wurde am Nachmittag desselben Tages durch Aufhebung<br />

des Haftbefehls korrigiert. Ein solches Versehen rechtfertigt ebenfalls nicht die Besorgnis der Befangenheit.<br />

Die Verfahrensweise der Strafkammer, zunächst das später gestellte Ablehnungsgesuch gegen RiLG Dr. Fre. zurückzuweisen,<br />

entsprach der Rechtslage (BGHSt 21, 334).<br />

2. Rüge der Mitwirkung des wegen Befangenheit abgelehnten Vorsitzenden (§ 338 Nr. 3, §§ 24 ff. StPO): Auch die<br />

Ablehnung des weiteren Befangenheitsantrags vom zweiten Hauptverhandlungstag hält der rechtlichen Nachprüfung<br />

stand. Der Vorsitzende hat in seiner Dienstlichen Erklärung in Abrede genommen, die ihm vorgeworfene Äußerung<br />

(„Ich lasse mich dann vom BGH belehren <strong>und</strong> dann lasse ich das Verlesen zu“) gemacht zu haben. Ausweislich<br />

seiner Dienstlichen Erklärung hat er auch entgegen der Behauptung der Revision allen Verteidigern schon am ersten<br />

Tag zugesichert, dass aus verhandlungsbedingten Verzögerungen bei - 14 -<br />

der Stellung von Befangenheitsanträgen ihren Mandanten generell keine prozessualen Nachteile entstünden. Dass er<br />

die Unwahrheit gesagt hat, wird durch die anwaltlichen Versicherungen der Verteidiger nicht bewiesen. Der Umstand,<br />

dass der Vorsitzende den Verteidiger im Rahmen seiner Sachleitung darauf verwiesen hat, einen Protokollierungsantrag<br />

nach § 273 Abs. 3 StPO außerhalb der Hauptverhandlung zu stellen, rechtfertigt die Besorgnis der Befangenheit<br />

ebenfalls nicht. Eine solche Handhabung der wörtlichen Protokollierung ist zwar nicht sachgerecht. Einfache<br />

Verfahrensverstöße oder unzutreffende Rechtsansichten können aber für einen besonnenen Angeklagten kein<br />

hinreichender Anlass für die Besorgnis der Befangenheit sein (vgl. Senat StV 2005, 531).<br />

IV. Verfahrensrüge des Angeklagten M.<br />

Rüge der Mitwirkung des wegen Befangenheit abgelehnten Vorsitzenden (§ 338 Nr. 3, §§ 24 ff. StPO): Soweit der<br />

Angeklagte M. in seinem oben unter I. 1. dargestellten Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter <strong>und</strong> die<br />

Beisitzerin weiteres Verhalten des Vorsitzenden schildert, das in ihm die Besorgnis der Voreingenommenheit hervorgerufen<br />

habe, sind diese Vorfälle entweder nicht nachgewiesen („Grinsen des Vorsitzenden“, fehlende Zusicherung,<br />

dass aus verspäteter Antragstellung keine prozessualen Nachteile entstehen) oder aus Rechtsgründen nicht zu<br />

beanstanden („Verhandlungsleitung“).<br />

V. Die umfassende Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat keine Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten<br />

ergeben.<br />

StPO § 24, § 338 Nr. 3 – Ablehnung des Vorsitzenden nach Äußerungen<br />

BGH, Beschl. vom 15.05.2007 – 3 StR 132/07<br />

Die Frage eines Vorsitzenden an einen die Tat bestreitenden oder schweigenden Angeklagten, wie<br />

lange er sich "das" (d. h. das sichtbare Leiden einer jugendlichen Belastungszeugin) "noch anhören"<br />

wolle, kann schon für sich - je nach den Umständen - auch bei einem verständigen Angeklagten<br />

den Eindruck erwecken, dass der Vorsitzende ihn zu einem Geständnis drängen will, weil er von<br />

seiner Schuld überzeugt ist <strong>und</strong> der Zeugin weiteres Ungemach durch die Fortsetzung der Vernehmung<br />

ersparen will.<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> des Beschwerdeführers<br />

am 15. Mai 2007 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:<br />

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 11. September 2006 mit den<br />

zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist. Die Sache wird zu neuer Verhandlung<br />

<strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels <strong>und</strong> die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren<br />

entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

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Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person <strong>und</strong> wegen<br />

schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren <strong>und</strong> drei<br />

Monaten verurteilt. Von weiteren Vorwürfen hat es ihn freigesprochen. Die gegen die Verurteilung gerichtete Revision<br />

des Angeklagten hat mit der Rüge eines Verstoßes gegen § 338 Nr. 3 StPO Erfolg. Das Landgericht hat das<br />

Ablehnungsgesuch des Angeklagten, das wegen Besorgnis der Befangenheit gegen den Vorsitzenden der Strafkammer<br />

gerichtet war, zu Unrecht zurückgewiesen (§ 24 Abs. 2 StPO). Der Beanstandung liegt folgender Verfahrensablauf<br />

zugr<strong>und</strong>e: Dem Angeklagten waren insgesamt elf Sexualdelikte zum Nachteil von drei jüngeren Schwestern<br />

seiner Ehefrau vorgeworfen worden. Am ersten Verhandlungstag erklärte er, er werde sich nicht zur Sache einlassen.<br />

Der Vorsitzende nahm dies zum Anlass für den Hinweis an den Angeklagten, aus Gründen der Fürsorge für ihn <strong>und</strong><br />

die möglicherweise Geschädigten teile er gleichwohl mit, dass einem Geständnis - wenn der Angeklagte denn etwas<br />

zu gestehen habe - eine erheblich strafmildernde Wirkung beikomme <strong>und</strong> der Angeklagte in diesem Fall mit einer<br />

Freiheitsstrafe um die sechs Jahre rechnen könne; sollte sich das Gericht von der Richtigkeit der Anklagevorwürfe<br />

nach umfangreicher Beweisaufnahme überzeugen, müsse er mit einer Freiheitsstrafe rechnen, die auch im zweistelligen<br />

Bereich liegen könne oder nahe an diesen herankomme. Das damit verb<strong>und</strong>ene Angebot des Vorsitzenden, die<br />

Sitzung zu einer Rücksprache mit dem Verteidiger zu unterbrechen, lehnte der Angeklagte ab <strong>und</strong> teilte mit, er bleibe<br />

bei seiner Entscheidung. Daraufhin begann die Strafkammer am nächsten Verhandlungstag mit der Vernehmung der<br />

Nebenklägerinnen. Als am dritten Verhandlungstag die sechzehnjährige Nebenklägerin Michaela S. bei ihrer Vernehmung<br />

zu weinen anfing, unterbrach der Vorsitzende die Verhandlung für zehn Minuten <strong>und</strong> fragte den Angeklagten,<br />

wie lange er sich das noch anhören wolle; den Verteidiger bat er, doch vielleicht noch einmal mit dem Angeklagten<br />

zu reden. Zu dem daraufhin gegen den Vorsitzenden gerichteten Ablehnungsantrag erklärte dieser dienstlich,<br />

seine Äußerung habe sich nur auf seinen, zu Beginn des ersten Hauptverhandlungstags gegebenen Hinweis bezogen.<br />

Das Landgericht hat den Ablehnungsantrag als unbegründet zurückgewiesen <strong>und</strong> dazu ausgeführt, der Vorsitzende<br />

habe, als er sich in Anknüpfung an den ursprünglich erteilten Hinweis zur Strafmilderung eines Geständnisses erneut<br />

an den Angeklagten gewandt hatte, angesichts der zu diesem Zeitpunkt noch ausstehenden umfangreichen weiteren<br />

Beweisaufnahme lediglich seiner Fürsorgepflicht Genüge getan. Entgegen der Auffassung des Landgerichts waren<br />

die Bemerkungen des Vorsitzenden der Strafkammer geeignet, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen<br />

(§ 24 Abs. 2 StPO). Zwar gibt die Verhandlungsführung eines Vorsitzenden nicht schon dann Anlass, dessen<br />

Befangenheit zu besorgen, wenn er dem Angeklagten in nachdrücklicher Form Vorhalte macht, auf das nach dem<br />

gegebenen Sachstand zu erwartende Verfahrensergebnis hinweist oder die Bedeutung eines Geständnisses für die<br />

Strafzumessung hervorhebt (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 208 m. w. N.). Indes gingen die Äußerungen des Vorsitzenden<br />

hier darüber hinaus. Die Frage eines Vorsitzenden an einen die Tat bestreitenden oder schweigenden Angeklagten,<br />

wie lange er sich "das" (d. h. das sichtbare Leiden einer jugendlichen Belastungszeugin) "noch anhören" wolle,<br />

kann schon für sich - je nach den Umständen - auch bei einem verständigen Angeklagten den Eindruck erwecken,<br />

dass der Vorsitzende ihn zu einem Geständnis drängen will, weil er von seiner Schuld überzeugt ist <strong>und</strong> der Zeugin<br />

weiteres Ungemach durch die Fortsetzung der Vernehmung ersparen will. Die Gefahr eines solchen Verständnisses<br />

seiner Frage kann der Vorsitzende zwar ausschließen, indem er diese unter den Vorbehalt etwa gegebener Schuld<br />

stellt ("Vielleicht sollten Sie sich, wenn Sie die Tat begangen haben, jetzt noch einmal überlegen, ob Sie der Zeugin<br />

dies nicht ersparen können." o. ä.). Einen solchen ausdrücklichen Vorbehalt hat der Vorsitzende indes nicht angebracht.<br />

Die Umstände, unter denen die beanstandete Frage des Vorsitzenden hier gestellt worden ist, sind eher dazu<br />

angetan, die Besorgnis der Befangenheit zu verstärken als sie auszuräumen: Der Vorsitzende hatte dem Angeklagten<br />

bereits zu Beginn der Hauptverhandlung verdeutlicht, dass sich ein Geständnis auf die Bestrafung günstig auswirken<br />

würde, <strong>und</strong> dabei sogar eine in dieser Höhe nicht mehr vertretbare Milderung der Strafe angeboten. Gleichwohl hatte<br />

der Angeklagte ohne Zögern an seiner Entscheidung für das Schweigen festgehalten. Wenn in einer solchen Situation<br />

der Vorsitzende - nur zwei Verhandlungstage später, vor abgeschlossener Befragung der Zeugin <strong>und</strong> ohne dass<br />

der Angeklagte oder sein Verteidiger durch ihr Verhalten dazu Anlass geben - erneut auf ein Geständnis drängt, kann<br />

auch ein verständiger Angeklagter Zweifel daran haben, dass der Vorsitzende noch mit der gebotenen Unvoreingenommenheit<br />

an die Sache herangeht. Das gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - die Beweisaufnahme noch am Anfang<br />

steht <strong>und</strong> erdrückendes objektives Beweismaterial nicht vorliegt. Unter den gegebenen Umständen - zumal<br />

unter Berücksichtigung der Tage zuvor ausdrücklich bekräftigten Absicht des Angeklagten, schweigen zu wollen -<br />

kam in der beanstandeten Frage auch keine konkludente Bezugnahme auf die eingangs der Hauptverhandlung gegebenen<br />

Hinweise <strong>und</strong> den darin ausdrücklich geäußerten Vorbehalt etwa gegebener Schuld zum Ausdruck. Die dienstliche<br />

Erklärung des Vorsitzenden ändert hier daran nichts.<br />

21


StPO § 24, § 338 Nr. 3 – Ablehnung wegen kritikloser Übernahme der Feststellungen teilweise aufgehobenen<br />

Urteils in Haftentscheidung<br />

BGH, Urt. vom 20.06.2007 – 1 StR 167/07<br />

Der Tatrichter ist nach Aufhebung <strong>und</strong> Zurückverweisung unter Aufhebung der Feststellungen<br />

auch zur Strafzumessung nicht an die Strafzumessung des früheren Tatrichters geb<strong>und</strong>en. Das gilt<br />

insbesondere dann, wenn - wie hier - das Urteil insgesamt mit den Feststellungen aufgehoben wird.<br />

Schon deshalb hat der neue Tatrichter über Art <strong>und</strong> Höhe der Strafen so zu befinden, als ob das<br />

frühere Urteil nicht in der Welt wäre. Selbst dann, wenn er zum Tatgeschehen im Wesentlichen zu<br />

den gleichen Feststellungen gelangt wie der frühere Tatrichter, ist er bei seinen - eigenständig zu<br />

treffenden - Strafzumessungserwägungen frei. Aufgr<strong>und</strong> der vor ihm durchgeführten Beweisaufnahme<br />

kann <strong>und</strong> muss er den aus dem Inbegriff seiner Hauptverhandlung gewonnenen Sachverhalt<br />

eigenständig bewerten. Hierbei kann er trotz vergleichbarer Feststellungen - schon aufgr<strong>und</strong> seines<br />

unmittelbaren Eindrucks, auch vom Angeklagten <strong>und</strong> dem Geschädigten - zu einer anderen Gewichtung<br />

des Schuldumfangs kommen als der frühere Tatrichter. Das ist ihm nicht nur erlaubt; die<br />

eigenständige Bewertung ist ihm vielmehr durch die Aufhebung der Feststellungen auch aufgegeben.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat auf Gr<strong>und</strong> der Verhandlung vom 19. Juni 2007, in der Sitzung am 20.<br />

Juni 2007 für Recht erkannt:<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 18. Oktober 2006 wird verworfen.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels <strong>und</strong> die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen<br />

notwendigen Auslagen zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hatte den Angeklagten mit Urteil vom 22. Dezember 2004 wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit<br />

Körperverletzung in fünf Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Dieses Urteil hatte der Senat<br />

mit Beschluss vom 25. Oktober 2005 (StV 2006, 399) mit den Feststellungen insgesamt aufgehoben, weil es unter<br />

Verstoß gegen § 260 Abs. 1 StPO ohne nochmalige Beratung verkündet worden war. Nach der Zurückverweisung<br />

hat eine Kammer des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts mit Beschluss vom 16. März 2006 (NJW 2006, 1336) die Haftfortdauerbeschlüsse<br />

des Landgerichts <strong>und</strong> die Beschwerdeentscheidungen des Oberlandesgerichts aufgehoben, weil es<br />

seit dem (aufgehobenen) Urteil zu rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerungen von mehr als drei Monaten gekommen<br />

war. Nunmehr hat das Landgericht mit Urteil vom 18. Oktober 2006 den Angeklagten erneut verurteilt. Für<br />

denselben Schuldspruch hat es - entsprechend den Anforderungen an die Strafkammer bei der Kompensation wegen<br />

rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung - zwar fiktiv auf höhere Einzelstrafen <strong>und</strong> auch auf eine höhere Gesamtstrafe<br />

(fünf Jahre <strong>und</strong> sechs Monate) erkannt. Unter Abzug eines Strafabschlages wegen der Verfahrensverzögerung<br />

hat es aber im Ergebnis wieder dieselben Strafen verhängt wie im aufgehobenen ersten Urteil. Gegen das zweite<br />

Urteil des Landgerichts wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision. Er erhebt eine Befangenheitsrüge, beanstandet<br />

die unzureichende Kompensation der Verfahrensverzögerung <strong>und</strong> rügt darüber hinaus allgemein die Verletzung<br />

sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.<br />

I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:<br />

1. Im Juli 2003, etwa drei Monate nach der Eheschließung mit der Geschädigten Z. K. , welche in einem strenggläubigen<br />

moslemischen <strong>und</strong> überwiegend durch Traditionen geprägten Elternhaus aufgewachsen war, kam es zu einer<br />

verbalen Auseinandersetzung der Eheleute in ihrer Wohnung. Dabei versetzte der Angeklagte seiner Ehefrau zunächst<br />

einen Schlag mit der flachen Hand ins Gesicht. Danach versetzte er ihr noch weitere Schläge, zog sie<br />

schmerzhaft an den Haaren, zerrte sie ins Schlafzimmer, wo er sie aufs Bett warf <strong>und</strong> ihr weitere schmerzhafte<br />

Schläge versetzte, schließlich ihre Schenkel auseinanderpresste <strong>und</strong> danach den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss<br />

ausführte, obgleich seine Ehefrau versuchte, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Weil sich die Geschädigte für<br />

ihren Ehemann schämte <strong>und</strong> weil man entsprechend ihrer Erziehung nicht über sexuelle Dinge sprach, erzählte sie<br />

diesen <strong>und</strong> die nachstehenden Vorfälle zunächst keiner anderen Person. Ob es in den folgenden Monaten zu weiteren<br />

sexuellen Übergriffen des Angeklagten gegenüber seiner Ehefrau kam, konnte nicht zweifelsfrei geklärt werden.<br />

2. Ende Oktober/Anfang November 2003, wiederum nach einer vorangegangenen verbalen Auseinandersetzung,<br />

schlug der Angeklagte seine Ehefrau erneut ins Gesicht, zerrte sie ins Schlafzimmer <strong>und</strong> führte dort gegen deren<br />

22


Willen den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss aus. In der Folgezeit entschuldigte sich der Angeklagte schriftlich<br />

bei der Geschädigten, <strong>und</strong> das Eheleben verlief danach "äußerlich harmonisch".<br />

3. Anfang/Mitte Januar 2004 kam es jedoch erneut zu einer verbalen Auseinandersetzung, in deren Folge der Angeklagte<br />

seine Ehefrau wiederum schlug, sie ins Schlafzimmer zerrte, sie dort auf dem Bett fixierte <strong>und</strong> den Geschlechtsverkehr<br />

bis zum Samenerguss durchführte. Während dieses Geschehens hatte der Angeklagte der Geschädigten<br />

weitere Schläge gegen das Gesicht <strong>und</strong> den Oberkörper versetzt, sie kurzzeitig mit den Händen am Hals gewürgt<br />

<strong>und</strong> den Kopf gegen das Kopfende des Bettes beziehungsweise gegen die Wand geschlagen. Nach diesem<br />

Vorfall war die Geschädigte völlig verzweifelt, erwog einen Selbstmord, begab sich dann aber zu ihrer am selben Ort<br />

wohnenden älteren Schwester. Auf deren Nachfrage hinsichtlich erkennbarer Verletzungsspuren berichtete sie nur<br />

von den Schlägen, aus Scham aber nicht von den sexuellen Übergriffen des Angeklagten. Die Geschädigte verblieb<br />

die Nacht über bei ihrer Schwester, wobei ihr der Angeklagte noch in dieser Nacht mehrere SMS-Mitteilungen übersandte,<br />

in denen er um Entschuldigung bat <strong>und</strong> beteuerte, dass es nie wieder passieren werde. Die Geschädigte kehrte<br />

daraufhin am nächsten Tag in die Ehewohnung zurück. Etwa einen Monat später, am 14. Februar 2004, schlug der<br />

Angeklagte, wiederum nach einer vorangegangenen Auseinandersetzung, seine Ehefrau erneut, worauf diese versuchte,<br />

sich mit einem Rasiermesser die Pulsadern zu öffnen, was der Angeklagte allerdings dadurch verhinderte,<br />

dass er ihr das Rasiermesser wegnahm. Die Geschädigte flüchtete darauf wieder zu ihrer Schwester, kehrte jedoch in<br />

die Ehewohnung zurück, nachdem ihr Schwager mit dem Angeklagten ein Gespräch geführt <strong>und</strong> dieser sich erneut<br />

schriftlich entschuldigt hatte.<br />

4. Am 1. April 2004 kam es dann zu einer erneuten Auseinandersetzung der Eheleute. Der Angeklagte wies die Geschädigte<br />

darauf hin, "dass sie als türkische Ehefrau alles zu machen habe, was ihre Schwiegereltern von ihr verlangten,<br />

dass sie allerdings auf der anderen Seite keinen Anspruch darauf habe, ihre Eltern, so oft sie wolle, zu sehen".<br />

Dann zerrte der Angeklagte die Geschädigte aufs Bett, drehte sie gewaltsam auf den Rücken <strong>und</strong> führte gegen ihren<br />

Willen den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss durch. Die Geschädigte begab sich wiederum zu ihrer Schwester,<br />

welche die Verletzungen bemerkte <strong>und</strong> den weiteren Aufenthalt bei ihr gestattete. Erst nachdem auf Initiative der<br />

Mutter des Angeklagten zwei Vermittler sich eingeschaltet <strong>und</strong> erklärt hatten, sie würden in Zukunft dafür Sorge<br />

tragen <strong>und</strong> mit ihrem Wort dafür einstehen, dass die Geschädigte nicht mehr geschlagen würde, <strong>und</strong> nachdem der<br />

Angeklagte zudem in deren Beisein gegenüber seiner Ehefrau <strong>und</strong> deren Vater versprochen hatte, er werde sie nicht<br />

mehr schlagen, schickte der Vater der Geschädigten seine Tochter am 9. April 2004 in die Ehewohnung zurück.<br />

5. Nachdem es zunächst keine weiteren Zwischenfälle gegeben hatte, kam es am Vormittag des 24. April 2004 wiederum<br />

zu einem Streit der Eheleute. Dabei packte der Angeklagte seine Frau am Arm, schubste sie auf das Bett,<br />

drehte sie auf den Rücken <strong>und</strong> fixierte sie in dieser Lage mit seinem Gewicht <strong>und</strong> zusätzlich mit einem Griff um<br />

ihren Hals. Nachdem er gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr durchgeführt hatte, führte der Angeklagte einen<br />

mit Vaseline eingecremten Finger tief in den After seiner Frau ein, um diese zusätzlich zu erniedrigen. In der Folge<br />

trennte sich die Geschädigte endgültig von dem Angeklagten, wobei sie "nach wie vor" - trotz zwischenzeitlich (am<br />

20. Juli 2005) erfolgter Ehescheidung - unter erheblichen Schlafstörungen leidet, reizbar <strong>und</strong> schreckhaft ist <strong>und</strong><br />

dissoziative Gedanken entwickelt. Auf der Gr<strong>und</strong>lage dieser neu getroffenen Feststellungen hat die Strafkammer zu<br />

Recht (vgl. Senat NJW 2001, 2983) im Rahmen der Strafzumessung ausgeführt: "Strafschärfend hat die Kammer<br />

auch die aus den Taten resultierenden sozialen Folgen für die Geschädigte, die auf deren gesamte Lebensplanung bis<br />

heute ausstrahlen, berücksichtigt. So musste die Geschädigte nach der auf Gr<strong>und</strong> der Taten erfolgten Trennung in ihr<br />

Elternhaus zurückkehren <strong>und</strong> genießt als geschiedene türkische Ehefrau in ihrem Kulturkreis heute nur ein geringes<br />

Ansehen. Auch sind ihre Aussichten, erneut eine adäquate Ehe eingehen zu können, als geschiedene Frau in ihrem<br />

Kulturkreis erheblich vermindert, was sie ebenfalls als Belastung empfindet."<br />

II. 1. Die auf § 338 Nr. 3, § 24 Abs. 2 StPO gestützte Befangenheitsrüge versagt.<br />

a) Mit seinem gegen den Vorsitzenden <strong>und</strong> die beisitzende Richterin angebrachten Befangenheitsgesuch hatte der<br />

Beschwerdeführer geltend gemacht, diese hätten in einem vor der neuen Hauptverhandlung ergangenen Haftfortdauerbeschluss<br />

keine eigene Prüfung des dringenden Tatverdachts vorgenommen, sondern sich insoweit "fast ausschließlich"<br />

auf die Beweiswürdigung des aufgehobenen Urteils bezogen. Die Aktenlage hätten die Richter nicht<br />

ausgewertet.<br />

b) Die Rüge ist schon unzulässig, denn sie genügt nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Der Beschwerdeführer<br />

trägt den Inhalt der dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter nicht vor; dies gehört indessen<br />

- auch hier - zum notwendigen Rügevortrag (st. Rspr., vgl. nur BGH StV 1996, 2). Dies ist auch deswegen erforderlich,<br />

da durch die dienstliche Äußerung eines abgelehnten Richters ursprünglich verständliches Misstrauen gegen die<br />

Unparteilichkeit beseitigt werden kann.<br />

c) Die Rüge wäre im Übrigen auch unbegründet. Die Vorbefassung des erkennenden Richters mit vom Gesetz vorgesehenen<br />

notwendigen Zwischenentscheidungen, wie Haftfortdauerentscheidungen, kann als solche die Befangenheit<br />

23


nicht rechtfertigen. Die abgelehnten Richter haben zudem die Annahme des dringenden Tatverdachts nicht allein <strong>und</strong><br />

maßgeblich auf die Beweiswürdigung im aufgehobenen Urteil gestützt. Sie haben insoweit vielmehr auch darauf<br />

verwiesen, dass sich die Ergebnisse dieser Beweiswürdigung "im Einklang mit dem sonstigen Akteninhalt befinden".<br />

Das weist aus, dass die Richter eine eigenständige Prüfung des Tatverdachts vorgenommen haben.<br />

2. Die Strafhöhenbemessung ist, auch unter Berücksichtigung der infolge der Verfahrensverzögerung vorzunehmenden<br />

Kompensation <strong>und</strong> der sonstigen Strafzumessungserwägungen rechtsfehlerfrei.<br />

a) Das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO hindert den neuen Tatrichter nicht, bei der synoptischen<br />

Gegenüberstellung der (fiktiv) ohne <strong>und</strong> (im Ergebnis) mit der Verfahrensverzögerung festgesetzten Strafen<br />

höhere fiktive Strafen zu bestimmen als der frühere Tatrichter, wenn die letztlich verhängte Strafe nicht höher ist als<br />

die frühere Strafe (BGHSt 45, 308; BGH, Urt. vom 11. September 2003 - 3 StR 316/02; Beschl. vom 11. April 2007<br />

- 3 StR 115/07).<br />

b) Der neue Tatrichter ist bei der Bemessung der fiktiven Strafen auch sonst nicht an die Strafzumessung des früheren<br />

Tatrichters geb<strong>und</strong>en. Das gilt insbesondere dann, wenn - wie hier - das Urteil insgesamt mit den Feststellungen<br />

aufgehoben wird. Schon deshalb hat der neue Tatrichter über Art <strong>und</strong> Höhe der Strafen so zu befinden, als ob das<br />

frühere Urteil nicht in der Welt wäre (BGHSt 7, 86, 88; 45, 308, 311). Selbst dann, wenn er zum Tatgeschehen im<br />

Wesentlichen zu den gleichen Feststellungen gelangt wie der frühere Tatrichter, ist er bei seinen - eigenständig zu<br />

treffenden - Strafzumessungserwägungen frei. Aufgr<strong>und</strong> der vor ihm durchgeführten Beweisaufnahme kann <strong>und</strong><br />

muss er den aus dem Inbegriff seiner Hauptverhandlung gewonnenen Sachverhalt eigenständig bewerten. Hierbei<br />

kann er trotz vergleichbarer Feststellungen - schon aufgr<strong>und</strong> seines unmittelbaren Eindrucks, auch vom Angeklagten<br />

<strong>und</strong> dem Geschädigten - zu einer anderen Gewichtung des Schuldumfangs kommen als der frühere Tatrichter. Das ist<br />

ihm nicht nur erlaubt; die eigenständige Bewertung ist ihm vielmehr durch die Aufhebung der Feststellungen auch<br />

aufgegeben. Der Senat teilt die Auffassung des 3. Strafsenats (BGHSt 45, 308, 312), dass die Verhängung einer<br />

gleich hohen oder nur unwesentlich ermäßigten Strafe dann einer besonderen Begründung bedarf, wenn die Verletzung<br />

des Beschleunigungsgebotes bei der früheren Straffestsetzung nicht oder nur in geringem Umfang berücksichtigt<br />

worden war oder erst nach der vorausgegangenen tatrichterlichen Entscheidung eingetreten ist. Diese besonderen<br />

Begründungsanforderungen können aber nur dann zur Anwendung kommen, wenn - anders als hier - ausschließlich<br />

der Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben wurde, während die bisherigen Feststellungen<br />

zum Schuldspruch nicht neu zu treffen, sondern für den neuen Tatrichter bindend waren. Die von BGHSt 45, 308<br />

verlangten besonderen Begründungsanforderungen waren zudem maßgeblich davon bestimmt, dass dort allein die<br />

Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben worden war, während die Einzelstrafen bestehen blieben.<br />

c) Im Übrigen hat das Landgericht - das die Häufigkeit <strong>und</strong> Intensität der abgeurteilten Straftaten zu Recht schwerer<br />

bewertet hat als der frühere Tatrichter, dessen allenfalls knapp über der Mindeststrafe liegende Einzelstrafen schwerlich<br />

noch als schuldangemessen bewertet werden können - alle maßgeblichen Strafzumessungserwägungen in nachvollziehbarer<br />

Weise dargelegt. Dabei hat die Kammer auch unter Berücksichtigung der zusätzlich festgestellten<br />

Strafschärfungsgründe erkennbar begründet, aus welchen Gründen sie angesichts der dem Angeklagten zur Last<br />

gelegten Taten <strong>und</strong> unter besonderer Berücksichtigung der daraus resultierenden Folgen für die Geschädigte ohne<br />

das Vorliegen der festgestellten Verfahrensverzögerungen an sich höhere Strafen für jede einzelne Tat ausgesprochen<br />

<strong>und</strong> auch eine höhere Gesamtfreiheitsstrafe verhängt hätte. Die danach vorgenommenen Strafmaßreduzierungen<br />

für die Einzelstrafen sind aus Rechtsgründen ebenso wenig zu beanstanden wie die Höhe der schließlich verhängten<br />

Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren. Auch unter zusätzlicher Berücksichtigung des zwischenzeitlich entstandenen<br />

relativ langen zeitlichen Abstandes zwischen Taten <strong>und</strong> Urteil <strong>und</strong> der sonstigen, nicht auf einer Verzögerung<br />

im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK beruhenden Verfahrensdauer, insbesondere der nahezu sieben Monate<br />

dauernden neuen, zweiten Hauptverhandlung, kann die verhängte Strafe im Hinblick auf die Schwere der Taten <strong>und</strong><br />

die erheblichen gesellschaftlichen, familiären <strong>und</strong> sozialen Folgen für seine inzwischen von ihm geschiedene Ehefrau<br />

nicht als schuldunangemessen bezeichnet werden. Der Senat muss daher nicht besorgen, dass die Kammer ohne<br />

sachlichen Gr<strong>und</strong> auf die bisherigen Strafen erkennen wollte, was freilich rechtlich bedenklich erscheinen könnte.<br />

III. Die Nachprüfung des Urteils aufgr<strong>und</strong> der allgemein erhobenen Sachrüge hat keine Rechtsfehler zum Nachteil<br />

des Angeklagten aufgezeigt.<br />

24


StPO § 26a, § 27 – Ablehnungsgesuch nicht schon wegen Substanzlosigkeit unzulässig � Aufhebung<br />

von BGH NStZ 2004, 630<br />

BVerfG, 2 BvR 836/04 vom 24.2.2006 - NJW 2006, 3129 = StV 2006, 673<br />

1. Ein Ablehnungsantrag, der zwar – rein formal betrachtet – eine Begründung für die angebliche<br />

Befangenheit enthält, der aber – ohne nähere Prüfung <strong>und</strong> losgelöst von den konkreten Umständen<br />

des Einzelfalls – zur Begründung der Besorgnis einer Befangenheit völlig ungeeignet ist, kann rechtlich<br />

dem völligen Fehlen einer Begründung gleichgeartet werden. Völlige Ungeeignetheit in diesem<br />

Sinne wird dann anzunehmen sein, wenn für eine Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den<br />

Gegenstand des Verfahrens selbst entbehrlich ist. Hierfür werden regelmäßig nur solche Gesuche in<br />

Betracht kommen, die Handlungen des Richters beanstanden, welche nach der Prozessordnung<br />

vorgeschriebenen sind oder sich ohne Weiteres aus der Stellung des Richters ergeben. Ist hingegen<br />

ein – wenn auch nur geringfügiges – Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erforderlich, scheidet<br />

die Ablehnung als unzulässig aus (im Anschluss an BVerfG [3. Kammer des Senats], NJW 2005,<br />

3410)<br />

2. Jedenfalls bei einer willkürlichen Überschreitung des von § 26 a I Nr. 2 StPO gesteckten Rahmens<br />

hat das Revisionsgericht die angegriffenen Entscheidungen aufzuheben <strong>und</strong> die Sache an das<br />

Tatgericht zurückzuweisen<br />

Aus den Gründen:<br />

Die Verfassungsbeschwerde stellt die Frage nach den verfassungsrechtlichen Grenzen der Auslegung <strong>und</strong> Anwendung<br />

des § 26 a StPO, der es dem wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnten Richter in den dort genannten<br />

Fällen gestattet, selbst an der Entscheidung über ein gegen ihn gerichtetes Ablehnungsgesuch mitzuwirken.….<br />

2. Der B<strong>und</strong>esgerichtshof hat die Revision des Beschwerdeführers auf den Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> die<br />

Gegenerklärung des Beschwerdeführers als offensichtlich unbegründet verworfen (NStZ 2004, S. 630 f.). Die hiergegen<br />

erhobene Gegenvorstellung verb<strong>und</strong>en mit einem Antrag nach § 33 a StPO hat der B<strong>und</strong>esgerichtshof zurückgewiesen….<br />

II. In der mehrere Monate dauernden Hauptverhandlung lehnte der Beschwerdeführer Mitglieder der Strafkammer in<br />

vier Fällen wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Dem lagen jeweils folgendes Geschehen <strong>und</strong> folgende anschließende<br />

Behandlung durch das Landgericht, die Revision <strong>und</strong> den B<strong>und</strong>esgerichtshof zugr<strong>und</strong>e:<br />

1. Ablehnungsgesuch vom 24. September 2002<br />

Der Beschwerdeführer lehnte am ersten Hauptverhandlungstag vor seiner Einlassung zur Sache die Berufsrichter der<br />

erkennenden Strafkammer wegen Besorgnis der Befangenheit ab, weil sie die Anklageschrift unverändert zugelassen<br />

hätten, obwohl die Anklagevorwürfe vom Ermittlungsergebnis teilweise nicht gedeckt gewesen seien. Das Landgericht<br />

hat das Ablehnungsbegehren durch Beschluss gemäß § 26 a Abs. 1 Nr. 2 StPO als unzulässig zurückgewiesen,<br />

weil die Mitwirkung am Eröffnungsbeschluss keine Befangenheit begründe. Der Beschwerdeführer hat zur Begründung<br />

seiner Revision vorgetragen, sein Ablehnungsgesuch sei – wie auch die späteren – vom Landgericht willkürlich<br />

als unzulässig zurückgewiesen worden. Die willkürliche Anwendung des § 26 a Abs. 1 Nr. 2 StPO verletze ihn in<br />

seinem Gr<strong>und</strong>recht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG auf Entscheidung über sein Gesuch durch den gesetzlichen Richter.<br />

Das Revisionsgericht dürfe in diesem Fall nicht nach Beschwerdegr<strong>und</strong>sätzen sachlich selbst entscheiden, sondern<br />

müsse das Urteil aufheben.<br />

Der Generalb<strong>und</strong>esanwalt hat das Revisionsvorbringen – auch bezüglich aller weiteren Rügen des Beschwerdeführers<br />

im Hinblick auf § 338 Nr. 3 StPO - nach Beschwerdegr<strong>und</strong>sätzen geprüft <strong>und</strong> keine Anhaltspunkte für eine<br />

Begründetheit der Rügen erblickt. Der B<strong>und</strong>esgerichtshof hat ausgeführt, die Rüge entspreche nicht den Formerfordernissen<br />

des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO <strong>und</strong> sei daher nicht zulässig erhoben. Der Umstand, dass die Behandlung des<br />

Ablehnungsantrags nach § 26 a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 StPO im vorliegenden Fall bedenklich erscheine, ändere<br />

an der umfassenden Vortragspflicht nichts. Nach ständiger Rechtsprechung müsse der Beschwerdeführer, der eine<br />

Verletzung des <strong>Verfahrensrecht</strong>s geltend machen wolle, die den Mangel enthaltenden Tatsachen so vollständig <strong>und</strong><br />

genau angeben, dass das Revisionsgericht aufgr<strong>und</strong> der Begründungsschrift prüfen könne, ob ein Verfahrensfehler<br />

vorliege, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden. Diesem Erfordernis werde der Sachvortrag nicht gerecht,<br />

weil der Beschwerdeführer in seiner Revisionsbegründung nicht den vollständigen Inhalt der Zeugenaussagen<br />

mitgeteilt habe, aus denen sich ergeben soll, dass die Anklageschrift vom Ermittlungsergebnis nicht gedeckt sei,<br />

25


sondern nur einzelne zusammenhanglose Zitate; die Berechtigung seiner Rüge insoweit könne aber nicht ohne<br />

Kenntnis des gesamten Aussageinhalts beurteilt werden. In seiner Gegenvorstellung hat der Beschwerdeführer neben<br />

der Vertiefung seines Vortrags zu § 26 a StPO gerügt, der B<strong>und</strong>esgerichtshof überspanne die Begründungsanforderungen<br />

des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO im Hinblick auf Negativtatsachen.<br />

2. Ablehnungsgesuch vom 15. Januar 2003<br />

In der Hauptverhandlung am 15. Januar 2003 lehnte der Beschwerdeführer die erkennenden Berufsrichter <strong>und</strong> die<br />

Schöffen wegen Besorgnis der Befangenheit ab, nachdem der Vorsitzende einen Sachverständigen über den Inhalt<br />

der Aussagen der Zeuginnen W. <strong>und</strong> H. informiert hatte. Der Bericht habe eine verfälschende Wiedergabe der Zeugenaussagen<br />

enthalten <strong>und</strong> den Eindruck einer endgültigen Bewertung der Aussageinhalte durch die abgelehnten<br />

Richter erweckt.<br />

Das Landgericht hat das Ablehnungsbegehren durch Beschluss gemäß § 26 a Abs. 1 Nr. 2 StPO als unzulässig zurückgewiesen,<br />

weil das Ablehnungsverfahren nicht dazu bestimmt sei, einen Streit über das bisherige Ergebnis der<br />

Beweisaufnahme auszutragen. Der B<strong>und</strong>esgerichtshof hat ausgeführt, die Revisionsrüge sei schon deshalb unbegründet,<br />

weil das Landgericht den Befangenheitsantrag zu Recht nach § 26 a StPO abgelehnt habe. Die Umstände,<br />

auf die der Beschwerdeführer die Ablehnung zu stützen versuche, seien aus zwingenden rechtlichen Gründen zur<br />

Rechtfertigung eines Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet; eine solche völlig ungeeignete Begründung sei rechtlich<br />

wie das Fehlen der Begründung zu behandeln. So verhalte es sich hier. Der Ort, den entscheidungserheblichen Inhalt<br />

der Beweisaufnahme festzustellen, sei das Urteil. Deshalb könne das, was ein Zeuge aussage oder wie das Ausgesagte<br />

zu verstehen sei, nicht in derselben Hauptverhandlung zum Beweisgegenstand gemacht werden. Auch im Revisionsverfahren<br />

seien Rügen ausgeschlossen, die eine Rekonstruktion der Beweisaufnahme voraussetzten. Der Gr<strong>und</strong>satz<br />

des § 261 StPO verbiete ausnahmslos, Aufzeichnungen, die ein Prozessbeteiligter über die Vernehmung eines<br />

Zeugen in der Hauptverhandlung abweichend von den tatrichterlichen Feststellungen gemacht habe, zu deren Widerlegung<br />

im Revisionsverfahren heranzuziehen. Diese verfahrensrechtliche Situation könne nicht dadurch umgangen<br />

werden, dass der Beschwerdeführer in der laufenden Hauptverhandlung auf seine abweichende Wiedergabe <strong>und</strong><br />

Würdigung von Zeugenaussagen einen Befangenheitsantrag stütze. Die ureigene Aufgabe des erkennenden Richters,<br />

Zeugenaussagen inhaltlich festzustellen <strong>und</strong> zu würdigen, könne nicht mittels eines Befangenheitsantrags auf andere<br />

Richter verlagert werden, die hierüber nicht ohne eine Rekonstruktion der Beweisaufnahme entscheiden könnten. In<br />

seiner Gegenvorstellung hat der Beschwerdeführer sein Vorbringen nochmals erläutert <strong>und</strong> vertieft.<br />

3. Ablehnungsgesuche vom 28. März 2003<br />

In der Hauptverhandlung vom 28. März 2003 lehnte der Beschwerdeführer alle Mitglieder der erkennenden Strafkammer<br />

ab, weil sie durch Ablehnung eines Beweisantrags auf erneute Begutachtung zweier Zeuginnen zu erkennen<br />

gegeben hätten, dass sie den Beschwerdeführer in diesen Fällen bereits verurteilt hätten. Dies sei in der Beurteilung<br />

einer Zeugenaussage als glaubhaft zum Ausdruck gekommen.<br />

Das Landgericht wies den Ablehnungsantrag gemäß § 26 a Abs. 1 Nr. 2 StPO als unzulässig zurück, weil die Begründung<br />

des Antrags aus zwingenden rechtlichen Gründen zur Rechtfertigung eines Ablehnungsgesuches völlig<br />

ungeeignet sei. Hierauf stützte der Beschwerdeführer einen weiteren Befangenheitsantrag, der von der erkennenden<br />

Kammer aus denselben Gründen als unzulässig verworfen wurde. Das Ablehnungsrecht diene nicht dazu, unterschiedliche<br />

Auffassungen über rechtliche Fragen im Ablehnungsverfahren zu klären. Die Rüge, die erkennende<br />

Strafkammer habe die beiden Befangenheitsanträge nicht als unzulässig verwerfen dürfen, ist nach Ansicht des B<strong>und</strong>esgerichtshofs<br />

unbegründet. Die Strafkammer habe den Beweisantrag des Angeklagten sachgemäß beschieden. Die<br />

Ablehnung des Beweisantrags habe für einen vernünftigen Angeklagten keinen Anlass geboten, die erkennenden<br />

Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Mit seinen wiederholten Befangenheitsanträgen sei es dem<br />

Beschwerdeführer offenbar nicht tatsächlich um die Befangenheit der Richter, sondern nur darum gegangen, das<br />

Verfahren zu verschleppen. Die Strafkammer habe den Antrag daher nach § 26 a Abs. 1 Nr. 3 StPO als unzulässig<br />

verwerfen können. Auch die Zurückweisung des zweiten Ablehnungsantrags durch die erkennende Strafkammer sei<br />

deshalb im Ergebnis nicht zu beanstanden. Im Übrigen seien die Ablehnungsgesuche auch in der Sache nicht begründet.<br />

Das habe der Senat nach Beschwerdegr<strong>und</strong>sätzen nachzuprüfen. Diese Prüfung ergebe, dass der Beschwerdeführer<br />

bei verständiger Würdigung des Sachverhalts keinen Gr<strong>und</strong> gehabt habe, an der Unparteilichkeit <strong>und</strong> Unvoreingenommenheit<br />

der Richter zu zweifeln. Auch bezüglich dieser Rüge hat der Beschwerdeführer sein Vorbringen<br />

in der Gegenvorstellung nochmals erläutert <strong>und</strong> vertieft.<br />

4. Der Beschwerdeführer hatte hilfsweise beantragt, die Entscheidung über seine Revision bis zur Entscheidung des<br />

Zweiten Senats des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts in dem Verfahren 2 BvR 625/01 auszusetzen, in welchem sich der<br />

dortige, vom selben Verfahrensbevollmächtigten vertretene Beschwerdeführer gegen die Befugnis des Revisionsgerichts<br />

zur Sachentscheidung bei rechtswidriger Verwerfung eines Ablehnungsgesuchs als unzulässig gemäß § 26 a<br />

Abs. 1 Nr. 2 StPO wandte (abgeschlossen durch Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des B<strong>und</strong>esverfas-<br />

26


sungsgerichts vom 2. Juni 2005, NJW 2005, S. 3410 ff.). Der B<strong>und</strong>esgerichtshof hielt seine bisherige ständige<br />

Rechtsprechung zu dieser Frage für verfassungsgemäß; zu einer Aussetzung des Verfahrens habe daher keine Veranlassung<br />

bestanden. ….<br />

B. Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1<br />

BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen<br />

des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine der Verfassungsbeschwerde stattgebende Entscheidung der Kammer sind<br />

gegeben. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zu Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG <strong>und</strong> zu Art. 103 Abs. 1 GG<br />

hat das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht bereits entschieden (vgl. zuletzt Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des<br />

B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts vom 2. Juni 2005 - 2 BvR 625/01 -, NJW 2005, S. 3410 ff.; Beschluss vom 5. Juli 2005 –<br />

2 BvR 497/03 -, NVwZ 2005, S. 1304 ff.; jeweils m.w.N. der Senatsrechtsprechung). Die jedenfalls hinsichtlich des<br />

Ablehnungsgesuchs vom 15. Januar 2003 <strong>und</strong> der beiden Ablehnungsgesuche vom 28. März 2003 zulässige Verfassungsbeschwerde<br />

ist danach in einem die Entscheidungskompetenz der Kammer begründenden Sinne offensichtlich<br />

begründet.<br />

Mit der Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs vom 15. Januar 2003 <strong>und</strong> der Ablehnungsgesuche vom 28. März<br />

2003 als unzulässig gemäß § 26 a Abs. 1 Nr. 2 StPO hat das Landgericht den Beschwerdeführer im Ablehnungsverfahren<br />

willkürlich seinem gesetzlichen Richter entzogen <strong>und</strong> sein rechtliches Gehör verletzt. Der B<strong>und</strong>esgerichtshof<br />

hat diese Fehler nicht geheilt, sondern durch die Verwerfung der darauf bezogenen Revision vertieft <strong>und</strong> dabei Bedeutung<br />

<strong>und</strong> Tragweite des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht hinreichend bedacht.<br />

I. 1. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistet dem Einzelnen das Recht auf den gesetzlichen Richter.<br />

a) Ziel der Verfassungsgarantie ist es, der Gefahr einer möglichen Einflussnahme auf den Inhalt einer gerichtlichen<br />

Entscheidung vorzubeugen, die durch eine auf den Einzelfall bezogene Auswahl der zur Entscheidung berufenen<br />

Richter eröffnet sein könnte (vgl. BVerfGE 17, 294 ; 48, 246 ; 82, 286 ; 95, 322 ). Damit<br />

sollen die Unabhängigkeit der Rechtsprechung gewahrt <strong>und</strong> das Vertrauen der Rechtsuchenden <strong>und</strong> der Öffentlichkeit<br />

in die Unparteilichkeit <strong>und</strong> Sachlichkeit der Gerichte gesichert werden (vgl. BVerfGE 95, 322 ).<br />

Deshalb verpflichtet Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG den Gesetzgeber dazu, eine klare <strong>und</strong> abstrakt-generelle Zuständigkeitsordnung<br />

zu schaffen, die für jeden denkbaren Streitfall im Voraus den Richter bezeichnet, der für die Entscheidung<br />

zuständig ist. Jede sachwidrige Einflussnahme auf die rechtsprechende Tätigkeit von innen <strong>und</strong> von außen soll<br />

dadurch verhindert werden. Die Gerichte sind bei der ihnen obliegenden Anwendung der vom Gesetzgeber geschaffenen<br />

Zuständigkeitsordnung verpflichtet, dem Gewährleistungsgehalt <strong>und</strong> der Schutzwirkung des Art. 101 Abs. 1<br />

Satz 2 GG angemessen Rechnung zu tragen.<br />

Nach der gefestigten Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts hat Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG darüber hinaus<br />

auch einen materiellen Gewährleistungsgehalt. Die Verfassungsnorm garantiert, dass der Rechtsuchende im Einzelfall<br />

vor einem Richter steht, der unabhängig <strong>und</strong> unparteilich ist <strong>und</strong> der die Gewähr für Neutralität <strong>und</strong> Distanz<br />

gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet (vgl. BVerfGE 10, 200 ; 21, 139 ; 30, 149 ; 40,<br />

268 ; 82, 286 ; 89, 28 ). Der Gesetzgeber hat deshalb in materieller Hinsicht Vorsorge dafür zu<br />

treffen, dass die Richterbank im Einzelfall nicht mit Richtern besetzt ist, die dem zur Entscheidung anstehenden<br />

Streitfall nicht mit der erforderlichen professionellen Distanz eines Unbeteiligten <strong>und</strong> Neutralen gegenüberstehen.<br />

Die materiellen Anforderungen der Verfassungsgarantie verpflichten den Gesetzgeber dazu, Regelungen vorzusehen,<br />

die es ermöglichen, einen Richter, der im Einzelfall nicht die Gewähr der Unparteilichkeit bietet, von der Ausübung<br />

seines Amtes auszuschließen.<br />

b) Eine "Entziehung" des gesetzlichen Richters durch die Rechtsprechung, der die Anwendung der Zuständigkeitsregeln<br />

<strong>und</strong> die Handhabung des Ablehnungsrechts im Einzelfall obliegt, kann nicht in jeder fehlerhaften Rechtsanwendung<br />

gesehen werden; andernfalls müsste jede fehlerhafte Handhabung des einfachen Rechts zugleich als Verfassungsverstoß<br />

gelten (vgl. BVerfGE 82, 286 ). Die Grenzen zum Verfassungsverstoß sind aber jedenfalls dann<br />

überschritten, wenn die Auslegung einer Zuständigkeitsnorm oder ihre Handhabung im Einzelfall willkürlich oder<br />

offensichtlich unhaltbar sind oder wenn die richterliche Entscheidung Bedeutung <strong>und</strong> Tragweite der Verfassungsgarantie<br />

des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gr<strong>und</strong>legend verkennt (vgl. BVerfGE 82, 286 ). Ob die Entscheidung<br />

eines Gerichts auf Willkür, also auf einem Fall grober Missachtung oder grober Fehlanwendung des Gesetzesrechts<br />

(vgl. BVerfGE 29, 45 ; 82, 159 ; 87, 282 ) beruht oder ob sie darauf hindeutet, dass ein Gericht<br />

Bedeutung <strong>und</strong> Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gr<strong>und</strong>legend verkennt, kann nur<br />

angesichts der jeweiligen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden.<br />

c) aa) Die strafprozessualen Vorschriften über die Ausschließung <strong>und</strong> Ablehnung von Richtern (§§ 22, 23 <strong>und</strong> 24<br />

StPO) dienen dem durch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verbürgten Ziel, auch im Einzelfall die Neutralität <strong>und</strong> Distanz<br />

der zur Entscheidung berufenen Richter zu sichern. § 24 StPO eröffnet die Möglichkeit, einen Richter wegen Be-<br />

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sorgnis der Befangenheit abzulehnen, wenn der Betroffene einen Gr<strong>und</strong> sieht, der geeignet ist, Misstrauen im Hinblick<br />

auf seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen.<br />

Regelungen über das Verfahren zur Behandlung des Ablehnungsgesuchs enthalten die §§ 26 a <strong>und</strong> 27 StPO, die das<br />

Ablehnungsverfahren unterschiedlich je danach ausgestalten, ob ein Ablehnungsgesuch unzulässig ist oder ob es eine<br />

Sachprüfung erfordert. Ein vereinfachtes Ablehnungsverfahren sieht § 26 a StPO im Interesse der Verfahrensbeschleunigung<br />

für unzulässige Ablehnungsgesuche vor; über sie entscheidet das Gericht, ohne dass der abgelehnte<br />

Richter ausscheidet (vgl. § 26 a Abs. 2 Satz 1 StPO). Kommt eine Verwerfung des Ablehnungsgesuchs als unzulässig<br />

nicht in Betracht, so ist das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung zur Entscheidung auf<br />

der Gr<strong>und</strong>lage einer dienstlichen Stellungnahme des abgelehnten Richters berufen, die dem Antragsteller zur Gewährung<br />

rechtlichen Gehörs zuzuleiten ist (vgl. BVerfGE 24, 56 ; BGHSt 21, 85 ). Die Zuständigkeitsregelung<br />

des § 27 Abs. 1 StPO trägt dabei dem Umstand Rechnung, dass es "nach der Natur der Sache an der völligen<br />

inneren Unbefangenheit <strong>und</strong> Unparteilichkeit eines Richters fehlen wird, wenn er über die vorgetragenen Gründe für<br />

seine angebliche Befangenheit selbst entscheiden müsste" (BGH, Urteil vom 30. Juni 1955 – 4 StR 178/55 -, zitiert<br />

nach BGH, NJW 1984, S. 1907 ). Die besondere Bedeutung der richterlichen Zuständigkeit im Ablehnungsverfahren<br />

wird durch § 24 Abs. 3 Satz 2 StPO belegt, der dem Antragsteller schon im Vorfeld der Entscheidung über<br />

sein Gesuch das Recht verleiht, die Namhaftmachung der zur Mitwirkung an der Entscheidung über sein Ablehnungsgesuch<br />

berufenen Gerichtspersonen zu verlangen (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts<br />

vom 5. Juni 1991 – 2 BvR 103/91 -, NJW 1991, S. 2758).<br />

bb) Mit der differenzierenden Zuständigkeitsregelung in Fällen der Richterablehnung hat der Gesetzgeber einerseits<br />

dem Gewährleistungsgehalt des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG angemessen Rechnung getragen: Ein Richter, dessen<br />

Unparteilichkeit mit jedenfalls nicht von vornherein untauglicher Begründung in Zweifel gezogen worden ist, kann<br />

<strong>und</strong> soll nicht an der Entscheidung über das gegen ihn selbst gerichtete Ablehnungsgesuch mitwirken, das sein eigenes<br />

richterliches Verhalten <strong>und</strong> die – ohnehin nicht einfach zu beantwortende - Frage zum Gegenstand hat, ob das<br />

beanstandete Verhalten für einen verständigen Beschuldigten Anlass sein kann, an seiner persönlichen Unvoreingenommenheit<br />

zu zweifeln. Andererseits hat der Gesetzgeber aus Gründen der Vereinfachung <strong>und</strong> Beschleunigung des<br />

Ablehnungsverfahrens von einer Zuständigkeitsregelung dergestalt abgesehen, dass der abgelehnte Richter auch in<br />

den klaren Fällen eines unzulässigen oder missbräuchlich angebrachten Ablehnungsgesuchs an der Mitwirkung an<br />

der Entscheidung über das Gesuch gehindert ist (vgl. BTDrucks IV/178, S. 35). Die Mitwirkung des abgelehnten<br />

Richters bei der Entscheidung über die Zulässigkeit eines Ablehnungsgesuchs oder über die Frage seiner missbräuchlichen<br />

Anbringung, wie § 26 a StPO sie erlaubt, verhindert ein aufwändiges <strong>und</strong> zeitraubendes Ablehnungsverfahren<br />

unter Hinzuziehung von Vertretern in Fällen gänzlich untauglicher oder rechtsmissbräuchlicher Ablehnungsgesuche;<br />

bei strenger Prüfung ihrer tatbestandlichen Voraussetzungen gerät sie mit der Verfassungsgarantie<br />

des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht in Konflikt, weil die Prüfung keine Beurteilung des eigenen Verhaltens des<br />

abgelehnten Richters voraussetzt <strong>und</strong> deshalb keine echte Entscheidung in eigener Sache ist (vgl. BTDrucks IV/178,<br />

S. 35). Der ursprünglich im B<strong>und</strong>esratsentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege enthaltene<br />

Vorschlag, den Zurückweisungsgründen des § 26 a Abs. 1 StPO den der "offensichtlichen Unbegründetheit" hinzuzufügen<br />

(BTDrucks 13/4541, S. 4, Begründung S. 11 <strong>und</strong> 15 f.), ist nicht Gesetz geworden (vgl. nur Stellungnahme<br />

der B<strong>und</strong>esregierung, Anlage 2 zu BTDrucks 13/4541, S. 32 f.; vgl. BTDrucks 14/1714, S. 3).<br />

cc) § 26 a StPO ist eine der Vereinfachung des Ablehnungsverfahrens dienende Vorschrift; weil sie nur echte Formalentscheidungen<br />

ermöglichen oder einen offensichtlichen Missbrauch des Ablehnungsrechts verhindern will, ist<br />

sie eng auszulegen (vgl. Wendisch, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl. 1999, § 26 a Rn. 13). In Fällen, in denen<br />

die Frage der Unzulässigkeit nicht klar <strong>und</strong> eindeutig zu beantworten ist, wird es nahe liegen, das Regelverfahren<br />

nach § 27 StPO zu wählen, um jeden Anschein einer Entscheidung in eigener Sache zu vermeiden (vgl. Lemke, in:<br />

Heidelberger Kommentar zur StPO, 3. Aufl. 2001, § 26 a Rn. 4; Wendisch, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl.<br />

1999, § 26 a Rn. 5). Auf Fälle "offensichtlicher Unbegründetheit" des Ablehnungsgesuchs darf das vereinfachte<br />

Ablehnungsverfahren - vorbehaltlich einer anderweitigen gerichtlichen Regelung - wegen des sonst vorliegenden<br />

Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht ausgedehnt werden (vgl. Bockemühl, in: KMR, StPO, Stand: Dezember<br />

2004, § 26 a Rn. 8).<br />

2. Der Gr<strong>und</strong>satz des rechtlichen Gehörs vor Gericht dient nicht nur der Abklärung der tatsächlichen Gr<strong>und</strong>lage der<br />

Entscheidung, sondern auch der Achtung der Würde des Menschen, der in einer so schwerwiegenden Lage, wie ein<br />

Prozess sie für gewöhnlich darstellt, die Möglichkeit haben muss, sich mit tatsächlichen <strong>und</strong> rechtlichen Argumenten<br />

zu behaupten (vgl. BVerfGE 7, 275 ; 9, 89 ; 55, 1 ). Das rechtliche Gehör ist nicht nur das prozessuale<br />

Urrecht des Menschen, sondern ein objektivrechtliches Verfahrensprinzip, das für ein gerichtliches Verfahren im<br />

Sinne des Gr<strong>und</strong>gesetzes konstitutiv <strong>und</strong> gr<strong>und</strong>sätzlich unabdingbar ist (vgl. BVerfGE 6, 12 ; 9, 89 ). Es<br />

verwehrt, dass mit dem Menschen "kurzer Prozess" gemacht werde (BVerfGE 55, 1 ).<br />

28


II. Gemessen an diesen für die Auslegung <strong>und</strong> Anwendung des § 26 a StPO geltenden Maßstäben verletzen die beiden<br />

dem Urteil voraus gehenden Beschlüsse des Landgerichts vom 15. Januar 2003 <strong>und</strong> 28. März 2003 das Recht des<br />

Beschwerdeführers auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Die Behandlung der Ablehnungsanträge<br />

geschah in allen drei zugr<strong>und</strong>e liegenden Fällen zudem unter Verletzung des verfassungsrechtlich verbürgten<br />

Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG); ihre Zurückweisung als unzulässig unter Einbeziehung<br />

der abgelehnten Richter beruhte in sämtlichen Fällen auf grob fehlerhaften Erwägungen <strong>und</strong> deutet insgesamt<br />

darauf hin, dass das Landgericht den Gewährleistungsgehalt des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verkannt hat.<br />

1. Der rechtliche Ausgangspunkt der Strafkammer, ein Ablehnungsgesuch, dessen Begründung aus zwingenden<br />

rechtlichen Gründen zur Rechtfertigung des Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet sei, stehe einem Ablehnungsgesuch<br />

ohne Angabe eines Ablehnungsgr<strong>und</strong>es gleich, entspricht der herrschenden Ansicht in Rechtsprechung <strong>und</strong><br />

Schrifttum (vgl. Beschluss des 1. Strafsenats des B<strong>und</strong>esgerichtshofs vom 10. Mai 2001 – 1 StR 410/00 -, NStZ–RR<br />

2002, S. 66; Beschluss des 3. Strafsenats des B<strong>und</strong>esgerichtshofs vom 14. Juni 2005 – 3 StR 446/04 -, NJW 2005, S.<br />

3434 mit Anm. Meyer-Goßner, NStZ 2006, S. 53 f. sowie Rudolphi, in: Systematischer Kommentar zur<br />

StPO, Stand: Juni 2004, § 26 a Rn. 6, m.w.N.). Er ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Ein Ablehnungsantrag,<br />

der zwar – rein formal betrachtet – eine Begründung für die angebliche Befangenheit enthält, der aber – ohne<br />

nähere Prüfung <strong>und</strong> losgelöst von den konkreten Umständen des Einzelfalls – zur Begründung der Besorgnis einer<br />

Befangenheit völlig ungeeignet ist, kann rechtlich dem völligen Fehlen einer Begründung gleichgeachtet werden.<br />

Völlige Ungeeignetheit in diesem Sinne wird dann anzunehmen sein, wenn für eine Verwerfung als unzulässig jedes<br />

Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens selbst entbehrlich ist. Hierfür werden regelmäßig nur solche Gesuche<br />

in Betracht kommen, die Handlungen des Richters beanstanden, welche nach der Prozessordnung vorgeschrieben<br />

sind oder sich ohne Weiteres aus der Stellung des Richters ergeben. Unzulässig ist ein Ablehnungsgesuch daher,<br />

wenn der Ablehnende die bloße Tatsache beanstandet, ein Richter habe an einer Vor- oder Zwischenentscheidung<br />

mitgewirkt. Unzulässig ist das Gesuch auch, wenn sich der Richter an den von der Strafprozessordnung vorgeschriebenen<br />

Verfahrensgang hält, der Ablehnende aber eine Änderung begehrt. Gr<strong>und</strong>sätzlich wird also eine Verwerfung<br />

als unzulässig nur dann in Betracht kommen, wenn das Ablehnungsgesuch für sich allein – ohne jede weitere Aktenkenntnis<br />

– offenk<strong>und</strong>ig eine Ablehnung nicht zu begründen vermag.<br />

Ist hingegen ein – wenn auch nur geringfügiges – Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erforderlich, scheidet die<br />

Ablehnung als unzulässig aus. Eine gleichwohl erfolgende Ablehnung nach § 26 a Abs. 1 Nr. 2 StPO ist dann - weil<br />

vom Wortlaut der Vorschrift nicht gedeckt - willkürlich (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O.). Über eine bloß formale Prüfung<br />

hinaus darf sich der abgelehnte Richter nicht durch Mitwirkung an einer näheren inhaltlichen Prüfung der Ablehnungsgründe<br />

im Rahmen von Entscheidungen nach § 26 a Abs. 1 Nr. 2 StPO zum Richter in eigener Sache machen<br />

(B<strong>und</strong>esgerichtshof, Beschluss des 5. Strafsenats vom 10. August 2005 – 5 StR 180/05 -, NJW 2005, S. 3436<br />

). Bei der Anwendung dieses Prüfungsmaßstabs ist das Gericht in besonderem Maße verpflichtet, das Ablehnungsgesuch<br />

seinem Inhalt nach vollständig zu erfassen <strong>und</strong> gegebenenfalls wohlwollend auszulegen, da es andernfalls<br />

leicht dem Vorwurf ausgesetzt sein kann, tatsächlich im Gewande der Zulässigkeitsprüfung in eine Begründetheitsprüfung<br />

einzutreten. Überschreitet das Gericht bei dieser Prüfung die ihm gezogenen Grenzen, so kann dies<br />

seinerseits die Besorgnis der Befangenheit begründen (Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts<br />

vom 2. Juni 2005 – 2 BvR 625/01 -, NJW 2005, S. 3410 ).<br />

2. Bei der Anwendung dieses verfassungsrechtlich unbedenklichen Prüfungsmaßstabs hat die Strafkammer die ihr<br />

von Verfassungs wegen gezogenen Grenzen im vorliegenden Fall jedenfalls hinsichtlich der Ablehnungsgesuche<br />

vom 15. Januar 2003 <strong>und</strong> 28. März 2003 überschritten:<br />

a) Im Hinblick auf das Ablehnungsgesuch vom 15. Januar 2003 hat das Landgericht ausgeführt, das Ablehnungsverfahren<br />

sei nicht dazu bestimmt, einen Streit über das bisherige Ergebnis der Beweisaufnahme auszutragen. Damit hat<br />

die Kammer die Begründung des Beschwerdeführers für die Besorgnis der Befangenheit, nämlich die Festlegung des<br />

Gerichts auf eine Sachverhaltsalternative <strong>und</strong> die sich daraus ergebende Beschränkung eines Gutachtenauftrags,<br />

nicht ausgeschöpft. Die Feststellung, das Ablehnungsverfahren diene nicht der Bewertung der Beweisaufnahme, ist<br />

zwar für sich genommen zutreffend. Sie nimmt indes das Vorbringen des Beschwerdeführers in seinem Ablehnungsgesuch<br />

nicht vollständig zur Kenntnis, sondern verkürzt es auf einen vermeintlichen Vortrag, der – läge er vor - die<br />

Voraussetzungen des § 26 a Abs. 1 Nr. 2 StPO erfüllen könnte. Dass der Vorsitzende sich – insoweit für die gesamte<br />

Kammer - in dem Bericht an den Sachverständigen durch den Ausschluss einer möglichen Alternative in einer Zeugenaussage<br />

bereits auf einen Sachverhalt festgelegt <strong>und</strong> damit bei dem Beschwerdeführer die Besorgnis der Befangenheit<br />

ausgelöst haben könnte, war hingegen ersichtlich nicht von vornherein eine völlig ungeeignete Begründung<br />

für ein Ablehnungsgesuch. Denn sie erforderte eine sachliche Auseinandersetzung mit der dem Gesuch zugr<strong>und</strong>e<br />

liegenden Prozesshandlung. Lag damit eine Begründung für ein Ablehnungsgesuch vor, die das Gericht zu einem<br />

näheren Eingehen auf den Verfahrensgegenstand hätte veranlassen müssen, so war die Kammer gehindert, sich über<br />

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die Anwendung des § 26 a Abs. 1 Nr. 2 StPO zum Richter in eigener Sache zu machen. Über das Ablehnungsgesuch<br />

hätte daher die Vertreterkammer entscheiden müssen (§ 27 StPO). Indem die Kammer offensichtlich eine Entscheidung<br />

getroffen hat, die ihr von Verfassungs wegen verwehrt war, hat sie den Beschwerdeführer seinem gesetzlichen<br />

Richter entzogen (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG).<br />

Das Landgericht hat, indem es sich dem Vorbringen des Beschwerdeführers inhaltlich verschlossen hat, auch den<br />

Anspruch des Beschwerdeführers auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt (Art. 103 Abs. 1 GG).<br />

b) Auch die Behandlung der beiden Ablehnungsgesuche vom 28. März 2003 verletzt Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.<br />

Die von der Kammer gegebene Begründung für die Verwerfung des ersten Ablehnungsgesuchs, die gerügte Beweisantizipation<br />

sei in § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO vorgesehen, nimmt das Vorbringen des Beschwerdeführers ebenfalls nur<br />

verkürzt zur Kenntnis. Dieser hatte sich nicht gegen die Beweisantizipation als solche gewandt, sondern gegen die<br />

Bewertung der Glaubhaftigkeit einer Aussage, die sich für die Kammer aus einer Tatsache ergab, deren Gegenteil sie<br />

durch ein früheres Gutachten bereits als bewiesen ansah. Erst aus dieser Wertung, nicht schon aus der Anwendung<br />

des § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO, ergab sich für den Beschwerdeführer die Besorgnis der Befangenheit. Da nur Tatsachen,<br />

nicht aber Wertungen dem Beweis zugänglich sind, konnte sich die Kammer vor Abschluss der Beweisaufnahme<br />

nicht auf die Glaubhaftigkeit einer Aussage festlegen, ohne aus Sicht des Beschwerdeführers die Besorgnis<br />

der Befangenheit zu erregen. Dieses Vorbringen ist jedenfalls nicht von vornherein eine untaugliche Begründung für<br />

ein Ablehnungsgesuch. Auch hier hätte sich die Kammer zu einer sachlichen Auseinandersetzung mit dem Vorbringen<br />

des Beschwerdeführers veranlasst sehen müssen, die nicht zu einer reinen Formalentscheidung nach § 26 a Abs.<br />

1 Nr. 2 StPO hätte führen dürfen.<br />

Das zweite Ablehnungsgesuch hat die Kammer mit der Begründung verworfen, das Ablehnungsverfahren diene<br />

nicht der Klärung von Rechtsfragen dieses Verfahrens. Dies hatte der Beschwerdeführer indes auch nicht verlangt,<br />

sondern die willkürliche Behandlung eines zuvor gestellten Ablehnungsgesuchs als Gr<strong>und</strong> für die Besorgnis der<br />

Befangenheit angegeben (vgl. auch B<strong>und</strong>esgerichtshof, Urteil vom 3. Dezember 1991 - 1 StR 120/90 -, NJW 1992,<br />

S. 763 f.). Damit hatte der Beschwerdeführer wiederum einen hinreichenden Gr<strong>und</strong> angegeben, der jedenfalls nicht<br />

von vornherein untauglich war, das Ablehnungsgesuch zu tragen, <strong>und</strong> die Kammer zu einer sachlichen Prüfung hätte<br />

veranlassen müssen. Die Behandlung dieses Antrags als unzulässig kann daher insbesondere vor dem Hintergr<strong>und</strong><br />

der Behandlung der vorangegangenen Ablehnungsgesuche als unzulässig, auf die der Beschwerdeführer mit dem<br />

zweiten Antrag vom 28. März 2003 ausdrücklich hingewiesen hatte, nicht mehr als lediglich rechtsfehlerhafte, sondern<br />

nur noch als willkürliche, die Anforderungen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gr<strong>und</strong>legend verkennende Rechtsanwendung<br />

angesehen werden.<br />

In beiden Fällen hat die Kammer nicht als gesetzlicher Richter über die Ablehnungsgesuche entschieden. Diese Entscheidung<br />

hätte nur die Vertreterkammer im Sinne des § 27 StPO treffen können.<br />

Auch hier hat das Landgericht, indem es sich dem vollständigen Vorbringen des Beschwerdeführers inhaltlich verschlossen<br />

hat, den Anspruch des Beschwerdeführers auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt (Art. 103 Abs. 1<br />

GG).<br />

3. Es ist zumindest nicht auszuschließen, dass der Verstoß gegen den Gr<strong>und</strong>satz des gesetzlichen Richters <strong>und</strong> des<br />

rechtlichen Gehörs bei der Anwendung des § 26 a Abs. 1 Nr. 2 StPO in dem Urteil des Landgerichts fortgewirkt hat.<br />

III. Der B<strong>und</strong>esgerichtshof hat bei seiner Entscheidung über die auf den absoluten Revisionsgr<strong>und</strong> des § 338 Nr. 3<br />

StPO gestützten <strong>und</strong> zulässig erhobenen Verfahrensrügen der Ausstrahlungswirkung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG<br />

nicht hinreichend Rechnung getragen (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts<br />

vom 2. Juni 2005 - 2 BvR 625/01 -, NJW 2005, S. 3410 ). Ihm hätte es als dem zuständigen Fachgericht<br />

oblegen, die im Ablehnungsverfahren vor dem Landgericht eingetretenen Verfassungsverstöße durch Aufhebung<br />

des landgerichtlichen Urteils zu beheben.<br />

1. Der B<strong>und</strong>esgerichtshof hat zwar gemäß §§ 338 Nr. 3, 28 Abs. 2 Satz 2 StPO nach Beschwerdegr<strong>und</strong>sätzen geprüft,<br />

ob die unter Verletzung verfassungsrechtlicher Mindestgarantien behandelten Befangenheitsgesuche der Sache<br />

nach das vom Beschwerdeführer gehegte Misstrauen in die Unparteilichkeit der Mitglieder der Strafkammer rechtfertigten<br />

(B<strong>und</strong>esgerichtshof, Beschluss vom 26. Mai 1970 – 1 StR 132/70 -, BGHSt 23, 265 ff.), <strong>und</strong> dies verneint.<br />

Allerdings hat er dabei außer acht gelassen, dass das Revisionsgericht in Fällen der Überdehnung des Anwendungsbereichs<br />

von § 26 a Abs. 1 Nr. 2 StPO nicht über die hypothetische Begründetheit des Ablehnungsgesuchs, sondern<br />

vielmehr gerade darüber zu entscheiden hat, ob die Grenzen der Vorschrift des § 26 a Abs. 1 Nr. 2 StPO, die den<br />

gesetzlichen Richter gewährleisten <strong>und</strong> nur reine Formalentscheidungen ermöglichen soll, eingehalten wurden. Andernfalls<br />

würde § 26 a Abs. 1 Nr. 2 StPO leer laufen <strong>und</strong> entgegen dem erklärten Willen des Gesetzgebers auch auf<br />

die gesetzlich nicht vorgesehene Entscheidung über "offensichtlich unbegründete" Ablehnungsgesuche ausgedehnt.<br />

Jedenfalls bei einer willkürlichen Überschreitung des von § 26 a Abs. 1 Nr. 2 StPO gesteckten Rahmens hat das<br />

Revisionsgericht die angegriffenen Entscheidungen aufzuheben <strong>und</strong> die Sache an das Tatgericht zurückzuverweisen.<br />

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Dies ist hier nicht geschehen. Das Urteil kann in diesen Fällen keinen Bestand haben, denn auch hier ist das Ablehnungsgesuch<br />

– ohne dass es auf die sachliche Berechtigung des Ablehnungsantrags ankäme – "mit Unrecht" verworfen,<br />

so dass der absolute Revisionsgr<strong>und</strong> des § 338 Nr. 3 StPO gegeben ist (Meyer-Goßner, a.a.O., S. 54). Wie jene -<br />

in der Entscheidung des 5. Strafsenats des B<strong>und</strong>esgerichtshofs vom 10. August 2005 <strong>und</strong> in der Stellungnahme des<br />

Generalb<strong>und</strong>esanwalts angesprochenen - Fälle zu bewerten sind, in denen sich ein Verfassungsverstoß nicht feststellen<br />

lässt, sondern das Urteil "nur" auf einer fehlerhaften Anwendung des Strafprozessrechts beruht, haben – als Frage<br />

des einfachen Rechts – in erster Linie die Fachgerichte zu entscheiden (vgl. B<strong>und</strong>esgerichtshof, Beschluss des<br />

3. Strafsenats vom 14. Juni 2005 – 3 StR 446/04 -, NJW 2005, S. 3434 ff.; Beschluss des 5. Strafsenats vom 10.<br />

August 2005 – 5 StR 180/05 -, NJW 2005, S. 3436 ff.).<br />

2. Im Hinblick auf das Ablehnungsgesuch vom 15. Januar 2003 ist der B<strong>und</strong>esgerichtshof der Begründung des<br />

Landgerichts gefolgt <strong>und</strong> hat dessen verkürzte Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens im Rahmen des § 26 a<br />

Abs. 1 Nr. 2 StPO gebilligt. Der B<strong>und</strong>esgerichtshof hat den Rechtsfehler des Landgerichts perpetuiert, indem er nur<br />

die Reichweite des Rekonstruktionsverbots erörtert hat. Zu der vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Frage, ob die<br />

Beschränkung auf eine Sachverhaltsalternative, auf die ein Sachverständiger seine weitere Begutachtung stützen soll,<br />

die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen kann, verhält sich auch der Beschluss des B<strong>und</strong>esgerichtshofs nicht.<br />

Hinsichtlich der beiden Ablehnungsgesuche vom 28. März 2003 ist es mit Blick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verfassungsrechtlich<br />

nicht hinnehmbar, wenn das Revisionsgericht auch in den Fällen, in denen ein Ablehnungsgesuch<br />

willkürlich <strong>und</strong> unter Verletzung des gr<strong>und</strong>rechtsgleichen Anspruchs des Angeklagten auf Gewährung rechtlichen<br />

Gehörs im Ablehnungsverfahren als unzulässig verworfen worden ist, lediglich prüft, ob das Ablehnungsgesuch in<br />

der Sache erfolgreich gewesen wäre.<br />

Der Austausch des Gr<strong>und</strong>es bei der Prüfung im Rahmen des § 26 a Abs. 1 StPO erweist sich mit der gegebenen Begründung<br />

auch unter Zugr<strong>und</strong>elegung des eigenen Maßstabs des B<strong>und</strong>esgerichtshof als eine Rechtsanwendung, die<br />

die verfassungsrechtlichen Grenzen der Anwendung dieser Norm verkennt (vgl. B<strong>und</strong>esgerichtshof, Beschluss des 5.<br />

Strafsenats vom 10. August 2005 – 5 StR 180/05 -, NJW 2005, S. 3436 ). Die Wertung, die Kammer hätte<br />

die Ablehnungsgesuche vom 28. März 2003 wegen Verschleppungsabsicht nach § 26 a Abs. 1 Nr. 3 StPO verwerfen<br />

können, entbehrt bei einer an Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG orientierten Betrachtung der Ablehnungsgesuche des Beschwerdeführers<br />

einer hinreichenden Gr<strong>und</strong>lage. Angesichts der Anbringung lediglich einiger weniger, nicht jedes<br />

sachlichen Gr<strong>und</strong>es entbehrender Ablehnungsgesuche hätte die Begründung einer Verschleppungsabsicht zumindest<br />

näherer Ausführung bedurft. Im Übrigen dürfte bei der Anwendung des § 26 a Abs. 1 Nr. 3 StPO darauf Bedacht zu<br />

nehmen sein, dass die zu Nr. 2 der Vorschrift erkannten verfassungsrechtlichen Probleme nicht in die Prüfung der<br />

Verschleppungsabsicht oder der Verfolgung verfahrensfremder Zwecke verlagert werden.<br />

3. Alle drei Ablehnungsgesuche wurden also "mit Unrecht" nach § 26 a Abs. 1 Nr. 2 StPO als unzulässig verworfen,<br />

weil das Vorbringen des Beschwerdeführers keine Formalentscheidung ermöglichte, sondern eine vom Richter in<br />

eigener Sache nicht zu leistende sachliche Auseinandersetzung erforderte. Angesichts der willkürlichen Anwendung<br />

des § 26 a Abs. 1 Nr. 2 StPO durch das Landgericht war dem B<strong>und</strong>esgerichtshof der Weg der hypothetischen Sachprüfung<br />

verwehrt (Meyer-Goßner, a.a.O., S. 54). Dabei erweist sich auch als problematisch, dass in solchen Fällen<br />

keine dienstlichen Erklärungen der abgelehnten Richter gemäß § 26 Abs. 3 StPO vorliegen. Die sachliche Prüfung<br />

wird daher häufig einer hinreichenden Gr<strong>und</strong>lage entbehren, wie nicht zuletzt die Behandlung des zweiten Ablehnungsgesuchs<br />

vom 28. März 2003 durch den B<strong>und</strong>esgerichtshof zeigt.<br />

IV. Nach alledem sind das Urteil des Landgerichts Köln <strong>und</strong> der Beschluss des B<strong>und</strong>esgerichtshofs aufzuheben.<br />

Anmerkung: Inzwischen ist zu dieser Thematik auch eine weitere Entscheidung BVerfGE 2 BvR 1674/06 v.<br />

27.4.2007 ergangen NStZ-RR 2007, 271<br />

31


StPO § 55 Abs. 1, § 238 Abs. 2 Sachleitung zu beanstanden bei falscher Zubilligung des § 55<br />

BGH, Urt. vom 16.11.2006 – 3 StR 139/06 = JR 2007, XXX (Heft 9) mit Anm. Mosbacher<br />

1. Liegt einer sachleitenden Anordnung des Vorsitzenden eine strafprozessuale Regelung zugr<strong>und</strong>e,<br />

die ihm einen Beurteilungsspielraum oder Ermessen eröffnet, so kann ein Verfahrensbeteiligter die<br />

Revisionsrüge, die Maßnahme habe die Grenzen des Beurteilungsspielraums bzw. Ermessens überschritten,<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich nur dann zulässig erheben, wenn er in der Hauptverhandlung von dem<br />

Rechtsbehelf nach § 238 Abs. 2 StPO Gebrauch gemacht hat.<br />

2. Hat der Vorsitzende einem Zeugen unter Verletzung seines Beurteilungsspielraums zu Unrecht<br />

ein Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO zugebilligt, so kann ein Verfahrensbeteiligter<br />

eine Verfahrensrüge hierauf demgemäß im Allgemeinen nur dann stützen, wenn er in der Hauptverhandlung<br />

die Entscheidung als unzulässig beanstandet hat.<br />

1. Auf die Revisionen des Generalb<strong>und</strong>esanwalts sowie der Nebenkläger Pu. <strong>und</strong> P. wird das Urteil des Hanseatischen<br />

Oberlandesgerichts Hamburg vom 19. August 2005<br />

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Beihilfe zum 246-fachen Mord in Tateinheit mit Mitgliedschaft<br />

in einer terroristischen Vereinigung schuldig ist;<br />

b) im Strafausspruch aufgehoben; jedoch werden die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.<br />

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten dieser<br />

Rechtsmittel sowie die dem Angeklagten <strong>und</strong> den Nebenklägern Pu. <strong>und</strong> P. hierdurch entstandenen notwendigen<br />

Auslagen, an einen anderen Strafsenat des Oberlandesgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision des<br />

Generalb<strong>und</strong>esanwalts wird verworfen.<br />

2. Die Revisionen des Angeklagten sowie der Nebenkläger D. , C. , L. <strong>und</strong> H. gegen das vorbezeichnete Urteil werden<br />

verworfen. Der Angeklagte <strong>und</strong> die genannten Nebenkläger haben die Kosten ihres jeweiligen Rechtsmittels zu<br />

tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Oberlandesgericht hatte den Angeklagten im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11. September 2001 in<br />

den Vereinigten Staaten von Amerika wegen "Beihilfe zum Mord in 3066 Fällen sowie zum versuchten Mord <strong>und</strong><br />

zur gefährlichen Körperverletzung in fünf Fällen in Tateinheit mit Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung"<br />

zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt. Auf die Revision des Angeklagten hat der Senat dieses Urteil<br />

mit den Feststellungen aufgehoben <strong>und</strong> die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung an das Oberlandesgericht<br />

zurückverwiesen (BGHSt 49, 112). Dieses hat den Angeklagten nunmehr wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen<br />

Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Hiergegen richten sich die Revisionen des<br />

Generalb<strong>und</strong>esanwalts, des Angeklagten <strong>und</strong> einiger Nebenkläger.<br />

I. Das Oberlandesgericht hat aufgr<strong>und</strong> der erneuten Hauptverhandlung folgende Feststellungen getroffen: Der Angeklagte<br />

- marokkanischer Staatsangehöriger - begann im Oktober 1999 ein Studium der Elektrotechnik an der Technischen<br />

Universität Hamburg-Harburg. Er schloss sich dort einem Kreis anderer Studenten muslimischen Glaubens an,<br />

die spätestens während ihrer Studienzeit in Hamburg auf der Gr<strong>und</strong>lage einer radikal-islamischen Sichtweise ein<br />

ausgeprägtes Bewusstsein für die Probleme islamisch geprägter Länder entwickelten, sich immer stärker der Religion<br />

zuwandten sowie zunehmend strenger <strong>und</strong> schließlich radikal in ihren Ansichten wurden. Zu diesem Kreis zählten<br />

neben anderen die bei den Anschlägen vom 11. September 2001 ums Leben gekommenen Mohamed El Amir Atta,<br />

Marwan Alshehhi <strong>und</strong> Ziad Jarrah, die anderweitig verfolgten - flüchtigen - Zakariya Essabar <strong>und</strong> Said Bahaji sowie<br />

der - in einem Parallelverfahren rechtskräftig freigesprochene - Abdelghani Mzoudi. Außerdem gehörte der Gruppe<br />

Ramzi Binalshibh an, der im September 2002 in Pakistan verhaftet <strong>und</strong> an die Vereinigten Staaten von Amerika<br />

überstellt wurde; er befindet sich seither an unbekanntem Ort in US-amerikanischem Gewahrsam. Im Verlauf des<br />

Jahres 1998 diskutierte man in der Gruppe mit zunehmender Intensität den gewaltsamen Djihad gegen "Ungläubige"<br />

<strong>und</strong> die Möglichkeit der Teilnahme an diesem Kampf, was mit ständigen Hasspredigten gegen Israel <strong>und</strong> die USA<br />

verb<strong>und</strong>en war. Gruppenmitglieder, die diese Radikalisierung nicht mitvollzogen, wurden ausgegrenzt. In den Mittelpunkt<br />

der Diskussionen der Gruppe geriet immer mehr die Durchführung von Selbstmordattentaten. Endpunkt<br />

dieser Entwicklung war schließlich die Bereitschaft, sich selbst am Djihad namentlich gegen "die Amerikaner <strong>und</strong><br />

Juden" zu beteiligen mit dem Ziel, als Märtyrer einen direkten Zugang zum Paradies zu erhalten <strong>und</strong> dort einen be-<br />

32


vorzugten Platz einzunehmen. Auf diese Weise war spätestens am 1. November 1999 unter Führung Attas eine aus<br />

ihm <strong>und</strong> den genannten weiteren Personen bestehende, hierarchisch aufgebaute Vereinigung entstanden. Aus ihr<br />

heraus sollten unter Einsatz des eigenen Lebens Attentate gegen Juden <strong>und</strong> Amerikaner begangen werden, bei denen<br />

das eigene Leben eingesetzt werden sollte; zur Erreichung dieses Zieles waren alle Beteiligten bereit, ihren eigenen<br />

Willen <strong>und</strong> ihre persönlichen Interessen zurückzustellen. Der Angeklagte stand hierbei am unteren Ende der hierarchischen<br />

Ordnung <strong>und</strong> sorgte - wie Mzoudi <strong>und</strong> Bahaji - in der Folgezeit für die Aufrechterhaltung der Infrastruktur<br />

der Gruppe. Spätestens ab 1. November 1999 waren die Gruppenmitglieder auch dazu entschlossen, erste Schritte<br />

zur Planung <strong>und</strong> Ausführung der ins Auge gefassten Attentate zu unternehmen. Ihre Vorstellung war, nach einem<br />

Aufenthalt in Lagern der Al Qaida in Afghanistan, bei dem sie Unterstützung gewinnen <strong>und</strong> sich militärisch ausbilden<br />

lassen wollten, von Hamburg aus zu operieren. Dabei war jedoch noch unklar, welcher Art der Einsatz sein <strong>und</strong><br />

wo er stattfinden sollte. Es sollte sich "jedenfalls um Sprengstoffanschläge größeren Ausmaßes" handeln. Dass bereits<br />

damals die Begehung der später am 11. September 2001 ausgeführten "Flugzeuganschläge" geplant war, hat das<br />

Oberlandesgericht nicht festzustellen vermocht. Entsprechend der Abrede reisten zwischen Mitte November <strong>und</strong><br />

Anfang Dezember 1999 zunächst Alshehhi, Jarrah, Atta <strong>und</strong> Binalshibh über Pakistan nach Afghanistan, wo sie sich<br />

in ein Lager der Al Qaida begaben. Innerhalb dieser Organisation waren seit Ende 1998 oder Anfang 1999 Pläne<br />

entwickelt worden, in den USA durch den Einsatz von Flugzeugen als Waffen Anschläge zu begehen. Zu Piloten<br />

ausgebildete Terroristen sollten mit entführten Verkehrsflugzeugen wichtige Gebäude in den USA rammen, wobei in<br />

einer ersten Anschlagswelle vier Flugzeuge entführt werden sollten; als Ziele waren das Weiße Haus <strong>und</strong> das Kapitol<br />

in Washington, das Verteidigungsministerium der USA (Pentagon) sowie das World Trade Center in New York ins<br />

Auge gefasst worden. Der Anführer der Al Qaida, Osama Bin Laden, hatte zur Vorbereitung der Anschläge bereits<br />

vier Männer ausgewählt, die sich in den USA zu Verkehrspiloten ausbilden lassen sollten. Hiervon erhielten zwei<br />

kein Einreisevisum für die USA. Die beiden anderen - Khalid Al Midhar <strong>und</strong> Nawaf Al Hazmi - durften zwar in die<br />

USA einreisen <strong>und</strong> begannen dort auch mit der Pilotenausbildung, mussten diese aber mangels hierfür ausreichender<br />

Englischkenntnisse spätestens Anfang Juni 2000 wieder abbrechen; an den Anschlägen vom 11. September 2001<br />

wirkten sie später in anderer Funktion mit. Als Alshehhi, Atta <strong>und</strong> Jarrah in Afghanistan angekommen waren, trafen<br />

sie alsbald mit Osama Bin Laden <strong>und</strong> Atef, dem militärischem Führer der Al Qaida, zusammen. Diese erkannten<br />

sofort, dass Alshehhi, Atta <strong>und</strong> Jarrah aufgr<strong>und</strong> ihrer Englischkenntnisse <strong>und</strong> ihres Studiums im westlichen Ausland<br />

für die Vorbereitung <strong>und</strong> Durchführung der Anschläge besonders geeignet waren. Sie gewannen sie innerhalb kurzer<br />

Zeit für die Mitwirkung <strong>und</strong> vereinbarten mit ihnen, dass sie sich von Hamburg aus in die USA begeben, dort die<br />

Pilotenausbildung absolvieren <strong>und</strong> dann die in Umrissen bereits geplante "Flugzeugoperation" ausführen sollten. Der<br />

zuletzt eintreffende Binalshibh wurde ebenfalls über die bisherigen Planungen informiert, für die Beteiligung angeworben<br />

<strong>und</strong> von den Al Qaida-Führern als weiterer Pilot vorgesehen. Osama Bin Laden bestimmte Atta zum Führer<br />

der Attentäter, Al Hazmi zu dessen Stellvertreter. Zwischen dem 10. Dezember 1999 (Alshehhi) <strong>und</strong> Anfang April<br />

2000 (Binalshibh) reisten die Gruppenmitglieder wieder aus Afghanistan ab <strong>und</strong> kehrten in die B<strong>und</strong>esrepublik zurück.<br />

Während ihres Aufenthalts in Afghanistan hatte der Angeklagte abredegemäß daran mitgewirkt, ihre Abwesenheit<br />

sowie Ziel <strong>und</strong> Zweck ihrer Reisen nach außen zu verschleiern. So verschaffte er sich etwa unter Vorlage einer<br />

ihm von Alshehhi bereits im Juli 1998 erteilten Generalvollmacht eine spezielle Vollmacht für dessen Girokonto <strong>und</strong><br />

wickelte nach der Abreise Alshehhis für diesen fällige Zahlungen für Monatsmiete <strong>und</strong> Verbrauchskosten über dieses<br />

Konto ab. Außerdem kündigte er dessen Mietvertrag sowie einen Vertrag mit einem Mobilfunkunternehmen; in<br />

dem Kündigungsschreiben zum Mietvertrag suchte er den Eindruck zu wecken, dieses stamme von Alshehhi selbst.<br />

Darüber hinaus nahm er telefonisch Kontakt zu der in B. lebenden Fre<strong>und</strong>in des Jarrah - der Zeugin S. - auf, um<br />

sicherzustellen, dass diese "keine offiziellen <strong>und</strong> Aufsehen erregenden Nachforschungen" über den Verbleib Jarrahs<br />

anstellen werde. Dessen Aufenthaltsort offenbarte er ihr hierbei aber ebenso wenig wie anlässlich späterer Telefonate,<br />

als die Zeugin S. - besorgt über das Verschwinden Jarrahs - ihrerseits den Angeklagten anrief. Ihre Frage nach<br />

dem Aufenthalt Jarrahs beantwortete er sinngemäß dahin, es sei besser für sie, nicht zu fragen. Nach ihrer Rückkehr<br />

aus Afghanistan traf sich der Angeklagte zumindest mit Atta, Alshehhi <strong>und</strong> Binalshibh. Hierbei erfuhr er, dass diese<br />

zusammen mit Jarrah "einen Anschlag gegen Juden <strong>und</strong> Amerikaner, wie die Vereinigungsmitglieder ihn sich im<br />

Herbst 1999 vorgestellt hatten, vorbereiteten <strong>und</strong> wegen einer Pilotenausbildung in die USA reisen würden". Näheres<br />

zu den mit der Al Qaida-Führung abgesprochenen Plänen wurde ihm nicht mitgeteilt. Er war daher insbesondere<br />

nicht darüber informiert, dass vier nahezu zeitgleiche Anschläge mit großen Verkehrsflugzeugen auf symbolträchtige<br />

Gebäude in den USA durchgeführt werden sollten. Zum Zeitpunkt der Abreise Attas, Alshehhis <strong>und</strong> Jarrahs in die<br />

USA war ihm aber, wie allen übrigen Mitgliedern der Gruppierung, zumindest bekannt, dass Atta, Alshehhi, Jarrah<br />

<strong>und</strong> Binalshibh oder dessen Ersatzmann Anschläge als Selbstmordattentate mit von ihnen gesteuerten Flugzeugen<br />

begehen sollten. Ihm war damit jedenfalls klar, dass die zu Piloten ausgebildeten Gruppenmitglieder Flugzeuge unbekannter<br />

Art <strong>und</strong> Größe in ihre Gewalt <strong>und</strong> an irgendwelchen Orten zum Absturz bringen sollten, um Menschen zu<br />

33


töten. Dies akzeptierte er. Atta, Jarrah <strong>und</strong> Alshehhi erhielten die von ihnen beantragten Visa für die Einreise in die<br />

USA erteilt, die entsprechenden Anträge Binalshibhs wurden dagegen zurückgewiesen. Als daher ab November 2000<br />

feststand, dass dieser sich nicht in die USA würde begeben können, übernahm er im Einvernehmen mit den anderen<br />

Gruppenmitgliedern <strong>und</strong> der Führung der Al Qaida die Rolle eines Koordinators zwischen den verschiedenen an der<br />

Vorbereitung der Anschläge beteiligten Personengruppen. An seiner Stelle sollte nun Essabar als vierter Pilot eingesetzt<br />

werden. Auch diesem wurde indessen ein Visum für die Einreise in die USA verweigert. Daraufhin bestimmte<br />

die Führung der Al Qaida zum vierten Piloten Hani Hanjour, der schon früher in den USA eine Pilotenausbildung<br />

absolviert hatte. Auch die weiteren bei den Anschlägen mitwirkenden Attentäter, die die Piloten der zu entführenden<br />

Flugzeuge "auszuschalten" <strong>und</strong> danach die übrige Besatzung sowie die Passagiere in Schach zu halten hatten, wählte<br />

Osama Bin Laden persönlich aus. In der Zeit zwischen ihrer Rückkehr aus Afghanistan <strong>und</strong> der beabsichtigten Weiterreise<br />

in die USA waren Atta, Alshehhi, Jarrah <strong>und</strong> Binalshibh darauf bedacht, möglichst wenig Außenkontakte zu<br />

haben, um nichts über ihr Vorhaben nach außen dringen zu lassen <strong>und</strong> dieses dadurch nicht zu gefährden. Aus diesem<br />

Gr<strong>und</strong> wurden einige ihrer Angelegenheiten weiterhin von den übrigen Mitgliedern der Vereinigung erledigt. So<br />

kümmerte sich der Angeklagte in Absprache mit Alshehhi darum, dessen zum 28. Februar 2000 gekündigten Mietvertrag<br />

abzuwickeln; insbesondere räumte er die Wohnung. Da er entsprechend den Planungen der Vereinigung<br />

alsbald selbst nach Afghanistan reisen sollte, gab er in Abstimmung mit Bahaji dessen Adresse in Korrespondenz mit<br />

dem Vermieter <strong>und</strong> den Gaswerken als neue Anschrift Alshehhis an, damit sich Bahaji während der Abwesenheit des<br />

Angeklagten um die für Alshehhi eingehende Post kümmern konnte. Der Angeklagte reiste am 22. Mai 2000 nach<br />

Afghanistan in ein Lager der Al Qaida. Gegenüber seiner Ehefrau, seiner Familie <strong>und</strong> gegenüber Kommilitonen<br />

verheimlichte er die Reise. Auch die anderen Mitglieder der Vereinigung verschleierten gegenüber Außenstehenden<br />

den wahren Aufenthalt des Angeklagten. In Afghanistan absolvierte der Angeklagte eine "Gr<strong>und</strong>ausbildung" <strong>und</strong><br />

erlernte den Umgang mit Waffen. Er wurde außerdem - da als Angehöriger der Vereinigung um Atta bekannt - durch<br />

die Führung der Al Qaida auf seine Zuverlässigkeit <strong>und</strong> Verwendbarkeit geprüft. Da er dem "Anforderungsprofil"<br />

nicht genügte, wurde er jedoch als ungeeignet für eine Beteiligung an den Anschlägen selbst eingestuft. Als der Angeklagte<br />

Ende Juli 2000 aus Afghanistan nach Hamburg zurückkehrte, waren Atta, Alshehhi <strong>und</strong> Jarrah bereits in die<br />

USA abgereist <strong>und</strong> ließen sich dort zu Piloten für Verkehrsflugzeuge ausbilden. Dass der Angeklagte mit einem von<br />

ihnen bis zum 11. September 2001 noch einmal direkten Kontakt gehabt hätte, hat das Oberlandesgericht nicht festzustellen<br />

vermocht. Auch war dem Angeklagten nicht bekannt, wo genau sie sich in den USA aufhielten. Um jedoch<br />

in Hamburg den förmlichen Rahmen ihrer studentischen Existenz aufrechtzuerhalten, regelte der Angeklagte im<br />

Zusammenwirken mit den anderen in Hamburg verbliebenen Vereinigungsmitgliedern weiterhin ihre anfallenden<br />

persönlichen Angelegenheiten. Die Vereinigung <strong>und</strong> ihre einzelnen Mitglieder sollten keine besondere Aufmerksamkeit<br />

erregen <strong>und</strong> keine Nachforschungen provozieren, durch welche ihre Aufdeckung riskiert oder die erfolgreiche<br />

Umsetzung der Pläne gefährdet werden könnte. Außerdem sollte hierdurch den in die USA gereisten Mitgliedern<br />

der Vereinigung eine Rückkehr nach Hamburg ermöglicht werden, falls es nicht zu ihrer beabsichtigten Selbsttötung<br />

durch Begehung von Anschlägen kommen sollte. Nach den Vorstellungen ihrer Mitglieder sollte die Vereinigung für<br />

diesen Fall mit den in Hamburg verbliebenen Mitgliedern dort fortgeführt werden mit dem weiter bestehenden gemeinsamen<br />

Ziel, neue Pläne für Attentate gegen Juden <strong>und</strong> Amerikaner zu entwickeln <strong>und</strong> zu verwirklichen. In Umsetzung<br />

der getroffenen Absprachen erledigte der Angeklagte teilweise die Post Attas <strong>und</strong> auch Essabars. Außerdem<br />

wirkte der Angeklagte an der Bereitstellung von Geldmitteln mit, die zur Deckung der Kosten des Aufenthalts <strong>und</strong><br />

der Pilotenausbildung der Vereinigungsmitglieder in den USA dienen sollten. Die Vorbereitung der Anschläge vom<br />

11. September 2001 wurde zwar ganz überwiegend mit Geldern finanziert, die von der Al Qaida oder deren Unterstützern<br />

in arabischen Ländern stammten <strong>und</strong> auf Konten überwiesen wurden, die Atta, Alshehhi <strong>und</strong> Jarrah in den<br />

USA eröffnet hatten. Jedoch war Ende August 2000 der Habensaldo auf dem gemeinschaftlichen Konto Attas <strong>und</strong><br />

Alshehhis auf unter 2.000 $ gesunken. Sie setzten sich deshalb mit Binalshibh in Verbindung mit der Bitte, zur Überbrückung<br />

des Engpasses Geld zu überweisen. Da sich Binalshibh zu diesem Zeitpunkt im Jemen aufhielt, er aber<br />

wusste, dass der Angeklagte eine Vollmacht für das Konto Alshehhis in Hamburg hatte, nahm er Kontakt zu ihm auf.<br />

Er bat ihn, zur Weiterleitung an Alshehhi 5.000 DM von dessen Konto auf sein - Binalshibhs - Konto bei der Citibank<br />

Hamburg zu überweisen. Dem kam der Angeklagte am 6. September 2000 nach. Binalshibh leitete das Geld als<br />

Teil einer größeren Überweisung allerdings erst am 27. September 2000 auf das Konto Attas <strong>und</strong> Alshehhis in den<br />

USA weiter, auf dem bereits am 30. August 2000 19.985 $ <strong>und</strong> am 18. September 2000 69.985 $ aufgr<strong>und</strong> von Überweisungen<br />

durch unbekannte Personen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten gutgeschrieben worden waren.<br />

Darüber hinaus verschleierte der Angeklagte den tatsächlichen Aufenthaltsort Alshehhis, als Vertreter der Vereinigten<br />

Arabischen Emirate zusammen mit dessen Bruder im Januar 2001 in Hamburg erschienen, um nach diesem zu<br />

suchen. Auf die Frage nach seinem Verbleib gab er an, dass er ihn in Afghanistan oder Tschetschenien vermute;<br />

hierdurch wollte er eine Gefährdung der von der Vereinigung verfolgten Ziele verhindern. Über Binalshibh ließ er<br />

34


sodann Alshehhi benachrichtigen, dass in Hamburg Nachforschungen über seinen Verbleib angestellt worden waren.<br />

Hierauf meldete sich Alshehhi am 20. Januar 2001 telefonisch bei seiner Familie <strong>und</strong> beruhigte sie. Daraufhin wurde<br />

die Suche nach ihm eingestellt, in die bereits die Polizei in Hamburg eingeschaltet worden war. Nachdem die Vorbereitung<br />

der Anschläge weitgehend abgeschlossen war <strong>und</strong> feststand, dass sie innerhalb weniger Wochen durchgeführt<br />

würden, warnte Atta im Juli 2001 Bahaji mittels einer telefonischen Kurznachricht (SMS), dass die Anschläge<br />

bevorstünden <strong>und</strong> Bahaji sich absetzen solle. Er solle auch den Angeklagten sowie den Zeugen T. informieren. Bahaji<br />

verließ Anfang September 2001 die B<strong>und</strong>esrepublik. Auch Binalshibh <strong>und</strong> Essabar setzten sich ab. Dagegen<br />

verblieb der Angeklagte - ebenso wie Mzoudi - in Hamburg. Er konnte sich nicht zur Flucht entschließen, weil er<br />

seinen ein Jahr alten Sohn <strong>und</strong> seine schwangere Ehefrau nicht verlassen wollte. Am Vormittag des 11. September<br />

2001 setzten Atta, Alshehhi, Jarrah <strong>und</strong> Hanjour als Piloten sowie 15 weitere Mittäter die Anschlagspläne in die Tat<br />

um. Sie brachten auf Inlandsflügen in den USA vier Passagierflugzeuge in ihre Gewalt. Atta <strong>und</strong> Alshehhi steuerten<br />

zwei der Maschinen in die beiden Türme des World Trade Centers in New York. Dies führte aufgr<strong>und</strong> des Einsturzes<br />

der Gebäude zum Tod von über 3.000 Menschen. Das dritte Flugzeug flog Hanjour in die Südwestseite des Pentagon.<br />

Hierdurch fanden 125 Mitarbeiter des amerikanischen Verteidigungsministeriums den Tod. Die vierte Maschine,<br />

die in das Gebäude des amerikanischen Kongresses in Washington, das Kapitol, gestürzt werden sollte, brachte<br />

Jarrah als Pilot zum Absturz, als einige Passagiere versuchten, das Flugzeug wieder in ihre Gewalt zu bringen. Durch<br />

die Abstürze der vier Flugzeuge wurden alle 246 Passagiere <strong>und</strong> Besatzungsmitglieder sowie die Attentäter getötet.<br />

Mit den Anschlägen löste sich die bis dahin in Hamburg fortbestehende Vereinigung auf.<br />

II. Revision des Angeklagten<br />

Der Angeklagte rügt die Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.<br />

1. Die verfahrensrechtlichen Beanstandungen greifen nicht durch. Die maßgeblichen Gründe hierfür hat der Generalb<strong>und</strong>esanwalt<br />

in seiner Antragsschrift vom 28. April 2006 im Einzelnen dargelegt. Hierauf nimmt der Senat im Wesentlichen<br />

Bezug. Näherer Erörterung bedarf lediglich die Rüge, das Oberlandesgericht habe unter Verstoß gegen §<br />

55 Abs. 1, § 244 Abs. 2 StPO von der Sachvernehmung des Zeugen Mzoudi abgesehen. Der Rüge liegt folgendes<br />

Verfahrensgeschehen zugr<strong>und</strong>e: Nachdem der in einem Parallelverfahren wegen gleichgelagerter Tatvorwürfe angeklagte<br />

Mzoudi rechtskräftig freigesprochen worden war, wurde er als Zeuge zur Hauptverhandlung gegen den Angeklagten<br />

geladen. Dort berief er sich über die ihm als Zeugenbeistand bestellte Rechtsanwältin auf ein umfassendes<br />

Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 Abs. 1 StPO, weil er durch die Beantwortung jeglicher Frage zur Sache die<br />

Gefahr einer Wiederaufnahme des gegen ihn geführten Strafverfahrens begründen würde. Danach äußerte er sich<br />

allein zu der Körpergröße Attas, Alshehhis, Jarrahs sowie seiner selbst. Sodann wurde er im allseitigen Einverständnis<br />

vom Vorsitzenden entlassen. Bei diesem Verfahrensablauf ist es dem Angeklagten versagt, mit der Revision<br />

geltend zu machen, dem Zeugen sei in rechtsfehlerhafter Weise die Befugnis zugebilligt worden, Fragen zur Sache<br />

umfassend unbeantwortet zu lassen. Seine Rüge ist unzulässig. Die Entscheidung, ob ein Zeuge durch die Beantwortung<br />

von Fragen sich oder einen seiner in § 52 Abs. 1 StPO bezeichneten Angehörigen einer Verfolgungsgefahr im<br />

Sinne des § 55 Abs. 1 StPO aussetzen würde <strong>und</strong> in welchem Umfang eine derartige Verfolgungsgefahr ein Auskunftsverweigerungsrecht<br />

des Zeugen nach dieser Vorschrift begründet, ist durch § 238 Abs. 2 StPO vorrangig dem<br />

Vorsitzenden anvertraut (s. a. § 241 Abs. 2 StPO). Er hat daher zu-nächst im Rahmen der Verhandlungsleitung darüber<br />

zu befinden, ob ein Zeuge die Beantwortung einiger, vieler oder gar aller sachbezogenen Fragen verweigern<br />

darf. Hält ein Verfahrensbeteiligter die Entscheidung des Vorsitzenden für rechtsfehlerhaft <strong>und</strong> damit für unzulässig,<br />

hat er gemäß § 238 Abs. 2 StPO die Möglichkeit, hiergegen den gesamten Spruchkörper anzurufen (BGHSt 10, 104,<br />

105; Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 55 Rdn. 10; Dahs in Löwe/Rosenberg, 25. Aufl. § 55 Rdn. 18; Senge in KK 5.<br />

Aufl. § 55 Rdn. 13; Neubeck in KMR - Stand Juni 2006 - § 55 Rdn. 9). Hierzu ist er gr<strong>und</strong>sätzlich auch verpflichtet,<br />

wenn er die fehlerhafte Anwendung des § 55 Abs. 1 StPO später mit der Revision beanstanden will. Dies ergibt sich<br />

aus Folgendem (zum Streit über das Bestehen <strong>und</strong> die Herleitung einer derartigen Beanstandungsobliegenheit vgl.<br />

Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, aaO § 238 Rdn. 43 ff. m. zahlr. w. N.): Zweck des § 238 Abs. 2 StPO ist es, die<br />

Gesamtverantwortung des Spruchkörpers für die Rechtsförmigkeit der Verhandlung zu aktivieren, hierdurch die<br />

Möglichkeit zu eröffnen, Fehler des Vorsitzenden im Rahmen der Instanz zu korrigieren <strong>und</strong> damit Revisionen zu<br />

vermeiden, durch die ein Fehler des Vorsitzenden nur auf Kosten einer mehr oder weniger langen Verzögerung des<br />

Verfahrensabschlusses ausgeräumt werden könnte (Giesler, Der Ausschluss der Beschwerde gegen richterliche Entscheidungen<br />

im Strafverfahren S. 283 ff.; Schöch in AK § 238 Rdn. 29; Julius in HK § 238 Rdn. 1; Schlüchter in<br />

SK-StPO - Stand Juni 1992 - § 238 Rdn. 8; Paulus in KMR - Stand Oktober 1989 - § 238 Rdn. 33). Dieser Zweck<br />

würde verfehlt, wenn es im unbeschränkten Belieben des um die Möglichkeit des § 238 Abs. 2 StPO wissenden<br />

Verfahrensbeteiligten stünde, ob er eine für unzulässig erachtete verhandlungsleitende Maßnahme des Vorsitzenden<br />

über den Rechtsbehelf nach § 238 Abs. 2 StPO zu beseitigen sucht oder statt dessen hierauf im Falle eines ihm<br />

nachteiligen Urteils in der Revision eine Verfahrensrüge stützen will. Er hat daher gr<strong>und</strong>sätzlich auf Entscheidung<br />

35


des Gerichts anzutragen; unterlässt er dies, kann er in der Revisionsinstanz mit einer entsprechenden Rüge, durch die<br />

er sich in Widerspruch zu seinem früheren Verhalten setzen würde, nicht mehr gehört werden. Dies gilt jedenfalls<br />

dann, wenn der Anordnung des Vorsitzenden eine strafprozessuale Regelung zugr<strong>und</strong>e liegt, die ihm für die Feststellung<br />

ihrer tatbestandlichen Voraussetzungen einen Beurteilungsspielraum eröffnet oder ihm auf der Rechtsfolgenseite<br />

Ermessen einräumt, <strong>und</strong> die Revisionsrüge auf eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums oder einen Ermessensfehlgebrauch<br />

gestützt werden soll. Zu beidem findet eine ins Einzelne gehende Richtigkeitsprüfung des Revisionsgerichts<br />

nicht statt. Dieses ist vielmehr auf die rechtliche Kontrolle beschränkt, ob das Tatgericht die Grenzen des<br />

Beurteilungsspielraums oder des Ermessens in einer Weise überschritten hat, dass sich dessen Entscheidung als nicht<br />

mehr vertretbar <strong>und</strong> damit als rechtswidrig erweist. Eindeutige, die Entscheidung des jeweiligen Einzelfalls präzise<br />

vorzeichnende Maßstäbe bestehen insoweit nicht. Unterlässt der von der Anordnung Betroffene die Anrufung des<br />

Gerichts, so gibt er damit zu erkennen, dass er durch die Maßnahme - mag sie ihn auch beschweren - jedenfalls die<br />

Grenzen des Beurteilungsspielraums oder des Ermessens des Vorsitzenden nicht als überschritten ansieht, daher die<br />

Anordnung nicht als rechtswidrig <strong>und</strong> damit unzulässig im Sinne des § 238 Abs. 2 StPO betrachtet <strong>und</strong> demgemäß<br />

auch keinen revisiblen Rechtsfehler bejaht. Beurteilt er dies dagegen anders <strong>und</strong> führt dennoch keine Entscheidung<br />

des gesamten Spruchkörpers herbei, so muss dieser Verstoß gegen die zentrale Zwecksetzung des § 238 Abs. 2 StPO<br />

zur Unzulässigkeit einer auf diese Maßnahme später gestützten Revisionsrüge führen; diese ist verwirkt. Ob diese<br />

Gr<strong>und</strong>sätze in gleicher Weise heranzuziehen sind, wenn die sachleitende Anordnung des Vorsitzenden auf der Anwendung<br />

zwingenden <strong>Verfahrensrecht</strong>s beruht, oder ob in diesem Fall zur Wahrung der unumstößlichen, eindeutigen<br />

Grenzen zulässiger Verfahrensgestaltung die Maßnahme auch dann zur vollen Überprüfung des Revisionsgerichts<br />

stehen muss, wenn der betroffene Verfahrensbeteiligte sich im konkreten Fall nicht beschwert fühlt oder seine vermeintliche<br />

Beschwer durch das Unterlassen des Rechtsbehelfs nach § 238 Abs. 2 StPO jedenfalls nicht zum Ausdruck<br />

bringt, bedarf hier keiner Erörterung; denn es gilt: Die Entscheidung, ob <strong>und</strong> in welchem Umfang ein Zeuge<br />

durch seine Aussage eine Verfolgungsgefahr im Sinne des § 55 Abs. 1 StPO begründen kann <strong>und</strong> daher die Auskunft<br />

verweigern darf, unterliegt als Maßnahme der Sachleitung weitgehend der wertenden Beurteilung des Vorsitzenden<br />

nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalles. Billigt dieser dem Zeugen ein Auskunftsverweigerungsrecht in einem<br />

Ausmaß zu, durch das ein Beteiligter die Grenzen rechtlich zulässiger Beurteilung dieser Umstände überschritten<br />

sieht, kann er darauf seine Revision nur stützen, wenn er bereits in der tatrichterlichen Hauptverhandlung durch Anrufung<br />

des Gerichts vergeblich versucht hat, die Aufhebung der Anordnung zu erreichen. Dies gilt jedenfalls für den<br />

verteidigten Angeklagten, da der Verteidiger um den Rechtsbehelf nach § 238 Abs. 2 StPO weiß. Eine unzulässige<br />

Einschränkung der Rüge, das Gericht habe durch das teilweise oder völlige Unterlassen der Sachvernehmung des<br />

Zeugen seine Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO verletzt, liegt hierin nicht; denn da durch die Anordnung<br />

des Vorsitzenden die Beschränkung der gerichtlichen Sachaufklärung zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht<br />

wird, kann der Verstoß gegen die Pflicht zur Erforschung der Wahrheit über § 238 Abs. 2 StPO bereits dort<br />

beanstandet werden. Wird dies unterlassen, muss daher nicht zusätzlich <strong>und</strong> unabhängig davon die Aufklärungsrüge<br />

im Revisionsverfahren eröffnet sein. Nach alledem kann der Angeklagte den behaupteten Verstoß gegen § 55 Abs. 1<br />

StPO nicht mehr zulässig rügen. Weder er noch seine Verteidiger haben auf einer weiteren Befragung des Zeugen<br />

Mzoudi bestanden <strong>und</strong> das Gericht angerufen, als der Vorsitzende durch die Beendigung der Vernehmung dieses<br />

Zeugen zu erkennen gab, dass er diesen nicht zur Beantwortung weiterer Fragen für verpflichtet erachtete. Vielmehr<br />

haben sie einvernehmlich der Entlassung des Zeugen zugestimmt.<br />

2. Auch die Überprüfung des Urteils aufgr<strong>und</strong> der Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten<br />

ergeben.<br />

a) Die Beweiswürdigung des Oberlandesgerichts hält rechtlicher Überprüfung stand.<br />

Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht prüft dessen Überzeugungsbildung nur darauf,<br />

ob sie auf rechtsfehlerhaften Erwägungen beruht. Dies ist namentlich der Fall, wenn die Würdigung des Tatgerichts<br />

mit gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen oder unbezweifelbarem Erfahrungswissen unvereinbar ist, Widersprüche<br />

oder sonstige Verstöße gegen die Gesetze der Logik enthält oder Lücken aufweist, sich insbesondere nicht<br />

mit naheliegenden alternativen Geschehensabläufen befasst, obwohl sich dies nach dem Beweisergebnis aufdrängt.<br />

Dagegen ist es für die revisionsrechtliche Prüfung ohne Belang, ob die vom Tatrichter gezogenen Schlüsse zwingend<br />

oder auch nur naheliegend sind <strong>und</strong> eine abweichende Würdigung der Beweise aus der Sicht des Revisionsgerichts<br />

ebenso gut möglich oder überzeugender gewesen wäre. Nach diesen Maßstäben ist die Beweiswürdigung des Oberlandesgerichts<br />

rechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere lässt sie nicht deswegen eine Lücke im dargestellten<br />

Sinne erkennen, weil das Oberlandesgericht die Angaben, die Binalshibh <strong>und</strong> Ould Slahi nach dem Inhalt der von<br />

den USA überlassenen "Zusammenfassungen" ihrer Aussagen in US-Gewahrsam gemacht haben, je für sich als<br />

unglaubhaft bewertet, sich jedoch nicht näher damit auseinandergesetzt hat, dass diese Angaben Übereinstimmungen<br />

zu Gesprächen zwischen den beiden Genannten enthalten, die Ende Oktober/Anfang November 1999 in Deutschland<br />

36


stattgef<strong>und</strong>en haben sollen. Zwar könnten diese Angaben für sich genommen einen Hinweis darauf liefern, dass<br />

Mitglieder der Gruppe um Atta noch zu diesem Zeitpunkt lediglich deswegen nach Afghanistan reisen wollten, um<br />

sich von dort zu einem Kampfeinsatz nach Tschetschenien zu begeben. Hiermit musste sich das Oberlandesgericht<br />

aber im Hinblick auf die zahlreichen Indiztatsachen, die deutlich auf die Umorientierung der Gruppe auf Anschläge<br />

gegen "Juden <strong>und</strong> Amerikaner" hinwiesen, nicht notwendig ausdrücklich befassen. Das gilt umso mehr, als es den<br />

Beweiswert der Angaben Binalshibhs <strong>und</strong> Ould Slahis - rechtsfehlerfrei - als zweifelhaft eingestuft hat. Dem steht<br />

nicht entgegen, dass wegen der Unmöglichkeit, diese beiden Zeugen persönlich zu vernehmen oder auch nur Verhörspersonen<br />

zu befragen oder zumindest vollständige Vernehmungsprotokolle zu erhalten, die von den USA überlassenen<br />

"Zusammenfassungen" einer besonders vorsichtigen Würdigung zu unterziehen waren. Den insoweit zu<br />

stellenden Anforderungen (BGHSt 49, 112) ist die Beweiswürdigung des Oberlandesgerichts, das sich der Verkürzung<br />

der Beweisgr<strong>und</strong>lage bewusst war, gerecht geworden. Im Übrigen wird auf die zutreffenden Darlegungen in der<br />

Antragsschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts verwiesen.<br />

b) Die Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Das<br />

schriftsätzliche Vorbringen der Revision gibt lediglich zu folgendem Bemerken Anlass: Es kann dahinstehen, ob eine<br />

derartige Vereinigung auch dann vorliegt, wenn eine Gruppierung von vornherein nur auf die Begehung einer einzigen<br />

Terrortat ausgerichtet ist <strong>und</strong> sich mit deren Verübung - bei einem Selbstmordanschlag gegebenenfalls auch<br />

durch den Tod der Mitglieder der Gruppierung - auflösen soll (so Lenckner/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder,<br />

StGB 27. Aufl. § 129 Rdn. 7 a; Miebach/Schäfer in MünchKomm StGB § 129 Rdn. 31). Denn ein derartiger Fall ist<br />

hier nicht gegeben. Die Vereinigung um Atta war weder im Zeitpunkt ihrer Entstehung (spätestens Anfang November<br />

1999) noch nach der Rekrutierung mehrerer Gruppenmitglieder für die Flugzeuganschläge allein auf die Begehung<br />

eines einzigen - ggf. in koordinierten Einzelanschlägen zu verwirklichenden - Terrorakts mit Selbsttötung der<br />

wesentlichen Vereinigungsmitglieder ausgerichtet. Vielmehr wurden auch nach der Rekrutierung die Vereinigungsstrukturen<br />

noch zu dem Zweck aufrecht erhalten, im Falle eines Scheiterns der Selbstmordanschläge in den USA den<br />

Gruppenmitgliedern eine Rückkehr nach Hamburg zu ermöglichen, damit von dort aus andere Anschlagspläne vorbereitet<br />

werden könnten.<br />

III. Revision des Generalb<strong>und</strong>esanwalts<br />

Die Revision des Generalb<strong>und</strong>esanwalts hat mit der Sachrüge überwiegend Erfolg. Zutreffend macht er geltend, dass<br />

das Oberlandesgericht auf der Gr<strong>und</strong>lage der getroffenen Feststellungen die Strafbarkeit des Angeklagten wegen<br />

Beihilfe zum vielfachen Mord rechtsfehlerhaft verneint hat. Entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts belegen<br />

die Urteilsgründe, dass der Angeklagte auch der Beihilfe zum 246-fachen Mord schuldig ist. Dies führt zu der entsprechenden<br />

Abänderung des Schuldspruchs durch den Senat. Danach bedarf es keines Eingehens auf die vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt<br />

erhobene verfahrensrechtliche Beanstandung, das Oberlandesgericht habe § 154 a Abs. 3 Satz 1, §<br />

244 Abs. 2, § 264 StPO verletzt, weil es den Tatvorwurf der Beihilfe zum Angriff auf den Luftverkehr nicht wieder<br />

in das Verfahren einbezogen habe; denn diese Rüge hätte allein dann Bedeutung, wenn eine Verurteilung des Angeklagten<br />

wegen Beihilfe zum Mord nicht möglich wäre.<br />

1. Das Oberlandesgericht geht zwar davon aus, der Angeklagte habe durch seine "Tatbeiträge" die Taten Attas, Alshehhis<br />

<strong>und</strong> Jarrahs objektiv gefördert. Jedoch seien seine lange vor dem 11. September 2001 vorgenommenen Handlungen<br />

nicht geeignet gewesen, das Risiko zu vergrößern, dass die Taten tatsächlich begangen wurden. Zweifelhaft<br />

sei geblieben, welches Wissen <strong>und</strong> welche Vorstellungen der Angeklagte von den geplanten Taten hatte. Ihm sei<br />

zwar bewusst gewesen, dass die zu Piloten ausgebildeten Vereinigungsmitglieder Flugzeuge zum Absturz bringen<br />

<strong>und</strong> dadurch Menschen töten sollten. Jedoch habe er weder die genaue Art der Attentate, die Anzahl der Einzelanschläge,<br />

ihren jeweiligen Ort <strong>und</strong> Zeitpunkt noch die "enormen Dimensionen, in denen die Anschläge geplant waren<br />

<strong>und</strong> durchgeführt wurden", insbesondere den Umfang der Vernichtung von Menschenleben gekannt; all dies habe er<br />

auch nicht erkennen können. Nach seinem festgestellten Wissen seien auch andere Begehungsarten möglich gewesen;<br />

es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte trotz seiner radikal-islamistischen Einstellung <strong>und</strong><br />

seines Hasses auf die USA <strong>und</strong> das Judentum derartige Anschläge nicht gutgeheißen <strong>und</strong> nicht unterstützt hätte. Der<br />

notwendige Beihilfevorsatz sei daher nicht gegeben.<br />

2. Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand.<br />

a) Die objektiven Voraussetzungen einer Strafbarkeit des Angeklagten wegen Beihilfe zu den Taten Attas, Alshehhis,<br />

Jarrahs <strong>und</strong> Hanjours liegen vor. Insofern hat das Oberlandesgericht eingangs seiner rechtlichen Würdigung<br />

zutreffend ausgeführt, dass die "Tatbeiträge" des Angeklagten diese Taten objektiv gefördert haben. Indem es - im<br />

Rahmen seiner Ausführungen zu den subjektiven Voraussetzungen der Strafbarkeit wegen Beihilfe - die Auffassung<br />

vertritt, diese Beiträge hätten jedoch nicht das Risiko vergrößert, dass die Anschläge vom 11. September 2001 tatsächlich<br />

begangen wurden, <strong>und</strong> damit möglicherweise die Annahme einer tatbestandsmäßigen objektiven Hilfeleistung<br />

in Frage stellen will, wird seine Bewertung widersprüchlich, da sie zwei nicht miteinander vereinbare Aussagen<br />

37


enthält. Ihr liegt ein rechtsfehlerhaftes Verständnis der objektiven Voraussetzungen einer Beihilfetat zugr<strong>und</strong>e. Nach<br />

§ 27 Abs. 1 StGB macht sich als Gehilfe strafbar, wer (vorsätzlich) einem anderen zu dessen (vorsätzlich begangener)<br />

rechtswidriger Tat Hilfe leistet. Nach ständiger Rechtsprechung (etwa BGHSt 46, 107, 109; BGH NJW 2001,<br />

2409, 2410; NStZ 2004, 499, 500; vgl. die weiteren Nachweise bei Cramer/Heine in Schönke/Schröder, aaO § 27<br />

Rdn. 8; Roxin in LK 11. Aufl. § 27 Rdn. 1 Fn. 1) ist als Hilfeleistung in diesem Sinne gr<strong>und</strong>sätzlich jede Handlung<br />

anzusehen, die die Herbeiführung des Taterfolges durch den Haupttäter objektiv fördert oder erleichtert; dass sie für<br />

den Eintritt dieses Erfolges in seinem konkreten Gepräge in irgendeiner Weise kausal wird, ist nicht erforderlich.<br />

Diese Voraussetzungen treffen auf die Tatbeiträge des Angeklagten zu: Der Angeklagte hat die Durchführung der<br />

Anschläge des 11. September 2001 objektiv erleichtert <strong>und</strong> gefördert, indem er nach der Rückkehr Alshehhis aus<br />

Afghanistan dessen Kontakte zu außenstehenden Dritten zu begrenzen half, indem er während des Aufenthalts Attas,<br />

Alshehhis <strong>und</strong> Jarrahs in den USA den Anschein wahrte, diese befänden sich weiterhin als Studenten in Hamburg,<br />

indem er den wahren Aufenthalt Alshehhis verschleierte <strong>und</strong> diesen warnen ließ, als dessen Bruder gemeinsam mit<br />

Vertretern der Vereinigten Arabischen Emirate Nachforschungen nach dessen Verbleib anstellte, <strong>und</strong> indem er Binalshibh<br />

vom Konto Alshehhis 5.000 DM überwies, damit dieser das Geld an Atta <strong>und</strong> Alshehhi in die USA weitertransferiere.<br />

Die Verschleierung der Tat-vorbereitungen <strong>und</strong> das Mitwirken am Bereitstellen von finanziellen Mitteln<br />

für die Durchführung dieser Vorbereitungen haben den zur Tatvollendung führenden konkreten Geschehensablauf<br />

bis in die Ausführungsphase mitgeprägt. Dass die Anschläge möglicherweise ohne die Mitwirkung des Angeklagten<br />

ebenfalls durchgeführt worden wären, weil die Tatvorbereitungen eventuell auch ohne dessen Verdeckungsbemühungen<br />

nicht aufgefallen wären, ändert hieran nichts. Gleiches gilt für den Umstand, dass sich die Bereitstellung der<br />

5.000 DM letztlich als überflüssig erwies, weil noch vor Eintreffen dieses Betrages in den USA das dortige Konto<br />

Attas <strong>und</strong> Alshehhis bereits aus anderen Quellen wiederaufgefüllt worden war; denn die 5.000 DM standen trotzdem<br />

zur Finanzierung der Tatvorbereitung zur Verfügung <strong>und</strong> behielten damit ihre Bedeutung als Einzelelement des zur<br />

Tatvollendung hinführenden Gesamtgeschehens mit tatfördernder <strong>und</strong> -erleichternder Wirkung bis in die Ausführungsphase<br />

hinein. Durch seine Verschleierung des wahren Aufenthalts Attas, Alshehhis <strong>und</strong> Jarrahs unterstützte der<br />

Angeklagte objektiv auch die Haupttat Hanjours, da auch deren Durchführung durch die Entdeckung der Tatvorbereitung<br />

der drei anderen "Piloten" gefährdet worden wäre. Soweit die Verteidigung in der Hauptverhandlung vor<br />

dem Senat die Ansicht vertreten hat, die vom Angeklagten geleisteten Tatbeiträge könnten deshalb nicht als Hilfeleistung<br />

im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB bewertet werden, weil sie isoliert betrachtet <strong>und</strong> gemessen an dem durch die<br />

Anschläge verwirk-lichten Unrecht von völlig untergeordnetem Gewicht gewesen seien, verkennt sie die Voraussetzungen<br />

der Beihilfestrafbarkeit. Zum einen kommt es auf das Gewicht des tatfördernden Beitrags für dessen Einstufung<br />

als Hilfeleistung gr<strong>und</strong>sätzlich nicht an; dieses ist allein für die Strafzumessung relevant. Zum anderen erscheint<br />

die Bewertung der Tatbeiträge des Angeklagten durch die Verteidigung verfehlt. Sie stellt im Übrigen nicht<br />

in Rechnung, dass sich der Angeklagte aufgr<strong>und</strong> der getroffenen Abreden innerhalb der Gruppierung die Hilfeleistungen<br />

der anderen Gruppenmitglieder für die Attentäter im Rahmen der gleichsam mittäterschaftlich geleisteten<br />

Beihilfe zurechnen lassen muss. Falls das Oberlandesgericht dennoch die objektiven Voraussetzungen der Beihilfe<br />

mit der Erwägung in Zweifel ziehen wollte, die Tatbeiträge des Angeklagten hätten das Risiko der Durchführung der<br />

Anschläge nicht erhöht, hätte es übersehen, dass mit dem Begriff der Risikoerhöhung keine inhaltlichen Kriterien<br />

verb<strong>und</strong>en sind, die hier zu einer abweichenden Beurteilung des Sachverhalts führen: Zwar trifft es zu, dass das<br />

überwiegende Schrifttum das Verständnis der Rechtsprechung kritisiert, wonach für ein Hilfeleisten nach § 27 Abs. 1<br />

StGB jede Tatförderung oder -erleichterung selbst bei fehlender Kausalität für den Taterfolg genüge, <strong>und</strong> dem andere<br />

Rechtsmodelle für die Bestimmung der Voraussetzungen der objektiven Beihilfeleistung entgegenstellen will. So<br />

wird teilweise gefordert, der Tatbeitrag des Gehilfen müsse für die Tatbestandsverwirklichung durch den Haupttäter<br />

"kausal" geworden sein; andere setzen voraus, dass durch den Tatbeitrag das Risiko für den Erfolg der Haupttat<br />

gesteigert wird (s. die Übersicht bei Cramer/Heine, aaO Rdn. 7, 9 f.). Eine nähere Betrachtung dieser auf den ersten<br />

Blick divergierenden Ansichten zeigt indessen, dass es sich hier weitgehend um einen Streit über dogmatische Begrifflichkeiten<br />

handelt, der allenfalls bei außergewöhnlichen - hier nicht gegebenen - Sachverhaltsgestaltungen zu<br />

abweichenden Ergebnissen führt. Soweit im Schrifttum etwa eine Kausalbeziehung zwischen dem Tatbeitrag des<br />

Gehilfen <strong>und</strong> der Tatbestandsverwirklichung durch den Haupttäter gefordert wird, wird dies nahezu einhellig nicht<br />

dahin verstanden, dass das Tun des Teilnehmers adäquat oder äquivalent kausal für den isolierten konkreten Taterfolg<br />

als solchen geworden sein muss. Vielmehr soll es genügen, wenn der Beitrag des Gehilfen das konkrete Tatbild,<br />

also das zum Taterfolg hinführende Geschehen, zumindest bis in das Versuchsstadium hinein mitprägt; danach<br />

scheidet die notwendige "Kausalität" weder deswegen aus, weil das vom Gehilfen zur Tatverwirklichung beigetragene<br />

Handlungselement hypothetisch auch anderweitig hätte erbracht werden können, noch weil es sich nachträglich<br />

als überflüssig herausstellt (vgl. Cramer/Heine, aaO Rdn. 10 m. w. N.). Dies stimmt der Sache nach aber mit dem in<br />

der Rechtsprechung aufgestellten Erfordernis überein, dass der Beitrag des Gehilfen das Herbeiführen des Taterfol-<br />

38


ges durch den Haupttäter (die Tathandlung, Tatbestandsverwirklichung) objektiv gefördert oder erleichtert haben<br />

muss (s. Roxin in FS Miyazawa S. 501, 502 f.; Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 27 Rdn. 2: Förderung der Haupttat<br />

ohne "Ursächlichkeit" kaum denkbar). Nichts anderes gilt für die Rechtsfigur der (kausalen) Risikoerhöhung. Dass<br />

derjenige, der das auf die Tatbestandsverwirklichung gerichtete Tun des Haupttäters objektiv fördert oder erleichtert,<br />

in aller Regel das Risiko der Tatvollendung erhöht, liegt auf der Hand (vgl. BGHSt 42, 135, 138: Fördern des strafbaren<br />

Verhaltens des Haupttäters <strong>und</strong> dadurch Vergrößerung des Risikos, dass die Haupttat begangen wird). Nach<br />

alledem ist es entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts auch nicht erheblich, dass der Angeklagte seine Unterstützungshandlungen<br />

schon längere Zeit vor der Begehung der Haupttaten in deren Vorbereitungsphase vorgenommen<br />

hatte (vgl. BGHSt 2, 344, 345 f.; 42, 332, 335; 46, 107, 115; BGH NJW 1985, 1035, 1036).<br />

b) Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte auch den erforderlichen Gehilfenvorsatz. Das Oberlandesgericht ist<br />

allerdings der Ansicht, der Gehilfe müsse zwar keine bestimmten Vorstellungen von den Einzelheiten der Haupttat<br />

haben, jedoch deren wesentliche Merkmale, ihre Unrechts- <strong>und</strong> Angriffsrichtung, den zu verwirklichenden Tatbestand<br />

sowie die wesentlichen Dimensionen des Unrechts kennen. Hieran fehle es, weil der Angeklagte das bis dahin<br />

unvorstellbare Ausmaß der Anschläge <strong>und</strong> der Vernichtung von Menschenleben nicht erkannt habe <strong>und</strong> auch nicht<br />

habe erkennen können. Diese Würdigung ist rechtsfehlerhaft. Wie das Oberlandesgericht festgestellt hat, wusste der<br />

Angeklagte, dass die vier zu Piloten ausgebildeten Mitglieder der Vereinigung aus - von ihm geteilten - Hass gegen<br />

"die Amerikaner <strong>und</strong> Juden" in den USA Flugzeuge unbekannter Art <strong>und</strong> Größe in ihre Gewalt <strong>und</strong> zum Absturz<br />

bringen würden. Ihm war auch bekannt, dass gegebenenfalls ein Ersatzmann für ein Gruppenmitglied einspringen<br />

sollte. Sein Gehilfenvorsatz richtete sich damit direkt auf die Tötung von Menschen, wobei er die Anzahl von Opfern<br />

zumindest billigend in Kauf nahm, die nach den ihm bekannten Umständen der geplanten Anschläge in Betracht<br />

kam; im Hinblick auf die vier zu Piloten ausgebildeten Attentäter waren dies die möglichen Insassen von vier Verkehrsflugzeugen<br />

jeder denkbaren Größe. Damit ist der erforderliche Vorsatz des Angeklagten gegeben, zu der Tötung<br />

der später den Abstürzen tatsächlich zum Opfer gefallenen Passagiere <strong>und</strong> Besatzungsmitglieder Hilfe zu leisten.<br />

Mehr setzt das Gesetz für die subjektive Tatseite der Beihilfe entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts nicht<br />

voraus. Insbesondere bedarf es keiner Kenntnis der "Unrechtsdimension" der tatsächlich ausgeführten Anschläge.<br />

Denn das Maß des tatsächlich verwirklichten Unrechts im Sinne der Intensität der Rechtsgutsbeeinträchtigung oder<br />

der Zahl der durch den Tatbeitrag über die Vorstellung des Gehilfen hinaus geförderten weiteren Rechtsgutsverletzungen<br />

ist kein Umstand der Tat, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört <strong>und</strong> daher (s. § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB) -<br />

zur Begründung des Schuldspruchs wegen Beihilfe - vom Gehilfenvorsatz umfasst sein muss. Wer weiß oder zumindest<br />

für möglich hält <strong>und</strong> billigt, durch sein Tun ein Verhalten des Haupttäters zu fördern, das den Tatbestand einer<br />

Strafnorm erfüllt, ist somit auch dann der Beihilfe zu dieser Straftat schuldig, wenn der Haupttäter - durch den Gehilfenbeitrag<br />

gefördert - eine größere Zahl von rechtswidrigen Taten begeht oder den tatbestandsmäßigen Erfolg in<br />

schuldspruchrelevanter Weise in zahlreicheren Fällen verwirklicht, als es sich der Gehilfe vorgestellt hatte. Eine<br />

solche Divergenz führt lediglich dazu, dass der Schuldspruch auf die vom Vorsatz des Gehilfen erfassten Taten oder<br />

schuldspruchrelevanten Tatfolgen zu beschränken ist. Die darüber hinaus gehenden Taten oder Tatfolgen können<br />

jedoch bei der Strafzumessung Relevanz gewinnen. Denn hier stellt sich die Frage, ob über die vom Gehilfen vorgestellten<br />

<strong>und</strong> gewollten Folgen seines Tatbeitrags hinaus auch diejenigen zu berücksichtigen sind, die er nicht bedacht<br />

hat; waren sie für ihn zumindest vorhersehbar, können sie ihm als verschuldete Tatauswirkungen gemäß § 46 Abs. 2<br />

StGB strafschärfend angelastet werden. Soweit der B<strong>und</strong>esgerichtshof - auch der Senat - in mehreren Entscheidungen<br />

beiläufig <strong>und</strong> für das jeweilige Ergebnis nicht tragend die "Unrechtsdimension" der Tat angesprochen hat<br />

(BGHSt 42, 135, 139; BGH NStZ 1990, 501; NJW 1997, 265, 266; BGHR StGB § 27 Abs. 1 Vorsatz 9), lässt sich<br />

hieraus Abweichendes nicht herleiten. Im Übrigen waren dort Sachverhalte betroffen, die mit der hier zu beurteilenden<br />

Fallgestaltung nicht vergleichbar sind. Diese erhält ihr Gepräge dadurch, dass die "Dimension des Unrechts"<br />

durch die Zahl getöteter Menschen gekennzeichnet wird. Ist jedoch das höchstpersönliche Rechtsgut des menschlichen<br />

Lebens betroffen, so verbietet sich jede Betrachtung, die geeignet wäre, dessen Schutz dadurch zu relativieren,<br />

dass das einzelne Menschenleben als unbedeutender Einzelposten gegenüber einem allein maßgeblichen "Gesamtunrechtsgehalt",<br />

einer "Gesamtunrechtsdimension" nicht mehr ins Gewicht fiele. Dies wäre aber der Fall, wenn ein<br />

Gehilfe, der durch seine Tatbeiträge bewusst die Tötung einer Vielzahl von Menschen (die Passagiere sowie die<br />

Besatzung zum Absturz gebrachter Flugzeuge) gefördert hat <strong>und</strong> fördern wollte, nur deshalb nicht wegen Beihilfe<br />

zum vielfachen Totschlag oder Mord bestraft werden könnte, weil die von ihm unterstützten Haupttäter ihre Taten in<br />

eine Dimension getrieben haben, die von den Vorstellungen des Gehilfen nicht mehr erfasst war. Selbst wenn der<br />

Gehilfe seine Tatbeiträge etwa nicht erbracht hätte, wenn er sich des gesamten Umfangs der geplanten Haupttaten<br />

bewusst gewesen wäre, ihm dieser also letztlich unerwünscht war, stünde das seiner Verurteilung nicht entgegen<br />

(vgl. BGH NStZ 1990, 501; BGHR StGB § 27 Abs. 1 Vorsatz 8).<br />

39


3. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zu der aus der Urteilsformel ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs (vgl.<br />

dazu Meyer-Goßner, aaO § 354 Rdn. 12 ff. m. w. N.). Die Feststellungen des Oberlandesgerichts belegen, dass sich<br />

der Angeklagte neben der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung der Beihilfe zum 246-fachen Mord<br />

schuldig gemacht hat. Insbesondere lassen sie nicht die Möglichkeit offen, der Angeklagte könne lediglich mit solchen<br />

Haupttaten der vier "Piloten" gerechnet <strong>und</strong> diese bewusst gefördert haben, bei denen es nicht zur Tötung von<br />

Menschen gekommen wäre. Das Oberlandesgericht hat an mehreren Stellen des Urteils ausdrücklich festgestellt,<br />

dass der Angeklagte Kenntnis von der Planung von Anschlägen mittels Flugzeugen in der Form von Selbstmordattentaten<br />

hatte <strong>und</strong> dass, unabhängig davon, auf welche Art <strong>und</strong> Weise Flugzeuge eingesetzt werden sollten, mit der<br />

Tötung von Menschen zu rechnen war; denn es sollten Flugzeuge unbekannter Art <strong>und</strong> Größe zum Absturz gebracht<br />

werden mit den entsprechenden Opfern an Menschenleben (UA S. 95, 103, 293, 337). Soweit das Oberlandesgericht<br />

an einer Stelle von Flugzeugentführungen spricht (UA S. 293), will es damit erkennbar nicht zum Ausdruck bringen,<br />

der Angeklagte habe nur die Gefährdung von Menschenleben vorausgesehen <strong>und</strong> gebilligt. Dies folgt eindeutig aus<br />

dem unmittelbar vorausgehenden Satz, an den die entsprechenden Ausführungen anknüpfen. Dort wird ausdrücklich<br />

dargelegt, dass <strong>und</strong> warum der Angeklagte mit der Tötung von Menschen rechnete <strong>und</strong> diese billigte. Dies wird<br />

durch die übrigen zitierten Urteilsstellen bestätigt, die - einzeln <strong>und</strong> in der Gesamtschau - keinen Zweifel daran lassen,<br />

dass der Angeklagte nach Überzeugung des Oberlandesgerichts wusste, dass die zu entführenden Flugzeuge<br />

zum Absturz gebracht werden sollten. Nach den Feststellungen hat der Angeklagte nicht nur Beihilfe zum vielfachen<br />

Totschlag, sondern zum vielfachen Mord geleistet. Die Beweggründe, die die Haupttäter zur Durchführung der Anschläge<br />

<strong>und</strong> den Angeklagten zu seinen Unterstützungsleistungen motivierten, sind als niedrig im Sinne des § 211<br />

Abs. 2 StGB einzustufen. Darüber hinaus handelten die Haupttäter heim-tückisch, denn in dem Zeitpunkt, als sie die<br />

Flugzeuge in ihre Gewalt brachten <strong>und</strong> damit die ersten gegen das Leben der Passagiere <strong>und</strong> Besatzungsmitglieder<br />

gerichteten Angriffshandlungen vornahmen, waren diese arg- <strong>und</strong> wehrlos; sie hatten auch danach keine realistische<br />

Möglichkeit mehr, sich gegen die Attentäter erfolgreich zu verteidigen <strong>und</strong> ihr Leben zu retten. All diese Umstände<br />

waren dem Angeklagten bewusst.<br />

4. Die Revision des Generalb<strong>und</strong>esanwalts bleibt allerdings ohne Erfolg, soweit sie die Verurteilung des Angeklagten<br />

wegen Beihilfe zum Mord, zum versuchten Mord <strong>und</strong> zur gefährlichen Körperverletzung auch an den Personen<br />

erstrebt, die sich zum Zeitpunkt der Anschläge im World Trade Center <strong>und</strong> im Pentagon aufhielten. Das Oberlandesgericht<br />

hat sich nicht davon zu überzeugen vermocht, dass der Angeklagte Kenntnis davon hatte oder auch nur für<br />

möglich hielt, dass sich die Anschläge auch gegen diese Opfer richten sollten. Der Senat schließt nach dem bisherigen<br />

Verfahrensgang <strong>und</strong> dem Beweisergebnis aus, dass in einer nochmaligen Hauptverhandlung ein weitergehender<br />

Vorsatz des Angeklagten nachgewiesen werden könnte. Demgemäß muss die Strafe auf der Gr<strong>und</strong>lage des geänderten<br />

Schuldspruchs <strong>und</strong> der insgesamt aufrechterhaltenen Feststellungen neu festgesetzt werden. Hierfür darf der zu<br />

dieser Entscheidung nunmehr berufene Strafsenat des Oberlandesgerichts ergänzende neue Feststellungen nur treffen,<br />

soweit sie zu denjenigen des angefochtenen Urteils nicht in Widerspruch stehen. Ob dessen Bewertung zutrifft,<br />

der Angeklagte habe nicht einmal erkennen können, dass durch die Anschläge auch die weiteren Opfer im World<br />

Trade Center <strong>und</strong> im Pentagon zu Tode kommen würden, wird es dagegen in eigener Beurteilung zu entscheiden<br />

haben.<br />

IV. Revisionen der Nebenkläger D. , C. , P. , L. , H. <strong>und</strong> Pu.<br />

1. Die Revisionen der Nebenkläger D. , C. , L. <strong>und</strong> H. sind unzulässig. Diese Nebenkläger sind bei den Anschlägen<br />

vom 11. September 2001 verletzt worden. Ihre Berechtigung, sich dem Verfahren als Nebenkläger anzuschließen,<br />

ergibt sich somit daraus, dass dem Angeklagten angelastet wurde, Beihilfe zum versuchten Mord <strong>und</strong> zur gefährlichen<br />

Körperverletzung zu ihrem Nachteil begangen zu haben (§ 395 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Nr. 2 StPO). Dennoch<br />

rügen sie mit ihren Revisionen - gestützt auf die nicht weiter ausgeführte allgemeine Sachrüge - ausschließlich, dass<br />

der Angeklagte nicht wegen "Beihilfe zum Mord in 3066 Fällen" verurteilt worden ist. Insoweit fehlt ihnen jedoch<br />

die Anschlussbefugnis als Nebenkläger (vgl. § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO), so dass sie gemäß § 400 Abs. 1 StPO nicht<br />

befugt sind, ihre Revisionen mit dem Ziel einer derartigen Verurteilung zu führen. Dass es sich bei der dem Angeklagten<br />

vorgeworfenen Tat um eine einheitliche Beihilfe zum vielfachen Mord <strong>und</strong> zum mehrfachen versuchten<br />

Mord nebst gefährlicher Körperverletzung handelt, ändert hieran nichts.<br />

2. Die Revisionen der Nebenkläger P. <strong>und</strong> Pu. (Witwer bzw. Sohn einer bei den Anschlägen getöteten Flugzeuginsassin)<br />

sind dagegen zulässig. Sie haben aus den Gründen, die zur Revision des Generalb<strong>und</strong>esanwalts näher dargelegt<br />

worden sind, auch in der Sache Erfolg.<br />

V. Zur Kostenentscheidung<br />

Eine Erstattung der notwendigen Auslagen, die dem Angeklagten sowie den Nebenklägern D. , C. , L. <strong>und</strong> H. durch<br />

die gegenseitigen Revisionen entstanden sind, findet nicht statt, da die Rechtsmittel beider Seiten ohne Erfolg<br />

geblieben sind (Meyer-Goßner, aaO § 473 Rdn. 10 m. w. N.).<br />

40


Anmerkung: Die gegen die vorstehend abgedruckte Entscheidung des BGH erhobene Verfassungsbeschwerde<br />

wurde von einer Kammer des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts nicht zur Entscheidung angenommen. Die knappe Begründung<br />

wird hier in der folgenden Entscheidung abgedruckt, weil sie sich auch sachlich zu den Fragen um<br />

§§ 55, 238 Abs. 2 StPO, zur Beweiswürdigung bei gesperrten Zeugen <strong>und</strong> zur Schuldspruchänderung in malam<br />

partem durch das Revisionsgericht verhält:<br />

StPO § 55, § 238 BVerfG zur vorstehenden Entscheidung BGH<br />

BVerfG vom 10.1.2007 -2 BvR 2557/06- Kammer -<br />

Beschluss über die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des BGH v.<br />

16.11.2006 in der Sache Motassadeq durch eine Kammer des BVerfG (Hinweis des Herausgebers)<br />

1. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegr<strong>und</strong> gemäß § 93a<br />

Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise unzulässig, darüber hinaus unbegründet.<br />

a) Unzulässig ist sie, soweit sie geltend macht, der Beschwerdeführer sei durch die Zurückweisung der von ihm im<br />

Revisionsverfahren erhobenen <strong>und</strong> auf eine Verletzung der §§ 55, 244 Abs. 2 StPO abzielenden Verfahrensrüge in<br />

seinem aus dem Rechtsstaatsprinzip herzuleitenden Anspruch auf effektiven Rechtsschutz verletzt worden.<br />

Nach ständiger Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts verbietet es das Rechtsstaatsgebot den Gerichten, bei<br />

der Auslegung <strong>und</strong> Anwendung prozessualer Vorschriften den Zugang zu den in den einzelnen Verfahrensordnungen<br />

eingeräumten Instanzen von Voraussetzungen abhängig zu machen, die unerfüllbar oder unzumutbar sind oder den<br />

Zugang in einer Weise erschweren, die aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigen ist (vgl. BVerfGE 63, 45<br />

; 74, 228 ; 77, 275 ; 78, 88 ; 112, 185 ).<br />

Eine solche unzumutbare oder rechtlich nicht mehr hinnehmbare Erschwerung seines Rechtsschutzes hat der Beschwerdeführer<br />

nicht substantiiert dargelegt.<br />

Die den §§ 23 Abs. 1, 92 BVerfGG entspringende Pflicht, die Verfassungsbeschwerde zu begründen, verlangt von<br />

einem Beschwerdeführer auch, sich mit der Rechtslage nach einfachem Recht (vgl. BVerfGE 101, 331 ) <strong>und</strong><br />

mit vom B<strong>und</strong>esverfassungsgericht ausgebildeten verfassungsrechtlichen Maßstäben (vgl. BVerfGE 99, 84 )<br />

auseinanderzusetzen. Erforderlich ist insoweit eine Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung der Fachgerichte<br />

<strong>und</strong> des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts zu der aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Problematik. Diese Auseinandersetzung<br />

lässt das Vorbringen des Beschwerdeführers vermissen.<br />

Weder findet Erwähnung, dass nach tradierter fachgerichtlicher Rechtsprechung zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit<br />

von Zeugenbelehrungen nach § 55 StPO, die vom Vorsitzenden vorgenommen werden, zunächst das Gericht<br />

gemäß § 238 Abs. 2 StPO anzurufen ist (vgl. bereits RG, JW 1928, S. 414). Noch beleuchtet der Beschwerdeführer<br />

den Umstand, dass der B<strong>und</strong>esgerichtshof seit Beginn seiner Rechtsprechung die Herbeiführung eines Gerichtsbeschlusses<br />

nach § 238 Abs. 2 StPO als Zulässigkeitsvoraussetzung für eine revisionsrechtliche Verfahrensrüge angesehen<br />

hat, die im Zusammenhang mit einer Maßnahme der Verhandlungsleitung des Vorsitzenden erhoben werden<br />

soll (vgl. BGHSt 1, 322 ; 4, 364 ; BGH, StV 1985, S. 355 f.; 1988, S. 325 f.).<br />

Darüber hinaus setzt sich der Beschwerdeführer nicht mit dem Umstand auseinander, dass das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht<br />

die Rechtsprechung der Revisionsgerichte zu § 238 Abs. 2 StPO als Zulässigkeitsvoraussetzung für Verfahrensrügen<br />

als verfassungskonform angesehen hat (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts<br />

vom 21. März 2001 - 2 BvR 403/01 -, juris; vgl. zu § 238 Abs. 2 StPO auch Beschluss der 2. Kammer<br />

des Zweiten Senats des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts vom 14. Mai 1999 - 2 BvR 592/99 -, StV 2000, S. 3).<br />

b) Die Verfassungsbeschwerde ist ebenfalls unzulässig, soweit sie die vom B<strong>und</strong>esgerichtshof gebilligte Würdigung<br />

der von den US-amerikanischen Behörden übermittelten Zusammenfassungen von Zeugenaussagen beanstandet.<br />

Auch diesbezüglich genügt der Vortrag des Beschwerdeführers nicht den sich aus §§ 23 Abs. 1, 92 BVerfGG abzuleitenden<br />

Darlegungserfordernissen.<br />

Ordnungsgemäß begründet ist eine Verfassungsbeschwerde nur dann, wenn sie sich umfassend mit den angegriffenen<br />

Entscheidungen <strong>und</strong> deren konkreten Begründungen auseinandersetzt (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Ersten<br />

Senats des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts vom 18. Juni 1998 - 1 BvR 1114/98 -, NVwZ 1998, S. 949). Aus diesem<br />

Gebot einer umfassenden Würdigung der angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidungen folgt für den Beschwerdeführer<br />

zugleich das Verbot, diejenigen fachgerichtlichen Erwägungen bei der verfassungsrechtlichen Wertung außer<br />

Betracht zu lassen, die der behaupteten Gr<strong>und</strong>rechtsverletzung entgegenstehen könnten.<br />

41


Gegen dieses Verbot hat der Beschwerdeführer verstoßen. Er lässt unter anderem unerwähnt, dass das Oberlandesgericht<br />

die Angaben des Zeugen S. zu den Tschetschenienplänen der Hamburger Gruppierung in den Kontext eigener<br />

Beweiserkenntnisse gestellt <strong>und</strong> die Glaubwürdigkeit des Zeugen B. gesondert geprüft hat.<br />

c) Keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet die vom B<strong>und</strong>esgerichtshof vorgenommene Änderung des<br />

Schuldspruchs des oberlandesgerichtlichen Urteils. Dessen Feststellungen tragen den Vorwurf der Beihilfe zum 246fachen<br />

Mord. Das Oberlandesgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass die Durchführung der Anschläge vom 11.<br />

September 2001 heimtückisch war <strong>und</strong> auf niedrigen Beweggründen beruhte <strong>und</strong> der Beschwerdeführer von der Art<br />

der Anschläge - Attentate mit entführten Flugzeugen - Kenntnis hatte <strong>und</strong> deshalb auch mit Todesopfern rechnete.<br />

Dass der B<strong>und</strong>esgerichtshof aus dieser Kenntnis geschlossen hat, dass der Beschwerdeführer die Tötung von Menschen<br />

auch gebilligt habe, verstößt weder gegen das Willkürverbot noch gegen andere Verfassungsgr<strong>und</strong>sätze.<br />

StPO § 96 V-Mann, Wahrung der Anonymität<br />

BGH, Beschl vom 24.10.2006 – 1 StR 442/06<br />

Die Polizeibehörde muss die Anonymität eines als Zeugen in Anspruch zu nehmenden V-Mannes<br />

wahren können, wenn zu besorgen ist, dass der durch die Offenbarung seiner Identität in Leibesoder<br />

Lebensgefahr gerät; dies gilt gr<strong>und</strong>sätzlich auch für die Gefährdung seiner weiteren Verwendung.<br />

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 10. April 2006 werden als unbegründet<br />

verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler<br />

zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines<br />

Rechtsmittels zu tragen. Ergänzend bemerkt der Senat:<br />

Die von dem Angeklagten S. erhobene Rüge, das Landgericht habe den Aussetzungsantrag der Verteidigung rechtsfehlerhaft<br />

zurückgewiesen, ist jedenfalls unbegründet. Aus dem - von dem Beschwerdeführer seinem wesentlichen<br />

Inhalt nach wiedergegebenen - ablehnenden Beschluss der Strafkammer ergibt sich, dass diese bei der Entscheidung<br />

über den Aussetzungsantrag die wesentlichen Gesichtspunkte - Wahrheitsermittlung einerseits, Verfahrensbeschleunigung<br />

andererseits - erkannt <strong>und</strong> unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles, insbesondere der Beweisbedeutung<br />

des Informanten <strong>und</strong> der voraussichtlichen Dauer des von dem Angeklagten vorgesehenen Verwaltungsstreitverfahrens,<br />

gegeneinander abgewogen hat. Das Ergebnis dieser Abwägung kann nicht beanstandet werden,<br />

<strong>und</strong> zwar umso weniger, als die Strafkammer die Sperrerklärung des Innenministeriums zutreffend für ermessensfehlerfrei<br />

hielt, einer verwaltungsgerichtlichen Anfechtung also keine ernsthaften Erfolgschancen beizumessen brauchte<br />

(vgl. BGH NStZ 1985, 466, 467 f.). Die Polizeibehörde muss die Anonymität eines als Zeugen in Anspruch zu nehmenden<br />

V-Mannes wahren können, wenn zu besorgen ist, dass er durch die Offenbarung seiner Identität in Leibesoder<br />

Lebensgefahr gerät; dies gilt gr<strong>und</strong>sätzlich auch für die Gefährdung seiner weiteren Verwendung (vgl.<br />

BTDrucks. 12/989 S. 42; Schäfer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 96 Rdn. 64). Beide Voraussetzungen hat das<br />

Innenministerium bejaht, ohne dass seiner Beurteilung - angesichts der dafür angeführten Umstände - ein offenbarer<br />

Rechtsfehler, sei es auch nur in der Form des Ermessensfehlgebrauchs, anhaftete.<br />

42


StPO § 97; Art. 6 Abs. 3 MRK; Art. 2 Abs. 1 GG<br />

Beschl. des OLG München v. 30. 11. 2004 – 3 Ws 720-722/04 StV 2005, 118 = JR 2007, 336 mit Anm. Satzger.<br />

1. Das Verbot der Beschlagnahme <strong>und</strong> Verwertung von Verteidigungsunterlagen ergibt sich jedenfalls<br />

aus einer entsprechenden Anwendung von § 97 Abs. 1 StPO i. V. m. dem aus Art. 6 Abs. 3<br />

MRK, Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG herzuleitenden rechtsstaatlichen Gebot, dem Besch. jederzeit die<br />

Möglichkeit einer geordneten <strong>und</strong> effektiven Verteidigung zu geben.<br />

2. Dieses Beschlagnahme- <strong>und</strong> Verwertungsverbot können nach Abtrennung der Verfahren auch<br />

frühere Mitbeschuldigte jedenfalls solange geltend machen, als der durch die Verbote unmittelbar<br />

Geschützte weiterhin Beschuldigter ist. Offenbleiben kann, ob darüber hinausgehend Verteidigungsunterlagen<br />

weiter gehend geschützt sind. (LS der JR-Redaktion)<br />

Aus den Gründen:<br />

Die Staatsanwaltschaft Augsburg führte unter dem Aktenzeichen 501 Js 127139/95 ein Ermittlungsverfahren gegen<br />

S, K, St, P, H<strong>und</strong>twegen des Verdachts der Steuerhinterziehung u. a. Nach Verfahrenstrennungen richtete sich das<br />

Verfahren mit dem obengenannten Aktenzeichen nur mehr gegen S, H <strong>und</strong> M. Letztere wurden durch die 10, Strafkammer<br />

des Landgerichts Augsburg am 23. 7. 2002 wegen Steuerhinterziehung <strong>und</strong> Untreue jeweils<br />

zu Freiheitsstrafen verurteilt. Auf die Revision beider Angeklagter hob der B<strong>und</strong>esgerichtshof am 11. 11. 2004 das<br />

Urteil teilweise auf <strong>und</strong> verwies die Sache zur erneuten Verhandlung an das Landgericht Augsburg zurück.Am13. 7.<br />

2004 erließ die 10. Strafkammer des Landgerichts Augsburg im Verfahren gegen einen Durchsuchungs- <strong>und</strong> Beschlagnahmebeschluss,<br />

der im Rechtshilfewege durch die französischen Behörden noch am selben Tage vollzogen<br />

wurde. In der vom anderweitig Verfolgten P genutzten Wohnung in Paris wurden dabei u. a. ein aus 22 Seiten bestehendes<br />

handgeschriebenes Schriftstück, datiert auf den 24. 6. 2004, mit der Überschrift »P, Komplex: R« im Original<br />

<strong>und</strong> in Kopie, letztere zusammen mit einem auf den 22. 6. 2004 datierten Schreiben an Herrn Rechtsanwalt Prof. Dr.<br />

L sowie einer Vollmacht für Rechtsanwalt Prof. Dr. L zur Vertretung des anderweitig Verfolgten P in der gegen ihn<br />

anhängigen Strafsache, sowie ein als »D22« bezeichnetes handgeschriebenes Schriftstück ohne Datum sichergestellt.<br />

Mit Schriftsatz vom 17. 8. 2004 legte der Verteidiger des anderweitig Verfolgten P Rechtsmittel gegen die Sicherstellung<br />

der bei der Durchsuchung der Pariser Wohnung aufgef<strong>und</strong>enen Unterlagen ein <strong>und</strong> beantragte deren Herausgabe.<br />

Mit weiterem Schriftsatz vom 24. 8. 2004 stützte er sein Rechtsmittel auf § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO, bezeichnete<br />

dies hilfsweise als Beschwerde gegen den Beschlagnahmebeschluss <strong>und</strong> begründete es. Die 10. Strafkammer<br />

des Landgerichts Augsburg ordnete mit Beschluss vom26. 8. 2004 im Verfahren gegen die Angeklagten H <strong>und</strong> M die<br />

Beschlagnahme des aus 22 Seiten bestehenden handgeschriebenen Schriftstücks mit dem Datum 24. 6. 2004 <strong>und</strong> der<br />

Überschrift »P, Komplex R(Ziffer l.) sowie des als »D22« bezeichneten handgeschriebenen Schriftstücks ohne Datum<br />

(Ziffer 2.) an. Mit weiterem Beschluss vom selben Tag half sie im Verfahren gegen den P dessen Beschwerde<br />

vom 17. 8. 2004 ab (Ziffer l,), ordnete unter Aufhebung der Beschlagnahme die Herausgabe des Schreibens an<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. L <strong>und</strong> der diesem erteilten Vollmacht, beide datiert auf den 22. 6. 2004, an den anderweitig<br />

Verfolgten P, zu Händen seines Verteidigers an (Ziffer 2., 3.) <strong>und</strong> hob die Beschlagnahme des oben bezeichneten 22seitigen<br />

Schriftstücks auf (Ziffer 4.),wobei es die Ausführung der Abhilfeentscheidung bis nach der Vollziehung der<br />

im Verfahren gegen die Angeklagten bzw. gegen die anderweitig Verfolgten S (10 KLs 501 Js 127135/95) <strong>und</strong> St<br />

(10 KLs 501 Js 109007/00) ergangenen Beschlagnahmebeschlüsse zurückstellte (Ziffer 5.). Gegen den ersten der<br />

beiden Beschlüsse vom 26. 8. 2004 legte der Verteidiger des anderweitig Verfolgten P mit Schriftsatz vom 26. 8.<br />

2004 Beschwerde ein, die er mit weiterem Schriftsatz vom 30. 8. 2004 begründete. Mit Schriftsatz vom 31. 8. 2004<br />

legte der Verteidiger des Angeklagten H, Rechtsanwalt Prof. Dr. H, ebenfalls Beschwerde gegen diesen Beschluss<br />

ein, die mit weiterem Schriftsatz vom 27. 9. 2004 begründet wurde. Am 2. 9. 2004 erhob auch der Verteidiger des<br />

Angeklagten M, Rechtsanwalt Prof. Dr. W, Beschwerde gegen den genannten Beschluss <strong>und</strong> begründete sein<br />

Rechtsmittel zugleich. Die 10. Strafkammer des LG Augsburg half den Beschwerden mit Beschl. v. 8. 10. 2004 nicht<br />

ab.<br />

II.<br />

l. Die Beschwerden sind nach § 304 Abs. l StPO statthaft <strong>und</strong> in der durch § 306 Abs. 1 StPO vorgeschriebenen<br />

Form eingelegt. Ihrer Zulässigkeit steht auch die Vorschrift des § 305 Satz l StPO nicht entgegen. Für die Beschwerden<br />

der Angeklagten H <strong>und</strong> M ist diese Vorschrift von vorneherein nicht anwendbar, da das gegen sie vor der 10.<br />

43


Strafkammer des Landgerichts Augsburg anhängige Hauptverfahren durch das am 23. 7. 2002 gefällte Urteil abgeschlossen<br />

wurde, es sich mithin bei der angefochtenen Entscheidung nicht um eine solche des erkennenden Gerichts<br />

handelt (vgl. Meyer-Goßner 47. Aufl., § 305 Rdn. 2). Für die Beschwerde des anderweitig Verfolgten P, gegen den<br />

das Hauptverfahren vor der 10. Strafkammer des Landgerichts Augsburg anhängig ist, folgt die Beschwerdefähigkeit<br />

der angegriffenen Entscheidung aus § 305 Satz 2 StPO, wonach Entscheidungen über Beschlagnahmen anfechtbar<br />

sind; außerdem wird er als dritte Person betroffen, da die beschlagnahmten Unterlagen sich in seinem Gewahrsam<br />

bef<strong>und</strong>en haben. Auch als letzter Gewahrsamsinhaber ist er somit beschwerdebefugt (vgl. Löwe/Rosenberg-Schäfer<br />

StPO, 25. Aufl., § 98 Rdn. 48, 65; Meyer-Goßner StPO, 47.Aufl., § 98, Rdn. 31).<br />

2. Die Beschwerden haben auch in der Sache Erfolg.<br />

a) Sie richten sich nur gegen die in Ziffer 1.) des angegriffenen Beschlusses angeordnete Beschlagnahme des dort<br />

näher bezeichneten 22-seitigen Schriftstücks, nicht auch gegen die in Ziffer 2.) bestimmte Beschlagnahme des<br />

Schriftstücks »D22«. In der Beschwerdebegründung des anderweitig Verfolgten P vom 30. 8. 2004 ist diese Beschränkung<br />

der Beschwerde ausdrücklich erklärt worden, aus der Begründung der Beschwerden der Angeklagten H<br />

vom 27. 9. 2004 <strong>und</strong> M vom 2. 9. 2004, die sich ausschließlich mit dem 22-seitigen Schriftstück befassen, geht eine<br />

derartige Beschränkung aber ebenfalls zweifelsfrei hervor.<br />

b) Bei dem verfahrensgegenständlichen Schriftstück handelt es sich um Unterlagen, die der anderweitig Verfolgte P<br />

zum Zwecke seiner Verteidigung für sich selbst, oder zur Information seines Verteidigers gefertigt hat Die von der<br />

Staatsanwaltschaft Augsburg in der Stellungnahme vom 9. 9. 2004 <strong>und</strong> in dem im Verfahren gegen den anderweitig<br />

Verfolgten P (10 KLs 501 Js 140930/01) ebenfallsam 26. 8. 2004 ergangenen Beschluss des LG Augsburg geschilderte<br />

Auffindesituation, wonach sich Kopien des 22-seitigen Schriftstücks vom 24. 6. 2004 zusammen mit dem Anschreiben<br />

an Rechtsanwalt Prof. Dr. L vom 22. 6. 2004 <strong>und</strong> einer auf denselben Tag datierten Vollmacht in einer<br />

Klarsichthülle bef<strong>und</strong>en haben, deutet freilich daraufhin, dass das Schriftstück zur Übersendung an Rechtsanwalt<br />

Prof. Dr. W bestimmt war. Letztlich kommt es darauf jedoch ebenso wenig an wie auf das bei der Herstellung des<br />

Schriftstücks nicht bestehende (Wahl-) Verteidigungsverhältnis.<br />

Entscheidend ist vielmehr, dass das Schriftstück dazu bestimmt ist, die Verteidigung des anderweitig Verfolgten P<br />

gegen die ihm zur Last liegenden strafrechtlichen Vorwürfe vorzubereiten.<br />

Die hierzu im Beschluss vom 26. 8. 2004 im Verfahren gegen den anderweitig Verfolgten P angeführten Umstände<br />

(Auffindesituation, Ankündigung von »Informationen zum Sachverhalt in einigen Tagen« im Anschreiben an<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. L, Inhalt des Schreibens) sind derart gewichtig, dass die von der Staatsanwaltschaft gegen die<br />

Qualifizierung des Schriftstücks als Verteidigungsunterlagen vorgebrachten Bedenken nicht durchgreifen. Soweit<br />

man eine beabsichtigte Übersendung des Schriftstücks an einen noch zu mandatierenden Verteidiger annimmt, sprechen<br />

Datierung <strong>und</strong> Signierung von vornherein nicht gegen eine Zweckbestimmung als Verteidigungsunterlagen.<br />

Entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft lässt sich aber auch aus dem Inhalt des Schriftstücks nichts Entscheidendes<br />

gegen eine derartige Qualifizierung entnehmen. Der anderweitig Verfolgte P nimmt in der »Vorbemerkung«<br />

ausdrücklich Bezug auf die gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Vorwürfe, bezeichnet diese dort als »in jeder Hinsicht<br />

falsch« <strong>und</strong> setzt sich auch im Weiteren verschiedentlich (Seiten 4, 19–22) mit ihnen auseinander. Demgegenüber<br />

ist es ohne Belang, dass das Schreiben bei der Darstellung des Sachverhalts in Teilen »eher einer feuilletonistischen<br />

Abhandlung der Zeitgeschichte« gleicht. Nach der ständigen Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs, der der<br />

Senat folgt <strong>und</strong> die auch die Zustimmung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts gef<strong>und</strong>en hat (vgl. B<strong>und</strong>esverfassungsgericht,<br />

Beschluss vom 30. 1. 2002, NStZ 2002., 377), kommt es entscheidend darauf an, ob ein Beschuldigter Unterlagen<br />

erkennbar, also für einen Außenstehenden nachvollziehbar, zum Zwecke seiner Verteidigung angefertigt hat<br />

(vgl. BGHSt 44, 46). Diesen Anforderungen genügt das Schriftstück vom 24. 6. 2004, Sein Inhalt legt es auch für<br />

einen Außenstehenden nahe, dass es zur Vorbereitung der Verteidigung konzipiert war. Ohne Bedeutung ist dagegen,<br />

ob von einem Volljuristen wie dem anderweitig Verfolgten P zu erwarten ist, er werde sich zur Vorbereitung seiner<br />

Verteidigung auf die Schilderung von Fakten beschränken. Darüber hinausgehende Ausführungen vermögen am<br />

Charakter des Schriftstücks nichts zu ändern.<br />

Das 22-seitige Schriftstück vom24. 6. 2004 ist dam« – zunächst im Verfahren gegen den anderweitig Verfolgten P –<br />

beschlagnahmefrei Soweit es sich bei ihm um eine schriftliche Mitteilung des anderweitig Verfolgten P an seinen in<br />

Aussicht genommenen künftigen Wahlverteidiger handelt, folgt dies bereits aus § 97 Abs. 1 Nr. I StPO i. V. m. § 53<br />

Abs. 1 Nr. 2 StPO. Diese Vorschriften werden im Licht des aus § 148 StPO zu entnehmenden Gr<strong>und</strong>satzes des freien<br />

Verkehrs zwischen dem Beschuldigten <strong>und</strong> seinem Verteidiger weit ausgelegt <strong>und</strong> gehen auch für noch nicht abgesandte<br />

Mitteilungen des Beschuldigten (vgl. Löwe/ Rosenberg-Schäfer StPO, 24.Aufl., § 97, Rdn. 57; Karlsruher<br />

Kommentar-Nack StPO, 4. Aufl., § 97, Rdn. 24; Meyer-Goßner StPO, 47. Aufl., § 97, Rdn. 37) sowie auch für die<br />

bereits während eines Anbahnungsverhältnisses übergebenen Unterlagen (vgl. Karlsruher Kommentar-Nack StPO, 4.<br />

Aufl., § 97, Rdn. 11 m.w. N.). Jedenfalls ergibt sich das Verbot der Beschlagnahme <strong>und</strong> Verwertung des 22-seitigen<br />

44


Schriftstücks aber aus einer entsprechenden Anwendung von § 97 Abs. 1 StPO i. V. m. dem aus Art. 6 Abs. 3 MRK,<br />

An. 2 Abs. l, 20 Abs. 3 GG herzuleitenden rechtsstaatlichen Gebot, dem Beschuldigten jederzeit die Möglichkeit<br />

einer geordneten <strong>und</strong> effektiven Verteidigung zu geben. Diesem Gebot gebührt bei der Abwägung mit dem staatlichen<br />

Interesse an einer funktionieren Strafrechtspflege Vorrang (ständige Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts<br />

<strong>und</strong> des B<strong>und</strong>esgerichtshofs, vgl. BGH a. a.O.). Über den Wortlaut von § 97 Abs. 1 Nr. l StPO hinaus dürfen<br />

danach Unterlagen, die sich ein Beschuldigter erkennbar zu seiner Verteidigung in dem gegen ihn laufenden Strafverfahren<br />

anfertigt, weder beschlagnahmt noch gegen seinen Widersprach verwertet werden. Aufgr<strong>und</strong> dieses umfassenden<br />

Schutzes von Verteidigungsunterlagen spielt es keine Rolle, dass ein Verteidigungsverhältnis zu Rechtsanwalt<br />

Prof. Dr. L bei Anfertigung des Schriftstücks nicht bestanden hat <strong>und</strong> auch bislang nicht zustande gekommen<br />

ist. Es kommt auch nicht darauf an, ob die Unterlagen tatsächlich für den Verteidiger bestimmt waren. Soweit die<br />

Staatsanwaltschaft meint, eine Beschlagnahmefreiheit von Verteidigungsunterlagen bestehe nur, wenn bei einer<br />

Einzelfallabwägung das Geheimhaltungsinteresse des Beschuldigten das staatliche Strafverfolgungsinteresse überwiege,<br />

was hier nicht der Fall sei, kann ihr nicht gefolgt werden. Eine derartige Einzelfallabwägung findet nur bei<br />

anderen, vom Wortlaut des § 97 Abs. l StPO nicht erfassten Gegenständen, z. B. Tonbandaufzeichnungen <strong>und</strong> Tagebucheintragungen<br />

statt, nicht jedoch bei Verteidigungsunterlagen (vgl. BGH a. a.O.).<br />

c) Der im angefochtenen Beschluss vertretenen Auffassung, dass Beschlagnahme- <strong>und</strong> Verwertungsverbot zu Gunsten<br />

des anderweitig Verfolgten P hindere die Verwendung seiner Aufzeichnungen als Beweismittel gegen die Angeklagten<br />

H <strong>und</strong> M nicht, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Es trifft zwar zu, dass der anderweitig Verfolgte<br />

P im Verfahren gegen die Angeklagten H <strong>und</strong>M nicht gemäß § 53 StPO zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt<br />

ist. doch kommt es darauf auch nicht an. Dahinstehen kann freilich, ob ein Beschlagnahme- <strong>und</strong> Verwertungsverbot<br />

bereits aus dem Umstand folgt, dass Strafkammer <strong>und</strong> Staatsanwaltschaft nur eine Grobsichtung der Unterlagen<br />

gestattet war, auf deren Gr<strong>und</strong>lage sie die Beweiseignung für das Verfahren gegen die Angeklagten H <strong>und</strong> M nicht<br />

beurteilen konnten, wie die Verteidigung des anderweitig Verfolgten P vorträgt.<br />

Wesentlich sind vielmehr folgende Erwägungen: Die Staatsanwaltschaft Augsburg rührte ursprünglich gegen die<br />

Angeklagten H <strong>und</strong> M, den anderweitig Verfolgten P <strong>und</strong> weitere Beschuldigte ein einheitliches Ermittlungsverfahren<br />

(501 Js 127135/95) wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung u. a. Das Verfahren gegen den anderweitig<br />

Verfolgten P wurde später abgetrennt <strong>und</strong> unter dem Aktenzeichen 501 Js 140930/01 fortgeführt. Wie dem angefochtenen<br />

Beschluss zu entnehmen ist, werden den Angeklagten H <strong>und</strong> M auch Lebenssachverhalte zur Last gelegt,<br />

die den anderweitig Verfolgten P betreffen <strong>und</strong> zu denen das fragliche Schriftstück Ausführungen enthält. Die prozessuale<br />

Gemeinsamkeit, die vor der Verfahrenstrennung bestanden hat, nämlich die Führung eines einheitlichen<br />

Ermittlungsverfahrens wegen desselben Lebenssachverhalts gegen die Angeklagten H <strong>und</strong> M <strong>und</strong> den anderweitig<br />

Verfolgten P durch die Staatsanwaltschaft, führt dazu, dass das Beschlagnahme- <strong>und</strong> Verwertungsverbot nach der<br />

Verfahrenstrennung auch in dem Verfahren gegen die früheren Mitbeschuldigten H <strong>und</strong> M bestehen bleibt, soweit<br />

der hierdurch unmittelbar geschützte anderweitig Verfolgte P; weiterhin Beschuldigter ist. Andernfalls bestünde die<br />

Gefahr der Aushöhlung des zu seinen Gunsten bestehenden Beschlagnahme- <strong>und</strong> Verwertungsverbots, indem Beteiligte<br />

des Verfahrens gegen die Angeklagten H <strong>und</strong> M im Verfahren gegen ihn als Zeugen vernommen werden. Den<br />

Ausführungen des B<strong>und</strong>esgerichtshofs, insbesondere in den Urteilen vom 4. 11. 1986 (BGHSt 34, 215) <strong>und</strong> 13. 11.<br />

1997 (BGHSt 43, 300), Sassen sich über den jeweils entschiedenen Einzelfall hinausgehende gr<strong>und</strong>sätzliche Überlegungen<br />

entnehmen, die auf die hier vorliegende verfahrensrechtliche Situation übertragbar sind. Danach erstreckt<br />

sich das Zeugnisverweigerungsrecht des Angehörigen eines Beschuldigten auch nach Abtrennung des Verfahrens auf<br />

frühere Mitbeschuldigte, soweit diese an dem gleichen historischen Ereignis beteiligt sind. Die Unteilbarkeit des<br />

Zeugnisverweigerungsrechts entfällt in dieser Situation nur, soweit nicht jede Beziehung der die eine Tat betreffenden<br />

Aussage auf die andere ausgeschlossen ist (vgl. auch BGHSt 34, 215; Karlsruher Kommentar-Senge StPO, 4.<br />

Aufl., § 52, Rdn. 6 ff.; Meyer-Goßner StPO, 47.Aufl., § 52, Rdn. 11 ff., jeweils m.w. N.). Bei einer derartigen früheren<br />

prozessualen Gemeinsamkeit besteht darüber hinaus ein Beschlagnahme- <strong>und</strong> Verwertungsverbot nach § 97 Abs.<br />

l Nm. l, 2 StPO, wenn der Zeuge im abgetrennten Verfahren weiter Beschuldigter ist. Maßgebend war für den B<strong>und</strong>esgerichtshof<br />

die Erwägung, die Umgehung des Beschlagnahmeverbots aus § 97 Abs. l StPO zu verhindern, nachdem<br />

es durch die Abtrennung des Verfahrens zu einer Rollenvertauschung gekommen war. Dieser Gedanke ist ohne<br />

weiteres auf das vorliegende Verfahren übertragbar, da es keinen entscheidenden Unterschied macht, dass es hier um<br />

ein Beschlagnahmeverbot für Verteidigungsunterlagen geht, das nicht unmittelbar aus dem Wortlaut von § 97 Abs. 1<br />

StPO entnommen werden kann. Offen bleiben kann, ob darüber hinausgehend allgemein für den Bereich der Verteidigung<br />

im Strafverfahren auf Verteidigungsunterlagen weder im Hinblick auf das eigene Verfahren des Beschuldigten<br />

noch im Hinblick auf Verfahren gegen andere Personen zugegriffen werden darf, wie die Verteidiger der Angeklagten<br />

H, Rechtsanwalt Prof. Dr H, <strong>und</strong> des Angeklagten M, Rechtsanwalt Prof. Dr. W, fordern. Infolge der Aufhebung<br />

der durch den angefochtenen Beschluss des Landgerichts Augsburg angeordneten Beschlagnahme sind das<br />

45


sichergestellte Schriftstück an den anderweitig Verfolgten P (zu Händen seines Verteidigers) zurückzugeben <strong>und</strong> die<br />

von den Ermittlungsbehörden ohne dessen Zustimmung gefertigten Kopien zu vernichten (vgl. Löwe/Rosenberg-<br />

Schäfer StPO, 24. Aufl., § 98 Rdn. 55 a).<br />

3. Eine Kosten- <strong>und</strong> Auslagenentscheidung ist hinsichtlich der Angeklagten H <strong>und</strong> M nicht veranlasst, da insoweit<br />

ein unselbständiges Beschwerdeverfahren vorliegt. Hinsichtlich des anderweitig Verfolgten P bedarf es keiner Kostenentscheidung,<br />

da die Staatskasse die Kosten zu tragen hat (vgl. Meyer-Goßner StPO, 47. Aufl., § 464 Rdn. 8); die<br />

wegen des für ihn als Dritten verfahrensabschließenden Charakters des Senatsbeschlusses erforderliche Auslagenentscheidung<br />

(vgl. Meyer-Goßner StPO, 47. Aufl., § 464 Rdn. 11) beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §§<br />

465, 467 StPO (vgl. Karlsruher Kommentar- Franke StPO, 4. Aufl., § 473, Rdn. 5; Meyer-Goßner StPO, 47. Aufl., §<br />

473 Rdn. 2).<br />

StPO § 102 Onlinedurchsuchung „B<strong>und</strong>estrojaner“<br />

BGH, Beschl. vom 31.01.2007 - StB 18/06 – NJW 2007, 930 mit Anm. <strong>Hamm</strong> 932; Kutscha NJW 2007, 1169; Harrendorf,<br />

Stefan StraFo 2007, 149; JR 2007, S. 123 mit Aufsatz Jahn/Kudlich l zu den vorausgeg. Entscheidungen des<br />

Ermittlungsrichters des BGH vom 25.11.2006 - 1 BGs 184/2006, JR 2007 S. 57 <strong>und</strong> S. 77.)<br />

LS: Die "verdeckte Online-Durchsuchung" ist mangels einer Ermächtigungsgr<strong>und</strong>lage unzulässig.<br />

Sie kann insbesondere nicht auf § 102 StPO gestützt werden. Diese Vorschrift gestattet nicht eine<br />

auf heimliche Ausführung angelegte Durchsuchung.<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 31. Januar 2007 gemäß § 169 Abs. 1 Satz 2, § 304 Abs. 1 <strong>und</strong> 5<br />

StPO, § 120 Abs. 1 Nr. 6, § 135 Abs. 2 GVG beschlossen:<br />

Die Beschwerde des Generalb<strong>und</strong>esanwalts gegen den Beschluss des Ermittlungsrichters des B<strong>und</strong>esgerichtshofs<br />

vom 25. November 2006 - 1 BGs 184/2006 - wird verworfen.<br />

Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels <strong>und</strong> die notwendigen Auslagen des Beschuldigten zu tragen.<br />

Gründe:<br />

I. Der Generalb<strong>und</strong>esanwalt führt gegen den Beschuldigten <strong>und</strong> weitere Personen ein Ermittlungsverfahren wegen<br />

des Verdachts der Gründung einer terroristischen Vereinigung <strong>und</strong> anderer Straftaten. Er hat beim Ermittlungsrichter<br />

des B<strong>und</strong>esgerichtshofs beantragt, "gemäß § 102, § 105 Abs. 1, § 94, § 98, § 169 Abs. 1 Satz 2 StPO die Durchsuchung<br />

des von dem Beschuldigten benutzten Personalcomputers/Laptops, insbesondere der auf der Festplatte <strong>und</strong> im<br />

Arbeitsspeicher abgelegten Dateien ..., <strong>und</strong> deren Beschlagnahme anzuordnen <strong>und</strong> den Ermittlungsbehörden zur<br />

verdeckten Ausführung dieser Maßnahme zu gestatten, ein hierfür konzipiertes Computerprogramm dem Beschuldigten<br />

zur Installation zuzuspielen, um die auf den Speichermedien des Computers abgelegten Dateien zu kopieren<br />

<strong>und</strong> zum Zwecke der Durchsicht an die Ermittlungsbehörden zu übertragen" (im Folgenden: verdeckte Online-<br />

Durchsuchung). Nach dem derzeitigen Ermittlungsstand liegt es nahe, dass auf dem Computer verfahrensrelevante<br />

Informationen abgespeichert sind. Mit Beschluss vom 25. November 2006 - Az.: 1 BGs 184/2006 - hat der Ermittlungsrichter<br />

des B<strong>und</strong>esgerichtshofs den Antrag abgelehnt. Hiergegen wendet sich der Generalb<strong>und</strong>esanwalt mit<br />

seiner Beschwerde. Der Ermittlungsrichter hat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen.<br />

II. Die gemäß § 304 Abs. 5 StPO statthafte <strong>und</strong> auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht<br />

hat der Ermittlungsrichter des B<strong>und</strong>esgerichtshofs die verdeckte Online-Durchsuchung, die erheblich in Gr<strong>und</strong>rechte<br />

des Betroffenen eingreift, nicht gestattet; denn es fehlt an der erforderlichen formell-gesetzlichen Befugnisnorm.<br />

1. Entgegen der Meinung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts ist die verdeckte Online-Durchsuchung nicht durch § 102 StPO<br />

(Durchsuchung beim Verdächtigen) in Verbindung mit § 110 StPO (Durchsuchung von Papieren, auch von elektronischen<br />

Speichermedien, vgl. BVerfG NJW 2006, 976, 980; 2005, 1917, 1921; BGH NStZ 2003, 670; Meyer-<br />

Goßner, StPO 49. Aufl. § 110 Rdn. 1) <strong>und</strong> §§ 94 ff. StPO (Beschlagnahme) gedeckt (ebenso Sieber in Hoeren/Sieber,<br />

Handbuch Multimedia-Recht Rdn. 704; Bär CR 1995, 489, 494; Zöller GA 2000, 563, 572 f.; Böckenförde,<br />

Die Ermittlung im Netz 222 f.; aA: BGH - Ermittlungsrichter wistra 2007, 28; Hofmann NStZ 2005, 121, 123<br />

ff.; Graf DRiZ 1999, 281, 285).<br />

a) Die Anordnung einer auf verdeckte Ausführung angelegten Durchsuchung findet in §§ 102 ff. StPO keine Gr<strong>und</strong>lage.<br />

Das gilt unabhängig davon, ob - wie hier - ihr Gegenstand ein Computer <strong>und</strong> ihr Ziel das Auffinden bestimmter<br />

Dateien ist mit der Folge, dass auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. BVerfGE 65, 1 ff.;<br />

BVerfG NJW 2006, 976, 979 f.) berührt wird, oder ob die Suche nach körperlichen Gegenständen erlaubt werden<br />

soll. Das Bild der Strafprozessordnung von einer rechtmäßigen Durchsuchung ist dadurch geprägt, dass Ermittlungs-<br />

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eamte am Ort der Durchsuchung körperlich anwesend sind <strong>und</strong> die Ermittlungen offen legen (vgl. BVerfG NJW<br />

2006, 976, 981; Sieber aaO Rdn. 704; Schäfer in Löwe/Rosenberg, 25. Aufl. § 102 Rdn. 1; Nack in KK 5. Aufl. §<br />

102 Rdn. 1; Bär aaO 494; Zöller aaO 572 f.; aA: Graf aaO 285; Hofmann aaO 121, 123).<br />

aa) Dafür sprechen zunächst die Vorschriften der Strafprozessordnung über die Durchführung der Durchsuchung. §<br />

106 Abs. 1 Satz 1 StPO sieht ausdrücklich ein Recht des Inhabers der zu durchsuchenden Räume oder Gegenstände<br />

auf Anwesenheit vor ("... darf ... der Durchsuchung beiwohnen", vgl. Rudolphi in SK-StPO § 106 Rdn. 2; Meyer-<br />

Goßner aaO § 106 Rdn. 2). Bei seiner Abwesenheit ist gemäß § 106 Abs. 1 Satz 2 StPO, wenn möglich, sein Vertreter<br />

oder ein Erwachsener aus dem Kreis der Familie oder Nachbarschaft zuzuziehen. § 105 Abs. 2 StPO verlangt bei<br />

einer Durchsuchung der Wohnung, der Geschäftsräume oder des befriedeten Besitztums, die ohne Beisein des Richters<br />

oder des Staatsanwalts stattfindet, nach Möglichkeit die Beiziehung eines Gemeindebeamten oder von zwei<br />

Gemeindemitgliedern, die nicht Polizeibeamte oder Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft sein dürfen. Die<br />

Fassungen des § 105 Abs. 2 Satz 1 StPO ("... sind ... zuzuziehen") <strong>und</strong> des § 106 Abs. 1 Satz 2 StPO ("... ist ... zuzuziehen")<br />

postulieren Pflichten der Ermittlungsorgane (vgl. Rudolphi aaO § 105 Rdn. 16 f., § 106 Rdn. 1, 6; Meyer-<br />

Goßner aaO § 105 Rdn. 10, § 106 Rdn. 4). Nach § 107 Satz 1 StPO ist dem von der Durchsuchung Betroffenen nach<br />

deren Beendigung auf Verlangen eine schriftliche Durchsuchungsbescheinigung zu erteilen, was voraussetzt, dass<br />

ihm zeitnah die Kenntnis von der erfolgten Durchsuchung vermittelt wird. Diese Vorschrift will gewährleisten, dass<br />

der Betroffene unmittelbar nach Beendigung der Maßnahme über den Gr<strong>und</strong> der Durchsuchung informiert wird <strong>und</strong><br />

damit Gelegenheit erhält, deren Rechtmäßigkeit zu überprüfen <strong>und</strong> gegebenenfalls nachträglich Rechtsschutz in<br />

Anspruch zu nehmen (vgl. Rudolphi aaO § 107 Rdn. 1). Diese Regelungen sind nach ihrem Wortlaut (siehe oben)<br />

sowie nach ihrem Sinn <strong>und</strong> Zweck, den von einer Durchsuchung Betroffenen zu schützen, als wesentliche Förmlichkeiten<br />

zwingendes Recht <strong>und</strong> nicht lediglich Vorschriften, die zur beliebigen Disposition der Ermittlungsorgane<br />

stehen. Von ihrer Beachtung hängt die Rechtmäßigkeit der Durchsuchung ab (vgl. Schäfer aaO § 105 Rdn. 56, § 106<br />

Rdn. 15; Rudolphi aaO § 105 Rdn. 17, 18, § 106 Rdn. 1; Nack aaO § 105 Rdn. 14; Meyer-Goßner aaO § 105 Rdn.<br />

10). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Einschränkung "wenn möglich" in § 105 Abs. 2 Satz 1 StPO <strong>und</strong> §<br />

106 Abs. 1 Satz 2 StPO. Unmöglich im Sinne dieser Vorschriften ist die Beiziehung von Zeugen nur dann, wenn die<br />

durch Tatsachen begründete naheliegende Möglichkeit besteht, dass durch die Suche nach bereiten Zeugen der Erfolg<br />

der Durchsuchung vereitelt wird (vgl. Schäfer aaO § 105 Rdn. 55; Rudolphi aaO § 105 Rdn. 18). Sie darf aber<br />

nicht aus ermittlungstaktischen Erwägungen unterbleiben, um den Tatverdächtigen über die Durchsuchung sowie die<br />

gegen ihn geführten Ermittlungen in Unkenntnis zu halten. Der Gegenauffassung, es handle sich nicht um zwingendes<br />

Recht, sondern um bloße Ordnungsvorschriften (so Hofmann aaO 121, 124), kann nicht gefolgt werden. Dass §<br />

105 Abs. 2 StPO <strong>und</strong> § 106 Abs. 1 StPO lediglich die Art <strong>und</strong> Weise der Durchführung einer Durchsuchung <strong>und</strong><br />

nicht ihre Anordnung selbst regeln, ändert nichts daran, dass sie aus den dargelegten Gründen von den Ermittlungsorganen<br />

zwingend einzuhalten sind (vgl. Nack aaO § 105 Rdn. 21, § 106 Rdn. 1; Schäfer aaO § 107 Rdn. 6; Rudolphi<br />

aaO § 105 Rdn. 30, § 106 Rdn. 1). Zutreffend ist allerdings, dass in der Diskussion um die Frage, ob aus der<br />

Verletzung dieser Vorschriften ein Beweisverwertungsverbot folgt, diese zuweilen als bloße Ordnungsvorschriften<br />

bezeichnet werden (vgl. Meyer-Goßner aaO § 106 Rdn. 1, § 107 Rdn. 1; siehe dazu aber auch die Entscheidung des<br />

B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts NJW 2005, 1917, 1923, nach der zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen<br />

Verfahrensverstößen ein Beweisverwertungsverbot als Folge einer fehlerhaften Durchsuchung <strong>und</strong> Beschlagnahme<br />

von Datenträgern <strong>und</strong> darauf vorhandenen Daten geboten ist). Es mag dahin gestellt bleiben, ob diese<br />

Begriffsbildung sinnvoll oder eher verwirrend ist. Jedenfalls aber darf sie sich nicht verselbständigen. Aus dem Umstand,<br />

dass nach überwiegender Meinung ein Verstoß gegen diese Regelungen kein Beweisverwertungsverbot zur<br />

Folge hat <strong>und</strong> sie zur Begründung dessen teilweise als Ordnungsvorschriften bezeichnet werden, kann nicht geschlossen<br />

werden, ihre Befolgung stünde zur Disposition der Ermittlungsbehörden. Dieser Schluss würde die Frage<br />

nach den Voraussetzungen für eine rechtmäßige Durchsuchung mit der nach den Rechtsfolgen einer rechtswidrig<br />

durchgeführten Maßnahme vermengen. Nach alledem ist es den Ermittlungsbehörden - unabhängig davon, wonach<br />

gesucht wird - verboten, eine richterliche Durchsuchungsanordnung bewusst heimlich durchzuführen, um auf diese<br />

Weise dem Tatverdächtigen keine Hinweise auf die gegen ihn geführten Ermittlungen zu geben <strong>und</strong> den Erfolg weiterer<br />

Ermittlungen nicht zu gefährden. Dementsprechend versteht es sich, dass ein Richter keine Durchsuchung anordnen<br />

darf, die - wie die verdeckte Online-Durchsuchung - von vornherein darauf abzielt, bei ihrem Vollzug die<br />

gesetzlichen Schutzvorschriften des § 105 Abs. 2 <strong>und</strong> des § 106 Abs. 1 StPO außer Kraft zu setzen. Ein anderes<br />

Ergebnis lässt sich auch nicht mit der Erwägung begründen, eine verdeckt durchgeführte Durchsuchung sei von der<br />

Befugnisnorm des § 102 StPO gedeckt, weil sie für den Betroffenen weniger belastend sei als die offen durchgeführte<br />

Durchsuchung, bei der eine Wohnung betreten wird (so aber Hofmann aaO 121, 124). Das Gegenteil trifft zu: Jede<br />

heimliche Durchsuchung ist im Vergleich zu der in §§ 102 ff. StPO geregelten offenen Durchsuchung wegen ihrer<br />

erhöhten Eingriffsintensität eine Zwangsmaßnahme mit einem neuen, eigenständigen Charakter. Die offene Durch-<br />

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führung gibt dem Betroffenen die Möglichkeit, je nach den Umständen die Maßnahme durch Herausgabe des gesuchten<br />

Gegenstandes abzuwenden bzw. in ihrer Dauer <strong>und</strong> Intensität zu begrenzen, ferner ihr - gegebenenfalls mit<br />

Hilfe anwaltlichen Beistands - bereits während des Vollzugs entgegen zu treten, wenn es an den gesetzlichen Voraussetzungen<br />

fehlt, oder aber zumindest die Art <strong>und</strong> Weise der Durchsuchung zu kontrollieren, insbesondere die<br />

Einhaltung der im Durchsuchungsbeschluss gezogenen Grenzen zu überwachen (vgl. BVerfG NJW 2006, 976, 981;<br />

Bär aaO 489, 494). Die heimliche Durchsuchung nimmt dem Betroffenen diese Möglichkeiten.<br />

bb) Auch systematische Erwägungen sprechen dafür, die Durchsuchung im Sinne des § 102 StPO nur als eine offen<br />

auszuführende Maßnahme zu erlauben. Die besonders gr<strong>und</strong>rechtsintensiven Ermittlungsmaßnahmen mit technischen<br />

Mitteln (wie etwa die Überwachung der Telekommunikation, die Wohnraumüberwachung <strong>und</strong> der Einsatz<br />

technischer Mittel), die ohne Wissen des Betroffenen erfolgen können, sind in §§ 100 a bis 100 i StPO geregelt. Für<br />

sie bestehen gerade auch wegen ihrer Heimlichkeit hohe formelle (vgl. § 100 b Abs. 2, Abs. 6 Satz 2, § 100 c Abs. 5<br />

Satz 4, § 100 d Abs. 1 - 4 StPO) <strong>und</strong> materielle Anforderungen an die Anordnung <strong>und</strong> die Durchführung. Insbesondere<br />

dürfen sie nur beim Verdacht bestimmter schwerer Straftaten angeordnet werden, wenn andere erfolgversprechende<br />

Aufklärungsmittel nicht vorhanden sind <strong>und</strong> sie nicht in den unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung<br />

eingreifen (vgl. § 100 a Satz 1, § 100 c Abs. 1, 2 <strong>und</strong> 4, § 100 f Abs. 1 <strong>und</strong> 2 StPO). Die einzelnen Befugnisnormen<br />

regeln maßnahmespezifisch, unter welchen Voraussetzungen Dritte von den Maßnahmen betroffen sein<br />

dürfen (vgl. § 100 a Satz 2, § 100 c Abs. 3 <strong>und</strong> 6, § 100 f Abs. 3 <strong>und</strong> 4 StPO). Sie enthalten ausführliche Regelungen<br />

über den Abbruch der Maßnahmen, die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse <strong>und</strong> die Vernichtung personenbezogener<br />

Informationen (vgl. § 100 a Abs. 4 - 6, § 100 c Abs. 5 - 7, § 100 d Abs. 5 <strong>und</strong> 6, § 100 f Abs. 5 StPO). Vergleichbar<br />

hohe Eingriffsschranken für die Anordnung einer Durchsuchung beim Verdächtigen gemäß § 102 StPO<br />

bestehen nicht. Es genügt für sie der Anfangsverdacht einer beliebigen Straftat. Die Durchführung der Durchsuchung<br />

<strong>und</strong> der Umgang mit den dabei gewonnenen Daten sind nicht annähernd streng geregelt.<br />

b) Nach alledem findet die verdeckte Online-Durchsuchung in § 102 StPO keine Rechtsgr<strong>und</strong>lage. Dabei ist maßgeblich,<br />

dass diese Vorschrift nur zu einer offen ausgeführten Durchsuchung ermächtigt. Dagegen kommt es nicht<br />

entscheidend darauf an, dass die in den Speichermedien eines Computers abgelegten Daten im Einzelfall ähnlich<br />

sensibel <strong>und</strong> schutzwürdig sein können wie das in einer Wohnung nichtöffentlich gesprochene Wort <strong>und</strong> dass die<br />

Maßnahme wegen der Durchsicht einer Vielzahl unterschiedlicher Daten als ein besonders schwerwiegender Eingriff<br />

in das Recht des Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung erscheinen mag. Denn unter diesem Aspekt<br />

unterscheidet sich die verdeckte Online-Durchsuchung nicht von einer im Rahmen einer offenen Durchsuchung<br />

vorgenommenen Auswertung von elektronischen Datenträgern, die als unbedenklich angesehen wird (vgl. BVerfG<br />

NJW 2006, 976, 980 ff.; 2005, 1917, 1919 f.; NStZ 2002, 377 f.; Nack aaO § 110 Rdn. 2). Desgleichen braucht auch<br />

nicht entschieden zu werden, ob die verdeckte Online-Durchsuchung wegen der großen Menge an möglicherweise<br />

sensiblen Daten, die dem Zugriff der Ermittlungsbehörden ausgesetzt sind, eher einer Wohnraumüberwachung als<br />

einer Durchsuchung gleicht (so der angefochtene Beschluss), was zwar unter dem Aspekt der Heimlichkeit der Fall<br />

sein mag, unter dem Aspekt der Dauerhaftigkeit der Maßnahme aber zweifelhaft erscheint. Auch wenn die Anordnung<br />

einer verdeckten Online-Durchsuchung in der Weise beschränkt wird, dass nur der auf dem betroffenen Computer<br />

vorhandene Bestand an Daten einmal - in einem oder mehreren Arbeitsschritten - kopiert <strong>und</strong> übertragen werden<br />

darf (so BGH-Ermittlungsrichter wistra 2007, 28) <strong>und</strong> somit die Nutzung des Computers (E-Mail-Verkehr <strong>und</strong><br />

laufende Internetrecherchen) nicht über einen längeren Zeitraum überwacht wird, kann sie schlicht wegen ihrer<br />

Heimlichkeit in § 102 StPO keine Stütze finden. Soweit argumentiert wird, sie sei zulässig, insbesondere sei das<br />

Anwesenheitsrecht gemäß § 106 Abs. 1 Satz 1 StPO gewahrt, weil der Computernutzer während der Übertragung<br />

des zu durchsuchenden Datenbestandes an die Ermittlungsbehörde "online" sein müsse (vgl. Hofmann aaO 121,<br />

124), wird verkannt, dass nach Sinn <strong>und</strong> Zweck dieser Schutzvorschrift die Anwesenheit des Betroffenen oder der<br />

anderen Personen gerade die Beobachtung <strong>und</strong> Kontrolle der Durchsuchung ermöglichen soll, die rein körperliche<br />

Anwesenheit ohne die Möglichkeit der Kenntnisnahme dies aber nicht gewährleistet.<br />

2. Auch andere Eingriffsnormen der Strafprozessordnung erlauben die verdeckte Online-Durchsuchung nicht.<br />

a) Die Maßnahme kann nicht auf § 100 a StPO (Überwachung der Telekommunikation) gestützt werden (anders für<br />

den einmaligen heimlichen Zugriff auf eine passwortgeschützte Mailbox BGH - Ermittlungsrichter NJW 1997, 1934<br />

ff.). Zwar muss der Computerbenutzer bei der Übertragung der zu durchsuchenden Daten an die Ermittlungsbehörde<br />

mit Hilfe des aufgespielten Computervirus "online" sein, so dass diese Bestandteil des ohnehin bestehenden Datenstroms<br />

sind. Jedoch wird dadurch die verdeckte Online-Durchsuchung nicht zur Telekommunikation (vgl. zum Begriff<br />

der Telekommunikation § 3 Nr. 22 <strong>und</strong> 23 TKG in der Fassung vom 22. Juni 2004 <strong>und</strong> BGH NJW 2003, 2034<br />

f.), weil nicht die Kommunikation zwischen dem Tatverdächtigen <strong>und</strong> einem Dritten überwacht, sondern zielgerichtet<br />

eine umfassende Übermittlung der auf dem Zielcomputer vor Beginn des Kommunikationsvorgangs gespeicherten<br />

Daten an die ermittelnde Stelle zum Zwecke der Suche nach Beweismitteln oder weiteren möglichen Ermitt-<br />

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lungsansätzen ausgelöst wird (vgl. Hofmann aaO 121, 123; Zöller aaO 573 f.). Der Datenfluss während des "Online"-Status<br />

des Computers wird somit lediglich aus technischen Gründen zum Zwecke der Übertragung der in den<br />

Speichermedien abgelegten Dateien benutzt.<br />

b) Die Eingriffsermächtigung des § 100 c StPO (Wohnraumüberwachung) rechtfertigt die verdeckte Online-<br />

Durchsuchung nicht, weil ein Computer auf elektronischem Weg durchsucht <strong>und</strong> nicht das in einer Wohnung nichtöffentlich<br />

gesprochene Wort mit technischen Mitteln abgehört <strong>und</strong> aufgezeichnet werden soll (vgl. Sieber aaO Rdn.<br />

705).<br />

c) Auch § 100 f Abs. 1 Nr. 2 StPO (Einsatz technischer Mittel) scheidet als Befugnisnorm aus; denn diese Vorschrift<br />

gestattet nur den heimlichen Einsatz besonderer für Observationszwecke bestimmter technischer Mittel außerhalb<br />

von Wohnungen wie Peilsender, satellitengestützte Ortungssysteme <strong>und</strong> Nachtsichtgeräte (vgl. BGHSt 46, 266, 271<br />

ff.; Sieber aaO Rdn. 705; Hofmann aaO 121, 122).<br />

d) Die Generalklausel des § 161 StPO erlaubt nur Zwangsmaßnahmen, die von einer speziellen Eingriffsermächtigung<br />

der Strafprozessordnung nicht erfasst werden <strong>und</strong> lediglich geringfügig in die Gr<strong>und</strong>rechte des Betroffenen<br />

eingreifen (vgl. Meyer-Goßner aaO § 161 Rdn. 1; Hilger NStZ 2000, 563, 564).<br />

3. Entgegen der Auffassung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts kann § 102 StPO zur verdeckten Online-Durchsuchung auch<br />

dann nicht ermächtigen, wenn zusätzlich die für die Überwachung von Telekommunikation (§ 100 a StPO) <strong>und</strong><br />

Wohnraum (§ 100 c StPO) normierten hohen Eingriffsvoraussetzungen - wie Verdacht einer Straftat von erheblicher<br />

Bedeutung, Subsidiarität gegenüber weniger belastenden Ermittlungsmaßnahmen - gegeben sind (so aber BGH -<br />

Ermittlungsrichter wistra 2007, 28; Hofmann aaO 121, 124) <strong>und</strong> der Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismäßigkeit "besonders"<br />

beachtet wird. Es ist unzulässig, einzelne Elemente von Eingriffsermächtigungen zu kombinieren, um eine Gr<strong>und</strong>lage<br />

für eine neue technisch mögliche Ermittlungsmaßnahme zu schaffen. Dies würde dem Gr<strong>und</strong>satz des Gesetzesvorbehaltes<br />

für Eingriffe in Gr<strong>und</strong>rechte (Art. 20 Abs. 3 GG) sowie dem Gr<strong>und</strong>satz der Normenklarheit <strong>und</strong> Tatbestandsbestimmtheit<br />

von strafprozessualen Eingriffsnormen widersprechen (vgl. BVerfG NJW 2006, 976, 979; 2005,<br />

1338, 1339 f.; Sieber aaO Rdn. 703 f.). Der Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismäßigkeit begrenzt im Einzelfall gesetzliche<br />

Befugnisse, eine fehlende Ermächtigungsgr<strong>und</strong>lage kann er nicht ersetzen.<br />

4. Eine offen ausgeführte Wohnungsdurchsuchung <strong>und</strong> Beschlagnahme des Computers mit anschließender Durchsuchung<br />

der Speichermedien gemäß §§ 98 ff., 102, 110 StPO, deren Voraussetzungen gegeben wären, ist nicht anzuordnen.<br />

Der Generalb<strong>und</strong>esanwalt hat ausdrücklich erklärt, dass lediglich eine verdeckte Online-Durchsuchung beantragt<br />

wird.<br />

StPO § 102, § 105 Abs. 1 Satz 1, Art. 13 Abs. 2 GG Richtervorbehalt bei Durchsuchung bewusst<br />

missachtet<br />

BGH, Urt. vom 18. April 2007 – 5 StR 546/06 – NJW 2007, S. 2269 ff.= JR 2007, XXX mit Anm. Ransiek<br />

Eine bewusste Missachtung oder gleichgewichtig grobe Verkennung der Voraussetzungen des für<br />

Wohnungsdurchsuchungen bestehenden Richtervorbehalts kann die Annahme eines Verbots der<br />

Verwertung bei der Durchsuchung gewonnener Beweismittel rechtfertigen.<br />

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> des Angeklagten R. gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 21.<br />

Februar 2006 werden verworfen. Die Staatskasse hat die Kosten der Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> die<br />

hierdurch den Angeklagten R. <strong>und</strong> G. entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Der Angeklagte R. trägt die<br />

Kosten seines Rechtsmittels.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten R. wegen versuchten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in<br />

nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt<br />

hat. Gegen diesen Angeklagten hat die Strafkammer ferner den Verfall von 1.000 Euro angeordnet. Den<br />

Mitangeklagten G. hat das Landgericht von dem Vorwurf freigesprochen, in zwei Fällen ohne Erlaubnis mit Betäubungsmitteln<br />

in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben. Mit ihren vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt vertretenen<br />

Revisionen wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen die Freisprechung des Angeklagten G. <strong>und</strong> beanstandet bezüglich<br />

des Angeklagten R. , dass dieser Angeklagte nicht wegen vollendeten unerlaubten Handeltreibens verurteilt<br />

worden ist. Der Angeklagte R. wendet sich mit der allgemein erhobenen Sachrüge gegen seine Verurteilung. Sämtliche<br />

Rechtsmittel bleiben erfolglos.<br />

1. Den Angeklagten liegt Folgendes zur Last:<br />

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a) Der Angeklagte G. erwarb über 50.000 Ecstasy Tabletten (Wirkstoffgehalt über 3 kg MDMA) <strong>und</strong> verwahrte sie<br />

zum gewinnbringenden Weiterverkauf in der vom Zeugen B. vermieteten Wohnung in der F. Straße in B . G. gab<br />

dem Angeklagten R. am 16. Februar 2004 1.000 Euro gegen das Versprechen, aus der Wohnung eine Tüte voller<br />

Betäubungsmittel zu holen <strong>und</strong> diese in den Kofferraum eines in der Nähe geparkten Pkw zu verbringen (Anklagevorwurf<br />

1).<br />

b) Der Angeklagte G. erwarb später 3,5 kg Marihuana (Wirkstoffgehalt 412 g THC) <strong>und</strong> verwahrte dieses zum beabsichtigten<br />

gewinnbringenden Weiterverkauf bis zum 18. Februar 2005 in einer Wohnung in der P. - straße in B. (Anklagevorwurf<br />

2).<br />

2. Das Landgericht hat folgende Feststellungen <strong>und</strong> Wertungen getroffen:<br />

a) Zu Anklagevorwurf 1:<br />

Der Angeklagte R. erhielt am 16. Februar 2004 von einem ihm nicht weiter bekannten „M. “ 1.000 Euro nebst einem<br />

Wohnungsschlüssel, um einen zugeschweißten gefüllten Beutel aus der Wohnung F. Straße zu einem Pkw zu<br />

verbringen. R. stellte sich vor, in dem Beutel würden sich mindestens 300 g Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt<br />

von nicht mehr als 9 g THC befinden. Als R. am Morgen des 17. Februar 2004 im Begriff war, die Wohnung mit<br />

dem Schlüssel zu öffnen, wurde er festgenommen. Das Landgericht hat aufgr<strong>und</strong> folgender Umstände darüber hinaus<br />

gehende Ermittlungsergebnisse wegen Missachtung des Gebots, einen richterlichen Beschluss zur Wohnungsdurchsuchung<br />

zu erlangen, als unverwertbar erachtet: Am 16. Februar 2004 öffnete der Vermieter wegen eines Wasserschadens<br />

gewaltsam die Wohnung. Er informierte die Polizei von seinem Verdacht, in der Wohnung Betäubungsmittel<br />

gef<strong>und</strong>en zu haben. Gegen 15.30 Uhr durchsuchten drei Polizeibeamte die Wohnung <strong>und</strong> informierten ihre Fachdienststelle<br />

von dem möglichen Rauschgiftf<strong>und</strong>. Deren Mitarbeiter trafen gegen 17.00 Uhr ein, stellten die aufgef<strong>und</strong>enen<br />

Betäubungsmittel sicher <strong>und</strong> brachten sie zur polizeitechnischen Untersuchungsstelle. Die Polizei „besetzte“<br />

nun die Wohnung, um mögliche Drogenhändler dingfest zu machen. Am nächsten Morgen wurde der Angeklagte R.<br />

vorläufig festgenommen, als er versuchte, die Wohnungstür zu öffnen. Das Landgericht hat mit weiteren beweiswürdigenden<br />

Erwägungen die Täterschaft des Angeklagten G. in Zweifel gezogen <strong>und</strong> dazu Folgendes ausgeführt: Das<br />

Auffinden einer türkischen Zeitung <strong>und</strong> DNA eines anderen Mannes – außer der des Angeklagten in aufgef<strong>und</strong>enen<br />

Zigarettenkippen – sowie die G. ausdrücklich entlastende Einlassung des R. sprächen gegen die Täterschaft des<br />

schweigenden Angeklagten G. . Ferner hätten die in die Hauptverhandlung eingeführten Telefongespräche des Angeklagten<br />

G. <strong>und</strong> die in seinem Pkw überwachten Gespräche keinen Bezug dieses Angeklagten zu Rauschgift in der<br />

F. Straße erbracht.<br />

b) Zu Anklagevorwurf 2:<br />

Der Angeklagte G. hielt sich während der letzten vier Wochen vor seiner Festnahme am 18. Februar 2005 in der<br />

Wohnung des Zeugen Zo. in der P. straße auf. Dies war der Polizei bekannt. Der die Ermittlungen gegen G. führende<br />

Zeuge Kriminalkommissar Si. war darüber hinaus am 18. Februar 2005 über den jeweiligen Aufenthaltsort des Tatverdächtigen<br />

informiert. Si. erfuhr gegen 15.47 Uhr, dass sich G. um ein Gerät bemühte, um in seinem Fahrzeug –<br />

tatsächlich angebrachte – polizeiliche Ortungs- <strong>und</strong> Abhörgeräte aufzufinden. Si. erörterte eine deshalb aus polizeilicher<br />

Sicht gebotene Festnahme des G. mit dem zuständigen Staatsanwalt. G. wurde mit Zustimmung des Staatsanwalts<br />

schließlich um 17.30 Uhr festgenommen, worüber Si. um 20.00 Uhr den Staatsanwalt informierte; dabei bat er<br />

ferner um die Genehmigung, die Wohnung des Zo. durchsuchen zu dürfen. Der Staatsanwalt ordnete die Wohnungsdurchsuchung<br />

auf Gr<strong>und</strong> angenommener eigener Eilkompetenz an, ohne die Anrufung eines Ermittlungsrichters zu<br />

erwägen <strong>und</strong> eine Gefahr für den Verlust von Beweismitteln zu dokumentieren. Das Landgericht hat auch die bei<br />

dieser Durchsuchung gewonnenen Beweismittel wegen Missachtung des Gebots, einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss<br />

herbeizuführen, mit einem Beweisverwertungsverbot belegt <strong>und</strong> ergänzend darauf hingewiesen,<br />

dass auf Gr<strong>und</strong> weiterer Umstände das fehlende Bemühen um richterliche Durchsuchungsgenehmigungen nicht<br />

lediglich eine einzelne Nachlässigkeit der Ermittlungsbehörden dargestellt hat, sondern in eine Kette weiterer Ermittlungsmängel<br />

eingereiht gewesen ist:<br />

- Ermittlungsbeamte hatten eine DNA-Probe des Angeklagten G. vor dessen Festnahme durch eine fingierte Verkehrskontrolle<br />

erschlichen. Dabei wurde das bei dem Alkoholtest verwendete M<strong>und</strong>stück einbehalten <strong>und</strong> dem Angeklagten<br />

auf seinen Rückgabewunsch hin stattdessen ein unbenutztes Austauschstück übergeben.<br />

- Entgegen dem Inhalt eines Durchsuchungsberichts vom 28. Februar 2005 hatten Polizeibeamte gar nicht versucht,<br />

einen Durchsuchungsbeschluss für eine der Mutter des Angeklagten G. gehörende Garage zu erlangen.<br />

- Eine dem Angeklagten gehörende wertvolle Werkzeugkiste war – einem polizeilichen Aktenvermerk widersprechend<br />

– nicht vernichtet worden. Sie befand sich weiter im Besitz der Polizei <strong>und</strong> konnte während der Hauptverhandlung<br />

in Augenschein genommen werden.<br />

- Während der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung des Zeugen Zo. wurde diesem mitgeteilt, ein anwaltlicher<br />

Beistand wäre nicht nötig, weil es sich „nur um eine Vernehmung“ handeln würde.<br />

50


- Schließlich machte der Sitzungsstaatsanwalt während der Beweisaufnahme Vorhalte aus staatsanwaltschaftlichen<br />

Nachermittlungen, ohne diese zuvor dem erkennenden Gericht übergeben zu haben.<br />

3. Die Freisprechung des Angeklagten G. hält den Revisionsangriffen stand.<br />

a) Auf die von der Staatsanwaltschaft lediglich erhobene Sachrüge ist der Senat allenfalls befugt, auf der Gr<strong>und</strong>lage<br />

der Urteilsfeststellungen zu prüfen, ob die Subsumtion des Landgerichts dessen verfahrensrechtliche Folgerungen<br />

rechtfertigt (vgl. Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 261 Rdn. 38). Der weitergehende vom Generalstaatsanwalt bei<br />

dem Kammergericht formulierte Revisionsangriff, die im Zusammenhang mit der Annahme von Beweisverwertungsverboten<br />

getroffenen Feststellungen des Landgerichts seien lückenhaft – dem sich der Generalb<strong>und</strong>esanwalt<br />

angeschlossen hat –, entzieht sich der Betrachtung. Solches hätte die Erhebung einer Verfahrensrüge mit weitergehendem<br />

Sachvortrag (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) vorausgesetzt, die indes nicht vorliegt (vgl. BGHSt 19, 273, 275,<br />

279; 48, 240, 250; Kuckein in KK 5. Aufl. § 337 Rdn. 30).<br />

b) Der Senat kann dahinstehen lassen, ob das Landgericht zu Anklage-vorwurf 1 für die aus der Wohnung F. Straße<br />

stammenden Betäubungsmittel zu Unrecht ein Beweisverwertungsverbot angenommen hat. Die Freisprechung des<br />

Angeklagten G. beruht jedenfalls nicht auf einem etwaigen Rechtsfehler. Das Landgericht hat die erhobenen Beweise<br />

insgesamt hinreichend deutlich dahingehend gewürdigt, dass aus sachlichen Erwägungen nicht zu überwindende<br />

Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten G. bestanden haben. Solches hat das Revisionsgericht hinzunehmen (vgl.<br />

BGH NJW 2006, 925, 928 m.w.N., insoweit in BGHSt 50, 299 nicht abgedruckt).<br />

c) Soweit das Landgericht hinsichtlich des in der Wohnung des Zeugen Zo. aufgef<strong>und</strong>enen Rauschgifts ein Beweisverwertungsverbot<br />

angenommen hat, hält diese Wertung der – hier, wie ausgeführt, von vornherein nur eingeschränkt<br />

möglichen – rechtlichen Prüfung stand.<br />

aa) Die am 18. Februar 2005 um 20.05 Uhr aufgr<strong>und</strong> der um 20.00 Uhr getroffenen Anordnung des Staatsanwalts<br />

erfolgte Durchsuchung der Wohnung war wegen Missachtung des Richtervorbehalts rechtswidrig. Eine gemäß Art.<br />

13 Abs. 2 GG, § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO gr<strong>und</strong>sätzlich erforderliche richterliche Durchsuchungsanordnung lag nicht<br />

vor (vgl. BVerfGE 103, 142, 153; BGHR StPO § 105 Durchsuchung 4). Die Anordnung des Staatsanwalts beruh-te<br />

nicht auf einer rechtmäßigen Inanspruchnahme seiner sich aus § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO ergebenden Eilkompetenz.<br />

Bei der hier zu beurteilenden Durchsuchungsanordnung hätte Gefahr im Verzug angenommen werden können, falls<br />

die vorherige Einholung der richterlichen Anordnung den Erfolg der Durchsuchung gefährdet hätte (vgl. BVerfGE<br />

103, 142, 154; BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 6). Bei der Prüfung dieser Voraussetzung steht es aber nicht<br />

im Belieben der Strafverfolgungsbehörden, wann sie eine Antragstellung in Erwägung ziehen. Sie dürfen nicht so<br />

lange mit dem Antrag an den Ermittlungsrichter zuwarten, bis etwa die Gefahr eines Beweismittelverlusts tatsächlich<br />

eingetreten ist, <strong>und</strong> damit die von Verfassungs wegen vorgesehene Regelzuständigkeit des Richters unterlaufen<br />

(BVerfGE 103, 142, 155; BVerfG – Kammer – NJW 2005, 1637, 1638 f.). Für die Frage, ob die Ermittlungsbehörden<br />

eine richterliche Entscheidung rechtzeitig erreichen können, kommt es deshalb auf den Zeitpunkt an, zu dem die<br />

Staatsanwaltschaft oder ihre Hilfsbeamten die Durchsuchung für erforderlich hielten (Stellungnahme des 1. Strafsenats<br />

des B<strong>und</strong>esgerichtshofs in BVerfGE aaO S. 148). Solches war hier nach jeglicher kriminalistischer Erfahrung<br />

spätestens zum Zeitpunkt des Entschlusses zur Festnahme des G. am Nachmittag des 18. Februar 2005 der Fall (vgl.<br />

BVerfG – Kammer – NJW 2005, 1637, 1638 f.; AG Kiel StV 2002, 536, 537 jeweils zu ähnlichen Sachverhalten).<br />

Die sofortige Suche nach Sachbeweisen am gewöhnlichen Aufenthaltsort des G. drängte sich auf. Nur durch einen<br />

alsbaldigen Zugriff wäre auszuschließen gewesen, dass mögliche Mittäter in der Wohnung befindliches Rauschgift<br />

beseitigen. Schon daher konnte die erst um 20.00 Uhr erfolgte Durchsuchungsanordnung – jenseits jeder fehlenden<br />

Dokumentation (vgl. BVerfG – Kammer – aaO S. 1639; BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 5) – nicht mehr<br />

auf Gefahr im Verzug gestützt werden. Hinzu kommt, dass den Polizeibeamten durch G. s Beobachtung schon mindestens<br />

vier Wochen lang dessen Aufenthalt in Zo. s Wohnung bekannt war (UA S. 22) <strong>und</strong> dass sich die Notwendigkeit<br />

einer alsbaldigen Wohnungsdurchsuchung aufdrängte, mithin nicht einer überraschenden Verfahrenssituation<br />

entsprang.<br />

bb) Die Rechtswidrigkeit der Wohnungsdurchsuchung rechtfertigt vorliegend die Annahme eines Verwertungsverbots<br />

hinsichtlich der bei der Durchsuchung sichergestellten Betäubungsmittel.<br />

(1) Die Frage, unter welchen Voraussetzungen bei Missachtung des sich aus Art. 13 Abs. 2 GG, § 105 Abs. 1 Satz 1<br />

StPO ergebenden Richtervorbehalts ein Verwertungsverbot hinsichtlich der aus der Wohnung zu Tage geförderten<br />

Beweismittel anzunehmen ist, hat der Gesetzgeber nicht entschieden (vgl. Gössel in Löwe-Rosenberg, StPO 26.<br />

Aufl. Einl. Abschn. L Rdn. 16). So ist – wie auch bei der Prüfung eines Verwertungsverbots bei Verstößen gegen<br />

andere Erhebungsvorschriften – davon auszugehen, dass dem Strafverfahrensrecht ein allgemein geltender Gr<strong>und</strong>satz,<br />

dass jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich<br />

zieht, fremd ist (BGHSt 44, 243, 249). Vielmehr ist diese Frage nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung jeweils<br />

nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Art des Verbots <strong>und</strong> dem Gewicht des Verstoßes unter<br />

51


Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden (BGHSt aaO m.w.N.). Dabei muss beachtet werden, dass<br />

die Annahme eines Verwertungsverbots, auch wenn die Strafprozessordnung nicht auf Wahrheitserforschung „um<br />

jeden Preis“ gerichtet ist, eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts einschränkt, nämlich den<br />

Gr<strong>und</strong>satz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen <strong>und</strong> dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle<br />

Tatsachen <strong>und</strong> Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind. Daran gemessen bedeutet ein Beweisverwertungsverbot<br />

eine Ausnahme, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen<br />

Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (BGHSt aaO m.w.N.). Maßgeblich mit beeinflusst wird das Ergebnis der<br />

demnach vorzunehmenden Abwägung vom Gewicht des infrage stehenden Verfahrensverstoßes (BGHSt aaO<br />

m.w.N.). Dieses wird seinerseits wesentlich von der Bedeutung der im Einzelfall betroffenen Rechtsgüter bestimmt<br />

(BGHSt aaO).<br />

(2) Indes können einzelne Rechtsgüter durch Eingriffe fern jeder Rechtsgr<strong>und</strong>lage so massiv beeinträchtigt werden,<br />

dass dadurch das Ermittlungsverfahren als ein nach rechtsstaatlichen Gr<strong>und</strong>sätzen geordnetes Verfahren nachhaltig<br />

beschädigt wird. Dann wäre jede andere Lösung als die Annahme eines Verwertungsverbots – jenseits des in § 136a<br />

Abs. 3 Satz 2 StPO normierten – unerträglich (vgl. BGHSt 31, 304, 308; Eisenberg, Beweisrecht der StPO 5. Aufl.<br />

Rdn. 363; Gössel aaO Rdn. 33 <strong>und</strong> 178). Solches wurde in der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs beispielsweise<br />

angenommen bei der Durchführung von Abhörmaßnahmen unter Verstoß gegen völkerrechtliche Gr<strong>und</strong>sätze<br />

(BGHSt 36, 396, 398 ff.) oder ohne richterliche Anordnung (BGHSt 31, 304, 306 f.; 35, 32, 34) oder zur gezielten<br />

Verleitung des Angeklagten zum unbewussten Schaffen von Anknüpfungstatsachen für ein Sachverständigengutachten<br />

(BGHSt 34, 39), ferner bei der Einbeziehung eines Raumgesprächs zwischen Eheleuten in die Telefonüberwachung<br />

(BGHSt 31, 296) <strong>und</strong> bei akustischer Wohnraumüberwachung in einem nicht allgemein zugänglichen, als<br />

Wohnung zu bewertenden Vereinsbüro (BGHSt 42, 372, 377 zu § 100c Abs. 1 StPO a.F.) <strong>und</strong> in einem Krankenzimmer<br />

(BGHSt 50, 206). Solchen Fallgestaltungen ist der vorliegend zu beurteilende Sachverhalt nicht ausreichend<br />

ähnlich. Die Durchsuchungsanordnung war dem Staatsanwalt nicht schlechthin verboten, sondern in Eilfällen gestattet.<br />

Gefahr im Verzug lag hier zwar nicht vor. Die Verletzung des Richtervorbehalts hat aber aus objektiver Sicht<br />

geringeres Gewicht, als wenn, wie etwa im Falle des § 100b Abs. 1 StPO, der Polizei die Anordnung von Eingriffen<br />

der betreffenden Art schlechthin untersagt ist (Roxin NStZ 1989, 376, 379). Zudem kommt bei der hier gebotenen<br />

objektiven Sicht dem Umstand Bedeutung zu, dass ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss höchstwahrscheinlich<br />

zu erlangen gewesen wäre (vgl. Roxin aaO; ders. Strafverfahrensrecht, 25. Aufl. S. 182 Rdn. 21). Daran bestehen<br />

hier kaum Zweifel, wenngleich eine umfassende Prüfung aufgr<strong>und</strong> einer nicht ausreichend ausgeführten Verfahrensrüge<br />

nicht erfolgen kann. Immerhin waren gegen G. bereits Maßnahmen nach § 100c Abs. 1 Nr. 1 lit. b <strong>und</strong> Nr. 2<br />

StPO a.F. erlassen, deren Anordnung strengere Voraussetzungen zu erfüllen hatten, als es der Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses<br />

erfordert hätte.<br />

(3) In Sonderfällen schwerwiegender Rechtsverletzungen, die durch das besondere Gewicht der jeweiligen Verletzungshandlung<br />

bei grober Verkennung der Rechtslage geprägt sind, sind Beweismittel darüber hinaus unverwertbar,<br />

weil der Staat – soweit nicht notstandsähnliche Gesichtspunkte Gegenteiliges ermöglichen sollten (vgl. BGHSt 31,<br />

304, 307; 34, 39, 51 f.) – auch in solchen Fällen aus Eingriffen ohne Rechtsgr<strong>und</strong>lage keinen Nutzen ziehen darf<br />

(Roxin, Strafverfahrensrecht aaO S. 193 Rdn. 46; vgl. auch Gössel aaO Rdn. 175). Eine Verwertung würde hier<br />

gegen die Gr<strong>und</strong>sätze eines fairen Verfahrens verstoßen (vgl. BGHSt 24, 125, 131; Roxin NStZ aaO). So ist eine von<br />

dem Ermittlungsrichter oder dem Staatsanwalt angeordnete Telefonüberwachung rechtswidrig – mit der Folge eines<br />

Verwertungsverbots –, falls deren Entscheidung nach dem Maßstab (objektiver) Willkür oder grober Fehlbeurteilung<br />

nicht mehr vertretbar gewesen ist (BGHSt 41, 30, 34; vgl. auch BGHSt 32, 68, 70; 47, 362, 366; 48, 240, 248; einschränkend<br />

BGHSt 51, 1). Für Fälle fehlerhafter Wohnungsdurchsuchungen ist dies in der Rechtsprechung weitgehend<br />

anerkannt, falls der Richtervorbehalt bewusst umgangen worden ist (vgl. BVerfGE 113, 29, 61; BVerfG –<br />

Kammer – NJW 2006, 2684, 2686; BVerfG – Kammer – Beschluss vom 12. August 2005 – 2 BvR 1404/04; LG<br />

Osnabrück StV 1991, 152, 153; AG Offenbach StV 1993, 406, 407 f.; LG Darmstadt StV 1993, 573 f.; AG Kiel StV<br />

2002, 536, 538; OLG Koblenz NStZ 2002, 660; AG Tiergarten in Berlin StV 2003, 663, 664; StraFo 2007, 73, 74;<br />

LG Heilbronn StV 2005, 380, 381; vgl. noch weitergehend AG Braunschweig StV 2001, 393 <strong>und</strong> LG Saarbrücken<br />

StV 2003, 434, 436). Diese Auffassung wird von Stimmen in der Literatur geteilt (Meyer-Goßner aaO § 98 Rdn. 7;<br />

Krekeler NStZ 1993, 263, 265). In der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs wird bei willkürlicher Annahme von<br />

Gefahr im Verzug oder bei Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Fehlers ein Verwertungsverbot für notwendig<br />

gehalten (BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 4), was im Schrifttum ebenfalls vertreten wird (Schäfer in<br />

Löwe-Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 105 Rdn. 119; Pfeiffer, StPO 5. Aufl. § 105 Rdn. 7; gr<strong>und</strong>sätzlich Roxin, Strafverfahrensrecht<br />

aaO S. 193 Rdn. 46; allgemein bei Willkür Nack in KK 5. Aufl. Vor § 94 Rdn. 11; Krekeler/Löffelmann<br />

in AnwK-StPO Einleitung Rdn. 141). Diesen Ansätzen folgt der Senat. Die Notwendigkeit der Annahme<br />

eines Verwertungsverbots ist in der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts zur Beachtlichkeit des<br />

52


Richtervorbehalts <strong>und</strong> zu den inhaltlichen Anforderungen, denen die Durchsuchungsbeschlüsse genügen müssen,<br />

angelegt (vgl. allgemein Landau NStZ 2007, 121, 128). Richterliche Durchsuchungsanordnungen sind nach Wortlaut<br />

<strong>und</strong> Systematik des Art. 13 Abs. 2 GG die Regel <strong>und</strong> die nichtrichterlichen die Ausnahme (BVerfGE 103, 142, 153).<br />

Vor allem wegen der gr<strong>und</strong>rechtssichernden Schutzfunktion des Richtervorbehalts ist „Gefahr im Verzug“ eng auszulegen<br />

(BVerfGE aaO), weshalb die Pflicht, einen Durchsuchungsbeschluss zu beantragen, den Spielraum der Ermittlungsbeamten<br />

begrenzt, das Ermittlungsverfahren nach kriminalistischen <strong>und</strong> taktischen Erwägungen frei zu<br />

gestalten (BVerfG aaO S. 155). Der bloße abstrakte Hinweis, eine richterliche Entscheidung sei gewöhnlicherweise<br />

zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht zu erlangen, kann Gefahr im Verzug nicht begründen, weil dem korrespondierend<br />

die verfassungsrechtliche Verpflichtung der Gerichte besteht, die Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters, auch<br />

durch die Einrichtung eines Eil- oder Notdienstes, zu sichern (BVerfG aaO S. 156; BVerfG – Kammer – StV 2006,<br />

676). Damit ist das Gebot, den Richtervorbehalt einzuhalten, für das durch rechtsstaatliche Gr<strong>und</strong>sätze geprägte<br />

Ermittlungsverfahren so wesentlich, dass jedenfalls grobe Verstöße nicht sanktionslos gelassen werden dürfen (Schäfer<br />

aaO § 105 Rdn. 118; Krehl JR 2001, 491, 494). Genauso wie es nicht tragbar wäre, bei jeglichem Irrtum der Beamten<br />

über die tatsächlichen Voraussetzungen der Gefahr im Verzug oder bei sonstigen weniger gewichtigen Verstößen<br />

gegen irgendwelche die Art <strong>und</strong> Weise der Durchsuchung regelnden Vorschriften auch bei schwerwiegenden<br />

Straftaten ein Verwertungsverbot anzunehmen, wäre es für die Rechtsgemeinschaft <strong>und</strong> ihre Vorstellung vom Recht<br />

unerträglich, könnte der verfassungsrechtlich abgesicherte Schutz der Wohnung samt Richtervorbehalt stets folgenlos<br />

selbst willkürlich ausgehebelt werden (vgl. Schäfer aaO § 105 Rdn. 119). Hier liegt schon die Annahme außerordentlich<br />

nahe, dass die Polizeibeamten den Richtervorbehalt bewusst ignoriert <strong>und</strong> die Inanspruchnahme der Eilkompetenz<br />

des Staatsanwalts provoziert haben. Das Unterlassen der Polizeibeamten, sich um einen Durchsuchungsbeschluss<br />

für die Wohnung des Zo. zu bemühen, ist angesichts des Ganges der Ermittlungen unverständlich. Der<br />

Umstand, dass sich G. in der Wohnung des Zo. aufgehalten hat, war den ermittelnden Kriminalbeamten schon mindestens<br />

vier Wochen vor der Festnahme des G. bekannt (UA S. 22). Die Verdachtslage, wie sie ferner ersichtlich im<br />

Blick auf die nach § 100c Abs. 1 Nr. 1 lit. b <strong>und</strong> Nr. 2 StPO a.F. angeordneten Maßnahmen angenommen wurde <strong>und</strong><br />

sich zudem durch wenigstens im Allgemeinen auf Rauschgift bezogene Gespräche des G. im überwachten Pkw ergab,<br />

machte es immer dringlicher, spätestens zum Zeitpunkt der Festnahme des G. auch die Wohnung des Zo. zu<br />

durchsuchen. Vor dem Hintergr<strong>und</strong> der Vollstreckbarkeit eines Durchsuchungsbeschlusses über einen Zeitraum von<br />

bis zu sechs Monaten (BVerfGE 96, 44) wäre mit einem gewissen zeitlichen Vorlauf der polizeiliche Zugriff für die<br />

Ermittlungen förderlich <strong>und</strong> der Rechtsordnung entsprechend mit Beantragung eines Durchsuchungsbeschlusses<br />

ohne Schwierigkeiten vorzubereiten gewesen. Spätestens mit der am 18. Februar 2005 um 15.47 Uhr von den Polizeibeamten<br />

gefassten Festnahmeabsicht erlangte die nach kriminalistischer Erfahrungsregel notwendige Wohnungsdurchsuchung<br />

<strong>und</strong> damit die Erlangung eines Durchsuchungsbeschlusses höchste Priorität, die indes gänzlich unbeachtet<br />

blieb. Erst zweieinhalb St<strong>und</strong>en nach der Festnahme des G. erheischten die Kriminalbeamten – ohne dass<br />

ermittlungsbezogene Besonderheiten dies erklären konnten – eine Entscheidung des ebenfalls nur über eine Eilkompetenz<br />

verfügenden Staatsanwalts, ohne die mögliche Inanspruchnahme eines Ermittlungsrichters zuvor auch nur<br />

erwogen zu haben (vgl. auch AG Tiergarten in Berlin StraFo 2007, 73, 74 zu Existenz <strong>und</strong> Bekanntheit des jeweiligen<br />

Bereitschaftsrichters). Der Senat kann es letztlich dahingestellt sein lassen, ob gerade auch im Blick auf das<br />

vorhergegangene Erschleichen von DNA-Material des Angeklagten G. <strong>und</strong> nachfolgende Unkorrektheiten bei den<br />

weiteren polizeilichen Ermittlungen aus einer Gesamtschau aller Rechtsverstöße die Annahme einer gr<strong>und</strong>legenden<br />

Vernachlässigung von Richtervorbehalten durch die Polizeibeamten <strong>und</strong> – daraus abgeleitet – deren vorsätzlicher<br />

Missachtung in jedem Einzelfall zu rechtfertigen wäre. Da der Senat die Bewertung der Durchsuchung vom 16. Februar<br />

2004 offen gelassen hat, stützt er sich nicht auf diese Gesamtschau, wie sie das Landgericht vorgenommen hat.<br />

Er kann den Feststellungen des Landgerichts jedoch entnehmen, dass jedenfalls der ermittelnde Staatsanwalt – mag<br />

er auch möglicherweise von der Polizei in gewisser Weise instrumentalisiert worden sein – objektiv willkürlich eine<br />

Wohnungsdurchsuchung ohne richterliche Anordnung gestattet <strong>und</strong> damit den Richtervorbehalt bewusst ignoriert<br />

oder gleichgewichtig gröblich missachtet hat. Solches ergibt die Gesamtschau folgender Umstände (UA S. 21): Dem<br />

vom Landgericht als Zeugen vernommenen Staatsanwalt war – selbstverständlich – der Richtervorbehalt bekannt.<br />

Bei der Erörterung der Festnahme des G. hatte er an eine Durchsuchung aber „nicht gedacht“ <strong>und</strong> auf die zeitliche<br />

Diskrepanz zwischen Festnahme <strong>und</strong> Durchsuchung der Wohnung „nicht geachtet“. Selbst zum Zeitpunkt des Erlasses<br />

der Durchsuchungsanordnung – eine St<strong>und</strong>e vor Beginn der Nachtzeit im Sinn des § 104 Abs. 3 StPO – war es<br />

nicht von vornherein aussichtslos, zumindest noch eine fernmündliche Genehmigung eines Ermittlungsrichters (vgl.<br />

BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 5) zu erreichen (vgl. BVerfG – Kammer – StV 2006, 676; AG Tiergarten<br />

in Berlin StraFo 2007, 73, 74; Meyer-Goßner aaO § 105 Rdn. 2). Eine solche einzuholen, hat der Staatsanwalt aber<br />

weder erwogen, noch hat er die Voraussetzungen der von ihm in Anspruch genommenen Eilkompetenz dokumentiert<br />

(vgl. BVerfG – Kammer – NJW 2005, 1637, 1639; BGHSt 47, 362, 366; BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung<br />

53


5). Der Staatsanwalt hat ferner gegen die ihm obliegende Pflicht verstoßen, für die Rechtmäßigkeit des Ermittlungsverfahrens<br />

<strong>und</strong> damit für die Einhaltung des Richtervorbehalts durch die Polizei Sorge zu tragen (vgl. Meyer-Goßner<br />

aaO § 160 Rdn. 1 m.w.N.). Damit ist er seiner Funktion als Herr des Ermittlungsverfahrens nicht gerecht geworden,<br />

wie seiner Bek<strong>und</strong>ung vor dem Landgericht zu entnehmen ist, die Polizei ermittele „autark“ (UA S. 21), so dass er<br />

sich mithin um Rechtsverstöße der in seinem Verfahren ermittelnden Hilfsbeamten nicht zu kümmern habe. Ein<br />

Staatsanwalt, der – wie hier – seine gegenüber den ermittelnden Polizeibeamten bestehende Leitungsfunktion so<br />

weitgehend ignoriert, was zu einer Ausschaltung des Ermittlungsrichters über einen Zeitraum von zweieinhalb St<strong>und</strong>en<br />

geführt hat, <strong>und</strong> der sich – ohne die Anrufung eines Ermittlungsrichters auch nur zu erwägen – sachlich unbegründet<br />

<strong>und</strong> ohne Dokumentation auf seine Eilkompetenz beruft, missachtet den Richtervorbehalt bewusst oder verkennt<br />

ihn in gleichgewichtiger Weise gröblich. Solches rechtfertigt – mangels besonderer ermittlungsbezogener<br />

Umstände (vgl. BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 4) – das vom Landgericht angenommene Beweisverwertungsverbot.<br />

(4) Dem – für andere Fallgestaltungen zur Einschränkung der Annahme von Beweisverwertungsverboten entwickelten<br />

– Aspekt eines möglichen hypothetischen rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs (vgl. BGHSt 31, 304, 306; BGH<br />

NStZ 1989, 375, 376; BGHR StPO § 105 Durchsuchung 4; Roxin, Strafverfahrensrecht aaO S. 182 Rdn. 21) kann<br />

bei solcher Verkennung des Richtervorbehalts keine Bedeutung zukommen (vgl. schon BGHSt 31 aaO; Roxin aaO<br />

S. 182 f. Rdn. 21; Gössel aaO Rdn. 178). Die Einhaltung der durch Art. 13 Abs. 2 GG <strong>und</strong> § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO<br />

festgelegten Kompetenzregelung könnte bei Anerkennung des hypothetischen rechtmäßigen Ersatzeingriffs in diesen<br />

Fällen stets unterlaufen (vgl. Schäfer aaO § 105 Rdn. 117) <strong>und</strong> der Richtervorbehalt sogar letztlich sinnlos werden<br />

(Roxin, Strafverfahrensrecht aaO S. 183 Rdn. 21 m.w.N.). Bei Duldung grober Missachtungen des Richtervorbehalts<br />

entstünde gar ein Ansporn, die Ermittlungen ohne Ermittlungsrichter einfacher <strong>und</strong> möglicherweise erfolgversprechender<br />

zu gestalten (vgl. Roxin NStZ 1995, 465, 467 f.). Damit würde ein wesentliches Erfordernis eines rechtstaatlichen<br />

Ermittlungsverfahrens aufgegeben, dass Beweise nicht unter bewusstem Rechtsbruch oder gleichgewichtiger<br />

Rechtsmissachtung erlangt werden dürfen (vgl. Roxin NStZ 1989, 376, 379; ders. Strafverfahrensrecht aaO S.<br />

193 Rdn. 46).<br />

(5) Ob vorliegend der Gesichtspunkt einer fehlenden Berührung des Rechtskreises des Angeklagten (vgl.<br />

BGHSt[GS] 11, 213, 215 f.; BGHSt 22, 35, 38; 40, 211, 214 f.) der Anerkennung eines Verwertungsverbotes entgegenstehen<br />

könnte, bedarf keiner Vertiefung (vgl. dazu Gössel aaO Rdn. 38 ff.). Der Angeklagte war zur Zeit der<br />

Durchsuchung ersichtlich berechtigter Mitnutzer der Wohnung des Zo. (vgl. Blank in Schmidt-Futterer, Mietrecht 8.<br />

Aufl. § 540 Rdn. 32; Teichmann in Jauernig, BGB 11. Aufl. § 535 Rdn. 12; jeweils m.w.N.) <strong>und</strong> damit in den<br />

Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG einbezogen (vgl. BVerfGE 109, 279, 326).<br />

(6) Der Senat kann ferner die Beantwortung der Frage dahingestellt sein lassen, ob das angenommene Verwertungsverbot<br />

einen Widerspruch des Verteidigers in der Hauptverhandlung vorausgesetzt hätte (vgl. Gössel aaO Rdn. 33<br />

<strong>und</strong> 174) – was herrschender Tendenz der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs entspräche (vgl. BGHR StPO §<br />

100a Verwertungsverbot 11; BGHSt 50, 206, 215 f.; 51, 1; Gössel aaO Rdn. 29 m.w.N.), die indes jenseits der Fälle<br />

von dem Rechtsverstoß berührter Verteidigungsrechte, deren effektive Verletzung der Betroffene selbst optimal<br />

beurteilen kann <strong>und</strong> die uneingeschränkt seiner Disponibilität unterliegen, zu hinterfragen wäre – oder ob sich solches<br />

im Blick auf die betroffenen, für den Angeklagten nicht zweifelsfrei umfassend disponiblen Rechtsgüter verbieten<br />

würde (vgl. BGHSt 51, 1, 3). Die Revision der Staatsanwaltschaft kann jedenfalls aus solchen Erwägungen nicht<br />

erfolgreich sein, weil zur Frage, ob <strong>und</strong> wie der Verwertung der Beweismittel, die sich zu dem Ergebnis der Durchsuchung<br />

der Wohnung des Zo. verhalten, widersprochen worden ist, nichts vorgetragen ist (vgl. BGHR StPO § 100a<br />

Verwertungsverbot 11).<br />

cc) Gegen die gef<strong>und</strong>ene Rechtsauffassung kann nicht mit Erfolg geltend gemacht werden, der Schutz der Volksges<strong>und</strong>heit<br />

– bei dem hier objektiv vorliegenden Verbrechen gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG – <strong>und</strong> die Pflicht des<br />

Rechtsstaats zur effektiven Strafverfolgung (vgl. hierzu BGHSt[GS] 42, 139, 157; Landau NStZ 2007, 121, 128 f.)<br />

werde so vernachlässigt. Das sichergestellte Rauschgift unterliegt gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 BtMG, § 76a Abs. 1<br />

StGB der Einziehung. Es wird dem illegalen Rauschgiftmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen. Die Sorge um einen<br />

Effektivitätsverlust wird vorliegend – jenseits erhobener gr<strong>und</strong>sätzlicher Einwendungen gegen diesen Aspekt (vgl.<br />

Roxin NStZ 1997, 18, 20) – schon deshalb relativiert, weil bei Duldung eines bewussten oder gleichgewichtig<br />

schweren Rechtsbruchs durch Ermittlungsbeamte ein Ansehensverlust des rechtsstaatlichen Ermittlungsverfahrens<br />

bei der rechtstreuen Bevölkerung zu befürchten wäre, den es zu verhindern gilt <strong>und</strong> der seinerseits etwa durch verändertes<br />

Anzeige- oder Aussageverhalten infolge schwindenden Vertrauens in die Lauterkeit der Ermittlungsorgane zu<br />

Effektivitätsverlusten führen könnte. Ferner wird die Bedeutung des Beweismittelverlustes durch Annahme eines<br />

Verwertungsverbots hier dadurch gemindert, dass zur Überführung des Angeklagten andere, im Allgemeinen erfolgversprechende<br />

Ermittlungsmethoden (Maßnahmen nach §§ 100a, 100c a.F. StPO) angewandt werden konnten, deren<br />

54


Ergebnisse indes nur im vorliegenden Einzelfall – ohne dass solches von der Revisionsführerin beanstandet worden<br />

wäre – zur Überzeugungsbildung des Landgerichts nicht ausgereicht haben.<br />

dd) Der Senat ist nicht zu einer Anfrage gemäß § 132 Abs. 2 GVG genötigt. Die Erwägungen des 2. Strafsenats<br />

(NStZ 1989, 375, 376) zum hypothetischen Ersatzeingriff waren für die Entscheidung nicht tragend (vgl. Roxin<br />

NStZ 1989, 376, 378). Die gef<strong>und</strong>ene Rechtsauffassung stimmt mit der vom 1. Strafsenat (BGHR StPO § 105 Abs. 1<br />

Durchsuchung 4) vertretenen überein.<br />

4. Die die Verurteilung des Angeklagten R. betreffenden Revisionen sind ebenfalls unbegründet. Das Landgericht<br />

hat sich auf Gr<strong>und</strong> einer wertenden Betrachtung aller Tatumstände angesichts des Gewinnstrebens des R. , seiner<br />

Tatinitiative <strong>und</strong> seines vorgesehenen vorübergehenden Besitzes des Rauschgifts von einem mittäterschaftlichen<br />

Mitwirken des Angeklagten überzeugt. Die Annahme nur eines (untauglichen) Versuchs begegnet keinen Bedenken,<br />

weil der Angeklagte seine Kuriertätigkeit zu einem Zeitpunkt ausführen sollte, als das zu transportierende Rauschgift<br />

durch polizeilichen Aufgriff bereits aus der Bunkerwohnung entfernt <strong>und</strong> dadurch der Verfügungsmacht des Auftraggebers<br />

des Angeklagten entglitten war (vgl. BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 1; BGHSt[GS] 50,<br />

252, 263). Auch gegen den Rechtsfolgenausspruch können Bedenken nicht erhoben werden.<br />

StPO § 110a – Ausländische Polizeibeamte als Verdeckte Ermittler im Inland sind V-Personen<br />

BGH, Beschl. vom 20.06.2007 – 1 StR 251/07<br />

Solange es keine gesetzliche Regelung gibt, die Polizeibeamte einer ausländischen Behörde ausdrücklich<br />

Beamten im Sinne der §§ 2, 35 ff. BRRG gleichstellt, richtet sich deren verdeckter Einsatz<br />

nicht nach den Vorschriften der §§ 110a ff. StPO. Verdeckt ermittelnde Beamte des ausländischen<br />

Polizeidienstes sind deshalb zu behandeln wie von der Polizei eingesetzte Vertrauenspersonen.<br />

1. Auf die Revisionen der Angeklagten Dr. B. <strong>und</strong> D. V. wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 30. November<br />

2006 - auch soweit es den Mitangeklagten Da. B. betrifft - im Ausspruch über die Einziehung von bei den<br />

Angeklagten sichergestellten Gegenständen dahin ergänzt <strong>und</strong> neu gefasst, dass 145,06 g Kokain, 4.603 g Streckmittel,<br />

die bei dem Angeklagten Dr. B. sichergestellten Mobiltelefone der Marken Samsung SGH-E 810, Nokia 2600,<br />

Motorola <strong>und</strong> Sagem, die bei dem Angeklagten D. V. sichergestellten Mobiltelefone der Marken Motorola E 1000,<br />

Panasonic EBGD 87, Nokia 7650 <strong>und</strong> Sony, die bei dem Angeklagten Da. B. sichergestellten Mobiltelefone der<br />

Marken Nokia 3100, Samsung SGH-X 48, Samsung E 700 IMEI, Nokia 8310, Motorola, Siemens C 60, Samsung<br />

SGH-A 800 sowie die bei dem Angeklagten Dr. B. sichergestellte Handgranate, Typ M75, eingezogen werden.<br />

2. Im Übrigen werden die Revisionen der Angeklagten Dr. B. <strong>und</strong> D. V. verworfen.<br />

3. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten Dr. B. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht<br />

geringer Menge in vier Fällen, davon in einem Fall bandenmäßig, sowie wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz<br />

zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten, den Angeklagten D. V. wegen<br />

unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in elf Fällen, davon in zwei Fällen bandenmäßig,<br />

zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren sowie den nicht revidierenden Angeklagten Da. B. wegen<br />

unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln <strong>und</strong> unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht<br />

geringer Menge in vier Fällen unter Einbeziehung einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei<br />

Jahren verurteilt. Des Weiteren hat es den Verfall von Wertersatz sowie die Einziehung der „sichergestellten Betäubungsmittel<br />

<strong>und</strong> Streckmittel“, der „sichergestellten Mobiltelefone der Angeklagten “sowie der sichergestellten<br />

Handgranate“ angeordnet. Der Angeklagte V. erhebt eine Verfahrensrüge. Zudem wenden sich beide Angeklagte mit<br />

der Sachrüge gegen das Urteil. Die Rechtsmittel haben im Wesentlichen keinen Erfolg.<br />

I. Der Angeklagte V. macht in den Fällen II. 5 (Fall 3, 5. Unterfall der Anklageschrift vom 11. April 2006) <strong>und</strong> II. 7<br />

(Fall 4, 2. Unterfall der Anklage) der Urteilsgründe ein Beweisverwertungsverbot geltend. Das Landgericht habe<br />

Erkenntnisse im Zusammenhang mit dem unzulässigen Einsatz eines „vermeintlich Verdeckten Ermittlers“ zu seinen<br />

Lasten verwertet. Die Rüge bleibt erfolglos. Nach den Urteilsgründen hat das Landgericht seine Überzeugung von<br />

der Täterschaft des Angeklagten V. in diesen beiden Fällen - ebenso wie in den anderen, in denen der Angeklagte V.<br />

verurteilt wurde - nicht auf Erkenntnisse des von den deutschen Behörden eingesetzten, verdeckt ermittelnden Beamten<br />

eines ausländischen Polizeidienstes gestützt. Vielmehr hat es seine Überzeugungsbildung in beiden Fällen in<br />

erster Linie auf die Angaben des Zeugen Vu. sowie im Fall II. 7 zusätzlich auf die des observierenden Zeugen L.<br />

55


gestützt (UA S. 49 f. <strong>und</strong> S. 54 ff.). Soweit in die Beweiswürdigung im Fall II. 7 des Urteils SMS <strong>und</strong> Wortprotokolle<br />

von Telefonüberwachungsmaßnahmen eingeführt wurden, handelt es sich ausschließlich um solche, an denen der<br />

von den deutschen Behörden eingesetzte ausländische „Verdeckte Ermittler“ nicht beteiligt war. Die Taten, an denen<br />

der in Deutschland eingesetzte ausländische Polizeibeamte beteiligt war <strong>und</strong> die Gegenstand der Hauptverhandlung<br />

waren, betrafen Fälle 5, 3. Unterfall <strong>und</strong> 7, 1. <strong>und</strong> 2. Unterfall der Anklageschrift vom 11. April 2006, mithin die<br />

Fälle II. 12, 14 <strong>und</strong> 15 der Urteilsgründe, in denen der Anklagte V. nicht verurteilt wurde. Den in der Hauptverhandlung<br />

gewonnenen Erkenntnissen im Zusammenhang mit dem von den deutschen Behörden eingesetzten ausländischen<br />

Polizeibeamten kam somit für die Verurteilung des Angeklagten V. - anders als für die des nicht revidierenden<br />

Da. B. - keine Bedeutung zu. Unabhängig davon hätte kein Beweisverwertungsverbot vorgelegen. Es beschwert den<br />

Angeklagten nicht, dass die Staatsanwaltschaft beim Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Konstanz die Zustimmung<br />

zum Einsatz von bis zu drei Verdeckten Ermittlern, unter denen auch bis zu zwei ausländische Polizeibeamte sein<br />

durften, eingeholt hat. Ohne Rechtsfehler hat es das Landgericht in seinem Beschluss vom 15. Oktober 2006 dahingestellt<br />

sein lassen, ob ein ausländischer Polizeibeamter überhaupt als Verdeckter Ermittler nach § 110a StPO eingesetzt<br />

werden konnte. Verdeckte Ermittler sind gemäß § 110a Abs. 2 StPO nur Beamte im Sinne der §§ 2, 35 ff.<br />

BRRG (vgl. Schäfer in Löwe/ Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 110a Rdn. 12; Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 110a<br />

Rdn. 3). Dies verlangen nicht nur die besondere Ermittlungstätigkeit <strong>und</strong> die damit einhergehende Gefährdung, sondern<br />

auch die erforderliche straffe Führung sowie die wirksame, auch disziplinarrechtliche Dienstaufsicht über den<br />

Verdeckten Ermittler (vgl. BTDrucks. 12/989 S. 42). Solange es keine gesetzliche Regelung gibt, die Polizeibeamte<br />

einer ausländischen Behörde ausdrücklich Beamten im Sinne der §§ 2, 35 ff. BRRG gleichstellt, richtet sich deren<br />

verdeckter Einsatz nicht nach den Vorschriften der §§ 110a ff. StPO (vgl. Nack in KK 5. Aufl. § 110a Rdn. 5). Die<br />

hier erteilte richterliche Zustimmung zum Einsatz als „Verdeckter Ermittler“ war somit nicht erforderlich. Verdeckt<br />

ermittelnde Beamte des ausländischen Polizeidienstes sind deshalb zu behandeln wie von der Polizei eingesetzte<br />

Vertrauenspersonen. Wurde für ihren Einsatz dennoch eine richterliche Zustimmung - wie vorliegend - eingeholt, so<br />

kann die Verwertbarkeit der Angaben der Vertrauensperson oder sonstiger daraus resultierender Beweismittel nicht<br />

durch einen möglichen Fehler des Zustimmungsbeschlusses des Ermittlungsrichters beeinträchtigt sein.<br />

II. Die Überprüfung des Urteils aufgr<strong>und</strong> der Sachrüge der beiden Angeklagten hat weder im Schuldspruch noch im<br />

Strafausspruch einen die Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben.<br />

III. Der Senat vermag dem Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts nicht zu folgen, im Wege der Berichtigung des Tenors<br />

einen höheren Verfall von Wertersatz anzuordnen, weil sich aus den Urteilsgründen möglicherweise ein Rechenfehler<br />

ergibt. Es muss bei der aus dem Urteilstenor ersichtlichen <strong>und</strong> verkündeten Höhe verbleiben (vgl. BGH, Beschl.<br />

vom 17. Dezember 1999 - 1 StR 630/99).<br />

IV. Über die Einziehung der im Tenor des angefochtenen Urteils nicht ausreichend bezeichneten Gegenstände hatte<br />

der Senat - wie im Einzelnen aus dem Tenor ersichtlich - neu zu entscheiden. Sind Gegenstände einzuziehen, ist es<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich tunlich, die Gegenstände in der Urteilsformel oder, sofern es sich um eine Vielzahl von Gegenständen<br />

handelt, jedenfalls in einer Anlage hierzu (vgl. BGHSt 9, 88, 90) so konkret zu bezeichnen, dass für die Beteiligten<br />

<strong>und</strong> die Vollstreckungsbehörde Klarheit über den Umfang der Einziehung geschaffen ist. Bei der Einziehung von<br />

Betäubungsmitteln gehört dazu auch die Angabe von Art <strong>und</strong> Menge des einzuziehenden Rauschgifts, die sich aus<br />

dem Urteilstenor ergeben muss. Diesen Anforderungen wird die Kennzeichnung der einzuziehenden Gegenstände in<br />

der Urteilsformel nicht vollständig gerecht. Dem Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts, das Urteil deshalb im Ausspruch<br />

über die Einziehung aufzuheben, brauchte der Senat jedoch nicht zu folgen. Der Senat kann gemäß § 354 Abs. 1<br />

StPO die Entscheidung selbst treffen, wenn die Urteilsgründe die erforderlichen Angaben enthalten (vgl. BGHSt 26,<br />

258, 266; BGH, Beschl. vom 5. Dezember 1991 - 1 StR 719/91; BGH, Beschl. vom 13. Februar 2004 - 3 StR 501/03;<br />

BGH, Beschl. vom 28. November 2006 - 4 StR 404/06; BGH, Beschl. vom 25. April 2007 - 2 StR 86/07). Soweit die<br />

Einziehung der „sichergestellten Betäubungsmittel“ angeordnet worden ist, die das Landgericht zutreffend auf § 33<br />

Abs. 2 BtMG gestützt hat, enthalten die Urteilsgründe die bei Betäubungsmitteln erforderlichen Angaben über deren<br />

Art <strong>und</strong> Menge, so dass der Senat die konkrete Bezeichnung der einzuziehenden Gegenstände insoweit nachholen<br />

kann. Gleiches gilt für die nach den insoweit getroffenen Feststellungen ebenfalls rechtlich nicht zu beanstandende<br />

Einziehung der bei dem Angeklagten Dr. B. sichergestellten Handgranate gemäß § 24 Abs. 1 Kriegswaffenkontrollgesetz.<br />

Auch in Bezug auf die Anordnung der Einziehung der "sichergestellten Streckmittel <strong>und</strong> der zu den Taten<br />

benutzten sichergestellten Mobiltelefone der Angeklagten“ enthalten die Urteilsgründe unter Berücksichtigung der<br />

Verzeichnisse der Beweisstücke noch die erforderlichen Angaben, damit der Senat selbst Klarheit über den Umfang<br />

der Einziehung schaffen kann. Hinsichtlich der Streckmittel konnte die Einziehung unabhängig von der Eigentümerstellung<br />

erfolgen, da die konkrete Gefahr besteht, dass sie der Begehung rechtswidriger Taten dienen werden, § 74<br />

Abs. 1 <strong>und</strong> 2 Nr. 2 StGB. Die Einziehungsentscheidung war gemäß § 357 StPO auch auf den nicht revidierenden<br />

Angeklagten Da. B. zu erstrecken.<br />

56


StPO § 136 Abs. 1, § 136 a Abs. 1, § 110 a Abs. 1 Verwertungsverbot, wenn verdeckter Ermittler<br />

den gegenüber Polizei schweigenden Beschuldigten zur scheinbar vertraulichen Äußerung gedrängt<br />

hat.<br />

BGH, Urt. vom 26.07.2007 - 3 StR 104/07 = JR 2007, xxx mit Anm. Renzikowski<br />

Ein Verdeckter Ermittler darf einen Beschuldigten, der sich auf sein Schweigerecht berufen hat,<br />

nicht unter Ausnutzung eines geschaffenen Vertrauensverhältnisses beharrlich zu einer Aussage<br />

drängen <strong>und</strong> ihm in einer vernehmungsähnlichen Befragung Äußerungen zum Tatgeschehen entlocken.<br />

Eine solche Beweisgewinnung verstößt gegen den Gr<strong>und</strong>satz, dass niemand verpflichtet ist,<br />

sich selbst zu belasten, <strong>und</strong> hat regelmäßig ein Beweisverwertungsverbot zur Folge.<br />

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 22. August 2006 wird<br />

verworfen.<br />

Die Kosten des Rechtsmittels <strong>und</strong> die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die<br />

Staatskasse.<br />

2. Auf die Revision des Angeklagten wird das oben bezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben.<br />

Die Sache wird zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels <strong>und</strong> die der Nebenklägerin<br />

dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit To-desfolge zu einer Freiheitsstrafe von acht<br />

Jahren verurteilt <strong>und</strong> gegen ihn unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einem rechtskräftigen Urteil eine Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von neun Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verhängt. Hiergegen wen-den sich die Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> der<br />

Angeklagte mit ihren Revisionen.<br />

A. Revision der Staatsanwaltschaft<br />

Die Revision der Staatsanwaltschaft, die mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts die Ablehnung eines bedingten<br />

Tötungsvorsatzes angreift, ist aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts<br />

offensichtlich unbegründet.<br />

B. Revision des Angeklagten<br />

Die vom Angeklagten zulässig erhobene Verfahrensrüge führt zur Aufhe-bung des Urteils.<br />

I. Nach den Feststellungen betäubte der Angeklagte am 1. August 2002 in seiner Wohnung auf Mallorca ein 15 Jahre<br />

altes Mädchen, das danach ver-starb. Von zentraler Bedeutung für die Beweiswürdigung der Strafkammer zur Täterschaft<br />

des Angeklagten waren dessen Angaben gegenüber einem Ver-deckten Ermittler <strong>und</strong> seine Aussagen in einer<br />

anschließend von Kriminalbeam-ten durchgeführten Beschuldigtenvernehmung. Mit seiner Verfahrensrüge macht<br />

der Angeklagte geltend, dass diese Angaben unverwertbar seien. Ihr liegt folgender Sachverhalt zu Gr<strong>und</strong>e:<br />

Im Januar 2003 leitete die Staatsanwaltschaft gegen den Angeklagten, der sich zu dieser Zeit in anderer Sache in<br />

Strafhaft befand, ein Ermittlungsver-fahren wegen Mordverdachts ein. Der Angeklagte, der durch Presseberichte von<br />

dem gegen ihn bestehenden Verdacht erfahren hatte, bestritt gegenüber einem Kriminalbeamten die Tat <strong>und</strong> teilte<br />

mit, er werde auf Anraten seines Ver-teidigers von seinem Schweigerecht Gebrauch machen <strong>und</strong> erst nach Akteneinsicht<br />

umfassend aussagen. Zu einer förmlichen Vernehmung des Angeklag-ten kam es zunächst nicht.<br />

Nachdem sich der gegen den Angeklagten bestehende Verdacht trotz umfangreicher polizeilicher Ermittlungen nicht<br />

hatte erhärten lassen <strong>und</strong> weitere erfolgversprechende Ermittlungsansätze nicht bestanden, genehmigte das Amtsgericht<br />

auf Antrag der Staatsanwaltschaft mit Beschluss vom 28. Oktober 2003 den Einsatz eines Verdeckten Ermittlers.<br />

Die Genehmigung wurde mehr-fach verlängert. Aufgr<strong>und</strong> der Beschlüsse wurde vom 16. Dezember 2003 bis 7.<br />

Januar 2005 ein Verdeckter Ermittler gegen den Angeklagten eingesetzt. Ein erster Gesprächskontakt fand im Rahmen<br />

eines arrangierten Gefangenentrans-portes statt. In der Folgezeit besuchte der Verdeckte Ermittler den Angeklagten<br />

bis Anfang Januar 2005 dreizehnmal in der Justizvollzugsanstalt. Später beglei-tete er ihn auf zwei Ausgängen<br />

sowie zwei eintägigen Hafturlauben, die auf Ini-tiative der Strafverfolgungsorgane bewilligt worden waren. Im<br />

Laufe der Zeit fasste der Angeklagte Vertrauen zu dem Verdeckten Ermittler. Dieser war seine einzige Kontaktperson<br />

außerhalb der Justizvollzugsanstalt; als solche benötigte der Angeklagte ihn auch für Vollzugslockerungen. Der<br />

Angeklagte erzählte dem Verdeckten Ermittler von den gegen ihn geführten Ermittlungen sowie den ihn belastenden<br />

Indizien <strong>und</strong> überließ ihm Kopien der Ermittlungsakten zur Ein-sichtnahme. Dabei bestritt er, die Tat begangen zu<br />

haben.<br />

57


Anfang 2005 wurde dem Angeklagten ein einwöchiger Hafturlaub bewil-ligt. In diesem Urlaub, den er in einer ihm<br />

vom Verdeckten Ermittler zur Verfü-gung gestellten Wohnung verbrachte, sprach dieser ihn am 6. Januar 2005 gezielt<br />

auf den Tatvorwurf an. In einem teilweise erregt geführten Gespräch be-drängte der Verdeckte Ermittler den<br />

Angeklagten unter Hinweis auf das zwi-schen ihnen bestehende Vertrauensverhältnis, wahrheitsgemäße Angaben zu<br />

machen. Der Angeklagte, der sich im Hinblick auf die weitere Haftzeit <strong>und</strong> ge-plante gemeinsame Geschäfte das<br />

Vertrauen des Verdeckten Ermittlers erhal-ten wollte, räumte schließlich seine Täterschaft ein. Er schilderte auf<br />

zahlreiche Nachfragen des Verdeckten Ermittlers Einzelheiten des Tatgeschehens, das er allerdings beschönigend<br />

darstellte, <strong>und</strong> beschrieb insbesondere detailliert die Beseitigung der Leiche sowie der Tatspuren. Am nächsten Tag<br />

ergänzte er sei-ne Angaben. Die Gespräche wurden auf der Gr<strong>und</strong>lage von Beschlüssen des Amtsgerichts abgehört<br />

<strong>und</strong> auf Tonträgern aufgezeichnet.<br />

Nachdem der am 7. Januar 2004 vorläufig festgenommene Angeklagte über den Einsatz des Verdeckten Ermittlers<br />

<strong>und</strong> die Gesprächsaufzeichnungen informiert worden war, machte er nach Belehrung über seine Rechte als Beschuldigter<br />

in einer förmlichen Vernehmung im Wesentlichen dieselben Anga-ben wie gegenüber dem Verdeckten<br />

Ermittler. Vor der Vernehmung hatte ein Kriminalbeamter dessen Vorgehen als rechtlich einwandfrei <strong>und</strong> die dabei<br />

er-langten selbstbelastenden Äußerungen als gerichtsverwertbar bezeichnet.<br />

In der Hauptverhandlung hat die Verteidigung einer Verwertung der An-gaben des Angeklagten gegenüber dem<br />

Verdeckten Ermittler <strong>und</strong> bei der Be-schuldigtenvernehmung widersprochen. Das Landgericht hat den Widerspruch<br />

zurückgewiesen.<br />

II. Die Rüge, dass die Angaben des Angeklagten gegenüber dem Ver-deckten Ermittler <strong>und</strong> seine Aussagen in der<br />

anschließenden Beschuldigtenver-nehmung nicht hätten verwertet werden dürfen, ist begründet.<br />

1. Nicht zu beanstanden ist allerdings, dass gegen den Angeklagten ein Verdeckter Ermittler eingesetzt worden ist.<br />

Die Voraussetzungen für den Ein-satz lagen unter den gegebenen Umständen vor (§ 110 a Abs. 1 Satz 4 StPO). Die<br />

nach § 110 b Abs. 2 Nr. 1 StPO erforderliche richterliche Zustimmung war eingeholt worden.<br />

Dementsprechend sind im Gr<strong>und</strong>satz die von dem eingesetzten Verdeck-ten Ermittler gewonnenen Erkenntnisse<br />

verwertbar. Es hätten etwa keine Be-denken bestanden gegen die Verwertung von Wahrnehmungen, die dieser bei<br />

Begegnungen mit dem Angeklagten gemacht, oder von Beweismitteln, die er im Rahmen seines Einsatzes gef<strong>und</strong>en<br />

hätte. Insbesondere hätten auch der Ver-wertung von Äußerungen des Angeklagten keine rechtlichen Hinder- nisse<br />

entgegengestanden, die dieser - jedenfalls außerhalb bestimmter Haftsi-tuationen (vgl. dazu BGHSt 34, 362; 44, 129)<br />

- aufgr<strong>und</strong> des von dem Verdeck-ten Ermittler geschaffenen Vertrauensverhältnisses diesem gegenüber von sich aus<br />

gemacht hätte. Dass ein Verdeckter Ermittler nicht gehalten ist, den Be-schuldigten, gegen den er eingesetzt ist, über<br />

sein Schweigerecht zu belehren, wenn dieser dazu ansetzt, über die Tat zu berichten, versteht sich aus dem Wesen<br />

des von der Strafprozessordnung zugelassenen Einsatzes von Verdeck-ten Ermittlern <strong>und</strong> begegnet auch mit Blick<br />

auf die verfassungsmäßigen <strong>und</strong> prozessualen Rechte des Beschuldigten keinen Bedenken. Solange der Ver-deckte<br />

Ermittler den Beschuldigten zu selbstbelastenden Äußerungen nicht drängt oder ihm solche nicht in anderer Weise -<br />

insbesondere durch gezielte Befragungen - entlockt, dürfen diese verwertet werden. Jedenfalls unter diesen Voraussetzungen<br />

ist bei wertender Betrachtung die Situation keine andere, als wenn der Beschuldigte sich einem Fre<strong>und</strong>,<br />

Bekannten oder sonstigen Dritten, denen er sein Vertrauen schenkt, in der irrigen Annahme offenbart, dieser wer-de<br />

die belastenden Informationen für sich behalten <strong>und</strong> nicht an die Strafverfol-gungsbehörden weitergeben.<br />

2. <strong>Verfahrensrecht</strong>lich unzulässig wurde der Einsatz des Verdeckten Er-mittlers hier dadurch, dass er den Angeklagten,<br />

der sich für das Schweigen zum Tatvorwurf entschieden <strong>und</strong> dies einem Polizeibeamten mitgeteilt hatte, unter<br />

Ausnutzung des geschaffenen Vertrauens zu einer Aussage gedrängt <strong>und</strong> in einer vernehmungsähnlichen Weise zu<br />

den Einzelheiten befragt hatte.<br />

a) Ein solches Verhalten beinhaltet allerdings keinen Verstoß gegen §§ 163 a, 136 Abs. 1 StPO. Diese Vorschriften<br />

sind nicht unmittelbar anwend-bar, weil zum Begriff der Vernehmung im Sinne der Strafprozessordnung ge-hört,<br />

dass der Vernehmende der Auskunftsperson (also dem Beschuldigten, Zeugen oder dem Sachverständigen) in amtlicher<br />

Funktion gegenübertritt <strong>und</strong> in dieser Eigenschaft von ihr Auskunft (eine "Aussage") verlangt (BGHSt 42, 139,<br />

145 f. - Großer Senat für Strafsachen). Sie sind nach ihrem Sinn <strong>und</strong> Zweck, den Beschuldigten vor der irrtümlichen<br />

Annahme einer Aussagepflicht zu bewahren, auch nicht entsprechend anzuwenden. Mit der Erwägung, es handle<br />

sich um eine "vernehmungsähnliche Situation", lässt sich eine entspre-chende Anwendung nicht rechtfertigen<br />

(BGHSt 42, 139, 146 ff. - GS). Schließ-lich stellt sich das in Frage stehende Verhalten des Verdeckten Ermittlers<br />

auch nicht als eine unzulässige Umgehung der §§ 163 a, 136 Abs. 1 StPO dar (vgl. näher BGHSt 42, 139, 148 f. -<br />

GS).<br />

b) Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers sind seine Angaben gegenüber dem Verdeckten Ermittler auch nicht<br />

nach § 136 a Abs. 3 Satz 2 StPO unverwertbar. In der das Ermittlungsinteresse nicht aufdeckenden Befra-gung durch<br />

den Verdeckten Ermittler liegt kein Verstoß gegen die - unmittelbar oder entsprechend angewandte - Regelung der<br />

58


§§ 163 a Abs. 3, 136 a Abs. 1 StPO. Das ergibt sich aus einer systematischen, die anderen in § 136 a Abs. 1 StPO<br />

aufgeführten verbotenen Mittel berücksichtigenden Betrachtung. Mit der Beeinträchtigung der Willensentschließungsfreiheit<br />

durch Misshandlung, Ermü-dung, körperlichen Eingriff, Verabreichung von Mitteln oder Quälerei lässt<br />

sich eine verdeckte Befragung des Beschuldigten nicht vergleichen (vgl. BGHSt 42, 139, 149 - GS).<br />

c) Schließlich lässt sich die Unzulässigkeit der Befragung des Angeklag-ten zum Tatvorwurf durch den Verdeckten<br />

Ermittler auch nicht mit der Erwä-gung begründen, dass das Bild der Vernehmung des Beschuldigten nach der Strafprozessordnung<br />

das eines offenen, den amtlichen Charakter der Befra-gung <strong>und</strong> das Ermittlungsinteresse offenbarenden<br />

Vorgangs ist. Indem die Strafprozessordnung etwa vorschreibt, dass der Beschuldigte zu seiner Ver-nehmung<br />

schriftlich zu laden ist, dass ihm zu Beginn seiner Vernehmung zu eröffnen ist, welche Tat ihm zur Last gelegt wird,<br />

<strong>und</strong> dass er über seine Aus-sagefreiheit zu belehren ist, untersagt sie den Strafverfolgungsbehörden nicht zugleich<br />

(mittelbar) jede andere Art <strong>und</strong> Weise der "Kommunikation mit einem Tatverdächtigen". Die Ausgestaltung der<br />

Vernehmung als eines "offenen" Vor-gangs durch die Strafprozessordnung ist nicht Ausdruck eines dem Gesetz als<br />

allgemeines Prinzip zugr<strong>und</strong>eliegenden Gr<strong>und</strong>satzes, nach dem Ermittlungen <strong>und</strong> speziell Befragungen des Beschuldigten<br />

nicht heimlich, das heißt ohne Aufdeckung der Ermittlungsabsicht, erfolgen dürften (BGHSt 42, 139, 149 ff. -<br />

GS - mit näherer Begründung).<br />

d) Unter den hier gegebenen Umständen verstößt die Befragung des Angeklagten zu den Tatvorwürfen durch den<br />

Verdeckten Ermittler aber gegen den Gr<strong>und</strong>satz, dass niemand verpflichtet ist, zu seiner eigenen Überführung beizutragen,<br />

insbesondere sich selbst zu belasten ("nemo tenetur se ipsum accusare").<br />

aa) Die Selbstbelastungsfreiheit (vgl. BGHSt 42, 139, 151 f. - GS; 38, 214, 220; 36, 328, 332; 34, 39, 46) zählt zu<br />

den Gr<strong>und</strong>prinzipien eines rechts-staatlichen Strafverfahrens. Sie hat in der Strafprozessordnung in den §§ 55, 136<br />

Abs. 1, 136 a Abs. 1 <strong>und</strong> 3, § 163 a Abs. 3 sowie § 243 Abs. 4 Satz 1 Nie-derschlag gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> in Art. 14 Abs. 3<br />

Buchst. g des Internationalen Paktes vom 19. Dezember 1966 über bürgerliche <strong>und</strong> politische Rechte (IPbürgR) in<br />

Verbindung mit dem Zustimmungsgesetz zu diesem Pakt vom 15. November 1973 (BGBl II 1973 S. 1533) eine<br />

ausdrückliche gesetzliche Verankerung erfah-ren. Sie ist verfassungsrechtlich abgesichert durch die gemäß Art. 1, 2<br />

Abs. 1 GG garantierten Gr<strong>und</strong>rechte auf Achtung der Menschenwürde sowie der freien Entfaltung der Persönlichkeit<br />

(BVerfGE 56, 37, 43 ff.) <strong>und</strong> gehört zum Kernbe-reich des von Art. 6 MRK garantierten Rechts auf ein faires Strafverfahren<br />

(EGMR StV 2003, 257, 259). Die Selbstbelastungsfreiheit entspricht der pro-zessualen Stellung des Beschuldigten<br />

im Strafprozess, der Beteiligter <strong>und</strong> nicht Objekt des Verfahrens ist, <strong>und</strong> hat Vorrang vor der ebenfalls<br />

im Verfassungs-rang stehenden Pflicht des Staates zu einer effektiven Strafverfolgung (vgl. BVerfGE 80, 367, 375).<br />

Dabei gilt sie unabhängig von der Schwere des Tatvor-wurfs; die Strafprozessordnung zwingt nicht zur Wahrheitserforschung<br />

um je-den Preis (vgl. BGHSt 14, 358, 365).<br />

bb) Über Inhalt <strong>und</strong> Reichweite des nemo-tenetur-Gr<strong>und</strong>satzes im Ein-zelnen besteht - zwischen Literatur <strong>und</strong><br />

Rechtsprechung aber auch innerhalb der Rechtsprechung - noch keine Einigkeit.<br />

Nach seinen bislang in der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs an-erkannten Ausprägungen beinhaltet der nemo-tenetur-Gr<strong>und</strong>satz<br />

das Verbot von Zwang. Im Strafverfahren darf - so auch die Formulierung in Art. 14 Abs. 3<br />

Buchst. g IPbürgR - niemand gezwungen werden, sich selbst durch eine Aus-sage einer Straftat zu bezichtigen <strong>und</strong><br />

damit zu seiner Überführung beizutragen oder anders als durch Äußerungen zum Untersuchungsgegenstand aktiv an<br />

der Aufklärung des Sachverhalts (etwa durch Teilnahme an Tests oder Tatrekonstruktionen) mitzuwirken (BGHSt<br />

42, 139, 151 f. - GS). In der gr<strong>und</strong>legenden Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen heißt es dazu: "Gegenstand<br />

des Schutzes des nemo-tenetur-Gr<strong>und</strong>satzes ist die Freiheit von Zwang zur Aussage oder zur Mitwirkung am<br />

Strafverfahren. Die Freiheit von Irrtum fällt nicht in den Anwendungsbereich dieses Gr<strong>und</strong>satzes" (BGHSt 42, 139,<br />

153 - GS).<br />

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat demgegenüber festgestellt, dass das Recht zu schweigen <strong>und</strong><br />

der Schutz vor Selbstbelastung zwar in erster Linie dazu dienten, den Beschuldigten gegen unzulässigen Zwang der<br />

Behörden <strong>und</strong> die Erlangung von Beweisen durch Methoden des Drucks zu schützen; jedoch sei "der Anwendungsbereich<br />

des Rechts nicht auf Fälle beschränkt, in denen der Beschuldigte Zwang widerstehen musste". Das Recht,<br />

das zum Kernbereich des fairen Verfahrens gehört, "dient prinzipiell der Freiheit einer verdächtigen Person zu entscheiden,<br />

ob sie in Polizeibefragungen aussagen oder schweigen will" (EGMR StV 2003, 257, 259 - Fall Allan v.<br />

Großbritannien).<br />

Diese Erwägungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte könnten mit Blick auf andere Fallgestaltungen<br />

Anlass zur Prüfung geben, ob an der - anscheinend restriktiveren - Bestimmung der Reichweite des nemotenetur-Prinzips<br />

durch den Großen Senat für Strafsachen festgehalten werden kann <strong>und</strong> welche Konsequenzen sich<br />

insbesondere für Fälle der Art ergeben, wie sie in dem damaligen Ausgangsverfahren zur Beurteilung anstanden.<br />

cc) Dies kann hier indes dahinstehen.<br />

59


α) Der zu beurteilende Sachverhalt wird wesentlich dadurch geprägt, dass der Angeklagte gegenüber einem Polizeibeamten<br />

erklärt hatte, er werde auf Anraten seines Verteidigers zur Zeit von seinem Schweigerecht Gebrauch machen.<br />

Wenn der Einsatz des Verdeckten Ermittlers nicht schon von vornher-ein darauf angelegt war, so diente er<br />

jedenfalls in der entscheidenden Phase des Hafturlaubs im Januar 2005 aber gerade dazu, dem Angeklagten unter<br />

Ausnutzung der geschaffenen Vertrauensstellung Aussagen zum Tatgeschehen <strong>und</strong> seiner Beteiligung zu entlocken<br />

<strong>und</strong> durch gezielte Fragen des mit den Er-mittlungsergebnissen vertrauten Verdeckten Ermittlers selbstbelastende<br />

Anga-ben zu erhalten; auf diese Weise sollte in Verbindung mit den vorhandenen an-deren Beweismitteln seine<br />

Überführung sichergestellt werden.<br />

β) Erklärt der Beschuldigte, wie hier der Angeklagte, in einem gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahren gegenüber<br />

den Ermittlungsbehörden schwei-gen zu wollen, so verdichtet sich der allgemeine Schutz, den ihm der Gr<strong>und</strong>satz<br />

der Selbstbelastungsfreiheit bietet, in der Weise, dass die Strafverfolgungsbe-hörden seine Entscheidung für das<br />

Schweigen gr<strong>und</strong>sätzlich zu respektieren haben. Es kann dahingestellt bleiben, was daraus für das Verhalten von<br />

Ver-nehmungspersonen, die dem Beschuldigten in amtlicher Eigenschaft offen ge-genübertreten, im Einzelnen folgt,<br />

insbesondere welchen Grenzen Versuche unterliegen, den Beschuldigten zu einem Überdenken seiner Entscheidung<br />

zu veranlassen. Mit dem Gr<strong>und</strong>satz der Selbstbelastungsfreiheit ist es jedenfalls nicht vereinbar, dem Beschuldigten,<br />

der sein Schweigerecht in Anspruch ge-nommen hat, in gezielten, vernehmungsähnlichen Befragungen, die auf Initiati-ve<br />

der Ermittlungsbehörden ohne Aufdeckung der Verfolgungsabsicht durchge-führt werden, wie etwa durch<br />

Verdeckte Ermittler, selbstbelastende Angaben zur Sache zu entlocken.<br />

γ) Nur diese Bewertung entspricht der Auffassung des Europäischen Ge-richtshofs für Menschenrechte, dessen Auslegung<br />

der innerstaatlich im Range eines einfachen B<strong>und</strong>esgesetzes geltenden Europäischen Konvention für Menschenrechte<br />

<strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>freiheiten bei der Anwendung des nationalen Rechts zu berücksichtigen ist (vgl. BVerfG<br />

NJW 2004, 3407, 3409; Meyer-Goßner aaO vor Art. 1 MRK Rdn. 3 ff. m. w. N.). Sie weicht auch nicht von der<br />

Rechtsprechung anderer Senate <strong>und</strong> insbesondere der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen aus dem Jahre<br />

1996 ab.<br />

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in der bereits zitier-ten Entscheidung "Allan v. Großbritannien"<br />

ausgeführt, dass die zum Schwei-gerecht <strong>und</strong> zum Schutz vor Selbstbelastungsfreiheit gehörende freie Entschei-dung<br />

auszusagen oder zu schweigen, "effektiv unterlaufen (wird), wenn die Be-hörden in einem Fall, in dem<br />

der Beschuldigte, der sich in der Vernehmung für das Schweigen entschieden hat, eine Täuschung anwenden, um<br />

dem Beschul-digten Geständnisse oder andere belastende Aussagen zu entlocken, die sie in der Vernehmung nicht<br />

erlangen konnten, <strong>und</strong> die so erlangten Geständnisse oder selbstbelastenden Aussagen in den Prozess als Beweise<br />

einführen". Ob das Schweigerecht in einem solchen Maße missachtet wird, dass eine Verlet-zung von Art. 6 der<br />

Konvention vorliegt, hängt - wie der Gerichtshof weiter aus-geführt hat - zwar von den Umständen des Einzelfalls<br />

ab. Eine solche Verlet-zung muss aber nach den weiteren Erwägungen der Entscheidung angenom-men werden,<br />

wenn der Informant - wie bei einem Verdeckten Ermittler unzwei-felhaft der Fall - als Agent des Staates handelt <strong>und</strong><br />

die fraglichen Beweise als vom Informanten entlockt anzusehen sind. Dies wiederum hängt "von der Art der Beziehung<br />

zwischen dem Informanten <strong>und</strong> dem Beschuldigten <strong>und</strong> davon ab, ob sich das Gespräch des Informanten mit<br />

dem Beschuldigten als funktio-nales Äquivalent einer staatlichen Vernehmung darstellt" (EGMR StV 2003, 257,<br />

259).<br />

Der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs scheint zwar in der Ten-denz ein engeres Verständnis vom Regelungsgehalt<br />

des nemo-tenetur-Gr<strong>und</strong>-satzes zugr<strong>und</strong>e zu liegen. Dafür spricht insbesondere die Entscheidung des Großen<br />

Senats für Strafsachen, die - wie dargestellt - hervorhebt, dass der Gr<strong>und</strong>satz die Freiheit von Zwang zur Aussage<br />

beinhaltet (BGHSt 42, 139, 151 ff. - GS). Indes hat auch der Große Senat ausdrücklich die rechtsstaatlichen Grenzen<br />

betont, die der vernehmungsähnlichen Befragung von Tatverdächtigen ohne Aufdeckung der Ermittlungsabsicht -<br />

wegen ihrer Nähe zum nemo-tenetur-Prinzip (BGHSt 42, 139, 156 - GS) - gesetzt sind (BGHSt 42, 139, 154 ff. -<br />

GS). Aus dieser Nähe sowie aus dem Rechtsstaatsprinzip, speziell dem Gr<strong>und</strong>satz des fairen Verfahrens könne sich<br />

eine heimliche Befragung im Ein-zelfall auch unter Berücksichtigung des Gebotes einer effektiven Strafverfol-gung<br />

als unzulässig erweisen (vgl. BGHSt 42, 139, 156 f. - GS). Abgesehen von diesen ganz allgemein bestehenden -<br />

durch Abwägung im Einzelfall zu er-mittelnden - Grenzen steht nach der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen<br />

aber auch außer Frage, dass in verschiedenen Sachverhalten die heimliche Befragung von Tatverdächtigen<br />

aus rechtsstaatlichen Gründen von vornherein unzulässig ist (BGHSt 42, 139, 154 f. - GS). Als Beispiele aus der<br />

älteren Rechtsprechung werden in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Fälle erwähnt, dass einem Untersuchungshäftling<br />

ein Spitzel in die Zelle gelegt (BGHSt 34, 362; vgl. auch BGHSt 44, 129) oder das gesprochene Wort<br />

ver-botswidrig fixiert wurde (BGHSt 31, 304; 34, 39). Der Große Senat hat als wei-teren möglichen Anwendungsfall<br />

einer aus rechtsstaatlichen Gründen absolut unzulässigen heimlichen Befragung des Beschuldigen den der gezielten<br />

An-bahnung eines Liebesverhältnisses zur Gewinnung von Informationen genannt <strong>und</strong> daran anschließend weiter<br />

60


ausgeführt, dass "auch an einen Fall gedacht werden kann, in dem der Beschuldigte durch eine Privatperson befragt<br />

wurde, obwohl er zuvor in einer Vernehmung ausdrücklich erklärt hatte, keine Angaben zur Sache machen zu wollen"<br />

(BGHSt 42, 139, 155 - GS).<br />

Diese Ausführungen betreffen zwar unmittelbar nur die Befragung des Tatverdächtigen durch eine Privatperson, die<br />

auf Veranlassung der Ermitt-lungsbehörden tätig wird. Mit Blick auf den Gr<strong>und</strong>satz der Selbstbelastungsfrei-heit <strong>und</strong><br />

den Sinn <strong>und</strong> Zweck dieses Prinzips kann aber für eine Befragung durch einen Verdeckten Ermittler nichts anderes<br />

gelten.<br />

δ) Gegen die Beschränkungen, die sich nach alledem für das Vorgehen der Ermittlungsbehörden ergeben - sei es<br />

unmittelbar aus dem nemo-tenetur-Gr<strong>und</strong>satz, sei es aus den mit Blick auf ihn zu stellenden Anforderungen an ein<br />

faires, rechtsstaatliches Verfahren - , haben diese mit der Befragung des Ange-klagten durch den Verdeckten Ermittler<br />

verstoßen.<br />

Der Angeklagte hat gegenüber den ermittelnden Polizeibeamten erklärt, er wolle auf Anraten seines Verteidigers von<br />

seinem Schweigerecht Gebrauch machen. Dass er diese Erklärung nicht in einer förmlichen Vernehmung nach Belehrung<br />

über sein Schweigerecht abgegeben hat <strong>und</strong> es überhaupt zu einer förmlichen Vernehmung in dieser Sache<br />

zunächst nicht gekommen ist, ist für die rechtliche Bewertung nach dem Sinn <strong>und</strong> Zweck des nemo-tenetur-<br />

Gr<strong>und</strong>satzes ohne Bedeutung. Desgleichen ist ohne Belang, dass sich der An-geklagte nach seiner Erklärung,<br />

schweigen zu wollen, bei der Kriminalpolizei immer wieder nach dem Ermittlungsstand erk<strong>und</strong>igt, sich ungefragt<br />

zur Tat so-wie den Ermittlungen geäußert <strong>und</strong> mehrmals eine mögliche Aussage - nach Akteneinsicht <strong>und</strong> Absprache<br />

mit seinem Verteidiger - in Aussicht gestellt hat. Sein wenig konsequentes Verhalten hätte es allerdings gerechtfertigt,<br />

jeweils nach einer das Ermittlungsverfahren <strong>und</strong> den Tatvorwurf berührenden Äuße-rung nachzufragen, ob er<br />

hinsichtlich seiner Entscheidung für das Schweigen anderen Sinnes geworden <strong>und</strong> nunmehr zur Äußerung bereit sei.<br />

Ohne eine solche Nachfrage <strong>und</strong> ohne eine entsprechende Erklärung des Angeklagten hat sich aber nichts daran<br />

geändert, dass er unter Berufung auf sein Schweigerecht deutlich erklärt hat, zur Sache keine Angaben machen <strong>und</strong><br />

sich insbesondere keiner Vernehmung mit gezielten Nachfragen durch den Vernehmungsbeamten stellen zu wollen.<br />

Die Entscheidung des Angeklagten für die Inanspruchnahme seines Schweigerechts haben die Strafverfolgungsorgane<br />

durch die Art <strong>und</strong> Weise der Informationsgewinnung seitens des eingesetzten Verdeckten Ermittlers massiv verletzt.<br />

Dieser hat sich nicht darauf beschränkt, das zwischen ihm <strong>und</strong> dem Angeklagten geschaffene Vertrauen dafür<br />

zu nutzen, Informationen aufnehmen, die der Angeklagte von sich aus zum Tatgeschehen oder ermittlungsrelevanten<br />

Umständen machte. Gegen eine Verwertung solcher Erkenntnisse werden in der Regel auch dann keine Bedenken<br />

bestehen, wenn der Beschuldigte sich vorher ausdrücklich für das Schweigen entschieden <strong>und</strong> dies erklärt hat. Da ein<br />

solches Vorgehen von den gesetzlichen Vorschriften über den Einsatz eines Verdeckten Ermittlers gedeckt ist, berührt<br />

die mit ihr verb<strong>und</strong>ene Täuschung das nemo-tenetur-Prinzip nicht in relevanter Weise. Hier hat der Verdeckte<br />

Er-mittler dem Angeklagten aber durch beharrliche Fragen <strong>und</strong> unter Hinweis auf das vorgetäuschte Vertrauensverhältnis<br />

selbstbelastende Äußerungen entlockt, zu denen er bei einer förmlichen Vernehmung nicht bereit gewesen<br />

wäre. Die Befragung durch den Verdeckten Ermittler war, wie die Aufzeichnungen bele-gen, in einer Weise intensiv,<br />

dass sich - in den Worten des Europäischen Ge-richtshofs - "das Gespräch als funktionales Äquivalent einer staatlichen<br />

Ver-nehmung darstellt".<br />

Die Missachtung des Rechts des Angeklagten, selbst frei zu entschei-den, ob er aussagen oder schweigen wollte,<br />

wiegt dabei hier um so schwerer, als die Strafverfolgungsbehörden gezielt die besonderen Belastungen der Haftsituation<br />

ausnutzten, um ihm Täterwissen zu entlocken. Der Angeklagte befand sich in anderer Sache in Strafhaft.<br />

Nach den Feststellungen war der Verdeckte Ermittler die einzige Person außerhalb der Justizvollzugsanstalt, mit der<br />

er Kon-takt hatte. Damit er Vollzugslockerungen wie Ausgang oder Hafturlaub erhalten konnte, war er auf die Mitwirkung<br />

des Verdeckten Ermittlers angewiesen. Die-ser stellte ihm zudem gemeinsame Geschäfte <strong>und</strong> damit eine<br />

Lebensperspekti-ve nach Haftverbüßung in Aussicht. Zusammengefasst konnte sich der Ange-klagte den Einwirkungen<br />

des Verdeckten Ermittlers nur beschränkt entziehen. Auch wenn die zur Aufdeckung seiner Täterschaft führende<br />

Befragung letztlich außerhalb der Justizvollzugsanstalt während eines Hafturlaubs stattfand, war die Entscheidungsfreiheit<br />

des Angeklagten so stark eingeschränkt, dass seine Situation der besonderen Zwangssituation eines Untersuchungshäftlings<br />

nahe kam, dem ein Polizeispitzel in die Zelle gelegt wird (vgl. BGHSt 34, 362). Das gilt um so<br />

mehr, als sich der Verdeckte Ermittler bei den entscheidenden Befra-gungen nicht darauf beschränkte, das ihm vom<br />

Angeklagten entgegengebrach-te Vertrauen für Fragen auszunutzen, sondern diesen massiv - unter anderem mit der<br />

Ankündigung, die für den Angeklagten einzige Beziehung in die Welt außerhalb der Vollzugsanstalt abzubrechen -<br />

zu Angaben drängte. Insofern ist es für die rechtliche Beurteilung unerheblich, dass der Angeklagte zu Beginn des<br />

Kontaktes mit dem Verdeckten Ermittler kurzfristig in Erwägung gezogen hatte, dieser könne ein Polizeispitzel sein;<br />

denn er ging anschließend von einer vertrauensvollen Beziehung auf privater Ebene aus.<br />

61


3. Die nach alledem unzulässige Beweisgewinnung durch den Verdeck-ten Ermittler hat - wegen des gravierenden<br />

Eingriffs in die prozessualen Rechte des Angeklagten - ein Beweisverwertungsverbot zur Folge.<br />

Dieses Beweisverwertungsverbot erstreckt sich auch auf die Aussage des Angeklagten bei der polizeilichen Vernehmung.<br />

Zwar wurde dieser vor der Vernehmung gemäß § 136 Abs. 1 Satz 2, § 163 a Abs. 4 Satz 2 StPO ordnungsgemäß<br />

über sein Schweigerecht <strong>und</strong> sein Recht zur Verteidigerkonsulta-tion belehrt, jedoch wirkte bei der<br />

Vernehmung die rechtsstaatswidrige Beweis-gewinnung durch den Verdeckten Ermittler fort. Die Äußerungen zum<br />

Tatge-schehen waren dem Angeklagten kurze Zeit zuvor entlockt worden, ein Krimi-nalbeamter bezeichnete sie ihm<br />

gegenüber als gerichtsverwertbar. Da er unter diesen Umständen davon ausgehen musste, seine Angaben gegenüber<br />

dem Verdeckten Ermittler könnten ohnehin gegen ihn verwendet werden, war er sich seiner Entscheidungsmöglichkeit,<br />

zur Sache auszusagen oder zu schweigen, nicht bewusst. Dies hat die Fortwirkung des Beweisverwertungsverbotes<br />

zur Folge (vgl. BGHSt 17, 364, 367 f.; 37, 48, 53; BGH NStZ 1988, 41; Boujong in KK 5. Aufl. § 136 Rdn. 29<br />

<strong>und</strong> § 136 a Rdn. 40 f.; Meyer-Goßner aaO § 136 Rdn. 30). 38<br />

4. Da das Landgericht bei der Beweiswürdigung entscheidend auf die selbstbelastenden Äußerungen des Angeklagten<br />

abgestellt hat, beruht das Ur-teil auf dem aufgezeigten Verfahrensfehler. Über die Sache ist deshalb neu zu verhandeln<br />

<strong>und</strong> zu entscheiden.<br />

StPO § 136 Abs. 1, § 163a Abs. 4 – Beginn der Beschuldigteneigenschaft „Inkulpation“<br />

BGH, Urt. vom 3. Juli 2007 - 1 StR 3/07 - LG Waldshut-Tiengen = JR 2007, xxx mit Anm. Roxin<br />

LS: Zur Begründung der Beschuldigteneigenschaft durch die Art <strong>und</strong> Weise einer Vernehmung (im<br />

Anschluss an BGHSt 38, 214).<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 10. Mai 2006 mit den<br />

Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,<br />

a) soweit der Angeklagte wegen Totschlags an J. H. verurteilt worden ist,<br />

b) im Gesamtstrafenausspruch.<br />

3. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten der<br />

Rechtsmittel, an eine Schwurgerichtskammer des Landgerichts Freiburg zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags in zwei Fällen zu lebenslanger Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt;<br />

von der Feststellung der besonderen Schuldschwere hat es abgesehen. Opfer der Taten waren seine Ehefrau G.<br />

H. <strong>und</strong> seine Tochter J. H. . Wegen des Totschlags an der Ehefrau hat das Landgericht eine Freiheitsstrafe von elf<br />

Jahren verhängt; den Totschlag an der Tochter hat es als besonders schweren Fall bewertet (§ 212 Abs. 2 StGB) <strong>und</strong><br />

deswegen auf eine lebenslange Freiheitsstrafe erkannt. Der Angeklagte wendet sich mit der auf eine Verfahrensrüge<br />

<strong>und</strong> die Sachbeschwerde gestützten Revision gegen seine Verurteilung. Die Staatsanwaltschaft greift das Urteil mit<br />

der zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, auf die Sachrüge gestützten Revision - beschränkt - insoweit an, als<br />

der Angeklagte "bezüglich der Tötung seiner Tochter J. H. wegen Totschlags <strong>und</strong> nicht wegen Mordes verurteilt"<br />

<strong>und</strong> "die besondere Schwere der Schuld nicht festgestellt" worden ist. Beide Rechtsmittel haben Erfolg. Allerdings<br />

führt die Revision der Staatsanwaltschaft entgegen ihrem Antrag auch zur Aufhebung der wegen der Tötung von J.<br />

H. verhängten Einzelstrafe <strong>und</strong> damit der Gesamtsstrafe.<br />

I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: Am 9. oder 10. Mai 2002 schlug der Angeklagte im gemeinsamen<br />

Wohnanwesen zunächst mehrmals mit großer Kraft einen schweren großflächigen Gegenstand gegen den<br />

Kopf seiner Ehefrau G. H. oder stieß - nach Eintritt der Bewusstlosigkeit - ihren Kopf mit großer Kraft gegen einen<br />

derartigen Gegenstand. G. H. erlitt drei Schädelbrüche, wobei eine der Frakturen auch durch den ungehemmten Aufprall<br />

des Kopfes infolge Bewusstlosigkeit verursacht worden sein kann. Anschließend tötete der Angeklagte in unmittelbarem<br />

zeitlichem Zusammenhang seine Tochter J. H. auf eine nicht bekannte Weise. Weitere Einzelheiten des<br />

eigentlichen Tathergangs hat das Landgericht nicht feststellen können. Nach den Taten versteckte er die Leichen in<br />

einem 30 Kilometer entfernt liegenden Wald, nachdem er ihre Extremitäten mit Paketklebeband fixiert <strong>und</strong> sie mit<br />

Folie <strong>und</strong> Textilien umwickelt hatte. Mehr als drei Jahre später, am 23. August 2005, wurden die beiden Leichen in<br />

skelettiertem Zustand entdeckt.<br />

62


II. Revision des Angeklagten: Die Revision des Angeklagten hat bereits mit der Verfahrensrüge Erfolg, die Kammer<br />

habe bei der Urteilsfindung rechtsfehlerhaft die Zeugenaussagen des Angeklagten am 26. September <strong>und</strong> 13. November<br />

2002 verwertet, obwohl er als Beschuldigter hätte vernommen <strong>und</strong> dementsprechend belehrt werden müssen<br />

(Verstoß gegen § 136 Abs. 1, § 163a Abs. 4 StPO).<br />

1. Der Rüge liegt folgendes Geschehen zugr<strong>und</strong>e: Der Angeklagte zeigte am 13. Mai 2002 das Verschwinden von<br />

Ehefrau <strong>und</strong> Tochter an. Auf Gr<strong>und</strong> dieser Vermisstenanzeige wurde zunächst lediglich bei der Polizei ein "Vermisstenvorgang"<br />

geführt. Der Angeklagte wurde am 13. Mai, 16. Mai, 12. August <strong>und</strong> 26. September 2002 von Polizeibeamten<br />

als Zeuge vernommen. Er wurde - nur - vor der Zeugenvernehmung am 26. September darauf hingewiesen,<br />

dass er "bei der Polizei … überhaupt nichts sagen" <strong>und</strong> jedenfalls "keine Angaben machen brauche(…), die … (ihn)<br />

belasten könnten". Bei den Vernehmungen äußerte sich der Angeklagte umfassend zur Sache. Am 4. Oktober 2002<br />

legte die Polizei den Vorgang der Staatsanwaltschaft vor, die am 7. Oktober 2002 ein "Ermittlungsverfahren gegen<br />

Unbekannt wegen des Verdachts eines nichtnatürlichen Todesfalls" einleitete. Am 10. Oktober 2002 erfolgte eine<br />

Suchaktion mit Leichensuchh<strong>und</strong>en mit dem Einverständnis des Angeklagten auf seinem Gr<strong>und</strong>stück einschließlich<br />

des Wohnhauses. Am 13. November 2002 sagte der Angeklagte bei der Polizei nochmals ergänzend als Zeuge zur<br />

Sache aus, ohne belehrt worden zu sein. Als am 8. März 2003 ein Ledermäppchen mit Plastikkarten der Ehefrau in<br />

der Nähe des Anwesens des Angeklagten aufgef<strong>und</strong>en wurde, leitete die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 10.<br />

März 2003 gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen Mordes in zwei Fällen ein. Am 21. März 2003 wurde er als<br />

Beschuldigter vernommen; nach Beschuldigtenbelehrung, allerdings ohne dass auf die Nichtverwertbarkeit früherer<br />

Aussagen hingewiesen wurde (sog. qualifizierte Belehrung), machte er ergänzende Angaben zur Sache. Weil weitere<br />

Ermittlungen keine hinreichend sicheren Erkenntnisse über den Tod oder den Verbleib der beiden Frauen erbrachten,<br />

wurde das Verfahren am 3. Juni 2004 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Nachdem die beiden Leichen - die der<br />

Ehefrau eingewickelt in einen aus dem gemeinsamen Haushalt stammenden Teppich - entdeckt worden waren, erging<br />

nach Wiederaufnahme der Ermittlungen am 26. August 2005 Haftbefehl gegen den Angeklagten, auf Gr<strong>und</strong><br />

dessen seit demselben Tag Untersuchungshaft gegen ihn vollzogen wird. Bei einer Beschuldigtenvernehmung am 29.<br />

August 2005 sagte der Angeklagte nach - nicht qualifizierter - Belehrung erneut ergänzend aus. In der Hauptverhandlung,<br />

die am 27. Februar 2006 begann, machte der Angeklagte lediglich Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen<br />

<strong>und</strong> zu seinem Lebenslauf; zur Sache ließ er sich nicht ein. Die Verteidigung widersprach rechtzeitig der Verwertung<br />

der Aussagen des Angeklagten unter anderem vom 26. September <strong>und</strong> 13. November 2002, da der Angeklagte<br />

als Beschuldigter hätte belehrt werden müssen. Die Schwurgerichtskammer wies den Widerspruch zurück.<br />

2. Die Revision macht geltend, dass der Angeklagte bei den Zeugenaussagen vom 26. September <strong>und</strong> 13. November<br />

2002 aus Sicht der Vernehmungsbeamten "längst" Beschuldigter gewesen sei. Im Zentrum des Revisionsvorbringens<br />

steht dabei die Vernehmung am 26. September 2002; die Beschuldigteneigenschaft ergebe sich hier aus<br />

den zuvor bei den Ermittlungen gewonnenen Erkenntnissen sowie aus dieser Vernehmung selbst. Zur Zeit der Vernehmung<br />

seien die Ehefrau <strong>und</strong> die Tochter des Angeklagten schon mehr als viereinhalb Monate lang verschw<strong>und</strong>en<br />

gewesen. Von der Polizei eingeleitete umfangreiche Suchmaßnahmen seien erfolglos geblieben. Nach den polizeilichen<br />

Erkenntnissen hätten die Vermissten keinen Kontakt zu Verwandten oder Fre<strong>und</strong>en aufgenommen; auf dem<br />

Giro- <strong>und</strong> dem Kreditkartenkonto der Ehefrau seien keine Bewegungen zu verzeichnen gewesen. Die Vernehmung<br />

sei von Vorhalten <strong>und</strong> Fragen geprägt, aus denen hervorgehe, dass der Vernehmungsbeamte "nicht nur im Sinne<br />

eines subjektiven 'Gefühls'", sondern "auf der Gr<strong>und</strong>lage des aktuellen Ermittlungsstands einerseits davon überzeugt<br />

war, dass G. <strong>und</strong> J. H. tot waren, <strong>und</strong> andererseits, dass der Angeklagte mit dem Tod der beiden 'in Zusammenhang'<br />

stand". Der Vernehmungsbeamte habe auch zum Ausdruck gebracht, dass er die Angaben des Angeklagten insbesondere<br />

insoweit für nicht glaubhaft halte, als dieser Erinnerungsdefizite für die Tage nach dem Verschwinden behauptet<br />

habe.<br />

3. Die Verwertung der Aussagen des Angeklagten vom 26. September <strong>und</strong> 13. November 2002 durch das Landgericht<br />

ist auf Gr<strong>und</strong> der fehlenden Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 StPO rechtsfehlerhaft. Denn der<br />

Angeklagte erlangte mit der Vernehmung am 26. September 2002 <strong>und</strong> mit der anschließenden Suchmaßnahme auf<br />

seinem Anwesen den Status eines Beschuldigten.<br />

a) Der § 136 StPO zugr<strong>und</strong>e liegende Beschuldigtenbegriff vereinigt subjektive <strong>und</strong> objektive Elemente. Die Beschuldigteneigenschaft<br />

setzt - subjektiv - den Verfolgungswillen der Strafverfolgungsbehörde voraus, der sich - objektiv<br />

- in einem Willensakt manifestiert (vgl. BGHSt 38, 214, 228; BGH NJW 1997, 1591; Rogall in SK-StPO 41.<br />

Lfg. vor § 133 Rdn. 33; vgl. auch § 397 Abs. 1 AO). Wird gegen eine Person ein förmliches Ermittlungsverfahren<br />

eingeleitet, liegt darin ein solcher Willensakt. Andernfalls beurteilt sich dessen Vorliegen danach, wie sich das Verhalten<br />

des ermittelnden Beamten nach außen, insbesondere in der Wahrnehmung des davon Betroffenen darstellt<br />

(BGHSt aaO). Dabei ist zwischen verschiedenen Ermittlungshandlungen wie folgt zu differenzieren: Strafprozessuale<br />

Eingriffsmaßnahmen, die nur gegenüber dem Beschuldigten zulässig sind, sind Handlungen, die ohne weiteres auf<br />

63


den Verfolgungswillen der Strafverfolgungsbehörde schließen lassen (Rogall aaO Rdn. 23). Aber auch Eingriffsmaßnahmen,<br />

die an einen Tatverdacht anknüpfen, begründen gr<strong>und</strong>sätzlich die Beschuldigteneigenschaft des von der<br />

Maßnahme betroffenen Verdächtigen, weil sie regelmäßig darauf abzielen, gegen diesen wegen einer Straftat strafrechtlich<br />

vorzugehen; so liegt die Beschuldigtenstellung des Verdächtigen auf der Hand, wenn eine Durchsuchung<br />

nach § 102 StPO dazu dient, für seine Überführung geeignete Beweismittel zu gewinnen (vgl. BGH NJW 1997,<br />

1591, 1592; Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 136 Rdn. 4). Anders liegt es bei Vernehmungen. Bereits<br />

aus §§ 55, 60 Nr. 2 StPO ergibt sich, dass im Strafverfahren auch ein Verdächtiger im Einzelfall als Zeuge vernommen<br />

werden darf, ohne dass er über die Beschuldigtenrechte belehrt werden muss (vgl. BGHSt 10, 8, 10; 17, 128,<br />

133; Hanack aaO; Rogall aaO Rdn. 11; ferner BVerfG [Kammer], Beschl. vom 8. Dezember 2005 - 2 BvR 1513/05).<br />

Der Vernehmende darf dabei auch die Verdachtslage weiter abklären; da er mithin nicht gehindert ist, den Vernommenen<br />

mit dem Tatverdacht zu konfrontieren, sind hierauf zielende Vorhalte <strong>und</strong> Fragen nicht zwingend ein hinreichender<br />

Beleg dafür, dass der Vernehmende dem Vernommenen als Beschuldigten gegenübertritt. Der Verfolgungswille<br />

kann sich jedoch aus dem Ziel, der Gestaltung <strong>und</strong> den Begleitumständen der Befragung ergeben. Ergibt<br />

sich die Beschuldigteneigenschaft nicht aus einem Willensakt der Strafverfolgungsbehörden, kann - abhängig von<br />

der objektiven Stärke des Tatverdachts - unter dem Gesichtspunkt der Umgehung der Beschuldigtenrechte gleichwohl<br />

ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO vorliegen. Ob die Strafverfolgungsbehörde<br />

einen solchen Grad des Verdachts auf eine strafbare Handlung für gegeben hält, dass sie einen Verdächtigen<br />

als Beschuldigten vernimmt, unterliegt ihrer pflichtgemäßen Beurteilung. Im Rahmen der gebotenen sorgfältigen<br />

Abwägung aller Umstände des Einzelfalls kommt es dabei darauf an, inwieweit der Tatverdacht auf hinreichend<br />

gesicherten Erkenntnissen hinsichtlich Tat <strong>und</strong> Täter oder lediglich auf kriminalistischer Erfahrung beruht. Falls<br />

jedoch der Tatverdacht so stark ist, dass die Strafverfolgungsbehörde andernfalls willkürlich die Grenzen ihres Beurteilungsspielraums<br />

überschreiten würde, ist es verfahrensfehlerhaft, wenn dennoch nicht zur Beschuldigtenvernehmung<br />

übergegangen wird (vgl. BGHSt 37, 48, 51 f.; 38, 214, 228; BGH NJW 1994, 2904, 2907; 1996, 2663; 1997,<br />

1591; NStZ-RR 2002, 67 [bei Becker]; 2004, 368; Beschl. vom 25. Februar 2004 - 4 StR 475/03). Andererseits kann<br />

der Umstand, dass die Strafverfolgungsbehörde - zumal bei Tötungsdelikten - erst bei einem konkreten <strong>und</strong> ernsthaften<br />

Tatverdacht zur Vernehmung des Verdächtigen als Beschuldigten verpflichtet ist, für ihn auch eine schützende<br />

Funktion haben. Denn der Vernommene wird hierdurch nicht vorschnell mit einem Ermittlungsverfahren überzogen,<br />

das erhebliche nachteilige Konsequenzen für ihn haben kann.<br />

b) Gemessen an diesen Gr<strong>und</strong>sätzen ist es zwar nicht zu beanstanden, dass Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> Polizei die Verdachtslage<br />

dahingehend beurteilten, dass noch keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für einen ernsthaften<br />

Tatverdacht auf ein Tötungsdelikt des Angeklagten vorhanden waren (nachfolgend aa). Jedoch zeigten die Ermittlungsbeamten<br />

bei der Vernehmung am 26. September 2002 <strong>und</strong> danach ein Verhalten, aus welchem sich für den<br />

Angeklagten ergab, dass sie ihm als Beschuldigten begegneten (nachfolgend bb).<br />

aa) Nach der dienstlichen Stellungnahme des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft vom 6. März 2006 gingen<br />

Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> Polizei bis zum Auffinden des Kartenmäppchens am 8. März 2003 - also bei sämtlichen Zeugenvernehmungen<br />

- davon aus, dass "noch keine Tatsachen vorlagen, die einen konkreten <strong>und</strong> ernsthaften Verdacht<br />

gegen den Angeklagten begründet hätten". Diese Beurteilung entsprach dem Stand der Ermittlungen. Denn die Erkenntnisse<br />

in dem Vermisstenfall erschöpften sich weitgehend darin, dass G. <strong>und</strong> J. H. schon längere Zeit - am 26.<br />

September 2002 seit mehr als viereinhalb Monaten - "spurlos" verschw<strong>und</strong>en waren. Dies gilt namentlich für die<br />

erfolglosen Suchaktionen, den ausbleibenden Kontakt zu Verwandten <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>en sowie die fehlenden Kontenbewegungen.<br />

Auf der anderen Seite lagen Hinweise vor, die gegen einen Tatverdacht sprachen; so hatten sich etwa<br />

Personen bei der Polizei gemeldet, welche die Vermissten noch nach ihrem Verschwinden gesehen haben wollten.<br />

Nach alledem durften die Vernehmungsbeamten zunächst davon ausgehen, dass keine gesicherten Erkenntnisse<br />

gegeben waren, die einen derart starken Tatverdacht gegen den Angeklagten begründeten, dass die Einleitung eines<br />

Ermittlungsverfahrens von Rechts wegen geboten war. Den Strafverfolgungsbehörden fehlten hinreichende objektive<br />

Anhaltspunkte dafür, dass überhaupt Straftaten vorlagen. Allein die Vorstellung, falls sich entsprechende Tatsachen<br />

herausstellen sollten, werde in erster Linie gegen den Angeklagten vorgegangen, begründete nicht dessen Beschuldigtenstellung<br />

(vgl. in diesem Sinne BGHSt 49, 29, 31 f.).<br />

bb) Neben der Stärke des Tatverdachts ist jedoch auch von Bedeutung, wie sich das Verhalten des Beamten nach<br />

außen, auch in der Wahrnehmung des Vernommenen darstellt. Hier folgt der Verfolgungswille aus dem Ziel, der<br />

Gestaltung <strong>und</strong> den Begleitumständen der Vernehmung am 26. September 2002 <strong>und</strong> der darauf folgenden Suchmaßnahme<br />

auf dem Anwesen des Angeklagten: Eine - aus der Sicht des Angeklagten zu beurteilende - Gesamtschau aller<br />

relevanten Umstände ergibt, dass die Vernehmung vornehmlich dazu diente, den Angeklagten, von dessen mutmaßlicher<br />

Täterschaft sich der Vernehmungsbeamte überzeugt zeigte, zu überführen. In der lediglich von kurzen Pausen<br />

unterbrochenen fast zehnstündigen Vernehmung ging es diesem erkennbar insbesondere darum, den Angeklagten mit<br />

64


Ungereimtheiten seines bisherigen Aussageverhaltens <strong>und</strong> zuletzt direkt mit dem Vorwurf von Tötungsverbrechen zu<br />

konfrontieren. Die Gestaltung der Vernehmung lässt erkennen, dass der Vernehmungsbeamte mittels kriminalistischer<br />

Taktik einen Tatnachweis ermöglichen oder einen gegebenenfalls erst später möglichen Tatnachweis erleichtern<br />

wollte. Die Vernehmung war von Vorhalten <strong>und</strong> Fragen geprägt, die erkennbar auf "Schwachstellen" in den<br />

bisherigen Aussagen zielten <strong>und</strong> zuletzt in eindringlicher Form auf ein Geständnis hinwirkten: So äußerte der Vernehmungsbeamte<br />

schon zu Beginn der Vernehmung, dass nach seiner Überzeugung G. <strong>und</strong> J. H. tot seien. Noch in<br />

einem frühen Stadium erklärte er weiterhin, dass der Angeklagte bereits aus der Belehrung, sich nicht selbst belasten<br />

zu müssen, erkennen könne, dass der Vernehmungsbeamte ihm "im Zusammenhang mit dem Verschwinden von<br />

Frau <strong>und</strong> Kind … bis zu einem gewissen Grad Misstrauen entgegenbringe". Der Angeklagte bek<strong>und</strong>ete beispielsweise,<br />

schon kurz nachdem Ehefrau <strong>und</strong> Tochter verschw<strong>und</strong>en gewesen seien, so "von der Rolle" gewesen zu sein, dass<br />

er nunmehr Erinnerungslücken habe, obwohl er zuvor ausgesagt hatte, die Ehe sei zerrüttet gewesen <strong>und</strong> seine Ehefrau<br />

habe schon früher unangekündigt auswärts übernachtet. Daraufhin äußerte der Vernehmungsbeamte, dass er<br />

dem Angeklagten insoweit nicht glaube ("ich glaube Ihnen kein Wort"); mit der Geltendmachung von Erinnerungslücken<br />

wolle der Angeklagte "nur umgehen, dass … (er) sich eventuell in Widersprüche zu(m) … etwaigen Ermittlungsergebnis<br />

verstricken" könnte. Sodann stellte der Vernehmungsbeamte zwar ausdrücklich die vergleichsweise<br />

schwache Beweislage heraus, indem er sagte: "Gut, Herr H., ich kann Ihnen natürlich nicht das Gegenteil (davon)<br />

beweisen, dass es bei Ihnen so war. Das kann ich natürlich nicht." Als der Angeklagte auf den nochmaligen Vorhalt,<br />

seine Angaben seien nicht glaubhaft, so dass sich die Frage stelle, was er "mit dem Verschwinden von der G. <strong>und</strong> der<br />

J. zu tun" habe, auf diesen Angaben beharrte, äußerte der Vernehmungsbeamte jedoch auch, dass der Angeklagte<br />

sich durch sein derzeitiges Aussageverhalten "nur noch verdächtiger" mache. Im weiteren Verlauf hielt der Vernehmungsbeamte<br />

- vor dem Hintergr<strong>und</strong> erheblicher Probleme des Angeklagten mit der Zeugungsfähigkeit - ihm vor, er<br />

könnte in einem Streitgespräch mit seiner Ehefrau erfahren haben, dass er nicht der Erzeuger seiner Tochter sei. Um<br />

diese den Angeklagten belastende Sachverhaltsvariante "in den Griff (zu) bekommen", forderte er die Entbindung<br />

des behandelnden Arztes von der Schweigepflicht, die der Angeklagte auch erteilte. Schließlich wurden die Vorhalte<br />

zunehmend eindringlicher (etwa: "Das Gewissen plagt Sie nicht?" oder "Dass Sie uns eventuell sagen, wo die Leichen<br />

sind!"). Zuletzt forderte der Vernehmungsbeamte noch die Zustimmung des Angeklagten zu einer Nachschau in<br />

seinem Haus <strong>und</strong> die Abgabe einer Speichelprobe für eine DNA-Analyse; mit beidem erklärte sich dieser einverstanden.<br />

Wie bereits ausgeführt (vgl. oben II. 3. a), führen auf den Tatverdacht zielende Vorhalte <strong>und</strong> Fragen nicht notwendig<br />

dazu, dass der Vernommene als Beschuldigter zu belehren ist. Die Vorhalte <strong>und</strong> Fragen dienten hier jedoch<br />

für den Angeklagten erkennbar zum einen dazu, neue Ermittlungsansätze gegen ihn zu gewinnen (Schweigepflichtsentbindung;<br />

Nachschau im Haus; DNA-Analyse) <strong>und</strong> ein Geständnis von ihm zu erlangen. Zum anderen wollte der<br />

Vernehmungsbeamte Widersprüche im Aussageverhalten des Angeklagten aufdecken. So deutet etwa der Vorhalt,<br />

der Angeklagte wolle mit der Geltendmachung von Erinnerungslücken "nur umgehen, dass … (er) sich eventuell in<br />

Widersprüche zu(m) … etwaigen Ermittlungsergebnis verstricken" könnte, darauf hin, dass es dem Vernehmungsbeamten<br />

zu diesem Zeitpunkt, sollte der Angeklagte - wunschgemäß - präzisere Angaben machen, insbesondere auch<br />

um die Aufdeckung derartiger Widersprüche zum Zweck eines Tatnachweises ging. Entgegen der bereits erwähnten<br />

Stellungnahme der Staatsanwaltschaft vom 6. März 2006 erfolgte somit die Befragung erkennbar gerade nicht vor<br />

dem Hintergr<strong>und</strong>, "dass ein Angehöriger bei einem Vermisstenfall zu den Umständen des Verschwindens unwahre<br />

oder unvollständige Angaben macht, die nichts mit der Verheimlichung eines von ihm selbst begangenen Tötungsdelikt<br />

zu tun haben". Unter Berücksichtigung aller Umstände war dieses Vorgehen daher im vorliegenden Fall mit<br />

einer Vernehmung des Angeklagten als Zeugen nicht mehr zu vereinbaren. Der Wille der Strafverfolgungsbehörden,<br />

gegen den Angeklagten als Beschuldigten vorzugehen, ergibt sich weiterhin aus der Suchmaßnahme kurze Zeit später,<br />

zu der der Angeklagte bei der Vernehmung sein Einverständnis erteilt hatte. Am 10. Oktober 2002, noch vor der<br />

Vernehmung am 13. November 2002, suchten Ermittlungsbeamte das Anwesen des Angeklagten einschließlich des<br />

Wohnhauses mit Leichensuchh<strong>und</strong>en ab. Der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft zufolge sollte die Maßnahme<br />

"der Klärung der Frage (dienen), ob die Vermissten eventuell - auf welche Weise auch immer - in dem Anwesen<br />

selbst zu Tode gekommen sein könnten". Diese Maßnahme bezweckte daher die Überführung des Angeklagten.<br />

Hätte sie nämlich Erfolg gehabt, wären also auf dem Anwesen Leichen oder Leichenteile oder sonstige Hinweise<br />

dafür gef<strong>und</strong>en worden, dass die Vermissten dort zu Tode gekommen sein könnten, wären alle anderen Möglichkeiten<br />

als vom Angeklagten begangene Tötungsdelikte kaum ernsthaft in Betracht gekommen. Dies gilt unabhängig<br />

davon, ob <strong>und</strong> wie viele andere Suchaktionen nach dem Verschwinden von G. <strong>und</strong> J. H. erfolgten. Die Beurteilung<br />

durch die Staatsanwaltschaft, dass die Suchmaßnahme am 10. Oktober 2002 "im Erfolgsfall (erst) zu einem Anfangsverdacht<br />

(hätte) führen können", ist deshalb nicht vertretbar.<br />

c) Der Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach § 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 StPO wurde nicht dadurch geheilt,<br />

dass der Angeklagte am 21. März 2003 <strong>und</strong> 29. August 2005 nach ordnungsgemäßer Beschuldigtenbelehrung<br />

65


erneut Angaben machte. Der Senat braucht hier nicht zu entscheiden, ob <strong>und</strong> inwieweit auch ohne Hinweis auf die<br />

Nichtverwertbarkeit der früheren Angaben (sog. qualifizierte Belehrung) eine Heilung der vorausgegangenen fehlerhaften<br />

Belehrung in Betracht kommt, wenn der Beschuldigte die Angaben - pauschal - bestätigt (insoweit offen gelassen<br />

von BGHSt 47, 172, 175). Denn die Aussagen vom 21. März 2003 <strong>und</strong> 29. August 2005 waren nur ergänzender<br />

Natur; der Angeklagte bestätigte seine früheren Angaben indessen nicht.<br />

d) Da die Verteidigung der Verwertung der Aussagen des Angeklagten vom 26. September <strong>und</strong> 13. November 2002<br />

rechtzeitig widersprochen hat, zog der Verstoß gegen die Pflicht zur Beschuldigtenbelehrung das Verbot einer Verwertung<br />

dieser Aussagen zu Beweiszwecken nach sich (st. Rspr. seit BGHSt 38, 214). Allein die Belehrung des<br />

Angeklagten dahingehend, bei der Polizei überhaupt nichts sagen zu müssen, <strong>und</strong> gemäß § 55 Abs. 2, § 163a Abs. 5<br />

StPO dahingehend, jedenfalls keine Angaben machen zu müssen, die ihn belasten könnten, kann in aller Regel die<br />

gebotene Belehrung über das vollumfängliche Aussageverweigerungsrecht nicht ersetzen. Hinzu kommt, dass diese<br />

Belehrungen - anders als die Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO - keinen Hinweis auf das Recht zur Verteidigerkonsultation<br />

enthielten (vgl. in diesem Zusammenhang auch BGHSt 47, 172, 174).<br />

4. Auf dem Rechtsfehler beruht das angegriffene Urteil (§ 337 Abs. 1 StPO). Es ist nicht auszuschließen, dass das<br />

Landgericht anders entschieden hätte, wenn es nicht sämtliche Aussagen des Angeklagten in diesem Verfahren für<br />

verwertbar gehalten hätte. Soweit das Landgericht seine Überzeugung von der Schuld unter anderem darauf gestützt<br />

hat, dass das Verhalten des Angeklagten nach dem Verschwinden der Opfer nicht nachvollziehbar sei <strong>und</strong> seine<br />

Angaben in dem Verfahren vage <strong>und</strong> widersprüchlich gewesen oder widerlegt worden seien, hat es nämlich maßgebend<br />

auf die Vernehmung am 26. September 2002 Bezug genommen.<br />

5. Der aufgezeigte Mangel führt zur Aufhebung des Urteils. Die Sachbeschwerde kann daher auf sich beruhen. Der<br />

Senat bemerkt jedoch, dass die Möglichkeit einer nur fahrlässigen Tötung von J. H. , deren ausdrückliche Erörterung<br />

die Revision des Angeklagten vermisst, nach der Gesamtschau der Urteilsgründe nicht nahe liegend erscheint.<br />

III. Revision der Staatsanwaltschaft: Die Staatsanwaltschaft beanstandet zu Recht, dass die Schwurgerichtskammer<br />

das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht hinsichtlich der Tötung von J. H. verneint hat.<br />

1. Dass der Angeklagte seine Tochter nicht in der Absicht tötete, den vorausgegangenen Totschlag an seiner Ehefrau<br />

zu verdecken, hat das Landgericht auf zwei - teilweise ineinander greifende - Erwägungen gestützt:<br />

a) Zum einen geht es davon aus, die Verdeckungsabsicht hätte hier "zumindest eine gewisse Zeitspanne zwischen der<br />

Tötung beider Opfer" vorausgesetzt, "in der sich der Angeklagte unter Abwägung des Für <strong>und</strong> Wider zur Begehung<br />

der weiteren Tat" entschieden hätte. "Anhaltspunkte dafür, dass dem Angeklagten eine ausreichende Zeitspanne für<br />

derartige Überlegungen blieb", bestünden aber nicht. Vielmehr sei möglich, dass er sich "in Bruchteilen einer Sek<strong>und</strong>e"<br />

auch zur Tötung seiner Tochter entschlossen habe.<br />

b) Zum anderen könne - unabhängig davon - ein sogenannter "Affektübersprung" nicht ausgeschlossen werden. Nach<br />

dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei jedenfalls möglich, dass J. H. während einer heftigen ehelichen Auseinandersetzung<br />

anwesend <strong>und</strong> in diese involviert gewesen sein könnte. Weil sie um die Vorlieben des Angeklagten für pornographische<br />

Darstellungen im Internet wusste, sei es dann nahe liegend, dass sie in der für sie extrem belastenden<br />

Situation ihre Eltern mit diesem Wissen konfrontiert, sich erstmals in außergewöhnlicher Weise gegen den Vater<br />

aufgelehnt <strong>und</strong> für ihre Mutter Partei ergriffen habe. Möglich sei aber auch, dass sie - mit der Gewalttat des Vaters<br />

gegenüber der Mutter konfrontiert - geschrieen <strong>und</strong> geweint sowie eventuell neben ihrer Angst auch ihre Abscheu<br />

gegenüber dessen Verhalten zum Ausdruck gebracht habe. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> käme ein "Affektübersprung" in<br />

Betracht, obwohl der psychiatrische Sachverständige dies unter Hinweis auf den Altersunterschied des Opfers zum<br />

Angeklagten für fern liegend erachtet habe. Ein derartiger "Affektübersprung" hätte darauf beruhen können, dass<br />

dieser seine Tochter "gleichsam als eine weitere, mit seiner ihn zutiefst kränkenden Ehefrau verbündete ('ebenbürtige')<br />

'Gegnerin' angesehen haben" könnte.<br />

2. Schon für sich gesehen hält keine dieser Erwägungen sachlich-rechtlicher Überprüfung stand; auf die Frage eines<br />

Zusammenspiels der Erwägungen kann es daher nicht ankommen. Die Ausführungen zu den rechtlichen Voraussetzungen<br />

der Verdeckungsabsicht zeigen, dass die Kammer insoweit von einem unzutreffenden Maßstab ausgegangen<br />

ist (nachfolgend a). Soweit die Kammer annimmt, ein "Affektübersprung" könne nicht ausgeschlossen werden, ist<br />

die Beweiswürdigung nicht frei von Rechtsfehlern (nachfolgend b).<br />

a) Das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht kann auch bei einem in einer unvorhergesehenen Augenblickssituation<br />

spontan gefassten Tötungsentschluss gegeben sein. Die Absicht zur Verdeckung einer anderen Tat erfordert keine<br />

Überlegung des Täters im Sinne eines abwägenden Reflektierens über die eigenen Ziele. Vielmehr genügt es, dass er<br />

die "Verdeckungslage" gleichsam "auf einen Blick" erfasst (vgl. BGHSt 35, 116; BGH NJW 1999, 1039, 1041;<br />

Schneider in MünchKomm § 211 Rdn. 184 ff.; zu dem insoweit gleich zu behandelnden Ausnutzungsbewusstsein<br />

beim Mordmerkmal der Heimtücke vgl. Senat NStZ-RR 2005, 264, 265), wobei in der Regel ein vorhandenes gedankliches<br />

Mitbewusstsein ausreicht (BGH NJW aaO). Die Auffassung, der Annahme von Verdeckungsabsicht<br />

66


stünde entgegen, dass sich der Angeklagte angesichts der Reaktion seiner Tochter "in Bruchteilen einer Sek<strong>und</strong>e"<br />

auch zu ihrer Tötung entschlossen haben könnte, belegt, dass die Kammer von einem unzutreffenden Maßstab ausgegangen<br />

ist.<br />

b) Der aufgezeigte Mangel wäre im Ergebnis unerheblich, wenn infolge des - von der Kammer als nicht ausschließbar<br />

angenommenen - "Affektübersprungs" dem Angeklagten das (gedankliche Mit-)Bewusstsein gefehlt hätte, dass<br />

die Tötung seiner Tochter die Aufklärung der Tötung der Ehefrau erschwert, <strong>und</strong> er nicht in diesem Sinne zielgerichtet<br />

gehandelt hätte. Jedoch hält die dieser Annahme zugr<strong>und</strong>e liegende Beweiswürdigung rechtlicher Überprüfung<br />

nicht stand. Die Würdigung der Beweise ist Sache des Tatrichters. Ein Urteil ist jedoch aufzuheben, wenn die Beweiswürdigung<br />

rechtsfehlerhaft ist. Dies ist etwa dann der Fall, wenn sie widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist<br />

oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt; ferner dann, wenn der Tatrichter an die für die<br />

Überzeugungsbildung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen stellt (st. Rspr.; vgl. nur Senat NJW<br />

2002, 2188, 2189; 2006, 1297, 1298; NStZ-RR 2003, 371 LS; 2005, 147 f.). Gegen die Feststellungen zur Tötungsreihenfolge<br />

<strong>und</strong> zur affektbedingten Enthemmung des Angeklagten ist - im Ausgangspunkt - revisionsrechtlich<br />

nichts zu erinnern. Basierend auf einer - noch - tragfähigen Tatsachengr<strong>und</strong>lage hat die Kammer insoweit namentlich<br />

aus dem Zustand der Ehe <strong>und</strong> dem Verhältnis des Angeklagten zu seiner Tochter sowie den Persönlichkeiten der<br />

Eheleute unter Berücksichtigung der hinsichtlich G. H. festgestellten Tötungshandlungen mögliche Schlüsse gezogen;<br />

zwingend brauchen diese nicht zu sein (st. Rspr.; vgl. nur Senatsurt. vom 21. Februar 2006 - 1 StR 456/05<br />

m.w.N.). Die Beweiswürdigung zu einem die Verdeckungsabsicht ausschließenden "Affektübersprung" ist jedoch<br />

lückenhaft (nachfolgend aa) <strong>und</strong> lässt besorgen, dass das Landgericht an die für die Überzeugungsbildung erforderliche<br />

Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt hat (nachfolgend bb).<br />

aa) Im Zusammenhang mit dem "Affektübersprung" ist lediglich angeführt, dass dieser "in Unkenntnis des tatsächlichen<br />

Verlaufs <strong>und</strong> der (etwaigen) Heftigkeit des Ehestreits nicht sicher auszuschließen" sei; auch der "befriedigende"<br />

Geschlechtsverkehr, den der Angeklagte erstmals in der Nacht vom 11. auf den 12. Mai 2002 mit D. hatte, spreche<br />

nicht dagegen. Demgegenüber bleiben die gegen eine derart starke affektive Erregung sprechenden Umstände unerörtert.<br />

Im Zusammenhang mit der Ablehnung einer erheblich eingeschränkten Schuldfähigkeit ist die Kammer nämlich<br />

"zu der Überzeugung gelangt, dass weder die Persönlichkeit des Angeklagten noch die sich aus der Ehesituation<br />

möglicherweise ergebenden Konfliktlagen noch besondere tatnahe Umstände <strong>und</strong> Verhaltensweisen" für eine durch<br />

die affektive Belastung hervorgerufenen Bewusstseinsstörung im Sinne von § 21 StGB sprächen. Zudem fehlten<br />

sogenannte "konstellative Faktoren" wie etwa der Konsum von Alkohol. Insbesondere sei aber das Nachtatverhalten<br />

zu würdigen; neben dem Geschlechtsverkehr führt das Urteil in diesem Zusammenhang die gezielte Beseitigung von<br />

Tatspuren, das unauffällige Verhalten bei Kontakt mit Dritten im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit den<br />

Taten sowie die gekonnte Darstellung eines Vermisstenfalls an. Hieraus schließt die Kammer auf "eine (beim Angeklagten)<br />

zum Tatzeitpunkt vollständig vorhandene Einsichts- <strong>und</strong> Steuerungsfähigkeit". All diese Umstände können<br />

jedoch auch für den vom Landgericht als nicht ausschließbar erachteten "Affektübersprung" relevant sein, ohne dass<br />

sie in diesem Zusammenhang allerdings erörtert sind. Dies wäre jedoch geboten gewesen, nachdem das Landgericht<br />

dem Zustand affektiver Erregung für die Ablehnung des Mordmerkmals der Verdeckungsabsicht entscheidende<br />

Bedeutung beimisst.<br />

bb) Darüber hinaus lassen die Ausführungen im Urteil auch besorgen, dass die Kammer überspannte Anforderungen<br />

an die Feststellung gestellt hat, der Angeklagte habe J. H. mit Verdeckungsabsicht getötet. Insbesondere gebietet der<br />

Zweifelssatz nicht, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten - auch hinsichtlich innerer Tatsachen - zu unterstellen,<br />

für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten Anhaltspunkte erbracht hat (st. Rspr.; vgl. nur Senatsurt.<br />

vom 11. Juli 2006 - 1 StR 188/06 m.w.N.). Das Urteil nennt weder im Zusammenhang mit der Verdeckungsabsicht<br />

noch an anderer Stelle Anhaltspunkte, die konkret darauf hinweisen könnten, der Zustand affektiver Erregung habe<br />

die Vorstellungen des Angeklagten bei der Tötung von J. H. völlig dominieren können. Das Urteil führt sogar an,<br />

dass nach den Ausführungen des Sachverständigen ein "Affektübersprung" auf Gr<strong>und</strong> des Altersunterschieds zwischen<br />

dem Angeklagten <strong>und</strong> seiner Tochter fern liege. Die Kammer hat sich offensichtlich dieser Wertung angeschlossen;<br />

jedenfalls ist Gegenteiliges nicht angeführt. Gleichwohl hat sie sich daran gehindert gesehen, einen solchen<br />

"Affektübersprung … sicher" auszuschließen. Dies lässt besorgen, dass sie für die Überzeugungsbildung von<br />

der Notwendigkeit einer jede denktheoretische Möglichkeit ausschließenden, von niemandem mehr anzweifelbaren<br />

Gewissheit ausgegangen ist (vgl. Schoreit in KK 5. Aufl. § 261 Rdn. 4 m.w.N.). Hinsichtlich der Auswirkung einer<br />

affektiven Erregung auf das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht ist - zumal bei uneingeschränkter Schuldfähigkeit<br />

- auch zu berücksichtigen, dass eine affektive Erregung ohnehin bei den meisten Tötungsdelikten den Normalfall<br />

darstellt (BGH NStZ-RR 2003, 8) <strong>und</strong> für Verdeckungstötungen sogar typisch ist (vgl. BGH NJW 1999, 1039,<br />

1041). Nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat ein solcher Erregungszustand dementsprechend im<br />

67


Regelfall keinen Einfluss auf die Verdeckungsabsicht (vgl. BGH NJW aaO; Urt. vom 15. Januar 2004 - 3 StR<br />

382/03; zusammenfassend Schneider in MünchKomm § 211 Rdn. 187).<br />

3. Die Aufhebung der Verurteilung wegen Totschlags an J. H. auf die Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung<br />

der deswegen verhängten lebenslangen Einzelfreiheitsstrafe sowie der lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe.<br />

Mit der Aufhebung des Schuldspruchs entfällt zugleich die Gr<strong>und</strong>lage für den Strafausspruch. Eine Aufrechterhaltung<br />

der wegen der Tötung von J. H. von der Schwurgerichtskammer gemäß § 212 Abs. 2 StGB verhängten lebenslangen<br />

Einzelfreiheitsstrafe <strong>und</strong> der dementsprechenden Gesamtfreiheitsstrafe bei gleichzeitiger Aufhebung des zu<br />

Gr<strong>und</strong>e liegenden Schuldspruchs ist nicht möglich (in vergleichbarem Sinne BGHR StPO § 267 Abs. 2 Schuldfähigkeit<br />

1). Ist aber die lebenslange (Gesamt-)Freiheitsstrafe aufzuheben, so ist für die Prüfung der Frage, ob die Kammer<br />

zu Recht von der Feststellung besonderer Schuldschwere (§ 57a StGB) abgesehen hat, kein Raum mehr.<br />

IV. Der Senat macht - entsprechend auch den übereinstimmenden Anträgen von Verteidigung <strong>und</strong> Generalb<strong>und</strong>esanwalt<br />

in der Revisionshauptverhandlung - von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 Alt.<br />

2 StPO an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen.<br />

V. Die Revision des Angeklagten hat die Frage aufgeworfen, ob für die Aussagen des Angeklagten bei den Beschuldigtenvernehmungen<br />

am 21. März 2003 <strong>und</strong> 29. August 2005 mangels qualifizierter Belehrungen ein Beweisverwertungsverbot<br />

besteht. Diese Frage hätte vor allem dann Gewicht, wenn es aus der Sicht des neuen Tatrichters wiederum<br />

auf den Inhalt der in Rede stehenden Aussagen ankommen sollte.<br />

1. Eine qualifizierte Belehrung dient in erster Linie der Heilung von Verstößen gegen Belehrungspflichten. War<br />

nämlich der Vernommene rechtsfehlerhaft nicht als Beschuldigter belehrt worden <strong>und</strong> erfolgt bei einer späteren Beschuldigtenvernehmung<br />

auch ein Hinweis auf die Unverwertbarkeit seiner früheren Aussage, ist diese frühere Aussage<br />

gleichwohl verwertbar, soweit er sie nach dem Hinweis - gegebenenfalls pauschal - bestätigt (vgl. Meyer-<br />

Goßner, StPO 50. Aufl. § 136 Rdn. 9).<br />

2. Dies beantwortet für sich genommen nicht die Frage, ob die nach - allerdings nicht qualifizierter - Beschuldigtenbelehrung<br />

gemachten Aussagen verwertbar sind.<br />

a) Ist ein Beschuldigter gemäß § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO belehrt, nicht jedoch über die Unverwertbarkeit früherer<br />

Aussagen, so hat der Verstoß hinsichtlich der anschließenden Aussage jedenfalls kein Gewicht, das dem Gewicht<br />

eines Verstoßes gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO entspräche. Wie der B<strong>und</strong>esgerichtshof bereits im Zusammenhang<br />

mit anderen in ihrem Gewicht hinter einem Verstoß gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO zurückbleibenden Fehlern der<br />

Vernehmenden bei Beschuldigtenvernehmungen entschieden hat, ist dann die Verwertbarkeit der Aussage durch<br />

Abwägung im Einzelfall zu ermitteln (vgl. BGHSt 42, 170, 174; NStZ 2006, 236, 237; NStZ-RR 2006, 181, 182 f.).<br />

All dies gilt hier entsprechend.<br />

b) Bei einer solchen Abwägung wäre insbesondere von Bedeutung, wie gravierend der Verfahrensverstoß war, ob er<br />

also in bewusster oder willkürlicher Umgehung der Belehrungspflichten erfolgte, wofür hier nichts spricht (vgl. auch<br />

oben II. 3. b. aa). Auf der anderen Seite wäre das Interesse an der Sachaufklärung einzustellen, das von dem - hier<br />

massiven - Gewicht der Tat abhängt. Die Annahme eines Verwertungsverbots ist nach alledem - jedenfalls auf der<br />

Gr<strong>und</strong>lage der bisher erkennbaren Umstände - fern liegend.<br />

StPO § 136 StPO – Verwertungsverbot bei unterlassener Belehrung ab wann Beschuldigter?<br />

BGH, Beschl. vom 08.11.2006 – 1 StR 454/06 – JR 2007, S. 125 m. Anm. Wohlers<br />

Liegen keine hinreichend verlässlichen Anhaltspunkte für eine erfolgte Belehrung gemäß § 136 Abs.<br />

1 S. 2 StPO bei einer Vernehmung vor, <strong>und</strong> kommt hinzu, dass ein Aktenvermerk im Sinne von Nr.<br />

45 Abs. 1 RiStBV nicht gefertigt wurde, so dürfen Äußerungen, die der Beschuldigte in dieser Vernehmung<br />

gemacht hat, nicht verwertet werden.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 26. April 2006<br />

a) im Fall II. 4 der Urteilsgründe mit den Feststellungen,<br />

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben.<br />

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.<br />

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

68


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in drei Fällen, jeweils<br />

in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln (Fälle II. 1 bis 3) sowie wegen bewaffneten<br />

Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln<br />

in nicht geringer Menge (Fall II. 4) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> acht Monaten<br />

verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf eine Verfahrensrüge <strong>und</strong> die Sachrüge<br />

gestützten Revision. Die Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung der Verurteilung im Fall II. 4 <strong>und</strong> des Ausspruchs<br />

über die Gesamtstrafe; im Übrigen ist sie unbegründet.<br />

I. Die Verfahrensbeschwerde, mit der die Revision rügt, das Landgericht habe eine vom Angeklagten zum Fall II. 4<br />

ohne Belehrung über sein Schweigerecht gemachte Aussage zu einer sichergestellten Gaspistole verwertet (Verstoß<br />

gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO), hat Erfolg.<br />

1. Der Rüge liegt folgender Verfahrensablauf zugr<strong>und</strong>e: Im Rahmen einer Wohnungsdurchsuchung wurde im Zimmer<br />

des Angeklagten in einem Schuhkarton eine größere Menge Marihuana gef<strong>und</strong>en. In Griffweite zum Schuhkarton<br />

wurde darüber hinaus in einer Schachtel, die sich in der unteren Schublade des Nachtkästchens befand, eine<br />

funktionstüchtige Gaspistole sichergestellt. Die Waffe war zwar ungeladen, es befanden sich jedoch in der Schachtel<br />

auch zu der Waffe passende Pfefferkartuschen, mit denen die Waffe jederzeit hätte geladen werden können. Der<br />

Angeklagte hat in der Hauptverhandlung das Drogengeschäft im Fall II. 4 ebenso eingeräumt wie in den Fällen II. 1<br />

bis 3. Zu der gef<strong>und</strong>enen Gaspistole hat er sich dahin eingelassen, er habe nicht gewusst, dass sie sich im Nachtkästchen<br />

bef<strong>und</strong>en habe. Das Nachtkästchen sei von seiner Schwester ein paar Tage vor seiner Festnahme aus einer<br />

Kammer im Dachgeschoß auf seine Bitte hin in sein Zimmer getragen worden, um dort den Wecker abzustellen. Er<br />

habe nie hineingeschaut. Die Strafkammer hat diese Einlassung durch die glaubhaften Angaben der Polizeibeamten<br />

M. , W. <strong>und</strong> K. als widerlegt angesehen. Der Zeuge M. hat ausgesagt, der bei der Durchsuchung anwesende Vater<br />

des Angeklagten habe nach Auffinden der Gaspistole geäußert, diese sei ein Erbstück <strong>und</strong> er sei verw<strong>und</strong>ert, wie die<br />

Waffe in das Zimmer seines Sohnes gelangt sei. Der Angeklagte habe „sinngemäß geantwortet, er habe sie eine<br />

Woche zuvor geholt“. Diese Aussage des Angeklagten haben die Polizeibeamten K. <strong>und</strong> W. bestätigt. Der Verteidiger<br />

hat der Verwertung dieser Äußerung des Angeklagten widersprochen, weil der Angeklagte zu Beginn der Ermittlungshandlungen<br />

nicht - wie nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO vorgeschrieben – belehrt worden sei. Die Strafkammer<br />

hat die drei Polizeibeamten dazu vernommen, ob eine Belehrung erfolgt sei. Dazu gab der Zeuge M. an, er habe den<br />

Angeklagten „spätestens bei der [anschließenden] Durchsuchung seiner Person, als in seiner Hosentasche 4,76 g<br />

Marihuana aufgef<strong>und</strong>en wurden, belehrt. Ob er ihn zuvor belehrt habe, könne er nicht mehr sagen“. Der Polizeibeamte<br />

K. sagte aus, er selbst habe den Angeklagten nicht belehrt, „er vermute, dass eine Belehrung durch POM M.<br />

erfolgte. Wo diese stattgef<strong>und</strong>en hat, könne er nicht mehr sagen“. Der Polizeibeamte W. gab an, „keine Angaben<br />

darüber machen zu können, ob der Angeklagte belehrt worden sei“. Die Strafkammer hat die Aussage des Angeklagten<br />

verwertet. Da sich nicht klären lasse, ob vor seiner Aussage zu der Gaspistole durch die Beamten eine Belehrung<br />

erfolgt sei, dürfe nach den Gr<strong>und</strong>sätzen aus BGHSt 38, 214, 224 der Inhalt der Einlassung verwertet werden. Dem<br />

Angeklagten könne die Waffe aufgr<strong>und</strong> der Bek<strong>und</strong>ungen der Polizeibeamten im Sinne eines bewaffneten Handeltreibens<br />

mit Betäubungsmitteln zugerechnet werden.<br />

2. Die freibeweisliche Würdigung der Strafkammer zu dem Vorliegen der Belehrung ist nicht tragfähig. Im Ausgangspunkt<br />

zutreffend hat die Strafkammer durch die Vernehmung der drei Polizeibeamten zu klären versucht, ob<br />

die in § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO bezeichnete Belehrung erteilt worden ist oder ob es Hinweise dafür gibt, dass die<br />

Belehrung versäumt worden ist. Die vom Landgericht mitgeteilten Bek<strong>und</strong>ungen der Polizeibeamten legen nahe,<br />

dass keiner der Beamten eine konkrete Erinnerung daran hatte, ob die vorgeschriebene Belehrung vor der Einlassung<br />

des Angeklagten zu der Gaspistole erfolgt ist. Anders als in den Fällen in BGHSt 38, 214, 224 <strong>und</strong> BGH NStZ 1997,<br />

609, in denen es jedenfalls Hinweise für eine erfolgte Belehrung gab, die sich nicht näher aufklären ließen, gibt es<br />

hier aufgr<strong>und</strong> der Aussagen der Polizeibeamten keine Anhaltspunkte für eine Belehrung. Es ist auch nicht festgestellt,<br />

dass einer der Polizeibeamten, den Richtlinien für das Straf- <strong>und</strong> Bußgeldverfahren (Nr. 45 Abs. 1 RiStBV)<br />

entsprechend, eine Belehrung aktenk<strong>und</strong>ig gemacht hat. Liegen somit keine hinreichend verlässlichen Anhaltspunkte<br />

für eine erfolgte Belehrung vor, <strong>und</strong> kommt hinzu, dass ein Aktenvermerk im Sinne von Nr. 45 Abs. 1 RiStBV nicht<br />

gefertigt wurde, so dürfen Äußerungen, die der Beschuldigte in dieser Vernehmung gemacht hat, nicht verwertet<br />

werden.<br />

3. Auf diesem Verfahrensfehler beruht die Verurteilung im Fall II. 4 der Urteilsgründe; er erfasst auch die tateinheitliche<br />

Verurteilung wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Der Senat sieht<br />

davon ab, hinsichtlich des Schuldspruchs auf unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer<br />

Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge durchzuentscheiden.<br />

Mit der Aufhebung der Verurteilung im Fall II. 4 entfällt auch die Gesamtstrafe. Zur Strafzumessung weist der Senat<br />

auf Folgendes hin: Sollte die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer wiederum zu dem Ergebnis kommen, dass<br />

69


im Fall II. 4 bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von<br />

Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG vorliegt <strong>und</strong> gelangt sie auch zu einem<br />

minder schweren Fall nach § 30a Abs. 3 BtMG, so wird sie die Sperrwirkung des Strafrahmens des § 29a Abs. 1 Nr.<br />

2 BtMG zu beachten haben (st. Rspr.; vgl. nur BGH NJW 2003, 1679).<br />

II. Die Überprüfung des Urteils in den Fällen II. 1 bis 3 aufgr<strong>und</strong> der Sachrüge hat keinen den Angeklagten beschwerenden<br />

Rechtsfehler ergeben.<br />

StPO § 136, § 163a – Beschuldigtenbegriff bei Erstvernehmung als Zeugen<br />

BGH 1 StR 280/07; Beschl. vom 18.07.2007<br />

Der § 136 StPO zugr<strong>und</strong>e liegende Beschuldigtenbegriff vereinigt subjektive <strong>und</strong> objektive Elemente.<br />

Die Beschuldigteneigenschaft setzt - subjektiv den Verfolgungswillen der Strafverfolgungsbehörde<br />

voraus, der sich - objektiv - in einem Willensakt manifestiert Wird gegen eine Person ein förmliches<br />

Ermittlungsverfahren eingeleitet, liegt darin ein solcher Willensakt. Andernfalls beurteilt sich<br />

dessen Vorliegen danach, wie sich das Verhalten des ermittelnden Beamten nach außen, insbesondere<br />

in der Wahrnehmung des davon Betroffenen darstellt (eingehend: Urteil des Senats vom 3. Juli<br />

2007 - 1 StR 3/07, für BGHSt bestimmt 1 ). Der Verfolgungswille kann sich jedoch aus dem Ziel, der<br />

Gestaltung <strong>und</strong> den Begleitumständen der Befragung ergeben.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 30. Oktober 2006 wird als unbegründet<br />

verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum<br />

Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tra-gen.<br />

Ergänzend zu den Ausführungen des Generalb<strong>und</strong>esanwalts in der An-tragsschrift vom 21. Juni 2007 <strong>und</strong> den in<br />

sachgerechter Weise die prozessua-len Abläufe darstellenden Ausführungen der Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft<br />

München I vom 13. April 2007 bemerkt der Senat:<br />

Die Rüge, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft die damalige Zeugenvernehmung des jetzigen Angeklagten vom 16.<br />

März 2004 verwertet, bleibt oh-ne Erfolg. Dabei kann dahinstehen, ob die Rüge in zureichender Weise ausgeführt<br />

worden ist; jedenfalls ist die Rüge unbegründet.<br />

Rechtsfehlerhaft wäre die Verwertung dann, wenn bei der Vernehmung vom 16. März 2004 der als Zeuge belehrte<br />

Vernommene bereits damals die Stellung eines Beschuldigten gehabt hätte <strong>und</strong> deshalb nicht nach § 55 StPO, sondern<br />

nach § 136 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 163a Abs. 4 StPO zu belehren ge-wesen wäre.<br />

Der § 136 StPO zugr<strong>und</strong>e liegende Beschuldigtenbegriff vereinigt subjek-tive <strong>und</strong> objektive Elemente. Die Beschuldigteneigenschaft<br />

setzt - subjektiv den Verfolgungswillen der Strafverfolgungsbehörde voraus, der sich - objektiv -<br />

in einem Willensakt manifestiert (vgl. BGHSt 38, 214, 228; BGH NJW 1997, 1591; Rogall in SK-StPO 52. Lfg. Vor<br />

§ 133 Rdn. 33; vgl. auch § 397 Abs. 1 AO). Wird gegen eine Person ein förmliches Ermittlungsverfahren eingeleitet,<br />

liegt darin ein solcher Willensakt. Andernfalls beurteilt sich dessen Vorliegen danach, wie sich das Verhalten des<br />

ermittelnden Beamten nach außen, insbe-sondere in der Wahrnehmung des davon Betroffenen darstellt (eingehend:<br />

Ur-teil des Senats vom 3. Juli 2007 - 1 StR 3/07, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt). Dieser Gr<strong>und</strong>satz gilt<br />

auch für Vernehmungen. Allerdings ergibt sich bereits aus §§ 55, 60 Nr. 2 StPO, dass im Strafverfahren auch ein<br />

Verdächtiger im Einzelfall als Zeuge vernommen werden darf, ohne dass er über die Be-schuldigtenrechte belehrt<br />

werden muss (vgl. BGHSt 10, 8, 10; 17, 128, 133; Urteil des Senats vom 3. Juli 2007 aaO; ferner BVerfG [Kammer],<br />

Beschl. vom 8. Dezember 2005 - 2 BvR 1513/05). Der Vernehmende darf dabei auch die Verdachtslage weiter<br />

abklären; da er mithin nicht gehindert ist, den Vernomme-nen mit dem Tatverdacht zu konfrontieren, sind hierauf<br />

zielende Vorhalte <strong>und</strong> Fragen nicht zwingend ein hinreichender Beleg dafür, dass der Vernehmende dem Vernommenen<br />

als Beschuldigten gegenübertritt. Der Verfolgungswille kann sich jedoch aus dem Ziel, der Gestaltung <strong>und</strong><br />

den Begleitumständen der Befragung ergeben.<br />

Ergibt sich die Beschuldigteneigenschaft nicht aus einem Willensakt der Strafverfolgungsbehörden, kann - abhängig<br />

von der objektiven Stärke des Tat-verdachts - unter dem Gesichtspunkt der Umgehung der Beschuldigtenrechte<br />

gleichwohl ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO vorliegen. Ob die Strafverfol-<br />

1 Die Entscheidung ist oben S. 62 abgedruckt<br />

70


gungsbehörde einen solchen Grad des Ver-dachts auf eine strafbare Handlung für gegeben hält, dass sie einen Verdächti-gen<br />

als Beschuldigten vernimmt, unterliegt ihrer pflichtgemäßen Beurteilung. Im Rahmen der gebotenen<br />

sorgfältigen Abwägung aller Umstände des Einzelfalls kommt es dabei darauf an, inwieweit der Tatverdacht auf<br />

hinreichend gesicher-ten Erkenntnissen hinsichtlich Tat <strong>und</strong> Täter oder lediglich auf kriminalistischer Erfahrung<br />

beruht. Falls jedoch der Tatverdacht so stark ist, dass die Strafverfol-gungsbehörde andernfalls willkürlich die Grenzen<br />

ihres Beurteilungsspielraums überschreiten würde, ist es verfahrensfehlerhaft, wenn dennoch nicht zur Beschuldigtenvernehmung<br />

übergegangen wird (vgl. BGHSt 37, 48, 51 f.; 38, 214, 228; BGH NJW 1994, 2904, 2907;<br />

1996, 2663 f.; 1997, 1591; NStZ-RR 2002, 67 [bei Becker]; 2004, 368; Beschluss vom 25. Februar 2004 - 4 StR<br />

475/03).<br />

Andererseits kann der Umstand, dass die Strafverfolgungsbehörde - zu-mal bei Tötungsdelikten - erst bei einem<br />

konkreten <strong>und</strong> ernsthaften Tatverdacht zur Vernehmung des Verdächtigen als Beschuldigten verpflichtet ist, für ihn<br />

auch eine schützende Funktion haben. Denn der Vernommene wird hierdurch nicht vorschnell mit einem Ermittlungsverfahren<br />

überzogen, das erhebliche nachteilige Konsequenzen für ihn haben kann (Senat aaO).<br />

Unter Berücksichtigung der vorgenannten Kriterien ergibt sich, dass zum Zeitpunkt der Vernehmung am 16. März<br />

2004 der Geschädigte zwar bereits über einen Monat als vermisst gemeldet war, sein Tod war den ermittelnden Beamten<br />

jedoch noch nicht bekannt geworden. Vielmehr konnte, wie sich aus dem Vermerk des KHK K. vom 26. Juni<br />

2004 ergibt, auch noch mehr als drei Monate nach der fraglichen Vernehmung mangels weiterer Erkenntnisse weder<br />

ein Unglücksfall noch eine Straftat ausgeschlossen werden. Letztlich blieb damals sogar die Möglichkeit offen, dass<br />

der Geschädigte noch lebte <strong>und</strong> lediglich unbekannten Aufenthalts war, da sein Tod den deutschen Ermittlungsbehörden<br />

erst im August 2004 bekannt wurde.<br />

Nach alledem ist es nicht zu beanstanden, dass bei der Vernehmung am 16. März 2004 keine Beschuldigtenbelehrung<br />

erfolgte. Der Schriftsatz der Verteidigung vom 13. Juli 2007 lag dem Senat bei der Entscheidung vor.<br />

StPO § 136a Drohung oder Vorteilsversprechen bei Dealgesprächen mit „Sanktionsschere“<br />

BGH, Urt. vom 27.04.2007 – 2 StR 523/06 -<br />

1. Eine unzulässige Drohung i.S.d. § 136a StPO bei der Erörterung denkbarer Verfahrensausgänge<br />

kann nur dann angenommen werden, wenn die angedrohte Strafe als schuldunangemessen hoch<br />

anzusehen wäre.<br />

2. Der Revisionsverteidiger ist verpflichtet, sich bei dem Instanzverteidiger nach den objektiven<br />

Tatsachen zu erk<strong>und</strong>igen, die vorgetragen werden müssen, um den Anforderungen des § 344 Abs. 2<br />

StPO zu genügen, wenn ihm dies möglich <strong>und</strong> zumutbar ist.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat aufgr<strong>und</strong> der Hauptverhandlung vom 25. April 2007, in der Sitzung am<br />

27. April 2007 für Recht erkannt:<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 27. Juni 2006 wird verworfen. Der<br />

Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten - ebenso wie den Mitangeklagten M., gegen den das Urteil rechtskräftig ist -<br />

wegen schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt. Mit seiner Revision<br />

erhebt der Angeklagte zwei Verfahrensrügen <strong>und</strong> die Sachrüge. Nach den Feststellungen fasste der Angeklagte zusammen<br />

mit dem Mitangeklagten M. den Plan, einen leitenden Angestellten eines Fitness- <strong>und</strong> Bäderbetriebs, den<br />

Zeugen D. , zu überfallen, um in den Besitz der Firmengelder zu gelangen. Als der Zeuge am 1. Oktober 2005 gegen<br />

1.30 Uhr vor seiner Wohnung aus seinem PKW aussteigen wollte, stiegen der maskierte Angeklagte <strong>und</strong> M. ein.<br />

Unter Drohungen mit einem säbelartigen Messer, einem Teleskopstock <strong>und</strong> einer Pistole zwangen sie den Zeugen<br />

auszusteigen. Er musste mit ihnen in seine Wohnung gehen, wurde dort gefesselt <strong>und</strong> - ohne dass das Messer oder<br />

die anderen Gegenstände zu diesem Zeitpunkt oder später erneut gezeigt wurden - aufgefordert, die Codezahlen der<br />

Tresore der Firma preiszugeben, andernfalls werde man ihn „abstechen“ oder ihm „die Finger abschneiden“. Als der<br />

Zeuge unter dem Eindruck dieser Drohungen die Zahlen nannte, fuhr der Angeklagte zu der Firma, während der<br />

Zeuge unter Bewachung des M. in der Wohnung verblieb. Da es dem Angeklagten jedoch nicht gelang, die Tresore<br />

zu öffnen, fuhr er nach telefonischer Besprechung mit M. zurück <strong>und</strong> holte M. <strong>und</strong> den Zeugen. Der Zeuge musste<br />

die Tresore öffnen, denen der Angeklagte <strong>und</strong> M. Gelder in Höhe von über 69.000 € entnahmen. Anschließend flüchteten<br />

sie <strong>und</strong> ließen den Zeugen gefesselt <strong>und</strong> geknebelt zurück. Das Landgericht hat das Tatgeschehen für den An-<br />

71


geklagten - ebenso wie für M. - abweichend von der zugelassenen Anklage nicht als schweren Raub nach § 250 Abs.<br />

2 Nr. 1 StGB, sondern als (in Mittäterschaft begangenen) schweren Raub nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 a StGB gewertet.<br />

Die Qualifikation nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB hat es abgelehnt, weil nicht feststehe, dass die von dem Angeklagten<br />

dem Zeugen vorgehaltene Pistole funktionstüchtig <strong>und</strong> geladen war. Hinsichtlich des „jedenfalls im PKW“ mitgeführten<br />

Messers habe es „eine hinreichende zeitliche Nähe <strong>und</strong> einen hinreichend konkreten örtlichen Zusammenhang<br />

zwischen dem von dem M. im PKW des Zeugen mitgeführten Messer <strong>und</strong> der in der Wohnung geäußerten<br />

Drohung“, man werde den Zeugen erstechen oder ihm die Finger abschneiden, nicht feststellen können. Auch sei<br />

nicht feststellbar, wo sich das Messer während des Aufenthalts in der Wohnung bef<strong>und</strong>en habe. Die Revision des<br />

Angeklagten, mit der er einen Verstoß gegen den Gr<strong>und</strong>satz des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 MRK) <strong>und</strong> eine<br />

Verletzung des § 136 a StPO rügt <strong>und</strong> die Sachrüge erhebt, hat keinen Erfolg.<br />

I. Verfahrensrügen:<br />

Der Angeklagte trägt vor, im Ermittlungsverfahren habe er die Tat bestritten, der Mitangeklagte M. habe sich zum<br />

Vorwurf nicht geäußert. Am ersten Hauptverhandlungstag nach Durchführung eines Teils der Beweisaufnahme habe<br />

der Mitangeklagte M. ein Geständnis abgelegt, ausdrücklich aber angegeben, dass der Angeklagte nicht sein Mittäter<br />

gewesen sei. Nach weiterer Durchführung der Beweisaufnahme habe er am zweiten Hauptverhandlungstag ebenfalls<br />

ein Geständnis abgelegt. Es sei dann besprochen worden, wie das Verfahren alsbald beendet werden könne. Nachdem<br />

bei dem Mitangeklagten Einstellungen nach § 154 StPO erfolgt seien, seien die Lebensläufe erörtert, die B<strong>und</strong>eszentralregisterauszüge<br />

<strong>und</strong> eine Urk<strong>und</strong>e verlesen <strong>und</strong> ein rechtlicher Hinweis erteilt worden, dass statt § 250<br />

Abs. 2 Nr. 1 StGB auch § 250 Abs. 1 Nr. 1 a StGB in Betracht komme. Sodann habe der Staatsanwalt in seinem<br />

Plädoyer für ihn <strong>und</strong> den Mitangeklagten jeweils eine Freiheitsstrafe von vier Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten beantragt,<br />

die dann auch vom Gericht verhängt worden sei. Nach der Urteilsverkündung habe der Vorsitzende ihn <strong>und</strong> den<br />

Mitangeklagten darüber belehrt, dass sie ungeachtet der erfolgten Verständigung Rechtsmittel einlegen könnten. Bis<br />

zu diesem Zeitpunkt sei die Frage einer Verständigung in öffentlicher Hauptverhandlung nicht angesprochen worden.<br />

Tatsächlich sei aber eine Verständigung erfolgt, die aber weder für die Öffentlichkeit noch für ihn transparent<br />

gewesen sei. Außerhalb der Hauptverhandlung sei es zuvor zu Gesprächen zwischen den Verteidigern, dem Sitzungsvertreter<br />

der Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> dem Vorsitzenden gekommen. Dabei habe der Vorsitzende erklärt, dass<br />

bei einem Geständnis <strong>und</strong> entsprechender Abkürzung des Verfahrens für beide Angeklagte von einer Freiheitsstrafe<br />

von vier Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten auszugehen sei. Sonst ginge er nach aktueller Einschätzung der Aktenlage von<br />

einer Freiheitsstrafe von über sieben Jahren aus. Sein Verteidiger habe ihm vor dem zweiten Hauptverhandlungstag<br />

in einem weiteren Gespräch davon berichtet <strong>und</strong> ihm dringend geraten, ein Geständnis abzulegen. Er sei über die<br />

drohende Freiheitsstrafe von mehr als sieben Jahren entsetzt, zu einem Geständnis aber eigentlich nicht bereit gewesen,<br />

zumal er - anders als in der Anklageschrift dargestellt - nur eine untergeordnete Rolle in einem Geschehen gespielt<br />

habe, das von einem ihm bekannten Dritten initiiert <strong>und</strong> gesteuert worden sei. Sein Verteidiger habe aber erklärt,<br />

dass die geringere Strafe nur bei einem Geständnis zugesagt worden sei, bei dem das Verfahren kurzfristig<br />

beendet werden könne. Eine mehr oder weniger pauschale Bestätigung des Anklagevorwurfs reiche aus. Er habe<br />

dann am zweiten Hauptverhandlungstag in wenigen Sätzen gestanden, an der Tat beteiligt gewesen zu sein. Der<br />

Angeklagte ist der Auffassung, dass sein Geständnis unverwertbar sei. Die Verfahrenslage sei für ihn unklar gewesen,<br />

weil die Verständigung nicht aufgedeckt worden sei. Zum anderen sei mittelbar auf ihn Zwang ausgeübt worden,<br />

weil nach der ihm durch seinen Verteidiger übermittelten Botschaft ein bestimmtes Prozessverhalten - die<br />

schlichte Akzeptanz der Anklage - zu einer bestimmten Freiheitsstrafe führen sollte. Darin sei das Versprechen eines<br />

gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils zu sehen. Schließlich ergebe sich eine rechtsstaatswidrige Zwangslage auch<br />

aus der "Sanktionsschere".<br />

1. Die Rüge, das Landgericht habe das vom Angeklagten in der Hauptverhandlung abgegebene Geständnis nicht<br />

verwerten dürfen, weil auf ihn unzulässiger Zwang ausgeübt oder ihm ein gesetzlich nicht vorgesehener Vorteil<br />

versprochen worden sei (§ 136 a StPO), hat keinen Erfolg.<br />

a) Mit der Äußerung im Vorgespräch, bei aktueller Einschätzung der Aktenlage sei, wenn kein Geständnis erfolge,<br />

von einer Strafe von deutlich über sieben Jahren auszugehen, ist dem Angeklagten, der darüber von seinem Verteidiger<br />

unterrichtet worden war, nicht rechtswidrig gedroht worden. Dabei kommt es allerdings nicht darauf an, dass -<br />

entgegen dem Rügevortrag - eine solche Strafdrohung lediglich von dem Staatsanwalt <strong>und</strong> nicht von dem Vorsitzenden<br />

der Strafkammer ins Gespräch gebracht wurde, wie sich aus den dienstlichen Erklärungen des Sitzungsvertreters<br />

der Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> der Berufsrichter ergibt. Der Vorsitzende <strong>und</strong> die richterlichen Beisitzer sind dieser Auffassung<br />

des Staatsanwalts nicht entgegengetreten oder haben sich sonst von ihr distanziert. Aus der Sicht der Verteidigung<br />

konnte dies so verstanden werden, dass die Strafkammer auf der Gr<strong>und</strong>lage der Anklage <strong>und</strong> ihrer Bestätigung<br />

in der Hauptverhandlung sich dieser Auffassung des Staatsanwalts anschließen würde. Eine unzulässige Drohung<br />

könnte aber nur dann angenommen werden, wenn die angedrohte Strafe als schuldunangemessen hoch anzuse-<br />

72


hen wäre. Dies war angesichts des Anklagevorwurfs - schwerer Raub nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB - nicht der Fall,<br />

da bereits die gesetzliche Mindeststrafe fünf Jahre beträgt <strong>und</strong> nach der Anklage hier Umstände vorlagen, die als<br />

schulderhöhend gewertet werden konnten. Dass daneben tateinheitlich auch ein erpresserischer Menschenraub nach<br />

§ 239 a Abs. 1 StGB - ebenfalls mit einer Mindeststrafe von fünf Jahren - in Betracht kommt, haben ersichtlich weder<br />

die Staatsanwaltschaft noch die Strafkammer erkannt.<br />

b) Die Rüge kann aber auch nicht unter dem Gesichtspunkt Erfolg haben, dass dem Angeklagten für den Fall eines<br />

Geständnisses ein gesetzlich nicht vorgesehener Vorteil - nämlich eine Strafe von vier Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten -<br />

versprochen worden sein soll. Dabei kann hier dahinstehen, ob ein solches Versprechen im Sinne einer bindenden<br />

Zusage (BGHSt 14, 191) bei dem Vorgespräch abgegeben wurde (siehe dazu unter I. 2.) <strong>und</strong> eine solche Strafe -<br />

ausgehend von dem Anklagevorwurf, gegebenenfalls bei Annahme eines minder schweren Falls unter Berücksichtigung<br />

eines Geständnisses - als schuldunangemessen milde anzusehen wäre (siehe dazu unter I. 1. c). Denn das Rügevorbringen<br />

ist insoweit jedenfalls nicht bewiesen. Nach den dienstlichen Äußerungen ist eine Strafe von vier Jahren<br />

<strong>und</strong> sechs Monaten (als Mindeststrafe) ins Gespräch gebracht worden für den Fall, dass ein schwerer Raub nach §<br />

250 Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht nachzuweisen wäre <strong>und</strong> eine Verurteilung lediglich nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 a StGB<br />

erfolgen könnte. Bei dieser rechtlichen Bewertung der Tat, bei der von einer gesetzlichen Mindeststrafe von drei<br />

Jahren auszugehen wäre, könnte aber eine Strafe von vier Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten, insbesondere unter Berücksichtigung<br />

eines Geständnisses, nicht als unangemessen milde angesehen werden.<br />

c) Nach dem Revisionsvorbringen kann die Rüge allerdings auch dahin verstanden werden, dass der Angeklagte<br />

subjektiv – ausgehend vom Anklage-vorwurf - von einer allein auf der Abgabe oder Nichtabgabe eines Geständnisses<br />

beruhenden „Sanktionsschere“ ausgegangen ist - sei es, weil er von seinem Verteidiger unvollständig unterrichtet<br />

wurde, sei es, weil er diesen missverstanden hatte - <strong>und</strong> auf Gr<strong>und</strong> dieser so empf<strong>und</strong>enen Zwangslage das Geständnis<br />

abgegeben hat. Auch bei dieser Auslegung kann die Rüge aber keinen Erfolg haben. Die aufgezeigten Strafen<br />

lagen hier nach dem konkreten Sachverhalt noch nicht so weit auseinander, dass sie in der einen oder anderen Richtung<br />

als schuldunangemessen anzusehen wären. Dies gilt auch für die in Aussicht gestellte mildere Freiheitsstrafe.<br />

Die Beweislage war gerade hinsichtlich des Angeklagten nicht einfach. Der Mittäter hatte ihn in seinem Geständnis<br />

entlastet. Danach sollte ein anderer die Tat mit ihm begangen haben. Der Hauptbelastungszeuge hatte zwar bek<strong>und</strong>et,<br />

dass der Angeklagte nach seiner Statur <strong>und</strong> Körperhaltung als derjenige in Betracht kommt, der die Tat mit M. zusammen<br />

ausgeführt hatte, konnte aber den bei der Tatbegehung maskierten Angeklagten nicht identifizieren. Dem<br />

Geständnis des Angeklagten kam deshalb erhebliche Bedeutung zu, so dass die Annahme eines minder schweren<br />

Falls, die ein Unterschreiten der Mindeststrafe des § 250 Abs. 2 StGB von fünf Jahren ermöglicht hätte, jedenfalls<br />

nicht unvertretbar gewesen wäre. Unter diesen Umständen kann auch in der Differenz der aufgezeigten Strafen kein<br />

die Willensfreiheit des Angeklagten beeinträchtigender unzulässiger Geständniszwang gesehen werden. Allein die<br />

Inaussichtstellung einer Strafmilderung für den Fall eines Geständnisses stellt auch nicht das Versprechen eines<br />

gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils dar (BGHSt 43, 195, 204 m.w.N., BGH StV 1999, 407; Meyer-Goßner, StPO<br />

49. Aufl. § 136 a Rdn. 23). Die Entschließungsfreiheit des Angeklagten ist durch derartige Hinweise nicht beeinträchtigt.<br />

d) Bedenken können sich allerdings deshalb ergeben, weil die von der Anklage abweichende rechtliche Würdigung<br />

der Tat als schwerer Raub nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 a StGB statt nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB nach den getroffenen<br />

Feststellungen nicht vertretbar war. Denn der Raub nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB begann mit dem Einsteigen des<br />

Angeklagten <strong>und</strong> des M. in den PKW <strong>und</strong> den dort u. a. mit dem Messer erfolgten Bedrohungen des Zeugen. Damit<br />

war die Qualifikation des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB bereits erfüllt. Eines erneuten Vorzeigens des Messers in der<br />

Wohnung bedurfte es nicht. Hätte die Strafkammer als Gegenleistung für ein Geständnis bewusst eine unzutreffende<br />

rechtliche Bewertung der Tat zugesagt - hier also statt § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB eine Subsumtion der Tat unter § 250<br />

Abs. 1 Nr. 1 a StGB -, wäre darin das Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils im Sinne von § 136<br />

a StPO zu sehen. Daran knüpft die Rüge aber nicht an. Die Revision verschweigt vielmehr, dass die rechtliche Bewertung<br />

der Tat überhaupt Gegenstand des Vorgesprächs war. Dies ergibt sich erst aus den vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt<br />

eingeholten dienstlichen Erklärungen. Hätte der Angeklagte eine solche unzulässige Verknüpfung rügen wollen,<br />

hätte er jedenfalls die objektiven Tatsachen - die abweichende rechtliche Bewertung der Tat als Gegenstand des<br />

Vorgesprächs - vortragen müssen, um den Anforderungen des § 344 Abs. 2 StPO zu genügen. Dies wäre ihm auch<br />

möglich gewesen. Zwar waren weder der Angeklagte noch der Verteidiger, der die Revision begründet hat, bei dem<br />

Vorgespräch anwesend gewesen. Eine entsprechende Erk<strong>und</strong>igung bei dem Instanzverteidiger, der ebenfalls in der<br />

Revisionsinstanz tätig war, war jedoch möglich <strong>und</strong> zumutbar.<br />

2. Auch die Rüge, es sei zu einer Verständigung außerhalb der Hauptverhandlung gekommen, die jedenfalls deshalb<br />

unzulässig gewesen sei, weil sie nicht in die Hauptverhandlung eingeführt <strong>und</strong> protokolliert worden sei, dringt nicht<br />

durch. Dabei kann dahinstehen, ob eine solche Verfahrensweise ohne Weiteres zur Urteilsaufhebung führt, wie die<br />

73


Revision meint. Dass überhaupt eine Vereinbarung erfolgt ist, die dann protokollierungspflichtig gewesen wäre, ist<br />

nicht bewiesen. Zwar stellt die vom Vorsitzenden erteilte qualifizierte Rechtsmittelbelehrung ein Indiz für eine Vereinbarung<br />

dar. Nach den vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt eingeholten dienstlichen Erklärungen ist hier aber nicht davon<br />

auszugehen, dass eine Urteilsabsprache vorgelegen hat. Zwar haben sowohl der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft<br />

als auch die Berufsrichter der Strafkammer bestätigt, dass es auf Wunsch der Verteidiger zu einem Vorgespräch<br />

vor der Hauptverhandlung gekommen sei, bei denen die Straferwartungen im Falle eines Geständnisses erörtert<br />

worden seien, gegebenenfalls auch für den Fall, dass die Verwendung einer Waffe oder eines gefährlichen<br />

Werkzeugs nicht nachzuweisen wäre (vgl. Ausführungen zu 1. b). Die Kammer sei aber angesichts der bestreitenden<br />

Einlassung des Angeklagten in die Beweisaufnahme mit Zeugenvernehmungen eingetreten. Das Geständnis des<br />

Angeklagten am zweiten Hauptverhandlungstag sei überraschend gekommen. Die Kammer habe dieses Geständnis,<br />

für dessen Richtigkeit die Beweisaufnahme gesprochen habe, für glaubhaft angesehen. Eine Überführung des Angeklagten<br />

sei auf Gr<strong>und</strong> der Beweisaufnahme auch ohne das Geständnis im hohen Maß wahrscheinlich gewesen. Die<br />

dienstlichen Erklärungen werden durch das Protokoll bestätigt, soweit der Verlauf der Hauptverhandlung darin seinen<br />

Niederschlag gef<strong>und</strong>en hat. Danach erfolgte die Einlassung des M. zur Sache erst, nachdem der Zeuge D. (der<br />

M., wie sich aus den Urteilsfeststellungen ergibt, identifiziert hatte) vernommen worden war. Anschließend wurden<br />

noch weitere fünf Zeugen vernommen, ehe der Angeklagte selbst sich zur Sache einließ.<br />

II. Sachrüge:<br />

Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat weder zum Schuldspruch noch zum Strafausspruch Rechtsfehler<br />

zum Nachteil des Angeklagten aufgedeckt. Dass der Angeklagte nicht wegen Raubes nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB<br />

in Tateinheit mit erpresserischem Menschenraub nach § 239 a Abs. 1 StGB verurteilt ist, beschwert ihn nicht.<br />

StPO § 154 oder § 154a? - Verwechslung unschädlich.<br />

BGH, Urt. vom 14.03.2007- 5 StR 461/06<br />

1. Der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft die Strafverfolgung fehlerhaft gem. § 154 Abs. 1 StPO<br />

<strong>und</strong> nicht gemäß § 154a StPO vorgenommen hat, steht deren Wirksamkeit nicht entgegen.<br />

2. § 373 AO erfasst die deutsche Tabaksteuer als Einfuhrabgabe nur dann, wenn die Zigaretten<br />

unmittelbar aus einem Nicht-Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften in die B<strong>und</strong>esrepublik<br />

Deutschland verbracht werden.<br />

3. Zur Auslegung des § 19 TabaksteuerG.<br />

4. Zur Frage des strafzumessungsrechtlich bedeutsamen Schadens bei Hinterziehung von EU-<br />

Einfuhrabgaben.<br />

Der 5. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. März 2007 für Recht erkannt:<br />

1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 18.<br />

Mai 2006 werden verworfen. Jedoch werden die Schuldsprüche teilweise geändert <strong>und</strong> wie folgt neu gefasst:<br />

a) Der Angeklagte Y. C. ist schuldig der Steuerhinterziehung in vier Fällen sowie des gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßigen<br />

Schmuggels in zehn Fällen.<br />

b) Der Angeklagte C. C. ist schuldig der Steuerhinterziehung in drei Fällen sowie des gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßigen<br />

Schmuggels in zehn Fällen.<br />

c) Der Angeklagte S. ist schuldig des gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßigen Schmuggels in sechs Fällen.<br />

d) Der Angeklagte G. ist schuldig der Beihilfe zum bandenmäßigen Schmuggel.<br />

2. Jeder Angeklagte hat die Kosten seines Rechtmittels zu tragen. Die Staatskasse trägt die Kosten der Revisionen<br />

der Staatsanwaltschaft sowie die den Angeklagten durch diese Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten Y. C. wegen gemeinschaftlichen gewerbsmäßigen Schmuggels in drei Fällen,<br />

gemeinschaftlichen banden- <strong>und</strong> gewerbsmäßigen Schmuggels in neun Fällen sowie versuchten gemeinschaftlichen<br />

banden- <strong>und</strong> gewerbsmäßigen Schmuggels in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren <strong>und</strong> zehn<br />

Monaten verurteilt, den Angeklagten C. C. wegen gemeinschaftlichen gewerbsmäßigen Schmuggels in zwei Fällen,<br />

gemeinschaftlichen banden- <strong>und</strong> gewerbsmäßigen Schmuggels in neun Fällen sowie versuchten gemeinschaftlichen<br />

banden- <strong>und</strong> gewerbsmäßigen Schmuggels in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren. Gegen<br />

den Angeklagten S. hat es wegen gemeinschaftlichen banden- <strong>und</strong> gewerbsmäßigen Schmuggels in vier Fällen sowie<br />

versuchten gemeinschaftlichen banden- <strong>und</strong> gewerbsmäßigen Schmuggels in zwei Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe<br />

74


von drei Jahren <strong>und</strong> vier Monaten verhängt, gegen den Angeklagten G. wegen Beihilfe zum gemeinschaftlichen<br />

bandenmäßigen Schmuggel in neun tateinheitlichen Fällen, hiervon zum versuchten gemeinschaftlichen bandenmäßigen<br />

Schmuggel in zwei tateinheitlichen Fällen, eine Freiheitsstrafe von drei Jahren. Gegen das Urteil wenden sich,<br />

jeweils mit dem Rechtsmittel der Revision, sowohl die Angeklagten als auch zu deren Ungunsten die Staatsanwaltschaft.<br />

Alle Angeklagten rügen die Verletzung materiellen Rechts. Von den Angeklagten Y. C. <strong>und</strong> C. C. wird zudem<br />

das Verfahren beanstandet. Die Staatsanwaltschaft hat die von ihr ausschließlich erhobene Sachrüge auf einzelne<br />

Beschwerdepunkte beschränkt. Infolge der Herausnahme der gewerbs- oder bandenmäßigen Steuerhinterziehung<br />

(§ 370a AO) aus den von der Verfolgung erfassten Gesetzesverletzungen (vgl. zu den verfassungsrechtlichen Bedenken<br />

gegen die Vorschrift des § 370a AO BGH wistra 2005, 30, 31 f.; NJW 2004, 2990, 2991 f.) durch Beschluss<br />

gemäß § 154a Abs. 2 StPO erstrecken sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft – außer hinsichtlich des Angeklagten<br />

G. – nur noch auf die Strafaussprüche. Sämtliche Rechtsmittel bleiben im Ergebnis ohne Erfolg. Lediglich die<br />

Schuldsprüche sind, wie aus dem Tenor ersichtlich, teilweise abzuändern <strong>und</strong> neu zu fassen.<br />

I. Urteil des Landgerichts<br />

1. Das Landgericht hat im Wesentlichen Folgendes festgestellt:<br />

Der Angeklagte Y. C. beschloss im Jahr 2003 nach Absprache mit unbekannt gebliebenen Hinterleuten, wiederholt<br />

unter Tarnladungen versteckte unverzollte <strong>und</strong> unversteuerte Zigaretten über Deutschland nach Großbritannien zu<br />

transportieren. Der Einkauf der Zigaretten <strong>und</strong> deren Verkauf in England wurden von den Hinterleuten organisiert.<br />

Diese übernahmen auch die Einfuhr der aus der Türkei stammenden Zigaretten auf dem Landweg in das Zollgebiet<br />

der Europäischen Gemeinschaft <strong>und</strong> gestellten die Zigaretten plangemäß nicht. Insgesamt wurden bis März 2004 in<br />

vier Fällen (Fälle 1 bis 4 der Urteilsgründe) Ladungen von 256.000, 437.400, 600.000 <strong>und</strong> 2,4 Mio. unverzollter<br />

Zigaretten in die Europäische Gemeinschaft eingeführt. Nachdem der Angeklagte Y. C. von dem Eintreffen der jeweiligen<br />

Lieferung informiert worden war, ließ er die Zigarettenladungen in Belgien (Fall 1) bzw. Österreich (Fall 2)<br />

übernehmen <strong>und</strong> mit Lkw in ein Lager in Kranzberg (Bayern) befördern. Dort ließ er die Zigaretten umverpacken<br />

<strong>und</strong> auf anderen Lkw – unter Nudeln oder anderen Lebensmitteln als Tarnware versteckt – nach England bringen. In<br />

den Fällen 3 <strong>und</strong> 4 der Urteilsgründe wurden die Zigaretten von den Hinterleuten in das Steuergebiet der B<strong>und</strong>esrepublik<br />

Deutschland gebracht <strong>und</strong> dort von dem Angeklagten Y. C. übernommen. Weder beim Grenzübertritt nach<br />

Deutschland noch zu einem späteren Zeitpunkt wurden für die Zigaretten, die nicht mit einem deutschen Tabaksteuerzeichen<br />

(Banderole) versehen waren, Steuererklärungen abgegeben. Hierdurch wurde deutsche Tabaksteuer in<br />

Höhe von insgesamt r<strong>und</strong> 400.000 Euro hinterzogen. Ab Fall 2 der Urteilsgründe wurde Y. C. von seinem Bruder,<br />

dem Angeklagten C. C. , unterstützt, der die Zigarettentransporte zum Teil selbst begleitete, die Zollformalitäten<br />

hinsichtlich der Tarnware erledigte <strong>und</strong> am Umpacken der Ware beteiligt war. Spätestens unmittelbar vor dem Ende<br />

März 2004 durchgeführten vierten Zigarettentransport schloss sich der anderweitig verfolgte G. Se. mit den Angeklagten<br />

Y. <strong>und</strong> C. C. mit dem Ziel zusammen, in der Zukunft gemeinsam arbeitsteilig Zigarettenschmuggel in der<br />

beschriebenen Weise zu betreiben. Y. C. übernahm die Stellung des „Chefs“, dessen Anweisungen die anderen Folge<br />

zu leisten hatten. Er hielt die Kontakte zu den Lieferanten <strong>und</strong> den Abnehmern der Zigaretten <strong>und</strong> handelte die Konditionen<br />

zur Durchführung der Transporte, insbesondere die Bezahlung, aus. Später stießen zu unter-schiedlichen<br />

Zeitpunkten die anderweitig Verfolgten D. A. <strong>und</strong> O. Se. sowie die Angeklagten G. (zwischen Ostern <strong>und</strong> Juni 2004)<br />

<strong>und</strong> S. (Oktober 2004) zu der Gruppe hinzu <strong>und</strong> wirkten entsprechend ihrer beim Beitritt getroffenen Absprache,<br />

zukünftig gemeinsam Zigaretten zu schmuggeln, an den Transporten mit. C. C. übernahm die konkrete Organisation<br />

der Transporte von Deutschland nach England, beispielsweise die Beauftragung von Speditionsunternehmen. Auch<br />

er war gegenüber G. <strong>und</strong> O. Se. weisungsbefugt, die das Abladen, Lagern, Umpacken <strong>und</strong> Aufladen der Ware übernahmen.<br />

Y. <strong>und</strong> C. C. entschieden gemeinsam, wieviel Geld jedes Bandenmitglied erhielt. Bis auf den Angeklagten<br />

G. handelten alle Beteiligten in der Absicht, sich selbst aus den Taten auf Dauer eine nicht unerhebliche Einnahmequelle<br />

zu verschaffen. Mitte des Jahres 2004 vereinbarte der Angeklagte Y. C. mit den Hinterleuten, künftig die<br />

Lieferungen nicht mehr über den Landweg aus der Türkei durchzuführen, sondern die Zigaretten in Seecontainern<br />

aus Asien per Schiff über die Freihäfen Hamburg <strong>und</strong> Bremerhaven in die B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland einzuschmuggeln.<br />

Gemäß dem Tatplan wurden im Zeitraum von Juli 2004 bis März 2005 acht aus China <strong>und</strong> Malaysia<br />

stammende Lieferungen von jeweils 3,8 Mio. (Fälle 5 bis 7 <strong>und</strong> 9 bis 12 der Urteilsgründe), einmal von 7,6 Mio.<br />

Zigaretten (Fall 8 der Urteilsgründe) – versteckt unter Tarnware – über den Freihafen Hamburg abgewickelt. Mit der<br />

Zollanmeldung wurden jeweils gutgläubige Spediteure beauftragt, die – getäuscht über den wahren Inhalt der Container<br />

– gegenüber den Zollbehörden nur die Tarnware (Schnellkochnudeln, Pilze bzw. Kabelschächte) gestellten<br />

<strong>und</strong> anmeldeten. Die Zigaretten wurden anschließend in den Lagern der Gruppierung umgepackt <strong>und</strong> unter Tarnwaren<br />

mittels Lkw nach England weitertransportiert. Insgesamt wurden Einfuhrabgaben (Zoll, deutsche Tabaksteuer<br />

<strong>und</strong> deutsche Einfuhrumsatzsteuer) in Höhe von 4,67 Mio. Euro verkürzt. Nach am 5. Oktober 2004 bei den Angeklagten<br />

Y. <strong>und</strong> C. C. durchgeführten Durchsuchungen vereinbarten die Gruppenmitglieder, dass diese beiden Ange-<br />

75


klagten bei der Abwicklung der Transporte nach außen nicht mehr in Erscheinung treten sollten. Deshalb weihte der<br />

Angeklagte C. C. noch im Oktober 2004 den Angeklagten S. in den gesamten Organisationsablauf ein <strong>und</strong> bat ihn,<br />

künftig seine Stellung innerhalb der Gruppierung, insbesondere die Organisation der Zollabfertigung, der Transporte<br />

von Hamburg in ein Lager in Freising sowie der Weitertransporte nach England zu übernehmen. Der Angeklagte S. ,<br />

der für jeden transportierten Container 10.000 Euro erhalten sollte, erklärte sich aufgr<strong>und</strong> seiner schwierigen finanziellen<br />

Lage dazu bereit. Tatsächlich wurden ihm insgesamt lediglich 8.000 Euro ausgezahlt. Die von Deutschland<br />

aus agierende Gruppierung bestand nun aus Y. <strong>und</strong> C. C. , S. , G. , O. <strong>und</strong> G. Se. sowie D. A. Im Mai 2005 führte die<br />

Gruppierung in derselben Weise noch zwei weitere, aus Malaysia stammende Zigarettentransporte (Fälle 13 <strong>und</strong> 14<br />

der Urteilsgründe) durch, bei denen unter Nudeln bzw. Kabelschächten als Tarnwaren in Schiffscontainern versteckte<br />

Zigaretten auf dem Seeweg über den Freihafen Bremerhaven in die Europäische Gemeinschaft eingeschmuggelt<br />

wurden. Die Zollanmeldungen enthielten keine Angaben zu den eingeführten Zigaretten. Infolgedessen wurden bei<br />

der Zollabfertigung lediglich die Einfuhrabgaben für die Tarnwaren festgesetzt. Aufgr<strong>und</strong> einer jeweils nach Erledigung<br />

der Zollformalitäten vom Hauptzollamt Bremen angeordneten Zollbeschau wurden die Zigaretten jedoch in<br />

beiden Fällen noch entdeckt <strong>und</strong> beschlagnahmt, bevor sie von den Angeklagten abtransportiert werden konnten. Der<br />

Angeklagte G. , der im Unterschied zu den anderen Angeklagten nicht an den Verkaufserlösen beteiligt werden sollte,<br />

unterstützte die Tätigkeit der Gruppe ab Juli 2004 mit verschiedenen Tatbeiträgen. So sagte er den Angeklagten<br />

Y. <strong>und</strong> C. C. zu, ihnen beim Absatz der als Tarnware verwendeten Pilze <strong>und</strong> Nudeln zu helfen. Im August 2004<br />

reiste G. mit Y. C. nach China, um dort Kontakt mit den Lieferanten der Zigaretten <strong>und</strong> der Tarnwaren aufzunehmen.<br />

Danach übersetzte er mehrere gemeinsam mit dem Angeklagten Y. C. an dessen Computer verfasste E-Mails, die<br />

Zigarettentransporte betrafen, in die englische Sprache <strong>und</strong> stellte seine Mobiltelefonnummer für Rückfragen zur<br />

Verfügung. Im November 2004 holte der Angeklagte G. über 20.000 englische Pf<strong>und</strong> von einem Abnehmer der<br />

Zigaretten in England ab <strong>und</strong> übergab das Geld in Deutschland nach Abzug der ihm für die Chinareise entstandenen<br />

Auslagen dem Angeklagten Y. C. . Im Februar <strong>und</strong> März 2005 versuchte er bei Problemen mit dem Absatz der Zigaretten<br />

mehrfach telefonisch, mit Abnehmern in London in Kontakt zu treten, da weder Y. noch C. C. englische<br />

Sprachkenntnisse hatten. Anschließend wirkte er in London an der Erk<strong>und</strong>ung <strong>und</strong> Anmietung einer geeigneten<br />

Lagerhalle mit, die das Aufgriffsrisiko bei den Transporten verringern sollte. In diesem Zusammenhang übergab der<br />

Angeklagte G. dem anderweitig verfolgten D. A. 3.500 britische Pf<strong>und</strong> sowie Unterlagen für die Anmietung des<br />

Lagers <strong>und</strong> reichte weitere 16.500 Pf<strong>und</strong> an den Angeklagten C. C. weiter, die er in London im Zusammenhang mit<br />

diesen Geschäften in einer Plastiktüte erhalten hatte. Er nahm hierbei billigend in Kauf, dass diese Be-träge aus dem<br />

Verkauf von geschmuggelten Zigaretten stammten.<br />

2. Das Landgericht hat seine Überzeugung vom festgestellten Sachverhalt im Wesentlichen auf weitgehende Teilgeständnisse<br />

der Angeklagten Y. <strong>und</strong> C. C. sowie S. <strong>und</strong> auf die Angaben von als Zeugen vernommenen weiteren Tatbeteiligten<br />

gestützt. Vom Vorsatz des Angeklagten G. , der den objektiven Sachverhalt eingeräumt hatte, hat sich das<br />

Landgericht aufgr<strong>und</strong> einer Gesamtwürdigung der festgestellten Umstände einschließlich der vom Angeklagten G.<br />

verfassten E-Mails <strong>und</strong> des Inhalts der von ihm geführten Telefonate überzeugt.<br />

3. Das Landgericht hat die Angeklagten Y. <strong>und</strong> C. C. sowie S. für jeden Zigarettentransport, an dem sie beteiligt<br />

waren, wegen einer selbständigen Tat (§ 53 StGB) des gewerbsmäßigen Schmuggels (§ 373 Abs. 1 AO), ab Fall 4<br />

der Urteilsgründe des gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßigen Schmuggels (§ 373 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 AO) verurteilt. In den<br />

Fällen, in denen die Zigaretten über einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften nach Deutschland<br />

verbracht wurden (Fälle 1 bis 4 der Urteilsgründe), hat die Strafkammer als Steuerschaden lediglich die deutsche<br />

Tabaksteuer berücksichtigt. Soweit die eingeführten Zigaretten nach Durchführung einer vom Hauptzollamt Bremen<br />

angeordneten Gesamtbeschau beschlagnahmt wurden (Fälle 13 <strong>und</strong> 14 der Urteilsgründe), hat das Landgericht –<br />

ungeachtet der unrichtigen Festsetzung der Einfuhrabgaben vor der Beschlagnahme – lediglich eine versuchte Tatbegehung<br />

angenommen. Die einzelnen Tatbeiträge des Angeklagten G. konnte die Strafkammer bestimmten Haupttaten<br />

nicht zuzuordnen; sie hat ihn deshalb wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Schmuggel in neun tateinheitlichen<br />

Fällen – davon zwei nur versuchte Taten –, verurteilt.<br />

II. Revision des Angeklagten Y. C.<br />

Die Revision des Angeklagten Y. C. führt lediglich zu der aus dem Tenor ersichtlichen Schuldspruchänderung in den<br />

Fällen 1 bis 4 der Urteilsgründe.<br />

1. Mit den erhobenen Verfahrensrügen zeigt der Beschwerdeführer keinen Rechtsfehler auf. Ergänzend zu den zutreffenden<br />

Ausführungen des Generalb<strong>und</strong>esanwalts in seiner Antragsschrift bemerkt der Senat:<br />

a) Die Rüge, das Landgericht habe zu Unrecht Erkenntnisse aus rechtswidrig angeordneten Telekommunikationsüberwachungen<br />

als Beweis-mittel verwertet, hat keinen Erfolg.<br />

aa) Der Angeklagte Y. C. macht geltend, das Landgericht habe gegen seinen ausdrücklichen Widerspruch die Erkenntnisse<br />

aus Tele-fonüberwachungsmaßnahmen im Urteil verwertet, obwohl bei deren Anordnung der Verdacht<br />

76


einer Katalogtat des § 100a StPO nicht vorgelegen habe, insbesondere nicht der vom Ermittlungsrichter angenommene<br />

Tatverdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB).<br />

bb) Die Verfahrensbeanstandung entspricht nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO <strong>und</strong> ist deshalb<br />

bereits unzulässig. Zur Begründung einer Verfahrensrüge ist der Beschwerdeführer verpflichtet, „die den Mangel<br />

enthaltenden Tatsachen“ anzugeben. Diese Angaben haben mit Bestimmtheit <strong>und</strong> so genau <strong>und</strong> vollständig zu geschehen,<br />

dass das Revisionsgericht allein auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler<br />

vorläge, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen wären (vgl. BVerfG NJW 2005, 1999, 2001; BGHR<br />

StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Aufklärungsrüge 7). Daran fehlt es hier, denn der Beschwerdeführer hat den Inhalt des<br />

Zwischenberichts des Zollfahndungsamts München vom 22. Juli 2004 nicht mitgeteilt. Diese Mitteilung wäre schon<br />

deswegen erforderlich gewesen, weil die regelmäßig schwierige Abgrenzung zwischen einer (bloß) bandenmäßigen<br />

Begehung (§ 373 Abs. 2 Nr. 3 AO) <strong>und</strong> dem Tätigwerden einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) nur anhand<br />

der Besonderheiten des Einzelfalls getroffen werden kann (vgl. dazu BGH wistra 2006, 462). Angesichts des Umfangs<br />

<strong>und</strong> der Vielzahl sowie der professionellen Durchführung der verfahrensgegenständlichen Schmuggeltransporte<br />

hätte es insbesondere auch der Mitteilung der in diesem Fahndungsbericht enthaltenen Erkenntnisse zwingend<br />

bedurft. Ohne sie kann der Senat nicht prüfen, ob der Tatrichter bei der Wertung, bei Anordnung der Maßnahmen zur<br />

Telekommunikationsüberwachung habe der Verdacht des Tätigwerdens einer kriminellen Vereinigung bestanden,<br />

den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum verlassen hat; nur dann käme ein Beweisverwertungsverbot in Betracht<br />

(vgl. BGHSt 41, 30, 32 ff.; 47, 362, 365 ff.). Da die der Telefonüberwachung zugr<strong>und</strong>e liegenden Beschlüsse des<br />

Amtsgerichts Landshut im vorliegenden Verfahren erlassen wurden <strong>und</strong> ihre Gr<strong>und</strong>lagen daher aktenk<strong>und</strong>ig sind,<br />

war der Beschwerdeführer von der Verpflichtung zu entsprechendem Sachvortrag nicht entb<strong>und</strong>en (vgl. BGH NStZ<br />

2007, 117).<br />

cc) In der Sache könnte die Verfahrensrüge ebenfalls keinen Erfolg haben. Es kann dahinstehen, ob – was bereits<br />

nach dem Sachvortrag der Revision <strong>und</strong> den Beschlussbegründungen des Amtsgerichts Landshut eher fern liegt – der<br />

Ermittlungsstand die Überwachungsanordnungen nicht gerechtfertigt hat. Jedenfalls könnte das Urteil hier nicht auf<br />

einem etwaigen Verstoß gegen die Vorschrift des § 100a StPO beruhen. Das Landgericht hat seine Überzeugung von<br />

der Täterschaft der Angeklagten Y. <strong>und</strong> C. C. <strong>und</strong> den von diesen begangenen Taten – anders als hinsichtlich der<br />

Tatbeteiligung des Angeklagten G. (UA S. 81 ff.), der das Verfahren nicht beanstandet – nicht auf die Erkenntnisse<br />

aus Telefonüberwachungsmaßnahmen gestützt (UA S. 60 ff.). Vielmehr hat es seiner Überzeugungsbildung in erster<br />

Linie die weitgehenden, hinsichtlich einiger Taten sogar vollumfänglichen, erst in der Hauptverhandlung abgegebenen<br />

Geständnisse der Angeklagten Y. <strong>und</strong> C. C. sowie die übereinstimmenden Geständnisse des Angeklagten S. <strong>und</strong><br />

weiterer Tatbeteiligter zugr<strong>und</strong>egelegt. Soweit die Einlassungen der Angeklagten Y. <strong>und</strong> C. C. in einzelnen Punkten<br />

von den Feststellungen abweichen, hat das Landgericht diese Angaben mit rechtsfehlerfrei als glaubhaft eingestuften<br />

Aussagen der übrigen Angeklagten <strong>und</strong> von Zeugen sowie mit den Erkenntnissen aus den in den Fällen 13 <strong>und</strong> 14<br />

der Urteilsgründe sichergestellten Zigarettenmengen, nicht aber unter Verwertung der Protokolle über die Telefonüberwachung,<br />

widerlegt. Den in die Hauptverhandlung eingeführten Tonbandaufzeichnungen kam somit – selbst im<br />

Fall 9 der Urteilsgründe (UA S. 72) – für die Überführung der Angeklagten Y. <strong>und</strong> C. C. keine Bedeutung zu.<br />

b) Die Rüge des Beschwerdeführers, das Landgericht habe in den Fällen 1 bis 4 der Urteilsgründe gegen die sich aus<br />

§ 265 Abs. 1 StPO ergebende Hinweispflicht verstoßen, dringt ebenfalls nicht durch. Der Generalb<strong>und</strong>esanwalt hat<br />

im Ergebnis zutreffend ausgeführt, dass sich der Angeklagte Y. C. in diesen Fällen – in Übereinstimmung mit der<br />

Anklage – der Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO schuldig gemacht hat; damit<br />

liegt eine Veränderung des rechtlichen Gesichtspunkts nicht vor. Allerdings ergibt sich diese rechtliche Würdigung<br />

für die insoweit allein noch verfahrensgegenständliche Verkürzung deutscher Tabaksteuer bereits aus der gebotenen<br />

Anwendung des § 19 TabStG.<br />

2. Auf die Sachrüge des Angeklagten Y. C. ändert der Senat den diesen Angeklagten betreffenden Schuldspruch in<br />

den Fällen 1 bis 4 der Urteilsgründe auf Steuerhinterziehung ab; die Liste der angewendeten Vorschriften (§ 260<br />

Abs. 5 StPO) ist um § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ergänzen (vgl. BGH NJW 1986, 1116, 1117; Meyer-Goßner, StPO<br />

49. Aufl. § 260 Rdn. 62).<br />

a) Die Verurteilung wegen gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßigen Schmuggels (§ 373 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 AO) für die im<br />

Zeitraum von 2003 bis März 2004 begangenen Taten (Fälle 1 bis 4 der Urteilsgründe) hält rechtlicher Nachprüfung<br />

nicht stand. Gleichwohl führt dieser Rechtsfehler nur zu einer Schuldspruchänderung; er lässt die verhängten Einzelstrafen<br />

unberührt.<br />

aa) Verfahrensgegenstand ist in diesen Fällen ausschließlich der Tat-vorwurf der Verkürzung der beim Verbringen<br />

der Zigaretten nach Deutschland entstandenen deutschen Tabaksteuer, weil die Staatsanwaltschaft bei Anklageerhebung<br />

die Strafverfolgung hierauf beschränkt hat (Anklageschrift Abschnitt V.2.k). Der Umstand, dass sie die Be-<br />

77


schränkung gemäß § 154 Abs. 1 StPO <strong>und</strong> nicht gemäß § 154a StPO vorgenommen hat, steht deren Wirksamkeit<br />

nicht entgegen.<br />

bb) Die in den Fällen 1 bis 4 der Urteilsgründe festgestellte Hinterziehung deutscher Tabaksteuer stellt keinen<br />

Schmuggel (§ 373 AO) dar. § 373 AO erfasst diese Verbrauchsteuer als Einfuhrabgabe nur dann, wenn die Zigaretten<br />

unmittelbar aus einem Nicht-Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften in die B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland<br />

verbracht werden (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Februar 2007 – 5 StR 372/06, zur Veröffentlichung bestimmt). Dies<br />

ist bei den Transporten aus der Türkei über den Landweg nach Deutschland nicht der Fall.<br />

cc) Die rechtsfehlerfrei getroffenen Urteilsfeststellungen belegen indes, dass sich der Angeklagte Y. C. hinsichtlich<br />

der bei dem Verbringen der Zigaretten nach Deutschland entstandenen Tabaksteuer der Steuerhinterziehung (§ 370<br />

Abs. 1 Nr. 2 AO i.V.m. § 19 TabStG) schuldig gemacht hat.<br />

(1) Gemäß § 19 TabStG entsteht die deutsche Tabaksteuer, wenn Tabakwaren unzulässigerweise entgegen § 12 Abs.<br />

1 TabStG aus dem freien Verkehr anderer Mitgliedstaaten zu gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet der B<strong>und</strong>esrepublik<br />

Deutschland verbracht werden. Die in den Fällen 1 bis 4 der Urteilsgründe vorschriftswidrig (vgl. Art. 40<br />

ZK) in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften eingeführten Zigaretten befanden sich dort im<br />

steuerrechtlich freien Verkehr. Das Überführen dieser auf dem Schwarzmarkt zu veräußernden Zigaretten nach<br />

Deutschland ohne Inanspruchnahme des innergemeinschaftlichen Steuerversandverfahrens (§ 16 Abs. 1 Satz 1<br />

TabStG) ist ein gewerbliches unversteuertes Verbringen. Für die Zigaretten war deshalb unverzüglich nach dem<br />

Verbringen in das Steuergebiet der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland eine Steuererklärung abzugeben (§ 19 Satz 3<br />

TabStG). Mit der Missachtung dieser Pflicht wurde die deutsche Tabaksteuer gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 Satz<br />

1 AO verkürzt (vgl. zum Ganzen BGH aaO m.w.N.).<br />

(2) Der Angeklagte Y. C. war als Verbringer (Fälle 1 <strong>und</strong> 2) bzw. als Empfänger der Zigaretten (Fälle 3 <strong>und</strong> 4)<br />

Schuldner der entstandenen Tabaksteuer <strong>und</strong> damit Erklärungspflichtiger. Steuerschuldner ist gemäß § 19 Satz 2<br />

TabStG derjenige, der verbringt oder versendet, <strong>und</strong> der Empfänger, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt hat.<br />

Bei der Auslegung dieser Tatbestandsmerkmale ist die Richtlinie Nr. 92/12 (EWG) des Rates vom 25. Februar 1992<br />

über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung <strong>und</strong> die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren (ABl.<br />

EG Nr. L 76/1 – „Systemrichtlinie“) zu beachten, denn das deutsche Tabaksteuergesetz beruht auf dieser Richtlinie.<br />

Nach Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie wird die Verbrauchsteuer je nach Fallgestaltung u. a. von der Person geschuldet,<br />

die eine Lieferung vornimmt oder die die zur Lieferung bestimmten Waren besitzt (vgl. ferner Art. 9 Abs. 1 der Systemrichtlinie).<br />

Steuerschuldner ist damit beim Verbringen einer verbrauchsteuerpflichtigen Ware in das inländische<br />

Steuergebiet zu gewerblichen Zwecken jedenfalls derjenige, der beim Verbringen der Ware oder als Empfänger einer<br />

Lieferung Herrschaft über die Ware hat. Diese Auslegung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs<br />

der Europäischen Gemeinschaften im Urteil vom 4. März 2004 in den Rechtssachen C-238/02 [V. ] <strong>und</strong> C-<br />

246/02 [J. ] zum Begriff des „Verbringens“ in Art. 40, 38 i.V.m. Art. 202 ZK. Art. 202 Abs. 3 ZK knüpft für die<br />

Bestimmung des Zollschuldners alternativ an die Beteiligung am Verbringen <strong>und</strong> an den Besitz an der in das Zollgebiet<br />

verbrachten Ware an. Als Verbringer sieht der Gerichtshof bei einer Einfuhr mit einem Kraftfahrzeug denjenigen<br />

an, der bei der Einfuhr die Herrschaft über das Transportfahrzeug hat (EuGH wistra 2004, 376, 378; vgl. hierzu<br />

BGH aaO). Wegen der Ähnlichkeit der Sachverhalte <strong>und</strong> der inneren Verzahnung der Regelungssysteme des Zollrechts<br />

<strong>und</strong> des Verbrauchsteuerrechts im europäischen Gemeinschaftsrecht (vgl. § 21 TabStG; Art. 5 Systemrichtlinie),<br />

die gemeinsam der Verwirklichung des Europäischen Binnenmarkts dienen (vgl. Art. 14 EGV), liegt es nahe, in<br />

dem durch die System-, Struktur- <strong>und</strong> Steuersatzrichtlinien weitgehend harmonisierten Verbrauchsteuerrecht dieselben<br />

Maßstäbe anzulegen (vgl. BGHSt 48, 52, 63). Die Feststellungen belegen, dass der Angeklagte Y. C. ein ausreichendes<br />

Maß an Sachherrschaft an den Tabakwaren bei ihrem Verbringen nach Deutschland hatte (Fälle 1 <strong>und</strong> 2 der<br />

Urteilsgründe) <strong>und</strong> im Übrigen als Empfänger den Besitz über die Zigaretten ausübte (Fälle 3 <strong>und</strong> 4 der Urteilsgründe).<br />

dd) Der Senat schließt aus, dass sich der weitgehend geständige Angeklagte Y. C. bei einem Hinweis auf die Veränderung<br />

des rechtlichen Gesichtspunkts (§ 265 Abs. 1 StPO) – Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO<br />

(Gr<strong>und</strong>tatbestand) statt Schmuggel gemäß § 373 AO (unselbständige Qualifikation) – anders als geschehen hätte<br />

verteidigen können.<br />

ee) Ob sich der Angeklagte Y. C. bei Verbringen der Zigaretten über den Landweg in die Europäische Gemeinschaft<br />

auch wegen Hinterziehung der in dem Mitgliedstaat der Einfuhr entstandenen Einfuhrabgaben (Zollschuld, nationale<br />

Tabak- <strong>und</strong> Einfuhrumsatzsteuern) strafbar gemacht hat (vgl. § 370 Abs. 1, Abs. 6 Satz 1, Abs. 7 AO i.V.m. Art. 202<br />

Abs. 1 Buchstabe a, Abs. 2, Art. 40, 38 ZK), hat im Hinblick auf die vorgenommene Verfahrensbeschränkung dahinzustehen.<br />

Solches liegt hier freilich nahe, denn für eine Tatbeteiligung als Mittäter reicht ein auf der Gr<strong>und</strong>lage gemeinsamen<br />

Wollens die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag aus, der sich auf eine Vorbereitungs- oder<br />

Unterstützungshandlung beschränken kann (BGH NStZ 1995, 120; 1999, 609). Hierfür genügt auch ein Tatbeitrag,<br />

78


der erst im Zeitraum zwischen Vollendung <strong>und</strong> Beendigung erbracht wird (BGH NStZ 1999, 609; vgl. auch BGHSt<br />

48, 52, 56). Hier hat das Landgericht festgestellt, dass die Hinterleute sowohl den Einkauf der Zigaretten als auch<br />

deren Verkauf in England organisiert haben. Dies deutet darauf hin, dass die von den Angeklagten Y. <strong>und</strong> C. C.<br />

geführte deutsche Gruppierung Teil einer international agierenden Schmuggelorganisation war <strong>und</strong> der Angeklagte<br />

Y. C. aufgr<strong>und</strong> seiner Beteiligung gemäß dem Tatplan auch in diesen Fällen als Mittäter die in dem anderen Mitgliedstaat<br />

entstandenen Einfuhrabgaben hinterzogen hat. Eine solche Tat kann, wenn sie beim Verbringen der Zigaretten<br />

in das Steuergebiet der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland noch nicht beendet war, mit der Hinterziehung der deutschen<br />

Tabaksteuer tateinheitlich zusammentreffen. Denn die „Schmuggeltat“ ist erst dann beendet, wenn das geschmuggelte<br />

Gut in Sicherheit gebracht <strong>und</strong> „zur Ruhe gekommen“ ist (BGH wistra 2000, 425; BGHSt 3, 40, 44).<br />

Wann dies der Fall ist, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Maßgeblich für die Beendigung des<br />

Schmuggels ist, ob die Schmuggelware die gefährliche Phase des Grenzübertritts passiert <strong>und</strong> der Schmuggler sein<br />

Unternehmen insgesamt erfolgreich abgeschlossen hat (BGHSt 3, 40, 44 f.). In der Regel wird der Schmuggel erst<br />

dann beendet sein, wenn das Schmuggelgut seinen Bestimmungsort erreicht hat (vgl. zu den Einzelheiten BGH,<br />

Beschluss vom 1. Februar 2007 – 5 StR 372/06 <strong>und</strong> BGH wistra 2000, 425).<br />

ff) Trotz des geänderten Schuldspruchs <strong>und</strong> bei der Anwendung des § 370 Abs. 1 AO gegenüber § 373 AO nach<br />

unten erweiterten Strafrahmens haben die vom Landgericht insoweit verhängten Einzelstrafen Bestand. Da diese<br />

Änderung den Umfang der verkürzten Steuern <strong>und</strong> auch die übrigen Strafzumessungserwägungen unberührt lässt,<br />

schließt der Senat aus, dass sich die fehlerhafte rechtliche Einordnung des Tatgeschehens durch das Landgericht auf<br />

den Strafausspruch ausgewirkt hat.<br />

b) Die Überprüfung des Urteils im Übrigen hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten Y. C. ergeben.<br />

Ergänzend zu den zutreffenden Ausführungen des Generalb<strong>und</strong>esanwalts, auf die insbesondere hinsichtlich der Angriffe<br />

des Beschwerdeführers gegen die Beweiswürdigung <strong>und</strong> die Strafzumessung des Tatgerichts Bezug genommen<br />

wird, bemerkt der Senat:<br />

aa) Das Landgericht hat die Fälle 5 bis 14 der Urteilsgründe, in denen die aus Asien stammenden Zigaretten per<br />

Schiff nach Deutschland transportiert <strong>und</strong> über die Freihäfen Hamburg <strong>und</strong> Bremerhaven eingeführt wurden, rechtsfehlerfrei<br />

als gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßigen Schmuggel (§ 373 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO)<br />

gewertet. Der Angeklagte Y. C. hat als mittelbarer Täter bewirkt, dass durch die mit der Erledigung der Zollformalitäten<br />

beauftragten gutgläubigen Spediteure unvollständige Zollanmeldungen abgegeben <strong>und</strong> infolgedessen für die<br />

eingeführten Zigaretten keine Einfuhrabgaben festgesetzt wurden (§§ 373, 370 Abs. 4 Satz 1 AO i.V.m. § 25 Abs. 1<br />

zweite Variante StGB). Soweit das Landgericht in den Fällen 13 <strong>und</strong> 14 der Urteilsgründe lediglich eine Strafbarkeit<br />

wegen versuchten Schmuggels angenommen hat, beschwert dies den Angeklagten nicht. Die Zollschuld entstand in<br />

diesen zehn Fällen aufgr<strong>und</strong> des vorschriftswidrigen Verbringens der Zigaretten in das Zollgebiet der Europäischen<br />

Gemeinschaft gemäß Art. 202 Abs. 1 Buchstabe a, Art. 40, Art. 4 Nr. 19 ZK; dasselbe gilt angesichts der Verweisungsnormen<br />

§ 21 Abs. 2 UStG <strong>und</strong> § 21 Satz 1 TabStG für die Einfuhrumsatzsteuer <strong>und</strong> die Tabaksteuer. Nach der<br />

Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften bewirkt auch eine im Zusammenhang mit der<br />

Gestellung abgegebene unrichtige oder unvollständige Zollanmeldung, dass die nicht angemeldeten Schmuggelwaren<br />

von der Gestellung nicht erfasst <strong>und</strong> damit vorschriftswidrig verbracht sind (EuGH ZfZ 2005, 192, 194, Ziffer<br />

31). Infolge der unvollständigen Gestellung <strong>und</strong> Zollanmeldung wurden die Einfuhrabgaben auf die Zigaretten, die<br />

bei steuerehrlichem Verhalten zu einem Zollverfahren (Art. 4 Nr. 16 ZK) hätten angemeldet werden müssen, nicht<br />

festgesetzt (Art. 217 ff., 221 ZK) <strong>und</strong> damit verkürzt (§ 370 Abs. 4 Satz 1 AO).<br />

bb) Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers lässt auch die Berechnungsdarstellung der hinterzogenen Einfuhrabgaben<br />

keinen Rechtsfehler erkennen. Sie genügt den vom Senat aufgestellten Gr<strong>und</strong>sätzen (vgl. BGHR AO § 370<br />

Abs. 1 Berechnungsdarstellung 10; Jäger StraFo 2006, 477, 479 ff. m.N.). Insbesondere enthalten die Urteilsgründe<br />

neben der Angabe der angewandten Vorschriften des Zoll- <strong>und</strong> Steuerrechts die erforderlichen Angaben zu der –<br />

zum Teil durch Schätzung – ermittelten Anzahl der eingeführten Zigaretten sowie zum Zollwert <strong>und</strong> zum Kleinverkaufspreis.<br />

cc) Ohne Erfolg rügt der Beschwerdeführer, in den Fällen 13 <strong>und</strong> 14 der Urteilsgründe (Schmuggel von Zigaretten<br />

über den Freihafen Bremerhaven) habe keine tatbestandsmäßige Handlung vorgelegen. Das Landgericht ist zutreffend<br />

von mittelbarer Täterschaft durch den Angeklagten ausgegangen. Indem er vorsatzlos handelnde Spediteure bei<br />

den Zollbehörden unvoll-ständige Zollanmeldungen einreichen ließ, überschritt er die Schwelle zum Versuch des<br />

Schmuggels (vgl. BGHR AO § 373 Versuch 1). Vielmehr rechtfertigen die vom Landgericht getroffenen Feststellungen<br />

sogar auch in diesen Fällen die Verurteilung wegen vollendeten gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßigen Schmuggels.<br />

Denn das Festsetzungsverfahren war nach den insoweit nicht beanstandeten Urteilsfeststellungen bereits abgeschlossen.<br />

Infolge der unvollständigen Zollanmeldungen waren die Einfuhrabgaben nur auf die Tarnware, aber nicht auf<br />

die Zigaretten festgesetzt <strong>und</strong> damit verkürzt (§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 AO, § 25 Abs. 1 zweite Variante<br />

79


StGB i.V.m. Art. 217 ff., 221 ZK). Erst nach der Festsetzung wurden bei Durchführung einer Gesamtbeschau der<br />

angemeldeten Waren (vgl. Art. 68 f. ZK) die Zigaretten entdeckt <strong>und</strong> beschlagnahmt. Der Senat ändert daher den<br />

Schuldspruch entsprechend ab. Dem steht das in § 358 Abs. 2 StPO enthaltene Verbot der Schlechterstellung nicht<br />

entgegen (vgl. Meyer-Goßner aaO § 331 Rdn. 8 m.w.N.).<br />

c) Zur Vereinfachung der Urteilsformel lässt der Senat die entbehrliche Kennzeichnung der Taten als „gemeinschaftlich<br />

begangen“ entfallen (vgl. BGHSt 27, 287, 289; BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2006 – 5 StR 315/06).<br />

III. Revision des Angeklagten C. C.<br />

Die mit dem Rechtsmittel des Angeklagten Y. C. inhaltlich weitestgehend übereinstimmende Revision des Angeklagten<br />

C. C. führt ebenfalls lediglich zur Schuldspruchänderung in den Fällen 2 bis 4 der Urteilsgründe. Die Ausführungen<br />

zu oben II. gelten entsprechend.<br />

IV. Revisionen der Angeklagten S. <strong>und</strong> G.<br />

Die mit näher ausgeführten Sachrügen begründeten Revisionen der Angeklagten S. <strong>und</strong> G. haben keinen Erfolg. Sie<br />

sind aus den Gründen der Antragsschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.<br />

Ergänzend bemerkt der Senat: Angesichts des Aufgabengebietes des Angeklagten S. bei der Organisation der<br />

Schmuggeltransporte <strong>und</strong> dessen Beteiligung an den Verkaufserlösen bedurfte es im Rahmen der Strafzumessung<br />

keiner ausdrücklichen Erörterung der Haftung für verkürzte Steuern nach § 71 AO als steuer-rechtlicher Folge jeder<br />

Steuerstraftat (vgl. BGHSt 48, 52, 76). Eine sich aus der Haftung ergebende besondere Härte oder etwa Bemühungen<br />

des Angeklagten um Schadenswiedergutmachung hat das Landgericht nicht festgestellt. Auch etwaige den Angeklagten<br />

S. treffende ausländerrechtliche Folgen waren keine Umstände, die das Tatgericht bei der Strafzumessung<br />

zwingend hätte erörtern müssen (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Ausländer 6 <strong>und</strong> BGH NStZ-RR 2004, 11).<br />

V. Revisionen der Staatsanwaltschaft<br />

1. Revisionen betreffend die Angeklagten Y. <strong>und</strong> C. C. sowie S.<br />

Die zu Ungunsten der Angeklagten mit Sachrügen geführten Revisionen der Staatsanwaltschaft, die vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt<br />

nicht vertreten werden, sind unbegründet.<br />

a) Dass die Strafkammer die Angeklagten in den Fällen 13 <strong>und</strong> 14 der Urteilsgründe rechtsfehlerhaft lediglich wegen<br />

versuchten gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßigen Schmuggels verurteilt hat, wird mit der Strafmaßrevision der Staatsanwaltschaft<br />

nicht beanstandet.<br />

b) Rechtsfehlerhaft ist, dass das Landgericht in diesen beiden Fällen der Strafzumessung als Steuerschaden lediglich<br />

die hinterzogene Tabaksteuer, nicht aber die ebenfalls verkürzten (vgl. § 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 AO, § 25<br />

Abs. 1 zweite Variante StGB i.V.m. Art. 217 ff., 221 ZK) Zoll- <strong>und</strong> Einfuhrumsatzsteuerschulden zugr<strong>und</strong>egelegt<br />

hat. Zwar erlischt die Zollschuld gemäß Art. 233 Satz 1 Buchstabe d ZK – <strong>und</strong> hieran anknüpfend nach § 21 Satz 1<br />

TabStG die Einfuhrumsatzsteuer –, wenn Waren, für die gemäß Art. 202 ZK die Zollschuld entstanden ist, bei dem<br />

vorschriftswidrigen Verbringen beschlagnahmt <strong>und</strong> gleichzeitig oder später eingezogen werden. Diese – bereits vor<br />

dem Erlöschen hinterzogenen – Abgaben gelten jedoch gemäß Art. 233 Satz 2 ZK für das Strafverfahren als nicht<br />

erloschen. Der Senat kann angesichts der vom Landgericht in den Fällen 5 bis 12 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen<br />

ausschließen, dass sich dieser Rechtsfehler auf den Strafausspruch ausgewirkt hat. Dies gilt insbesondere<br />

vor dem Hintergr<strong>und</strong>, dass – anders als in jenen Fällen – die Zigaretten in den Fällen 13 <strong>und</strong> 14 beim Verbringen in<br />

das Zollgebiet der Europäischen Gemeinschaft beschlagnahmt wurden <strong>und</strong> nicht in den freien Verkehr gelangten.<br />

c) Auch die im Rahmen der Strafzumessung rechtsfehlerhaft zugunsten der Angeklagten angeführte Erwägung des<br />

Landgerichts, „dass bei ordnungsgemäßer Gestellung der nach England weitergelieferten Zigaretten im Transitweg<br />

ein Schaden nicht entstanden wäre“ (UA S. 113 u. a.), gefährdet hier den Bestand der Strafaussprüche im Ergebnis<br />

nicht. Mit dieser Formulierung meint das Landgericht offensichtlich, dass dem deutschen Fiskus nur „aus formalen<br />

Gründen“ ein Schaden entstanden sei, der „eigentliche“ Schaden aber beim englischen Fiskus liege, da die Zigaretten<br />

erst in England an die Endverbraucher verkauft werden sollten. Dies ist jedoch kein strafmildernder Gesichtspunkt,<br />

wenn die aus Drittländern eingeführte Tabakwaren – anders als bei der Ausfuhr in Staaten außerhalb der Europäischen<br />

Gemeinschaft (vgl. dazu BGHSt 48, 52, 75 f.; 48, 108, 118 f.) – im Zollgebiet der Europäischen Gemeinschaft<br />

in den zollrechtlich freien Verkehr überführt werden sollen, ohne dass die hierfür erforderlichen Einfuhrabgaben<br />

entrichtet werden. Ohnehin ist es die Europäische Gemeinschaft, die hinsichtlich des hinterzogenen Zolls <strong>und</strong> des ihr<br />

zustehenden Einfuhrumsatzsteueranteils materiell geschädigt wird, <strong>und</strong> nicht die B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland oder<br />

das Königreich Großbritannien (vgl. BGH wistra 2005, 461, 463). Dieser Teil der Einfuhrabgaben wird nämlich von<br />

den Mitgliedstaaten lediglich verwaltet, bevor er dem Gemeinschaftshaushalt zufließt. Liegt die Verwaltung dieser<br />

Abgaben bei der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland, so ist deren Hinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO strafbewehrt (vgl. §<br />

3 Abs. 3 AO i.V.m. Art. 4 Nr. 10 ZK für den Zoll <strong>und</strong> § 3 Abs. 1 AO i.V.m. § 21 UStG für die Einfuhrumsatzsteuer).<br />

Beim Schmuggel aus dem Drittlandsgebiet wollen die Täter überhaupt keine Abgaben entrichten, <strong>und</strong> zwar unabhängig<br />

davon, welcher Mitgliedstaat im Einzelfall die Abgaben zu verwalten hat. Damit den Tätern der Absatz der<br />

80


Tabakwaren auf dem Schwarzmarkt gelingt, werden sie diese regelmäßig gegenüber jedem Mitgliedstaat, den die<br />

Ware bis zum Erreichen des Bestimmungsorts passiert, verschweigen. Aber auch hinsichtlich der deutschen Tabaksteuer<br />

als nationaler Verbrauchsteuer, die anlässlich der Einfuhr erhoben wird, handelt es sich nicht um eine<br />

Steuerverkürzung „aus formalen Gründen“. Denn ausschlaggebend für das Entstehen dieser Steuer ist nicht der Verkauf<br />

an den Endverbraucher, sondern die Überführung in den freien Verkehr im deutschen Steuergebiet. Ein Fall, in<br />

dem die deutsche Tabaksteuer wegen des Verbringens nach England wieder zu erstatten wäre, liegt schon deshalb<br />

nicht vor, weil auch die dort entstandenen Verbrauchsteuern nicht entrichtet wurden (vgl. Art. 22 Abs. 3 der Systemrichtlinie).<br />

Die Einfuhrabgaben wären sogar dann entstanden <strong>und</strong> von den Angeklagten zu entrichten gewesen, wenn<br />

die Zigaretten erst nach Abschluss eines Steueraussetzungsverfahrens in England in den freien Verkehr überführt<br />

worden wären. Selbst wenn die Angeklagten erst zu diesem Zeitpunkt die dort entstandenen Einfuhrabgaben hinterzogen<br />

hätten, wäre dies in Deutschland strafbewehrt gewesen. Denn von § 370 Abs. 6 Satz 1 AO werden Einfuhrabgaben<br />

auch dann als den deutschen Steueransprüchen gleichwertige Forderungen erfasst, wenn sie nicht von der<br />

B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland, sondern von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften verwaltet<br />

werden. Allerdings schließt der Senat – insbesondere im Hinblick auf die gewichtigen gegen die Angeklagten Y. <strong>und</strong><br />

C. C. verhängten Gesamtfreiheitsstrafen von sechs Jahren <strong>und</strong> zehn Monaten bzw. sechs Jahren – aus, dass das<br />

Landgericht ohne seine rechtsfehlerhafte Erwägung zu noch höheren Gesamtfreiheitsstrafen hätte gelangen können.<br />

d) Weitere Rechtsfehler zum Vor- oder Nachteil (§ 301 StPO) der Angeklagten zeigen die Revisionen nicht auf.<br />

Insbesondere hält es rechtlicher Nachprüfung noch stand, dass das Landgericht die Einzelstrafen nicht dem erhöhten<br />

Strafrahmen des § 370 Abs. 3 AO entnommen hat. Die auf eine Gesamtwürdigung der Tatumstände gestützte Wertung<br />

der Strafkammer, es liege noch kein Handeln aus grobem Eigennutz im Sinne von § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO<br />

vor, ist angesichts des Umstandes, dass ein Großteil des Erlöses aus den Taten den Hinterleuten in der Türkei zugeflossen<br />

ist, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Auch mit der Verneinung unbenannter besonders schwerer<br />

Fälle im Sinne von § 370 Abs. 3 Satz 1 AO verlässt das Landgericht hier trotz des „hohen <strong>und</strong> professionellen Organisationsgrads“<br />

<strong>und</strong> der hohen Steuerschäden noch nicht den dem Tatrichter zustehenden Beurteilungsspielraum,<br />

zumal da der Qualifikationstatbestand des § 373 AO ohnehin im Vergleich zum Gr<strong>und</strong>tatbestand der Steuerhinterziehung<br />

ein erhöhtes Mindeststrafmaß vorsieht. Die Entscheidung des Landgerichts ist daher zu respektieren, auch<br />

wenn hier eine andere Beurteilung möglich gewesen wäre <strong>und</strong> sogar näher gelegen hätte.<br />

2. Revision betreffend den Angeklagten G.<br />

Auch die den Angeklagten G. betreffende Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet. Ergänzend zu den zutreffenden<br />

Ausführungen des Generalb<strong>und</strong>esanwalts in seiner Antragsschrift bemerkt der Senat:<br />

a) Die vom Landgericht in wertender Betrachtung der maßgeblichen Umstände (vgl. BGHSt 37, 289, 291 m.w.N.)<br />

vorgenommene Würdigung des Verhaltens des Angeklagten G. als Beihilfe <strong>und</strong> nicht als Mittäterschaft hält sich<br />

noch im Rahmen des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums (vgl. BGH wistra 2005, 380, 381).<br />

b) Auch die Würdigung der Unterstützungsaktivitäten des Angeklagten G. als eine einheitliche Beihilfe gemäß § 27<br />

StGB ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Zwar liegt Tatmehrheit vor, wenn durch mehrere selbständige<br />

Hilfeleistungen mehrere selbständige Haupttaten gefördert werden (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 27 Rdn.<br />

13). Die fortlaufende Förderung der Schmuggeltaten durch den Angeklagten Greschner stellt sich hier jedoch in<br />

einer Gesamtschau als nur eine – dauerhafte – Beihilfehandlung des Angeklagten zu neun Haupttaten dar (vgl. BGH,<br />

Beschluss vom 6. Dezember 2006 – 1 StR 556/06; BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 9). In Fällen wie dem hier<br />

vorliegenden ist es nicht erforderlich, die Anzahl der Haupttaten, zu denen der Angeklagte Beihilfe geleistet hat, in<br />

den Tenor aufzunehmen. Zur Vereinfachung der Urteilsformel ändert daher der Senat den Schuldspruch entsprechend<br />

ab (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2006 – 1 StR 556/06).<br />

StPO § 206a, § 353 Abs. 2; IRG § 72 Rechtshilfe Widerruf<br />

BGH, Beschl. vom 10.01.2007 – 5 StR 305/06 (alt: 5 StR 299/03) - NJW 2007, S. 853 ff.<br />

Zum Widerruf der Bewilligung von Rechtshilfen durch Überstellung von Unterlagen, wenn diese<br />

bereits abschließend verwertet wurden.<br />

Der 5. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 10. Januar 2007 beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten<br />

wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 19. Dezember 2005 nach § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch<br />

dahin abgeändert, dass der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt wird, deren Voll-<br />

81


streckung zur Bewährung ausgesetzt wird. Die weitergehende Revision wird – unter Ablehnung der Gegenvorstellung<br />

gegen den Senatsbeschluss vom 11. November 2004 – nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Der<br />

Angeklagte hat die Kosten der Revision zu tragen, jedoch wird die Gebühr um ein Drittel ermäßigt. Je ein Drittel der<br />

gerichtlichen Auslagen im Revisionsverfahren <strong>und</strong> der dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen<br />

fallen der Staatskasse zur Last. Der Haftbefehl des Landgerichts Augsburg in der Fassung des Beschlusses vom<br />

19. Dezember 2005 wird aufgehoben; der Haftverschonungsbeschluss ist damit gegenstandslos.<br />

G r ü n d e<br />

Nachdem der Senat eine frühere Verurteilung des Angeklagten zu fünf Jahren Gesamtfreiheitsstrafe gemäß § 349<br />

Abs. 4 StPO im Strafausspruch aufgehoben hatte (BGHSt 49, 317), hat das Landgericht den Angeklagten nunmehr<br />

wegen Untreue <strong>und</strong> Steuerhinterziehung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> sechs<br />

Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen<br />

<strong>und</strong> materiellen Rechts rügt. Sein Rechtsmittel hat den aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist<br />

es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.<br />

I. Der B<strong>und</strong>esgerichtshof hat in seiner im ersten Rechtsgang erlassenen Revisionsentscheidung die Schuldsprüche<br />

gegen den Angeklagten wegen Untreue <strong>und</strong> wegen Steuerhinterziehung in drei Fällen bestätigt <strong>und</strong> die Feststellungen<br />

zu einzelnen Zuwendungen von Karlheinz Schreiber an den Angeklagten aufrechterhalten. Das landgerichtliche<br />

Urteil hat er teilweise aufgehoben, weil das Landgericht von einem zu großen Schuldumfang ausgegangen war. Das<br />

Landgericht hatte damals in seiner Entscheidung dem Angeklagten weitere Zuwendungen von Karlheinz Schreiber<br />

zugerechnet, die nicht rechtsfehlerfrei belegt waren. Insoweit hat der B<strong>und</strong>esgerichtshof das Verfahren an das Landgericht<br />

zurückverwiesen. Nach Zurückverweisung hat das Landgericht die weitergehenden Zuwendungen nicht mehr<br />

verfolgt <strong>und</strong> das Verfahren gemäß § 154a Abs. 2 StPO auf die Schuldsprüche im Umfang der Zuwendungen beschränkt,<br />

wie sie der B<strong>und</strong>esgerichtshof unter Bestehenlassen der Feststellungen bestätigt hat. Nach diesen vom<br />

B<strong>und</strong>esgerichtshof im ersten Rechtsgang aufrechterhaltenen Feststellungen war der Angeklagte Mitglied des Vorstandes<br />

der Thyssen-Henschel Kassel, eines Geschäftsbereichs der Thyssen Industrie AG Essen. In dieser Funktion<br />

war er im Jahr 1991 ganz wesentlich an dem Verkauf von 36 Panzern der Marke Fuchs beteiligt. Für dieses Geschäft<br />

wurden von der saudischen Käuferseite Schmiergelder in Höhe von insgesamt 210 Mio. DM – getarnt als Provisionen<br />

– gezahlt, die in einem „Logistikpaket“ zusammengefasst waren. Aus diesem Logistikpaket erhielt Karlheinz<br />

Schreiber über von ihm kontrollierte Gesellschaften ca. 26 Mio. DM ausbezahlt. Für diese Gelder bildete er Rubrikkonten,<br />

so unter anderem auch das dem Angeklagten zugerechnete Unterkonto „J. “, für das aber allein Schreiber<br />

verfügungsbefugt war. Auf dieses Konto flossen insgesamt 10,8 Mio. DM. Hiervon übergab Schreiber dem Angeklagten<br />

in den Jahren von 1991 bis 1994 insgesamt 2,8 Mio. DM. Der Angeklagte verkürzte in den Jahren 1991 bis<br />

1993 die Einkommensteuer um insgesamt über 1,2 Mio. DM. Das Landgericht hat die gesamten, dem Angeklagten<br />

zugeflossenen Zahlungen in Höhe von 2,8 Mio. DM der Untreue als Schuldumfang zugr<strong>und</strong>e gelegt <strong>und</strong> hierfür eine<br />

Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr <strong>und</strong> sechs Monaten verhängt. Die Steuerhinterziehungen hat es mit acht Monaten<br />

Freiheitsstrafe (1991 – 160.000 DM Steuerverkürzung), einem Jahr sechs Monaten Freiheitsstrafe (1992 –<br />

800.000 DM Steuerverkürzung) <strong>und</strong> zehn Monaten Freiheitsstrafe (1993 – 290.000 DM Steuerverkürzung) geahndet.<br />

II. Die Revision des Angeklagten ist teilweise begründet.<br />

1. Die verfahrensrechtlichen Beanstandungen der Verteidigung bleiben ohne Erfolg. Das nunmehr vom Schweizer<br />

B<strong>und</strong>esamt für Justiz angeordnete Verwertungsverbot bezüglich im Wege der Rechtshilfe überlassener Unterlagen<br />

berührt den Bestand des angefochtenen Urteils nicht.<br />

a) Diesem vom Schweizer B<strong>und</strong>esamt ausgesprochenen Verwertungsverbot liegt folgendes Geschehen zugr<strong>und</strong>e:<br />

Die Beweiswürdigung hinsichtlich sämtlicher Tatvorwürfe stützte sich ganz wesentlich auf in der Schweiz beschlagnahmte<br />

Unterlagen von Karlheinz Schreiber. Dabei bildeten vor allem die auf den Kontoauszügen Schweizer Banken<br />

belegten Geldbewegungen ein gewichtiges Indiz für die an den Angeklagten geflossenen Zahlungen. Im vorgehenden<br />

Revisionsverfahren hat der Angeklagte die Verwertung der Unterlagen, die von den Schweizer Behörden unter<br />

einen Spezialitätsvorbehalt gestellt worden waren, mit einer Verfahrensrüge erfolglos gerügt (BGHSt 49, 317, 322<br />

ff.). Nunmehr hat das Schweizer B<strong>und</strong>esamt für Justiz, nachdem es zu-nächst das deutsche B<strong>und</strong>esministerium der<br />

Justiz um Auskünfte ersucht <strong>und</strong> diese auch erhalten hatte, mit Schreiben vom 7. November 2006 mitgeteilt, dass die<br />

im Beschluss des Senats erwähnten Beweismittel in dem gegen den Angeklagten geführten Strafverfahren nicht<br />

verwendet werden dürften. Das Schweizer B<strong>und</strong>esamt hat seine Entscheidung damit begründet, die Staatsanwaltschaft<br />

Augsburg habe in ihrem Rechtshilfeersuchen wesentliche Umstände verschwiegen, nämlich dass das Finanzamt<br />

für die Konzernprüfung (FA Düsseldorf II) die steuerliche Abzugsfähigkeit von r<strong>und</strong> 47 % des Angebotspreises<br />

anerkannt habe; dies könne nur dann erfolgen, wenn die Empfänger der Provisionen keine im Inland steuerpflichtigen<br />

Personen seien, deshalb habe die Provisionsauszahlung über Konten ausländischer Banken abgewickelt werden<br />

sollen. Das Schweizer B<strong>und</strong>esamt behauptet, dass die Schweizer Rechtshilfeorgane, wären sie von diesem Umstand<br />

82


in Kenntnis gesetzt worden, die Rechtshilfe nicht bewilligt hätten; ein so gelagerter Sachverhalt erfülle nämlich „weder<br />

den (die Rechtshilfe ermöglichenden) Tatbestand des Abgabebetrugs noch eines anderen Delikts nach schweizerischem<br />

Recht“.<br />

b) Das nunmehr ausgesprochene Verwertungsverbot des Schweizer B<strong>und</strong>esamts für Justiz berührt die vom Landgericht<br />

zugr<strong>und</strong>e gelegten Feststellungen nicht.<br />

aa) Mit der Entscheidung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs vom 11. November 2004 ist horizontale Teilrechtskraft eingetreten,<br />

weil hierin der gesamte Schuldspruch bestätigt worden ist. Zugleich hat der Senat die Feststellungen zu den der<br />

Verurteilung zugr<strong>und</strong>e liegenden Geldflüssen aufrechterhalten. Infolge der hieraus sich für das Landgericht ergebenden<br />

Bindungswirkung waren Beweiserhebungen zu den aufrechterhaltenen Feststellungen nicht mehr zulässig (vgl. §<br />

353 Abs. 2 StPO). Deshalb hat sich für das Landgericht nicht mehr die Frage gestellt, ob die im Wege der Rechtshilfe<br />

erlangten Be-weismittel verwertet werden dürfen. Eine solche Verwertung würde nämlich eine zulässige Beweiserhebung<br />

voraussetzen, die hier dem Landgericht aufgr<strong>und</strong> der Teilrechtskraft <strong>und</strong> der daraus resultierenden Bindungswirkung<br />

gerade verschlossen war.<br />

bb) Hat nach der Zurückverweisung der neue Tatrichter nicht mehr über eine Verwertung von Beweismitteln zu<br />

entscheiden, gilt dies in gleicher Weise für die Revisionsinstanz. Deren Entscheidungsumfang reicht nicht weiter als<br />

diejenige des Tatrichters, dessen Entscheidung das Revisionsgericht auf Rechtsfehler überprüft. Demnach stellt sich<br />

in der Revisionsinstanz ebenfalls nicht mehr die Frage nach einer Verwertung der Beweismittel, die von der Schweiz<br />

im Wege der Rechtshilfe übermittelt wurden. Diese ist nicht mehr Gegenstand des jetzigen Revisionsverfahrens.<br />

Zudem bindet seine erste Entscheidung in diesem Verfahren, mit der die Feststellungen zu den einzelnen Zuwendungen<br />

aufrechterhalten worden sind <strong>und</strong> er den Schuldspruch bestätigt hat, den Senat auch selbst. Das Revisionsgericht<br />

darf im zweiten Rechtsgang von den Aufhebungsgründen nicht abweichen (BGHSt –GS– 33, 356, 360; BGH NJW<br />

1953, 1880; vgl. Kuckein in KK 5. Aufl. § 358 StPO Rdn. 13; ferner GmS OGB BGHZ 60, 392, 397). Deshalb darf<br />

der Senat in dem jetzigen Verfahren unter dem Gesichtspunkt der Eigenbindung nicht von der von ihm bereits bejahten<br />

Zulässigkeit der Verwertung dieser Schweizer Unterlagen abweichen.<br />

c) Aus dem Schreiben des Schweizer B<strong>und</strong>esamts für Justiz erwächst weder für das Verfahren insgesamt noch für<br />

die Verfolgung der Steuerhinterziehung ein Verfahrenshindernis (§ 206a StPO), das ungeachtet der bereits eingetretenen<br />

Rechtskraft der Schuldsprüche zu beachten wäre. Das Bestehen eines Verfahrenshindernisses führt dazu, dass<br />

das Ge-richt nicht mehr zu einem Sachurteil hinsichtlich des Tatvorwurfs gelangen darf (vgl. BGHSt 10, 74, 75).<br />

Insoweit bezeichnet der Terminus Verfahrenshindernis das Fehlen einer Prozessvoraussetzung. Deren Fehlen bewirkt,<br />

dass entweder eine Befassung des Gerichts mit dem Vorwurf oder eine Bestrafung durch das Gericht wegen<br />

des Vorwurfs verboten wird (vgl. Kühne in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. Einl. K Rdn. 37 ff.; Meyer-Goßner,<br />

StPO 49. Aufl. Einl. 143 ff.). Eine solche Wirkung kommt der Entscheidung des Schweizer B<strong>und</strong>esamts für Justiz<br />

nicht zu. Denn die Rechtshilfe betraf nur die Beschlagnahme <strong>und</strong> Überstellung einzelner Urk<strong>und</strong>en. Nur auf die<br />

Voraussetzungen ihrer Verwertbarkeit bezog sich auch der von den Schweizer Justizbehörden formulierte Spezialitätsvorbehalt.<br />

Ein Spezialitätsvorbehalt kann zwar – was insbesondere in Auslieferungssachen in Betracht kommen<br />

wird (vgl. §§ 11, 41 IRG) – auch eine Einschränkung der Verfolgbarkeit einzelner Taten insgesamt begründen. Im<br />

vorliegenden Fall bezieht sich jedoch die Rechtshilfe lediglich auf die bei Karlheinz Schreiber beschlagnahmten<br />

Unterlagen. Die Zustimmung der Schweizer Justizbehörden bzw. ihre nunmehrige Versagung kann deshalb auch nur<br />

die Verwertbarkeit dieser Unterlagen betreffen. Dies lässt aber die Möglichkeit einer Verfolgung der angeklagten<br />

Taten <strong>und</strong> eines Tatnachweises gegen den deutschen, in Deutschland verhafteten Angeklagten aufgr<strong>und</strong> anderer<br />

Beweismittel unberührt. Demnach wirkt sich eine etwaige Bindung der deutschen Strafverfolgungsbehörden an die<br />

später ausgesprochene Untersagung der Verwertung der im Wege der Rechtshilfe beschlagnahmten Unterlagen allein<br />

auf ihre Verwendung als Beweismittel, nicht aber auf die Verfolg- oder Bestrafbarkeit der Tat an sich aus. Ein Verfahrenshindernis<br />

ist daher durch die anderweitige Entscheidung des Schweizer B<strong>und</strong>esamts für Justiz nicht entstanden.<br />

d) Entgegen der Auffassung der Verteidigung hat das „Aberkennen der Rechtshilfefähigkeit von Beweismitteln“<br />

auch nicht dieselbe Rechtsqualität wie ein Verfahrenshindernis. Dies gilt unabhängig davon, ob der Rechtshilfe leistende<br />

Staat „die Beweismittel ausdrücklich zurückfordert“. Die hier gegebene Fallkonstellation ist mit der prozessualen<br />

Lage im Falle des nachträglichen Eintritts eines Verfahrenshindernisses nicht vergleichbar. Deshalb verbietet<br />

sich die sinngemäße Anwendung der Gr<strong>und</strong>sätze über die Behandlung von Verfahrenshindernissen bei teilrechtskräftigen<br />

Entscheidungen. Insoweit bestehen durchgreifende strukturelle Unterschiede. Während der nachträgliche Eintritt<br />

oder auch nur das spätere Erkennen eines bereits bestehenden Verfahrenshindernisses die Verfolgbarkeit der Tat<br />

beeinflusst <strong>und</strong> die Bestrafung an sich betrifft, beschränkt sich das ausgesprochene Verwertungsverbot allein auf ein<br />

Beweismittel. Es geht deshalb ins Leere, sobald das Beweismittel verwertet ist <strong>und</strong> diese Verwertung – wie hier<br />

durch die Teilrechtskraft <strong>und</strong> die Bindungswirkung der Feststellungen – nicht mehr angefochten werden kann. An-<br />

83


ders als bei einem Verfahrenshindernis, das der Verfolgung entgegensteht, berührt ein später ausgesprochenes Verwertungsverbot<br />

die inhaltliche Richtigkeit von Schuldspruch <strong>und</strong> Strafe im Ergebnis nicht unmittelbar. Dem Landgericht<br />

lag in der wieder eröffneten Tatsacheninstanz ein hinsichtlich des Schuldspruchs <strong>und</strong> der aufrechterhaltenen<br />

Feststellungen teilrechtskräftig entschiedener Sachverhalt vor, der materiell- <strong>und</strong> verfahrens-rechtlich rechtsfehlerfrei<br />

war. Insoweit unterscheidet sich diese Verfahrensgestaltung von den Entscheidungen des B<strong>und</strong>esgerichtshofs, die<br />

von der Verteidigung für eine entsprechende Anwendung der Gr<strong>und</strong>sätze über Verfahrenshindernisse in Bezug genommen<br />

werden. Das Urteil des B<strong>und</strong>esgerichtshofs vom 28. April 1982 (BGHSt 31, 51) betraf die Frage, inwieweit<br />

sich die geänderte Rechtsauffassung des um Rechtshilfe ersuchten Staates in einem Auslieferungsverfahren für das<br />

innerstaatliche Recht als Verfahrenshindernis auswirken kann. Dies hat der B<strong>und</strong>esgerichtshof für den Fall einer mit<br />

Zustimmung des Beschuldigten erfolgten Auslieferung verneint, es aber offen gelassen, ob der ersuchte Staat nachträglich<br />

die Bedingungen einer Auslieferung einseitig ändern kann <strong>und</strong> ob hieraus ein Verfahrenshindernis für das<br />

Strafverfahren in Deutschland erwachsen würde (BGHSt 31, 51, 54). Abgesehen davon, dass die von der Verteidigung<br />

in Bezug genommenen Rechtsfragen gerade offen gelassen wurden, stand dort im Unterschied zu der hier zu<br />

beurteilenden Verfahrenskonstellation ein Verfahrenshindernis in Frage. In dem jetzt zu entscheidenden Fall geht<br />

aber das nunmehr von der Schweiz ausgesprochene Verwertungsverbot ins Leere, weil aufgr<strong>und</strong> der eingetretenen<br />

horizontalen Teilrechtskraft des Urteils keine Verwertung der Beweismittel mehr stattfindet <strong>und</strong> die im ersten<br />

Rechtsgang erfolgte Verwertung keiner Überprüfung unterzogen werden darf. Anders als beim Verfahrenshindernis,<br />

das bis zum Eintritt vollständiger Rechtskraft immer zu beachten ist, stehen die einzelnen Be-weismittel in einem<br />

Bezug zu konkreten Tatsachen, die sie belegen sollen. Relevanz können sie deshalb insoweit nur erlangen, als noch<br />

eine Tatsachenfeststellung stattfinden kann, für die sie von Bedeutung sind. Hierin liegt der wesentliche strukturelle<br />

Unterschied zu einem Verfahrenshindernis, das auch bei Teilrechtskraft zu beachten ist. Ebenso wenig kann aus den<br />

weiteren Entscheidungen, auf die sich die Revision beruft (BGHSt 13, 128; 15, 203), für die hier zu beurteilende<br />

Fragestellung etwas hergeleitet werden. Sie betreffen das Verfahrenshindernis der Verjährung <strong>und</strong> nicht – wie hier –<br />

ein bloßes Verwertungsverbot.<br />

e) Eine Durchbrechung der Teilrechtskraft kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht. Ein Teil der Literatur<br />

nimmt dies in den Fällen an, in denen die Wiederaufnahmevoraussetzungen im Sinne des § 359 StPO vorliegen (vgl.<br />

Gössel in Festschrift für Peter Ries 2002 S. 118 ff. m.w.N.; vgl. auch Meyer-Goßner aaO § 353 Rdn. 21; Hanack in<br />

Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 353 Rdn. 30 f.; offen gelassen in BGH NJW 1982, 1295, 1296; - a.A. Temming<br />

in Heidelberger Kommentar 3. Aufl. § 353 Rdn. 10). Maßgebliche Erwägung insoweit ist, dass der Angeklagte sich<br />

bei Teilrechtskraft nicht auf das Wiederaufnahmeverfahren verweisen lassen müsse, wenn noch innerhalb des Verfahrens<br />

eine Korrekturmöglichkeit bestehe (vgl. Gössel aaO).<br />

aa) Der Senat kann dahinstehen lassen, ob diesem Ansatz zu folgen ist. Auch wenn man unter den Voraussetzungen<br />

eines Wiederaufnahmegr<strong>und</strong>s im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO die Berücksichtigung neuer Tatsachen zuließe, führt<br />

das vom Schweizer B<strong>und</strong>esamt für Justiz ausgesprochene Verwertungsverbot nicht zu einer Aufhebung der angefochtenen<br />

Entscheidung. Das nachträglich ausgesprochene Verwertungsverbot ist eine sogenannte Rechtstatsache,<br />

weil es lediglich die rechtliche Bewertung eines Sachverhalts betrifft <strong>und</strong> eine Rechtsfolge setzt (BGHSt 39, 75, 79<br />

f.). Dies begründet aber keine neue Tatsache im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO (Meyer-Goßner aaO § 359 Rdn. 24 f.;<br />

W. Schmidt in KK 5. Aufl. § 359 StPO Rdn. 19). Das Schreiben bezieht sich im Übrigen nur auf das dem strafrechtlichen<br />

Erkenntnis zugr<strong>und</strong>e liegende Verfahren, ohne die Tat selbst unmittelbar zu berühren. Solche allein das Verfahren<br />

betreffende Umstände begründen keinen Wiederaufnahmegr<strong>und</strong> im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO (vgl. BGHSt<br />

42, 314, 319 zu § 79 Abs. 1 BVerfGG).<br />

bb) Eine analoge Anwendung der Wiederaufnahmebestimmungen würde aber auch aus einem weiteren Gr<strong>und</strong> hier<br />

nicht zu einer Aufhebung führen. Eine Wiederaufnahme kann sich nicht gegen ein Revisionsurteil richten (Meyer-<br />

Goßner aaO § 359 Rdn. 22). Dies ist mit dem Wesen des Revisionsverfahrens nicht vereinbar. Ausgangspunkt einer<br />

möglichen analogen Anwendung der Gr<strong>und</strong>sätze des Wiederaufnahmerechts ist die verfahrens-ökonomische Erwägung,<br />

dass der neue Tatrichter, in dessen Verhandlung sich ein neuer tatsächlicher Gesichtspunkt herausstellt, die<br />

Möglichkeit haben solle, unter den Voraussetzungen des § 359 Nr. 5 StPO die Rechtskraft durchbrechen <strong>und</strong> das<br />

Verfahren insoweit neu beurteilen zu können. Dies gilt nicht für einen neuen Umstand, der sich erst im Revisionsverfahren<br />

herausstellt. Da dort keine Tatsachenfeststellungen stattfinden, kann das Revisionsgericht schon allein deshalb<br />

nicht das Wiederaufnahmeverfahren vorwegnehmen. Abgesehen davon, dass entsprechendes Rügevorbringen zu<br />

möglichen Tatsachen im Sinne eines Wiederaufnahmegr<strong>und</strong>es nach § 359 Nr. 5 StPO sich auch praktisch kaum in<br />

den Rahmen des Revisionsverfahrens einfügen ließe, bliebe der verfahrensökonomische Nutzen gering. Das Revisionsgericht<br />

hätte nämlich letztlich keine andere Möglichkeit, als die Sache an den Tatrichter zurückzuverweisen.<br />

Dann entsteht aber auch kein Effizienzgewinn gegenüber dem gesetzlich hierfür vorgesehenen Wiederaufnahmeverfahren,<br />

in dem ebenfalls zu prüfen ist, ob wegen neuer Tatsachen im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO ein neues tatrichter-<br />

84


liches Verfahren eröffnet wird. Für das Revisionsverfahren kommt deshalb die Durchbrechung der Rechtskraft gemäß<br />

§ 359 StPO analog nicht in Betracht. So liegt der vorliegende Fall. Die neue Entschließung des Schweizer B<strong>und</strong>esamts<br />

für Justiz ist erst nach Abschluss des hier angefochtenen neuen tatgerichtlichen Verfahrens erfolgt.<br />

f) Der Senat hat erwogen, ob in Fällen mit internationaler Berührung dann ausnahmsweise eine Durchbrechung der<br />

Teilrechtskraft <strong>und</strong> der aus § 353 Abs. 2 StPO folgenden Bindungswirkung in Betracht kommt, wenn anderweitig die<br />

Einhaltung völkerrechtlicher Vereinbarungen nicht gewährleistet ist. Dies kann jedoch in dem hier zu entscheidenden<br />

Fall dahinstehen, weil ein zwischenstaatlicher Rechtsverstoß nicht ersichtlich ist.<br />

aa) Ein solcher Verstoß würde freilich voraussetzen, dass dem Rechtshilfe leistenden Staat auch dann noch eine<br />

völkerrechtlich erhebliche Rechtsposition zukäme, wenn das Rechtshilfeverfahren abgeschlossen ist, - 12 -<br />

mithin also beschlagnahmte Urk<strong>und</strong>en an die b<strong>und</strong>esdeutsche Justiz überstellt worden sind. Nur für diese Fallkonstellation<br />

ist überhaupt eine Konfliktsituation mit dem innerstaatlichen Recht denkbar, weil nur dann die spätere Untersagung<br />

der – vorliegend zudem abgeschlossenen – Verwertung beachtlich sein könnte. Dabei kann offen bleiben,<br />

ob die im Einzelfall geleistete Rechtshilfe als spezieller (fallbezogener) völkerrechtlicher Vertrag zwischen den beteiligten<br />

Staaten anzusehen ist (für das Auslieferungsverfahren offen gelassen in BGHSt 31, 51, 54). Selbst wenn<br />

man eine solche Bindung annähme, ergäben sich für den ersuchten Staat allenfalls völkerrechtliche Ansprüche, wenn<br />

er sich aus der völkervertraglichen Bindung lösen könnte <strong>und</strong> hieraus Restitutionsansprüche entstünden. Dies wäre<br />

der Fall, wenn eine völkervertragliche Vereinbarung wegen Irrtums (vgl. Art. 48 Wiener Übereinkommen über das<br />

Recht der Verträge) oder Täuschung (vgl. Art. 49 dort) anfechtbar wäre (vgl. Ipsen, Völkerrecht 5. Aufl. S. 182, der<br />

zutreffend darauf hinweist, dass die deutsche Übersetzung des Vertragstextes zu Art. 49, die von „Betrug“ spricht,<br />

der Sache nach aber „Täuschung“ meint, unklar ist).<br />

bb) Ob ein solcher Gr<strong>und</strong> besteht, haben die Justizorgane des ersuchenden Staates eigenverantwortlich zu prüfen.<br />

Insoweit gilt keine dem Spezialitätsvorbehalt (§ 72 IRG) entsprechende Bindung an die Entscheidung des ersuchten<br />

Staates, weil das Rechtshilfeverfahren abgeschlossen ist. Der Abschluss des Rechtshilfeverfahrens ergibt sich – entgegen<br />

der Auffassung der Verteidigung – aus den Entscheidungen der Schweizer Justizorgane. Dabei war die Erlaubnis<br />

zur Verwertung der Unterlagen, wie das Kantonsgericht Graubünden in seinem Entscheid vom 24. Juni 1998<br />

(S. 24) ausdrücklich klargestellt hat, auch gegenüber dem Angeklagten erlaubt. Lediglich weitere Verwendungen der<br />

überlassenen Unterlagen – so das Kantonsgericht – bedürften einer neuerlichen Genehmigung durch die Schweizer<br />

Justizbehörden. Die Rechtshilfe war demnach auch gegenüber dem Angeklagten mit Überstellung der Unterlagen –<br />

nach bestandskräftiger Rechtshilfebewilligung – geleistet. Jedenfalls wenn es um die Frage der Verwertung nach<br />

geleisteter Rechtshilfe oder gar der Durchbrechung der Rechtskraft geht, muss das Gericht des ersuchenden Staates,<br />

das über die Verwendung der Be-weismittel erneut entscheiden soll, auch die sachliche Berechtigung eines späteren<br />

Widerrufs der Rechtshilfebewilligung überprüfen. Die sachliche Berechtigung muss zumindest plausibel sein. Der<br />

Senat verkennt dabei nicht, dass dies de facto auf eine Überprüfung von Hoheitsakten eines anderen Staates durch<br />

deutsche Gerichte hinausläuft. Dies ist aber deshalb hinnehmbar, weil der ersuchte Staat seinerseits autonom entschieden<br />

hat, ohne dass den betroffenen Strafverfolgungsbehörden des ersuchenden Staates insoweit eigene prozessuale<br />

Rechte zugestanden haben. Im Übrigen hatte der ersuchte Staat auch hinreichend die Gelegenheit – zum Beispiel<br />

durch eine entsprechende Formulierung des Spezialitätsvorbehaltes –, seine Interessen schon bei der Rechtshilfeleistung<br />

zu schützen (BGHSt 31, 51, 54).<br />

cc) Einen plausiblen Gr<strong>und</strong> für die nunmehrige Untersagung der Verwertung vermag der Senat nicht zu erkennen.<br />

Das Schweizer B<strong>und</strong>esamt für Justiz behauptet in seinem Schreiben vom 7. November 2006, die Schweizer Behörden<br />

hätten die Rechtshilfe in Unkenntnis dessen bewilligt, dass das Konzernbetriebsfinanzamt Düsseldorf II die<br />

steuerliche Abzugsfähigkeit von r<strong>und</strong> 47 % des Angebotspreises anerkannt hatte. Dies ist nicht nachvollziehbar. Es<br />

liegt auf der Hand, dass die im Logistikpaket zusammengefassten Leistungen, die fast ausschließlich Schmiergeldzahlungen<br />

betrafen, vom Thyssen-Konzern steuermindernd geltend gemacht werden mussten. Andernfalls hätte<br />

Thyssen die Leistungen, obwohl sie nicht im Konzern verblieben, als Gewinn versteuern müssen. Insoweit ist nicht<br />

ersichtlich, wieso der Umstand, dass das Konzernbetriebsfinanzamt von der abstrakten Tatsache wusste, dass es sich<br />

bei dem Logistikpaket um sogenannte nützliche Aufwendungen handelte, die steuerstrafrechtliche Bewertung des<br />

Verhaltens Schreibers <strong>und</strong> seiner Tatgenossen, insbesondere auch des Angeklagten, ändern soll. Abgesehen davon,<br />

dass sich die Relevanz einer Anerkennung der dem Thyssen-Konzern zugute kommenden steuerlichen Abzugsfähigkeit<br />

der Zahlungen auf das Logistikpaket für den Tatbestand eines Abgabebetrugs des Angeklagten nach Schweizer<br />

Recht (Art. 14 Abs. 2 des Schweizer B<strong>und</strong>esgesetzes über das Verwaltungsstrafrecht) durch Nichtversteuerung der<br />

auf verschleierten Wegen empfangenen Schmiergelder nicht erschließt, hatte das Konzernbetriebsfinanzamt gerade<br />

darüber keine Kenntnis, dass die Gelder teilweise über von Schreiber kontrollierte Domizilgesellschaften an den<br />

Angeklagten zurückflossen. Entgegen der Auffassung der Verteidigung führt auch der vom Schweizer B<strong>und</strong>esamt<br />

für Justiz angeführte Gesichtspunkt, dass eine Nachforschungspflicht des Konzernbetriebsfinanzamts bestanden habe<br />

85


<strong>und</strong> deren Verletzung für die strafrechtliche Bewertung der Tat als Abgabebetrug erheblich sein solle, nicht zu einer<br />

anderen Würdigung. Zwar mag eine entsprechende Verletzung der Aufklärungspflicht der Annahme von betrügerischen<br />

Machenschaften im Sinne des Abgabebetrugs entgegenstehen. Hier sind aber, weil die Provisionen tatsächlich<br />

ins Ausland abgeflossen sind, keine entsprechenden Verdachtsmomente oder Ermittlungsansätze erkennbar gewesen.<br />

Aus den Unterlagen des Thyssen-Konzerns ergab sich kein Anhalt. Im Übrigen ist Gegenstand des hiesigen Verfahrens<br />

nicht eine mögliche Steuerunehrlichkeit des Thyssen-Konzerns, sondern die Steuerhinterziehung von Privatpersonen,<br />

die unter vielfältigen Verdeckungs- <strong>und</strong> Verschleierungshandlungen die Gelder vereinnahmten <strong>und</strong> auch<br />

deshalb vor dem für sie zuständigen Finanzamt versteckt halten konnten. Die Anerkennung der Zahlungen als sogenannte<br />

nützliche Aufwendungen war den Schweizer Rechtshilfebehörden auch bekannt. Das ergibt sich aus der Entscheidung<br />

des Schweizer B<strong>und</strong>esgerichts vom 13. Januar 1999, in der (S. 15 der Entscheidungsgründe) ausdrücklich<br />

gewürdigt wurde, dass die Berufung von Karlheinz Schreiber auf die Anerkennung der Abzugsfähigkeit von sogenannten<br />

nützlichen Aufwendungen als Betriebsausgaben irreführend sei. Dass damit – wie die Verteidigung jetzt<br />

vorbringt – andere Zuwendungen an Domizilgesellschaften des Schreibers gemeint gewesen sein sollen, ist fernliegend,<br />

weil diese gar nicht Gegenstand des Rechtshilfeverfahrens waren. Zudem würde dies die Gr<strong>und</strong>aussage des<br />

Schweizer B<strong>und</strong>esgerichts nicht ändern, wonach die Anerkennung der Abzugsfähigkeit der Provisionszahlungen für<br />

den Konzern nicht die Strafbarkeit der Empfänger wegen Abgabebetrugs berührt. Ob die Staatsanwaltschaft Augsburg<br />

einen Vermerk über Absprachen des Thyssen-Konzerns mit seinem Betriebsfinanzamt ihrem Rechtshilfeersuchen<br />

beigefügt hat, erscheint deshalb gänzlich unerheblich.<br />

2. Die Revision des Angeklagten führt jedoch zu einer Ermäßigung der Gesamtfreiheitsstrafe auf zwei Jahre, deren<br />

Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird.<br />

a) Die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts begegnen rechtlichen Bedenken.<br />

aa) Hinsichtlich der Verurteilung wegen Untreue hat das Landgericht nicht erkennbar berücksichtigt, dass die Aufwendungen<br />

für die Schmiergeldzahlungen tatsächlich die saudi-arabischen Geschäftspartner getragen haben, denen<br />

gegenüber der Angeklagte nicht in einem Vermögensbetreuungsverhältnis stand. Eine Strafbarkeit wegen Untreue ist<br />

für den Angeklagten nur deshalb entstanden, weil die Auszahlung der Schmiergelder über den Thyssen-Konzern<br />

gelaufen war, demgegenüber er in einem Vermögensbetreuungsverhältnis stand <strong>und</strong> demgegenüber er nicht berechtigt<br />

war, die Gelder zu vereinnahmen (BGHSt 49, 317, 332 ff.). Dies hätte im Rahmen der gebotenen Schadensbewertung<br />

bedacht werden müssen (vgl. Raum in Wabnitz/Janovski, Handbuch des Wirtschafts- <strong>und</strong> Steuerstrafrechts,<br />

2. Aufl. S. 298) <strong>und</strong> hätte angesichts des Umstandes, dass das Landgericht die Höhe des Untreueschadens als einzigen<br />

Strafschärfungsgr<strong>und</strong> erwähnt hat, ausdrücklicher Erörterung bedurft.<br />

bb) Die Revision macht zudem, auch hinsichtlich der Verurteilungen wegen Steuerhinterziehung, zutreffend geltend,<br />

dass das Landgericht die Dauer des Ermittlungsverfahrens – <strong>und</strong> damit die Belastungen des Angeklagten durch dieses<br />

Verfahren –, in der ein maßgeblicher Strafmilderungsgr<strong>und</strong> zu finden war, mit nur neun Jahren zu kurz bemessen<br />

hat.<br />

b) Der Senat setzt nunmehr die Strafen selbständig fest. Ein anderes Ergebnis als eine zur Bewährung ausgesetzte<br />

Gesamtfreiheitsstrafe erscheint in Anbetracht des zeitlichen Abstands zur Tat im jetzigen Zeitpunkt nicht mehr vertretbar.<br />

Der Senat sieht deshalb von einer erneuten Zurückverweisung ab, die zu einem weiteren nicht mehr verantwortbaren<br />

Zeitverlust führen würde. Als neue Einzelstrafe wird für die Untreue eine Freiheitsstrafe von einem Jahr<br />

<strong>und</strong> drei Monaten festgesetzt. Hinsichtlich der Verurteilungen wegen Steuerhinterziehung reduziert der Senat die<br />

Einzelfreiheitsstrafen um jeweils einen Monat. Damit wird der Angeklagte wegen Steuerhinterziehung hinsichtlich<br />

des Jahres 1991 zu sieben Monaten Freiheitsstrafe, hinsichtlich des Jahres 1992 zu einem Jahr fünf Monaten Freiheitsstrafe<br />

<strong>und</strong> hinsichtlich des Jahres 1993 zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Hieraus ist eine<br />

Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren zu bilden. Diese ist angesichts des bisher straffreien Lebens des Angeklagten<br />

<strong>und</strong> seines Alters bei den besonderen zeitlichen Begleitumständen dieses Verfahrens nach § 56 StGB zur Bewährung<br />

auszusetzen. Die Folgeentscheidungen (§ 268a StPO) hat das Landgericht nachzuholen.<br />

c) Entgegen der Auffassung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts liegt keine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung vor.<br />

Dies betrifft insbesondere auch das erste Revisionsverfahren vor dem B<strong>und</strong>esgerichtshof. Angesichts dessen, dass<br />

der Senat einen Einzelstrafausspruch gegen den damaligen Mitangeklagten H. bei gleicher Sachlage aufrechterhalten<br />

hat, sah sich das Landgericht im Hinblick auf das Verfahren bis zur Entscheidung des Revisionsgerichts im ersten<br />

Rechtsgang zu Recht an der Annahme eines solchen Verstoßes gehindert (§ 358 Abs. 1 StPO). Im Übrigen liegt auch<br />

in der Sache die Annahme eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 MRK fern. Eine Verfahrensdauer von etwa einem<br />

Jahr begründet angesichts des Umfangs <strong>und</strong> der Schwierigkeit des Verfahrens – abgesehen von anderweit starker<br />

Belastung des Senats im damaligen Zeitraum – keine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung, zumal gegen den<br />

Angeklagten keine Untersuchungshaft vollzogen wurde. Dies gilt auch angesichts dessen, dass der Verteidiger des<br />

86


Angeklagten selbst erst sechs Monate später auf die äußerst umfangreiche Antragsschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts<br />

erwidert hat. Ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 MRK im zweiten tatgerichtlichen Verfahren ist nicht ersichtlich.<br />

3. Die von dem Angeklagten erhobene Gegenvorstellung gegen die Entscheidung des Senats im ersten Rechtsgang<br />

ist nicht statthaft. Der Senat kann einen Beschluss, mit dem er die Teilrechtskraft des tatrichterlichen Urteils herbeigeführt<br />

hat, weder aufheben noch ändern (BGHSt 17, 94). - 18 -<br />

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 4 StPO; der vom Angeklagten erzielte Teilerfolg rechtfertigt die<br />

vom Senat vorgenommene Quotelung der Kosten <strong>und</strong> notwendigen Auslagen.<br />

StPO § 229 Abs. 1 – Fristwahrung <strong>und</strong> Schiebetermine<br />

BGH, Urt. vom 03.08.2006 – 3 StR 199/06 - NJW 2006, S. 3077 ff. = JR 2007, S. 38 m. Anm. Gössel<br />

LS: Zur Wahrung der Unterbrechungsfrist nach § 229 Abs. 1 StPO durch "Schiebetermine" im<br />

Hinblick auf die Verlängerung der Frist von zehn Tagen auf drei Wochen durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz.<br />

BGH, Urt. vom 3. August 2006 - 3 StR 199/06 - Landgericht Lübeck in der<br />

Strafsache gegen wegen Raubes mit Todesfolge u. a.<br />

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 22. Februar 2006 wird verworfen.<br />

Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels <strong>und</strong> die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen<br />

Auslagen zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes mit Todesfolge (Fall II. 1) <strong>und</strong> wegen Raubes in Tateinheit mit<br />

gefährlicher Körperverletzung (Fall II. 2) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt.<br />

Die Staatsanwaltschaft hat gegen dieses Urteil Revision eingelegt <strong>und</strong> diese auf Fall II. 1 beschränkt. Sie macht die<br />

Verletzung formellen <strong>und</strong> sachlichen Rechts geltend <strong>und</strong> erstrebt die Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes in<br />

Tateinheit mit Raub. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.<br />

I. Nach den Feststellungen drang der Angeklagte mit den früheren Mitangeklagten K. <strong>und</strong> Q. zur Nachtzeit in die<br />

Wohnung einer 91-jährigen Frau ein, um diese zu berauben. Während die beiden Mittäter nach Stehlenswertem suchten,<br />

fixierte der Angeklagte die Frau in ihrem Bett, indem er sie mit seinem Oberkörper niederdrückte. Um sie am<br />

Schreien zu hindern, schob er ihr einen Waschlappen in den M<strong>und</strong>. Die Frau verstarb infolge dieser Behandlung. Die<br />

Jugendkammer kam zum Ergebnis, dass der Angeklagte die Gefahr eines Todeseintritts hätte erkennen können, dass<br />

er jedoch insoweit weder mit direktem noch mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt hatte.<br />

II. Verfahrensrüge:<br />

1. Die Staatsanwaltschaft rügt die Verletzung des § 229 Abs. 1 StPO: Zwischen dem Termin vom 8. November 2005<br />

<strong>und</strong> dem vom 8. Dezember 2005 sei die Hauptverhandlung länger als 3 Wochen unterbrochen gewesen. In diesem<br />

Zeitraum habe - am 17. November 2005 - lediglich ein so genannter Schiebetermin stattgef<strong>und</strong>en, durch den das<br />

Verfahren nicht ausreichend gefördert worden sei. In diesem Termin, der nur vier Minuten gedauert habe, seien die<br />

B<strong>und</strong>eszentralregisterauszüge für einen früheren Mitangeklagten (mit zwei Eintragungen) <strong>und</strong> für den Angeklagten<br />

(mit sechs Eintragungen) verlesen worden. Es hätten - anders als an den anderen Hauptverhandlungstagen - weder<br />

der Vertreter der Jugendgerichtshilfe noch einer der drei psychiatrischen Sach-verständigen, noch der rechtsmedizinische<br />

Sachverständige teilgenommen. Nach der Verlesung der Registerauszüge sei die Hauptverhandlung - ohne<br />

dass die Eintragungen erörtert oder sonst zur Sache verhandelt worden wäre - unterbrochen <strong>und</strong> Termin zu ihrer<br />

Fortsetzung auf den 8. Dezember anberaumt worden. All dies zeige, dass der Termin vom 17. November 2005 von<br />

vornherein nur dazu habe dienen sollen, die Frist des § 229 Abs. 1 StPO dem Schein nach zu wahren <strong>und</strong> die Vorschrift<br />

dadurch zu umgehen; ihm könne daher keine fristwahrende Wirkung zukommen. Es sei auch kein Gr<strong>und</strong><br />

ersichtlich, weshalb nicht jedenfalls zugleich der Registerauszug des dritten früheren Mitangeklagten verlesen worden<br />

sei.<br />

2. Die Rüge ist zulässig. Dem steht nicht entgegen, dass - was befremdlich erscheint - der Vertreter der Staatsanwaltschaft<br />

sie erhoben hat, obwohl er in einer späteren Phase der Hauptverhandlung wegen eines seit längerer Zeit zwischen<br />

dem 6. Februar <strong>und</strong> 1. März 2006 geplanten Auslandsaufenthalts selbst um eine Änderung des Terminplans<br />

gebeten <strong>und</strong> angeregt hat, am 17. Februar 2006 lediglich einen "Kurztermin" durchzuführen, an dem ein nicht in die<br />

Sache eingearbeiteter Staatsanwalt als Sitzungsvertreter teilnehmen sollte.<br />

3. In der Sache kann die Rüge aber keinen Erfolg haben.<br />

87


a) Ausgehend von den Gr<strong>und</strong>sätzen der Rechtsprechung, die zu § 229 Abs. 1 StPO aF <strong>und</strong> der damals geltenden 10tägigen<br />

Unterbrechungsfrist entwickelt worden sind, gilt eine Hauptverhandlung dann im Sinne des § 229 Abs. 4<br />

StPO als fortgesetzt (<strong>und</strong> muss nicht wegen Überschreitung der Frist des § 229 Abs. 1 StPO ausgesetzt werden),<br />

wenn in dem Fortsetzungstermin zur Sache verhandelt <strong>und</strong> das Verfahren gefördert wird (vgl. BGHR StPO § 229<br />

Abs. 1 Sachverhandlung 1, 3 - 5). Gemessen daran ist hier die am 8. November 2005 unterbrochene Verhandlung am<br />

17. November 2005 mit fristwahrender Wirkung fortgesetzt worden. Die Verlesung einer Urk<strong>und</strong>e, insbesondere<br />

auch eines B<strong>und</strong>eszentralregisterauszugs, ist Teil der erforderlichen Beweisaufnahme zu den persönlichen Verhältnissen<br />

des oder der Angeklagten. Sie bringt das Verfahren voran <strong>und</strong> stellt sich als Sachverhandlung im Sinne einer<br />

fristwahrenden Fortsetzungsverhandlung dar (BGH NStZ 2000, 212; BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 3;<br />

BGH, Urt. vom 7. November 1978 - 1 StR 470/78). Für die Frage, ob zur Sache verhandelt <strong>und</strong> das Verfahren gefördert<br />

worden ist, kommt es gr<strong>und</strong>sätzlich nicht darauf an, ob weitere verfahrensfördende Handlungen möglich gewesen<br />

wären <strong>und</strong> der Fortsetzungstermin auch der Einhaltung der Unterbrechungsfrist diente (BGHR StPO § 229 Abs.<br />

1 Sachverhandlung 3, 4). Aus diesem Gr<strong>und</strong>e ist es auch ohne Belang, dass - wie die Staatsanwaltschaft meint - im<br />

Termin vom 17. November 2005 zugleich der Registerauszug für den weiteren früheren Mitangeklagten hätte verlesen<br />

werden können. Insoweit besteht im Übrigen allerdings auch Anlass zu dem Hinweis, dass dieser im Termin vom<br />

9. Januar 2006 verlesene Auszug vom 15. Dezember 2005 stammte <strong>und</strong> somit am 17. November 2005 noch nicht<br />

vorgelegen hat. Eine so genannte Scheinverhandlung, die zur Unterbrechung der Frist des § 229 Abs. 1 StPO nicht<br />

ausreicht, ist von der Rechtsprechung in diesem Zusammenhang nur ausnahmsweise angenommen worden, dies etwa<br />

in Fällen, in denen die Verlesung eines kurzen Briefes oder eines Registerauszugs ohne nachvollziehbaren Gr<strong>und</strong><br />

<strong>und</strong> somit ersichtlich zur Umgehung des § 229 Abs. 1 StPO auf mehrere Termine aufgeteilt worden war (BGH NJW<br />

1996, 3019 f.; BGH, Beschl. vom 2. Oktober 1997 - 4 StR 412/97 = StV 1998, 359). So liegt es hier jedoch nicht.<br />

b) Die Verlängerung der Unterbrechungsfrist des § 229 Abs. 1 StPO von zehn Tagen auf drei Wochen durch das 1.<br />

Justizmodernisierungsgesetz vom 24. August 2004 (BGBl I 2198) gibt - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin<br />

- zu einer Änderung der Rechtsprechung für die hier in Frage stehenden Sachverhalte keinen Anlass.<br />

aa) Der Gesetzgeber hat mit der Verlängerung der Unterbrechungsfrist die Erwartung verb<strong>und</strong>en, dass mit ihr der<br />

"Zwang zu zeit- <strong>und</strong> kostenintensiven Schiebeterminen", mit denen im Ergebnis nur der Verfahrensabbruch verhindert<br />

werden soll, entfällt (BTDrucks. 15/1508 S. 13). Damit sollte nach der Vorstellung des Gesetzgebers die Möglichkeit<br />

einer flexiblen Verfahrensgestaltung verbessert, aber die Inanspruchnahme der dreiwöchigen Unterbrechungsfrist<br />

nur in Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden (vgl. BRDrucks. 378/03 S. 57). Vor diesem Hintergr<strong>und</strong><br />

wird in der Literatur die Forderung erhoben, kritischer als bisher gegenüber so genannten "Schiebeterminen"<br />

zu sein (Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 229 Rdn. 11; Knauer/Wolf NJW 2004, 2932, 2934): So erscheine besonders<br />

fraglich, ob die Erörterung der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten oder die eines Ablehnungsgesuchs genüge<br />

(Meyer-Goßner aaO m. w. N. zum bisherigen Meinungsstand).<br />

bb) Die hier zu beurteilende Konstellation zwingt nicht dazu, den aufgeworfenen Fragen umfassend nachzugehen<br />

<strong>und</strong> insbesondere zu entscheiden, inwieweit etwa die Erörterung von Verfahrensfragen oder Prozesshindernissen<br />

unter der Geltung der auf drei Wochen verlängerten Unterbrechungsfrist noch für die Annahme einer fristwahrenden<br />

Verhandlung zur Sache genügen könne. Eine Verschärfung der Anforderungen an Fortsetzungstermine kommt jedenfalls<br />

für solche Fälle nicht in Betracht, in denen - wie hier - durch eine wenn auch nur kurze Verhandlung das<br />

Verfahren in der Sache selbst gefördert worden ist, namentlich eine Beweisaufnahme stattgef<strong>und</strong>en hat. Die Verlesung<br />

eines Strafregisterauszugs oder einer sonstigen Urk<strong>und</strong>e reicht, soweit sie nicht willkürlich auf mehrere Sitzungstage<br />

verteilt oder lediglich wiederholt wird, nach wie vor aus (so auch Meyer-Goßner aaO). Für diese Auffassung<br />

spricht zunächst, dass der Gesetzgeber die Zulässigkeit von kurzen Terminen zur Wahrung der Unterbrechungsfristen<br />

keineswegs generell ausschließen wollte. Wie die oben genannten Auszüge aus den Materialien belegen, war<br />

es sein Anliegen, die Anberaumung solcher Termine möglichst entbehrlich zu machen. Für ihre Bewertung als gänzlich<br />

unzulässig lässt sich weder dem geänderten Text des § 229 StPO, in dem lediglich in Abs. 1 die Frist verlängert<br />

worden ist, noch den Materialien irgendein Anhaltspunkt entnehmen. Zudem würde die Verschärfung der Anforderungen<br />

an die Annahme einer fristwahrenden Verhandlung zur Sache auch dem Anliegen des Gesetzgebers zuwiderlaufen.<br />

Die Situation, dass der am Ende einer Frist anberaumte Termin nicht in dem vorgesehenen Umfang durchgeführt<br />

werden kann, etwa weil überraschend ein Zeuge nicht erscheint oder der eingearbeitete Verteidiger verhindert<br />

ist, kann sich nämlich unabhängig davon ergeben, ob die gesetzliche Unterbrechungsfrist zehn Tage oder drei Wochen<br />

beträgt. Bei einer sonst straffen Terminierung wird dies unter der Geltung einer dreiwöchigen Unterbrechungsfrist<br />

zwar seltener auftreten als früher bei der 10-tägigen Frist. Gänzlich vermeiden lässt sich die Situation aber nicht.<br />

Wäre bei einer Verschärfung der Anforderungen die Durchführung eines kurzen Termins, in dem mit einer Beweisaufnahme<br />

das Verfahren nur in geringem Umfang gefördert wird, unzulässig, müsste mit der Verhandlung neu begonnen<br />

werden (§ 229 Abs. 4 Satz 1 StPO). Dies würde gerade die verfahrensökonomischen Interessen, die Anlass<br />

88


für die gesetzliche Neuregelung waren, sowie den Anspruch des Angeklagten auf den Abschluss seines Verfahrens<br />

in angemessener Zeit nachhaltig verletzen. Schließlich zwänge die Verschärfung der Anforderungen an die Annahme<br />

einer fristwahrenden Verhandlung dazu, das erforderliche Ausmaß der Verfahrensförderung festzulegen <strong>und</strong> in einer<br />

weit größeren Zahl von Fällen als bei der derzeitigen Rechtslage zu bewerten, ob ein Termin zur Fristwahrung ausreicht.<br />

Für eine derartige Bewertung sind allerdings sachgerechte <strong>und</strong> handhabbare Maßstäbe nicht ersichtlich. Wenn<br />

man etwa die Verlesung eines B<strong>und</strong>eszentralregisterauszuges für ungenügend hielte, stellte sich die Frage, ob die<br />

zusätzliche Verlesung weiterer Auszüge, deren Erörterung oder die Verlesung eines Urteils ausreichen würde. Es<br />

wäre zu befürchten, dass sich eine unüber-sichtliche <strong>und</strong> wohl auch uneinheitliche Fallrechtsprechung entwickeln<br />

würde, die erhebliche Unsicherheiten für die Durchführung umfangreicher Verfahren mit sich brächte. Den Gerichten<br />

müssen jedoch gerade mit Blick auf den Beschleunigungsgr<strong>und</strong>satz für die Gestaltung der Hauptverhandlung<br />

möglichst klare Vorgaben zur Verfügung stehen, um der Gefahr vermehrter Verfahrensabbrüche oder späterer Wiederholungen<br />

von Verfahren infolge einer Aufhebung im Revisionsverfahren zu begegnen. Es kommt hinzu, dass die<br />

Nachprüfung des Gewichts einer Verfahrensförderung angesichts der Ausgestaltung des Revisionsverfahrens auf<br />

zusätzliche Schwierigkeiten stoßen müsste. Die Beurteilung der Bedeutung einer Sachverhandlung würde vielfach,<br />

insbesondere wenn es um den Umfang von Erörterungen oder um die Wichtigkeit einer wenn auch nur kurzen Beweisaufnahme<br />

geht, eine Rekonstruktion der Beweisaufnahme voraussetzen. Der 5. Strafsenat hat dazu sogar die<br />

Auffassung vertreten, dass sich ein solches Prüfungsunterfangen bei nicht gänzlich fehlendem Sachbezug des Gegenstandes<br />

eines Sitzungstages für das Revisionsgericht gr<strong>und</strong>legend verbietet (BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung<br />

5).<br />

4. Die Rüge gibt Anlass zu zwei Anmerkungen:<br />

a) Die Verlängerung der zulässigen Unterbrechungsfrist nach § 229 Abs. 1 StPO führt nach den Beobachtungen des<br />

Senats dazu, dass insbesondere umfangreiche Hauptverhandlungen noch länger als früher dauern. Die Zahl der Verfahren,<br />

in denen die Unterbrechungsfrist zwischen zwei Hauptverhandlungsterminen regelmäßig länger als zehn<br />

Tage beträgt <strong>und</strong> nur zweimal im Monat verhandelt wird, nimmt, was nach der Gesetzesänderung auch zu erwarten<br />

war, zu. Dies verletzt indes für sich noch nicht die in § 229 StPO verankerte Konzentrationsmaxime, die gewährleisten<br />

soll, dass der Richter das Urteil aus dem Inbegriff der Verhandlung gewinnen kann <strong>und</strong> nicht veranlasst wird,<br />

beim Urteilsspruch die Ergebnisse der Verhandlung aus den Akten oder anderen Aufzeichnungen zu entnehmen (Eb.<br />

Schmidt JR 1970, 309, 310; BGH NJW 1996, 3019). Denn diese Verlängerung ist Folge der gesetzgeberischen Entscheidung,<br />

mit der § 229 StPO <strong>und</strong> damit auch die durch diese Vorschrift ausgestaltete Konzentrationsmaxime modifiziert<br />

worden sind. Dass der Gesetzgeber diese Folge nicht gewollt hat, kann daran nichts ändern. Seine Vorstellung,<br />

dass die Dreiwochenfrist nur in Ausnahmefällen in Anspruch genommen werden sollte, hat im Gesetz in keiner Weise<br />

Ausdruck gef<strong>und</strong>en.<br />

b) Unabhängig von den nach § 229 StPO eröffneten Unterbrechungsmöglichkeiten ist jedoch bei der Terminierung<br />

einer Hauptverhandlung das in Art. 5 Abs. 3 Satz 2, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK normierte Beschleunigungsgebot zu<br />

beachten (vgl. Knauer/Wolf aaO S. 2934; Sommer StraFo 2004, 295, 297). Nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts<br />

<strong>und</strong> des B<strong>und</strong>esgerichtshofs kann eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes - insbesondere in<br />

Haftsachen - auch in einer nicht mehr sachgerechten, zu lang gestreckten Terminierung gesehen werden (BGHR<br />

MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 17; BVerfG StV 2006, 81). Zur Gewährleistung einer im Hinblick<br />

auf das Beschleunigungsgebot erforderlichen straffen Terminierung wird im Einzelfall zu prüfen sein, ob bei der<br />

Auswahl des Pflichtverteidigers einem Rechtsanwalt, der die notwendigen Termine wahrnehmen kann, der Vorrang<br />

gegenüber dem vom Angeklagten gewünschten Verteidiger einzuräumen ist, der dazu nicht in der Lage ist (vgl.<br />

BVerfG, Beschl. vom 2. März 2006 - 2 BvQ 10/06), oder den Verteidiger zu verpflichten, andere - weniger dringliche<br />

- Termine zu verschieben (vgl. BVerfG, Beschl. vom 17. Juli 2006 - 2 BvR 1190/06). Hier bedarf indes die Einhaltung<br />

des Beschleunigungsgebotes keiner näheren Prüfung, da die Festnahme des Angeklagten wenige Tage nach<br />

der Tat vom 15. April 2005 erfolgte <strong>und</strong> das Urteil bereits am 22. Februar 2006 <strong>und</strong> somit nach lediglich zehn Monaten<br />

ergangen ist. Im Übrigen würde es auch an der hier erforderlichen Verfahrensrüge (vgl. BGHSt 49, 342) fehlen,<br />

mit der die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittelziel ohnehin nicht erreichen könnte, da sie gegebenenfalls nur zu einer<br />

Aufhebung des Strafausspruchs zu Gunsten des Angeklagten führen würde.<br />

III. Sachrüge:<br />

Auch die Sachrüge erweist sich als unbegründet. Soweit die Staatsanwaltschaft die Verneinung eines bedingten Tötungsvorsatzes<br />

beanstandet, hat der Generalb<strong>und</strong>esanwalt in seiner Antragsschrift vom 16. Juni 2006 eingehend <strong>und</strong><br />

zutreffend ausgeführt, dass die auf zahlreiche gegen das Vorliegen eines Tötungsvorsatzes sprechende Indizien gestützte<br />

Beweiswürdigung keinen Rechtsfehler aufweist. Auch die Strafzumessung ist nicht zu beanstanden. Insbesondere<br />

war es nicht erforderlich, den durch die Angabe der gesetzlichen F<strong>und</strong>stelle ausreichend bezeichneten Strafrahmen<br />

in den Urteilsgründen im Wortlaut wiederzugeben. Dies ist auch der von der Staatsanwaltschaft herangezo-<br />

89


genen Entscheidung BGH StV 1994, 426 (= NStZ 1994, 485) nicht zu entnehmen, die den Sonderfall des nach §§<br />

21, 49 StGB gemilderten Strafrahmens des § 251 StGB betrifft, bei dem sich das Ergebnis der Strafrahmenreduzierung<br />

infolge der Wahlmöglichkeit zwischen zeitiger <strong>und</strong> lebenslanger Freiheitsstrafe nicht von selbst versteht.<br />

StPO§ 244 Abs. 2, § 247a Audiovisuelle Vernehmung darf nicht an Mitteln scheitern<br />

BGH, Beschl. vom 07.03.2007 – 1 StR 646/06 – NJW 2007, S. 1475 = JR 2007, xxx mit Anm. Güntge<br />

Bietet die oberste Dienstbehörde nach § 96 StPO die audiovisuelle Vernehmung eines gesperrten<br />

Zeugen an <strong>und</strong> ist das Gericht von Rechts wegen gehalten, eine solche Vernehmung durchzuführen,<br />

so ist es Aufgabe des Justizministeriums, gegebenenfalls seiner nachgeordneten Dienststellen, das<br />

Gericht so auszustatten, dass das Verfahren auch durchgeführt werden kann.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 7. März 2007 beschlossen:<br />

1. Im Fall II. 12 der Gründe des Urteils des Landgerichts Baden-Baden vom 31. Juli 2006 wird das Verfahren eingestellt<br />

(§ 154 Abs. 2 StPO). Insoweit fallen die Kosten des Verfahrens <strong>und</strong> die notwendigen Auslagen des Angeklagten<br />

der Staatskasse zur Last.<br />

2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen,<br />

dass er des Betruges in elf Fällen schuldig ist.<br />

3. Der Angeklagte trägt die übrigen Kosten des Rechtsmittels. Der Schriftsatz der Verteidigung vom 7. März 2007<br />

hat dem Senat vorgelegen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in elf Fällen <strong>und</strong> wegen versuchten Betrugs (Fall II. 12 der<br />

Urteilsgründe) unter Einbeziehung einer Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Lörrach zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von zwei Jahren <strong>und</strong> einer weiteren Gesamtstrafe von drei Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet<br />

sich der Angeklagte mit der auf Verfahrensrügen <strong>und</strong> die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel bleibt<br />

im Wesentlichen ohne Erfolg.<br />

I. Verfahrensrügen<br />

1. Die Verfahrensbeschwerden betreffend die Fälle II. 1, 2 <strong>und</strong> 8 der Urteilsgründe versagen aus den Gründen, die<br />

der Generalb<strong>und</strong>esanwalt in seiner Zuschrift ausführlich dargelegt hat.<br />

2. Die Rüge wegen Verletzung der §§ 247, 247a StPO <strong>und</strong> Art. 6 Abs. 3 Buchst. d EMRK in Verbindung mit § 338<br />

Nr. 5 StPO richtet sich gegen das Verfahren betreffend den Fall II. 12 der Urteilsgründe. Diesen Fall hat der Senat<br />

auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts aus prozessökonomischen Gründen nach § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt.<br />

Er sieht sich jedoch zu folgenden Ausführungen veranlasst:<br />

a) Das Landgericht hat im Fall II. 12 den Beweisantrag des Angeklagten auf Vernehmung des vom Landeskriminalamt<br />

Baden-Württemberg eingesetzten Verdeckten Ermittlers als Zeugen, hilfsweise in Form einer audiovisuellen<br />

Vernehmung nach § 247a StPO abgelehnt. Der Verdeckte Ermittler sollte im Einzelnen zu den Gesprächsinhalten<br />

eines Treffens mit dem Angeklagten <strong>und</strong> einer Zeugin <strong>und</strong> dazu Stellung nehmen, welchen Eindruck der Angeklagte<br />

dabei gemacht hatte. Die Strafkammer hat die unmittelbare Vernehmung des Verdeckten Ermittlers im Hinblick auf<br />

die Sperrerklärung des Innenministeriums Baden-Württemberg abgelehnt. Hiergegen ist revisionsrechtlich nichts zu<br />

erinnern. Der Senat teilt allerdings nicht die Bedenken der Strafkammer, auf die sie die Ablehnung der audiovisuellen<br />

Vernehmung des Verdeckten Ermittlers gestützt hat, nachdem das Innenministerium Baden-Württemberg in<br />

seinem Schreiben vom 16. Juni 2006 im vorliegenden Fall einer solchen Vernehmung unter Beachtung von im Einzelnen<br />

dargelegten Schutzmaßnahmen zugestimmt hat.<br />

b) Die Ablehnung auch des Hilfsantrages hat das Landgericht wie folgt begründet: „Das Innenministerium hat als<br />

oberste Dienstbehörde im Schreiben vom 16.06.2006 sein Einverständnis mit einer solchermaßen durchgeführten<br />

Vernehmung nur unter der Maßgabe, dass eine Identifizierung des Verdeckten Ermittlers sicher ausgeschlossen werden<br />

kann, <strong>und</strong> deshalb nur unter bestimmten Schutzmaßnahmen erteilt (nämlich<br />

- audiovisuelle Vernehmung an einem geheim gehaltenen Ort;<br />

- Verweigerung von Angaben zur Person, Identität <strong>und</strong> Kriminaltaktik;<br />

- Ausschließung der Öffentlichkeit;<br />

- nach Beurteilung des Landeskriminalamtes erforderliche, optische <strong>und</strong> akustische Verfremdung von Bild <strong>und</strong> Ton,<br />

um eine Identifikation des Verdeckten Ermittlers über Gesichtszüge, wesentliche Elemente des Aussehens <strong>und</strong> über<br />

Stimme <strong>und</strong> Sprechweise sicher auszuschließen;<br />

90


- Unterlassen einer Bild- <strong>und</strong> Tonaufzeichnung;<br />

- Anwesenheit des Führungsbeamten des Verdeckten Ermittlers am Vernehmungsort;<br />

- Verpflichtung der bei der Durchführung der Bild- <strong>und</strong> Tonübertragung bzw. zur akustischen Verfremdung eingesetzten<br />

Personen nach dem Verpflichtungsgesetz).<br />

Die Kammer verkennt nicht, dass in diesem beschränkten Umfang von einer Sperrerklärung seitens des Innenministeriums<br />

nicht Gebrauch gemacht wurde <strong>und</strong> unter Berücksichtigung des Aufklärungsgebots des § 244 Abs. 2 StPO<br />

<strong>und</strong> unter dem Gesichtspunkt des bestmöglichen Beweises gr<strong>und</strong>sätzlich die persönliche Befragung eines Zeugen<br />

vorzuziehen ist. Doch sind hier die mit einer Beweisaufnahme bedingten Einschränkungen der Erkenntnismöglichkeiten<br />

des Gerichts derart gravierend, dass einer unter den vorgegebenen Bedingungen des Landeskriminalamts<br />

durchgeführten audiovisuellen Vernehmung des Verdeckten Ermittlers jedenfalls im konkreten Fall kein weitergehender<br />

Beweiswert mehr zukommen würde. Zwar würde eine solche Videosimultanübertragung gr<strong>und</strong>sätzlich nicht<br />

der vom Landeskriminalamt für erforderlich erachteten Geheimhaltung der Person des Verdeckten Ermittlers zuwiderlaufen,<br />

jedoch würden die audiovisuellen Verfremdungen des Zeugen bzw. seine akustische <strong>und</strong> optische Abschirmung<br />

es nicht mehr erlauben, bei der Simultanübertragung seine verbalen <strong>und</strong> körperlichen Äußerungen sinngerecht<br />

wahrzunehmen <strong>und</strong> seine Glaubwürdigkeit umfassend zu würdigen. Bei einer dermaßen erheblichen Einschränkung<br />

des Unmittelbarkeitsprinzips des § 250 S. 1 StPO ist vorliegend keine weitergehende oder bessere Aufklärung<br />

durch eine audiovisuelle Vernehmung zu erwarten, zumal im Hinblick auf die unter Beweis gestellten Tatsachen<br />

der Führungsbeamte des Verdeckten Ermittlers, der Zeuge KHK Z. , als Vernehmungsbeamter zu dessen protokollierten<br />

Angaben anlässlich dessen polizeilichen Vernehmungen bereits umfassend aussagte <strong>und</strong> der Angeklagte<br />

bzw. sein Verteidiger dabei eingehend von ihrem Fragerecht Gebrauch machten.<br />

Im Übrigen ist auch im Hinblick auf die im Antrag unter Beweis gestellten Tatsachen die beantragte audiovisuelle<br />

Vernehmung des Verdeckten Ermittlers zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich“.<br />

c) Der Senat hat mehrfach entschieden, dass die audiovisuelle Vernehmung einer Gewährsperson in Verbindung mit<br />

deren optischer <strong>und</strong> akustischer Verfremdung das bessere Beweismittel sowohl unter dem Gesichtspunkt der Wahrheitsfindung<br />

als auch unter dem der Verteidigungsmöglichkeiten sein kann (BGH NJW 2003, 74; NStZ 2005, 43;<br />

zuletzt NStZ 2006, 648 = StV 2006, 682). Die audiovisuelle Vernehmung führt als gangbare Alternative zur völligen<br />

Sperrung des Zeugen zu einer sinnvollen Konkordanz zwischen Wahrheitsermittlung, Verteidigungsinteressen <strong>und</strong><br />

Zeugenschutz (in diesem Sinne bereits Diemer in KK 4. Aufl. § 247a Rdn. 14; Weider StV 2000, 48). Diesen Entscheidungen<br />

ist das Innenministerium Baden-Württemberg mit seiner sachgerechten Sperrerklärung vom 16. Juni<br />

2006 gefolgt. Das Ministerium hat ins-besondere eine Vernehmung des Verdeckten Ermittlers angeboten, bei der<br />

dessen Bild <strong>und</strong> der Ton seiner Äußerungen so verfremdet werden, dass eine Identifikation über die Gesichtszüge,<br />

über sonstige Elemente des Aussehens oder über die Stimme <strong>und</strong> Sprechweise so sicher ausgeschlossen werden<br />

können, dass der Angeklagte nicht einmal für die Dauer der Vernehmung aus dem Sitzungssaal hätte entfernt werden<br />

müssen. Dass die Strafkammer angesichts dieser vom Innenministerium angebotenen Vernehmung unter Verwendung<br />

solcher technischen Möglichkeiten dennoch gravierende Einschränkungen der Erkenntnismöglichkeiten annimmt,<br />

die gegenüber der Vernehmung des Führungsbeamten des Verdeckten Ermittlers keinen weitergehenden<br />

Beweiswert erwarten ließen, vermag der Senat nicht zu teilen. Insoweit verweist er seine oben genannten Entscheidungen.<br />

Die Beachtung dieser Maßstäbe ist auch deshalb geboten, um einen Konventionsverstoß nach Art. 6 Abs. 3<br />

Buchst. d EMRK zu vermeiden. Der Senat weist im Übrigen darauf hin, dass es nicht Aufgabe des Tatrichters ist,<br />

sich um die hierzu erforderliche technische Ausstattung zu kümmern. Bietet die oberste Dienstbehörde nach § 96<br />

StPO die audiovisuelle Vernehmung eines gesperrten Zeugen, hier eines Verdeckten Ermittlers, an <strong>und</strong> ist das Gericht<br />

von Rechts wegen gehalten, eine solche Vernehmung durchzuführen, so ist es Aufgabe des Justizministeriums,<br />

gegebenenfalls seiner nachgeordneten Dienststellen, das Gericht so auszustatten, dass das Verfahren auch durchgeführt<br />

werden kann. Auch die technische Durchführung ist Aufgabe der Justizverwaltung.<br />

II. Sachrüge<br />

Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf die Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten<br />

ergeben. Die beiden vom Landgericht verhängten Gesamtfreiheitsstrafen können bestehen bleiben. Als Folge der auf<br />

Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts vorgenommenen Verfahrensbeschränkung im Fall II. 12 der Urteilsgründe entfällt<br />

ein Vorwurf des versuchten Betruges, für den die Strafkammer eine Einzelstrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe festgesetzt<br />

hat. Der Senat kann auch die zweite Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren in zumindest entsprechender Anwendung<br />

von § 354 Abs. 1, 1a, 1b StPO bestehen lassen. Zwar betrifft der Fehler hier nicht "nur" die Gesamtstrafenbildung,<br />

sondern es liegt auch eine Beschränkung hinsichtlich des Schuldspruchs vor. Angesichts von Zahl <strong>und</strong> Gewicht<br />

der verbleibenden Taten, den für sie ausgeworfenen Einzelstrafen <strong>und</strong> aller sonstiger im angefochtenen Urteil<br />

getroffener für die Strafzumessung bedeutsamer Feststellungen hält der Senat trotz des eingestellten Falles die zweite<br />

91


Gesamtstrafe für angemessen (vgl. auch BGH NStZ-RR 2006, 44; BGH NJW 2005, 912 = StV 2005, 118 jeweils<br />

m.w.N.).<br />

StPO § 244 Ablehnung Beweisantrag – formalisierter Dialog<br />

BGH, Beschl. vom 20.12.2006 – 2 StR 444/06<br />

Die Begründung der Ablehnung eines Beweisantrages soll den Antragsteller in die Lage versetzen,<br />

sich auf die Prozesssituation einzurichten <strong>und</strong> gegebenenfalls neue Anträge stellen zu können. Dies<br />

erfordert, dass ihm die Ablehnungsgründe in der Hauptverhandlung mitgeteilt werden, so dass er<br />

darauf noch reagieren kann. Ein Beruhen des Urteils auf der unzulänglichen Ablehnung eines Beweisantrags<br />

kann dementsprechend nur dann abgeschlossen werden, wenn die Gründe der Bedeutungslosigkeit<br />

der Beweisbehauptung auf der Hand lagen, so dass der Antragsteller im Bilde war<br />

<strong>und</strong> in seiner Prozessführung nicht beeinträchtigt wurde.<br />

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 3. Juli 2006 in den Fällen II. 1.<br />

bis 5. der Urteilsgründe <strong>und</strong> im Gesamtstrafenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang<br />

der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels,<br />

an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird als unbegründet<br />

verworfen.<br />

Gründe: Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht<br />

geringer Menge in sechs Fällen, wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht<br />

geringer Menge <strong>und</strong> wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von<br />

dreizehn Jahren verurteilt sowie Betäubungsmittel <strong>und</strong> Mobiltelefone eingezogen. Dagegen wendet sich der Angeklagte<br />

mit seiner Revision, die er auf Verfahrensrügen <strong>und</strong> auf die Sachrüge stützt. Das Rechts-mittel hat mit einer<br />

Verfahrensrüge in den Fällen II. 1. bis 5. der Urteilsgründe Erfolg; im Übrigen ist es aus den Gründen der Antragsschrift<br />

des Generalb<strong>und</strong>esanwalts vom 16. September 2006 unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen II. 1. bis 5. der Urteilsgründe beruht auf der Aussage des Zeugen<br />

Erdogan D. Der Zeuge hat bek<strong>und</strong>et, dass er den Angeklagten im September 2001 kennen gelernt habe. Im Mai 2002<br />

sei der Angeklagte mit einem dunklen Van vom Typ Ford Galaxy oder VW Sharan o. ä. nach Stuttgart gekommen,<br />

um ein für ihn bestimmtes Kilogramm Heroin abzuholen (Fall II. 3. der Urteilsgründe). Der Angeklagte habe erklärt,<br />

er habe auf dem Weg nach Stuttgart einen Unfall gehabt, an dem er nicht schuld gewesen sei, weshalb er vom Unfallgegner<br />

einen Leihwagen gestellt bekommen habe. Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, dass er den Zeugen<br />

D. erst im Januar 2003 kennen gelernt habe. Im Februar 2003 sei er zu einem Besuch des Zeugen D. nach Neuötting<br />

gefahren, auf dieser Fahrt sei es zu einem Unfall gekommen <strong>und</strong> er habe einen Renault Espace als Ersatzfahrzeug<br />

bekommen. In der Hauptverhandlung beantragte der Angeklagte die Einvernahme des Geschäftsführers K. der<br />

K. GmbH zum Beweis der Tatsache, dass er nach dem Unfall vom 14. Februar 2003 einen Mietwagen Renault Scenic<br />

angemietet habe, um die Fahrt vom Unfallort fortsetzen zu können, <strong>und</strong> seiner Ehefrau sowie des Leiters der<br />

Kraftfahrzeug-Zulassungsstelle Darmstadt zum Beweis der Tatsache, dass der Citroen Xantia nach dem Unfall noch<br />

im Februar 2003 verschrottet worden <strong>und</strong> eine Abmeldung des Fahrzeugs erfolgt sei. Die Strafkammer hat diese<br />

Beweisanträge zurückgewiesen, da die behauptete Tatsache, nämlich dass der Angeklagte nach einem Unfall vom<br />

14. Februar 2003 einen Mietwagen angemietet habe <strong>und</strong> den Citroen Xantia verschrotten ließ, für die Entscheidung<br />

ohne Bedeutung sei (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO). Im Übrigen habe die Zeugin Ki. bereits bestätigt, dass der Citroen<br />

nach einem Unfall, bei dem sie allerdings nicht zugegen gewesen sei, verschrottet worden sei. In den Urteilsgründen<br />

hat die Strafkammer hierzu ausgeführt (UA S. 37 f.): Die Einlassung des Angeklagten <strong>und</strong> die Aussage seiner Ehefrau<br />

stünden der Aussage des Zeugen D. nicht entgegen. Auch wenn der Angeklagte im Februar 2003 einen Unfall<br />

mit dem Citroen Xantia gehabt <strong>und</strong> als Leihwagen einen Renault Espace erhalten habe, könne die Fahrt nach Stuttgart<br />

wie von dem Zeugen D. geschildert im Mai 2002 stattgef<strong>und</strong>en haben. Der Zeuge habe lediglich wiedergegeben,<br />

was der Angeklagte ihm zu dem Fahrzeug gesagt habe, dass es sich um einen Leihwagen handele, da er auf der Fahrt<br />

unverschuldet einen Unfall gehabt habe. Ob dies zutreffe, könne der Zeuge nicht sagen, weil er auf der Fahrt nicht<br />

dabei gewesen sei. Im Übrigen habe der Zeuge hinsichtlich des Zeitpunkts, des Ziels <strong>und</strong> der anwesenden Personen<br />

eine völlig andere Situation beschrieben als der Angeklagte, so dass es denkbar erscheine, dass beide Fahrten tatsächlich<br />

stattgef<strong>und</strong>en haben.<br />

92


2. Nach ständiger Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs muss der Beschluss, mit dem ein Beweisantrag wegen<br />

Bedeutungslosigkeit der behaupteten Tatsachen abgelehnt wird, die Erwägungen anführen, aus denen der Tatrichter<br />

ihnen keine Bedeutung beimisst. Wird die Bedeutungslosigkeit aus tatsächlichen Umständen gefolgert, so müssen<br />

die Tatsachen angegeben werden, aus denen sich ergibt, warum die unter Beweis gestellte Tatsache, selbst wenn sie<br />

erwiesen wäre, die Entscheidung des Gerichts nicht beeinflussen könnte (BGH NStZ 1997, 503; NStZ-RR 2002, 68<br />

f.; StV 2005, 113, 115 m.w.N.). Der Beschluss muss es den Verfahrensbeteiligten, insbesondere dem Antragsteller,<br />

ermöglichen, sich auf die durch die Ablehnung des Beweisantrags geschaffene Prozesslage einzustellen. Die erforderliche<br />

Begründung entspricht gr<strong>und</strong>sätzlich den Begründungserfordernissen bei der Würdigung von durch Beweisaufnahme<br />

gewonnenen Indiztatsachen in den Urteilsgründen. Diesen Anforderungen wird der Beschluss der Strafkammer<br />

nicht gerecht. Seine Begründung beschränkt sich im Wesentlichen auf die sinngemäße Wiedergabe des<br />

Gesetzeswortlauts. Auch aus dem Zusatz, dass die Zeugin Ki. die behaupteten Tatsachen teilweise bereits bestätigt<br />

habe, wird nicht erkennbar, warum die Kammer diese als bedeutungslos ansieht. Die Erklärung hierfür gibt die<br />

Strafkammer erst in den Urteilsgründen. Die unzulängliche Begründung des Beschlusses wird dadurch jedoch nicht<br />

geheilt. Die Begründung der Ablehnung eines Beweisantrags soll den Antragsteller in die Lage versetzen, sich auf<br />

die Prozesssituation einzurichten <strong>und</strong> gegebenenfalls neue Anträge stellen zu können. Dies erfordert, dass ihm die<br />

Ablehnungsgründe in der Hauptverhandlung mitgeteilt werden, so dass er darauf noch reagieren kann. Ein Beruhen<br />

des Urteils auf der unzulänglichen Ablehnung eines Beweisantrags kann dementsprechend nur dann ausgeschlossen<br />

werden, wenn die Gründe der Bedeutungslosigkeit der Beweisbehauptung auf der Hand lagen, so dass der Antragsteller<br />

im Bilde war <strong>und</strong> in seiner Prozessführung nicht beeinträchtigt wurde. Das kann im vorliegenden Fall<br />

nicht festgestellt werden. Die Frage einer Falschbelastung des Angeklagten durch D. war von entscheidender Bedeutung<br />

für die Beweiswürdigung der Strafkammer. Sie hat aus ganz verschiedenen Gründen (Unfall nur Erzählung des<br />

Angeklagten oder tatsächlich zwei verschiedene Fahrten mit Unfällen) angenommen, dass die unter Beweis gestellte<br />

Indiztatsache im Falle ihres Erwiesenseins keine Auswirkungen auf die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen D.<br />

gehabt hätte. Dass diese Gründe für alle Verfahrensbeteiligten auf der Hand lagen, kann nicht ohne weiteres angenommen<br />

werden. Der Verfahrensfehler führt zur Aufhebung der Verurteilung in den Fällen II. 1. bis 5. der Urteilsgründe,<br />

die auf der Aussage des Zeugen D. beruhen, <strong>und</strong> der Gesamtstrafe. Zwar berührt der Beweisantrag unmittelbar<br />

lediglich die Angaben des Zeugen im Fall II. 3. der Urteilsgründe. Es ist aber nicht auszuschließen, dass eine<br />

Falschaussage des Zeugen in diesem Fall Auswirkungen auf die Würdigung seiner Glaubwürdigkeit auch in den<br />

anderen Fällen gehabt hätte. Die Betäubungsmittelgeschäfte in den Fällen II. 1. bis 5. der Urteilsgründe sollen nach<br />

der Aussage des Zeugen alle in den Jahren 2001/2002 stattgef<strong>und</strong>en haben, also vor dem Zeitpunkt, zu dem der Angeklagte<br />

den Zeugen erst kennen gelernt haben will. In den Fällen II. 6. bis 8. der Urteilsgründe beruht die Verurteilung<br />

hingegen ausschließlich auf anderen Beweismitteln, sie werden durch den Verfahrensfehler ersichtlich nicht<br />

berührt. Im Falle einer neuerlichen Verurteilung wird der neue Tatrichter Gelegenheit haben, in den Fällen II. 1. bis<br />

5. der Urteilsgründe anhand der vorhandenen Indizien (Wirkstoffgehalte der sichergestellten Betäubungsmittel in den<br />

anderen Fällen, Mengen, Preise) realistische Wirkstoffgehalte festzustellen.<br />

StPO § 244 Abs. 3 Satz 2, § 245 Abs. 2 Satz 3 Var. 5, § 246 Abs. 1 Prozessverschleppung<br />

BGH, Beschl. vom 9.05.2007 - 1 StR 32/07 - NJW 2007, 2501<br />

LS: 1. Bei der Ablehnung eines zum Zweck der Prozessverschleppung gestellten Beweisantrags hält<br />

es der Senat für angezeigt, das objektive Kriterium, dass die zu erwartende Verfahrensverzögerung<br />

zusätzlich wesentlich sein muss, deutlich restriktiver auszulegen, wenn nicht gar aufzugeben.<br />

2. Zum Nachweis der Absicht der Prozessverschleppung.<br />

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 4. August 2006 werden als unbegründet<br />

verworfen. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen Mordes zu lebens-langer Freiheitsstrafe, den Angeklagten Sc. wegen<br />

gefährlicher Körperverletzung <strong>und</strong> Beihilfe zum Mord zur Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Die<br />

Angeklagten sowie der frühere Mitangeklagte So. hatten am 1. Mai 2004 zunächst den Geschädigten W. in einer<br />

Wohnung misshandelt. Sodann verbrachten sie ihn mit einem vom früheren Mitangeklagten F. gesteuerten Pkw in<br />

ein Waldstück, um ihn zu töten; dort legten S. <strong>und</strong> So. ihrem Opfer - nach weiteren Misshandlungen, an denen auch<br />

Sc. mitwirkte - eine Jacke um den Hals <strong>und</strong> zogen jeder mit einer Hand bis zum Atemstillstand zu. Die jeweils auf<br />

93


verschiedene Verfahrensrügen <strong>und</strong> die näher ausgeführte Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten sind aus<br />

den vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt in seinen Antragsschriften vom 7. <strong>und</strong> 8. Februar 2007 dargelegten Gründen unbegründet<br />

im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Der Senat sieht hinsichtlich folgender Rügen Anlass zu ergänzenden Ausführungen:<br />

I. Revision des Angeklagten S. :<br />

1. Rüge der rechtsfehlerhaften Ablehnung eines Beweisantrags wegen Prozessverschleppungsabsicht (§ 244 Abs. 3<br />

Satz 2 Var. 6 StPO): Die Kammer hat den Beweisantrag des Verteidigers Rechtsanwalt Sch. vom 24. Juli 2006, ein<br />

medizinisches Sachverständigengutachten dazu einzuholen, dass der Angeklagte S. nicht in der Lage war, mit seiner<br />

rechten Hand für die Tötungshandlung - das Strangulieren mittels Ziehens an der Jacke - erforderliche starke Handgreifkräfte<br />

aufzubringen, mit Beschluss vom 3. August 2006 abgelehnt, weil er zum Zweck der Prozessverschleppung<br />

gestellt worden sei.<br />

a) Die Revision trägt folgendes Verfahrensgeschehen vor: In dieser Sache fand eine erste Hauptverhandlung gegen<br />

die Angeklagten sowie die früheren Mitangeklagten So. , der während dieser Hauptverhandlung verstarb, <strong>und</strong> F. an<br />

15 Verhandlungstagen vom 18. Mai bis zum 10. November 2005 statt. Am 15. Verhandlungstag stellten sowohl der<br />

Verteidiger Rechtsanwalt Sch. für den Angeklagten S. als auch der Verteidiger Schw. für den Angeklagten Sc. einen<br />

Beweisantrag auf Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens zur Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit<br />

der beiden Angeklagten. Daraufhin wurde die erste Hauptverhandlung ausgesetzt. Als die Gutachten vorlagen,<br />

fand eine zweite Hauptverhandlung - nach Abtrennung des Verfahrens gegen den Mitangeklagten F. nur noch -<br />

gegen die Angeklagten wiederum an 15 Hauptverhandlungstagen vom 5. April bis zum 4. August 2006 statt, wobei<br />

der gegenständliche Beweisantrag am 13. Verhandlungstag gestellt wurde. Bei seiner ersten polizeilichen Vernehmung<br />

im Ermittlungsverfahren am 19. Mai 2004 hatte der Angeklagte S. unter anderem folgende Angaben gemacht:<br />

"Ich habe ihn (den Geschädigten W. ) auch zweimal geschlagen, aber nicht stark, weil meine rechte Hand gebrochen<br />

war. Ich bin am Daumengelenk operiert worden im Herbst 2003 <strong>und</strong> ich habe mir auch den Handgelenkknochen des<br />

Mittelfingers gebrochen, weshalb ich aber nicht beim Arzt war. Das war 1994. Ich hatte Angst, dass, wenn ich zu<br />

fest zuschlage, das wieder kaputt geht." Auf den Widerspruch des Angeklagten S. hat die Kammer hinsichtlich dieser<br />

Aussage ein auf § 136 Abs. 1 StPO gestütztes Beweisverwertungsverbot angenommen, was sie den Verfahrensbeteiligten<br />

bereits während der Hauptverhandlung mitteilte. Am 10. Verhandlungstag der zweiten Hauptverhandlung,<br />

dem 10. Juli 2006, ließ sich der Angeklagte S. über seinen Verteidiger zur Sache ein. Er bek<strong>und</strong>ete unter anderem: In<br />

der Wohnung "schlug (ich) ihm mit einem Tablett aus Leichtmetallblech von oben auf den Kopf. … (In dem Waldstück)<br />

schlug (ich) zunächst nicht auf ihn ein, da ich bei Schlägen mit der blanken Hand bis heute erhebliche<br />

Schmerzen in der rechten Hand habe, die von einem Unfallereignis im November 2003 herrühren. Seit einer Operation<br />

im Klinikum Landshut am 10.11.2003 befinden sich noch Metallschienen in meiner rechten Hand. Aufgr<strong>und</strong> der<br />

Verletzungsfolgen ist der Gebrauch meiner rechten Hand seit November 2003 insoweit deutlich eingeschränkt, als<br />

ich mit ihr weder kraftvoll Zug noch Druck ausüben kann. … Als Herr W. auf einmal aufstand <strong>und</strong> sich entfernen<br />

wollte, schlug ich ihm eine gefüllte Bierflasche auf den Kopf, die dabei zerbrach. Da Herr W. weiter weg wollte,<br />

habe ich eine weitere volle Bierflasche auf seinem Kopf zerschlagen." Die Kammer hat in der zweiten Hauptverhandlung<br />

die Zeugen Dr. N. , Hausarzt des Angeklagten, <strong>und</strong> Wi. , Vorgesetzter des Angeklagten, im Hinblick auf<br />

Funktionsstörungen der rechten Hand vernommen. Ferner haben der psychiatrische <strong>und</strong> der rechtsmedizinische<br />

Sachverständige, Dr. O. <strong>und</strong> Prof. Dr. P. , Angaben hierzu gemacht.<br />

b) Die Rüge ist jedenfalls unbegründet. Auf die vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt dargelegten etwaigen Mängel im Revisionsvortrag<br />

(§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) kommt es daher nicht an. Nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs<br />

(vgl. nur Senat NJW 2001, 1956 m. zahlr. N.; ferner Sander NStZ 1998, 207) hat die Ablehnung eines Beweisantrags<br />

wegen Verschleppungsabsicht nach § 244 Abs. 3 Satz 2 Var. 6 StPO in objektiver Hinsicht zwei Voraussetzungen:<br />

Die verlangte Beweiserhebung kann nichts Sachdienliches zugunsten des Antragstellers erbringen; darüber hinaus<br />

muss sie geeignet sein, den Abschluss des Verfahrens wesentlich hinauszuzögern. In subjektiver Hinsicht muss sich<br />

der Antragsteller der Nutzlosigkeit der Beweiserhebung bewusst sein <strong>und</strong> mit dem Antrag ausschließlich die Verzögerung<br />

des Verfahrensabschlusses bezwecken. Hat ein Verteidiger den Beweisantrag gestellt, so gilt: Es kommt<br />

darauf an, ob dieser in Verschleppungsabsicht handelt oder sich die Verschleppungsabsicht des Angeklagten zu<br />

eigen macht. Der Tatrichter kann seine Überzeugung auf der Gr<strong>und</strong>lage aller dafür erheblichen Umstände gewinnen.<br />

Das Verbot der Beweisantizipation gilt dabei nicht. Die Überzeugungsbildung hat namentlich unter Beachtung des<br />

Verhaltens des Angeklagten <strong>und</strong> des Verteidigers in <strong>und</strong> außerhalb der Hauptverhandlung, aber auch schon im Ermittlungsverfahren<br />

zu erfolgen; der Tatrichter kann ferner den bisherigen Verfahrensverlauf berücksichtigen. Der<br />

späte Zeitpunkt der Antragstellung für sich allein ist kein ausreichendes Anzeichen für ein Bewusstsein von der<br />

Nutzlosigkeit der beantragten Beweiserhebung. Die maßgeblichen Gründe für die Ablehnung muss der Tatrichter in<br />

dem Beschluss - regelmäßig nach Art eines Indizienbeweises - darlegen. Hat der Tatrichter sich eine entsprechende<br />

94


Überzeugung von der Prozessverschleppungsabsicht gebildet <strong>und</strong> diese unter Würdigung aller maßgeblichen Umstände<br />

im Ablehnungsbeschluss dargelegt, prüft das Revisionsgericht nur, ob die Erwägungen in tatsächlicher Hinsicht<br />

tragfähig <strong>und</strong> rechtlich zutreffend sind. Auf die hypothetische Erwägung, ob das Revisionsgericht selbst den<br />

Beweisantrag abgelehnt hätte, kommt es nicht an. Gemessen an diesen Anforderungen ist gegen den vom Beschwerdeführer<br />

beanstandeten Ablehnungsbeschluss revisionsrechtlich nichts zu erinnern.<br />

aa) Die Kammer hat tragfähig ihre Überzeugung dargelegt, dass die am 13. Hauptverhandlungstag der Neuverhandlung<br />

beantragte Einholung des medizinischen Sachverständigengutachtens nichts Sachdienliches erbracht hätte,<br />

vielmehr der Angeklagte S. im Gebrauch der rechten Hand nicht in der behaupteten Art <strong>und</strong> Weise eingeschränkt<br />

war. Rechtsfehlerfrei führt der Ablehnungsbeschluss folgende, die Überzeugungsbildung tragende Umstände an:<br />

– Der rechtsmedizinische Sachverständige Prof. Dr. P. hat erläutert, dass eine Metallplatte in der Hand gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

keine Funktionsbeeinträchtigung mit sich bringe.<br />

– Der psychiatrische Sachverständige Dr. O. hat ausgesagt, dass der Angeklagte bei der Exploration von der Fraktur<br />

mit anschließender Operation berichtet habe; darauf beruhende anhaltende Beschwerden habe er demgegenüber nicht<br />

erwähnt. Das Revisionsvorbringen, dass die Angaben des Sach-verständigen "zur Aufklärung der Beweistatsache<br />

auch nicht das Mindeste beitragen" könnten, da es bei der Exploration "wohl insbesondere um die Klärung psychologischer<br />

<strong>und</strong> psychiatrischer … <strong>und</strong> nicht … orthopädischer Fragen" gegangen sei, trifft schon deshalb nicht zu,<br />

weil der Angeklagte im Übrigen von anderen - vergleichsweise geringfügigen - Beschwerden wie etwa gelegentlichem<br />

Sodbrennen oder Nasenbluten berichtete.<br />

– Der Zeuge Dr. N. , der Hausarzt des Angeklagten S. , hatte diesen im Zusammenhang mit der Fraktur der rechten<br />

Hand allgemein-medizinisch betreut. Nach den Angaben des Zeugen hätten am 17. November 2003 Röntgenaufnahmen<br />

nach der Operation eine korrekte Stellung der Fraktur mit implantierter Metallplatte gezeigt. Der Angeklagte<br />

habe die Daumenrinne nach der Operation selbstständig entfernt. Er habe sich am 24. November 2003 letztmals zur<br />

Kontrolle in die Praxis des Zeugen begeben; anschließend sei keine weitere Behandlung erfolgt.<br />

– Nach Angaben des Zeugen Wi. , der mehr als ein halbes Jahr bis zum 30. April 2004 vorgesetzter Facharbeiter des<br />

Angeklagten beim Diakonischen Werk im Rahmen des Programms "Arbeit statt Sozialhilfe" war, verrichtete dieser<br />

zur Zufriedenheit leichte bis zu sehr schweren Arbeiten im Landschaftsbau wie auch Malerarbeiten. Nach seiner<br />

Krankschreibung bis zum 28. November 2003 sei er uneingeschränkt einsatzfähig gewesen. Der Einwand des Beschwerdeführers,<br />

dem Zeugen fehle es an medizinischen Fachkenntnissen <strong>und</strong> an - für die Kommunikation mit dem<br />

Angeklagten erforderlichen - russischen Sprachkenntnissen, greift nicht durch, da die Wahrnehmung, dass der Angeklagte<br />

tatsächlich derartige Arbeiten verrichtete, solche Kenntnisse nicht voraussetzt.<br />

– Schließlich hat sich der Angeklagte selbst dahingehend eingelassen, er habe mit einem Leichtmetalltablett <strong>und</strong> mit<br />

vollen Bierflaschen auf den Kopf des Geschädigten geschlagen. Anders als die Revision meint, durfte die Kammer<br />

diese Einlassung als Indiz heranziehen, auch wenn der Angeklagte hierbei keine Angaben dazu machte, mit welcher<br />

Hand die Schläge erfolgten, zumal er selbst bei der Exploration für das psychiatrische Gutachten erklärte, er sei<br />

Rechtshänder.<br />

bb) Die Kammer hat rechtsfehlerfrei dargelegt, dass die Einholung des beantragten medizinischen Sachverständigengutachtens<br />

den Abschluss des Verfahrens auch wesentlich hinausgezögert hätte. Dem Kriterium, dass die zu erwartende<br />

Verfahrensverzögerung zusätzlich wesentlich sein muss, hat die Rechtsprechung bisher keine hinreichend<br />

klaren Konturen gegeben. Die Formulierung, es müsse eine "Verzögerung des Verfahrensabschlusses auf unbestimmte<br />

Zeit bezweckt" sein (BGHSt 21, 118, 121; BGH VRS 38 [1970] 58 [jew. nichttragend]), verwendet der<br />

B<strong>und</strong>esgerichtshof in neueren Entscheidungen nicht mehr. Eine relevante Verfahrensverzögerung ist in Fällen angenommen<br />

worden, in denen eine Aussetzung der Hauptverhandlung unvermeidbar geworden wäre oder ernsthaft zu<br />

befürchten war (vgl. BGH NStZ 1992, 551; GA 1968, 19). Umgekehrt hat der B<strong>und</strong>esgerichtshof eine wesentliche<br />

Verzögerung verneint, wenn der beantragte Zeugenbeweis noch innerhalb der Frist nach § 229 Abs. 1 StPO (so NStZ<br />

1982, 391 [zur Zehn-Tages-Frist]) oder im allein für die Schlussvorträge vorgesehenen Folgetermin, der eine Woche<br />

nach der Antragstellung stattfand (so StV 1986, 418, 420), hätte erhoben werden können. Gleiches gilt, wenn die<br />

Beweiserhebung "in kurzer Zeit" hätte erfolgen können, was "insbes. bei ortsansässigen Zeugen" zutreffe (BGH<br />

NJW 1958, 1789). Die Einholung des beantragten medizinischen Sachverständigengutachtens hätte schon deswegen<br />

im vorliegenden Verfahren zu einer relevanten Verfahrensverzögerung geführt, weil zumindest eine - länger als drei<br />

Wochen dauernde - Unterbrechung nach § 229 Abs. 2 StPO, wenn nicht gar die erneute Aussetzung der Hauptverhandlung<br />

erforderlich geworden wäre. So hatte der Verteidiger Rechtsanwalt Sch. bereits am 18. Juli 2006 mitgeteilt,<br />

er befinde sich in der Zeit vom 7. bis zum 28. August 2006 in Urlaub. Hierzu führt der Ablehnungsbeschluss nachvollziehbar<br />

aus, dass bei einer Terminierung in Abwesenheit des Verteidigers Rechtsanwalt Sch. "mit erheblichem<br />

Widerstand" seinerseits zu rechnen gewesen wäre. Unbeschadet dessen war der Beweisstoff zum Zeitpunkt der Antragstellung<br />

erschöpft; nach dem Verhandlungsplan der Kammer sollte an diesem Tag mit den Schlussvorträgen<br />

95


egonnen werden. Auf sog. "Schiebetermine" (vgl. dazu BGH NJW 1996, 3019 m. Anm. Wölfl NStZ 1999, 43;<br />

BGH NStZ-RR 1998, 335; StV 1998, 359; JR 2007, 38 m. Anm. Gössel) hat sich die Kammer zu Recht nicht eingelassen.<br />

cc) Schließlich zeigt sich die Kammer in dem Ablehnungsbeschluss überzeugt, dass Verteidiger Rechtsanwalt Sch.<br />

mit dem Bewusstsein handelte, das beantragte Sachverständigengutachten werde eine dem Angeklagten S. günstige<br />

Wendung des Verfahrens nicht herbeiführen können, <strong>und</strong> dass der Antrag ausschließlich eine Verzögerung des Verfahrens<br />

bezweckte. Entgegen der - nur - insoweit missverständlichen Formulierung in der Antragsschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts<br />

rechtfertigt der bloße Verdacht, der Beweisantrag sei in der Absicht der Prozessverschleppung<br />

gestellt worden, nicht die Ablehnung. Der Verdacht muss sich vielmehr zur subjektiven Gewissheit des Tatrichters<br />

verfestigt haben. Wie jede sog. "innere Tatsache" kann sich die Absicht der Prozessverschleppung entweder aus<br />

eigenen Äußerungen des Antragstellers oder durch Rückschlüsse aus sonstigen Indizien ergeben (vgl. hierzu BGH<br />

NJW 1991, 2094; NStZ 2003, 596; 2004, 35, 36). Nach aller forensischer Erfahrung wird ein Antragsteller nur selten<br />

klar zum Ausdruck bringen, dass sein Antrag nicht der Erforschung der Wahrheit dient. Ausgeschlossen ist dies aber<br />

nicht, wie das vorliegende Verfahren beispielhaft belegt. Hier hatte der Verteidiger Rechtsanwalt Schw. des Angeklagten<br />

Sc. der insoweit unwidersprochenen dienstlichen Stellungnahme des Vorsitzenden zufolge diesem gegenüber<br />

fernmündlich geäußert, "er müsse jetzt Beweisanträge stellen, da er sich mit der Staatsanwaltschaft noch nicht ganz<br />

einig geworden sei". Damit brachte er klar zum Ausdruck, dass es ihm nicht um die Erforschung der Wahrheit ging,<br />

sondern darum, die übrigen Verfahrensbeteiligten dadurch zu einer verfahrensbeendenden Absprache zu veranlassen,<br />

dass er anderenfalls durch immer neue Beweisanträge den Abschluss des Verfahrens auf un-absehbare Zeit hinauszögern<br />

werde (vgl. Senat NStZ 2005, 45). Derartige oder damit vergleichbare Äußerungen des Verteidigers Rechtsanwalt<br />

Sch. im Zusammenhang mit dem in Rede stehenden Beweisantrag ("Handgreifkräfte") liegen nicht vor. Die<br />

Kammer hat ihre Überzeugung von der Absicht der Prozessverschleppung hier - über die Nutzlosigkeit der verlangten<br />

Beweiserhebung hinaus - rechtsfehlerfrei mittels folgender Indizien begründet: Den gegenständlichen Beweisantrag<br />

stellte der Verteidiger am 13. Hauptverhandlungstag der Neuverhandlung, für den, wie den Verfahrensbeteiligten<br />

bekannt war, die Beendigung der Beweisaufnahme <strong>und</strong> der Beginn der Schlussvorträge vorgesehen waren. Kurz<br />

zuvor hatte er mitgeteilt, in Kürze für drei Wochen urlaubsabwesend zu sein, damit in dieser Zeit keine Termine<br />

angesetzt würden. Während der ersten Hauptverhandlung sei eine Funktionsbeeinträchtigung der rechten Hand weder<br />

behauptet noch sonst ersichtlich gewesen. Der Verteidiger hatte bereits am 15. Verhandlungstag der ersten<br />

Hauptverhandlung, an dem diese geschlossen werden sollte, beantragt, ein psychiatrisches Sachverständigengutachten<br />

zur Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit des Angeklagten einzuholen, das die Beweisbehauptung aber nicht<br />

bestätigte. Zwar ist der späte Zeitpunkt der Antragstellung - für sich allein - im Hinblick auf den Ablehnungsgr<strong>und</strong><br />

der Prozessverschleppungsabsicht unschädlich. Wenn aber - wie hier - der Antrag erst nach einer umfangreichen<br />

Beweisaufnahme gestellt wird <strong>und</strong> die verlangte Beweiserhebung längere Zeit in Anspruch nehmen würde, andererseits<br />

der Beweisstoff für den Antragsteller erkennbar erschöpft ist <strong>und</strong> ein nachvollziehbarer Anlass für die späte<br />

Antragstellung weder dargetan noch sonst ersichtlich ist, kann alledem eine maßgebliche Indizwirkung zukommen.<br />

Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers drängte die gerichtliche Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO<br />

zuvor nicht zur Einholung des medizinischen Sachverständigengutachtens, <strong>und</strong> zwar schon deshalb nicht, weil die<br />

Kammer das Beweisthema mit anderen Beweismitteln aufgeklärt hat. Unbeschadet dessen bestand aufgr<strong>und</strong> der<br />

polizeilichen Aussage des Angeklagten vom 19. Mai 2004, er habe zweimal "nicht stark" zugeschlagen, da er sich in<br />

den Jahren 1994 <strong>und</strong> 2003 Frakturen an der rechten Hand zugezogen <strong>und</strong> er deswegen befürchtet habe, dass "das",<br />

wenn er zu fest zuschlage, wieder "kaputt" gehe, kein Anlass, ein Gutachten dazu einzuholen, ob er mit seiner rechten<br />

Hand die für das Ziehen an der Jacke erforderlichen Handgreifkräfte aufbringen konnte. Denn der Angeklagte<br />

hatte überhaupt keine Funktionsbeeinträchtigung beim Zugreifen, vielmehr das Risiko eines erneuten Aufbrechens<br />

alter Verletzungen beim Zuschlagen geltend gemacht; dies hinderte ihn nach seiner Aussage nicht am weniger starken<br />

Zuschlagen. Selbst wenn der Inhalt der Aussage die Einholung des Gutachtens nahe gelegt hätte, wäre zu berücksichtigen,<br />

dass die Kammer infolge des Widerspruchs des Angeklagten ein - für den Angeklagten disponibles -<br />

Beweisverwertungsverbot wegen Verstoßes gegen § 136 Abs. 1 StPO angenommen hat. Die Revision kann hier nicht<br />

innerhalb einer Rüge hinsichtlich ein <strong>und</strong> derselben Bek<strong>und</strong>ung des Angeklagten (Zuschlagen mit rechts) erfolgreich<br />

geltend machen, einerseits sei seine Einlassung für die Beweisbehauptung unergiebig, weil er niemals verwertbare<br />

Angaben dazu gemacht habe, mit welcher Hand Schläge seinerseits erfolgt seien (vgl. oben I 1 b aa), andererseits<br />

hätte sich aufgr<strong>und</strong> der bek<strong>und</strong>eten Schläge mit der rechten Hand eine bestimmte Beweiserhebung aufgedrängt. Die<br />

Kammer durfte daneben auch die späte Beweisantragstellung durch den Verteidiger Rechtsanwalt Sch. am letzten<br />

Verhandlungstag der ersten Hauptverhandlung berücksichtigen. Hierfür kommt es entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers<br />

nicht darauf an, ob die erste Hauptverhandlung - zumindest auch - aufgr<strong>und</strong> dieses Beweisantrags<br />

oder - allein - aufgr<strong>und</strong> des zeitnah von Rechtsanwalt Schw. gestellten Beweisantrags ausgesetzt worden war (vgl.<br />

96


UA S. 105). Maßgeblich ist nur, dass dem Antragsteller bekannt gewesen war, dass die verlangte Beweiserhebung<br />

nach im Übrigen beendeter Beweisaufnahme gemäß § 229 Abs. 4 StPO voraussichtlich eine Aussetzung zur Folge<br />

haben würde. Auch die Aufklärungspflicht hatte hier nicht die frühere Einholung des psychiatrischen Sachverständigengutachtens<br />

geboten. Dass, wie der Beschwerdeführer meint, "beim Vorwurf vorsätzlicher Tötungsverbrechen<br />

obligatorisch schon vor Beginn der Hauptverhandlung die Einholung solcher forensisch-psychiatrischer Sachverständigengutachten<br />

(zu) veranlassen" wäre, trifft nicht zu.<br />

c) Zu den beiden Voraussetzungen des Ablehnungsgr<strong>und</strong>s der Prozessverschleppungsabsicht (§ 244 Abs. 3 Satz 2<br />

Var. 6 StPO), dass - objektiv - der Beweisantrag geeignet sein muss, den Verfahrensabschluss "wesentlich" hinauszuzögern,<br />

<strong>und</strong> der Antragsteller - subjektiv - in Kenntnis der Nutzlosigkeit der Beweiserhebung ausschließlich die<br />

Verfahrensverzögerung bezweckt, sieht der Senat Anlass zu folgenden Erwägungen:<br />

aa) Der Senat hält es für angezeigt, das objektive Kriterium, dass die Verfahrensverzögerung zusätzlich wesentlich<br />

sein muss, deutlich restriktiver auszulegen, wenn nicht gar aufzugeben. Auch bei präsenten Beweismitteln erlaubt §<br />

245 Abs. 2 Satz 3 Var. 5 StPO mit der wortgleichen Formulierung die Ablehnung von Beweisanträgen wegen Verschleppungsabsicht.<br />

Auf die Frage, wie schnell sich weitere Be-weismittel beschaffen lassen, kann es hier naturgemäß<br />

nicht ankommen. Eine wesentliche Verfahrensverzögerung, die überhaupt nur in den Fällen der Benennung der<br />

Gerichtsmitglieder als Zeugen <strong>und</strong> der verlangten Einführung massenhaft präsenter Beweismittel in Betracht kommt,<br />

ist für § 245 Abs. 2 Satz 3 Var. 5 StPO nicht erforderlich (vgl. Alsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß<br />

5. Aufl. S. 829 f.; Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 245 Rdn. 27: "Verschleppungsabsicht iwS"). Gleiches gilt für<br />

die Verwerfung eines Ablehnungsgesuchs wegen Verschleppungsabsicht nach § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO. Stichhaltige<br />

Argumente dafür, dass die gleichen Rechtsbegriffe - zumal in den systematisch zusammenhängenden Vorschriften<br />

der §§ 244, 245 StPO - unterschiedliche Bedeutungen haben, sind nicht ersichtlich (ebenso Fahl, Rechtsmißbrauch<br />

im Strafprozeß 2004 S. 469; Herdegen in KK 5. Aufl. § 244 Rdn. 87, jew. m. w. N.). Die Änderung der Rechtsprechung<br />

zum Kriterium der wesentlichen Verfahrensverzögerung ist auch vor dem Hintergr<strong>und</strong> der neueren strengen<br />

Kammerrechtsprechung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts zum Beschleunigungsgr<strong>und</strong>satz geboten. Insbesondere in<br />

Haftsachen, die einen großen Teil der erstinstanzlichen Strafverfahren vor den Landgerichten ausmachen, zwingt der<br />

Beschleunigungsgr<strong>und</strong>satz dazu, dass die Hauptverhandlung so bald <strong>und</strong> so schnell wie möglich durchgeführt wird<br />

(vgl. nur BVerfG NJW 2006, 672, 676; 2006, 1336, 1337 f.). Hat die Haft schon geraume Zeit angedauert, ist von<br />

Verfassungs wegen eine straffe Terminierung mit durchschnittlich jedenfalls deutlich mehr als einem Verhandlungstag<br />

pro Woche geboten (vgl. BVerfG NJW 2006, 668, 670; 2006, 672, 676; NStZ 2006, 460, 461; Beschluss vom 29.<br />

Dezember 2005 - 2 BvR 2057/05 - Rdn. 64). Wird die Hauptverhandlung nicht straff genug durchgeführt, kann eine<br />

der Justiz anzulastende <strong>und</strong> damit kompensationspflichtige Verfahrensverzögerung gegeben sein. Die Kammerrechtsprechung<br />

des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts stellt dabei eine nicht ausreichende Verfahrensförderung insbesondere<br />

auch mittels statistischer Errechnung der durchschnittlichen Anzahl der Verhandlungstage <strong>und</strong> der durchschnittlichen<br />

Verhandlungsdauer fest <strong>und</strong> scheint nicht nach Verfahrensgegenständen <strong>und</strong> Verhandlungsinhalten - ebenso wenig<br />

danach, ob Beweisanträge gebündelt oder gestaffelt gestellt werden, oder danach, in welchem Zeitraum sich beantragte<br />

weitere Beweismittel bei im Übrigen abgeschlossener Beweisaufnahme beschaffen lassen - zu differenzieren<br />

(vgl. Eschelbach in KMR 44. Lfg. § 229 Rdn. 5; Schmidt NStZ 2006, 313, 314 f.). Vor dem Hintergr<strong>und</strong> der verfassungs-rechtlich<br />

gebotenen straffen Durchführung der Hauptverhandlung liegt es nahe, dass auch die Anordnung<br />

einer vergleichsweise kurzen Unterbrechung nach § 229 Abs. 1 StPO mit Blick auf den Beschleunigungsgr<strong>und</strong>satz<br />

eine relevante Verfahrensverzögerung bedeuten kann, zumal durch weitere Beweiserhebungen dem Tatgericht Arbeitszeit<br />

für andere - ebenfalls in angemessener Zeit abzuschließende - Verfahren verloren geht. Nach alledem kann<br />

jedenfalls für die Wesentlichkeit der Verfahrensverzögerung nicht mehr der Maßstab des § 229 Abs. 1 StPO zugr<strong>und</strong>e<br />

gelegt werden. Soweit dieser Maßstab bisher herangezogen wurde (vgl. BGH NStZ 1982, 391; Meyer-Goßner,<br />

StPO 49. Aufl. § 244 Rdn. 67 m. w. N.), kann daran nicht mehr festgehalten werden, nachdem das 1. JuMoG vom<br />

24. August 2004 (BGBl I 2198) die regelmäßige Unterbrechungsfrist auf drei Wochen verlängert hat.<br />

bb) Soweit der Tatrichter die Überzeugung von der inneren Tatsache, dass es dem Antragsteller auch subjektiv darum<br />

ging, den Prozess zu verschleppen, durch Rückschlüsse aus äußeren Tatsachen zu gewinnen hat, können sich<br />

signifikante Indizien etwa aus folgender Fallgestaltung ergeben: Nach Abschluss der vom Gericht nach dem Maßstab<br />

der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) für geboten gehaltenen Beweiserhebungen kann der Vorsitzende die<br />

übrigen Verfahrensbeteiligten unter Fristsetzung auffordern, etwaige Beweisanträge zu stellen. Dies gilt namentlich<br />

bei länger dauernden Verfahren im Sinne von § 229 Abs. 2 StPO, also solchen mit einer Hauptverhandlung, die<br />

mindestens zehn Verhandlungstage umfasst. Werden Anträge nicht innerhalb der gesetzten Frist gestellt, dann hat<br />

der Antragsteller die Gründe hierfür substantiiert darzulegen. Besteht nach der Überzeugung des Gerichts kein nachvollziehbarer<br />

Anlass für die verfristete Antragstellung, so kann es - falls nicht die Aufklärungspflicht nach § 244<br />

Abs. 2 StPO gleichwohl zur Beweiserhebung drängt - gr<strong>und</strong>sätzlich davon ausgehen, dass der Antrag nichts anderes<br />

97


als die Verzögerung des Verfahrens bezweckt. Denn es ist nicht erkennbar, warum ein Antragsteller, dem es möglich<br />

ist, innerhalb der gesetzten Frist Beweisanträge zu stellen, nicht bestrebt sein sollte, rechtzeitig seinem Anliegen<br />

dienliche Beweiserhebungen zu verlangen, will er nicht seinen Interessen zuwider handeln. Dieser Auslegung von §<br />

244 Abs. 3 Satz 2 StPO steht § 246 Abs. 1 StPO nicht entgegen, weil die Ablehnung eines Beweisantrags weiterhin<br />

nicht allein an die verspätete Antragstellung geknüpft ist; sie erleichtert dem Tatrichter lediglich den Nachweis der<br />

Absicht der Prozessverschleppung. Auch an der Pflicht des Gerichts zur Entgegennahme <strong>und</strong> Verbescheidung von<br />

Beweisanträgen ändert sich nichts (vgl. insoweit bei "extrem gelagerten Fällen" des Rechtsmissbrauchs BGH NJW<br />

2005, 2466).<br />

2. Rüge der Mitwirkung der wegen Ablehnung eines Beweisantrags abgelehnten Kammermitglieder (§ 338 Nr. 3, §§<br />

24 ff. StPO): Der Verteidiger Rechtsanwalt Sch. hat namens des Angeklagten S. sämtliche Mitglieder der Kammer<br />

mit Gesuch vom 3. August 2006 abgelehnt. Das Gesuch beanstandet im Wesentlichen die Ablehnung des Beweisantrags<br />

auf Einholung des medizinischen Sachverständigengutachtens wegen Prozessverschleppungsabsicht (siehe<br />

oben Ziff. 1); zudem habe "die Kammer vor Erlaß ihres Beschlusses keinerlei Versuch gemacht, Hrn. S. oder seine<br />

Verteidigung nochmals anzuhören <strong>und</strong> ihnen Gelegenheit zu geben, den Vorwurf der Verschleppungsabsicht zu<br />

entkräften". Die Vertreterkammer hat das Ablehnungsgesuch mit Beschluss noch vom selben Tag als unbegründet<br />

verworfen.<br />

Hierzu bemerkt der Senat: Das Verhalten der Kammermitglieder konnte die Besorgnis der Befangenheit aus der<br />

Sicht eines verständigen Angeklagten (vgl. Senat NJW 2006, 3290, 3295 m.w.N.; NStZ 2007, 161, 163) nicht begründen.<br />

Es mag dahinstehen, inwieweit prozessual fehlerhaftes Verhalten überhaupt Anlass zur Besorgnis der Befangenheit<br />

geben könnte (Senat NStZ 2007, 163, 164). Dem braucht der Senat hier nicht nachzugehen. Denn nicht<br />

nur die Ablehnung des Beweisantrags erfolgte rechtsfehlerfrei; es bedurfte hierzu auch nicht der vorherigen Anhörung<br />

zur beabsichtigten Entscheidung. Durch die Verkündung des Ablehnungsbeschlusses vor der abschließenden<br />

Urteilsberatung wird dem Antragsteller rechtliches Gehör gewährt; hierdurch wird ihm Gelegenheit gegeben, den<br />

Vorwurf, er habe den Beweisantrag nur in Prozessverschleppungsabsicht gestellt, zu entkräften oder die ihm sonst<br />

infolge der Ablehnung des Beweisantrags notwendig erscheinenden Maßnahmen zu treffen (st. Rspr.; vgl. nur<br />

BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Prozessverschleppung 4; BGH NStZ 1998, 207, jew. m.w.N.).<br />

II. Revision des Angeklagten Sc. :<br />

1. Rüge der Mitwirkung des wegen eines Hinweises abgelehnten Vorsitzenden (§ 338 Nr. 3, §§ 24 ff. StPO):<br />

a) Der Rüge, an dem Urteil habe der Vorsitzende Richter M. mitgewirkt, nachdem ein gegen ihn gerichtetes Ablehnungsgesuch<br />

wegen eines von ihm erteilten Hinweises mit Unrecht verworfen worden sei, liegt folgendes Verfahrensgeschehen<br />

zugr<strong>und</strong>e: Am siebten Verhandlungstag der ersten Hauptverhandlung, dem 27. Juli 2005, wurde die<br />

im Ermittlungsverfahren tätige Dolmetscherin <strong>und</strong> Übersetzerin T. als Zeugin vernommen. Sie sagte aus, dass sie<br />

keine Prüfung als Dolmetscherin oder Übersetzerin abgelegt habe <strong>und</strong> nicht allgemein vereidigt sei; sie komme allerdings<br />

aus Moskau <strong>und</strong> habe dort Germanistik studiert. Daraufhin widersprachen die Verteidiger der Angeklagten<br />

<strong>und</strong> des damaligen Mitangeklagten F. der Verwertung sämtlicher - noch in die Hauptverhandlung einzuführender<br />

<strong>und</strong> bereits eingeführter - Vernehmungen, an denen die Zeugin als Sprachmittlerin mitgewirkt habe. Der Vorsitzende<br />

erteilte unterdessen folgenden Hinweis: "Der Vorsitzende wies darauf hin, dass die soeben vernommene Zeugin T. in<br />

der jetzigen Vernehmung die deutsche Sprache ohne jeden grammatikalischen Fehler beherrschte <strong>und</strong> ihre Muttersprache<br />

russisch ist, wie sie erklärte." Die Verteidigung widersprach dieser Feststellung. Die Revision behauptet, der<br />

Vorsitzende habe, noch bevor die Widersprüche vollständig protokolliert gewesen seien, unter Anordnung einer<br />

Unterbrechung bis zum nächsten Tag den Sitzungssaal verlassen <strong>und</strong> sei später zur Rückkehr bewegt worden. Am<br />

folgenden Verhandlungstag, dem 28. Juli 2005, stellte der Verteidiger Rechtsanwalt Sch. namens des Angeklagten S.<br />

ein Befangenheitsgesuch, dem sich sämtliche Verteidiger, auch Rechtsanwalt Schw. für den Angeklagten Sc. , anschlossen.<br />

Mit Beschluss vom 1. August 2005 sind die Gesuche als unbegründet verworfen worden.<br />

b) Der Beschwerdeführer meint, dass der Vorsitzende mit dem Hinweis "rechtliche Erwägungen im Bezug auf die<br />

Rolle von Frau T. vorgenommen" habe, "was die Besorgnis der Befangenheit begründe(…)". Der Vorsitzende habe<br />

den Eindruck vermitteln wollen, § 73 Abs. 2 StPO sei hier nicht anwendbar. Zudem habe er die der Kammer obliegende<br />

Beweiswürdigung vorweggenommen; es handele sich um den "Versuch …, eine (nicht zwingende) Feststellung,<br />

die seiner persönlichen Wertung entspricht, … als unumstößlich ins Protokoll aufzunehmen"; diese "unzulässige<br />

Vorwegwürdigung" habe "die Folge, die weiteren Kammermitglieder zu präjudizieren".<br />

c) Bei verständiger Würdigung war ein Misstrauen in die Unvoreingenommenheit <strong>und</strong> Unparteilichkeit des Vorsitzenden<br />

nicht gerechtfertigt. Die Revision verkennt bereits, dass das geltende Recht ein Beweisverwertungsverbot<br />

aufgr<strong>und</strong> der Heranziehung eines nicht öffentlich bestellten <strong>und</strong> allgemein beeidigten Dolmetschers oder Übersetzers<br />

nicht kennt. Bei einem Dolmetscher handelt es sich schon nicht um einen Sachverständigen (Senge in KK 5. Aufl.<br />

vor § 72 Rdn. 9), so dass § 73 Abs. 2 StPO insoweit nicht einschlägig ist; im Übrigen hat ein Verstoß gegen die Soll-<br />

98


vorschrift des § 73 Abs. 2 StPO ohnehin kein Verwertungsverbot zur Folge. Auch aus den sonstigen im Ablehnungsgesuch<br />

zitierten Vorschriften (§ 185 Abs. 1 GVG; Bayerisches Dolmetschergesetz; Nr. 181 Abs. 1 RiStBV)<br />

ergibt sich ein solches Verwertungsverbot nicht. Die Annahme der Besorgnis der Befangenheit in der Person des<br />

Vorsitzenden liegt aber insbesondere deswegen fern, weil der protokollierte Hinweis von seiner Befugnis zur Verhandlungsleitung<br />

nach § 238 Abs. 1 StPO gedeckt war. Ist nämlich über ein Beweiserhebungs- <strong>und</strong> -<br />

verwertungsverbot, wie dies hier von der Verteidigung (zu Unrecht) geltend gemacht worden war, zu entscheiden, so<br />

kann der Vorsitzende darüber im Rahmen der Sachleitung befinden. Die ein derartiges Verbot möglicherweise begründenden<br />

Umstände sind dabei gegebenenfalls freibeweislich zu ermitteln. Eine durch den Vorsitzenden aufgr<strong>und</strong><br />

eigener Wertung angeordnete Beweisaufnahme können die Verfahrensbeteiligten beanstanden <strong>und</strong> somit einen Beschluss<br />

nach § 238 Abs. 2 StPO herbeiführen (vgl. BGHSt 51, 1, 4). Denn gerade im Fall eines Beurteilungsspielraums<br />

des Vorsitzenden oder eines gesetzlich eröffneten Ermessens obliegt es dem Verfahrensbeteiligten, der sich<br />

durch die Anordnung beschwert fühlt, die Verantwortung des Spruchkörpers zu aktivieren (BGH NJW 2007, 384,<br />

387, zur Veröffentlichung in BGHSt 51, 144 bestimmt). Gemessen daran ist das Verhalten des Vorsitzenden nicht zu<br />

beanstanden. Denn hiernach durfte er im Rahmen seiner Sachleitungsbefugnis die Richtigkeit der Übersetzung der<br />

im Ermittlungsverfahren tätigen Dolmetscherin <strong>und</strong> Übersetzerin wertend beurteilen.<br />

2. Rüge der Mitwirkung des wegen der Terminierung abgelehnten Vorsitzenden (§ 338 Nr. 3, §§ 24 ff. StPO): Zum<br />

Befangenheitsgesuch vom 25. Januar 2006, das sich im Kern darauf stützt, der Vorsitzende Richter M. habe für die<br />

Neuverhandlung eine zu kurzfristige <strong>und</strong> straffe Terminierung beabsichtigt, um den vom Angeklagten Sc. akzeptierten<br />

Pflichtverteidiger Rechtsanwalt Schw. "auszuschalten", wird auf die Senatsentscheidungen vom 20. Juni 2006 - 1<br />

StR 169/06 (abgedr. in NStZ 2006, 513) <strong>und</strong> vom 29. August 2006 - 1 StR 285/06 (abgedr. in NStZ 2007, 163) verwiesen.<br />

Im Übrigen bemerkt der Senat: Einen allgemeinen Rechtssatz des Inhalts, dass bei der Bestimmung der Termine -<br />

zumal bei einer ausgesetzten Hauptverhandlung - "der übliche Vorlauf von 2 - 3 Monaten" einzuhalten sei, gibt es<br />

nicht; nichtsdestotrotz hat der Vorsitzende ausweislich der Urteilsfeststellungen (UA S. 105) später sogar einem<br />

entsprechenden Terminsverlegungsantrag des Verteidigers Rechtsanwalt Schw. Folge geleistet. Auch die fernmündliche<br />

Äußerung des Vorsitzenden jenem gegenüber, "es könne nicht sein, dass er am Schluss die Haftbefehle aufheben<br />

müsse, weil die Verteidiger keine Zeit hätten", kann hier - nicht einmal im Ansatz - die Besorgnis der Befangenheit<br />

begründen.<br />

3. Rüge der überlangen Verfahrensdauer <strong>und</strong> rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung (Art. 5 Abs. 3 Satz 1<br />

Halbs. 2, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK):<br />

a) Im Rahmen der Strafzumessung hat die Kammer ausdrücklich davon abgesehen, eine überlange Verfahrensdauer<br />

oder rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung zugunsten des Angeklagten Sc. zu berücksichtigen, da Verhandlung<br />

<strong>und</strong> Entscheidung innerhalb angemessener Zeit erfolgt seien (UA S. 104 ff. d.A.). Das Urteil führt im Wesentlichen<br />

dazu aus, dass die Verfahrensdauer - die Anklageschrift datiert auf den 26. Oktober 2004 - ihre Ursache in Terminsabstimmungen<br />

mit den Verteidigern zunächst von vier, später von zwei Angeklagten hatte. Die Aussetzung der<br />

Hauptverhandlung sei aufgr<strong>und</strong> eines Beweisantrags des Verteidigers Rechtsanwalt Schw. auf Einholung eines psychiatrischen<br />

Sachverständigengutachtens erforderlich geworden; mit dem Antrag sei vorgetragen worden, der Angeklagte<br />

Sc. habe bei zwei Motorradunfällen in den Jahren 1988 <strong>und</strong> 1989 massive Kopfverletzungen erlitten.<br />

b) Die Sachrüge, mit der der Beschwerdeführer diese Erwägungen angreift, kann den Bestand des Urteils nicht gefährden.<br />

Will der Beschwerdeführer die Verletzung des Beschleunigungsgebots geltend machen, erfordert dies<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich die Erhebung einer Verfahrensrüge (BGHSt 49, 342; BGH, Beschluss vom 14. Februar 2007 - 1 StR<br />

618/06; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 27. September 2006 - 2 BvR 1377/06). Ein Ausnahmefall, für den<br />

der B<strong>und</strong>esgerichtshof angenommen hat, das Revisionsgericht habe wegen eines Erörterungsmangels auf die Sachrüge<br />

hin einzugreifen (vgl. BGHSt aaO; NStZ-RR 2007, 71; Beschluss vom 17. April 2007 - 5 StR 541/06), liegt<br />

hier nicht vor. Denn das Urteil legt nachvollziehbar dar, dass <strong>und</strong> weshalb die lange Verfahrensdauer nicht der Justiz<br />

anzulasten ist. Eine "minutiös genaue" Darstellung des Verhandlungsgangs ist dabei nicht erforderlich. Von den<br />

Urteilsfeststellungen abweichender oder darüber hinausgehender Sachvortrag kann im Rahmen der Sachrüge keine<br />

Berücksichtigung finden. Die Auslegung oder Umdeutung der Beanstandung im Rahmen der Sachrüge als bzw. in<br />

eine zulässige Verfahrensrüge (vgl. Senat NJW 2007, 92, 95 f.) kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die<br />

Darlegungen erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist (§ 345 Abs. 1 Satz 1 StPO) erfolgten. Der Senat<br />

braucht daher nicht zu entscheiden, welche Spielräume zur Förderung des Verfahrens der Kammer verblieben, ob<br />

etwa der Vorsitzende bei der Terminierung unter Verletzung des Beschleunigungsgebots in zu weit reichendem Umfang<br />

den Terminswünschen der Verteidiger nachkam <strong>und</strong> inwieweit dies hätte eine Strafmilderung zugunsten des<br />

Beschwerdeführers bewirken können.<br />

99


StPO § 244 Abs. 3 Satz 2, Abs. 6 – Beweisantrag - Wahrunterstellung<br />

BGH, Beschl. vom 21.06.2007 – 5 StR 189/07<br />

LS: Nach Wahrunterstellung einer Beweistatsache darf diese nicht ohne vorherigen entsprechenden<br />

Hinweis an den Angeklagten im Urteil als erwiesen angesehen <strong>und</strong> zum Nachteil des Angeklagten<br />

verwertet werden.<br />

Der 5. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 21. Juni 2007 beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird<br />

das Urteil des Landgerichts Berlin vom 9. November 2006 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.<br />

Die Sache wird zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere<br />

Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Schwurgericht hat den Angeklagten – erneut, nach Aufhebung eines ersten gleichlautenden Urteils durch Senatsbeschluss<br />

vom 22. Februar 2006 – wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung<br />

zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren <strong>und</strong> zehn Monaten verurteilt. Auch dieses Urteil hat keinen Bestand.<br />

1. Die Revision des Angeklagten hat mit der Verfahrensrüge einer Verletzung des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO Erfolg.<br />

Zur Untermauerung der Einlassung des Angeklagten, dieser habe dem Nebenkläger – entgegen dessen Aussage – die<br />

blutende Halsverletzung nicht zu Beginn der tätlichen Auseinandersetzung zugefügt, sondern erst im späteren Verlauf,<br />

hatte die Verteidigung nach Inaugenscheinnahme der Bekleidung des Angeklagten die Vernehmung eines<br />

Sachverständigen beantragt, der nach Untersuchung der Kleidung bek<strong>und</strong>en sollte, dass sich daran keine Blutspuren<br />

des Nebenklägers befänden. Das Landgericht hat den Beweisantrag mit der Begründung abgelehnt, die Behauptung<br />

werde als wahr unterstellt. Im Urteil hat das Schwurgericht die unter Beweis gestellte Tatsache indes bereits aufgr<strong>und</strong><br />

der Inaugenscheinnahme der Bekleidung als erwiesen angesehen <strong>und</strong> hieraus ein Indiz gegen die Einlassung<br />

des Angeklagten zum Tatgeschehen abgeleitet. Das Fehlen von Blutanhaftungen spreche gegen den vom Angeklagten<br />

behaupteten Stich in den Hals des Nebenklägers, als dieser ihn von hinten umklammert hielt, da aufgr<strong>und</strong> der<br />

damit verb<strong>und</strong>enen besonderen räumlichen Nähe Blutspuren an der Kleidung des Angeklagten zu erwarten gewesen<br />

wären. Dieser Umstand stütze vielmehr die vom Nebenkläger bek<strong>und</strong>ete Version, der Stich sei aus der gewissen<br />

Distanz des Gegenüberstehens erfolgt.<br />

b) Das Vorgehen des Schwurgerichts war nach der erfolgten Ablehnung des Beweisantrags verfahrensfehlerhaft. Das<br />

Gericht war an einer Verwertung der nach § 244 Abs. 3 Satz 2 Var. 7 StPO allein zur Entlastung des Angeklagten als<br />

wahr unterstellten Beweistatsache zu dessen Nachteil gehindert (BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Wahrunterstellung<br />

16; Alsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozess 5. Aufl. S. 654 f.). Wäre die unter Beweis gestellte Tatsache<br />

hingegen mit Ablehnung des Beweisantrags nach § 244 Abs. 3 Satz 2 Var. 3 StPO als bereits erwiesen angesehen<br />

worden, so hätte sie zu Gunsten oder zu Lasten des Angeklagten verwertet werden dürfen (vgl. Alsberg/Nüse/Meyer<br />

aaO S. 599; Gollwitzer in: Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 244 Rdn. 236, 242). Auf einen so<br />

geänderten Ablehnungsgr<strong>und</strong> hat sich das Schwurgericht im Urteil berufen. Hierauf wäre der Angeklagte aber, damit<br />

er seine Verteidigung darauf einrichten konnte, in der Hauptverhandlung hinzuweisen gewesen; dies durfte ihm nicht<br />

erst im Urteil bekanntgemacht werden (vgl. BGHSt 19, 24, 26; Gollwitzer aaO Rdn. 150 f.; Herdegen in: KK-StPO<br />

5. Aufl. § 244 Rdn. 59). Wäre die Inaugenscheinnahme, der das Schwurgericht im Urteil das Erwiesensein der Beweistatsache<br />

entnommen hat, nach der abweichend begründeten Ablehnung des Beweisantrags mit Wahrunterstellung<br />

erfolgt, hätte der unerlässliche Hinweis auf die abweichende Beurteilung möglicherweise im Rahmen dieser<br />

Beweisaufnahme als schlüssig erteilt angesehen werden können (vgl. hierzu Gollwitzer aaO Rdn. 247). Die Inaugenscheinnahme<br />

erfolgte indes bereits vor der Bescheidung des Beweisantrags. In der Wahrunterstellung liegt eine Zusicherung,<br />

auf deren Einhaltung sich der Angeklagte aus Fairnessgründen unbedingt verlassen können muss (vgl.<br />

BGHSt 32, 44; 40, 169, 185). Das bezieht sich auf alle Konsequenzen der Wahrunterstellung: primär auf die Berücksichtigung<br />

der als wahr unterstellten Beweistatsache im Urteil, in dem nicht im Widerspruch dazu stehende Tatsachen<br />

festgestellt werden dürfen; aber auch auf den Ausschluss der Verwendung zum Nachteil des Angeklagten, der<br />

darauf vertrauen darf, keine negativen Schlussfolgerungen auf der Gr<strong>und</strong>lage dieser Beweistatsache zu riskieren, so<br />

dass er sie bei seiner weiteren Verteidigung nicht kritisch auf ihre möglichen Beweisauswirkungen zu hinterfragen<br />

braucht. Nach alledem durfte das Schwurgericht, selbst wenn es das Fehlen von Blutanhaftungen an der Kleidung für<br />

erwiesen hielt, dies nicht zum Nachteil des Angeklagten den Feststellungen zugr<strong>und</strong>e legen, weil es dadurch gegen<br />

die vorher zugesagte Wahrunterstellung verstoßen hat.<br />

100


c) Das Urteil beruht auf dem Verfahrensfehler. Dies wäre auszuschließen, wenn sich sicher feststellen ließe, dass das<br />

Landgericht auch ohne die negative Verwertung der zunächst als wahr unterstellten, ausweislich des Urteils als erwiesen<br />

angesehenen Tatsache zum gleichen Beweisergebnis gelangt wäre. Solches scheidet indes angesichts der<br />

Bedeutung aus, die das Schwurgericht dem Indiz für die Feststellung zum Tatablauf zumisst (UA S. 37 f.). Auch mit<br />

der dem Verwerfungsantrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts zugr<strong>und</strong>e liegenden Erwägung, dass bei Bekanntgabe des<br />

veränderten Ablehnungsgr<strong>und</strong>es des Erwiesenseins in der Hauptverhandlung keine sach-dienlichen Verteidigungsanträge<br />

in diesem Zusammenhang möglich gewesen wären, lässt sich ein Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensverstoß<br />

– wie auch die Gegenerklärung der Verteidigung belegt – nicht mit der notwendigen Sicherheit ausschließen.<br />

2. Der Senat merkt Folgendes an:<br />

a) Wie der Generalb<strong>und</strong>esanwalt zutreffend ausgeführt hat, trifft auch die weitere verfahrensrechtliche Beanstandung<br />

der Verletzung des § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO zu. Insoweit lässt sich freilich ein Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensverstoß<br />

ausschließen.<br />

b) Bei Feststellung des Tatablaufs wird der neue Tatrichter die dem angefochtenen Urteil zu entnehmenden Erinnerungsdefizite<br />

des Nebenklägers (UA S. 25, 29) <strong>und</strong> den Umstand zu berücksichtigen haben, dass ohne vorangegangenen<br />

Angriff des Nebenklägers auch bei vorhandenem Affekt ein Motiv des Angeklagten für die sofortige Zufügung<br />

lebensgefährlicher Messerstiche allein als Reaktion auf eine Störung <strong>und</strong> Kränkung schwer nachvollziehbar ist.<br />

Auf die sachlichrechtlichen Bedenken der Revision gegen die physischen Gegebenheiten, denen das Schwurgericht<br />

bei der Widerlegung der Version des Angeklagten zur Beibringung des lebensgefährlichen Halsstiches Bedeutung<br />

beimisst, wird der neue Tatrichter auch Bedacht zu nehmen haben.<br />

c) Beachtlich könnten auch die Einwände der Revision gegen die Versagung eines Rücktritts vom Versuch sein,<br />

sofern tatsächlich ein unbeendeter – <strong>und</strong> nicht, eventuell auch unter Berücksichtigung eines alsbald veränderten<br />

Rücktrittshorizonts (vgl. BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, beendeter 12, vgl. UA S. 13, 21) ein beendeter –<br />

Totschlagsversuch anzunehmen wäre.<br />

StPO § 244 Beweisantrag - Beweisermittlungsantrag<br />

BGH, Urt. vom 13.06.2007 – 4 StR 100/07<br />

Zur Abgrenzung zwischen Beweisantrag <strong>und</strong> Beweisermittlungsantrag.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dessau vom 17. November 2006 mit den<br />

Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere<br />

Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht<br />

Jahren verurteilt <strong>und</strong> seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte<br />

die Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.<br />

I.<br />

1. Nach den der Verurteilung zu Gr<strong>und</strong>e liegenden Feststellungen heirateten der Angeklagte <strong>und</strong> die Nebenklägerin<br />

im Jahre 1997. Im Leben der Eheleute spielte der Konsum von alkoholischen Getränken eine wichtige Rolle. Sie<br />

tranken in regelmäßigen Abständen bereits nach dem Aufstehen Alkohol, der Angeklagte überwiegend Bier, die<br />

Nebenklägerin eher Schnaps. In der Zeit bis zur Inhaftierung des Angeklagten zur Verbüßung mehrerer Freiheitsstrafen<br />

im Jahre 2002 kam es nach dem Konsum von Alkohol mehrfach zu wechselseitigen, lautstarken Beleidigungen<br />

<strong>und</strong> Beschimpfungen. Der Angeklagte, der die Nebenklägerin in solchen Situationen wiederholt schlug, führte in<br />

dieser Zeit mehrfach mit der Nebenklägerin gegen deren Willen den Geschlechtsverkehr durch. Wegen dieser Vorfälle<br />

erstattete die Nebenklägerin aus Furcht, erneut vom Angeklagten geschlagen zu werden <strong>und</strong> ihre Gesamtsituation<br />

zu verschlechtern, keine Strafanzeige, <strong>und</strong> verzieh dem Angeklagten, weil sie dessen Beteuerungen, sich zu ändern,<br />

Glauben schenkte. Nach seiner Entlassung aus der Strafhaft am 4. November 2005 wurde der Angeklagte auf<br />

seinen Wunsch von der Nebenklägerin, die Mitleid mit ihm empfand <strong>und</strong> hoffte, dass er sich nunmehr geändert habe,<br />

wieder in deren Wohnung aufgenommen. Zwischen dem 4. <strong>und</strong> dem 11. November sowie Ende November/Anfang<br />

Dezember 2005 erzwang der Angeklagte, nachdem er <strong>und</strong> die Nebenklägerin zuvor Bier in nicht mehr feststellbaren<br />

Mengen getrunken hatten, unter Anwendung körperlicher Kraft den Geschlechtsverkehr mit der Nebenklägerin. Am<br />

101


5. Januar 2006 zwang der Angeklagte die Nebenklägerin mit Faustschlägen ins Gesicht <strong>und</strong> der Drohung, er haue der<br />

Nebenklägerin sonst "den Schädel weg", mit ihm oral <strong>und</strong> danach vaginal zu verkehren.<br />

2. Der Angeklagte hat die ihm zur Last gelegten Taten bestritten. Die Strafkammer hat der Nebenklägerin geglaubt,<br />

die das Geschehen wie festgestellt geschildert hat, <strong>und</strong> hierzu, soweit es die Aussagetüchtigkeit der Nebenklägerin<br />

betrifft, ausgeführt, dass diese "auf Gr<strong>und</strong> ihrer kognitiven Fähigkeiten <strong>und</strong> Persönlichkeitsvoraussetzungen gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

in der Lage ist, verlässliche Angaben über Erlebnisse der Art, wie sie sich in ihren Bek<strong>und</strong>ungen finden, zu<br />

machen". Sie sei "hinreichend" fähig, gerichtsverwertbare Bek<strong>und</strong>ungen, die auf eigener Wahrnehmung <strong>und</strong> Erinnerung<br />

beruhen, auszudrücken.<br />

II. Das Rechtsmittel hat mit einer auf die Verletzung des § 244 Abs. 3 StPO gestützten Rüge Erfolg, sodass es eines<br />

Eingehens auf weitere Verfahrensrügen <strong>und</strong> auf die Sachrüge - auch bezüglich der Strafzumessung - nicht bedarf.<br />

1. Am letzten Hauptverhandlungstag beantragte der Verteidiger des Angeklagten die Einholung eines Sachverständigengutachtens<br />

unter anderem zum Beweis der Tatsache, dass die Nebenklägerin "unter einer krankheitswertigen<br />

Alkoholabhängigkeit mit bereits eingetretener Persönlichkeitsdeformation leidet, sodass diese sowohl in ihrer Wahrnehmungs-<br />

als auch Erinnerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt ist". Diesen Antrag lehnte das Landgericht mit<br />

folgender Begründung ab: "Bezüglich des Antrages auf Einholung eines Sachverständigengutachtens fehlen bereits<br />

von dem Angeklagten benannte Anknüpfungstatsachen, die auf alkoholbedingte neurologische Ausfälle der Zeugin<br />

<strong>und</strong> Nebenklägerin schließen lassen. Allein der Umstand, dass nach Ansicht des Angeklagten die Zeugin <strong>und</strong> Nebenklägerin<br />

Alkoholikerin ist, rechtfertigt nicht die Annahme, dass sie aus diesem Gr<strong>und</strong>e nicht in der Lage wäre<br />

<strong>und</strong> dies generell, erlebte Sachverhalte zutreffend zu schildern. Einen entsprechenden Erfahrungswert gibt es bei<br />

Alkoholabhängigen nicht, entsprechendes ist auch seitens des Angeklagten in seinem Beweisantrag nicht behauptet<br />

worden. Soweit sich aus den Zeugenaussagen insgesamt Widersprüche ergeben, unterliegt dies der Wertung <strong>und</strong><br />

lässt für sich genommen keine Rückschlüsse darauf zu, dass bei der Zeugin bereits Schädigungen der Persönlichkeit<br />

mit daraus folgenden unzutreffenden Wahrnehmungen resultieren".<br />

2. Die Revision beanstandet diese Sachbehandlung zu Recht.<br />

a) Bei dem Antrag handelt es sich nicht lediglich um einen nach § 244 Abs. 2 StPO zu behandelnden Beweisermittlungsantrag,<br />

sodass dahinstehen kann, ob sich das Landgericht unter dem Gesichtspunkt der Aufklärungspflicht zu<br />

der beantragten Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen, sondern um einen Antrag, der dem Beweisantragsrecht<br />

unterliegt, das im Rahmen des § 244 Abs. 3 StPO über das von der Aufklärungspflicht Verlangte hinausgeht<br />

(vgl. BGH StV 1997, 567, 568 m. N.).<br />

aa) Der Antrag bezeichnet hinreichend bestimmte Beweistatsachen, die dem Sachverständigenbeweis, hier: durch<br />

eine psychiatrische Begutachtung (vgl. BGH NStZ 1995, 558; NStZ - RR 1997, 106), zugänglich sind, <strong>und</strong> genügt<br />

damit den nach der Rechtsprechung (vgl. BGHSt 37, 162, 164; 39, 251, 253 jew. m.w.N.) an einen Beweisantrag zu<br />

stellenden Anforderungen. Die Behauptung, die Nebenklägerin leide „unter einer krankheitswertigen Alkoholabhängigkeit<br />

mit bereits eingetretener Persönlichkeitsdeformation“, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung sowohl ihrer<br />

Wahrnehmungs- als auch Erinnerungsfähigkeit geführt habe, erfüllt unter den hier gegebenen Umständen trotz ihrer<br />

„schlagwortartige(n) Verkürzung“ (vgl. BGHSt 39, 141, 144) noch die Anforderungen an eine bestimmte Beweisbehauptung.<br />

bb) Es liegt auch nicht der Fall vor, dass die Verteidigung ohne konkrete Gr<strong>und</strong>lage, gewissermaßen „ins Blaue<br />

hinein“, die Beweiserhebung beantragt hat. Einem Beweisbegehren, das - wie hier - in die Form eines Beweisantrags<br />

gekleidet ist, muss allerdings nicht oder allenfalls nach Maßgabe der Aufklärungspflicht nachgegangen werden,<br />

wenn die Beweisbehauptung ohne jeden tatsächlichen Anhaltspunkt <strong>und</strong> ohne jede begründete Vermutung aufs Geratewohl<br />

aufgestellt wurde, sodass es sich in Wahrheit nur um einen nicht ernstlich gemeinten, zum Schein gestellten<br />

Beweisantrag handelt (vgl. BGH NStZ 2003, 497; StV 2002, 233 m.w.N.). Ob es sich bei einem Beweisbegehren um<br />

einen Beweisermittlungsantrag handelt, ist aus der Sicht eines verständigen Antragstellers auf der Gr<strong>und</strong>lage der von<br />

ihm selbst nicht infrage gestellten Tatsachen zu beurteilen (vgl. BGH NStZ 1989, 334; 2003, 497; NStZ 2006, 405).<br />

Gemessen daran liegt ein Beweisantrag vor. Nach den Feststellungen lag nicht nur bei dem Angeklagten, sondern<br />

auch bei der Nebenklägerin ein langjähriger, in dem Zeitraum November 2005 bis Januar 2006 noch andauernder<br />

massiver Alkoholmissbrauch nahe. Im Hinblick darauf <strong>und</strong> auf das in den Urteilsgründen dargestellte Aussageverhalten<br />

der Nebenklägerin ist die Beweisbehauptung aus der Sicht eines verständigen Antragstellers keine lediglich<br />

aufs Geratewohl ins Blaue hinein aufgestellte Behauptung, zumal das Landgericht selbst die Aussagetüchtigkeit der<br />

Nebenklägerin nur als „gr<strong>und</strong>sätzlich“ gegeben erachtet <strong>und</strong> diese lediglich als „hinreichend“ fähig angesehen hat,<br />

gerichtsverwertbare Bek<strong>und</strong>ungen zu machen, die auf eigener Wahrnehmung beruhen.<br />

b) Der Antrag hätte daher nur aus einem der in § 244 Abs. 3 <strong>und</strong> 4 StPO abschließend aufgezählten Gründe (vgl.<br />

BGHSt 29, 149, 151) abgelehnt werden dürfen. Das Landgericht hat jedoch in der Beschlussbegründung keinen<br />

dieser Ablehnungsgründe angeführt. Soweit die Ausführungen zum Fehlen eines Erfahrungswertes hinsichtlich einer<br />

102


Beeinträchtigung der Aussagetüchtigkeit von Alkoholikern dahin ausgelegt werden könnten, dass sich das Landgericht<br />

auf seine eigene Sachk<strong>und</strong>e berufen wollte, würde dies die Ablehnung nicht tragen, weil das Gericht selbst -<br />

wie bereits ausgeführt- Unsicherheiten in der Beurteilung der Aussagetüchtigkeit hat erkennen lassen.<br />

III. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass es für eine Anordnung der Maßregel<br />

gemäß § 64 StGB entgegen dem Gesetzeswortlaut nicht ausreicht, dass diese nicht lediglich "von vornherein aussichtslos"<br />

erscheint. Vielmehr ist erforderlich, dass die hinreichend konkrete Aussicht auf einen Behandlungserfolg<br />

besteht (vgl. BVerfGE 91, 1).<br />

StPO § 244 Beweisantrag Bedeutungslosigkeit – nähere Begründung erforderlich<br />

BGH, Beschl. vom 19.10.2006 – 4 StR 251/06<br />

Nach der ständigen Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs muss der Beschluss, mit dem ein Beweisantrag<br />

wegen Bedeutungslosigkeit der behaupteten Tatsache abgelehnt wird, die Erwägungen<br />

anführen, aus denen der Tatrichter ihr keine Bedeutung für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch<br />

beimisst. Geht es um die Glaubwürdigkeit eines Zeugen, bedarf es daher der Begründung,<br />

warum die zu beweisende Tatsache das Gericht auch im Falle ihres Nachweises unbeeinflusst lassen<br />

würde.<br />

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortm<strong>und</strong> vom 23. Februar 2006 mit den Feststellungen<br />

aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels,<br />

an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu<br />

einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner<br />

auf die Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts gestützten Revision. Die Revision hat mit einer Verfahrensrüge<br />

Erfolg. Der Verteidiger des Angeklagten hat in der Hauptverhandlung unter anderem die Vernehmung des Zeugen<br />

Mustafa Z. beantragt zum Beweis der Tatsache, dass dieser auf die Mitteilung des Zeugen R. , er sei von dem<br />

Angeklagten überfallen worden, entgegen der Bek<strong>und</strong>ung des R. nicht geäußert habe, der Angeklagte sei sein<br />

Cousin. Diesen Beweisantrag hat das Landgericht mit der Begründung zurückgewiesen, die genannte Beweistatsache<br />

sei für die Entscheidung ohne Bedeutung, da es sich um eine Indiztatsache handele, die nur mögliche, nicht zwingende<br />

Schlüsse zulasse. Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Nach der ständigen Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs<br />

muss der Beschluss, mit dem ein Beweisantrag wegen Bedeutungslosigkeit der behaupteten Tatsache<br />

abgelehnt wird, die Erwägungen anführen, aus denen der Tatrichter ihr keine Bedeutung für den Schuld- oder<br />

Rechtsfolgenausspruch beimisst (vgl. BGHSt 2, 184, 186; BGH NStZ 1981, 401; BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2<br />

Bedeutungslosigkeit 15 m. w. N.). Geht es - wie hier - um die Glaubwürdigkeit eines Zeugen, bedarf es daher der<br />

Begründung, warum die zu beweisende Tatsache das Gericht auch im Falle ihres Nachweises unbeeinflusst lassen<br />

würde (vgl. Meyer-Goßner StPO 49. Aufl. § 244 Rdn. 43 a m. w. N.). Die erforderliche Begründung entspricht<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich den Begründungserfordernissen bei der Würdigung von durch Beweisaufnahme gewonnenen Indiztatsachen<br />

in den Urteilsgründen. Diesen Voraussetzungen genügt der Beschluss des Landgerichts nicht. Die tatsächliche<br />

Bedeutungslosigkeit liegt hier auch nicht auf der Hand, so dass sich die Rüge deswegen als unbegründet erweisen<br />

würde (BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 12). Die Verurteilung des Angeklagten, der von<br />

seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hat, beruht allein auf den Bek<strong>und</strong>ungen des Zeugen R. . Dessen Glaubwürdigkeit<br />

bedurfte daher besonders sorgfältiger Überprüfung, ebenso die Frage, ob seine Wahrnehmungs- <strong>und</strong><br />

Erinnerungsfähigkeit am Tattag beeinträchtigt war. In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu berücksichtigen,<br />

dass bei dem Zeugen etwa zwei Jahre vor dem angeklagten Tatgeschehen eine paranoid-halluzinatorische Psychose<br />

diagnostiziert worden war. Wegen dieser Erkrankung wurde er fünf Monate in einer psychiatrischen Klinik stationär<br />

behandelt <strong>und</strong> danach unter Betreuung gestellt. In der Folgezeit ließ er sich zwar regelmäßig ambulant in der Klinik<br />

behandeln <strong>und</strong> mit einem Depotmedikament versorgen, setzte aber daneben seinen Cannabismissbrauch fort. Vor<br />

diesem Hintergr<strong>und</strong> erweist sich die floskelhafte Ablehnung des Beweisantrages wegen Bedeutungslosigkeit der<br />

Beweistatsache als rechtsfehlerhaft. Es ist nicht auszuschließen, dass die Verurteilung des Angeklagten auf der fehlerhaften<br />

Ablehnung des Beweisantrages beruht. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben. Für die neue<br />

Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin: Zur Feststellung der Wahrnehmungs- <strong>und</strong> Erinnerungsfähigkeit<br />

des Angeklagten wird sich in erster Linie die Vernehmung der Ärztin, die ihn im fraglichen Zeitraum in der<br />

103


Westfälischen Klinik für Psychiatrie ambulant behandelt hat, als sachverständige Zeugin anbieten. Sollte die neu<br />

entscheidende Strafkammer wieder zu einer Verurteilung kommen, so wird sie im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung<br />

die Voraussetzungen des § 250 Abs. 3 StGB zu prüfen haben.<br />

StPO § 244 Beweisantrag nach Urteilsberatung, aber vor der Urteilsverkündung<br />

BGH, Urt. vom 07.09.2006 – 3 StR 277/06 -<br />

1. Nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs ist es gr<strong>und</strong>sätzlich nicht zulässig, einen Verteidiger,<br />

der nach Urteilsberatung, aber vor der Urteilsverkündung einen Beweisantrag stellen will,<br />

nicht zu Wort kommen zu lassen <strong>und</strong> ihn dadurch an der Stellung des Antrages zu hindern. Entsprechendes<br />

gilt, wenn nach Unterbrechung einer Verkündung mit dieser erneut <strong>und</strong> vollständig<br />

von vorne begonnen wird, nachdem dem Vorsitzenden zuvor die Stellung eines Beweisantrages angekündigt<br />

worden war.<br />

2. Zur Unterscheidung von Beweistatsache <strong>und</strong> Beweisziel.<br />

3. Eine ohne jeglichen Anhaltspunkt erhobene Bezichtigung von Polizeibeamten, sie hätten eine<br />

erhebliche Straftat begangen, ist nicht mehr als zulässiges Verteidigungsverhalten zu bewerten <strong>und</strong><br />

kann straferschwerend verwertet werden.<br />

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 30. Januar 2006<br />

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass<br />

aa) der Angeklagte K. im Fall II. 1 der Urteilsgründe des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in<br />

Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge <strong>und</strong><br />

bb) beide Angeklagte im Fall II. 2 der Urteilsgründe des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer<br />

Menge in Tateinheit mit versuchter räuberischer Erpressung, mit gefährlicher Körperverletzung <strong>und</strong> mit Freiheitsberaubung<br />

schuldig sind, <strong>und</strong><br />

b) im Ausspruch über die Einzelstrafen im Fall II. 2 der Urteilsgründe <strong>und</strong> über die Gesamtstrafe hinsichtlich beider<br />

Angeklagter aufgehoben. Jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.<br />

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten der<br />

Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten M. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge<br />

sowie wegen versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung <strong>und</strong> mit gefährlicher Körperverletzung<br />

zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten <strong>und</strong> den Angeklagten K. wegen Handeltreibens<br />

mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen sowie wegen versuchter räuberischer Erpressung<br />

in Tateinheit mit Freiheitsberaubung <strong>und</strong> mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von sieben Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt. Ihre auf die Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts gestützten<br />

Revisionen haben den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.<br />

A. Verfahrensrügen:<br />

Die erhobenen Verfahrensrügen bleiben erfolglos.<br />

I. Ablehnung des Gerichts (Revision des Angeklagten K. ): Diese Rüge ist unbegründet, da das Ablehnungsgesuch<br />

vom 26. Januar 2006 nach dem letzten Wort der Angeklagten angebracht worden <strong>und</strong> somit gemäß § 25 Abs. 2 Satz<br />

2 StPO unstatthaft ist. Dabei kann offen bleiben, ob <strong>und</strong> nach welchen Maßstäben eine einschränkende Auslegung<br />

des § 25 Abs. 2 Satz 2 StPO für Fälle einer deutlich zu Tage getretenen Voreingenommenheit, bei denen die Ablehnungsgründe<br />

erst nach dem letzten Wort entstanden oder bekannt geworden sind, geboten sein kann, um unerträgliche<br />

Ergebnisse zu vermeiden. Hier kommt eine solche Einschränkung schon deshalb nicht in Betracht, weil die beanstandeten<br />

Anordnungen des Vorsitzenden, die nach dem letzten Wort erfolgt sind, eine Ablehnung für sich gesehen<br />

nicht rechtfertigen könnten, <strong>und</strong> die zur Unterstützung des Ablehnungsgesuches angeführten, bereits zu einem<br />

länger zurückliegendem Zeitpunkt gefallenen Äußerungen des Vorsitzenden, aus denen die Revision ein sonst zu<br />

gewärtigendes unerträgliches Ergebnis in erster Linie herleitet, zum Gegenstand eines - damals - zulässigen Ablehnungsgesuchs<br />

hätten gemacht werden können: Eine kurze Beratungszeit bietet für sich keinen Anhaltspunkt für eine<br />

unzureichende Prüfung der Urteilsgr<strong>und</strong>lagen. Dies gilt insbesondere, wenn die Beratung nach einer längeren, meh-<br />

104


ere Sitzungstage umfassenden Hauptverhandlung stattfindet, in der durch Zwischenberatungen eine weitgehende<br />

Vorklärung hat erfolgen können. Auch die gewährte Frist zur Fertigung des Ablehnungsgesuches begründet die<br />

Besorgnis der Befangenheit nicht. Ein solches Gesuch ist nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO "unverzüglich" anzubringen,<br />

wobei an diesen Begriff im Interesse einer zügigen Durchführung des Verfahrens ein strenger Maßstab<br />

anzulegen ist, was insbesondere für die Prozesssituation am Ende eines Verfahrens gilt (BGH, Beschl. vom 25. April<br />

2006 - 3 StR 429/05; die Verfassungsbeschwerde gegen diesen Beschluss ist nicht zur Entscheidung angenommen<br />

worden: BVerfG, Beschl. vom 2. August 2006 - 2 BvR 1518/06). Die dem Vorsitzenden angelasteten Äußerungen<br />

mit diskriminierendem Charakter sind lange vor dem letzten Wort in Gegenwart der Verteidiger <strong>und</strong> der Angeklagten<br />

gefallen <strong>und</strong> hätten damals unschwer zur Begründung eines Befangenheitsgesuches herangezogen werden können.<br />

Der Umstand, dass von dieser gegebenen strafprozessualen Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht worden ist,<br />

kann nicht dazu führen, die Ausschlussfrist des § 25 Abs. 2 Satz 2 StPO gegen den Wortlaut der Vorschrift auszulegen,<br />

um eine Nachholung der nicht rechtzeitig vorgenommenen Handlung zu ermöglichen.<br />

II. Nicht entgegengenommene Beweisanträge (Rüge beider Angeklagter):<br />

1. Dieser Rüge liegt folgender Sachverhalt zugr<strong>und</strong>e: In der Sitzung am 26. Januar 2006 (Donnerstag), dem 6.<br />

Hauptverhandlungstag, wurden verschiedene Beweisanträge der Verteidiger zurückgewiesen, die Beweisaufnahme<br />

geschlossen, die Schlussvorträge gehalten <strong>und</strong> den Angeklagten das letzte Wort gewährt. Nachdem das Gericht nach<br />

Beratung zur Urteilsverkündung erschien, beantragte die Verteidigerin des Angeklagten M. die Unterbrechung zur<br />

Stellung eines unaufschiebbaren Antrags. Der Vorsitzende räumte ihr eine Frist bis 9 Uhr des Folgetages (Freitag)<br />

ein <strong>und</strong> bestimmte Termin zur Fortsetzung der Verkündung auf den 30. Januar 2006 (Montag), 14 Uhr. Am Folgetag<br />

wurde lediglich das oben im Abschnitt A. I. näher bezeichnete Ablehnungsgesuch eingereicht; weitere Beweisanträge<br />

wurden nicht gestellt. Vielmehr überreichten die Verteidiger beider Angeklagten erst kurz vor dem Termin zur<br />

Fortsetzung der Urteilsverkündung insgesamt drei Beweisanträge auf der Geschäftsstelle <strong>und</strong> baten um Verständigung<br />

des Vorsitzenden. Nach Betreten des Sitzungssaals begann der Vorsitzende sogleich mit der Verlesung der<br />

Entscheidungsformel, während die Verteidigerin des Angeklagten M. ihn zur Stellung der angekündigten Beweisanträge<br />

zu unterbrechen versuchte. Sie erhielt dazu erst nach Abschluss der Verkündung Gelegenheit. Das Landgericht<br />

hat die Anträge nicht verbeschieden.<br />

2. Durch diese Vorgehensweise ist, wie die Beschwerdeführer <strong>und</strong> der Generalb<strong>und</strong>esanwalt zu Recht beanstanden, §<br />

246 Abs. 1 StPO verletzt, soweit es sich bei den zu stellenden Anträgen um Beweisanträge handelte. Nach der<br />

Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs ist es gr<strong>und</strong>sätzlich (zur Ausnahme vgl. BGH NJW 2005, 2466) nicht zulässig,<br />

einen Verteidiger, der nach Urteilsberatung, aber vor der Urteilsverkündung einen Beweisantrag stellen will,<br />

nicht zu Wort kommen zu lassen <strong>und</strong> ihn dadurch an der Stellung des Antrages zu hindern. Entsprechendes gilt,<br />

wenn nach Unterbrechung einer Verkündung mit dieser erneut <strong>und</strong> vollständig von vorne begonnen wird, nachdem<br />

dem Vorsitzenden zuvor die Stellung eines Beweisantrages angekündigt worden war (BGH NStZ 1992, 248 m. w.<br />

N.). So lag es hier. Aus den Revisionsvorträgen ergibt sich im Zusammenhang mit dem Hauptverhandlungsprotokoll,<br />

dass dem Vorsitzenden bei Beginn des Fortsetzungstermins bereits bekannt war, dass die Verteidiger Beweisanträge<br />

stellen wollten, er dies aber durch die unbeirrte Durchführung der Verkündung verhindert hat.<br />

3. Es kann jedoch ausgeschlossen werden, dass auf der rechtsfehlerhaften Weigerung, die Beweisanträge entgegenzunehmen,<br />

das Urteil beruhen kann. Dazu gilt hinsichtlich der einzelnen Anträge folgendes:<br />

a) Mit dem Beweisantrag auf "Inaugenscheinnahme" der Telefonüberwachungsprotokolle aus dem Verfahren gegen<br />

den Zeugen J. war unter Beweis gestellt worden, dass der Angeklagte K. in den überwachten Telefongesprächen aus<br />

Fallakte 19 nicht vorkommt, dass nach diesen eine Drogenübergabe an J. am 26. Juni 2004 nicht stattfand <strong>und</strong> es in<br />

ihnen nicht um die Droge Heroin ging. Es ist auszuschließen, dass ein solches Beweisergebnis die Überzeugung des<br />

Gerichts vom Tathergang im Fall II. 1 der Urteilsgründe in Frage gestellt hätte. Denn die Beweiswürdigung der<br />

Strafkammer geht nicht davon aus, dass der Zeuge die genannten Umstände aus den im Rahmen seiner polizeilichen<br />

Vernehmung abgespielten 300 bis 400 Telefongesprächen entnommen hätte, sondern nur davon, dass der Zeuge an<br />

Hand der abgespielten Telefonate seine Angaben gemacht hat.<br />

b) Entsprechendes gilt für den Beweisantrag auf Vernehmung der Zeugin L. , der Endabnehmerin im gleichen Fall,<br />

die bek<strong>und</strong>en sollte, dass es sich bei der zurückgegebenen Ware nicht um Heroin, sondern um Kokain gehandelt<br />

habe. Sowohl für den Schuldspruch als auch für den Strafausspruch ist es ohne ausschlaggebende Bedeutung, ob der<br />

als Kurier eingesetzte Angeklagte K. 200 Gramm Heroin oder Kokain transportiert hat. Auch die Glaubwürdigkeit<br />

des Zeugen J. wird nicht berührt, wenn der Lieferant Ji. statt der bestellten 200 g Heroin Kokain geliefert hätte, zumal<br />

nicht festgestellt ist, dass der Zeuge wusste, welcher "Stoff" auf Gr<strong>und</strong> der Bestellung ausgeliefert wurde.<br />

c) Ebenso wenig vermag die Verweigerung der Entgegennahme des Beweisantrags auf Vernehmung der Ehefrau des<br />

Angeklagten M. den Bestand des Urteils zu gefährden. Diese wurde zum Beweis dafür benannt, dass sich der Ange-<br />

105


klagte am 18. Dezember 2004 zwischen 14.00 <strong>und</strong> 18.00 Uhr - Tatzeit im Fall II. 2 der Urteilsgründe - bei den Zeugen<br />

T. <strong>und</strong> Mu. in E. <strong>und</strong> sodann ab 19.30 Uhr zu Hause in der ehelichen Wohnung aufgehalten hat.<br />

aa) Der Beweisantrag hat folgenden Hintergr<strong>und</strong>: Nach den Feststellungen zu Fall II. 2 der Urteilsgründe hatten die<br />

Angeklagten den Kurier A. beauftragt, eine größere Menge Kokain aus Curacao über Amsterdam nach Düsseldorf zu<br />

bringen. Dieser hatte 60 sog. Bodypacks mit insgesamt 623,9 g geschluckt, wurde aber nach der Landung in Amsterdam<br />

festgenommen. Das Kokain wurde sichergestellt <strong>und</strong> der Kurier nach Düsseldorf abgeschoben, wo er am 18.<br />

Dezember 2004 um 13.58 Uhr landete. Er unterrichtete sogleich den Angeklagten K. über den Zwischenfall <strong>und</strong><br />

wurde in dessen Wohnung in der Kö. Straße in D. beordert. Zugleich verständigte K. den Angeklagten M. , der sich<br />

ebenfalls dorthin begab. Beide waren misstrauisch, ob die Darstellung des Kuriers zutraf oder ob er die Drogen nicht<br />

für sich verwendet hatte. Sie beschlossen, ihn durch Gewalt dazu zubringen, entweder die eingeführten Drogen oder<br />

entsprechenden Ersatz herauszugeben. Dazu versperrten sie die Wohnung <strong>und</strong> misshandelten den Kurier durch wiederholte<br />

Faustschläge <strong>und</strong> Fußtritte, obgleich dieser ihnen eine Sicherstellungsbescheinigung der niederländischen<br />

Polizei vorzeigte. Die Tortur dauerte insgesamt etwa drei St<strong>und</strong>en. In der Hauptverhandlung hatte der Angeklagte M.<br />

zunächst versucht, einen Alibibeweis zu erbringen, indem er die Zeugen T. , B. <strong>und</strong> Br. als Zeugen benannt hatte,<br />

sich zur Tatzeit am 18. Dezember 2004 bei ihnen aufgehalten zu haben. Dieser Alibibeweis misslang, weil sich die<br />

Zeugen zwar an einen Besuch des Angeklagten erinnern, diesen aber nicht dem Tattag zuordnen konnten.<br />

bb) Soweit mit dem Beweisantrag in Ziff. 2 unter Beweis gestellt worden ist, der Angeklagte sei am 18. Dezember<br />

2004 ab 19.30 Uhr zu Hause gewesen, ist dieser Umstand ohne Bedeutung, da er nicht die Tatzeit am Nachmittag<br />

betrifft. Der Beweis dieser Tatsache hätte das Beweisergebnis nicht beeinflussen können.<br />

cc) Soweit unter Ziff. 1 des Beweisantrags die Ehefrau des Angeklagten M. zum Beweis dafür benannt worden ist,<br />

dieser sei am Nachmittag des Tattages von 14 bis 18 Uhr bei den Zeugen T. <strong>und</strong> Mu. in E. gewesen, handelt es sich<br />

nicht um einen Beweisantrag, da mit ihm nicht eine durch die Zeugin zu beweisende Tatsache, sondern das Beweisziel<br />

unter Beweis gestellt worden ist.<br />

(1) Nach der Rechtsprechung setzt ein auf die Vernehmung eines Zeugen gerichteter Beweisantrag die Bezeichnung<br />

bestimmter Beweistatsachen voraus, die dem Zeugenbeweis zugänglich sind, wobei ein Zeuge gr<strong>und</strong>sätzlich nur über<br />

seine eigenen Wahrnehmungen vernommen werden kann. Gegenstand des Zeugenbeweises können somit nur solche<br />

Umstände <strong>und</strong> Geschehnisse sein, die mit dem benannten Beweismittel unmittelbar bewiesen werden können. Soll<br />

aus den Wahrnehmungen auf ein bestimmtes weiteres Geschehen geschlossen werden, ist nicht dieses weitere Geschehen,<br />

sondern nur die Wahrnehmung des Zeugen tauglicher Gegenstand des Zeugenbeweises. Die Trennung von<br />

Beweistatsache <strong>und</strong> Beweisziel ist deswegen von besonderer Bedeutung, weil allein durch sie eine sinnvolle Anwendung<br />

der Ablehnungsgründe des § 244 Abs. 3 StPO ermöglicht wird (BGHSt 39, 251, 253 f.; BGHSt 43, 321, 329 f.<br />

jew. m. w. N.).<br />

(2) Diesen Anforderungen genügt der Beweisantrag in Ziff. 1 nicht. Die Revision räumt insoweit ein, es ergebe sich<br />

aus dem Beweisantrag im Zusammenhang mit den weiteren Umständen des Verfahrens, insbesondere aus der vorherigen<br />

- nicht erfolgreichen - Beweisaufnahme über die früheren Alibi-Beweisanträge, dass die Ehefrau nicht aus<br />

eigenem unmittelbarem Wissen etwas über den Aufenthalt des Angeklagten M. am Nachmittag bek<strong>und</strong>en könne. Es<br />

ergebe sich aber - wie die Revision über den Inhalt des Beweisantrags hinausgehend weiter vorträgt - aus dem Zusammenhang,<br />

dass die Ehefrau darüber berichten könne, was ihr der Angeklagte am Mittag bei Verlassen der Ehewohnung<br />

über sein Ziel <strong>und</strong> Vorhaben für den Nachmittag erklärt <strong>und</strong> was er nach seiner Rückkehr gegen 19.30 Uhr<br />

in die Ehewohnung berichtet habe. Dabei sei zu erwarten gewesen, dass er über den Versuch, bei dem Zeugen B.<br />

einen Versicherungsvertrag abzuschließen <strong>und</strong> sich eine Doppelkarte ausstellen zu lassen, erzählt habe.<br />

(3) Damit hat aber erst die Revision in der Revisionsbegründung diejenigen Beweistatsachen benannt, über die die<br />

Zeugin gegebenenfalls etwas aus eigenem Wissen hätte bek<strong>und</strong>en können. Dem Beweisantrag sind sie aber nicht zu<br />

entnehmen. Nur wenn sie in ihm enthalten gewesen wären, hätte die Strafkammer prüfen können, ob sie dem Beweisantrag<br />

insoweit nachgeht oder ihn als bedeutungslos ablehnt, weil sie selbst im Falle des Erwiesenseins der<br />

genannten Beweistatsachen nicht den von der Verteidigung erstrebten Schluss darauf ziehen würde, dass der Angeklagte<br />

tatsächlich das gemacht hat, was er vorher oder nachher seiner Ehefrau erzählt hat. Denn ein solcher Schluss<br />

von einer Indiztatsache (Erzählung gegenüber der Ehefrau) auf die erstrebte Haupttatsache (tatsächlicher Aufenthalt<br />

bei den Zeugen von 14 bis 18 Uhr) ist allein Sache des Gerichts. Soweit die Revision darauf hinweist, dass hier die<br />

Angabe der eigentlichen Beweistatsachen nicht erforderlich gewesen wäre, weil sie sich nach dem Zusammenhang<br />

von selbst verstünden, vermag dem der Senat nicht zu folgen. Die von der Verteidigung in Anspruch genommene<br />

allgemeine Lebenserfahrung, wonach es "selbstverständlich" sei, dass ein Ehemann beim Verlassen der Wohnung<br />

seiner Ehefrau gegenüber im Einzelnen angibt, was er vorhat, trifft ebenso wenig zu, wie dass die dabei gemachten<br />

Angaben stets wahr sind. Insbesondere bei einer Verwicklung in kriminelle Rauschgiftgeschäfte, die dem Angeklagten<br />

zur Last lag, liegt es eher nahe, der Ehefrau einen un-verfänglichen Gr<strong>und</strong> für die Abwesenheit zu nennen.<br />

106


(4) Bei dieser Sachlage, zumal angesichts der deutlich gegen den Angeklagten sprechenden Beweisanzeichen (Telefonate,<br />

Quittung über den Kauf des Flugtickets) gebot es auch die Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO nicht,<br />

dem Antrag im Sinne einer Beweisanregung näher nachzugehen. Dabei ist weiter zu berücksichtigen, dass mit dem<br />

von der Revision vorgetragenen Abwesenheitsgr<strong>und</strong> (Abschluss eines dann doch nicht zustande gekommenen Fahrzeugversicherungsvertrags)<br />

schwerlich die lange Zeit von vier St<strong>und</strong>en erklärt werden kann.<br />

4. Nach alledem braucht nicht entschieden zu werden, ob die Beweisanträge nicht deshalb unzulässig gewesen wären,<br />

weil sie - was nach den besonderen Umständen nahe liegt - gar nicht auf eine weitere Aufklärung der Sache<br />

durch Erhebung der Beweise abzielten, sondern lediglich den Wiedereintritt in die Hauptverhandlung bewirken sollten,<br />

um so die offensichtlich zunächst übersehene Ausschlussfrist des § 25 Abs. 2 Satz 2 StPO zu umgehen <strong>und</strong> damit<br />

das oben unter Abschnitt A. I. genannte Ablehnungsgesuch noch nachträglich zulässig zu machen. Dafür spricht<br />

die Vorgeschichte mit der Anbringung des - unerkannt - verspäteten Ablehnungsgesuchs ebenso wie der Umstand,<br />

dass die Beweisanträge nicht bereits vor Schließung der Beweisaufnahme oder jedenfalls noch bis zur Frist für die<br />

Anbringung des Ablehnungsgesuchs gestellt worden sind, wenn mit ihnen tatsächlich eine weitere Aufklärung bezweckt<br />

worden wäre.<br />

B. Sachrüge: Die Sachrüge führt in dem nur den Angeklagten K. betreffenden Fall II. 1 <strong>und</strong> in dem beide Angeklagte<br />

betreffenden Fall II. 2 zu einer Änderung des Schuldspruchs. Während die im Fall II. 1 verhängte Einzelstrafe bestehen<br />

bleiben kann, hat im Fall II. 2 die Schuldspruchänderung die Aufhebung der insoweit verhängten Einzelstrafen<br />

<strong>und</strong> somit auch der Gesamtstrafen zur Folge. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigungen<br />

keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.<br />

I. Fall II. 1: Die zu diesem Fall vorgenommene Beweiswürdigung weist keinen Rechtsfehler auf. Die Aussage des<br />

Zeugen J. erfährt insoweit eine Bestätigung, als der Angeklagte K. eingeräumt hat, Verbindungen zu dem Lieferanten<br />

Ji. gehabt zu haben. Weiterhin ergibt sich aus den Fällen II. 2 <strong>und</strong> 3, dass der Angeklagte auch sonst in Rauschgiftgeschäfte<br />

verwickelt war <strong>und</strong> eine als Umschlagplatz dienende Wohnung unterhalten hatte. Keinen Bestand hat<br />

jedoch die nicht näher begründete Annahme von täterschaftlichem Handeltreiben. Nach den Feststellungen war der<br />

Angeklagte in diesem Fall lediglich als Kurier eingesetzt, der die Ware vom Lieferanten Ji. an den Zwischenhändler<br />

J. weitergab. Da Anhaltspunkte für täterschaftliches Handeln den Feststellungen nicht zu entnehmen sind, kommt nur<br />

Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Betracht (vgl. zur neueren Rechtsprechung<br />

in solchen Fällen BGH NStZ 2006, 454). Der mit der eigenen Verfügungsgewalt des Angeklagten zugleich<br />

verwirklichte Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge steht hierzu in Tateinheit. Der Senat hat den<br />

Schuldspruch entsprechend geändert. Die Vorschrift des § 265 StPO steht dem nicht entgegen, denn es ist auszuschließen,<br />

dass sich der Angeklagte gegen diesen Vorwurf anders hätte verteidigen können. Die festgesetzte Einzelstrafe<br />

(zwei Jahre <strong>und</strong> sechs Monate Freiheitsstrafe) hat trotz der vorgenommenen Änderung des Schuldspruchs<br />

Bestand. Im Hinblick darauf, dass für Besitz <strong>und</strong> für Handeltreiben in § 29 a Abs. 1 BtMG die gleiche Strafe angedroht<br />

wird <strong>und</strong> die Strafkammer unter dem Gesichtspunkt des täterschaftlichen Handeltreibens ausdrücklich strafmildernd<br />

berücksichtigt hat, dass er lediglich als Kurier eingesetzt war, hat sie seine untergeordnete Stellung der<br />

Sache nach in Rechnung gestellt. Es ist somit auszuschließen, dass sie bei richtiger rechtlicher Würdigung auf eine<br />

mildere Strafe erkannt hätte. Es war auch nicht rechtsfehlerhaft, dass die Strafkammer dem Angeklagten bei der<br />

Strafzumessung angelastet hat, er habe der Polizei vorgeworfen, sie habe den Zeugen J. gezwungen, ihn zu Unrecht<br />

zu belasten. Die ohne jeglichen Anhaltspunkt erhobene Bezichtigung der Polizeibeamten, sie hätten eine erhebliche<br />

Straftat begangen, ist nicht mehr als zulässiges Verteidigungsverhalten zu bewerten.<br />

II. Fall II. 2:<br />

1. Die Annahme einer versuchten räuberischen Erpressung ist bei dem oben im Abschnitt A. II. 3. c) aa) geschilderten<br />

Geschehen nicht zu beanstanden. Das Nötigen zur Herausgabe von Betäubungsmitteln mittels Gewalt erfüllt<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich den Tatbestand der räuberischen Erpressung nach §§ 253, 255 i. V. m. § 249 StGB (BGHR StGB §<br />

253 Abs. 1 Vermögenswert 1, 3 m. w. N.; vgl. auch BGH StV 2006, 18 f.). Etwas anderes ergibt sich auch nicht<br />

daraus, dass sich hier die Tat gegen den von den Angeklagten eingesetzten Kurier richtete. Denn im Hinblick auf das<br />

betäubungsmittelrechtliche Veräußerungsverbot konnten die Angeklagten gemäß § 134 BGB kein Eigentum durch<br />

Übergabe des Kokains an den von ihnen beauftragten Kurier erwerben, auf dessen Herausgabe sie einen Anspruch<br />

gehabt hätten. Es stellt hier auch keinen durchgreifenden Rechtsfehler dar, dass sich die Strafkammer nicht näher mit<br />

der Frage befasst hat, ob die Angeklagten subjektiv von der Unrechtmäßigkeit der Bereicherung ausgingen. Denn der<br />

Sachverhalt enthält die Besonderheit, dass der Kurier den Angeklagten von der Sicherstellung des transportierten<br />

Rauschgiftes durch die Polizei berichtet <strong>und</strong> ihnen die hierüber ausgestellte Sicherstellungsbescheinigung vorgezeigt<br />

hatte. Bei dieser Sachlage hat die Strafkammer ohne Rechtsfehler angenommen, dass sich die ungeachtet des Nachweises<br />

des Verlustes unter erheblichen Misshandlungen aufrechterhaltene Forderung auf "Herausgabe des Rauschgifts"<br />

auch darauf richtete, dass der Kurier Ersatz für das polizeilich sichergestellte Kokain liefern müsse, wenn er<br />

107


schon die eingeführte Ware nicht mehr herausgeben könne. Dass die Angeklagten glauben konnten, ein Kurier sei in<br />

einer solchen Lage zur Lieferung einer entsprechenden, von ihm erst zu beschaffenden Menge Kokain verpflichtet,<br />

liegt so fern, dass in der fehlenden näheren Erörterung kein Rechtsfehler gesehen werden kann.<br />

2. Keinen Bestand kann jedoch die konkurrenzrechtliche Bewertung des genannten Sachverhalts haben. Die Strafkammer<br />

hat insoweit zwei selbständige Taten angenommen <strong>und</strong> zwar des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in<br />

nicht geringer Menge einerseits <strong>und</strong> der versuchten räuberischen Erpressung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung<br />

<strong>und</strong> mit gefährlicher Körperverletzung andererseits. Dabei hat sie nicht bedacht, dass das gewaltsame Vorgehen<br />

gegen den Kurier zumindest zunächst auch darauf gerichtet war, die Drogenmenge, die Gegenstand der Tat des Handeltreibens<br />

mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge war, in Besitz zu bekommen, um sie sodann gewinnbringend<br />

absetzen zu können. Dieses Bemühen ist damit gleichzeitig ein Teilakt des Handeltreibens mit dieser Drogenmenge,<br />

das von der Bestellung über die Einfuhr bis zum Absatz an die Abnehmer reicht. Insofern ist es ohne Bedeutung,<br />

dass die Betäubungsmittel zwischenzeitlich sichergestellt waren. Dies führt zur Tateinheit für den gesamten<br />

Tatkomplex. Bei dieser Sachlage kann offen bleiben, ob Tateinheit auch dann angenommen werden müsste, wenn es<br />

den Angeklagten allein um eine Ersatzbeschaffung gegangen wäre, um die von ihnen geplanten Absatzgeschäfte<br />

durchführen zu können. Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert; § 265 StPO steht dem nicht entgegen,<br />

zumal beide Beschwerdeführer eine solche Änderung begehren. Diese Schuldspruchänderung führt zur Aufhebung<br />

der beiden in diesem einheitlichen Tatkomplex verhängten Einzelstrafen <strong>und</strong> somit auch der Gesamtstrafen. Da<br />

die Feststellungen zur Straffrage ohne Rechtsfehler getroffen worden sind <strong>und</strong> die Aufhebung lediglich durch die<br />

Änderung des Konkurrenzverhältnisses bedingt ist, konnten die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten werden.<br />

Dies hindert ergänzende Feststellungen, etwa zur weiteren persönlichen Entwicklung der Angeklagten, nicht.<br />

III. Die Zurückverweisung an ein anderes Gericht gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO ist nicht veranlasst, da keine<br />

Anhaltspunkte dafür bestehen, eine andere Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf könne die Sache nicht unbefangen<br />

entscheiden.<br />

StPO § 247 – Unterrichtung des Angeklagten<br />

BGH, Beschl. vom 25.10.2006 – 2 StR 339/06 – StraFo 2007, 118<br />

Die durch § 247 StPO ermöglichte Verhandlung ohne den Angeklagten <strong>und</strong> seine dadurch behinderte<br />

Verteidigung sind, soweit unvermeidbar, hinzunehmen mit der Maßgabe, dass eine Unterrichtung<br />

über das in seiner Abwesenheit Geschehene stattfindet, bevor weitere Verfahrenshandlungen<br />

erfolgen. Damit soll er weitgehend so gestellt werden, wie er ohne Zwangsentfernung gestanden<br />

hätte. Maßgebend für die Unterrichtung ist nicht der Abschluss der Zeugenvernehmung, sondern<br />

die Wiederzulassung des Angeklagten. Es muss sichergestellt sein, dass der Angeklagte vor weiterer<br />

Beweiserhebung in seiner Anwesenheit durch Unterrichtung so gestellt wird, dass sein Informationsstand<br />

im Wesentlichen dem der anderen Prozessbeteiligten entspricht.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 3. März 2006 mit den Feststellungen<br />

aufgehoben.<br />

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels <strong>und</strong> die den<br />

Nebenklägern dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer<br />

des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung<br />

in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten,<br />

mit der er die Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts rügt. Sie hat mit der auf die Verletzung des §<br />

247 Satz 4 StPO gestützten Verfahrensrüge Erfolg. Am ersten Verhandlungstag, dem 16. Februar 2006, hat das<br />

Landgericht für die Dauer der Vernehmung der Geschädigten T. gemäß § 247 StPO die Entfernung des Angeklagten<br />

aus dem Sitzungssaal angeordnet. Die Vernehmung der Zeugin T. wurde an diesem Sitzungstag nicht abgeschlossen,<br />

sondern am 1. März 2006 - wiederum unter Entfernung des Angeklagten - fortgesetzt <strong>und</strong> beendet. Erst danach unterrichtete<br />

der Vorsitzende den wieder anwesenden Angeklagten über den Inhalt der von der Zeugin T. in beiden<br />

Vernehmungen gemachten Bek<strong>und</strong>ungen. Zwischenzeitlich, am 20. <strong>und</strong> 22. Februar 2006, hatte das Landgericht die<br />

beiden anderen Geschädigten Y. <strong>und</strong> M. B. sowie mehrere andere Zeugen größtenteils in Anwesenheit des Angeklagten<br />

vernommen. Dieses Verfahren verstößt gegen § 247 Satz 4 StPO. Der Vorsitzende hat den Angeklagten,<br />

108


sobald dieser wieder anwesend ist, vom wesentlichen Inhalt dessen zu unterrichten, was während seiner Abwesenheit<br />

ausgesagt oder sonst verhandelt worden ist. Die durch § 247 StPO ermöglichte Verhandlung ohne den Angeklagten<br />

<strong>und</strong> seine dadurch behinderte Verteidigung sind, soweit unvermeidbar, hinzunehmen mit der Maßgabe, dass eine<br />

Unterrichtung über das in seiner Abwesenheit Geschehene stattfindet, bevor weitere Verfahrenshandlungen erfolgen.<br />

Damit soll er weitgehend so gestellt werden, wie er ohne Zwangsentfernung gestanden hätte. Der Pflicht nach § 247<br />

Satz 4 StPO war der Vorsitzende hier nicht deshalb enthoben, weil die Vernehmung der Zeugin nur unterbrochen<br />

war. Maßgebend für die Unterrichtung ist nicht der Abschluss der Zeugenvernehmung, sondern die Wiederzulassung<br />

des Angeklagten. Es muss sichergestellt sein, dass der Angeklagte vor weiterer Beweiserhebung in seiner Anwesenheit<br />

durch Unterrichtung so gestellt wird, dass sein Informationsstand im Wesentlichen dem der anderen Prozessbeteiligten<br />

entspricht. Denn ohne Kenntnis der bereits teilweise in die Hauptverhandlung eingeführten Aussage kann er<br />

sein Fragerecht gegenüber weiteren Zeugen oder seine Verteidigung zu sonstigen Verhandlungsgegenständen gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

nicht sachgerecht ausüben (BGHSt 38, 260). Dementsprechend hätte erst weiterverhandelt werden dürfen,<br />

nachdem der jetzt wieder zugelassene Angeklagte am 16. Februar 2006 vom wesentlichen Inhalt der bisherigen Aussage<br />

der Geschädigten T. unterrichtet worden war. Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Angeklagte bei rechtzeitiger<br />

Unterrichtung durch sachgerechte Befragung der übrigen Zeugen entscheidungserhebliche Aufklärung zu<br />

seinen Gunsten hätte erreichen können. Dies muss - obwohl das Urteil sachlich-rechtlichen Bedenken nicht unterliegt<br />

- zu dessen Aufhebung führen.<br />

StPO § 247 Satz 4 Unterrichtung des Angeklagten mittels Videoübertragung<br />

BGH, Beschl. vom 19.12. 2006 - 1 StR 268/06 – JR 2007, S. 256 (Anm. Kretschmer)<br />

LS: Die gemäß § 247 Satz 4 StPO gebotene Unterrichtung eines vorübergehend entfernten Angeklagten<br />

kann auch so erfolgen, dass er das Geschehen im Sitzungssaal mittels Videoübertragung<br />

mitverfolgen kann. Der Vorsitzende muss sich dann jedoch vergewissern, dass die Videoübertragung<br />

nicht durch technische Störungen beeinträchtigt wurde. Wie er sich diese Gewissheit verschafft,<br />

bestimmt der Vorsitzende.<br />

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Offenburg vom 21. Dezember 2005 werden<br />

verworfen. Jeder Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels sowie die der Nebenklägerin R. M. dadurch jeweils<br />

entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen, der Angeklagte A. Mi. auch die der Nebenklägerin I. Mi. durch sein<br />

Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen.<br />

Gründe:<br />

Die Angeklagten sind Brüder. Sie wurden jeweils zu Freiheitsstrafe verurteilt, weil sie die Stieftochter eines weiteren<br />

Bruders, die 1989 geborene R. M. , wiederholt sexuell missbraucht haben, H. Mi. etwa seit 1997, A. Mi. etwa seit<br />

2000. A. Mi. hat außerdem seine Nichte, die 1996 geborene I. Mi. , 2000 wiederholt sexuell missbraucht. Zugleich<br />

wurden beide Angeklagte zu Schmerzensgeldzahlung an R. M. verurteilt, A. Mi. auch zu einer Schmerzensgeldzahlung<br />

an I. Mi, . Die auf mehrere Verfahrensrügen <strong>und</strong> die Sachrüge gestützten Revisionen bleiben erfolglos (§ 349<br />

Abs. 2 StPO).<br />

I. Der näheren Ausführung bedarf dies hinsichtlich zweier Verfahrensrügen. Diese sind für beide Angeklagten in<br />

ihrem rechtlichen Kern identisch erhoben. Kleinere Unterschiede im Vortrag sind für die rechtliche Bewertung des<br />

Vorbringens ohne Bedeutung <strong>und</strong> können daher auf sich beruhen.<br />

1. R. M. wurde am 4. Verhandlungstag als Zeugin gehört <strong>und</strong> anschließend entlassen. Im Hinblick auf anderweitige<br />

Hilfsbeweisanträge, denen das Gericht stattgegeben hatte, wurde von Amts wegen auch R. M. am 17. Verhandlungstag<br />

nochmals als Zeugin geladen. Es ging um die näheren Umstände eines Umzugs, anlässlich dessen es zu sexuellen<br />

Übergriffen auf R. M. gekommen sein soll. Auf Antrag der Nebenklägervertreterin wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen<br />

(§ 171b GVG). Zur Begründung nahm die Jugendkammer Bezug auf den entsprechenden Beschluss vom<br />

4. Verhandlungstag. Hiergegen wendet sich die Revision. Sie meint, da nur über die Umstände des Umzugs noch<br />

Beweis zu erheben war - über ein anderes Thema sei es bei der erneuten Vernehmung der Zeugin dann auch nicht<br />

gegangen - hätten die Voraussetzungen für einen Ausschluss der Öffentlichkeit nicht vorgelegen. Außerdem hätte<br />

unter den gegebenen Umständen nicht nur auf den früheren Beschluss Bezug genommen werden dürfen. Im Rahmen<br />

des Vorbringens zu dieser Rüge gibt es von der Revision (insbesondere für den Angeklagten H. Mi. ) einerseits <strong>und</strong><br />

dem Generalb<strong>und</strong>esanwalt andererseits umfangreiches <strong>und</strong> inhaltlich gegenläufiges Vorbringen zum erforderlichen<br />

Revisionsvortrag, den Gründen, warum dieser Vortrag unterblieben sei, <strong>und</strong> dementsprechend gegenläufige Anträge<br />

109


zu deshalb zu gewährender oder zu versagender Wiedereinsetzung. All dies kann auf sich beruhen bleiben. Die Rüge<br />

ist in weitem Umfang unstatthaft, soweit sie statthaft ist, ist sie jedenfalls offensichtlich unbegründet.<br />

a) Statthaft ist hier allein die Rüge, es fehle an der gemäß § 174 Abs. 1 Satz 3 GVG gebotenen Begründung des Beschlusses<br />

(vgl. BGH StV 1990, 10). Mit der Bezugnahme auf die Gründe des früheren Beschlusses sind die nach<br />

Auffassung des Gerichts maßgeblichen Gründe für den erneuten Ausschluss der Öffentlichkeit ausreichend angegeben<br />

(BGHSt 30, 298, 300, 304; BGH GA 1983, 361; in vergleichbarem Sinne auch BGH NStZ-RR 2004, 118, 119).<br />

Die Frage, ob die Gründe für den erneuten Ausschluss der Öffentlichkeit ausreichend deutlich sind, darf nicht - auch<br />

nicht im Zusammenhang mit den Anforderungen an den notwendigen Umfang des Revisionsvorbringens - mit der<br />

Frage vermengt werden, ob die Annahme des Gerichts, die Gründe der früheren Entscheidung rechtfertigten auch die<br />

erneut zu treffende Entscheidung, rechtlich zutrifft oder nicht.<br />

b) Im Übrigen ist die Rüge unstatthaft, wie sich aus § 171b Abs. 3 GVG in Verbindung mit § 336 Satz 2 StPO ergibt.<br />

Unanfechtbar <strong>und</strong> damit revisions-gerichtlicher Überprüfung entzogen sind sämtliche im Rahmen von § 171b GVG<br />

inhaltlich zu treffenden Entscheidungen (vgl. Wickern in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 171b GVG Rdn. 25).<br />

Dies gilt auch für die einer solchen Entscheidung notwendig vorausgehende Prognose, ob eine Erörterung der in §<br />

171b GVG genannten Umstände in dem Verfahrensabschnitt, für den die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden soll,<br />

zu erwarten ist (vgl. hierzu näher Wickern aaO Rdn. 11). Im Übrigen ist die Prognose, bei einer Vernehmung der<br />

zentralen Belastungszeugin für den Vorwurf sexuellen Missbrauchs würden in § 171b GVG genannte Umstände<br />

erörtert werden, auch dann nahe liegend, wenn es nur deshalb zu einer - erneuten - Vernehmung dieser Zeugin<br />

kommt, weil eine für sich genommen „neutrale“ Frage zum Randgeschehen (hier: nähere Umstände eines Umzugs)<br />

noch geklärt werden muss. Auch in einem solchen Fall ist kein Verfahrensbeteiligter rechtlich gehindert, bisher noch<br />

nicht gestellte, aber zur Sache gehörende - also den gesamten Anklagevorwurf betreffende - Fragen zu stellen; eine<br />

Beschränkung des Fragerechts auf ein bestimmtes Beweisthema gibt es nicht. All dies gilt entsprechend auch für das<br />

Gericht selbst. Schließlich wird das Verfahren auch dann nicht fehlerhaft, wenn sich die Prognose des Gerichts nicht<br />

bestätigt <strong>und</strong> es zu einer Erörterung der genannten Umstände nicht kommt (vgl. BGHSt 30, 212, 215 zu § 172 GVG).<br />

2. Während der Vernehmung der Zeugin R. M. hatten sich die Angeklagten zu entfernen (§ 247 Satz 1 StPO). Sie<br />

konnten jedoch die Vernehmung von einem Nebenraum aus per Videoübertragung mitverfolgen. Nachdem die Angeklagten<br />

wieder im Sitzungssaal waren, erklärten ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung sämtliche Angeklagte<br />

„mit Zustimmung ihrer Verteidiger“ Folgendes: “Ich konnte die Aussage der Zeugin R. M. uneingeschränkt<br />

optisch <strong>und</strong> akustisch in dem gesonderten Raum wahrnehmen. Aus diesem Gr<strong>und</strong>e verzichte ich auf den Bericht des<br />

Vorsitzenden gemäß § 247 Satz 4 StPO.“ Dementsprechend wurde von einer weiteren Unterrichtung abgesehen.<br />

Nunmehr trägt die Revision unter Darlegung technischer Details vor, während der Vernehmung habe es Mängel der<br />

Übertragung gegeben, es sei „häufig“ bzw. „mehrfach“ vorgekommen, dass „keine vollständige Übertragung in den<br />

Nebenraum stattfand“. Der Angeklagte hätte gemäß § 247 Satz 4 StPO über den Inhalt der Vernehmung der Zeugin<br />

unterrichtet werden müssen. Gleiches wird für das identisch abgelaufene Verfahrensgeschehen am 17. Verhandlungstag<br />

geltend gemacht, vom Angeklagten A. Mi. darüber hinaus auch für einen anderen Verhandlungstag, als nur<br />

er während der Vernehmung der Zeugin I. Mi. entfernt worden war. Ein Rechtsfehler ist nicht ersichtlich.<br />

a) In welcher Form eine gemäß § 247 Satz 4 StPO gebotene Unterrichtung zu erfolgen hat, ist im Gesetz nicht näher<br />

geregelt <strong>und</strong> daher im Rahmen der Verhandlungsleitung (§ 238 Abs. 1 StPO) vom Vorsitzenden zu bestimmen (vgl.<br />

Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 247 Rdn. 44; Diemer in KK 5. Aufl. § 247 Rdn. 15). Die Unterrichtung<br />

kann auch in der Weise erfolgen, dass der Angeklagte das Geschehen im Gerichtssaal mittels Videoübertragung<br />

unmittelbar mit verfolgen kann. Durch die alsbaldige Unterrichtung gemäß § 247 Satz 4 StPO soll der Angeklagte in<br />

die Lage versetzt werden, den weiteren Gang der Verhandlung sofort zu beeinflussen. Damit soll sein Recht gewahrt<br />

werden, sich trotz seiner vorübergehenden Abwesenheit bestmöglich zu verteidigen (vgl. zusammenfassend BGHR<br />

StPO § 247 Satz 4 Unterrichtung 8 m.w.N.; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 15. November 1992 - 2 BvR 1793/<br />

92). All dies wird durch die in Rede stehende Verfahrensweise nicht gefährdet; daher ist es unschädlich, dass die<br />

Unterrichtung nicht erst erfolgt, wenn der Angeklagte wieder im Gerichtssaal ist, sondern schon vorher außerhalb<br />

des Gerichtssaals zeitgleich mit dem Geschehen im Gerichtssaal, <strong>und</strong> dass sie nicht verbal durch den Vorsitzenden<br />

erfolgt, sondern dadurch, dass dieser die Kenntnisnahme durch Videoübertragung ermöglicht. Ein unmittelbares<br />

Erleben einer Aussage durch Videoübertragung wird regelmäßig sogar eindrücklicher sein, als dies ein späterer verbaler<br />

Bericht hierüber sein kann.<br />

b) All dies ändert jedoch nichts daran, dass die Verantwortung für die Unterrichtung des Angeklagten letztlich beim<br />

Vorsitzenden verbleibt. Dementsprechend muss er sich vergewissern, dass der Angeklagte nicht aus technischen<br />

Gründen gehindert war, die im Sitzungssaal gemachte Aussage uneingeschränkt zur Kenntnis zu nehmen. Wie er<br />

sich diese Gewissheit verschafft, bestimmt der Vorsitzende; es gelten insoweit vergleichbare Gr<strong>und</strong>sätze wie bei der<br />

Gestaltung der Unterrichtung. Eine Befragung des Angeklagten, ob es Störungen gab, wie sie der Vorsitzende hier<br />

110


offenbar vorgenommen hat, wird regelmäßig zweckmäßig sein. Die Auffassung, dass der Vorsitzende darüber hinaus<br />

stets den Aussageinhalt darlegen müsse, weil es sonst nicht zuverlässig möglich sei, etwaige Unzulänglichkeiten der<br />

Übertragung festzustellen, teilt der Senat nicht. Allein dadurch, dass der Angeklagte eine Unterrichtung durch den<br />

Vorsitzenden entgegennimmt, kann offensichtlich nicht deutlich werden, was er durch die vorangegangene Übertragung<br />

schon weiß <strong>und</strong> was er wegen Übertragungsmängeln nicht wissen kann. Bei einer Fallgestaltung wie hier kann<br />

sich die Erkenntnis von Übertragungsmängeln nicht aus der Unterrichtung durch den Vorsitzenden, sondern nur aus<br />

einer Erklärung des Angeklagten ergeben. Die Möglichkeit, dass der Angeklagte zu Unrecht glaubt, alles wahrgenommen<br />

zu haben <strong>und</strong> erst durch die Unterrichtung eine sonst unbemerkt gebliebene Störung erkennt, ist praktisch<br />

nicht vorstellbar <strong>und</strong> kann daher außer Acht bleiben. Auch sonst sind Anhaltspunkte für die Annahme, die genannte<br />

Erklärung der Angeklagten, sie hätten der Vernehmung uneingeschränkt folgen können, könnte objektiv falsch sein,<br />

nicht ersichtlich. Ob bei einer Videoübertragung optische oder akustische Einschränkungen aufgetreten sind, ist eine<br />

sehr einfach zu beurteilende Frage. Anhaltspunkte dafür, dass die Angeklagten gleichwohl hierzu nicht in der Lage<br />

gewesen sein könnten, sind weder nachvollziehbar vorgetragen, noch sonst ersichtlich. Ebenso wenig ist ersichtlich,<br />

warum die Angeklagten hierzu absichtlich etwas Falsches vorgetragen haben könnten. Schließlich fällt ins Gewicht,<br />

dass diese Erklärung ausdrücklich mit Zustimmung der Verteidiger abgegeben wurde. Dass diese einer solchen Erklärung<br />

zugestimmt hätten, wenn ein - selbst ganz geringer - Zweifel an ihrer Richtigkeit bestanden hätte, liegt fern.<br />

Konkrete Anhaltspunkte, die hier eine andere Beurteilung nahe legen könnten, sind nicht ersichtlich. Nach alledem<br />

hat sich der Vorsitzende hier in rechtlich bedenkenfreier Weise die Gewissheit verschafft, dass die Angeklagten der<br />

Vernehmung uneingeschränkt folgen konnten.<br />

c) Ob es generell möglich ist, dies mit neuem Tatsachenvortrag im Revisionsverfahren in Frage zu stellen, mag hier<br />

dahinstehen. Die nunmehr aufgestellte Behauptung technischer Störungen hat sich nämlich nicht erwiesen. Die - von<br />

der Revision inhaltlich nicht angezweifelte - dienstliche Erklärung des Ersten Justizhauptwachtmeisters E. ergibt<br />

nämlich, dass eine „lückenlose Übertragung in Bild <strong>und</strong> Ton“ sichergestellt war. Wie er näher darlegt, ist die technische<br />

Schilderung der Revision unzutreffend, selbst unter den von ihr behaupteten Umständen wären keine Tonstörungen<br />

aufgetreten, sondern allenfalls Bildstörungen. Der Senat braucht der Frage, ob es rechtlich überhaupt Bedeutung<br />

haben könnte, wenn die Angeklagten zwar alles gehört, aber nicht alles gesehen hätten, aber nicht näher nachzugehen.<br />

Aus der Erklärung des Ersten Justizhauptwachtmeisters E. ergibt sich nämlich nur, dass (allenfalls) Bildstörungen<br />

aufgetreten wären, wenn die Behauptungen der Revision zutreffen würden. Dass derartige Bildstörungen<br />

tatsächlich aufgetreten sind, ergibt sich hieraus jedoch nicht. Die in der Hauptverhandlung abgegebenen Erklärungen<br />

sprechen dagegen. Der Zweifelssatz gilt nicht hinsichtlich der Erweislichkeit von Tatsachen, aus denen sich ein Verfahrensverstoß<br />

ergeben soll (vgl. BGHSt 21, 4, 10; w. N. b. Kuckein in KK 5. Aufl. § 344 Rdn. 41).<br />

d) Besteht aber kein Zweifel daran, dass der Angeklagte durch die Videoübertragung umfassend über das Geschehen<br />

während seiner Abwesenheit im Sitzungssaal informiert ist, hätte eine gleichwohl nochmals vorgenommene Unterrichtung<br />

des Angeklagten über dieses Geschehen keinen erkennbaren Sinn. Außerdem kann ein Urteil offensichtlich<br />

nicht darauf beruhen, dass der Angeklagte nicht über etwas unterrichtet worden ist, was er ohnehin zuverlässig weiß.<br />

e) Der Senat bemerkt, dass alledem bei sinngerechtem Verständnis die Entscheidung des 3. Strafsenats des B<strong>und</strong>esgerichtshofs<br />

vom 26. August 2005 - 3 StR 269/05 (BGHR StPO § 247 Abwesenheit 29) nicht entgegensteht. Außerdem<br />

ist diese Entscheidung nicht einschlägig i. S. d. § 132 GVG (vgl. hierzu Hannich in KK 5. Aufl. § 132 GVG<br />

Rdn. 3 f. m.w.N.), da der 3. Strafsenat über einen Sachverhalt zu entscheiden hatte, der mit dem vorliegenden nicht<br />

zu vergleichen ist: Dort waren während der Zeugenvernehmung unverzüglich geltend gemachte technische Mängel<br />

aufgetreten, die den Angeklagten an der weiteren Kenntnisnahme der Vernehmung mittels der zunächst einwandfrei<br />

gewesenen Videoübertragung hinderten. In diesem Zusammenhang machte er mit seiner Revision nicht etwa geltend,<br />

dass er nach Abschluss der Vernehmung nicht vollständig unterrichtet worden wäre; er wandte sich vielmehr (vergeblich)<br />

dagegen, dass die von der Störung betroffenen Vernehmungsteile nicht wiederholt worden waren, um ihm<br />

zu ermöglichen, auch diesen Teil der Vernehmung doch noch mittels Videoübertragung mitzuverfolgen.<br />

f) Der Senat sieht Anlass zu folgenden Hinweisen:<br />

(1) Bei einer Fallgestaltung wie der vorliegenden kann das Gericht etwaige technische Störungen, anders als im Fall<br />

des § 247a StPO, nicht selbst un-mittelbar bemerken. Es erscheint daher zweckmäßig, dass ein Justizangehöriger in<br />

Gegenwart des Angeklagten die Videoübertragung verfolgt. Er kann das Gericht unmittelbar benachrichtigen, wenn<br />

dies während der Übertragung wegen technischer Störungen oder aus sonstigen Gründen erforderlich wird. Nach<br />

Abschluss der Übertragung könnten Angaben eines solchen Beobachters gewichtiges Beweisanzeichen sein, sowohl<br />

bei der Überprüfung, ob der Angeklagte unterrichtet ist (vgl. I. 2. b), als auch dann, wenn, wie hier, Monate nach der<br />

Hauptverhandlung erstmals im Revisionsverfahren das Gegenteil von dem behauptet wird („häufig ... keine vollständige<br />

Übertragung“), was in der Hauptverhandlung noch unmissverständlich erklärt worden war („konnte … uneingeschränkt<br />

… wahrnehmen“).<br />

111


(2) Ebenso kann sich empfehlen, insoweit vergleichbar dem Fall des § 247a Satz 4 StPO, den übertragenen Vorgang<br />

zugleich aufzuzeichnen, damit er in etwaigen Zweifelsfällen dem Angeklagten erforderlichenfalls nochmals vorgespielt<br />

werden kann.<br />

(3) Schließlich wird in Fällen, in denen - anders als hier - etwa Pläne, Skizzen oder auch Lichtbilder als Vernehmungsbehelfe<br />

verwendet werden (vgl. hierzu BGHR StPO § 247 Abwesenheit 10, 28; BGH, Urteil vom 22. November<br />

2001 - 1 StR 367/01; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 247 Rdn.19), auf die Wahrung der Recht<br />

e des Angeklagten in besonderer Weise Bedacht zu nehmen sein. Es versteht sich nämlich nicht von selbst, dass<br />

derartige Unterlagen ohne weiteres von der Videoübertragung erfasst werden <strong>und</strong> sich dementsprechend die hierzu<br />

gemachten Aussagen des Zeugen allein durch die Videoübertragung in vollem Umfang erschließen. In derartigen<br />

Fällen wird es sich empfehlen, den Angeklagten so zu unterrichten, wie dies ohne Videoübertragung zu geschehen<br />

hat.<br />

II. Auch im Übrigen hat die auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigungen gebotene Überprüfung des Urteils keinen<br />

Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Insoweit verweist der Senat auf die Ausführungen des Generalb<strong>und</strong>esanwalts.<br />

StPO § 247, § 338 Nr. 5 – Entscheidung über Zeugenvereidigung nicht wesentlicher Teil der HV<br />

BGH, Beschl. vom 11.07.2006 – 3 StR 216/06 - NJW 2006, S. 2934 f. = JR 2007, S. 79 m. Anm. Müller<br />

LS: Entscheidet der Vorsitzende, dass ein Zeuge entsprechend dem Regelfall des § 59 StPO in der<br />

Fassung des 1. Justizmodernisierungsgesetzes nicht vereidigt werden soll, <strong>und</strong> wird diese Frage weder<br />

kontrovers erörtert noch zum Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung nach § 238 Abs. 2<br />

StPO gemacht, so ist, wenn der für die Vernehmung nach § 247 StPO aus dem Sitzungssaal entfernte<br />

Angeklagte dabei nicht anwesend ist, dieser Verfahrensvorgang kein wesentlicher Teil der<br />

Hauptverhandlung <strong>und</strong> der absolute Revisionsgr<strong>und</strong> des § 338 Nr. 5 StPO nicht gegeben.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hannover vom 14. Februar 2006 wird verworfen;<br />

jedoch wird der Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des versuchten Totschlags in Tateinheit mit zwei<br />

tateinheitlich zusammentreffenden Fällen der gefährlichen Körperverletzung schuldig ist.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels <strong>und</strong> die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen<br />

notwendigen Auslagen zu tragen<br />

Gründe:<br />

Die Überprüfung des Urteils auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung hat aus den Gründen der Antragsschrift des<br />

Generalb<strong>und</strong>esanwalts vom 20. Juni 2006 keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.<br />

I. Der Erörterung bedarf lediglich die Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 5 StPO. Mit ihr wird geltend gemacht, der<br />

Angeklagte sei während der Entscheidung des Vorsitzenden, die Zeugin G. unvereidigt zu lassen, nicht anwesend<br />

gewesen. Dem war vorausgegangen, dass das Gericht während der Vernehmung der Zeugin die Entfernung des Angeklagten<br />

aus dem Sitzungssaal gemäß § 247 Satz 2 StPO angeordnet hatte. Nach Abschluss der Vernehmung entschied<br />

der Vorsitzende, dass die Zeugin unvereidigt bleibt. Diese verließ den Sitzungssaal. Der Angeklagte wurde<br />

hereingerufen <strong>und</strong> über den wesentlichen Inhalt der Vernehmung unterrichtet. Sodann wurde die Zeugin im allseitigen<br />

Einverständnis entlassen. Die Rüge ist nicht begründet.<br />

1. Der Revision ist allerdings einzuräumen, dass nach der unter der Geltung des alten Vereidigungsrechts entwickelten<br />

Rechtsprechung die Entfernung des Angeklagten nach § 247 StPO nur für die Vernehmung eines Zeugen selbst<br />

zulässig war, nicht jedoch für die Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung über dessen Vereidigung (st. Rspr.; BGHSt 22,<br />

289, 297; 26, 218, 220). Nach § 59 StPO in der bis zum Inkrafttreten des 1. Justizmodernisierungsgesetz (BGBl 2004<br />

I 2198 ff.) geltenden Fassung war die Vereidigung eines Zeugen der gesetzliche Regelfall. Von ihr konnte, sofern<br />

kein Vereidigungsverbot nach § 60 StPO aF bestand, nur ausnahmsweise gemäß §§ 61, 62 StPO aF abgesehen werden.<br />

Dazu war den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren. Im Hinblick darauf hat die bisherige Rechtsprechung<br />

das Vorliegen des absoluten Revisionsgr<strong>und</strong>es nach § 338 Nr. 5 StPO angenommen, wenn der Angeklagte bei diesem<br />

Verhandlungsabschnitt abwesend war, <strong>und</strong> die Verhandlung über die Vereidigung ebenso wie die Vereidigung<br />

selbst regelmäßig als wesentlichen Teil der Hauptverhandlung angesehen (vgl. BGH NStZ 1999, 522 m. w. N.; krit.<br />

dazu Basdorf in FS für Salger S. 206 ff.).<br />

2. Der Senat hatte bereits mit Beschluss vom 23. September 2004 (BGHR StPO § 338 Nr. 5 Angeklagter 25) die<br />

Frage aufgeworfen, ob an dieser Rechtsprechung im Hinblick auf die gr<strong>und</strong>legende Änderung des Vereidigungs-<br />

112


echts durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz festgehalten werden könne. Das ist - wie eine erneute Überprüfung<br />

ergibt - nicht der Fall: Durch die Änderung des § 59 StPO ist die Regelvereidigung durch den Gr<strong>und</strong>satz ersetzt<br />

worden, dass Zeugen nur noch vereidigt werden, wenn es das Gericht wegen der ausschlaggebenden Bedeutung der<br />

Aussage oder zur Herbeiführung einer wahren Aussage nach seinem Ermessen für notwendig hält. Damit ist das<br />

Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt worden. Belässt es der Vorsitzende nach der Vernehmung eines Zeugen in<br />

Anwendung des § 59 StPO beim gesetzlichen Regelfall der Nichtvereidigung, bedarf diese Entscheidung nach der<br />

ausdrücklichen gesetzlichen Regelung in § 59 StPO keiner Begründung. Angesichts der geänderten Rechtslage kann<br />

dieser Verfahrensvorgang zumindest dann nicht mehr als wesentlicher Teil der Hauptverhandlung angesehen werden,<br />

wenn diese Frage weder kontrovers erörtert, noch zum Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung nach § 238<br />

Abs. 2 StPO gemacht wird (aA, allerdings ohne Begründung: Peglau/Wilke NStZ 2005, 186, 188; Schuster StV<br />

2005, 628, 631). Diese Bewertung ist nahezu zwingend, wenn man mit dem 2. Strafsenat die Auffassung vertritt, in<br />

einem solchen Fall habe weder der Vorsitzende eine ausdrückliche Entscheidung, dass der Zeuge unvereidigt bleibe,<br />

zu treffen, noch sei eine solche Entscheidung gegebenenfalls in das Protokoll der Hauptverhandlung aufzunehmen<br />

(BGHSt 50, 282 ff.). Nichts anderes gilt aber, wenn man mit dem 1. <strong>und</strong> 3. Strafsenat unter Hinweis auf die Begründung<br />

des Gesetzentwurfs (BTDrucks. 15/1508 S. 23) auch im Regelfalle der Nichtvereidigung eine ausdrückliche<br />

Entscheidung des Vorsitzenden <strong>und</strong> ihre Protokollierung für notwendig hält (nicht tragend: BGH NStZ 2005, 340;<br />

StraFo 2005, 244). Denn nach den gesetzlichen Voraussetzungen des § 59 Abs. 2 StPO kann die Entscheidung des<br />

Vorsitzenden, den Zeugen nicht zu vereidigen, keine Auswirkung auf den Urteilsspruch erlangen <strong>und</strong> mangels Begründung<br />

gibt sie dem Angeklagten auch keinen Aufschluss über die Einzelheiten der Erwägungen, die den Vorsitzenden<br />

zu seiner Entscheidung veranlasst haben, so dass der Angeklagte hieraus keine Folgerungen für sein weiteres<br />

Prozessverhalten ziehen kann. Er erleidet daher durch seine Abwesenheit keinen Nachteil in seiner Verfahrensstellung.<br />

Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil er im Rahmen der Unterrichtung nach § 247 Abs. 4 StPO über die<br />

Nichtvereidigung zu informieren ist <strong>und</strong> dadurch die Möglichkeit erhält, entweder durch Gegen-vorstellung eine<br />

neue Entscheidung des Vorsitzenden oder durch einen Antrag nach § 238 Abs. 2 StPO einen Beschluss des Gerichts<br />

herbeizuführen <strong>und</strong> so auf die Vereidigung des Zeugen hinzuwirken (so schon zur früheren Rechtslage BGHSt 22,<br />

289, 297; Basdorf aaO). Ob die neue Rechtslage auch Auswirkungen für den Fall hat, dass der Vorsitzende an sich<br />

die Vereidigung für geboten erachtet, hiervon jedoch absieht, weil er eines der Vereidigungsverbote nach § 60 StPO<br />

für gegeben hält, bedarf hier keiner Entscheidung.<br />

II. Der Senat hat den Schuldspruch geändert, um klarzustellen, dass sich die gleichartige Idealkonkurrenz lediglich<br />

auf das gegenüber zwei Personen begangene Delikt der gefährlichen Körperverletzung <strong>und</strong> nicht auf den nur gegen<br />

ein Opfer gerichteten versuchten Totschlag bezieht.<br />

StPO § 247, 338 Nr. 5 Entfernung des Angeklagten während der Vernehmung der Zeugin<br />

BGH, Beschl. vom 26.09.2006 – 4 StR 353/06<br />

Der Ausschluss des Angeklagten von der Verhandlung gemäß § 247 StPO lässt die Entfernung des<br />

Angeklagten nur während der Vernehmung der Zeugin zu. Die Verhandlung über die Entlassung<br />

gehört aber nicht mehr zur Vernehmung, sondern ist ein selbständiger Verfahrensabschnitt <strong>und</strong><br />

gr<strong>und</strong>sätzlich auch ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung.<br />

Ein Zeuge, der trotz Zeugnisverweigerung die Verwertung seiner bei nicht richterlichen Vernehmungen<br />

gemachten Angaben gestattet, ist über die Folgen seines Verzichts auf das sonst bestehende<br />

Verwertungsverbot ausdrücklich zu belehren.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Strals<strong>und</strong> vom 10. März 2006 mit den Feststellungen<br />

aufgehoben.<br />

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere<br />

als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung <strong>und</strong> sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in<br />

zwei Fällen <strong>und</strong> wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in vier weiteren Fällen, davon in einem Fall in<br />

Tateinheit mit Nötigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt. Hiergegen<br />

wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet <strong>und</strong> die Verletzung sachlichen<br />

Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.<br />

113


1. Der Beschwerdeführer macht mit Recht das Vorliegen des absoluten Revisionsgr<strong>und</strong>es des § 338 Nr. 5 StPO geltend.<br />

a) Der Rüge liegt folgender, von dem Beschwerdeführer vollständig vorgetragener Verfahrensgang zu Gr<strong>und</strong>e: Am<br />

ersten Tag der Hauptverhandlung schloss die Strafkammer den Angeklagten gemäß § 247 Satz 1 StPO <strong>und</strong> die Öffentlichkeit<br />

gemäß § 171 b Abs. 1 GVG "während der Vernehmung der Zeugin Jaqueline B." von der Verhandlung<br />

aus. Nach Ausführung des Beschlusses erschien diese Zeugin, die in diesem Verfahren Nebenklägerin ist. Als Stieftochter<br />

des Angeklagten u.a. nach § 52 StPO belehrt, erklärte sie, nicht aussagen zu wollen. Weiter ist im Protokoll<br />

festgehalten: "Sach- <strong>und</strong> Rechtslage wurde erörtert. Die Zeugin erklärte: 'Ich bin damit einverstanden, dass alles das<br />

verwertet wird, was ich in diesem Verfahren gegenüber der Kriminalpolizei, dem aussagepsychologischen Sachverständigen<br />

Dipl.-Psych. D. <strong>und</strong> der Richterin am AG R. gegenüber gesagt habe'. v.u.g. Die Öffentlichkeit wurde um<br />

12.05 Uhr wieder hergestellt, die Zeugin wurde entlassen <strong>und</strong> der Angeklagte wieder vorgeführt. Dem Angeklagten<br />

wurde der wesentliche Inhalt der Aussage der Zeugin B. bekannt gegeben. Der Angeklagte äußerte sich dazu nicht".<br />

b) Bei diesem Verfahrensgang beanstandet die Revision mit Erfolg, dass der Angeklagte bei der Verhandlung über<br />

die Entlassung der Zeugin B. nicht anwesend war. Der Ausschluss des Angeklagten von der Verhandlung gemäß §<br />

247 StPO ließ die Entfernung des Angeklagten nur während der Vernehmung der Zeugin zu. Die Verhandlung über<br />

die Entlassung gehört aber nicht mehr zur Vernehmung, sondern ist ein selbständiger Verfahrensabschnitt <strong>und</strong><br />

gr<strong>und</strong>sätzlich auch ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung (st. Rspr.; vgl. Meyer-Goßner StPO 49. Aufl. § 247<br />

Rdn. 20 m. Rechtsprechungsnachweisen). Der Angeklagte, dessen Entfernung aus dem Sitzungssaal während der<br />

Vernehmung eines Zeugen durch das Gericht angeordnet worden ist, muss daher zur Verhandlung über die Entlassung<br />

des Zeugen wieder zugelassen werden. Das ist hier nicht geschehen.<br />

c) Ein Ausnahmefall, in dem trotz vorschriftswidriger Abwesenheit des Angeklagten während der Verhandlung über<br />

die Entlassung der absolute Revisionsgr<strong>und</strong> des § 338 Nr. 5 StPO nicht eingreift, liegt nicht vor (vgl. BGH StV<br />

2000, 239 m.w.N.). Insbesondere kann unter den hier gegebenen Umständen auch nicht ausnahmsweise schon denkgesetzlich<br />

jegliches Beruhen des Urteils auf der bloßen Abwesenheit des Angeklagten während der Entscheidung<br />

über die Entlassung der Zeugin ausgeschlossen werden (vgl. dazu zuletzt Senatsbeschluss vom 11. Mai 2006 - 4 StR<br />

131/06 m.w.N.). Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob ein solcher Ausnahmefall dann anzunehmen wäre, wenn<br />

die Zeugin unter Berufung auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht "schlicht" jegliche Angaben, die sich auf die Sache<br />

beziehen, unterlassen hätte. So liegt es hier im Hinblick darauf, dass die Zeugin trotz ihrer berechtigten Zeugnisverweigerung<br />

entsprechend der Senatsentscheidung BGHSt 45, 203 die Verwertung der bei ihren nicht richterlichen<br />

Vernehmungen gemachten Angaben gestattet <strong>und</strong> damit auf das in § 252 StPO enthaltene Verwertungsverbot verzichtet<br />

hat, nicht. Ob es sich anders verhielte, wenn die Zeugin diesen Verzicht von sich aus <strong>und</strong> ohne weitere Angaben<br />

erklärt hätte, kann dahin stehen. Denn die Gründe des angefochtenen Urteils weisen aus, dass die Zeugin - ersichtlich<br />

im Rahmen der im Protokoll der Hauptverhandlung vermerkten Erörterung der Sach- <strong>und</strong> Rechtslage - ihr<br />

prozessuales Verhalten näher erläutert <strong>und</strong> angegeben hat, "sie habe nicht im Hinblick <strong>und</strong> mit Rücksicht auf die<br />

Zwangslage, die Wahrheit zu sagen <strong>und</strong> dadurch dem Angeklagten zu schaden, von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht<br />

Gebrauch gemacht, sondern um nicht noch einmal eine emotional <strong>und</strong> für sie schmerzhafte Befragung durchzustehen"<br />

(UA 11). Damit hat sie sich inzidenter auch zum Wahrheitsgehalt ihrer früheren Angaben geäußert, die eine<br />

wesentliche Gr<strong>und</strong>lage für die Überzeugungsbildung der Strafkammer darstellen. Bei dieser Sachlage musste dem<br />

Angeklagten Gelegenheit gegeben werden, die Erläuterung der Zeugin B. in ihrer Anwesenheit, jedenfalls aber vor<br />

ihrer Entlassung, zu hinterfragen, um möglicherweise auf eine Änderung ihrer Entscheidung hinzuwirken. Deshalb<br />

kann ein denkgesetzlicher Aufschluss des Beruhens auch nicht damit begründet werden, dass der Angeklagte nach<br />

Entlassung der Zeugin <strong>und</strong> seiner Unterrichtung gemäß § 247 Satz 4 StPO sich nicht geäußert hat.<br />

2. Für die neuerliche Hauptverhandlung bemerkt der Senat mit Blick auf die weitere im Zusammenhang mit der<br />

Vernehmung der Zeugin B. auf die Verletzung des § 252 StPO gestützte Verfahrensrüge, dass ein Zeuge, der - wie<br />

die Zeugin B. - trotz Zeugnisverweigerung die Verwertung seiner bei nicht richterlichen Vernehmungen gemachten<br />

Angaben gestattet, über die Folgen seines Verzichts auf das sonst bestehende Verwertungsverbot ausdrücklich zu<br />

belehren ist (BGHSt 45, 203, 208; Meyer-Goßner aaO § 252 Rdn. 16 a). Diese "qualifizierte" Belehrung ist - nicht<br />

anders als die "qualifizierte" Rechtsmittelbelehrung nach einer Urteilsabsprache (BGHSt - GSS - 50, 40) - eine wesentliche<br />

Förmlichkeit <strong>und</strong> deshalb nach den allgemeinen Gr<strong>und</strong>sätzen (vgl. Engelhardt in KK 5. Aufl. § 273 Rdn. 4)<br />

zu protokollieren (§ 273 Abs. 1 StPO).<br />

114


StPO § 251 Abs. 1 Nr. 2, § 250 Satz 2, § 55 – Zeuge muss trotz umfassenden § 55 StPO erscheinen<br />

BGH, Urt. vom 27.04.2007 – 2 StR 490/06 - NJW 2007, S. 2195 ff.<br />

LS: Wird ein Zeuge in der Hauptverhandlung nicht vernommen, weil er sich vorab auf ein umfassendes<br />

Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO berufen hat, so darf seine Vernehmung<br />

nicht durch Verlesung von ihm stammender früherer schriftlicher Erklärungen gemäß § 251 Abs. 1<br />

Nr. 2 StPO ersetzt werden.<br />

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 13. Juni 2006 mit den Feststellungen<br />

aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an<br />

eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Bestechlichkeit zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten<br />

verurteilt <strong>und</strong> den Verfall eines Betrages von 50.000 € angeordnet. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten<br />

hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.<br />

I. Der Angeklagte war von 1998 bis 1999 Oberstadtdirektor der Stadt K. . Nach den Feststellungen des Landgerichts<br />

beauftragte er den Fraktionsvorsitzenden der SPD-Ratsfraktion, R., im Jahre 1999 mit der Beschaffung von Spenden<br />

von dem Abfallentsorgungsunternehmer T.. Er äußerte dabei: "Ich kann das nicht machen, ich bin ja Amtsträger".<br />

Das Geld sollte der Finanzierung des im Jahre 1999 anstehenden Wahlkampfs um das Oberbürgermeisteramt in K.<br />

dienen, um das sich der Angeklagte bewerben wollte. T., der wusste, dass die Spendenanfrage vom Angeklagten<br />

ausging, übergab an R. insgesamt 150.000 DM in bar. Allen Beteiligten war klar, dass T. mit der Geldzahlung das<br />

Ziel verfolgte, der Angeklagte solle im Rahmen seiner Tätigkeit als Oberstadtdirektor bzw. als zukünftiger Oberbürgermeister<br />

Einfluss auf den Stadtrat <strong>und</strong> auf die SPD-Fraktion nehmen, um eine Teilprivatisierung der K. Abfallentsorgung<br />

unter Beteiligung von Unternehmen des T. zu erreichen. Das übergebene Geld floss teilweise direkt der<br />

Wahlkampfkasse des Angeklagten, teilweise in Form vorgetäuschter Kleinspenden der SPD zu.<br />

II. Die neben anderen Verfahrensrügen <strong>und</strong> der Sachrüge zulässig erhobene Rüge der Verletzung der §§ 250, 251<br />

StPO führt zur Aufhebung des Urteils.<br />

1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Gr<strong>und</strong>e: Das gegen den Abfallentsorgungsunternehmer T. wegen<br />

Vorteilsgewährung im Zusammenhang mit der hier abgeurteilten Tat geführte Ermittlungsverfahren war durch<br />

die Staatsanwaltschaft Köln im Dezember 2004 gemäß § 154 StPO vor-läufig eingestellt worden. In diesem Verfahren<br />

hatten seine Verteidiger am 7. September 2004 eine schriftliche Stellungnahme zu dem hier abgeurteilten Tatgeschehen<br />

für ihn abgegeben. Nach der vorläufigen Einstellung gab T. am 4. Juli 2005 gegenüber der Staatsanwaltschaft<br />

eine schriftliche „Zeugenerklärung“ ab, in der er ausführte, dass die Angaben in dem anwaltlichen Schreiben<br />

vom 7. September 2004 auf seinen Informationen beruhten, er sich den darin enthaltenen Tatsachenvortrag zu eigen<br />

mache <strong>und</strong> als Zeuge bestätige. Im Rahmen des vorliegenden Verfahrens lud der Vorsitzende der Strafkammer im<br />

Mai 2006 T. sowie dessen Verteidiger als Zeugen zur Hauptverhandlung. Letztere sollten dazu vernommen werden,<br />

welche Angaben ihr Mandant ihnen gegenüber zu dem im Schriftsatz vom 7. September 2004 behandelten Sachverhalt<br />

gemacht hatte. Die <strong>Rechtsanwälte</strong> teilten daraufhin in einem Schreiben an den Vorsitzenden mit, T. habe sie<br />

nicht von ihrer Verschwiegenheitspflicht entb<strong>und</strong>en; sie seien daher nicht befugt, als Zeugen zu diesem Beweisthema<br />

auszusagen. Weiterhin teilten sie mit, dass T. im hier vorliegenden Verfahren von einem Auskunftsverweigerungsrecht<br />

gemäß § 55 StPO umfassend Gebrauch machen <strong>und</strong> zur Sache nichts aussagen werde. Der Vorsitzende der<br />

Strafkammer lud daraufhin T. <strong>und</strong> seine <strong>Rechtsanwälte</strong> wieder ab. In der Hauptverhandlung am 18. Mai 2006 regte<br />

die Strafkammer an, das anwaltliche Schreiben vom 7. September 2004 sowie die "Zeugenerklärung" des T. zu verlesen.<br />

Ein Verteidiger des Angeklagten widersprach dieser Vorgehensweise. Daraufhin ordnete die Strafkammer<br />

durch Beschluss die Verlesung der beiden Schriftstücke gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO mit der Begründung an, T.<br />

könne auf Gr<strong>und</strong> der Geltendmachung seines Auskunftsverweigerungs-rechtes als Zeuge in absehbarer Zeit nicht<br />

vernommen werden. Da in einem solchen Fall anerkanntermaßen Vernehmungspersonen als Zeugen zu dem Inhalt<br />

früherer Vernehmungen vernommen werden könnten, sei es „nicht erklärlich“, warum dann nicht auch von dem<br />

Zeugen stammende Erklärungen verlesen werden könnten. Der Beschluss wurde ausgeführt. Die Strafkammer hat<br />

die verlesenen Urk<strong>und</strong>en im Urteil verwertet.<br />

2. Die hiergegen erhobene Verfahrensrüge eines Verstoßes gegen §§ 250, 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO ist zulässig. Entgegen<br />

der vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt in der Hauptverhandlung vertretenen Ansicht bedurfte es gemäß § 344 Abs. 2<br />

Satz 2 StPO nicht des Vortrags einer früheren Vernehmung des Zeugen T.. Die Frage, ob T. schon vor der schriftlichen<br />

Erklärung seiner Verteidiger einmal als Beschuldigter vernommen worden war <strong>und</strong> was er bei dieser Gelegen-<br />

115


heit aussagte, konnte allenfalls hinsichtlich des Beruhens des Urteils auf der Verlesung der späteren Urk<strong>und</strong>en von<br />

Belang sein. Für den Vortrag <strong>und</strong> den Beweis des gerügten Rechtsfehlers selbst, also der nach Ansicht der Revision<br />

unzulässigen Verlesung jener Urk<strong>und</strong>en, war der Inhalt einer möglichen früheren Vernehmung ohne Belang.<br />

3. Die Rüge ist auch begründet, denn die Verlesung des anwaltlichen Schriftsatzes <strong>und</strong> der "Zeugenerklärung" begegnet<br />

durchgreifenden rechtlichen Bedenken.<br />

a) Hinsichtlich des anwaltlichen Schriftsatzes vom 7. September 2004 kann dahinstehen, ob sich ein Verlesungs- <strong>und</strong><br />

Verwertungsverbot schon aus § 252 StPO ergeben könnte, weil sich die Anwälte der Sache nach auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht<br />

nach § 53 Abs. 1 Nr. 2 StPO berufen haben (vgl. dazu BGHR StPO § 252 Verwertungsverbot 13;<br />

BGH bei Kusch NStZ 1998, 25, 26). Bei einem anwaltlichen Schriftsatz, in dem Angaben des Mandanten wiedergegeben<br />

werden, handelt es sich zwar zunächst um eine Erklärung des Rechtsanwalts selbst (vgl. BGHR StPO § 250<br />

Satz 2 Schriftliche Erklärung 2). Der Zeuge T. hat sich aber den Inhalt dieses Schriftsatzes in seiner Zeugenerklärung<br />

ausdrücklich zu eigen gemacht. Damit ist der Inhalt des Schriftsatzes jedenfalls auch wie eine eigene Erklärung des<br />

T. zu werten.<br />

b) Das Landgericht hat die Verlesung der Urk<strong>und</strong>en zu Unrecht auf § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO gestützt. Hierdurch hat<br />

es den in § 250 StPO niedergelegten Gr<strong>und</strong>satz der Unmittelbarkeit verletzt. Der Vernehmung einer Auskunftsperson<br />

über deren Wahrnehmungen kommt gegenüber der Verlesung eines Protokolls über eine frühere Vernehmung oder<br />

von Erklärungen der Auskunftsperson Vorrang zu, wenn hierdurch der Beweis entscheidungserheblicher Tatsachen<br />

geführt werden soll. Von dieser Regel, die zu den tragenden Gr<strong>und</strong>sätzen des geltenden Strafprozessrechts gehört,<br />

sind Ausnahmen nur unter bestimmten, in den §§ 251 ff. StPO im Einzelnen aufgeführten Voraussetzungen möglich;<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich kann nur in diesen enumerativ aufgezählten Fällen die unmittelbare Aussage einer Vernehmungsperson<br />

durch die Verlesung von Niederschriften über frühere Vernehmungen oder von der Beweisperson herrührender<br />

schriftlicher Erklärungen ersetzt werden. Ein solcher Ausnahmefall lag hier nicht vor. Der Umstand, dass der Zeuge<br />

T. sich auf das Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO berufen hatte, führte nicht dazu, dass er im Sinne des<br />

§ 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO in absehbarer Zeit nicht vernommen werden konnte.<br />

aa) In der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs ist über die Möglichkeit einer Verlesung nach § 251 Abs. 1 Nr. 2<br />

StPO (bzw. § 251 Abs. 2 Satz 2 StPO a.F.) bei einer Fallgestaltung wie der vorliegenden bisher nicht ausdrücklich<br />

entschieden worden. Vielmehr lagen den in diesem Zusammenhang entschiedenen Fällen jeweils Konstellationen<br />

zugr<strong>und</strong>e, in denen ein Zeuge in der Hauptverhandlung erschienen war <strong>und</strong> sich – jedenfalls nach Vernehmung zur<br />

Person – dann ganz oder teilweise auf ein Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO berief, oder in denen eine<br />

Zeugenvernehmung aus anderen Gründen, z. B. wegen eintretender Vernehmungsunfähigkeit, unmöglich wurde. Als<br />

unzulässig erachtet hat der B<strong>und</strong>esgerichtshof in diesen Konstellationen sowohl die Verlesung schriftlicher Erklärungen<br />

des sich auf § 55 StPO berufenden Zeugen (BGH NStZ 1988, 36: nur ergänzende Verlesung neben der Zeugenvernehmung<br />

zulässig; vgl. auch BGHSt 20, 160, 161 f.; ebenso Meyer-Goßner StPO 49. Aufl. § 251 Rdn. 11;<br />

Diemer in KK 5. Aufl. § 251 Rdn. 26) als auch die Verlesung nichtrichterlicher Protokolle über seine Vernehmung<br />

(BGH NStZ 1982, 342 – sogar dann, wenn alle Verfahrensbeteiligten in die Verlesung eingewilligt haben -; BGH<br />

NJW 1984, 136; BGH NStZ 1993, 350; BGH NStZ 1996, 96; BGH, Urteil vom 28. Oktober 1975 – 5 StR 407/75;<br />

BGH, Beschluss vom 5. Dezember 1978 – 5 StR 767/78; BGH, Beschluss vom 26. Juli 1983 – 5 StR 310/83; vgl.<br />

auch BGH, Urteil vom 29. Juni 1976 – 5 StR 209/76). Soweit das Landgericht sich auf die Entscheidung des Senats<br />

in NStZ 2002, 217 berufen hat, ergibt sich aus diesem Beschluss nicht, dass bei Auskunftsverweigerung eines Zeugen<br />

eine Urk<strong>und</strong>enverlesung nach § 251 Abs. 2 Satz 2 a.F. (§ 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO heutiger Fassung) zulässig sei.<br />

Erwägungen des Senats zur Erweiterung des Urk<strong>und</strong>enbeweises spielten in jener Entscheidung keine tragende Rolle,<br />

weil in dem seinerzeit zu Gr<strong>und</strong>e liegenden Fall die Verfahrensbeteiligten einer Protokollverlesung zugestimmt hatten.<br />

In eng umgrenzten Ausnahmefällen hat die Rechtsprechung Erweiterungen des § 251 StPO zugelassen: So kann<br />

dann, wenn der Ges<strong>und</strong>heitszustand eines Zeugen zwar sein Erscheinen in der Hauptverhandlung nicht schlechthin<br />

unmöglich macht, aber zu einer erheblichen Verschlechterung seines Zustandes führen kann, ein Protokoll über eine<br />

frühere richterliche Vernehmung verlesen werden (BGHSt 9, 297, 300). Ähnliches ist für den Fall angenommen<br />

worden, dass einem Zeugen im Falle einer wahrheitsgemäßen Aussage eine rechtsstaatswidrige Verfolgung (BGHSt<br />

17, 337, 349 f.) oder dass dem Zeugen oder seiner Familie bei wahrheitsgemäßer Aussage Gefahr für Leib oder Leben<br />

droht (BGH NStZ 1993, 350 für Protokolle nichtrichterlicher Vernehmungen). Diesen Ausnahmen ist gemeinsam,<br />

dass das Vernehmungshindernis sich jeweils aus äußeren, nicht vom Zeugen beherrschbaren Umständen ergibt.<br />

Obwohl dies von der Rechtsprechung nicht als allgemeiner Gr<strong>und</strong>satz formuliert wurde, hat die Literatur § 251 Abs.<br />

1 Nr. 2 StPO daher überwiegend dahin ausgelegt, dass die Vorschrift nur bei tatsächlichen, nicht aber bei rechtlichen<br />

Verhinderungsgründen eingreifen könne (vgl. etwa Meyer-Goßner StPO 49. Aufl. § 251 Rdn. 10 m.w.N.). Anerkannt<br />

ist in der Rechtsprechung darüber hinaus, dass § 250 Satz 2 StPO dann nicht eingreift, wenn ein Zeuge in der<br />

Hauptverhandlung teilweise vernommen werden konnte. In diesem Fall kann die Vernehmung unter Umständen<br />

116


durch Verlesung einer vom Zeugen stammenden schriftlichen Erklärung ergänzt werden; eine Ersetzung im Sinne<br />

von § 250 Satz 2 StPO liegt dann nicht vor (BGHSt 20, 160, 161 ff.; BGH NStZ 1988, 36). Auch ein solcher Fall ist<br />

hier nicht gegeben.<br />

bb) Gegen die Annahme, eine Verlesung früherer Protokolle <strong>und</strong> Erklärungen könne, wenn sich ein Zeuge auf ein<br />

Auskunftsverweigerungsrecht beruft, auf § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO gestützt werden, spricht der Wortlaut dieser Vorschrift,<br />

die voraussetzt, dass der Zeuge „nicht vernommen werden kann“. Diese Voraussetzung ist bei einer Auskunftsverweigerung<br />

gemäß § 55 StPO nicht gegeben. § 55 StPO berechtigt gr<strong>und</strong>sätzlich nur zur Verweigerung der<br />

Auskunft auf einzelne Fragen (vgl. Senge in KK 5. Aufl. § 55 Rdn. 2 m.w.N.). Selbst wenn – wie hier – die gesamte<br />

in Betracht kommende Aussage des Zeugen so eng mit einem möglicherweise strafbaren Verhalten zusammenhängt<br />

<strong>und</strong> deswegen ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht besteht (vgl. BGHSt 10, 104, 105), ist aber eine Vernehmung<br />

möglich. Der Zeuge muss Angaben zur Person machen; ggf. muss er gemäß § 56 StPO das Bestehen des<br />

Auskunftsverweigerungsrechts glaubhaft machen (vgl. BGH NStZ 1982, 342). In vielen Fällen ergibt sich der Umfang<br />

eines möglichen Auskunftsverweigerungsrechts auch erst während einer Vernehmung. Dass ein Zeuge, der sich<br />

schon im Vorfeld seiner geplanten Vernehmung auf ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht beruft <strong>und</strong> mitteilt,<br />

er werde keinerlei Angaben zur Sache machen, zur Hauptverhandlung gar nicht mehr geladen wird, stellt sich<br />

daher als eine aus praktischen Gründen verfahrensvereinfachende Ausnahme dar; aus ihr ergibt sich nicht, dass der<br />

Zeuge überhaupt nicht vernommen werden könnte.<br />

cc) Auch die Gesetzgebungsgeschichte spricht dagegen, § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO anzuwenden, wenn sich ein Zeuge<br />

auf § 55 StPO beruft. In der Strafprozessordnung von 1877 war die heute in § 251 StPO enthaltene Materie noch in §<br />

250 geregelt. Nach dessen Absatz 1 konnte ein Protokoll über eine frühere (richterliche) Vernehmung verlesen werden,<br />

wenn der Zeuge verstorben, in Geisteskrankheit verfallen oder sein Aufenthalt nicht zu ermitteln war. Nach<br />

Absatz 2 konnten Protokolle über kommissarische (richterliche) Vernehmungen unter bestimmten Voraussetzungen<br />

in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Der Gesetzgeber der StPO hat damals Ausnahmen vom Unmittelbarkeitsgr<strong>und</strong>satz<br />

bewusst nur in eng umgrenzten Fällen zugelassen (vgl. die Begründung zum Gesetzentwurf in: Hahn,<br />

Die gesammelten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen Band 3, 2. Aufl. S. 193 ff.; vgl. ferner Langkeit/Cramer<br />

StV 1996, 230, 233). In der Kommission des Reichstages wurde ein Antrag zur Erweiterung der Verlesungsmöglichkeiten<br />

auch auf die Fälle, in denen ein Zeuge oder Sachverständiger „in der Hauptverhandlung seine Aussage“ verweigert,<br />

ausdrücklich abgelehnt (vgl. Protokolle der Kommission in: Hahn aaO S. 856 ff.). Erst durch Art. 4 der 3.<br />

Verordnung zur Vereinfachung der Strafrechtspflege vom 29. Mai 1943 (RGBl. I S. 342) erfuhren die Verlesungsmöglichkeiten<br />

des § 251 StPO umfangreiche Erweiterungen. So wurde die dem heutigen § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO<br />

entsprechende Regelung in § 251 Abs. 2 StPO a.F. eingeführt. Durch die Neuregelung sollte der Abzug von im<br />

Wehrdienst bzw. in der Kriegsproduktion benötigten Personen zum Zwecke einer Zeugenvernehmung eingeschränkt<br />

werden; auch hier ging es somit lediglich um tatsächliche Hinderungsgründe (vgl. auch Dölling NStZ 1988, 6, 9;<br />

Mitsch JZ 1992, 174, 180). Die weiteren Änderungen durch das Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf<br />

dem Gebiet der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens <strong>und</strong> des Kostenrechts vom<br />

12. September 1950 (BGBl. S. 455) <strong>und</strong> durch das Strafverfahrensänderungsgesetz vom 27. Januar 1987 (BGBl. I S.<br />

475) haben den Inhalt der Regelung im Wesentlichen unberührt gelassen. Durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz<br />

vom 24. August 2004 (BGBl. I S. 2198) erhielt die Möglichkeit der Verlesung (auch) nicht-richterlicher Urk<strong>und</strong>en<br />

wegen Unmöglichkeit der Vernehmung eines Zeugen lediglich einen anderen Standort innerhalb der Norm; die neue<br />

Systematik der Regelung beruhte auf der Einfügung von § 251 Abs. 1 Nr. 3 StPO. Der Wortlaut von § 251 Abs. 2<br />

Satz 2, 2. Halbs. StPO a.F. ist mit dem von § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO n.F. identisch. Anhaltspunkte dafür, dass der<br />

Gesetzgeber mit der Verschiebung dieser Verlesungsmöglichkeit innerhalb der Vorschrift auch eine inhaltliche Erweiterung<br />

verbinden wollte, ergeben sich aus den Gesetzesmaterialien nicht (vgl. BT-Drucks. 15/1508 S. 25 f.).<br />

dd) Zu beachten ist auch, dass das Gesetz richterlichen Vernehmungsprotokollen, deren Verlesbarkeit in § 251 Abs.<br />

2 StPO geregelt ist, eine größere Vertrauenswürdigkeit als nichtrichterlichen Vernehmungsprotokollen zuerkennt<br />

(BT-Drucks. 15/1508 S. 26). Es würde daher einen Wertungswiderspruch darstellen, wenn die Verlesung nichtrichterlicher<br />

Protokolle <strong>und</strong> schriftlicher Erklärungen eines Zeugen unter geringeren Voraussetzungen möglich wäre als<br />

die Verlesung richterlicher Protokolle (vgl. Mitsch JZ 1992, 174, 179 f.). Dies könnte aber der Fall sein, wenn richterliche<br />

Protokolle nur bei einem Hindernis für das „Erscheinen“ des Zeugen in der Hauptverhandlung verlesen werden<br />

dürften, sonstige Protokolle <strong>und</strong> schriftliche Erklärungen aber schon dann, wenn der Zeuge von einem Auskunftsverweigerungsrecht<br />

Gebrauch macht.<br />

c) Entgegen Meinungen in der Literatur (J. Meyer, Der Urk<strong>und</strong>enbeweis in der Hauptverhandlung S. 124 f., 144 ff.;<br />

Mitsch JZ 1992, 174 ff.; vgl. auch Gollwitzer in LR 25. Aufl. § 250 Rdn. 20; K. Meyer JR 1987, 523, 524) sieht der<br />

Senat keinen Anlass, die Verlesungsmöglichkeit nach § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO auf Fallgestaltungen wie die vorliegende<br />

zu erweitern. Selbst wenn es in Einzelfällen, in denen eine Vernehmungsperson oder der Empfänger einer<br />

117


schriftlichen Erklärung als Zeuge nicht zur Verfügung stehen, zu einer Begrenzung der Beweismöglichkeiten <strong>und</strong><br />

dadurch auch der Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO kommen kann, ist dies die notwendige Konsequenz der<br />

Gesetzeslage. Meist ist aber mit einem Beweisverlust nicht zu rechnen, weil eine dritte Person als Zeuge zur Verfügung<br />

steht, die zur Entstehung <strong>und</strong> zum Inhalt einer Urk<strong>und</strong>e vernommen werden kann. Im vorliegenden Fall hätte<br />

das Landgericht den Staatsanwalt, an den die Schreiben des Zeugen T. <strong>und</strong> seiner <strong>Rechtsanwälte</strong> gerichtet waren,<br />

unschwer als Zeugen vernehmen können, so dass es auch aus Gründen der Aufklärungspflicht <strong>und</strong> der Verfahrensökonomie<br />

an Gründen für die vom Tatrichter angestrebte Rechtsfortbildung fehlte. Entgegen der Ansicht der Revision<br />

bestand insoweit auch kein Verwertungsverbot.<br />

d) Das Urteil beruht auch auf dem Rechtsfehler. Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des<br />

Angeklagten (UA S. 41) sowie davon, dass der wirtschaftliche Hintergr<strong>und</strong> der Spenden allen Beteiligten bekannt<br />

war (UA S. 70), ausdrücklich auch auf den Inhalt der zu Unrecht verlesenen Urk<strong>und</strong>en gestützt. Zwar führen die<br />

Urteilsgründe aus, dass die Angaben des Zeugen R. bereits „aus sich heraus glaubhaft“ seien (UA S. 31) <strong>und</strong> dass<br />

schon nach dem sonstigen Ergebnis der Beweisaufnahme „nur“ die Annahme einer Unrechtsvereinbarung zwischen<br />

dem Angeklagten <strong>und</strong> T. „lebensnah“ sei (UA S. 66). Damit in einem gewissen Widerspruch steht aber, dass die<br />

Urteilsgründe sich ausführlich gerade auch mit dem Inhalt der Erklärung vom 7. September 2004 befassen. Das<br />

Landgericht hat den Urk<strong>und</strong>eninhalt überdies an mehreren Stellen (UA S. 70, 72, 78) ausdrücklich zum Beweis von<br />

Feststellungen namentlich zum wirtschaftlichen Hintergr<strong>und</strong> der Tat verwertet, weil sich die Zeugen E. <strong>und</strong> R., soweit<br />

ihre Angaben im Urteil wiedergegeben sind, hierzu nicht verhielten. Ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler<br />

lässt sich daher, entgegen der Ansicht des Generalb<strong>und</strong>esanwalts, nicht ausschließen.<br />

StPO § 251 Abs. 1 Nr. 2; StGB § 177 Abs. 1 Nr. 3 Verlesbarkeit von Niederschriften über frühere<br />

Vernehmung nach Abbruch der Zeugenvern. in der Hauptverhandlung<br />

BGH, Beschl. vom 4.04. 2007 - 4 StR 345/06 – NJW 2007, S. 2341 ff.<br />

LS: 1. Kann ein Zeuge in der Hauptverhandlung nicht abschließend vernommen werden, können<br />

Aufklärungsgesichtspunkte die Verlesung von Niederschriften über frühere Vernehmungen rechtfertigen.<br />

2. Allein die auslandsspezifische Hilflosigkeit eines Tatopfers <strong>und</strong> dessen Angst vor ausländer- <strong>und</strong><br />

strafrechtlichen Konsequenzen seines illegalen Aufenthalts begründen noch keine schutzlose Lage<br />

im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB.<br />

I. Auf die Revisionen der Angeklagten B. , Sch. , S. <strong>und</strong> St. wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 14.<br />

Dezember 2005, soweit es sie betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.<br />

II. Auf die Revisionen der Angeklagten J. , K. , D. , Z. <strong>und</strong> Ke. wird das vorbezeichnete Urteil, soweit es den jeweiligen<br />

Beschwerdeführer betrifft, jeweils mit den Feststellungen aufgehoben<br />

1. hinsichtlich des Angeklagten J. ….a) in den Fällen ….der Urteilsgründe insgesamt, b) in den Fällen …. der Urteilsgründe<br />

im Strafausspruch,<br />

2. hinsichtlich des Angeklagten K. a) in den Fällen …. insgesamt, b) im Fall … im Strafausspruch,<br />

3. hinsichtlich des Angeklagten D. in den Fällen … insgesamt,<br />

4. hinsichtlich des Angeklagten Z. im Fall 39 der Urteilsgründe insgesamt,<br />

5. hinsichtlich des Angeklagten Ke. a) im Fall …. insgesamt, b) in den Fällen … im Strafausspruch,<br />

sowie jeweils im Ausspruch über die Gesamtstrafe.<br />

III. Die weiter gehenden Revisionen der Angeklagten J. , K. , D. , Z. <strong>und</strong> Ke. werden verworfen.<br />

IV. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten der<br />

Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Angeklagten wie folgt verurteilt: Den Angeklagten B. wegen Vergewaltigung in zwei Fällen<br />

<strong>und</strong> sexueller Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren, den Angeklagten Sch. wegen Vergewaltigung<br />

in neun Fällen unter Einbeziehung von Freiheitsstrafen aus einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von zwölf Jahren, den Angeklagten St. wegen Vergewaltigung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von<br />

sechs Jahren, den Angeklagten J. wegen Vergewaltigung in elf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher<br />

Körperverletzung, sowie wegen sexueller Nötigung <strong>und</strong> wegen Vergewaltigung in elf Fällen, davon in zwei<br />

Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, jeweils unter Einbeziehung von Freiheitsstrafen aus Vorver-<br />

118


urteilungen zu Gesamtfreiheitsstrafen von acht <strong>und</strong> von neun Jahren, den Angeklagten K. wegen Vergewaltigung in<br />

vier Fällen unter Freisprechung im Übrigen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren, den Angeklagten S.<br />

wegen Vergewaltigung in vier Fällen unter Freisprechung im Übrigen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben<br />

Jahren <strong>und</strong> drei Monaten, den Angeklagten D. wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, Zuhälterei, Erpressung in drei<br />

Fällen, Raub, Unterschlagung, Anstiftung zu Urk<strong>und</strong>enfälschung <strong>und</strong> Betrug sowie fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung<br />

zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren, den Angeklagten Z. wegen Vergewaltigung <strong>und</strong> vorsätzlicher<br />

Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr <strong>und</strong> zehn Monaten, deren Vollstreckung zur<br />

Bewährung ausgesetzt wurde, <strong>und</strong> den Angeklagten Ke. wegen Vergewaltigung in drei Fällen, in einem Fall in Tateinheit<br />

mit vorsätzlicher Körperverletzung, sowie wegen zwei weiteren Fällen der vorsätzlichen Körperverletzung zu<br />

einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten. Hinsichtlich des Angeklagten D. hat es ferner eine<br />

Maßregel nach §§ 69, 69a StGB angeordnet. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren auf die<br />

Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts gestützten Revisionen. Diese haben in dem aus der Beschlussformel<br />

ersichtlichen Umfang Erfolg.<br />

I. Auf die von den Angeklagten B. , Sch. , S. <strong>und</strong> St. erhobenen Verfahrensrügen kommt es nicht an, da das Urteil<br />

hinsichtlich dieser Angeklagten bereits auf die Sachrüge aufzuheben ist. Die von den übrigen Angeklagten erhobenen<br />

Verfahrensbeschwerden greifen nicht durch (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Erörterung bedürfen nur folgende Rügen:<br />

1. Die Revisionen der Angeklagten J. <strong>und</strong> K. machen erfolglos eine Verletzung des sich aus Art. 6 Abs. 3 d EMRK<br />

ergebenden Konfrontationsgebots geltend. Der Rüge liegt folgendes Prozessgeschehen zu Gr<strong>und</strong>e: Die Zeugin Ba. ,<br />

zu deren Nachteil die abgeurteilten Taten der Beschwerdeführer verübt worden sein sollen, konnte lediglich an drei<br />

der 53 Hauptverhandlungstage vernommen werden, wobei sie nur bis zu Fall 4 der Urteilsgründe befragt werden<br />

konnte. Eine weitere Vernehmung der Zeugin war nicht möglich, da diese infolge einer posttraumatischen Belastungsstörung<br />

mit der Gefahr einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung vernehmungsunfähig<br />

geworden war. Daraufhin wurden gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO die Niederschriften über die polizeilichen Vernehmungen<br />

der Zeugin im Wege des Selbstleseverfahrens in die Hauptverhandlung eingeführt. Im Rahmen dieser<br />

umfangreichen Vernehmungen, die sich über einen Zeitraum von drei Monaten erstreckten, hat die Zeugin den Sachverhalt<br />

im Sinne der getroffenen Feststellungen wiedergegeben. Allerdings konnte sie damals nur die Nachnamen<br />

der Angeklagten D. <strong>und</strong> Ke. angeben, von den übrigen Angeklagten waren ihr lediglich Vornamen oder Namenskürzel<br />

bekannt. Weder die Angeklagten noch deren Verteidiger hatten Gelegenheit, bei den polizeilichen Vernehmungen<br />

anwesend zu sein <strong>und</strong> die Zeugin zu befragen. Die Revisionen vertreten zwar zutreffend die Ansicht, es sei nicht<br />

auf ein Verschulden der Justiz zurückzuführen, dass die Angeklagten <strong>und</strong> deren Verteidiger nicht die Möglichkeit<br />

hatten, die Zeugin zu befragen; ihre Auffassung, das Landgericht habe die Angeklagten nicht verurteilen dürfen, weil<br />

die verlesene Aussage der Hauptbelastungszeugin nicht durch hinreichend gewichtige anderweitige Beweismittel<br />

gestützt werde, teilt der Senat aber nicht. Dass eine Konfrontation der Angeklagten mit der Zeugin hinsichtlich der<br />

abgeurteilten Fälle nicht erfolgt ist, führt nicht ohne weiteres zur Annahme eines Konventionsverstoßes. Ein solcher<br />

ist nicht gegeben, wenn die Verteidigungsrechte, deren Verletzung geltend gemacht wird, insgesamt angemessen<br />

gewahrt wurden, das Verfahren in seiner Gesamtheit fair war. Dies erfordert eine besonders sorgfältige <strong>und</strong> kritische<br />

tatrichterliche Beweiswürdigung. Auf die Angaben eines Zeugen, der vom Angeklagten nicht befragt werden konnte,<br />

kann eine Feststellung regelmäßig nur dann gestützt werden, wenn diese Bek<strong>und</strong>ungen durch andere wichtige Gesichtspunkte<br />

außerhalb der Aussage bestätigt werden; die Zeugenaussage darf nicht das einzige Beweismittel sein,<br />

sondern muss durch andere wichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage gestützt werden (BGH NStZ-RR 2005,<br />

321 m.w.N.; NJW 2005, 1132; vgl. auch EGMR JR 2006, 289 m. Anm. Gaede). Diesen Anforderungen wird das<br />

angefochtene Urteil noch gerecht. Das Landgericht hat die sich aus Art. 6 Abs. 3 d EMRK ergebende Problematik<br />

erkannt, dieser durch eine eingehende Beweiswürdigung Rechnung getragen <strong>und</strong> hinreichend gewichtige andere<br />

Beweismittel gef<strong>und</strong>en, die die Richtigkeit der Aussage der Zeugin Ba. bestätigen. Zu diesen durfte das Landgericht<br />

neben seinem eigenen persönlichen Eindruck, den es von der Zeugin während deren Aussage in der Hauptverhandlung<br />

gewonnen hat, auch die Angaben der Vernehmungsbeamten über die psychische Verfassung der Zeugin bei<br />

ihren polizeilichen Aussagen zählen (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 87); danach zeigte sie während der dreimonatigen<br />

Vernehmungen starke psychische Regungen <strong>und</strong> durchlebte den Sachverhalt offensichtlich wieder. Weiterhin war zu<br />

berücksichtigen (vgl. BGH NJW 2005, 1132, 1133), dass die Einlassung des Angeklagten Ke. die Angaben der Zeugin<br />

in den verlesenen Protokollen maßgeblich bestätigte: Er gab an, die Zeugin habe in der Vorstellung gelebt, mangels<br />

gültigen Ausweises eingesperrt zu werden, wenn sie zur Polizei ginge, sie habe auch Angst vor dem Angeklagten<br />

D. <strong>und</strong> davor gehabt, wieder in die Gewalt der "russischen Mafia" zu geraten; ferner habe sie berichtet, sie habe<br />

mit mehreren Männern schlafen müssen. Der Angeklagte D. selbst bestätigte bei seiner ermittlungsrichterlichen<br />

Vernehmung, mit der Zeugin sexuell verkehrt zu haben, obgleich sie dies nicht wollte, auch habe er sie der Prostitution<br />

zugeführt <strong>und</strong> ihr - was der Zeuge H. in der Hauptverhandlung bestätigte - einen Armreif abgepresst. All dies<br />

119


steht in Einklang mit den Angaben der Zeugin bei ihren polizeilichen Vernehmungen. Die Ermittlungen haben auch<br />

die Angaben der Zeugin zum örtlichen <strong>und</strong> zeitlichen Geschehensablauf bestätigt. Angesichts dieser Umstände <strong>und</strong><br />

im Hinblick auf die besondere Beweislage bei Sexualstraftaten (vgl. EGMR NJW 2003, 2297, 2298), die häufig<br />

dadurch gekennzeichnet ist, dass das durch das Geschehen traumatisierte Opfer alleiniges Beweismittel ist, wird die<br />

verlesene Aussage der Zeugin durch hinreichend gewichtige andere Beweismittel gestützt, auch wenn die Feststellungen<br />

zum Tatkerngeschehen, soweit es die Beschwerdeführer betrifft, auf den verlesenen Angaben der Zeugin<br />

beruhen.<br />

2. Der Beschwerdeführer J. rügt, die Vernehmungsniederschriften der Aussagen der Zeugin Ba. hätten nicht nach §<br />

251 Abs. 1 Nr. 2 StPO verlesen werden dürfen, weil die Zeugin - jedenfalls teilweise - in der Hauptverhandlung<br />

vernommen worden sei: Die Vorschrift erlaube nach ihrem Wortlaut lediglich eine "ersetzende", nicht aber eine<br />

"ergänzende" Verlesung der Niederschrift über die Vernehmung eines Zeugen. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt<br />

werden, da sie dem Regelungszusammenhang der §§ 249 ff. StPO entgegensteht. Nach § 249 Satz 1 StPO werden<br />

Urk<strong>und</strong>en <strong>und</strong> andere als Beweismittel dienende Schriftstücke in der Hauptverhandlung verlesen. § 250 Satz 2 StPO<br />

macht im Interesse der Sachaufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) hiervon eine Ausnahme, indem er die Vernehmung<br />

der Beweisperson über die von ihr wahrgenommenen Tatsachen der Verlesung von Vernehmungsprotokollen<br />

oder schriftlichen Mitteilungen vorzieht. Wo eine solche Vernehmung aber nicht möglich ist, schließt § 251 StPO die<br />

entstehende Aufklärungslücke, indem er die Ersetzung der Vernehmung eines Zeugen durch die Verlesung einer<br />

Niederschrift über seine Vernehmung oder einer von ihm stammenden schriftlichen Erklärung gestattet. Aufklärungslücken<br />

können jedoch auch dann auftreten, wenn ein Zeuge zwar in der Hauptverhandlung erscheint, seine<br />

Angaben aber, sei es auf Gr<strong>und</strong> eines nunmehr geltend gemachten Aussageverweigerungsrechts, sei es wegen plötzlichen<br />

Todes oder - wie hier - auf Gr<strong>und</strong> eingetretener Vernehmungsunfähigkeit unvollständig sind. In diesen Fällen<br />

kann es die in § 244 Abs. 2 StPO normierte Pflicht zu umfassender Sachaufklärung ebenfalls erfordern, die fehlenden<br />

Teile einer Aussage in der Hauptverhandlung gemäß § 251 StPO zu "ersetzen". Eine "Sperrwirkung" könnte sich<br />

allenfalls aus einem - in der Strafprozessordnung allerdings keineswegs unter allen Umständen geforderten - Vorrang<br />

des Personalbeweises vor dem Urk<strong>und</strong>sbeweis ergeben. Dieser Gesichtspunkt scheidet bei schriftlichen Erklärungen<br />

der Beweisperson von vornherein aus. Da anders als bei Protokollen, über deren Entstehung <strong>und</strong> Inhalt regelmäßig<br />

die beteiligten Verhörspersonen als Zeugen vernommen werden können, bei schriftlichen Erklärungen in der Regel<br />

nur der Aussteller selbst die Art der Entstehung <strong>und</strong> den Inhalt der Erklärung aus eigenem Wissen wiedergeben<br />

kann, ist für schriftliche Erklärungen in der Rechtsprechung anerkannt, dass deren Inhalt auch dann durch Verlesung<br />

in die Verhandlung eingeführt werden kann, wenn die Beweisperson in der Hauptverhandlung ausgesagt hat (BGHSt<br />

20, 160; BGH JZ 1987, 315). Soweit der 5. Strafsenat in seiner Entscheidung vom 28. Oktober 1975 - 5 StR 407/75,<br />

auf die in späteren Entscheidungen Bezug genommen wird (Beschlüsse vom 5. Dezember 1978 - 5 StR 767/78 - <strong>und</strong><br />

vom 26. Juli 1983 - 5 StR 310/83 - NStZ 1984, 211 [Pfeiffer/Miebach]), ohne nähere Begründung ausführt, die Niederschrift<br />

über die polizeiliche Vernehmung eines Zeugen, der über einige am Rande liegenden Umstände in der<br />

Hauptverhandlung zur Sache ausgesagt, hinsichtlich wichtiger Fragen allerdings nach § 55 StPO die Auskunft verweigert<br />

habe, hätte nicht nach § 251 Abs. 2 StPO (a.F.) verlesen werden dürfen, umso weniger, als die Möglichkeit<br />

bestanden habe, den vernehmenden Polizeibeamten zu hören, geht er ersichtlich von einem Vorrang des Personalbeweises<br />

aus. Ob dies überhaupt eine tragfähige Begründung sein kann, muss der Senat nicht entscheiden (kritisch<br />

Diemer in KK 5. Aufl. § 251 Rdn. 10 a; K. Meyer JR 1987, 523, 524; D. Meyer MDR 1977, 543, 544; offen gelassen<br />

in BGH JZ 1987, 315), da sie jedenfalls in Ausnahmefällen unter Aufklärungsgesichtspunkten keine Gültigkeit beanspruchen<br />

kann. Dementsprechend hat der 2. Strafsenat die Verlesung der polizeilichen Aussage im Fall eines Zeugen,<br />

der in der Hauptverhandlung Angaben zur Sache im Hinblick auf ein gegen ihn wegen des Verdachts der uneidlichen<br />

Falschaussage eingeleitetes Ermittlungsverfahren verweigert hat, nach § 251 StPO a.F. für zulässig erachtet,<br />

wenn der Zeuge von seinem Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO umfassend Gebrauch macht, Gründe der<br />

Aufklärungspflicht der Verlesung nicht entgegenstehen, alle Verfahrensbeteiligten mit der Verlesung einverstanden<br />

sind <strong>und</strong> auf die Vernehmung der Verhörsperson verzichten. Wo es nur um den Aussageinhalt als solchen gehe, lasse<br />

sich dieser regelmäßig am zuverlässigsten durch das Protokoll feststellen. In diesem Fall könne es der auch § 250<br />

Satz 2 StPO zu Gr<strong>und</strong>e liegende Gedanke bestmöglicher Sachaufklärung gerade erfordern, von diesem Beweismittel<br />

Gebrauch zu machen (NStZ 2002, 217 ff.). Letzteres trifft auf den vorliegenden Fall zu. Zu den Umständen des Zustandekommens<br />

der verlesenen Aussage hat das Landgericht die Vernehmungsbeamten in der Hauptverhandlung<br />

gehört. Es liegt jedoch auf der Hand, dass diese den Inhalt der längere Zeit zurückliegenden, mehrere h<strong>und</strong>ert Seiten<br />

umfassenden Vernehmungsprotokolle im Einzelnen nicht mehr zuverlässig wiedergeben können. Deren Verlesung<br />

war daher zusätzlich zu der Vernehmung der Polizeibeamten nach § 251 Abs. 1 StPO nicht nur rechtlich zulässig,<br />

sondern unter Aufklärungsgesichtspunkten zwingend geboten.<br />

II.<br />

120


1. Soweit das Landgericht die Angeklagten wegen Vergewaltigung beziehungsweise sexueller Nötigung verurteilt<br />

hat, unterliegt das Urteil - bis auf die zu II. 2. aufgeführten Fälle - auf die Sachrügen der Angeklagten der Aufhebung,<br />

da die bisher getroffenen Feststellungen in diesen Fällen die Annahme des Landgerichts, die Zeugin Ba. habe<br />

sich in einer schutzlosen Lage bef<strong>und</strong>en, was die Angeklagten zur Tatbegehung ausgenutzt hätten, nicht tragen <strong>und</strong><br />

auch keine der anderen Tatbestandsalternativen des § 177 Abs. 1 StGB belegen.<br />

a) Nach den Feststellungen war die Zeugin Ba. im November 2001 mit einem Touristenvisum aus Usbekistan in die<br />

B<strong>und</strong>esrepublik eingereist, um hier Geld zu verdienen. Sie war zur Ausübung der Prostitution auf freiwilliger Basis<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich bereit. Über Kenntnisse der deutschen Sprache verfügte sie nicht. Zunächst war sie an äußerst gewalttätige<br />

Karlsruher Zuhälter geraten. Im Juli 2002 entzog sie sich dieser Gruppe, nachdem sie einen schwerwiegenden<br />

Übergriff auf ihren damaligen Fre<strong>und</strong>, der danach unter ungeklärten Umständen verstarb, hatte miterleben müssen,<br />

<strong>und</strong> kam statt dessen zu den Angeklagten. Das Landgericht stützt seine Annahme, die Angeklagten hätten bei ihren<br />

sexuellen Übergriffen auf die Zeugin jeweils deren schutzlose Lage ausgenutzt, auf folgende Feststellungen: "Sämtlichen<br />

Angeklagten war bekannt, dass sich Frau Ba. ohne gültige Aufenthaltserlaubnis in der B<strong>und</strong>esrepublik bzw. in<br />

Frankreich aufhielt <strong>und</strong> dass sie davon ausging, sich nicht an die Polizei oder sonstige Behörden wenden zu können,<br />

da sie dann unweigerlich inhaftiert, gegebenenfalls bestraft <strong>und</strong> in ihr Heimatland abgeschoben werde. Dort erwartete<br />

sie ihrer Vorstellung nach - wie die Angeklagten wussten - eine weitere mehrjährige Inhaftierung. Außer den Angeklagten<br />

verfügte Frau Ba. auch über keine persönlichen Verbindungen oder Kontakte, die ihr eine Erfolg versprechende<br />

Alternative geboten hätten, den Angeklagten dauerhaft zu entkommen. Die Angeklagten erkannten jeweils,<br />

dass Frau Ba. aufgr<strong>und</strong> dessen in Widerstandshandlungen keinen Sinn sah, weil sie sich ihnen schutzlos ausgeliefert<br />

fühlte. Sie nutzten dies aus, um sie zur Duldung der sexuellen Übergriffe zu veranlassen."<br />

b) Diese Feststellungen begründen das Vorhandensein einer schutzlosen Lage im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB<br />

nicht.<br />

aa) Mit dieser durch das 33. StrÄndG vom 1. Juli 1997 (BGBl. I 1607) in den § 177 StGB eingefügten Tatbestandsvariante<br />

wollte der Gesetzgeber Strafbarkeitslücken schließen, die sich in der Praxis insbesondere bei den früher<br />

unter § 237 StGB a.F. fallenden Entführungsfällen gezeigt haben, in denen der Täter das Opfer an einen Ort verbringt,<br />

an dem es fremde Hilfe nicht erwarten kann, dem körperlich überlegenen Täter ausgeliefert ist <strong>und</strong> angesichts<br />

seiner hilflosen Lage eine Verteidigung für sinnlos hält (BTDrucks. 13/7324 S. 6). Mit der neuen Tatbestandsvariante<br />

sollten Fälle erfasst werden, in denen zwar weder Gewalt ausgeübt noch mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder<br />

Leben des Opfers gedroht wird, dieses die Tat aber aus Angst vor Gefahren für Leib oder Leben über sich ergehen<br />

lässt, weil es sich in einer hilflosen Lage befindet <strong>und</strong> ihm Widerstand gegen den überlegenen Täter aussichtslos<br />

erscheint (vgl. BGHSt 50, 359, 365 m.w.N.; BGH NStZ 2003, 533, 534). Dabei reicht es aus, wenn die Schutz- <strong>und</strong><br />

Verteidigungsmöglichkeiten des Opfers in einem solchen Maß vermindert sind, dass es dem ungehemmten Einfluss<br />

des Täters preisgegeben ist; eines gänzlichen Beseitigens jeglicher Verteidigungsmöglichkeiten bedarf es nicht<br />

(BGHSt 44, 228, 231, 232 m.w.N.). Erforderlich ist stets, dass sich das Opfer aus Angst vor körperlicher Beeinträchtigung<br />

nicht gegen den Täter zur Wehr setzt; es genügt nicht, dass es dies aus Angst vor der Zufügung anderer Übel<br />

unterlässt (vgl. BGH NStZ 2003, 533 f.: Angst des Opfers vor Zerstörung seiner Ehe durch den Täter). Eine Auslegung<br />

des Tatbestandsmerkmals des Ausnutzens einer schutzlosen Lage dahin, dass es auch Fälle erfasst, in denen der<br />

Verzicht auf möglichen Widerstand allein darauf beruht, dass das Opfer Nachteile nichtkörperlicher Art befürchtet,<br />

würde der Vorschrift des § 177 StGB die innere Stimmigkeit nehmen, da auch die Nötigungsvariante des § 177 Abs.<br />

1 Nr. 2 StGB auf Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben beschränkt ist. Für Willensbeugungen<br />

anderer Art kommt lediglich der Tatbestand der Nötigung, § 240 Abs. 1 <strong>und</strong> 4 StGB, in Betracht.<br />

bb) Daran gemessen belegen die Feststellungen eine schutzlose Lage der Zeugin Ba. nicht, denn danach nutzten die<br />

Angeklagten in den fraglichen Fällen lediglich die auslandsspezifische Hilflosigkeit des Tatopfers <strong>und</strong> die Tatsache<br />

aus, dass sich die Zeugin aus Angst vor ausländer- <strong>und</strong> strafrechtlichen Konsequenzen ihres illegalen Aufenthalts<br />

nicht gegen die sexuellen Übergriffe der Angeklagten zu wehren wagte. Zwar liegt es in einzelnen Fällen nahe, dass<br />

die Zeugin Ba. im Falle einer Weigerung mit Gewalttätigkeiten rechnen musste. So wurde sie beispielsweise in Fall<br />

3 der Urteilsgründe auf ihre Ablehnung hin von dem Angeklagten Sch. gefragt, ob sie sich wichtig machen wolle,<br />

was die Zeugin als Drohung auffasste. Im selben Zusammenhang äußerte der Angeklagte S. , sie solle froh sein,<br />

nicht in Karlsruhe zu sein, wo man sie schlage (UA 44). In Fall 4 machte der Angeklagten J. ihr "klar, dass er Widerspruch<br />

nicht duldete" (UA 46) <strong>und</strong> im Fall 5 wurde ihr von den Angeklagten J. <strong>und</strong> St. bedeutet, es gebe, wenn sie<br />

bei ihnen in der Gruppe sei, kein "ich will nicht" (UA 47). Das Landgericht hat aber hinsichtlich dieser <strong>und</strong> anderer<br />

Äußerungen nicht festgestellt <strong>und</strong> erörtert, dass die Zeugin Ba. im Falle einer Weigerung mit Tätlichkeiten rechnete<br />

<strong>und</strong> gerade deshalb der Vornahme sexueller Handlungen keinen Widerstand entgegensetzte. Soweit im Fall 28a der<br />

Urteilsgründe festgestellt ist, dass die Zeugin sich dem Verlangen des Angeklagten Sch. nach Durchführung des<br />

Oralverkehrs nicht zu widersetzen wagte, weil sie in vergleichbarer Situation von dem ebenfalls anwesenden Ange-<br />

121


klagten J. geschlagen worden war (UA 66), ist jedenfalls der entsprechende Vorsatz des Angeklagten Sch. nicht<br />

belegt, da die Zeugin zwischenzeitlich in zahlreichen Fällen mit den Angeklagten sexuell verkehrt hatte, ohne nach<br />

den Feststellungen dazu gezwungen worden zu sein.<br />

2. In folgenden Einzelfällen wird der Schuldspruch wegen Vergewaltigung beziehungsweise sexueller Nötigung von<br />

den Feststellungen getragen:<br />

a) Im Fall 8a der Urteilsgründe ist festgestellt, dass der Angeklagte J. die Zeugin Ba. durch Androhung eines Schlags<br />

auf den Kopf <strong>und</strong> nachfolgenden Faustschlag auf den Rücken zum Oralverkehr zwang. Wegen der ihr widerfahrenen<br />

Misshandlung, wegen der Angst vor weiteren Schlägen <strong>und</strong> weil sie wegen der Anwesenheit fünf weiterer Männer,<br />

von denen ihr trotz ihrer Bitte keiner gegen die Übergriffe des J. geholfen hatte, sah die Zeugin keine Abwehrmöglichkeit.<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten insoweit zutreffend wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher<br />

Körperverletzung verurteilt, wobei der Angeklagte die Zeugin nicht nur unter Ausnutzung einer schutzlosen<br />

Lage, sondern zugleich mit Gewalt <strong>und</strong> durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben nötigte (§ 177<br />

Abs. 1 Nrn. 1, 2 <strong>und</strong> 3 StGB).<br />

b) Auch in den Fällen 19b, 28b <strong>und</strong> 29a der Urteilsgründe tragen die Feststellungen die Schuldsprüche wegen sexueller<br />

Nötigung beziehungsweise wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung. In diesen<br />

Fällen zwang der Angeklagte J. die Zeugin Ba. unter Einsatz von Gewalt zur Durchführung einer sexuellen Handlung<br />

an seinem knapp ein-jährigen Sohn (Fall 19b) beziehungsweise zur Duldung des Analverkehrs (Fälle 28b <strong>und</strong><br />

29a). Deswegen ist zwar nicht der Tatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB, wohl aber der des § 177 Abs. 1 Nr. 1<br />

StGB erfüllt. Entgegen der Ansicht der Revision ist im Übrigen im Fall 19b die Erheblichkeitsgrenze des § 184 f<br />

StGB überschritten, auch wenn es lediglich zu einem Kuss des Genitals <strong>und</strong> nicht zu dem vom Angeklagten geforderten<br />

Oralverkehr mit dem Kleinkind kam.<br />

c) Bezüglich des Angeklagten K. ist im Fall 28c der Urteilsgründe eine Ausnutzung der schutzlosen Lage belegt,<br />

weil er bei der Tat billigend in Kauf nahm, dass die Zeugin nur wegen der unmittelbar vorausgegangenen brutalen<br />

Behandlung durch den Angeklagten J. <strong>und</strong> in dem Bewusstsein, gegen drei Männer nichts ausrichten zu können, den<br />

Oralverkehr ausübte, <strong>und</strong> es sich tatsächlich auch so verhielt.<br />

d) Hinsichtlich des Angeklagten Ke. tragen die zu den Fällen 38 <strong>und</strong> 43 getroffenen Feststellungen die Schuldsprüche,<br />

weil der Angeklagte die Zeugin jeweils mit Gewalt zu den sexuellen Handlungen nötigte <strong>und</strong> dadurch den Tatbestand<br />

des § 177 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB verwirklichte.<br />

e) Soweit der Senat in den vorstehend aufgeführten Fällen anders als das Landgericht die Tatbestände des § 177 Abs.<br />

1 Nr. 1 <strong>und</strong> 2 StGB als erfüllt ansieht, steht § 265 Abs. 1 StPO der Änderung der rechtlichen Bewertung nicht entgegen,<br />

da ausgeschlossen werden kann, dass sich die Angeklagten gegen den so begründeten Vorwurf anders als geschehen<br />

hätten verteidigen können (vgl. BGH, Beschluss vom 9. August 2005 - 3 StR 464/04 S. 8).<br />

3. Der Senat hebt die Einzelstrafaussprüche wegen der zu 2a) bis d) genannten Taten auf, um dem neuen Tatrichter,<br />

auch im Hinblick auf den engen inneren Zusammenhang der Sexualstraftaten insgesamt, eine einheitliche Strafzumessung<br />

zu ermöglichen. Bei dieser wird auch der jeweilige Unrechtsgehalt der einzelnen Tat, wie er in der Art <strong>und</strong><br />

Intensität des sexuellen Übergriffs zum Ausdruck kommt, zu berücksichtigen sein.<br />

4. Die Überprüfung des Urteils auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigungen hat hinsichtlich der weiteren, den Angeklagten<br />

D. , Z. <strong>und</strong> Ke. zur Last gelegten Taten keinen Rechtsfehler in den Schuld- <strong>und</strong> Strafaussprüchen ergeben.<br />

StPO § 252 StPO - Einverständnis eines nach § 52 StPO verweigerungsberechtigten Zeugen zur<br />

Verwertung einer früheren Aussage?<br />

BGH, Beschl. vom 30.03.2007 – 1 StR 349/06<br />

§ 252 StPO - Das Einverständnis eines nach § 52 StPO verweigerungsberechtigten Zeugen zur Verwertung<br />

einer früheren Aussage muss eindeutig erklärt werden<br />

1. Das Verfahren wird auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts in den Fällen II A 1 bis 3 der Urteilsgründe (Taten zum<br />

Nachteil der Nebenklägerin S. W. ) vorläufig eingestellt (§ 154 Abs. 2 StPO).<br />

2. Das vorbezeichnete Urteil wird im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe aufgehoben (§ 349 Abs. 4<br />

StPO), dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 460, 462 StPO zu treffen ist.<br />

3. Die weitergehende Revision wird verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

122


4. Soweit das Verfahren vorläufig eingestellt wurde, trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens <strong>und</strong> die notwendigen<br />

Auslagen des Angeklagten. Über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels einschließlich der notwendigen<br />

Auslagen der Nebenklägerin U. W. , ist zugleich mit der Entscheidung über die Gesamtstrafe zu befinden.<br />

Gründe:<br />

Die Jugendkammer hat den Angeklagten wegen zwölf Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu drei Jahren<br />

Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Opfer waren die Nebenklägerinnen, seine Töchter S. <strong>und</strong> U. Die drei abgeurteilten<br />

Taten zum Nachteil von S. (geboren 1974) soll er 1985/86 begangen haben, hierfür wurde je eine Strafe von sechs<br />

Monaten, einem Jahr <strong>und</strong> einem Jahr <strong>und</strong> drei Monaten verhängt. Zu den abgeurteilten Taten zum Nachteil von U.<br />

(geboren 1982) kam es zwischen 1988 <strong>und</strong> 1991/92. Die Strafen hierfür betrugen einmal ein Jahr <strong>und</strong> sechs Monate,<br />

einmal ein Jahr <strong>und</strong> drei Monate, zweimal ein Jahr, viermal zehn Monate <strong>und</strong> einmal sechs Monate. Die Anzeige war<br />

Ende 2002 erfolgt. Auf die Revision des Angeklagten hat der Senat das Verfahren hinsichtlich der Taten zum Nachteil<br />

von S. W. gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt (I.). Hinsichtlich der Taten zum Nachteil von U. W.<br />

blieb die Revision erfolglos, § 349 Abs. 2 StPO (II.). Lediglich der Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe entfiel,<br />

§ 349 Abs. 4 StPO; über die Gesamtstrafe ist nunmehr im Beschlusswege zu entscheiden, § 354 Abs. 1b StPO (III.).<br />

I. Der Angeklagte hat bestritten. Die Beschuldigungen seien erf<strong>und</strong>en, vielleicht beruhten sie auf Hass. Eine erste<br />

Hauptverhandlung wurde abgebrochen <strong>und</strong> es wurden auf Antrag der Verteidigung Gutachten zu den Aussagen der<br />

Nebenklägerinnen eingeholt. In der erneuten Hauptverhandlung verweigerte S. W. die Aussage (§ 52 StPO). Sie<br />

legte in diesem Zusammenhang ein Schreiben ihrer Psychotherapeutin vor, die näher darlegt, dass dies auf der „aggressiven“<br />

Befragung der Zeugin in der ersten Hauptverhandlung beruhe, in der sie „ungeschützt“ die „blaming-thevictim-solution“<br />

erlebt habe (zur Pflicht des Gerichts, bei einer Zeugenvernehmung auch Zeugenschutzaspekte zu<br />

beachten vgl. demgegenüber BGHSt 48, 372; BGH NJW 2005, 1519, 1520 f.; wistra 2007, 33 m.w.N.). Dem entspricht<br />

die Urteilsfeststellung, dass S. W. nach dieser Verhandlung z. B. wegen „aktueller Retraumatisierung“ <strong>und</strong><br />

„depressiver Störung“ länger stationär in einem Krankenhaus für Psychotherapie war. Die Jugendkammer vernahm<br />

zu früheren Angaben von S. W. auch die Diplom-Psychologin B. , die 1992 in einem Verfahren über das Sorgerecht<br />

für die Schwestern für das Gericht ein „familienpsychologisches“ Gutachten erstattet hatte. Sie hatte sich für ihr<br />

Gutachten mit den Schwestern in der Wohnung der Mutter getroffen. S. W. wollte ein „extra Gespräch“, zu dem es<br />

alsbald - offenbar unmittelbar in der Wohnung - kam. Dabei äußerte sie die Sorge, U. würde vom Vater ebenso sexuell<br />

missbraucht wie sie, ohne den ihr widerfahrenen Missbrauch näher zu schildern. Die Jugendkammer entnimmt<br />

diesen Angaben von Frau B. „gewichtige Anhaltspunkte“ für die Richtigkeit der Angaben von S. W. .<br />

1. Hieran knüpft die Revision mit der Rüge der Verletzung von § 252 StPO an.<br />

a) Bei einer Aussageverweigerung gemäß § 52 StPO können als Auskunftspersonen zu früheren Angaben, die der die<br />

Aussage verweigernde Zeuge in amtlichem Rahmen zum Verfahrensgegenstand gemacht hatte, gr<strong>und</strong>sätzlich nur<br />

Richter gehört werden (vgl. zuletzt zusammenfassend BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2006 - 2 StR 334/06 m.<br />

zahlr. N.), es sei denn, es hat sich dabei um „spontane“ Angaben gehandelt (vgl. zusammenfassend BGH StV 1998,<br />

360, 361 m.w.N.; vgl. auch Diemer in KK 5. Aufl. § 252 Rdn. 20).<br />

b) Die Jugendkammer geht davon aus, die Zeugin B. habe über eine spontane <strong>und</strong> daher verwertbare Äußerung von<br />

S. W. berichtet. Dies folge nicht zuletzt daraus, dass das „extra Gespräch“ auf deren Wunsch stattfand. Selbst wenn<br />

die Initiative zum Kontakt mit einer amtlichen Stelle vom (später die Aussage verweigernden) Zeugen ausgeht, führt<br />

dies aber nicht zwingend zur Verwertbarkeit der dabei gemachten Angaben (BGH StV 1998, 360, 361 m.w.N.). Hier<br />

war S. W. bereits Verfahrensbeteiligte (§ 50b FGG) oder - weil von einer Sorgerechtsentscheidung als inzwischen<br />

Volljährige nicht mehr betroffen - jedenfalls Auskunftsperson (Zeugin) für die Sachverständige im Verfahren bezüglich<br />

U. W. , als sie „im Rahmen der Gutachtenerstattung“ (so die Zeugin B. ) das „extra Gespräch“ wollte. Daher<br />

spricht dessen enger zeitlicher <strong>und</strong> sachlicher Zusammenhang mit der übrigen (amtlichen) Anhörung durch die<br />

Sachverständige nicht für die Annahme einer verwertbaren Spontanäußerung (vgl. BGH StV 1998, 360, 361 zu dieser<br />

Abgrenzung, die sich „im Einzelfall … schwierig gestalten“ kann < aaO>).<br />

2. Der Generalb<strong>und</strong>esanwalt hält die Angaben der Zeugin B. deshalb für verwertbar, weil die aus dem Schreiben der<br />

Therapeutin ersichtlichen Gründe der Zeugnisverweigerung <strong>und</strong> der sonstige Verfahrensverlauf das Einverständnis<br />

von S. W. mit der Vernehmung von Frau B. ergäben. Der Senat kann dem letztlich nicht folgen.<br />

a) Gr<strong>und</strong>sätzlich können nichtrichterliche Vernehmungspersonen eines gemäß § 52 StPO die Aussage verweigernden<br />

Zeugen nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs vernommen werden, wenn der die Aussage verweigernde<br />

Zeuge damit einverstanden ist (BGHSt 45, 203; BGH NStZ-RR 2006, 181, 183; BGH, Beschluss vom 26. September<br />

2006 - 4 StR 353/06). Dies kann aus der Sicht von solchen Zeugen sinnvoll sein, die einerseits wollen, dass die<br />

Wahrheit ans Licht kommt - von diesem Interesse geht § 52 StPO an sich gerade nicht aus (vgl. BGHSt 12, 235, 239<br />

; w. N. b. Senge in KK 5. Aufl. § 52 Rdn. 1) -, sich andererseits aber z. B. vor „retraumatisierender“ (erneuter)<br />

Vernehmung schützen wollen. In einem solchen Fall muss sich das Gericht allerdings schon im Hinblick auf die<br />

123


fehlende Möglichkeit der unmittelbaren Befragung des die Aussage ver-weigernden Zeugen des begrenzten Beweiswerts<br />

der Aussage der Verhörsperson bewusst sein (BGHSt 45, 203, 208).<br />

b) Der Senat hat jedoch Bedenken gegen die Annahme, hier liege eine solche Einverständniserklärung vor.<br />

aa) Diese ergeben sich allerdings nicht aus der von der Revision im Rahmen ihrer Erwiderung auf den Antrag des<br />

Generalb<strong>und</strong>esanwalts (§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO) angesprochenen Frage nach der Notwendigkeit einer Belehrung<br />

des Zeugen „über die Möglichkeit der `gespaltenen´ Zeugnisverweigerung“. Der Senat bemerkt in diesem Zusammenhang:<br />

(1) Kann ein Zeuge nach seinem Willen eine bestimmte prozessrechtlich bedeutsame Erklärung abgeben <strong>und</strong> gibt er<br />

sie ab, so kann die Wirksamkeit dieser Erklärung schwerlich davon abhängen, ob der Zeuge - zumal wenn er bereits<br />

gemäß § 52 Abs. 3 StPO belehrt <strong>und</strong> auch noch anwaltlich beraten ist - zuvor über die Möglichkeit der Abgabe einer<br />

solchen Erklärung belehrt worden ist oder nicht.<br />

(2) Im Übrigen wäre es eine Frage des Einzelfalles, ob der Zeuge über die Folgen einer solchen Erklärung zu belehren<br />

ist. Geht die Initiative zu der genannten Erklärung von einem solchen Zeugen aus, wird in seiner Erklärung, er<br />

sei mit der Verwertung seiner früheren (nichtrichterlichen) Aussage einverstanden, jedenfalls regelmäßig zugleich<br />

die Erklärung liegen, er wisse, dass diese Aussage ohne sein Einverständnis nicht verwertbar ist. Worüber er in einem<br />

solchen Fall sinnvollerweise noch zu belehren wäre, liegt nicht auf der Hand.<br />

(3) Ob in Fällen, in denen ein Zeuge nicht von sich aus in dieser Richtung initiativ wird, etwa die gerichtliche Aufklärungspflicht<br />

(§ 244 Abs. 2 StPO) gebieten kann, dass das Gericht den Zeugen über die genannte Möglichkeit <strong>und</strong><br />

ihre rechtlichen Konsequenzen belehrt, kann hier offen bleiben.<br />

bb) Der Senat teilt jedoch die Auffassung der Revision, dass eine so bedeutsame Erklärung eines Zeugen eindeutig<br />

sein muss. Aus der Sicht der Jugendkammer kam es hier auf eine solche Erklärung nicht an, da sie die Aussage B.<br />

aus anderen Gründen (Spontaneität) für verwertbar hielt. Klare Anhaltspunkte dafür, dass von oder für S. W. zum<br />

Ausdruck gebracht worden wäre, dass sie (unabhängig von alledem) auf jeden Fall mit der Verwertung ihrer Angaben<br />

gegenüber der Gutachterin einverstanden sei, ergeben sich weder aus der Niederschrift der Hauptverhandlung<br />

noch aus den Urteilsgründen. Im Revisionsverfahren hat die Staatsanwaltschaft von einer Revisionsgegenerklärung<br />

(§ 347 StPO) abgesehen, ebenso wenig hat sich die Jugendkammer zu einer dienstlichen Äußerung veranlasst gesehen.<br />

Auch seitens S. W. s selbst, die am Verfahren weiterhin als Nebenklägerin beteiligt ist, wurde hierzu nichts<br />

erklärt. Unter diesen Umständen hat das Revisionsgericht nicht zu prüfen, ob nach seiner Auffassung eine nicht ausdrücklich<br />

abgegebene Erklärung mit der Interessenlage der Zeugin vereinbar <strong>und</strong> dem Verfahrensablauf zu entnehmen<br />

sein könnte.<br />

3. Nach alledem <strong>und</strong> unter Berücksichtigung auch seiner sonstigen, im Schreiben an die Verfahrensbeteiligten vom<br />

28. Februar 2007 enthaltenen Hinweise, nimmt der Senat auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts die dem Angeklagten<br />

vorgeworfenen, inzwischen über 20 Jahre zurückliegenden Taten zum Nachteil von S. W. von der Verfolgung<br />

aus <strong>und</strong> beschränkt die Strafverfolgung auf die Taten zum Nachteil von U. W. (§ 154 Abs. 2 StPO). Eine Fallgestaltung,<br />

bei der § 154 Abs. 2 StPO deshalb nicht anwendbar wäre, weil die Unschuld des Angeklagten eindeutig feststeht<br />

(vgl. BVerfG NJW 1997, 46; BGH wistra 2007, 31, 32), liegt hier nicht vor.<br />

II. Der Senat hat erwogen, ob diese Verfahrensbeschränkung den Bestand des Schuldspruchs hinsichtlich der Taten<br />

zum Nachteil von U. W. oder der hierwegen verhängten Einzelstrafen gefährden könnte. Entgegen der Auffassung<br />

der Revision war dies zu verneinen.<br />

1. Die Jugendkammer hält die Angaben von U. W. für glaubhaft. Die Revision meint, in diesem Zusammenhang<br />

käme der Aussage B. eine „Schlüsselrolle“ zu. Der Senat kann dem nicht folgen. S. W. hat nicht behauptet, sie wisse,<br />

dass ihre Schwester miss-braucht werde, sondern sie hat gegenüber Frau B. die Befürchtung oder Vermutung geäußert,<br />

dass es hierzu gekommen sein könnte. Die Annahme, deshalb hätte die Jugendkammer die Aussagen von U. W.<br />

geglaubt, liegt schon im Ansatz nicht nahe. Sie findet - auch unter Berücksichtigung des gesamten hierauf bezogenen<br />

Revisionsvorbringens - auch in den Urteilsgründen keine erkennbare Stütze. Die Jugendkammer hat vielmehr unter<br />

anderem zu Aussagetüchtigkeit <strong>und</strong> Glaubwürdigkeit von U. W. insgesamt drei Gutachter gehört; sie hat festgestellt,<br />

dass sie gegenüber einer Reihe von Ärzten <strong>und</strong> Therapeuten, die sie ambulant <strong>und</strong> stationär behandelt haben, immer<br />

wieder, schriftlich <strong>und</strong> mündlich, teilweise bis ins Detail sexuelle Missbrauchshandlungen geschildert hat, die der<br />

Angeklagte an ihr vorgenommen hat. Zwischen den Schwestern war sexueller Missbrauch durch den Angeklagten<br />

Thema eines Gesprächs in einer Eisdiele; hierüber hat S. W. ihrer Mutter - wie diese als Zeugin bek<strong>und</strong>et hat - in<br />

dem Sinne berichtet, dass U. die Frage „nicht eindeutig bejaht oder verneint“ habe, aus U. s Reaktion vermute sie (S.<br />

W. ) jedoch sexuelle Übergriffe. All dies hat die Jugendkammer ebenso berücksichtigt wie Konstanz <strong>und</strong> Detailreichtum<br />

der Angaben, ihre Bestätigung in objektivierbaren Randbereichen <strong>und</strong> den Eindruck, den U. W. als Zeugin<br />

in der Hauptverhandlung auf die Jugendkammer gemacht hat. Auf dieser Gr<strong>und</strong>lage hat die Jugendkammer, auch<br />

unter Berücksichtigung von Gesichtspunkten, die möglicherweise gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben sprechen<br />

124


könnten, mit eingehenden <strong>und</strong> sorgfältig begründeten rechtsfehlerfreien Erwägungen die Überzeugung von der Richtigkeit<br />

der Angaben U. W. s gewonnen. Unter diesen Umständen ergibt eine Gesamtschau der Urteilsgründe ohne<br />

Weiteres, dass die Angaben der Zeugin B. über die Angaben, die S. W. ihr gegenüber gemacht hat, wenn überhaupt,<br />

allenfalls ein zusätzliches bestätigendes Indiz aufzeigen, von dem die Überzeugungsbildung hinsichtlich der Täterschaft<br />

des Angeklagten nicht abhing (vgl. auch BGH NStZ 2007, 235, 236 m.w.N.). Auch im Übrigen ist der<br />

Schuldspruch hinsichtlich der Taten zum Nachteil von U. W. rechtsfehlerfrei (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

2. Die Jugendkammer hat unter anderem auch die - angesichts der gegebenen besonderen Verfahrenslage - nicht<br />

unbedenkliche Erwägung angestellt, dass die Taten sich gegen „zwei Personen als Opfer gerichtet haben“. Dies gefährdet<br />

den Bestand der in Rede stehenden Einzelstrafen schon deshalb nicht, weil der Senat sie für angemessen i. S.<br />

d. § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO hält.<br />

a) Dabei konnte nicht außer Acht bleiben, dass bei Sexualdelikten zum Nachteil sehr junger Opfer, wie etwa Kindern,<br />

der bloße Zeitablauf zwischen den Taten <strong>und</strong> der Verfahrenseinleitung als bestimmender Strafzumessungsgesichtspunkt<br />

weniger Gewicht hat als sonst. Dies gilt nicht zuletzt für Fälle, wenn das vom eigenen Vater missbrauchte<br />

Kind erst im Erwachsenenalter die Kraft zu der Aufarbeitung des Geschehens mit Hilfe einer Strafanzeige findet.<br />

Deshalb hat der Gesetzgeber auch die besondere Verjährungsregelung in § 78b StGB getroffen (vgl. BGH NStZ<br />

2006, 393; 2006, 587, 588; NJW 2000, 748, 749; G. Schäfer, Praxis der Strafzumessung 3. Aufl. Rdn. 437). Die<br />

Jugendkammer hat zwar bei der Aufzählung strafmildernder Gesichtspunkte aufgeführt, dass die Taten lange zurück<br />

liegen, die genannten gegenläufigen Gesichtspunkte aber nicht ausdrücklich erwogen.<br />

b) Im Übrigen sind die im Urteil mitgeteilten Strafzumessungsgründe nicht lückenhaft oder unklar <strong>und</strong> ermöglichen<br />

dem Revisionsgericht die Prüfung <strong>und</strong> Beantwortung der Frage, ob die Rechtsfolge angemessen ist. Ebenso wenig ist<br />

erkennbar, dass es hier im Einzelfall besonders auf den persönlichen Eindruck des Angeklagten ankäme (vgl. BGH<br />

wistra 2007, 32, 33 m.w.N.).<br />

c) Schließlich gibt es auch keine Anhaltspunkte für erst nach der Hauptverhandlung eingetretene <strong>und</strong> dementsprechend<br />

nicht berücksichtigte Entwicklungen oder Ereignisse, die ein neuer Tatrichter nahe liegend feststellen <strong>und</strong> zu<br />

Gunsten des Angeklagten berücksichtigen würde (vgl. BGH StV 2005, 426).Allerdings hat die Revision - letztlich<br />

hilfsweise für den Fall, dass entgegen ihrem Antrag die Schuldsprüche doch Bestand haben - die Möglichkeit in den<br />

Raum gestellt, dass eine neue Hauptverhandlung „vielleicht den entscheidenden Anstoß zu einer Aussöhnung innerhalb<br />

der Familie W. geben“ könnte. Es ist jedoch nicht näher ausgeführt <strong>und</strong> liegt auch nicht ohne Weiteres auf der<br />

Hand, warum eine Hauptverhandlung eine sonst nicht oder nur schwerer mögliche familiäre Aussöhnung ermöglichen,<br />

anstoßen oder fördern würde. Darüber hinaus hat die Nebenklage nunmehr jedoch auch noch gegenüber dem<br />

Senat dahin Stellung genommen, dass „eine Aussöhnung … endgültig abgelehnt“ werde.<br />

d) Nach alledem hält der Senat unter Abwägung aller für die Strafzumessung bedeutsamer Urteilsfeststellungen <strong>und</strong><br />

des gesamten hierauf bezogenen Vorbringens der Verfahrensbeteiligten die Einzelstrafen, die wegen der Taten zum<br />

Nachteil von U. W. verhängt wurden, für angemessen.<br />

III. Mit dem Wegfall der Strafen wegen der Taten zum Nachteil von S. W. fällt zwar nur der insgesamt geringere<br />

Teil der gegen den Angeklagten verhängten Einzelstrafen weg, der hier aber andererseits schon angesichts der Höhe<br />

der wegfallenden Einzelstrafen auch nicht ohne jede Bedeutung ist. Über die nur zahlenmäßige Verminderung der<br />

Einzeltaten hinaus reduziert sich der Schuldumfang aber auch deshalb, weil die Gesamtstrafe jetzt aus Strafen wegen<br />

Taten zum Nachteil nur noch eines Opfers zu bilden ist. Nach alledem gibt der Senat hier dem Antrag, trotz des<br />

Wegfalls einiger Einzelstrafen die bisherige Gesamtstrafe als angemessen aufrecht zu halten, keine Folge, sondern<br />

hebt das Urteil im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe auf (§ 349 Abs. 4 StPO). Der Senat macht von der Möglichkeit<br />

Gebrauch, gemäß § 354 Abs. 1b StPO zu entscheiden. Eine Verweisung auf das Beschlussverfahren nach §§<br />

460, 462 StPO kann auch dann erfolgen, wenn - wie hier - im Revisionsverfahren Einzelstrafen durch Verfahrenseinstellung<br />

wegfallen <strong>und</strong> nur deshalb über die Gesamtstrafe neu zu befinden ist (vgl. BGH NStZ 2005, 223). Der Hinweis<br />

der Revision auf eine mögliche Versöhnung durch eine neue Hauptverhandlung gibt dem Senat aus den bereits<br />

genannten Gründen (vgl. oben II 2 c) hier keine Veranlassung, von einer Verweisung auf das Beschlussverfahren<br />

abzusehen. Die nachträgliche Gesamtstrafenbildung aus den verbleibenden, nunmehr rechtskräftigen Einzelstrafen<br />

obliegt somit dem nach § 462a Abs. 3 StPO zuständigen Gericht (vgl. BGH NJW 2004, 3788).<br />

125


StPO § 252 Verletzung rügbar ohne Beanstandung<br />

BGH, Beschl. vom 27.10.2006 – 2 StR 334/06 – StV 2007, 68<br />

Ein Verstoß gegen § 252 StPO darf auch dann gerügt werden, wenn der Angeklagte oder die Verteidigung<br />

der Verwertung nicht widersprochen hat, da im Rahmen des § 252 StPO eine etwaige<br />

Einwilligung der Verfahrensbeteiligten unbeachtlich ist. Auch eine Präklusion der Rüge wegen Verzichts<br />

auf den in § 238 Abs. 2 StPO vorgesehenen Zwischenrechtsbehelf scheidet bei Eingriffen in<br />

die Entscheidungsfreiheit eines Zeugen aus.<br />

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Limburg a. d. Lahn vom 3. Mai 2006 mit den<br />

Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch<br />

von Schutzbefohlenen in zwölf Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren mit Strafaussetzung zur<br />

Bewährung verurteilt <strong>und</strong> im Übrigen freigesprochen. Mit ihrer Revision rügt die Angeklagte die Verletzung formellen<br />

<strong>und</strong> materiellen Rechts. Die Revision hat mit der Verfahrensrüge nach §§ 252, 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO Erfolg. Mit<br />

ihrer Rüge macht die Angeklagte geltend, das Landgericht habe die Angaben ihres Sohnes D. nicht verwerten dürfen,<br />

die dieser bei der Exploration im Sorgerechtsverfahren gegenüber der Sachverständigen K. zum Tatgeschehen gemacht<br />

habe, weil D. in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht habe.<br />

1. Die Rüge ist zulässig erhoben. Die in der Antragsschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts vorgebrachten Zulässigkeitsbedenken<br />

greifen nicht durch. Der Zulässigkeit der Rüge steht nicht entgegen, dass die Revisionsbegründung nicht<br />

näher mitteilt, mit welcher Begründung die Angeklagte oder ihre Verteidigerin in der Hauptverhandlung der Verwertung<br />

der früheren Angaben D. s gegenüber der Sachverständigen widersprochen haben <strong>und</strong> mit welcher Begründung<br />

das Landgericht den wiederholten Widerspruch zurückgewiesen hat. Hierauf kommt es nicht an. Einen Verstoß gegen<br />

§ 252 StPO darf die Angeklagte auch dann rügen, wenn sie selbst oder ihre Verteidigerin der Verwertung nicht<br />

widersprochen hat, da im Rahmen des § 252 StPO eine etwaige Einwilligung der Verfahrensbeteiligten unbeachtlich<br />

ist. Auch eine Präklusion der Rüge wegen Verzichts auf den in § 238 Abs. 2 StPO vorgesehenen Zwischenrechtsbehelf<br />

scheidet bei Eingriffen in die Entscheidungsfreiheit eines Zeugen aus (vgl. BGHSt 45, 203, 205 m.w.N.; Ranft<br />

NJW 2001, 1305, 1306). Im Übrigen kann aufgr<strong>und</strong> der umfassend erhobenen Sachrüge der Inhalt des Urteils, das<br />

sich ebenfalls zur Verwertung der Angaben des Zeugen D. äußert, ergänzend berücksichtigt werden (vgl. BGHSt 45,<br />

203, 204 f. m.w.N).<br />

2. Der Rüge liegen folgende Verfahrensvorgänge zugr<strong>und</strong>e: Die Sachverständige K. wurde von einer Zivilkammer<br />

des Landgerichts Limburg a. d. Lahn im vorm<strong>und</strong>schaftsgerichtlichen Beschwerdeverfahren beauftragt, ein Glaubhaftigkeitsgutachten<br />

über die Angaben D. s zu sexuellen Übergriffen seiner Eltern zu erstatten. Nach richterlicher<br />

Belehrung am 1. September 1993 wurde D. am 2. September 1993 von der Sachverständigen exploriert. Bei dieser<br />

Exploration hat sich D. auch zu dem der Angeklagten <strong>und</strong> ihrem Ehemann in der Anklage zur Last gelegten Tatgeschehen<br />

geäußert. Die Feststellung, dass die Angeklagte <strong>und</strong> ihr Ehemann ihre Kinder D. <strong>und</strong> J. sexuell missbraucht<br />

haben, beruht nach der Beweiswürdigung des angefochtenen landgerichtlichen Urteils auf den inhaltsgleichen Angaben<br />

D. s, die dieser bei der Exploration durch die Sachverständige K. gemacht hat <strong>und</strong> die diese in der Hauptverhandlung<br />

als Zeugin wiedergegeben hat, sowie den durch weitere Zeugen <strong>und</strong> sachverständige Zeugen bek<strong>und</strong>eten<br />

Verhaltensauffälligkeiten der beiden Kinder.<br />

3. Das angefochtene Urteil stützt sich somit bei seiner Beweiswürdigung insbesondere zu den konkret festgestellten<br />

zwölf einzelnen Taten auf die Ausführungen, die die Sachverständige als Zeugin dazu gemacht hat, was ihr D. bei<br />

der Exploration am 2. September 1993 insbesondere zum Tatgeschehen berichtet hat. Darin liegt ein Verstoß gegen §<br />

252 in Verbindung mit § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO (vgl. BGHSt 46, 189; 36, 384). § 252 StPO enthält nicht nur ein Verlesungs-,<br />

sondern ein Verwertungsverbot, das nach der berechtigten Zeugnisverweigerung auch jede andere Verwertung<br />

der bei einer nichtrichterlichen Vernehmung gemachten Aussage, insbesondere die Vernehmung von Verhörspersonen,<br />

ausschließt (vgl. BGHSt 46, 189, 192; 45, 203, 205 jew. m.w.N.). Mitteilungen eines gemäß § 52 StPO zur<br />

Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Zeugen gegenüber einem Sachverständigen über Zusatztatsachen, zu<br />

denen regelmäßig auch die Tatschilderung eines auf seine Glaubwürdigkeit zu begutachtenden Zeugen gehört, stehen<br />

einer Aussage im Sinne des § 252 StPO gleich (BGHSt 46, 189, 192). Dies gilt auch dann, wenn der oder die Sachverständige<br />

außerhalb des anhängigen Strafverfahrens, etwa in einem Zivilrechtsstreit oder auch in einem Verfahren<br />

126


der freiwilligen Gerichtsbarkeit tätig geworden ist (vgl. BGHSt 17, 324, 327 f.; 36, 384, 387 f.; BGH NStZ 1998,<br />

629, jew. m.w.N.). Soweit die Rechtsprechung ausnahmsweise die Vernehmung der Richter zulässt, die an der früheren<br />

Vernehmung mitgewirkt haben (BGHSt 2, 99; 27, 231), kann diese Ausnahme auf die Befragung durch die<br />

Sachverständige, die einer richterlichen Vernehmung nicht gleichgesetzt werden kann, keine Anwendung finden<br />

(BGHSt 13, 1, 4). Macht der Zeuge später sein Zeugnisverweigerungsrecht geltend, dürfen seine Mitteilungen über<br />

Zusatztatsachen daher weder durch das Sachverständigengutachten noch durch die Vernehmung der Sachverständigen<br />

als Zeugin in die Hauptverhandlung eingeführt <strong>und</strong> bei der richterlichen Überzeugungsbildung verwertet werden<br />

(BGHSt 46, 189, 192 f. m.w.N.). Da sich der Sohn der Angeklagten in der Hauptverhandlung berechtigt auf sein<br />

Zeugnisverweigerungsrecht (§ 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO) berief, waren seine Angaben zum Tatgeschehen, die er gegenüber<br />

der Sachverständigen K. gemacht hat, nicht verwertbar. Wie sich aus dem angefochtenen Urteil ergibt, stützt<br />

das Landgericht seine Feststellungen zu den einzelnen Taten somit in unzulässiger Weise auf die Angaben, die D.<br />

gegenüber der Sachverständigen bei der Exploration gemacht hat. Es beruht somit auf dem Verfahrensfehler.<br />

4. Da das angefochtene Urteil schon wegen des dargelegten Verfahrensfehlers keinen Bestand hat, kommt es auf die<br />

übrigen Verfahrensrügen <strong>und</strong> die Sachrüge nicht mehr an.<br />

StPO § 257 Abs. 2 – Meldung zu Wort als Rügevoraussetzung - § 265 Rechtl. Hinweis, Zeitpunkt<br />

BGH, Beschl. vom 24.10.2006 – 1 StR 503/06 – NStZ 2007, 234 = StraFo 2007, 67<br />

1. Wer eine Verletzung des Rechts aus § 257 Abs. II StPO rügen will, muss vortragen, dass er sich<br />

zu Wort gemeldet habe, um eine solche Erklärung abzugeben, ihm dies aber verwehrt worden sei.<br />

2. Ein Hinweis gem. § 265 StPO ist zu erteilen, sobald sich erstmals die Möglichkeit einer anderen<br />

rechtlichen Beurteilung ergibt, also so früh wie möglich. Eine Verfahrensrüge, der Hinweis sei verspätet<br />

erfolgt, kann jedoch in aller Regel keinen Erfolg haben, wenn kein Antrag auf Aussetzung<br />

des Verfahrens gestellt worden war.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 5. Juli 2006 wird verworfen.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels <strong>und</strong> die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen<br />

notwendigen Auslagen zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Der zur Tatzeit fast 19 Jahre alte Angeklagte wurde wegen Mordes zu Jugendstrafe verurteilt. Seine Revision, die auf<br />

eine Reihe von Verfahrensrügen <strong>und</strong> die näher ausgeführte Sachrüge gestützt ist, ist unbegründet (§ 349 Abs. 2<br />

StPO).<br />

1. Die Revision rügt, es sei "keine ordnungsgemäße Terminsladung gegenüber der Jugendgerichtshilfe" erfolgt. Sollte<br />

damit gemeint sein, dass die Jugendgerichtshilfe nicht zur Hauptverhandlung geladen worden sei, wäre der Vortrag<br />

unwahr (vgl. SA Bd. III Bl. 624, SA Bd. IV Bl. 654). Sollte gemeint sein, die Jugendgerichtshilfe sei zwar geladen<br />

worden, aber nicht ordnungsgemäß, wäre der Vortrag mangels weiterer Darlegungen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO)<br />

aus sich heraus nicht verständlich. Die Bewertung eines Vorgangs als nicht ordnungsgemäß kann Ergebnis einer<br />

rechtlichen Überprüfung dieses Vorgangs sein, die konkrete Angabe von Tatsachen, die diese Bewertung tragen<br />

sollen, aber nicht ersetzen (vgl. BGH NJW 2006, 1220, 1222).<br />

2. Ist die Jugendgerichtshilfe geladen, ergibt sich allein daraus, dass in der Hauptverhandlung niemand von der Jugendgerichtshilfe<br />

anwesend war, kein Rechtsfehler (BGH StraFo 2003, 379 m. w. N.). Die auch im Übrigen unzutreffende<br />

Auffassung der Revision, Hinweise gemäß § 265 StPO müssten auch gegenüber der Jugendgerichtshilfe<br />

erteilt werden, geht auch deshalb ins Leere.<br />

3. Soweit die Revision rügt, der Jugendhilfebericht sei in der Hauptverhandlung verlesen worden, trägt sie nicht vor,<br />

dass dies im allseitigen Einverständnis geschah (SA Bd. IV Bl. 678). Damit fehlt auch insoweit gemäß § 344 Abs. 2<br />

Satz 2 StPO gebotener Vortrag. Der Hinweis auf das allseitige Einverständnis zeigt nämlich die Rechtsgr<strong>und</strong>lage auf,<br />

auf die die Verlesung gestützt wurde. Dies ist für die Prüfung der Zulässigkeit der Verlesung wesentlich. Das Ergebnis<br />

dieser Prüfung könnte unterschiedlich ausfallen, je nachdem, ob die Verlesung etwa auf § 256 StPO gestützt war<br />

(vgl. hierzu Diemer in KK 5. Aufl. § 256 Rdn. 5; Laubenthal, Jugendgerichtshilfe im Strafverfahren 1993 S. 118 m.<br />

w. N.), oder wie offenbar hier, auf § 251 Abs.1 Nr.1 StPO (vgl. zum inhaltlich identischen § 251 Abs. 2 Satz 1 StPO<br />

a. F. Laubenthal aaO S. 118, 119). Näher nachzugehen braucht der Senat alledem im Hinblick auf den unzureichenden<br />

Revisionsvortrag aber nicht. Da die Revision auch den Inhalt des Jugendhilfeberichts nicht mitteilt, könnte der<br />

127


Senat im Übrigen selbst dann, wenn feststünde, dass die Verlesung fehlerhaft war - was nicht der Fall ist -, ohnehin<br />

nicht prüfen, ob sie sich zum Nachteil des Angeklagten auf das Urteil ausgewirkt haben kann.<br />

4. Die Revision macht geltend, es sei keine Gelegenheit zur Stellungnahme nach der Verlesung des Jugendhilfeberichts<br />

erteilt worden. Hinsichtlich des Angeklagten ist dies ausweislich des (von der Revision auch insoweit nicht<br />

vorgetragenen) Hauptverhandlungsprotokolls falsch (SA Bd. IV Bl. 678). Dem Verteidiger ist die Befugnis, sich<br />

nach einer Beweiserhebung zu äußern - ebenso wie dem Staatsanwalt - nur auf Verlangen einzuräumen, § 257 Abs. 2<br />

StPO. Dementsprechend muss derjenige, der eine Verletzung dieses Rechts rügen will, vortragen, dass er sich zu<br />

Wort gemeldet habe, um eine solche Erklärung abzugeben, ihm dies aber verwehrt worden sei (vgl. Gollwitzer in<br />

Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 257 Rdn. 26). Schon daran fehlt es. Ebenso wenig ist vorgetragen, dass der als<br />

Voraussetzung für eine derartige Verfahrensrüge in der Regel erforderliche Gerichtsbeschluss (§ 238 Abs. 2 StPO)<br />

eingeholt wurde (vgl. Julius in HK 3. Aufl. § 257 Rdn. 10, 12; Diemer in KK 5. Aufl. § 257 Rdn. 5), <strong>und</strong> warum, vor<br />

allem im Hinblick auf die Schlussausführungen (§ 258 Abs. 1 StPO), die behauptete Verletzung von § 257 Abs. 2<br />

StPO auf das Urteil irgend einen Einfluss gehabt haben könnte (vgl. Julius aaO Rdn. 12; Gollwitzer aaO Rdn. 27, 28<br />

m. w. N.).<br />

5. Die Revision macht geltend, es wäre möglich gewesen, einen während der Hauptverhandlung gemäß § 265 StPO<br />

erteilten Hinweis schon in einem früheren Stadium der Hauptverhandlung zu erteilen. Es trifft zu, dass ein Hinweis<br />

gemäß § 265 StPO zu erteilen ist, sobald sich erstmals die Möglichkeit einer anderen rechtlichen Beurteilung ergibt,<br />

also so früh wie möglich (vgl. Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 265 Rdn. 32; Engelhardt in KK 5. Aufl. § 265 Rdn.<br />

18 m. w. N.). Ob dies hier der Fall war, mag dahinstehen. Eine Verfahrensrüge, der Hinweis sei verspätet erfolgt,<br />

kann jedoch in aller Regel keinen Erfolg haben, wenn - wie auch hier - kein Antrag auf Aussetzung des Verfahrens<br />

gestellt worden war (vgl. BGH, Urteil vom 2. Juni 1982 - 2 StR 182/82; Engelhardt aaO). Hierauf hat auch der Vertreter<br />

der Nebenklage im vom 14. September 2006 zur Erwiderung auf das Revisionsvorbringen zutreffend hingewiesen.<br />

Gründe des Einzelfalls, die vorliegend ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, sind<br />

nicht erkennbar.<br />

6. Auch die auf Gr<strong>und</strong> der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des<br />

Angeklagten ergeben, wie dies auch der Generalb<strong>und</strong>esanwalt im Einzelnen zutreffend vorgetragen hat.<br />

7. Der Senat bemerkt, dass es zweckmäßig gewesen wäre, wenn die Staatsanwaltschaft gemäß § 347 Abs. 1 Satz 2<br />

StPO von der Möglichkeit einer Revisionsgegenerklärung Gebrauch gemacht hätte (vgl. BGH StV 2006, 286, 287 m.<br />

w. N.). Insbesondere Hinweise auf die Ladung der Jugendgerichtshilfe (vgl. oben 1.), das allseitige Einverständnis<br />

mit der Verlesung des Jugendhilfeberichts (vgl. oben 3.) <strong>und</strong> die Beachtung von § 257 Abs.1 StPO in der Hauptverhandlung<br />

(vgl. oben 4.) hätten die Überprüfung des entsprechenden Revisionsvorbringens nicht unerheblich erleichtert<br />

(Nr. 162 Abs. 2 RiStBV). Auch Hinweise des Vorsitzenden auf die genannten Punkte hätten hilfreich sein können<br />

(vgl. BGH StraFo 2003, 379, 380 m. w. N.).<br />

StPO § 261 Beweiswürdigung – Indiztatsachen - Vermutungen<br />

BGH, Beschl. vom 31.10.2006 – 2 StR 417/06 – NStR-RR 2007, 86<br />

Bei der Würdigung indizieller Beweisergebnisse ist es in der Regel erforderlich, in den Urteilsgründen<br />

die tatsächlichen Anknüpfungspunkte der Würdigung so mitzuteilen, dass dem Revisionsgericht<br />

eine Überprüfung möglich ist. Den Angeklagten belastende Schlussfolgerungen dürfen nicht<br />

auf Vermutungen oder bloße Möglichkeiten gestützt werden.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 19. Juni 2006 mit den Feststellungen<br />

aufgehoben.<br />

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere<br />

Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu<br />

einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge zur Aufhebung<br />

des Urteils, so dass es auf die Verfahrensrügen nicht ankommt.<br />

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts versandte der - wegen Einfuhr von Heroin aus fernöstlichen Ländern<br />

erheblich vorbestrafte - Angeklagte im Dezember 2005 aus Islamabad/Pakistan an eine niederländische Deckadresse<br />

ein Paket, in dem sich ein Teppich sowie ein Backgammon-Spiel befanden; in letzterem war 1 kg Heroin (mögli-<br />

128


cherweise) schlechter Qualität versteckt. Das Heroin wurde von pakistanischen Sicherheitsbehörden vor der Ausfuhr<br />

entdeckt; der Inhalt des Pakets wurde beschlagnahmt. Eine Sicherstellungs- oder Asservatennummer wurde dabei<br />

nicht vergeben. Pakistanische Polizeibeamte zeigten den Paketinhalt am 21. Dezember 2005 in Lahore drei Beamten<br />

des BKA. Diese fotografierten den Paketinhalt <strong>und</strong> entnahmen eine Probe der in dem Backgammon-Spiel in acht<br />

Beuteln versteckten weißlichen Substanz. Die Probe wurde an das kriminaltechnische Institut des BKA versandt, auf<br />

dem Weg dorthin aber möglicherweise vertauscht, so dass die schließlich untersuchte (braune) Substanz mit einem<br />

Heroinhydrochlorid-Gehalt von 70 % möglicherweise mit der in Lahore entnommenen Probe nicht identisch war. In<br />

der Wohnung der Mutter des Angeklagten wurden später 358 Gramm Streck-mittel gef<strong>und</strong>en. Der Angeklagte hat<br />

die Versendung des Pakets eingeräumt, jedoch bestritten, Heroin in dem Paket versteckt <strong>und</strong> versandt zu haben. Das<br />

Landgericht hat diese Einlassung des Angeklagten als widerlegt angesehen <strong>und</strong> seine Überzeugung von dessen Täterschaft<br />

unter anderem auf die Aussagen der als Zeugen vernommenen Polizeibeamten sowie auf weitere Beweisanzeichen<br />

gestützt.<br />

2. Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Das Landgericht hat erhebliches indizielles Gewicht<br />

dem Umstand beigemessen, dass der Wert des legalen Inhalts des Pakets (ein Teppich <strong>und</strong> ein Backgammon-Spiel)<br />

zu den Frachtkosten "in auffälligem Missverhältnis" gestanden habe (UA S. 17). Zur Höhe der Frachtkosten ist allerdings<br />

nur mitgeteilt, der Angeklagte habe sie um 20 bis 30 US-Dollar herunterhandeln können. Der Paketinhalt ist<br />

von den BKA-Beamten als "minderwertig" bezeichnet worden (UA S. 17); die Minderwertigkeit des Backgammon-<br />

Spiels hat der Tatrichter überdies "auf den in Augenschein genommenen Lichtbildern" erkannt. Diese Erwägungen<br />

werden den rechtlichen Anforderungen an die Darlegung der Beweisführung nicht gerecht. Bei der Würdigung indizieller<br />

Beweisergebnisse ist es in der Regel erforderlich, in den Urteilsgründen die tatsächlichen Anknüpfungspunkte<br />

der Würdigung so mitzuteilen, dass dem Revisionsgericht eine Überprüfung möglich ist. Den Angeklagten belastende<br />

Schlussfolgerungen dürfen nicht auf Vermutungen oder bloße Möglichkeiten gestützt werden. Die Feststellung,<br />

dass zwischen Warenwert <strong>und</strong> Transportkosten des sichergestellten Pakets ein "auffälliges Missverhältnis" bestand,<br />

setzte voraus, dass die genannten Werte bekannt waren. Hierzu hätten einerseits die Transportkosten, andererseits der<br />

Wert des legalen Paketinhalts, bei Schätzungen deren Gr<strong>und</strong>lagen mitgeteilt werden müssen. Der Hinweis, die Polizeibeamten<br />

hätten den ihnen in Pakistan gezeigten Teppich sowie das Brettspiel als "minderwertig" bezeichnet,<br />

reichte hierzu nicht aus, denn das Urteil enthält außer dieser allgemeinen Bewertung keinerlei Hinweise darauf, aufgr<strong>und</strong><br />

welcher Sachk<strong>und</strong>e <strong>und</strong> anhand welcher Kriterien die Beurteilung stattgef<strong>und</strong>en hat. Auch der Hinweis, das<br />

Gericht habe die Minderwertigkeit des Brettspiels selbst auf einem Lichtbild erkannt, reichte insoweit ohne Mitteilung<br />

der Anknüpfungstatsachen nicht aus.<br />

3. Ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler lässt sich nicht ausschließen. Die Beweiswürdigung weist die Besonderheit<br />

auf, dass die Feststellung aller wesentlichen Umstände der Tat auf Schlussfolgerungen beruht, deren<br />

Gr<strong>und</strong>lage ihrerseits teilweise unsicher ist. Selbst wenn man annimmt, dass die in dem Paket in Pakistan sichergestellten<br />

Gegenstände, deren weiterer Verbleib offenbar insgesamt fraglich ist, mit den Gegenständen identisch waren,<br />

welche den deutschen Polizeibeamten "präsentiert" wurden (UA S. 13), <strong>und</strong> wenn man die Annahme akzeptiert, die<br />

Polizeibeamten hätten die ihnen gezeigte, später wieder verschw<strong>und</strong>ene Substanz durch bloßen Augenschein zuverlässig<br />

als Heroingemisch erkannt, so konnte doch jedenfalls die Feststellung der "Minderwertigkeit" eines Teppichs<br />

in Pakistan nicht allein auf einen bloßen "Eindruck" von Zeugen gestützt werden, deren Sachk<strong>und</strong>e das Urteil nicht<br />

darlegt. Der neue Tatrichter wird, wenn es hierauf ankommt <strong>und</strong> die Gegenstände nicht mehr zur Verfügung stehen,<br />

die Zuziehung eines Sachverständigen bei der Inaugenscheinnahme der Lichtbilder zu erwägen haben.<br />

129


StPO § 261 Inbegriff der Verhandlung - Irrtum in der Bezeichnung der Rüge als Sach- oder Verfahrensrüge<br />

BGH, Urt. vom 16.10.2006 – 1 StR 180/06 - NJW 2007, S. 92 ff. = JR 2007, 172 (Anm. Kretschmer)1<br />

Mit der Verfahrensbeschwerde kann geltend gemacht werden, dass eine verlesene Urk<strong>und</strong>e oder<br />

Erklärung unvollständig oder unrichtig im Urteil gewürdigt worden sei.<br />

Dass der Beschwerdeführer seine Beanstandung im Zusammenhang mit seinen Darlegungen zur<br />

Sachrüge <strong>und</strong> ohne ausdrücklichen Hinweis auf § 261 StPO vorgetragen hat, ist unerheblich.<br />

Entscheidend ist die wirkliche rechtliche Bedeutung des Revisionsangriffs, wie er dem Sinn <strong>und</strong><br />

Zweck des Revisionsvorbringens zu entnehmen ist; eine Bezeichnung der verletzten Gesetzesvorschrift<br />

ist nicht erforderlich.<br />

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom<br />

6. Oktober 2005 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch<br />

über die Kosten der Rechtsmittel an eine andere als Schwurgericht tätige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht Karlsruhe hatte den Angeklagten am 16. Januar 1998 wegen versuchten Totschlags zu der Freiheitsstrafe<br />

von elf Jahren verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten verwarf der B<strong>und</strong>esgerichtshof<br />

mit Beschluss vom 12. August 1998. Nach Wiederaufnahme des Verfahrens hat nunmehr das Landgericht<br />

Mannheim das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 16. Januar 1998 aufgehoben <strong>und</strong> den Angeklagten freigesprochen.<br />

Gegen diesen Freispruch wenden sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> der Nebenklägerin mit Rügen<br />

der Verletzung materiellen <strong>und</strong> formellen Rechts. Die Rechtsmittel haben mit der Sachrüge Erfolg. Die Beweiswürdigung<br />

der Strafkammer ist nicht frei von Rechtsfehlern. Erfolg hat auch eine Verfahrensrüge (Verstoß gegen § 261<br />

StPO) der Nebenklägerin. Auf die weiteren Verfahrensrügen kommt es nicht mehr an.<br />

I. Dem Angeklagten H. W. wird vorgeworfen, seine Ehefrau A. , geborene Z. , von der er getrennt lebte, in den frühen<br />

Morgenst<strong>und</strong>en des 29. April 1997 - zwischen 2.00 Uhr <strong>und</strong> 3.00 Uhr - in deren Wohnung mit einem Schal<br />

stranguliert <strong>und</strong> so versucht zu haben, sie zu töten.<br />

1. Die Strafkammer hat dazu Folgendes festgestellt: A. W. , nach Scheidung der Ehe - <strong>und</strong> deshalb auch im Folgenden<br />

- wieder Z. , war am 7. März 1996 aus der ehelichen Wohnung in der B. straße in G. ausgezogen. Sie wohnte<br />

schließlich - seit Februar 1997 - in der Erdgeschosswohnung des elterlichen Reihenhauses in der E. straße in Bi. . Ihr<br />

Vater, Wo. Z. , übernachtete häufig in der darunter liegenden Einliegerwohnung. In dieser Souterrainwohnung hatten<br />

auch der Angeklagte <strong>und</strong> seine Frau zu Beginn ihrer Ehe kurzfristig - von September bis Weihnachten 1994 - gewohnt.<br />

Erneut hatte die Geschädigte dort unmittelbar nach der Trennung vorübergehend - von März bis Mai 1996 -<br />

Unterschlupf gef<strong>und</strong>en. Die Wohnungen sind durch die Kellertreppe verb<strong>und</strong>en. Im Schlafzimmer der Erdgeschosswohnung<br />

hatte sich A. Z. in der Nacht vom 28. auf den 29. April 1997 zu Bett begeben, einem Doppelbett in dem<br />

auch der damals zwei Jahre <strong>und</strong> einen Monat alte gemeinsame Sohn K. schlief. Spätestens kurz vor 2.18 Uhr betrat<br />

eine der Geschädigten bekannte männliche Person die Wohnung. Zugang hatte sich der Mann entweder mit Hilfe<br />

eines Schlüssels verschafft oder er war von A. Z. selbst eingelassen worden. Ein Einbruch scheidet aus. Im Wohnzimmer<br />

kam es zu einem Streit, in deren Verlauf der Mann laut <strong>und</strong> erregt drohte: „Ich bring’ dich um, ich schlag<br />

dich tot - mit mir kannsch du des nett machen!“ A. Z. erwiderte mit weinerlicher, wimmernder Stimme: „Was<br />

willsch’en von mir - i heb dir doch nix getan!" In dieser Zeit - so die Strafkammer - entschloss sich der Besucher, A.<br />

Z. , die sich zwischenzeitlich in ihr Schlafzimmer begeben hatte, zu töten. Der Mann zog sich zwei aus einer Plastiktüte<br />

entnommene Vinyleinweghandschuhe über <strong>und</strong> schlang einen Wollschal aus der Wohnung der Geschädigten um<br />

deren Hals, zog dessen Enden mindestens zwei Minuten lang kräftig zusammen, bis A. Z. , die sich wehrte, das Bewusstsein<br />

verlor. Der Täter schleppte sein Opfer in den Flur. Dann wurde er vom Vater der Geschädigten gestört, der<br />

an diesem Tag in der darunter befindlichen Einliegerwohnung übernachtete. Um 2.34 Uhr war er durch Poltergeräusche,<br />

als deren Ursache er Möbelrücken im Zusammenhang mit laufenden Renovierungsarbeiten seiner Tochter<br />

vermutete, geweckt worden <strong>und</strong> wollte sich bei seiner Tochter über diese nächtliche Störung beschweren, weshalb er<br />

die Treppe zur Erdgeschosswohnung hoch stieg. Dem Täter gelang es jedoch, die Kellertüre der Wohnung der Geschädigten<br />

zuzuschlagen <strong>und</strong> durch die Haupteingangstür der Erdgeschosswohnung unerkannt zu entkommen. Wo.<br />

130


Z. befreite seine Tochter von der Strangulation. A. Z. überlebte zwar. Aufgr<strong>und</strong> der zeitweisen Unterbrechung der<br />

Blutzufuhr <strong>und</strong> damit der Sauerstoffversorgung des Gehirns wurden dessen Nervenzellen jedoch dauerhaft so schwer<br />

<strong>und</strong> weitreichend geschädigt, dass sich die heutige Hirnfunktion im Wesentlichen auf vegetative Funktionen beschränkt.<br />

Die Strafkammer vermochte sich nicht mit der für die Verurteilung notwendigen Sicherheit davon zu überzeugen,<br />

dass der Angeklagte der nächtliche Besucher <strong>und</strong> damit der Täter war.<br />

II. Zu den Gr<strong>und</strong>lagen des Tatverdachts:<br />

1. A. Z. konnte zur Aufklärung der Tat nichts mehr beitragen. Sie ist aufgr<strong>und</strong> der erlittenen Schädigungen nicht<br />

mehr in der Lage, Sachverhalte aufzunehmen, sinnvoll zu verarbeiten <strong>und</strong> hierauf zu reagieren. Kommunikation, sei<br />

es sprachlich, schriftlich oder auch nur mimisch ist mit ihr nicht mehr möglich.<br />

2. Der zur Tatzeit zweijährige Sohn K. W. hat aus entwicklungspsycho-logischen Gründen (kindliche Amnesie)<br />

keine Erinnerung mehr an die damaligen Geschehnisse <strong>und</strong> entfiel damit für die Hauptverhandlung vor dem Landgericht<br />

ebenfalls als geeigneter Zeuge.<br />

3. Auf den Angeklagten fiel der Tatverdacht insbesondere aufgr<strong>und</strong> folgender Erkenntnisse:<br />

A) Den Gründen des angefochtenen Urteils des Landgerichts Mannheim ist dazu zu entnehmen:<br />

a) Es war ein Mann, der A. Z. zu töten versuchte.<br />

b) Der Täter war mit der Geschädigten bekannt. Eine Beziehungstat lag nahe. Die Geschädigte betrieb die Scheidung.<br />

In diesem Zusammenhang kam es zu Auseinandersetzungen, insbesondere über das Umgangsrecht des Angeklagten<br />

mit dem Sohn K. . Dies hätte Anlass zu auch körperlichen Angriffen geben können.<br />

c) Am Tatort fanden sich zwei Finger von Vinyleinweghandschuhen, einer im Bett von A. Z. , einer im Flur. Sie<br />

stammen von zwei Einweghandschuhen unterschiedlicher Größe, die der Täter bei der Tat trug, <strong>und</strong> wurden beim<br />

Kampf - das Doppelbett wurde verschoben - zwischen dem Täter <strong>und</strong> der Geschädigten abgerissen. Denn an der<br />

Außenseite beider Teile fanden sich ausschließlich DNA-Anhaftungen, die von der Geschädigten stammen. An der<br />

Innenseite der Fingerteile wurde jeweils eine DNA-Mischspur gesichert, die Merkmale von mehreren, auch unbekannten<br />

Personen enthalten. Nur die DNA des Angeklagten <strong>und</strong> der Geschädigten konnte in beiden Fingern festgestellt<br />

werden. In einem der abgerissenen Handschuhfinger (der im Flur) waren sämtliche Merkmale der DNA des<br />

Angeklagten zu finden.<br />

d) Der Angeklagte trägt wegen der Schmerzempfindlichkeit zweier teilamputierter Finger im Alltagsleben häufig<br />

Einwegplastikhandschuhe, über die er in seiner Wohnung auch in großer Zahl verfügte.<br />

e) Am Tatort fand sich im Flur eine Plastiktüte, stammend von der Stadtapotheke P. , darin ein olivfarbenes Dreieckshalstuch,<br />

ein Baumwolltaschentuch, ein Latexeinmalhandschuh, vier Vinyleinweghandschuhe, eine Zigarettenschachtel<br />

der Marke „Marlboro-Lights“ mit sieben Gramm Amphetamin, verpackt in sieben verschweißten Plastiktütchen,<br />

sowie eine rote Zigarettenschachtel der Marke „Marlboro“, die auf der Vorder- <strong>und</strong> Rückseite jeweils von<br />

Hand mit einem Kreuz markiert war <strong>und</strong> drei aufgeschnittene <strong>und</strong> wieder verklebte Folienbeutel aus Cellophan-<br />

Umverpackungen von Zigarettenschachteln enthielt. Das Dreieckshalstuch, das Baumwolltaschentuch <strong>und</strong> die Vinyleinweghandschuhe<br />

stammen - so wurde festgestellt - aus dem Haushalt des Angeklagten.<br />

f) An den Enden des zur Strangulierung verwendeten Wollschals fanden sich DNA-Mischspuren. Auch hier kommt<br />

der Angeklagte als Miturheber in Betracht.<br />

g) An einer Jeanshose der Geschädigten, die am Tatort - im Flur auf dem Boden liegend - sichergestellt wurde, fand<br />

sich eine DNA-Mischspur. Der Angeklagte kommt als Mitverursacher in Betracht.<br />

h) Als die Wohnung des Angeklagten am Tattag durchsucht wurde, fanden sich im Badezimmer - in der Badewanne<br />

ausgebreitet - ein T-Shirt <strong>und</strong> eine Jogginghose, die noch nass waren.<br />

i) Während des Ermittlungsverfahrens legte der Angeklagte am 13. Mai 1997 den Ermittlungsbeamten der Polizei<br />

gegenüber ein pauschales Geständnis ab. Zu Einzelheiten befragt verwickelte er sich allerdings in Widersprüche. Der<br />

Angeklagte widerrief sein Geständnis alsbald wieder, es habe sich um ein „Gefälligkeitsgeständnis“ gehandelt, zu<br />

dem Mitgefangene ihm geraten hätten.<br />

j) Des weiteren ergaben sich während der - neuen - Hauptverhandlung vor dem Landgericht Mannheim folgende<br />

belastende Aspekte:<br />

aa) Der Angeklagte behauptete (erstmals), er habe seinen Sohn an dessen zweitem Geburtstag am 6. März 1997 in<br />

der E. straße besucht. Dieser Besuch sei harmonisch verlaufen. Er habe mit K. gespielt <strong>und</strong> mit ihm unter anderem -<br />

zusammen mit A. Z. - Blumenzwiebeln im Garten des Anwesens gepflanzt. Bei dieser Gelegenheit habe er wie üblich<br />

zum Schutz seiner kälteempfindlichen, teilamputierten Finger Einmalhandschuhe getragen. Diese habe er anschließend<br />

im Anwesen E. straße auf dem gemauerten Grill der Terrasse zurückgelassen. Dieser Besuch fand nach<br />

den Feststellungen des Landgerichts tatsächlich nicht statt. K. war an seinem zweiten Geburtstag krank, da er tags<br />

zuvor eine Erdnuss verschluckt hatte, die im Krankenhaus aus dem linken Hauptbronchus entfernt worden war.<br />

131


) Darüber hinaus hat der Angeklagte Teile seiner Einlassung vor dem Landgericht Karlsruhe wahrheitswidrig<br />

widerrufen. So stellte er beispielsweise erstmals in der neuen Hauptverhandlung in Abrede, jemals ein olivfarbenes<br />

Dreieckshaltstuch, wie es am Tatort in der weißen Kunststofftüte aufgef<strong>und</strong>en wurde, besessen zu haben. Dies ist<br />

nach den Feststellungen der Strafkammer widerlegt.<br />

B) Hinzu kommt ein weiterer Umstand, der in den Urteilsgründen zwar nicht erwähnt ist, dem Revisionsgericht aber<br />

in der Revisionsbegründungsschrift der Nebenklägerin mitgeteilt wird. Danach war Gegenstand der Hauptverhandlung<br />

das im Internet veröffentlichte Dokument „H. s Tagebuch“ (eingeführt im Wege des Selbstleseverfahrens gemäß<br />

§ 249 Abs. 2 StPO), unter anderem mit folgendem Eintrag zum Inhalt eines beschlagnahmten Briefs des Angeklagten<br />

an seine damalige Fre<strong>und</strong>in:<br />

„Samstag, 03.05.1997 1. Brief an C. (beschlagnahmt) Ich hoffe Du bekommst diesen Brief, wenn es auch über Umwege<br />

ist. Scheiß egal. Die wollen mich verurteilen wegen 1. Einbruch, 2. versuchter Mord mit einem B-W-Schal, 3.<br />

Drogen. Alle roten Pullis sind sichergestellt worden. Wenn sie sagt, „ja, er war’s“ bin ich für Jahre im Knast. Gestern<br />

Mittag habe ich nichts zu essen bekommen (wegen der Fahrt von P nach He. ). Abends, Wurst mit trockenem Brot."<br />

(Unterstreichung nur in der Revisionsbegründung) Die Mitteilung dieses Sachverhalts erfolgt zwar im Zusammenhang<br />

mit Ausführungen zur Sachrüge. Der Sache nach ist dies jedoch eine - zulässig erhobene - Rüge der Verletzung<br />

des § 261 StPO (Inbegriffsrüge).<br />

III. Die Beweiswürdigung der Strafkammer:<br />

1. Die Strafkammer hat die oben genannten unter II. 3. A aufgeführten Indizien entweder nicht bestätigt gesehen <strong>und</strong><br />

im Übrigen als nicht ausreichend zur Überzeugungsbildung hinsichtlich einer Täterschaft des Angeklagten bewertet.<br />

a) Die Strafkammer hat insbesondere ausgeschlossen, dass der Täter - dies müsste dann der Angeklagte gewesen sein<br />

- die Plastiktüte, aus der er die Einweghandschuhe entnahm, in der Tatnacht mitbrachte, „es war nicht der Angeklagte,<br />

der diese Tüte in das Tatortanwesen brachte“. Das Landgericht ist vielmehr zu dem Ergebnis gekommen, dass A.<br />

Z. die weiße Plastiktüte - derartige Tüten wurden von der Stadtapotheke P. ab Juni 1995 ausgeteilt - mit den vom<br />

Angeklagten stammenden Gegenständen, nämlich dem Dreieckstuch, dem Taschentuch sowie den Einweghandschuhen,<br />

bei ihrem Auszug aus der ehelichen Wohnung im März 1996 mitnahm, also schon vor der Tat bei sich verwahrt<br />

hatte, <strong>und</strong> dass sie selbst dann die beiden Zigarettenschachteln <strong>und</strong> das Amphetamin in die Tüte legte. Denn die<br />

Zigarettenschachteln stammten - so hat die Strafkammer festgestellt - nicht vom Angeklagten, sondern von der Geschädigten,<br />

die eine der Schachteln mit einem Kreuz markiert hatte. Dies schließt das Landgericht aus den Bek<strong>und</strong>ungen<br />

von Zeugen, wonach die Geschädigte zuweilen Haschisch <strong>und</strong> Marihuana konsumiert, entsprechend markierte<br />

Zigarettenschachteln „zur Aufbewahrung weicher Drogen genutzt“ <strong>und</strong> „noch im Jahre 1994 gelegentlich Zigarettenschachteln<br />

mit einem Kreuz markiert“ habe. Außerdem „war die markierte Zigarettenpackung vom Tatort erst<br />

sieben Monate nach der Trennung der Eheleute W. - im Oktober 1996 - in den Handel gelangt“. „Die Kammer hat<br />

weiter keinen Anhaltspunkt dafür gef<strong>und</strong>en, dass der Angeklagte, der in der Hauptverhandlung unwiderlegt erklärt<br />

hat, von der Eigenart seiner geschiedenen Ehefrau, Zigarettenschachteln gelegentlich mit einem Kreuz zu markieren,<br />

nichts gewusst zu haben, auf sonstige Weise in den Besitz der von A. Z. markierten Zigarettenschachteln gekommen<br />

sein könnte". Die Strafkammer hat dann noch ausgeschlossen, dass der Angeklagte das in der Tüte befindliche Amphetamin<br />

„unterschieben“ wollte, um anschließend nach einer „inszenierten“ Aufdeckung eines vermeintlichen Betäubungsmittelbesitzes<br />

seiner Frau im Scheidungsverfahren die von ihm gewünschte Ausweitung seines Umgangsrechts<br />

mit seinem Sohn zu erreichen, zumal es hierzu keines nächtlichen Besuches bedurft hätte.<br />

b) Hinsichtlich der DNA-Spuren, die vom Angeklagten stammten bzw. herrühren können, hat die Strafkammer jeweils<br />

angenommen, dass der Angeklagte diese Spuren zu anderer Zeit ohne Bezug zur Tat hinterlassen haben kann.<br />

Die Einweghandschuhe konnte er schon früher benutzt haben. Mit dem Wollschal <strong>und</strong> mit der Jeanshose konnte er<br />

aufgr<strong>und</strong> familiärer Kontakte ebenfalls auf andere Art <strong>und</strong> Weise vorher in Berührung gekommen sein.<br />

c) Da die in den abgerissenen Fingerteilen der Einweghandschuhe sichergestellte DNA-Mischspur Merkmale von<br />

drei beziehungsweise vier Menschen, darunter von einer nicht bekannten Person enthalte <strong>und</strong> zudem nicht jede Berührung<br />

zur Hinterlassung von Hautpartikeln führen müsse - so die sachverständig beratene Strafkammer -, kommen<br />

weitere, auch unbekannte Personen als Täter in Betracht.<br />

d) Einen Schlüssel zur einmal auch von ihm genutzten Wohnung in der E. straße hatte der Angeklagte nach den<br />

Feststellungen des Landgerichts nicht mehr.<br />

e) Die - wechselnde - Erklärung des Angeklagten zu den nassen Kleidungsstücken in der Badewanne (Hantieren mit<br />

Heizöl oder Duschen) nimmt die Strafkammer hin.<br />

f) Im Aussageverhalten des Angeklagten - behaupteter Besuch beim Sohn K. in der E. straße , Widerruf von Angaben<br />

in der ersten Hauptverhandlung - sieht die Strafkammer sein Bestreben, einer erneuten - falschen - Verurteilung<br />

zu entgehen, weshalb er auch Zuflucht zu falschen Einlassungen genommen haben mag.<br />

132


g) Dem im Mai 1997 abgelegten <strong>und</strong> dann widerrufenen Pauschalgeständnis maß die Strafkammer keine belastende<br />

Beweisbedeutung zu. Die ergänzenden Angaben des Angeklagten zum Tatgeschehen waren falsch oder widersprüchlich.<br />

Das Landgericht folgt der Einlassung des Angeklagten, dass er dieses falsche Geständnis seinerzeit abgegeben<br />

habe, „weil er endlich Ruhe vor den Ermittlungsbehörden habe haben wollen <strong>und</strong> im Übrigen auf ein mildes Urteil<br />

gehofft habe“.<br />

2. Mit dem Inhalt des in „H. s Tagebuch“ zitierten Brief, d.h. mit dem Satz „Wenn sie sagt, 'ja, er war’s' bin ich für<br />

Jahre im Knast“, hat sich die Strafkammer mit keinem Wort auseinandergesetzt, sie hat ihn nicht erwähnt.<br />

IV. 1. Die Revisionen haben mit der Sachrüge Erfolg. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist nicht frei von<br />

Rechtsfehlern. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht hat es gr<strong>und</strong>sätzlich hinzunehmen,<br />

wenn ein Angeklagter deshalb freigesprochen wird, weil das Instanzgericht Zweifel an der Täterschaft nicht zu<br />

überwinden vermag. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt<br />

oder Zweifel überw<strong>und</strong>en hätte. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler<br />

unterlaufen sind. Das ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich,<br />

unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze <strong>und</strong> gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Der Prüfung unterliegt<br />

auch, ob überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt worden sind (st.<br />

Rspr.; BGH NJW 2005, 1727; BGH, Urteil vom 16. März 2004 - 5 StR 490/03 -; BGH NStZ-RR 2003, 371; BGH<br />

NStZ 2002, 48; BGH NStZ-RR 2000, 171; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 33, jeweils m.w.N.). Ein<br />

Rechtsfehler kann auch darin liegen, dass eine nach den Feststellungen nicht nahe liegende Schlussfolgerung gezogen<br />

wurde, ohne dass konkrete Gründe angeführt sind, die dieses Ergebnis stützen könnten. Denn es ist weder im<br />

Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für<br />

deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte erbracht sind (vgl. BGH NJW 2005, 1727; NStZ-RR 2005, 147,<br />

148). Gemessen an diesen Gr<strong>und</strong>sätzen zeigen sich durchgreifende Mängel in der Beweiswürdigung des Landgerichts:<br />

a) Die Strafkammer ist zu dem Ergebnis gelangt, dass sich der Täter während der verbalen Auseinandersetzung spontan<br />

zur Tötung von A. Z. entschlossen hat. Mit der Möglichkeit einer schon früher geplanten, jedenfalls für den Fall<br />

des Eintritts bestimmter Umstände schon zuvor ins Auge gefassten Tat, setzt sich die Strafkammer in der Beweiswürdigung<br />

nicht auseinander. Die Erörterung dieser Variante hätte sich jedoch aufgedrängt. Denn konkrete Anhaltspunkte<br />

für eine Spontantat hat die Strafkammer nicht festgestellt. Allein aus der ausgestoßenen Drohung „Ich bring’<br />

dich um, ich schlag dich tot - mit mir kannsch du des nett machen!“ kann dies jedenfalls nicht geschlossen werden.<br />

Demgegenüber kann die Verwendung von Einweghandschuhen nach der Bewertung durch den Sachverständigen<br />

KHK D. in seiner Fallanalyse in den vom Landgericht festgestellten Tatablauf nicht ohne weiteres eingepasst werden.<br />

Der Charakter der Tat als eskaliertes soziales Geschehen spreche dagegen, dass der Täter Handschuhe überlegt<br />

vor dem Angriff auf das Opfer angelegt habe. Dies liegt an sich auf der Hand. Gleichwohl meint das Landgericht<br />

lapidar: „Diesem - keinesfalls zwingenden - Schluss des Sachverständigen schließt sich die Kammer jedoch aufgr<strong>und</strong><br />

der bereits dargelegten Beweisergebnisse nicht an“. Die gebotene Erörterung der zumindest ebenso nahe liegenden<br />

Möglichkeit einer geplanten Tat hätte jedoch die übrigen Beweisumstände in einem völlig anderen Licht erscheinen<br />

lassen können.<br />

b) In der Konsequenz dieser verkürzten Sichtweise unterlässt das Landgericht die gebotene Erörterung eines weiteren<br />

Punktes: Die Strafkammer schließt zwar - von ihrem Standpunkt aus - ohne Rechtsfehler aus, dass der Angeklagte<br />

die Absicht hatte, der Geschädigten die Amphetamine mitten in der Nacht „unterzuschieben“, um so Vorteile im<br />

Streit um das Umgangsrecht mit K. zu gewinnen. Das Landgericht erörtert aber nicht die bei einer geplanten Tat<br />

nahe liegende Möglichkeit, dass mit dem Betäubungsmittel eine falsche Spur hinsichtlich des potentiellen Täterkreises<br />

gelegt werden sollte.<br />

c) Gr<strong>und</strong>lage der verkürzten Sicht der Strafkammer ist, dass sie „aufgr<strong>und</strong> der mit einem Kreuz markierten Marlboroschachtel<br />

[davon ausgeht], dass sich die am Tatort sichergestellte weiße Kunststofftüte der Stadtapotheke P. früher<br />

im Besitz von A. Z. befand“; „es war nicht der Angeklagte, der diese Tüte in der Tatnacht in das Tatortanwesen<br />

brachte“. Die Feststellung, die Zigarettenschachteln <strong>und</strong> das Amphetamin stammten von A. Z. , beruht jedoch ihrerseits<br />

auf einer fehlerhaften (lückenhaften) Beweiswürdigung, da wesentliche Aspekte unerörtert geblieben sind. Für<br />

die Strafkammer folgt der Besitz der Geschädigten an den Zigarettenschachteln <strong>und</strong> am Amphetamin aus den Angaben<br />

von Zeugen, wonach A. Z. Rauschmittel konsumierte <strong>und</strong> dieses in mit Kreuzen gekennzeichneten Zigarettenschachteln<br />

verwahrte. Erwähnt, aber nicht in die Beweiswürdigung einbezogen hat die Strafkammer, dass die entsprechenden<br />

Beobachtungen spätestens im Jahre 1994/Januar 1995 endeten <strong>und</strong> sich die Bek<strong>und</strong>ungen, soweit sie<br />

glaubhaft waren, nur auf den - gelegentlichen - Konsum von Marihuana <strong>und</strong> Haschisch bezogen, nicht aber auf Amphetamine.<br />

Mit der Variante, der Angeklagte könnte in Kenntnis der (früheren) Übung seiner Frau die Zigarettenschachtel<br />

- als Täter - zu Täuschungszwecken selbst entsprechend vorbereitet haben, setzt sich die Strafkammer bei<br />

133


weitem nicht erschöpfend auseinander: „Die Kammer hat weiter keinen Anhaltspunkt dafür gef<strong>und</strong>en, dass der Angeklagte,<br />

der in der Hauptverhandlung unwiderlegt erklärt hat, von der Eigenart seiner geschiedenen Ehefrau, Zigarettenschachteln<br />

gelegentlich mit einem Kreuz zu markieren nichts gewusst zu haben, auf sonstige Weise in den<br />

Besitz der von A. Z. markierten Zigarettenschachteln gekommen sein könnte.“ Die - nur nebenbei erwähnte - Einlassung<br />

des Angeklagten, er habe die Angewohnheit seiner Frau, Zigarettenschachteln gelegentlich mit einem Kreuz zu<br />

markieren, nicht gekannt, hätte den Feststellungen nicht ohne genaueres Hinterfragen zugr<strong>und</strong>e gelegt werden dürfen.<br />

Denn das Gegenteil liegt nahe, wenn diese Gewohnheit selbst im Bekanntenkreis nicht verborgen blieb. Es ist<br />

weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten allein seinen Angaben<br />

folgend eher fern liegende Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte erbracht<br />

sind. In diesem Zusammenhang hätte es auch nahe gelegen, den Fragen nachzugehen, ob der Angeklagte selbst Betäubungsmittel<br />

konsumierte, ob er in den Wochen vor der Tat Kontakt zu Betäubungsmittelhändlern hatte, ob er<br />

rauchte, gegebenenfalls welche Marke. Fanden sich Zigarettenschachteln in der Wohnung des Angeklagten, waren -<br />

gegebenenfalls - bei diesen dann die Cellophan-Umverpackungen noch vorhanden? Nutzte er sie als Behältnisse<br />

auch für andere Dinge? Dass die Geschädigte, sofern sie die Plastiktüte bei ihrem Auszug aus der ehelichen Wohnung<br />

mitnahm, damit dann noch zwei Mal umzog, bewertet die Strafkammer ebenfalls nicht.<br />

d) Die Strafkammer würdigt weiter nicht, dass es außer dem Angeklagten <strong>und</strong> dem Tatopfer keine Person gibt, die<br />

Spuren an den Innenseiten beider abgerissener Fingerteile, die von beiden Einmalhandschuhen stammen, hinterlassen<br />

hat.<br />

e) Dass die vom Täter verwendeten Vinyleinmalhandschuhe aus einer vom Tatopfer selbst in ihrer Wohnung verwahrten<br />

Kunststofftüte entnommen worden seien, folgert die Strafkammer auch daraus, dass sich A. Z. zuordenbare<br />

DNA-Spuren an der Innenseite der aufgef<strong>und</strong>enen Fingerteile fanden. „Dies lasse den Schluss zu, …. dass das Opfer<br />

die Handschuhe bereits vor der Tat in Besitz gehabt <strong>und</strong> selbst getragen habe.“ Dies ist zwar für sich betrachtet ein<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich möglicher <strong>und</strong> dann revisionsrechtlich hinzunehmender Schluss. Hier hätte es aber der Erörterung<br />

bedurft, warum die Strafkammer damit inzident die bloße Verschleppung von Hautepithelzellen des Opfers ausschließt,<br />

eine Möglichkeit, die sie hinsichtlich der DNA-Spuren anderer Personen in den Fingerteilen selbst anspricht.<br />

f) Selbst wenn es sich um eine Spontantat handelte <strong>und</strong> die Tüte, aus der der Täter die Einweghandschuhe entnahm,<br />

sich schon längere Zeit im Besitz der Geschädigten befand, war dem Angeklagten die Existenz der Plastikhandschuhe<br />

in der Tüte jedenfalls bekannt, während dies bei anderen potentiellen Tätern eher fern liegt. Ihm war damit ein<br />

rascher Zugriff am ehesten möglich. Dies könnte auch bei einer Spontantat für seine Täterschaft sprechen, was jedenfalls<br />

der Erörterung bedurft hätte.<br />

g) Bei der Bewertung der in der Badewanne des Angeklagten am 29. April 1997 vorgef<strong>und</strong>enen Kleidungsstücke<br />

lässt die Strafkammer unerörtert, dass der Nässegrad zum Zeitpunkt der Durchsuchung nur schwer mit seiner ursprünglichen<br />

Einlassung vereinbar ist, wonach er diese am Tag vor der Tat (bis 16.00 Uhr) wegen Heizölgeruchs<br />

„oberflächlich ausgewaschen“ hat. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> könnte die neue, in der Hauptverhandlung vor dem<br />

Landgericht Mannheim vorgetragene Einlassung, er könne sich nicht mehr erinnern, ob er die Kleidungsstücke ausgewaschen<br />

habe oder ob sie, nachdem er sie wegen ihres Geruchs in die Badewanne gelegt hatte, beim Haare waschen<br />

oder Duschen nass geworden sind, in einem anderen Licht erscheinen. Auch dies hätte der Erörterung bedurft.<br />

2. Erfolg hat neben der Sachrüge - rechtsfehlerhafte Beweiswürdigung - auch die von der Nebenklägerin - der Sache<br />

nach - zulässig erhobene Formalrüge der Verletzung des § 261 StPO, Nichtverwertung des gemäß § 249 Abs. 2 StPO<br />

als Inhalt von „H. s Tagebuch“ eingeführten Briefes (Original in Ordner III Seite 139) des Angeklagten, den er „über<br />

Umwege“ an seine Fre<strong>und</strong>in C. schicken wollte. Mit der Verfahrensbeschwerde kann geltend gemacht werden, dass<br />

eine verlesene Urk<strong>und</strong>e oder Erklärung unvollständig oder unrichtig im Urteil gewürdigt worden sei (BGHR StPO §<br />

261 Inbegriff der Verhandlung 30; Wahl, Prüfung des rechtlichen Gehörs durch das Revisionsgericht, Sonderheft G.<br />

Schäfer S. 73 f.). Dass der Beschwerdeführer seine Beanstandung im Zusammenhang mit seinen Darlegungen zur<br />

Sachrüge <strong>und</strong> ohne ausdrücklichen Hinweis auf § 261 StPO vorgetragen hat, ist unerheblich. Denn ein Irrtum in der<br />

Bezeichnung der Rüge als Sach- oder Verfahrensrüge ist unschädlich, vorausgesetzt, dass der Inhalt der Begründungsschrift<br />

- wie hier - deutlich erkennen lässt, welche Rüge gemeint ist. Entscheidend ist die wirkliche rechtliche<br />

Bedeutung des Revisionsangriffs, wie er dem Sinn <strong>und</strong> Zweck des Revisions-vorbringens zu entnehmen ist; eine<br />

Bezeichnung der verletzten Gesetzesvorschrift ist nicht erforderlich (vgl. BGHSt 19, 273, 275, 279; BGH, Urteil<br />

vom 23. Mai 2006 - 5 StR 62/06 - Rdn. 7; Hanack in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 344 Rdn. 72; Kuckein in<br />

Karlsruher Kommentar zur StPO 5. Aufl. § 344 Rdn. 19; Meyer-Goßner StPO 49. Aufl. § 344 Rdn. 10). In der Revisionsbegründung<br />

werden die tatsächlichen Gr<strong>und</strong>lagen zu dieser Rüge umfassend vorgetragen. Dies genügt den<br />

Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Weitergehender Ausführungen bedarf es nicht (§ 352 Abs. 2 StPO). In<br />

der Revisionshauptverhandlung hat der Nebenklägervertreter auf Nachfrage bestätigt, dass er mit seiner Revisions-<br />

134


egründung die fehlende Verwertung des verlesenen Tagebuchabschnitts beanstanden wollte - Rüge der Verletzung<br />

des § 261 StPO -. Mit diesem Beweismittel von erheblichem Gewicht, mit dem entscheidenden Satz dieses Briefes<br />

„Wenn sie sagt, 'ja ich war’s’ bin ich für Jahre im Knast.“ hätte sich die Strafkammer im Rahmen der Beweiswürdigung<br />

auseinandersetzen müssen. Denn Anhaltspunkte dafür, die Geschädigte könnte den Angeklagten zu Unrecht<br />

belasten, wenn er nicht der Täter ist, <strong>und</strong> dass sie damit den wahren Angreifer vor Verfolgung schützen wollte, sind<br />

nach dem Inhalt der Urteilsgründe nicht ersichtlich, auch nicht dafür, dass der Angeklagte dies hätte befürchten müssen.<br />

Diese schriftliche Äußerung des Angeklagten könnte auch sein widerrufenes Pauschalgeständnis während seiner<br />

polizeilichen Vernehmung in einem anderen Licht erscheinen lassen. Dies hätte dann jedenfalls der Erörterung bedurft,<br />

wobei dann auch das sonstige Aussageverhalten (Offenbarung von Täterwissen?) zu bewerten gewesen wäre.<br />

Dass die Beweisbedeutung dieses den Angeklagten erheblich belastenden Satzes im Lauf der Hauptverhandlung vor<br />

der Strafkammer für alle Verfahrensbeteiligten offensichtlich entfallen sein könnte, so dass es einer Erörterung in<br />

den Urteilsgründen nicht mehr bedurft hätte, kann bei der Bedeutung dieses Beweismittels hier ausgeschlossen werden.<br />

3. Der Senat vermag deshalb nicht auszuschließen, dass die Strafkammer bei Vermeidung der aufgezeigten Fehler<br />

anders entschieden hätte. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung.<br />

StPO § 261, § 354 Abs. 1a Satz 1, StGB § 46 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1. Deal – Punktstrafe<br />

BGH, Beschl. vom 22.08.2006 – 1 StR 293/06 - NJW 2006, S. 3362 f.<br />

LS: Zur Anwendbarkeit von § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO bei einer Urteilsabsprache, die eine "Punktstrafe"<br />

zum Gegenstand hatte.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 22. August 2006 beschlossen: 1. Dem Angeklagten wird auf seinen<br />

Antrag gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart<br />

vom 31. Januar 2006 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Damit ist der Beschluss des Landgerichts<br />

Stuttgart vom 12. April 2006, mit dem die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil als unzulässig<br />

verworfen worden ist, gegenstandslos. 2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird als<br />

unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels <strong>und</strong> der Wiedereinsetzung.<br />

Gründe (zu 2.):<br />

Der Angeklagte gehörte einer Bande an, die in erheblichem Umfang mit großen, aus den Niederlanden eingeschmuggelten<br />

Rauschgiftmengen Handel getrieben hat. Die abgeurteilten Taten beziehen sich auf insgesamt mehr als<br />

25 kg Marihuana sowie in geringerem Umfang auch auf Kokain. Deshalb wurde er zu acht Jahren Gesamtfreiheitsstrafe<br />

verurteilt, wobei das Strafmaß auf einer verfahrensbeendenden Absprache beruht.<br />

I. Dem liegt, so die Revision, folgender Verfahrensgang zu Gr<strong>und</strong>e: Nach mehrtägiger Beweisaufnahme hatte das<br />

Gericht erstmals im Verfahren die Möglichkeit einer verfahrensbeendenden Absprache angesprochen. Bei einem<br />

danach außerhalb der Hauptverhandlung geführten Gespräch lagen „die Vorstellungen über das mögliche Strafmaß<br />

… zunächst erheblich auseinander“. Der „Vorschlag“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren kam seitens des<br />

Gerichts. In der Hauptverhandlung wurde der Inhalt dieses Gesprächs bekannt gegeben; ausweislich der Niederschrift<br />

der Hauptverhandlung bezeichnete das Gericht die genannte Strafe als „angemessen“, was unter Abwägung<br />

für <strong>und</strong> gegen den Angeklagten sprechender Umstände näher begründet wurde. Anschließend fand nur noch in sehr<br />

geringem Umfang Beweisaufnahme statt. Letztlich waren alle Verfahrensbeteiligten mit dem Vorschlag des Gerichts<br />

einverstanden. In seinen Schlussausführungen stellte der Verteidiger des Angeklagten keinen konkreten Antrag zur<br />

Strafhöhe. Mit seiner auf den Strafausspruch beschränkten Revision macht der Angeklagte geltend, das Gericht habe<br />

sich bereits vor der Urteilsberatung auf eine exakte Strafhöhe („Punktstrafe“) festgelegt.<br />

II. 1. Ob der geschilderte Protokollinhalt den Revisionsvortrag, das Gericht habe sich schon vor der Urteilsberatung<br />

letztlich unwiderruflich auf eine bestimmte Strafe festgelegt, zwingend belegt, mag dahinstehen. Immerhin könnte<br />

der Umstand, dass der Verteidiger in seinen Schlussausführungen keinen konkreten Antrag zur Strafhöhe gestellt hat,<br />

dahin deuten, dass er die Strafe in das seiner Ansicht nach noch bestehende Ermessen des Gerichts stellen wollte.<br />

Der Senat sieht jedoch von an sich möglichen freibeweislichen Ermittlungen (vgl. BGH NStZ 1999, 571, 572) ab. Er<br />

geht, ebenso wie die Generalb<strong>und</strong>esanwältin, vom Vorbringen der Revision aus: Die Staatsanwaltschaft hat in ihrer<br />

Revisionsgegenerklärung (§ 347 Abs. 1 Satz 2 StPO) dem Vorbringen der Revision nicht widersprochen, <strong>und</strong> auch<br />

das Gericht hat sich zu keiner dienstlichen Erklärung veranlasst gesehen (vgl. BGH StV 2000, 652, 653; StraFo<br />

2003, 379, 380).<br />

135


2. Revision <strong>und</strong> Generalb<strong>und</strong>esanwältin legen zutreffend dar, dass nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs<br />

hier § 261 StPO ebenso verletzt ist wie § 46 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StGB. Das Gericht kann zwar bei verfahrensbeendenden<br />

Absprachen eine Strafobergrenze nennen, es darf sich aber nicht auf eine exakte Strafhöhe („Punktstrafe“)<br />

festlegen (BGHSt 50, 40, 51 ; 43, 195, 206 f.; NStZ 1999, 571, 572; ebenso KG NStZ-RR<br />

2004, 175, 178); in der Regel wird auch nicht völlig auszuschließen sein, dass der Strafausspruch auf einer solchen<br />

schon vor den Schlussvorträgen der Verfahrensbeteiligten (§ 258 StPO) <strong>und</strong> der nachfolgenden Urteilsberatung (§<br />

260 Abs. 1 StPO) vorgenommenen Selbstbindung des Gerichts beruht (vgl. BGHSt 43, 195, 211). Hieran ändert sich<br />

auch dann nichts, wenn, wie hier, der Absprache eine längere Beweisaufnahme voranging <strong>und</strong>, wie hier ebenfalls, ihr<br />

Ergebnis mit abwägenden Erwägungen näher begründet wurde. Schließlich ändert sich auch nicht dadurch etwas,<br />

dass hier die Strafzumessungserwägungen des Urteils, die im Kern der Begründung des gerichtlichen Vorschlags<br />

entsprechen, so auch die Revision „für sich allein gesehen … wohl nicht beanstandet werden“ können (vgl. BGHSt<br />

43, 195, 211; KG aaO).<br />

3. Gleichwohl hat der Strafausspruch Bestand (§ 349 Abs. 2 StPO), da der Senat, entsprechend dem Antrag der Generalb<strong>und</strong>esanwältin,<br />

die Strafe trotz des aufgezeigten Mangels für angemessen hält, § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO.<br />

a) Die Revision macht demgegenüber geltend, hier stünden schon gr<strong>und</strong>sätzliche Erwägungen einer Anwendbarkeit<br />

von § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO entgegen.<br />

(1) So meint sie, wenn der Tatrichter „das ihm obliegende abschließende Beurteilungsermessen nicht ausgeübt“<br />

habe, sei „es gr<strong>und</strong>sätzlich erforderlich, die Sache an ihn zur Nachholung der rechtlich gebotenen Entscheidung<br />

zurückzugeben“. Einen derartigen Rechtsgr<strong>und</strong>satz gibt es nicht. Der Anwendung von § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO<br />

steht nicht entgegen, dass nicht festgestellt werden kann, dass der Tatrichter ohne den Fehler auf dieselbe Strafe<br />

erkannt hätte (vgl. BTDrucks. 15/3482 S. 21 f.; BGH NJW 2005, 913, 914; BGH, Beschluss vom 17. März 2006 - 1<br />

StR 577/05 m.w.N.). Dementsprechend kommt es nicht darauf an, ob hier die Strafkammer, hätte sie ihr „abschließendes<br />

Beurteilungsermessen“ ausgeübt, zu demselben oder zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Deshalb<br />

ist es auch nicht erforderlich, die Sache zur Nachholung dieses Ermessens an den Tatrichter zurückzuverweisen.<br />

(2) In ihrer Erwiderung auf den Antrag der Generalb<strong>und</strong>esanwältin (§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO) führt die Revision<br />

aus, obwohl die Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen (BGHSt 50, 40) „Gegenstand intensivster rechtlicher<br />

Diskussion (war,) … verhält sich die … Strafkammer …, als habe es den Beschluss des Großen Senats (<strong>und</strong> die<br />

vorangegangene Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs …) überhaupt nicht gegeben. Unter solchen Umständen<br />

verbietet sich die ‚alles verzeihende’ Anwendung von § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO.“ Der Senat kann dem nicht folgen.<br />

Einen Rechtssatz, dass § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO nicht anwendbar wäre, wenn der Tatrichter revisionsgerichtliche<br />

Rechtsprechung außer Betracht gelassen hat, gibt es nicht. Daran ändert sich auch nicht dadurch etwas, dass diese<br />

Rechtsprechung (ebenso wie ihre zu erwartende Übernahme in eine künftige gesetzliche Regelung, wie die Revision<br />

im Einzelnen dargelegt hat) in der Fachöffentlichkeit breit diskutiert wird. Im Übrigen hat der B<strong>und</strong>esgerichtshof<br />

wiederholt <strong>und</strong> in unterschiedlichen Zusammenhängen ausgesprochen, dass das Revisionsgericht den Tatrichter nicht<br />

zu „sanktionieren“ (BGH StV 2004, 196) oder zu „maßregeln“ (BGH NStZ-RR 2006, 112, 114 f.) hat. Dies gilt auch<br />

hier. Dementsprechend kann es für die Anwendbarkeit von § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO auch nicht darauf ankommen,<br />

ob der dem Tatrichter bei der Rechtsfolgenbestimmung unterlaufene Rechtsfehler „verzeihlich“ erscheint oder nicht.<br />

b) Auch sonst steht einer Entscheidung gemäß § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO nichts entgegen. Die im Urteil mitgeteilten<br />

Strafzumessungsumstände sind nicht lückenhaft oder unklar <strong>und</strong> ermöglichen dem Revisionsgericht die Prüfung <strong>und</strong><br />

Beantwortung der Frage, ob die Rechtsfolge angemessen ist (vgl. Senge in FS für Hans Dahs 2005, 475, 486). Ebenso<br />

wenig ist erkennbar, dass es hier im Einzelfall besonders auf den persönlichen Eindruck vom Angeklagten ankäme<br />

(vgl. BGH, Beschluss vom 17. März 2006 - 1 StR 577/05; BGH NJW 2005, 1813, 1814). Schließlich gibt es auch<br />

keine Anhaltspunkte für erst nach der Hauptverhandlung eingetretene <strong>und</strong> dementsprechend bisher nicht berücksichtigte<br />

Entwicklungen oder Ereignisse, die ein neuer Tatrichter nahe liegend feststellen <strong>und</strong> zu Gunsten des Angeklagten<br />

berücksichtigen würde (vgl. BGH StV 2005, 426).<br />

c) Unter Abwägung aller für die Strafzumessung bedeutender Urteilsfeststellungen <strong>und</strong> unter Berücksichtigung des<br />

gesamten hierauf bezogenen Vorbringens der Verfahrensbeteiligten hält der Senat aus den von der Generalb<strong>und</strong>esanwältin<br />

zutreffend im Einzelnen dargelegten Gründen sowohl die von der Strafkammer verhängten Einzelstrafen als<br />

auch die daraus von ihr gebildete Gesamtstrafe für angemessen.<br />

136


StPO § 265 Abs. 4, § 137 Abs. 1 S.1 - Fortbildungsinteresse des Verteidigers<br />

BGH, Beschl. vom 09.11.2006 – 1 StR 474/06 – JR 2007, 209 ff. m. Anm. Eidam<br />

1. Einzelfall einer erfolglosen Rüge eines Verstoßes gegen § 265 Abs. 4 StPO wegen Ablehnung des<br />

Aussetzungsantrags am letzten Verhandlungstag beziehungsweise gegen § 137 Abs. 1 Satz 1 StPO<br />

<strong>und</strong> gegen die Pflicht zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens durch Fortsetzung der Verhandlung<br />

am letzten Verhandlungstag ohne den Wahlverteidiger.<br />

2. Zum Vorrang des Beschleunigungsgebotes gegenüber dem Fortbildungsinteresse des Verteidigers.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 9. November 2006 beschlossen: Die Revision des Angeklagten<br />

gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 12. Mai 2006 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung<br />

des Urteils auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht Landshut hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln<br />

in nicht geringer Menge in neun Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Die<br />

Revision ist aus den in der Antragsschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts vom 13. September 2006 dargelegten Gründen<br />

unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Der ergänzenden Erörterung bedarf nur die Rüge eines Verstoßes<br />

gegen § 265 Abs. 4 StPO wegen Ablehnung des Aussetzungsantrags am letzten Verhandlungstag beziehungsweise<br />

gegen § 137 Abs. 1 Satz 1 StPO <strong>und</strong> gegen die Pflicht zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens durch Fortsetzung<br />

der Verhandlung am letzten Verhandlungstag ohne den Wahlverteidiger.<br />

I. Der Rüge liegt folgender Verhandlungsgang zugr<strong>und</strong>e:<br />

1. Vorgeschichte: Nach Zulassung der Anklage der Staatsanwaltschaft vom 8. November 2005 mit Eröffnungsbeschluss<br />

der Strafkammer vom 25. Januar 2006 war die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten K. - seit dem 27.<br />

März 2005 in Untersuchungshaft - <strong>und</strong> einen weiteren, ebenfalls inhaftierten Mitangeklagten auf den 6., 10. <strong>und</strong> 13.<br />

April 2006 terminiert worden. An diesen Tagen wurde dann auch verhandelt. Denn der am 30. März vorgetragenen<br />

Bitte des erst am 20. März 2006 vom Angeklagten neu beauftragten Wahlverteidigers, Rechtsanwalt M. , der das<br />

Mandat in Kenntnis der Terminierung angenommen hatte, die Hauptverhandlung um einen Monat zu verschieben,<br />

um ihm angesichts der Verständigungsschwierigkeiten mit dem Angeklagten <strong>und</strong> des umfangreichen Akten- <strong>und</strong><br />

Datenmaterials (insbesondere eine CD mit aufgezeichneten Telefonaten in 6.231 Dateien mit einem Speichervolumen<br />

von 450 MB) ausreichend Gelegenheit zur sachgerechten Vorbereitung zu geben, hatte der Vorsitzende nicht<br />

entsprochen, da - insbesondere - „die vom Verteidiger zutreffend vorgetragenen Vorlaufzeiten bis zum heutigen<br />

Beginn der Hauptverhandlung ausreichend sind, um sich in dem gebotenen Maß in die Sache einzuarbeiten <strong>und</strong> diese<br />

mit dem Mandanten zu besprechen. Ab Erhalt der Akteneinsicht standen RA M. immerhin noch 9 Tage zur Verfügung.<br />

Es ist dem Verteidiger zuzumuten, bei bekannt nahem Hauptverhandlungstermin kanzleiintern Organisationsmaßnahmen<br />

zu treffen, um dem neuen Mandat die gebotene Priorität einräumen zu können“. Außerdem bestellte der<br />

Vorsitzende der Strafkammer Rechtsanwalt G. , der den Angeklagten bis zum 23. Februar 2006 als Wahlverteidiger<br />

vertreten hatte <strong>und</strong> nach eigenem Bek<strong>und</strong>en mit „der aktuellen Verfahrenslage vertraut“ war, zum Pflichtverteidiger.<br />

„Der Angeklagte ist damit schon allein durch RA G. ordnungsgemäß verteidigt. Es kommt deshalb auf eine möglicherweise<br />

nicht ausreichende Vorbereitung des Verteidigers RA M. nicht an“. Am ersten Verhandlungstag fanden<br />

noch vor Anhörung der Angeklagten Gespräche über eine verfahrensabkürzende Vereinbarung statt, die ohne Ergebnis<br />

endeten, da der Angeklagte K. dem in den Raum gestellten Er-gebnis nicht zustimmte. Den dann von Rechtsanwalt<br />

M. gestellten - ersten - Aussetzungsantrag (§ 265 Abs. 4 StPO) - um ihm Gelegenheit zur sachgerechten Vorbereitung<br />

zu geben - lehnte die Strafkammer ab. Einen daraufhin gegen den Vorsitzenden der Strafkammer gestellten<br />

Befangenheitsantrag wies die Strafkammer in der Besetzung gemäß § 27 StPO als unbegründet zurück. Die Hauptverhandlung<br />

wurde daraufhin an den ursprünglich anberaumten Sitzungstagen in Anwesenheit beider Verteidiger<br />

fortgeführt. Am 13. April 2006 verfügte der Vorsitzende die Fortsetzung der Hauptverhandlung - über die ursprünglich<br />

vorgesehene Terminierung hinaus - am 4. Mai 2006.<br />

2. Das der Revisionsrüge zugr<strong>und</strong>e liegende Kerngeschehen: Während der Hauptverhandlung am 4. Mai 2006 ergab<br />

sich die Notwendigkeit der Vernehmung eines weiteren Zeugen. Der Vorsitzende teilte mit, dass die Hauptverhandlung<br />

deshalb am 12. Mai 2006 fortgesetzt <strong>und</strong> an diesem Tag dann auch mit den Plädoyers <strong>und</strong> der Urteilsverkün-<br />

137


dung zu Ende geführt werden solle. Ein anderer Termin sei seitens der Strafkammer nicht möglich, da diese wegen<br />

umfangreicher Schwurgerichtsverfahren „austerminiert“ sei. Während die übrigen Verfahrensbeteiligten - insbesondere<br />

der Verteidiger des Mitangeklagten sowie der Pflichtverteidiger des beschwerdeführenden Angeklagten K. ,<br />

Rechtsanwalt G. - dies akzeptierten, erklärte Rechtsanwalt M. , dass er an diesem Tag wegen der seit langem geplanten<br />

Teilnahme am XI. Frühjahrssymposium der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins<br />

in Karlsruhe verhindert sei. Gleichwohl verfügte der Vorsitzende nach kurzer Sitzungsunterbrechung Termin<br />

zur Fortsetzung der Hauptverhandlung auf Freitag, den 12. Mai 2006, 9.00 Uhr. Dem von Rechtsanwalt M. noch<br />

am 4. Mai 2006 schriftlich gestellten Verlegungsantrag entsprach der Vorsitzende nicht. Am 12. <strong>und</strong> 13. Mai nahm<br />

Rechtsanwalt M. am XI. Frühjahrssymposium der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins in<br />

Karlsruhe teil. In der Hauptverhandlung am 12. Mai war der Angeklagte K. nur durch seinen Pflichtverteidiger vertreten.<br />

Dieser beantragte zu Beginn des Termins die Aussetzung der Hauptverhandlung, da der Angeklagte die Verteidigung<br />

durch seinen Wahlverteidiger wünsche. Dies lehnte die Strafkammer durch Beschluss mit folgender Begründung<br />

ab: „Der Angeklagte K. ist im heutigen Termin durch seinen Pflichtverteidiger RA G. ausreichend vertreten.<br />

Die Abwesenheit des Wahlverteidigers am heutigen Tag beruht nach dessen eigener Mitteilung auf einem Fortbildungstermin.<br />

Verhandlungstermine in Haftsachen wie der vorliegenden gehen derartigen Verpflichtungen vor,<br />

zumal das Verfahren bereits fortgeschritten ist. Angesichts der Terminplanung der Kammer, die durch zahlreiche<br />

Termine in Haftsachen geprägt ist, kommt eine Unterbrechung auf dieser Tatsachengr<strong>und</strong>lage nicht in Betracht." Im<br />

Anschluss daran wurde ein Ermittlungsbeamter als Zeuge gehört, wurden die Schlussvorträge gehalten - für den<br />

Angeklagten K. plädierte der Pflichtverteidiger, Rechtsanwalt G. -, hatten die Angeklagten das letzte Wort <strong>und</strong> wurde<br />

das Urteil verkündet.<br />

II. 1. Es kann dahinstehen, ob die Revisionsbegründung zu dieser Rüge den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2<br />

StPO genügt oder ob sie mangels umfassenden Vortrags der den Mangel enthaltenden Tatsachen bereits unzulässig<br />

ist. So wird das Antwortschreiben des Vorsitzenden vom 5. Mai 2006 auf den schriftlichen Antrag des Beschwerdeführers<br />

vom 4. Mai 2006 auf Verlegung des auf den 12. Mai bestimmten Termins zwar in der Revisionsbegründung<br />

insoweit zutreffend erwähnt, dass dem Antrag nicht entsprochen werden könnte. Die Begründung hierzu wird jedoch<br />

nicht mitgeteilt, insbesondere nicht der entscheidende Satz: “Innerhalb der maximal möglichen Unterbrechungsfrist<br />

ist dem Gericht die Fortführung des Verfahrens aufgr<strong>und</strong> eines im übrigen voll belegten Terminplans nur am Freitag,<br />

12. Mai 2006 möglich“ (GA Bl. 988). Außerdem bleibt unerwähnt, dass der Vorsitzende bei der Vorsprache des<br />

Wahlverteidigers am 30. März 2006 mit der Bitte um Verschiebung der Hauptverhandlung um einen Monat auch<br />

äußerte, dass die Strafkammer „bis August“ austerminiert sei (GA Bl. 921). Der Beschwerdeführer muss jedoch alle<br />

für die Terminierung maßgeblichen Gesichtspunkte, auch soweit sie geeignet sind, seiner Rüge den Boden zu entziehen,<br />

darlegen (vgl. BVerfG - Kammer - Beschluss vom 27. September 2006 - 2 BvR 1377/06 -; Kuckein in Karlsruher<br />

Kommentar 5. Aufl. § 344 Rdn. 38 f. m.w.N.). Jedoch kann die Mitteilung, die Strafkammer sei „austerminiert“<br />

<strong>und</strong> im Mai sei eine Hauptverhandlung nicht möglich, dementsprechend dahingehend verstanden werden, dass dem<br />

Verlegungswunsch des Wahlverteidigers durch eine Fortsetzung der Hauptverhandlung an einem anderen Tag als<br />

dem 12. Mai 2006 innerhalb der Unterbrechungsfrist des § 229 Abs. 1 StPO nicht hätte Rechnung getragen werden<br />

können. Es hätte einer Aussetzung des Verfahrens gegen den Angeklagten K. <strong>und</strong> deren Neubeginn (§ 229 Abs. 4<br />

Satz 1 StPO) in mehreren Wochen, ja Monaten bedurft. Auf die weitergehende Mitteilung des genauen Wortlauts der<br />

Antworten kommt es dann letztlich im vorliegenden Fall wohl nicht mehr entscheidend an. Dies kann hier aber dahinstehen.<br />

Es muss hier deshalb auch nicht darüber bef<strong>und</strong>en werden, ob der Beschwerdeführer bei der Rüge der<br />

rechtsfehlerhaften Ablehnung einer Terminsverlegung in der Revisionsbegründung gr<strong>und</strong>sätzlich die Terminplanung<br />

des entsprechenden Gerichts im Einzelnen mitteilen muss. Denn hier war - wie schon dargelegt - nach der in der<br />

Revisionsbegründung zitierten Auskunft des Vorsitzenden die Strafkammer „austerminiert“ <strong>und</strong> zwar zumindest im<br />

Monat Mai, sodass eine Fortsetzung der Hauptverhandlung nach einer Unterbrechung innerhalb der Frist des § 229<br />

Abs. 1 StPO außer am 12. Mai 2006 nicht möglich war. Dies wird vom Beschwerdeführer auch nicht in Zweifel<br />

gezogen. Vielmehr bestätigt der Aussetzungsantrag, dass auch aus seiner Sicht eine Fortsetzung der Hauptverhandlung<br />

an einem anderen Tag innerhalb der Unterbrechungsfrist nicht möglich gewesen wäre. Da auch sonst keine<br />

Anhaltspunkte für Gegenteiliges ersichtlich sind, kann auch bei der revisionsrechtlichen Überprüfung von diesem<br />

Sachverhalt als zutreffend ausgegangen werden. Dass anderweitig, nämlich durch die Abterminierung <strong>und</strong> Verschiebung<br />

einer anderen weniger eilbedürftigen (Haft-)Sache der Terminnot im vorliegenden Verfahren hätte abgeholfen<br />

werden können, trägt die Revision nicht vor <strong>und</strong> liegt bei einer „austerminierten“ Schwurgerichtskammer auch fern.<br />

2. Die Rüge ist jedenfalls unbegründet. Der Angeklagte hat das Recht auf wirksame Verteidigung (Art. 6 Abs. 3<br />

Buchst. c MRK). Er kann sich in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes eines Verteidigers bedienen (§ 137 Abs.<br />

1 Satz 1 StPO). Wenn die Hauptverhandlung vor dem Landgericht stattfindet, ist die Mitwirkung eines Verteidigers<br />

zwingend (§ 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO). Im Gr<strong>und</strong>satz soll dies der vom Angeklagten gewählte Verteidiger (§ 138<br />

138


StPO), der Anwalt seines Vertrauens sein (BGH StV 1992, 53). Deshalb muss das Gericht - der Vorsitzende - bei der<br />

Terminsbestimmung ernsthaft versuchen, diesem Recht des Angeklagten, sich in einem Strafverfahren von einem<br />

Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen, soweit wie möglich Geltung zu verschaffen (BGH NStZ 1999,<br />

527; StV 1992, 53). Nicht jede Verhinderung eines Verteidigers kann zur Folge haben, dass eine Hauptverhandlung<br />

nicht durch- oder fortgeführt werden kann, sondern ausgesetzt werden muss (§ 228 Abs. 2 StPO; vgl. BGH NStZ<br />

1999, 527; NStZ 1998, 311, 312). Allerdings ist der Vorsitzende gehalten, über Anträge auf Verlegung eines Termins<br />

nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der eigenen Terminplanung, der Gesamtbelastung des<br />

Spruchkörpers, des Gebots der Verfahrensbeschleunigung <strong>und</strong> den berechtigten Interessen der Prozessbeteiligten zu<br />

entscheiden (BGH NStZ-RR 2006, 271, 272; NStZ 1998, 311, 312; GA 1981, 37, 38). Bei der danach gebotenen<br />

Abwägung kommen dem aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG) <strong>und</strong> aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK folgenden<br />

Gebot, über eine strafrechtliche Anklage in angemessener Zeit zu verhandeln, <strong>und</strong> dem in Hinblick auf Art. 2 Abs. 2<br />

Satz 2 <strong>und</strong> 3 GG (vgl. auch § 121 Abs. 1 StPO; Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 MRK) zu beachtenden besonderen<br />

Beschleunigungsgebot in Haftsachen hohes Gewicht zu (vgl. BVerfG - Kammer - StV 2006, 251; NJW 2006, 1336;<br />

NJW 2006, 672; NStZ 2006, 47; NStZ 2000, 153). Der Fortsetzung des Verfahrens innerhalb der Unterbrechungsfrist<br />

des § 229 Abs. 1 StPO, nämlich an dem dazu einzig für eine Verhandlung bei der Strafkammer noch freien 12.<br />

Mai 2006, stand die Absicht des Wahlverteidigers des Angeklagten K. entgegen, an diesem Tag - <strong>und</strong> dem folgenden<br />

- das XI. Frühjahrssymposium der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins in Karlsruhe zu<br />

besuchen, wie das von ihm schon lange geplant war. Die Revision trägt dazu zutreffend vor, dass ein Rechtsanwalt<br />

zur Fortbildung verpflichtet ist (§ 43a Abs. 6 BRAO) <strong>und</strong> als Fachanwalt für Strafrecht gehalten ist, jährlich mindestens<br />

10 St<strong>und</strong>en an Fortbildungsveranstaltungen teilzunehmen (§ 15 Fachanwaltsordnung). Gleichwohl ist die Entscheidung<br />

der Strafkammer, das Verfahren am 12. Mai zu Ende zu führen, frei von Rechtsfehlern, auch wenn an<br />

diesem Tag die Schlussvorträge, denen im Verfahrensablauf besondere Bedeutung zukommt, gehalten werden sollten<br />

<strong>und</strong> gehalten wurden. Als Alternative stand nicht die Verschiebung eines einzelnen Verhandlungstags um wenige<br />

Tage zur Verfügung. Vielmehr hätte die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten - nach Abtrennung vom Verfahren<br />

gegen den Mitangeklagten, das am 12. Mai auf jeden Fall hätte zu Ende geführt werden können - ausgesetzt<br />

werden müssen mit Neubeginn in mehreren Wochen oder Monaten. Dem konnte auch nicht durch Aufhebung einer<br />

bereits erfolgten Bestimmung der Hauptverhandlungstermine in einem anderen (Schwur-)Gerichtsverfahren abgeholfen<br />

werden, da dies naturgemäß in diesem anderen Verfahren zu unakzeptabler, dem Beschleunigungsgebot widerstreitender<br />

Verzögerung hätte führen müssen. Auf diese Möglichkeit hebt auch der Beschwerdeführer nicht ab. In<br />

Verhältnis zur Aussetzung der Hauptverhandlung <strong>und</strong> der Verschiebung der Haftsache um Wochen, ja Monate, hatte<br />

im vorliegenden Fall das Fortbildungsinteresse des Wahlverteidigers geringeres Gewicht. Jedenfalls war es frei von<br />

Ermessensfehlern, wenn dies die Strafkammer so bewertete. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dem Besuch des XI.<br />

Frühjahrssymposiums an dessen zweitem Tag, am Samstag, dem 13. Mai 2006, nichts im Wege stand. Da das Symposium<br />

sich auch aus thematisch selbständigen Blöcken zusammensetzt, wie der Senat weiß, ist die Teilnahme an<br />

Teilen der Veranstaltung insoweit ohne Einbuße an Weiterbildung möglich. Die zu den Themenblöcken gehaltenen<br />

Vorträge werden zudem in aller Regel anschließend veröffentlicht. Nicht aufgenommen werden kann allein die Diskussion.<br />

Wegen dieses damit vergleichsweise geringen Verlustes an Fortbildung, das - auch um die gemäß § 15<br />

Fachanwaltsordnung erforderliche St<strong>und</strong>enzahl zu erreichen - sicherlich auf andere Weise hätte ausgeglichen werden<br />

können, musste, ja durfte die Hauptverhandlung nicht ausgesetzt werden. Zudem war eine ordnungsgemäße Verteidigung<br />

des Angeklagten durch den Pflichtverteidiger, Rechtsanwalt G. , auch hinsichtlich des Schlussvortrags, gewährleistet.<br />

Anderes wird auch vom Beschwerdeführer nicht behauptet. Weder werden mangelndes Vertrauen des<br />

Angeklagten in seinen Pflichtverteidiger noch gar ein Zerwürfnis, das eine Kommunikation <strong>und</strong> eine sinnvolle Verteidigung<br />

unmöglich gemacht hätte, vorgetragen. Allein aus dem Aussetzungsantrag des Angeklagten mit der Begründung,<br />

er wolle - auch - von seinem Wahlverteidiger vertreten sein, kann dies nicht geschlossen werden. Dass<br />

auch der Wahlverteidiger von einer wirksamen Verteidigung allein durch den Pflichtverteidiger ausging - wenn es im<br />

Zweifelsfall auch auf die Sicht des Angeklagten angekommen wäre -, kann aus dem Verhalten von Rechtsanwalt M.<br />

nach der definitiven Ablehnung seines Antrags auf Terminsverlegung vom 4. Mai 2006, womit er auch mit der Ablehnung<br />

des späteren Aussetzungsantrags jedenfalls rechnen musste, geschlossen werden. Der Wahlverteidiger stand<br />

nun selbst vor der Entscheidung, ob er der Verteidigung seines Mandanten oder der Teilnahme am ersten Tag des XI.<br />

Frühjahrssymposiums der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins in Karlsruhe den Vorrang<br />

geben sollte (sofern nicht sein Fernbleiben von der Hauptverhandlung von seinem Mandanten trotz dessen gr<strong>und</strong>sätzlichen<br />

Wunsches - entsprechend der Begründung des Aussetzungsantrags -, auch am 12. Mai 2006 über den<br />

Beistand von Rechtsanwalt M. verfügen zu können, für den Fall der Ablehnung gebilligt worden war). Denn hätte<br />

der Wahlverteidiger damit rechnen müssen, dass eine sachgerechte Verteidigung des Angeklagten nicht auch ohne<br />

ihn gewährleistet ist, hätte seine Entscheidung für die Teilnahme auch am 1. Tag des Symposiums sehr wohl mit<br />

139


seiner Pflicht zur gewissenhaften Berufsausübung (§ 1 BRAO) kollidieren können. Zu entscheiden hat dies der Senat<br />

nicht. Er kann sich aber nicht vorstellen, dass Rechtsanwalt M. ein derart gravierendes standeswidriges Verhalten<br />

auch nur in Kauf genommen hat.<br />

StPO § 265, § 207 Abs. 2 – Verfahrensgegenstand nach Hinweis im Eröffnungsbeschluss- Teilfreispruch<br />

BGH, Beschl. vom 10.05.2007 – 5 StR 155/07<br />

Ein Hinweis im Eröffnungsbeschluss, dass ein Tatvorwurf mit einem weiteren eine einheitliche Tat<br />

darstellen könne, rechtfertigt das Unterlassen des gebotenen förmlichen Teilfreispruchs nicht. Hierin<br />

liegt keine von der Anklage abweichende Eröffnungsentscheidung im Sinne des § 207 Abs. 2<br />

StPO, sondern nur ein Hinweis im Sinne von § 265 StPO.<br />

Der 5. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 10. Mai 2007 beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 21. November 2006 gemäß § 349<br />

Abs. 4 StPO<br />

a) im Schuldspruch dahingehend geändert, das der Angeklagte der Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln<br />

in nicht geringer Menge schuldig ist;<br />

b) im Strafausspruch aufgehoben;<br />

c) dahin ergänzt, dass der Angeklagte im Übrigen freigesprochen wird.<br />

2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.<br />

3. Soweit der Angeklagte freigesprochen wird, fallen die Kosten des Verfahrens <strong>und</strong> seine notwendigen Auslagen<br />

der Staatskasse zur Last.<br />

4. Zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung über den Strafausspruch, auch über die verbleibenden Kosten des<br />

Rechtsmittels, wird die Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer<br />

Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner nicht<br />

näher ausgeführten Sachrüge, die den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg hat.<br />

Die Feststellungen, wonach der Angeklagte „über das Rauschgiftgeschäft informiert <strong>und</strong> in dieses eingeb<strong>und</strong>en war“<br />

(UA S. 10), aber den Haupttäter lediglich begleitet hat, tragen eine Verurteilung wegen täterschaftlichen Handeltreibens<br />

nicht. Der Angeklagte hatte danach keinen Einfluss auf das Geschäft, da dieses vom Haupttäter mit dem Ankäufer<br />

vereinbart wurde. Auch eine faktische Zugriffsmöglichkeit auf die Drogen oder das Geld bestand zu keinem<br />

Zeitpunkt. Allein der Umstand, dass der Angeklagte, der für seine Mitwirkung kein Geld erhielt, sich weitere „legale<br />

Geschäfte“ mit dem Ankäufer versprach, rechtfertigt nicht die Bewertung als mittäterschaftliches Handeltreiben. Der<br />

Senat stellt den Schuldspruch entsprechend um; der geständige Angeklagte hätte sich auch nach entsprechendem<br />

rechtlichen Hinweis gegen einen so gemilderten Schuldspruch nicht wirksamer verteidigen können. Die Änderung<br />

des Schuldspruchs hat Auswirkungen auf die Strafrahmenwahl <strong>und</strong> zieht deshalb die Aufhebung des Strafausspruches<br />

nach sich. Die Feststellungen zur Strafzumessung können hier jedoch aufrecht erhalten bleiben, weil lediglich<br />

ein Subsumtionsfehler vorliegt. Der neue Tatrichter kann insoweit neue Feststellungen treffen, die den bisherigen<br />

nicht widersprechen. Soweit dem Angeklagten mit der Anklage zur Last gelegt worden ist, an einem weiteren<br />

Rauschgiftgeschäft beteiligt gewesen zu sein, holt der Senat schließlich den nach den Urteilsfeststellungen erforderlichen<br />

Freispruch nach. Der Umstand, dass das Landgericht im Eröffnungsbeschluss auf die Möglichkeit hingewiesen<br />

hat, dass dieser Tatvorwurf mit dem weiteren eine einheitliche Tat darstellen könne, rechtfertigt das Unterlassen<br />

des gebotenen förmlichen Teilfreispruchs nicht (vgl. BGHR StPO § 260 Urteilsspruch 1; BGH, Beschluss vom 18.<br />

Januar 1983 – 3 StR 415/82, insoweit in NStZ 1983, 277 <strong>und</strong> StV 1983, 266 nicht abgedruckt; Meyer-Goßner, StPO<br />

49. Aufl. § 260 Rdn. 13). Hierin liegt keine von der Anklage abweichende Eröffnungsentscheidung im Sinne des §<br />

207 Abs. 2 StPO, sondern nur ein Hinweis im Sinne von § 265 StPO. Danach war der tatmehrheitliche Vorwurf noch<br />

Gegenstand des Verfahrens, welches durch den Urteilsspruch erschöpfend zu erledigen ist.<br />

140


StPO § 267 StPO – Urteil muss richtig, nicht „revisionssicher“ sein.<br />

BGH, Beschl. vom 07.12.2006 – 2 StR 470/06<br />

Die sogenannte "Revisionssicherheit" von Strafurteilen ist kein Selbstzweck, sondern ergibt sich aus<br />

ihrer Freiheit von Rechtsfehlern. Eine unnötige breite Darlegung von Nebensächlichkeiten, gedanklichen<br />

Zwischenschritten <strong>und</strong> Randgeschehen ist aber, wie das vorliegende Urteil beispielhaft zeigt,<br />

gerade nicht geeignet, Fehler zu vermeiden, welche den Bestand des Urteils gefährden.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> des Beschwerdeführers<br />

am 7. Dezember 2006 gemäß § 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 StPO beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 4. Mai 2006<br />

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Misshandlung von Schutzbefohlenen in drei Fällen,<br />

davon in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, sowie der Körperverletzung in zwei Fällen<br />

schuldig ist;<br />

b) im Strafausspruch in den Einzelstrafen in den Fällen 1 <strong>und</strong> 3 (Ziffer II.10 <strong>und</strong> II.12 der Urteilsgründe) sowie im<br />

Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Kammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Misshandlung einer Schutzbefohlenen in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von vier Jahren verurteilt <strong>und</strong> ihn im Übrigen freigesprochen. Seine Revision hat mit der Sachrüge in<br />

dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.<br />

1. Ein Verfahrenshindernis ist nicht gegeben. Die Anklageschrift <strong>und</strong> der hierauf Bezug nehmende Eröffnungsbeschluss<br />

genügen den Anforderungen, die die Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs an die Bestimmtheit der Umschreibung<br />

von Serientaten stellt. Die nachträglich ausgeführten Verfahrensrügen sind nicht fristgemäß erhoben <strong>und</strong><br />

daher unzulässig.<br />

2. Soweit sich die Revision mit der Sachrüge gegen die Verurteilung wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in<br />

den Fällen 2 (Ziffer II.11 der Urteilsgründe), 4 (Ziffer II.14) <strong>und</strong> 5 (Ziffer II.16) wendet, ist sie im Ergebnis unbegründet.<br />

Die Einwendungen gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts greifen in diesen Fällen nicht durch. Dass<br />

der Tatrichter hinsichtlich der Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs, von dem der Angeklagte freigesprochen worden<br />

ist, zu einer negativen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der belastenden Aussage der Geschädigten gelangt ist, stand<br />

der Annahme von Glaubhaftigkeit der Belastungen hinsichtlich der Körperverletzungen nicht entgegen. Die unterschiedliche<br />

Entstehungsgeschichte der Aussageteile <strong>und</strong> den starken suggestiven Einfluss auf die Geschädigte zur<br />

nachträglichen Darstellung auch sexueller Übergriffe hat das Landgericht ausführlich erörtert.<br />

a) Nicht zutreffend ist allerdings die rechtliche Würdigung als "Quälen" im Sinne der ersten Tatvariante des § 225<br />

Abs. 1 StGB, die das Landgericht ohne Begründung angenommen hat (UA S. 124). Es fehlt in den genannten Fällen<br />

schon an der hierfür erforderlichen Feststellung länger dauernder Schmerzen oder Leiden (vgl. BGHSt 41, 113, 115;<br />

NStZ-RR 1996, 197), die über die typischen Auswirkungen der festgestellten Körperverletzungen durch Schläge<br />

hinausgingen.<br />

b) Jedoch sind die Voraussetzungen des rohen Misshandelns im Sinne der zweiten Tatvariante hier ersichtlich gegeben.<br />

Das Misshandeln eines acht bis zehn Jahre alten Kindes unter anderem durch massive Faustschläge gegen Kopf<br />

<strong>und</strong> Körper, Fußtritte, Reißen an den Haaren <strong>und</strong> Vollstopfen des M<strong>und</strong>es mit trockenem Brot erfüllte in diesen<br />

Fällen offenk<strong>und</strong>ig die objektiven Voraussetzungen erheblicher Misshandlungen. Zu den subjektiven Vorstellungen<br />

<strong>und</strong> zum Vorsatz des Angeklagten hat das Landgericht zwar hier - wie auch in den übrigen Fällen - keinerlei Feststellungen<br />

getroffen. Die vom Tatbestand vorausgesetzte rohe, das heißt gefühllose <strong>und</strong> das Leiden des Tatopfers<br />

missachtende Gesinnung (vgl. BGH NStZ 2004, 94; Tröndle/Fischer StGB 54. Aufl. § 225 Rdn. 9 m.w.N.) ergibt<br />

sich aber ohne Weiteres aus den objektiven Umständen der Taten, die für den Angeklagten trotz seiner jeweiligen<br />

Alkoholisierung offen-sichtlich erkennbar waren. Für den Schuldspruch bleibt die Annahme einer anderen Tatvariante<br />

ohne Auswirkung. Die Tatvariante des rohen Misshandelns war angeklagt; eine andere Verteidigung wäre dem<br />

Angeklagten überdies nicht möglich gewesen.<br />

c) Im Fall 2 (Ziffer II.11 der Urteilsgründe) sind auch die Voraussetzungen einer gefährlichen Körperverletzung<br />

gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB gegeben. Der Angeklagte trat nach den Feststellungen die Geschädigte "mit dem<br />

141


eschuhten Fuß (mit) Wucht in den Magen", so dass ihr übel wurde (UA S. 34). Bei einer solchen konkret gefährlichen<br />

Verwendung ist nach der ständigen Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs der "beschuhte Fuß" - genauer: der<br />

Schuh am Fuß des Täters - als gefährliches Werkzeug (im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB anzusehen (vgl.<br />

BGHSt 30, 376; BGH NStZ 1984, 329; 1999, 616). Die Qualifikation des § 224 StGB steht mit § 225 in Tateinheit<br />

(BGH NJW 1999, 72; Tröndle/Fischer aaO § 224 Rdn. 16). Der Senat konnte insoweit den Schuldspruch ändern. §<br />

265 StPO steht nicht entgegen, weil der Angeklagte sich nicht anders als geschehen hätte verteidigen können. In den<br />

Fällen 4 <strong>und</strong> 5 (Ziffer II.14 <strong>und</strong> II.16 der Urteilsgründe) kam im Hinblick auf die insoweit lückenhaften Feststellungen<br />

des Landgerichts eine Verurteilung auch wegen gefährlicher Körperverletzung nicht in Betracht.<br />

3. In den Fällen 1 <strong>und</strong> 3 (Ziffer II.10 <strong>und</strong> II.12 der Urteilsgründe) sind entgegen der Ansicht des Landgerichts die<br />

Voraussetzungen des § 225 Abs. 1 StGB weder in der Variante des Quälens noch in der des rohen Misshandelns<br />

gegeben. Es fehlt insoweit schon an hinreichenden Feststellungen zum objektiven Tatbestand. Zum subjektiven Tatbestand<br />

enthält das Urteil darüber hinaus - wie in den anderen Fällen - keinerlei Feststellungen. Es bleibt daher etwa<br />

schon offen, ob Verletzungen, die sich die Geschädigte in Folge eines "Schubsens" durch den Angeklagten zuzog,<br />

von dessen Vorsatz umfasst waren. Die Revision hat zutreffend eingewandt, dass in diesen Fällen allein die Voraussetzungen<br />

vorsätzlicher Körperverletzungen gemäß § 223 Abs. 1 StGB festgestellt sind. Dass diese Taten nicht durch<br />

irgendwelche erzieherischen Zwecke gerechtfertigt waren, liegt auf der Hand. Der Generalb<strong>und</strong>esanwalt hat das<br />

besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht. Da weitergehende Feststellungen von einer neuen<br />

Hauptverhandlung nicht zu erwarten wären, hat der Senat auch insoweit den Schuldspruch geändert. Das führt zur<br />

Aufhebung der Einzelstrafen von einem Jahr <strong>und</strong> drei Monaten (Fall 1) <strong>und</strong> zwei Jahren (Fall 3) sowie der Gesamtstrafe.<br />

4. Die Fassung der 129 Seiten umfassenden Urteilsgründe gibt dem Senat Anlass zu folgendem Hinweis: Die schriftlichen<br />

Urteilsgründe dienen, wie der Senat schon wiederholt zu bemerken Anlass hatte, weder der Darstellung eines<br />

bis in verästelte Einzelheiten aufzuarbeitenden "Gesamtgeschehens" noch der Nacherzählung des Ablaufs der Ermittlungen<br />

oder des Gangs der Hauptverhandlung. Es ist Aufgabe des Richters, Wesentliches von Unwesentlichem<br />

zu unterscheiden <strong>und</strong> die Begründungen seiner Entscheidungen so zu fassen, dass der Leser die wesentlichen, die<br />

Entscheidung tragenden tatsächlichen Feststellungen <strong>und</strong> rechtlichen Erwägungen ohne aufwändige eigene Bemühungen<br />

erkennen kann. Urteilsgründe sollen weder allgemeine "Stimmungsbilder" zeichnen noch das Revisionsgericht<br />

im Detail darüber unterrichten, welche Ergebnisse sämtliche im Hauptverhandlungsprotokoll verzeichneten<br />

Beweiserhebungen gehabt haben. Das vorliegende Urteil wird dem nicht gerecht. Der Leser erfährt erstmals auf UA<br />

S. 32, um welchen möglicherweise strafbaren Sachverhalt es überhaupt geht. Die dann folgenden tatsächlichen Feststellungen<br />

zu den fünf abgeurteilten Taten umfassen insgesamt 7 ½ Seiten; sie werden mehrmals unterbrochen von<br />

insgesamt 8 ½ Seiten mit Feststellungen, die jeweils mit "nicht angeklagt" überschrieben sind <strong>und</strong> deren Sinn sich<br />

dem Leser daher nicht erschließt. Auf den folgenden 17 Seiten wird in unübersichtlicher, verzweigter <strong>und</strong> weitschweifiger<br />

Weise die Aufdeckung der Taten nacherzählt; weitere 7 Seiten schildern den Gang des Ermittlungsverfahrens.<br />

Auf UA S. 67 erfährt der Leser erstmals, ob <strong>und</strong> wie der Angeklagte sich eingelassen hat; von UA S. 71 bis<br />

107 folgen sodann mehr als 35 Seiten mit Erwägungen über die Glaubwürdigkeit der Geschädigten. In 28 Abschnitten<br />

schließen sich Ausführungen dazu an, worauf eine kaum zu überblickende Vielzahl teilweise unbedeutender oder<br />

nur das Randgeschehen betreffender Feststellungen "beruht"; die Gliederung dieser Abschnitte ist überdies weder<br />

mit derjenigen der Anklage noch mit der Nummerierung der Taten identisch. Eine solche unübersichtliche Breite ist<br />

weder durch § 267 StPO noch sachlich-rechtlich geboten. Sie ist geeignet, den Blick auf das Wesentliche zu verstellen.<br />

So erscheint es symptomatisch, dass im vorliegenden Urteil zwar Nebensächlichkeiten breit dargestellt sind,<br />

wesentliche Feststellungen zum objektiven <strong>und</strong> subjektiven Tatbestand der abgeurteilten Taten jedoch fehlen. Das<br />

Abfassen unangemessen breiter Urteilsgründe führt auch zu einer vermeidbaren Vergeudung personeller Ressourcen.<br />

Angesichts der durchweg hohen Belastung der Strafjustiz sollte es im Interesse der Tatgerichte liegen, Arbeitskraft<br />

<strong>und</strong> Zeit nicht für das Verfassen mehrerer h<strong>und</strong>ert Seiten starker Urteilsgründe in einfach gelagerten Fällen aufzuwenden.<br />

Soweit von tatrichterlicher Seite gelegentlich darauf hingewiesen wird, eine möglichst breite <strong>und</strong> umfassende<br />

Darstellung aller Einzelheiten empfehle sich, um möglichen Beanstandungen wegen des Fehlens einzelner Erörterungen<br />

durch das Revisionsgericht zuvorzukommen, erscheint dies verfehlt. Die sogenannte "Revisionssicherheit"<br />

von Strafurteilen ist kein Selbstzweck, sondern ergibt sich aus ihrer Freiheit von Rechtsfehlern. Eine unnötige breite<br />

Darlegung von Nebensächlichkeiten, gedanklichen Zwischenschritten <strong>und</strong> Randgeschehen ist aber, wie das vorliegende<br />

Urteil beispielhaft zeigt, gerade nicht geeignet, Fehler zu vermeiden, welche den Bestand des Urteils gefährden.<br />

Der Senat verkennt nicht, dass die Abfassung der Urteilsgründe stets auch Ausdruck individueller richterlicher<br />

Gestaltung <strong>und</strong> Bewertung sowie der in Spruchkörpern gewachsenen Erfahrung <strong>und</strong> Übung ist. Hiergegen ist gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

nichts einzuwenden. Kommt es aber zu einer auffälligen Häufung bestimmter fehlerhafter Entwicklungen<br />

142


oder zu erheblichen Abweichungen zwischen einzelnen Gerichten, ist es Aufgabe des Revisionsgerichts, dem entgegen<br />

zu wirken.<br />

StPO § 268 Abs. 3 Satz 2 – Urteilsverkündungsfrist 10 Tage zwingendes Recht<br />

BGH, Beschl. vom 20.06.2007 – 1 StR 58/07 = NStZ-RR 2007, 278<br />

Eine Verlängerung der Frist, wie im Fall des § 229 Abs. 2 StPO, gibt es bei der Unterbrechung der<br />

Hauptverhandlung unmittelbar vor der Urteilsverkündung nicht. Das 1. Justizmodernisierungsgesetz<br />

vom 24. August 2004 (BGBl I, 2198) hat die Fristenregelung in § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO unberührt<br />

gelassen, so dass es bei der als zwingendes Recht ausgestalteten Fristenregelung des § 268<br />

Abs. 3 Satz 2 StPO verblieben ist.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 20. Juni 2007 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:<br />

1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 19. Juni 2006 - soweit es<br />

die Angeklagten betrifft - mit den Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten H. A. wegen Betruges <strong>und</strong> Beihilfe zum Betrug in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von zwei Jahren <strong>und</strong> neun Monaten sowie den Angeklagten F. A. wegen Betruges <strong>und</strong> Beihilfe<br />

zum Betrug zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> drei Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden<br />

sich die Angeklagten mit der Revision, mit der sie das Verfahren beanstanden <strong>und</strong> die Verletzung sachlichen Rechts<br />

rügen. Die Rechtsmittel haben jeweils mit der Verfahrensrüge Erfolg. Zu Recht beanstanden die Beschwerdeführer<br />

die Verletzung der Urteilsverkündungsfrist des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO. Der Generalb<strong>und</strong>esanwalt hat folgendes<br />

ausgeführt: "Die Beweisaufnahme wurde am 8. Hauptverhandlungstag, dem 29. Mai 2006, geschlossen (Bd. VII Bl.<br />

2865 d.A.). Am selben Tag hielten Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> Verteidigung ihre Schlussvorträge; die Angeklagten hatten<br />

das letzte Wort (Bd. VII Bl. 2865 ff. d.A.). Der Vorsitzende verkündete zum Schluss der Sitzung folgende Verfügung:<br />

'Die heutige aupt-verhandlung wird unterbrochen <strong>und</strong> fortgesetzt am Montag, den 12. Juni 2006, 10.30 Uhr<br />

(…)' (Bd. VII Bl. 2869 d.A.). Tatsächlich konnte die Hauptverhandlung mit der Urteilsverkündung aber erst am 19.<br />

Juni 2006 fortgesetzt werden (Bd. VII Bl. 2871 ff. d.A.), weil der beisitzende Richter dem Vermerk vom 8. Juni<br />

2006 zufolge erkrankt war <strong>und</strong> es deshalb zu einer Terminsverlegung kam (Bd. VII Bl. 3260 d.A.)." Damit hat das<br />

Landgericht gegen § 268 Abs. 3 StPO verstoßen. Demgemäß muss, sofern das Urteil nicht am Schluss der Verhandlung<br />

verkündet wird, die Verkündung des Urteils spätestens am 11. Tage danach erfolgen; andernfalls ist mit der<br />

Hauptverhandlung von neuem zu beginnen. Die Elftagefrist begann am 29. Mai 2006 <strong>und</strong> endete bereits am Freitag,<br />

den 9. Juni 2006, also noch vor dem ursprünglich festgelegten Termin zur Urteilsverkündung. Eine Verlängerung der<br />

Frist, wie im Fall des § 229 Abs. 2 StPO, gibt es bei der Unterbrechung der Hauptverhandlung unmittelbar vor der<br />

Urteilsverkündung nicht. § 268 Abs. 3 Satz 3 StPO verweist hierzu ausdrücklich nur auf § 229 Abs. 3 StPO, nicht<br />

aber auf § 229 Abs. 2 StPO (BGH NStZ 2004, 52; NStZ 2007, 235). Nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs<br />

kann nur in Ausnahmefällen ein Beruhen des Urteils auf dem Verstoß ausgeschlossen werden (BGH aaO,<br />

BGHR StPO § 268 Abs. 3 Verkündung 1 <strong>und</strong> 2). Besondere Umstände, die einen solchen Ausnahmefall begründen<br />

könnten, sind vorliegend nicht ersichtlich. Der dienstlichen Erklärung des Vorsitzenden <strong>und</strong> des beisitzenden Richters<br />

der Strafkammer vom 14. Mai 2007 kann hierzu entnommen werden, dass die abschließende Urteilsberatung mit<br />

den Schöffen erst am 19. Juni 2006 unmittelbar vor der Urteilsverkündung, also erheblich nach Ablauf der Frist des<br />

§ 268 Abs. 3 StPO erfolgt ist. Der 4. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 30. November 2006 entschieden, dass<br />

sich nichts anderes aus den Regelungen des 1. Justizmodernisierungsgesetzes vom 24. August 2004 (BGBl I, 2198)<br />

ergibt. Dieses Gesetz hat die Fristenregelung in § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO unberührt gelassen, so dass es bei der als<br />

zwingendes Recht ausgestalteten Fristenregelung des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO verblieben ist (NStZ 2007, 235).<br />

Dem verschließt sich der Senat nicht. Auf die erhobenen Sachrügen kam es daher nicht mehr an. Die Sache ist, soweit<br />

sie die Beschwerdeführer betrifft, insgesamt neu zu verhandeln.<br />

143


StPO § 268 Abs. 3 Satz 2 – zwingendes Recht (gegen 5 StR 349/06)<br />

BGH, Beschl. vom 30.11.2006 – 4 StR 452/06 - NJW 2007, S. 448<br />

LS: Die besondere Fristenregelung des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO für die Urteilsverkündung ist -<br />

unbeschadet der Verlängerung der regulären Unterbrechungsfrist für die Hauptverhandlung (§ 229<br />

Abs. 1 StPO) durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz vom 24. August 2004 (BGBl I 2198) - zwingendes<br />

Recht <strong>und</strong> ihre Verletzung deshalb revisibel.<br />

Der 4. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> des Beschwerdeführers am<br />

30. November 2006 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 31. Mai 2006 - soweit es den<br />

Angeklagten betrifft - mit den Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere als Wirtschaftsstrafkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gemeinschaftlich begangenen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von<br />

einem Jahr <strong>und</strong> neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Gegen dieses Urteil<br />

wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet <strong>und</strong> die Verletzung sachlichen<br />

Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Zu Recht beanstandet der Beschwerdeführer die<br />

Verletzung der Urteilsverkündungsfrist des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO. Der Generalb<strong>und</strong>esanwalt hat hierzu in seiner<br />

Antragsschrift vom 2. November 2006 ausgeführt: "Die Beweisaufnahme in der vorliegenden Sache wurde am 18.<br />

Mai 2006, dem 8. Hauptverhandlungstag, geschlossen (Prot. Bd. Bl. 24). An diesem Tag erging am Ende der Sitzung<br />

folgende Anordnung des Vorsitzenden: 'Die heutige Hauptverhandlung wird unterbrochen <strong>und</strong> fortgesetzt, wie bereits<br />

bestimmt, am Mittwoch 31. Mai 2006, 12.00 Uhr' (Prot. Bd. Bl. 27). An diesem Tag wurde die Hauptverhandlung<br />

nach der Feststellung der Anwesenheit mit der Urteilsverkündung fortgesetzt (Prot. Bd. Bl. 28). Damit hat das<br />

Landgericht gegen § 268 Abs. 3 StPO verstoßen. Danach muss, sofern das Urteil nicht am Schluss der Verhandlung<br />

verkündet wird, die Verkündung des Urteils spätestens am 11. Tage danach erfolgen, andernfalls mit der Hauptverhandlung<br />

von neuem zu beginnen ist. Die Elftagefrist begann am 18. Mai 2006 <strong>und</strong> endete am Montag, den 29. Mai<br />

2006. Eine Verlängerung der Frist, wie im Fall des § 229 Abs. 2 StPO, gibt es bei der Unterbrechung der Hauptverhandlung<br />

unmittelbar vor der Urteilsverkündung nicht. § 268 Abs. 3 Satz 3 StPO verweist hierzu ausdrücklich nur<br />

auf § 229 Abs. 3 StPO, nicht aber auf § 229 Abs. 2 StPO (BGH NStZ 2004, 52). Nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs<br />

kann nur in Ausnahmefällen ein Beruhen des Urteils auf dem Verstoß ausgeschlossen werden (BGH<br />

aaO; BGHR StPO § 268 Abs. 3 Verkündung 1 <strong>und</strong> 2). Besondere Umstände, die einen solchen Ausnahmefall begründen<br />

könnten, sind hier jedoch nicht ersichtlich. Der dienstlichen Erklärung des Vorsitzenden der Strafkammer<br />

vom 17. Oktober 2006 kann lediglich entnommen werden, dass bis zum 18. Mai 2006 vorläufige Beratungen der<br />

Kammer, gegebenenfalls auch nur zu Teilfragen, stattgef<strong>und</strong>en haben, die endgültige Urteilsberatung sowie die<br />

schriftliche Fassung der Urteilsformel jedoch erst am 31. Mai 2006 unmittelbar vor der Urteilsverkündung erfolgt ist<br />

(Bd. LVI Bl. 11395 d.A.). Dies lässt die verzögerte Verkündung rechtfertigende Umstände nicht erkennen. Danach<br />

ist das Urteil aufzuheben." Dem stimmt der Senat zu. Es hält an der gefestigten Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs,<br />

wie sie in der Antragsschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts zitiert worden ist, fest (so auch noch der 5. Strafsenat<br />

im Beschluss vom 13. Oktober 2005 – 5 StR 432/05, StV 2006, 516). Demgegenüber neigt der 5. Strafsenat neuerdings<br />

in einem Beschluss vom 9. November 2006 - 5 StR 349/06 - mit einer die Entscheidung nicht tragenden Erwägung<br />

zu der Auffassung, die besondere Fristenregelung des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO sei "als Ordnungsvorschrift zu<br />

werten, auf deren Verletzung allein ein Urteil niemals im Sinne des § 337 Abs. 1 StPO beruhen" könne. Dem vermag<br />

der erkennende Senat nicht folgen. Schon der klare Wortlaut der Vorschrift ("muss", "ist") lässt es ausgeschlossen<br />

erscheinen, der Vorschrift lediglich den Charakter einer bloßen - nicht revisiblen - Ordnungsvorschrift zu geben.<br />

Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung des 5. Strafsenats auch nicht aus der Neuregelung über die<br />

Höchstgrenze der regelmäßigen Unterbrechungsfrist für die Hauptverhandlung in § 229 Abs. 1 StPO durch das 1.<br />

Justizmodernisierungsgesetz vom 24. August 2004 (BGBl. I 2198). Dieses Gesetz hat die Fristenregelung in § 268<br />

Abs. 3 Satz 2 StPO unberührt gelassen. Auch die Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 15/999 S. 24/25 <strong>und</strong> 15/1508 S.<br />

25) geben keinerlei Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber aus den der Änderung des § 229 Abs. 1 StPO zugr<strong>und</strong>e<br />

liegenden Erwägungen der unverändert gebliebenen, nach ihrem klaren Wort-laut als zwingendes Recht ausgestalte-<br />

144


ten Fristenregelung des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO nunmehr den Charakter einer bloßen Sollvorschrift beimessen<br />

wollte. Etwas anderes wäre allenfalls zu erwägen, wenn die Neuregelung des § 229 Abs. 1 StPO ihrerseits als disponibel<br />

ausgestaltet worden wäre. Das ist aber gerade nicht der Fall: Sinn <strong>und</strong> Zweck der Änderung des § 229 Abs. 1<br />

StPO war es in erster Linie, dem Gericht eine größere Flexibilität bei der Terminsbestimmung einzuräumen, um<br />

dadurch rein formale Fortsetzungstermine („Schiebetermine“) weitgehend zu vermeiden; an dem zwingenden Charakter<br />

dieser Vorschrift als solchem hat der Gesetzgeber indes ungeachtet der Verlängerung der Unterbrechungsfrist<br />

ausdrücklich festgehalten („ … muß die Verhandlung spätestens … fortgesetzt werden.“; BT-Drucks. aaO). Für eine<br />

planwidrige Regelungslücke, nämlich eine durch den Gesetzgeber nur versehentlich unterbliebenen „Anpassung“ der<br />

Fristenregelung des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO an die veränderte Unterbrechungsfrist des § 229 Abs. 1 StPO, sieht der<br />

Senat keinen Anhalt. Es stellt keinen unauflöslichen Wertungswiderspruch zu einer Ausweitung der Unterbrechungsfrist<br />

während der Hauptverhandlung dar, wenn dem Beschleunigungsgebot im Strafverfahren nach Schluss der Beweisaufnahme<br />

in besonderer Weise durch eine unverändert kurze Unterbrechungsfrist von höchstens 11 Tagen bis<br />

zur Urteilsverkündung Rechnung getragen wird. Zudem wäre es nicht Aufgabe der Rechtsprechung, eine etwaige<br />

planwidrige Regelungslücke entgegen dem eindeutigen Gesetzeswortlaut zu schließen; vielmehr obläge es dem Gesetzgeber,<br />

seinen Vorstellungen durch Schaffung einer entsprechenden Verweisungsnorm für die Zukunft Geltung zu<br />

verschaffen. Die Sache ist deshalb, soweit sie den Beschwerdeführer betrifft, insgesamt neu zu verhandeln.<br />

StPO § 268 Abs. 3 Satz 2, § 229 Abs. 1, Urteilsverkündungsfrist<br />

BGH, Beschl. vom 09.11.2006 – 5 StR 349/06 - NJW 2007, S. 96<br />

LS: Der Senat neigt zu der Auffassung, dass die besondere Unterbrechungsfrist von elf Tagen in §<br />

268 Abs. 3 Satz 2 StPO, anders als die neue Dreiwochenfrist in § 229 Abs. 1 StPO, nunmehr nur<br />

noch als nicht revisible Ordnungsvorschrift anzusehen ist.<br />

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 8. März 2006 werden nach § 349<br />

Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

G r ü n d e<br />

Die Revisionen der Angeklagten sind unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Dies gilt auch für die Rüge, mit<br />

der beanstandet wird, das Urteil (vom 8. März 2006) sei unter Verstoß gegen § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO später als am<br />

elften Tag nach Schluss der Verhandlung (23. Februar 2006) verkündet worden. Neben den von der B<strong>und</strong>esanwaltschaft<br />

unter Hinweis auf BGH StV 2006, 516 geäußerten Bedenken gegen die Zulässigkeit der Rüge kann der Senat<br />

vorliegend ausnahmsweise ausschließen, dass das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht (§ 337 Abs. 1 StPO). Ein solcher<br />

Ausschluss ist nämlich möglich, wenn – wie hier durch die dienstliche Äußerung des Vorsitzenden, die diesbezügliche<br />

Eintragung in die Terminsrolle <strong>und</strong> die Entschädigungsfestsetzungen für die Schöffen zur Überzeugung des<br />

Senats belegt – die abschließende Urteilsberatung (am 3. März 2006) sicher innerhalb der Frist des § 268 Abs. 3 Satz<br />

2 StPO stattgef<strong>und</strong>en hat (vgl. RGSt 57, 422, 423; BGH StV 1982, 4, 5; 2006, 516). Abgesehen davon bestehen<br />

durchgreifende Bedenken, ob nach der Neuregelung über die Höchstgrenze der regelmäßigen Unterbrechungsfrist in<br />

§ 229 Abs. 1 StPO ein Verstoß gegen die nunmehr kürzere Fristbemessung in § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO überhaupt<br />

noch als bedeutsam erachtet werden kann. Die unterschiedliche Fristenregelung erscheint un-stimmig, zumal da eine<br />

Nichtwahrung der Frist des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO durch einen kurzen Wiedereintritt in die Verhandlung vor<br />

Urteilsverkündung ohne weiteres unbedenklich zu umgehen ist. Dies legt nahe, in Fällen dieser Art auch ohne eine –<br />

freilich wünschenswerte – Korrektur durch den Gesetzgeber die besondere Fristenregelung des § 268 Abs. 3 Satz 2<br />

StPO nunmehr nur noch – anders als diejenige in § 229 Abs. 1 StPO, die selbstverständlich nicht überschritten werden<br />

darf – als Ordnungsvorschrift zu werten, auf deren Verletzung allein ein Urteil niemals im Sinne des § 337 Abs.<br />

1 StPO beruhen kann. Der hier konkret mögliche Beruhensausschluss macht – neben den Zulässigkeitsbedenken –<br />

eine Entscheidung wegen dieser Verfahrensrüge ohne entsprechende tragende Begründung möglich, so dass einer<br />

Verfahrensweise nach § 349 Abs. 2 StPO nichts entgegensteht.<br />

145


StPO § 274 – Beweiskraft zum Vorliegen einer Urteilsabsprache<br />

BGH, Beschl. vom 27.02.2007 – 3 StR 32/07<br />

Eine Verständigung über das Verfahrensergebnis, bei der das Gericht dem Angeklagten eine Strafobergrenze<br />

zusagen darf <strong>und</strong> an diese Zusage geb<strong>und</strong>en ist, ist als wesentlicher Verfahrensvorgang<br />

im Protokoll über die Hauptverhandlung festzuhalten (BGHSt 43, 195, 206). Dies ist schon deshalb<br />

geboten, um spätere Streitigkeiten darüber zu vermeiden, ob es zu einer Absprache gekommen ist<br />

(BGHSt aaO). Die Sitzungsniederschrift mit der ihr gemäß § 274 Satz 1 StPO zukommenden positiven<br />

<strong>und</strong> negativen Beweiskraft für das Revisionsverfahren beweist deshalb gr<strong>und</strong>sätzlich bindend<br />

die Existenz einer Verständigung in der Hauptverhandlung.<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> nach Anhörung des Beschwerdeführers<br />

am 27. Februar 2007 gemäß § 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen: Die Revision des Angeklagten<br />

gegen das Urteil des Landgerichts Kiel vom 20. Oktober 2006 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat<br />

die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäuungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei<br />

Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> zehn Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf<br />

zwei Verfahrensrügen <strong>und</strong> die allgemeine Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Die Überprüfung<br />

des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Näherer Erörterung bedarf nur das Folgende:<br />

Die Rüge, das Landgericht habe dem Angeklagten für den Fall eines Geständnisses <strong>und</strong> der Nennung seines<br />

Drogenlieferanten eine Bestrafung von höchstens zwei Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten zugesichert <strong>und</strong> sodann ohne<br />

Hinweis eine höhere Strafe verhängt, ist zulässig erhoben. Entgegen der Auffassung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts war<br />

der Beschwerdeführer nicht verpflichtet, einen mit dem behaupteten Verfahrensfehler nicht in Zusammenhang stehenden<br />

Vermerk der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft mitzuteilen. Die Rüge ist indes nicht begründet, da<br />

der behauptete Verfahrensfehler nicht bewiesen ist. Eine Verständigung über das Verfahrensergebnis, bei der das<br />

Gericht dem Angeklagten eine Strafobergrenze zusagen darf <strong>und</strong> an diese Zusage geb<strong>und</strong>en ist (zu den Einzelheiten<br />

vgl. BGHSt 43, 195, 210 sowie nunmehr - einengend - BGH Großer Senat für Strafsachen BGHSt 50, 40, 51), ist als<br />

wesentlicher Verfahrensvorgang im Protokoll über die Hauptverhandlung festzuhalten (BGHSt 43, 195, 206). Dies<br />

ist schon deshalb geboten, um spätere Streitigkeiten darüber zu vermeiden, ob es zu einer Absprache gekommen ist<br />

(BGHSt aaO). Die Sitzungsniederschrift mit der ihr gemäß § 274 Satz 1 StPO zukommenden positiven <strong>und</strong> negativen<br />

Beweiskraft für das Revisionsverfahren beweist deshalb gr<strong>und</strong>sätzlich bindend die Existenz einer Verständigung<br />

in der Hauptverhandlung (BGHSt 45, 227, 228; vgl. auch BVerfG StV 2000, 3; BGH NStZ 2001, 555; 2004, 342).<br />

Das Hauptverhandlungsprotokoll enthält keine Verständigung über das Verfahrensergebnis. Zwar hat der Verteidiger<br />

beantragt, das Protokoll dahingehend zu berichtigen, dass eine Verständigung mit einer zugesicherten Strafobergrenze<br />

von zwei Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten stattgef<strong>und</strong>en habe; diesen Antrag hat das Landgericht indes mit der Begründung<br />

abgelehnt, es habe keine Verständigung, sondern lediglich einen Austausch über die Straferwartungen der Verfahrensbeteiligten<br />

im Rahmen eines Rechtsgesprächs gegeben. Damit ist bewiesen (§ 274 StPO), dass eine Verständigung<br />

nicht stattgef<strong>und</strong>en hat. Umstände, bei denen die Beweiskraft des Protokolls entfallen würde, sind nicht gegeben.<br />

Die Niederschrift enthält weder Lücken noch Unklarheiten oder Widersprüche. Den Vorwurf der Fälschung<br />

des Protokolls hat der Verteidiger nicht erhoben. Er kann auch nicht darin gesehen werden, dass die Revision in<br />

Unkenntnis der den Berichtigungsantrag ablehnenden Entscheidung vorgetragen hat, die Strafkammer habe die<br />

Höchststrafenzusage in der Hauptverhandlung "zu Protokoll" erklärt. Der Senat ist daher gehindert, im Wege des<br />

Freibeweises Feststellungen zum Ablauf der Hauptverhandlung zu treffen.<br />

146


StPO § 274 – Wahrheitswidrige Behauptung eines Verfahrensfehlers<br />

BGH, Urt. vom 11.08.2006 – 3 StR 284/05 - NJW 2006, S. 3579 ff. = JR 2007, S. 31 m. Anm. Fahl, dazu ebenfalls<br />

Hollaender JR 2007, S. 6<br />

LS: 1. Ein Beschwerdeführer, der bewusst wahrheitswidrig einen Verfahrensverstoß behauptet <strong>und</strong><br />

sich zum Beweis auf ein als unrichtig erkanntes Protokoll beruft, handelt rechtsmissbräuchlich;<br />

seine Rüge ist unzulässig.<br />

2. Dies gilt auch, wenn er das sichere Wissen von der Unwahrheit erst nachträglich erlangt, die Rüge<br />

jedoch gleichwohl weiterverfolgt.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Kammergerichts Berlin vom 18. März 2004 wird verworfen.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Der Angeklagte wurde wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion <strong>und</strong> wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen<br />

Vereinigung in Tateinheit mit Herbeiführen einer - weiteren - Sprengstoffexplosion <strong>und</strong> mit Beförderung von<br />

Sprengstoff zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> neun Monaten verurteilt. Seine auf die Verletzung<br />

formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts gestützte Revision hat aus den Gründen der Antragsschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts<br />

keinen Erfolg. Der näheren Erörterung bedürfen nur folgende Beanstandungen:<br />

A. Verfahrensrügen:<br />

I. Rüge A. I der Revisionsbegründung (Angeklagter zeitweise nicht verteidigt): Mit der von Rechtsanwältin W. begründeten<br />

Rüge wird behauptet, der Angeklagte sei am 8. Mai 2003, dem 126. Verhandlungstag, ab 11.14 Uhr nicht<br />

verteidigt gewesen. Diese Behauptung eines Verfahrensfehlers ist, wenn nicht schon von Anfang an bewusst wahrheitswidrig<br />

aufgestellt, so jedenfalls seit der Kenntnis vom Inhalt der dazu abgegebenen dienstlichen Erklärungen<br />

wider besseres Wissen aufrechterhalten <strong>und</strong> dem Revisionsgericht zur Entscheidung unterbreitet worden. Die Weiterverfolgung<br />

der Rüge unter Berufung auf das als unrichtig erkannte Protokoll ist rechtsmissbräuchlich; damit ist die<br />

Rüge unzulässig geworden.<br />

1. Das ursprünglich gefertigte Protokoll enthielt zum Ablauf dieses Sitzungstages - soweit es hier von Bedeutung ist<br />

- folgende Angaben: 09.17 Aufruf, für den Angeklagten sind erschienen Rechtsanwältin St. <strong>und</strong> Rechtsanwältin Stu.<br />

als Vertreterin von Rechtsanwältin W. 09.20 Zeugin Se. wird hereingerufen <strong>und</strong> vernommen 10.15 Unterbrechung<br />

10.37 Fortsetzung, Rechtsanwalt E. nicht wieder erschienen 10.52 Rechtsanwalt von Sch. verlässt den Sitzungssaal<br />

11.05 Rechtsanwalt Eu. verlässt den Sitzungssaal 11.10 Zeugin Se. wird entlassen 11.10 Rechtsanwältin Stu. verlässt<br />

den Sitzungssaal 11.12 Rechtsanwalt E. erscheint wieder 11.12 Rechtsanwalt B. verlässt den Sitzungssaal 11.13<br />

Rechtsanwalt Eu. erscheint wieder 11.13 Zeuge I. wird hereingerufen <strong>und</strong> vernommen 11.14 Rechtsanwältin St.<br />

verlässt den Sitzungssaal 11.21 Rechtsanwalt Dr. K. verlässt den Sitzungssaal 11.22 Rechtsanwalt Dr. K. erscheint<br />

wieder 12.48 Zeuge I. wird entlassen 12.50 Sitzung geschlossen Mit der Revision hat Rechtsanwältin W. gerügt, der<br />

Angeklagte sei an diesem Sitzungstag ab 11.14 Uhr nicht verteidigt gewesen. Daraufhin haben am 1. Juli 2005 die<br />

Vorsitzende <strong>und</strong> die Protokollführerin das Protokoll dadurch berichtigt, dass die Eintragung "11.14 Uhr Rechtsanwältin<br />

St. verlässt den Sitzungssaal" gestrichen wurde. Zur Anwesenheit dieser Verteidigerin ist in dienstlichen Erklärungen<br />

folgendes bek<strong>und</strong>et worden: Die Vorsitzende Richterin am Kammergericht H. hat erklärt: Aus ihrer persönlichen<br />

Mitschrift der Hauptverhandlung ergebe sich, dass Rechtsanwältin St. bei der Vernehmung des Beamten<br />

des B<strong>und</strong>eskriminalamtes I. anwesend gewesen sei <strong>und</strong> Fragen an ihn gestellt habe. Im Übrigen zeige die Vorgeschichte<br />

ein erhebliches Interesse der Rechtsanwältin an der Vernehmung des Zeugen. Sie habe bei einer früheren<br />

Vernehmung des Zeugen deren Unterbrechung mit der Begründung beantragt, dass es zum Vernehmungsgegenstand<br />

(Vorhandensein einer konspirativen Wohnung in der O. straße) vermutlich weitere bisher nicht vorgelegte Protokolle<br />

gebe. Dies sei Gegenstand von Auseinandersetzungen mit dem Gericht gewesen, die auch zu einem Ablehnungsgesuch<br />

der Verteidigerin geführt hätten. Richter am Kammergericht A. hat erklärt, er habe elf Seiten Mitschriften zur<br />

Vernehmung des Zeugen I. gefertigt, in denen zahlreiche Fragen der Rechtsanwältin St. an diesen Zeugen sowie<br />

deren Anregung, auch noch den Zeugen Schn. zu vernehmen, enthalten seien. Richter am Kammergericht G. war von<br />

der Vorsitzenden beauftragt, die Anwesenheit der Verteidiger zu kontrollieren <strong>und</strong> darüber Aufzeichnungen zu machen.<br />

Nach diesen zu den Akten übergebenen Aufzeichnungen war Rechtsanwältin St. an diesem Sitzungstag durchgehend<br />

anwesend. Richter am Kammergericht Ha. hat bek<strong>und</strong>et, ausweislich seiner Aufzeichnungen über die Anwesenheit<br />

der Verteidiger habe Rechtsanwältin St. den Sitzungssaal nicht verlassen <strong>und</strong> am Ende der Zeugenverneh-<br />

147


mung die Ladung der Zeugen Schm. <strong>und</strong> Schn. angeregt. B<strong>und</strong>esanwalt Br. hat erklärt, er habe Staatsanwalt Wa.<br />

beauftragt, ein Wortprotokoll über diesen Sitzungstag zu fertigen, <strong>und</strong> dieses mit ihm abgestimmt. In dem zu den<br />

Akten gereichten Protokoll sind 20 Fragen oder Vorhalte der Rechtsanwältin St. an den Zeugen I. im Wortlaut wiedergegeben.<br />

Diese dienstlichen Erklärungen sind mit den übergebenen Aufzeichnungen den Verteidigern des Angeklagten<br />

mitgeteilt worden. Sie haben zu deren Richtigkeit keine Erklärungen abgegeben. In der Revisionshauptverhandlung<br />

hat Rechtsanwältin W. erklärt, dass sie als Erkenntnisquelle für die Behauptung der Abwesenheit von<br />

Rechtsanwältin St. lediglich das Protokoll habe. Nach Durchsicht des Protokolls habe sie noch mit Rechtsanwältin<br />

St. <strong>und</strong> dem Angeklagten Rücksprache genommen, die sich jedoch an den Vorgang nicht hätten erinnern können.<br />

Auf die weitere Frage, ob es ihr nicht zu denken gebe, dass in den dienstlichen Erklärungen der Rügebehauptung<br />

dezidiert entgegengetreten werde, hat sie geantwortet: "Im Rahmen meiner Rechtsansicht nein".<br />

2. Der Senat ist davon überzeugt, dass Rechtsanwältin St. am 8. Mai 2003 um 11.14 Uhr den Sitzungssaal nicht verlassen<br />

hat <strong>und</strong> bei der Vernehmung des Zeugen I. anwesend war. Die mehrfachen, eindeutigen, durch Aufzeichnungen<br />

belegten dienstlichen Erklärungen lassen daran keinen Zweifel. Dies wird auch bestätigt durch das Verhalten der<br />

Verteidigerin Rechtsanwältin St. , die den Erklärungen nicht entgegengetreten ist. Er ist weiter davon überzeugt, dass<br />

Rechtsanwältin W. den wahren Sachverhalt kennt. Es ist bereits in hohem Maße wahrscheinlich, dass dieser ihr<br />

schon bei Fertigung der Revisionsbegründung bekannt war. Der Angeklagte wurde von den Rechtsanwältinnen St.<br />

<strong>und</strong> W. gemeinsam als "Stammverteidiger" verteidigt, während weitere Verteidiger im Wesentlichen nur für Vertretungsfälle<br />

zum Einsatz kamen. Eine solche gemeinsame Verteidigung setzt die gegenseitige Information über solche<br />

Verfahrensvorgänge voraus, bei denen einer von beiden nicht anwesend ist. Wie sich aus der dienstlichen Erklärung<br />

der Vorsitzenden ergibt, war zudem die Vernehmung des Zeugen I. von erheblichem Interesse für die Verteidigung.<br />

Es erscheint daher - schon im Hinblick auf die Fortführung der weiteren Verteidigung <strong>und</strong> die Schlussvorträge -<br />

wenig glaubhaft, dass es im Anschluss an den Sitzungstag nicht zeitnah zu einer Kontaktaufnahme zwischen beiden<br />

Verteidigerinnen gekommen ist, bei der Rechtsanwältin St. ihre Mitverteidigerin über die wesentlichen Ergebnisse<br />

der Befragung informiert hat. Jedenfalls hat Rechtsanwältin W. mit Erhalt der dienstlichen Erklärungen sicheres<br />

Wissen erlangt, dass die behauptete Abwesenheit nicht der Wahrheit entspricht. In diesen Erklärungen wird die tatsächliche<br />

Anwesenheit der Verteidigerin nicht nur pauschal, sondern - zudem aus der Sicht unterschiedlicher Beteiligter<br />

- substantiiert unter Vortrag zahlreicher Einzelheiten <strong>und</strong> unter Vorlage detaillierter Aufzeichnungen versichert.<br />

Es ist nicht vorstellbar, dass Rechtsanwältin W. nach Kenntnisnahme dieser Erklärungen <strong>und</strong> der beigefügten<br />

Aufzeichnungen die Abwesenheit ihrer Mitverteidigerin überhaupt noch für möglich hielt. Das gilt selbst dann, wenn<br />

sich Rechtsanwältin St. , was sich aber ebenfalls der Vorstellungskraft des Senats entzieht, auf Nachfrage an die in<br />

Rede stehende Vernehmung des Zeugen I. nicht erinnern konnte oder dies behauptet hat.<br />

3. Auch im Strafprozess gilt - ebenso wie in anderen Prozessordnungen - ein allgemeines Missbrauchsverbot. Zwar<br />

enthält die Strafprozessordnung keinen generellen Missbrauchstatbestand. Jedoch sind in ihr Sonderfälle wie der<br />

Missbrauch des Fragerechts in § 241 Abs. 1 i. V. m. § 239 Abs. 1 StPO <strong>und</strong> der Missbrauch des Verteidigerrechts in<br />

§ 138 a Abs. 1 Nr. 2 StPO geregelt. Der Gedanke der Verhinderung eines Rechtsmissbrauchs liegt auch den Vorschriften<br />

der § 26 a Abs. 1 Nr. 3, § 29 Abs. 2, § 137 Abs. 1 Satz 2, § 244 Abs. 3 Satz 2 ("Prozessverschleppung"), §<br />

245 Abs. 2 Satz 3 <strong>und</strong> § 266 Abs. 3 Satz 1 StPO zugr<strong>und</strong>e (vgl. Meyer JR 1980, 219 f.). Für andere Fälle des Missbrauchs<br />

prozessualer Befugnisse im Strafverfahren, die der Gesetzgeber nicht ausdrücklich geregelt hat, gilt - wie in<br />

jedem Prozess - das allgemeine Missbrauchsverbot (BGHSt 38, 111, 112 f.; BGH StV 2001, 100 f. <strong>und</strong> 101; KG JR<br />

1971, 338 mit zust. Anm. Peters; Weber GA 1975, 289, 295; Fahl, Rechtsmissbrauch im Strafprozess S. 68 ff., 124<br />

ff.; Niemöller StV 1996, 501 ff.; Fischer NStZ 1997, 212, 216 f.; Kudlich NStZ 1998, 588 ff.; Roxin in FS für Hanack<br />

S. 1, 19 f.; Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. Einl. Rdn. 111; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. vor §<br />

226 Rdn. 49; Pfeiffer in KK 5. Aufl. Einl. Rdn. 22 a). Gegen diese Auffassung wenden sich einige Stimmen mit der<br />

Befürchtung, es könne von den Gerichten Missbrauch mit einem allgemeinen Missbrauchsverbot getrieben werden<br />

(Rieß in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. Einl. J Rdn. 36; Kühne, Strafprozessrecht 6. Aufl. Rdn. 293; Fezer in FS<br />

für Ulrich Weber S. 475 ff.). Diesem dogmatisch ohnehin wenig gewichtigen Argument ist entgegenzuhalten, dass<br />

seit der gr<strong>und</strong>legenden Anerkennung eines allgemeinen Missbrauchsverbotes durch die Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs<br />

in BGHSt 38, 111 nunmehr fast 15 Jahre vergangen sind, ohne dass sich diese Befürchtung bestätigt<br />

hätte. Die sehr seltenen Entscheidungen, in denen davon Gebrauch gemacht worden ist, belegen eine ausgesprochene<br />

Zurückhaltung der Praxis.<br />

4. Ein Missbrauch prozessualer Rechte ist dann anzunehmen, wenn ein Verfahrensbeteiligter die ihm durch die<br />

Strafprozessordnung eingeräumten Möglichkeiten zur Wahrung seiner verfahrensrechtlichen Belange benutzt, um<br />

gezielt verfahrensfremde oder verfahrenswidrige Zwecke zu verfolgen (BGHSt 38, 111, 113). Einen solchen<br />

Rechtsmissbrauch begeht auch ein Beschwerdeführer, der in einer Verfahrensrüge einen Verfahrensverstoß behauptet,<br />

obwohl er sicher weiß, dass sich dieser nicht ereignet hat (Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren S. 156 f.).<br />

148


Denn er verfolgt mit ihr verfahrenswidrige Zwecke. Eine Verfahrensrüge dient dazu, geschehene Verfahrensfehler zu<br />

korrigieren (Fahl aaO S. 689). Nur dann, wenn das <strong>Verfahrensrecht</strong> tatsächlich verletzt worden ist <strong>und</strong> entweder ein<br />

absoluter Revisionsgr<strong>und</strong> eingreift oder das Beruhen des Urteils auf dem Fehler nicht ausgeschlossen werden kann,<br />

unterliegt das Urteil der Aufhebung. Liegt dagegen der behauptete Verfahrensfehler nicht vor, ist - sofern nicht andere<br />

Aufhebungsgründe gegeben sind - die Revision zu verwerfen; das Urteil hat dann Bestand. Diesem Zweck der<br />

Verfahrensrüge würde es zuwiderlaufen, wenn man einem Rechtsmittelführer gestatten würde, durch die bewusst<br />

wahrheitswidrige Behauptung eines Verfahrensfehlers ein Urteil zu Fall zu bringen, von dem er sicher weiß, dass es<br />

insoweit in einem fehlerfreien Verfahren ergangen ist. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass es an der<br />

Verfolgung verfahrensfremder Zwecke fehle <strong>und</strong> die Erhebung einer bewusst unwahren Rüge jedenfalls dann zulässig<br />

sein müsse, wenn es dem Verteidiger darum gehe, ein materiell für unrichtig gehaltenes Urteil zu Fall zu bringen<br />

(so Cüppers NJW 1951, 259; Schneidewin MDR 1951, 193, 194). Ein solches Fernziel kann das prozessrechtswidrige<br />

Vorgehen nicht rechtfertigen (Dallinger - "Der Zweck heiligt nicht die Mittel." - NJW 1951, 256, 257; Fahl aaO<br />

S. 688; vgl. auch Tepperwien in FS für Meyer-Goßner S. 595, 600). So kann ein Verteidiger auch nicht zu unlauteren<br />

Mitteln greifen, um eine drohende - nach seiner Auffassung nicht gerechtfertigte - Verurteilung zu verhindern, indem<br />

er etwa einen zum Meineid entschlossenen Zeugen präsentiert oder gefälschte Urk<strong>und</strong>en vorlegt (vgl. Beulke, Die<br />

Strafbarkeit des Verteidigers S. 53, 83). Insofern gilt nichts anderes als umgekehrt für den Staatsanwalt oder den<br />

Nebenkläger. Für ihre Seite wird kaum zu vertreten sein, dass sie bewusst eine unwahre Verfahrensrüge erheben<br />

dürfen, um einen für unrichtig gehaltenen Freispruch zu revidieren (vgl. Fahl aaO S. 691; vgl. aber Park StraFo 2004,<br />

335, 337 f.).<br />

5. Ein missbräuchliches Verhalten wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Erhebung einer bewusst wahrheitswidrigen<br />

Verfahrensrüge sich auf die Beweiskraft eines - als fehlerhaft erkannten - Protokolls stützen kann. Ein<br />

solcher Sachverhalt wird in der Literatur vielfach mit dem plakativen Begriff "unwahre Protokollrüge" bezeichnet<br />

(vgl. Tepperwien aaO S. 595).<br />

a) Die Frage, ob eine bewusst "unwahre Protokollrüge" zulässig ist, hat die Rechtsprechung bislang noch nicht entschieden.<br />

In der Literatur ist sie heftig umstritten. Überwiegend wird die Auffassung vertreten, die sich aus § 274<br />

StPO ergebende Beweiskraft erlaube einem Verteidiger, sich ein unrichtiges Protokoll uneingeschränkt zunutze zu<br />

machen <strong>und</strong> eine bewusst "unwahre Protokollrüge" zu erheben (vgl. u. a. Schneidewin aaO.; Park aaO; Sarstedt/<strong>Hamm</strong>,<br />

Die Revision in Strafsachen 6. Aufl. Rdn. 292-294; Beulke, Der Strafverteidiger im Strafverfahren<br />

1980 S. 156 f.; Schlüchter/Frister in SK-StPO § 274 Rdn. 24); nach Cüppers besteht insoweit nicht nur ein Recht,<br />

sondern sogar eine Pflicht (NJW 1950, 930 ff. <strong>und</strong> NJW 1951, 259). Dahs hat dies dahin formuliert, dass in diesem<br />

Bereich des Revisionsverfahrens ein Rechtsanwalt "nach Herzenslust, besser: nach Rechtslust lügen darf <strong>und</strong> muss"<br />

(StraFo 2000, 181, 185; vgl. auch Handbuch des Strafverteidigers 7. Aufl. Rdn. 917 ff.). Andere halten die Erhebung<br />

einer bewusst "unwahren Protokollrüge" für rechtsmissbräuchlich (Fahl aaO S. 665 ff.; Dallinger NJW 1951, 256 ff.;<br />

Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 274 Rdn. 21). Teilweise wird hierin ein lediglich standeswidriges Verhalten gesehen,<br />

das jedoch die prozessuale Zulässigkeit nicht berühre (Dünnebier in Löwe/Rosenberg, StPO 23. Aufl. vor § 137<br />

Rdn. 17 f.). Tepperwien (aaO S. 601 f.) sieht zwar in einer bewusst "unwahren Protokollrüge" einen Rechtsmissbrauch,<br />

möchte jedoch aus pragmatischen Gründen hieraus keine Konsequenzen ziehen <strong>und</strong> die Rüge für zulässig<br />

erachten.<br />

b) Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 14. April 1999 (BGHR StPO § 274 Beweiskraft 21; vgl. auch 24<br />

<strong>und</strong> 27) erwogen hat, handelt ein Beschwerdeführer, der bewusst wahrheitswidrig einen Verfahrensverstoß behauptet<br />

<strong>und</strong> sich zum Beweis auf ein als unrichtig erkanntes Protokoll beruft, rechtsmissbräuchlich. Es gibt keine durchgreifenden<br />

Gründe, die bewusst "unwahre Protokollrüge" im Hinblick auf einen Rechtsmissbrauch anders zu beurteilen,<br />

als eine sonstige bewusst unwahre Verfahrensrüge:<br />

aa) Es trifft insbesondere nicht zu, dass eine bewusst "unwahre Protokollrüge" keine Lüge sei, dass jedenfalls der<br />

Verteidiger insoweit lügen dürfe oder gar müsse oder dass durch § 274 StPO eine "prozessuale Wahrheit" geschaffen<br />

werde (so aber Cüppers aaO; Schneidewin aaO; Park aaO; Sarstedt/<strong>Hamm</strong> aaO; Dahs aaO). Die Beweiskraft des<br />

Protokolls nach § 274 StPO verändert nicht die Tatsachen, macht aus Unwahrheit keine Wahrheit. Die Vorschrift<br />

enthält vielmehr eine Beweisregel (Dünnebier aaO; Fahl aaO S. 687). Die Ebenen der Behauptung eines Verfahrensfehlers<br />

<strong>und</strong> seines Beweises dürfen nicht vermengt, sondern müssen streng getrennt werden (so zutreffend Dallinger<br />

aaO S. 257). Eine zulässige Verfahrensrüge erfordert zunächst die bestimmte Behauptung eines Verfahrensfehlers,<br />

erst danach stellt sich die Frage des Beweises. Deshalb besagt die Beweisbarkeit einer unwahren Behauptung nichts<br />

über deren Zulässigkeit.<br />

bb) Die Entscheidungen RGSt 43, 1 <strong>und</strong> BGHSt 2, 125 stehen der Auffassung des Senats nicht entgegen. Sie befassen<br />

sich ausdrücklich lediglich mit der Frage, ob einer Verfahrensrüge durch eine Protokollberichtigung der Boden<br />

entzogen werden kann, nicht aber mit der Zulässigkeit einer bewusst "unwahren Protokollrüge". Soweit ein Recht<br />

149


zur Erhebung solcher Rügen aus einzelnen Begründungselementen dieser Entscheidungen hergeleitet wird (vgl. Park<br />

StraFo 2004, 335, 337), kann dahin stehen, ob diese Wendungen nicht lediglich objektiv unrichtige, sondern tatsächlich<br />

auch bewusst wahrheitswidrige auf das Protokoll gestützte Rügen im Blick hatten (vgl. dazu ausführlich Fahl<br />

aaO S. 681 ff.). Denn der Senat wäre an die Auffassung seines Vorgängersenates ebenso wenig wie an die des<br />

Reichsgerichts geb<strong>und</strong>en. Im Übrigen hat sich die Rechtslage mit Anerkennung eines allgemeinen Missbrauchsverbotes<br />

in BGHSt 38, 111 ff. verändert. Immerhin hatte aber bereits das Reichsgericht in der genannten Entscheidung<br />

darauf hingewiesen, dass von einem Recht auf Geltendmachung der Unwahrheit in solchen Fällen nicht gesprochen<br />

werden könne <strong>und</strong> es sich nur um die "Möglichkeit handle, eine prozessrechtliche Befugnis zu tatsächlich wahrheitswidrigen<br />

Zwecken zu missbrauchen" (aaO S. 6).<br />

cc) Der Vorschrift des § 274 StPO kann nicht entnommen werden, der Missbrauch von Verfahrensrügen unter Berufung<br />

auf das Protokoll sei "institutionell eingeplant" (so aber Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren S. 237).<br />

Dessen Beweiskraft hat lediglich zur Folge, dass ein beurk<strong>und</strong>eter Sachverhalt ohne Rücksicht auf das tatsächliche<br />

Geschehen als bewiesen gilt <strong>und</strong> somit ein Verteidiger mit einer auf gutem Glauben oder auch nur auf einer unsicheren<br />

Erinnerung basierenden Rüge erfolgreich sein kann, obgleich der Verfahrensfehler sich tatsächlich nicht ereignet<br />

hat. Nur dies ist "institutionell eingebaut", nicht aber der (wissentliche) Missbrauch des Rügerechts (vgl. auch Fahl<br />

aaO S. 689).<br />

dd) Gegen die Anwendung des Missbrauchsverbots bei bewusst "unwahren Protokollrügen" kann nicht eingewandt<br />

werden, durch deren freibeweisliche Klärung werde faktisch die Beweiskraft des Protokolls nach § 274 StPO ausgehöhlt.<br />

Diese behält vielmehr ihre Bedeutung nicht nur in allen Fällen, in denen unklar ist, ob sich der Verstoß ereignet<br />

hat, sondern auch dann, wenn sich die Rüge zwar als objektiv unwahr erweist, der Verteidiger dies aber entweder<br />

nicht weiß oder ihm jedenfalls sicheres Wissen um die Unwahrheit nicht nachgewiesen werden kann. In solchen<br />

Fällen kann ein Beschwerdeführer sich auf das seinen Vortrag stützende Protokoll berufen, auch wenn es objektiv<br />

dem Geschehensablauf nicht entspricht, ohne sich dem Vorwurf des Rechtsmissbrauchs auszusetzen. Im Ergebnis<br />

wird unter dem Gesichtspunkt des Rechts-missbrauchs die Berufung auf die Beweiskraft des Protokolls nur in den -<br />

eher seltenen - Fällen verwehrt, in denen die objektive Unwahrheit so klar zu Tage tritt, dass sie auch dem Verteidiger<br />

schlechterdings nicht verborgen geblieben sein kann.<br />

ee) Es trifft auch der weitere Einwand nicht zu, die Gewichte würden sich gr<strong>und</strong>legend zum Nachteil eines Angeklagten<br />

verschieben, wenn dem Verteidiger die Erhebung einer bewusst "unwahren Protokollrüge" unmöglich gemacht<br />

wird, weil dann die vom Protokoll abweichende Wirklichkeit nur zu seinen Lasten, nicht aber zu seinen Gunsten<br />

maßgeblich sei. Dieses Bedenken relativiert sich von vorneherein dadurch, dass die Berufung auf ein - auch objektiv<br />

unrichtiges - Protokoll, wie dargelegt, in den meisten Fällen weiterhin möglich sein wird <strong>und</strong> nur dann dem<br />

Missbrauchsverbot unterfällt, wenn sie zur Stützung einer bewusst wahrheitswidrigen Rüge erfolgt. Zudem besteht<br />

die beklagte Unausgewogenheit tatsächlich nicht. Einer bewusst "unwahren Protokollrüge" entspricht bei einer solchen<br />

vergleichenden Betrachtung nämlich nicht ein zu Lasten des Angeklagten lediglich irrtümliches, also nur objektiv<br />

unrichtiges, sondern ein bewusst wahrheitswidrig gefertigtes Protokoll, bei dem die Unterzeichner den Nachweis<br />

eines Verfahrensfehlers, der sich tatsächlich ereignet hatte, durch eine entsprechende Formulierung des Protokolls<br />

bewusst vereiteln. Eine solche "Lüge" der Unterzeichner des Protokolls stellt eine Fälschung im Sinne des § 274 Satz<br />

2 StPO dar (OLG Düsseldorf StV 1984, 108), die wie ein etwaiger Rechtsmissbrauch des Beschwerdeführers im<br />

Freibeweis festzustellen wäre <strong>und</strong> ebenfalls zum Wegfall der Beweiskraft führen würde (Meyer-Goßner, StPO 49.<br />

Aufl. § 274 Rdn. 19). Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass eine Pflicht zur Berichtigung eines unrichtigen Protokolls<br />

besteht, auf die die Verfahrensbeteiligten hinwirken können (vgl. Meyer-Goßner aaO § 271 Rdn. 23), <strong>und</strong> dass<br />

sich die Unterzeichner eines bewusst unrichtigen Protokolls nach § 348 Abs. 1 StGB wegen Falschbeurk<strong>und</strong>ung im<br />

Amt strafbar machen, da ein Protokoll zumindest im Hinblick auf die für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen<br />

Förmlichkeiten eine öffentliche Urk<strong>und</strong>e darstellt (vgl. RGSt 72, 226 f.; Gribbohm in LK 11. Aufl. § 271 Rdn. 45).<br />

Entsprechendes muss gelten, wenn Amtsträger die Berichtigung eines als unrichtig erkannten Protokolls unterlassen<br />

(vgl. Gribbohm aaO § 348 Rdn. 18).<br />

ff) Schließlich können auch die gegen die Anwendung des Missbrauchsverbotes bei der bewusst "unwahren Protokollrüge"<br />

vorgebrachten praktischen Bedenken nicht zu einer anderen Beurteilung führen. Abgesehen davon, dass<br />

praktische Erwägungen es ohnehin kaum rechtfertigen können, einem klar erkennbaren oder sogar offen zugegebenen<br />

Missbrauch nicht entgegenzutreten (vgl. Fahl aaO S. 702), gilt im Einzelnen folgendes: Der Einwand, ein<br />

Rechtsmissbrauch mit seinen objektiven <strong>und</strong> subjektiven Elementen erfordere regelmäßig die Durchführung eines<br />

Freibeweisverfahrens durch das Revisionsgericht <strong>und</strong> sei schwer zu beweisen (vgl. Tepperwien aaO S. 601), mag<br />

zwar die Konsequenzen zutreffend beschreiben. Er kann indes nicht überzeugen, da eine solche Klärung nur in den<br />

seltenen Fällen zum Tragen kommt, in denen die bewusst "unwahre Protokollrüge" klar zu Tage tritt. Insofern unterscheidet<br />

sich im Übrigen die Situation bei der bewusst "unwahren Protokollrüge" nicht von der bei anderen Anwen-<br />

150


dungsfällen des Missbrauchsverbots, für die entsprechende Beweisschwierigkeiten bestehen. Soweit eingewandt<br />

wird, in vielen Fällen könne das Missbrauchsverbot durch Beauftragung eines anderen Revisionsverteidigers umgangen<br />

werden (vgl. Tepperwien aaO S. 601), kann auch dies nicht durchgreifen. Allerdings liegt die Verbreitung einer<br />

solchen Verteidigungspraxis nicht fern, zumal sie in Handbüchern ausdrücklich empfohlen wird (vgl. dazu Dahs,<br />

Handbuch des Strafverteidigers 7. Aufl. Rdn. 917 ff., 920: "Taktlose Fragen" von Revisionsrichtern nach der Wahrheit<br />

solle man dadurch umgehen, dass man einen anderen, nicht in der Hauptverhandlung anwesenden Rechtsanwalt<br />

mit der Verteidigung im Revisionsverfahren beauftragt, der hierzu im Stande der "Unberührtheit" gehalten werden<br />

solle). Es mag dahin gestellt bleiben, ob eine solche Umgehungsstrategie dem Bild der Strafverteidigung nach der<br />

Strafprozessordnung entspricht, woran der Senat allerdings Zweifel hat. Einer solchen Verfahrensweise kann jedenfalls<br />

in Fällen begegnet werden, in denen der Revisionsverteidiger einen Verfahrensverstoß behauptet, den er nur<br />

dem Protokoll entnimmt, für dessen Unrichtigkeit jedoch erhebliche Anhaltspunkte gegeben sind. In solchen Fällen<br />

wird er gehalten sein, sich bei dem in der Hauptverhandlung anwesenden Instanzverteidiger zu erk<strong>und</strong>igen (vgl.<br />

BGH NStZ 2005, 283 f.; BVerfG, Beschl. vom 22. September 2005 - 2 BvR 93/05). Schließlich wird es in besonders<br />

eklatanten Fällen - wie hier - vielfach möglich sein, auch dem beauftragten Revisionsverteidiger das Wissen um die<br />

Unwahrheit seiner Rüge nachzuweisen.<br />

6. Auch eine unter Berufung auf das Protokoll erhobene Rüge, bei der der Beschwerdeführer zunächst nicht bewusst<br />

wahrheitswidrig gehandelt hat, kann im Laufe des Revisionsverfahrens rechtsmissbräuchlich <strong>und</strong> damit unzulässig<br />

werden, wenn das sichere Wissen um die Unwahrheit später erworben, die Rüge aber gleichwohl weiterverfolgt <strong>und</strong><br />

dem Revisionsgericht zur Entscheidung unterbreitet wird. Für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Verfahrensrüge<br />

ist maßgeblich auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Revisionsgerichts abzustellen. Es ist kein Gr<strong>und</strong> ersichtlich,<br />

einen erst im Laufe des Revisionsverfahrens entstehenden Rechtsmissbrauch folgenlos hinzunehmen. Nur so kann<br />

auch der Umgehung des Missbrauchsverbotes durch Beauftragung eines anderen Verteidigers, der im Unklaren über<br />

die Unwahrheit gelassen worden ist, begegnet werden.<br />

7. Da nach alledem die Rüge der Verteidigerabwesenheit rechtsmissbräuchlich <strong>und</strong> unzulässig ist, kommt es auf die<br />

Frage, ob eine Protokollberichtigung berücksichtigt werden kann, durch die einer erhobenen Verfahrensrüge der<br />

Boden entzogen wird, nicht an. Es ist somit auch nicht veranlasst, das nach Durchführung des Anfrageverfahrens des<br />

1. Strafsenats zu dieser Frage (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 112) voraussichtlich zu erwartende Vorlageverfahren nach<br />

§ 132 Abs. 2 GVG abzuwarten. Ausweislich des im Anfragebeschluss mitgeteilten Sachverhalts geht der anfragende<br />

Senat nicht davon aus, der Verteidiger habe dort den Verfahrensverstoß wider besseres Wissen behauptet.<br />

8. Im Übrigen geben die Verfahrensvorgänge, die dieser <strong>und</strong> einer entsprechenden Rüge der Mitangeklagten Ec.<br />

zugr<strong>und</strong>e liegen, Anlass zu dem Hinweis, dass ein ständiges Kommen <strong>und</strong> Gehen, bei der Verteidiger gleichsam im<br />

Minutentakt den Sitzungssaal betreten oder verlassen, mit dem geordneten Ablauf einer Hauptverhandlung <strong>und</strong> den<br />

Anforderungen an eine sachgerechte Verteidigung schwerlich zu vereinbaren sind.<br />

II. Rüge A. III der Revisionsbegründung (Zutritt von Personen unter 16 Jahren): Die Rüge, die Vorschriften über die<br />

Öffentlichkeit des Verfahrens seien verletzt worden, weil die Vorsitzende in der Sitzungsverfügung Personen unter<br />

16 Jahren den Zutritt versagt habe, ist unbegründet. Ist - wie hier - die Sicherheit im Gerichtsgebäude nicht ohne<br />

weiteres gewährleistet, dürfen im Rahmen einer Sicherheitsverfügung Maßnahmen, die den Zugang zu einer Gerichtsverhandlung<br />

regeln, getroffen werden, wenn für sie ein verständlicher Anlass besteht, wobei die Entscheidung<br />

hierüber im pflichtgemäßen Ermessen des die Sitzungspolizei ausübenden Vorsitzenden steht (BGHSt 27, 13). Es ist<br />

aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass die Vorsitzende in Ziffer 2 dieser Verfügung Personen, die jünger als<br />

16 Jahre sind, den Zugang generell versagt hat. Nach § 175 Abs. 1 GVG war sie befugt, unerwachsene Personen von<br />

der Teilnahme an der Hauptverhandlung auszuschließen. Dass sie diese Befugnis im Rahmen einer Sicherheitsverfügung<br />

pauschal in der Weise ausgeübt hat, dass damit junge Menschen, die mehr als zwei Jahre unter der Volljährigkeitsgrenze<br />

sind, allgemein erfasst wurden, zeigt keinen Rechtsfehler auf. In Anbetracht der erforderlichen umfangreichen<br />

<strong>und</strong> personalintensiven Eingangskontrollen, die Wachtmeistern <strong>und</strong> Polizeikräften übertragen werden mussten,<br />

kann jedenfalls für diese Altersgruppe, bei der eine hohe Wahrscheinlichkeit für das Fehlen der Erwachsenenreife<br />

spricht, eine individuelle Prüfung dieser Reife durch das Gericht nicht gefordert werden. Die Entscheidung des<br />

Reichsgerichts in RGSt 47, 374 steht dem nicht entgegen, da ihr keine vergleichbare Situation, die eine Sicherheitsverfügung<br />

erforderlich machte, zugr<strong>und</strong>e lag. Im Übrigen betraf sie 17-jährige Zuschauer <strong>und</strong> hatte für diese das<br />

Erfordernis einer individuellen Prüfung mit spezifischen Argumenten für diese Altersgruppe begründet (Heiratsfähigkeit,<br />

Zulassung zum Militärdienst).<br />

III. Rüge A. IV der Revisionsbegründung (Verwertung entgegen § 51 BZRG): Der Generalb<strong>und</strong>esanwalt hat zutreffend<br />

darauf hingewiesen, dass der gerügte Sachverhalt nicht die Verletzung von <strong>Verfahrensrecht</strong>, sondern von sachlichem<br />

Recht betrifft. Hierauf wird im Zusammenhang mit der Sachrüge eingegangen.<br />

151


IV. Rüge A. VIII der Revisionsbegründung (Aussetzung): Die Rüge, das Kammergericht habe Aussetzungsanträge<br />

bis zur Herausgabe der vollständigen Gesprächsprotokolle des B<strong>und</strong>esamtes für Verfassungsschutz mit dem Zeugen<br />

M. zu Unrecht abgelehnt, ist unbegründet. Das Tatgericht war weder unter dem Gesichtspunkt der gerichtlichen<br />

Sachaufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO), der Rücksichtnahme auf die Belange der Verteidigung (§ 338 Nr. 8<br />

StPO), noch des fairen Verfahrens (Art. 6 MRK) verpflichtet, den Aussetzungsanträgen zu entsprechen; eine veränderte<br />

Sachlage im Sinne des § 265 Abs. 4 StPO war - entgegen der Auffassung der Revision - ohnehin nicht gegeben.<br />

Das Kammergericht hat in seinen Beschlüssen unter Orientierung an den von der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs<br />

entwickelten Gr<strong>und</strong>sätzen die wesentlichen Belange - Wahrheitsermittlung einerseits, Verfahrensbeschleunigung<br />

andererseits - erkannt <strong>und</strong> unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles gegeneinander<br />

abgewogen (BGH NStZ 1985, 466 ff.). Es hat dabei berücksichtigt, dass zwar bereits eine verwaltungs-gerichtliche<br />

Entscheidung auf Aufhebung der Sperrerklärung in erster Instanz vorgelegen hat, diese aber nicht rechtskräftig war<br />

<strong>und</strong> dass ihr im Übrigen nicht die Verpflichtung zur Herausgabe der ungeschwärzten Protokolle entnommen werden<br />

konnte. Angesichts einer Sachlage, die wesentlich dadurch gekennzeichnet ist, dass es nicht um die völlige Sperrung<br />

eines Zeugen als Beweisperson - wie sonst häufig im Zusammenhang mit Entscheidungen nach § 96 StPO - geht,<br />

sondern dass hier der Zeuge M. persönlich für eine außergewöhnlich lange Befragung im Ermittlungsverfahren <strong>und</strong><br />

ebenso im späteren Hauptverfahren zur Verfügung gestanden hat, durfte das Kammergericht den geschwärzten Passagen<br />

eine allenfalls geringe potentielle Beweisbedeutung beimessen. Denn die Befragung des Zeugen durch den<br />

Verfassungsschutz hat erst nach Abschluss eines wesentlichen Teils der Vernehmungen im Ermittlungsverfahren<br />

stattgef<strong>und</strong>en. Damit konnten aber die Aussageentwicklung zwischen Ermittlungsverfahren <strong>und</strong> der Hauptverhandlung<br />

nachverfolgt <strong>und</strong> etwaige Abweichungen - wie geschehen - näher beleuchtet werden. Unter diesen Umständen<br />

lag kein Sachverhalt vor, aufgr<strong>und</strong> dessen sich das Gericht zur weiteren Aufklärung gedrängt sehen musste. Damit<br />

war eine Aussetzung nicht nur nicht geboten, sie hätte vielmehr dem Gebot der rechtsstaatlich geforderten Beschleunigung<br />

des Strafverfahrens widersprochen (BVerfGE 63, 45, 68 f.).<br />

V. Rüge A. XII der Revisionsbegründung (Koordinierungsausschuss): Das Kammergericht hat die nicht namentlich<br />

genannten Mitarbeiter des BfV zu Recht als unerreichbar angesehen. Hinsichtlich der übrigen benannten Zeugen<br />

kann offen bleiben, ob es den Beweisantrag mit der gegebenen Begründung als bedeutungslos ablehnen durfte, jedenfalls<br />

kann ausgeschlossen werden, dass das Urteil auf der unterbliebenen Vernehmung zu der behaupteten Aussageänderung<br />

in einem Nebenpunkt, der nicht das Kerngeschehen betrifft, beruht.<br />

VI. Rüge A. XIII der Revisionsbegründung (ZSA-Sprengsatz): Der Antrag auf Vernehmung des Zeugen Ka. wurde<br />

zu Recht als bedeutungslos abgelehnt. Zum einen ergibt sich aus der vorgelegten, vom Zeugen M. gefertigten Skizze<br />

entgegen den Angaben der Verteidigung nicht, dass der Wecker mit der Rückseite auf den Karton "aufgeklebt",<br />

sondern nur, dass er am Karton "angebracht" worden ist, was eine spätere Zugänglichkeit der Einstellrädchen nicht<br />

ausschließt; zum anderen geht das Kammergericht davon aus, dass der Sprengsatz später noch verändert worden ist.<br />

Eine solche Änderung kann sich aber neben der Zusammensetzung der Sprengstoffmischung auch auf die Art der<br />

Befestigung der Zündvorrichtung bezogen haben. Der von der Revision beschriebene Widerspruch zur Zusammensetzung<br />

des Sprengstoffgemischs ergibt sich aus dem Urteil nicht, sondern besteht nur im Verhältnis zu eigenen,<br />

urteilsfremden "Feststellungen" der Verteidigung. Begründungselemente in Verteidigerschriftsätzen werden nicht<br />

dadurch zu Feststellungen des Gerichts, dass sie unwidersprochen bleiben.<br />

VII. Rüge A. XV der Revisionsbegründung (Kfz-Kennzeichen u. a.):<br />

Die Voraussetzungen einer nur ausnahmsweise zulässigen "Alternativrüge", etwa wenn ein essentieller, nicht erklärlicher<br />

Widerspruch zwischen Akteninhalt <strong>und</strong> Urteilsgründen besteht (BGHSt 43, 212, 215 f.) oder der Akteninhalt<br />

die Unrichtigkeit der Urteilsfeststellungen ohne weiteres beweist (BGH NJW 2000, 1962 f.) sind nicht gegeben. Es<br />

besteht kein solcher Widerspruch zwischen dem vorgetragenen Akteninhalt <strong>und</strong> den Urteilsgründen. Denn danach<br />

hat der Zeuge M. den Diebstahl von Kennzeichen von Doublettenfahrzeugen nur als Schlussfolgerung ( … "gegen<br />

gestohlene des gleichen Wagentyps aus getauscht worden sein müssen") <strong>und</strong> als Information vom Hörensagen wiedergegeben,<br />

nicht als selbst erlebte oder beobachtete Tatsache. Bereits bei diesen Vernehmungen war ihm vorgehalten<br />

worden, dass tatsächlich nachgefertigte Doublettenkennzeichen eingesetzt worden sind, worauf er äußerte, dass<br />

es ihn nicht w<strong>und</strong>ern würde, wenn solche Nachfertigungen hergestellt worden seien <strong>und</strong> dass er seinen Kenntnisstand<br />

lediglich von "J. " habe. Bei dieser Sachlage war eine Erörterung in den Urteilsgründen, die sich nicht zu allen<br />

erdenklichen, sondern nur zu den wesentlichen Umständen verhalten müssen, nicht zwingend geboten, zumal die<br />

Angaben des M. zur Herkunft der Kennzeichen in der Hauptverhandlung noch eine weitere Klärung erfahren haben<br />

können.<br />

VIII. Rüge A. XVII der Revisionsbegründung (Aussage des M.): Die Rüge enthält im Wesentlichen, wie der Generalb<strong>und</strong>esanwalt<br />

zutreffend ausführt, sachlich-rechtliche Angriffe gegen die Beweiswürdigung. Soweit mit ihr auch<br />

die sog. Alternativrüge erhoben werden soll, sind deren Voraussetzungen im Hinblick auf die nicht erörterten Her-<br />

152


stellungsanleitungen in Schriften nicht erfüllt. Soweit die Erwähnung "obiger Vernehmungen des Zeugen M." vermisst<br />

wird, ist die Rüge nicht zulässig erhoben, da nicht hinreichend erkennbar ist, worin ein Widerspruch gesehen<br />

wird, der entweder zu weiterer Aufklärung oder zur Erörterung in den Urteilsgründen hätte führen müssen.<br />

IX. Rüge XXII der Revisionsbegründung (Rucksackinhalt):<br />

Auch dieses Vorbringen enthält keine zulässige Alternativrüge. Der Ablauf des Gültigkeitsdatums von Ausweisdokumenten<br />

beweist die Unrichtigkeit der Urteilsfeststellungen nicht ohne weiteres. Denn auch die Mitnahme ungültiger<br />

Dokumente im Fluchtgepäck kann sinnvoll sein, wenn etwa die Absicht verfolgt wird, solche Papiere ebenso wie<br />

Notizbücher u. ä. der Polizei nicht in die Hände fallen zu lassen.<br />

B. Sachrüge:<br />

I. Rüge B. I der Revisionsbegründung (§ 51 Abs. 1 BZRG):<br />

1. Ihr liegt folgender Sachverhalt zugr<strong>und</strong>e:<br />

Der Angeklagte war bereits ab 1985 Mitglied der Revolutionären Zellen in Berlin. Er nahm zur Finanzierung dieser<br />

terroristischen Vereinigung an der sog. "Postsparbuchaktion" teil, bei der mit gefälschten Postsparbüchern Gelder<br />

betrügerisch erlangt wurden. Deswegen wurde er am 27. Februar 1989 durch das Landgericht Berlin wegen Betrugs<br />

verurteilt; die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach § 129 a StGB war nicht Gegenstand des Verfahrens.<br />

Das Kammergericht hat ihn in diesem Verfahren nur wegen der nach dieser Verurteilung begangenen<br />

mitgliedschaftlichen Betätigungsakte abgeurteilt, weil im Übrigen Strafklageverbrauch eingetreten sei. Die Revision<br />

rügt jedoch, dass gleichwohl solche früheren Betätigungen bei der Beweiswürdigung <strong>und</strong> der Strafzumessung zu<br />

seinen Lasten berücksichtigt worden seien; dies verstoße gegen § 51 Abs. 1 BZRG.<br />

2. Es ist zweifelhaft, ob sich das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG nach der zwischenzeitlich getilgten Verurteilung<br />

wegen Betrugs auch auf davor liegende mitgliedschaftliche Betätigungsakte des Angeklagten bezieht. Denn<br />

nach dieser Vorschrift darf nur die Verurteilung <strong>und</strong> die ihr zugr<strong>und</strong>e liegende Tat nicht zum Nachteil verwertet<br />

werden. Selbst wenn man davon ausgeht, der Begriff der Tat im Sinne des § 51 Abs. 1 BZRG sei gleichbedeutend<br />

mit dem nach § 264 StPO, wäre weiter Voraussetzung für die Annahme eines Verwertungsverbotes, dass diese Betätigungsakte<br />

Bestandteil der vom Landgericht am 27. Februar 1989 abzuurteilenden Tat im Sinne des § 264 StPO<br />

sind. Dies erscheint zweifelhaft. Der Senat hat bereits in der den früheren Mitangeklagten Schi. betreffenden Beschwerdeentscheidung<br />

vom 30. März 2001 ausgeführt, dass er dazu neigt, mehrere prozessuale Taten anzunehmen,<br />

wenn der Angeklagte nur wegen einer einzelnen Betätigung verurteilt worden ist <strong>und</strong> er nicht darauf vertrauen durfte,<br />

durch das frühere Verfahren seien alle Betätigungsakte für die Vereinigung erfasst (BGHSt 46, 349, 358).<br />

3. Diese Frage muss jedoch hier ebenfalls nicht entschieden werden. Auch wenn man von der gleichen prozessualen<br />

Tat ausgehen würde, läge ein durchgreifender Rechtsfehler nicht vor, da nicht die der Verurteilung zugr<strong>und</strong>e liegende<br />

Tat zum Nachteil verwertet worden ist.<br />

a) Aus der von der Revision beanstandeten beweiswürdigenden Passage auf UA S. 65 ergibt sich lediglich, dass eine<br />

Bestätigung der Aussage des Zeugen M. im Hinblick auf die Flucht des Angeklagten nach Nicaragua ("in den<br />

Wald") durch den Inhalt seines Tagebuchs erfolgt sei. Diese Flucht wegen drohender polizeilicher Verfolgung stellt<br />

jedoch keine mitgliedschaftliche Betätigung im Sinne des § 129 a StGB dar, weil mit ihr keine terroristischen Ziele<br />

gefördert wurden.<br />

b) Aus der weiteren Passage in der Beweiswürdigung, wonach feststehe, dass "die Angeklagten" bei allen drei vorangegangen<br />

Anschlägen umsichtig, sorgfältig <strong>und</strong> arbeitsteilig gehandelt hätten (UA S. 127 f.), ergibt sich nicht,<br />

dass speziell beim Angeklagten eine frühere Betätigung als Mitglied als Indiz herangezogen worden ist. Vielmehr<br />

sollte die generelle Arbeitsweise der Vereinigung charakterisiert werden, die zuvor bei den einzelnen Anschlägen<br />

herausgearbeitet worden war. Es versteht sich, dass sich die Wendung nur auf die Verhaltensweisen derjenigen Mitglieder<br />

bezog, die wegen der jeweiligen Anschläge abgeurteilt worden sind.<br />

c) Die straferschwerende Erwägung, der Anschlag auf die Siegessäule sei bereits nach dem Anschlag auf Dr. Ko.<br />

diskutiert <strong>und</strong> schließlich nach langer Planung <strong>und</strong> Vorbereitung von den Angeklagten verübt worden (UA S. 149),<br />

berührt allerdings zu einem gewissen Anteil das Verwertungsverbot nach § 51 Abs. 1 BZRG. Da der Anschlag auf<br />

Dr. Ko. am 1. September 1987 <strong>und</strong> der Anschlag auf die Siegessäule am 15. Januar 1991 stattfanden, hätte von der<br />

dazwischen liegenden Planungs- <strong>und</strong> Vorbereitungstätigkeit der vor dem 27. Februar 1989 liegende Teil von der<br />

Berücksichtigung ausgenommen werden müssen. Die nachfolgende Vorbereitung durfte jedoch ebenso wie der Umstand,<br />

dass sich der Angeklagte bei der Tatbegehung an einer lange vorher geplanten <strong>und</strong> vorbereiteten Tat beteiligte,<br />

zu seinem Nachteil berücksichtigt werden. Dass das Kammergericht bei einer solch feinen Differenzierung zu einer<br />

geringeren Strafe gelangt wäre, vermag der Senat auszuschließen.<br />

II. Rüge B. II der Revisionsbegründung (Widersprüche bei Aussage M.): Soweit die Revisionsbegründung unter<br />

Abschnitt B. II verschiedene Widersprüche zwischen der Aussage des Zeugen M. <strong>und</strong> dem festgestellten Geschehensablauf<br />

darlegt <strong>und</strong> beanstandet, diese seien nicht erschöpfend erörtert, zeigt sie einen Rechtsfehler nicht auf. Das<br />

153


Kammergericht hat die genannten Widersprüche gesehen <strong>und</strong> im Rahmen der außerordentlich umfangreichen Beweiswürdigung<br />

in ausreichender Weise erörtert; dass es dabei wesentliche Umstände außer Acht gelassen hätte, ist<br />

nicht ersichtlich.<br />

III. Rüge B. III der Revisionsbegründung (Überlassung von Aktenteilen): Die sachlich-rechtliche Beanstandung, das<br />

Kammergericht habe bei der Würdigung der Aussage des Zeugen M. in den Urteilsgründen nicht ausdrücklich erörtert,<br />

dass ihm <strong>und</strong> seinem Beistand zuvor Aktenbestandteile, insbesondere Abschriften von Vernehmungsprotokollen<br />

aus dem Ermittlungsverfahren zur Verfügung gestellt worden waren, geht von urteilsfremden Feststellungen aus <strong>und</strong><br />

kann somit einen sich aus dem Urteil selbst ergebenden Erörterungsmangel nicht belegen. Eine Aufklärungsrüge ist<br />

insoweit nicht erhoben. Im Übrigen würde auf der fehlenden Erörterung das Urteil nicht beruhen. Denn die Überlassung<br />

war Gegenstand etlicher Anträge <strong>und</strong> Gerichtsbeschlüsse. Dabei hat das Kammergericht ausgeführt, dass die<br />

Überlassung für die Würdigung von Bedeutung sein kann <strong>und</strong> deshalb die Kenntnisnahme durch den Zeugen zum<br />

Gegenstand seiner Befragung gemacht worden war. Bei dieser Sachlage kann ausgeschlossen werden, dass das Gericht<br />

diesen Umstand bei seiner Überzeugungsbildung aus dem Blick verloren haben könnte.<br />

IV. Rüge B. IV der Revisionsbegründung (Wohnung O. straße): Die ausführliche Beweiswürdigung des Kammergerichts<br />

zum Vorhandensein einer konspirativen Wohnung in der O. straße lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen. Ein<br />

solcher wird auch nicht dadurch belegt, dass die Zeugin L. zwar 24 Minuten lang vernommen worden sein soll, ihre<br />

Aussage aber nur mit einigen Sätzen dargestellt worden ist. Es genügt gr<strong>und</strong>sätzlich die zusammenfassende Wiedergabe<br />

des für die Überzeugungsbildung wesentlichen Inhalts, eine vollständige Dokumentation der Aussage ist nicht<br />

geboten (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 2 Beweisergebnis 3).<br />

StPO § 274 Rügeverkümmerung Großer Senat<br />

BGH, Beschl. vom 23.04.2007 - GSSt 1/06 – NJW 2007, S. 2419 ff. = JR 2007, 345 mit Anm. Fahl<br />

LS: 1. Durch eine zulässige Berichtigung des Protokolls kann auch zum Nachteil des Beschwerdeführers<br />

einer bereits ordnungsgemäß erhobenen Verfahrensrüge die Tatsachengr<strong>und</strong>lage entzogen<br />

werden.<br />

2. Die Urk<strong>und</strong>spersonen haben in einem solchen Fall vor einer beabsichtigten Protokollberichtigung<br />

zunächst den Beschwerdeführer anzuhören. Widerspricht er der beabsichtigten Berichtigung substantiiert,<br />

sind erforderlichenfalls weitere Verfahrensbeteiligte zu befragen. Halten die Urk<strong>und</strong>spersonen<br />

trotz des Widerspruchs an der Protokollberichtigung fest, ist ihre Entscheidung hierüber mit<br />

Gründen zu versehen.<br />

3. Die Beachtlichkeit der Protokollberichtigung unterliegt im Rahmen der erhobenen Verfahrensrüge<br />

der Überprüfung durch das Revisionsgericht. Im Zweifel gilt insoweit das Protokoll in der<br />

nicht berichtigten Fassung.<br />

Der Große Senat für Strafsachen des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 23. April 2007 beschlossen:<br />

1. Durch eine zulässige Berichtigung des Protokolls kann auch zum Nachteil des Beschwerdeführers einer bereits<br />

ordnungsgemäß erhobenen Verfahrensrüge die Tatsachengr<strong>und</strong>lage entzogen werden.<br />

2. Die Urk<strong>und</strong>spersonen haben in einem solchen Fall vor einer beabsichtigten Protokollberichtigung zunächst den<br />

Beschwerdeführer anzuhören. Widerspricht er der beabsichtigten Berichtigung substantiiert, sind erforderlichenfalls<br />

weitere Verfahrensbeteiligte zu befragen. Halten die Urk<strong>und</strong>spersonen trotz des Widerspruchs an der Protokollberichtigung<br />

fest, ist ihre Entscheidung hierüber mit Gründen zu versehen.<br />

3. Die Beachtlichkeit der Protokollberichtigung unterliegt im Rahmen der erhobenen Verfahrensrüge der Überprüfung<br />

durch das Revisionsgericht. Im Zweifel gilt insoweit das Protokoll in der nicht berichtigten Fassung.<br />

Gründe:<br />

I. Die Vorlage des 1. Strafsenats des B<strong>und</strong>esgerichtshofs an den Großen Senat für Strafsachen betrifft die Frage, ob<br />

die Beweiskraft eines berichtigten Hauptverhandlungsprotokolls für das Revisionsgericht auch dann beachtlich ist,<br />

wenn aufgr<strong>und</strong> der Protokollberichtigung einer bereits zulässig erhobenen Verfahrensrüge zum Nachteil des Beschwerdeführers<br />

die Tatsachengr<strong>und</strong>lage entzogen wird.<br />

1. Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat in der Strafsache gegen F. (1 StR 466/05) über eine Revision des<br />

Angeklagten zu entscheiden, die sich zum Beweis eines formal ordnungsgemäß gerügten Verfahrensfehlers auf eine<br />

154


Sitzungsniederschrift beruft, die nach Erhebung der Verfahrensrüge in dem Sinne berichtigt wurde, dass der behauptete<br />

Verfahrensfehler in Wirklichkeit nicht geschehen sei.<br />

a) Das Landgericht München I hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 223 Abs. 1, § 224 Abs.<br />

1 Nrn. 2 <strong>und</strong> 5 StGB) zu Freiheitsstrafe verurteilt. Er hatte dem Geschädigten in einem Oktoberfestzelt mit einem 1,3<br />

kg schweren gläsernen Krug zweimal wuchtig auf den Hinterkopf <strong>und</strong> einmal in den Nackenbereich geschlagen. Der<br />

Geschädigte wurde erheblich verletzt.<br />

b) Der Beschwerdeführer erhebt - neben der Sachbeschwerde - eine Verfahrensrüge. Er beanstandet mit der am 7.<br />

Juli 2005 beim Landgericht eingegangenen Revisionsbegründung, der Anklagesatz sei in der Hauptverhandlung<br />

nicht verlesen worden (Verstoß gegen § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO). Er beruft sich insoweit auf die negative Beweiskraft<br />

der Sitzungsniederschrift, in der die Verlesung des Anklagesatzes - zunächst - nicht beurk<strong>und</strong>et war. Hier hatte<br />

es lediglich geheißen: "Der Vorsitzende stellte weiter fest, dass die Staatsanwaltschaft München I gegen den Angeklagten<br />

am 20.01.05 Anklage zum Schwurgericht des Landgericht München I erhoben hat, die mit Eröffnungsbeschluss<br />

der Kammer vom 18.02.05 unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen wurde." Am 18. August 2005<br />

ergänzten der Strafkammervorsitzende <strong>und</strong> die Urk<strong>und</strong>sbeamtin der Geschäftsstelle das Protokoll hinsichtlich des<br />

ersten Hauptverhandlungstages dahingehend, dass an der genannten Stelle des Protokolls der Satz angefügt wird:<br />

"Der Vertreter der Staatsanwaltschaft verlas den Anklagesatz". Auch in der Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft<br />

(§ 347 Abs. 1 Satz 2 StPO) wird unter Vorlage entsprechender dienstlicher Äußerungen von Verfahrensbeteiligten<br />

vorgetragen, dass der Anklagesatz in Wirklichkeit verlesen wurde. Zum Beleg erklärte etwa der Berichterstatter<br />

der Strafkammer, die Verlesung der rechtlichen Bewertung des Tatgeschehens als versuchter Totschlag habe<br />

Unmutsäußerungen im Publikum ausgelöst. Die Urk<strong>und</strong>sbeamtin verwies auf einen ihr bei der Fertigung der Protokollreinschrift<br />

unterlaufenen Übertragungsfehler aus den teilweise stenographischen Aufzeichnungen während der<br />

Hauptverhandlung, in denen der Hinweis auf die Verlesung des Anklagesatzes noch enthalten war. Das entsprechende<br />

Blatt der vorläufigen Aufzeichnungen ist ihrer dienstlichen Erklärung beigefügt. Die Verteidiger des Angeklagten<br />

wurden vor der Protokollberichtigung angehört. Der Verteidiger in der tatrichterlichen Hauptverhandlung, der die<br />

Revision nicht selbst begründet hat, äußerte sich dabei wie folgt: "An den entsprechenden Verfahrensabschnitt kann<br />

ich mich nicht konkret erinnern; die Verlesung der Anklageschrift stellt einen Routinevorgang dar. Allerdings vermute<br />

ich, dass ich mich hieran erinnern könnte, wenn die Anklageschrift nicht verlesen worden wäre, weil dies einen<br />

ungewöhnlichen Verfahrensablauf darstellen würde. Auch diese Überlegung führt aber nicht zu einer konkreten<br />

Erinnerung. Aufgr<strong>und</strong> dieses Rückschlusses erscheint es mir aber durchaus möglich, dass die Erinnerung der Urk<strong>und</strong>spersonen<br />

zutreffend ist."<br />

2. Der 1. Strafsenat möchte die Revision des Angeklagten verwerfen. Die Verfahrensrüge hält er für unbegründet, da<br />

er unter Aufgabe seiner Rechtsprechung zum Verbot der "Rügeverkümmerung" (vgl. BGHSt 34, 11, 12; NStZ 1984,<br />

521; 1986, 374; 1995, 200, 201) die berichtigte Sitzungsniederschrift als im Sinne von § 274 StPO beachtlich erachtet,<br />

auch wenn durch die Berichtigung der Rüge die Tatsachengr<strong>und</strong>lage entzogen wird. Da sich der 1. Strafsenat an<br />

der beabsichtigten Entscheidung durch entgegenstehende Rechtsprechung der anderen Strafsenate gehindert sieht,<br />

hat er mit Beschluss vom 12. Januar 2006 (NStZ-RR 2006, 112, m. Anm. Fezer StV 2006, 290, Jahn/Widmaier JR<br />

2006, 166 <strong>und</strong> Lampe NStZ 2006, 366) bei den anderen Strafsenaten gemäß § 132 Abs. 3 GVG angefragt, ob an<br />

dieser Rechtsprechung festgehalten wird. Der 2. Strafsenat (Beschl. vom 31. Mai 2006 i.V.m. Beschl. vom 3. Juli<br />

2006 - 2 ARs 53/06 = NStZ-RR 2006, 275) <strong>und</strong> der 3. Strafsenat (Beschl. vom 22. Februar 2006 - 3 ARs 1/06) haben<br />

der vom 1. Strafsenat vertretenen Rechtsansicht zugestimmt <strong>und</strong> entgegenstehende eigene Rechtsprechung aufgegeben.<br />

Der 4. Strafsenat (Beschl. vom 3. Mai 2006 - 4 ARs 3/06 = NStZ-RR 2006, 273) <strong>und</strong> der 5. Strafsenat (Beschl.<br />

vom 9. Mai 2006 - 5 ARs 13/06) haben an der bisherigen Rechtsprechung festgehalten.<br />

3. Daraufhin hat der 1. Strafsenat mit Beschluss vom 23. August 2006 (NJW 2006, 3582 m. Anm. Widmaier) dem<br />

Großen Senat gemäß § 132 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 GVG folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt: Ist die Beweiskraft<br />

(§ 274 StPO) des berichtigten Protokolls für das Revisionsgericht auch dann beachtlich, wenn aufgr<strong>und</strong> einer Protokollberichtigung<br />

hinsichtlich einer vom Angeklagten zulässig erhobenen Verfahrensrüge zu Ungunsten des Angeklagten<br />

die maßgebliche Tatsachengr<strong>und</strong>lage entfällt?<br />

4. Der Generalb<strong>und</strong>esanwalt hält die Vorlegungsfrage für zu eng gefasst; sie sei auf alle Revisionen, insbesondere<br />

auch auf diejenigen der Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> des Nebenklägers, zu erstrecken. In der Sache selbst tritt der Generalb<strong>und</strong>esanwalt<br />

im Gr<strong>und</strong>satz der Rechtsansicht des 1. Strafsenats bei, dass die Beweisregel des § 274 StPO auch<br />

hinsichtlich eines nachträglich berichtigten Protokolls gelte. Die Vorschrift schaffe keine vom wirklichen Verfahrensgeschehen<br />

abweichende formelle bzw. prozessuale Wahrheit; § 274 StPO bezwecke vielmehr nur eine klare<br />

Kompetenzverteilung zwischen der Tatsachen- <strong>und</strong> der Revisionsinstanz in Form des gr<strong>und</strong>sätzlichen Verbots, im<br />

Revisionsverfahren die tatrichterliche Hauptverhandlung zu rekonstruieren. Im Interesse einer fairen Verfahrensgestaltung<br />

<strong>und</strong> der Effektivität des Rechtsmittels müsse der Beschwerdeführer jedoch vor der Gefahr fehlerhafter Proto-<br />

155


kollberichtigungen geschützt werden. Vor der Berichtigung seien daher dienstliche Erklärungen <strong>und</strong> Stellungnahmen<br />

der Verfahrensbeteiligten einzuholen <strong>und</strong> dem Beschwerdeführer rechtliches Gehör zu gewähren. Verblieben bei der<br />

freibeweislichen Überprüfung aus Sicht des Revisionsgerichts konkrete Zweifel an der Korrektheit der Berichtigung,<br />

könne es ihr die Beachtung im Sinne von § 274 StPO verwehren. Der Generalb<strong>und</strong>esanwalt hat beantragt zu beschließen:<br />

a) Die nach Erhebung einer Verfahrensrüge erfolgte Berichtigung des Hauptverhandlungsprotokolls ist für das Revisionsgericht<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich auch dann im Sinne von § 274 StPO beachtlich, wenn dadurch der Verfahrensrüge zu<br />

Ungunsten des Revidenten die Tatsachengr<strong>und</strong>lage entzogen wird.<br />

b) Bestehen aus Sicht des Revisionsgerichts konkrete Anhaltspunkte für eine inhaltliche Unrichtigkeit der Protokollberichtigung,<br />

so kann das Revisionsgericht die entscheidungserheblichen Verfahrenstatsachen freibeweislich aufklären.<br />

II. 1. Die Vorlegungsvoraussetzungen gemäß § 132 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 GVG sind gegeben. Den Bedenken, die der 4.<br />

Strafsenat im Hinblick auf die Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Rechtsfrage im konkreten Fall geäußert<br />

hatte (vgl. NStZ-RR 2006, 273), ist der 1. Strafsenat mit ausführlicher Begründung entgegengetreten (vgl. NJW<br />

2006, 3582, 3583, 3586 f.). Dessen Beurteilung ist jedenfalls vertretbar <strong>und</strong> folglich für den Großen Senat bindend<br />

(vgl. BGHSt 41, 187, 194; Franke in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 132 GVG Rdn. 42).<br />

2. Die vorgelegte Rechtsfrage ist allerdings auf alle Revisionen - namentlich auf diejenigen der Staatsanwaltschaft<br />

<strong>und</strong> des Nebenklägers - zu erweitern. Wenngleich in der höchstrichterlichen Rechtsprechung keine Entscheidungen<br />

über eine Revision anderer Beschwerdeführer als des Angeklagten ersichtlich sind, in denen es auf die relative Unbeachtlichkeit<br />

einer Protokollberichtigung angekommen wäre, so sind doch die tragenden Erwägungen in den Entscheidungsgründen<br />

davon unabhängig, wer Beschwerdeführer ist (vgl. nur gr<strong>und</strong>legend BGHSt 2, 125; ebenso schon<br />

RGSt 43, 1; OGHSt 1, 277).<br />

III. Im Strafprozessrecht sind Zulässigkeit <strong>und</strong> Beachtlichkeit einer Protokollberichtigung nicht ausdrücklich geregelt.<br />

Auch die Gesetzesmaterialien zur Strafprozessordnung enthalten insoweit keine eindeutigen Hinweise.<br />

1. Nach § 274 Satz 1 StPO kann die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten (§<br />

273 Abs. 1 StPO) nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese wesentlichen Förmlichkeiten betreffenden<br />

Inhalt lässt das Gesetz nur den Nachweis der Fälschung zu (§ 274 Satz 2 StPO). Bei § 274 StPO handelt es<br />

sich um eine Beweisregel (BGH NJW 2006, 3579, 3581, zur Veröffentlichung in BGHSt 51, 88 bestimmt; Dahs<br />

AnwBl. 1950/51, 90 f.; Dallinger NJW 1951, 256, 257; Fahl, Rechtsmißbrauch im Strafprozeß 2004 S. 687 f.), die<br />

nach der Fertigstellung des ordnungsgemäß errichteten <strong>und</strong> von beiden Urk<strong>und</strong>spersonen unterzeichneten Protokolls<br />

(§§ 271, 273 Abs. 4 StPO) gilt. Dies wurde zunächst dahin verstanden, dass den Urk<strong>und</strong>spersonen - außerhalb des<br />

Nachweises der Fälschung - Protokollberichtigungen, soweit es um die wesentlichen Förmlichkeiten des Verfahrens<br />

geht, von vorneherein versagt sind, <strong>und</strong> zwar solche zugunsten wie zu Lasten des Beschwerdeführers (in diesem<br />

Sinne noch RGSt 8, 141, 143 f.; 17, 346, 348). Die Frage nach der Beachtlichkeit von Protokollberichtigungen würde<br />

sich danach nicht stellen. Den Gesetzesmaterialien zur Strafprozessordnung im Zusammenhang mit einer Protokollberichtigung<br />

(vgl. Hahn, Materialien zur StPO 2. Aufl. S. 40, 256 ff., 1039, 1394) entnimmt der Große Senat nicht,<br />

dass der Gesetzgeber selbst dann jeden Zweifel an der Richtigkeit des - ursprünglichen - Protokollinhalts für unberechtigt<br />

hielt, sollte eine Protokollberichtigung aufgr<strong>und</strong> sicherer Erinnerung der Urk<strong>und</strong>spersonen erfolgen.<br />

2. In die Zivilprozessordnung, die eine der Vorschrift des § 274 StPO vergleichbare Bestimmung (§ 165 ZPO) enthält,<br />

ist durch Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung der Landgerichte <strong>und</strong> zur Vereinfachung des gerichtlichen<br />

Protokolls vom 20. Dezember 1974 (ProtVereinfG, BGBl I 3651) mit § 164 ZPO eine Vorschrift eingefügt worden,<br />

nach der - unter Anhörung der Beteiligten - Protokollberichtigungen vorgenommen werden dürfen. Anders als für<br />

das Verwaltungs-, Finanz- <strong>und</strong> Sozialgerichtsverfahren (Art. 3 Nr. 1, Art. 4 Nr. 1, Art. 5 Nr. 2 des ProtVereinfG:<br />

jeweils Verweisung auf die §§ 159 bis 165 ZPO) hat der Gesetzgeber, der mit dem Protokollvereinfachungsgesetz<br />

von 1974 die Praxis der Zivilgerichte zur Protokollberichtigung (vgl. Zöller, ZPO 10. Aufl. S. 263) auf eine gesetzliche<br />

Gr<strong>und</strong>lage gestellt hat (BRDrucks. 551/74 S. 63; BTDrucks. 7/2769 S. 10), diese Vorschrift nicht für den Strafprozess<br />

für anwendbar erklärt.<br />

IV. Die Rechtsprechung hat nach anfänglichem Schwanken Protokollberichtigungen im Strafverfahren zugelassen<br />

<strong>und</strong> dies im Wesentlichen damit begründet, dass insoweit eine auslegungsbedürftige Gesetzeslücke bestehe. Umfang<br />

<strong>und</strong> Folgen zulässiger Berichtigungen wurden allerdings nicht einheitlich bestimmt:<br />

1. Eine Protokollberichtigung ist jederzeit zulässig <strong>und</strong> geboten, falls die Urk<strong>und</strong>spersonen Mängel erkennen (vgl.<br />

BGHSt 1, 259, 261; BGH JZ 1952, 281; NStZ 2005, 281, 282; RGSt 19, 367, 370; OGHSt 1, 277, 278; anders noch<br />

RGSt 8, 141, 143 f.; 17, 346, 348). Sie ist auch stets beachtlich, wenn sie zugunsten des Beschwerdeführers wirkt<br />

(BGHSt 1, 259, 261 f.; RGSt 19, 367, 369 f.; 21, 200, 201; OLG Köln NJW 1952, 758) oder wenn sie - bei einem<br />

einheitlichen Vorgang - teilweise zu seinen Gunsten, teilweise zu seinen Ungunsten vorgenommen worden ist<br />

156


(BGHSt aaO; RGSt 56, 29; RG GA 57 [1910], 396; JW 1932, 3109). Nach bisheriger Rechtsprechung ist eine Protokollberichtigung<br />

- ebenso wie eine Distanzierung der Urk<strong>und</strong>spersonen vom Protokollinhalt (vgl. hierzu BGHSt 4,<br />

364; BGH NStZ 1988, 85) - jedoch unbeachtlich, wenn sie einer zu-lässig erhobenen Verfahrensrüge die Tatsachengr<strong>und</strong>lage<br />

entzieht (Verbot der Rügeverkümmerung). Dieser Rechtssatz hat eine lange Tradition: Er findet sich -<br />

aufbauend auf der Rechtsprechung der preußischen Obergerichte (vgl. RGSt 43, 1, 10) - schon zu Beginn der<br />

Reichsgerichtsrechtsprechung (RGSt 2, 76, 77 f.). Er blieb ständige Rechtsprechung des Reichsgerichts (gr<strong>und</strong>legend<br />

RGSt 43, 1 m.w.N.; ferner RGSt 56, 29; 59, 429, 431; 63, 408, 409 f.) bis zu dem - die umfassende Beachtlichkeit<br />

einer Berichtigung bejahenden - Beschluss des Großen Strafsenats für Strafsachen vom 11. Juli 1936 (RGSt 70, 241).<br />

Diese Entscheidung darf indessen im Hinblick auf im Zusammenhang mit nationalsozialistischem Gedankengut<br />

stehende Formulierungen keine Beachtung finden. Der ursprünglichen Rechtsprechung zum Verbot der Rügeverkümmerung<br />

folgten nach 1945 verschiedene Obergerichte, unter anderem der Oberste Gerichtshof für die Britische<br />

Zone (OGHSt 1, 277 [m.w.N. 279]; 3, 83, 84), <strong>und</strong> schließlich der B<strong>und</strong>esgerichtshof. Gr<strong>und</strong>legend war das Urteil<br />

des 3. Strafsenats vom 19. Dezember 1951 (BGHSt 2, 125), das sich im Wesentlichen den in RGSt 43, 1 <strong>und</strong> OGHSt<br />

1, 277 dargelegten Argumenten anschloss (nachfolgend BGHSt 7, 218, 219; 10, 145, 147; 10, 342, 343; 12, 270,<br />

271; 22, 278, 280; 34, 11, 12; BGHR StPO § 274 Beweiskraft 11; 13; 27; 28; BGH NStE StPO § 344 Nr. 7; NStZ<br />

1984, 521; 1995, 200, 201; 2002, 219; StV 2002, 183; JZ 1952, 281; wistra 1985, 154; Urt. vom 21. Dezember 1966<br />

- 4 StR 404/66). Diese Rechtsprechung steht in Übereinstimmung mit der heute herrschenden Meinung in der strafprozessualen<br />

Literatur (vgl. nur Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 271 Rdn. 55 ff. m. zahlr. w. N.).<br />

Soweit danach eine Protokollberichtigung für das Revisionsgericht nicht beachtlich ist, führt dies dazu, dass Sachverhalte,<br />

die aufgr<strong>und</strong> der formellen Beweiskraft des - unberichtigten - Protokolls als unwiderlegbar vermutet werden,<br />

der Verfahrenswirklichkeit nicht zu entsprechen brauchen (BGHSt 26, 281, 283; 36, 354, 358; RGSt 43, 1, 6).<br />

2. Folgende Argumente werden für den Rechtssatz, wonach eine Protokollberichtigung einer Rüge nicht die Tatsachengr<strong>und</strong>lage<br />

entziehen darf, vorgebracht: Mit dem Eingang der Revisionsbegründungsschrift erwerbe der Beschwerdeführer<br />

eine prozessuale Befugnis bzw. ein prozessuales Recht auf Beibehaltung der Gr<strong>und</strong>lage seiner Rüge<br />

für die Revisionsinstanz, zumal er selbst praktisch keine Möglichkeit habe, die Berichtigung des Protokolls zu erzwingen<br />

(BGHSt 2, 125, 126; RGSt 43, 1, 9; 59, 429, 431). Da er zur Begründung seiner Verfahrensrüge nur das<br />

Protokoll in der ihm vorliegenden Form verwerten dürfe, müsse ihm das Recht zustehen, sich nachträglichen Änderungen<br />

zu seinen Lasten zu widersetzen (OGHSt 1, 277, 280); er müsse auch gegen eine nachträgliche Beseitigung<br />

des Mangels durch Protokollberichtigung gesichert sein (BGHSt 2, 125, 127). Der Gesetzgeber habe mit § 274 StPO<br />

eine Norm geschaffen, die der Zweckmäßigkeit den Vorrang vor der absoluten Wahrheit einräume (BGHSt 2, 125,<br />

128; 26, 281, 283); das Hauptverhandlungsprotokoll erzeuge gewissermaßen einen Sachverhalt, der kraft gesetzlicher<br />

Vorschrift als Tatsache zu behandeln sei ohne Rücksicht darauf, wie der wirkliche Sachverhalt liegen möge<br />

(RGSt 43, 1, 6). Der Gesetzgeber habe die mögliche Ausnutzung einer prozessrechtlich zulässigen Befugnis zu<br />

wahrheitswidrigen Zwecken gesehen <strong>und</strong> in Kauf genommen (RG aaO; OGHSt 1, 277, 282). Die Neugestaltung des<br />

§ 274 StPO sei Sache des Gesetzgebers (BGH, Beschl. vom 30. Mai 2001 - 1 StR 99/01; OGHSt 1, 277, 280). Mit<br />

zunehmender Zeit lasse das Erinnerungsvermögen der Urk<strong>und</strong>spersonen nach. Die Gefahr fehlerhafter Berichtigungen<br />

sei nicht auszuschließen (BGHSt 2, 125, 128; RGSt 43, 1, 5; OGHSt 1, 277, 281). Die zeitlich unbeschränkte<br />

Berücksichtigung nachträglicher Berichtigungen wäre mit der nach Sinn <strong>und</strong> Zweck des § 274 StPO zu erhebenden<br />

Forderung nach genauester Abfassung der Sitzungsniederschrift nicht vereinbar. Denn die Möglichkeit ihrer jederzeitigen<br />

Änderung könne dazu führen, dass ihrer Herstellung weniger Sorgfalt zugewendet werde (BGHSt 2, 125,<br />

127; OGHSt 1, 277, 281). Auch wenn eine Revision nur deshalb erfolgreich sei, weil sie einen Sachverhalt vortrage,<br />

der der Verfahrenswirklichkeit nicht entspreche, sei nicht zu besorgen, dass die Gerechtigkeit letztlich Schaden nehme.<br />

Denn selbst bei missbräuchlicher Ausübung der durch § 274 StPO gewährten prozessualen Befugnis erreiche der<br />

Beschwerdeführer nur, dass der Sachverhalt nochmals unter gewissenhafter Beachtung aller sachlichen <strong>und</strong> verfahrensrechtlichen<br />

Vorschriften erörtert <strong>und</strong> gerecht entschieden werde (OGHSt 1, 277, 282).<br />

3. Das Verbot der Rügeverkümmerung war jedoch in der Rechtsprechung nie unbestritten: Anders als zunächst das<br />

Reichsgericht judizierte das Reichsmilitärgericht (RMG 9, 35; 15, 281, 282). Wenngleich es auf der Gr<strong>und</strong>lage einer<br />

anderen Prozessordnung - diese ließ gegen das Protokoll auch den Nachweis der Unrichtigkeit zu (§ 335 Satz 2<br />

MStGO) - zu entscheiden hatte, trat es auch auf der Gr<strong>und</strong>lage der Strafprozessordnung den Argumenten des<br />

Reichsgerichts entgegen (vgl. RMG 9, 35, 41 ff.). Dessen II. Strafsenat wollte sich der Auffassung des Reichsmilitärgerichts<br />

anschließen. In dem von ihm herbeigeführten Beschluss der Vereinigten Strafsenate wurde die bisherige<br />

Rechtsprechung des Reichsgerichts jedoch bestätigt (RGSt 43, 1). Nach 1945 hielt zunächst das OLG Braunschweig<br />

(HESt 1, 192) eine nachträgliche Protokollberichtigung zum Nachteil des Beschwerdeführers für beachtlich. Auch in<br />

der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs finden sich gegen das Verbot der Rügeverkümmerung Vorbehalte: Ob<br />

eine Protokollberichtigung einer bereits erhobenen Rüge die Gr<strong>und</strong>lage entziehen darf, wurde vom 1. Strafsenat<br />

157


offen gelassen in NJW 1982, 1057 sowie vom 5. Strafsenat in BGHR StPO § 274 Beweiskraft 22 (vgl. auch BGH [3.<br />

Strafsenat] NStZ-RR 1997, 73). Zweifel äußerte der 2. Strafsenat in NJW 2001, 3794, 3796 (kritisch derselbe Senat<br />

in diesem Zusammenhang auch in BGHSt 36, 354, 358 f.). Zuletzt sprachen sich definitiv - in obiter dicta - der 2.<br />

Strafsenat (BGHR StPO § 274 Beweiskraft 29 m. Anm. Mosbacher JuS 2006, 39, 42 <strong>und</strong> Park StV 2005, 257) <strong>und</strong><br />

der 1. Strafsenat (NStZ 2006, 181) für eine Änderung der Rechtsprechung zur Berücksichtigung einer Protokollberichtigung<br />

trotz Rügeverlust aus.<br />

4. Dieser Kritik am Verbot der Rügeverkümmerung liegen folgende Erwägungen zugr<strong>und</strong>e: Das Strafverfahrensrecht<br />

kenne keine Rechtsnorm, wonach für das Revisionsgericht die Sitzungsniederschrift in ihrer ursprünglichen Fassung,<br />

nicht nach ihrer Berichtigung im Sinne von § 274 StPO beachtlich sei. "Ein prozessuales Recht der Prozessbeteiligten,<br />

dass etwas nicht Geschehenes beurk<strong>und</strong>et oder etwas Geschehenes nicht beurk<strong>und</strong>et wird, gibt es nicht" (RMG<br />

9, 35, 41 f.). Gr<strong>und</strong>sätzlich sei auch für die Revisionsgerichte die wahre Sachlage maßgeblich, wenn prozessual<br />

erhebliche Tatsachen der Klärung bedürften (BGHSt 36, 354, 358 f.). Wenn tatsächlich kein Verfahrensfehler gegeben<br />

sei, dürften bloße Mängel des Protokolls, welche die Urk<strong>und</strong>spersonen erkannt <strong>und</strong> beseitigt hätten, kein Revisionsgr<strong>und</strong><br />

sein (vgl. BGHR StPO § 274 Beweiskraft 29; BGH NJW 2001, 3794, 3796; RMG 9, 35, 43; OLG Braunschweig<br />

HESt 1, 192, 193). Ein Misstrauen in die Redlichkeit der Urk<strong>und</strong>spersonen sei hingegen nicht gerechtfertigt<br />

(BGH NStZ 2006, 181). Eine von der Verfahrenswirklichkeit abweichende prozessuale Wahrheit sei nicht anzuerkennen,<br />

da § 274 StPO nicht die Tatsachen verändere, es sich bei der Vorschrift vielmehr nur um eine Beweisregel<br />

handele (BGH NJW 2006, 3579, 3581). Bei Berücksichtigung der Protokollberichtigung könnten durch Protokollmängel<br />

veranlasste Verfahrensverzögerungen vermieden werden (BGHR StPO § 274 Beweiskraft 29; BGH NStZ<br />

2006, 181). Die Ausweitung der Rechtsprechung zur Lückenhaftigkeit des Protokolls könnte begrenzt werden; die<br />

Problematik rechtsmissbräuchlicher Verfahrensrügen würde sich erübrigen (BGHR aaO).<br />

V. Der Große Senat beantwortet die vorgelegte Rechtsfrage wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich <strong>und</strong> gibt<br />

dabei den für eine Änderung der Rechtsprechung zum Verbot der Rügeverkümmerung sprechenden Argumenten den<br />

Vorzug:<br />

1. Der Gr<strong>und</strong>satz, wonach einer zulässig erhobenen Verfahrensrüge durch eine Protokollberichtigung nicht die Tatsachengr<strong>und</strong>lage<br />

zum Nachteil des Beschwerdeführers entzogen werden darf, beruht auf Rechtsprechung <strong>und</strong> kann<br />

durch Rechtsprechung geändert werden; eines Gesetzes bedarf es nicht:<br />

a) Die gr<strong>und</strong>sätzlich umfassende Berücksichtigung der nachträglichen Protokollberichtigung widerspricht dem Gesetz<br />

nämlich nicht. Zwar lässt § 274 Satz 2 StPO als Gegenbeweis gegen die Beurk<strong>und</strong>ungen des Protokolls nur den<br />

Nachweis der Fälschung zu. Eine Berichtigung durch Erklärungen der Urk<strong>und</strong>spersonen enthält jedoch einen Widerruf<br />

der früheren Beurk<strong>und</strong>ung <strong>und</strong> entzieht ihr, soweit die Berichtigung reicht, die absolute Beweiskraft, so dass es<br />

eines Gegenbeweises nicht mehr bedarf (ebenso bereits RGSt 19, 367, 370). Insbesondere auch deswegen hat die<br />

Rechtsprechung schon bisher nachträgliche Protokollberichtigungen, die einer Verfahrensrüge erst zum Erfolg verhelfen,<br />

für beachtlich gehalten (RG aaO; ähnlich für sich zugunsten des Beschwerdeführers vom Protokollinhalt<br />

distanzierende Erklärungen der Urk<strong>und</strong>spersonen BGHSt 4, 364, 365; BGH NJW 2001, 3794, 3796; NStZ 1988, 85;<br />

RGSt 57, 394, 396 f.; OLG Köln NJW 1952, 758).<br />

b) Die Annahme, durch den Eingang der Revisionsbegründung werde ein besonderes prozessuales Recht auf Beibehaltung<br />

der Tatsachengr<strong>und</strong>lage für eine Rüge begründet, findet im Gesetz keine Stütze. Der Revisionsführer hat<br />

keinen Anspruch darauf, aus tatsächlich nicht gegebenen Umständen Verfahrensvorteile abzuleiten (vgl. BGH NJW<br />

2006, 3579, 3580; Gollwitzer in FS für Gössel S. 543, 558; Lampe NStZ 2006, 366, 367; Lohse in Anwaltskommentar,<br />

StPO § 344 Rdn. 18). Ein etwaiges Vertrauen des Beschwerdeführers dahingehend, dass ein - inhaltlich unrichtiges<br />

- Protokoll für die Revisionsinstanz allein beachtlich bleibe, ist nicht schützenswert <strong>und</strong> kann auch nicht auf das<br />

verfassungsrechtlich verbürgte Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) gestützt werden (a.A.<br />

Jahn/Widmaier JR 2006, 166, 169; Krawczyk HRRS 2006, 344, 353). <strong>Verfahrensrecht</strong>e können nur durch den tatsächlichen<br />

Verfahrensverlauf verletzt worden sein. Dementsprechend ist nur ein auf dessen Überprüfung bezogener<br />

effektiver Rechtsschutz erforderlich. Einen weitergehenden, aus rechtsstaatlichen Prinzipien abzuleitenden Anspruch<br />

des Beschwerdeführers, dass zu seinen Gunsten Unwahres unter allen Umständen als wahr fingiert bleiben muss,<br />

gibt es nicht. Da ein Recht auf Beibehaltung der Gr<strong>und</strong>lage für eine Rüge weder einfachgesetzlich geregelt noch gar<br />

verfassungsrechtlich verankert ist, gilt für die Zulässigkeit <strong>und</strong> Beachtlichkeit von Protokollberichtigungen auch kein<br />

Gesetzesvorbehalt.<br />

2. Auch die Revisionsgerichte sind der Wahrheit verpflichtet; wenn prozessual erhebliche Tatsachen aus der tatrichterlichen<br />

Hauptverhandlung der Klärung bedürfen, muss gr<strong>und</strong>sätzlich der wahre Sachverhalt, wie er sich zugetragen<br />

hat, maßgeblich sein (vgl. BGHSt 36, 354, 358 f.). Dies spricht entscheidend dafür, die Regelung des § 274 StPO in<br />

einer Weise auszulegen, welche die inhaltliche Richtigkeit der Sitzungsniederschrift gewährleistet.<br />

158


a) Allerdings wird dem entgegengehalten, dass § 274 StPO nach dem Willen des Gesetzgebers der Zweckmäßigkeit<br />

Vorrang vor der Wahrheit einräume (so BGHSt 2, 125, 128; 26, 281, 283). Dieser Vorrang gilt aber schon jetzt nicht<br />

uneingeschränkt. Denn damit wäre der unstreitige Gr<strong>und</strong>satz nicht vereinbar, dass - wie bereits in anderem Zusammenhang<br />

ausgeführt (IV 1 <strong>und</strong> V 1a) - Protokollberichtigungen <strong>und</strong> distanzierende Erklärungen der Urk<strong>und</strong>spersonen<br />

beachtlich sind, wenn sie das Revisionsvorbringen bestätigen (vgl. BGHSt 4, 364; BGH NStZ 1988, 85; RGSt<br />

19, 367, 369 f.; 21, 323, 324 f.; 57, 394, 396 f.; OLG Köln NJW 1952, 758).<br />

b) Der Wahrheitspflicht würde nicht dadurch Genüge getan, dass die Wahrheit in eine "materielle" <strong>und</strong> eine "formelle"<br />

bzw. "prozessuale Wahrheit" aufzuspalten wäre. Die Beweisregel des § 274 StPO schafft keinen von der (objektiven)<br />

Wahrheit abweichenden Wahrheitsbegriff (so aber Cüppers NJW 1950, 930, 931 ff.; 1951, 259; Dahs, StraFo<br />

2000, 181, 185; Jahn JuS 2007, 91 Fn. 3; Park StraFo 2004, 335, 337; Schneidewin MDR 1951, 193; vgl. auch RGSt<br />

43, 1, 6). Die Beweiskraft des Protokolls nach § 274 StPO verändert nicht die Tatsachen, macht nicht aus Unwahrheit<br />

Wahrheit (vgl. Detter StraFo 2004, 329, 334; ebenso Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren 1980 S. 157, der<br />

aber "in diesem Ausnahmefall eine Lüge (für) prozessual zulässig" hält).<br />

3. Die Verpflichtung zur Entscheidung auf der Gr<strong>und</strong>lage eines zutreffenden Sachverhalts erhält inzwischen durch<br />

das Beschleunigungsgebot <strong>und</strong> den Gesichtspunkt des Opferschutzes zusätzliches Gewicht.<br />

a) Das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht hat in jüngerer Zeit - unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Europäischen<br />

Gerichtshofs für Menschenrechte (Urt. vom 31. Mai 2001 - Nr. 37591/97 - Metzger gegen Deutschland - Rdn. 41 =<br />

NJW 2002, 2856, 2857) - mehrfach betont, die durch eine Revisionsentscheidung bedingte zusätzliche Verfahrensdauer<br />

sei bei der Berechnung der Überlänge eines Verfahrens zwar nicht stets, aber immer dann zu berücksichtigen,<br />

wenn das Revisionsverfahren der Korrektur eines offensichtlich der Justiz anzulastenden Verfahrensfehlers gedient<br />

hat (BVerfG NJW 2003, 2897, 2898; 2006, 672, 673; vgl. auch BVerfGK 2, 239, 251 [jeweils 3. Kammer des Zweiten<br />

Senats]). Bei erfolgreichen Verfahrensrügen wäre nach dieser Auffassung wohl regelmäßig eine kompensationspflichtige<br />

rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung gegeben; denn Verfahrensfehler kann nur das Gericht begehen<br />

(vgl. BGH NJW 2006, 1529, 1533). Gerade auch die nach bisheriger Rechtsprechung zur Urteilsaufhebung führende<br />

Fiktion eines Verfahrensfehlers, die allein darauf beruht, dass die Urk<strong>und</strong>spersonen durch eine unrichtige Sitzungsniederschrift<br />

den Anschein eines in Wahrheit nicht vorgefallenen Verfahrensfehlers erweckt haben, fällt in den Verantwortungsbereich<br />

der Justiz. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> ist das Gewicht des für das Verbot der Rügeverkümmerung<br />

früher vorgebrachten Arguments, der Beschwerdeführer könne nicht mehr erreichen, als dass der Sachverhalt nochmals<br />

unter gewissenhafter Beachtung aller sachlichen <strong>und</strong> verfahrensrechtlichen Vorschriften erörtert <strong>und</strong> gerecht<br />

entschieden werde (OGHSt 1, 277, 282), stark relativiert.<br />

b) Neben der Wahrheitspflicht <strong>und</strong> dem Beschleunigungsgebot kann auch der Opferschutz gebieten, ein Urteil nicht<br />

allein wegen eines fiktiven - un-wahren - Sachverhalts aufzuheben. Liegt tatsächlich kein Verfahrensfehler vor <strong>und</strong><br />

ist das Urteil auch sachlich-rechtlich nicht zu beanstanden, so ist es nicht gerechtfertigt, Opferzeugen nach der "Feuerprobe"<br />

(Sowada NStZ 2005, 1, 7) in der ersten Hauptverhandlung nochmals einer konfrontativen Vernehmung zu<br />

unterziehen. In diesem Sinne verpflichtet auch der Rahmenbeschluss der Europäischen Union über die Stellung des<br />

Opfers im Strafverfahren vom 15. März 2001 (ABlEG Nr. L 82 vom 22. März 2001) in Art. 3 Abs. 2 die Mitgliedstaaten,<br />

"die gebotenen Maßnahmen (zu ergreifen), damit ihre Behörden Opfer nur in dem für das Strafverfahren<br />

erforderlichen Umfang befragen" (hierzu BGH NJW 2005, 1519, 1520 f.; vgl. auch BTDrucks. 15/1976 S. 8, 19 zu §<br />

24 Abs. 1 Nr. 3 GVG n.F.).<br />

4. Ebenso sind mit der Änderung der Rechtsprechung zum Verbot der Rügeverkümmerung der Erfolgsaussicht bewusst<br />

unwahrer Verfahrensrügen Grenzen gesetzt.<br />

a) Eine veränderte Einstellung der Strafverteidiger zu der Praxis, auf un-wahres Vorbringen Verfahrensrügen zu<br />

stützen, spricht dafür, die Zurückhaltung bei der Berücksichtigung der Protokollberichtigung aufzugeben, auch wenn<br />

mit der Berichtigung einer zulässig erhobenen Rüge die Tatsachengr<strong>und</strong>lage entzogen wird.<br />

aa) Die gr<strong>und</strong>legende Entscheidung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs zum Verbot der Rügeverkümmerung (BGHSt 2, 125)<br />

erging in einer Zeit, in der die vom Verteidiger bewusst wahrheitswidrig erhobene Verfahrensrüge nach verbreiteter<br />

Ansicht als standeswidrige Verfehlung galt (vgl. Dahs AnwBl. 1950/51, 90: "Die wahrheitswidrige Verfahrensrüge<br />

ist eine standesrechtliche Verfehlung" [S. 90]; "… der Anwalt, der die hier wiedergegebenen Gr<strong>und</strong>sätze nicht anerkennt,<br />

[muß] mit der Einleitung eines ehrengerichtlichen Verfahrens seitens des Generalstaatsanwalts rechnen" [S.<br />

92]; ferner d. Nachw. b. Tepperwien in FS für Meyer-Goßner S. 595, 598 f.). Heute wird es hingegen schon als "anwaltlicher<br />

Kunstfehler" bezeichnet, sich eines Fehlers im Protokoll jedenfalls nicht in der Weise zu bedienen, dass<br />

ein anderer Verteidiger die Revision begründet (vgl. hierzu G. Schäfer in FS 50 Jahre BGH S. 707, 726 f. m.w.N.;<br />

ders., Die Praxis des Strafverfahrens 6. Aufl. Rdn. 1814; ferner - gestützt auf die bisherige Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs<br />

- Dahs, Handbuch des Strafverteidigers von der 1. Auflage 1969, Rdn. 754, bis zur neuesten 7. Aufl.<br />

[ab 4. Auflage Dahs jun.] 2005, Rdn. 918: "… braucht der Verteidiger sich nicht zu scheuen, von dem durch das<br />

159


Protokoll 'geschaffenen' unverrückbaren Tatbestand als 'Wahrheit' auszugehen"). In der Literatur wird sogar postuliert,<br />

dass das "Recht der Verteidigung zur 'unwahren Verfahrensrüge' … sakrosankt" sei (Docke/v. Döllen/Momsen<br />

StV 1999, 583, 585), sogar die "Pflicht zur Lüge" bestehe (vgl. Dahs StraFo 2000, 181, 185; Leipold NJW-Spezial<br />

2006, 521, 522; in vergleichbarem Sinne auch Sarstedt/<strong>Hamm</strong>, Die Revision in Strafsachen 6. Aufl. Rdn. 292 ff.).<br />

bb) All dies widerstreitet diametral den Vorstellungen, von denen der B<strong>und</strong>esgerichtshof in seiner Entscheidung zur<br />

Unzulässigkeit der Protokollrüge (BGHSt 7, 162) ausgegangen ist. Hier ist ausgeführt, das Erfordernis der bestimmten<br />

Behauptung eines Verfahrensfehlers führe dazu, dass der Verteidiger - unbeschadet der Frage der Standeswidrigkeit<br />

seines Verhaltens - jedenfalls "vor seinem Gewissen <strong>und</strong> nach außen hin die Verantwortung für die Geltendmachung<br />

eines jeden Verfahrensmangels übernehmen" muss, "indem er ihn ernstlich behauptet <strong>und</strong> nicht etwa nur darauf<br />

hinweist, daß er sich aus der Niederschrift ergebe"; dieses Erfordernis solle "einem Mißbrauch rein formaler<br />

Möglichkeiten entgegenwirken" (BGH aaO 164; hierzu Fahl, Rechtsmißbrauch im Strafprozeß 2004 S. 665 f.; Tepperwien<br />

in FS für Meyer-Goßner S. 595, 599). Die veränderte Einstellung auf Seiten der Strafverteidiger hat verdeutlicht,<br />

dass sich die mit der Rechtsprechung zur Unzulässigkeit der Protokollrüge verknüpfte Hoffnung nicht erfüllt<br />

hat, auf diese Weise - insbesondere durch den Appell an das Gewissen des die Revision begründenden Verteidigers -<br />

bewusst unwahre Verfahrensrügen zu verhindern. Vielmehr hat diese Rechtsprechung den Rat nach sich gezogen,<br />

Unwahres ohne weiteres als tatsächlich geschehen zu behaupten; denn die Vorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO<br />

schließe "jeden Formulierungs- oder Formelkompromiß in der Revisionsbegründung aus, zu dem zart besaitete<br />

Strafverteidiger - falls es solche gibt - sich durch ihr Gewissen gedrängt sehen könnten. Die Revisionsgerichte ahnden<br />

derartige Relikte von Wahrheitsliebe (gemeint: angedeutete Distanzierung vom Protokollinhalt) mit unnachsichtiger<br />

Strenge" (Dahs StraFo 2000, 181, 185). Die Änderung des anwaltlichen Ethos ist ein weiteres Argument für die<br />

Änderung der Rechtsprechung.<br />

b) Die prozessuale Wirksamkeit auch einer bewusst unwahren Verfahrensrüge wurde von der Rechtsprechung trotz<br />

erkennbaren Unbehagens <strong>und</strong> geäußerter Zweifel bis vor kurzem nie verneint (vgl. BGHSt 7, 162, 164; BGHR StPO<br />

§ 274 Beweiskraft 21; 22; 24; 27; BGH NJW 2001, 3794, 3796; RGSt 43, 1; OGHSt 1, 277, 282; Detter StraFo<br />

2004, 329, 334; Park StraFo 2004, 335, 337; Tepperwien in FS für Meyer-Goßner S. 585). Erst in neuerer Zeit hat<br />

der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs die nachgewiesenermaßen wahrheitswidrige Behauptung eines Verfahrensfehlers<br />

unter Berufung auf das insoweit fehlerhafte Protokoll dann als rechtsmissbräuchlich missbilligt, wenn der<br />

Beschwerdeführer - im Fall der Angeklagtenrevision (auch) der Verteidiger in der Revisionsinstanz - sicher weiß,<br />

dass sich der Fehler nicht ereignet hat, <strong>und</strong> zwar auch dann, wenn er Kenntnis erst im Laufe des Revisionsverfahrens<br />

erhält (BGHSt 51, 88 = NJW 2006, 3579 m. Anm. Benthin NJ 2007, 36, Fahl JR 2007, 34, Hollaender JR 2007, 6,<br />

Jahn JuS 2007, 91, Lindemann/Reichling StV 2007, 152 <strong>und</strong> Widmaier NJW 2006, 3587). Der solchermaßen rügevernichtende<br />

Missbrauch prozessualer Rechte ist allerdings regelmäßig nicht leicht nachweisbar (BGH NJW 2006,<br />

3579, 3582).<br />

5. Eine Änderung der Rechtsprechung zum Verbot der Rügeverkümmerung begegnet zudem der Tendenz zur Ausweitung<br />

der Rechtsprechung zu offensichtlichen Mängeln des Protokolls (ebenso BGHR StPO § 274 Beweiskraft<br />

29). Diese Rechtsprechung (vgl. BGH NJW 2001, 3794; NStZ 2000, 546) geht mittlerweile sehr weit; ihr fehlen -<br />

jedenfalls in Grenzfällen - hinreichend klare <strong>und</strong> verlässliche Konturen. Diese Tendenz ist gerade vor dem Hintergr<strong>und</strong><br />

zu sehen, dass die Folgen der relativen Unbeachtlichkeit der Protokollberichtigung als nicht mehr tragbar<br />

empf<strong>und</strong>en werden. In der Literatur wird hierzu vorgebracht, die Senate suchten in Grenzfällen geradezu nach Möglichkeiten<br />

der Durchbrechung der formellen Beweiskraft der Sitzungsniederschrift (Detter StraFo 2004, 329, 330;<br />

Park StraFo 2004, 335, 338, 340; krit. auch Docke/v. Döllen/Momsen StV 1999, 583 f.; Kuhn NJW-Spezial 2006,<br />

567; Ventzke StV 2004, 300 f.).<br />

6. Eine Beibehaltung der bisherigen Rechtsprechung ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt geboten, dass auf diese<br />

Weise die Tatgerichte zum Einhalten der Vorschriften über die Protokollführung anzuhalten wären (so aber BGHSt<br />

2, 125, 127; OGHSt 1, 277, 281; Jahn/Widmaier JR 2006, 166 f.; Meyer-Goßner DRiZ 1997, 471, 474; Park StraFo<br />

2004, 335, 342; ders. StV 2005, 257, 259). Die Tragfähigkeit einer solchen Argumentation ist schon bislang zweifelhaft;<br />

denn gerade ein Protokoll, das offensichtlich unsorgfältig geführt ist, verliert von vorneherein jede Beweiswirkung<br />

<strong>und</strong> die Revisionsgerichte klären im Freibeweisverfahren, ob ein Verfahrensfehler vorliegt. Im Ergebnis wird<br />

bislang gerade derjenige "Tatrichter, der das Hauptverhandlungsprotokoll nachlässig führt, … prämiert" (Ventzke<br />

StV 2004, 300, 301).<br />

7. Die Berichtigung setzt bei den Urk<strong>und</strong>spersonen sichere Erinnerung voraus (vgl. nur Gollwitzer in Löwe/Rosenberg,<br />

StPO 25. Aufl. § 271 Rdn. 47 ff. m.w.N.). Fehlt es hieran, kann das Protokoll nicht (mehr) berichtigt<br />

werden. Ein Argument gegen die umfassende Berücksichtigung einer Berichtigung durch das Revisionsgericht ist die<br />

Erfahrung nachlassender Erinnerung gr<strong>und</strong>sätzlich nicht. Dass die Urk<strong>und</strong>spersonen unbewusst Erinnerungsdefizite<br />

mit "Erfahrungswissen" ausfüllen (Jahn/Widmaier JR 2006, 166, 167; vgl. auch BGHSt 2, 125, 128 f.; OGHSt 1,<br />

160


277, 281; Park StV 2005, 257, 259), liegt gerade bei den in der Literatur für problematisch erachteten Fällen, in denen<br />

es um den sachlichen Inhalt nicht regelmäßiger Prozesshandlungen (etwa bei Hinweisen nach § 265 StPO) geht<br />

(vgl. Jahn/Widmaier aaO 167 ff.), fern. Häufig kann eine Urk<strong>und</strong>sperson auch auf andere Unterlagen als Erinnerungsstütze<br />

zurückgreifen, wie in dem der Vorlegung zugr<strong>und</strong>e liegenden Fall die Urk<strong>und</strong>sbeamtin auf die unmittelbar<br />

während der Verhandlung getätigten Aufzeichnungen, die Gr<strong>und</strong>lage der Sitzungsniederschrift waren; oftmals<br />

beruhen Protokollmängel auf derartigen Übertragungsfehlern. Schließlich stammt der Hinweis auf das nachlassende<br />

Erinnerungsvermögen aus einer Zeit, als es die Vorschrift über die Urteilsabsetzungsfristen (§ 275 Abs. 1 StPO), die<br />

insgesamt regelmäßig zu einer zeitlichen Straffung des Verfahrens nach der Hauptverhandlung geführt haben, noch<br />

nicht gab. Das Argument, dass dem berichtigten Protokoll schon deshalb ein tatsächlich geringerer Beweiswert zukomme,<br />

weil sich die Urk<strong>und</strong>spersonen zuvor übereinstimmend geirrt haben müssten (vgl. Tepperwien in FS für<br />

Meyer-Goßner S. 595, 605), hält der Große Senat nicht für durchgreifend. Dass beide Urk<strong>und</strong>spersonen bei der Anfertigung<br />

des ursprünglichen Protokolls nicht gewissenhaft genug waren, wird nämlich dadurch ausgeglichen, dass<br />

besonders hohe Anforderungen an die Sorgfalt bei der Berichtigung gestellt werden. Ein übereinstimmender Irrtum<br />

im Sinne einer gemeinsamen Fehlvorstellung der Urk<strong>und</strong>spersonen liegt nach aller forensischer Erfahrung ohnehin<br />

nicht vor. Dies würde voraussetzen, dass die Urk<strong>und</strong>spersonen über die Einzelheiten des Prozessgeschehens <strong>und</strong><br />

dessen - fehlende - Beurk<strong>und</strong>ung gleich reflektiert hätten. So spricht etwa in dem der Vorlegung zugr<strong>und</strong>e liegenden<br />

Fall nichts dafür, dass der Vorsitzende <strong>und</strong> die Protokollführerin zunächst bei der Protokollerstellung noch übereinstimmend<br />

davon überzeugt waren, der Vertreter der Staatsanwaltschaft habe den Anklagesatz nicht verlesen.<br />

VI. Zusätzliche Gewähr für die Richtigkeit der nachträglichen Änderung der Sitzungsniederschrift bietet eine rechtlich<br />

verbindliche Form der Protokollberichtigung, die zu einer im Revisionsverfahren überprüfbaren Entscheidungsgr<strong>und</strong>lage<br />

führt. Dies sichert die Effektivität des Rechtsmittels der Revision (vgl. Jahn/Widmaier JR 2006, 166, 169)<br />

<strong>und</strong> trägt im Fall der Angeklagtenrevision dessen verfassungsrechtlich verbürgtem Recht auf ein faires Verfahren<br />

(Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) Rechnung. Lässt sich jedoch zuverlässig ausschließen, dass sich die Urk<strong>und</strong>spersonen an<br />

ein der Verfahrenswirklichkeit nicht entsprechendes Prozessgeschehen irrtümlich vermeintlich sicher erinnern, so<br />

haben die Argumente, welche das Verbot der Rügeverkümmerung mit dem Schutz des Beschwerdeführers bzw. der<br />

prozessualen Waffengleichheit begründen (vgl. Fezer StV 2006, 290, 291; Tepperwien aaO 604), kein Gewicht.<br />

1. In Fällen der vorliegenden Art ist zur Sicherung der Effektivität des Rechtsmittels bei der Protokollberichtigung<br />

folgendes Verfahren einzuhalten: Wie bereits dargelegt (V 7), setzt die Berichtigung sichere Erinnerung bei den<br />

Urk<strong>und</strong>spersonen voraus. Die Absicht der Berichtigung ist dem Beschwerdeführer - im Fall einer Angeklagtenrevision<br />

zumindest dem Revisionsverteidiger - zusammen mit dienstlichen Erklärungen der Urk<strong>und</strong>spersonen mitzuteilen.<br />

Diese Erklärungen haben die für die Berichtigung tragenden Erwägungen zu enthalten, etwa indem sie auf markante<br />

Besonderheiten des Falls eingehen, wie hier etwa darauf, dass die Verlesung der rechtlichen Würdigung des<br />

Tatgeschehens zu Unmutsäußerungen der Zuhörer führte. Daneben sollten gegebenenfalls während der Hauptverhandlung<br />

getätigte Aufzeichnungen, welche den Protokollfehler belegen, in Abschrift übermittelt werden. Dem Beschwerdeführer<br />

ist innerhalb angemessener Frist rechtliches Gehör zu gewähren. Widerspricht der Beschwerdeführer<br />

daraufhin der beabsichtigten Protokollberichtigung substantiiert, indem er im Einzelnen darlegt, aus welchen Gründen<br />

er im Gegensatz zu den Urk<strong>und</strong>spersonen sicher ist, dass das zu-nächst gefertigte Protokoll richtig ist, so sind<br />

erforderlichenfalls weitere dienstliche Erklärungen <strong>und</strong> Stellungnahmen der übrigen Verfahrensbeteiligten einzuholen.<br />

Auch hierzu ist dem Beschwerdeführer eine angemessene Frist zur Stellungnahme zu gewähren. Halten die<br />

Urk<strong>und</strong>spersonen die Niederschrift weiterhin für inhaltlich unrichtig, so haben sie diese gleichwohl zu berichtigen.<br />

In diesem Fall ist ihre Entscheidung über die Protokollberichtigung - dies ergibt sich bereits aus allgemeinen Rechtsgedanken<br />

(vgl. § 34 StPO) - mit Gründen zu versehen. Darin sind die Tatsachen anzugeben, welche die Erinnerung<br />

der Urk<strong>und</strong>spersonen belegen. Ferner ist auf das Vorbringen des Beschwerdeführers <strong>und</strong> gegebenenfalls abweichende<br />

Erklärungen der übrigen Verfahrensbeteiligten einzugehen.<br />

2. Eine erneute Zustellung des Urteils nach Berichtigung der Sitzungsniederschrift ist nicht erforderlich. Nach § 273<br />

Abs. 4 StPO setzt eine wirksame Zustellung einzig voraus, dass die Niederschrift fertig gestellt ist. Die Fertigstellung<br />

erfolgt zu dem Zeitpunkt, zu dem die letzte der beiden erforderlichen Unterschriften geleistet wurde (§ 271 Abs. 1<br />

StPO), selbst wenn die Niederschrift sachlich oder formell fehlerhaft ist oder Lücken aufweist (vgl. Engelhardt in<br />

KK-StPO 5. Aufl. § 271 Rdn. 8; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 271 Rdn. 31, § 273 Rdn. 56).<br />

Spätere Berichtigungen derartiger Mängel berühren den Zeitpunkt der Fertigstellung nicht mehr (vgl. Gollwitzer<br />

aaO). Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes. In seinem<br />

Vertrauen, eine bestimmte Verfahrensrüge werde erfolgreich sein, wird der Beschwerdeführer auch sonst nicht geschützt.<br />

3. Die Gründe der Berichtigungsentscheidung unterliegen im Rahmen der erhobenen Verfahrensrüge der Überprüfung<br />

durch das Revisionsgericht. Tragen sie die Berichtigung, so ist das berichtigte Protokoll zugr<strong>und</strong>e zu legen.<br />

161


Allerdings kommt dem berichtigten Teil des Protokolls nicht die formelle Beweiskraft des § 274 StPO zu. Nur so ist<br />

das Revisionsgericht in der Lage, zum Schutz der Beschwerdeführer die rügevernichtende Protokollberichtigung zu<br />

überprüfen. Verbleiben dem Revisionsgericht Zweifel, ob die Berichtigung zu Recht erfolgt ist, kann es den Sachverhalt<br />

im Freibeweisverfahren weiter aufklären. Insoweit gelten die Gr<strong>und</strong>sätze, die schon bisher für eine ursprünglich<br />

offensichtlich mangelhafte Sitzungsniederschrift zur Anwendung kamen. Verbleiben dem Revisionsgericht auch<br />

nach seiner Überprüfung Zweifel an der Richtigkeit des berichtigten Protokolls, hat es seiner Entscheidung das Protokoll<br />

in der ursprünglichen Fassung zugr<strong>und</strong>e zu legen.<br />

StPO § 274 Rügevernichtende Protokollberichtigung – Vorlagebeschluss an GS<br />

BGH, Beschl. vom 23.08.2006 – 1 StR 466/05 - NJW 2006, S. 3582 ff. = JR 2006, 162 m. Anm. Jahn/Widmaier<br />

Vorlagebeschluss an den Großen Senat für Strafsachen zur Frage, ob die Beweiskraft (§ 274 StPO)<br />

des berichtigten Protokolls für das Revisionsgericht auch dann beachtlich ist, wenn aufgr<strong>und</strong> einer<br />

Protokollberichtigung hinsichtlich einer vom Angeklagten zulässig erhobenen Verfahrensrüge zu<br />

Ungunsten des Angeklagten die maßgebliche Tatsachengr<strong>und</strong>lage entfällt?<br />

hier: Vorlage an den Großen Senat für Strafsachen gemäß § 132 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 GVG<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 23. August 2006 beschlossen: Dem Großen Senat für Strafsachen<br />

wird gemäß § 132 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 GVG folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt: Ist die Beweiskraft (§ 274<br />

StPO) des berichtigten Protokolls für das Revisionsgericht auch dann beachtlich, wenn aufgr<strong>und</strong> einer Protokollberichtigung<br />

hinsichtlich einer vom Angeklagten zulässig erhobenen Verfahrensrüge zu Ungunsten des Angeklagten<br />

die maßgebliche Tatsachengr<strong>und</strong>lage entfällt?<br />

Gründe:<br />

I. Das Landgericht München I hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von<br />

drei Jahren <strong>und</strong> neun Monaten verurteilt. Nach den Feststellungen des Landgerichts schlug der Angeklagte während<br />

eines Streits über die Abgrenzung reservierter Sitzbereiche in einem Oktoberfestzelt dem Geschädigten Z. mit einem<br />

1,3 Kilogramm schweren gläsernen Bierkrug zweimal wuchtig auf den Hinterkopf <strong>und</strong> einmal in den Bereich des<br />

Nackens. Der Geschädigte wurde erheblich verletzt. Die Schläge waren darüber hinaus geeignet, das Leben des Geschädigten<br />

in Gefahr zu bringen. Die Revision rügt die Verletzung materiellen Rechts <strong>und</strong> erhebt eine Formalrüge.<br />

Der Senat möchte die Revision des Angeklagten verwerfen, sieht sich daran jedoch - was die Verfahrensrüge anbelangt<br />

- durch die Rechtsprechung des 4. <strong>und</strong> insbesondere des 5. Strafsenats gehindert.<br />

II.<br />

1. Die Revision rügt mit ihrer am 5. Juli 2005 beim Landgericht eingegangenen Revisionsbegründung die Nichtverlesung<br />

des Anklagesatzes als Verstoß gegen § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO. Die fertig gestellte Sitzungsniederschrift<br />

enthielt zunächst keinen Hinweis auf die Verlesung des Anklagesatzes. Unter dem 18. August 2005 ergänzten der<br />

Strafkammervorsitzende <strong>und</strong> die Urk<strong>und</strong>sbeamtin die Sitzungsniederschrift hinsichtlich des ersten Verhandlungstages<br />

in einer eigenen Niederschrift dahingehend, dass nach den Worten „Der Vorsitzende stellte weiter fest, dass die<br />

Staatsanwaltschaft München I gegen den Angeklagten am 20.01.05 Anklage zum Schwurgericht des LG München I<br />

erhoben hat, die mit Eröffnungsbeschluss der Kammer vom 18.02.05 unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen<br />

wurde,“ der Satz angefügt wird: „Der Vertreter der Staatsanwaltschaft verlas den Anklagesatz“. Auch in der Revisionsgegenerklärung<br />

der Staatsanwaltschaft wird unter Vorlage entsprechender dienstlicher Äußerungen von Verfahrensbeteiligten<br />

vorgetragen, dass der Anklagesatz in Wirklichkeit verlesen wurde. Er löste, wie sich der Sitzungsvertreter<br />

der Staatsanwaltschaft erinnerte, Unmutsäußerungen im Publikum aus, da die Anklage auf den Vorwurf des<br />

versuchten Totschlags gerichtet war. Selbst der Verteidiger in der Hauptverhandlung, der die Revision nicht selbst<br />

begründet hat, stellt in seiner Stellungnahme die Verlesung nicht in Abrede, wenn er schreibt: „An den entsprechenden<br />

Verfahrensabschnitt kann ich mich nicht konkret erinnern; die Verlesung der Anklageschrift stellt einen Routinevorgang<br />

dar. Allerdings vermute ich, dass ich mich hieran erinnern könnte, wenn die Anklageschrift nicht verlesen<br />

worden wäre, weil dies einen ungewöhnlichen Verfahrensablauf darstellen würde. Auch diese Überlegung führt aber<br />

nicht zu einer konkreten Erinnerung. Aufgr<strong>und</strong> dieses Rückschlusses erscheint es mir aber durchaus möglich, dass<br />

die Erinnerung der Urk<strong>und</strong>sperson zutreffend ist.“ Die Urk<strong>und</strong>sbeamtin verwies auf einen bei der Fertigung der<br />

Protokollreinschrift übersehenen Übertragungsfehler aus der teilweise stenografischen Aufzeichnung während der<br />

Hauptverhandlung, in der der Hinweis auf die Verlesung des Anklagesatzes noch enthalten war. Das entsprechende<br />

Blatt der vorläufigen Aufzeichnungen hatte die Protokollführerin ihrer dienstlichen Erklärung beigefügt.<br />

162


2. Nach der bisherigen, ständigen Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs (seit BGHSt 2, 125, 126, zur Entwicklung<br />

der Rechtsprechung vgl. unten) muss die Protokollberichtigung unberücksichtigt bleiben, da sie der Revisionsbegründung<br />

des Angeklagten zu dessen Nachteil die Tatsachengr<strong>und</strong>lage entzieht. Ebenso wenig können nach der<br />

Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs übereinstimmende Erklärungen der Urk<strong>und</strong>spersonen den Inhalt des Protokolls<br />

in Einzelpunkten zum Nachteil des Angeklagten in Frage stellen (BGHSt 8, 283; 10, 342, 343; 13, 53, 59; 22,<br />

278, 280; BGHR StPO § 274 Beweiskraft 3, 6, 8, 11; BGH NStZ 1983, 375; 1986, 39, 40; 1992, 49; 1993, 94; 2000,<br />

214; 2003, 218; 2005, 281, 282; BGH StV 1986, 287, 288; 2002, 183; 2002, 530; 2004, 297; BGH, Beschluss vom<br />

30. Mai 2001 - 1 StR 99/01 -; Beschluss vom 11. August 2004 - 3 StR 202/04 -). Sie dürfen nicht einmal zur Auslegung<br />

bestimmter Formulierungen im Protokoll herangezogen werden (BGHSt 13, 53, 59). Ob - <strong>und</strong> in welchen Fallkonstellationen<br />

- distanzierende Erklärungen der - oder einer der - Urk<strong>und</strong>spersonen dem Protokoll generell die formelle<br />

Beweiskraft entziehen <strong>und</strong> damit gr<strong>und</strong>sätzlich den Weg zum Freibeweisverfahren eröffnen (BGHSt 4, 364,<br />

365; Engelhardt in Karlsruher Kommentar zur StPO 5. Aufl. § 274 Rdn. 6) oder nicht (BGHR StPO § 274 Beweiskraft<br />

3; BGH NStZ 2005, 281, 282), kann hier dahinstehen (vgl. BGHR StPO Beweiskraft 13; offen gelassen in<br />

BGH NStZ 2002, 270, 272; soweit sie zugunsten des Angeklagten wirken vgl. BGHR StPO § 274 Beweiskraft 8, 28;<br />

BGH NStZ 1988, 85; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 274 Rdn. 27 m.w.N.). Die Voraussetzungen<br />

für eine Ergänzung des Protokolls im Freibeweisverfahren liegen auch sonst nicht vor. Die - noch nicht ergänzte -<br />

Sitzungsniederschrift ist eindeutig, sie leidet - für sich betrachtet - nicht an offensichtlichen Mängeln, ist weder unklar,<br />

erkennbar lückenhaft oder widersprüchlich (zum Wegfall der Beweiskraft bei entsprechenden Mängeln vgl.<br />

RGSt 63, 408, 410; BGHSt 16, 306, 308; 17, 220, 221; BGHR StPO § 274 Beweiskraft 12, 16, 24, 25, 27; BGH<br />

NJW 1976, 977; NStZ 2000, 49; bei Kusch NStZ-RR 2000, 293; StV 1999, 639; 2004, 297; JR 1961, 508; Gollwitzer<br />

in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 274 Rdn. 23 ff.). Gemäß der - negativen - Beweiskraft (§ 274 StPO) des<br />

Protokolls in seiner ursprünglichen, unvollständigen Fassung stünde im vorliegenden Fall der Rechtsverstoß somit<br />

fest. Der Senat vermag in einem Fall wie dem vorliegenden auch nicht auszuschließen, dass das Urteil auf dem<br />

Rechtsverstoß, der Nichtverlesung des Anklagesatzes beruht (zur Bedeutung der Verlesung des Anklagesatzes vgl.<br />

G. Schäfer, Gedanken zur Beweiskraft des tatrichterlichen Protokolls unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung<br />

des B<strong>und</strong>esgerichtshofs, in Festschrift aus Anlass des fünfzigjährigen Bestehens von B<strong>und</strong>esgerichtshof,<br />

B<strong>und</strong>esanwaltschaft <strong>und</strong> Rechtsanwaltschaft beim B<strong>und</strong>esgerichtshof, Seite 707, 724).<br />

3. Der Senat ist allerdings der Ansicht, dass - entgegen der bisherigen Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs - die<br />

formelle Beweiskraft des Protokolls gemäß § 274 StPO auch hinsichtlich eines berichtigten Protokolls uneingeschränkt<br />

gilt, also auch dann, wenn einer zuvor vom Angeklagten erhobenen Rüge der Boden entzogen wird.<br />

III. Die Strafprozessordnung besagt weder in den §§ 271 bis 274 StPO noch an anderer Stelle etwas zur Zulässigkeit<br />

der Protokollberichtigung (im Gegensatz zu § 164 ZPO) oder zur - relativen - Unbeachtlichkeit der Beweiskraft einer<br />

Protokollberichtigung für das Revisionsgericht.<br />

a) Die Zulässigkeit der - unbefristeten - Protokollberichtigung wurde im Gr<strong>und</strong>satz vom Reichsgericht (noch offen<br />

gelassen in RGSt 2, 76, 77) alsbald anerkannt: „Denn im allgemeinen wird es als eine Berufspflicht des Urk<strong>und</strong>sbeamten<br />

anzusehen sein, Fehler der Beurk<strong>und</strong>ung, von denen er sich nachträglich überzeugt hat, behufs der Verhütung<br />

von Rechtsverletzungen zur Anzeige zu bringen. Der Berücksichtigung einer solchen Anzeige, welche ein Audienzprotokoll<br />

betrifft, steht die Vorschrift in § 274 StPO, welche gegen den die Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des<br />

Protokolls nur den Nachweis der Fälschung zulässt, nach Ansicht des Senats nicht entgegen. Denn diese Vorschrift<br />

schließt gegenüber den Bek<strong>und</strong>ungen des Audienzprotokolls nur den Gegenbeweis aus; eine Berichtigung oder Ergänzung<br />

des Audienzprotokolls durch übereinstimmende Erklärung des Vorsitzenden <strong>und</strong> des Gerichtsschreibers<br />

enthält jedoch einen Widerruf der früheren Beurk<strong>und</strong>ung <strong>und</strong> entzieht derselben, soweit der Widerruf reicht, die<br />

Beweiskraft, sodass es eines Gegenbeweises nicht mehr bedarf“ (RGSt 19, 367, 370; entspr. RGSt 57, 394, 396).<br />

„Dass ein Protokoll von den Urk<strong>und</strong>spersonen berichtigt (ergänzt) werden kann, ist unbestritten. Es muss sogar als<br />

Pflicht der Urk<strong>und</strong>sbeamten bezeichnet werden, erkannte Fehler der Beurk<strong>und</strong>ung richtig zu stellen, um mögliche<br />

Rechtsnachteile Dritter zu verhüten“ (OGHSt 1, 277, 278). Davon geht auch der B<strong>und</strong>esgerichtshof in ständiger<br />

Rechtsprechung aus (seit BGHSt 1, 259 <strong>und</strong> BGHSt 2, 125; 10, 145).<br />

b) Der Gr<strong>und</strong>satz, dass eine Protokollberichtigung einer zugunsten des Angeklagten erhobenen Verfahrenrüge nicht<br />

den Boden entziehen darf („Rügeverkümmerung“), findet sich - aufbauend auf der Rechtsprechung der preußischen<br />

Obergerichte (vgl. RGSt 43, 1, 10) - schon zu Beginn der Reichsgerichtsrechtsprechung (RGSt 2, 76, 77 f.) <strong>und</strong> blieb<br />

ständige Rechtsprechung des Reichsgerichts bis zum Beschluss des Großen Senats für Strafsachen vom 11. Juli 1936<br />

(RGSt 70, 241). Auch wenn diese Entscheidung sachliche Abwägungen enthält, darf sie nach Auffassung des Senats<br />

allerdings im Hinblick auf andere, im Zusammenhang mit nationalsozialistischem Gedankengut stehende Formulierungen<br />

keine weitere Beachtung mehr finden. Gr<strong>und</strong>legend war der Beschluss der Vereinigten Strafsenate des<br />

Reichsgerichts vom 13. Oktober 1909 (RGSt 43, 1). Dieser Rechtsprechung (vgl. auch RGSt 56, 29; 59, 429, 431)<br />

163


folgten dann nach dem Krieg verschiedene Obergerichte (vgl. Oberster Gerichtshof für die Britische Zone, OGHSt 1,<br />

277, 279 m.w.N.) <strong>und</strong> schließlich der B<strong>und</strong>esgerichtshof (vgl. BGHSt 2, 125; 10, 342, 343; 12, 270, 271; 22, 278,<br />

280; 34, 11, 12; BGHR StPO § 274 Beweiskraft 11, 13; BGH NStZ 1984, 521; 1995, 200, 201; StV 2002, 183; JZ<br />

1952, 281). Der Gr<strong>und</strong>satz, wonach eine Protokollberichtigung einer Verfahrensrüge des Angeklagten nicht die<br />

Gr<strong>und</strong>lage entziehen darf, wurde früher auch übertragen auf Änderungen in einem noch nicht fertig gestellten - noch<br />

nicht unterschriebenen - Protokoll, die nach Eingang der Revisionsbegründung am Protokollentwurf vorgenommen<br />

wurden (BGHSt 10, 145, 147 f.; 12, 270, 271 f.). Nach Einführung des § 273 Abs. 4 StPO (Urteilszustellung erst<br />

nach Protokollfertigstellung) durch das StPÄG 1984 ist das nicht mehr relevant (BGHR StPO § 274 Beweiskraft 26).<br />

In diesen Fällen, in denen die Protokollberichtigung für das Revisionsgericht nicht beachtlich ist, führt das dazu, dass<br />

Sachverhalte, die aufgr<strong>und</strong> der formellen Beweiskraft des - unberichtigten - Protokolls als unwiderlegbar vermutet<br />

werden, der Verfahrenswirklichkeit nicht zu entsprechen brauchen (RGSt 43, 1, 6; BGHSt 26, 281, 283; 36, 354,<br />

358). Abzustellen ist in diesen Fällen somit auf einen fiktiven Sachverhalt. Anfänglich stellte sich noch die Frage, ob<br />

das Verbot, einer zugunsten des Angeklagten erhobenen Rüge die Gr<strong>und</strong>lage zu entziehen, schon eine Protokollberichtigung<br />

verbietet. So zu Beginn noch das Reichsgericht (RGSt 2, 76; 21, 323, 324). Später wird nicht mehr klar<br />

unterschieden, verwischt sich die Terminologie, auch in den gr<strong>und</strong>legenden Entscheidungen RGSt 43, 1 <strong>und</strong> BGHSt<br />

2, 125 (vgl. auch RGSt 59, 429, 431). Dort wird zwar in den Leitsätzen auf die Nichtberücksichtigung einer Berichtigung<br />

abgestellt, während in den Begründungen von der Unzulässigkeit bereits der Protokollberichtigung die Rede<br />

ist (RGSt 43, 1, 6; BGHSt 2, 125, 127 f.). Heute ist anerkannt, dass das Protokoll auch in diesen Fällen - sofern die<br />

Urk<strong>und</strong>spersonen übereinstimmend einen Fehler erkannt haben - zu berichtigen ist (vgl. BGHSt 10, 342, 343; 12,<br />

270, 271 f.; 34, 11; BGHR StPO § 274 Beweiskraft 8, 13; BGH JZ 1952, 281; BGH NStZ 1992, 49; so auch schon<br />

OGHSt 1, 277, 278). Denn der Sitzungsniederschrift kann über das Revisionsverfahren hinaus Bedeutung zukommen<br />

(etwa in einem Strafverfahren zur Frage, ob eine Vereidigung stattgef<strong>und</strong>en hat oder nicht), wenn auch nicht mit der<br />

formellen Beweiskraft des § 274 StPO. Eine Protokollberichtigung ist immer zu berücksichtigen, wenn sie zugunsten<br />

des Angeklagten wirkt (BGHSt 1, 259, 261 f.) oder wenn sie - bei einem einheitlichen Vorgang - teilweise zugunsten,<br />

teilweise zu Ungunsten einer Rüge vorgenommen worden ist (RGSt 56, 29; BGH aaO). Zeitliche Grenzen für<br />

die Protokollberichtigung gibt es nicht.<br />

c) Folgende Argumente werden für die Rechtsprechung, wonach eine Protokollberichtigung einer Rüge nicht den<br />

Boden zum Nachteil des Angeklagten entziehen darf, vorgetragen:<br />

- Mit dem Eingang der Revisionsbegründungsschrift erwerbe der Beschwerdeführer ein prozessuales Recht auf Beibehaltung<br />

der Gr<strong>und</strong>lage seiner Rüge für die Revisionsinstanz, zumal er selbst praktisch keine Möglichkeit habe, die<br />

Berichtigung des Protokolls zu erzwingen (BGHSt 2, 125, 126; RGSt 43, 1, 9; 59, 429, 431). Da der Beschwerdeführer<br />

zur Begründung seiner Verfahrensrüge nur das Protokoll in der vorliegenden Form verwerten dürfe, müsse ihm<br />

das Recht zustehen, sich nachträglichen Änderungen zu seinen Lasten zu widersetzen (OGHSt 1, 277, 280), müsse er<br />

gegen eine nachträgliche Beseitigung des Mangels durch Protokollberichtigung gesichert sein (BGHSt 2, 125, 127).<br />

- Der Gesetzgeber habe mit § 274 StPO eine Norm geschaffen, die der Zweckmäßigkeit den Vorrang vor der absoluten<br />

Wahrheit einräume (BGHSt 2, 125, 128; 26, 281, 283; Tepperwien in Festschrift für Meyer-Goßner S. 595, 603<br />

f.). Der Gesetzgeber habe die mögliche Ausnutzung einer prozessrechtlich zulässigen Befugnis zu wahrheitswidrigen<br />

Zwecken gesehen <strong>und</strong> in Kauf genommen (RGSt 43, 1, 6; OGHSt 1, 277, 282). Die Neugestaltung des § 274 StPO<br />

sei eine Sache des Gesetzgebers (BGH, Beschluss vom 30. Mai 2001 - 1 StR 99/01 -; OGHSt 1, 277, 280).<br />

- Mit zunehmender Zeit lasse das Erinnerungsvermögen (der Urk<strong>und</strong>spersonen) nach. Die Gefahr fehlerhafter Berichtigungen<br />

sei nicht auszuschließen (RGSt 43, 1, 5; OGHSt 1, 277, 281; BGHSt 2, 125, 128; Jahn/Widmaier, JR<br />

2006, 166, Anmerkung zum Anfragebeschluss des Senats vom 12. Januar 2006 - 1 StR 466/05 -, JR 2006, 162).<br />

- Bei uneingeschränkter Berücksichtigung nachträglicher Änderungen bestehe die Gefahr, dass die Sitzungsniederschrift<br />

nicht mehr mit äußerster Sorgfalt abgefasst wird.<br />

d) Die Rechtsprechung, wonach eine Protokollberichtigung einer bereits erhobenen Rüge des Angeklagten nicht zu<br />

seinen Ungunsten die Gr<strong>und</strong>lage entziehen darf, fand auch Kritik. Anders als das Reichsgericht judizierte schon das<br />

Reichsmilitärgericht (RMG 9, 35 - Urteil vom 24. Juni 1905 -; entsprechend RMG 15, 282). Der Auffassung des<br />

Reichsmilitärgerichts wollte sich der II. Strafsenat des Reichsgerichts anschließen. Dies führte zu der oben genannten<br />

Entscheidung der Vereinigten Senate vom 13. Oktober 1909 (RGSt 43, 1), die allerdings die bisherige Rechtsprechung<br />

des Reichsgerichts festschrieb. Ernst Beling kritisierte dies <strong>und</strong> äußerte seinerzeit die Hoffnung, im „wissenschaftlichen<br />

Kampf zwischen Reichsgericht <strong>und</strong> Reichsmilitärgericht“ werde es im Laufe der Zeit gelingen, die<br />

Auffassung des Reichsgerichts zu ändern (vgl. Beling, Rechtsprechung des Reichsmilitärgerichts vom 6. Oktober<br />

1902 bis 19. April 1912, in der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, Band 38, 1917, Seite 612, 632<br />

ff.). Auch in der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs finden sich Vorbehalte: Ob eine Protokollberichtigung<br />

einer bereits erhobenen Rüge die Gr<strong>und</strong>lage entziehen darf, wird vom Senat offen gelassen in BGH NJW 1982,<br />

164


1057, sowie vom 5. Strafsenat in BGHR StPO § 274 Beweiskraft 22 (Berichtigung des Namens einer Dolmetscherin<br />

bei offensichtlicher Namensverwechslung ist zu-lässig; vgl. auch BGH NStZ-RR 1997, 73). Kritisch der 2. Strafsenat<br />

in BGHSt 36, 354, 358: „Sachverhalte, die auf Gr<strong>und</strong> der formellen Beweiskraft der Sitzungsniederschrift unwiderlegbar<br />

zu vermuten sind, brauchen der wahren Sachlage nicht zu entsprechen (vgl. RGSt 43, 1, 6; BGHSt 26, 281,<br />

283). Das ist eine bedenkliche Konsequenz der Vorschrift des § 274 StPO, von der Eb. Schmidt (Lehrkomm. StPO II<br />

§ 188 Erl. 13) sagt, sie sei ‚ziemlich außergewöhnlich’. … Die Regelung, die § 274 trifft, beruht allein auf pragmatischen<br />

Erwägungen ... . Diese Erwägungen widerstreiten dem gr<strong>und</strong>sätzlich auch für das Revisionsgericht geltenden<br />

Gebot, die wahre Sachlage zu erforschen, wenn prozessual erheblich Tatsachen (von Amts wegen oder wenn sie<br />

Gegenstand einer Verfahrensrüge sind) der Klärung bedürfen“. Zuletzt sprachen sich definitiv - in obiter dicta - für<br />

eine Änderung der Rechtsprechung zur Berücksichtigung einer Protokollberichtigung trotz Rügeverlust der 2. Strafsenat<br />

(BGH NStZ 2005, 281, 282 - nach Zweifeln in BGH NStZ 2002, 270, 272 <strong>und</strong> BGH NJW 2001, 3794, 3796),<br />

<strong>und</strong> der 1. Strafsenat (Beschluss vom 13. Oktober 2005 - 1 StR 386/05). Der 3. Strafsenat ließ dies im Beschluss<br />

vom 27. Juni 2006 (3 StR 174/06) noch offen. In der Literatur äußerte sich zuletzt kritisch G. Schäfer, aaO; so auch<br />

Detter, Die Beweiskraft des Protokolls <strong>und</strong> die Wahrheitspflicht der Verfahrensbeteiligten, StraFo 2004, 329, <strong>und</strong><br />

nun Lampe NStZ 2006, 366, Unzulässigkeit der "Rügeverkümmerung"?. Demgegenüber streiten für die bisherige<br />

Rechtsprechung: Tepperwien aaO <strong>und</strong> Jahn/Widmaier, JR 2006, 166.<br />

IV. Der Senat ist unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung (BGH NStZ 1984, 521 - 1 StR 344/84 -; BGHSt<br />

34, 11, 12 - 1 StR 643/85 - nicht tragend -; BGH NStZ 1995, 200, 201 - 1 StR 641/94 - nicht tragend) der Auffassung,<br />

dass die formelle Beweiskraft des Protokolls gemäß § 274 StPO uneingeschränkt gilt, auch dann, wenn eine<br />

Protokollberichtigung einer bereits erhobenen Rüge zum Nachteil des Angeklagten die Tatsachengr<strong>und</strong>lage entzieht.<br />

Dem stand bislang jedenfalls folgende Rechtsprechung - soweit ersichtlich - der anderen Senate entgegen: 2. Strafsenat:<br />

BGHSt 10, 145, 147 (2 StR 34/57); 3. Strafsenat: BGHSt 2, 125 (3 StR 575/51); BGH JZ 1952, 281 (3 StR<br />

1069/51); BGH, Urteil vom 9. Januar 1985 - 3 StR 514/84; BGH NStE Nr. 7 zu § 344 StPO (3 StR 63/88); BGH StV<br />

2002, 183 (3 StR 175/01); BGH 1, 259 (3 StR 106/51 - nicht tragend); BGHR StPO § 274 Beweiskraft 11 (3 StR<br />

338/91 - nicht tragend), 13 (3 StR 63/92 - nicht tragend); 4. Strafsenat: BGHSt 12, 270 (4 StR 408/58 - nicht tragend);<br />

BGH NStZ 2002, 219 (4 StR 249/01 - wohl inzident - nicht tragend); Urteil vom 21. Dezember 1966 - 4 StR<br />

404/66 - (nicht tragend); 5. Strafsenat: BGHSt 10, 342, 343 (5 StR 197/57); BGH NStZ 1993, 51, 52 (5 StR 126/92 -<br />

wohl inzident - nicht tragend -); Beschluss vom 3. Dezember 2003 - 5 StR 462/03 (inzident - nicht tragend - [insoweit<br />

nicht abgedruckt in NStZ 2004, 451]). Mit Beschluss vom 12. Januar 2006 - 1 StR 466/05 - (NStZ-RR 2006,<br />

112) hat der Senat bei den anderen Strafsenaten gemäß § 132 Abs. 3 GVG angefragt, ob an dem oben aufgestellten<br />

Rechtssatz entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird. Der 2. Strafsenat (Beschluss vom 31. Mai 2006 in<br />

Verbindung mit Beschluss vom 3. Juli 2006 - 2 ARs 53/06 -) <strong>und</strong> der 3. Strafsenat (Beschluss vom 22. Februar 2006<br />

- 3 ARs 1/06 -) haben der hier vertretenen Rechtsansicht unter Aufgabe entgegenstehender Rechtsprechung zugestimmt.<br />

Der 4. Strafsenat (Beschluss vom 3. Mai 2006 - 4 ARs 3/06 -) <strong>und</strong> der 5. Strafsenat (Beschluss vom 9. Mai<br />

2006 - 5 ARs 13/06 -) halten an ihrer bisherigen Rechtsprechung fest, wonach eine Protokollberichtigung, durch die<br />

einer zulässigen Verfahrensrüge zum Nachteil des Beschwerdeführers die Tatsachengr<strong>und</strong>lage entzogen würde, bei<br />

der Revisionsentscheidung nicht berücksichtigt werden darf.<br />

V. Ausgangspunkt für die Vorlage des Senats an den Großen Senat für Strafsachen des Senats ist Folgendes: Auch<br />

die Revisionsgerichte sind der Wahrheit verpflichtet. Das bedeutet, dass bei der Beurteilung von Verfahrensverstößen<br />

der wahre Sachverhalt zugr<strong>und</strong>e zu legen ist. Dies hält der Senat für entscheidend. Die Verpflichtung zur Entscheidung<br />

auf der Gr<strong>und</strong>lage eines zutreffenden Sachverhalts erhält inzwischen dadurch zusätzliches Gewicht, dass<br />

das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht in letzter Zeit mehrfach die Auffassung vertreten hat, die durch eine Revisionsentscheidung<br />

bedingte zusätzliche Verfahrensdauer sei bei der Berechnung der Überlänge eines Verfahrens zwar nicht<br />

stets, aber immer dann zu berücksichtigen, wenn das Revisionsverfahren der Korrektur eines offensichtlich der Justiz<br />

anzulastenden Verfahrensfehlers gedient hat (BVerfG - Kammer - NJW 2003, 2897, 2898; BVerfGK 2, 239, 251 <strong>und</strong><br />

zuletzt BVerfG - Kammer - NJW 2006, 672, 673). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht für<br />

den Fall der Aufhebung eines Urteils wegen eines der Justiz anzulastenden Verfahrensfehlers von einer Einbeziehung<br />

des infolge der Durchführung des Revisionsverfahrens verstrichenen Zeitraums aus (vgl. EGMR NJW 2002,<br />

2856, 2857 Abs. 41). Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> der Wahrheitspflicht verstärkt durch das Verbot der - u.U. im Sinne<br />

von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK unangemessenen (abzustellen ist auf das Gesamtverfahren) - Verfahrensverzögerung<br />

<strong>und</strong> des Gebots der Beschleunigung des Verfahrens insbesondere in Haftsachen ist es nicht mehr akzeptabel, Urteile<br />

aufgr<strong>und</strong> eines fiktiven Sachverhalts wegen eines Verfahrensfehlers aufzuheben, der nach dem Inhalt des - berichtigten<br />

- Protokolls tatsächlich nicht vorliegt. Demgegenüber sind die für die bisherige, letztlich von einem - nach Meinung<br />

des Senats nicht gerechtfertigten - Misstrauen in die Redlichkeit der Urk<strong>und</strong>spersonen getragenen Rechtsprechung<br />

vorgebrachten Gründe nicht genügend tragfähig. Die Annahme, durch den Eingang der Revisionsbegründung<br />

165


werde ein besonderes prozessuales Recht auf Nichtberücksichtigung einer Protokollberichtigung begründet, findet<br />

im Gesetz keine Stütze. „Ein prozessuales Recht der Prozessbeteiligten, dass etwas nicht Geschehenes beurk<strong>und</strong>et<br />

oder etwas Geschehenes nicht beurk<strong>und</strong>et wird, gibt es nicht“ (so schon RMG 9, 35, 42). Der Revisionsführer kann<br />

zwar die Berichtigung eines Protokolls nicht erzwingen. Er kann eine Änderung aber anregen. Deckt sich dies mit<br />

der Erinnerung der Urk<strong>und</strong>spersonen, wobei diese zur Unterstützung der Erinnerung auch auf Aufzeichnungen anderer<br />

zurückgreifen dürfen, wird dies zur Protokollberichtigung führen, auch zugunsten des Angeklagten zur Untermauerung<br />

einer sonst aussichtslosen Verfahrensrüge (vgl. BGH StV 1988, 45).<br />

- Der Gr<strong>und</strong>satz, wonach einer erhobenen Verfahrensrüge durch eine Protokollberichtigung nicht die Gr<strong>und</strong>lage zum<br />

Nachteil des Angeklagten entzogen werden darf, beruht auf Rechtsprechung <strong>und</strong> kann durch Rechtsprechung geändert<br />

werden, eines Gesetzes bedarf es nicht. Dem vor einer Neuausrichtung einer Rechtsprechung in Betracht zu<br />

ziehenden Wert der Beständigkeit der Rechtsordnung kommt hier kein Gewicht zu, da sich an der Pflicht der Instanzgerichte,<br />

dem tatsächlichen Ablauf entsprechende Protokolle zu fertigen, nichts ändert. Es geht um eine prozessrechtliche<br />

Frage, nicht um die Auslegung materiellen Rechts.<br />

- Berichtigung setzt bei beiden Urk<strong>und</strong>spersonen sichere Erinnerung voraus. Ist diese nicht vorhanden, dann kann<br />

das Protokoll nicht (mehr) berichtigt werden. Ein Argument gegen die Berücksichtigung einer Berichtigung durch<br />

das Revisionsgericht ist die Erfahrung nachlassender Erinnerung nicht. Häufig kann eine Urk<strong>und</strong>sperson auch auf<br />

andere Unterlagen als Erinnerungsstütze zurückgreifen, wie im vorliegenden Fall auf die unmittelbar während der<br />

Verhandlung getätigten Aufzeichnungen, die Gr<strong>und</strong>lage der Sitzungsniederschrift waren. Schließlich stammt der<br />

Hinweis auf die nachlassende Erinnerungskraft aus einer Zeit, als es die Vorschrift über die Urteilsabsetzungsfristen<br />

(§ 275 Abs. 1 StPO) noch nicht gab.<br />

- Die Ausweitung der Rechtsprechung zum Wegfall der formellen Beweiskraft wegen erkennbarer Mängel des Protokolls,<br />

wie Lücken <strong>und</strong> Widersprüchen, hatte keine Auswirkungen auf die Sorgfalt bei der Protokollerstellung. Die<br />

Qualität der Sitzungsniederschriften schwankt von Gericht zu Gericht, mit der Rechtsprechung zum Umfang der<br />

Beweiskraft nach § 274 StPO hat das nichts zu tun. Einer Urteilsaufhebung, um die Tatgerichte zum Einhalten der<br />

Vorschriften zu veranlassen (vgl. Meyer-Goßner DRiZ 1997, 471, 474), bedarf es nicht. Es ist nicht Aufgabe des<br />

Revisionsgerichts, den Tatrichter zu maßregeln (BGH StV 2004, 196).<br />

Die Berücksichtigung jeder Protokollberichtigung durch das Revisionsgericht könnte auch der Ausweitung der<br />

Rechtsprechung zur Lückenhaftigkeit des Protokolls (vgl. etwa BGHR StPO § 274 Beweiskraft 25, 27; BGH NStZ<br />

2002, 270, mit kritischer Anmerkung Fezer, 272, kritischer Anmerkung Köberer in StV 2002, 527; BGH, Beschluss<br />

vom 11. August 2004 - 3 StR 202/04; weitere Entscheidungen vgl. BGH-Nack unter dem Registerstichwort: § 274<br />

StPO Freibeweis) begegnen, eine Ausweitung zu der in der Literatur vorgebracht wird, die Senate suchten in Grenzfällen<br />

geradezu nach Möglichkeiten der Durchbrechung der formellen Beweiskraft des Protokolls (vgl. Detter, Die<br />

Beweiskraft des Protokolls <strong>und</strong> die Wahrheitspflicht der Verfahrensbeteiligten, StraFo 2004, 329, 330); Park, Die<br />

Beweiskraft des Protokolls <strong>und</strong> die Wahrheitspflicht der Verfahrensbeteiligten, StraFo 2004, 335, 338, 340). Dementsprechend<br />

bedürfte es weniger Beweiserhebungen über den Ablauf des Verfahrens, die Rekonstruktion der<br />

Hauptverhandlung. Soweit nunmehr Jahn/Widmaier (JR 2006, 166) für einen "eng umrissenen Bereich" ein Freibeweisverfahren<br />

vorschlagen, merkt hierzu der 2. Strafsenat in seinem (Antwort-)Beschluss vom 31. Mai 2006 (2 ARs<br />

53/06) - aus Sicht des Senats zutreffend - an: „Die absolute Beweiskraft des Protokolls soll gerade beim Revisionsgericht<br />

das Freibeweisverfahren vermeiden. Vor allem aber ist der ‚eng umrissene Bereich’, in dem ‚mit praktischer<br />

Gewissheit feststeht, dass das Protokoll in dem für die Rüge wesentlichen Bereich falsch sein muss’, weitgehend<br />

konturlos; seine nähere Eingrenzung wäre einzelfallabhängig <strong>und</strong> somit u.U. beliebig“. Ebenso wäre mit der Berücksichtung<br />

der - umfassenden - Protokollberichtigung durch das Revisionsgericht der Erfolgsaussicht bewusst unwahrer<br />

Verfahrensrügen Grenzen gesetzt (zum Diskussionsstand hierzu vgl. Tepperwien, aaO; Detter StraFo 2004, 329,<br />

334; Park StraFo 2004, 335, 337). Die prozessuale Wirksamkeit auch einer bewusst unwahren Verfahrensrüge wurde<br />

von der Rechtsprechung trotz erkennbaren Unbehagens <strong>und</strong> geäußerter Zweifel (vgl. BGHR StPO § 274 Beweiskraft<br />

21, 22, 24) bis vor kurzem nie verneint (vgl. RGSt 43, 1; BGHR StPO § 274 Beweiskraft 21, 22, 27; BGH NStZ<br />

2002, 270, 272). Erst jetzt hat der 3. Strafsenat die wahrheitswidrige Behauptung eines Verfahrensfehlers unter Berufung<br />

auf das insoweit fehlerhafte Protokoll dann als rechtsmissbräuchlich missbilligt, wenn der Beschwerdeführer<br />

sicher weiß, dass sich der Fehler unzweifelhaft nicht ereignet hat (Urteil vom 11. August 2006 - 3 StR 284/05 -, laut<br />

Presseerklärung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs vom selben Tag, die schriftlichen Urteilsgründe lagen zurzeit der Beschlussfassung<br />

noch nicht vor). Früher galt das Erheben einer - bewusst - unwahren Verfahrensrüge (die Protokollrüge genügt<br />

bekanntlich nicht) - unabhängig von ihrer prozessualen Wirksamkeit - als standeswidrig (vgl. Dahs, Die unwahre<br />

Verfahrensrüge, AnwBl. 1950/51, 90 ff.; „Der Rechtsanwalt hat hier wie überall nur dem Recht <strong>und</strong> der Wahrheit<br />

zu dienen. Es ist ihm nie erlaubt, zur Wahrheit in Widerspruch zu treten. Die wahrheitswidrige Verfahrensrüge ist<br />

eine standes-rechtliche Verfehlung“ [S. 90]. „Der Zweck [Aufhebung eines Fehlurteils] heiligt auch hier nicht die<br />

166


Mittel“ [S. 91]. „… der Anwalt, der die hier wiedergegebenen Gr<strong>und</strong>sätze nicht anerkennt, muss mit der Einleitung<br />

eines ehrengerichtlichen Verfahrens seitens des Generalstaatsanwalts rechnen“ [S. 92]), während es heute fast schon<br />

als anwaltlicher Kunstfehler gelten könnte, sich eines Fehlers im Protokoll jedenfalls nicht in der Weise zu bedienen,<br />

dass ein anderer Verteidiger die Revision begründet (vgl. hierzu m.w.N.: G. Schäfer aaO, Seite 707, 726 f., zur Zulässigkeit<br />

der unwahren Verfahrensrüge kommt nunmehr - gestützt auf die Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs -<br />

auch das Handbuch des Strafverteidigers von Dahs, von der 1. Auflage 1969, Rdn. 754, bis zur neuesten 7. Aufl. [ab<br />

4. Auflage Dahs jun.] 2005, Rdn. 918, „ … braucht der Verteidiger sich nicht zu scheuen, von dem durch das Protokoll<br />

‚geschaffenen’ unverrückbaren Tatbestand als ‚Wahrheit’ auszugehen“). Nur einen scheinbaren Ausweg bietet<br />

jedoch die Beauftragung eines neuen Verteidigers für die Revisionsbegründung, der „dann vielleicht im Zustand der<br />

‚Unberührtheit’ gehalten werden kann“ (Dahs aaO Rdn. 920), denn dieser hat sich gr<strong>und</strong>sätzlich beim Instanzverteidiger<br />

über den Verfahrensablauf k<strong>und</strong>ig zu machen (vgl. BGH NStZ 2005, 283; die Verfassungsbeschwerde dagegen<br />

wurde nicht zur Entscheidung angenommen unter Hinweis auf den Gr<strong>und</strong>satz der Einheitlichkeit eines über mehrere<br />

Instanzen geführten Verfahrens [BVerfG StraFo 2005, 512]). Auch diese Entwicklung spricht dafür, die Zurückhaltung<br />

bei der umfassenden Berücksichtigung der formellen Beweiskraft des Protokolls gemäß § 274 StPO aufzugeben,<br />

auch wenn mit der Berichtigung der Sitzungsniederschrift einer bereits zugunsten des Angeklagten erhobenen<br />

Rüge die Tatsachengr<strong>und</strong>lage entzogen wird. Dies ist im Gegensatz zur Unzulässigkeit einer unwahren Verfahrensrüge<br />

der einzige zweifelsfrei mit der formellen Beweiskraft des Protokolls gemäß § 274 StPO zu vereinbarende<br />

Weg, um einer derartigen Rüge den Erfolg zu verwehren (vgl. G. Schäfer aaO 727).<br />

VI. Zum Antwortbeschluss des 4. Strafsenats bemerkt der Senat:<br />

1. Die Auffassung des 4. Strafsenats zur Beruhensfrage teilt der Senat nicht. Mit der Frage, ob das Urteil im vorliegenden<br />

Fall auf der Nichtverlesung des Anklagesatzes beruht (vgl. 4 ARs 3/06 Rdn. 9), hat sich der Senat auseinandergesetzt,<br />

dies aber im Anfragebeschluss kurz gefasst (vgl. oben Rdn. 11) <strong>und</strong> sich zur Bedeutung des Anklagesatzes<br />

auf die oben genannte Zitierung von G. Schäfer beschränkt. Denn die Beurteilung der Beruhensfrage im Einzelfall<br />

obliegt dem Senat. Dessen Bewertung wird vom Großen Senat - jedenfalls bis zur Willkürgrenze - bei der Entscheidung<br />

über die Zulässigkeit der Anfrage zugr<strong>und</strong>e gelegt (vgl. Franke in Löwe/Rosenberg, 25. Aufl. GVG § 132<br />

Rdn. 42). Nachdem die Beruhensfrage nun aber problematisiert wurde, hierzu Folgendes: Die Verlesung des Anklagesatzes<br />

ist wesentliches Verfahrenserfordernis <strong>und</strong> elementarer Teil der Hauptverhandlung, deren Unterlassung im<br />

Allgemeinen schon deshalb die Revision begründet (Senat NStZ 1986, 39 [40]). Außerdem dient die Verlesung, auch<br />

wenn der Angeklagte den Inhalt der Anklageschrift schon kennt - wovon jedenfalls beim verteidigten Angeklagten<br />

regelmäßig auszugehen ist - auch der Information der ehrenamtlichen Richter <strong>und</strong> der Öffentlichkeit. Das Verlesen<br />

des Anklagesatzes soll darüber hinaus dem Angeklagten noch einmal den Ernst der Situation klar machen <strong>und</strong> ihm<br />

die Bedeutung der nachfolgenden Belehrung <strong>und</strong> Sachvernehmung vor Augen führen. Sie ist deshalb für sein weiteres<br />

Prozessverhalten von erheblichem Gewicht. In der Regel kann deshalb bei Nichtverlesung des Anklagesatzes<br />

auch das Beruhen des Urteils hierauf nicht ohne Weiteres ausgeschlossen werden. Dies kann ebenso bei einfach<br />

gelagerten Sachverhalten gelten. Denn auch dann wird dem Angeklagten das vorgeworfene strafrechtlich relevante<br />

Geschehen durch den Vortrag des Anklagesatzes nochmals plastisch vor Augen geführt. Bei schwierigen Wirtschaftsstrafsachen,<br />

insbesondere bei Steuerstrafsachen, oder bei Serienstraftaten (Anlagebetrug, Betäubungsmitteldelikte,<br />

Einbrüche) mag der Informationswert des mündlichen Vortrags des Anklagesatzes eher geringer sein. Es bleibt<br />

die oben genannte - unverzichtbare - Wirkung auf den Angeklagten, dem - zumal er selbst in diesen Fällen weiß,<br />

worum es in der Sache geht - der Eintritt in die entscheidende Phase des gesamten Verfahrens nachdrücklich verdeutlicht<br />

wird. Im Übrigen war der Sachverhalt des vorliegenden Falls auch nicht einfach gelagert (vgl. BGH NJW<br />

1982, 1057), schon im Hinblick auf den äußeren Ablauf, aber auch hinsichtlich der Bewertung des Gefährdungspotentials<br />

der Tathandlung sowie der Verletzungen. Im Anklagesatz wird dies komprimiert über zwei Seiten geschildert.<br />

Angeklagt worden war wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung <strong>und</strong> wegen<br />

fahrlässiger Körperverletzung zum Nachteil einer weiteren Person - insoweit erfolgte dann keine Verurteilung.<br />

Die Hauptverhandlung erstreckte sich über fünf Tage auch unter Anhörung verschiedener Sachverständiger. Die<br />

oben genannte Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs zur Beruhensfrage in diesem Zusammenhang, aber auch zur<br />

Unvollständigkeit des Protokolls (vgl. dazu auch Rdn. 10 in der Stellungnahme des 4. Strafsenats - 4 ARs 3/06 -,<br />

sowie BGH NJW 2001, 3794 <strong>und</strong> die darin aufgelisteten Fälle) zeigt im Übrigen einen nicht ganz unbedenklichen<br />

Umgang mit dem Gr<strong>und</strong>satz der relativen Unwirksamkeit einer Protokollberichtigung. Auch dies war Anlass für den<br />

Senat, nunmehr eine Änderung der Rechtsprechung zum Geltungsumfang einer Berichtigung der Sitzungsniederschrift<br />

vorzuschlagen.<br />

2. Einer erneuten Zustellung des Urteils (vgl. Rdn. 11 in 4 ARs 3/06) bedarf es nach Meinung des Senats nach einer<br />

Berichtigung der Sitzungsniederschrift nicht. Das Protokoll ist - auch im Sinne von § 273 Abs. 4 StPO - an dem Tag<br />

fertig gestellt, an dem die letzte der beiden erforderlichen Unterschriften vollzogen wurde (§ 271 Abs. 1 StPO), auch<br />

167


wenn es unrichtig oder lückenhaft ist oder sonstige formelle Mängel aufweist (vgl. Engelhardt im Karlsruher Kommentar<br />

zur StPO, 5. Aufl. § 271 Rdn. 8). Spätere Berichtigungen derartiger Fehler berühren den Zeitpunkt der Fertigstellung<br />

nicht mehr (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 271 Rdn. 31). Der Beschwerdeführer ist<br />

auch sonst immer gehalten, soweit er Rechtsverstöße sieht <strong>und</strong> geltend machen will, neben der Sachrüge auch alle<br />

Fehler des Verfahrens innerhalb der Revisionsbegründungsfrist gemäß § 344 Abs.2 Satz 2 StPO zu rügen. Ebenso<br />

wenig wie es gr<strong>und</strong>sätzlich keine Wiedereinsetzung in der vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist<br />

zur Nachholung von Verfahrensrügen gibt, kann nach einer Berichtigung des fertig gestellten Protokolls<br />

mit erneuter Zustellung des Urteils die Revisionsbegründungsfrist neu eröffnet werden. Eine Nachholung muss<br />

allenfalls dann ermöglicht werden, wenn allein aufgr<strong>und</strong> des Inhalts der Protokollberichtigung ein Rechtsfehler geltend<br />

gemacht werden soll. Falls solch ein Fall denkbar ist, dann wäre insoweit - hinsichtlich dieser Rüge - ausnahmsweise<br />

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Anlass für die umfassende Neueröffnung der<br />

Revisionsbegründungsfrist wäre dies jedenfalls nicht. Außerdem gäbe eine erneute Zustellung - die Auffassung des<br />

4. Strafsenats zugr<strong>und</strong>e gelegt - nur dann Sinn, wenn von der umfassenden Wirksamkeit der Berichtigung der Sitzungsniederschrift<br />

ausgegangen werden kann. Um dies zu klären, bedarf es aber zunächst der Entscheidung des<br />

Großen Senats für Strafsachen hierüber.<br />

3. Die Gesetzgebung hat auch nicht mittelbar die relative Unwirksamkeit einer Protokollberichtigung im strafrechtlichen<br />

Revisionsverfahren festgeschrieben (zu Rdn. 27 in 4 ARs 3/06). Die Stellung des Angeklagten im Strafverfahren<br />

ist dem der Parteien in kontradiktorischen Verfahren nicht vergleichbar. Eine relative Unwirksamkeit einer Protokollberichtigung<br />

ist in diesen Verfahren nicht denkbar. Dass die bisherige Rechtsprechung zu der sehr speziellen<br />

revisions-rechtlichen Frage der relativen Unwirksamkeit einer Protokollberichtigung im Strafverfahren sich so im<br />

Bewusstsein der betroffenen Bevölkerungskreise (aller Angeklagten) verfestigt hat, dass ihr gewohnheitsrechtlicher<br />

Charakter zukommt, erscheint dem Senat doch äußerst fraglich. Hinzu kommt, dass diese Rechtsprechung nie unumstritten<br />

war. Der Adressatenkreis der Rechtsanwender jedenfalls wird wohl kaum unter dem Gesichtspunkt des Gewohnheitsrechts<br />

auf der bisherigen Auffassung zur relativen Unwirksamkeit der Protokollberichtigung beharren<br />

wollen.<br />

4. Der Senat stimmt dem 4. Strafsenat darin zu, dass die Verfahrensbeteiligten vor einer substanziellen Protokollberichtigung<br />

- etwa soweit es nicht nur offensichtliche Schreibversehen betrifft - zu hören sind (vgl. Rdn. 33 in 4 ARs<br />

3/06). Der Senat lehnt es aber entschieden ab, die Abänderungsmöglichkeit oder die umfassende Geltung der Berichtigung<br />

davon abhängig zu machen, dass keiner der Verfahrensbeteiligten - substantiiert - widerspricht. Das würde<br />

das Problem der unwahren Verfahrensrüge nur auf eine andere Ebene verlagern beziehungsweise erstrecken. Ein<br />

Verteidiger, der eine unwahre Verfahrensrüge erhoben hat, wird sich, wenn die entsprechende Protokollberichtigung<br />

avisiert wird, schwer tun, nicht entsprechend der Rüge - also substantiiert - zu widersprechen. In diesem Zusammenhang<br />

betont der Senat nochmals, dass er die Zweifel an der Redlichkeit der Richter <strong>und</strong> der Urk<strong>und</strong>sbeamten der<br />

Geschäftstellen nicht teilt, auch nicht dahingehend, dass sich der Vorsitzende „psychologisch verständlich“ auf<br />

„plötzliche Erinnerung“ beruft - auch dies beinhaltet den Vorwurf des Vorsatzes - <strong>und</strong> seinen Mitarbeiter, der das<br />

Protokoll führte - ebenfalls - zu einer Falschbeurk<strong>und</strong>ung veranlasst, da dieser nicht zu widersprechen wagt (vgl.<br />

Rdn. 25 in 4 ARs 3/06). Für völlig ausgeschlossen schließlich hält es der Senat, dass Vorsitzender <strong>und</strong> Urk<strong>und</strong>sbeamter,<br />

dann, wenn bei der vorherigen Anhörung einer oder mehrere der anderen Verfahrensbeteiligten widersprechen,<br />

gleichwohl ohne sichere Erinnerung oder gar wider besseres Wissen das Protokoll - unzutreffend - berichtigen.<br />

Sind sich die Urk<strong>und</strong>spersonen aber sicher, dass sich der Widersprechende - zumindest - irrt, dann erfolgt die Berichtigung<br />

der Sitzungsniederschrift zu Recht.<br />

VII. Der Senat legt die - streitige - Rechtsfrage dem Großen Senat für Strafsachen zur Entscheidung vor (§ 132 Abs.<br />

2 GVG). Nach Auffassung des Senats ist sie auch von gr<strong>und</strong>sätzlicher Bedeutung. Die Vorlage erfolgt deshalb sowohl<br />

aus Gründen der Divergenz zur Rechtsprechung des 4. <strong>und</strong> insbesondere des 5. Strafsenats als auch nach § 132<br />

Abs. 4 GVG (vgl. BGHSt 40, 360, 366).<br />

Anmerkung: Vgl. auch den Einzelfall einer unwahren Verfahrensrüge im Beschluss des BGH vom 8. Februar 2006<br />

-2 StR 13/06 - JR 2006, 170: „Soweit die Revision vorträgt, der Verteidiger habe wesentliche Teile von Zeugenaussagen<br />

nicht mitbekommen, weil er erkennbar eingeschlafen sei, wird dieser Vortrag durch die dienstlichen Stellungnahmen<br />

der Berufsrichter, die an der Verhandlung teilgenommen haben, <strong>und</strong> der Sitzungsstaatsanwältin<br />

widerlegt. Danach hat der Verteidiger gegenüber den benannten Zeugen ohne Aufforderung intensiv von seinem<br />

Fragerecht Gebrauch gemacht.“ Da hier –anders als in der in der abgedruckten Entscheidung des BGH 1 StR<br />

466/05 - NJW 2006, S. 3582 ff. = JR 2006, 162 m. Anm. Jahn/Widmaier der geltend gemachte Verfahrensfehler dem<br />

Freibeweis zugänglich war, konnte das Revisionsgericht hier die unwahre Verfahrensrüge zurückweisen.<br />

168


StPO § 275 Abs. 1 Unterschrift durch Richter auf Probe bei StA<br />

BGH, Urt. vom 08.11.2006 – 2 StR 294/06<br />

Ein Richter auf Probe, der nach seinem Ausscheiden beim Landgericht wieder bei der Staatsanwaltschaft<br />

verwendet wird, hat seinen Status als Richter auf Probe aber nicht verloren. Er kann<br />

deshalb das Urteil, an dem er mitgewirkt hatte, noch unterschreiben.<br />

Auf die Revision des Angeklagten R. wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 9. Dezember 2005 - soweit es<br />

ihn betrifft - mit den Feststellungen aufgehoben.<br />

Die Sache wird zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere<br />

Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung "der Strafe" aus dem<br />

Urteil (richtig: des Urteils) des Amtsgerichts Düren vom 9. Februar 2001 zu der Einheitsjugendstrafe von drei Jahren<br />

<strong>und</strong> neun Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen<br />

Rechts. Die Revision hat mit der zulässig erhobenen Verfahrensrüge nach §§ 275 Abs. 1 <strong>und</strong> 2, 338 Nr. 7 StPO Erfolg.<br />

Der Vorsitzende der Jugendkammer hat in einem Verhinderungsvermerk festgestellt, dass der Richter auf Probe,<br />

der an der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat, das Urteil nicht unterschreiben könne, weil er in den<br />

staatsanwaltschaftlichen Dienst zurückgekehrt sei. Tatsächlich wird der Richter - wie seine vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt<br />

eingeholte dienstliche Äußerung bestätigt - nach seinem Ausscheiden beim Landgericht wieder bei der Staatsanwaltschaft<br />

verwendet. Damit hat er seinen Status als Richter auf Probe aber nicht verloren (§§ 12, 13, 19 a Abs. 1<br />

DRiG). Er konnte deshalb das Urteil, an dem er mitgewirkt hatte, noch unterschreiben (vgl. Kleinknecht/Meyer-<br />

Goßner StPO 49. Aufl. § 275 Rdn. 23; Engelhardt in KK 5. Aufl. § 275 Rdn. 30; BGHR StPO § 275 Abs. 2 Satz 2<br />

Verhinderung 4 = StV 1992, 557; BGH, Beschluss vom 26. Juli 2005 - 3 StR 196/05 = LS in StV 2006, 459). Der<br />

Senat sieht keinen Anlass, die bisherige Rechtsprechung in Frage zu stellen. Eine tatsächliche Verhinderung des<br />

Richters ist nicht festgestellt. Der Vorsitzende der Jugendkammer ging nämlich - wie die Fassung seines Verhinderungsvermerks<br />

deutlich macht - irrtümlich davon aus, der Richter sei aus rechtlichen Gründen im Sinne von § 275<br />

Abs. 2 Satz 2 StPO verhindert, seine Unterschrift beizufügen. Zudem befinden sich Landgericht <strong>und</strong> Staatsanwaltschaft<br />

am selben Ort <strong>und</strong> sind nicht weit voneinander entfernt. Damit ist das Urteil nicht innerhalb der Frist des § 275<br />

Abs. 1 StPO zu den Akten gelangt (vgl. BGHR StPO § 275 Abs. 2 Satz 2 Unterschrift 2; StPO § 275 Abs. 2 Satz 2<br />

Verhinderung 2). Der vorliegende Fall erfordert - entgegen der Annahme des Vertreters der B<strong>und</strong>esanwaltschaft -<br />

keine nähere Erörterung <strong>und</strong> Entscheidung, inwieweit ein Vorsitzender bei einem ausgeschiedenen Richter, der mehrere<br />

Jahre im Richterverhältnis auf Probe stand <strong>und</strong> anschließend wieder bei der Staatsanwaltschaft verwendet wird,<br />

gehalten ist, Nachforschungen zum dienstrechtlichen Status des ausgeschiedenen Richters anzustellen. Denn hier ist<br />

der Vorsitzende in seinem Verhinderungsvermerk zutreffend davon ausgegangen, dass der ausgeschiedene Richter<br />

weiterhin den Status eines Richters auf Probe innehatte.<br />

StPO § 275 Abs. 1 Urteilsabsetzung - Versterben des Berichterstatters<br />

BGH, Beschl. vom 24.11.2006 – 1 StR 558/06<br />

Das überraschende Versterben des Berichterstatters <strong>und</strong> die Tatsache, dass zu diesem Zeitpunkt<br />

noch kein Urteilsentwurf vorlag, stellen einen nicht vorhersehbaren unabwendbaren Umstand dar,<br />

durch welchen das Gericht an der rechtzeitigen Einhaltung der Frist des § 275 Abs. 1 StPO gehindert<br />

wird.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 24. November 2006 beschlossen: Die Revision des Angeklagten<br />

gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 13. Juli 2006 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung<br />

des Urteils auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben<br />

hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Ergänzend zu den Ausführungen<br />

des Generalb<strong>und</strong>esanwalts bemerkt der Senat: Die Rüge einer Verletzung des § 338 Nr. 7 i.V.m. § 275<br />

Abs. 1 Satz 2 StPO ist bereits unzulässig, weil es die Revision versäumt hat, den Vermerk des Vorsitzenden vom 27.<br />

Juli 2006 (SA Bl. 816a) mitzuteilen. Damit bleibt dem Senat verschwiegen, dass es sich beim Ableben des Berichter-<br />

169


statters um einen überraschenden Tod handelte. Desgleichen ergibt sich aus dem Revisionsvorbringen nicht, dass<br />

neben dem Kammervorsitzenden sich auch der weitere Beisitzer in dem Zeitraum bis zum Absetzen des Urteils teilweise<br />

in Urlaub bef<strong>und</strong>en hat. Im Übrigen wäre die Rüge auch unbegründet; denn jedenfalls das überraschende Versterben<br />

des Berichterstatters <strong>und</strong> die Tatsache, dass zu diesem Zeitpunkt noch kein Urteilsentwurf vorlag, stellen<br />

einen nicht voraussehbaren unabwendbaren Umstand dar, durch welchen das Gericht an der rechtzeitigen Einhaltung<br />

der Frist des § 275 Abs. 1 StPO gehindert war. Hinsichtlich der Rüge eines Verstoßes gegen § 261 StPO weist der<br />

Senat darauf hin, dass es zwar der Aufnahme ins Hauptverhandlungsprotokoll nicht bedarf, wenn - wie vorliegend -<br />

das Tatmesser einem Zeugen als Vernehmungsbehelf bei seiner Aussage über die getroffenen Ermittlungen vorgelegt<br />

wird, dennoch erscheint es zur Klarstellung hilfreich, wenn insoweit ein kurzer Hinweis ins Hauptverhandlungsprotokoll<br />

dann aufgenommen wird, wenn beispielsweise auch Vorhalte ausdrücklich erwähnt werden.<br />

StPO § 275 Urteilsabsetzungsfrist. Was heißt "zu den Akten zu bringen"?<br />

BGH, Beschl. vom 09.11.2006 – 1 StR 388/06<br />

Die in § 275 Abs. 1 Satz 1 StPO gebrauchte Formulierung "zu den Akten zu bringen" ist nicht wörtlich<br />

zu nehmen. Es genügt, wenn das vollständige Urteil innerhalb der im Gesetz genannten Frist<br />

auf den Weg zur Geschäftsstelle gebracht ist.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 9. November 2006 beschlossen: Die Revisionen der Angeklagten<br />

gegen das Urteil des Landgerichts Coburg vom 23. Dezember 2005 werden als unbegründet verworfen. Jeder Beschwerdeführer<br />

hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Die Angeklagte M. wurde wegen mehrfachen Betrugs <strong>und</strong> mehrfachen versuchten Betrugs, der Angeklagte Dr. L.<br />

wegen Betrugs <strong>und</strong> Beihilfe zum Betrug jeweils zu Freiheitsstrafe verurteilt. Ihre jeweils auf eine Reihe von Verfahrensrügen<br />

<strong>und</strong> die näher ausgeführte Sachrüge gestützten Revisionen sind unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

I. Der näheren Ausführung bedarf dies nur hinsichtlich der von beiden Angeklagten inhaltlich identisch erhobenen<br />

Verfahrensrüge, mit der ein absoluter Revisionsgr<strong>und</strong> gemäß § 338 Nr. 7 StPO geltend gemacht wird.<br />

1. Folgendes liegt zugr<strong>und</strong>e:<br />

Die Urteilsabsetzungsfrist endete, so auch die Revision, gemäß § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO am 21. April 2006. Das<br />

Urteil trägt einen von dem Justizsekretär D. unterschriebenen Vermerk, wonach das Urteil am 7. April 2006 zur<br />

Geschäftsstelle gelangt ist.<br />

2. Wie die Revision im Einzelnen vorträgt, sind in der chronologisch geführten Verfahrensakte jedoch vor dem Urteil<br />

Vorgänge eingeheftet, die nach Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist angefallen sind. Daraus folgert die Revision,<br />

dass das Urteil entgegen § 275 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht innerhalb der hierfür vorgesehenen Frist zu den Akten gebracht<br />

worden sei.<br />

3. Der Generalb<strong>und</strong>esanwalt hält die Rüge nicht für zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die chronologische<br />

Akte, aus deren Führung Rückschlüsse gezogen seien, insbesondere „die von der Revision vorgetragenen Vermerke<br />

<strong>und</strong> Verfügungen“ seien „nicht mitgeteilt“.<br />

4. Gr<strong>und</strong>sätzlich genügt es für die Zulässigkeit einer Verfahrensrüge, dass die den Mangel begründenden Tatsachen<br />

vollständig vorgetragen werden; hierzu gehört auch der Vortrag zu Anhaltspunkten, die nach den konkreten Umständen<br />

des Falles gegen das Revisionsvorbringen sprechen (BGH NStZ 2005, 222, 223 m. w. N.; vgl. auch Widmaier<br />

StraFo 2006, 437, 438). Hier spricht der genannte Vermerk des Geschäftsstellenbeamten gegen die Richtigkeit des<br />

Revisionsvorbringens. Damit setzt sich die Revision auseinander, indem sie auf die Daten der dem Urteil vorgehefteten<br />

Verfahrensvorgänge, insbesondere mehrerer Verfügungen verweist. Dem konkreten Inhalt dieser Verfügungen<br />

kommt unter den gegebenen Umständen kein über diesen Revisionsvortrag hinausgehender Bedeutungsgehalt hinsichtlich<br />

der Wahrung der in Frage stehenden Frist zu; sein Vortrag war daher nicht erforderlich (vgl. BVerfG StV<br />

2005, 369, 372). Eine - von der Frage nach dem notwendigen Umfang des Vortrags unabhängige - Pflicht zur Glaubhaftmachung<br />

des Revisionsvortrags besteht nicht. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist daher etwa die Beifügung<br />

von Ablichtungen aus den Verfahrensakten regelmäßig nicht erforderlich (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 334 ;<br />

BGH, Beschluss vom 22. September 2006 - 1 StR 298/06 m. w. N.).<br />

5. Unabhängig von dem notwendigen Umfang des Rügevorbringens kann die in Rede stehende Rüge gleichwohl<br />

keinen Erfolg haben. Die in § 275 Abs. 1 Satz 1 StPO gebrauchte Formulierung „zu den Akten zu bringen“ ist nicht<br />

wörtlich zu nehmen (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 275 Rdn. 7). Es genügt, wenn das voll-<br />

170


ständige Urteil innerhalb der im Gesetz genannten Frist auf den Weg zur Geschäftsstelle gebracht ist (BGHSt 29, 43,<br />

45). Dies ist rechtzeitig geschehen; Gründe, die die Richtigkeit des Eingangsvermerks in Frage stellen könnten, sind<br />

nicht ersichtlich. Der Zeitpunkt, zu dem das Urteil auf der Geschäftsstelle in die Sachakten eingelegt wird, hat im<br />

Zusammenhang mit der Wahrung der Frist des § 275 StPO keine rechtliche Bedeutung (BGH NStE StPO § 275 Nr.<br />

14 m. w. N.). Hiervon abzuweichen sieht der Senat keine Veranlassung.<br />

II. Auch im Übrigen hat die auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigungen gebotene Überprüfung des Urteils, auch unter<br />

Berücksichtigung der Erwiderungen auf den Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts, keinen Rechtsfehler zum Nachteil<br />

der Angeklagten ergeben.<br />

StPO § 302, § 35 a Satz 1 - Kein Verzicht auf Rechtsmittelbelehrung nach Urteilsabsprache<br />

BGH, Beschl. vom 03.04.2007 - 3 StR 72/07 =JR 2007, XXX mit Anm. Gössel<br />

LS: Nach einer Urteilsabsprache kann weder auf die gesetzlich vorgeschriebene noch auf die qualifizierte<br />

Rechtsmittelbelehrung wirksam verzichtet werden.<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> des Beschwerdeführers<br />

am 3. April 2007 beschlossen:<br />

Es wird festgestellt, dass die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 9.<br />

August 2006 zulässig ist.<br />

Gründe:<br />

Die Revision des Angeklagten erweist sich - entgegen dem Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts - als zulässig.<br />

Allerdings hat der Angeklagte ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls nach der Verkündung des Urteils -<br />

ebenso wie sein anwesender Verteidiger - auf die Einlegung eines Rechtsmittels verzichtet (§ 302 Abs. 1 Satz 1<br />

StPO). Indessen ist der erklärte Verzicht unwirksam, weil dem Urteil nach dem Inhalt des Protokolls eine Urteilsabsprache<br />

zugr<strong>und</strong>e lag <strong>und</strong> der Angeklagte weder nach § 35 a Satz 1 StPO noch darüber belehrt worden ist, dass er<br />

ungeachtet der Absprache in seiner Entscheidung frei ist, Rechtsmittel einzulegen (qualifizierte Belehrung; vgl.<br />

BGHSt 50, 40). Dem steht nicht entgegen, dass der damalige Verteidiger des Angeklagten auf eine qualifizierte<br />

Rechtsmittelbelehrung verzichtet hat. Denn während ansonsten der Betroffene selbst <strong>und</strong> - bei Vorliegen einer ausdrücklichen<br />

Ermächtigung, Rechtsmittel zurückzunehmen <strong>und</strong> auf sie zu verzichten - auch sein Verteidiger auf die<br />

nach § 35 a StPO vorgeschriebene Rechtsmittelbelehrung verzichten können (vgl. Maul in KK 5. Aufl. § 35 a Rdn.<br />

13 f. m. w. N.; BGH NStZ 1984, 181, 329), kann nach einer Urteilsabsprache weder auf die gesetzlich geregelte<br />

noch - was sich schon aus deren Sinn <strong>und</strong> Zweck zwingend ergibt - auf die zusätzlich gebotene qualifizierte Belehrung<br />

verzichtet werden (vgl. BGHSt 50, 40, 61; Graalmann-Scherer in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 35 a Rdn.<br />

35). Der Auffassung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts, die Revision genüge, soweit sie eine Urteilsabsprache behaupte,<br />

nicht den Begründungserfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, kann nicht gefolgt werden. Diese Vorschrift legt<br />

den notwendigen Inhalt einer Revisionsrüge fest, mit der eine Verletzung des <strong>Verfahrensrecht</strong>s geltend gemacht<br />

wird. Sie gilt hingegen nicht für die Frage der Zulässigkeit der Revision nach Erklärung eines Rechtsmittelverzichts.<br />

Ob dieser wirksam ist oder nicht, hat das Revisionsgericht vielmehr von Amts wegen zu prüfen. Die im Übrigen<br />

statthafte sowie frist- <strong>und</strong> formgerecht eingelegte <strong>und</strong> begründete Revision des Angeklagten (§§ 333, 341 Abs. 1, §§<br />

344, 345 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 StPO) ist daher zulässig.<br />

StPO § 338 Nr. 1 – Besetzungsrüge Schöffenzuteilung für eine Hilfsstrafkammer<br />

BGH, Beschl. vom 07.02.2007 – 2 StR 370/06<br />

Einzelfall einer erfolgreichen Besetzungsrüge - Schöffenzuteilung für eine Hilfsstrafkammer.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> der Beschwerdeführer<br />

am 7. Februar 2007 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:<br />

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 21. März 2006, soweit es<br />

sie betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

171


Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 30 Fällen <strong>und</strong> Handeltreibens<br />

mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren <strong>und</strong> den Angeklagten<br />

D. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von neun Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt <strong>und</strong> sichergestellte Betäubungsmittel sowie Mobiltelefone<br />

eingezogen. Die Revisionen der Angeklagten haben mit einer gleichlautend erhobenen Verfahrensrüge Erfolg,<br />

so dass es auf die weiter erhobenen Rügen nicht ankommt.<br />

1. Zutreffend rügen die Revisionen dieser Angeklagten, dass die erkennende Hilfsstrafkammer (15a-Strafkammer)<br />

insoweit fehlerhaft besetzt war, als für die Sitzung die Hauptschöffen der 1. Strafkammer zugezogen wurden. Die<br />

erkennende 15a-Hilfsstrafkammer war durch Beschluss des Präsidiums des Landgerichts vom 4. Mai 2005 ("klargestellt"<br />

durch Beschluss vom 11. Juli 2005) wegen vorübergehender Überlastung der 15. Strafkammer zu deren Entlastung<br />

eingerichtet. Sie wurde mit einem Vorsitzenden Richter <strong>und</strong> zwei Beisitzern besetzt, die im Übrigen der 1.<br />

Strafkammer angehörten. Am ersten Hauptverhandlungstag (7. Oktober 2005) des vorliegenden Verfahrens hatte die<br />

15. (ordentliche) Strafkammer keinen ordentlichen Sitzungstag. Die 15a-Hilfsstrafkammer verhandelte ab 7. Oktober<br />

2005 weder mit den Hauptschöffen der 15. Strafkammer, die dieser für den 7. Oktober 2005 zugelost waren, noch<br />

mit Hauptschöffen der 15. Strafkammer für den vorausgegangenen oder nachfolgenden ordentlichen Sitzungstag<br />

noch mit Hilfsschöffen aus der Hilfsschöffenliste, sondern mit zwei Schöffen, die der 1. Strafkammer für deren ordentlichen<br />

Sitzungstag am 7. Oktober 2005 zugelost worden waren. Der Vorsitzende der erkennenden Strafkammer,<br />

der zugleich Vorsitzender der 1. Strafkammer war, hatte deren Hauptschöffen für den Sitzungstag somit in die 15a-<br />

Hilfsstrafkammer quasi "mitgenommen". Eine Besetzungsmitteilung ist nicht ergangen. Dies war, wie die Revisionen<br />

zutreffend rügen, rechtsfehlerhaft. Für Sitzungen einer Hilfsstrafkammer sind die für die entlastete ordentliche<br />

Strafkammer für den Sitzungstag - ggf. nach Verlegung auf den zeitnächsten Sitzungstag der ordentlichen Strafkammer<br />

(BGHSt 41, 175, 180) - ausgelosten Hauptschöffen heranzuziehen, wenn diese nicht von der ordentlichen<br />

Kammer benötigt werden (BGHSt 25, 174, 175; 31, 157, 159 f.); im letzteren Fall sind Schöffen aus der Hilfsschöffenliste<br />

heranzuziehen (BGHSt 41, 175, 180 f.). Die Heranziehung von Hauptschöffen einer ganz anderen Strafkammer,<br />

nur weil diese "frei" sind oder der Strafkammer zugelost wurden, der Mitglieder der Hilfsstrafkammer<br />

angehören, scheidet jedenfalls aus. Die Rüge ist auch, entgegen der Ansicht des Generalb<strong>und</strong>esanwalts, zu-lässig im<br />

Sinne von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erhoben. Die Revisionen haben vorgetragen, dass die 15. ordentliche Strafkammer<br />

weder an dem dem ersten Verhandlungstag (7. Oktober 2005) vorausgehenden noch an dem nachfolgenden<br />

ordentlichen Sitzungstag mit einem Hauptverhandlungstermin belegt war. Im Hinblick auf die vom B<strong>und</strong>esgerichtshof<br />

vorgenommene Begrenzung der Vor- oder Nachverlegung (vgl. BGHSt 41, 175, 180) reichte dieser Vortrag aus;<br />

der Senat kann anhand der Revisionsbegründungen abschließend erkennen, dass jedenfalls die von der Hilfsstrafkammer<br />

tatsächlich zugezogenen Schöffen nicht hätten herangezogen werden dürfen.<br />

2. Da die Rüge fehlerhafter Schöffenbesetzung gemäß § 338 Nr. 1 StPO durchgreift, kommt es auf die weitere Rüge<br />

einer fehlerhaften Besetzung im Hinblick auf die (nachträgliche) Zuweisung der Sache an die 15a-Hilfsstrafkammer<br />

durch die genannten Präsidiumsbeschlüsse nicht an. Zwar kann gr<strong>und</strong>sätzlich auch eine nachträgliche Änderung<br />

eines Geschäftsverteilungsplans in Betracht kommen, welche ausschließlich bereits anhängige Verfahren betrifft; in<br />

einem solchen Fall bedürfte es aber einer umfassenden Dokumentation <strong>und</strong> Darlegung der Gründe (vgl. BVerfG,<br />

Beschl. vom 16. Mai 2005 - 2 BvR 581/03, StraFo 2005, 195). Die hier mit den Revisionen gerügte Verfahrensweise<br />

begegnet daher jedenfalls Bedenken. Die scheinbar abstrakte Bestimmung der auf die Hilfsstrafkammer übertragenen<br />

Sachen durch Beschluss des Präsidiums vom 4. Mai 2005 hatte ersichtlich allein die Funktion, nach außen den Eindruck<br />

zu vermeiden, es sei nur ein bestimmtes bereits anhängiges Verfahren übertragen worden. Denn die abstrakte<br />

Beschreibung sollte offenk<strong>und</strong>ig gerade dieses Verfahren erfassen; der vom Beschluss erfasste Eingangs-Zeitraum<br />

war überdies bereits abgeschlossen, so dass das Hinzukommen weiterer Verfahren ausgeschlossen war. Dass der<br />

Beschluss irrtümlich das vorliegende Verfahren gar nicht erfasste, weil das Präsidium sich hinsichtlich des zuständigkeitsbegründenden<br />

Anknüpfungskriteriums geirrt hatte, ändert hieran nichts. Der Beschluss vom 11. Juli 2005<br />

enthielt entgegen seinem Wortlaut keine "Klarstellung", sondern eine weitere, andere Einzelfallsübertragung, welche<br />

nunmehr (allein) das vorliegende Verfahren erfasste. Den Begründungsanforderungen genügte auch dieser Beschluss<br />

nicht. Auf die Frage der Willkürlichkeit der Übertragung kommt es hier nicht an, da das Urteil schon aus anderen<br />

Gründen aufzuheben ist.<br />

172


StPO § 338 Nr. 1 , 222b Rügepräklusion durch unvollständigen Besetzungseinwand<br />

BGH, Urt. vom 25.10.2006 – 2 StR 104/06<br />

Einzelfall einer präkludierten Besetzungsrüge, weil der erforderliche Tatsachenvortrag nicht umfassend<br />

war.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Limburg a. d. Lahn vom 20. Dezember 2005 wird<br />

auf seine Kosten verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher<br />

Körperverletzung in zwei Fällen unter Einbeziehung der rechtskräftigen Einzelstrafen aus dem Urteil des Landgerichts<br />

Limburg vom 11. November 2004 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren <strong>und</strong> neun Monaten verurteilt<br />

<strong>und</strong> seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Dagegen wendet sich die Revision des Angeklagten<br />

mit der Sachrüge <strong>und</strong> einer Verfahrensrüge. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Soweit die Revision die<br />

Sachrüge erhebt, ist sie aus den Gründen der Antragsschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts vom 20. März 2006 unbegründet<br />

im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Die zeitlich nach der Antragsschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts erhobenen<br />

Einwendungen gegen die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zeigen keinen Rechtsfehler des<br />

Urteils auf. Näherer Erörterung bedarf lediglich die Rüge der vorschriftswidrigen Besetzung des erkennenden Gerichts<br />

(§ 338 Nr. 1 StPO).<br />

1. Die 2. große Strafkammer des Landgerichts Limburg hatte den Angeklagten am 11. November 2004 wegen erpresserischen<br />

Menschenraubs in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung <strong>und</strong> gefährlicher Körperverletzung<br />

in zwei Fällen sowie wegen weiterer Taten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.<br />

Auf die Revision des Angeklagten hatte der Senat mit Beschluss vom 8. April 2005 das Urteil im Schuldspruch wegen<br />

erpresserischen Menschenraubs, im Gesamtstrafenausspruch <strong>und</strong> soweit eine Maßregel nach § 64 StGB nicht<br />

angeordnet worden war, aufgehoben <strong>und</strong> die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung<br />

an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Nach dem Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts<br />

Limburg vom 13. Dezember 2004 für das Geschäftsjahr 2005 war für aufgehobene <strong>und</strong> zurückverwiesene<br />

Schwurgerichtssachen <strong>und</strong> Strafsachen der 2. Strafkammer die 1. Strafkammer zuständig. Durch nicht begründeten<br />

Präsidiumsbeschluss vom 27. Juli 2005 wurde die Zuständigkeit für zurückverwiesene Strafsachen auf die 5. Strafkammer<br />

übertragen, auch für Zurückverweisungen vor dem 1. August 2005, soweit noch kein Hauptverhandlungstermin<br />

bestimmt worden war. Mit Schriftsatz vom 2. November 2005 übersandte der Verteidiger des Angeklagten<br />

der 1. Strafkammer den Entwurf einer Besetzungsrüge, der u. a. der Präsidiumsbeschluss vom 27. Juli 2005 <strong>und</strong> ein<br />

Auszug aus dem Geschäftsverteilungsplan betreffend die 1. Strafkammer beigefügt waren. Gerügt wurde, dass der<br />

Präsidiumsbeschluss vom 27. Juli 2005 keine Begründung für die Umverteilung enthalte, dass es sich um eine unzulässige<br />

Einzelzuweisung handele <strong>und</strong> dass die Voraussetzungen des § 21 e Abs. 3 GVG nicht vorgelegen hätten. Als<br />

Hintergr<strong>und</strong> für die Übertragung wurde in dem Entwurf einer Besetzungsrüge mitgeteilt, dass man nach Auskunft<br />

des Vorsitzenden der 1. Strafkammer zu Beginn des Geschäftsjahres vergessen hätte, der 1. Strafkammer für aufgehobene<br />

Strafsachen der 2. Strafkammer Schöffen zuzulosen. Dies sei dem Vorsitzenden erst bei der Bearbeitung der<br />

ersten zurückverwiesenen Sache aufgefallen. In diesem Fall hätten nach Auffassung der Verteidigung gemäß § 46<br />

GVG Schöffen aus der Hilfsschöffenliste ausgelost werden müssen. Mit Beschluss vom 17. November 2005, der<br />

Verteidigung am selben Tage übersandt, begründete das Präsidium die Änderung der Geschäftsverteilung nachträglich.<br />

In der Hauptverhandlung vom 24. November 2005 vor der 5. Strafkammer erhob der Verteidiger sodann die im<br />

Schriftsatz vom 22. November 2005 formulierte Besetzungsrüge.<br />

2. Die auf § 338 Nr. 1 StPO gestützte Rüge, das Gericht sei mit den in der Besetzungsrüge mitgeteilten Gerichtspersonen<br />

der 5. Strafkammer nicht vorschriftsmäßig besetzt, hat keinen Erfolg. Die Rüge ist präkludiert, weil der Angeklagte<br />

den Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung in der Hauptverhandlung nicht in der vorgeschriebenen Form<br />

gemäß § 222 b Abs. 1 Satz 2 StPO erhoben hat.<br />

a) Die Zulässigkeit einer Besetzungsrüge setzt voraus (§ 338 Abs. 1 Nr. 1 b StPO), dass der Besetzungseinwand<br />

bereits in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht "rechtzeitig <strong>und</strong> in der vorgeschriebenen Form geltend gemacht<br />

worden ist". Die Vorschrift des § 338 Abs. 1 Nr. 1 b StPO nimmt damit Bezug auf § 222 b Abs. 1 Satz 2<br />

StPO, der bestimmt, dass die Tatsachen, aus denen sich die vorschriftswidrige Besetzung ergeben soll, anzugeben<br />

sind. Mit den durch das Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 eingeführten Rügepräklusionsvorschriften der §§ 338<br />

Nr. 1, 222 b Abs. 1 StPO wollte der Gesetzgeber erreichen, dass Besetzungsfehler bereits in einem frühen Verfahrensstadium<br />

erkannt <strong>und</strong> geheilt werden, um zu vermeiden, dass ein möglicherweise mit großem justiziellem Auf-<br />

173


wand zustande gekommenes Strafurteil allein wegen eines Besetzungsfehlers im Revisionsverfahren aufgehoben <strong>und</strong><br />

in der Folge die gesamte Hauptverhandlung – mit erheblichen Mehrbelastungen sowohl für die Strafjustiz als auch<br />

für den Angeklagten – wiederholt werden muss (BT-Drucks. 8/976 S. 24 ff.). Deshalb müssen alle Beanstandungen<br />

gleichzeitig geltend gemacht werden (§ 222 b Abs. 1 Satz 3 StPO). Ein Nachschieben von Gründen ist nicht statthaft<br />

(Meyer-Goßner StPO 49. Aufl. § 222 b Rdn. 7; Tolksdorf in KK-StPO 5. Aufl. § 222 b Rdn. 7; Gollwitzer in LR 25.<br />

Aufl. § 222 b Rdn. 18). Diese Gr<strong>und</strong>sätze gelten auch bei evidenten Besetzungsmängeln, die allen Verfahrensbeteiligten<br />

ohne weiteres erkennbar oder sogar bekannt sind. Auch in diesen Fällen sind deshalb alle konkreten Tatsachen,<br />

aus denen sich die Fehlerhaftigkeit der Besetzung ergeben soll, zur Erhaltung der Besetzungsrüge im Einzelnen<br />

vorzubringen. Die Rechtsprechung stellt mit Blick auf den Normzweck <strong>und</strong> im Sinne der Intentionen des Gesetzgebers<br />

hohe Anforderungen an den Inhalt des Besetzungseinwands. Die Begründungsanforderungen an den Besetzungseinwand<br />

entsprechen weitgehend den Rügevoraussetzungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO (BGHSt 44, 161,<br />

162; BT-Drucks. 8/976 S. 47). Fehlt die erforderliche umfassende Begründung, insbesondere ein hinreichend substantiierter<br />

Tatsachenvortrag, so ist der Besetzungseinwand nicht in der vorgeschriebenen Form geltend gemacht,<br />

mithin nicht zulässig erhoben worden.<br />

b) In der Hauptverhandlung vor der 5. Strafkammer wurde als Besetzungseinwand der Schriftsatz vom 22. November<br />

2005 verlesen, wie von der Revision vorgetragen <strong>und</strong> vom Protokoll belegt wird; darüber hinaus wurden keine<br />

Einwendungen mündlich vorgetragen <strong>und</strong> auch nicht auf sonstige Schriftstücke oder Aktenbestandteile (mündlich)<br />

Bezug genommen. Die Ausführungen des Schriftsatzes vom 22. November 2005 genügen den Anforderungen an<br />

einen formgerechten Besetzungseinwand nicht. Aus ihnen wird schon nicht deutlich, unter welchem rechtlichen<br />

Aspekt die Übertragung der Zuständigkeit für zurückverwiesene allgemeine Strafsachen von der 1. Strafkammer auf<br />

die 5. Strafkammer beanstandet werden soll, <strong>und</strong> welche Tatsachen dem zugr<strong>und</strong>e liegen. Die Verteidigung behauptet<br />

darin nur, diese Übertragung der Zuständigkeit auf eine andere Strafkammer sei von § 21 e Abs. 3 GVG nicht<br />

erfasst, trägt aber keine Tatsachen dafür vor, um welche Fallgestaltung es sich hier handelt.<br />

aa) In der kurzen Schilderung des Verfahrensablaufs wird zwar durch kursives Schriftbild hervorgehoben, dass der<br />

Präsidiumsbeschluss vom 27. Juli 2005 keine weitere Begründung für die Übertragung der Zuständigkeit enthalte,<br />

ferner wird mitgeteilt, dass die Übertragung auch für Zurückverweisungen vor dem 1. August 2005 gelten solle. Ob<br />

damit (auch) die fehlende Begründung <strong>und</strong> eine rechtsfehlerhafte Einzelzuweisung gerügt werden sollen, bleibt aber<br />

unklar, nachdem in dem Schriftsatz weiter geschildert wird, dass das Präsidium mit Beschluss vom 17. November<br />

2005 eine Begründung nachgeholt habe, die aber die Änderung der Geschäftsverteilung nicht rechtfertige. Dass das<br />

Nachholen einer Begründung unzulässig sei, wird nicht geltend gemacht. Dass von der Übertragung lediglich eine<br />

einzige Sache – die vorliegende – betroffen war, wird nicht dargelegt. In dem zuvor der 1. Strafkammer übersandten<br />

Entwurf einer Besetzungsrüge hatte der Verteidiger die Besetzung hingegen ausdrücklich auch unter diesen beiden<br />

Aspekten gerügt <strong>und</strong> näher erläutert.<br />

bb) In dem Schriftsatz vom 22. November 2005 wird der Inhalt des Präsidiumsbeschlusses vom 17. November 2005<br />

zudem nur auszugsweise wie folgt mitgeteilt: "… der Vorsitzende der 1. Strafkammer habe sich an einem Vorgehen<br />

nach § 46 GVG mangels Fehlens einer planwidrigen Regelungslücke im Hinblick auf die Möglichkeit der Änderung<br />

der Geschäftsverteilung gehindert gesehen. Dieser Ansicht habe sich das Präsidium angeschlossen." Dazu äußert die<br />

Verteidigung in dem Besetzungseinwand die Auffassung, dass diese Begründung die Änderung der Geschäftsverteilung<br />

nicht rechtfertige, da ein Gr<strong>und</strong> nach § 21 e Abs. 3 GVG nicht vorliege <strong>und</strong> der Katalog des § 21 e Abs. 3 GVG<br />

abschließend sei. Diese Beanstandung ist für sich allein gesehen nicht verständlich, ihr Rügeinhalt erschließt sich nur<br />

demjenigen, der die vorangegangenen Verfahrensvorgänge, insbesondere den "Entwurf" einer Besetzungsrüge vom<br />

2. November 2005 <strong>und</strong> den Präsidiumsbeschluss vom 17. November 2005 kennt. In dem Besetzungseinwand wird<br />

lediglich vorgetragen, dass das Gesetz in § 46 GVG eine Regelung zur Behandlung "des vorliegenden Problems"<br />

enthalte, ohne dieses "Problem" näher darzulegen. Die im Präsidiumsbeschluss geschilderten Hintergründe für die<br />

Zuständigkeitsübertragung – dass für die 1. Strafkammer keine Schöffen gewählt seien für die Verhandlung zurückverwiesener<br />

allgemeiner Strafsachen der 2. Strafkammer – teilt die Verteidigung mit dem Besetzungseinwand nicht<br />

mehr mit, ebenso wenig den mit dem "Entwurf" der Besetzungsrüge zunächst vorgelegten Auszug aus dem Geschäfts-verteilungsplan<br />

betreffend die 1. Strafkammer, der auch Angaben zu deren sonstigen Zuständigkeiten <strong>und</strong><br />

ihren Sitzungstagen enthält. Es kann dahingestellt bleiben, ob insoweit eine Bezugnahme auf Unterlagen bei den<br />

Strafakten der Kammer ausreichen würde (vgl. BGHSt 44, 161, 163), denn eine solche Bezugnahme wird von der<br />

Revision nicht behauptet <strong>und</strong> ergibt sich auch nicht aus dem Inhalt des Schriftsatzes vom 22. November 2005. Auch<br />

das Protokoll enthält hierzu keine Angaben. Dem tatsächlich erhobenen Besetzungseinwand mangelt es mithin an<br />

dem erforderlichen umfassenden <strong>und</strong> substantiierten Tatsachenvortrag. Ohne Kenntnis von den zugr<strong>und</strong>eliegenden<br />

tatsächlichen Umständen <strong>und</strong> den rechtlichen Erwägungen des Präsidiums für die Übertragung der Zuständigkeit von<br />

der einen auf die andere Strafkammer lässt sich nicht beurteilen, ob zum Zeitpunkt des Präsidiumsbeschlusses die<br />

174


Voraussetzungen des § 21 e Abs. 3 GVG vorlagen <strong>und</strong> die Strafkammer den Besetzungseinwand zu Recht zurückgewiesen<br />

hat oder ob die (tatsächlichen oder vermeintlichen) Besetzungsmängel der 1. Strafkammer rechtlich anders<br />

hätten gelöst werden können oder müssen.<br />

StPO § 344 Abs. 2 – Beweismittel zu Verfahrensfehler nicht erforderlich<br />

BGH, Beschl. vom 22.09.2006 –1 StR 298/06<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich genügt es für die Zulässigkeit einer Verfahrensrüge, dass die den Mangel begründenden<br />

Tatsachen vollständig vorgetragen werden.<br />

Dagegen ist ihre Glaubhaftmachung, etwa durch die Angabe von Beweismitteln <strong>und</strong> Aktenstellen,<br />

aus denen sich diese Tatsachen ergeben, nicht erforderlich.<br />

Der Vortrag, eine Urk<strong>und</strong>e sei nicht verlesen worden, ist vollständig, wenn die Urteilsgründe die<br />

Urk<strong>und</strong>e als verlesen bezeichnen.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 22. September 2006 beschlossen: Die Revision des Angeklagten<br />

gegen das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 3. Februar 2006 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer<br />

hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Der Angeklagte wurde wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Nach den Feststellungen der Strafkammer<br />

hat er 1997 in Brasilien seine ehemalige Lebensgefährtin gewaltsam getötet, da sie seinen Plänen, bei seinem<br />

Umzug nach Deutschland die gemeinsame Tochter <strong>und</strong> sein ungeschmälertes Vermögen mit sich zu nehmen, im<br />

Wege stand. Seine auf mehrere Verfahrensrügen <strong>und</strong> die Sachrüge gestützte Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2<br />

StPO).<br />

I. Der näheren Ausführung bedarf nur Folgendes:<br />

1. Nach den Feststellungen der Strafkammer hat der Angeklagte nach der Tat die Leiche zerstückelt <strong>und</strong> Teile davon<br />

im Wald entsorgt, wo Knochen von ihr in einem Plastiksack gef<strong>und</strong>en wurden. Zuvor hatte er von den Knochen das<br />

Muskelfleisch entfernt, um aus von der Strafkammer im Einzelnen näher dargelegten Gründen die Identifizierung der<br />

Leiche zu erschweren. Dass das Muskelfleisch entfernt worden war, hat ein Sachverständiger ausweislich der Urteilsgründe<br />

im Rahmen seines Gutachtens „anhand der Lichtbilder, aber auch anhand des verlesenen brasilianischen<br />

rechtsmedizinischen Gutachtens“ dargelegt.<br />

2. Hierauf gestützt, trägt die Revision vor, das Gutachten sei nicht verlesen worden. Sie verweist dabei auch darauf,<br />

dass sich aus dem Protokoll der Hauptverhandlung nichts anderes ergebe.<br />

3. Dieses Vorbringen genügt den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Der Senat teilt nicht die Auffassung,<br />

die Rüge scheitere an unzureichendem Vortrag, da das Protokoll der Hauptverhandlung nicht mitgeteilt sei. Gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

genügt es für die Zulässigkeit einer Verfahrensrüge, dass die den Mangel begründenden Tatsachen vollständig<br />

vorgetragen werden. Dagegen ist ihre Glaubhaftmachung, etwa durch die Angabe von Beweismitteln <strong>und</strong> Aktenstellen,<br />

aus denen sich diese Tatsachen ergeben, nicht erforderlich (BGH NStZ-RR 2003, 334 ; in vergleichbarem<br />

Sinne BGH bei Pfeiffer NStZ 1982, 191; vgl. auch Kuckein in KK 5. Aufl. § 344 Rdn. 41). Der Vortrag, eine<br />

Urk<strong>und</strong>e sei nicht verlesen worden, ist vollständig. Zur Prüfung seiner Schlüssigkeit - nicht: seiner Richtigkeit -<br />

bedarf es des Rückgriffs auf das Protokoll nicht. Besondere Umstände, die in diesem Zusammenhang gleichwohl<br />

weitergehende Ausführungen unerlässlich machen könnten, sind nicht erkennbar. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erforderte<br />

daher nicht die Beifügung (von Ablichtungen) des Protokolls, das sich hier, ohne seine zahlreichen Anlagen, über<br />

beinahe 40 Seiten erstreckt.<br />

4. Darüber hinaus hat der Generalb<strong>und</strong>esanwalt erwogen, ob das Gut-achten auf anderem Wege, etwa durch Verlesung<br />

im Rahmen eines Vorhalts, zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden sein kann (vgl. Meyer-<br />

Goßner, StPO 49. Aufl. § 261 Rdn. 38a m. w. N.). Jedoch hat die Strafkammer - obwohl verfahrensrechtliche Ausführungen<br />

wie etwa zum Rechtsgr<strong>und</strong> einer Beweiserhebung in den Urteilsgründen nicht geboten sind - ausdrücklich<br />

auf das „verlesene“ Gutachten abgestellt. Der Senat kann offen lassen, ob gleichwohl der vorliegenden Rüge mit<br />

dem Hinweis der Boden entzogen werden kann, über das Gutachten könne statt durch Verlesung auch durch die<br />

Antwort auf einen Vorhalt Beweis erhoben worden sein (verneinend in einem etwas anders gelagerten Fall BGH,<br />

Beschluss vom 11. Mai 1983 - 2 StR 66/83; vgl. auch Schoreit in KK 5. Aufl. § 261 Rdn. 24).<br />

175


5. Selbst für den Fall, dass der Inhalt des brasilianischen Gutachtens nicht prozessordnungsgemäß zum Gegenstand<br />

der Hauptverhandlung gemacht worden sein sollte, wäre nämlich ein Beruhen des Urteils auf diesem Rechtsfehler zu<br />

verneinen.<br />

a) Wie die Urteilsgründe ergeben, hat der Sachverständige in der Hauptverhandlung den Inhalt des brasilianischen<br />

Gutachtens behandelt <strong>und</strong> erläutert. Ist aber der Inhalt eines Schriftstücks in der Hauptverhandlung erörtert <strong>und</strong> ist<br />

auch nicht bestritten worden, dass das Schriftstück diesen Inhalt hat - hierfür ist nichts ersichtlich - so kann schon<br />

deshalb das Urteil regelmäßig nicht darauf beruhen, dass das Schriftstück nicht verlesen worden ist (vgl. BGH, Urteil<br />

vom 6. Juni 1957 - 4 StR 165/57; OLG Düsseldorf StV 1995, 120, 121 m. w. N.; Diemer in KK 5. Aufl. § 249 Rdn.<br />

52).<br />

b) Im Übrigen hatte der Angeklagte die Tat zeitnah seinem Sohn gestanden, sonst aber behauptet, die Getötete habe<br />

ihn mit einem anderen Mann verlassen. Erst im Lauf der Hauptverhandlung hat er dann angesichts einer im Einzelnen<br />

im Urteil dargelegten „erdrückend gewordenen Beweislage“ immerhin eingeräumt, dass sie gewaltsam zu Tode<br />

gekommen sei. Sie habe nämlich versucht, ihn, den Angeklagten zu ermorden, sein Leibwächter habe ihn gerettet<br />

<strong>und</strong> sie getötet. Anschließend sei die Leiche zerstückelt <strong>und</strong> im Wald entsorgt worden. Er sei dabei gewesen. Unter<br />

den gegebenen Umständen ergibt eine Gesamtschau der Urteilsgründe ohne weiteres, dass die Ausführungen zu der<br />

Entfernung des Muskelfleischs <strong>und</strong> den Gründen hierfür nur ein zusätzliches bestätigendes Indiz aufzeigen, von dem<br />

die Überzeugungsbildung der Strafkammer hinsichtlich der Täterschaft des Angeklagten nicht abhing (vgl. BGH,<br />

Beschluss vom 26. Januar 2006 – 1 StR 407/05; Beschluss vom 13. September 2001 - 1 StR 378/01; Urteil vom 16.<br />

Juli 1981 - 4 StR 336/81; Kuckein in KK 5. Aufl. § 337 Rdn. 38 m. w. N.).<br />

II. Auch im Übrigen hat die auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung gebotene Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler<br />

zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des<br />

Generalb<strong>und</strong>esanwalts, die auch durch die Erwiderungen der Revision (§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO) nicht entkräftet<br />

sind.<br />

StPO § 344 Abs. 2 - Revisionsvortrag bei Rüge der Staatsanwalt habe seine eigene Zeugenaussage<br />

gewürdigt<br />

BGH, Besch. Vom 30.01.2007 – 5 StR 465/06<br />

Nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat der als Zeuge vernommene <strong>und</strong> weiterhin als<br />

Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft tätige Staatsanwalt sich bei der Beweiswürdigung – namentlich<br />

beim Schlussvortrag – auf diejenigen Teile der Beweisaufnahme zu beschränken, die von<br />

seiner zeugenschaftlichen Aussage nicht beeinflusst sein können (BGHR StPO § 24 Staatsanwalt 2,<br />

5, 6). Daraus folgt, dass der nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO gebotene Revisionsvortrag im Fall einer<br />

Rüge, der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft sei als Zeuge vernommen worden <strong>und</strong> anschließend<br />

weiter in der Hauptverhandlung tätig gewesen <strong>und</strong> habe den Schlussvortrag gehalten auch die<br />

Mitteilung enthalten muss, ob der als Zeuge gehörte Staatsanwalt bei seiner weiteren Mitwirkung in<br />

der Hauptverhandlung – insbesondere im Schlussvortrag – seine eigenen zeugenschaftlichen Bek<strong>und</strong>ungen<br />

gewürdigt hat oder ob solches nicht geschehen ist.<br />

Der 5. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 30. Januar 2007 beschlossen:<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 9. März 2006 wird nach § 349 Abs. 2<br />

StPO als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

Ergänzend zur Antragsschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts bemerkt der Senat: Soweit die Revision die Verwertung von<br />

nicht ordnungsgemäß eingeführten Urk<strong>und</strong>en beanstandet, kann ein Beruhen des Urteils auf diesem Fehler ausgeschlossen<br />

werden. Denn der gedankliche Inhalt dieser Urk<strong>und</strong>en ist entweder anderweitig eingeführt worden oder<br />

bedurfte – angesichts des umfassenden Geständnisses des Angeklagten – keiner Verwertung.<br />

Die Rüge, die daran anknüpft, dass Staatsanwalt M. nach seiner zeugenschaftlichen Vernehmung weiterhin in der<br />

Hauptverhandlung tätig war <strong>und</strong> insbesondere den Schlussvortrag gehalten hat, ist schon nicht in zulässiger Weise<br />

erhoben. Nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat der als Zeuge vernommene <strong>und</strong> weiterhin als Sitzungsvertreter<br />

der Staatsanwaltschaft tätige Staatsanwalt sich bei der Beweiswürdigung – namentlich beim Schlussvortrag<br />

– auf diejenigen Teile der Beweisaufnahme zu beschränken, die von seiner zeugenschaftlichen Aussage nicht<br />

beeinflusst sein können (BGHR StPO § 24 Staatsanwalt 2, 5, 6). Daraus folgt, dass der nach § 344 Abs. 2 Satz 2<br />

176


StPO gebotene Revisionsvortrag im Fall einer Rüge der vorliegenden Art auch die Mitteilung enthalten muss, ob der<br />

als Zeuge gehörte Staatsanwalt bei seiner weiteren Mitwirkung in der Hauptverhandlung – insbesondere im Schlussvortrag<br />

– seine eigenen zeugenschaftlichen Bek<strong>und</strong>ungen gewürdigt hat oder ob solches nicht geschehen ist (vgl.<br />

BGH, Urteil vom 25. Oktober 1983 – 5 StR 736/82; Häger in Gedächtnisschrift für Karlheinz Meyer S. 171, 179 f.;<br />

Rogall in SK-StPO 9. Lfg. vor § 48 Rdn. 51). Diesen Vortragsanforderungen wird die Revisionsbegründung nicht<br />

gerecht.<br />

StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Revisionsvortrag bei Befangenheitsrüge<br />

BGH, Beschl. vom 29.09.2006 – 2 StR 328/06 -<br />

Zum notwendigen Vortrag der Rüge, ein Befangenheitsantrag sei zu Unrecht abgelehnt worden,<br />

gehört die Darlegung durch welchen Vorgang veranlasst die Äußerung des abgelehnten Richters<br />

erfolgte.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> des Beschwerdeführers<br />

am 29. September 2006 gemäß § 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 StPO beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird das<br />

Urteil des Landgerichts Gera vom 28. März 2006 im Ausspruch über den Verfall des Wertersatzes dahin geändert,<br />

dass der Verfall des Wertersatzes in Höhe von 11.700 Euro angeordnet wird. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln<br />

in nicht geringer Menge in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren <strong>und</strong> sechs<br />

Monaten verurteilt <strong>und</strong> den Verfall von Wertersatz in Höhe von 12.900 Euro angeordnet. Hiergegen richtet sich die<br />

Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts rügt. Sein Rechtsmittel hat<br />

mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist<br />

es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Zu den Verfahrensrügen merkt der Senat an: Die Verfahrensrüge II. 1 ist schon deshalb nicht in einer § 344 Abs. 2<br />

Satz 2 StPO entsprechenden Form erhoben, da nicht vorgetragen wird, durch welchen Vorgang veranlasst die Äußerung<br />

des abgelehnten Richters erfolgte. Es kann daher nicht abschließend beurteilt werden, ob ein Befangenheitsgr<strong>und</strong><br />

vorlag. Die Verfahrensrügen II. 2 <strong>und</strong> 3 sind deshalb unzulässig, weil der für beide Rügen beachtliche Gerichtsbeschluss<br />

vom 28. März 2006 unvollständig mitgeteilt wird. Es fehlt die - hier wesentliche - Seite 2 des Beschlusses<br />

(Strafakten Bd. III Bl. 408 R).<br />

2. Der Ausspruch über den Verfall des Wertersatzes war dahin zu ändern, dass der Verfall des Wertersatzes in Höhe<br />

von 11.700 Euro angeordnet wird. Die entsprechende Berichtigung durch das Landgericht ist unwirksam, da es sich<br />

nicht um ein offensichtliches Schreibversehen handelt. Das Versehen muss sich aus Tatsachen ergeben, die für alle<br />

Verfahrensbeteiligten offenk<strong>und</strong>ig sind <strong>und</strong> auch den entfernten Verdacht einer unzulässigen nachträglichen Änderung<br />

ausschließen (BGHSt 12, 374). Ein solches Versehen liegt hier nicht vor. Die Urteilsfeststellungen tragen die<br />

Anordnung des Verfalls von Wertersatz in Höhe von 12.900 Euro nicht, sondern nur in Höhe von 11.700 Euro. Die<br />

Addition der auf UA S. 11 <strong>und</strong> 12 aufgelisteten Verfallsbeträge ergibt eine Summe von 11.700 Euro. In dieser Höhe<br />

war der Verfall des Wertersatzes anzuordnen. Der Senat kann die Änderung selbst vornehmen. Der geringfügige<br />

Erfolg der Revision rechtfertigt es nicht, den Angeklagten auch nur teilweise von den Kosten seines Rechtsmittels zu<br />

entlasten (§ 473 Abs. 4 StPO).<br />

177


StPO § 344 Abs. 2, § 345 Abs. 1; MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 – Verfahrensrüge wegen später Verfahrensverzögerung<br />

mit eigener Frist<br />

BGH, Beschl. vom 20.06.2007 – 2 StR 493/06 – NJW 2007, 2647<br />

Auch eine nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils eingetretene rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung<br />

ist nur auf Verfahrensrüge hin zu prüfen, wenn das Urteil erneut zugestellt werden musste<br />

<strong>und</strong> der Revisionsführer dadurch die Möglichkeit hatte, die ihm bekannte Verzögerung innerhalb<br />

der neu in Gang gesetzten Frist des § 345 Abs. 1 StPO geltend zu machen.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> nach Anhörung des Beschwerdeführers<br />

am 20. Juni 2007 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 27. April 2006 wird verworfen.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer<br />

Menge in fünf Fällen - davon in einem Fall wegen Beihilfe - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren <strong>und</strong><br />

neun Monaten verurteilt <strong>und</strong> die Einziehung von Rauschgift samt Verpackungsmaterial angeordnet. Hiergegen richtet<br />

sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen Rechtes rügt. Sein<br />

Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Einer Erörterung bedarf nur die vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt<br />

beantragte Schuldspruchänderung <strong>und</strong> die Frage einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung.<br />

1. Dem Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts bei drei Taten (Tatzeiten: 15. Dezember 2004, 22. April 2005 <strong>und</strong> 9. Mai<br />

2005), den Schuldspruch dahin zu ändern, dass jeweils zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in<br />

nicht geringer Menge unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit steht, weil der<br />

Angeklagte das Opium teilweise zum Selbstkonsum erworben habe, war nicht nachzukommen.<br />

Zwar wird in den Urteilsgründen vor Konkretisierung dieser Taten die Geschäftsbeziehung des Angeklagten zu M.<br />

<strong>und</strong> L. dargestellt <strong>und</strong> hierbei auch allgemein ausgeführt, dass der Angeklagte das Opium zum eigenen Gewinn weiterverkaufte<br />

<strong>und</strong> teilweise zum Selbstkonsum verbrauchte. Bei den einzelnen Taten wird dann aber konkret festgestellt,<br />

dass der Angeklagte das Opium ausschließlich zum gewinnbringenden Weiterverkauf erwarb.<br />

Wenn der Angeklagte im Rahmen der Geschäftsbeziehung auch (weiteres) Opium zum Selbstkonsum bezog oder<br />

sich nach dem Erwerb zum gewinnbringenden Weiterverkauf doch zum teilweisen Selbstkonsum entschloss, lässt<br />

dies den Schuldspruch nur wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unberührt.<br />

Da der Generalb<strong>und</strong>esanwalt trotz der von ihm beantragten Änderung des Schuldspruchs nicht die Aufhebung des<br />

Strafausspruchs beantragt hat, war der Senat an einer Entscheidung nach § 349 Abs. 2 StPO nicht gehindert (st. Rspr.<br />

vgl. u. a. BGHR StPO § 349 Abs. 2 StPO Verwerfung 4; Kuckein in KK 5. Aufl. § 349 Rdn. 29 m.w.N.).<br />

Dass der Angeklagte für die Tat vom 15. November 2003 nur wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit<br />

Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt wurde, obwohl er die tatsächliche Verfügungsgewalt über die<br />

10 kg Opium hatte <strong>und</strong> damit tateinheitlich ein täterschaftlich begangener unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln<br />

in nicht geringer Menge gegeben ist, beschwert ihn nicht.<br />

2. Ob das Verfahren in einer gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK verstoßenden Weise verzögert worden ist, braucht der<br />

Senat nicht zu entscheiden, da die erforderliche Verfahrensrüge nicht erhoben ist.<br />

Ein kompensationspflichtiger Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK kommt hier zwar gr<strong>und</strong>sätzlich in Betracht,<br />

weil das Verfahren nach Urteilserlass in einer der Justiz anzulastenden Weise verzögert wurde. Das Urteil vom 27.<br />

April 2006 wurde dem Verteidiger in einer mit dem Original nicht übereinstimmenden "beglaubigten" Leseabschrift<br />

zugestellt. Dieser Fehler wurde erstmals vom Senat bemerkt <strong>und</strong> die Zustellung des Original-Urteils veranlasst, welche<br />

dann am 13. Februar 2007 erfolgte. Durch die Zustellung des Original-Urteils begann die Revisionsbegründungsfrist<br />

des § 345 Abs. 1 StPO neu zu laufen.<br />

Will der Beschwerdeführer die Verletzung des Beschleunigungsgebotes geltend machen, erfordert dies gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

die Erhebung einer Verfahrensrüge (st. Rspr. vgl. u. a. BGH, Beschl. vom 9. Mai 2007 - 1 StR 32/07 m.w.N.; vgl.<br />

auch BVerfG Kammerbeschluss vom 27. September 2006 - 2 BvR 1377/06). Ein Ausnahmefall, für den der B<strong>und</strong>es-<br />

178


gerichtshof angenommen hat, das Revisionsgericht habe wegen eines Erörterungsmangels auf die Sachrüge hin einzugreifen,<br />

liegt hier schon deshalb nicht vor, weil die Verzögerung erst nach Urteilserlass eingetreten ist.<br />

Allerdings kann für Verzögerungen nach Urteilserlass ein Eingreifen des Revisionsgerichtes von Amts wegen geboten<br />

sein, wenn der Angeklagte diese Gesetzesverletzung nicht form- <strong>und</strong> fristgerecht rügen konnte (st. Rspr., vgl. u.<br />

a. Senatsbeschluss vom 16. Mai 2007 - 2 StR 78/07 m.w.N.; BGH, Beschl. vom 11. April 2007 - 3 StR 115/07 <strong>und</strong><br />

vom 21. November 2006 - 3 StR 329/06), weil die Verzögerung erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist<br />

eingetreten ist (vgl. BGH NStZ 2001, 52).<br />

Die Besonderheit des vorliegenden Falles besteht jedoch darin, dass durch die Zustellung des Original-Urteils die<br />

Begründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO wieder eröffnet wurde <strong>und</strong> der anwaltlich vertretene Angeklagte die ihm<br />

bekannte Verletzung des Beschleunigungsgebotes unschwer rügen <strong>und</strong> seine dadurch möglicherweise entstandenen<br />

zusätzlichen Belastungen geltend machen konnte (vgl. auch BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung<br />

11).<br />

Deshalb hätte es hier zur Geltendmachung eines Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot einer Verfahrensrüge<br />

bedurft. Eine solche Rüge ist nicht erhoben.<br />

StPO § 344 Revision – Behauptung des Rechtsfehlers<br />

BGH, Beschl. vom 27.07.2006 – 1 StR 147/06 -<br />

1. Ein zur Begründung der Revision gebotener Vortrag kann nicht durch die Anregung ersetzt werden,<br />

der Senat möge prüfen, ob die angedeutete Möglichkeit eines Rechtsfehlers in tatsächlicher<br />

Hinsicht eine tragfähige Gr<strong>und</strong>lage hat oder nicht.<br />

2. Eine Untervollmacht zur Verteidigung muss nicht notwendig schriftlich nachgewiesen werden 2 .<br />

3. Zu Einzelfragen der Unterbevollmächtigung eines Verteidigers.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 15. September 2005 wird verworfen.<br />

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Bei einer polizeilichen Kontrolle des vom Angeklagten geführten Pkw am 19. September 2004 wurden in der Stoßstange<br />

versteckt mehrere Kilogramm Kokain sichergestellt. Im Pkw waren mehrere "Duftbäumchen" aufgehängt, um<br />

den Geruch des Kokains zu überdecken. Der Angeklagte hat geltend gemacht, er sei auf dem Rückweg von den Niederlanden<br />

nach Italien, wo er den Pkw gekauft habe. Dass darin Kokain versteckt gewesen sei, sei ihm unbekannt<br />

gewesen. Einen Vertrag oder irgendwelche anderen Dokumente, die auf einen Kauf des Pkw durch den Angeklagten<br />

hingewiesen hätten, hatte er nicht in seinem Besitz. Die Strafkammer hat die Einlassung des Angeklagten nicht geglaubt,<br />

sondern hat ihn wegen eines Verbrechens gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG zu einer Freiheitsstrafe verurteilt<br />

<strong>und</strong> einen Geldbetrag für verfallen erklärt. Seine auf mehrere Verfahrensrügen <strong>und</strong> die näher ausgeführte Sachrüge<br />

gestützte Revision ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

I.<br />

Hinsichtlich der Verfahrensrügen bedarf der näheren Ausführung nur folgendes:<br />

1. Die Revision beruft sich auf § 338 Nr. 5 StPO <strong>und</strong> rügt "die Verletzung von § 140 Abs. 1, Abs. 2 <strong>und</strong> §§ 141 ff.<br />

StPO." Der Sache nach macht sie geltend, der Angeklagte sei am 7. Verhandlungstag (24. August 2005) nicht ordnungsgemäß<br />

verteidigt gewesen. Folgendes liegt zu Gr<strong>und</strong>e:<br />

Der Angeklagte hatte im Laufe des Verfahrens schon einer ganzen Reihe von <strong>Rechtsanwälte</strong>n schriftliche Verteidigervollmacht<br />

erteilt, zum Teil nach zwischenzeitlicher Mandatsbeendigung mehrfach. Seit dem 4. Verhandlungstag<br />

war Rechtsanwältin K. alleinige Verteidigerin, inzwischen vertritt sie den Angeklagten nicht mehr. Nach dem 5.<br />

Verhandlungstag (29. Juli 2005) erkrankte sie. Am 6. Verhandlungstag (22. August 2005) - Dauer: zehn Minuten -<br />

erschien ausweislich des Protokolls eine derselben Kanzlei angehörige Rechtsanwältin "in Untervollmacht für RAin<br />

K. , die erkrankt ist. Der Angeklagte erklärte hiermit Einverständnis". Im Übrigen beschränkte sich die Verhandlung<br />

auf eine Erklärung des Angeklagten, wonach er bestätigte, in Anwesenheit von Rechtsanwältin K. eine Erklärung<br />

2 Zum Nachweis der Verteidigervollmacht siehe schon BGHSt 36, 259: LS: „Hat ein Rechtsanwalt mitgeteilt,<br />

dass der Angeklagte ihn zu seinem Verteidiger gewählt hat, muss er zur Hauptverhandlung geladen werden, auch<br />

wenn er eine Vollmacht nicht vorgelegt hat.“<br />

179


abgeben zu wollen, <strong>und</strong> die Erörterung des weiteren Verfahrensgangs. Am 7. Verhandlungstag erschien Rechtsanwalt<br />

F. , "der erklärte, dass er in Untervollmacht für RAin K. auftrete <strong>und</strong> eine schriftliche Untervollmacht nachreichen<br />

werde". Es wurden drei Telefonkarten in Augenschein genommen <strong>und</strong> ein Notizzettel mit einer Adresse in<br />

Augenschein genommen <strong>und</strong> verlesen. Erklärungen wurden zu alledem nicht abgegeben, die Verhandlung dauerte<br />

sieben Minuten. Am nächsten Verhandlungstag (15. September 2005) erschien dann wieder Rechtsanwältin K. <strong>und</strong><br />

führte die Verteidigung. Die am 24. August 2005 angekündigte Untervollmachtsurk<strong>und</strong>e war schon am 23. August<br />

2005 ausgestellt. Sie gelangte allerdings erst im Rahmen des Revisionsverfahrens am 7. Februar 2006 zu den Verfahrensakten.<br />

Der Verfahrensverlauf vom 7. Verhandlungstag lässt keinen Rechtsfehler erkennen.<br />

a) Ohne dass es auf Weiteres ankäme, wäre der Angeklagte nicht ordnungsgemäß verteidigt gewesen, wenn nicht die<br />

Voraussetzungen von § 138 Abs. 1 StPO erfüllt gewesen wären. Die Revision (Schriftsatz vom 8. Mai 2006) hat<br />

angeregt, der Senat möge "klären, ob die … Untervollmacht tatsächlich einem zugelassenen Rechtsanwalt erteilt<br />

worden ist". Gestützt ist dies auf Erwägungen, die an den Inhalt des Anrufbeantworters des Anschlusses F. anknüpfen.<br />

Verfahrensrügen sind in der Frist des § 345 StPO zu erheben. Diese ist hier nicht eingehalten. Freilich liegen<br />

hier Besonderheiten vor. Die Staatsanwaltschaft hat im Rahmen ihrer Revisionsgegenerklärung auf die genannte<br />

Untervollmachtsurk<strong>und</strong>e Bezug genommen, sie dem (jetzigen) Verteidiger aber nicht bekannt gemacht. Er hat von<br />

dieser Urk<strong>und</strong>e erst im Rahmen ihm vom Senat gewährter Akteneinsicht Kenntnis genommen. Der Senat braucht<br />

nicht darüber zu befinden, ob <strong>und</strong> wie sich das geschilderte Verfahrensgeschehen auf die Frist des § 345 StPO auswirkt.<br />

Auch wenn man das genannte Vorbringen als rechtzeitig ansieht, fehlt es jedenfalls an der gemäß § 344 Abs. 2<br />

Satz 2 StPO erforderlichen schlüssigen tatsächlichen Behauptung einer Rechtsverletzung, da nicht eindeutig <strong>und</strong> klar<br />

behauptet ist, der als Rechtsanwalt F. aufgetretene Verteidiger sei in Wahrheit kein Rechtsanwalt. Eine entsprechende<br />

Vermutung in den Raum zu stellen, genügt nicht. Es wäre Sache der Revision gewesen, die tatsächliche Tragfähigkeit<br />

ihrer Erwägungen zu überprüfen, etwa durch ohne weiteres mögliche Anfragen bei der früheren Verteidigerin<br />

(vgl. BGH NStZ 2005, 283 f.; hierzu BVerfG StraFo 2005, 512 f.) oder bei zuständigen Stellen wie der Rechtsanwaltskammer<br />

oder dem Präsidenten des Landgerichts; gegebenenfalls hätte sie das Ergebnis ihrer Überprüfungen<br />

dem Senat darzulegen gehabt. Gebotener Vortrag kann nicht durch die Anregung ersetzt werden, der Senat möge<br />

prüfen, ob die angedeutete Möglichkeit eines Rechtsfehlers in tatsächlicher Hinsicht eine tragfähige Gr<strong>und</strong>lage hat<br />

oder nicht.<br />

b) Die Revision macht im Zusammenhang mit der Vollmachtsurk<strong>und</strong>e weiter geltend, an einer ordnungsgemäßen<br />

Verteidigung habe es (auch) deshalb gefehlt, weil im Termin vom 24. August 2005, (noch) keine schriftliche Untervollmacht<br />

für Rechtsanwalt F. vorgelegen habe. Eine solche Untervollmacht muss aber nicht notwendig schriftlich<br />

nachgewiesen werden (vgl. OLG Düsseldorf StraFo 1998, 227 f.; OLG <strong>Hamm</strong> JMBl. NW 1980, 83; OLG Köln VRS<br />

60, 441 f.; Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. vor § 137 Rdn. 11). Deshalb gehen zugleich die Ausführungen der Revision<br />

ins Leere, wonach es unzulässig sei, die später zu den Akten gelangte schriftliche Untervollmacht vom 23. August<br />

2005 zur Kenntnis zu nehmen <strong>und</strong> zu berücksichtigen.<br />

c) Über die genannten einzelfallbezogenen Fragen (beruflicher Status des Unterbevollmächtigten; Art des Nachweises<br />

seiner Unterbevollmächtigung) hinaus erhebt die Revision auch generelle Bedenken gegen die Berechtigung von<br />

Rechtsanwältin K. zur Erteilung einer Untervollmacht <strong>und</strong> dementsprechend gegen die Wirksamkeit dieser Untervollmacht.<br />

(1) Bedenken gegen die Wirksamkeit der Klausel in der Vollmacht für Rechtsanwältin K. , die ihr die Erteilung von<br />

Untervollmacht gestattete, bestehen nicht. Für die in einer Verteidigervollmacht vorformulierte Befugnis zur Erteilung<br />

von Untervollmacht gelten, soweit hier von Interesse, die Regeln über Allgemeine Geschäftsbedingungen in<br />

Verträgen. Ob die genannte Befugnis wirksamer Bestandteil der Vollmacht ist, richtet sich insbesondere nach § 305c<br />

Abs. 1 BGB (vgl. zu alledem näher Jahn/Kett-Straub StV 2005, 601, 602 m. w. N. ). Sie ist allgemein gebräuchlich - auch sämtliche der (zahlreich) vom Angeklagten ausgestellten Verteidigervollmachten<br />

enthalten diese Klausel, zuletzt die für seinen jetzigen Verteidiger im Revisionsverfahren - <strong>und</strong><br />

daher nicht überraschend im Sinne des § 305c BGB (Jahn/Kett-Straub aaO). Die Revision meint, in diesem Zusammenhang<br />

habe es auch Bedeutung, dass der Angeklagte die deutsche Sprache nicht beherrsche. Der Senat braucht<br />

diesem Hinweis aber unter keinem Gesichtspunkt näher nachzugehen. Es erscheint fern liegend <strong>und</strong> ist auch nicht<br />

konkret behauptet, dass die Verteidiger nicht mit dem Angeklagten kommunizieren konnten (zur Dolmetscherzuziehung<br />

bei Verteidigergesprächen vgl. Wickern in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 185 GVG Rdn. 10).<br />

(2) Der unterschiedlich beurteilten Frage, ob eine nur formularmäßig erteilte Zustimmung eine gemäß § 139 StPO<br />

genügende Gr<strong>und</strong>lage zur Unterbevollmächtigung eines Referendars durch einen Verteidiger ist (verneinend KG JR<br />

1972, 206; Bedenken hiergegen etwa bei Jahn/Kett-Straub aaO m. w. N. in Fußn. 19) braucht der Senat hier ebenfalls<br />

nicht näher nachzugehen. Selbst wenn in diesem Fall keine ausreichende Gr<strong>und</strong>lage für die Unterbevollmächtigung<br />

vorläge, könnte dies wegen des Unterschieds zwischen einem Rechtsanwalt <strong>und</strong> einem Referendar nicht auf die<br />

180


vorliegende Fallgestaltung übertragen werden (vgl. Jahn/Kett-Straub aaO). All dies gilt noch mehr für die von der<br />

Revision genannte Entscheidung LG Berlin NStZ 2000, 51, die sich von der vorliegenden Fallgestaltung zusätzlich<br />

noch dadurch unterscheidet, dass die Bevollmächtigung des Referendars durch einen Pflichtverteidiger erfolgte (vgl.<br />

auch Jahn/Kett-Straub aaO Fußn. 19 a. E.).<br />

(3) Die hier in Rede stehende Bevollmächtigung ist auch nicht dahin eingeschränkt, dass jedenfalls ein Verteidiger,<br />

"der aufgr<strong>und</strong> seiner Prozesserfahrung <strong>und</strong> seines Bekanntheitsgrades … besonderes Vertrauen für sich in Anspruch<br />

nimmt", von einem ihm eingeräumten Recht, Untervollmacht zu erteilen, keinen Gebrauch machen dürfe (so LG<br />

Duisburg StV 2005, 600; auf diese Entscheidung weist die Revision hin). Ob diese Voraussetzungen bei Rechtsanwältin<br />

K. gegeben sind oder nicht, hatte die Strafkammer nicht zu prüfen. Das Gesetz behandelt nämlich alle zugelassenen<br />

Verteidiger, die ihre Stellung nicht einer Einzelfallprüfung des Gerichts verdanken (vgl. § 138 Abs. 2<br />

StPO), gleich. Es räumt, wie sich aus § 138 Abs. 1 StPO ergibt, dem Gericht nicht die Möglichkeit ein, etwa im<br />

Rahmen der Prüfung der Wirksamkeit einer Untervollmacht, auf der Gr<strong>und</strong>lage seiner eigenen Auffassung z.B. über<br />

die fachliche Qualität eines Verteidigers ("Prozesserfahrung") <strong>und</strong> das Maß des Vertrauens zu befinden, das er deshalb<br />

von seinen Mandanten erwarten darf (Jahn/Kett-Straub aaO).<br />

(4) Auch im Übrigen gibt es keinen Rechtsanspruch des Angeklagten, auch dann ausschließlich vom (Haupt-<br />

)Verteidiger verteidigt zu werden, wenn er uneingeschränkt die Befugnis zur Erteilung von Untervollmachten erteilt<br />

hat. Weder ist eine solche Regelung ausdrücklich dem Gesetz zu entnehmen, noch gibt es übergeordnete Gesichtspunkte,<br />

die es gebieten würden, die bewährte <strong>und</strong> sinnvolle Möglichkeit der Unterbevollmächtigung in Strafsachen<br />

letztlich in Frage zu stellen. Missbräuche oder sonstige Fehlentwicklungen in der Praxis der Strafrechtspflege, die<br />

eine generell andere Beurteilung nahe legen könnten, sind nicht bekannt.<br />

(5) All dies gilt entsprechend auch hinsichtlich des von der Revision hervorgehobenen Umstands, dass Rechtsanwalt<br />

F. nicht derselben Sozietät wie Rechtsanwältin K. angehört. Auch hieraus ergeben sich keine rechtlichen Einschränkungen<br />

der Rechtsanwältin K. vom Angeklagten uneingeschränkt eingeräumten Befugnis zur Erteilung von Untervollmacht.<br />

Es ist nicht ersichtlich, warum sich daran deshalb etwas ändern könnte, weil die Unterbevollmächtigte<br />

vom 6. Verhandlungstag in derselben Kanzlei tätig war wie Rechtsanwältin K. .<br />

(6) Dass es schließlich auch keinen Rechtssatz gibt, wonach eine Unterbevollmächtigung unwirksam sei, wenn sie<br />

für einen Verhandlungsteil erteilt ist, in dem Beweis erhoben wird, bedarf keiner Darlegung.<br />

d) Das sonstige Vorbringen der Revision, etwa - das Gericht habe den Angeklagten nicht nach seinem Einverständnis<br />

mit der Verteidigung durch Rechtsanwalt F. befragt, wie dies am 6. Verhandlungstag geschehen sei; - das Gericht<br />

hätte den Angeklagten darüber belehren müssen, dass er eine Verteidigervollmacht jederzeit kündigen kann;<br />

- Rechtsanwalt F. habe nicht sachgerecht agiert, kann der Revision ebenfalls nicht zum Erfolg verhelfen. Es bedarf<br />

keiner näheren Darlegung, dass die behaupteten Fehler, selbst wenn man ihr Vorliegen unterstellt, nicht dazu führen<br />

könnten, dass ein ordnungsgemäß (unter)bevollmächtigter, anwesender Verteidiger als im Sinne des § 338 Nr. 5<br />

StPO nicht anwesend anzusehen wäre; Erwägungen der Revision, weshalb das Urteil aus den genannten Gründen in<br />

besonderem Maße auf dem behaupteten Verstoß gegen § 338 Nr. 5 StPO beruhe, gehen daher schon im Ansatz ins<br />

Leere. Ebenso wenig stellt sich im Fall der Anwesenheit eines Wahlverteidigers oder eines von ihm ordnungsgemäß<br />

unterbevollmächtigten Verteidigers die Frage nach der Bestellung eines Pflichtverteidigers (§§ 141 ff. StPO). Das<br />

genannte Vorbringen ist daher schon im Ansatz keine schlüssige Behauptung der von der Revision geltend gemachten<br />

Verletzungen von § 338 Nr. 5, §§ 141 ff. StPO. Aber auch wenn man auf all dies den Rechtsgedanken des § 300<br />

StPO anwenden würde (vgl. auch § 352 Abs. 2 StPO), könnte es der Revision nicht zum Erfolg verhelfen.<br />

(1) Das Gericht ist regelmäßig nicht verpflichtet, die Tätigkeit eines Verteidigers daraufhin zu überwachen, ob er<br />

seine Verteidigertätigkeit ordnungsgemäß erfüllt (vgl. BGH b. Holtz, MDR 1996, 120). Dies gilt nicht nur für die<br />

inhaltliche, sondern auch für die formale Gestaltung der Verteidigung. Macht der Verteidiger von einer ihm - wie<br />

dem Gericht bekannt ist - vom Angeklagten erteilten Befugnis Gebrauch, so braucht das Gericht dies im Gr<strong>und</strong>satz<br />

nicht zu hinterfragen. Besondere über die Erteilung der Untervollmacht hinausgehende Umstände des Einzelfalles,<br />

die ausnahmsweise eine andere Beurteilung nahe legen könnten, sind nicht ersichtlich.<br />

Daran ändert sich auch durch den Verlauf des vorangegangenen 6. Verhandlungstages nichts, wenn es auch regelmäßig<br />

untunlich ist, wenn das Gericht in identischen Verfahrenssituationen, dem Auftreten eines unterbevollmächtigten<br />

Verteidigers, unterschiedlich agiert, indem es einmal den Angeklagten nach seinem Einverständnis fragt <strong>und</strong> einmal<br />

nicht, zumindest das Protokoll unterschiedlich gestaltet. Es bedarf jedoch keiner näheren Darlegung, dass eine nicht<br />

gebotene, aber auch unschädliche Frage nicht die objektive Rechtslage verändert hat.<br />

(2) Eine Verletzung eines wie auch immer gearteten Vertrauenstatbestandes ist ebenfalls nicht ersichtlich. Worauf<br />

sich ein Vertrauen überhaupt gerichtet haben soll, erschließt sich aus dem Vortrag, - wegen des 6. Verhandlungstages<br />

habe der Angeklagte darauf vertraut, das Auftreten eines Unterbevollmächtigten sei nur mit seiner nochmaligen<br />

Einwilligung zulässig, wenn er vom Gericht danach gefragt wird; - deshalb habe er am 7. Verhandlungstag geglaubt,<br />

181


es käme nicht auf sein nochmaliges Einverständnis an, da er nicht danach gefragt wurde; nicht leicht. Letztlich kann<br />

dies aber auf sich beruhen. Wie der B<strong>und</strong>esgerichtshof in anderem Zusammenhang bereits entschieden hat, kann die<br />

Verletzung eines Vertrauenstatbestandes nur dann mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn der Angeklagte durch<br />

das in Rede stehende Verhalten in eine Lage versetzt wurde, die sein Verteidigungsverhalten beeinflusst hat <strong>und</strong> bei<br />

verständiger Einschätzung der Verfahrenslage auch beeinflussen konnte. Es lassen sich insoweit keine starren Regeln<br />

aufstellen, maßgeblich sind die Umstände des jeweiligen Verfahrens (BGH NStZ 2004, 277, 278 m.w.N.). Diese<br />

Gr<strong>und</strong>sätze gelten auch hier. Allein das Erscheinen eines ordnungsgemäß unterbevollmächtigten Verteidigers war<br />

bei verständiger Würdigung nicht geeignet, den Angeklagten dazu zu veranlassen, sich hiergegen zu wehren. Darauf,<br />

dass es angesichts der Vielzahl der von ihm erteilten <strong>und</strong> widerrufenen Verteidigervollmachten auch fern liegt, er<br />

könne geglaubt haben, seine Möglichkeiten <strong>und</strong> Rechte hingen von einer Frage des Gerichts ab, kommt es daher<br />

nicht mehr an.<br />

(3) Sprach aber nichts gegen die Wahrnehmung der Verteidigung durch den Unterbevollmächtigten, braucht das<br />

Gericht den Angeklagten offensichtlich auch nicht, wie die Revision meint, "darauf hinzuweisen, dass es Probleme<br />

mit der Verteidigung durch den Unterbevollmächtigten geben könnte <strong>und</strong> er das Recht hat, … von einem 'Sonderkündigungsrecht'<br />

… Gebrauch zu machen“. Auf nichts gestützte Spekulationen<br />

des Gerichts über zu erwartende Schwierigkeiten können eine Fürsorgepflicht für einen Hinweis auf ein Kündigungsrecht<br />

(vgl. §§ 627, 671 BGB) nicht begründen. Der Senat kann daher auch offen lassen, wann <strong>und</strong> gegebenenfalls<br />

unter welchen Umständen ein Hinweis des Gerichts an den Angeklagten, er könne seinem Wahlverteidiger<br />

kündigen, überhaupt geboten sein könnte.<br />

(4) Die Behauptung unzulänglichen Agierens durch Rechtsanwalt F. begründet die Revision damit, er habe nach den<br />

genannten Beweiserhebungen keine Erklärungen abgegeben. Er hätte sagen müssen, dass in den Niederlanden sämtliche<br />

Verkäufe von Telefonkarten schriftlich festgehalten würden, weshalb sich aus den Nummern der verlesenen<br />

Telefonkarten zahlreiche für den Angeklagten günstige Erkenntnisse ergeben hätten; zu dem Notizzettel mit der<br />

Adresse hätte er sagen müssen, dass es sich dabei um die Adresse eines bei dem Kauf des Pkw nicht zum Zuge gekommenen<br />

Mitinteressenten gehandelt hätte; dies hätte die Richtigkeit des Vorbringens des Angeklagten unterstrichen,<br />

dass er den Pkw gekauft <strong>und</strong> nichts von Rauschgift gewusst hätte (vgl. oben vor I.). Wie dargelegt, hat das<br />

Gericht die Gestaltung der Verteidigung gr<strong>und</strong>sätzlich nicht zu überprüfen oder zu kontrollieren (vgl. oben I. 1 d (1)<br />

). Gründe, aus denen ausnahmsweise im Hinblick auf eine Fürsorgepflicht des Gerichts für den Angeklagten etwas<br />

anderes gelten könnte - etwa, weil die Unfähigkeit eines Verteidigers zu ordnungsgemäßer Verteidigung klar auf der<br />

Hand liegt (vgl. BGH b. Holtz MDR 1996, 120) - sind nicht erkennbar. Mit dem Vortrag, ein Verteidiger habe nach<br />

einer Beweiserhebung nicht von der Möglichkeit des § 257 Abs. 2 StPO Gebrauch gemacht, wird im Übrigen auch<br />

nicht behauptet, dass Vortrag zu dem Beweisergebnis nicht im Rahmen der Schlussausführungen erfolgte. Abgesehen<br />

davon ist das, was nach Ansicht der Revision - die im Übrigen eine Aufklärungsrüge im Zusammenhang mit<br />

Telefonkarten <strong>und</strong> Notizzettel nicht erhebt - hätte vorgetragen werden sollen, inhaltlich (sehr) fern liegend. Allein die<br />

Behauptung, der Verteidiger habe fern liegende Gesichtspunkte dem Gericht nicht unterbreitet, kann jedoch die<br />

Möglichkeit eines Rechtsfehlers unter keinem Gesichtspunkt verdeutlichen.<br />

e) Ein wie auch immer gearteter Rechtsfehler im Zusammenhang mit der Verteidigung des Angeklagten durch den<br />

ordnungsgemäß unterbevollmächtigten Rechtsanwalt F. ist nach alledem nicht zu erkennen. Die Strafkammer hat<br />

vielmehr, wie die nur geringe Förderung der Hauptverhandlung am 6. <strong>und</strong>. 7. Verhandlungstag (vgl. oben I. 1 vor a))<br />

zeigt, der an diesen Tagen verhinderten Rechtsanwältin K. die Führung der Verteidigung des Angeklagten bis unmittelbar<br />

an die von § 229 StPO gezogenen Grenzen (vgl. hierzu Meyer-Goßner aaO § 229 Rdn. 11) ermöglicht.<br />

2. Wie dargelegt (I. 1 d (4)) führt die Revision im Einzelnen aus, was der Verteidiger anlässlich der Beweisaufnahme<br />

über Notizzettel <strong>und</strong> Telefonkarten hätte erklären sollen. Angesichts dieses Vorbringens erhellt sich die tatsächliche<br />

<strong>und</strong> vor allem rechtliche Bedeutung der zusätzlichen Rüge, Notizzettel <strong>und</strong> Telefonkarten seien nicht Teil der Akten,<br />

zumindest nicht ohne weiteres. Der Senat braucht dem aber nicht näher nachzugehen, da dies nur "vorsorglich" gerügt<br />

sein soll. Vorsorglich, also hilfsweise erhobene Verfahrensrügen sind jedoch nicht zulässig (BGH NStZ-RR<br />

2006, 181, 182 m. w. N.), das entsprechende Vorbringen also einer inhaltlichen Überprüfung nicht zugänglich.<br />

3. Die auf § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO gestützte Ablehnung der Vernehmung des Zeugen A. hält aus den vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt<br />

zutreffend dargelegten, von der Erwiderung der Revision nicht entkräfteten Gründen rechtlicher Überprüfung<br />

stand. Daher kann das Vorbringen der Revision, das sich gegen die zunächst mit der Unmöglichkeit der<br />

Ermittlung dieses Zeugen anderweitig begründeten Ablehnung seiner Vernehmung richtet, ebenso auf sich beruhen,<br />

wie die auf § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO gestützten Bedenken des Generalb<strong>und</strong>esanwalts gegen die Zulässigkeit dieses<br />

Vorbringens. Gleiches gilt für die von den Verfahrensbeteiligten unterschiedlich beurteilte Frage, ob die Strafkammer<br />

im Laufe der Hauptverhandlung die Gründe zur Ablehnung der Vernehmung dieses Zeugen ausgewechselt oder<br />

182


ergänzt hat. Beides ist zulässig (vgl. Alsberg/Nüse/Meyer Der Beweisantrag im Strafprozess 5. Aufl. S. 772 f. m. w.<br />

N.).<br />

4. Auch die übrigen Verfahrensrügen sind unbegründet. Insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen<br />

des Generalb<strong>und</strong>esanwalts, die durch die Erwiderung der Revision nicht entkräftet werden.<br />

II. Auch die auf Gr<strong>und</strong> der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils hat aus den vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt zutreffend<br />

dargelegten, ebenfalls von der Revisionserwiderung nicht entkräfteten Gründen keinen Rechtsfehler zum<br />

Nachteil des Angeklagten ergeben. Wieso das Verfahren (<strong>und</strong> damit die Untersuchungshaft) übermäßig lang gedauert<br />

haben könnte, ist weder nachvollziehbar vorgetragen noch sonst ersichtlich.<br />

StPO § 349 Abs. 3 – Senat entscheidet gleich nach Fristablauf – Verteidiger muss das wissen<br />

BGH, Beschl. vom 27.02.2007 – 1 StR 8/07<br />

Es entspricht der - verfassungsrechtlich gebotenen Praxis des Senats, baldmöglichst nach Ablauf<br />

der Frist des § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO zu entscheiden. Dies muss ein Strafverteidiger wissen <strong>und</strong>,<br />

wenn er größeren Arbeitsaufwand für eine Gegenäußerung sieht, sich entsprechend einrichten.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 27. Februar 2007 beschlossen:<br />

Der Antrag des Verurteilten, das Verfahren wegen Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör in die Lage<br />

vor Erlass der Senatsentscheidung vom 14. Februar 2007 zurückzuversetzen, wird auf seine Kosten zurückgewiesen.<br />

Gründe:<br />

Der Senat hat die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 24. Mai 2006 mit<br />

Beschluss vom 14. Februar 2007 gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Der darauf gerichtete Antrag<br />

des Generalb<strong>und</strong>esanwalts war dem Verteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt F. , am 26. Januar 2007 zugestellt<br />

worden. Mit einem beim B<strong>und</strong>esgerichtshof am 22. Februar 2007 eingegangenen Schriftsatz hat Rechtsanwalt F.<br />

eine Anhörungsrüge nach § 356a StPO erhoben <strong>und</strong> trägt hierzu vor: Die Gegenäußerungsfrist des § 349 Abs. 3 Satz<br />

2 StPO sei zwar gewahrt, das Gebot des fairen Verfahrens erfordere es hier jedoch - insbesondere angesichts der<br />

zugr<strong>und</strong>e liegenden Problematik der Amtsträgereigenschaft -, der Verteidigung eine längere Frist zur Abgabe einer<br />

Gegenerklärung zu gewähren, zumal der Generalb<strong>und</strong>esanwalt seit der Ausführung der Sachrüge zwei Monate zur<br />

Bearbeitung zur Verfügung gehabt habe. Die Rüge ist unbegründet. Ein Fall des § 356a StPO liegt nicht vor. Der<br />

Verteidiger hatte, nachdem ihm der Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts am 26. Januar 2007 zugestellt worden war,<br />

von Gesetzes wegen bis zum 9. Februar 2007 Gelegenheit, hierzu Stellung zu nehmen (§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO).<br />

Der Senat war deshalb nicht gehindert, am 14. Februar 2007 - auch bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich Rechtsanwalt<br />

F. nicht mehr geäußert - über die Revision zu entscheiden. Die Frist des § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO kann nicht verlängert<br />

werden (Senat, Beschluss vom 6. Dezember 2006 - 1 StR 532/06; Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 349 Rdn.<br />

17). Es entspricht der - verfassungs-rechtlich gebotenen (vgl. BVerfG NJW 2006, 668, 669; 672, 673; 1336, 1337 f.)<br />

- Praxis des Senats, baldmöglichst nach Ablauf der Frist des § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO zu entscheiden. Dies muss ein<br />

Strafverteidiger wissen <strong>und</strong>, wenn er größeren Arbeitsaufwand für eine Gegenäußerung sieht, sich entsprechend<br />

einrichten. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 465 Abs. 1 StPO (vgl. Senat<br />

aaO m.w.N.).<br />

StPO § 349 Abs. 3 Satz 2 – Schriftsatz nach Fristablauf<br />

BGH, Beschl. vom 06.12.2006 – 1 StR 532/06<br />

Es entspricht der - verfassungsrechtlich gebotenen - Praxis des 1. Senats, baldmöglichst nach Ablauf<br />

der Frist des § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO zu entscheiden. Dies muss ein Strafverteidiger wissen.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 6. Dezember 2006 beschlossen: Der Antrag des Verurteilten, das<br />

Verfahren wegen Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör in die Lage vor Erlass der Senatsentscheidung<br />

vom 21. November 2006 zurückzuversetzen, wird auf seine Kosten zurückgewiesen.<br />

183


Gründe:<br />

Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat gegen den Verurteilten wegen Vergewaltigung <strong>und</strong> wegen gefährlicher Körperverletzung<br />

unter Einbeziehung früher verhängter Geldstrafen eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren <strong>und</strong> vier<br />

Monaten verhängt. Mit Beschluss vom 21. November 2006 hat der Senat die hiergegen eingelegte Revision des Verurteilten<br />

nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen. Mit einem beim B<strong>und</strong>esgerichtshof am 4. Dezember 2006 eingegangenen<br />

Schriftsatz seines Verteidigers hat der Verurteilte eine Anhörungsrüge nach § 356a StPO erhoben. Er trägt vor,<br />

mit dem Beschluss des Senats vom 21. November 2006 sei sein rechtliches Gehör verletzt worden, weil die durch<br />

seinen Verteidiger mit Schriftsatz vom 22. November 2006 gemachten Ausführungen zur Sachrüge, beim B<strong>und</strong>esgerichtshof<br />

per Fax am selben Tag eingegangen, nicht berücksichtigt worden seien. Mit Schriftsatz vom 10. November<br />

2006 habe sein Verteidiger beim Senat angekündigt, dass er die von ihm nur allgemein erhobene Sachrüge konkret<br />

auszuführen beabsichtige. Er habe um Mitteilung gebeten, bis zu welchen Zeitpunkten der Senat die Ausführungen<br />

zur Sachrüge erwarte. Darauf habe er keine Antwort erhalten. Auf telefonische Nachfrage seines Büros am 15. November<br />

2006 in der Geschäftsstelle des Senats sei ihm mitgeteilt worden, dass der Senat nicht vor dem 21. November<br />

2006 entscheiden werde. Am 21. November 2006 habe er durch sein Büro mitteilen lassen, dass die angekündigte<br />

ausführliche Stellungnahme am 22. November 2006 beim Senat eingehen werde. Die Geschäftsstelle habe zugesagt,<br />

dies dem Berichterstatter mitzuteilen. Ein Hinweis, dass der Eingang der ergänzenden Stellungnahme am 22.<br />

November 2006 zu spät sei, sei weder bei diesem Gespräch noch zu einem anderen Zeitpunkt erfolgt. Aufgr<strong>und</strong> der<br />

konkreten Bemühungen, vom Senat den spätesten Zeitpunkt zu erfahren, zu dem die angekündigte Ausführung der<br />

allgemeinen Sachrüge beim Senat eingegangen sein müsse, um bei der Entscheidung berücksichtigt zu werden, sei<br />

der Senat verpflichtet gewesen, seinem Verteidiger diesen Zeitpunkt konkret zu nennen, was nicht geschehen sei.<br />

Die erwähnte Auskunft der Geschäftsstelle habe nicht beinhaltet, dass der Senat am 21. November 2006 entscheiden<br />

werde, sondern lediglich, dass er keinesfalls früher entscheiden werde. Dabei sei die Möglichkeit einer späteren<br />

Entscheidung nicht ausgeschlossen. Aufgr<strong>und</strong> der gesamten geschilderten Umstände habe sein Verteidiger davon<br />

ausgehen dürfen, dass die Ausführungen im Schriftsatz vom 22. November 2006 bei der Entscheidung des Senats<br />

über die Revision noch berücksichtigt würden. Darin liege eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Die<br />

Rüge ist unbegründet. Ein Fall des § 356a StPO liegt nicht vor. Dem Verteidiger war der Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts<br />

vom 20. Oktober 2006 am 2. November 2006 zugestellt worden. Er hatte nach § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO<br />

Gelegenheit, binnen zwei Wochen, mithin bis zum 16. November 2006, zu dem Antrag des Generalb<strong>und</strong>sanwalts<br />

Stellung zu nehmen. Diese Frist kann nicht verlängert werden (Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 349 Rdn. 17). Es<br />

entspricht der - verfassungsrechtlich gebotenen (vgl. BVerfG NJW 2006, 668, 669; 672, 673; 1336, 1337 f.) - Praxis<br />

des Senats, baldmöglichst nach Ablauf der Frist des § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO zu entscheiden. Dies muss ein Strafverteidiger<br />

wissen. Wenn das Büro des Verteidigers am 15. November 2006 bei der Geschäftsstelle des Senats mitteilen<br />

ließ, der Verteidiger habe keine Zeit, seine Stellungnahme bis zum 16. November 2006 einzureichen, <strong>und</strong><br />

anfragen lasse, ob dennoch zugewartet werden könne, <strong>und</strong> der Berichterstatter ihm mitteilen ließ, dass der Senat<br />

nicht vor dem 21. November 2006 entscheiden werde, hätte der Verteidiger spätestens bis zu diesem Termin seine<br />

Ausführungen zur Sachrüge nachreichen müssen. Der Senat verwarf an diesem Tag die Revision des Verurteilten,<br />

nachdem eine Stellungnahme nicht eingegangen war. Wenn das Büro des Verteidigers am 21. November 2006, allerdings<br />

erst, nachdem der Senat bereits entschieden hatte, nochmals bei der Geschäftsstelle des Senats anrief <strong>und</strong><br />

mitteilte, dass die Stellungnahme des Verteidigers am 22. November 2006 eingehen werde, liegt kein Verstoß gegen<br />

das rechtliche Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG vor, sondern eine vom Verteidiger zu vertretende zweifache Fristversäumung.<br />

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 465 Abs. 1 StPO (vgl. BGH,<br />

Beschl. vom 8. März 2006 - 2 StR 387/91; OLG Köln NStZ 2006, 181).<br />

StPO § 353 Abs. 2 – Tenorierung des Revisionsurteils<br />

BGH, Beschl. vom 28.03.2007 – 2 StR 62/07<br />

LS: Zur Tenorierung bei Aufhebung von Feststellungen durch das Revisionsgericht.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> des Beschwerdeführers<br />

am 28. März 2007 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:<br />

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 6. November 2006 mit den<br />

Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine als Schwurgericht zu-ständige Strafkammer des Landgerichts Erfurt zurückverwiesen.<br />

184


Gründe:<br />

I. Der Angeklagte war durch Urteil der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Mühlhausen vom 13. Juli 2005<br />

wegen Totschlags in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von dreizehn Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt<br />

worden. Nach den Feststellungen dieses Urteils war der Angeklagte der Vater von drei Kindern. Seine Ehefrau hatte<br />

– wie in der Vergangenheit schon des Öfteren – im September 2003 eine Beziehung zu einem anderen Mann aufgenommen<br />

<strong>und</strong> lebte – zwischen beiden Männern hin- <strong>und</strong> hergerissen – teils bei dem Angeklagten, teils beim neuen<br />

Liebhaber. Der Angeklagte, der sehr an seiner Ehefrau hing <strong>und</strong> von ihr geradezu abhängig war, bemühte sich, sie<br />

zurück zu gewinnen. Am 23. April 2004 kehrte die Ehefrau zu dem Angeklagten <strong>und</strong> den Kindern zurück, am 1. Mai<br />

2004 wandte sie sich wieder ihrem Liebhaber zu. Der Aufforderung des Angeklagten, die Kinder mitzunehmen, kam<br />

sie nicht nach. Der Angeklagte konnte die erneute Trennung nicht verkraften <strong>und</strong> nahm am 2. Mai 2004 ab etwa<br />

17.30 Uhr in Selbsttötungsabsicht insgesamt 18 Tabletten (Schmerzmittel <strong>und</strong> Antidepressiva) sowie eine größere<br />

Menge Alkohol zu sich. Gegen 20.30 Uhr fasste er den Entschluss, die Kinder „mit in den Tod zu nehmen“. Der<br />

stark angetrunkene Angeklagte stieß seinem im elterlichen Schlafzimmer in einem Kinderbett schlafenden, ein Jahr<br />

<strong>und</strong> neun Monate alten Sohn Hannes ein Messer mit einer Klingenlänge von 22 cm in die Brust, was infolge Verblutens<br />

innerhalb einiger Minuten zu dessen Tod führte. Während dieser Zeit hielt er die Hand des sterbenden Kindes.<br />

Anschließend trank der Angeklagte weiter Alkohol <strong>und</strong> sandte der Ehefrau, die ihr Handy jedoch nicht eingeschaltet<br />

hatte, eine Kurznachricht über die Tötung des Kindes. Zwischen 1.00 Uhr <strong>und</strong> 2.00 Uhr morgens begab er sich ins<br />

Kinderzimmer <strong>und</strong> stieß der dort schlafenden fünf Jahre <strong>und</strong> vier Monate alten Lisa-Marie dasselbe Messer in die<br />

Brust. Das Mädchen erwachte dabei mit den Worten „Papa, ich hab dich doch lieb“. Infolge inneren Verblutens starb<br />

Lisa-Marie nach etwa einer St<strong>und</strong>e. In dieser Zeit streichelte der Angeklagte das Mädchen <strong>und</strong> brachte es auf seine<br />

Bitte noch zweimal zur Toilette. Nach der Tötung von Lisa-Marie fühlte sich der Angeklagte nicht mehr in der Lage,<br />

auch noch seinen siebenjährigen Sohn Niklas zu töten. Auf die Revisionen der Nebenkläger hatte der Senat durch<br />

Urteil vom 10. März 2006 – 2 StR 561/05 – dieses Urteil „hinsichtlich der Tat zum Nachteil der Lisa-Marie K. sowie<br />

im Gesamtstrafenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben“ <strong>und</strong> die Sache insoweit an eine andere<br />

Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen, weil das Landgericht die Voraussetzungen eines „Heimtückemordes“<br />

verkannt hatte. Das Landgericht hat nunmehr das Mordmerkmal der Heimtücke als erfüllt angesehen<br />

<strong>und</strong> den Angeklagten wegen Mordes zum Nachteil der Lisa-Marie K. zu der Einsatzstrafe von zwölf Jahren <strong>und</strong><br />

unter Einbeziehung der rechtskräftigen Freiheitsstrafe von neun Jahren wegen der Tat zum Nachteil von Hannes K.<br />

zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vierzehn Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt. Dagegen richtet sich die Revision<br />

des Angeklagten mit der allgemeinen Sachrüge. Das Rechts-mittel hat Erfolg.<br />

II. Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben, weil das Landgericht keine Feststellungen zur Tat zum<br />

Nachteil der Lisa-Marie K. getroffen hat.<br />

1. Das Landgericht hat das Senatsurteil vom 10. März 2006 dahin ausgelegt, dass der Senat nur die dem Gesamtstrafenausspruch<br />

zugr<strong>und</strong>e liegenden Feststellungen aufgehoben habe, hat deshalb die Tatfeststellungen des Urteils vom<br />

13. Juli 2005 zugr<strong>und</strong>e gelegt <strong>und</strong> nur ergänzende Feststellungen zum Entwicklungsstand von Lisa-Marie zum Zeitpunkt<br />

ihrer Tötung getroffen. Das ist fehlerhaft. Die Worte „mit den zugehörigen Feststellungen“ im Tenor des Senatsurteils<br />

beziehen sich sowohl auf den aufgehobenen Schuldspruch als auch auf den Gesamtstrafenausspruch.<br />

Schon nach dem ausdrücklichen Urteilsausspruch waren damit die Feststellungen hinsichtlich der Tat zum Nachteil<br />

Lisa-Marie K. <strong>und</strong> des Gesamtstrafenausspruchs aufgehoben.<br />

a) Nach verbreiteter Meinung wäre dieser ausdrückliche Aufhebungsausspruch in Bezug auf die dem Schuldspruch<br />

zugr<strong>und</strong>e liegenden Feststellungen nicht einmal erforderlich gewesen. In der Literatur wird vertreten, dass dann,<br />

wenn die Entscheidung des Revisionsgerichts keinen ausdrücklichen Ausspruch zur Aufrechterhaltung von Feststellungen<br />

enthält, diese mit aufgehoben sind. So heißt es etwa bei Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 353<br />

Rdn. 18: „Die Aufhebung der Feststellungen ist in der Urteilsformel auszusprechen. Fehlt ein Ausspruch darüber, ist<br />

davon auszugehen, dass sie in , …“) entgegen. Danach müssen die Feststellungen durch einen gesonderten Ausspruch<br />

aufgehoben werden; fehlt dieser, bleiben sie bestehen. Die Aufhebung von Feststellungen ist nur erforderlich,<br />

wenn sie von dem zur Urteilsaufhebung führenden Rechtsfehler betroffen sind. Insbesondere bei Aufhebung wegen<br />

sachlich-rechtlicher Mängel gilt der Gr<strong>und</strong>satz tunlichster Aufrechterhaltung der von der Gesetzesverletzung nicht<br />

berührten Feststellungen (vgl. Meyer-Goßner aaO § 353 Rdn. 15 m.w.N.). Entsprechend wird die Aufhebung von<br />

Feststellungen nach überwiegender Praxis des B<strong>und</strong>esgerichtshofs bei Aufhebung des Schuldspruchs mit der Formulierung<br />

„mit den Feststellungen aufgehoben“ oder bei Teilaufhebungen mit den Worten „mit den zugehörigen Feststellungen<br />

aufgehoben“ ausgesprochen, <strong>und</strong> nur wenn aus einem Bereich aufgehobener Feststellungen einzelne bestehen<br />

bleiben können, wird diese Teilaufrechterhaltung von Feststellungen ausdrücklich ausgesprochen (anders aber<br />

beispielsweise Urteil des 1. Strafsenats vom 13. Februar 2007 – 1 StR 574/06; vgl. im Übrigen auch BGHSt 41, 305<br />

zur Verfahrensweise bei der Einstellung von Verfahren). Üblicherweise wird dann in den Entscheidungsgründen<br />

185


dargelegt, weshalb es einer Aufhebung dieser Feststellungen nicht bedurfte. vollem Umfang als aufgehoben gelten…“<br />

(so auch Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 353 Rdn. 12; Paulus in KMR § 353 Rdn. 9; Wohlers in SK-StPO §<br />

353 Rdn. 23). Dem steht aber nach Auffassung des Senats der Wortlaut des § 353 Abs. 2 StPO („Gleichzeitig sind<br />

die dem Urteil zugr<strong>und</strong>e liegenden Feststellungen aufzuheben<br />

b) Im Senatsurteil vom 10. März 2006 wurden sowohl der Schuldspruch zum Nachteil der Lisa-Marie K. als auch der<br />

Gesamtstrafenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben. Aus dem Umstand, dass der Senat in der Sachverhaltsschilderung<br />

seines Urteils die Feststellungen des Landgerichts insgesamt ausdrücklich als „rechtsfehlerfrei getroffen“<br />

bezeichnet <strong>und</strong> zusammengefasst wiedergegeben hat, kann nicht abgeleitet werden, dass sie bezüglich der im<br />

Schuldspruch aufgehobenen zweiten Tat bestehen bleiben sollten. Die Sachverhaltsschilderung diente vielmehr nur<br />

dem Verständnis der rechtlichen Ausführungen zu der Frage, ob die Tötung der beiden Kinder den Tatbestand des<br />

Mordes erfüllte oder ob sie rechtsfehlerfrei nur als Totschlag gewertet worden war. Hätte der Senat die Feststellungen<br />

zur Tötung der Lisa-Marie K. aufrechterhalten, weil sie von dem zur Aufhebung des Schuldspruchs führenden<br />

Rechtsfehler nicht betroffen waren, hätte er dies ausdrücklich in den Gründen ausgeführt. Das Fehlen von Feststellungen<br />

zur Tat ist ein sachlich-rechtlicher Mangel, der auf die allgemeine Sachrüge hin zu beachten ist (vgl. BGH<br />

NStZ 1988, 309; Senatsbeschluss vom 9. November 1982 – 2 StR 589/82). Er zwingt hier zur erneuten Urteilsaufhebung.<br />

2. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin: Die Urteilsaufhebung durch das<br />

Senatsurteil vom 10. März 2006 betrifft eine von zwei in Tatmehrheit begangenen Straftaten, die auch verfahrensrechtlich<br />

(§ 264 StPO) keine einheitliche Tat darstellen. Zwischen der Tötung beider Kinder lag eine deutliche zeitliche<br />

Zäsur, die Tötung erfolgte in unterschiedlichen Räumen. In der Zwischenzeit hatte der Angeklagte seiner Ehefrau<br />

eine Kurznachricht geschickt <strong>und</strong> weiter getrunken. Unter diesen Umständen besteht – anders wäre es bei einer<br />

einheitlichen prozessualen Tat (BGHSt 24, 185 = JR 1972, 203 m. Anm. Meyer; BGHSt 28, 119, 121 = JR 1979,<br />

299 m. Anm. Grünwald) – für den neuen Tatrichter keine Bindung an die Tatsachenfeststellungen, die dem nicht<br />

aufgehobenen Urteilsteil zugr<strong>und</strong>e liegen (vgl. Hanack aaO § 344 Rdn. 22, § 353 Rdn. 27; Meyer-Goßner aaO § 353<br />

Rdn. 19; Wohlers aaO § 353 Rdn. 25 f; Frisch in SK-StPO vor § 296 Rdn. 287 ff). Auf Widerspruchsfreiheit zwischen<br />

den zu treffenden neuen Feststellungen zur Tötung von Lisa-Marie K. <strong>und</strong> den aufrecht erhaltenen Feststellungen<br />

zur Tötung des Hannes K. im Urteil der 1. Großen Strafkammer vom 13. Juli 2005 kommt es mithin nicht an, so<br />

dass der neue Tatrichter nicht gehindert ist, etwa auch das Vorliegen des Mordmerkmals „niedrige Beweggründe“<br />

erneut zu prüfen.<br />

3. Der Senat hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen<br />

(§ 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alt.).<br />

StPO § 354 Abs. 1 1a <strong>und</strong> 1b – Anwendungsbereich – analoge Anwendung<br />

BGH, Beschl. vom 27.02.2007 – 5 StR 459/06 -<br />

1. Nach der § 354 Abs. 1 StPO zugr<strong>und</strong>eliegenden Konzeption ist eine<br />

Zurückverweisung nur veranlasst, wenn dem Revisionsgericht eine abschließende Entscheidung<br />

"ohne tatsächliche Erörterung" unmöglich ist. Solches liegt auch dann vor, wenn das Revisionsgericht<br />

zu der Überzeugung gelangt ist, dass gegen den Revisionsführer aus Rechtsgründen, weil jede<br />

andere Strafe kein gerechter Schuldausgleich wäre, eine bestimmte Strafe verhängt werden muss;<br />

in einem solchen Fall muss das Revisionsgericht diese Strafe aussprechen <strong>und</strong> darf die Sache nicht<br />

an den Tatrichter zurückverweisen.<br />

2. Die vom Senat in Anspruch genommene analoge Anwendung des<br />

§ 354 Abs. 1 StPO begegnet auch nach Einfügung der Vorschriften des<br />

§ 354 Abs. 1a <strong>und</strong> 1b StPO durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz keinen aus systematischen<br />

Erwägungen herrührenden Bedenken.<br />

3. Unterlässt die Verteidigung zu der im Beschlussverfahren angelegten Entscheidungsvariante eines<br />

Teilerfolgs hinsichtlich des Strafausspruchs<br />

Weiteres auszuführen, so begründet dies wie auch sonst in Fällen nachträglich vom Verteidiger als<br />

lückenhaft erkannten Vortrags keinen Gehörsverstoß.<br />

186


Der 5. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 27. Februar 2007 beschlossen:<br />

Der den Senatsbeschluss vom 13. Dezember 2006 betreffende Antrag des Verurteilten nach § 356a StPO wird auf<br />

Kosten des Verurteilten zurückgewiesen.<br />

Gründe<br />

Das Landgericht hat den Verurteilten wegen tateinheitlich begangenen zweifachen Totschlags (in einem besonders<br />

schweren Fall) schuldig gesprochen <strong>und</strong> unter Einbeziehung der durch das Urteil des Amtsgerichts Bad Liebenwerda<br />

vom 20. Oktober 2005 gegen ihn verhängten Strafen unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe auf eine lebenslange<br />

Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe erkannt.<br />

Die dagegen mit der Sachrüge geführte Revision, die mit EinzeIerwägungen die Beweisführung <strong>und</strong> die Strafzumessung<br />

angegriffen hat, hat der Senat mit Beschluss vom 13. Dezember 2006 mit der Maßgabe (§ 349 Abs.4 StPO) als<br />

unbegründet verworfen, dass der Angeklagte wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren <strong>und</strong> unter<br />

Einbeziehung der durch das Urteil des Amtsgerichts Bad Liebenwerda vom 20. Oktober 2005 verhängten Strafen<br />

unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtgeldstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt ist.<br />

1. Dieser Entscheidung hat der Senat folgende, vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffene Feststellungen zugr<strong>und</strong>e<br />

gelegt: Der Angeklagte nahm die späteren Opfer K. <strong>und</strong> Ö. am 24. August 2004 nach 22.30 Uhr in Berlin in seinen<br />

Pkw Mercedes auf <strong>und</strong> fuhr mit ihnen <strong>und</strong> mit einem oder zwei Begleitern auf der Autobahn in Richtung Cottbus bis<br />

zur Abfahrt Halbe. Dort bog er gegen Mitternacht zweimal hintereinander in Waldwege ab. Am Ende des zweiten<br />

Waldweges in 350 m Entfernung von der Straße veranlassten der Angeklagte <strong>und</strong> mindestens ein weiterer unbekannter<br />

Mittäter die Tatopfer, das Fahrzeug zu verlassen, <strong>und</strong> erschossen sie mit je vier Kopfschüssen, die alle aus derselben<br />

Pistole abgegeben wurden.<br />

Zur Beweiswürdigung <strong>und</strong> rechtlichen Würdigung des Landgerichts hat der Senat folgendes ausgeführt: In Beachtung<br />

des Gr<strong>und</strong>satzes in dubio pro reo sei das Landgericht verpflichtet gewesen, davon auszugehen, dass Todesschütze<br />

ein Mittäter gewesen sei. Dies stelle das Beweisergebnis des Schwurgerichts, der Angeklagte, der den Kontakt<br />

zu den Opfern vermittelt habe <strong>und</strong> der Fahrer gewesen sei, sei Mittäter, aber nicht in Frage. Auch in der Variante<br />

der Mitwirkung von zwei weiteren Mittätern beruhe dies auf einer in der Gesamtschau der festgestellten Tat- <strong>und</strong><br />

Nachtatumstände ausreichenden Tatsachengr<strong>und</strong>lage. Indes hat der Senat die Annahme eines besonders schweren<br />

Falles des Totschlags (§ 212 Abs. 2 StGB) beanstandet. Die Begründung des Landgerichts hierfür lege nahe, dass es<br />

bei der Strafzumessung zu Unrecht von einer eigenhändigen Erschießung der Opfer durch den Angeklagten ausgegangen<br />

ist; zudem fehle eine gesicherte Gr<strong>und</strong>lage für die Annahme einer sorgfältig vorbereiteten <strong>und</strong> geplanten<br />

Tatausführung. Der Senat hat den Strafausspruch in die höchste zeitige Freiheitsstrafe von 15 Jahren umgewandelt,<br />

da auszuschließen sei, dass das Schwurgericht für die jedenfalls objektiv hinrichtungsähnliche Tötung von zwei<br />

Menschen auf eine niedrigere Strafe erkannt hätte.<br />

2. Diese Vorgehensweise des Senats hat den Anspruch des Verurteilten auf rechtliches Gehör nicht verletzt.<br />

a) Sie stützt sich auf eine analoge Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO insgesamt. Nach der dieser Vorschrift zugr<strong>und</strong>eliegenden<br />

Konzeption ist eine Zurückverweisung nur veranlasst, wenn dem Revisionsgericht eine abschließende<br />

Entscheidung "ohne tatsächliche Erörterung" unmöglich ist (Meyer-Goßner in Gedächtnisschrift für Ellen Schlüchter<br />

S. 515, 520). Solches liegt auch dann vor, wenn das Revisionsgericht zu der Überzeugung gelangt ist, dass gegen den<br />

Revisionsführer aus Rechtsgründen, weil jede andere Strafe kein gerechter Schuldausgleich wäre, eine bestimmte<br />

Strafe verhängt werden muss; in einem solchen Fall muss das Revisionsgericht diese Strafe aussprechen <strong>und</strong> darf die<br />

Sache nicht an den Tatrichter zurückverweisen (Meyer-Goßner aaO S. 523). Dem entspricht die Praxis des B<strong>und</strong>esgerichtshofs<br />

(BGHSt 47, 100, 105; BGH NStZ 1992, 78; 297; BGH bei Becker NStzRR 2002, 103; BGH, Beschlüsse<br />

vom 10. Januar 2007 - 5 StR 304/06 <strong>und</strong> 305/06). So liegt der Fall hier:<br />

Der vom Senat festgestellte Wertungsfehler des Landgerichts hat zwar der Annahme eines besonders schweren Falles<br />

des Totschlags <strong>und</strong> damit der erkannten lebenslangen Freiheitsstrafe die Gr<strong>und</strong>lage entzogen. Indes ist den weiteren<br />

fehlerfrei getroffenen Feststellungen ein exorbitantes Tötungsverbrechen - eine wegen des Tatablaufs die Opfer<br />

psychisch belastende hinrichtungsähnliche Tötung zweier Menschen - von so hohem Schuldgehalt zu entnehmen,<br />

dass die Festsetzung jeder milderen als der höchsten zeitigen Freiheitsstrafe einen gerechten Schuldausgleich verfehlt<br />

hätte.<br />

b) Die vom Senat in Anspruch genommene analoge Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO begegnet auch nach Einfügung<br />

der Vorschriften des § 354 Abs. 1a <strong>und</strong> 1b StPO durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz keinen aus systematischen<br />

Erwägungen herrührenden Bedenken (vgl. BGHR StPO § 354 Abs. 1a Anwendungsbereich 2; Meyer-<br />

Goßner, StPO 49. Auf!. § 354 Rdn. 27). Sie hält sich, wenn die Verfahrenslage, so wie hier, jedes Ermessen über<br />

187


Art <strong>und</strong> Höhe der Rechtsfolge ausschließt, in den durch Artikel 101 Abs. 1 Satz 2 GG gezogenen Grenzen (BVerfG -<br />

Kammer – Beschluss vom 2. Juni 2006 - 2 BvR 906/06 m.w.N.).<br />

c) Durfte der Senat demnach im revisionsgerichtlichen Beschlussverfahren gemäß § 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 StPO ausnahmsweise<br />

zur Strafe durchentscheiden, war der Anspruch des Verurteilten auf rechtliches Gehör auch nur im<br />

Rahmen dieses - verfassungsrechtlich unbedenklichen (vgl. BVerfG NJW 2005, 1999) - Verfahrens zu erfüllen. Dies<br />

ist vorliegend geschehen. Die Verteidiger haben auf den Verwerfungsantrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts vom 18.<br />

Oktober 2006 mit ihrem Schriftsatz vom 2. November 2006 umfänglich erwidert <strong>und</strong> die allein erhobene Sachrüge<br />

weiter begründet. Dass sie es unterlassen haben, zu der im Beschlussverfahren angelegten Entscheidungsvariante<br />

eines Teilerfolgs hinsichtlich des Strafausspruchs Weiteres auszuführen, begründet wie auch sonst in Fällen nachträglich<br />

vom Verteidiger als lückenhaft erkannten Vortrags keinen Gehörsverstoß.<br />

StPO § 354 Abs. 1a – Grenzen der eigenen Strafzumessung durch das Revisionsgericht BVerfG<br />

Beschluss des BVerfG vom 14. Juni 2007 -- 2 BvR 1447/05 -- 2 BvR 136/05 -= JR 2007, XXX mit Anm. Peglau<br />

Dem Revisionsgericht muss für seine Entscheidung nach § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO ein zutreffend<br />

ermittelter, vollständiger <strong>und</strong> aktueller Strafzumessungssachverhalt zur Verfügung stehen. Verfährt<br />

das Revisionsgericht nach § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO, so muss es seine Entscheidung jedenfalls<br />

dann begründen, wenn die für die Strafzumessung relevanten Umstände <strong>und</strong> deren konkretes Gewicht<br />

dem Angeklagten sonst nicht nachvollziehbar wären. Eine Strafzumessungsentscheidung des<br />

Revisionsgerichts ist ausgeschlossen, wenn zugleich eine neue Entscheidung über einen – fehlerhaften<br />

- Schuldspruch erfolgen muss.<br />

§ 354 Absatz 1 a Satz 1 StPO ist nach Maßgabe der Gründe mit dem Gr<strong>und</strong>gesetz vereinbar.<br />

Der Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 25. Juli 2005 – 1 Ss 63/05 – verletzt den Beschwerdeführer<br />

zu 1. in seinem aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Gr<strong>und</strong>gesetzes folgenden<br />

Recht auf ein faires Verfahren. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das Brandenburgische Oberlandesgericht<br />

zurückverwiesen.<br />

Der Beschluss des B<strong>und</strong>esgerichtshofs vom 2. Dezember 2004 – 3 StR 273/04 – verletzt den Beschwerdeführer zu 2.<br />

in seinem Recht aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Gr<strong>und</strong>gesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird<br />

an den B<strong>und</strong>esgerichtshof zurückverwiesen.<br />

Das Land Brandenburg hat dem Beschwerdeführer zu 1., die B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland hat dem Beschwerdeführer<br />

zu 2. die notwendigen Auslagen zu erstatten.<br />

Gründe:<br />

1 A. Die Verfassungsbeschwerden betreffen die Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen einer Rechtsfolgenentscheidung des<br />

Revisionsgerichts auf der Gr<strong>und</strong>lage des durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz (1. JuMoG) vom 24. August<br />

2004 (BGBl I S. 2198) in die Strafprozessordnung eingeführten § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO.<br />

2 I. 1. Das strafrechtliche Revisionsverfahren als Rechtsprüfungsverfahren eröffnet herkömmlich zwei Entscheidungsmöglichkeiten.<br />

Unzulässige <strong>und</strong> unbegründete Revisionen sind zu verwerfen; in der Sache begründete<br />

Rechtsmittel führen zu einer Aufhebung der angefochtenen tatrichterlichen Entscheidung. Die Aufhebung erfolgt<br />

durch Urteil, § 353 StPO. Bei Rechtsmitteln, die zu Gunsten des Angeklagten erhoben worden sind, besteht<br />

daneben die Möglichkeit, durch Beschluss zu entscheiden, § 349 Abs. 4 StPO. Im Regelfall - insbesondere wenn<br />

von der Urteilsaufhebung auch die Feststellungen des vorinstanzlichen Erkenntnisses betroffen sind, § 353 Abs.<br />

2 StPO - ist das Verfahren durch das Revisionsgericht zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung an ein anderes<br />

Tatgericht zurückzuverweisen, § 354 Abs. 2 StPO.<br />

3 2. Ausnahmsweise kann das Revisionsgericht auch in der Sache selbst entscheiden <strong>und</strong> damit das Strafverfahren<br />

zu einem rechtskräftigen Abschluss führen.<br />

4 Bis zum Inkrafttreten des 1. Justizmodernisierungsgesetzes waren die Sachentscheidungsbefugnisse des Revisionsgerichts<br />

ausschließlich in § 354 Abs. 1 StPO geregelt. Wenn es für das angefochtene Urteil keiner neuen Tatsachenfeststellungen<br />

bedarf, hat das Revisionsgericht nach dieser durch die Gesetzesänderung unangetastet gebliebenen<br />

Regelung von Rechts wegen auf Freispruch, Einstellung wegen Vorliegens von Prozesshindernissen<br />

(vgl. Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, 49. Aufl. 2006, § 354 Rn. 6) oder auf eine absolut bestimmte – lebenslange<br />

- Strafe zu erkennen. Daneben kann es in Übereinstimmung mit einem Antrag der Staatsanwaltschaft<br />

188


die gesetzlich niedrigste Strafe verhängen oder von Strafe absehen. Sinn dieser Regelung ist es, das Revisionsgericht<br />

zu einer Beendigung des Verfahrens zu befähigen, es dabei aber von einer eigenen Entscheidung zur<br />

Bemessung einer Strafe möglichst freizustellen.<br />

5 3. Neben der Möglichkeit, über § 354 Abs. 1 StPO eine eigene Rechtsfolgenentscheidung zu treffen, haben die<br />

Revisionsgerichte seit jeher die Befugnis gehabt, von der Aufhebung eines mit einem Strafzumessungsfehler behafteten<br />

tatrichterlichen Urteils abzusehen, wenn der Zumessungsfehler keine Auswirkungen auf den Ausspruch<br />

über die Rechtsfolgen gehabt hat (vgl. bereits RGSt 39, 155 ; OLG Celle, Urteil vom 1. Dezember 1948 -<br />

Ss 524/48 -, NJW 1949, S. 600; BGH, Beschluss vom 9. Juli 1991 - 4 StR 291/91 -, NStZ 1992, S. 297). Diese<br />

Befugnis folgt aus § 337 StPO. Die Vorschrift verlangt für den Erfolg einer Revision das Beruhen der angefochtenen<br />

Entscheidung auf der fraglichen Rechtsverletzung. Daran fehlt es, wenn, aus der hypothetischen Sicht des<br />

Tatrichters, davon auszugehen ist, dass dieser die von ihm verhängten Rechtsfolgen auch dann festgesetzt hätte,<br />

wenn ihm der in seinem Urteil enthaltene Rechtsfehler nicht unterlaufen wäre.<br />

6 4. § 354 Abs. 1 StPO, der die originären Sachentscheidungsbefugnisse des Revisionsgerichts regelt, ist durch<br />

das 1. Justizmodernisierungsgesetz unter anderem um den Absatz 1 a ergänzt worden. Die neue Bestimmung erlaubt<br />

dem Revisionsgericht durch ihren Satz 1, von der Aufhebung des angefochtenen Urteils abzusehen, wenn<br />

dem Tatgericht bei der Zumessung der Rechtsfolgen zwar ein Fehler unterlaufen ist, sich die verhängte Rechtsfolge<br />

aber gleichwohl als angemessen herausstellt. Nach Satz 2 der Regelung kann das Revisionsgericht die<br />

Rechtsfolgen auch angemessen herabsetzen, sofern die Staatsanwaltschaft dies beantragt.<br />

7 5. § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO knüpft an einen Vorschlag des B<strong>und</strong>esrats im Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur<br />

Entlastung der Rechtspflege vom 7. Mai 1996 an (BTDrucks 13/4541). Mit ihm verfolgt der Gesetzgeber das<br />

Ziel, Strafverfahren prozessökonomisch <strong>und</strong> ressourcenschonend durch Erweiterung der Entscheidungsbefugnisse<br />

des Revisionsgerichts zu fördern. Zurückverweisungen durch die Revisionsgerichte an die Vorinstanz sollen<br />

wegen solcher Rechtsfehler, die ohne neue Tatsachenfeststellungen unschwer im Revisionsverfahren behoben<br />

werden können, vermieden werden. Das Strafverfahrensrecht habe sich, so der Gesetzgeber, vor Einführung<br />

des § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO, diesbezüglich als zu starr <strong>und</strong> zu schwerfällig erwiesen. Dies gelte auch, soweit<br />

die Revisionsgerichte von der Aufhebung fehlerhafter Rechtsfolgenaussprüche bereits deshalb abgesehen hätten,<br />

weil das Urteil auf dem Fehler nicht beruhe.<br />

8 Eine solche Beruhensprüfung setze § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO nicht mehr voraus (BTDrucks 15/3482, S. 21 f.).<br />

9 6. § 354 StPO in der Fassung des 1. Justizmodernisierungsgesetzes hat folgenden Wortlaut:<br />

10 (1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem<br />

Urteil zugr<strong>und</strong>e liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern<br />

ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte<br />

Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft<br />

die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.<br />

11 (1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der<br />

Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der<br />

Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.<br />

12 (1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53,<br />

54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche<br />

Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach<br />

Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 <strong>und</strong> 1a<br />

bleiben im Übrigen unberührt.<br />

13 (2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben<br />

wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In<br />

Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen<br />

Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.<br />

14 (3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende<br />

strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.<br />

15 II. 1. Das Verfahren 2 BvR 1447/05<br />

16 a) Das Landgericht verurteilte den Beschwerdeführer im Berufungsrechtszug wegen fahrlässiger Tötung in sechs<br />

Fällen in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung in fünf Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren<br />

<strong>und</strong> setzte die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung aus. Die Berufungskammer sah es als erwiesen an,<br />

dass der Beschwerdeführer mit dem von ihm gesteuerten Reisebus auf einen Kleinbus aufgefahren war, der wegen<br />

eines Unfalls auf der Autobahn zum Stehen gekommen war. Dabei wurden die sechs Insassen des Kleinbusses<br />

getötet, weitere Verkehrsteilnehmer wurden verletzt.<br />

189


17 Das Landgericht lastete dem Beschwerdeführer Fahrlässigkeit an. Er sei vor Eintritt des Unfalls mindestens 20<br />

Sek<strong>und</strong>en tief in Gedanken versunken gefahren, ohne auf das Verkehrsgeschehen zu achten. Er habe gewusst,<br />

dass Fahren im Zustand "absoluter Unaufmerksamkeit" die Gefahr in sich berge, schwere Verkehrsunfälle mit<br />

Lebensgefahr zu verursachen. Dem Beschwerdeführer sei auch bewusst gewesen, dass ein Reisebus beim Aufprall<br />

auf einen Pkw oder einen Kleinbus die Insassen dieser Fahrzeuge würde töten können. Damit habe er die<br />

erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen.<br />

18 Bei der Strafzumessung wertete es die Berufungskammer als strafschärfend, dass der Beschwerdeführer bewusst<br />

fahrlässig gehandelt habe. Das Gericht gestand dem Beschwerdeführer zwar eine günstige Sozialprognose zu,<br />

§ 56 Abs. 1 StGB. An einer Aussetzung der verhängten Freiheitsstrafe sah es sich jedoch mangels besonderer<br />

Umstände in der Tat <strong>und</strong> der Persönlichkeit des Beschwerdeführers gemäß § 56 Abs. 2 StGB gehindert. Gegen<br />

eine Aussetzung spreche auch der in der Tat offenbar gewordene erhebliche Schuldgehalt.<br />

19 b) Gegen das Urteil des Landgerichts legte der Beschwerdeführer Revision ein, mit der er unter anderem rügte,<br />

die vom Landgericht getroffenen Feststellungen trügen den Schuldvorwurf der bewussten Fahrlässigkeit nicht.<br />

20 c) Die Generalstaatsanwaltschaft trat in ihrer Antragsschrift an das Brandenburgische Oberlandesgericht dieser<br />

Auffassung bei. Gleichwohl beantragte sie eine Verwerfung des Rechtsmittels. Die vom Landgericht verhängte<br />

Strafe sei angemessen im Sinne des § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO. Angesichts der Tatfolge, des Todes von sechs<br />

Menschen, <strong>und</strong> des von der Strafkammer angesprochenen Umstands, dass der Beschwerdeführer als Berufskraftfahrer<br />

zur Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt im Straßenverkehr besonders verpflichtet gewesen sei, könne<br />

die verhängte Strafe Bestand haben.<br />

21 d) In einer Gegenerklärung wandte sich der Beschwerdeführer gegen eine Entscheidung nach § 354 Abs. 1 a<br />

Satz 1 StPO. Die fehlerhafte Annahme bewusster Fahrlässigkeit durch das Landgericht habe sich entscheidend<br />

auf die Bemessung der Freiheitsstrafe <strong>und</strong> auf das Erkenntnis zur Strafaussetzung ausgewirkt. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong><br />

könne die Rechtsfolge des Urteils nicht als angemessen angesehen werden. Die Befugnis des Revisionsgerichts,<br />

bei Rechtsfehlern im Strafzumessungsbereich von der Aufhebung des angefochtenen Urteils abzusehen,<br />

sei eng zu bestimmen. Ob eine Strafe "angemessen" sei, könne vom Revisionsgericht nur in eindeutigen<br />

Fällen beantwortet werden, nämlich dann, wenn sich zwar nicht ausschließen lasse, dass der Tatrichter, hätte er<br />

seinen Fehler erkannt, zu einer anderen Bewertung gekommen wäre, diese Möglichkeit aber eher fern liege. Zudem<br />

dürfe ein Revisionsgericht ohne persönlichen Eindruck vom Angeklagten nicht über eine Strafaussetzung<br />

zur Bewährung befinden.<br />

22 e) Das Oberlandesgericht verwarf die Revision des Beschwerdeführers auf Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß<br />

§ 349 Abs. 2 StPO. Zwar könne dem Beschwerdeführer keine bewusste, sondern nur einfache Fahrlässigkeit<br />

vorgeworfen werden. Dieser Fehler bedinge jedoch keine Aufhebung der angefochtenen Entscheidung des<br />

Landgerichts im Rechtsfolgenausspruch. Die von der Strafkammer verhängte Freiheitsstrafe sei nach Auffassung<br />

des Senats angemessen, § 354 Abs. 1 a StPO.<br />

23 f) Gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts erhob der Beschwerdeführer Gegenvorstellung. Die Entscheidung<br />

des Strafsenats leide unter einem Begründungsmangel. Das Oberlandesgericht sei gehalten gewesen, seine<br />

Strafzumessung im Verwerfungsbeschluss zu erläutern. Dass es dies nicht getan <strong>und</strong> vor einer Entscheidung<br />

nicht die Möglichkeit einer Anhörung im Rahmen einer Revisionshauptverhandlung gewährt habe, verletze<br />

gr<strong>und</strong>rechtliche Positionen des Beschwerdeführers aus Art. 20 Abs. 3 GG <strong>und</strong> aus Art. 103 GG <strong>und</strong> verstoße<br />

zugleich gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK.<br />

24 g) Der Strafsenat wies die Gegenvorstellung zurück. Eine Pflicht zur Begründung des Verwerfungsbeschlusses<br />

gebe es nicht. Angemessen seien die vom Landgericht verhängte Strafe <strong>und</strong> die Ablehnung einer Aussetzung der<br />

Strafvollstreckung zur Bewährung wegen der gravierenden Tatfolgen <strong>und</strong> des vom Beschwerdeführer verwirklichten<br />

Tatunrechts. Der Beschwerdeführer sei auch nicht in seinem Anspruch verletzt worden, vor Gericht Gehör<br />

zu finden. Durch die Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft sei er auf die Möglichkeit einer Entscheidung<br />

des Senats nach § 354 Abs. 1 a StPO hingewiesen worden.<br />

25 2. Das Verfahren 2 BvR 136/05<br />

26 a) Das Landgericht verurteilte den Beschwerdeführer wegen Betrugs in Tateinheit mit Beihilfe zur Untreue zu<br />

einer Geldstrafe von 240 Tagessätzen.<br />

27 Sämtliche Tatvorwürfe bezeichnete die Strafkammer als schwer. Der Schaden aus der Untreue, zu deren Gelingen<br />

der Beschwerdeführer beigetragen habe, belaufe sich auf 3.412.000 DM. Das geschädigte Unternehmen sei<br />

durch diesen Vermögensverlust in eine wirtschaftliche Schieflage geraten, was einen späteren Konkurs mit verursacht<br />

habe.<br />

28 b) Die Revision des Beschwerdeführers gegen das Urteil des Landgerichts blieb im Ergebnis erfolglos. Der<br />

B<strong>und</strong>esgerichtshof verwarf sie - nach Beschränkung des Tatvorwurfs über § 154 a Abs. 2 StPO auf den vom<br />

190


Landgericht festgestellten Betrug <strong>und</strong> nach entsprechender Berichtigung des Schuldspruchs - im Wege des § 349<br />

Abs. 2 StPO als unbegründet. Von der Aufhebung des Strafausspruchs sah der B<strong>und</strong>esgerichtshof ab <strong>und</strong> wendete<br />

§ 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO an. Zwar sei nicht auszuschließen, dass das Landgericht, hätte es auf Gr<strong>und</strong>lage<br />

des geänderten Schuldspruchs zu urteilen gehabt, gegen den Beschwerdeführer eine niedrigere Strafe als die<br />

verhängte festgesetzt hätte. Die ausgeurteilte Strafe sei jedoch angemessen.<br />

29 Über seinen Wortlaut hinaus sei § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO nicht lediglich dann anwendbar, wenn eine Gesetzesverletzung<br />

"nur bei Zumessung der Rechtsfolgen" vorliege. Die Vorschrift erfasse darüber hinaus die Fälle,<br />

in denen es auch zu einer Schuldspruchänderung komme. Nur eine solche Interpretation der Norm werde dem<br />

mit § 354 Abs. 1 a StPO verfolgten Ziel des Gesetzgebers gerecht, Ressourcen der Justiz zu schonen <strong>und</strong> zur<br />

Verfahrensbeschleunigung beizutragen. Eine Verlagerung tatrichterlicher Strafzumessungskompetenzen auf das<br />

Revisionsgericht sei durch diese Auslegung nicht zu befürchten. Bei einer gravierenden Änderung des Schuldspruchs<br />

komme eine Aufrechterhaltung des Rechtsfolgenausspruchs wegen fehlender Angemessenheit im Regelfall<br />

nicht mehr in Betracht. Überdies liege die Entscheidung, nach § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO zu verfahren,<br />

im Ermessen des Revisionsgerichts. Diesem stehe es frei, auch bei lediglich geringfügiger Änderung des<br />

Schuldspruchs von einer Anwendung des § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO abzusehen.<br />

30 Ob eine Rechtsfolge angemessen im Sinne des § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO sei, habe das Revisionsgericht auf der<br />

Gr<strong>und</strong>lage der Feststellungen des angefochtenen Urteils unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte<br />

zu beurteilen, insbesondere aller nach § 46 StGB für die Strafzumessung erheblichen Umstände.<br />

31 Danach bestünden an der Angemessenheit der gegen den Beschwerdeführer verhängten Geldstrafe keine Zweifel.<br />

Diese Strafe sei selbst bei Fortfall der Verurteilung wegen Beihilfe zur Untreue, auch unter Berücksichtigung<br />

sämtlicher zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechenden Umstände, außergewöhnlich - wenn nicht unvertretbar<br />

- milde.<br />

32 III. 1. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 1. wendet sich gegen die Revisionsentscheidung<br />

des Brandenburgischen Oberlandesgerichts. Sie rügt zum einen die Verfassungswidrigkeit von § 354 Abs. 1 a<br />

Satz 1 StPO, zum anderen die Verletzung von Verfassungsrecht durch die Anwendung dieser Norm.<br />

33 a) § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO verstoße gegen die gr<strong>und</strong>rechtsgleichen Rechte eines Angeklagten auf rechtliches<br />

Gehör <strong>und</strong> auf ein faires Verfahren.<br />

34 Die Vorschrift lasse eine hinreichende Verteidigung nicht zu. Ein Angeklagter könne nicht absehen, welche<br />

Tatsachen das Revisionsgericht für seine Sachentscheidung heranziehen werde. Zudem könne er auf die über<br />

§ 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO nunmehr mögliche Strafzumessung der Revisionsgerichte weder durch rechtliche<br />

Einwendungen noch durch Beweisanträge Einfluss nehmen. Die Kompetenzen des Revisionsgerichts bei der<br />

Strafzumessung gingen damit im Ergebnis weiter als die Kompetenzen eines Tatgerichts.<br />

35 § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO sei auch mit dem Anspruch eines Angeklagten auf seinen gesetzlichen Richter nach<br />

Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht zu vereinbaren. Die Vorschrift hebe die Abgrenzung revisionsgerichtlicher <strong>und</strong><br />

tatgerichtlicher Zuständigkeiten auf, wenn sie Strafzumessungskompetenzen auf die Revisionsgerichte übertrage,<br />

obwohl diesen für den Vorgang der Strafzumessung bedeutsame Erkenntnisquellen, wie der persönliche<br />

Eindruck von Beweismitteln <strong>und</strong> vom Angeklagten, verschlossen blieben.<br />

36 b) Auch die Anwendung der Norm durch das Oberlandesgericht habe Gr<strong>und</strong>rechte <strong>und</strong> gr<strong>und</strong>rechtsgleiche<br />

Rechte verletzt.<br />

37 Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sei betroffen, weil das Oberlandesgericht zu Unrecht die Angemessenheit der Rechtsfolge<br />

nach § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO <strong>und</strong> damit eine eigene Zuständigkeit zur Sachentscheidung bejaht habe.<br />

Die Schuldform der bewussten Fahrlässigkeit sei für die Berufungskammer das entscheidende Kriterium bei der<br />

Festsetzung der Rechtsfolge gewesen. Sie habe die Höhe der verhängten Freiheitsstrafe nicht lediglich mitbestimmt.<br />

Auch die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung habe das Landgericht mit dem hohen Verschulden<br />

begründet, das dem Beschwerdeführer zur Last liege. Da die bewusste Fahrlässigkeit in der Revisionsinstanz<br />

in Fortfall geraten sei, könne die auf ihr fußende Rechtsfolge nicht mehr angemessen sein.<br />

38 Auch gegen Art. 103 Abs. 1 GG habe der Strafsenat verstoßen. Das Oberlandesgericht habe sich nicht mit den<br />

im Revisionsverfahren vorgetragenen Einwänden gegen eine Sachentscheidung nach § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO<br />

auseinander gesetzt.<br />

39 Die Entscheidung des Oberlandesgerichts sei überdies willkürlich.<br />

40 2. Der Beschwerdeführer zu 2. wendet sich gegen den Beschluss des B<strong>und</strong>esgerichtshofs, der seine Revision<br />

verworfen hat. Er rügt eine Verletzung des gr<strong>und</strong>rechtsgleichen Rechts aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.<br />

41 Der B<strong>und</strong>esgerichtshof habe auf der Gr<strong>und</strong>lage des § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO in dem Strafverfahren selbst<br />

entschieden, obwohl für eine Sachentscheidung das Landgericht nach Zurückverweisung des Verfahrens gemäß<br />

§ 354 Abs. 2 StPO zuständig gewesen wäre. § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO habe nicht angewendet werden dürfen.<br />

191


Diese Vorschrift erlaube eine Sachentscheidung des Revisionsgerichts ausschließlich bei einem Fehler bei der<br />

Zumessung der Rechtsfolgen. Wegen ihres eindeutigen Wortlauts greife sie nicht, wenn es neben einem Fehler<br />

im Rechtsfolgenbereich zugleich einen Fehler im Schuldspruch gebe. Darüber habe sich der B<strong>und</strong>esgerichtshof<br />

willkürlich hinweggesetzt.<br />

42 Zudem habe der Strafsenat die von ihm in der angegriffenen Entscheidung aufgestellten Maßstäbe für eine Anwendung<br />

des § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO selbst missachtet. Nach Auffassung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs komme<br />

eine Anwendung des § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO nämlich bei gravierenden Änderungen des Schuldspruchs nicht<br />

in Betracht. Eine solche gravierende Änderung habe die Beschränkung des Strafverfahrens gegen den Beschwerdeführer<br />

auf den Vorwurf des Betrugs jedoch bewirkt. Durch diese Beschränkung sei mit der Beihilfe zur<br />

Untreue ein Vermögensdelikt mit einer errechneten Schadenshöhe von mehr als drei Millionen DM weggefallen.<br />

Gleichwohl habe sich der B<strong>und</strong>esgerichtshof nicht an einer Entscheidung nach § 354 Abs. 1 a StPO gehindert<br />

gesehen.<br />

43 Auch die Erwägungen des B<strong>und</strong>esgerichtshofs zur Angemessenheit der Strafe seien, da zu unbestimmt, nicht<br />

nachvollziehbar.<br />

44 IV. Zu den Verfassungsbeschwerden hat der Präsident des B<strong>und</strong>esgerichtshofs Stellungnahmen der Vorsitzenden<br />

der dortigen Strafsenate übersandt <strong>und</strong> der Generalb<strong>und</strong>esanwalt beim B<strong>und</strong>esgerichtshof Stellung genommen.<br />

Namens der B<strong>und</strong>esregierung hat sich das B<strong>und</strong>esministerium der Justiz zu der Verfassungsbeschwerde<br />

des Beschwerdeführers zu 1. geäußert. Zu dieser Verfassungsbeschwerde ist auch eine Stellungnahme des Ministeriums<br />

der Justiz des Landes Brandenburg eingegangen.<br />

45 1. a) Zur Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 1. haben die Vorsitzenden der fünf Strafsenate des<br />

B<strong>und</strong>esgerichtshofs übereinstimmend mitgeteilt, mit der Rechtsfrage bislang nicht befasst gewesen zu sein, ob<br />

das Revisionsgericht mittels § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO auch über die Aussetzung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung<br />

eigenständig befinden könne. Die Richter des 1. Strafsenats hielten eine solche Entscheidung freilich<br />

für möglich.<br />

46 b) Zu der Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 2. haben die Strafsenate ausgeführt, sie wendeten<br />

§ 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO in inzwischen ständiger Rechtsprechung nicht nur bei Strafzumessungsfehlern, sondern<br />

auch dann an, wenn zugleich der Schuldspruch zu korrigieren sei.<br />

47 c) Zur Übereinstimmung von § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO mit der Verfassung hat der B<strong>und</strong>esgerichtshof nicht<br />

Stellung genommen.<br />

48 2. Der Generalb<strong>und</strong>esanwalt beim B<strong>und</strong>esgerichtshof hat sich zur geltend gemachten Verfassungswidrigkeit von<br />

§ 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO <strong>und</strong> zur Anwendung der Vorschrift in den mit den Verfassungsbeschwerden angegriffenen<br />

Revisionsentscheidungen geäußert. Er hält § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO für verfassungsgemäß.<br />

49 a) Aus verfassungsrechtlicher Sicht bestünden keine gr<strong>und</strong>legenden Bedenken gegen eine Übertragung tatrichterlicher<br />

Strafzumessungsbefugnisse auf die Revisionsgerichte. Strafzumessung sei Rechtsanwendung <strong>und</strong><br />

nichts "Tatsächliches", was ausschließlich in die Hände der Tatgerichte gehöre. Den Revisionsgerichten stehe<br />

mit den vorinstanzlichen Urteilen zudem eine ausreichende Entscheidungsgr<strong>und</strong>lage zur Verfügung; § 267 Abs.<br />

3 StPO verlange von den Tatgerichten in den schriftlichen Urteilsgründen eine nachvollziehbare Gesamtbetrachtung<br />

von Tat <strong>und</strong> Täterpersönlichkeit unter Abwägung aller wesentlichen belastenden <strong>und</strong> entlastenden Umstände.<br />

50 § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO verletze auch nicht den Anspruch eines Angeklagten aus Art. 103 Abs. 1 GG, vor<br />

Gericht Gehör zu finden. Ein Angeklagter habe im Revisionsverfahren hinreichend Möglichkeit, sich zu einer<br />

Sachentscheidung nach § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO zu äußern. Stelle bereits die Staatsanwaltschaft beim Revisionsgericht<br />

fest, dass trotz eines Strafzumessungsfehlers ein Festhalten am Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen<br />

Urteils möglich sei, habe sie in ihrer Antragsschrift, die gemäß § 349 Abs. 3 Satz 1 StPO dem Angeklagten<br />

mitgeteilt werden müsse, auf ein mögliches Vorgehen nach § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO hinzuweisen; dieser<br />

Hinweis gebe dem Angeklagten Gelegenheit zur Stellungnahme. Im Falle einer Revisionshauptverhandlung habe<br />

der Angeklagte ohnehin die Möglichkeit, sich zu äußern. In allen anderen Fällen helfe die Anhörungsrüge<br />

nach § 356 a StPO.<br />

51 Auch mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sei § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO vereinbar. Wenn nach der Rechtsprechung<br />

des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts § 354 Abs. 2 StPO nicht gegen das Recht eines Angeklagten auf den gesetzlichen<br />

Richter verstoße (BVerfGE 20, 336 ff.), könne für § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO nichts anderes gelten. § 354<br />

Abs. 2 StPO erlaube es dem Revisionsgericht, nach Aufhebung eines fehlerhaften Urteils die Sache zu neuer<br />

Verhandlung an das Ausgangsgericht oder ein anderes Gericht gleicher Ordnung desselben Landes zurückzuverweisen.<br />

Eine solche Bestimmung, die das "Wohin" einer Zurückverweisung regele, sei mit Blick auf Art. 101<br />

192


Abs. 1 Satz 2 GG problematischer als eine Vorschrift, die - wie § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO - eine Entscheidung<br />

über das "Ob" der Zurückverweisung ermögliche.<br />

52 b) Der Generalb<strong>und</strong>esanwalt hält auch die Anwendung des § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO in den angegriffenen<br />

Entscheidungen für verfassungskonform.<br />

53 aa) Angesichts des Umstands, dass der Beschwerdeführer zu 1. den Tod von sechs Menschen verursacht habe,<br />

sei die Verhängung der vom Tatgericht festgesetzten Freiheitsstrafe auch dann angemessen, wenn man vom<br />

Schuldgrad der einfachen statt der bewussten Fahrlässigkeit ausgehe.<br />

54 Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG sei nicht zu besorgen. Die Generalstaatsanwaltschaft habe vor der Entscheidung<br />

des Oberlandesgerichts auf die Entscheidungsmöglichkeit nach § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO hingewiesen.<br />

55 bb) Die Vorschrift des § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO könne - wie im Fall des Beschwerdeführers zu 2. - auch dann<br />

angewendet werden, wenn neben dem Rechtsfolgenausspruch auch der Schuldspruch eines mit der Revision angefochtenen<br />

Urteils korrekturbedürftig sei. Der Wortlaut der Bestimmung stehe einer solchen Anwendung nicht<br />

entgegen. Korrigiere das Revisionsgericht zunächst den Schuldspruch, gehe es anschließend "nur noch" um eine<br />

Prüfung der Angemessenheit der Rechtsfolge.<br />

56 Denkbar sei aber auch eine Anwendung des § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO im Wege der Analogie. Das Gesetz<br />

weise die hierfür vorausgesetzte planwidrige Lücke auf; der Legislative könne angesichts ihres Bemühens, die<br />

Sachentscheidungskompetenz der Revisionsgerichte zu erweitern, nicht ernsthaft unterstellt werden, bei Schuldspruchänderungen<br />

den Revisionsgerichten die Möglichkeit vorenthalten zu wollen, einen tat- <strong>und</strong> schuldangemessenen<br />

Rechtsfolgenausspruch zu bestätigen.<br />

57 3. Auch das B<strong>und</strong>esministerium der Justiz hält die Vorschrift des § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO für verfassungsgemäß.<br />

58 Das Gr<strong>und</strong>gesetz kenne kein Verbot, Aufgaben der Tatgerichte – wie die Strafzumessung - auf die Rechtsmittelgerichte<br />

zu übertragen, <strong>und</strong> das Gesetz lege fest, unter welchen Voraussetzungen das Revisionsgericht entscheiden<br />

dürfe. Ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG liege darin nicht.<br />

59 Auch Art. 103 Abs. 1 GG sei nicht betroffen. Im schriftlichen Verfahren werde bereits die Revisionsstaatsanwaltschaft<br />

auf die Entscheidungsmöglichkeit nach § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO hinweisen, worauf der Angeklagte<br />

erwidern könne. Die Möglichkeit zur Äußerung bestehe auch anlässlich einer Revisionshauptverhandlung.<br />

Daneben gebe Art. 103 Abs. 1 GG unmittelbar ein Recht, Gehör zu finden. Dies könne ein Angeklagter nicht zuletzt<br />

im Anhörungsrügeverfahren nach § 356 a StPO verfolgen.<br />

60 Angewendet werden könne § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO - jedenfalls im Wege der Analogie - auch im Zusammenhang<br />

mit einer Schuldspruchkorrektur. Eine solche Anwendung befinde sich in Übereinstimmung mit dem<br />

Willen des Gesetzgebers. Dieser habe mit § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO die Sachentscheidungsbefugnisse des Revisionsgerichts<br />

erweitern wollen.<br />

61 4. Das Ministerium der Justiz des Landes Brandenburg hält die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers<br />

zu 1. nicht für erfolgversprechend. Sein Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs sei gewahrt worden. Die<br />

Generalstaatsanwaltschaft habe in ihrer Antragsschrift auf die Möglichkeit einer Sachentscheidung nach § 354<br />

Abs. 1 a Satz 1 StPO hingewiesen. Das Oberlandesgericht sei nicht gehalten gewesen, seinen Verwerfungsbeschluss<br />

näher zu begründen.<br />

62 Die Entscheidung des Strafsenats zeige keine sachfremden Erwägungen auf.<br />

63 B. Die Verfassungsbeschwerden sind begründet, soweit sie sich gegen die gerichtlichen Entscheidungen wenden.<br />

Der Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 25. Juli 2005 verletzt den Beschwerdeführer<br />

zu 1. in seinem aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG folgenden Anspruch auf ein<br />

faires Verfahren. Der Beschluss des B<strong>und</strong>esgerichtshofs vom 2. Dezember 2004 verletzt den Beschwerdeführer<br />

zu 2. in seinem Verfahrensgr<strong>und</strong>recht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.<br />

64 Die den Entscheidungen zu Gr<strong>und</strong>e liegende Vorschrift des § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO ist nach Maßgabe der<br />

Gründe mit dem Gr<strong>und</strong>gesetz vereinbar.<br />

65 I. 1. In der Rechtsprechung sind verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber der durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz<br />

eingeführten Vorschrift nicht laut geworden, obwohl sie auch aus Sicht der Praxis die Strukturen<br />

des Revisionsverfahrens gr<strong>und</strong>legend verändert hat. Die Revisionsgerichte haben die Bestimmung seit ihrem Inkrafttreten<br />

als Ermächtigung zu eigener Strafzumessung verstanden <strong>und</strong> gehandhabt.<br />

66 Lediglich das Oberlandesgericht Celle sah in § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO zunächst bloß die gesetzliche Verankerung<br />

der auf § 337 StPO fußenden Beruhensrechtsprechung (NStZ 2005, S. 163 ; hier unter A.I.3.). Der<br />

B<strong>und</strong>esgerichtshof hat diese Auslegung in der Folgezeit jedoch ausdrücklich als unzutreffend bezeichnet. Für<br />

§ 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO komme es nicht darauf an, ob sich der fragliche Strafzumessungsfehler auf das Urteil<br />

193


ausgewirkt habe. Alleiniger Maßstab sei, ob das Revisionsgericht ungeachtet dieses Fehlers den Rechtsfolgenausspruch<br />

des angefochtenen Urteils für angemessen halte. Ob eine Rechtsfolge "angemessen" sei, habe das Revisionsgericht<br />

auf der Gr<strong>und</strong>lage der Feststellungen des angefochtenen Urteils unter Berücksichtigung aller<br />

maßgeblichen Gesichtspunkte, "insbesondere aller nach § 46 StGB für die Strafzumessung erheblichen Umstände",<br />

zu beurteilen (BGH, Beschluss vom 17. März 2005 - 3 StR 39/05 -, NStZ 2005, S. 465 = BGHR StPO<br />

§ 354 Abs. 1 a Anwendungsbereich 3).<br />

67 Dabei hat der B<strong>und</strong>esgerichtshof den Anwendungsbereich der Vorschrift weit gezogen. Nur in wenigen Fällen<br />

sei eine eigene Entscheidung des Revisionsgerichts ausgeschlossen. Eine Entscheidung des Tatgerichts sei nur<br />

dann veranlasst, wenn es für die Strafzumessung in besonderem Maße auf den persönlichen Eindruck vom Angeklagten<br />

ankomme (BGH, a.a.O.) oder wenn zu erwarten sei, dass eine zweite tatrichterliche Hauptverhandlung<br />

neue, für den Angeklagten günstige Erkenntnisse erbringen werde (BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2005 - 1<br />

StR 320/05 -, www.b<strong>und</strong>esgerichtshof.de/entscheidungen, ohne Gründe abgedruckt in NStZ-RR 2006, S. 44).<br />

68 In Anlehnung an die Gesetzesmaterialien (BTDrucks 15/3482, S. 22) begreift die Rechtsprechung die Sachentscheidung<br />

nach § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO als Revisionsverwerfung, was ihr zugleich die Entscheidungsmöglichkeit<br />

nach § 349 Abs. 2 StPO eröffnet: Wähle das Gericht das Beschlussverfahren als Entscheidungsverfahren,<br />

so habe der Angeklagte keinen Anspruch darauf, auf die Anwendung des § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO hingewiesen<br />

zu werden. Das schriftliche Verfahren nach § 349 Abs. 2 StPO kenne keine Verpflichtung des Revisionsgerichts,<br />

das Beratungsergebnis vor Entscheidungserlass mitzuteilen (BGH, Beschluss vom 17. Mai 2005 - 3<br />

StR 39/05 -, www.b<strong>und</strong>esgerichtshof.de/entscheidungen, ohne Gründe abgedruckt in NStZ-RR 2005, S. 272).<br />

69 Einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG sehen die Revisionsgerichte darin nicht.<br />

70 2. Anders als in der Rechtsprechung ist § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO im Schrifttum überwiegend auf Skepsis<br />

gestoßen. Die Vorschrift stelle wesentliche Maximen des Strafverfahrens in Frage. Gr<strong>und</strong>sätzlich müsse Straffestsetzung<br />

im Zusammenhang mit der Möglichkeit eines Gerichts gesehen werden, Feststellungen zum Sachverhalt<br />

<strong>und</strong> zur Person des Angeklagten zu treffen. Diese Erkenntnisquellen - insbesondere der persönliche Eindruck<br />

vom Angeklagten - blieben den Revisionsgerichten wegen der Ausgestaltung des Rechtsmittelverfahrens<br />

verschlossen (Eisenberg/Haeseler, StraFo 2005, S. 221 ). Das Revisionsgericht entscheide auf einer eingeschränkten<br />

Erkenntnisgr<strong>und</strong>lage (Sommer, StraFo 2004, S. 295 ; Ventzke, NStZ 2005, S. 461 ;<br />

krit. auch Langrock, StraFo 2005, S. 226 ff.).<br />

71 Die Vorschrift widerspreche nicht nur der überkommenen Struktur des deutschen Strafverfahrens. Sie wecke mit<br />

Blick auf die Gr<strong>und</strong>rechte eines Angeklagten auch verfassungsrechtliche Bedenken. Die Übertragung von Aufgaben<br />

der Strafzumessung auf die Revisionsgerichte verschiebe die Grenzen der Kompetenzbereiche von Tatsachen-<br />

<strong>und</strong> Rechtsmittelinstanz zum Nachteil des Angeklagten. Dies berühre dessen Verfahrensgr<strong>und</strong>recht aus<br />

Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (Franke, GA 2006, S. 261 ; a.A. Senge, in: Festschrift für Hans Dahs, Köln<br />

2005, S. 475 ).<br />

72 Auch mit Art. 103 Abs. 1 GG gerate § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO in Konflikt. Entscheide das Revisionsgericht<br />

durch Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO, so sei die Gegenerklärung auf den Antrag der Revisionsstaatsanwaltschaft<br />

nach § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO für den Angeklagten die einzige Möglichkeit, sich im Verfahren Gehör zu<br />

verschaffen. Diese Gegenerklärung sei jedoch kein Äquivalent einer neuen tatrichterlichen Hauptverhandlung<br />

über den Rechtsfolgenausspruch, in der der Angeklagte zu einzelnen Strafzumessungsfaktoren, insbesondere<br />

solchen Stellung nehmen könne, die nach Verkündung des tatrichterlichen Urteils eingetreten seien (vgl. Franke,<br />

a.a.O.).<br />

73 3. Das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht teilt die im Schrifttum <strong>und</strong> vom Beschwerdeführer zu 1. erhobenen Bedenken<br />

gegen die Verfassungsmäßigkeit von § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO im Ergebnis nicht.<br />

74 a) § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO ermöglicht dem Revisionsgericht Strafzumessung. Wenn das Revisionsgericht die<br />

Angemessenheit einer vom Vordergericht fehlerhaft begründeten Strafe prüft, was anhand der Urteilsurk<strong>und</strong>e<br />

geschieht, so wertet es die vom Tatgericht festgestellten Strafzumessungsfaktoren im Sinne des § 46 StGB <strong>und</strong><br />

bringt sie zu einem Ergebnis. Dies ist ein Akt der Strafzumessung. Damit bricht § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO mit<br />

zwei Traditionen des deutschen Strafprozesses. Zum einen begründet die Vorschrift erstmals umfassende <strong>und</strong> –<br />

im Gegensatz zu § 354 Abs. 1 StPO - antragsungeb<strong>und</strong>ene Strafzumessungskompetenz der Revisionsgerichte.<br />

Zum anderen erlaubt sie erstmals eine eigene Straffindung jenseits der bislang den Vorgang der Strafzumessung<br />

prägenden Maximen der Unmittelbarkeit <strong>und</strong> Mündlichkeit; die Beruhenskonstruktion (oben A.I.3.) hatte hingegen<br />

lediglich auf die hypothetische Sicht des strafzumessenden Tatrichters abgestellt.<br />

75 b) In der Möglichkeit, Strafe nach Aktenlage zumessen zu können, liegt die verfassungsrechtliche Problematik<br />

des § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO.<br />

194


76 aa) Während das Tatgericht nach den Vorgaben der Strafprozessordnung die Strafe nach Durchführung einer<br />

mündlichen Hauptverhandlung unter Anwesenheit des Angeklagten festsetzt, misst das Revisionsgericht Strafe<br />

anhand eines durch die Vorinstanz vorformulierten Strafzumessungssachverhalts zu. Damit fehlen ihm – anders<br />

als dem Tatgericht - persönliche Eindrücke vom Angeklagten <strong>und</strong> von den Geschehnissen in der Hauptverhandlung.<br />

Deshalb hat man lange Zeit eine Strafzumessung durch die Revisionsgerichte nicht für statthaft gehalten.<br />

77 In den Motiven zur Reichsstrafprozessordnung wird Strafzumessung noch als tatrichterlicher Akt beschrieben,<br />

der nur auf der Basis einer mündlichen Beweisverhandlung vorgenommen <strong>und</strong> verantwortet werden könne. Das<br />

schriftlich niedergelegte Urteil einer Vorinstanz eigne sich demgegenüber nicht als Gr<strong>und</strong>lage von Straffestsetzung.<br />

Es gebe – so die damalige Auffassung - zu viele strafzumessungsrelevante Faktoren, die sich einer Feststellung<br />

durch die Schrift entzögen (vgl. Hahn, Die gesammten Materialien zur Strafprozeßordnung <strong>und</strong> dem<br />

Einführungsgesetz zu derselben vom 1. Februar 1877, Berlin 1880, Erste Abtheilung, S. 259).<br />

78 Auch das Reichsgericht sah bis in die 30er Jahre des vergangenen Jahrh<strong>und</strong>erts die Strafzumessung als "Domäne"<br />

des Tatrichters an <strong>und</strong> folgerte daraus, dass sie einer rechtlichen Nachprüfung durch das Revisionsgericht<br />

entzogen sei (vgl. RGSt 59, 157 ). Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts begann sich die heute<br />

herrschende Auffassung durchzusetzen, wonach Strafzumessung, trotz des ihr innewohnenden Wertungsakts,<br />

Rechtsanwendung sei, bei der es auf die Subsumtion eines festgestellten Strafzumessungssachverhalts unter vom<br />

Gesetzgeber formulierte Strafzumessungskriterien <strong>und</strong> -leitlinien ankomme (vgl. Bruns, Strafzumessungsrecht,<br />

2. Aufl., Köln 1974, S. 650). Entwickelt von der Strafrechtswissenschaft seit Ausgang des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts (vgl.<br />

bereits v. Kries, Die Rechtsmittel des Zivilprocesses <strong>und</strong> des Strafprocesses nach den Bestimmungen der Deutschen<br />

Reichsgesetze, 1880, S. 277 f.), wurde diese Auffassung vom B<strong>und</strong>esgerichtshof in ständiger Rechtsprechung<br />

übernommen <strong>und</strong> ermöglichte fortan eine revisionsrechtliche Überprüfung von Strafzumessung (vgl. nur<br />

BGHSt 5, 57 ).<br />

79 bb) Angesichts der Charakterisierung von Strafzumessung als Rechtsanwendung ist für eine generelle Ablehnung<br />

einer Strafzumessungskompetenz der Revisionsgerichte – wie sie in der Vergangenheit noch geäußert<br />

wurde - kein Raum mehr. Wenn das Gericht darüber urteilen darf, ob die in § 46 StGB gesetzlich normierten<br />

Strafzumessungskriterien zutreffend auf einen Sachverhalt angewendet worden sind, so können auch keine prinzipiellen<br />

Einwände mehr dagegen erhoben werden, dass es selbst die Strafe zumisst. Die eigene Strafzumessung<br />

des Revisionsgerichts ist in dieser Sicht nichts anderes als die praktische Umsetzung der ihm vom Gesetzgeber<br />

eingeräumten rechtlichen Kontrollbefugnis.<br />

80 Strafzumessung des Revisionsrichters führt gr<strong>und</strong>sätzlich auch zu keinem anderen Ergebnis als tatrichterliche<br />

Strafzumessung, was an § 358 Abs. 1 StPO liegt. Hebt das Revisionsgericht das rechtsfehlerhafte Urteil auf <strong>und</strong><br />

verweist die Sache zu neuer Entscheidung zurück, so ist das nunmehr zuständige Tatgericht an die Rechtsauffassung<br />

der Revisionsinstanz zur Strafhöhe geb<strong>und</strong>en. Dies verbietet ihm die Festsetzung einer von den Vorstellungen<br />

des Rechtsmittelgerichts abweichenden Strafe.<br />

81 cc) Aus verfassungsrechtlicher Sicht unbedenklich ist Strafzumessung durch das Revisionsgericht aber nur dann,<br />

wenn für den Prozess der Straffindung ein lückenloser, wahrheitsorientiert ermittelter <strong>und</strong> aktueller Strafzumessungssachverhalt<br />

zur Verfügung steht. Ist dies nicht der Fall, werden gr<strong>und</strong>rechtlich geschützte Positionen des<br />

Angeklagten berührt.<br />

82 Strafzumessung auf der Gr<strong>und</strong>lage eines lückenhaften oder sonst korrekturbedürftigen Sachverhalts verletzt den<br />

verfassungsrechtlich abgesicherten Anspruch eines Angeklagten auf ein faires Verfahren in Verbindung mit dem<br />

ebenfalls mit Verfassungsrang ausgestatteten (vgl. BVerfGE 69, 1 ; stRspr) Verhältnismäßigkeitsgr<strong>und</strong>satz.<br />

Der Anspruch eines Angeklagten auf ein faires Verfahren wurzelt in Art. 2 Abs. 1 GG <strong>und</strong> dem in Art. 20 Abs. 3<br />

GG verankerten Rechtsstaatsgebot (vgl. BVerfGE 52, 203 ). Diesem allgemeinen Prozessgr<strong>und</strong>recht<br />

kommt im Strafverfahren wegen des dort bedrohten Rechts auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG<br />

<strong>und</strong> mit Blick auf die Menschenwürde des Angeklagten besondere Bedeutung zu. Im Strafverfahren geht es um<br />

ein Verhalten, das in besonderer Weise sozialschädlich <strong>und</strong> für das geordnete Zusammenleben unerträglich ist<br />

(BVerfGE 88, 203 ); im Schuldspruch konkretisiert sich ein sozial-ethisches Unwerturteil über Tat <strong>und</strong><br />

Täter (BVerfGE 96, 245 ).<br />

83 Eine notwendige Ausformung des Prozessgr<strong>und</strong>rechts des fairen Verfahrens ist im Strafverfahren die Gewährleistung<br />

einer tragfähigen Gr<strong>und</strong>lage der Strafzumessung. Zu diesem Zweck sind die Strafgerichte zur bestmöglichen<br />

Klärung des Sachverhalts - <strong>und</strong> damit der strafzumessungsrelevanten Faktoren - verpflichtet. Zentrales<br />

Anliegen des Strafprozesses ist die Ermittlung des wahren Sachverhalts, ohne den das materielle Schuldprinzip<br />

sich nicht verwirklichen lässt (BVerfGE 57, 250 ). Strafe ist für den Bürger eine der einschneidendsten<br />

Formen staatlichen Handelns. Sie darf deshalb nur dann verhängt werden, wenn auch ihre tatsächlichen Voraussetzungen<br />

durch die Gerichte zuvor genauestens geprüft worden sind <strong>und</strong> sich die Sanktion auf der Gr<strong>und</strong>lage<br />

195


dieser Voraussetzungen als geeignet <strong>und</strong> erforderlich zur Erreichung anerkannter Strafzwecke <strong>und</strong> überdies als<br />

angemessen darstellt. Dabei sind die Anforderungen an die verfahrensmäßige Absicherung einer ausreichenden<br />

Wahrheitserforschung im Vorfeld der Straffestsetzung besonders hoch, wenn – wie im Fall der Strafzumessung<br />

durch die Revisionsgerichte – die gerichtliche Entscheidung weiterer Rechtskontrolle nicht mehr unterliegt<br />

(BVerfGE 83, 24 ).<br />

84 Nach seinem Wortlaut stellt § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO nicht verlässlich sicher, dass das Revisionsgericht seine<br />

Straffestsetzung nur auf der Gr<strong>und</strong>lage eines wahren Strafzumessungssachverhalts trifft.<br />

85 Ob ihm ein die Strafzumessung erlaubender Sachverhalt vom Tatgericht unterbreitet wurde, kann das Revisionsgericht<br />

auf Gr<strong>und</strong> eigener Befugnisse nicht feststellen. Die Durchführung einer Beweisaufnahme ist ihm aus<br />

strukturellen Gründen verwehrt. Der Gesetzgeber hat die Entscheidungskompetenzen der Revisionsgerichte in<br />

den Bereich der originären Strafzumessung hinein erweitert. Er hat aber davon abgesehen, ihnen zugleich das<br />

den Tatgerichten für eine Strafzumessung zur Verfügung stehende Instrumentarium - die mündliche <strong>und</strong> unmittelbare<br />

Beweisaufnahme – mit an die Hand zu geben. § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO hält an der überkommenen<br />

Struktur des Revisionsverfahrens fest, wonach die einzige Erkenntnisquelle der Revisionsgerichte das angegriffene<br />

Urteil ist; den Revisionsgerichten ist deshalb nicht einmal eine formelle Anhörung des Angeklagten über<br />

die tatsächliche Gr<strong>und</strong>lage der Strafzumessung, die in seine Gr<strong>und</strong>rechte tief eingreift, vorgeschrieben.<br />

86 Dieser weit reichende Verzicht des Gesetzgebers auf eine richterliche Überprüfung des Strafzumessungssachverhalts<br />

im Verfahren nach § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht hinnehmbar;<br />

Strafzumessung durch die Revisionsgerichte ist in erhöhtem Maße fehleranfällig. Es bedarf daher einer Sicherung,<br />

die gewährleistet, dass die Strafzumessung auf einer ausreichenden Sachverhaltsaufklärung beruht.<br />

87 Das für die Strafzumessung zur Verfügung stehende tatgerichtliche Urteil kann auf Fehlern in der Sachverhaltsaufklärung<br />

beruhen, die für das Revisionsgericht nur in Fällen offensichtlich widersprüchlicher oder lückenhafter<br />

Urteilsgründe erkennbar werden. Aber auch ohne Versäumnisse <strong>und</strong> Fehler der Tatgerichte bei der<br />

Sachverhaltsaufklärung bieten die vorinstanzlichen Erkenntnisse nicht immer Gewähr für eine ausreichende<br />

Strafzumessungsgr<strong>und</strong>lage. Amts- <strong>und</strong> Landgerichte sind wegen § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO nicht zu vollständiger<br />

<strong>und</strong> abschließender Dokumentation ihrer Strafzumessungsgründe verpflichtet. Anzugeben haben sie nur die<br />

Gründe, die - aus ihrer Sicht - für die Festsetzung der tat- <strong>und</strong> schuldangemessenen Strafe bestimmend waren.<br />

Ohnehin gänzlich verborgen bleiben dem Revisionsgericht im Regelfall strafzumessungsrelevante Faktoren, die<br />

nach Verkündung des tatrichterlichen Urteils eingetreten sind <strong>und</strong> die ein neues Tatgericht, würde das Revisionsgericht<br />

von einer eigenen Sachentscheidung absehen <strong>und</strong> nach § 354 Abs. 2 StPO verfahren, unter Umständen<br />

zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigen müsste.<br />

88 Es kommt hinzu, dass die tatsächlichen Gr<strong>und</strong>lagen einer Strafzumessungsentscheidung sich zum Teil nicht mit<br />

der Genauigkeit <strong>und</strong> Vollständigkeit verschriftlichen lassen wie andere Merkmale strafrechtlicher Sachverhalte.<br />

Auf dieser Erkenntnis fußten die alten Lehren des Strafprozessrechts, die die Strafzumessung für eine Arbeit am<br />

"Tatsächlichen" gehalten <strong>und</strong> sie deshalb der "Domäne" des Tatrichters zugewiesen haben (vgl. noch Dreher,<br />

SJZ 1947, S. 562 ; Geerds, JZ 1968, S. 390 ). Daran bleibt richtig, dass die Umstände, aus denen<br />

auf die Angemessenheit einer bestimmten Strafe zu schließen ist, nicht nur durch das Lesen von Texten, sondern<br />

auch aufgr<strong>und</strong> unmittelbarer Beobachtung erkennbar werden. Im Zentrum dieser Umstände steht die Person des<br />

Verurteilten, seine Vergangenheit <strong>und</strong> absehbare Zukunft, sein damaliges <strong>und</strong> jetziges Verhältnis zur Tat, seine<br />

Glaubwürdigkeit <strong>und</strong> seine Orientierung. Ohne eine treffende Würdigung dieser Umstände kann eine Strafzumessung<br />

weder hinsichtlich des Maßes der Schuld (§ 46 Abs. 1 Satz 1 StGB) noch hinsichtlich der Einschätzung<br />

künftiger Wirkungen der Strafe (§ 46 Abs. 1 Satz 2 StGB) gelingen.<br />

89 Diese tatsächlichen Gr<strong>und</strong>lagen einer Strafzumessungsentscheidung sind einem Dritten, der sie nicht selbst<br />

unmittelbar beobachtet hat, nur unter Verlust von Informationen vermittelbar. Der Eindruck des Tatrichters, der<br />

die Strafe unter diesem Eindruck zuzumessen <strong>und</strong> zu verantworten hat, lässt sich dem Revisionsrichter nur unzureichend<br />

übermitteln. Dies ist einer der Gründe, warum das deutsche Strafprozessrecht die Anwesenheit des Angeklagten<br />

in der Hauptverhandlung nachdrücklich sichert (vgl. in diesem Zusammenhang auch BVerfGE 63,<br />

332 ; BVerfGK 3, 27 ).<br />

90 dd) Gleichwohl ist § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO nicht wegen Verstoßes gegen den Anspruch eines Angeklagten<br />

auf ein faires Verfahren verfassungswidrig <strong>und</strong> damit nichtig. Die Vorschrift lässt sich verfassungskonform auslegen<br />

<strong>und</strong> handhaben.<br />

91 Der Respekt vor dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber verbietet es dem B<strong>und</strong>esverfassungsgericht, eine<br />

gesetzliche Vorschrift aufzuheben, wenn diese durch Interpretation in den Grenzen des Gr<strong>und</strong>gesetzes aufrechterhalten<br />

werden kann (BVerfGE 86, 288 ) <strong>und</strong> dabei ihren Sinn nicht verliert (BVerfGE 88, 203 ).<br />

Den Möglichkeiten verfassungskonformer Auslegung sind jedoch Grenzen gesetzt. Verfassungskonforme Aus-<br />

196


legung ist dort nicht statthaft, wo sie zu dem Gesetzeswortlaut <strong>und</strong> dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers<br />

in Widerspruch treten würde (vgl. u.a. BVerfGE 71, 81 ; 95, 64 ). Den Gerichten ist es verwehrt,<br />

im Wege der Auslegung einem nach Wortlaut <strong>und</strong> Sinn eindeutigen Gesetz einen entgegengesetzten Sinn<br />

zu geben oder den normativen Gehalt einer Vorschrift gr<strong>und</strong>legend neu zu bestimmen (BVerfGE 90, 263<br />

). Eine solche Korrektur des Gesetzes würde nicht zuletzt Art. 100 Abs. 1 GG zuwiderlaufen, der die Autorität<br />

des parlamentarischen Gesetzgebers im Verhältnis zur Rechtsprechung wahren soll (BVerfGE 63, 131<br />

; 86, 71 ).<br />

92 Verfassungskonform ist § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO ausgelegt, wenn die Kompetenz der Revisionsgerichte zu<br />

eigener Strafzumessung davon abhängt, dass ihnen für die Sachentscheidung ein zutreffend ermittelter, vollständiger<br />

<strong>und</strong> aktueller Strafzumessungssachverhalt zur Verfügung steht. Unter dieser Voraussetzung lässt sich die<br />

Strafzumessung nach § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO auch in der Revisionsinstanz verfassungskonform handhaben.<br />

Demgegenüber hat das Revisionsgericht von einer eigenen Entscheidung abzusehen <strong>und</strong> die Festsetzung der<br />

Rechtsfolgen dem Tatgericht zu überlassen, wenn ihm ein solcher Sachverhalt nicht vorliegt oder wenn nicht<br />

auszuschließen ist, dass die tatsächliche Gr<strong>und</strong>lage der Strafzumessung unzureichend sein könnte.<br />

93 Weder der Wortlaut der Bestimmung noch die Zielvorgaben, die der Gesetzgeber mit § 354 Abs. 1 a Satz 1<br />

StPO verfolgt hat, stehen dieser einschränkenden Auslegung entgegen. Das Ziel des Gesetzgebers, durch die<br />

Erweiterung der Sachentscheidungsbefugnisse des Revisionsgerichts die Abwicklung von Strafverfahren unter<br />

Schonung justizieller Ressourcen zu beschleunigen (BTDrucks 15/3482, S. 21), wird durch sie nicht beeinträchtigt.<br />

94 ee) Jedoch kann das Revisionsgericht auf Gr<strong>und</strong> der Fehleranfälligkeit jeglicher Strafzumessung anhand eines<br />

vorinstanzlichen Urteils nicht ohne Weiteres davon ausgehen, dass ihm ein Sachverhalt zur Verfügung steht, der<br />

für eine fehlerfreie Strafzumessung hinreicht. Von Ausnahmen abgesehen, wird es sich deshalb über das Vorliegen<br />

einer vollständigen <strong>und</strong> verlässlichen Entscheidungsgr<strong>und</strong>lage Gewissheit verschaffen müssen. Dies kann<br />

nicht im Wege einer Beweisaufnahme geschehen; denn diese hat der Gesetzgeber für das Revisionsverfahren<br />

aus guten Gründen nicht vorgesehen. Die Möglichkeit, Beweise zu erheben, lässt sich auch nicht im Wege verfassungskonformer<br />

Interpretation in § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO hineinlesen. Eine Auslegung, die dem Revisionsgericht<br />

die Erhebung von Beweisen über strafzumessungsrelevante Tatsachen ermöglichen oder gar vorschreiben<br />

wollte, überschritte die Grenzen zulässiger Norminterpretation. Sie führte zu einer gr<strong>und</strong>legenden<br />

Neustrukturierung nicht nur der Norm, sondern des gesamten Revisionsverfahrens <strong>und</strong> stünde deshalb nicht<br />

mehr im Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers.<br />

95 Das Revisionsgericht kann sich aber auf andere Weise als durch eine förmliche Beweisaufnahme über die tatsächliche<br />

Gr<strong>und</strong>lage seiner Strafzumessung ins Bild setzen. Dies kann dadurch geschehen, dass das Gericht dem<br />

Angeklagten die Gelegenheit zur Stellungnahme im Revisionsverfahren einräumt. Erhält ein Angeklagter<br />

Kenntnis von einer beabsichtigten Entscheidung nach § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO, kann er - sofern er Einwände<br />

gegen eine solche Entscheidung hegt - die Möglichkeit ergreifen, gegen diese vorzutragen. Über einen möglicherweise<br />

unzureichenden oder nicht mehr aktuellen Strafzumessungssachverhalt würde das Revisionsgericht<br />

damit informiert (Frisch, StV 2006, S. 431 ).<br />

96 Aus diesem Gr<strong>und</strong> hat das Revisionsgericht den Angeklagten auf die aus seiner Sicht für eine Sachentscheidung<br />

nach § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO sprechenden Gründe hinzuweisen. Eines derartigen Hinweises bedarf es nur<br />

dann nicht, wenn - etwa wegen eines mit Gründen versehenen Antrags der Staatsanwaltschaft, auf den das Revisionsgericht<br />

seine Entscheidung stützen will - angenommen werden kann, dass der Angeklagte Kenntnis von einer<br />

im Raum stehenden Strafzumessungsentscheidung des Revisionsgerichts erlangt hat.<br />

97 Die Pflicht, dem Angeklagten die Möglichkeit zu bieten, zu einer Sachentscheidung des Revisionsgerichts Stellung<br />

zu nehmen, ist mit den Beschränkungen, denen eine verfassungskonforme Auslegung unterworfen ist, vereinbar.<br />

Die Gesetzgebungsgeschichte spricht nicht gegen ein Gebot, den Angeklagten zu informieren <strong>und</strong> gegebenenfalls<br />

anzuhören. Zwar hat sich das zunächst vorgesehene Erfordernis eines Antrags der Revisionsstaatsanwaltschaft<br />

für eine Sachentscheidung nach § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO im fortschreitenden Gesetzgebungsverfahren<br />

verloren (vgl. demgegenüber noch die Fassung im Entwurf des B<strong>und</strong>esrats zu einem Zweiten Gesetz zur<br />

Entlastung der Rechtspflege, BTDrucks 13/4541, S. 7). Dies ist aber kein ausreichendes Indiz für eine Absicht<br />

des Gesetzgebers, den Angeklagten im Verfahren über eine beabsichtigte Strafzumessungsentscheidung des Revisionsgerichts<br />

im Unklaren zu lassen.<br />

98 Auch das Ziel des Gesetzgebers, mit § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO das Strafverfahren zu beschleunigen, wird<br />

durch die Verpflichtung, dem Angeklagten die Möglichkeit der Stellungnahme zu geben, nicht in Frage gestellt.<br />

Das Informations- <strong>und</strong> Anhörungsverfahren muss kein mündliches sein. Das Revisionsgericht ist nicht gehalten,<br />

eine eigene Rechtsfolgenentscheidung nur nach Durchführung einer zeitintensiven Revisionshauptverhandlung<br />

197


zu treffen. Hinweis <strong>und</strong> Anhörung können - entsprechend der Möglichkeit des Revisionsgerichts, außerhalb einer<br />

Hauptverhandlung im Schriftwege durch Beschluss zu entscheiden - schriftlich erfolgen. Allerdings muss<br />

aus dem Hinweis für den Angeklagten deutlich werden, warum das Revisionsgericht der Auffassung ist, nach<br />

§ 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO verfahren zu können.<br />

99 Unerlässlich werden insoweit konkrete Ausführungen zur "Angemessenheit" der Strafe trotz der im tatrichterlichen<br />

Urteil festgestellten Rechtsfolgenzumessungsfehler sein; denn nur dann ist gewährleistet, dass sich der Angeklagte<br />

umfassend verteidigen kann. Er kann zum einen rechtliche Gründe gegen eine Strafzumessungsentscheidung<br />

des Revisionsgerichts vorbringen, indem er mit Blick auf den vom Tatgericht begangenen Strafzumessungsfehler<br />

die Angemessenheit der aufrechtzuerhaltenden Strafe in Abrede stellt. Er kann aber auch gegen<br />

die Strafzumessungsgr<strong>und</strong>lage vortragen. Einwände, die der Angeklagte gegen die Richtigkeit <strong>und</strong> Aktualität<br />

des Strafzumessungssachverhalts erhebt, hat das Revisionsgericht zu berücksichtigen.<br />

100 Dieser Verpflichtung kann nicht entgegengehalten werden, die Beschäftigung des Gerichts mit tatsächlichen<br />

Feststellungen sei dem deutschen Revisionsverfahren fremd. Zum einen hat das Revisionsgericht nicht förmlich<br />

Beweis zu erheben. In dem Verfahren über die Anhörung des Angeklagten vor einer Sachentscheidung nach<br />

§ 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO geht es um eine Plausibilitätsprüfung der abgegebenen Stellungnahme. Das Revisionsgericht<br />

wird zu entscheiden haben, ob stichhaltige Gründe vorliegen, die einer eigenen Strafzumessung im<br />

Wege stehen. Zum anderen verändert die Verpflichtung, dem Angeklagten Gelegenheit zur Äußerung zu geben,<br />

das Revisionsverfahren nicht weitergehend als dies bereits durch die Einführung einer Strafzumessungskompetenz<br />

der Revisionsgerichte geschehen ist. Weist man den Revisionsgerichten tatrichterliche Entscheidungsmöglichkeiten<br />

zu, so muss man ihnen entsprechende Verpflichtungen auferlegen. Anderenfalls hätten die Revisionsgerichte<br />

weiterreichende Strafzumessungskompetenzen als die Tatgerichte, was nicht zuletzt der Absicht des<br />

Gesetzgebers, mit § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO die Sachentscheidungsbefugnisse der Rechtsmittelgerichte nur<br />

"behutsam zu erweitern" (BTDrucks 15/3482, S. 22), widerspräche.<br />

101 Die Anhörungsverpflichtung dient in angemessener Weise der Wahrung rechtlichen Gehörs. Die nachträgliche<br />

Anhörungsrüge kann als ein allein zur Korrektur vorgekommener Gehörsverstöße dienender Notbehelf die primäre<br />

Gewährung rechtlichen Gehörs nicht regelhaft ersetzen.<br />

102 ff) Die Verpflichtung, dem Angeklagten ein konkretes Äußerungsrecht einzuräumen, ist nicht der einzige Aspekt,<br />

den die Revisionsgerichte beachten müssen, um § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO verfassungsgemäß zu handhaben.<br />

Macht das Revisionsgericht von der ihm in der genannten Vorschrift eingeräumten Strafzumessungskompetenz<br />

Gebrauch, muss es seine Entscheidung jedenfalls dann begründen, wenn sich aus den zu Gr<strong>und</strong>e liegenden<br />

Feststellungen <strong>und</strong> Wertungen der Tatsachengerichte, einer etwaigen Stellungnahme der Staatsanwaltschaft oder<br />

des Angeklagten sowie eines möglichen Hinweises des Revisionsgerichts selbst die für die Strafzumessung relevanten<br />

Umstände <strong>und</strong> deren konkretes Gewicht nicht schon in einer Weise ergeben, die es dem Angeklagten ermöglicht,<br />

die Gründe für die Strafzumessung <strong>und</strong> damit die Wahrung des rechtsstaatlichen Gebots schuldangemessenen<br />

Strafens (vgl. BVerfGE 20, 323 ; 86, 288 ; stRspr) nachzuvollziehen.<br />

103 Ungeachtet des Gr<strong>und</strong>satzes, wonach letztinstanzliche Entscheidungen nicht begründet werden müssen (vgl. u.a.<br />

BVerfGE 50, 287 ; Beschluss des Zweiten Senats des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts vom 22. Januar 1982<br />

– 2 BvR 1506/81 -, NJW 1982, S. 925), ist in solchen Fällen angesichts des gerade in der Strafzumessung zum<br />

Ausdruck kommenden sozial-ethischen Unwerturteils über Tat <strong>und</strong> Täter (BVerfGE 96, 245 ) eine Begründung<br />

geboten. Da mit der Kompetenz zur Strafzumessung durch das Revisionsgericht eine Durchbrechung<br />

der strafprozessualen Maximen der Ummittelbarkeit <strong>und</strong> Mündlichkeit sowie des Verfahrens in öffentlicher<br />

Hauptverhandlung einhergeht, die auch der Sicherung der Akzeptanz staatlichen Strafens dienen, kommt dem<br />

Begründungserfordernis eine kompensatorische Bedeutung zu. Eine Strafzumessungsentscheidung des Revisionsgerichts,<br />

die auf bislang im Verfahren nicht oder wesentlich anders gewichteten Umständen beruht, dies aber<br />

nicht erkennen lässt, würde die allgemeinen Gr<strong>und</strong>sätze eines rechtsstaatlichen <strong>und</strong> transparenten Strafverfahrens<br />

nicht hinreichend beachten <strong>und</strong> brächte die Gefahr mit sich, dass sich der Angeklagte als Objekt staatlichen<br />

Handelns empfindet <strong>und</strong> die Akzeptanz der Entscheidung leidet.<br />

104 c) § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO verstößt nicht gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.<br />

105 Dieses prozessuale Gr<strong>und</strong>recht schützt den Anspruch des Bürgers auf eine Entscheidung seiner Rechtssache<br />

durch den hierfür von Gesetzes wegen vorgesehenen Richter, indem es eine sachfremde Einflussnahme auf die<br />

rechtsprechenden Organe verbietet (BVerfGE 22, 254 ). Adressaten des Verbots sind neben der Exekutive<br />

auch die Judikative <strong>und</strong> die Legislative. Öffentlicher Gewalt <strong>und</strong> Rechtsprechung ist es untersagt, durch gezielte<br />

Eingriffe richterliche Zuständigkeiten zu verändern (BVerfGE 82, 286 ).<br />

106 Für den Gesetzgeber folgt aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG<br />

die Pflicht, Normen, die gerichtliche Zuständigkeiten bestimmen, so zu fassen, dass aus ihnen der im Einzelfall<br />

198


zuständige Richter möglichst eindeutig erkennbar wird (vgl. u.a. BVerfGE 6, 45 ; 30, 149 ; 95,<br />

322 ). Dabei darf ein Gesetz, mit dem das zuständige Gericht bezeichnet wird, durchaus auslegungsbedürftige<br />

Rechtsbegriffe verwenden, sofern es unzulässigen Einflüssen generell vorbeugen kann. Insbesondere<br />

muss es die Gewähr dafür bieten, dass die konkrete gerichtliche Entscheidung nicht durch eine gezielte Auswahl<br />

der Richter beeinflusst werden kann (vgl. BVerfGE 95, 322 ).<br />

107 aa) Die Verfahrensgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG wird – entgegen im Schrifttum vertretener Auffassung<br />

(Franke, a.a.O.) – nicht dadurch berührt, dass der Gesetzgeber mit § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO den Revisionsgerichten<br />

die Möglichkeit eingeräumt hat, im Wege einer wertenden Entscheidung abschließend über strafrechtliche<br />

Rechtsfolgen zu befinden.<br />

108 Der Umstand, dass die Entscheidungen oberster Gerichtshöfe des B<strong>und</strong>es <strong>und</strong> anderer letztinstanzlicher Rechtsmittelgerichte<br />

nicht mehr justiziabel sind, steht der Verlagerung tatrichterlicher Aufgaben auf diese Spruchkörper<br />

nicht entgegen. Weder Art. 19 Abs. 4 GG noch das allgemeine Rechtsstaatsprinzip gewährleisten einen Instanzenzug<br />

<strong>und</strong> damit eine Überprüfung gerichtlicher Tatsachenentscheidungen (BVerfGE 87, 48 m.w.N.;<br />

stRspr).<br />

109 bb) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist auch nicht deshalb verletzt, weil § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO dem Revisionsgericht<br />

das freie Ermessen einräumt, bei von ihm so eingeschätzter Angemessenheit der Rechtsfolge selbst zu entscheiden<br />

oder das Verfahren an ein Tatgericht zurückzuverweisen. Zwar kollidiert eine Vorschrift, die bei konkurrierenden<br />

Gerichtsständen die Festlegung der richterlichen Zuständigkeit in die Hände eines der als zuständig<br />

in Betracht kommenden Gerichte oder gar in die Hände anderer Justizbehörden legt, im Regelfall mit Art. 101<br />

Abs. 1 Satz 2 GG (BVerfGE 22, 254 ). Jedoch gilt dieser Gr<strong>und</strong>satz nicht ausnahmslos. Übergeordnete<br />

rechtliche Interessen können es gebieten, die Bestimmung des zuständigen Gerichts an Stelle des Gesetzgebers<br />

einem Organ der Rechtspflege zu überlassen.<br />

110 Anerkannt hat das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht einen solchen Ausnahmefall für § 354 Abs. 2 StPO. Die Vorschrift<br />

erlaubt es dem Revisionsgericht, das Strafverfahren nach Aufhebung des angefochtenen Urteils – sofern es sich<br />

nicht um ein oberlandesgerichtliches Erkenntnis handelt - an jedes gleichgeordnete Gericht desselben Landes<br />

zurückzuverweisen. Diese Wahlbefugnis ist hinzunehmen, da nur sie es dem Revisionsgericht gestattet, seinen<br />

gesetzlichen Auftrag, für eine materiell gerechte Endentscheidung im Strafverfahren zu sorgen, zu erfüllen. Das<br />

Revisionsgericht muss die Möglichkeit besitzen, unter mehreren Gerichten dasjenige auszuwählen, das die größte<br />

Gewähr für eine sorgfältige Beachtung der obergerichtlichen Rechtsauffassung bietet (BVerfGE 20, 336<br />

).<br />

111 Aus ähnlichen Erwägungen steht auch § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG in Einklang.<br />

Dem verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Recht, das für die abschließende Entscheidung im Strafverfahren<br />

zuständige Gericht zu bestimmen, entspricht das Recht des Revisionsgerichts, sich selbst für zuständig zu<br />

erklären. Die Bestimmung dient der Prozessökonomie <strong>und</strong> zielt damit auf die Erhaltung der Fähigkeit der Strafrechtspflege<br />

zu sowohl materiell gerechten als auch zeitgerechten Entscheidungen.<br />

112 II. 1. Der Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 25. Juli 2005 ist aufzuheben, weil er dem<br />

verfassungskonform ausgelegten § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO nicht gerecht wird. Das Oberlandesgericht hat seine<br />

Entscheidung nicht ausreichend begründet <strong>und</strong> damit den aus dem Rechtsstaatsgebot in Verbindung mit Art. 2<br />

Abs. 1 GG folgenden Anspruch des Beschwerdeführers zu 1. auf ein faires Verfahren verletzt.<br />

113 Der Beschwerdeführer hat im Revisionsverfahren umfangreich gegen die von der Generalstaatsanwaltschaft<br />

beantragte Anwendung des § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO vorgetragen. Mit diesem Vorbringen hat sich das Oberlandesgericht<br />

in seinem angegriffenen Beschluss nicht auseinandergesetzt. Auch die Gründe des auf die Gegenvorstellung<br />

hin ergangenen Beschlusses <strong>und</strong> die Ausführungen in der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft<br />

vermögen die Sachentscheidung des Revisionsgerichts nicht nachvollziehbar zu tragen.<br />

114 Generalstaatsanwaltschaft <strong>und</strong> Oberlandesgericht haben es dort bei einem pauschalen, nicht näher ausgeführten<br />

Bezug auf das "verwirklichte Tatunrecht" <strong>und</strong> die "gravierenden Tatfolgen" belassen. Hier hätte es näherer Darlegungen<br />

dazu bedurft, warum diese Faktoren trotz einer erheblichen Änderung des Schuldvorwurfs im Revisionsverfahren<br />

zu Gunsten des Beschwerdeführers geeignet gewesen sein sollen, die vom Tatgericht verhängte<br />

Strafe zu rechtfertigen. Dies gilt umso mehr, als sich gerade der Umfang des Tatvorwurfs durch den Wechsel<br />

der Schuldform im Revisionsverfahren verändert hat <strong>und</strong> die erheblichen Tatfolgen bereits vom Tatgericht bei<br />

der Strafzumessung erschwerend berücksichtigt worden waren, gleichwohl aus dessen Sicht aber nur im Verb<strong>und</strong><br />

mit bewusster Fahrlässigkeit eine nicht zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von zwei Jahren gerechtfertigt<br />

haben.<br />

115 Ob die Entscheidung des Oberlandesgerichts den Beschwerdeführer in weiteren Gr<strong>und</strong>rechten verletzt, bedarf<br />

angesichts des festgestellten Verfassungsverstoßes keiner weiteren Erörterung.<br />

199


116 2. Ob der Beschluss des B<strong>und</strong>esgerichtshofs vom 2. Dezember 2004 den Beschwerdeführer zu 2. in seinem<br />

Anspruch auf ein faires Verfahren verletzt, kann der Senat anhand des Beschwerdevorbringens nicht feststellen.<br />

Die Gründe der angefochtenen Entscheidung deuten lediglich darauf hin, dass eine Anwendung des § 354 Abs.<br />

1 a Satz 1 StPO durch den Generalb<strong>und</strong>esanwalt nicht beantragt wurde <strong>und</strong> der B<strong>und</strong>esgerichtshof keinen entsprechenden<br />

Hinweis gegeben hat. Letztlich bedarf die Frage einer Verletzung des Anspruchs des Beschwerdeführers<br />

auf ein faires Verfahren aber keiner Klärung. Die Entscheidung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs verletzt den Beschwerdeführer<br />

jedenfalls in seinem Verfahrensgr<strong>und</strong>recht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.<br />

117 Der B<strong>und</strong>esgerichtshof hat nach § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO entschieden, obwohl die Voraussetzungen für eine<br />

Anwendung dieser Norm nicht vorgelegen haben. Durch diese Annahme eigener Zuständigkeit wurde dem Beschwerdeführer<br />

der gesetzliche Richter entzogen.<br />

118 Der B<strong>und</strong>esgerichtshof hat § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO angewendet, obwohl nicht lediglich eine Gesetzesverletzung<br />

bei Zumessung der Rechtsfolgen vorgelegen hat. Der Strafsenat sah sich zugleich zu einer Korrektur des<br />

Schuldspruchs wegen einer über § 154 a Abs. 2 StPO vorgenommenen Beschränkung des Tatvorwurfs veranlasst.<br />

119 Mit dem Wortlaut des § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO ist dieses Vorgehen nicht zu vereinbaren. Die Bestimmung<br />

lässt ihre Anwendung "nur" bei einer Gesetzesverletzung anlässlich der Zumessung der Rechtsfolgen zu. Dies<br />

schließt eine Strafzumessungsentscheidung des Revisionsgerichts aus, wenn zugleich eine Neuentscheidung über<br />

einen – fehlerhaften - Schuldspruch erfolgen muss.<br />

120 Der Argumentation des Generalb<strong>und</strong>esanwalts, wonach der Wortlaut des § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO eine Strafzumessungsentscheidung<br />

auch im Zusammenhang mit einer Schuldspruchberichtigung erlaube, ist nicht zu folgen.<br />

Beruht ein fehlerhafter Rechtsfolgenausspruch auf einem Fehler im Schuldspruch, so liegt gerade keine nur<br />

die Rechtsfolgenzumessung betreffende Gesetzesverletzung vor.<br />

121 Nun zieht aber der Wortlaut des Gesetzes im Strafprozessrecht - anders als im materiellen Strafrecht - keine<br />

starre Auslegungsgrenze. Obwohl auch im <strong>Verfahrensrecht</strong> Gründe eines aus Art. 20 Abs. 3 GG abzuleitenden<br />

Vertrauensschutzes für eine strikt am Gesetzeswortlaut angelehnte Auslegung sprechen (vgl. Beschluss der 3.<br />

Kammer des Zweiten Senats des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts vom 15. Oktober 2004 - 2 BvR 1316/04 -, NJW<br />

2005, S. 352 ), ist im Prozessrecht mehr Raum für eine an teleologischen Gesichtspunkten ausgerichtete<br />

Norminterpretation. Eine solche Interpretation, die als richterliche Rechtsfortbildung den klaren Wortlaut des<br />

Gesetzes hintanstellt, ihren Widerhall nicht im Gesetz findet <strong>und</strong> vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder – bei<br />

Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke – stillschweigend gebilligt wird, greift aber unzulässig in<br />

die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein.<br />

122 Die Materialien zu § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO lassen nicht erkennen, dass der Gesetzgeber § 354 Abs. 1 a Satz 1<br />

StPO bei gleichzeitiger Schuldspruchkorrektur zur Anwendung bringen wollte. Das von ihm ausgedrückte Ziel,<br />

mit dieser Vorschrift "die bisherigen Sachentscheidungsbefugnisse der Revisionsgerichte behutsam zu erweitern"<br />

(BTDrucks 15/3482, S. 22), ist keine tragfähige Gr<strong>und</strong>lage für eine solche Auslegung. Zwar gehörten vor<br />

Einführung des § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO Schuldspruchkorrekturen nach § 354 Abs. 1 StPO "analog" zum<br />

Entscheidungsrepertoire der Revisionsgerichte. Die Sachentscheidungskompetenz der Revisionsgerichte in geringem<br />

Umfang erweitern zu wollen, ist aber keine gesetzgeberische Absichtserklärung, der die Befürwortung<br />

einer Koppelung dieser Rechtsprechung mit einer Anwendung des § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO entnommen werden<br />

könnte. Denn die Verbindung von Schuldspruchkorrektur <strong>und</strong> Rechtsfolgenzumessung erweitert die Kompetenz<br />

der Revisionsgerichte nicht nur "behutsam" (Ignor, Festschrift für Hans Dahs, Köln 2005, S. 281 ).<br />

In der Kombination von Schuldspruchberichtigung <strong>und</strong> Prüfung der Angemessenheit der verhängten Strafe erhalten<br />

die Revisionsgerichte vielmehr umfassende Möglichkeiten, an Stelle des Tatgerichts selbst in der Sache<br />

zu entscheiden.<br />

123 Auch wenn es nicht ohne Weiteres einleuchten mag, dass der Gesetzgeber in dem Bestreben, das Strafverfahren<br />

durch Strafzumessungsentscheidungen der Revisionsgerichte zu beschleunigen, bei seiner Neuregelung die in<br />

der revisionsrechtlichen Praxis häufig vorkommenden Fälle außer Acht gelassen hat, in denen der Rechtsfolgenausspruch<br />

eines Urteils wegen eines Fehlers schon im Schuldspruch <strong>und</strong> nicht erst bei der Zumessung der<br />

Rechtsfolgen korrekturbedürftig wird, darf der Rechtsanwender sich im gewaltenteilenden Rechtsstaat nicht über<br />

den klaren Wortlaut eines Gesetzes hinwegsetzen, um einem vermuteten Ziel des Gesetzgebers Wirkung zu<br />

verschaffen.<br />

200


StPO § 356a Rechtliches Gehör in der Revisionsinstanz<br />

BGH, Beschl. v.06.11.2006 – 1 StR 50/06 - NJW 2006, S. 3290<br />

Das rechtliche Gehör ist verletzt, wenn der Angeklagte keine Gelegenheit zur Stellungnahme hatte,<br />

nicht aber, wenn die Verteidigung infolge ihrer Einschätzung der Rechtslage mündliche Ausführungen<br />

in der Revisionshauptverhandlung zu einem Schreiben für entbehrlich hielt, das sie nicht<br />

nur selbst schriftlich vorgetragen hat, sondern das darüber hinaus auch noch durch den detailgenauen<br />

Vortrag seines Inhalts durch den Berichterstatter in einer an Offenk<strong>und</strong>igkeit nicht zu überbietenden<br />

Weise als für die Entscheidung möglicherweise bedeutsam gekennzeichnet wurde.<br />

Der Antrag des Verurteilten, das Verfahren wegen Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör in die Lage<br />

vor Erlass des Urteils vom 9. August 2006 zurückzuversetzen, wird auf seine Kosten zurückgewiesen. Damit erledigt<br />

sich auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel des Aufschubs der Vollstreckung.<br />

Gründe:<br />

Die Verteidigung hat im Rahmen ihrer schriftlichen Revisionsbegründung das Schreiben des Rechtsanwalts Dr. Bo.<br />

vom 10. Januar 2005 (RB S. 134) selbst vorgetragen, um, so ihr eigener Vortrag, „dem Einwand des unvollständigen<br />

Revisionsvorbringens zu begegnen“. In der Hauptverhandlung vor dem Senat hat der Berichterstatter das Schreiben<br />

wörtlich referiert (§ 351 StPO). Der Vertreter der B<strong>und</strong>esanwaltschaft hat es in seinen Schlussausführungen gewürdigt.<br />

Das Vorbringen der Verteidigung, der Senat habe das Schreiben in seine Erwägungen einbezogen, ohne hierzu<br />

rechtliches Gehör zu gewähren, ist unter diesen Umständen unverständlich <strong>und</strong> im Übrigen unvereinbar mit Sinn <strong>und</strong><br />

Zweck des § 356a StPO (vgl. BTDrucks. 15/3706 S. 17). Das rechtliche Gehör ist verletzt, wenn der Angeklagte<br />

keine Gelegenheit zur Stellungnahme hatte, nicht aber, wenn die Verteidigung infolge ihrer Einschätzung der<br />

Rechtslage mündliche Ausführungen zu diesem Brief für entbehrlich hielt, den sie nicht nur selbst schriftlich vorgetragen<br />

hat, sondern der darüber hinaus auch noch durch den detailgenauen Vortrag seines Inhalts durch den Berichterstatter<br />

in einer an Offenk<strong>und</strong>igkeit nicht zu überbietenden Weise als für die Entscheidung möglicherweise bedeutsam<br />

gekennzeichnet wurde. Im Kern richten sich damit die neuerlichen Ausführungen der Verteidigung gegen die<br />

tragenden Gründe des Senatsurteils vom 9. August 2006. Die Anhörungsrüge dient jedoch nicht dazu, die angegriffene<br />

Entscheidung in der Sache in vollem Umfang nochmals zu überprüfen (vgl. auch BFH NJW 2005, 2639, 2640).<br />

Darauf, dass die Ausführungen auch unabhängig von der Gehörsfrage rechtlich offensichtlich unzutreffend sind,<br />

kommt es daher nicht mehr an. Maßgeblich für den Senat ist die Sachlage zur Zeit des Beschlusses der zur Entscheidung<br />

über das Ablehnungsgesuch berufenen Strafkammer vom 11. Januar 2005. Das Revisionsgericht - das über die<br />

Befangenheit nach Beschwerdegr<strong>und</strong>sätzen zu entscheiden hatte - durfte eine andere rechtliche Beurteilung an die<br />

damals vorliegenden tatsächlichen Erkenntnisse knüpfen (vgl. BVerfG - Kammern - Beschl. vom 28. Oktober 2001 -<br />

2 BvR 1452/01; Beschl. vom 20. April 2004 - 2 BvR 2043/03 <strong>und</strong> Beschl. vom 9. Februar 2005 - 2 BvR 1108/03).<br />

Zu den damals vorliegenden Erkenntnissen gehörten auch die zum Zeitpunkt des Kammerbeschlusses bekannten <strong>und</strong><br />

der Kammer zur Verfügung stehenden Beweismittel. Soweit die Verteidigung meint, der Senat habe es in einer gegen<br />

Art. 103 Abs. 1 GG verstoßenden Weise auch versäumt, sich mit der von der Verteidigung vorgetragenen <strong>und</strong><br />

einem renommierten Kommentator vertretenen Auffassung zum Verständnis des § 299 StGB auseinanderzusetzen,<br />

bezweckt die Verteidigung wiederum einen nicht von § 356a StPO gedeckten Angriff in der Sache selbst. Dabei<br />

übersieht sie sogar, dass der Senat auf die im Rechtsgutachten vertretene restriktive Auslegung des § 299 StGB<br />

schon deshalb nicht weiter einzugehen brauchte, weil der Mitverteidiger des Angeklagten, Prof. Dr. Wi. in seinem<br />

Schriftsatz vom 25. Juli 2006 selbst vorgetragen hat, dass der Begriff „Bevorzugung im Wettbewerb“ in BGHSt 49,<br />

214, 227 f. seine Klärung erfahren hat. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des §<br />

465 Abs. 1 StPO (vgl. BGH, Beschl. vom 8. März 2006 - 2 StR 387/91; OLG Köln NStZ 2006, 181).<br />

StrEG § 4 Abs. 1 Nr. 2 Billigkeitsentscheidung<br />

BGH, Beschl. vom 10.01.2007 - 5 StR 454/06 (alt: 5 StR 136/04, 5 StR 290/05)<br />

Zur Billigkeit einer Entschädigung gem. § 4 Abs. 1 Nr. 2 StrEG, wenn die Untersuchungshaft die<br />

verhängte Freiheitsstrafe übersteigt.<br />

Der 5. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 10. Januar 2007 beschlossen:<br />

201


1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 7. Juli 2006 wird nach § 349 Abs.<br />

2 StPO verworfen.<br />

2. Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird die Kostenentscheidung im vorgenannten Urteil dahingehend<br />

abgeändert, dass der Staatskasse die im zweiten Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen <strong>und</strong> notwendigen<br />

Auslagen des Angeklagten zur Last fallen; im Übrigen trägt der Angeklagte die Kosten des Revisionsverfahrens.<br />

Der Angeklagte trägt die Kosten seiner Beschwerde, jedoch wird die Gebühr um die Hälfte ermäßigt; die<br />

Staatskasse hat die insoweit entstandenen gerichtlichen Auslagen <strong>und</strong> notwendigen Auslagen des Angeklagten je zur<br />

Hälfte zu tragen.<br />

3. Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird das vorgenannte Urteil im Ausspruch über die Entschädigungspflicht<br />

aufgehoben. Dem Angeklagten wird dem Gr<strong>und</strong>e nach Entschädigung für die über die Gesamtfreiheitsstrafe<br />

hinausgehende Dauer der Untersuchungshaft gewährt. Die Staatskasse trägt die Kosten dieses Beschwerdeverfahrens<br />

<strong>und</strong> die insoweit dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen.<br />

G r ü n d e<br />

Die Revision des Angeklagten ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts unbegründet im<br />

Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Dagegen kann auf seine Kostenbeschwerde <strong>und</strong> seine Beschwerde gegen die Versagung<br />

der Entschädigung das Urteil des Landgerichts hinsichtlich dieser Nebenentscheidungen keinen Bestand haben.<br />

1. Die zulässige sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung im landgerichtlichen Urteil (§ 464 Abs. 3<br />

StPO) hat teilweise Erfolg. Das Landgericht hat den Teilerfolg im zweiten Revisionsverfahren, den der Angeklagte<br />

durch die Aufhebung <strong>und</strong> Zurückverweisung des Verfahrens erzielt hat, nicht ausreichend berücksichtigt. Nachdem<br />

der Angeklagte im ersten Revisionsverfahren vom Vorwurf des Betrugs freigesprochen <strong>und</strong> die Sache an das Landgericht<br />

zur Bildung einer neuen Gesamtstrafe zurückverwiesen wurde (BGH NJW 2004, 2603), hat der B<strong>und</strong>esgerichtshof<br />

im zweiten Durchgang die vom Landgericht verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> acht<br />

Monaten aufgehoben. Nunmehr hat das Landgericht den Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren<br />

<strong>und</strong> drei Monaten verurteilt. Der Senat hält es deshalb für billig (§ 473 Abs. 4 Satz 2 StPO), dass die gerichtlichen<br />

Auslagen <strong>und</strong> notwendigen Auslagen des Angeklagten, der durch das zweite Revisionsverfahren eine beträchtliche<br />

Verkürzung der Gesamtstrafe um fünf Monate erzielt hat, insoweit insgesamt der Staatskasse auferlegt werden. Die<br />

übrigen Kosten seiner Revision, die im dritten Durchgang letztlich ohne Erfolg geblieben ist, trägt der Angeklagte<br />

ebenso wie seine ihm weiterhin entstandenen notwendigen Auslagen. Der Teilerfolg seiner Kostenbeschwerde rechtfertigt<br />

es, hinsichtlich der Kosten der Kostenbeschwerde <strong>und</strong> seiner diesbezüglichen notwendigen Auslagen eine<br />

hälftige Quotelung vorzunehmen.<br />

2. Die nach § 8 Abs. 3 StrEG zulässige sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen die Versagung der Entschädigung<br />

hat Erfolg. Das Landgericht hat für die Dauer der vollzogenen Untersuchungshaft, soweit sie mit knapp dreieinhalb<br />

Monaten die letztlich rechtskräftig verhängte Gesamtfreiheitsstrafe überstieg, eine Entschädigung abgelehnt,<br />

da sie nicht der Billigkeit entspreche (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 StrEG). Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil<br />

das Landgericht sein Ermessen nicht rechtsfehlerfrei ausgeübt hat. Ob eine Entschädigung im Sinne des § 4 Abs. 1<br />

Nr. 2 StrEG der Billigkeit entspricht, ist aufgr<strong>und</strong> einer Gesamtabwägung zu beurteilen (BGH GA 1975, 208; BGHR<br />

StrEG § 4 Abs. 1 Nr. 2 Untersuchungshaft 4). Hier war neben der nicht unerheblichen überschießenden Dauer der<br />

Untersuchungshaft auch die besondere Härte zu berücksichtigen, die durch den faktischen Vorwegvollzug der Strafe<br />

im Wege der Untersuchungshaft für den Angeklagten entstanden ist. Als nicht vorbestrafter Erstverbüßer hätte er<br />

bereits zu einem früheren Zeitpunkt auf Vollzugslockerungen hoffen können, eine Reststrafaussetzung hätte nahe<br />

gelegen. Die von ihm verbüßte Untersuchungshaft, die entsprechende Lockerungen nicht erlaubt, stellt im Ver-gleich<br />

hierzu dagegen eine zusätzliche Härte dar, zumal der Angeklagte weiter durch eine Trennungsanordnung belastet<br />

war, was ihn – nach den Feststellungen des Landgerichts – während der Untersuchungshaft zeitweilig nochmals<br />

erheblich einschränkte, <strong>und</strong> er unter einer zusätzlichen Isolierung litt. Auch der weitere Gesichtspunkt des Landgerichts,<br />

wonach die besondere Vollzugssituation bereits in die Bildung der Gesamtstrafe eingeflossen sei, vermag hier<br />

die Entschädigung nicht auszuschließen. Zwar trifft zu, dass die Berücksichtigung eines solchen Umstandes im<br />

Rahmen der Strafzumessung bei der Prüfung der Billigkeit Bedeutung erlangen kann (BGHR StrEG § 4 Abs. 1 Nr. 2<br />

Untersuchungshaft 4). Im vorliegenden Fall kann der Senat jedoch ausschließen, dass die lange Dauer des Vollzugs<br />

der Untersuchungshaft im Rahmen der Gesamtstrafenbildung ein derartiges Gewicht erlangt hat, dass aus Billigkeitsgründen<br />

die Versagung einer Entschädigung gerechtfertigt ist. Angesichts einer Einsatzstrafe von einem Jahr<br />

<strong>und</strong> dem ausgeprägten zeitlichen <strong>und</strong> situativen Zusammenhang der Taten wäre eine höhere Gesamtfreiheitsstrafe,<br />

insbesondere vor dem Hintergr<strong>und</strong> des mittlerweile eingetretenen Zeitablaufs, schon ohne die Berücksichtigung der<br />

unangemessen langen Dauer der Untersuchungshaft kaum vertretbar. Hinsichtlich des rechtlichen Rahmens der Gesamtstrafenbildung<br />

wird ergänzend auf die Ausführungen des Senats in seiner Entscheidung im zweiten Revisionsverfahren<br />

(Beschluss vom 11. August 2005 – 5 StR 290/05) Bezug genommen. Der vollständige Erfolg der soforti-<br />

202


gen Beschwerde führt dazu, dass die Staatskasse die Kosten des Beschwerdeverfahrens <strong>und</strong> die dem Angeklagten<br />

entstandenen notwendigen Auslagen trägt.<br />

GG Art. 1; Art. 20 Abs. 3; StPO § 96; MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1; BerlLBG § 27 Abs. 3 Recht auf<br />

Verteidigung - Beamtenrecht<br />

BGH, Beschl. vom 5.06.2007 – 5 StR 383/06<br />

LS: Zur Abwägung der im Widerstreit stehenden verfassungsrechtlichen Rechtsgüter bei der Beschränkung<br />

des Rechts auf umfassende Verteidigung aufgr<strong>und</strong> beamtenrechtlicher Vorschriften.<br />

Der 5. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 5. Juni 2007 beschlossen:<br />

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 13. Januar<br />

2006 werden nach § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen. Die Staatskasse trägt die Kosten der Revisionen<br />

der Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> die den Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen. Jeder Angeklagte<br />

hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat das Verfahren gegen die Angeklagten wegen eines Verfahrenshindernisses durch Urteil gemäß<br />

§ 260 Abs. 3 StPO eingestellt. Die hiergegen gerichteten Revisionen der Staatsanwaltschaft, die – vertreten vom<br />

Generalb<strong>und</strong>esanwalt – die Aufhebung des Einstellungsurteils <strong>und</strong> Fortführung des Verfahrens erstrebt, sowie der<br />

Angeklagten, die ihre Freisprechung erreichen wollen, sind unzulässig.<br />

I. Mit unverändert zur Hauptverhandlung zugelassener Anklage wurde den Angeklagten eine größere Zahl von Straftaten<br />

zur Last gelegt, die sie im Zeitraum von Juni 2001 bis zum 30. Juli 2004 im Zusammenhang mit ihrer bis<br />

Sommer 2003 andauernden Tätigkeit als Polizeibeamte bei der Berliner Polizei im Bereich der Fahndung, Aufklärung<br />

<strong>und</strong> Observation, insbesondere im Umgang mit Informanten bzw. bei der Führung von Vertrauenspersonen,<br />

begangen haben sollen. Im Einzelnen handelt es sich um Tatvorwürfe der Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben<br />

mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in einer Vielzahl von Fällen (alle Angeklagte), der versuchten<br />

Strafvereitelung im Amt (Angeklagter N. ), der Vorteilsannahme <strong>und</strong> der uneidlichen Falschaussage (Angeklagte N.<br />

<strong>und</strong> H. ) sowie des Meineides <strong>und</strong> der Anstiftung zur Fälschung beweiserheblicher Daten (Angeklagter H. ).<br />

II. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde der Angeklagte N. seit September 1999 in der Direktion 5<br />

(FAO) der Berliner Polizei als Teamführer im Bereich der Führung von Vertrauenspersonen <strong>und</strong> Informanten eingesetzt.<br />

Seine Aufgabenstellung war die „Strukturerhellung“ von ethnischen Gruppen, insbesondere arabischen Großfamilien,<br />

im Bereich der Schwerstkriminalität. Der Angeklagte Hö. war seit 1999 im Team des Angeklagten N. mit<br />

der Führung von Informanten <strong>und</strong> Vertrauenspersonen betraut. Zur Tätigkeit des Angeklagten H. , der sich weder zu<br />

seinen persönlichen Verhältnissen noch zur Sache eingelassen hat, sind keine Feststellungen getroffen. Alle Angeklagten<br />

sind seit Sommer 2003 mit einem Verbot der Amtsausübung belegt.<br />

III. Der Verfahrenseinstellung ging nach den Feststellungen des Landgerichts folgendes Prozessgeschehen voraus:<br />

1. Die Angeklagten N. <strong>und</strong> Hö. haben die gegen sie erhobenen Tatvorwürfe bestritten <strong>und</strong> durch ihre Verteidiger<br />

erklären lassen, sie sähen sich als Polizeibeamte wegen ihrer Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit daran gehindert,<br />

sich gegen die nicht zutreffenden <strong>und</strong> willkürlich aus dem Zusammenhang gerissenen Anklagevorwürfe substantiiert<br />

zu verteidigen. Auch verbiete ihnen diese Pflicht, die Sach- <strong>und</strong> Rechtslage mit ihren Verteidigern zu erörtern.<br />

Insbesondere um Gesamtzusammenhänge <strong>und</strong> mögliche Interessen Dritter an ihrer Diskreditierung zu dokumentieren,<br />

seien Angaben zu Sachverhalten unabdingbar, die gr<strong>und</strong>sätzlich der Geheimhaltung unterlägen. Dazu<br />

gehörten Kriminaltaktik – auch <strong>und</strong> gerade im Hinblick auf Einzelfälle –, Polizeiinterna wie der Aufbau der VP- <strong>und</strong><br />

Informantenführung bei der Direktion 5 (FAO) <strong>und</strong> die spätere zentrale Organisation der VP-Führung bei dem LKA<br />

15 einschließlich der damit einhergehenden Kompetenzstreitigkeiten sowie nach dem 11. September 2001 geltende<br />

polizeiinterne Anweisungen <strong>und</strong> geheime dienstliche Vorschriften zur Führung von Quellen arabischer Herkunft.<br />

2. Der Angeklagte N. hat beantragt, ihm eine „erweiterte“ Aussagegenehmigung zu erteilen, hilfsweise erst nach<br />

vorherigem Ausschluss der Öffentlichkeit <strong>und</strong> Verpflichtung der Prozessbeteiligten zur Verschwiegenheit. Auf diesen<br />

Antrag hin hat das Landgericht für die Dauer der von dem Angeklagten N. beabsichtigten Sacheinlassung <strong>und</strong><br />

einer sich gegebenenfalls daran anschließenden Vernehmung zur Sache gemäß § 172 Nr. 1 GVG die Öffentlichkeit<br />

ausgeschlossen, die Anfertigung von Mitschriften durch den Prozessbeobachter des Polizeipräsidenten untersagt (§<br />

175 Abs. 2 Satz 1 GVG) <strong>und</strong> alle nach Ausschluss der Öffentlichkeit anwesenden Personen zur Verschwiegenheit<br />

verpflichtet (§ 174 Abs. 3 Satz 1 GVG).<br />

203


3. Gleichwohl haben auf Anfragen von Verteidigern, Ersuchen des Strafkammervorsitzenden <strong>und</strong> schließlich eine<br />

Gegenvorstellung der Strafkammer, die den Hinweis auf ein andernfalls drohendes Prozesshindernis enthielt, der<br />

Polizeipräsident in Berlin <strong>und</strong> sodann auch die Senatsverwaltung für Inneres des Landes Berlin die Erteilung einer<br />

umfassenden Aussagegenehmigung an die Angeklagten für Angaben gegenüber dem Gericht <strong>und</strong> gegenüber ihren<br />

Verteidigern abgelehnt. Die Angeklagten könnten sich aufgr<strong>und</strong> ihnen erteilter eingeschränkter Aussagegenehmigungen<br />

zu allen Punkten der Anklage gegenüber dem Gericht <strong>und</strong> ihren Verteidigern äußern, soweit nicht bislang<br />

unbekannte Vertrauenspersonen oder Informanten oder geheimhaltungsbedürftige polizeiinterne Regelungen zu<br />

Kriminaltaktik <strong>und</strong> zur Führung von Vertrauenspersonen <strong>und</strong> Informanten betroffen seien. Die erteilten Aussagegenehmigungen<br />

umfassten sämtliche rechtlichen Gr<strong>und</strong>lagen der Inanspruchnahme von Informanten <strong>und</strong> des Einsatzes<br />

von Vertrauenspersonen mit Ausnahme als Verschlusssache eingestufter polizeiinterner Geschäftsanweisungen. Für<br />

den Fall, dass sich bestimmte Regelungen hierin doch als verteidigungsrelevant erweisen sollten, bestehe die Möglichkeit,<br />

zu konkreten Fragen eine erweiterte Aussagegenehmigung zu erhalten. Auch könne ein als sachverständiger<br />

Zeuge benannter Mitarbeiter der Polizei zu diesen Angelegenheiten befragt werden. Da das vorliegende Verfahren<br />

wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln untrennbar mit der organisierten Betäubungsmittelszene<br />

der Region verb<strong>und</strong>en sei, komme indes eine umfassende Aussagegenehmigung nicht in Betracht.<br />

Die Belange der umfassenden gerichtlichen Wahrheitsfindung müssten in einem solchen Deliktsfeld zurückstehen,<br />

soweit dies der Einsatz der besonderen Ermittlungsmethoden des Einsatzes von Vertrauenspersonen <strong>und</strong> Informanten<br />

unbedingt erfordere. Denn diese Ermittlungsmethoden seien unverzichtbar <strong>und</strong> dürften nicht auf Dauer vereitelt<br />

werden.<br />

IV. Das Landgericht hat das Strafverfahren durch Urteil gemäß § 260 Abs. 3 StPO mit der Begründung eingestellt,<br />

dass das Gr<strong>und</strong>recht der Angeklagten auf umfassende Verteidigung der Fortführung des Verfahrens entgegenstehe.<br />

Denn der verfassungsrechtlich garantierte Anspruch der Angeklagten aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG<br />

sowie Art. 6 MRK auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren sei durch die Versagung der unbeschränkten Aussagegenehmigungen<br />

durch die Senatsverwaltung für Inneres im Kernbereich tangiert. Dem könne hier nur durch die<br />

Annahme eines Verfahrenshindernisses von Verfassungs wegen Rechnung getragen werden.<br />

1. Zwar dürfe das Recht auf Verteidigung, dem Verfassungsrang zukomme, dann eingeschränkt werden, wenn es nur<br />

in seinem Randbereich betroffen werde. Eine Beschränkung der Aussagegenehmigung, die das Recht auf Verteidigung<br />

in seinem Wesensgehalt antaste, könne dagegen nicht hingenommen werden. Der Inhalt <strong>und</strong> die Auslegung<br />

polizeiinterner Regelwerke beträfen hier den Schuldvorwurf gegen die Angeklagten im Kern <strong>und</strong> ließen allein die<br />

Beantwortung zentraler Fragestellungen zu. Den angeklagten Amtsträgern sei nicht zuzumuten, ihre Einlassung Satz<br />

für Satz danach abzutasten, ob sie im Einzelnen fremde Rechte verletzen könnte; sie müssten ihren Vortrag frei <strong>und</strong><br />

im Zusammenhang halten <strong>und</strong> relevante Tatsachen mitteilen können. Ihnen sei auch nicht zuzumuten, das Risiko<br />

disziplinar- <strong>und</strong> strafrechtlicher Vorwürfe auf sich zu nehmen, wenn sie ohne eine umfassend erteilte Aussagegenehmigung<br />

Sachverhalte offenbarten, die der Amtsverschwiegenheit unterliegen. Zudem sei es in Ansehung des<br />

verfassungsrechtlichen Stellenwerts des Äußerungsrechts der Angeklagten nicht hinzunehmen, dass diese vor der<br />

Beratung mit ihren Verteidigern mit der Senatsverwaltung für Inneres oder mit der Polizei Rücksprache zu nehmen<br />

hätten. Dies stelle eine externe Steuerung des Strafprozesses durch die Exekutive dar, die dem Rechtsstaat fremd sei.<br />

Auch würden den Angeklagten schwere Straftaten vorgeworfen, so dass ihnen Freiheitsstrafen sowie der Verlust<br />

ihres Amtes <strong>und</strong> ihrer beruflichen Reputation drohten.<br />

2. Zwar würden die durch eine verweigerte Aussagegenehmigung eingeschränkten Verteidigungsmöglichkeiten<br />

regelmäßig ein ausreichendes Regulativ durch den Gr<strong>und</strong>satz der freien Beweiswürdigung gemäß § 261 StPO <strong>und</strong><br />

das Prinzip „im Zweifel für den Angeklagten“ erfahren. Dies gelte jedoch nur dann, wenn sich das Strafverfahren<br />

trotz der Verkürzung der Beweisgr<strong>und</strong>lage in seiner Gesamtheit als rechtsstaatlich <strong>und</strong> fair erweise. Das sei hier<br />

jedoch nicht mehr der Fall.<br />

V. Die gegen die Verfahrenseinstellung durch Urteil gerichteten Revisionen der Staatsanwaltschaft sind als unzulässig<br />

zu verwerfen, weil die allein erhobene Verfahrensrüge nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO<br />

genügt.<br />

1. Zur Begründung der Verfahrensrüge ist der Beschwerdeführer verpflichtet, „die den Mangel enthaltenden Tatsachen“<br />

anzugeben. Diese Angaben haben mit Bestimmtheit <strong>und</strong> so genau <strong>und</strong> vollständig zu geschehen, dass das<br />

Revisionsgericht allein auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorläge,<br />

wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen wären (vgl. BVerfG NJW 2005, 1999, 2001; BGHR StPO § 344 Abs. 2<br />

Satz 2 Aufklärungsrüge 7). Daran fehlt es hier.<br />

a) Die Staatsanwaltschaft beanstandet allein, das Landgericht habe einen Beweisantrag auf Vernehmung von drei<br />

Polizeibeamten als Zeugen mit Unrecht als aus rechtlichen Gründen ohne Bedeutung (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO)<br />

204


abgelehnt. Sie ist der Auffassung, die Strafkammer hätte die beantragte Beweiserhebung vornehmen müssen, da sich<br />

hieraus ergeben hätte, dass das vom Landgericht angenommene Prozesshindernis nicht bestanden habe.<br />

b) Der Senat kann hier nicht allein aufgr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigungsschrift prüfen, ob ein Verfahrensfehler<br />

vorläge, wenn die behaupteten Tatsachen wahr wären. Denn die Staatsanwaltschaft hat an mehreren Stellen zur Darlegung<br />

des von ihr geltend gemachten Verfahrensfehlers auf bei den Akten befindliche Schriftstücke Bezug genommen,<br />

ohne diese in ihrem Wortlaut oder ihrem wesentlichen Inhalt nach in der Revisionsrechtfertigungsschrift mitzuteilen<br />

(vgl. BGHSt 40, 3, 5; BGH NStZ-RR 2006, 48, 49; BGH, Beschluss vom 30. September 2003 – 4 StR 315/03<br />

– <strong>und</strong> vom 1. Ju-ni 2006 – 4 StR 75/06, insoweit in NStZ-RR 2007, 107 nicht abgedruckt). Der Umstand, dass die<br />

Bezugnahme unter Benennung der Blattzahlen in den Strafakten erfolgt ist, ändert hieran nichts (vgl. BGH NStZ-RR<br />

2006, 48, 49). Zwar steht eine Bezugnahme auf Aktenteile der Zulässigkeit einer Verfahrensrüge dann nicht entgegen,<br />

wenn die Bezugnahme ohne Bedeutung für den geltend gemachten Verfahrensverstoß ist (vgl. BGHSt 40, 3, 5).<br />

So verhält es sich hier indes nicht. Vielmehr hat die Staatsanwaltschaft erkennbar deswegen mehrfach auf die in den<br />

Strafakten befindliche, in der Revisionsrechtfertigungsschrift aber nicht mitgeteilte schriftliche Einlassung des Angeklagten<br />

N. Bezug genommen, um die nach ihrer Ansicht bestehende tatsächliche oder rechtliche Bedeutsamkeit<br />

bestimmter Umstände für die Frage zu untermauern, ob – entgegen der Annahme des Landgerichts bei Ablehnung<br />

des Beweisantrags – die Voraussetzungen für ein Verfahrenshindernis durch die begehrte Beweisaufnahme zu widerlegen<br />

sind. Insgesamt will die Staatsanwaltschaft mit ihren Bezugnahmen die Richtigkeit ihrer Auffassung belegen,<br />

„dass der Zusammenhang zwischen den in Rede stehenden Straftaten <strong>und</strong> den internen Regelungen über die Arbeit<br />

mit Quellen fehl(e)“ (Revisionsbegründungsschrift S. 30). Dafür war die vollständige Mitteilung der in Bezug genommenen<br />

Aktenstellen unverzichtbar.<br />

2. Die Sachrüge ist nicht erhoben worden. Zwar genügt es, wenn sich aus den Einzelausführungen die den Inhalt der<br />

Sachrüge ausmachende schlüssige Behauptung ergibt, dass auf den im Urteil festgestellten Sachverhalt materielles<br />

Recht falsch angewendet worden sei (BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 1 Revisionsbegründung 2). Dies ist hier indes<br />

nicht der Fall. Vielmehr rügt die Staatsanwaltschaft ausdrücklich nur die Verletzung formellen Rechts <strong>und</strong> macht<br />

lediglich geltend, das Landgericht wäre auf der Gr<strong>und</strong>lage des von ihr gestellten Beweisantrags zu anderen Feststellungen<br />

gelangt, die die Annahme eines Verfahrenshindernisses nicht gerechtfertigt hätten. Hätte die Staatsanwaltschaft<br />

neben ihrer Verfahrensbeanstandung auch die Sachrüge erheben wollen, hätte sie diese Angriffsrichtung eindeutig<br />

zum Ausdruck bringen müssen (vgl. BGH NStE Nr. 9 zu § 344 StPO; vgl. auch zu unklarem Anfechtungsziel<br />

BGH NJW 2003, 839 <strong>und</strong> BGH, Beschluss vom 21. Mai 2003 – 5 StR 69/03).<br />

3. Die Unzulässigkeit der Verfahrensrüge führt bei Fehlen der Sachrüge zur Unzulässigkeit der Revision insgesamt<br />

(BGH NJW 1995, 2047; BGH, Beschluss vom 22. November 2005 – 1 StR 432/05 – <strong>und</strong> vom 17. Oktober 2000 – 1<br />

StR 413/00). Die Revisionen der Staatsanwaltschaft sind daher gemäß § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig zu verwerfen.<br />

Der Senat ist somit an der Prüfung gehindert, ob die Strafkammer zu Recht von einem Verfahrenshindernis<br />

ausgegangen ist.<br />

VI. Auch die Revisionen der Angeklagten sind, wie insoweit vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt zutreffend beantragt, unzulässig<br />

(§ 349 Abs. 1 StPO). Die Angeklagten sind durch die Einstellung des Verfahrens durch Prozessurteil gemäß §<br />

260 Abs. 3 StPO nicht beschwert. Eine Beschwer wird durch ein das Verfahren einstellendes Urteil regelmäßig nicht<br />

bewirkt (vgl. BGHSt 23, 257, 259; vgl. auch BGHR StPO § 333 Beschwer 2 betreffend Nebenentscheidungen).<br />

Wollte man aus einer verminderten Rechtskraftwirkung – Verfahrenseinstellung durch Prozessurteil wegen eines<br />

behebbaren Verfahrenshindernisses (vgl. Meyer-Goßner StPO 49. Aufl. § 260 Rdn. 48) – eine Beschwer der Angeklagten<br />

herleiten, wären die Revisionen aus den vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt für die Unzulässigkeit angeführten Gründen<br />

– nach ein-stimmiger Auffassung des Senats – offensichtlich unbegründet. Ein Fall, in dem der Freispruch Vorrang<br />

vor der Einstellung des Verfahrens hat, liegt nicht vor. Der Sachverhalt ist infolge des angenommenen Verfahrenshindernisses<br />

gerade nicht abschließend im Sinne eines Freispruchs geklärt worden (vgl. Meyer-Goßner aaO Rdn.<br />

44 m.w.N.).<br />

VII. Der Senat weist auf Folgendes hin:<br />

1. Ungeachtet nicht eingetretenen Strafklageverbrauchs bewirkt die materielle Rechtskraft der Verfahrenseinstellung,<br />

dass die Angeklagten nicht verfolgt werden dürfen, solange sich die Umstände, die nach Auffassung des Landgerichts<br />

zur Annahme des Verfahrenshindernisses geführt haben, nicht verändert haben (vgl. dazu Meyer-Goßner aaO<br />

Einl. Rdn. 142 ff., 172). Hierfür bedürfte es der Erteilung noch weitergehender Aussagegenehmigungen für die Angeklagten<br />

gegenüber ihren Verteidigern <strong>und</strong> gegenüber dem Gericht. Für diesen Fall müsste das Gericht dann gegebenenfalls<br />

zur Wahrung staatlicher Geheimhaltungsinteressen die in der bisherigen Hauptverhandlung vorgesehenen<br />

Maßnahmen treffen (vgl. zum strafrechtlichen Schutz § 353d StGB). Die Verteidiger wären an einer Offenbarung<br />

des ihnen von ihren Mandanten Anvertrauten durch ihre berufliche Verschwiegenheitspflicht gehindert (vgl. zum<br />

205


strafrechtlichen Schutz § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB), von der die Angeklagten, soweit deren amtliche Verschwiegenheitspflicht<br />

reicht, sie nicht entbinden dürften (vgl. auch § 353b StGB).<br />

2. Für die Beurteilung von Fällen der hier vorliegenden Art gilt allgemein Folgendes:<br />

a) Die Einschränkung der einem Angeklagten erteilten Aussagegenehmigung aufgr<strong>und</strong> beamtenrechtlicher Vorschriften<br />

kann das Recht auf umfassende Verteidigung mehr oder weniger beeinträchtigen. Wie der Gr<strong>und</strong>satz, dass<br />

niemand gezwungen werden darf, durch eigene Aussagen die Voraussetzungen für seine strafrechtliche Verurteilung<br />

zu liefern, hat dieses Recht Verfassungsrang (vgl. BVerfGE 56, 37, 49). Es gehört zu den f<strong>und</strong>amentalen Attributen<br />

menschlicher Würde <strong>und</strong> zu den gr<strong>und</strong>legenden Prinzipien des Rechtsstaats. Eine Beschränkung der Aussagegenehmigung,<br />

die das Recht auf Verteidigung in seinem Wesensgehalt antastet, kann als Verstoß gegen die Gr<strong>und</strong>norm<br />

des Art. 1 Abs. 1 GG von Verfassungs wegen nicht hingenommen werden. Sie träfe einen obersten in seiner Substanz<br />

nicht zur Disposition stehenden Wert (vgl. BGHSt 36, 44, 48 m.w.N.). Daraus folgt, dass ein Strafverfahren<br />

nicht durchgeführt werden darf, wenn staatliche Geheimhaltungsinteressen von großem Gewicht nicht anders als<br />

durch die Beschneidung wesentlicher Verteidigungsmöglichkeiten gewahrt werden können. Die aufgr<strong>und</strong> dieser<br />

Alternative vom Tatgericht geforderte prospektive Betrachtung wird sich vor allem an dem bestehenden oder fehlenden<br />

argumentativen Zusammenhang zwischen der von der Aussagebeschränkung betroffenen Thematik <strong>und</strong> dem<br />

historischen Geschehen, das Gegenstand der Kognition ist, orientieren müssen (BGH aaO). Dort, wo das Recht auf<br />

Verteidigung nur in seinem Randbereich betroffen wird, darf es indes eingeschränkt werden, wenn seine uneingeschränkte<br />

Ausübung die Wahrnehmung sehr gewichtiger, verfassungsmäßig legitimierter Aufgaben, die zu ihrer<br />

Erfüllung der Geheimhaltung bedürfen, unmöglich machen oder erschweren könnte (vgl. BGHSt 36, 44, 48 f.). Hierzu<br />

gehört auch der Einsatz von Vertrauenspersonen zur Aufklärung von Bandenstrukturen im Bereich des Handels<br />

mit Betäubungsmitteln (vgl. BVerfGE 57, 250, 284). Erforderlich ist aber stets eine sorgfältige Abwägung der im<br />

Widerstreit stehenden verfassungsrechtlichen Rechtsgüter unter Berücksichtigung des gesamten konkreten Sachverhalts<br />

(vgl. BVerwGE 66, 39, 44). Denn das Staatswohl <strong>und</strong> die Wahrung der öffentlichen Belange erfordern es, sowohl<br />

die Gr<strong>und</strong>rechte Einzelner zu schützen <strong>und</strong> niemanden einer ungerechtfertigten Verurteilung auszuliefern als<br />

auch den Strafanspruch des Staates durchzusetzen (BVerfG aaO). Dabei darf nicht aus dem Blick geraten, dass die<br />

wirksame Aufklärung gerade schwerer Straftaten ein wesentlicher Auftrag des rechtsstaatlichen Gemeinwesens ist<br />

(vgl. BVerfGE 109, 279, 336; 107, 299, 316; 100, 313, 389; 80, 367, 375; 77, 65, 76). Die Pflicht zur Abwägung<br />

trifft auch <strong>und</strong> in erster Linie die Behörde, deren Erklärung oder Entscheidung zu einer Einschränkung des Rechts<br />

des Angeklagten auf umfassende Verteidigung führt. Sie hat nicht nur die von ihr wahrzunehmenden Aufgaben zu<br />

beachten, die zu ihrer Erfüllung der Geheimhaltung bedürfen, sondern muss auch dem hohen Rang des Verteidigungsinteresses<br />

Rechnung tragen (vgl. BVerfGE 57, 250, 283 f.). Diesen Anforderungen genügt § 27 Abs. 3 i.V.m.<br />

Abs. 1 des Landesbeamtengesetzes (Berlin), der die Versagung der Aussagegenehmigung für beschuldigte Beamte<br />

nur in ganz engen Grenzen zulässt. Danach darf einem Beschuldigten die Genehmigung, in einem gerichtlichen<br />

Verfahren auszusagen, nur dann versagt werden, wenn die Aussage dem Wohle des B<strong>und</strong>es oder eines deutschen<br />

Landes Nachteile bereiten oder die Erfüllung öffentlicher Aufgaben ernstlich gefährden oder erheblich erschweren<br />

würde <strong>und</strong> wenn die dienstlichen Rücksichten dies unabweisbar erfordern. Aus diesem Gr<strong>und</strong> müssen Staatsanwaltschaft<br />

<strong>und</strong> Tatgericht durch entsprechende Anträge an den Dienstherrn der Angeklagten <strong>und</strong> vorgesetzte Behörden<br />

sowie gegebenenfalls mit Gegenvorstellungen darauf hinwirken, dass die für eine umfassende Verteidigung erforderlichen<br />

Aussagegenehmigungen erteilt werden. Bleibt solches erfolglos, kommt eine Klage des Angeklagten gegen<br />

den Dienstherrn im Verwaltungsrechtsweg auf Erteilung der Aussagegenehmigung in Betracht, wenn der Dienstherr<br />

auch auf die Gegenvorstellung des Gerichts hin die beantragte Aussagegenehmigung nicht erteilt. Um dem zur Klage<br />

bereiten Angeklagten hierzu Gelegenheit zu geben, kann im Einzelfall auch die Aussetzung des Strafverfahrens in<br />

Betracht kommen (vgl. dazu Senge in KK-StPO 5. Aufl. § 54 Rdn. 20 f.). Ob gegebenenfalls in solchen Fällen die<br />

Justizorgane als klagebefugt anzusehen wären (abl. Beulke, Straf-prozessrecht 9. Aufl. Rdn. 190 sowie Pfeiffer,<br />

StPO 5. Aufl. § 96 Rdn. 4 <strong>und</strong> HK-Lemke, StPO 3. Aufl. § 96 Rdn. 16; abw. Ellbogen NStZ 2007, 310), ob sogar ein<br />

verteidigungs- <strong>und</strong> einlassungswilliger Angeklagter zu einer solchen Klage zu veranlassen wäre, erscheint höchst<br />

problematisch. Jedenfalls gilt, dass eine Verweigerung der Aussagegenehmigung, wenn der Kernbereich der Verteidigung<br />

betroffen ist, angesichts auch straf-rechtlicher Absicherungsmöglichkeiten gegen unbefugte Offenbarungen<br />

nur bei überragend wichtigen Gemeinschaftsgütern in Betracht käme, so bei einer erheblichen Lebens- oder Ges<strong>und</strong>heitsgefährdung<br />

von Personen, etwa auch Vertrauensleuten der Ermittlungsbehörden. Halten Gericht <strong>und</strong> Staatsanwaltschaft<br />

die Versagung der Aussagegenehmigung für rechtswidrig, haben sie nach Ausschöpfung aller sonstigen<br />

Möglichkeiten zur Herbeiführung einer abweichenden Entscheidung die oberste Justizbehörde mit dem Ziel einzuschalten,<br />

an die oberste Innenbehörde eine Gegenvorstellung zu richten. Die oberste Justizbehörde wird nach dem<br />

Gr<strong>und</strong>satz, dass über Sperrungen, die eine ordnungsgemäße Durchführung von Strafverfahren gefährden, an höchster<br />

Stelle zu entscheiden ist (vgl. BVerfGE 57, 250, 289), bei fortdauernder Weigerung der Innenbehörde eine Entschei-<br />

206


dung der Landesregierung durch Kabinettsbeschluss herbeizuführen haben. Eine Einstellung des Strafverfahrens<br />

kommt jedenfalls vor Ausschöpfung dieser Möglichkeiten nicht in Betracht. Der Senat braucht nicht zu entscheiden,<br />

ob für den Fall, dass tatsächlich einmal überragend wichtige Gemeinschaftsgüter der skizzierten Qualität im Widerstreit<br />

zur unerlässlich gebotenen Durchführung eines Strafverfahrens stehen sollten, der Angeklagte eine schwer<br />

wiegende Einschränkung seiner Verteidigungsmöglichkeiten hinnehmen müsste <strong>und</strong> ihm als Schutz nur das Gebot zu<br />

außerordentlich zurückhaltender belastender Beweiswürdigung verbliebe (vgl. BGHSt 49, 112). Von einer derartigen<br />

Extremsituation ist das vorliegende Verfahren sowohl nach der Bedeutung der Tatvorwürfe als auch nach den in<br />

Frage stehenden Geheimhaltungsbelangen weit entfernt.<br />

b) Zunächst hat der Tatrichter, wenn einem Angeklagten – wie auch im vorliegenden Fall – mehrere Straftaten zur<br />

Last liegen, die sich in Art <strong>und</strong> Schwere oder hinsichtlich der Beweislage unterscheiden, regelmäßig für jeden Tatvorwurf<br />

gesondert zu prüfen, ob die Versagung der Aussagegenehmigung den Kernbereich oder lediglich den Randbereich<br />

des Rechts auf umfassende Verteidigung betrifft. Dasselbe gilt – wenn lediglich der Randbereich betroffen<br />

ist – für die gebotene Abwägung der im Widerstreit stehenden verfassungsrechtlichen Rechtsgüter. Vorliegend erscheint<br />

der pauschale Ansatz des Landgerichts, der nicht nach einzelnen Tatvorwürfen differenziert, zweifelhaft,<br />

weil es für die einzelnen Straftaten den bestehenden oder fehlenden argumentativen Zusammenhang zwischen der<br />

von der Aussagebeschränkung betroffenen Thematik <strong>und</strong> dem Tatvorwurf (vgl. BGHSt 36, 44, 48) nicht näher in den<br />

Blick nimmt. Besonders schwer nachvollziehbar ist, aus welchem Gr<strong>und</strong> hier polizeiinterne Richtlinien für die Verteidigung<br />

gegen den Tatvorwurf der Anstiftung zur Manipulation eines privaten Premiere-Decoders von Bedeutung<br />

sein sollen. Jenseits davon liegt es zwar fern, dass polizeiinterne Dienstanweisungen einen Verstoß gegen die Strafgesetze<br />

<strong>und</strong> die Strafprozessordnung erlauben könnten. Gleichwohl erscheint es bei den übrigen gegen die Angeklagten<br />

erhobenen Vorwürfen jedenfalls im Ansatz nicht ausgeschlossen, dass der Kernbereich der Verteidigung betroffen<br />

sein könnte. Im Bereich von Betäubungsmitteldelikten – wie auch bei Strafvereitelung – ist zum wirkungsvollen<br />

Einsatz von Vertrauensleuten die Annahme eines weiten Handlungsspielraumes nicht <strong>und</strong>enkbar, wonach ein unmittelbar<br />

deliktisch anmutendes Verhalten in Ermangelung der tatbestandlich verlangten Zielsetzung – u. a. Betäubungsmittelumsatz<br />

– als nicht strafbar bewertet werden könnte. Bei Aussagedelikten kämen problematische Kollisionen<br />

zwischen der Verpflichtung zu vollständiger Aussage <strong>und</strong> Verschwiegenheitspflichten, bei Amtsdelikten relevante<br />

dienstliche Genehmigungen in Betracht.<br />

GVG § 169 – Schließung des Dienstgebäudes – Zeugenbefragung von Beweisantrag abhängig<br />

BGH, Beschl. vom 14.12.2006 - 5 StR 472/06<br />

Es ist verfahrensfehlerhaft, die Schließung des Dienstgebäudes zum Anlass zu nehmen, einen Zeugen<br />

vorzeitig zu entlassen <strong>und</strong> Fragen der Verteidigung von der Stellung von Beweisanträgen abhängig<br />

zu machen.<br />

Der 5. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 14. Dezember 2006 beschlossen: Die Revisionen der Angeklagten<br />

gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 12. Mai 2006 werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet<br />

verworfen. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Zu den Befangenheitsrügen bemerkt<br />

der Senat:<br />

1. Die drei Angeklagten haben im Ermittlungsverfahren gestanden, einen Luxemburger Autohändler im Rahmen des<br />

fingierten Verkaufs eines Pkw’s um Bargeld <strong>und</strong> Wertgegenstände in Gesamthöhe von 40.000 Euro beraubt zu haben.<br />

Das Landgericht hat das Raubopfer am 4. April 2006 von 12.30 Uhr bis 15.59 Uhr mit einer Unterbrechung von<br />

13.00 Uhr bis 14.05 Uhr als Zeugen vernommen. Der Vorsitzende beendete die Vernehmung, weil wegen Schließung<br />

des Strafjustizgebäudes um 16.00 Uhr die Öffentlichkeit nicht mehr gewahrt sei. Er entließ den Zeugen unvereidigt<br />

<strong>und</strong> vertagte die Verhandlung auf den nächsten Tag, der bereits als Sitzungstag bestimmt gewesen war. Die<br />

Verteidigerin des Angeklagten T. machte – noch im Sitzungssaal in Anwesenheit aller an der Hauptverhandlung<br />

zuletzt Beteiligter – geltend, der Vorsitzende habe durch seine Verfügungen das Fragerecht der Verteidigerin des<br />

Angeklagten M. vereitelt. Der Vorsitzende bekräftigte den Abbruch der Vernehmung des Zeugen aus zwingenden<br />

Gründen <strong>und</strong> wies darauf hin, dass die Verteidigerin des Angeklagten M. gegebenenfalls Beweisanträge stellen müsse,<br />

weil unsicher sei, ob der Zeuge noch einmal zur Verfügung stehe. Die vom Vorsitzenden dann dem Zeugen unterbreiteten<br />

Terminsangebote, am 5. April 2006 um 9.45 Uhr oder um 16.00 Uhr zur Fortsetzung der Zeugenvernehmung<br />

zu erscheinen, lehnte der Autohändler ab. Der Vorsitzende verfügte dann in seinem Dienstzimmer die<br />

Ladung des Zeugen auf den 26. April 2006, 12.00 Uhr. Diesen Termin nahm der nach Luxemburg zurückgekehrte<br />

207


Zeuge aber nicht wahr. Die Angeklagten legten am Ende der Hauptverhandlung nach Bekanntgabe von Obergrenzen<br />

der jeweils zu verhängenden Gesamtfreiheitsstrafen qualifizierte Geständnisse ab.<br />

2. Der Senat kann es dahingestellt sein lassen, ob im Wege richterlicher Rechtsfortbildung vorliegend ein Rügeverlust<br />

der Angeklagten deshalb in Betracht kommt, weil sie sich nach sachlicher Verbescheidung ihres jeweils gestellten<br />

Befangenheitsantrags mit der Strafkammer unter dem Vorsitz des zuvor abgelehnten Richters auf eine verfahrensverkürzende<br />

Absprache eingelassen haben (vgl. BGHSt 50, 40, 52; BGHR StPO § 338 Nr. 3 Revisibilität 4).<br />

3. Die geltend gemachte Besorgnis der Befangenheit des Vorsitzenden liegt nicht vor. Dies gilt letztlich auch für den<br />

Angeklagten M. , obgleich dessen Verteidigung eine unzulässige Beschränkung ihres Fragerechts erfahren hat.<br />

a) Der Senat teilt nicht die Auffassung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> des Landgerichts, das Verhalten des Vorsitzenden<br />

sei unbedenklich gewesen. Zwar trifft es zu, dass eine Fortführung der Zeugenvernehmung in öffentlicher<br />

Sitzung aufgr<strong>und</strong> fehlenden Personals für eine in jedem Falle vorzunehmende Einlasskontrolle von Zuhörern ab<br />

16.00 Uhr nicht möglich war (vgl. Diemer in KK 5. Aufl. GVG § 169 Rdn. 8). Der Vorsitzende wäre aber verpflichtet<br />

gewesen, zu einer Wahrung des Fragerechts der Angeklagten gemäß Art. 6 Abs. 3 lit. d MRK vorsorglich für eine<br />

Verlängerung der Sitzung zu sorgen, um so auch dem in Haftsachen besonders gewichtigen Beschleunigungsgebot<br />

Rechnung zu tragen. In Kenntnis des Umstandes, dass der für die Sachaufklärung wesentliche Auslandszeuge möglicherweise<br />

zu keiner weiteren Vernehmung am Gerichtsort mehr bereit sein würde, konnte der Vorsitzende nicht<br />

darauf vertrauen, dass die Mitglieder des Gerichts, Staatsanwalt, drei Verteidiger <strong>und</strong> drei Angeklagte ihr Fragerecht<br />

bis 16.00 Uhr ausgeübt haben würden. Unter den gegebenen Umständen wäre es vielmehr geboten gewesen, entsprechend<br />

der in der Dienstvereinbarung zwischen dem Präsidenten des Landgerichts <strong>und</strong> dem Personalrat über den<br />

Einsatz des nichtrichterlichen Personals im Strafverfahren vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch zu machen, eine<br />

längere als bis 16.00 Uhr andauernde Hauptverhandlung bis 14.45 Uhr in der Gerichtsverwaltung anzumelden (Revisionsgegenerklärung<br />

der Staatsanwaltschaft S. 5). In einem solchen Fall wäre Personal für die Einlasskontrollen über<br />

16.00 Uhr hinaus zur Verfügung gestellt worden. Gr<strong>und</strong>sätzlich verbietet freilich die in Haftsachen besonders gewichtige<br />

Pflicht zur Sicherstellung eines zügigen Verfahrens (vgl. BVerfG – Kammer – NJW 2006, 668 ff.; StV<br />

2006, 81 ff.) die Beachtung bürokratischer Hemmnisse, wie es die angesichts dieser maßgeblichen Pflicht der Strafjustiz<br />

gänzlich untunliche Festlegung eines regelmäßig einzuhaltenden frühen Sitzungsendes bedeutet. Gleichwohl<br />

war der Vorsitzende hier gehalten, sich im Rahmen der ihm nach § 238 StPO <strong>und</strong> § 176 GVG obliegenden umfassenden<br />

Sachleitungsbefugnis (vgl. Tolksdorf in KK 5. Aufl. § 238 Rdn. 6) rechtzeitig um eine Verlängerung der<br />

Hauptverhandlung zu bemühen. Nachdem die Strafrichter des Landgerichts, was der Senat dem der Revisionsgegenerklärung<br />

beigefügten Schreiben des Präsidenten des Landgerichts vom 5. Januar 2005 entnimmt, die in der Dienstvereinbarung<br />

enthaltene Regelung akzeptiert hatten, war sie auch im vorliegenden Fall hinzunehmen. Selbst wenn es<br />

für den Vorsitzenden nicht voraussehbar gewesen wäre, dass die Befragung des Zeugen sich über 16.00 Uhr hinaus<br />

erstrecken könnte, war sein weiteres Verhalten nicht prozessordnungsgemäß. Da die Einvernahme eines Zeugen<br />

infolge der aus organisatorischen Gründen gebotenen Schließung des Gerichtsgebäudes für die Öffentlichkeit nicht<br />

beendet werden kann, hätte der Vorsitzende die Hauptverhandlung vertagen <strong>und</strong> die weitere Ausübung des von der<br />

Verteidigung nicht ausgeschöpften Fragerechts sicherstellen müssen. <strong>Verfahrensrecht</strong>lich fehlerhaft war es deshalb,<br />

die Schließung des Dienstgebäudes zum Anlass zu nehmen, den Zeugen vorzeitig zu entlassen <strong>und</strong> weitere Fragen<br />

von der Stellung von Beweisanträgen abhängig zu machen.<br />

b) Indes ist das Verhalten des Vorsitzenden vor dem Hintergr<strong>und</strong> der eher zeitlich umfänglich anberaumten Zeugenvernehmung<br />

zu gewichten. Dieses ist noch nicht geeignet, eine Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Der Vorsitzende<br />

hat letztlich auch durch seine nach Beendigung der Zeugenaussage erfolgten Bemühungen um eine Fortsetzung<br />

der Vernehmung <strong>und</strong> die verfügte Ladung des Zeugen zu erkennen gegeben, dass er das Fragerecht des Angeklagten<br />

M. zu fördern gewillt war. Angesichts dieser Ladungsbemühungen <strong>und</strong> bereits erfolgter eingehender Befragung<br />

des Zeugen begründete der Hinweis auf das Beweisantragsrecht noch keine Besorgnis der Befangenheit. Allerdings<br />

muss sich die Verteidigung in der gegebenen Verfahrenssituation nicht auf das Beweisantragsrecht verweisen<br />

lassen, weil ihr Fragerecht dadurch gr<strong>und</strong>sätzlich nicht ausreichend gewahrt wird. Indem der Vorsitzende auf die<br />

Möglichkeit von Wahrunterstellungen abgehoben hat, bewies er immerhin eine weitere Offenheit bezüglich des<br />

Beweisstoffes. Zudem hätte durch einen Antrag bei Nichterscheinen des Zeugen zu einem Fortsetzungstermin auch<br />

eine audiovisuelle Konfrontationsvernehmung gemäß § 247a StPO mit ihm ermöglicht werden können (vgl. BGHSt<br />

45, 188, 190 ff.), wenngleich dies dem Vorsitzenden bei seiner bedenklichen, aber eben noch keine Besorgnis der<br />

Befangenheit begründenden Vorgehensweise nicht vor Augen gestanden haben mag.<br />

208


JGG § 66, 27, 30, 31, 62 - Sperrwirkung<br />

BGH, Beschl. vom 25.10.2006 – 2 ARs 428/06 - NJW 2007, 447<br />

LS: 1. Die Sperrwirkung des § 66 Abs. 1 Satz 2 JGG tritt nur ein, wenn der Richter in früheren<br />

Entscheidungen ausdrücklich aus erzieherischen Gründen auf die Einbeziehung der rechtskräftig<br />

abgeurteilten Straftaten verzichtet hat.<br />

2. Die Schuldfeststellung nach § 27 JGG ist keine noch nicht vollständig erledigte Entscheidung im<br />

Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 JGG.<br />

3. Bei Zusammentreffen einer Schuldfeststellung (§ 27 JGG) <strong>und</strong> einer anderen rechtskräftigen<br />

Entscheidung hat gr<strong>und</strong>sätzlich der im Verfahren nach §§ 30, 62 JGG zuständige Richter zu prüfen,<br />

ob die Voraussetzungen für den Ausspruch einer Jugendstrafe vorliegen.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts am 25. Oktober 2006 beschlossen:<br />

Das Amtsgericht - Jugendrichter - Trier ist gemäß §§ 30, 62 JGG für die Entscheidung zuständig.<br />

Gründe:<br />

I. Das Amtsgericht - Jugendrichter - Trier hatte durch Urteil vom 6. Juli 2004 die Schuld des B. hinsichtlich mehrerer<br />

begangener Delikte festgestellt <strong>und</strong> die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt<br />

(§ 27 JGG). Am 23. März 2006 verhängte das Amtsgericht - Jugendrichter - Düsseldorf gegen den B. wegen<br />

zweier Straftaten eine Jugendstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. In<br />

dieser Entscheidung wird das Urteil des Amtsgerichts Trier vom 6. Juli 2004 in der Vorgeschichte erwähnt; bei der<br />

Begründung der Rechtsfolgenentscheidung kommt das Amtsgericht Düsseldorf auf dieses Urteil aber nicht mehr<br />

zurück. Das Amtsgericht Trier ist der Auffassung, es stehe eine Nachtragsentscheidung nach § 66 JGG an, die durch<br />

das Amtsgericht Düsseldorf zu erfolgen habe. Dieses Amtsgericht vertritt die Rechtsansicht, das Amtsgericht Trier<br />

habe - jedenfalls zunächst - gemäß § 30 Abs. 1 JGG i.V.m. § 62 JGG darüber zu befinden, ob gegen den Verurteilten<br />

Jugendstrafe zu verhängen ist.<br />

II. Der B<strong>und</strong>esgerichtshof ist als das gemeinschaftliche obere Gericht zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreites<br />

berufen (§ 2 JGG i.V.m. § 14 StPO). Zuständig ist gemäß §§ 30, 62 JGG das Amtsgericht - Jugendrichter - Trier, §<br />

66 Abs. 1 JGG findet keine Anwendung.<br />

III. Eine nachträgliche Entscheidung gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 JGG zur Ergänzung rechtskräftiger Entscheidungen<br />

bei mehrfacher Verurteilung ist dann nicht zulässig, wenn der Richter nach § 31 Abs. 3 JGG von der Einbeziehung<br />

rechtskräftig abgeurteilter Straftaten abgesehen hatte (§ 66 Abs. 1 Satz 2 JGG). Die Sperrwirkung des § 66 Abs. 1<br />

Satz 2 JGG tritt jedoch nur ein, wenn der Richter in früheren Entscheidungen ausdrücklich aus erzieherischen Gründen<br />

auf die Einbeziehung der rechtskräftig abgeurteilten Straftaten verzichtet hat (vgl. u. a. Diemer/Schoreit/Sonnen<br />

JGG 4. Aufl. Rdn. 5 zu § 66, Brunner/Dölling JGG 11. Aufl. Rdn. 2 zu § 66; Ostendorf JGG 6. Aufl. Rdn. 4 zu §<br />

66). Diese Ausnahmeregelung hat ihre Berechtigung darin, dass eine - von der Ermessensentscheidung des erkennenden<br />

Richters nach § 31 Abs. 3 JGG abweichende - Ermessensentscheidung des für das nachträgliche Verfahren<br />

zuständigen Richters erzieherisch nicht zu rechtfertigen wäre. Diesem Zweck entsprechend tritt die Sperrwirkung des<br />

§ 66 Abs. 1 Satz 2 JGG nur ein, wenn der Richter in der früheren Entscheidung aus erzieherischen Gründen auf die<br />

Einbeziehung der rechtskräftig abgeurteilten Straftaten verzichtet hat, nicht dagegen, wenn nach den Urteilsgründen<br />

nicht auszuschließen ist, dass die Möglichkeit der einheitlichen Festsetzungen einer Rechtsfolge nur übersehen worden<br />

ist (Eisenberg JGG 11. Aufl. Rdn. 18 zu § 66 m.w.N.). Im Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf vom 23. März<br />

2006 wird zwar das Urteil des Amtsgerichts Trier vom 6. Juli 2004 mitgeteilt, eine ausdrückliche Entscheidung gemäß<br />

§ 31 Abs. 3 JGG hat der Jugendrichter jedoch nicht getroffen. Die Sperrwirkung des § 66 Abs. 1 Satz 2 JGG<br />

tritt daher nicht ein. Zwar hätte das Amtsgericht - Jugendrichter - Düsseldorf gemäß § 31 Abs. 2 JGG die Entscheidung<br />

des Amtsgerichts - Jugendrichter - Trier einbeziehen können. Hat es dies aber versäumt, so ist für diese Frage<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich wieder der sachnähere Richter gemäß §§ 30, 62 JGG zuständig, der seinerseits die spätere Entscheidung<br />

einbeziehen kann.<br />

IV. § 66 Abs. 1 JGG findet auf Entscheidungen nach § 27 JGG keine Anwendung. Die Frage, ob die Schuldfeststellung<br />

im Rahmen von § 27 JGG als eine im Sinne von § 66 Abs. 1 Satz 1 JGG noch nicht vollständig erledigte Entscheidung<br />

angesehen werden kann, ist allerdings umstritten (vgl. Eisenberg aaO Rdn. 22 zu § 66). Nach überwiegender<br />

Ansicht im Schrifttum kann auch eine Schuldfeststellung nach § 27 JGG in die nachträgliche einheitliche Entscheidung<br />

einbezogen werden (vgl. u. a. Diemer/Schoreit/Sonnen aaO Rdn. 8 zu § 66; Brunner/Dölling aaO Rdn. 2<br />

209


<strong>und</strong> 3 zu § 66; Ostendorf aaO Rdn. 7 zu § 66). Zur Begründung wird darauf abgestellt, dass ansonsten zwei richterliche<br />

Entscheidungen erforderlich seien, zunächst jene nach § 30 JGG durch den Richter, der die Entscheidung nach §<br />

27 JGG getroffen hatte, sodann die Nachtragsentscheidung nach § 66 Abs. 1 Satz 1 JGG durch den nach § 66 Abs. 2<br />

JGG zuständigen Richter. Dies verstoße gegen prozessökonomische Gr<strong>und</strong>sätze. Dieser Ansicht folgt der Senat<br />

jedoch nicht; zuständig ist vielmehr gemäß §§ 30, 62 JGG der Richter, der die Entscheidung über die Verhängung<br />

der Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt hat. Für diese Lösung gibt es gewichtige Gründe:<br />

1. Schon der Wortlaut des § 66 JGG spricht gegen eine Einbeziehung der Fälle des § 27 JGG in die Nachtragsentscheidung.<br />

Während in § 31 Abs. 2 Satz 1 JGG ausdrücklich die rechtskräftige Schuldfeststellung aufgeführt wird,<br />

ist in § 66 Abs. 1 Satz 1 JGG nur von Erziehungsmaßregeln, Zuchtmitteln <strong>und</strong> Strafen die Rede; die Feststellung der<br />

Schuld nach § 27 JGG wird nicht erwähnt.<br />

2. Die Entscheidung nach § 30 Abs. 1 JGG über die Verhängung der Jugendstrafe ergeht gemäß § 62 Abs. 1 JGG<br />

zwingend aufgr<strong>und</strong> einer Hauptverhandlung durch Urteil. § 66 Abs. 2 JGG hingegen sieht nur fakultativ eine Hauptverhandlung<br />

vor. Der Betroffene würde daher bei Zusammenfassung einer Schuldfeststellung mit einer anderen<br />

rechtskräftigen Entscheidung bei einer Nachtragsentscheidung gemäß § 66 JGG schlechter gestellt, weil ihm für den<br />

Fall der Verhängung einer Jugendstrafe nach § 30 JGG eine obligatorische Hauptverhandlung zusteht (so zutreffend<br />

Eisenberg aaO Rdn. 22 zu § 66; Dallinger/Lackner JGG 2. Aufl. Rdn. 8 zu § 66). Dies kann nicht dadurch ausgeglichen<br />

werden, dass man - gegen den Gesetzeswortlaut des § 66 Abs. 2 Satz 1 JGG - eine "Bindung des Ermessens für<br />

die Durchführung einer Hauptverhandlung" annimmt (so aber Ostendorf aaO Rdn. 7 zu § 66 JGG).<br />

3. Das Argument, Gründe der Prozessökonomie sprächen dafür, die Entscheidung nach § 30 JGG im Rahmen der<br />

Nachtragsentscheidung des § 66 Abs. 1 JGG zu fällen, da ansonsten zwei Richter zur Entscheidung erforderlich<br />

seien, trifft nicht zu, da auch bei einer Zuständigkeit nach §§ 30, 62 JGG nur eine Entscheidung ergeht. Bei Zusammentreffen<br />

einer Schuldfeststellung (§ 27 JGG) <strong>und</strong> einer anderen rechtskräftigen Entscheidung hat der im Verfahren<br />

nach §§ 30, 62 JGG zuständige Richter zu prüfen, ob die Voraussetzungen für den Ausspruch einer Jugendstrafe<br />

vorliegen. Bejahendenfalls wird er Hauptverhandlung anberaumen, wobei er seinerseits die andere rechtskräftige<br />

Entscheidung nach § 31 Abs. 2 JGG in seine Entscheidung einbeziehen oder hiervon absehen kann (Eisenberg aaO<br />

Rdn. 22 zu § 66, Dallinger/Lackner aaO Rdn. 8 zu § 66). Auch in diesem Fall ist daher nur eine Entscheidung erforderlich.<br />

4. Für die Zuständigkeit des Richters gemäß §§ 30, 62 JGG spricht auch seine größere Sachnähe für die Beurteilung<br />

der Frage, ob <strong>und</strong> welche Jugendstrafe zu verhängen ist. Gemäß § 30 Abs. 1 JGG hat er auf die Strafe zu erkennen,<br />

die er im Zeitpunkt des Schuldspruchs bei sicherer Beurteilung der schädlichen Neigungen des Jugendlichen ausgesprochen<br />

hätte. Dies kann er selbst am besten beurteilen. Zur Wahrung der Einheit zwischen Schuld- <strong>und</strong> Strafspruchrichter<br />

ist daher der Richter des Schuldspruchs nach wie vor zum Erlass der Entscheidung gemäß § 30 Abs. 1<br />

JGG berufen (vgl. auch Potrykus Recht der Jugend 1956 S. 209, 211).<br />

MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. d, StPO § 168c<br />

BGH, Beschl. vom 29.11.2006 – 1 StR 493/06 - BGHSt 51, 150 = NJW 2007, 237 = JR 2007, 300 (Anm. Eisele)<br />

Zum Recht auf konfrontative Befragung nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK (in Fortführung von<br />

BGHSt 46, 93).<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 29. November 2006 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen: Auf die<br />

Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 12. April 2006 mit den zugehörigen<br />

Feststellungen aufgehoben, soweit die Angeklagten verurteilt worden sind. Die Sache wird insoweit zu neuer Verhandlung<br />

<strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts<br />

zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten S. K. wegen Vergewaltigung <strong>und</strong> Menschenhandels in Tateinheit mit ausbeuterischer<br />

<strong>und</strong> dirigierender Zuhälterei zur Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren <strong>und</strong> zehn Monaten, den Angeklagten<br />

D. Ko. wegen Beihilfe zum Menschenhandel <strong>und</strong> Bedrohung zur Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren <strong>und</strong> sechs<br />

Monaten verurteilt. Im Übrigen hat es die Angeklagten freigesprochen. Die Revisionen der Angeklagten haben mit<br />

einer auf der Verletzung des Gr<strong>und</strong>satzes des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Buchst. d MRK) gestützten<br />

Verfahrensrüge Erfolg. Auf die weiteren Verfahrenrügen <strong>und</strong> die Sachbeschwerde kommt es daher nicht<br />

mehr an.<br />

210


I. Zentral für die Überführung der Angeklagten, die in der Hauptverhandlung von ihrem Aussageverweigerungsrecht<br />

Gebrauch machten <strong>und</strong> während des Ermittlungsverfahrens die Taten bestritten hatten, sind die Angaben der Geschädigten<br />

E. P. gegenüber der Polizei <strong>und</strong> vor dem Ermittlungsrichter. In der Hauptverhandlung wurden vier Protokolle<br />

über polizeiliche Vernehmungen verlesen <strong>und</strong> eine Bild-Ton-Aufzeichnung über eine Vernehmung vor dem<br />

Ermittlungsrichter vorgeführt. Zudem hörte das Landgericht drei Polizeibeamte <strong>und</strong> den Ermittlungsrichter. Die<br />

Geschädigte, eine polnische Staats-angehörige, war unmittelbar nach der letzten Vernehmung nach Polen zurückgekehrt.<br />

Aufgr<strong>und</strong> ihres Nichterscheinens zur Hauptverhandlung trotz formloser Ladung sowie ihrer Unmutsäußerungen<br />

gegenüber dem Ermittlungsrichter behandelte sie das Landgericht als unerreichbar.<br />

1. Die Revisionen machen die Verletzung des Rechts auf konfrontative Befragung nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. d<br />

MRK geltend. Die Angeklagten <strong>und</strong> ihre Verteidiger hätten zu keinem Zeitpunkt - weder während des Ermittlungsverfahrens<br />

noch in der Hauptverhandlung - die Gelegenheit gehabt, der Geschädigten Fragen zu stellen oder Vorhalte<br />

zu machen. Insbesondere auch bei ihrer Aussage vor dem Ermittlungsrichter sei ihnen eine konfrontative Befragung<br />

versagt gewesen. Der Angeklagte S. K. sei zwar anwesend gewesen, jedoch von der weiteren Vernehmung<br />

ausgeschlossen worden, bevor er sein Fragerecht hätte ausüben können. Sein (Wahl-) Verteidiger sei nicht benachrichtigt<br />

worden. Der Angeklagte D. Ko. , gegen den damals - trotz bestehenden Anfangsverdachts - das Ermittlungsverfahren<br />

formal noch nicht geführt worden sei, sei ebenfalls nicht benachrichtigt worden. Ihm sei auch kein Pflichtverteidiger<br />

beigeordnet worden.<br />

2. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugr<strong>und</strong>e: Am 2. August 2005 gegen 11.00 Uhr wurden zwei<br />

Fahrgäste der Münchener Trambahn auf eine lautstarke Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten S. K. <strong>und</strong><br />

der Geschädigten aufmerksam. Der Angeklagte versuchte, die Geschädigte gegen ihren Willen aus dem Fahrgastraum<br />

zu zerren <strong>und</strong> zu tragen. Als der Angeklagte der Aufforderung der beiden Fahrgäste, die Geschädigte loszulassen,<br />

nicht nachkam, drohten sie ihm an, die Polizei zu rufen. Während der Angeklagte daraufhin erklärte, dies<br />

sei nicht erforderlich, da es sich lediglich um einen Beziehungsstreit handele, äußerte die Geschädigte "polizia, ja,<br />

ja". Daraufhin wurde die Polizei informiert. Eine Polizeibeamtin, die der polnischen Sprache mächtig ist, führte mit<br />

der Geschädigten noch an der Trambahnstation ein informatorisches Gespräch. Anschließend wurde die Geschädigte<br />

einer sachverständigen Ärztin vorgestellt <strong>und</strong> in der Folgezeit bis zum 11. August 2005 fünfmal polizeilich vernommen.<br />

Der Angeklagte S. K. wurde noch am 2. August 2005 festgenommen <strong>und</strong> befindet sich aufgr<strong>und</strong> Haftbefehls<br />

vom 3. August 2005 seither ununterbrochen in Untersuchungshaft. Von der Staatsanwaltschaft wurde das Ermittlungsverfahren<br />

formal zunächst nur gegen ihn, nicht gegen den Angeklagten D. Ko. geführt, obwohl die Zeugin auch<br />

diesen schon bei den Vernehmungen am 2. <strong>und</strong> 3. August 2005 belastete <strong>und</strong> der Haftbefehl ihn als anderweitig<br />

Verfolgten bezeichnet. Am 9. August 2005 beantragte die Staatsanwaltschaft, die Geschädigte ermittlungsrichterlich<br />

zu vernehmen <strong>und</strong> den Angeklagten S. K. hierzu zu laden. Die Vernehmung, zu der der Angeklagte S. K. , nicht aber<br />

der - damals noch nicht als Beschuldigter eingetragene - Angeklagte D. Ko. geladen wurde, wurde am 16. August<br />

2005 durchgeführt. Sie wurde auf Bild-Ton-Träger aufgezeichnet <strong>und</strong> dem in einem Nebenraum befindlichen Angeklagten<br />

S. K. zeitgleich in Bild <strong>und</strong> Ton übertragen. Während ihrer Aussage äußerte die - "lustlos <strong>und</strong> emotionslos"<br />

wirkende - Zeugin, dass sie "das alles nicht mitmachen" möchte, sie "nur zurück nach Polen" wolle <strong>und</strong> es sie sehr<br />

störe, wenn der Angeklagte zuhöre; sie versuchte, den Vernehmungsraum zu verlassen. Daraufhin schloss der Ermittlungsrichter<br />

den Angeklagten, ohne dass dieser zuvor hätte zu Wort kommen können, von der weiteren Vernehmung<br />

aus. Bereits mit an die Staatsanwaltschaft München I adressiertem Schreiben vom 3. August 2005 hatte sich<br />

Rechtsanwalt W. als Verteidiger des Angeklagten S. K. angezeigt. Das Schreiben war am 4. August 2005 bei der<br />

allgemeinen Eingangsstelle der Justizbehörden in München <strong>und</strong> am 5. August 2005 bei der Staatsanwaltschaft München<br />

I eingegangen. Es wurde der sachbearbeitenden Staatsanwältin allerdings erst am 19. August 2005, dem zuständigen<br />

Ermittlungsrichter erst am 24. August 2005 vorgelegt, sodass er den Verteidiger vom Vernehmungstermin<br />

nicht mehr benachrichtigen konnte. Zu weiteren die Vernehmung der Geschädigten betreffenden Maßnahmen sah<br />

der Ermittlungsrichter keine Veranlassung, zumal diese zwischenzeitlich ausgereist war.<br />

3. Im Rahmen der Beweiswürdigung begründet das Landgericht seine Überzeugung von der Schuld der Angeklagten<br />

wie folgt: Die Angeklagten seien durch die Angaben der Geschädigten überführt. Die - über die Protokolle, die Bild-<br />

Ton-Aufzeichnung <strong>und</strong> die Vernehmungspersonen eingeführte - Aussage sei glaubhaft, weil sie in einer unvorhergesehenen<br />

Stresssituation entstanden, detailreich, in einen vielschichtigen Kontext eingeb<strong>und</strong>en, konstant <strong>und</strong> frei von<br />

Belastungseifer sei. In mehreren Punkten würden die Angaben durch andere Beweismittel bestätigt. Die Überzeugung<br />

des Landgerichts von der Glaubhaftigkeit der Aussage stützt sich dabei wesentlich auf deren "Entstehungsgeschichte":<br />

Die zwei Fahrgäste sagten in der Hauptverhandlung zu der Auseinandersetzung in der Trambahn aus. Die<br />

die polnische Sprache beherrschende Polizeibeamtin wurde zu dem informatorischen Gespräch vernommen; sie<br />

berichtete, die Geschädigte habe ihr bereits das wesentliche Tatgeschehen geschildert: Die Geschädigte sei vom<br />

Angeklagten D. Ko. ca. ein Monat zuvor von Polen nach Deutschland gebracht <strong>und</strong> in München dem Angeklagten S.<br />

211


K. übergeben worden. Dieser halte sie seither in seiner Wohnung fest, habe sie vergewaltigt <strong>und</strong> zwangsprostituiert.<br />

Außerdem habe die Geschädigte geäußert, dass sie, weil sie auf Druck Milchausfluss aus der Brust sowie Schmierblutungen<br />

habe, befürchte, vom Angeklagten S. K. schwanger zu sein. Die sach-verständige Ärztin berichtete über -<br />

offensichtlich durch die Auseinandersetzung in der Trambahn verursachte - Hautverfärbungen bei der Geschädigten;<br />

bei der Untersuchung habe diese gesagt, sie habe deshalb in der Trambahn sitzen bleiben wollen, weil der Angeklagte<br />

sie zu einem Freier habe bringen wollen. Ferner stellt das Landgericht fest, dass die Angaben der Geschädigten<br />

von Zeugen bestätigt wurden, soweit sie von einer Fahrt des Angeklagten D. Ko. nach Polen im Juni 2005 sowie von<br />

ihrem Besuch in einer Gaststätte etwa am 25. Juli 2005 berichtete. Schließlich setzt sich das Landgericht eingehend<br />

mit möglicherweise entlastenden Umständen auseinander <strong>und</strong> zeigt Widersprüche zwischen den polizeilichen Beschuldigtenvernehmungen<br />

der beiden Angeklagten auf. In diesem Zusammenhang teilt das Urteil mit, dass der Angeklagte<br />

S. K. sich dahingehend eingelassen hatte, er habe die Geschädigte auf Bitten des Angeklagten D. Ko. bei<br />

sich aufgenommen <strong>und</strong> ab dem zweiten Tag nach ihrer Ankunft täglich einvernehmlichen Geschlechtsverkehr mit ihr<br />

gehabt.<br />

II. Die Revisionen machen mit Recht geltend, dass infolge von Fehlern im Ermittlungsverfahren das Recht der Angeklagten<br />

auf konfrontative Befragung der Geschädigten nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK verletzt wurde. Da die<br />

Angaben der Geschädigten nicht durch gewichtige Gesichtspunkte außerhalb ihrer Aussage gestützt werden, kann<br />

das Urteil keinen Bestand haben.<br />

1. Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK garantiert - als eine besondere Ausformung des Gr<strong>und</strong>satzes des fairen Verfahrens<br />

nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK - das Recht des Angeklagten, "Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu<br />

lassen". Die Befragung des Zeugen hat dabei gr<strong>und</strong>sätzlich, aber nicht zwingend in der Hauptverhandlung in Anwesenheit<br />

des Angeklagten zu erfolgen. Ist ein Zeuge lediglich im Ermittlungsverfahren oder sonst außerhalb der<br />

Hauptverhandlung vernommen worden, muss dem Angeklagten entweder zu dem Zeitpunkt, in dem der Zeuge seine<br />

Aussage macht, oder in einem späteren Verfahrensstadium die Gelegenheit gegeben werden, den Zeugen selbst zu<br />

befragen, unter Umständen über seinen Verteidiger befragen zu lassen. Selbst wenn der Angeklagte zu keinem Zeitpunkt<br />

die Gelegenheit zur konfrontativen Befragung des Zeugen hatte, verstößt dies jedoch nicht ohne weiteres gegen<br />

Art. 6 Abs. 3 Buchst. d i.V.m. Abs. 1 Satz 1 MRK. Entscheidend ist vielmehr, ob das Verfahren in seiner Gesamtheit<br />

einschließlich der Art <strong>und</strong> Weise der Beweiserhebung <strong>und</strong> -würdigung fair war (st. Rspr.; vgl. EGMR, Urteile<br />

vom 19. Dezember 1990 - Nr. 26/1989/186/246 - Delta gegen Frankreich = ÖJZ 1991, 425, 426; vom 28. August<br />

1992 - Nr. 39/1991/291/362 - Artner gegen Österreich = EuGRZ 1992, 476; vom 7. August 1996 - Nr.<br />

48/1995/554/640 - Ferrantelli <strong>und</strong> Santangelo gegen Italien = ÖJZ 1997, 151, 152; vom 14. Dezember 1999 - Nr.<br />

37019/97 - A.M. gegen Italien = StraFo 2000, 374, 375; vom 18. Oktober 2001 - Nr. 37225/97 - N.F.B. gegen<br />

Deutschland = NJW 2003, 2297; vom 20. Dezember 2001 - Nr. 33900/96 - P.S. gegen Deutschland = NJW 2003,<br />

2893, 2894; vom 23. November 2005 - Nr. 73047/01 - Haas gegen Deutschland = JR 2006, 289, 291; BGHSt 46, 93,<br />

94 ff. m. w. Nachw.; BGH NStZ 2004, 505, 506; 2005, 224, 225; NStZ-RR 2005, 321). Bei der Prüfung, ob insgesamt<br />

ein faires Verfahren vorlag, kommt es nach der Rechtsprechung des EGMR insbesondere auch darauf an, ob<br />

der Umstand, dass der Angeklagte keine Gelegenheit zur konfrontativen Befragung hatte, der Justiz zuzurechnen ist<br />

(EGMR [Ferrantelli & Santangelo] ÖJZ 1997, 151, 152; [Haas] JR 2006, 289, 291). Zwar muss die Justiz auch aktive<br />

Schritte unternehmen, um den Angeklagten in die Lage zu versetzen, Zeugen zu befragen oder zumindest befragen<br />

zu lassen. Allerdings ist sie nicht zu Unmöglichem verpflichtet (impossibilium nulla est obligatio). Vorausgesetzt,<br />

dass ihr keine mangelnde Sorgfalt bei den Bemühungen vorzuwerfen ist, dem Angeklagten die konfrontative<br />

Befragung von Zeugen zu ermöglichen, ist im Fall deren Unerreichbarkeit die fehlende Gelegenheit zur Befragung<br />

hinzunehmen (EGMR [Haas] aaO m. w. Nachw.). Davon, ob die unterbliebene konfrontative Befragung eines Zeugen<br />

der Justiz zuzurechnen ist, ist nach der Rechtsprechung des EGMR der Beweiswert der Angaben dieses Zeugen<br />

abhängig. So hat der EGMR entschieden, dass im Fall ausreichender, jedoch fehlgeschlagener Bemühungen seitens<br />

der Justiz eine Verurteilung aufgr<strong>und</strong> der Angaben eines nicht kontradiktorisch vernommenen Zeugen - bei äußerst<br />

sorgfältiger ("extreme care") Würdigung - möglich ist, solange sie nicht einzig <strong>und</strong> allein ("solely") auf diesen Angaben<br />

beruht (EGMR [Artner] EuGRZ 1992, 476; [Haas] JR 2006, 289, 291). Insbesondere bei Vorliegen von Verfahrensfehlern<br />

hat er demgegenüber bereits dann einen Konventionsverstoß angenommen, wenn sich die Verurteilung<br />

zwar nicht allein, aber in einem entscheidenden Ausmaß ("to a decisive extent") auf Angaben eines solchen<br />

Zeugen stützt (EGMR [Delta] ÖJZ 1991, 425, 426; [A.M.] StraFo 2000, 374, 375; [P.S.] NJW 2003, 2893, 2894).<br />

Bei der Anwendung des deutschen Strafprozessrechts ist die MRK in der Auslegung, die sie durch Rechtsprechung<br />

des EGMR erfahren hat, zu berücksichtigen (BVerfG NJW 2004, 3407; BGHSt 45, 321, 328 f.). Daher gilt für die<br />

tatrichterliche Beweiswürdigung: Ist die unterbliebene konfrontative Befragung eines Zeugen der Justiz zuzurechnen,<br />

kann eine Verurteilung auf dessen Angaben nur gestützt werden, wenn diese durch andere gewichtige Gesichts-<br />

212


punkte außerhalb der Aussage bestätigt werden (BGHSt 46, 93, 106; BGH NStZ 2005, 224, 225; NStZ-RR 2005,<br />

321; vgl. auch BGH NJW 2003, 3142, 3144; NStZ 2004, 505, 506 f.).<br />

2. Dass die Angeklagten keine Gelegenheit hatten, die Geschädigte zu befragen, beruht, wie die Strafkammer zutreffend<br />

festgestellt hat, auf Fehlern im Ermittlungsverfahren. Ob sie die Unerreichbarkeit der Geschädigten in der<br />

Hauptverhandlung mit Recht bejaht hat, braucht der Senat daher nicht zu entscheiden.<br />

a) Entgegen § 168c Abs. 5 Satz 1 StPO wurde der Verteidiger des Angeklagten S. K. nicht von der ermittlungsrichterlichen<br />

Vernehmung der Geschädigten am 16. August 2005 benachrichtigt. Dies beruht auf einem Verschulden der<br />

Justiz, da die am 4. August 2005 bei den Justizbehörden in München eingegangene schriftliche Verteidigungsanzeige<br />

erst am 19. August 2005 der sachbearbeitenden Staatsanwältin <strong>und</strong> erst am 24. August 2005 dem zuständigen Ermittlungsrichter<br />

vorgelegt wurde. Für den Rechtsverstoß macht es keinen Unterschied, ob die erforderliche Benachrichtigung<br />

absichtlich, versehentlich oder unter Verkennung der gesetzlichen Voraussetzungen unterblieben ist (BVerfG<br />

[Kammer] NJW 2006, 672, 673; BGH NJW 2003, 3142, 3143 m. w. Nachw.). Weiterhin wurde der - zunächst anwesende<br />

- Angeklagte S. K. selbst nach Unmutsäußerungen der Geschädigten <strong>und</strong> ihrem Versuch, den Vernehmungsraum<br />

zu verlassen, von der weiteren ermittlungsrichterlichen Vernehmung ausgeschlossen, bevor er von seinem<br />

Fragerecht hätte Gebrauch machen können. Nach der Würdigung der Strafkammer war indessen ein - hier auch fern<br />

liegender - Ausschlussgr<strong>und</strong> nach § 168c Abs. 3 StPO nicht gegeben. Der Ausschluss des Angeklagten drängte im<br />

Übrigen auch dazu, die Wahrnehmung seines Fragerechts durch einen Verteidiger sicherzustellen (BGHSt 46, 93, 97<br />

ff.).<br />

b) Der Angeklagte D. Ko. wurde von der ermittlungsrichterlichen Vernehmung der Geschädigten ebenfalls entgegen<br />

§ 168c Abs. 5 Satz 1 StPO nicht benachrichtigt. Obwohl das Ermittlungsverfahren formal nicht gegen ihn geführt<br />

wurde, hatte er bereits den Status eines Beschuldigten. Da die Geschädigte ihn bei den polizeilichen Vernehmungen<br />

am 2. <strong>und</strong> 3. August 2005 belastet hatte, wurde er Beschuldigter spätestens durch den Antrag der Staatsanwaltschaft<br />

auf ihre ermittlungsrichterliche Vernehmung, weil dieser auf die Sicherung der Aussage auch ihn betreffend gerichtet<br />

war. Ein Verdächtiger wird zum Beschuldigten, wenn die Ermittlungsbehörden faktisch Maßnahmen ergreifen, die<br />

erkennbar darauf abzielen, gegen ihn wegen einer Straftat vorzugehen (BGHR StPO § 55 Abs. 1 Verfolgung 3; BGH<br />

NJW 2003, 3142, 3143). Dass gegen den Angeklagten D. Ko. ebenfalls wegen der von der Geschädigten geschilderten<br />

Straftaten ermittelt werden sollte, ergibt sich zudem aus dem gegen den Angeklagten S. K. erlassenen Haftbefehl<br />

vom 3. August 2005, in dem der Angeklagte D. Ko. als anderweitig Verfolgter bezeichnet ist. Die Staatsanwaltschaft<br />

hätte daher auch auf die Benachrichtigung dieses Angeklagten hinwirken müssen. Die Voraussetzungen für ein Absehen<br />

von der Benachrichtigung nach § 168c Abs. 5 Satz 2 StPO lagen in Anbetracht der nach §§ 168e, 58a StPO<br />

getrennt durchgeführten Vernehmung fern <strong>und</strong> wurden von der Strafkammer infolgedessen nicht geprüft (hierzu<br />

BGH NJW 2003, 3142, 3144), zumal dann wiederum die Beiordnung eines Pflichtverteidigers erforderlich geworden<br />

wäre.<br />

3. Die Strafkammer ist zwar - auf der Gr<strong>und</strong>lage von BGHSt 46, 93, 103 ff. - im Ansatz zutreffend davon ausgegangen,<br />

dass der Tatnachweis voraussetzt, dass die Angaben der Geschädigten durch gewichtige Gesichtspunkte außerhalb<br />

der Aussage bestätigt werden. Sie legt diesbezüglich aber nicht die hier gebotenen strengen Maßstäbe an, so<br />

dass das Urteil sich im Ergebnis als rechtsfehlerhaft erweist. Die Strafkammer hat eine fachk<strong>und</strong>ige - für sich genommen<br />

rechtsfehlerfreie - Aussageanalyse vorgenommen. Schon hierbei wäre allerdings zu bedenken gewesen,<br />

dass gerade den Merkmalen, dass die Angaben "detailreich" <strong>und</strong> "in einen vielschichtigen Kontext eingeb<strong>und</strong>en"<br />

sind, infolge des Fehlens einer kontradiktorischen Erörterung ein geringeres Gewicht zukommt (Senat, Urteil vom<br />

25. Juli 2000 - 1 StR 169/00 - Umdr. S. 27 f., in BGHSt 46, 93 nicht abgedruckt). Die weiteren Beweismittel, die das<br />

Urteil zur Bestätigung der Aussage anführt, genügen hier im Hinblick darauf, dass die unterbliebene konfrontative<br />

Befragung der Justiz zuzurechnen ist, den sich daraus ergebenden besonderen Beweiswürdigungs- <strong>und</strong> Begründungsanforderungen<br />

nicht. Die Überzeugung der Kammer stützt sich wesentlich auf die "Entstehungsgeschichte" der<br />

Aussage, die Auseinandersetzung in der Trambahn <strong>und</strong> die ersten zeitnah erfolgten Äußerungen der Geschädigten;<br />

beides wird durch Zeugen- <strong>und</strong> Sachverständigenbeweis bestätigt. Was die Auseinandersetzung in der Trambahn<br />

anbelangt, so ließe sie sich jedoch auch mit einem vom Angeklagten - gleichfalls zeitnah - behaupteten Beziehungsstreit<br />

in Einklang bringen. Dies gilt umso mehr, als nach den Urteilsfeststellungen die Geschädigte selbst aussagte,<br />

sie habe etwa vor den Familienmitgliedern so getan, als habe sie eine Beziehung mit dem Angeklagten S. K. . Dass<br />

die Auseinandersetzung bei den beiden Fahrgästen nicht den "Eindruck eines Beziehungsstreits erweckte", ist indessen<br />

nicht ausreichend mit Tatsachen belegt <strong>und</strong> stellt ein bloßes Werturteil dieser Zeugen dar. Die ersten Äußerungen<br />

der Geschädigten gegenüber der Polizei sprechen zwar - als wichtiger Teil der Aussagegenese - für die Glaubhaftigkeit<br />

der Aussage; es handelt sich hierbei aber nicht um Gesichtspunkte, die außerhalb der Aussage liegen. Die auf<br />

eine Schwangerschaft der Geschädigten hindeutenden Umstände (Milchausfluss <strong>und</strong> Schmierblutungen) sind zudem<br />

nicht aussagekräftig bezüglich der Feststellung, dass der Geschlechtsverkehr nicht einvernehmlich stattfand. Soweit<br />

213


sich die Überzeugung der Strafkammer darauf stützt, dass die Angaben der Geschädigten von Zeugen insofern bestätigt<br />

wurden, als sie von einer Fahrt des Angeklagten D. Ko. nach Polen im Juni 2005 sowie von ihrem Besuch in<br />

einer Gaststätte etwa am 25. Juli 2005 berichtete, fehlt es an einem hinreichenden Bezug zu den festgestellten Taten.<br />

Auch teilt das Urteil nicht mit, ob <strong>und</strong> wie sich die Angeklagten bei ihren polizeilichen Vernehmungen hierzu eingelassen<br />

hatten. Augenzeugen, die Angaben zum Kerngeschehen machen konnten, standen dem Landgericht nicht zur<br />

Verfügung. Auch objektive Beweismittel, mit denen die von der Geschädigten geschilderten Taten bestätigt worden<br />

wären, waren nicht vorhanden (vgl. Senat aaO S. 28).<br />

4. Auf dem Rechtsfehler beruht das angegriffene Urteil (§ 337 Abs. 1 StPO). Ein Freispruch durch den Senat selbst<br />

kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil eine erneute Vernehmung der Geschädigten, die dem Fragerecht der<br />

Angeklagten nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK Rechnung trägt, nicht auszuschließen ist.<br />

RVG § 42 Abs. 1 Satz – Pauschvergütung für Fremdschriftsatz in Revision<br />

BGH, Beschl. vom 02.04.2007 – 1 StR 579/05<br />

Für die Tätigkeit des Antragstellers im Revisionsverfahren kommt die Festsetzung einer Pauschvergütung<br />

gemäß § 42 Abs. 1 Satz 5 RVG nicht in Betracht, wenn die umfangreiche Revisionsbegründung,<br />

auf die der Antragsteller sich zur Begründung seines Antrages stützt, nicht von ihm,<br />

sondern von einem weiteren Wahlverteidiger des Freigesprochenen gefertigt wurde.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 2. April 2007 beschlossen: Der Antrag des Verteidigers Rechtsanwalt<br />

H. aus B. auf Festsetzung einer Pauschvergütung für das Revisionsverfahren wird abgelehnt.<br />

Gründe:<br />

Für die Tätigkeit des Antragstellers im Revisionsverfahren kommt die Festsetzung einer Pauschvergütung gemäß §<br />

42 Abs. 1 Satz 5 RVG nicht in Betracht. Die umfangreiche Revisionsbegründung, auf die der Antragsteller sich zur<br />

Begründung seines Antrages stützt, wurde nicht von ihm, sondern von einem weiteren Wahlverteidiger des Freigesprochenen<br />

gefertigt. Die von dem Antragsteller allein vorgenommene Revisionseinlegung rechtfertigt eine über die<br />

gesetzlichen Gebühren (bis 1.162,50 € gemäß Nr. 4130, 4131 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG) hinausgehende<br />

Vergütung nicht. Insbesondere kann keine Rede davon sein, dass diese Gebühren - wie von § 42 Abs. 1 Satz 1<br />

RVG vorausgesetzt - hier angesichts eines besonderen Umfangs oder einer besonderen Schwierigkeit der von dem<br />

Antragsteller entfalteten Tätigkeit unzumutbar wären.<br />

RVG Gebühr für Verfallsbeteiligtenvertreter<br />

BGH, Beschl. vom 14.12.2006 – 5 StR 119/05<br />

Der Senat fände es unverständlich, wenn die Gebühren für die Tätigkeit des Vertreters der Verfallsbeteiligten<br />

im Revisionsverfahren ohne sachlichen Gr<strong>und</strong> das vielfache einer normalen Gebühr<br />

für die umfassende revisionsrechtliche Verteidigung gegen ganz erhebliche Rechtsfolgen bis hin zu<br />

lebenslanger Freiheitsstrafe betragen. Dies legt die Neuregelung des Gebührenrechts im RVG nach<br />

Nr. 4142 VV nahe, soweit danach für derartige Gebühren alleine auf den Gegenstandswert abzustellen<br />

ist. Jedenfalls für das Revisionsverfahren ist eine derartige Ungleichbehandlung zwischen<br />

der Abwehr derart schwerstwiegender Rechtsfolgen mit langjähriger Freiheitsentziehung <strong>und</strong> der<br />

Abwehr derartiger vermögensrechtlicher Folgen unter keinem sachlichen Gesichtspunkt zu rechtfertigen;<br />

sie erfordert deshalb gegebenenfalls ein berichtigendes Eingreifen des Gesetzgebers.<br />

Der 5. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 14. Dezember 2006 beschlossen:<br />

Der Gegenstandswert für das Revisionsverfahren wird hinsichtlich der Verfallsbeteiligten auf 11.777.995 Euro festgesetzt.<br />

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.<br />

Gründe<br />

1. Der vom Senat gemäß § 10 Abs. 1 BRAGO in Verbindung mit § 61 Abs. 1 RVG festzusetzende Gegenstandswert<br />

für die Tätigkeit des Vertreters der Verfallsbeteiligten im Revisionsverfahren bemisst sich nach dem wirtschaftlichen<br />

Interesse der Verfallsbeteiligten an der Abwehr der Revision der Staatsanwaltschaft, soweit diese das Unterlassen<br />

214


einer Verfallsanordnung mit der Sachrüge beanstandet hat. Dieses Interesse ergibt sich hier aus dem Antrag der<br />

Staatsanwaltschaft im Schlussplädoyer des erstinstanzlichen Verfahrens. Die Staatsanwaltschaft hat erstinstanzlich<br />

die Anordnung des Verfalls von Wertersatz gegen die Verfallsbeteiligte in Höhe von 11.777.995 Euro beantragt.<br />

Zwar bezog sich der Antrag der Staatsanwaltschaft nach dem Hauptverhandlungsprotokoll vom 10. Mai 2004 vordergründig<br />

auf die Aufrechterhaltung des Arrestes. Entgegen dieser ungenügenden Bezeichnung war der Antrag<br />

jedoch zumindest auch auf die Anordnung des Verfalls von Wertersatz gerichtet. Aus dem Umstand, dass die staatsanwaltschaftliche<br />

Revision einen höheren Verfallsbetrag (den Bruttowerklohn in Höhe von ca. 400 Mio. Euro, insoweit<br />

von der B<strong>und</strong>esanwaltschaft nicht vertreten) zum rechtlichen Ausgangspunkt ihres Revisionsangriffs genommen<br />

hat, ergibt sich nichts anderes. Weil bereits zum Zeitpunkt des erstinstanzlichen Urteils das Insolvenzverfahren über<br />

das Vermögen der Verfallsbeteiligten eröffnet war, kam unter Berücksichtigung der in Durchführung des Arrestes<br />

erfolgten Pfändungen realistischerweise eine durchsetzbare Verfallsanordnung über den beantragten Betrag von<br />

11.777.995 Euro hinaus ohnehin nicht in Betracht.<br />

2. Der Senat hat erwogen, ob dem Antrag des Vertreters der Verfallsbeteiligten das Rechtsschutzbedürfnis unter dem<br />

Gesichtspunkt fehlt, dass der Gegenstandswert hier möglicherweise überhaupt keine Auswirkungen auf die Gebührenhöhe<br />

haben kann (vgl. zu einem derartigen Fall LG Stuttgart RVGLetter 2004, 91). Denn der Senat ist der Auffassung,<br />

dass angesichts der vergleichsweise geringen Tätigkeit des Vertreters der Verfallsbeteiligten vorliegend schon<br />

der übliche Gebührenrahmen für das Revisionsverfahren nach § 95 BRAGO in Verbindung mit §§ 12, 86 BRAGO<br />

ausreicht, um die gesamte Tätigkeit für die Verfallsbeteiligte in der Revisionsinstanz angemessen zu entgelten. Weil<br />

in jeder Instanz die Notwendigkeit einer etwaigen Gebührenerhöhung gesondert zu prüfen ist (vgl. Madert in Gerold/Schmidt/v.<br />

Eicken/Madert, BRAGO 15. Aufl. § 88 Rdn. 6), können die Einwände des Vertreters der Verfallsbeteiligten<br />

zu seiner Tätigkeit in der Tatsacheninstanz (betreffend den Aktenumfang etc.) nicht verfangen. Der Stoff<br />

des Revisionsverfahrens war insoweit eng begrenzt. Es liegt auch kein erhebliches, eine Überschreitung des Gebührenrahmens<br />

rechtfertigendes Haftungsrisiko bei einer derartigen Abwehr eines mit der Sachrüge geführten staatsanwaltschaftlichen<br />

Angriffs in der Revisionsinstanz vor. Der Vertreter der Verfallsbeteiligten hat trotz dieser ihm gegenüber<br />

geäußerten Bedenken ausdrücklich an seinem Antrag auf Festsetzung des Gegenstandswerts (erst in Höhe<br />

von 15 Mio. Euro, dann in Höhe von ca. 405 Mio. Euro, hilfsweise in Höhe von ca. 153 Mio. Euro) festgehalten.<br />

Weil dem Rechtsanwalt nach § 12 Abs. 1 BRAGO die Festlegung der Gebühr nach billigem Ermessen obliegt, wobei<br />

nach § 88 Satz 1 BRAGO auch der Gegenstandswert zu berücksichtigen ist (wenn dies auch - für sich gesehen -<br />

nicht zur Überschreitung des Gebührenrahmens führen muss, vgl. Madert aaO § 88 Rdn. 6), war der Wert letztlich<br />

wie geschehen festzusetzen.<br />

3. Abschließend bemerkt der Senat, dass er es unverständlich fände, wenn die Gebühren für eine derartige Tätigkeit<br />

in der Revisionsinstanz letztlich (wie. hier in Höhe von ca. 270.000 Euro beantragt) ohne sachlichen Gr<strong>und</strong> das vielfache<br />

einer normalen Gebühr für die umfassende revisionsrechtliche Verteidigung gegen ganz erhebliche Rechtsfolgen<br />

bis hin zu lebenslanger Freiheitsstrafe betragen. Dies legt die Neuregelung des Gebührenrechts im RVG nach<br />

Nr. 4142 W nahe, soweit danach für derartige Gebühren alleine auf den Gegenstandswert abzustellen ist (vgl. Hartmann,<br />

Kostengesetze 36. Aufl. W 4142 Rdn. 6 ff.). Jedenfalls für das Revisionsverfahren ist eine derartige Ungleichbehandlung<br />

zwischen der Abwehr derart schwerstwiegender Rechtsfolgen mit langjähriger Freiheitsentziehung<br />

<strong>und</strong> der Abwehr derartiger vermögensrechtlicher Folgen unter keinem sachlichen Gesichtpunkt zu rechtfertigen; sie<br />

erfordert deshalb gegebenenfalls ein berichtigendes Eingreifen des Gesetzgebers.<br />

215


StGB § 9 Abs. 2 – Auslandstaten Teilnahme<br />

BGH, Urt. vom 14.12.2006 – 4 StR 421/06<br />

StGB - Allgemeiner Teil<br />

Wie § 9 Abs. 2 StGB zeigt, geht es davon aus, dass bei vom deutschen Strafrecht erfassten Auslandstaten<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich auch die Teilnahme strafbar ist. <strong>Verfahrensrecht</strong>lich hat dies die Konsequenz,<br />

dass die Prozessvoraussetzung deutscher Zuständigkeit stets gegeben ist, gleichgültig, ob später in<br />

der Hauptverhandlung festgestellt wird, dass der Angeklagte Täter oder nur Teilnehmer des im<br />

Ausland begangenen - vertriebsbezogenen - unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln<br />

war.<br />

Der 4. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. Dezember 2006 für Recht erkannt:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten C. wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 16. Mai 2006, soweit es ihn<br />

betrifft,<br />

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln<br />

in nicht geringer Menge sowie der Beihilfe zum bandenmäßigen unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln<br />

in nicht geringer Menge in zwei Fällen schuldig ist,<br />

b) im Ausspruch über die Einzelstrafen in den Fällen II. 3 <strong>und</strong> 4 der Urteilsgründe <strong>und</strong> im Gesamtstrafenausspruch<br />

mit den Feststellungen aufgehoben,<br />

c) im Hinblick auf die Verfallsanordnung dahin berichtigt, dass der Verfall von Wertersatz in Höhe von 13.613,40<br />

Euro angeordnet ist.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels des Angeklagten C. , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten C. <strong>und</strong> die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das vorbezeichnete<br />

Urteil werden verworfen.<br />

4. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> die dem Angeklagten durch dieses Rechtsmittel entstandenen<br />

notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten C. wegen gemeinschaftlichen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens<br />

mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt<br />

(Einzelstrafen: fünf Jahre drei Monate, fünf Jahre ein Monat <strong>und</strong> fünf Jahre zwei Monate Freiheitsstrafe) <strong>und</strong><br />

den Verfall von Wertersatz in Höhe von 18.613,40 Euro angeordnet. Gegen dieses Urteil wenden sich der Angeklagte<br />

<strong>und</strong> - zu seinen Ungunsten - die Staatsanwaltschaft mit ihren auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten<br />

Revisionen. Der Angeklagte macht geltend, die Verurteilung wegen bandenmäßigen <strong>und</strong> täterschaftlich begangenen<br />

unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln sei rechtsfehlerhaft. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrem<br />

auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten <strong>und</strong> vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt vertretenen Rechtsmittel gegen die<br />

Höhe der verhängten Strafen; diese seien zu niedrig <strong>und</strong> entfernten sich von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich<br />

zu sein. Das Rechtsmittel des Angeklagten hat in dem aus dem Urteilstenor er-sichtlichen Umfang Erfolg; im<br />

Übrigen ist es unbegründet. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.<br />

I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: Der Mitangeklagte J. gehörte einer in ganz Europa<br />

tätigen Organisation von Rauschgifthändlern an. Ihm kam die Aufgabe zu, mit anderen Bandenmitgliedern - u.a. dem<br />

anderweitig verfolgten Co. <strong>und</strong> dem Angeklagten - für den Transport, die Zwischenlagerung <strong>und</strong> die Verteilung der<br />

Drogen zu sorgen. Dabei kam es zu folgenden Taten, an denen der Angeklagte C. beteiligt war:<br />

1. J. erwartete Mitte 2001 eine größere Lieferung Haschisch aus Marokko, die nach Spanien eingeführt werden<br />

sollte. Um das Rauschgift von dort aus zu seinem "Bestimmungsort" Großbritannien zu verbringen, sollten in Spanien<br />

<strong>und</strong> England Im- <strong>und</strong> Exportfirmen gegründet werden. J. bat deshalb den anderweitig verfolgten Co. , in<br />

Malaga (Spanien) über einen Strohmann eine solche Firma gründen zu lassen. Zur Durchführung des Plans sollte<br />

eine Lagerhalle angemietet werden, in der das Rauschgift umgeladen werden konnte. Co. teilte dem in Deutschland<br />

ansässigen Angeklagten C. , von dem er wusste, dass dieser fließend Spanisch sprach <strong>und</strong> sich außerdem in<br />

finanziellen Schwierigkeiten befand, den Tatplan mit <strong>und</strong> gewann ihn - im Einverständnis mit J. - für das Vorhaben.<br />

Mit Hilfe eines Rechtsanwalts wurden sodann in Malaga auf den Namen des Angeklagten ein Appartement <strong>und</strong><br />

216


eine Lagerhalle angemietet sowie eine Im- <strong>und</strong> Exportfirma gegründet. Außerdem wurden auf seinen Namen Bankkonten<br />

eingerichtet. Eine gleiche Firma wurde - von Anderen - in England gegründet. Als im Sommer 2001 die erwarteten<br />

drei Tonnen Haschisch per Schiff aus Marokko angeliefert worden waren, wurden sie auf Anweisung des<br />

J. in die Lagerhalle nach Malaga verbracht. Dort wurde das Rauschgift vom Angeklagten <strong>und</strong> dem weiteren Bandenmitglied<br />

S. mit Schuhen in Kartons verpackt. Das in die "Legalware" verpackte Haschisch wurde sodann mit<br />

Hilfe eines vom Angeklagten beauftragten Speditionsunternehmens in mehreren Transporten nach England verbracht.<br />

Der letzte Transport - 539 kg Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von 3,5 % THC - wurde am 21. September<br />

2001 in Frankreich sichergestellt. Nachdem der Angeklagte hiervon erfahren hatte, veranlasste er nach Rücksprache<br />

mit Co. die Kündigung der Mietverträge <strong>und</strong> die Löschung der Firma. Anfang November 2001 kehrte er<br />

nach Deutschland zurück. Insgesamt hat der Angeklagte C. von J. als Entlohnung für seine Tätigkeiten<br />

30.000 niederländische Gulden (= 13.613,40 Euro) erhalten (Fall II. 2 der Urteilsgründe).<br />

2. Als Ende des Jahres 2001 für den Mitangeklagten J. eine weitere Haschischlieferung von mindestens 950 kg<br />

in Spanien angekommen war, sollte diese über eine Keramikfabrik in Portugal durch Speditionen nach Großbritannien<br />

verbracht werden. Zu diesem Zweck wurden in Spanien zwei Fahrzeuge, beladen mit jeweils mindestens 300 kg<br />

Haschisch, nach Portugal gefahren. Eines der Fahrzeuge fuhr - in Begleitung eines ebenfalls in die Tat einbezogenen<br />

Mitfahrers - der Angeklagte. Insgesamt waren an dem Transport drei Fahrzeuge beteiligt. In der Keramikfabrik wurde<br />

das Rauschgift anschließend entladen, mit Hilfe einer Vakuummaschine geruchssicher verpackt <strong>und</strong> später nach<br />

Großbritannien gebracht. Ein weiterer Transport nach Portugal - mit den restlichen ca. 350 kg Haschisch - erfolgte<br />

Mitte des Jahres 2002 durch den Angeklagten, der das Rauschgift mit einem Anderen zuvor neu verpackt hatte. J.<br />

<strong>und</strong> Co. unterstützten sie dabei. Auf der Fahrt wurde der Angeklagte von Co. <strong>und</strong> dessen Tochter begleitet. Auch<br />

dieses Haschisch war für den Weitertransport nach Großbritannien bestimmt. Dem Angeklagten war für seine Tätigkeit<br />

eine Entlohnung versprochen worden; ob er sie erhalten hat, ist nicht festgestellt (Fall II. 3 der Urteilsgründe).<br />

3. Im Juni 2002 erwartete J. sechs Tonnen Haschisch, die mit einem Schiff in eine portugiesische Hafenstadt<br />

geliefert werden sollten. Von dort aus sollte das Rauschgift in kleineren Mengen zu einer nördlich von Lissabon<br />

gelegenen Tonfabrik transportiert, dort in Tonprodukte eingearbeitet <strong>und</strong> dann in die Beneluxstaaten <strong>und</strong> nach England<br />

geschmuggelt werden. Nachdem 800 kg Haschisch so "verarbeitet" <strong>und</strong> nach Großbritannien gebracht worden<br />

waren, sollte eine weitere Tonne des Rauschgifts zu der Fabrik transportiert werden. Co. rief dazu den Angeklagten<br />

C. an, der von Deutschland aus nach Faro flog. Er übernahm in Lagos (Portugal) einen mit dem Rauschgift beladenen<br />

Kleintransporter <strong>und</strong> fuhr diesen zu der Fabrik, wobei er u.a. von J. <strong>und</strong> Co. , die sich in einem weiteren<br />

Fahrzeug befanden, begleitet wurde. Das Haschisch wurde sodann in der Tonfabrik in den Sockeln von Tonsäulen<br />

verstaut <strong>und</strong> nach England transportiert. Ob der Angeklagte die ihm versprochenen 2.000 Euro für die Fahrt erhalten<br />

hat, konnte nicht festgestellt werden (Fall II. 4 der Urteilsgründe).<br />

II. Revision des Angeklagten<br />

1. Die Revision des Angeklagten hat zum Schuldspruch nur insoweit Erfolg als dieser in den Fällen II. 3 <strong>und</strong> 4 der<br />

Urteilsgründe der rechtlichen Überprüfung nicht standhält; in diesen Fällen liegt – anders als im Fall II. 2 – nicht<br />

Mittäterschaft, sondern nur Beihilfe vor.<br />

a) Das Landgericht hat für alle abgeurteilten Fälle die Einbindung des Angeklagten C. in die Rauschgifthändler-<br />

Bande um den Mitangeklagten J. rechtsfehlerfrei festgestellt. Der Angeklagte wusste seit seinem Gespräch mit<br />

dem anderweitig verfolgten Co. , das zu der ersten Tat (II. 2 der Urteilsgründe) führte, dass es um internationalen<br />

Drogenhandel großen Stils ging <strong>und</strong> seine Sprachkenntnisse in Spanisch gefragt waren. Er lernte sodann auch<br />

weitere Bandenmitglieder kennen <strong>und</strong> wurde in die Bandenstruktur eingeb<strong>und</strong>en. Den Urteilsgründen ist zu entnehmen<br />

(vgl. UA 55 f., 59, 91 ff., 106), dass diese Einbindung auf mehrere, noch ungewisse selbständige Taten <strong>und</strong> auf<br />

eine gewisse Dauer angelegt war (vgl. BGHSt 46, 321; 50, 160, 161) <strong>und</strong> - jedenfalls - zur Zeit der hier abgeurteilten<br />

Straftaten bestand. Dass die Mitgliedschaft in der Bande nicht in jedem Falle ein mittäterschaftliches Handeln bei<br />

den Bandentaten zur Folge hatte (s. unten II. 1 b) <strong>und</strong> der Angeklagte in den Fällen II. 3 <strong>und</strong> 4 der Urteilsgründe -<br />

wie die Revision ausführt - "jeweils nur ad hoc beigezogen wurde", steht der Bandenmitgliedschaft des Angeklagten<br />

nicht entgegen (vgl. BGHSt 47, 214, 216; BGH StV 2005, 666, 668; Weber, BtMG 2. Aufl. § 30 Rdn. 74).<br />

b) Die Frage, ob die Beteiligung an einer Bandentat Mittäterschaft oder Beihilfe ist, beurteilt sich auch beim bandenmäßigen<br />

unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nach den allgemeinen Gr<strong>und</strong>sätzen über die Abgrenzung<br />

zwischen diesen Beteiligungsformen (BGH NStZ 2002, 375, 377). Wesentliche Anhaltspunkte für die Beurteilung,<br />

ob ein Tatbeteiligter beim unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln Mittäter oder nur Gehilfe ist, sind<br />

insbesondere der Grad des eigenen Interesses am Erfolg, der Umfang der Tatbeteiligung <strong>und</strong> die Tatherrschaft oder<br />

wenigstens der Wille dazu, so dass Durchführung <strong>und</strong> Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Tatbeteiligten<br />

abhängen (st. Rspr., vgl. nur BGH NStZ 1999, 451, 452; 2000, 482). Unter Berücksichtigung dieser Gr<strong>und</strong>sätze<br />

tragen die vom Landgericht getroffenen Feststellungen lediglich im Fall II. 2 die Verurteilung wegen (mit-) täter-<br />

217


schaftlichen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge; in den<br />

Fällen II. 3 <strong>und</strong> 4 der Urteilsgründe war der Angeklagte dagegen lediglich Gehilfe.<br />

aa) Im Fall II. 2 der Urteilsgründe war der Angeklagte von Anfang an un-verzichtbar in die Bandentat eingeb<strong>und</strong>en.<br />

Er hatte - wie er wusste - bei der von vornherein geplanten arbeitsteiligen Vorgehensweise wichtige, mit einem hohen<br />

Maß an Tatherrschaft verb<strong>und</strong>ene Funktionen inne: So hat er u.a. maßgeblich zu der für die Durchführung der<br />

Tat erforderlichen Gründung der Im- <strong>und</strong> Exportfirma in Malaga beigetragen, war in der auf seinen Namen angemieteten<br />

Lagerhalle während der gesamten Zeit als ein-flussreicher "Lagerverwalter" von insgesamt drei Tonnen<br />

Rauschgift vor Ort, versteckte gemeinsam mit einem anderen Bandenmitglied das Haschisch in Kartons mit "Legalware",<br />

beauftragte den Speditionsunternehmer <strong>und</strong> übernahm so wichtige Verteilungsaufgaben für die Bande. Im<br />

Hinblick auf den ihm gewährten finanziellen Vorteil in Höhe von insgesamt 30.000 Gulden hatte er auch ein erhebliches<br />

eigenes Interesse an der Durchführung <strong>und</strong> dem Gelingen der Drogentransporte.<br />

bb) Ähnlich wichtige Funktionen hatte der Angeklagte in den Fällen II. 3 <strong>und</strong> 4 der Urteilsgründe jedoch nicht: Im<br />

Fall II. 3 wirkte er nur beim Verpacken des Rauschgifts <strong>und</strong> beim Transport mit; im Fall II. 4 war er - ähnlich wie ein<br />

Kurier, ohne allerdings Verfügungsmacht über das Haschisch zu haben - lediglich bei einem der Transporte beteiligt.<br />

Ob er die ihm versprochenen, eher geringen Entlohnungen (im Fall II. 4: 2.000 €) überhaupt erhalten hat, konnte<br />

nicht festgestellt werden. Insgesamt rechtfertigen die nur untergeordneten Hilfsdienste des Angeklagten in den Fällen<br />

II. 3 <strong>und</strong> 4 der Urteilsgründe lediglich eine Verurteilung wegen Beihilfe zum bandenmäßigen unerlaubten Handeltreiben<br />

mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (vgl. BGHSt 50, 252, 266 f.; BGH NStZ 2006, 454, 455;<br />

Winkler NStZ 2006, 328 m.w.N.).<br />

cc) Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab. § 265 StPO steht dem nicht entgegen; denn der Angeklagte<br />

hätte sich gegen den geänderten Schuldspruch nicht wirksamer als bisher verteidigen können. Soweit sich die Anwendbarkeit<br />

deutschen Strafrechts aus § 6 Nr. 5 StGB ergibt (UA 88), gilt dies auch für im Ausland begangene Beihilfehandlungen<br />

zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, sofern sich diese – wie hier – auf den unbefugten<br />

Vertrieb von Betäubungsmitteln beziehen (vgl. BGHSt 34, 1, 2 [Betäubungsmittel vertreibt i.S.d § 6 Nr. 5<br />

StGB, wer allein oder durch seine Mitwirkung ihren in der Regel entgeltlichen Absatz an andere fördert]; BGH,<br />

Urteil vom 3. August 2005 – 2 StR 360/04; BGHSt 46, 292, 294 ff. [zu § 6 Nr. 9 StGB]; vgl. auch BGHR StGB § 6<br />

Nr. 1 Völkermord 1; Gribbohm in LK 11. Aufl. Vor § 3 Rdn. 203, § 3 Rdn. 6; Lackner/Kühl, StGB 25. Aufl. Vor §§<br />

3-7 Rdn. 1; aA MK-Ambos StGB § 3 Rdn. 7; Eser in Schönke-Schröder, StGB 27. Aufl. § 3 Rdn. 4); denn das Gesetz<br />

bezeichnet in § 8 StGB nicht nur die Täterschaft, sondern auch die Teilnahme als “Tat“ im Sinne der §§ 3 ff.<br />

StGB. Wie § 9 Abs. 2 StGB zeigt, geht es davon aus, dass bei vom deutschen Strafrecht erfassten Auslandstaten<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich auch die Teilnahme strafbar ist. <strong>Verfahrensrecht</strong>lich hat dies die Konsequenz, dass die Prozessvoraussetzung<br />

deutscher Zuständigkeit stets gegeben ist, gleichgültig, ob später in der Hauptverhandlung festgestellt wird,<br />

dass der Angeklagte Täter oder nur Teilnehmer des im Ausland begangenen – vertriebsbezogenen - unerlaubten<br />

Handeltreibens mit Betäubungsmitteln war (vgl. Gribbohm aaO § 5 Rdn. 47).<br />

2. Die Änderung des Schuldspruchs in den Fällen II. 3 <strong>und</strong> 4 der Urteilsgründe zieht die Aufhebung der Strafaussprüche<br />

in diesen Fällen <strong>und</strong> des Gesamtstrafenausspruchs nach sich. Im Fall II. 2 weist die Strafzumessung keinen<br />

Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Das angefochtene Urteil ist aber dahin zu berichtigen, dass der für<br />

diesen Fall angeordnete Verfall von Wertersatz nicht – wie in die Urteilsformel aufgenommen – in Höhe von<br />

18.613,40 Euro, sondern nur in Höhe von 13.613,40 Euro besteht (vgl. UA 20, 51).<br />

III. Revision der Staatsanwaltschaft<br />

Die - auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte - Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet. Nach ständiger<br />

Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs ist die Strafzumessung gr<strong>und</strong>sätzlich Sache des Tatrichters, der auf der<br />

Gr<strong>und</strong>lage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von Tat <strong>und</strong> Täter gewonnen hat, die wesentlichen<br />

be- <strong>und</strong> entlastenden Umstände festzustellen, zu bewerten <strong>und</strong> gegeneinander abzuwägen hat. Das Revisionsgericht<br />

kann nur dann eingreifen, wenn die tatrichterlichen Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn<br />

sie gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von<br />

ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatrichter<br />

eingeräumten Spielraums liegt (vgl. nur BGHSt 34, 345, 349; BGHR StGB § 46 Abs. 1 Strafhöhe 10, 12, 14). Solche<br />

Rechtsfehler liegen hier nicht vor. Im Hinblick auf die Fälle II. 3 <strong>und</strong> 4 der Urteilsgründe sind die Strafen wegen<br />

der Schuldspruchänderung <strong>und</strong> der damit verb<strong>und</strong>enen Strafrahmenverschiebung zugunsten des Angeklagten auf<br />

dessen Revision neu zu bestimmen. Davon abgesehen sind die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts auf<br />

der Gr<strong>und</strong>lage der Urteilsfeststellungen <strong>und</strong> der im Urteil vorgenommenen rechtlichen Würdigung – entgegen der<br />

Auffassung der Beschwerdeführerin – aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden: Die Strafkammer hat den Strafrahmen<br />

des § 30a Abs. 1 BtMG zugr<strong>und</strong>e gelegt <strong>und</strong> insbesondere wegen der außerordentlich großen Mengen an Betäubungsmitteln<br />

minder schwere Fälle des Bandenhandels (§ 30a Abs. 3 BtMG) verneint. Sie hat zugunsten des<br />

218


Angeklagten namentlich gewertet, dass er im Wesentlichen geständig war <strong>und</strong> die Taten bereut hat, er zu diesen<br />

durch Co. , mit dem er in "familiärer Weise" verb<strong>und</strong>en war, verleitet wurde, er nicht vorbestraft <strong>und</strong> durch die<br />

Untersuchungshaft ersichtlich beeindruckt war, er in der Organisation lediglich eine untergeordnete Position eingenommen,<br />

die Taten auch wegen seiner schlechten finanziellen Situation begangen <strong>und</strong> aus ihnen eher geringe finanzielle<br />

Vorteile gezogen hat. Für den Angeklagten spreche weiter, dass die Taten schon eine erhebliche Zeit zurücklagen<br />

<strong>und</strong> er wegen der Verurteilung mit einer möglichen Abschiebung rechnen müsse, was ihn aufgr<strong>und</strong> seiner familiären<br />

Situation <strong>und</strong> seiner in Deutschland aufgebauten beruflichen Existenz als Ausländer besonders treffe. Diese<br />

Wertungen des Landgerichts lassen durchgreifende Rechtsfehler nicht erkennen. Soweit die Staatsanwaltschaft in<br />

ihrer Rechtsmittelbegründung versucht, die Strafzumessung anders zu gewichten als die Strafkammer, kann sie damit<br />

im Revisionsverfahren nicht gehört werden. Die Strafen sind zwar niedrig, sie entfernen sich aber noch nicht nach<br />

unten von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, sondern liegen noch innerhalb des Beurteilungsrahmens,<br />

der dem Tatrichter eingeräumt ist (vgl. BGHSt 29, 319, 320). Allerdings dürfte - auch nach der Neubemessung<br />

der Einzelstrafen in den Fällen II. 3 <strong>und</strong> 4 der Urteilsgründe - eine noch niedrigere Gesamtstrafe kaum in Betracht<br />

kommen.<br />

StGB § 11 Abs. 1 Nr. 2 Iit. c, §§ 333 ff. Amtsträger Kommunale Wohnbaugesellschaft<br />

BGH, Urteil vom 18.04.2007 - 5 StR 506/06<br />

LS: Ein Mitarbeiter einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft ist kein Amtsträger, wenn die<br />

Wohnungsbaugesellschaft nur einer von vielen Anbietern von Wohnraum ist, der mit städtischen<br />

Belegungsrechten belastet ist (im Anschluss an BGHSt 38, 199).<br />

Der 5. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. April 2007 für Recht erkannt:<br />

1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> des Angeklagten B. gegen das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom<br />

5. Juli 2006 werden mit der Maßgabe verworfen, dass die jeweiligen Verurteilungen wegen tateinheitlicher Bestechlichkeit<br />

im geschäftlichen Verkehr (B. ) bzw. wegen tateinheitlicher Bestechung im geschäftlichen Verkehr (G. ,0.<br />

<strong>und</strong> W. ) entfallen. Die Angeklagten sind damit wie folgt verurteilt:<br />

a) Der Angeklagte B. ist schuldig des Betrugs in Tateinheit mit Untreue in 108 Fällen, der Steuerhinterziehung in<br />

drei Fällen <strong>und</strong> der versuchten Steuerhinterziehung.<br />

b) Der Angeklagte G. ist schuldig des Betrugs in Tateinheit mit Beihilfe zur Untreue in 89 Fällen.<br />

c) Der Angeklagte D. ist schuldig des Betrugs in Tateinheit mit Beihilfe zur Untreue in elf Fällen.<br />

d) Der Angeklagte W. ist schuldig des Betrugs in Tateinheit mit Beihilfe zur Untreue in acht Fällen.<br />

2. Der Angeklagte B. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Die Staatskasse trägt die Kosten der Revisionen<br />

der Staatsanwaltschaft sowie die den Angeklagten durch diese Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten B. wegen Betrugs in Tateinheit mit Untreue <strong>und</strong> mit Bestechlichkeit im geschäftlichen<br />

Verkehr in 10B Fällen sowie wegen Steuerhinterziehung in drei Fällen <strong>und</strong> versuchter Steuerhinterziehung<br />

zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> neun Monaten verurteilt. Gegen den Angeklagten G. hat es<br />

wegen Betrugs in Tateinheit mit Beihilfe zur Untreue <strong>und</strong> mit Bestechung im geschäftlichen Verkehr in B9 Fällen<br />

unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einer Vorentscheidung eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr <strong>und</strong> neun<br />

Monaten verhängt, gegen den Angeklagten D. wegen Betrugs in Tateinheit mit Beihilfe zur Untreue <strong>und</strong> mit Bestechung<br />

im geschäftlichen Verkehr in elf Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr <strong>und</strong> drei Monaten sowie<br />

gegen den Angeklagten W. wegen Betrugs in Tateinheit mit Beihilfe zur Untreue <strong>und</strong> mit Bestechung im geschäftlichen<br />

Verkehr in acht Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr. Die Vollstreckung der drei zuletzt genannten<br />

Gesamtfreiheitsstrafen hat das Landgericht zur Bewährung ausgesetzt. Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen<br />

des Angeklagten B. <strong>und</strong> der Staatsanwaltschaft, die mit ihren Revisionen, die vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt vertreten<br />

werden, beanstandet, dass die Angeklagten nicht wegen Bestechlichkeit bzw. Bestechung eines Amtsträgers (§<br />

332/§ 334 StGB) verurteilt sind. Sämtliche Rechtsmittel bleiben im Ergebnis ohne Erfolg. Lediglich die Schuldsprüche<br />

sind, wie aus dem Tenor ersichtlich, teilweise zu berichtigen <strong>und</strong> neu zu fassen.<br />

I. 1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: Der Angeklagte B. war seit 1996 bei der G. B. H. GmbH<br />

(GBH), einem 1927 gegründeten kommunalen Wohnungsunternehmen, als "technischer Bestandsbetreuer" für die<br />

Unterhaltung des Wohnungsbestandes verantwortlich <strong>und</strong> hatte Reparatur- sowie Renovierungsarbeiten zu vergeben.<br />

Die Stadt Hannover hielt fast 90 % der Gesellschaftsanteile an der GBH, im Übrigen war Anteilseignerin die Stadt-<br />

219


sparkasse. Die Landeshauptstadt stellte. gemäß der Satzung zwölf von 15 Aufsichtsratsmitgliedern, deren Amtszeit<br />

sich nach der Wahlperiode des Stadtrats bestimmte. Bei den ihr zugewiesenen Geschäften in der Wohnungswirtschaft<br />

hatte die GBH den "Gr<strong>und</strong>satz sozialer Verantwortung für die sozial schwachen Schichten der Bevölkerung"<br />

zu beachten (§ 2 Nr. 3 Satz 2 der Satzung). Um den Satzungszweck des § 2 ("sichere <strong>und</strong> sozial verantwortbare<br />

Wohnungsversorgung der Bevölkerung Hannovers mit dem Schwerpunkt öffentlich geförderter Wohnungsbau") zu<br />

erfüllen, besaß die Stadt Hannover im Tatzeitraum 1999 bis 2002 ein Belegungsrecht an 10.000 Wohnungen von<br />

einem von der GBH verwalteten Gesamtbestand von 14.000 Wohnungen, die mit öffentlichen Fördermitteln errichtet<br />

worden waren. Die mit einem Belegungsrecht belasteten Wohnungen konnten nur mit einem von der Stadtverwaltung<br />

vergebenen Bezugsschein gemietet werden. Daneben hatte die Stadt Hannover Belegungsrechte bei etwa 100<br />

anderen privaten Vermietern oder Wohnungsbaugesellschaften. Mieter mit solchen Bezugsscheinen wurden gleichmäßig<br />

auf alle Wohnungsanbieter verteilt. Im Übrigen verwaltete die GBH den Wohnungsbestand nach erwerbswirtschaftlichen<br />

Gesichtspunkten unter Beachtung des Mietspiegels, um zur Konsolidierung des Haushalts der Landeshauptstadt<br />

Hannover beizutragen.<br />

Der Angeklagte B. war zunächst städtischer Angestellter <strong>und</strong> wurde nach BAT vergütet. "Nach Umstrukturierung"<br />

der GBH wurde er als "Bezirksleiter Technik" <strong>und</strong> stellvertretender Geschäftsstellenleiter des Stadtbereichs Stöcken<br />

nach einem Haustarif bezahlt. Aus privaten Geldnöten vereinbarte der Angeklagte B. ab 1999 mit dem ihm bekannten<br />

Angeklagten G. einem Malermeister, Rechnungen über tatsächlich nicht erbrachte Werkleistungen bei der Kasse<br />

der GBH einzureichen, um anschließend den ausgezahlten Werklohn (ohne Umsatzsteueranteil) unter sich aufzuteilen.<br />

Insgesamt 89 von dem Mitangeklagten G. ausgestellte Scheinrechnungen gab der Angeklagte B. zur Kasse,<br />

nachdem er sie abgezeichnet <strong>und</strong> die erforderliche Unterschrift eines weiteren Mitarbeiters eingeholt hatte, von dem<br />

er im Einzelfall wusste, dass dieser als Vertreter des eigentlich zuständigen, aber verhinderten Kollegen die Rechnung<br />

nicht sachlich prüfen konnte. In gleicher Weise erhielt der Angeklagte B. von den Mitangeklagten D. <strong>und</strong> W.<br />

elf bzw. acht Scheinrechnungen, deren Beträge sie sich nach Auszahlung durch die GBH teilten. Insgesamt verursachte<br />

der Angeklagte B. einen Schaden von r<strong>und</strong> 440.000 € zu Lasten der GBH. Der Angeklagte B. verschwieg<br />

gegenüber dem Finanzamt die ihm aus den vorgenannten Taten zugeflossenen Erlöse <strong>und</strong> verkürzte damit Einkommensteuer<br />

für 1999 bis 2001 von insgesamt fast 90.000 DM. Für das Jahr 2002 wurde die Einkommensteuer mit<br />

Hilfe der Erkenntnisse aus dem eingeleiteten Ermittlungsverfahren noch vor Abschluss der allgemeinen Veranlagungsarbeiten<br />

im April 2004 zutreffend festgesetzt.<br />

2. Das Landgericht hat die Amtsdelikte der §§ 331 ff. StGB nicht angewendet, da die GBH nicht als "sonstige Stelle"<br />

im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c StGB anzusehen sei. Dies hat das Landgericht insbesondere damit begründet,<br />

dass die Stadt Hannover die Wohnungsversorgung für sozial schwächere Mieter in gleicher Weise über die anderen<br />

Wohnungsanbieter sichergestellt <strong>und</strong> sich die GBH folglich nicht mehr von den anderen Anbietern unterschieden<br />

habe, zumal sie Erträge zur Entlastung des Stadthaushalts erwirtschaften sollte. In der öffentlichen Wahrnehmung sei<br />

der GBH keine öffentliche Aufgabenerfüllung mehr zugekommen.<br />

II. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten B. führt lediglich dazu, dass im Schuldspruch die Verurteilung<br />

wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr in den Fällen 11. 1 bis 11. 108 der Urteilsgründe jeweils<br />

entfällt.<br />

1. Die Verurteilung wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr gemäß § 299 Abs. 1 StGB wird von den Feststellungen<br />

nicht getragen. Gleichwohl lässt dieser Rechtsfehler die verhängten Einzelstrafen unberührt.<br />

a) Nach § 299 Abs. 1 StGB ist unter anderem Tatbestandsvoraussetzung, dass der Bestochene den Vorteil als Gegenleistung<br />

für eine Bevorzugung bei dem Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen im Wettbewerb fordert, sich<br />

versprechen lässt oder annimmt. Die Tatbestandsmerkmale "Bevorzugung" <strong>und</strong> "Wettbewerb" setzen also mindestens<br />

zwei Konkurrenten voraus, von denen einer, nämlich der Vorteilsgeber oder ein von diesem bestimmter Dritter,<br />

nach der mit dem Bestochenen getroffenen Unrechtsvereinbarung gegenüber dem Mitbewerber besser gestellt werden<br />

soll. Dabei muss der benachteiligte Mitbewerber in der Unrechtsvereinbarung nicht der Person nach bestimmt<br />

sein, solange feststeht, dass es überhaupt wenigstens einen anderen Konkurrenten gibt (BGHR StGB § 299 Abs. 2<br />

Geschäftlicher Verkehr 1 m.w.N.; BGH wistra 2003, 385, 386).<br />

b) Die Urteilsfeststellungen belegen auch nicht in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der Strafzumessungserwägungen,<br />

dass der Angeklagte B. bei der "Vergabe" der Scheinaufträge an die Mitangeklagten andere Unternehmer<br />

übergangen hat. Dies erscheint auch von vornherein insofern ausgeschlossen, als tatsächlich keine Werkleistungen<br />

erbracht werden sollten <strong>und</strong> es insoweit keine (lautere) Wettbewerbssituation gab, in der der Angeklagte B. die Mitangeklagten<br />

gegenüber den "Angeboten" anderer Handwerker oder Maler "bevorzugen" konnte. Schließlich geben<br />

die Feststellungen insgesamt nichts dafür her, dass der Angeklagte B.· gegenüber den Mitangeklagten G. <strong>und</strong> D. die<br />

Vergabe von tatsächlich zu erbringenden Werkarbeiten von deren Beteiligung an den fingierten Rechnungen abhängig<br />

220


machte.<br />

c) Die vorstehenden Erwägungen gelten auch für die Fälle 11. 101 bis 11. 108 der Urteilsgründe, in denen der Angeklagte<br />

W. davon ausging, weitere tatsächlich zu erfüllende Werkaufträge nur dann zu erhalten, wenn er dem Angeklagten<br />

B. das Ausstellen der Scheinrechnungen zusagte. Dies reicht nicht aus, um die Strafbarkeit des Angeklagten<br />

B. nach § 299 Abs. 1 StGB bei den insoweit allein maßgeblichen Tathandlungen des .Forderns" der fingierten Rechnungen,<br />

des "Sichversprechenlassens" mit der Entgegennahme der Zusage <strong>und</strong> des .Annehmens" bei Aufteilung der<br />

Taterlöse zu bejahen. Denn insoweit belegen die Feststellungen nicht mehr, als dass der Angeklagte B. die Gelegenheit<br />

nutzen wollte, den Angeklagten W. zum Beteiligten <strong>und</strong> Mitnutznießer von Untreue- <strong>und</strong> Betrugstaten zu machen,<br />

nicht indes eine (zustande gekommene oder zumindest erstrebte) Unrechtsvereinbarung.<br />

d) Der Senat schließt angesichts des Zeitablaufs <strong>und</strong> der konkreten Umstände des Einzelfalls aus, dass in einer neuen<br />

Verhandlung weitergehende Feststellungen möglich wären, die eine Verurteilung wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen<br />

Verkehr rechtfertigen könnten.<br />

2. Die Überprüfung des Urteils zeigt keinen Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten B. auf, soweit er sich gegen die<br />

Verurteilung wegen Betrugs in Tateinheit mit Untreue in 108 Fällen sowie wegen Steuerhinterziehung in drei Fällen<br />

<strong>und</strong> wegen versuchter Steuerhinterziehung wendet. Anzumerken ist insoweit nur Folgendes:<br />

a) Die Feststellungen in den Fällen 11. 1 bis 11. 108 der Urteilsgründe belegen ausreichend, dass sich sowohl der<br />

Kollege des Angeklagten im Rahmen der Gegenzeichnung der Scheinrechnungen als auch die Kassenmitarbeiter der<br />

GBH bei Auszahlung der "Werklöhne" in einem Irrtum befanden. Zwar beschränkte sich der Prüfungsumfang der<br />

Kassenmitarbeiter auf die erforderlichen Abzeichnungen der Angestellten der GBH, die die Werklohnrechnungen in<br />

sachlicher Hinsicht zu prüfen hatten. Beide gingen jedoch - zumindest in der Form des sachgedanklichen Mitbewusstseins<br />

(vgl. dazu BGH wistra 2007, 102, 105, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt; TröndleFischer, StGB<br />

54. Auf!. § 263 Rdn. 35) - davon aus, dass es sich um Rechnungen mit einem realen Hintergr<strong>und</strong>, mithin also nicht<br />

um bloße Scheinrechungen handelte.<br />

b) Das Landgericht hat zwischen Betrug <strong>und</strong> Untreue zutreffend Tateinheit angenommen, weil der Angeklagte B.<br />

schon bei Vornahme der Täuschungshandlungen in einem Treueverhältnis zu der GBH stand <strong>und</strong> der Tat deshalb ein<br />

zusätzlicher Unrechtsgehalt zukam (BGH wistra 1991, 218, 219 m.w.N. aus der Rechtsprechung).<br />

c) Die Annahme von Tatmehrheit wird durch die Feststellungen getragen. Nach dem Gesamtzusammenhang der<br />

Urteilsgründe reichte der Angeklagte B. die 108 Scheinrechnungen einzeln bei der Kasse der GBH ein.<br />

3. Trotz des berichtigten Schuldspruchs haben die vom Landgericht auch in den Fällen 11. 1 bis 11. 108 der Urteilsgründe<br />

verhängten Einzelstrafen Bestand. Das Landgericht hat die Einzelstrafen zutreffend gemäß § 52 Abs. 2 StGB<br />

dem Gesetz mit der schwersten Strafandrohung entnommen, hier also dem Strafrahmen des § 263 Abs. 3 Satz 1<br />

StGB von sechs Monaten bis zehn Jahren, den das Landgericht im Hinblick auf die Spielsucht des Angeklagten B.<br />

gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert hat. Bei der Strafzumessung hat das Landgericht die Verurteilung wegen<br />

Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr nicht strafschärfend in Ansatz gebracht. Es hat die Höhe der Einzelstrafen<br />

allein mit solchen Umständen begründet, die der Verurteilung wegen Betrugs in Tateinheit mit Untreue zuzurechnen<br />

sind.<br />

III: Die Revisionen der Staatsanwaltschaft, die die Verurteilung des Angeklagten B. wegen Steuerhinterziehung<br />

wirksam von ihrem Revisionsangriff ausgenommen hat, sind im Wesentlichen unbegründet.<br />

1. Die Staatsanwaltschaft erstrebt ohne Erfolg eine Verurteilung der Angeklagten wegen Amtsdelikten nach §§ 331<br />

ff. StGB.<br />

a) Der B<strong>und</strong>esgerichtshof hat bereits in einer früheren Entscheidung (BGHSt 38, 199) den Geschäftsführer eines in<br />

Rechtsform einer GmbH geführten, auf dem Gebiet des Wohnungsbaus tätigen landeseigenen Unternehmens nicht<br />

als Amtsträger im Sinne der §§ 331 ff. StGB angesehen. Er hat dies im Wesentlichen damit begründet, dass die<br />

Wohnungsbaugesellschaft privatrechtlich organisiert sei. Dies spreche gegen eine Amtsträgerschaft, auch wenn es<br />

Ausnahmefälle geben mag, in denen der Bürger zur Befriedigung gr<strong>und</strong>legender Lebensbedürfnisse ohne Ausweichmöglichkeiten<br />

auf die Leistungen einer von einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft in privatrechtlicher Form<br />

organisierten Einrichtung angewiesen sei (BGHSt 38, 199, 204). Durch das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption<br />

vom 13. August 1997 (BGBI I 2038) ist § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c StGB insoweit erweitert worden, als die Wörter<br />

.unbeschadet der zur Aufgabenerfüllung gewählten Organisationsform" eingefügt wurden (Art. 1 Nr. 1). Auch diese<br />

Erstreckung des Amtsträgerbegriffes auf privatrechtliche Organisationsformen führt nicht dazu, dass die Mitarbeiter<br />

der GBH, obwohl die Gesellschaft von der Stadt Hannover letztlich vollständig beherrscht wird, als Amtsträger im<br />

Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 Iit. c StGB angesehen werden könnten.<br />

b) Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 Iit. c StGB ist, wer dazu bestellt ist, bei einer Behörde oder sonstigen<br />

Stelle oder in deren Auftrag Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen, <strong>und</strong> zwar unbeschadet der zur<br />

Aufgabenerfüllung gewählten Organisationsform. Sonstige Stellen sind behördenähnliche Institutionen, die zwar<br />

221


keine Behörden im organisatorischen Sinne, aber rechtlich befugt sind, bei der Ausführung von Gesetzen <strong>und</strong> bei der<br />

Erfüllung öffentlicher Aufgaben mitzuwirken (BGHSt 49, 214, 219; 43, 370, 375 ff.). Auch als juristische Personen<br />

des Privatrechts organisierte Einrichtungen <strong>und</strong> Unternehmen der öffentlichen Hand können demnach "sonstige<br />

Stellen" sein. Dies ist nach der ständigen Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs nicht bereits dann der Fall, wenn<br />

sie Aufgaben öffentlicher Verwaltung wahrnehmen. Hinzukommen müssen weitere aussagekräftige Unterscheidungskriterien,<br />

um privates von staatlichem Handeln abzugrenzen. Eine Gleichstellung mit Behörden ist besonders<br />

dann gerechtfertigt, wenn die juristische Person des Privatrechts bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben derart staatlicher<br />

bzw. kommunaler Steuerung unterliegt, dass sie bei einer Gesamtbewertung der sie kennzeichnenden Merkmale<br />

als "verlängerter Arm" des Staates erscheint (BGH wistra 2007, 17; BGHSt 49, 214, 219; BGHSt 50, 299, 303).<br />

c) Hier ist das Landgericht rechtsfehlerfrei zu der Auffassung gelangt, dass der Angeklagte B. als technischer Bestandsbetreuer<br />

schon objektiv nicht als Amtsträger anzusehen ist, weil er bei einer juristischen Person des Privatrechts<br />

beschäftigt ist, die keine Aufgaben der öffentlichen Verwaltung erledigt.<br />

aa) Die Wohnungsfürsorge ist eine öffentliche Aufgabe, deren Erfüllung einem Hoheitsträger zugewiesen ist. Diese<br />

Aufgabe nimmt die Stadtverwaltung wahr, indem sie an sozial schwache Bürger Berechtigungsscheine vergibt <strong>und</strong><br />

einzelne Wohnungen mit Belegungsrechten belastet. An diesem Vorgang ist jedoch die GBH nicht unmittelbar beteiligt,<br />

weil sie weder über die Erteilung einer Berechtigung entscheidet noch über die Bedingungen bestimmt, die mit<br />

den Berechtigungsscheinen verb<strong>und</strong>en sind. Diese Entscheidungszuständigkeiten begründen den hoheitlichen Charakter<br />

der Aufgabe. In diese Verwaltungsvorgänge ist die GBH jedoch nicht eingeb<strong>und</strong>en. Vielmehr stellt die GBH<br />

lediglich Teile ihres Wohnungsbestandes für den entsprechenden Begünstigtenkreis zur Verfügung. Insoweit unterscheidet<br />

sich das Handeln der GBH nicht von demjenigen anderer Wohnungseigentümer, deren Wohnungen unter<br />

einem entsprechenden Belegungsrecht der Stadt Hannover stehen. Dass dies bei der GBH in einer deutlich höheren<br />

Größenordnung geschieht, weil etwa 70 % ihres Wohnungsbestandes unter das Belegungsrecht der Kommune fällt,<br />

ändert qualitativ an der gr<strong>und</strong>sätzlichen Austauschbarkeit der Leistungen nichts.<br />

bb) Allerdings enthält das angefochtene Urteil keine Ausführungen dazu, ob <strong>und</strong> in welchem Umfang die Eigentümer<br />

solcher Wohnungen, die einer entsprechenden Bindung unterliegen, von der Stadt Hannover Leistungen erhalten<br />

oder einer besonderen Förderung unterliegen. Die fehlende Darlegung der Ausgestaltung der Rechtsbeziehung zwischen<br />

der Stadt Hannover <strong>und</strong> den Eigentümern der sozialgeb<strong>und</strong>enen Wohnungen begründet hier jedoch keinen<br />

wesentlichen Mangel, der zur Aufhebung des angefochtenen Urteils nötigen könnte. Maßgeblich ist insoweit nämlich<br />

in erster Linie der Umstand, dass die in der Zurverfügungstellung der Wohnung liegende Leistung der GBH keine<br />

der staatlichen Sphäre zugeordnete Leistung ist <strong>und</strong> durch gleichwertige Leistungen anderer Wohnungseigentümer<br />

ersetzt werden könnte. Dies nimmt dem Handeln der GBH den hoheitlichen Charakter.<br />

Nach den Feststellungen des Landgerichts wurden Belegungsrechte der Stadt Hannover bei etwa 100 anderen Wohnungseigentümern<br />

begründet, wozu auch weitere Baugesellschaften mit eigenem Wohnungsbestand rechnen. Demnach<br />

besteht kein - für die Erledigung hoheitlicher Aufgaben typisches - Aufgabenfeld der Staatsverwaltung, das<br />

lediglich in einer privatrechtlichen Organisationsform abgewickelt wird. Vielmehr verschafft sich die Kommune in<br />

Erfüllung ihrer eigenen Sozialverpflichtung Wohnungen, wobei sie unter mehreren Wohnungsanbietern auswählen<br />

kann. Für diese Beschaffung mit Wohnraum ist ein Markt eröffnet, auf dem neben der GBH letztlich auch andere<br />

Wohnungseigentümer Wohnraum für soziale Zwecke zur Verfügung stellen. Dies wird auch dadurch deutlich, dass -<br />

so- der vom Landgericht als Zeuge einvernommene Stadtkämmerer We. - die Belegung der Wohnungen im marktgerechten<br />

Wettbewerb unter Berücksichtigung aller Eigentümer von geförderten Wohnungen erfolgt. Bei einer solchen<br />

Sachverhaltskonstellation fehlt der spezifisch öffentlich-rechtliche Bezug, der eine Gleichstellung mit behördlichem<br />

Handeln rechtfertigt. Auch eine Gesellschaft in alleiniger städtischer Inhaberschaft stellt letztlich nur einen weiteren<br />

Wettbewerber auf einem Markt dar, der vom Staat eröffnet wurde <strong>und</strong> sich um die Erfüllung öffentlicher Aufgaben<br />

gebildet hat (vgl. BGHSt 50, 299, 307). Die Entstehung wettbewerblicher Strukturen im Zusammenhang mit der<br />

Vergabe sozialgeb<strong>und</strong>ener Wohnungen im Raum Hannover wird im Übrigen durch den Umstand belegt, dass auch<br />

die Verwertung von Wohnungen, die mit Belegungsrechten der Stadt belastet sind, gewinnbringend sein kann, wie<br />

das Beispiel der GBH zeigt.<br />

cc) Die soziale Zielsetzung der GBH, die in der Satzung niedergelegt ist, rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Allerdings<br />

ist der Staatsanwaltschaft zuzugeben, dass diesem Umstand Indizcharakter für eine Aufgabe zukommen kann,<br />

die typischerweise durch die öffentliche Verwaltung wahrgenommen wird. Das Gewicht dieses Gesichtspunktes<br />

vermindert sich im vorliegenden Fall jedoch dadurch deutlich, dass die GBH nach den Feststellungen des Landgerichts<br />

erwerbswirtschaftlich tätig ist <strong>und</strong> auch tatsächlich erhebliche Gewinne erzielt hat. Weiterhin wurden in den<br />

Haushaltsplanungen der Stadt Hannover bis 2009 jährliche Gewinnerwartungen in Höhe von 4 % des Eigenkapitals<br />

eingestellt. Obwohl eine Gewinnerzielungsabsicht ebenso wenig wie tatsächlich erzielte Gewinne der Einstufung als<br />

öffentliche Aufgabe entgegenstehen (BGHSt 49, 214, 221; BGHR StGB § 11 Abs. 1 Nr. 2 Amtsträger, relativiert ihr<br />

222


Vorhandensein doch die in der Satzung festgelegte soziale Zweckbindung. Abgesehen davon, dass eine solche soziale<br />

Zielstellung nur ein einzelner Gesichtspunkt innerhalb der vorzunehmenden Gesamtbewertung (BGHSt 50, 299,<br />

305) sein könnte, kommt ihr auch deshalb keine wesentliche Bedeutung zu, weil die GBH tatsächlich beträchtliche<br />

Gewinne erwirtschaftet hat.<br />

dd) Schließlich hat das Landgericht zutreffend in seine Gesamtbewertung einbezogen, dass die GBH von der Bevölkerung<br />

als eine von 100 Wohnungseigentümern <strong>und</strong> Anbietern auf dem Wohnungsmarkt, nicht aber als verlängerter<br />

Arm des Staates wahrgenommen wird. Die GBH tritt - wie andere gewerbliche Unternehmen auch - auf dem Markt<br />

werbend auf <strong>und</strong> operiert nach außen wie andere private Wohnungsbauunternehmen. Dieses Erscheinungsbild der<br />

GBH in der Öffentlichkeit ist angesichts des von den §§ 331 ff. StGB geschützten Rechtsguts berücksichtigungsfähig<br />

(BGHSt 49, 214, 227). Die Amtsdelikte schützen das Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität von Trägern staatlicher<br />

Institutionen (BGHSt aaO; 43, 370, 377). Wird das privatrechtlich strukturierte Unternehmen nicht als Teil der<br />

Staatsverwaltung angesehen, weil eine Erfüllung öffentlicher Aufgaben nicht mehr deutlich wird, verliert sich vor<br />

dem Hintergr<strong>und</strong> des durch die Amtsdelikte verfolgten Strafzwecks auch im Korruptionsfalle das Bedürfnis nach<br />

einer Ahndung gemäß §§ 331 ff. StGB.<br />

29 3. Der Schuldspruch in den Fällen 11. 1 bis 11. 108 der Urteilsgründe ist gemäß § 301 StPO auch bei den<br />

Nichtrevidenten G. , D. <strong>und</strong> W. dahingehend zu berichtigen, dass die tateinheitlichen Verurteilungen wegen Bestechung<br />

im geschäftlichen Verkehr entfallen. Aus den gleichen Gründen, wie beim Angeklagten B. ausgeführt, haben<br />

diese Schuldspruchberichtigungen jedoch keinen Einfluss auf die verhängten Strafen.<br />

StGB § 20 – Keine Einweisung in Psychiatrie wegen Versuchs, sich der Einweisung zu entziehen.<br />

BGH, Beschl. vom 07.03.2007 – 2 StR 52/07<br />

Dass ein Beschuldigter versucht, sich der Einweisung in eine psychiatrische Klinik zu entziehen, ist<br />

eine an sich nachvollziehbare Handlungsweise, die als solche fehlende Unrechtseinsicht nicht belegt.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> des Beschwerdeführers<br />

am 7. März 2007 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:<br />

Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 18. Oktober 2006 mit den Feststellungen<br />

aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels,<br />

an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Dagegen<br />

richtet sich die Revision des Beschuldigten mit der Rüge der Verletzung materiellen <strong>und</strong> formellen Rechts. Das<br />

Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.<br />

1. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils fuhr der Beschuldigte am 24. April 2005 mit einem Radlader<br />

im Fahrsilo des elterlichen landwirtschaftlichen Betriebs hin <strong>und</strong> her. Als sein Vater ihm in den Silo folgte, um zu<br />

sehen, was er tat, fuhr der Beschuldigte mit dem Radlader auf ihn zu, um ihn zum Verlassen des Silos zu bewegen.<br />

Der Vater verließ daraufhin aus Angst, von dem Fahrzeug erfasst zu werden, den Silo (Fall 1 der Urteilsgründe). Am<br />

27. April 2005 bat der Vater des Beschuldigten dessen Schwager, einen Traktor aus dem Stall zu fahren. Der Beschuldigte<br />

verbot seinem Schwager, in den Stall zu gehen, packte ihn dann plötzlich <strong>und</strong> schob seinen Kopf mit einer<br />

brennenden Zigarette im M<strong>und</strong> mehrfach ruckartig in die Nähe des Gesichts seines Schwagers. Dem gelang es, sich<br />

aus dem Griff zu befreien (Fall 2 der Urteilsgründe). Während der Schwager die Polizei informierte, fuhr der Beschuldigte<br />

mit einem Pkw auf einem frei zugänglichen Wirtschaftsweg umher, obwohl er wusste, dass der Wagen<br />

nicht zugelassen war <strong>und</strong> dass er keine Fahrerlaubnis hatte (Fall 3 der Urteilsgründe). Am 30. April 2005 befuhr der<br />

Beschuldigte mit einem Unimog mit etwa 20 – 25 km/h Geschwindigkeit die Landstraße von H. Richtung S. . An der<br />

Hinterseite des Fahrzeugs hatte er mit Kuhmist ein Schild „6 km/h“ angeklebt. Dem Beschuldigten war klar, dass das<br />

Fahrzeug weder zugelassen noch versichert war <strong>und</strong> dass er nicht über die erforderliche Fahrerlaubnis verfügte. Als<br />

ihn ein Polizeifahrzeug anhalten wollte, indem es sich als Barriere quer über die Straße stellte, fuhr der Beschuldigte<br />

scharf links durch die Böschung daran vorbei <strong>und</strong> verhinderte ein Überholen, indem er den Unimog auf die Fahrbahnmitte<br />

steuerte <strong>und</strong> nur bei Gegenverkehr kurzzeitig nach rechts fuhr. Nach etwa 15 Minuten konnte der Beschuldigte<br />

durch einen zweiten Streifenwagen angehalten werden, der erneut eine Barriere auf der Straße errichtet<br />

hatte (Fall 4 der Urteilsgründe). Am 19. Januar 2006 sollte der Beschuldigte aufgr<strong>und</strong> eines Unterbringungsbeschlusses<br />

des Amtsgerichts von fünf Polizeibeamten vom elterlichen Hof in die psychiatrische Klinik gebracht werden. Der<br />

223


Beschuldigte flüchtete zunächst in die Stallungen. Als er sah, dass ihm zwei Polizeibeamte folgten, rannte er weiter,<br />

ergriff aus einer Traktorschaufel einen mit Eis gefüllten, etwa 4,5 kg schweren Stahlhelm <strong>und</strong> warf ihn in Richtung<br />

des nächsten Polizeibeamten, der dem Anprall ausweichen konnte. Der Beschuldigte ergriff nun eine Schaufel, wurde<br />

aber von zwei Polizeibeamten niedergerungen. Dabei wurde einer der Beamten leicht verletzt (Fall 5 der Urteilsgründe).<br />

Nach der Überzeugung des Landgerichts war bei allen Taten die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten aufgr<strong>und</strong><br />

einer chronischen paranoidschizophrenen Psychose aufgehoben. Aufgr<strong>und</strong> seiner Erkrankung empfinde er<br />

Verhaltensweisen der Außenwelt als ungerechtfertigt <strong>und</strong> gegen ihn gerichtet <strong>und</strong> setze sich – auch mit Gewalt –<br />

hiergegen zur Wehr.<br />

2. Die Annahme des Landgerichts, dem Beschuldigten habe bei der Begehung der verfahrensgegenständlichen Taten<br />

die Einsicht gefehlt, Unrecht zu tun, wird von den Feststellungen nicht getragen. Im Widerspruch dazu heißt es in<br />

den Urteilsgründen zu den Fällen 3 <strong>und</strong> 4, dass er gewusst habe, dass die benutzten Fahrzeuge nicht zugelassen seien<br />

<strong>und</strong> dass er keine Fahrerlaubnis habe. Für eine Unrechtseinsicht im Fall 4 spricht auch, dass der Beschuldigte ein<br />

Schild „6 km/h“ mit Kuhmist am Fahrzeug angebracht <strong>und</strong> sich dahin eingelassen hat, dass das Fahrzeug ohnehin<br />

nur 6 km/h habe fahren können. Damit wollte er offenbar geltend machen, er habe gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 3 FeV den<br />

Unimog ohne Fahrerlaubnis führen dürfen, welcher gemäß § 18 Abs. 1 StVZO keiner Zulassung bedurft habe. Die<br />

Urteilsgründe weisen insofern aus, dass der Beschuldigte gr<strong>und</strong>sätzlich die Rechtslage kannte; dass er aufgr<strong>und</strong><br />

seiner Erkrankung verkannt haben könnte, dass die bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit des Unimog deutlich über<br />

6 km/h lag, oder er sich krankheitsbedingt zu den Fahrten für berechtigt gehalten haben könnte, ist den Feststellungen<br />

nicht zu entnehmen. Der Beschuldigte hat in den Fällen 1 <strong>und</strong> 2 sein Verhalten damit begründet, dass er seinen<br />

Vater aus dem Gefahrenbereich des Silos habe heraushalten wollen bzw. dass sein Schwager ihn beim Streit, ob der<br />

Traktor aus dem Stall herausgefahren werden dürfe, zuerst am Arm gepackt <strong>und</strong> festgehalten habe. Das Landgericht<br />

hat diese Einlassung als widerlegt angesehen. Es hat nicht festgestellt, dass der Beschuldigte den tatsächlichen Geschehensablauf<br />

aufgr<strong>und</strong> seiner Erkrankung verkannt hat <strong>und</strong> sich deshalb zu Unrecht angegriffen gefühlt hat. Der<br />

Zusammenhang der Urteilsgründe legt vielmehr nahe, dass der Beschuldigte durch Schutzbehauptungen sein Verhalten<br />

rechtfertigen wollte. Auch dies spricht dafür, dass er die Unrechtmäßigkeit seines Verhaltens erkannt hatte. Dass<br />

der Beschuldigte schließlich im Fall 5 versucht hat, sich der Einweisung in eine psychiatrische Klinik zu entziehen,<br />

ist eine an sich nachvollziehbare Handlungsweise, die als solche fehlende Unrechtseinsicht nicht belegt.<br />

3. Der neue Tatrichter wird Gelegenheit haben, auch die Frage der Gefährlichkeit des Beschuldigten für die Allgemeinheit<br />

<strong>und</strong> der Verhältnismäßigkeit der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erneut zu prüfen<br />

<strong>und</strong> dabei auch das Verhalten des Beschuldigten nach seiner Entlassung aus der einstweiligen Unterbringung einzubeziehen.<br />

StGB § 32 Notwehr – Notwehrexzess – widersprüchliche Feststellungen<br />

BGH, Beschl. vom 13.03.2007 – 4 StR 606/06<br />

Widersprüchliche Feststellungen zu Tötungsvorsatz <strong>und</strong> zur Notwehr(exzess)frage.<br />

Der 4. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> nach Anhörung der Beschwerdeführerin<br />

am 13. März 2007 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:<br />

1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 6. September 2006 mit den Feststellungen<br />

aufgehoben.<br />

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere<br />

als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Mit ihrer<br />

Revision rügt die Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg. Zutreffend hat der<br />

Generalb<strong>und</strong>esanwalt ausgeführt: "Die zur Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes führende Beweiswürdigung<br />

ist nicht frei von Rechtsfehlern. Die Kammer hat aus den drei Stichen der Angeklagten in den Oberkörper ihres Ehemannes<br />

geschlussfolgert, dass die Angeklagte angesichts der Gefährlichkeit der Tathandlung damit rechnete <strong>und</strong><br />

billigte, dass ihr Ehemann aufgr<strong>und</strong> der Stiche versterben könnte (UA S. 11, 27, 44). Diese Schlussfolgerung steht<br />

im Widerspruch zu dem von der Kammer festgestellten Vorstellungsbild der Angeklagten nach der Tat. In diesem<br />

Zusammenhang hat die Kammer ausgeführt: 'Da es ihr unmöglich schien, dass sie seinen Tod verursacht haben<br />

könnte, geriet sie nunmehr in Panik ...' (UA S. 14). Dieses Vorstellungsbild kurze Zeit nach der Tatbegehung ist ohne<br />

224


nähere Erläuterung nicht mit der Feststellung für die Tatzeit vereinbar, dass die Angeklagte einen tödlichen Erfolg<br />

für möglich hielt. Darüber hinaus ist die Beweiswürdigung lückenhaft. Angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber<br />

einer Tötung ist selbst bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen immer auch die Möglichkeit in Betracht zu<br />

ziehen, dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut hat, ein solcher Erfolg<br />

werde nicht eintreten. Der Schluss auf bedingten Tötungsvorsatz ist daher nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der Tatrichter<br />

in seine Erwägungen alle Umstände ein-bezogen hat, die ein solches Ergebnis in Frage stellen (vgl. Senat<br />

NStZ-RR 2004, 204 f.). Die entsprechende Gesamtschau aller objektiven <strong>und</strong> subjektiven Tatumstände (vgl. BGHSt<br />

36, 1, 10) hat das Landgericht nicht vorgenommen. Zwar hat sich die Kammer mit der hohen Alkoholisierung der<br />

Angeklagten auseinandergesetzt (UA S. 44). Sie hat aber nicht ausreichend das Nachtatverhalten der Angeklagten in<br />

ihre Erwägungen mit einfließen lassen. Dieses Nachtatverhalten ist in Kombination mit der hohen Alkoholisierung<br />

<strong>und</strong> dem Handeln aufgr<strong>und</strong> einer Notwehrlage geeignet, die Schlussfolgerung der Kammer zum bedingten Tötungsvorsatz<br />

in Zweifel zu ziehen. Mit dem bedingten Tötungsvorsatz ist nicht ohne weiteres in Übereinstimmung zu<br />

bringen, dass die Angeklagte ihren Ehemann nach den Stichen aufforderte: 'Geh raus. Lass mich endlich in Ruhe!'<br />

(UA S. 10) <strong>und</strong> erst nach dem Auffinden des toten Ehemannes in Panik geriet, das Tatmesser entsorgte <strong>und</strong> sich<br />

durch Notizen psychisch Entlastung verschaffte (UA S. 14). Dieses Verhalten lässt es auch möglich erscheinen, dass<br />

sie bewusst fahrlässig darauf vertraute, dass ihre Stiche nicht tödlich enden werden. Diese Möglichkeit hätte die<br />

Kammer jedenfalls erörtern müssen." Die Revision beanstandet zudem zu Recht die Annahme des Landgerichts, der<br />

Alkoholkonsum der Angeklagten vor Begehung der Tat habe lediglich eine "leichtgradige Alkoholisierung“ bewirkt<br />

(UA 41), die die Wahrnehmungs- <strong>und</strong> Informationsverarbeitungsfähigkeit der Angeklagten nicht beeinträchtigt habe<br />

(UA 43). Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet insbesondere die Annahme des Landgerichts, die Blutalkoholkonzentration<br />

der Angeklagten habe zur Tatzeit - unter Berücksichtigung eines Nachtrunks von 1,122 Promille<br />

- "um die 2 Promille“ betragen (UA 37). Zwar war von der im Wege der Rückrechnung ermittelten Blutalkoholkonzentration<br />

"von mehr als 3 Promille" (richtig: 3,35 Promille) der Anteil des Nachtrunks der Angeklagten, die zweimal<br />

je einen "Schluck“ aus einer mit einem 40-prozentigen alkoholischen Getränk gefüllten Flasche getrunken hat,<br />

abzuziehen. Das genaue Ausmaß des Nachtrunks hat das Landgericht jedoch offen gelassen, weil die Zeugin K. <strong>und</strong><br />

die Angeklagte aus der im Jahre 2004 mit einer Art Rumverschnitt aufgefüllten Flasche nach der Aussage der Zeugin<br />

"wohl auch einige Male etwas aus dieser Flasche - <strong>und</strong> zwar 'pinnchenweise' - getrunken" haben. Letzteres ist rechtsfehlerhaft;<br />

vielmehr hätte nach dem Zweifelsgr<strong>und</strong>satz nicht die bezogen auf die Originalfüllmenge von 0,5 l errechnete<br />

"maximal mögliche Nachtrunkmenge von 108 ml" bei der Berechnung der Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit<br />

zu Gr<strong>und</strong>e gelegt werden dürfen, sondern nur die sicher feststehende Mindestmenge. Zudem hätte in Anwendung des<br />

Zweifelssatzes bei der Berechnung ein Resorptionsverlust von 30 % in Ansatz gebracht werden müssen (vgl. BGHR<br />

StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 10). Die fehlerhafte Berechnung der Blutalkoholkonzentration kann Auswirkungen<br />

auf die Beurteilung sowohl des Tötungsvorsatzes als auch der Schuldfähigkeit der Angeklagten haben.<br />

Der Generalb<strong>und</strong>esanwalt hat weiter ausgeführt: "Der neue Tatrichter wird Gelegenheit haben, die Rechtfertigung<br />

der Stiche der Angeklagten gemäß § 32 StGB erneut zu prüfen. Gegen die Auffassung der Kammer, die Stiche der<br />

Angeklagten wären nicht erforderlich gewesen, um den gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff des Ehemannes von<br />

sich abzuwenden (UA S. 46), bestehen Bedenken. Das Argument der Kammer, die Angeklagte habe zunächst den<br />

Einsatz des Messers androhen müssen, ist angesichts der Feststellung, dass ihr der Griff des Ehemannes am Hals<br />

teilweise die Luft nahm (UA S. 10), so nicht nachvollziehbar. Der alternative Hinweis der Kammer auf die Möglichkeit,<br />

mit dem Messer auf die Hand oder den Arm des Geschädigten einzustechen (UA S. 46) überzeugt ebenfalls<br />

nicht. Es versteht sich auch vor dem Hintergr<strong>und</strong> der früheren folgenlosen Angriffe des Geschädigten nicht von<br />

selbst, dass Stiche in weniger sensible Körperregionen den Angriff beendet hätten. Als nahe liegende <strong>und</strong> daher zu<br />

erörternde Geschehensalternative kam in Betracht, dass der Ehemann durch solches Verhalten der Angeklagten womöglich<br />

zusätzlich gereizt worden wäre <strong>und</strong> nicht ohne Erfolgschance versucht hätte, der Angeklagten das Messer<br />

gewaltsam abzunehmen (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 264). Auf einen Kampf mit ungewissem Ausgang brauchte sich<br />

die Angeklagte angesichts der erheblichen körperlichen Überlegenheit ihres Ehemannes (UA S. 46) nicht einzulassen<br />

(vgl. BGH NStZ 2002, 140).<br />

Der Revision ist zudem zuzugeben, dass die Begründung, mit der die Kammer einen Notwehrexzess gemäß § 33<br />

StGB abgelehnt hat, widersprüchlich ist. Die Argumentation der Kammer, die Angeklagte habe in der von ihr als<br />

bedrohlich empf<strong>und</strong>enen Situation nicht das Falsche getan, sondern ein ihr zur Verfügung stehendes Mittel adäquat<br />

eingesetzt (UA S. 48), steht nicht im Einklang mit der Wertung, dass die Verteidigung der Angeklagten nicht erforderlich<br />

war (UA S. 46)." Auch insoweit tritt der Senat der Stellungnahme des Generalb<strong>und</strong>esanwalts bei.<br />

225


StGB § 46 Abs. 2 Tatumstände 16<br />

BGH, Beschl. vom 12.09.2006 – 4 StR 279/06 -<br />

Ist bei der wiederholten Tatbegehung zum Nachteil desselben Tatopfers die Hemmschwelle für die<br />

Begehung der späteren Taten - aus dem Angeklagten nicht voll anzulastenden Gründen - von Tat zu<br />

Tat niedriger geworden, so ist die erneute Tatbegehung jedenfalls nicht ohne Weiteres Ausdruck<br />

einer sich steigernden rechtsfeindlichen Gesinnung oder einer erhöhten kriminellen Intensität.<br />

Der 4. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> des Beschwerdeführers<br />

am 12. September 2006 gemäß § 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 StPO beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 24. Februar 2006 im Strafausspruch<br />

mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem<br />

Missbrauch einer Schutzbefohlenen in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Nötigung <strong>und</strong> in zwei<br />

Fällen in Tateinheit mit Beischlaf zwischen Verwandten, sowie wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit<br />

mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun<br />

Jahren <strong>und</strong> drei Monaten verurteilt. Tatopfer war in allen Fällen die leibliche Tochter des Angeklagten. Die auf die<br />

Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten ist zum Schuldspruch offensichtlich<br />

unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Dagegen hat sie zum Strafausspruch Erfolg. Die Begründung der Einzelstrafen<br />

hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Strafkammer hat bei Bemessung sämtlicher Einzelstrafen zu Lasten<br />

des Angeklagten gewertet, dass die "Mehrzahl <strong>und</strong> Abfolge der Taten (…) ein nicht unbeträchtliches Maß an krimineller<br />

Energie <strong>und</strong> Rücksichtslosigkeit" belege. Demgegenüber hält sie im Rahmen der Begründung der Gesamtfreiheitsstrafe<br />

dem Angeklagten den "recht engen zeitlichen <strong>und</strong> situativen Zusammenhang der Taten, in deren Abfolge<br />

mit hoher Wahrscheinlichkeit die Dynamik des Geschehens die Hemmschwelle des Angeklagten herabgesetzt (habe)"<br />

zugute. Diese Erwägungen sind nicht miteinander in Einklang zu bringen. Ist, wie hier, bei der wiederholten<br />

Tatbegehung zum Nachteil desselben Tatopfers die Hemmschwelle für die Begehung der späteren Taten - aus dem<br />

Angeklagten nicht voll anzulastenden Gründen - von Tat zu Tat niedriger geworden, so ist entgegen der Auffassung<br />

des Landgerichts die erneute Tatbegehung jedenfalls nicht ohne Weiteres Ausdruck einer sich steigernden rechtsfeindlichen<br />

Gesinnung oder einer erhöhten kriminellen Intensität (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Tatumstände 16).<br />

Ein gesteigertes Maß an krimineller Energie lässt sich im vorliegenden Fall auch nicht aus der Abfolge der Taten<br />

herleiten. Feststellungen, in welcher zeitlichen Reihenfolge der Angeklagte die Taten beging, hat das Landgericht<br />

nicht zu treffen vermocht. Zu Gunsten des Angeklagten ist deshalb davon auszugehen, dass sich die schwerwiegenderen<br />

Vorfälle am Ende der Tatserie ereigneten, mithin zu einem Zeitpunkt, als die Hemmschwelle des Angeklagten<br />

bereits herabgesetzt war. Die Urteilsfeststellungen lassen nicht erkennen, dass sich das Landgericht dieser möglichen<br />

Wertungswidersprüche bewusst war. Es ist deshalb, nicht zuletzt mit Blick auf die für die Taten des nicht vorbestraften,<br />

im Ermittlungsverfahren teilgeständigen Angeklagten in den Fällen II. 1 bis 3, 6 <strong>und</strong> 7 verhängten, vergleichsweise<br />

hohen Einzelstrafen, nicht auszuschließen, dass der gesamte Strafausspruch von dem Rechtsfehler beeinflusst<br />

ist. Die Strafen müssen deshalb insgesamt neu zugemessen werden.<br />

StGB § 46 Strafmildernde Wirkung des prouesstaktischen Geständnisses<br />

BGH, Besch. Vom 08.05.2007 – 1 StR 193/07<br />

Das strafmildernde Gewicht eines Geständnisses kann dann geringer sein, wenn prozesstaktische<br />

Überlegungen bestimmend waren <strong>und</strong> die Kammer dies durch das in den Urteilsgründen dargelegte<br />

sonstige Prozessverhalten bestätigt sah.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 8. Mai 2007 beschlossen: Die Revision der Angeklagten gegen das<br />

Urteil des Landgerichts München I vom 8. November 2006 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des<br />

226


Urteils auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat (§ 349<br />

Abs. 2 StPO). Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Ergänzend bemerkt der Senat:<br />

Die Beanstandung, die Strafkammer habe eine "Relativierung des Geständnisses", das im Rahmen einer verfahrensbeendenden<br />

Absprache abgegeben worden war, vorgenommen, geht fehl. Die Kammer hat ausgeführt, es habe bei<br />

der Gewichtung des Geständnisses nicht unberücksichtigt bleiben können, dass die Angeklagte "während der Hauptverhandlung<br />

keine allzu große Reue hat erkennen lassen; vielmehr ließ sie das Geständnis über ihren Verteidiger<br />

erklären <strong>und</strong> teilte selbst nur ihre persönlichen Verhältnisse mit, wobei sie darauf bedacht war, Mitleid für ihre Situation<br />

zu wecken". Dagegen bestehen keine rechtlichen Bedenken. Der Gr<strong>und</strong>satz, dass von einem bestreitenden Angeklagten<br />

keine Reue verlangt werden kann (st. Rspr., vgl. Tröndle/Fischer StGB 54. Aufl. § 46 Rdn. 50), ist hier<br />

nicht einschlägig. Das strafmildernde Gewicht eines Geständnisses kann dann geringer sein, wenn wie hier prozesstaktische<br />

Überlegungen bestimmend waren <strong>und</strong> die Kammer dies durch das in den Urteilsgründen dargelegte sonstige<br />

Prozessverhalten bestätigt sah (vgl. G. Schäfer, Strafzumessung 3. Aufl. Rdn. 383 f.).<br />

StGB § 46, AO § 370 - Strafzumessung gerechter Schuldausgleich<br />

BGH; Urt. vom 29.11.2006 - 5 StR 324/06<br />

Einen gerechten Schuldausgleich stellen Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren jedenfalls dann gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

nicht mehr dar, wenn die Täter mit einem auf Dauer angelegten, gut organisierten <strong>und</strong> an<br />

veränderte Umstände anpassungsfähigen kriminellen Hinterziehungssystem jahrelang die Auszahlung<br />

hoher Geldbeträge bewirken <strong>und</strong> damit dem Fiskus Schäden in Millionenhöhe zufügen.<br />

Der 5. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat aufgr<strong>und</strong> der Hauptverhandlung vom 7., 27. <strong>und</strong> 29. November 2006,<br />

am 29. November 2006 für Recht erkannt:<br />

1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 15. Dezember 2005, soweit<br />

es die Angeklagten A. , G. , S. , R. , O. <strong>und</strong> Av. betrifft, jeweils im gesamten Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten der<br />

Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat – neben einem geringer verurteilten Mitangeklagten, der am Revisionsverfahren nicht beteiligt<br />

ist – den Angeklagten A. wegen Steuerhinterziehung in 32 Fällen <strong>und</strong> wegen Anstiftung zur Steuerhinterziehung in<br />

13 Fällen, den Angeklagten S. wegen Steuerhinterziehung in 33 Fällen <strong>und</strong> wegen Anstiftung zur Steuerhinterziehung<br />

in 15 Fällen sowie den Angeklagten O. wegen Steuerhinterziehung in 13 Fällen <strong>und</strong> wegen Anstiftung zur<br />

Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu Gesamtfreiheitsstrafen von jeweils zwei Jahren verurteilt. Es hat gegen den<br />

Angeklagten G. wegen Steuerhinterziehung in 20 Fällen <strong>und</strong> wegen Anstiftung zur Steuerhinterziehung in 20 Fällen,<br />

gegen den Angeklagten R. wegen Steuerhinterziehung in neun Fällen <strong>und</strong> wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz<br />

sowie gegen den Angeklagten Av. wegen Steuerhinterziehung in 31 Fällen, wegen Anstiftung zur Steuerhinterziehung<br />

in 15 Fällen sowie wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in 14 Fällen Gesamtfreiheitsstrafen von jeweils<br />

einem Jahr <strong>und</strong> neun Monaten verhängt. Die Vollstreckung sämtlicher Freiheitsstrafen hat das Landgericht zur Bewährung<br />

ausgesetzt.<br />

Mit ihren auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten <strong>und</strong> auf die Sachrüge gestützten Revisionen, die von der<br />

B<strong>und</strong>esanwaltschaft vertreten werden, beanstandet die Staatsanwaltschaft die verhängten Einzel- <strong>und</strong> Gesamtstrafen<br />

als nicht mehr schuldangemessen niedrig. Zudem wendet sie sich gegen die Aussetzung der verhängten Gesamtstrafen<br />

zur Bewährung. Die Rechtsmittel haben Erfolg.<br />

I. 1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen: Ab 1996 unterhielten die Angeklagten<br />

A., G. , S. <strong>und</strong> O. in unterschiedlicher Besetzung mehrere nur zum Schein als Bauunternehmen auftretende Gesellschaften,<br />

welche sie ausnahmslos als sogenannte „Serviceunternehmen“ verschiedenen Kolonnenschiebern zur Verschleierung<br />

von deren unternehmerischer Tätigkeit bereitstellten. Diese auf Initiative <strong>und</strong> unter wechselnder Beteiligung<br />

gesondert verfolgter weiterer Täter betriebenen Firmen traten nach außen an die Stelle der Kolonnenschieber<br />

<strong>und</strong> nahmen formal, unter Vorlage steuerlicher, berufs- <strong>und</strong> krankenkassenrechtlicher Unbedenklichkeitsbescheinigungen,<br />

deren Rechte <strong>und</strong> Pflichten aus den Bautätigkeiten wahr. So ermöglichten die Angeklagten den Kolonnenschiebern,<br />

darunter auch dem selbst als Kolonnenschieber tätigen Angeklagten Av. , ihre Bauleistungen unter Einsatz<br />

nicht ordnungsgemäß bei den Krankenkassen <strong>und</strong> Finanzämtern gemeldeter Arbeitnehmer „schwarz“ zu erbringen<br />

<strong>und</strong> den Tatbestand der illegalen Arbeitnehmerüberlassung zu verdecken. Zu keinem Zeitpunkt war geplant, dass die<br />

227


Unternehmen selbst Bauleistungen ausführen sollten. Zu den „Dienstleistungen“ der Angeklagten gehörte auch, den<br />

Kolonnenschiebern die für den Anschein eines tätigen Bauunternehmens notwendigen, teilweise sogar notariell beglaubigten<br />

Firmenunterlagen <strong>und</strong> die Nachweise über den erforderlichen Konzessionsträger in einem Paket zusammenzustellen.<br />

Die Angeklagten waren dazu imstande, ihre Serviceunternehmen, die sie zur Erschwerung der Verfolgbarkeit<br />

jeweils nach kurzer Zeit durch andere Firmen mit gleicher Funktion austauschten, sich ändernden tatsächlichen<br />

oder rechtlichen Gegebenheiten anzupassen. So setzten sie beispielsweise aufgr<strong>und</strong> von Bedenken der Auftraggeber<br />

der Bauleistungen nur noch deutsche Geschäftsführer ein <strong>und</strong> passten die Vertragsunterlagen den Vorgaben<br />

des Arbeitnehmerentsendegesetzes an. Die im Rahmen ihrer „Servicegeschäftstätigkeit“ anfallenden Aufgaben<br />

wie Rechnungschreiben, Kassenführung <strong>und</strong> Verhandlung mit den Kolonnenschiebern teilten die Angeklagten unter<br />

sich auf. Die Serviceunternehmen erstellten unter ihrem Namen nach Vorgabe der Kolonnenschieber Rechnungen<br />

mit Umsatzsteuerausweis an die Auftraggeber. Die bezahlten Beträge übergaben die Angeklagten nach Abzug eines<br />

Entgelts in Höhe der vereinnahmten, aber nicht an das Finanzamt abgeführten Umsatzsteuer bar an die Kolonnenschieber<br />

zur Entlohnung der Schwarzarbeiter. Bei der Einlösung von Schecks kamen sogenannte Scheckwechsler<br />

zum Einsatz, zu denen zeitweise auch der Angeklagte Av. gehörte. Der aus der einbehaltenen Umsatzsteuer finanzierte<br />

Gewinn, der sich für jeden Angeklagten wöchentlich auf bis zu 2.500 DM belief, war so erheblich, dass der<br />

Angeklagte R. 1997 einen Betrag von 100.000 DM aufwenden musste, um sich in die Serviceunternehmensgruppe<br />

einkaufen zu können. Die von den Angeklagten angeworbenen <strong>und</strong> geleiteten Scheingeschäftsführer wurden mit<br />

einmaligen Beträgen bis zu 100.000 DM neben einer Kostenpauschale von 400 DM wöchentlich entlohnt. Dem<br />

Hinterziehungssystem entsprechend unterließen es die Angeklagten pflichtwidrig, für die Serviceunternehmen Umsatzsteuerjahreserklärungen<br />

für die Jahre 1996 bis 1999 abzugeben, obwohl sie in den jeweiligen Anmeldezeiträumen<br />

zahlreiche Ausgangsrechnungen erstellt <strong>und</strong> von den Auftraggebern auch bezahlt erhalten hatten. Zudem erklärten<br />

die Angeklagten das vereinnahmte Entgelt für das Zurverfügungstellen der Firmenmäntel <strong>und</strong> das Schreiben der<br />

Rechnungen – jeweils mindestens 15 % der Nettorechnungssummen – gegenüber den Finanzbehörden nicht. In insgesamt<br />

sieben Fällen betrug die durch die Nichtanmeldung von Umsätzen <strong>und</strong> Rechnungsbeträgen verursachte Steuerverkürzung<br />

jeweils mehr als 500.000 DM, davon in drei Fällen mehr als 1 Mio. DM (S. H. GmbH 1996 <strong>und</strong> 1997<br />

sowie A. B. GmbH 1998), in zwei Fällen sogar mehr als 2 Mio. DM (G. H. GmbH 1997) bzw. 4,5 Mio. DM (I. B.<br />

GmbH 1998). Als im März 1999 der Geschäftsführer einer der Scheinfirmen festgenommen wurde, legten die Angeklagten<br />

die von ihnen gegründeten Gesellschaften still <strong>und</strong> erbrachten – in unterschiedlicher Beteiligung <strong>und</strong> Dauer –<br />

ihre „Servicetätigkeiten“ nunmehr über von Dritten erworbene Firmenmäntel. Sie gaben auch für diese Firmen weder<br />

eine Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 2000 noch Voranmeldungen für die Monate Januar bis November<br />

2001 ab <strong>und</strong> begingen dadurch weitere Steuerhinterziehungen. Entsprechend einer vorherigen Absprache für den Fall<br />

der Festnahme eines der Tatbeteiligten verschaffte die Tätergruppe dem festgenommenen Geschäftsführer einen<br />

Verteidiger <strong>und</strong> unterstützte seine Familie finanziell, wofür sie monatlich insgesamt 4.000 DM aufwandte. Die<br />

Betreiber dreier weiterer Unternehmen konnten von den Angeklagten dafür gewonnen werden, nach den Vorgaben<br />

der Kolonnenschieber unter der jeweiligen Firma Scheinrechnungen auszustellen, die dann von den Angeklagten an<br />

die Kolonnenschieber weitergegeben wurden. Die für diese Firmen Verantwortlichen gaben, von den Angeklagten<br />

dazu bestimmt, weder eine Umsatzsteuerjahreserklärung für 1999 bzw. 2000 noch Voranmeldungen für Januar bis<br />

November 2001 ab <strong>und</strong> bewirkten damit weitere Steuerverkürzungen. Auch in diesen Anmeldezeiträumen vereinnahmten<br />

die Angeklagten jeweils mindestens 15 % der Nettorechnungssummen für ihre Vermittlungstätigkeiten, die<br />

sie mit den Firmeninhabern teilten. Gleichwohl gaben sie auch insoweit keine Umsatzsteuererklärungen ab. Insgesamt<br />

verursachte der Angeklagte A. einen Umsatzsteuerschaden von über 14,7 Mio. DM, der Angeklagte G. von fast<br />

7,8 Mio. DM, der Angeklagte S. von fast 15,7 Mio. DM, der Angeklagte O. von fast 13 Mio. DM, der Angeklagte R.<br />

– der zudem ohne entsprechende Erlaubnis im Besitz eines Revolvers mit Munition war – von fast 9,4 Mio. DM <strong>und</strong><br />

der Angeklagte Av. von fast 5,5 Mio. DM. Mit den aus der vereinnahmten Umsatzsteuer erzielten Gewinnen finanzierten<br />

die Angeklagten ihren hohen Lebensstandard <strong>und</strong> bildeten Vermögen. Zum Teil verloren sie ihre Einnahmen<br />

aber auch durch Spekulationen <strong>und</strong> Glücksspiele. Zur Schadenswiedergutmachung ließen die Angeklagten, die sich –<br />

mit Ausnahme des Angeklagten O. – zwischen sieben <strong>und</strong> fast zehn Monaten (R. ) in Untersuchungshaft befanden,<br />

dem Fiskus Kautionen <strong>und</strong> Vermögenswerte von r<strong>und</strong> 40.000 € (jeweils A. <strong>und</strong> G. ), 20.000 € (S. ), 35.000 € sowie<br />

eine Arresthypothek (R. ) <strong>und</strong> 17.500 € (Av. ) zukommen. Das Finanzamt konnte hieraus bislang knapp 43.000 €<br />

erlösen.<br />

2. Das Landgericht hat in den sieben Fällen mit einem Steuersschaden von über 500.000 DM das Vorliegen des Regelbeispiels<br />

des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO bejaht <strong>und</strong> aus dem erhöhten Strafrahmen – für die Angeklagten stets<br />

gleichlautend, soweit ihnen der gesamte Steuerschaden des jeweiligen Erklärungszeitraums zugerechnet wurde –<br />

(fiktive) Einzelfreiheitsstrafen von neun Monaten (A. B. GmbH 1999), von elf Monaten (K. –H. GmbH 2000),<br />

zweimal einem Jahr (S. H. GmbH 1997 <strong>und</strong> A. B. GmbH 1998), zweimal einem Jahr zwei Monaten (S. H. GmbH<br />

228


1996 <strong>und</strong> G. H. GmbH 1997) sowie von einem Jahr sechs Monaten (I. B. GmbH 1998) verhängt. Als besonders<br />

strafmildernd hat das Landgericht dabei die bereits in einem frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens abgegebenen<br />

umfassenden Geständnisse der Angeklagten <strong>und</strong> das lange Zurückliegen der Taten gewertet. Um eine um zwei Jahre<br />

verzögerte überlange Verfahrensdauer kompensatorisch zu berücksichtigen, hat das Landgericht die vorgenannten<br />

Einzelstrafen auf sechs Monate, sieben Monate, zweimal acht Monate, zweimal neun Monate <strong>und</strong> ein Jahr reduziert.<br />

Dabei hat es neben der Belastung durch das schwebende Verfahren vor allem auf die Schwierigkeiten für die Angeklagten,<br />

einen Arbeitsplatz zu finden, abgestellt. In den übrigen Fällen hat das Landgericht ausgehend von dem Strafrahmen<br />

des Gr<strong>und</strong>tatbestandes des § 370 Abs. 1 AO Freiheitsstrafen von zwei Monaten bis zu sechs Monaten gebildet<br />

<strong>und</strong> die kurzen Freiheitsstrafen unter Berufung auf die Vorschrift des § 47 Abs. 1 StGB mit general-präventiven<br />

Erwägungen begründet. Unter dem Gesichtspunkt der rechts-staatswidrigen Verfahrensverzögerung hat das Landgericht<br />

in diesen Fällen das Strafmaß auf Einzelfreiheitsstrafen zwischen vier Monaten <strong>und</strong> einem Monat bzw. auf<br />

Geldstrafen reduziert. Ohne Verfahrensverzögerung hätte das Landgericht aus den unverminderten Einzelstrafen für<br />

die Angeklagten A. , S. <strong>und</strong> O. Gesamtfreiheitsstrafen von jeweils drei Jahren sechs Monaten sowie für die Angeklagten<br />

G. , R. <strong>und</strong> Av. von jeweils drei Jahren gebildet. Die Strafaussetzung zur Bewährung hat das Landgericht vor<br />

allem damit begründet, dass die Angeklagten seit der drei Jahre zuvor erfolgten Entlassung aus der Untersuchungshaft<br />

keine Straftaten mehr begangen, sich somit von der Haft <strong>und</strong> dem Strafverfahren beeindruckt gezeigt <strong>und</strong> zum<br />

Teil wieder Arbeit gef<strong>und</strong>en haben. Die besonderen Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB hat das Landgericht<br />

im Wesentlichen in den Geständnissen, den Bemühungen um Schadenswiedergutmachung <strong>und</strong> dem weiten Zurückliegen<br />

der Taten gesehen.<br />

II. Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revisionen der Staatsanwaltschaft sind begründet.<br />

1. Eine weitergehende konkludente Beschränkung der Revisionen auf einzelne Strafen liegt nicht vor. Zwar wendet<br />

sich die Staatsanwaltschaft in ihrer Revisionsbegründungsschrift primär nur gegen die Bemessung der Einzelstrafen<br />

für die besonders schweren Fälle der Steuerhinterziehung im Sinne von § 370 Abs. 3 AO <strong>und</strong> gegen die Strafaussetzung<br />

zur Bewährung. Dem ist jedoch nicht zu entnehmen, dass die Staatsanwaltschaft ihr ausdrücklich bezeichnetes<br />

Anfechtungsziel, die Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs, weiter einschränken wollte. Maßgeblich ist<br />

in solchen Fällen der durch Auslegung des Antrags zu ermittelnde, dem wirklichen Willen des Beschwerdeführers<br />

entsprechende Wille (vgl. BGHSt 29, 359, 365; BGH NJW 1997, 3322 m.w.N.). Diese Auslegung ergibt hier, auch<br />

im Einklang mit dem gestellten Antrag Folgendes: Die Staatsanwaltschaft hat gezielt die Einzelstrafen in den besonders<br />

schwerwiegenden Fällen herausgegriffen <strong>und</strong> als unvertretbar mild beanstandet; im Übrigen erstrebt sie aber<br />

eine insgesamt neue Strafzumessung, auch bezogen auf die weiteren, an den gravierendsten Einzelstrafen orientierten<br />

Strafen im Rahmen eines einheitlichen Komplexes, damit bei der Strafzumessung keine Wertungswidersprüche<br />

entstehen <strong>und</strong> die Relation der Einzelstrafen zueinander gewahrt bleibt.<br />

2. Die Strafzumessung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.<br />

a) Im vorliegenden Fall gilt nichts anderes als in dem Verfahren gegen zwei weitere Angeklagte derselben Tätergruppe,<br />

die das Senats-urteil vom 8. August 2006 – 5 StR 189/06 (wistra 2006, 428) behandelt: Jedenfalls das Ausmaß<br />

der den Angeklagten wegen überlanger Verfahrensdauer zugebilligten Strafabschläge ist nicht nachvollziehbar.<br />

Das Landgericht hat ihnen – für sich nicht beanstandenswert – eine Verfahrensverzögerung von zwei Jahren zugr<strong>und</strong>e<br />

gelegt. Neben der überlangen Konfrontation mit der Unsicherheit des schwebenden Strafverfahrens hat das Landgericht<br />

als zusätzliche, durch den Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK verursachte Belastungen allein erhebliche<br />

Schwierigkeiten der zum Zeitpunkt der Verfahrensverzögerung bereits nicht mehr in Untersuchungshaft befindlichen<br />

Angeklagten bei ihrer Integration auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigt. Diese Belastungen <strong>und</strong> die Dauer der Verfahrensverzögerung<br />

lassen indes auch bei uneingeschränkter Achtung des tatgerichtlichen Beurteilungsspielraums<br />

eine derart hohe Reduzierung der vom Landgericht ohne Berücksichtigung der Verfahrensverzögerungen für angemessen<br />

erachteten Strafen um jeweils mindestens ein Drittel bis zur Hälfte nicht zu. Dies gilt insbesondere auch für<br />

das Ergebnis der Gesamtstrafreduzierung. Allein die festgestellten Belastungen vermögen nicht zu rechtfertigen, dass<br />

anstelle von zu vollstreckenden Gesamtfreiheitsstrafen von drei Jahren sechs Monaten bzw. drei Jahren, die bei dem<br />

Gewicht der Taten nicht zuletzt schon unter Berücksichtigung des Zeitfaktors mild bemessen sind, aber im Ergebnis<br />

doch noch eine gravierende Sanktion darstellen, nur noch zur Bewährung ausgesetzte Gesamtfreiheitsstrafen verhängt<br />

wurden. Ohnehin widerstreitet eine erhebliche strafmildernde Wirkung des Zeitfaktors als Folge justizieller<br />

Mängel generell den Zielen effektiver Verteidigung der Rechtsordnung; dies gilt namentlich im Bereich schwerer,<br />

zudem sozialschädlicher Wirtschaftskriminalität (vgl. BGHSt 50, 299, 308 f.). Besonders misslich ist es, wenn das zu<br />

einer Strafmilderung verpflichtete Tatgericht gar durch eigenes unsachgemäßes Verhalten maßgebliche Ursachen für<br />

die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung gesetzt hat. Gerade vor diesem Hintergr<strong>und</strong> darf das Revisionsgericht<br />

einen überzogenen Strafabschlag, wie er hier zu konstatieren ist, nicht hinnehmen.<br />

229


) Daneben bedarf auch hier die Frage letztlich keiner Entscheidung, ob die Erwägungen der Strafkammer dem Umstand<br />

ausreichend Rechnung tragen, dass die Angeklagten ein hochkriminelles <strong>und</strong> gut durchorganisiertes überaus<br />

profitables Steuerhinterziehungssystem installierten <strong>und</strong> betrieben, das ihnen ermöglichte, jahrelang allein von den<br />

einbehaltenen Umsatzsteuern zu leben <strong>und</strong> damit einen Lebensstil von gehobenem Niveau zu finanzieren. Dies liegt<br />

jedoch nach nochmaliger Überprüfung des Sachverhalts durch den Senat außerordentlich fern. Wie bei den sogenannten<br />

Umsatzsteuerkarussellgeschäften sind Kettengeschäfte unter Einschaltung von Serviceunternehmen im Bereich<br />

der illegalen Arbeitnehmerüberlassungen dadurch geprägt, dass zumindest die Betreiber der Firmen allein von<br />

dem Handel mit Scheinrechnungen leben <strong>und</strong> damit die „Steuerhinterziehung als Gewerbe“ betreiben (vgl. BGH<br />

wistra 2005, 30, 31; Joecks wistra 2002, 201, 203 f.). Damit unterscheiden sich solche Erscheinungsformen der Steuerhinterziehung<br />

gravierend von den Fällen, in denen ein Steuerpflichtiger dem Fiskus rechtmäßig erzielte Einkünfte<br />

verschweigt, um sie ungeschmälert für sich verwenden zu können. Bereits in derartigen Fällen ist es äußerst fraglich,<br />

ob eine zur Bewährung aussetzungsfähige Freiheitsstrafe noch dem Unrechtsgehalt einer Steuerhinterziehung gerecht<br />

werden kann, wenn der Hinterziehungsschaden deutlich im Millionenbereich liegt <strong>und</strong> nicht erhebliche Strafmilderungsgründe<br />

vorhanden sind, wie etwa eine weitgehende Schadenswiedergutmachung. Einen gerechten Schuldausgleich<br />

stellen Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren jedenfalls dann gr<strong>und</strong>sätzlich nicht mehr dar, wenn die Täter – wie<br />

hier über den Umweg des Vorsteuerabzugs der Auftraggeber – mit einem auf Dauer angelegten, gut organisierten<br />

<strong>und</strong> an veränderte Umstände anpassungsfähigen kriminellen Hinterziehungssystem jahrelang die Auszahlung hoher<br />

Geldbeträge bewirken <strong>und</strong> damit dem Fiskus Schäden in Millionenhöhe zufügen. Hinzu kommen weitere Schäden<br />

im Bereich der Lohnsteuer <strong>und</strong> der Sozialabgaben sowie die Schädigung der – durch solches verbreitet mehr oder<br />

weniger stillschweigend geduldetes Verhalten immer stärker zurückgedrängten – legal arbeitenden Bauwirtschaft,<br />

deren Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt wird (vgl. insgesamt zur Einschätzung der sozialschädlichen Auswirkungen<br />

der illegal agierenden Subunternehmerketten im Baugewerbe den Bericht des B<strong>und</strong>esrechnungshofs vom 3.<br />

September 2003, BT-Drucks. 15/1495, S. 3, 10 ff.). Serviceunternehmen schädigen das Steueraufkommen letztlich in<br />

ähnlicher Weise wie Umsatzsteuerkarussellgeschäfte, bei denen über Vorsteuererstattungen auf der Gr<strong>und</strong>lage von<br />

Scheinrechnungen in großem Umfang Steuergelder betrügerisch erlangt werden (vgl. hierzu Kemper ZRP 2006, 205,<br />

207). Zweifelhaft sind auch die Erwägungen, mit denen das Landgericht die Höhe des entstandenen Steuerschadens<br />

relativiert hat, da die Haftung der Angeklagten allein auf das Ausstellen der Scheinrechungen zurückzuführen sei<br />

<strong>und</strong> dies bereits Straf- <strong>und</strong> Sanktionscharakter habe. Damit hat das Landgericht das erhebliche Gefährdungspotential<br />

außer Acht gelassen, das die Erstellung entsprechender Scheinrechnungen birgt (vgl. BGHSt 47, 343, 346 f. mit<br />

näheren Erläuterungen).<br />

c) Dass das Ergebnis etwa auf eine Förderung der Erledigung durch eine vom Landgericht ohne Einbeziehung der<br />

Staatsanwaltschaft herbeigeführte Verständigung zurückginge (vgl. zur „Zusage“ einer Strafobergrenze ohne staatsanwaltliche<br />

Zustimmung: BGH wistra 2006, 394), hat die Staatsanwaltschaft allerdings nicht geltend gemacht. Hiergegen<br />

hätte sie sich gegebenenfalls mit den gebotenen prozessualen Mitteln zur Wehr setzen müssen (vgl. BGHR<br />

StPO vor § 1/faires Verfahren – Vereinbarung 15 m.w.N.). Auf der anderen Seite können die Angeklagten aus dem<br />

gerichtlichen Vorgehen für sich keine günstige Position im Sinne eines Vertrauenstatbestandes herleiten (vgl. BGHR<br />

aaO). Ausweislich des Protokolls ist vor Abgabe der Geständnisse in der Hauptverhandlung ein in Beschlussform<br />

gefasster gerichtlicher Hinweis erteilt worden, dass „jeweils Bewährungsstrafen in Betracht kommen“. Zudem ist<br />

nicht ersichtlich, dass die Staatsanwaltschaft, die in der Hauptverhandlung zu vollstreckende Freiheitsstrafen beantragt<br />

hat, diesen Hinweis als gerichtliche Zusage von Bewährungsstrafen verstanden hätte <strong>und</strong> hierauf in einer Zustimmung<br />

signalisierenden Weise untätig geblieben wäre. Insbesondere hatten die Angeklagten weitgehend bereits<br />

im Ermittlungsverfahren Geständnisse abgelegt. Jedenfalls bei dieser Sachlage besteht kein Anlass zu erwägen, mit<br />

Aufhebung der Rechtsfolgenaussprüche etwa aus Fairnessgründen auch die Schuldsprüche mitaufzuheben (vgl. dazu<br />

Schlothauer StV 2003, 481).<br />

3. Der Aufhebung von Urteilsfeststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) bedarf es bei den erkannten Wertungsfehlern nicht.<br />

Das neue Tatgericht wird auf der Gr<strong>und</strong>lage der bislang getroffenen Feststellungen fiktive <strong>und</strong> wegen eines Verstoßes<br />

gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK kompensierte Einzel- <strong>und</strong> Gesamtstrafen (vgl. BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz<br />

1 Verfahrensverzögerung 16) neu festzusetzen haben. Das Landgericht darf seiner Bewertung weitere, hierzu nicht in<br />

Widerspruch stehende Feststellungen zugr<strong>und</strong>e legen. Auch unter Berücksichtigung der durch die neue Verhandlung<br />

verlängerten Verfahrensdauer erscheint es allerdings kaum vorstellbar, dass erneut verhängte Bewährungsstrafen den<br />

genannten Strafschärfungsgründen gerecht werden könnten. Dies gilt umso mehr, als die bislang für den fiktiven Fall<br />

fristgerechter Sacherledigung, allerdings ihrerseits schon unter Berücksichtigung des zeitlichen Abstands zwischen<br />

Tat <strong>und</strong> Aburteilung festgesetzten Strafen an der unteren Grenze des Vertretbaren liegen.<br />

230


StGB § 46, MRK Art. 6 Abs.2 – Warnfunktion früheres Verfahren - Unschuldsvermutung<br />

BGH, Beschl. vom 25.04.2006 – 4 StR 125/06 – NStZ 2006, 620 = StraFo 2006, 422<br />

(Die Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs, ein früheres Strafverfahren könne eine bei der Strafzumessung<br />

berücksichtigungstaugliche Warnfunktion auch dann entfalten, wenn es mit einer Einstellung<br />

nach § 170 Abs. 2, §§ 153 ff. oder § 260 Abs. 3 StPO oder gar mit einem Freispruch geendet<br />

hat, erscheint im Hinblick auf die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 MRK bedenklich.)<br />

Der 4. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> nach Anhörung des Beschwerdeführers<br />

am 25. April 2006 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird<br />

das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 1. Dezember 2005 im Strafausspruch aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung<br />

wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere<br />

Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von fünf<br />

Jahren <strong>und</strong> drei Monaten verurteilt. Es hat das Vorliegen eines minder schweren Falles verneint <strong>und</strong> die Strafe der<br />

Vorschrift des § 250 Abs. 1 StGB entnommen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf den<br />

Strafausspruch beschränkten Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat Erfolg.<br />

I. Nach den Feststellungen wollte der Angeklagte seine finanzielle Situation durch die Begehung eines Banküberfalls<br />

verbessern. Er wartete zunächst, bis verschiedene K<strong>und</strong>en die ihm für einen Überfall günstig erscheinende Bankfiliale<br />

verlassen hatten. Sodann betrat er, abgesehen von einer Schirmmütze unmaskiert, die Bank <strong>und</strong> bedrohte die Kassiererin<br />

mit einer ungeladenen Pistole des Fabrikats Crvena Zastava - Kal. 9 mm -, wobei er die Waffe in Bauchhöhe<br />

der Frau hielt. Unter dem Eindruck der Bedrohung händigte ihm die Kassiererin, die befürchtete, durch einen Bauchschuss<br />

würde ihr eine äußerst qualvolle <strong>und</strong> wahrscheinlich letztendlich tödliche Verletzung zugefügt werden, insgesamt<br />

9.750 Euro aus. Anhand der von der Überwachungskamera gefertigten Lichtbilder konnte der Angeklagte alsbald<br />

identifiziert <strong>und</strong> etwa einen Monat nach der Tat festgenommen werden.<br />

II. Der Strafausspruch hat keinen Bestand, weil dessen Begründung Rechtsfehler aufweist, die sich nicht ausschließbar<br />

auf die Höhe der erkannten Strafe ausgewirkt haben können.<br />

1. Die Revision beanstandet zu Recht, dass das Landgericht "die erhebliche kriminelle Energie", die bei der Vorbereitung<br />

der Tat zum Ausdruck gekommen sei, strafschärfend berücksichtigt hat. Eine solche ist - worauf auch der<br />

Generalb<strong>und</strong>esanwalt in seiner Antragsschrift hingewiesen hat - durch die Feststellungen nicht belegt.<br />

2. Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet auch die Erwägung der Strafkammer, der Angeklagte habe sich<br />

ein früheres Strafverfahren, das erst etwa ein halbes Jahr vor der Tat nach mehrjähriger Dauer mit einem Freispruch<br />

beendet worden war, nicht zur Warnung dienen lassen. In jenem Verfahren war der Angeklagte vom Vorwurf der<br />

versuchten Vergewaltigung einer Prostituierten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen worden, nachdem eine<br />

zunächst erfolgte Verurteilung auf seine Sprungrevision aufgehoben worden war. Allerdings kann nach der Rechtsprechung<br />

des B<strong>und</strong>esgerichtshofs ein früheres Strafverfahren eine bei der Strafzumessung berücksichtigungstaugliche<br />

Warnfunktion auch dann entfalten, wenn es mit einer Einstellung nach § 170 Abs. 2, §§ 153 ff. oder § 260 Abs. 3<br />

StPO oder - wie hier - gar mit einem Freispruch geendet hat (vgl. BGHSt 25, 64 m.w.N.; BGH MDR 1954, 151;<br />

MDR 1979, 635 m.w.N.; StV 1991, 64; NStZ-RR 2005, 72; vgl. auch Gribbohm in LK 11. Aufl. § 46 Rdn. 158, 165,<br />

166; Tröndle/Fischer StGB 53. Aufl. § 46 Rdn. 41; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, 3. Aufl. Rdn. 367). Dies<br />

wird damit begründet, dass auch ein Verfahren, welches nicht mit einer Bestrafung endet, dem Täter die Folgen<br />

strafbaren Verhaltens vor Augen führe. Sein Handlungs-unrecht wiege deswegen schwerer, wenn er trotz dieser<br />

Warnung eine Straftat begeht (vgl. BGHSt 25, 64 m.w.N.; ablehnend OLG Köln NJW 1960, 449; kritisch Franke in<br />

MK-StGB § 46 Rdn. 43). Dies erscheint im Hinblick auf die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 MRK bedenklich.<br />

Hinzu kommt, dass das Verfahren im vorliegenden Fall einen völlig anders gearteten Schuldvorwurf betraf.<br />

3. Entgegen der Ansicht der Revision <strong>und</strong> des Generalb<strong>und</strong>esanwalts liegt dagegen ein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot<br />

des § 46 Abs. 3 StGB nicht vor. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht die<br />

Tatsache der Verwendung einer echten, wenn auch ungeladenen Schusswaffe, die im Urteil als schwere <strong>und</strong> große<br />

Pistole beschrieben wird, die schon optisch auf Gr<strong>und</strong> ihrer Maße einen besonders bedrohlichen Eindruck macht, <strong>und</strong><br />

die dadurch verursachten Folgen für das Opfer strafschärfend berücksichtigt hat (vgl. BGHSt 44, 103, 106; BGH<br />

NJW 1998, 3130, 3131). Für die Tatbestandsvariante des § 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB reicht es aus, dass der Täter ein<br />

Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Ge-<br />

231


walt zu verhindern oder zu überwinden. Der Angeklagte hat das Tatmittel nicht nur bei sich geführt, sondern auch<br />

zur Drohung verwendet; zudem handelte es sich um ein Tatmittel, von dem auf Gr<strong>und</strong> seiner Beschaffenheit ein<br />

besonderes Drohpotential ausging.<br />

III. Die zu II. 1 <strong>und</strong> 2 aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Strafausspruchs. Zwar liegt die Annahme<br />

eines minder schweren Falles nach § 250 Abs. 3 StGB angesichts der Straferschwerungsgründe <strong>und</strong> des gesamten<br />

Tatbildes eher fern; der Senat vermag aber nicht sicher auszuschließen, dass sich die fehlerhaften Erwägungen auf<br />

die Höhe der erkannten Strafe ausgewirkt haben.<br />

StGB § 46a – Täter-Opfer-Ausgleich, wenn Entschädigung beim Verteidiger hängenbleibt?<br />

BGH, Beschl. vom 16.03.2007 – 2 StR 35/07<br />

Zur Pflicht der Erörterung der Voraussetzungen des § 46a Nr. 1 StGB, wenn bis zur Verkündung<br />

des tatrichterlichen Urteils die Entschädigungszahlung zwar an den Verteidiger des Angeklagten<br />

übergeben worden, aber noch nicht an den Zeugen gelangt war.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> des Beschwerdeführers<br />

am 16. März 2007 gemäß § 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 StPO beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 16. Oktober 2006 im Strafausspruch<br />

mit den Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubs (§ 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB) zu einer Freiheitsstrafe<br />

von vier Jahren verurteilt. Seine unbeschränkt eingelegte Revision führt mit der Sachrüge zur Aufhebung<br />

des Strafausspruchs; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte sich bei dem Tatopfer W. in einem Brief entschuldigt<br />

<strong>und</strong> während der Hauptverhandlung eine Wiedergutmachungsleistung von 2.000 Euro veranlasst. Aus den Feststellungen<br />

ergibt sich weiterhin, dass der Zeuge W. "Verständnis für die Umstände (zeigte), die den Angeklagten zur<br />

Tat vom 22.05.2002 veranlasst haben" (UA S. 13). Unter diesen Voraussetzungen hätte das Landgericht das Vorliegen<br />

der Voraussetzungen des § 46 a Nr. 1 StGB prüfen <strong>und</strong> in den Urteilsgründen erörtern müssen. Hierauf konnte<br />

nicht schon deshalb verzichtet werden, weil bis zur Verkündung des tatrichterlichen Urteils die Entschädigungszahlung<br />

zwar an den Verteidiger des Angeklagten übergeben worden, aber noch nicht an den Zeugen W. gelangt war.<br />

Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergeben sich nämlich Umstände, welche es nahe gelegt hätten zu<br />

prüfen, ob der Angeklagte eine den Voraussetzungen des § 46 a Nr. 1 StGB genügende Wiedergutmachung zumindest<br />

ernsthaft erstrebt hat; auch die Bereitschaft des Geschädigten, diese Bemühungen in einem kommunikativen<br />

Prozess (vgl. BGHSt 48, 134 ff.; Tröndle/Fischer StGB 54. Aufl. § 46 a Rdn. 10 a m.w.N.) als Ausgleich zu akzeptieren,<br />

lag hier nach den Feststellungen nicht fern. Läge der Gr<strong>und</strong> für die Verzögerung der Leistung, wie die Revision<br />

mit einer Verfahrensrüge vorgetragen hat, nicht im Verantwortungsbereich des Angeklagten, so stünde sie der<br />

Annahme eines ernsthaften Bemühens nicht von vornherein entgegen. Feststellungen hierzu waren hier schon aus<br />

sachlich-rechtlichen Gründen geboten, so dass es auf die Zulässigkeit der entsprechenden Verfahrensrüge nicht ankommt.<br />

2. Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht beim Ausschluss eines minder schweren Falles (§ 250 Abs. 3 StGB) zu Lasten<br />

des Angeklagten gewertet, dass dieser zu der Tat "bewusst die von ihm vorher beschaffte Schreckschusspistole<br />

mitgenommen hat" (UA S. 15). Auch bei der Strafzumessung im Einzelnen hat es zu Lasten des Angeklagten gewertet,<br />

dieser habe "bewusst … die Schreckschusspistole zur Durchführung der Tat mitgenommen" (UA S. 16). Dies<br />

verstößt gegen § 46 Abs. 3 StGB, denn der vorsätzliche Einsatz des sonstigen Werkzeugs zur Erzwingung des Rauberfolgs<br />

ist Voraussetzung des Tatbestands der Qualifikation gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB <strong>und</strong> darf innerhalb<br />

des dadurch eröffneten Strafrahmens nicht nochmals straferhöhend gewertet werden.<br />

3. Über die Strafzumessung ist daher neu zu entscheiden. Der neue Tatrichter wird auch den Zeitablauf zwischen Tat<br />

<strong>und</strong> Aburteilung im Zusammenhang mit den Lebensumständen des Angeklagten in die Strafzumessungserwägungen<br />

einzubeziehen haben. Auch dies ist im angefochtenen Urteil jedenfalls nicht ausdrücklich geschehen.<br />

232


StGB § 47 Abs. 1 Kurze Freiheitsstrafe „unerlässlich“ grenzt zu Geldstrafe ab.<br />

BGH, Beschl. vom 06.12.2006 – 2 StR 497/06<br />

"Unerlässlichkeit" kurzer Freiheitsstrafen im Sinne von § 47 Abs. 1 StGB bezieht sich nicht auf die<br />

Abgrenzung zu längeren Freiheitsstrafen, sondern zu Geldstrafen; im Übrigen dürfte eine Freiheitsstrafe<br />

statt einer (schuldangemessenen) Geldstrafe nicht allein deshalb verhängt werden, um<br />

dem Täter eine "Therapie" zuteil werden zu lassen.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> der Beschwerdeführer<br />

am 6. Dezember 2006 gemäß § 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 StPO beschlossen:<br />

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 22. Mai 2006<br />

a) hinsichtlich des Angeklagten Ch. mit den Feststellungen aufgehoben, soweit von der Unterbringung des Angeklagten<br />

in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist;<br />

b) hinsichtlich der Angeklagten P. im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten der<br />

Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten Ch. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 74 Fällen <strong>und</strong> Handeltreibens<br />

mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren<br />

<strong>und</strong> drei Monaten <strong>und</strong> die Angeklagte P. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 11 Fällen <strong>und</strong> Handeltreiben<br />

mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in einem Fall zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr <strong>und</strong><br />

zwei Monaten verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten haben nur in dem aus der<br />

Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Die Revision des Angeklagten Ch. ist offensichtlich unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuld- <strong>und</strong> Strafausspruch<br />

richtet. Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht aber nicht erörtert, ob die Unterbringung des Angeklagten in<br />

einer Entziehungsanstalt anzuordnen war. Dies drängte sich nach den Feststellungen auf, denn das Landgericht hat<br />

festgestellt, der Angeklagte "benötige" mehrere Gramm Kokain wöchentlich (UA S. 11) <strong>und</strong> sei "betäubungsmittelsüchtig"<br />

(UA S. 52); seine Abhängigkeit hat es ausdrücklich strafmildernd gewertet. Da es sich bei den abgeurteilten<br />

Taten ersichtlich um Symptomtaten des Hangs handelt, wäre § 64 StGB zu erörtern gewesen; Gründe, die einer Maßregelanordnung<br />

entgegen stehen konnten, sind aus dem Urteil nicht ersichtlich.<br />

2. Die Revision der Angeklagten P. ist offensichtlich unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuldspruch wendet.<br />

Der Strafausspruch kann hingegen nicht bestehen bleiben. Das Landgericht hat in 11 der 12 abgeurteilten Fälle auf<br />

Einzelfreiheitsstrafen von jeweils vier Monaten erkannt. Zu § 47 Abs. 1 StGB hat es ausgeführt, es seien Freiheitsstrafen<br />

unter sechs Monaten geboten gewesen, da es längerer Freiheitsstrafen nicht bedürfe, "sondern vor allem einer<br />

Therapie" (UA S. 56). Das ist rechtsfehlerhaft, denn die "Unerlässlichkeit" kurzer Freiheitsstrafen im Sinne von § 47<br />

Abs. 1 StGB bezieht sich nicht auf die Abgrenzung zu längeren Freiheitsstrafen, sondern zu Geldstrafen; im Übrigen<br />

dürfte eine Freiheitsstrafe statt einer (schuldangemessenen) Geldstrafe nicht allein deshalb verhängt werden, um dem<br />

Täter eine "Therapie" zuteil werden zu lassen. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Strafausspruchs insgesamt.<br />

Auch bei der Angeklagten P. hat das Landgericht darüber hinaus rechtsfehlerhaft die Anordnung einer Maßregel<br />

gemäß § 64 StGB nicht geprüft. Die Angeklagte ist nach den Feststellungen seit Jahren betäubungsmittelab-hängig.<br />

Die Taten beging sie, um ihren Eigenkonsum zu finanzieren. Das Landgericht hat - auch insoweit unklar - im Rahmen<br />

der Prüfung einer Strafaussetzung zur Bewährung ausdrücklich ausgeführt, es halte "lediglich den Weg des § 35<br />

BtMG für gangbar" (UA S. 58). Das zeigt, dass auch der Tatrichter die Voraussetzungen des § 64 StGB gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

für gegeben gehalten hat. Von der in diesem Fall zwingenden Maßregelanordnung darf aber nach ständiger<br />

Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs nicht allein im Hinblick auf eine mögliche Maßnahme nach §§ 35, 36<br />

BtMG abgesehen werden (vgl. Tröndle/ Fischer StGB 54. Aufl. § 64 Rdn. 19 f. mit Nachw. zur Rspr.). Über den<br />

Rechtsfolgenausspruch ist daher insgesamt neu zu entscheiden.<br />

233


StGB § 56 Abs. 1 – „künftiges Wohlverhalten“ muss über Bewährungszeit hinausreichen<br />

BGH, Urt. vom 13.03.2007 – 1 StR 601/06<br />

1. Die in § 56 Abs. 1 StGB vorausgesetzte Erwartung, der Angeklagte werde künftig keine Straftaten<br />

mehr begehen, ist nicht auf die Dauer der jeweiligen Bewährungszeit begrenzt.<br />

2. Ist ein Täter von einem Versuch freiwillig zurückgetreten, kann der auf die versuchte Tat gerichtete<br />

Vorsatz nicht im Rahmen der Strafzumessung für ein damit in engem Zusammenhang stehendes<br />

vollendetes Delikt herangezogen werden. Dies gilt nach bisheriger Rechtsprechung auch dann,<br />

wenn sich der Vorsatz der versuchten Tat, von der der Täter zurückgetreten ist, mit dem Motiv für<br />

das vollendete Delikt überschneidet, es sei denn, anders wäre eine zutreffende <strong>und</strong> vollständige Bewertung<br />

der vollendeten Tat nicht möglich.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat in der Sitzung vom 13. März 2007 für Recht erkannt: Die Revisionen<br />

des Angeklagten <strong>und</strong> der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Kempten vom 10. August 2006 werden<br />

verworfen. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Die Kosten des Rechtsmittels der<br />

Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.<br />

Gründe:<br />

Der Angeklagte wurde wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu acht Monaten Freiheitsstrafe verurteilt; zugleich<br />

wurde er in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Vom Vorwurf eines versuchten Tötungsdelikts wurde<br />

er wegen Rücktritts freigesprochen. Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen des Angeklagten <strong>und</strong> der Staatsanwaltschaft.<br />

Die Revision der Staatsanwaltschaft ist auf den Freispruch beschränkt. Beide Rechtsmittel bleiben<br />

erfolglos.<br />

I. Folgendes ist festgestellt: Der jetzt 80 Jahre alte Angeklagte war in einem Heim untergebracht. Seine im Nachbarzimmer<br />

untergebrachte Fre<strong>und</strong>in hatte wegen einer hormonellen Störung ständig Hunger <strong>und</strong> konnte ihre Nahrungsaufnahme<br />

nicht kontrollieren. Der Angeklagte, der diese Zusammenhänge nicht verstand, gab ihr immer wieder<br />

zusätzlich zu essen, was sie ges<strong>und</strong>heitlich gefährdete. Dies führte oftmals zu Streit mit den Pflegekräften. Als er<br />

wegen seines Verhaltens in ein anderes Zimmer verlegt werden sollte, wurde er aggressiv <strong>und</strong> bedrohte das Pflegepersonal<br />

mit dem Stock. Er musste deshalb über mehrere Tage mit Medikamenten sediert werden. Am 2. November<br />

2005 erklärte er seinem Betreuer, der ihn aufsuchte, um ihm Taschengeld zu bringen, er wolle sofort in ein anderes<br />

Heim. Über die Erklärung des Betreuers, das ginge nicht so schnell, wurde er sehr wütend. Der Angeklagte hatte sich<br />

schon früher - näheres war in diesem Zusammenhang nicht feststellbar - insgesamt vier Liter Benzin besorgt, das er<br />

in einem Eimer aus Plastik aufbewahrte. Außerdem hatte er aus Mullbinden <strong>und</strong> Tesafilm eine Lunte gefertigt. Er<br />

rief den im Weggehen begriffenen Betreuer zurück <strong>und</strong> versuchte, ihn mit Benzin zu übergießen. Der Versuch scheiterte<br />

zunächst, der Betreuer flüchtete, der Angeklagte verfolgte ihn <strong>und</strong> versuchte, ihn nochmals zu übergießen.<br />

Letztlich wurde der Betreuer nur „von einigen Spritzern Benzin“ getroffen. Der Versuch des Angeklagten, den Betreuer<br />

dann mit einem Feuerzeug anzuzünden, hatte aus letztlich nicht feststellbaren Gründen keinen Erfolg. Insbesondere<br />

steht nicht fest, dass das Feuerzeug defekt gewesen wäre. Es war zwar alsbald nach der Tat in der Hosentasche<br />

des Angeklagten von der Polizei gef<strong>und</strong>en worden, dann aber verloren gegangen. Jedenfalls steckte der Angeklagte<br />

zunächst sein Feuerzeug in die Hosentasche. Kurz darauf ging er auf den Betreuer los <strong>und</strong> schlug ihn mehrfach<br />

heftig mit dem Eimer <strong>und</strong> mit den Händen auf den Kopf, ehe er überwältigt werden konnte.<br />

II. Revision des Angeklagten<br />

1. Hinsichtlich des Schuldspruchs wegen vorsätzlicher Körperverletzung sind den Angeklagten benachteiligende<br />

Rechtsfehler weder von der Revision vorgetragen noch sonst ersichtlich.<br />

2. Der Generalb<strong>und</strong>esanwalt hat Bedenken hinsichtlich der nach sach-verständiger Beratung getroffenen Feststellung<br />

der Strafkammer zur Schuldfähigkeit des Angeklagten geäußert. Die Strafkammer geht davon aus, die Schuldfähigkeit<br />

des Angeklagten sei bei der Begehung der Tat trotz erhaltener Einsichtsfähigkeit wegen nur eingeschränkter<br />

Steuerungsfähigkeit zwar erheblich vermindert (§ 21 StGB), nicht aber ausgeschlossen gewesen (§ 20 StGB). Der<br />

Generalb<strong>und</strong>esanwalt hält es, wie er näher darlegt, sowohl für möglich, dass der Angeklagte bei der Tat in vollem<br />

Umfang schuldfähig war, als auch, dass er schuldunfähig war. Der Senat sieht keinen durchgreifenden Rechtsfehler,<br />

unbeschadet des vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt hervorgehobenen Gesichtspunkts, dass eine eingehendere Darlegung der<br />

die Strafkammer überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen hätte zweckmäßig sein können. Angesichts der<br />

Feststellungen zu Tat <strong>und</strong> Täter einerseits <strong>und</strong> den auf den Sachverständigen zurückgehenden Diagnosen andererseits<br />

(z B. eine „leichte Demenz mit einhergehender hirnorganisch bedingter Persönlichkeitsstörung bei prämorbid vor-<br />

234


handenen dis-sozial-impulsiven Zügen“ bzw. - der Sache nach identisch - „demenzielles Syndrom mit affektiver<br />

Labilität“ sowie eine „hirnorganische Persönlichkeitsstörung“) ist die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit<br />

letztlich in keiner Richtung zu beanstanden. Ergänzend bemerkt der Senat lediglich:<br />

a) Die Auffassung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts zur mangelnden Aussagekraft der Diagnose „Persönlichkeitsstörung“<br />

hinsichtlich der Schuldfähigkeit trifft zwar zu, hier ist jedoch nicht die Diagnose einer „Persönlichkeitsstörung“ im<br />

Sinne einer schweren anderen seelischen Abartigkeit gemäß §§ 20, 21 StGB gestellt, sondern die Diagnose einer<br />

„hirnorganischen Persönlichkeitsstörung“, offenbar im Sinne einer seelischen Erkrankung gemäß §§ 20, 21 StGB<br />

(vgl. ICD 10-F 01.2).<br />

b) Der Generalb<strong>und</strong>esanwalt weist darauf hin, dass dem Angeklagten die Zusammenhänge zwischen hormoneller<br />

Störung, dauerndem Hunger, dementsprechendem unkontrolliertem Essverhalten <strong>und</strong> daraus resultierenden Ges<strong>und</strong>heitsgefahren<br />

bei seiner Fre<strong>und</strong>in nicht klar waren. Der darin zum Ausdruck kommende Realitätsverlust, so folgert<br />

er, könne auf Schuldunfähigkeit des Angeklagten bei der abgeurteilten Tat hindeuten. Der Senat teilt diese Auffassung<br />

nicht. Die fehlende Einsicht in die eher komplexen, jedenfalls nicht offen auf der Hand liegenden ges<strong>und</strong>heitlichen<br />

Besonderheiten bei der Fre<strong>und</strong>in drängt nicht die Annahme auf, verlangt auch nicht entsprechende Erörterungen,<br />

dem Angeklagten habe - entgegen sachverständiger Bewertung - die Einsicht gefehlt, dass man nicht auf einen<br />

anderen einschlagen darf.<br />

3. Auch sonst hat der Rechtsfolgenausspruch letztlich Bestand. Zum Revisionsvorbringen, das teilweise in gleicher<br />

Weise die Strafhöhe, den Maßregelausspruch <strong>und</strong> die Frage einer Bewährung betrifft, merkt der Senat an:<br />

a) Die Revision meint, aus den Urteilsgründen ergebe sich nicht, worauf sich die Feststellung wiederholter Aggressionen<br />

des Angeklagten gegen das Pflegepersonal stütze. Die Strafkammer hat jedoch, wie auch die Revision nicht<br />

verkennt, mehrere Angehörige des Pflegepersonals als Zeugen gehört. Die Auffassung der Revision läuft letztlich<br />

darauf hinaus, in den Urteilsgründen sei stets in allen Einzelheiten darzulegen, auf welche Weise der Richter zu<br />

bestimmten Feststellungen gelangt ist, <strong>und</strong> das Beweisergebnis hinsichtlich jedes Details der Feststellungen im Einzelnen<br />

genauestens zu dokumentieren. Dies widerspricht ständiger Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs zum<br />

notwendigen Umfang der Urteilsgründe (vgl. zusammenfassend Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 267 Rdn. 12 mit<br />

zahlr. Nachw.), an der der Senat auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens festhält. Konkrete Gesichtspunkte<br />

des Einzelfalls, die hier weitergehende Ausführungen zu dem genannten Punkt erforderlich gemacht hätten,<br />

sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich,<br />

b) Die Revision wendet sich gegen die Gewichtung der Vorstrafen. Der Angeklagte musste seit 1983 neunmal bestraft<br />

werden, überwiegend wegen Verkehrsdelikten <strong>und</strong> Diebstählen, aber auch deshalb, weil er als Gast in einem<br />

Lokal wegen „Zwistigkeiten“ auf einen anderen Gast eine illegal in seinem Besitz befindliche geladene Pistole richtete<br />

<strong>und</strong> drohte, ihn zu erschießen, ehe er letztendlich überwältigt werden konnte. Fünfmal wurden gegen den Angeklagten<br />

Freiheitsstrafen verhängt, die höchste belief sich auf sieben Monate wegen des genannten Vorfalls in dem<br />

Lokal. Sämtliche gegen den Angeklagten verhängten Freiheitsstrafen wurden zur Bewährung ausgesetzt <strong>und</strong> schließlich<br />

erlassen, zuletzt 2004. Die Strafkammer erwägt, diese Verurteilungen hätten „offensichtlich nicht den geringsten<br />

Eindruck“ auf den Angeklagten gemacht. Damit wollte sie offensichtlich zum Ausdruck bringen, die genannten<br />

Strafaussetzungen zur Bewährung hätten nicht nachhaltig auf ihn eingewirkt. Diese Erwägung der Strafkammer ist<br />

nicht zu beanstanden. Die in § 56 Abs. 1 StGB vorausgesetzte Erwartung, der Angeklagte werde künftig keine Straftaten<br />

mehr begehen, ist nicht auf die Dauer der jeweiligen Bewährungszeit begrenzt. Ein neuer Tatrichter darf bei der<br />

Zumessung der Strafe <strong>und</strong> beim Stellen der Prognose gemäß § 56 Abs. 1 StGB berücksichtigen, dass der Angeklagte<br />

zwar mehrere Bewährungszeiten durchgestanden hat, dann aber doch immer wieder straffällig geworden ist (BGH,<br />

Urteil vom 7. Januar 1992 - 1 StR 599/91 = BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 22). Es ist nicht zu erkennen,<br />

dass das Landgericht die hier in Betracht kommenden Umstände fehlerhaft gewertet hätte.<br />

c) Die Revision ist der Auffassung, die Strafkammer - die im Übrigen Alter <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitszustand des Angeklagten<br />

ausdrücklich in ihre Erwägungen einbezogen hat - habe zu Unrecht nicht erwogen, dass der Angeklagte „den<br />

Vollzug der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe nicht überleben kann“. Abgesehen davon, dass zunächst die Maßregel<br />

zu vollstrecken ist (§ 67 Abs. 1 StGB; vgl. auch § 67 Absätze 4 <strong>und</strong> 5 StGB), sind nachvollziehbare Anhaltspunkte,<br />

die diese Einschätzung nahe liegend erscheinen lassen könnten, weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Es<br />

kann daher auf sich beruhen, welche rechtlichen Konsequenzen es haben könnte, wenn es sich anders verhielte (vgl.<br />

hierzu BGH NJW 2006, 2129).<br />

d) Auch das sonstige, umfangreiche Revisionsvorbringen entfernt sich zum Teil von den Urteilsfeststellungen <strong>und</strong><br />

beschränkt sich im Übrigen weitgehend auf den schon im Ansatz im Revisionsverfahren unbehelflichen Versuch,<br />

ausreichend begründete <strong>und</strong> auch sonst rechtlich nicht zu beanstandende tat-richterliche Erwägungen durch eine<br />

eigene Strafzumessung zu ersetzen. Bedenken gegen die Strafzumessungserwägungen können allenfalls insoweit<br />

bestehen, als die Strafkammer darauf hinweist, die kriminelle Energie des Angeklagten zeige sich auch darin, dass er<br />

235


zuvor den Geschädigten mit Benzin in Tötungsabsicht überschüttet habe. Ist ein Täter, wie die Strafkammer hier<br />

festgestellt hat, von einem Versuch freiwillig zurückgetreten, kann der auf die versuchte Tat gerichtete Vorsatz nicht<br />

im Rahmen der Strafzumessung für ein damit in engem Zusammenhang stehendes vollendetes Delikt herangezogen<br />

werden. Dies gilt nach bisheriger Rechtsprechung auch dann, wenn sich der Vorsatz der versuchten Tat, von der der<br />

Täter zurückgetreten ist, mit dem Motiv für das vollendete Delikt überschneidet, es sei denn, anders wäre eine zutreffende<br />

<strong>und</strong> vollständige Bewertung der vollendeten Tat nicht möglich (vgl. zusammenfassend Tröndle/Fischer, StGB<br />

54. Aufl. § 24 Rdn. 45a, 45b m. zahlr. Rsprnachw.). Da der Senat jedoch unabhängig von alledem im Hinblick auf<br />

die sonstigen Feststellungen zu Tat <strong>und</strong> Täter <strong>und</strong> unter Berücksichtigung aller sonst für die Strafzumessung wesentlicher<br />

Gesichtspunkte die hier verhängte Strafe für angemessen hält (§ 354 Abs. 1a Satz 1 StPO), kann er offen lassen,<br />

ob sich aus den genannten Gr<strong>und</strong>sätzen zu Strafzumessung <strong>und</strong> Rücktritt hier letztlich ein Rechtsfehler ergibt<br />

oder nicht (vgl. Senge in FS für Dahs 475, 486 m. N.).<br />

e) Auch die Unterbringungsanordnung hält im Ergebnis rechtlicher Überprüfung stand. Die Annahme, dass vom<br />

Angeklagten - der in einem Altersheim nicht nur vier Liter Benzin, sondern auch noch eine Lunte vorrätig hielt - zustandsbedingt<br />

weitere, sich steigernde Aggressionshandlungen gegen jedermann zu erwarten sind, der mit seiner<br />

Betreuung oder Pflege befasst ist, ist - zumal unter Berücksichtigung der ausreichend dargelegten Ausführungen des<br />

Sachverständigen - nachvollziehbar <strong>und</strong> auch sonst nicht zu beanstanden. Teilweise entfernt sich das Revisionsvorbringen<br />

von den Urteilsfeststellungen. So hat die Strafkammer eingehend erörtert, dass <strong>und</strong> warum die zwischenzeitliche<br />

Verlegung der Fre<strong>und</strong>in, mit der die hier abgeurteilte Tat allerletztlich zusammenhängt, die Prognose angesichts<br />

der Persönlichkeit des Angeklagten nicht günstig beeinflussen kann. Die Revision trägt hierzu vor, die Strafkammer<br />

habe die Verlegung der Fre<strong>und</strong>in „nicht gewertet“. Vergleichbar damit vermisst sie die Feststellung, gegen<br />

„welche Personen“ sich künftige Aggressionen des Angeklagten richten würden, obwohl die Strafkammer festgestellt<br />

hat, dass „insbesondere Personen, die mit seiner Pflege oder Betreuung befasst sind“ betroffen sind. Auch das<br />

übrige Revisionsvorbringen beschränkt sich im Wesentlichen auf die Darlegung eigener Wertung <strong>und</strong> Würdigung<br />

<strong>und</strong> kann insgesamt die Möglichkeit eines den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehlers nicht verdeutlichen.<br />

f) Anzumerken ist insoweit nur noch, dass angesichts der rechtsfehlerfreien Versagung einer Strafaussetzung zur<br />

Bewährung für eine Aussetzung der Maßregel zur Bewährung ohnehin kein Raum war (§ 67b Abs. 1 Satz 2 StGB).<br />

Sämtliche hierauf bezogenen Ausführungen können daher schon im Ansatz auf sich beruhen. Im Übrigen hat sich der<br />

gegenwärtig im BKH K. untergebrachte Angeklagte allen Versuchen, ihn von dort in ein Heim zu verlegen, widersetzt,<br />

im Falle einer Verlegung sind „weitere Tätlichkeiten so gut wie sicher“. Sollte sich dieser Zustand des Angeklagten<br />

verbessern, sollten nicht zuletzt im Hinblick auf das fortgeschrittene Alter des Angeklagten freilich Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkte<br />

eine zeitnahe Überprüfung der Möglichkeit einer Bewährung nahe legen (vgl. auch<br />

BGH, Beschluss vom 28. September 2006 - 1 StR 410/06).<br />

III. Ebenso erfolglos bleibt die Revision der Staatsanwaltschaft.<br />

1. Ob die Beschränkung der Revision auf die unterbliebene Verurteilung wegen eines versuchten Tötungsdelikts<br />

wirksam wäre, wenn, wie der Generalb<strong>und</strong>esanwalt meint, Schuldunfähigkeit des Angeklagten nicht auszuschließen<br />

wäre, mag dahinstehen, da dies nicht der Fall ist.<br />

2. Die Verfahrensrüge versagt. Die Revision erhebt eine Aufklärungsrüge. Sie macht geltend, wie eine dienstliche<br />

Erklärung der Staatsanwaltschaft ergäbe, sei in der Hauptverhandlung eine bestimmte Frage nicht an den Angeklagten<br />

gerichtet worden. Hätte er sie bejaht, hätte dies der Beweiswürdigung mit von der Staatsanwaltschaft näher dargelegten<br />

rechtlichen Konsequenzen zu Gr<strong>und</strong>e gelegt werden müssen, hätte er sie verneint, wären von ihr näher<br />

bezeichnete weitere Beweiserhebungen geboten gewesen. Dass es sich bei solchem Vorbringen nicht um eine zulässig<br />

erhobene Aufklärungsrüge handelt, bedarf keiner Darlegung. Unabhängig davon ist die vermisste Beweiserhebung<br />

darauf gerichtet, dass der Ermittlungsrichter hätte dazu vernommen werden sollen, was der Angeklagte bei der<br />

Eröffnung des Haftbefehls gesagt hat. Jedoch war das Protokoll dieser Vernehmung in der Hauptverhandlung verlesen<br />

worden. Dies hat zwar die Revision nicht vorgetragen, es ergibt sich aber aus den Urteilsgründen.<br />

3. Die Ausführungen zur Sachrüge beschränken sich letztlich auf unbehelfliche Angriffe gegen die tatrichterliche<br />

Beweiswürdigung. So hat die Strafkammer erwogen, dass das Benzin den Geschädigten überwiegend nicht getroffen<br />

hat. Daraus, dass der Angeklagte gleichwohl zunächst versucht hat, ihn anzuzünden, hat sie geschlossen, dass er<br />

nicht erkannt hat, dass sein Versuch schon im Hinblick auf das weitgehende Verschütten des Benzins gescheitert<br />

war. Dem setzt die Staatsanwaltschaft die Erwägung entgegen, der Angeklagte könne aus Sturheit versucht haben,<br />

den Geschädigten anzuzünden, obwohl er wusste, dass er ihn nicht getroffen hatte <strong>und</strong> die Sinnlosigkeit des Anzündens<br />

könne ihm auch erst später aufgegangen sein. Solches Vorbringen vermag eine Unklarheit in der Gedankenführung<br />

der Strafkammer oder die Möglichkeit eines sonstigen Rechtsfehlers nicht zu verdeutlichen.<br />

4. Der Generalb<strong>und</strong>esanwalt hat im Zusammenhang mit dem Rücktritt noch erwogen, der Versuch sei objektiv gescheitert,<br />

weil das Feuerzeug nicht funktioniert habe. Für die Annahme, ein weiterer Versuch mit dem Feuerzeug<br />

236


hätte erfolgreich sein können, was der Angeklagte auch erkannt haben könnte - darauf beruht letztlich die Annahme<br />

eines freiwilligen Rücktritts -, fehle eine Tatsachengr<strong>und</strong>lage. Der Senat teilt diese Bedenken nicht. Es fehlt in erster<br />

Linie das Feuerzeug, das die Ermittlungsbehörden zwar gef<strong>und</strong>en haben, das dann aber verloren gegangen ist. Wäre<br />

es vorhanden, wären Feststellungen zu seiner Funktionsfähigkeit möglich gewesen, die möglicherweise Rückschlüsse<br />

auf die Vorstellungen des Angeklagten zugelassen hätten. Da derartige Feststellungen nicht möglich waren, bewegen<br />

sich die in diesem Zusammenhang angestellten Erwägungen der Strafkammer im Rahmen möglicher <strong>und</strong><br />

daher rechtlich nicht zu beanstandender Beweiswürdigung. Darauf, ob auch eine andere Beweiswürdigung ebenso<br />

möglich <strong>und</strong> vielleicht sogar näher liegend gewesen wäre, kommt es nicht an.<br />

StGB § 56 Abs. 1 Positive Prognose<br />

BGH, Beschl. vom 10.01.2007 - 5 StR 542/06<br />

Ungünstige Lebensverhältnisse wie die Tatsache, dass der Angeklagte keinen festen Wohnsitz hat<br />

<strong>und</strong> ohne abgeschlossene Berufsausbildung ist, bilden lediglich keine Gr<strong>und</strong>lage für eine positive<br />

Prognose i.S.d. § 56 Abs. 1 StGB, wie dies bei einem festen Wohnsitz oder einer sicheren Arbeitsstelle<br />

der Fall wäre.<br />

Der 5. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 10. Januar 2007 beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten<br />

wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 29. Juni 2006 gemäß § 349 Abs. 4 StPO insoweit mit den zugehörigen<br />

Feststellungen aufgehoben, als dem Angeklagten Strafaussetzung zur Bewährung versagt wurde. Die weitergehende<br />

Revision des Angeklagten wird nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu<br />

neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des<br />

Landgerichts zurückverwiesen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Seine<br />

hiergegen gerichtete Revision hat in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie<br />

unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung hält rechtlicher<br />

Überprüfung nicht stand. Der Angeklagte war bislang nur mit Geldstrafen vorgeahndet. Angesichts dessen, dass<br />

gegen ihn erstmals eine Freiheitsstrafe verhängt werden musste, hätte es eingehender Begründung bedurft, warum<br />

diese nicht zur Bewährung ausgesetzt werden konnte. Bei der im Rahmen der Prognose nach § 56 Abs. 1 StGB erforderlichen<br />

umfassenden Gesamtabwägung (BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 23, 33) hätte auch das weitere<br />

Verhalten des Angeklagten nach der Tat, die zum Zeitpunkt des angefochtenen Urteils 14 Monate zurücklag, gewürdigt<br />

werden müssen. Das Landgericht hat zudem nicht die Wirkung einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe<br />

auf den Angeklagten erörtert (BGH NJW 1978, 599). Dies hätte insbesondere deshalb nahe gelegen, weil der<br />

Angeklagte eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßt hat <strong>und</strong> gegen ihn auch Untersuchungshaft vollzogen worden ist. Stattdessen<br />

stellt das Landgericht ausschließlich auf die ungünstigen Lebensverhältnisse ab, insbesondere dass er keinen<br />

festen Wohnsitz hat <strong>und</strong> ohne abgeschlossene Berufsausbildung ist. Abgesehen davon, dass dieser Ansatz schon<br />

deshalb nicht bedenkenfrei ist, weil damit Elemente der Lebensführung, die in keinem erkennbaren Zusammenhang<br />

zur Tat stehen, in die Prognoseentscheidung einbezogen werden (Groß in Münch-Komm-StGB § 56 Rdn. 30; vgl.<br />

auch BGHSt 5, 124, 132), ist ihre Heranziehung für eine negative Prognose regelmäßig nicht ausreichend. Sie bilden<br />

lediglich keine Gr<strong>und</strong>lage für eine positive Prognose, wie dies bei einem festen Wohnsitz oder einer sicheren Arbeitsstelle<br />

der Fall wäre. Im Übrigen hätte gerade im Blick auf die Lebensverhältnisse des Angeklagten geprüft werden<br />

müssen, ob eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht auch insoweit eine stabilisierende Wirkung auf die wirtschaftliche<br />

<strong>und</strong> soziale Gesamtsituation des Angeklagten haben könnte.<br />

237


StGB § 63, 20, 21 – Unterbringung bei Alkoholsucht krankhaft alkoholüberempfindlich einer Politoxikomanie<br />

BGH, Beschl. vom 22.03.2007 – 4 StR 56/07<br />

Zwar kommt die Anwendung des § 63 StGB nur bei Personen in Betracht, deren Schuldunfähigkeit<br />

oder erheblich verminderte Schuldfähigkeit durch einen länger andauernden <strong>und</strong> nicht nur vorübergehenden<br />

Zustand im Sinne der §§ 20, 21 StGB hervorgerufen worden ist. In Fällen, in denen<br />

die Verminderung der Schuldfähigkeit letztlich auf Alkoholgenuss zurückzuführen ist, kann § 63<br />

StGB aber ausnahmsweise angewendet werden, wenn der Täter an einer krankhaften Alkoholsucht<br />

leidet oder in krankhafter Weise alkoholüberempfindlich ist. Nichts anderes gilt bei einer Politoxikomanie,<br />

die auf einer krankhaften Sucht beruht.<br />

Der 4. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> des Beschwerdeführers<br />

am 22. März 2007 gemäß § 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 StPO beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 29. September 2006 im Maßregelausspruch<br />

mit den Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung <strong>und</strong> wegen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von zwei Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt <strong>und</strong> seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung<br />

angeordnet. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat zum<br />

Maßregelausspruch Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die Anordnung der<br />

Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung kann nicht bestehen bleiben. Zwar hat das Landgericht<br />

die formellen <strong>und</strong> materiellen Vorraussetzungen der Unterbringung nach § 66 Abs. 1 StGB rechtsfehlerfrei bejaht.<br />

Ebenso hat es - sachverständig beraten - von einer Unterbringung gemäß § 64 StGB wegen deren Aussichtslosigkeit<br />

abgesehen. Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet aber die Entscheidung, von einer Unterbringung des<br />

Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB abzusehen, die nach den Gr<strong>und</strong>sätzen des §<br />

72 StGB die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung entbehrlich machen kann (vgl. BGHSt 42,<br />

306, 308; BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2006 - 4 StR 530/06). Das Landgericht hat die Voraussetzungen einer<br />

Unterbringung des Angeklagten gemäß § 63 StGB deshalb verneint, weil die für beide Taten angenommene erheblich<br />

verminderte Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) jeweils durch die hochgradige Tatzeit-Alkoholisierung des Angeklagten<br />

(3,0 ‰ bei Begehung der gefährlichen Körperverletzung) bewirkt wurde. Das schloss eine Unterbringung<br />

des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB indes noch nicht von vornherein aus. Zwar<br />

kommt die Anwendung des § 63 StGB nur bei Personen in Betracht, deren Schuldunfähigkeit oder erheblich verminderte<br />

Schuldfähigkeit durch einen länger andauernden <strong>und</strong> nicht nur vorübergehenden Zustand im Sinne der §§ 20,<br />

21 StGB hervorgerufen worden ist (st. Rspr.; BGHSt 34, 22, 27). In Fällen, in denen die Verminderung der Schuldfähigkeit<br />

letztlich auf Alkoholgenuss zurückzuführen ist, kann § 63 StGB aber ausnahmsweise angewendet werden,<br />

wenn der Täter an einer krankhaften Alkoholsucht leidet oder in krankhafter Weise alkoholüberempfindlich ist (st.<br />

Rspr.; BGHSt 34, 313, 314; BGHR StGB § 63 Zustand 9). Nichts anderes gilt bei einer Politoxikomanie, die auf<br />

einer krankhaften Sucht beruht. Das Landgericht hätte sich deshalb mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob bei<br />

dem Angeklagten eine krankhafte Sucht nach Alkohol <strong>und</strong> anderen Drogen vorliegt. Anhaltspunkte dafür ergeben<br />

sich aus dem festgestellten Verlauf des Alkohol- <strong>und</strong> Drogenmissbrauchs, der bereits im Jahre 1995 zur Anordnung<br />

der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB führte, die - mit mehreren Unterbrechungen<br />

infolge des Entweichens des Angeklagten - von Mitte 1996 bis Mitte Juli 1998 dauerte <strong>und</strong> im Ergebnis<br />

erfolglos blieb. Der Angeklagte setzte danach seinen Alkohol- <strong>und</strong> Drogenmissbrauch (Heroin, Marihuana, Amphetamine,<br />

Kokain <strong>und</strong> Medikamente) fort. Er befand sich im März 2006 einige Tage in stationärer Entzugsbehandlung<br />

<strong>und</strong> kurz danach nochmals in stationärer Behandlung in einer psychiatrischen Klinik. Dort wurden eine akute Intoxikation<br />

mit multiplen Substanzen sowie eine Politoxikomanie diagnostiziert. Damit liegen Umstände vor, die üblicherweise<br />

mit dem Begriff einer Sucht verb<strong>und</strong>en werden. Die Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen einer<br />

die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus rechtfertigenden krankhaften Sucht nach<br />

Alkohol <strong>und</strong> anderen Drogen war hier nicht etwa deshalb entbehrlich, weil das Landgericht - auch darin dem Sach-<br />

238


verständigen folgend - das Vorliegen eines überdauernden psychischen Sachverhalts, der als krankhaft seelische<br />

Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB einzuordnen wäre, <strong>und</strong> ebenso eine schwere andere seelische Abartigkeit im<br />

Sinne dieser Vorschriften ausgeschlossen hat. Soweit es letzteres Kriterium betrifft, hat das Landgericht ausgeführt,<br />

es bestünden "zwar viele Auffälligkeiten in der Persönlichkeit des Angeklagten", insoweit handele es sich aber bei<br />

dem Angeklagten lediglich um eine "dissoziale" Persönlichkeit. Auch wenn diese Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten<br />

in ihrer Ausprägung noch nicht den Grad erreicht hat, der bereits für sich genommen zu einer erheblichen<br />

Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit geführt hat, die vom Landgericht sicher angenommene Verminderung der<br />

Schuldfähigkeit des Angeklagten letztlich erst durch seine jeweils akute Alkoholintoxikation - möglicherweise in<br />

Verbindung mit der Wirkung auch anderer Drogen - herbeigeführt worden ist, kann darin nach der neueren Rechtsprechung<br />

des B<strong>und</strong>esgerichtshofs ein Zustand gesehen werden, der die Unterbringung in einem psychiatrischen<br />

Krankenhaus nach § 63 StGB zu rechtfertigen vermag (vgl. BGHSt 44, 338; 44, 369; Senatsbeschluss vom 18. Januar<br />

2000 - 4 StR 583/99 - NZV 2000, 213). Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht - wäre es davon<br />

ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten nach § 63 StGB vorliegen - von<br />

einer Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung abgesehen hätte. Zwar ist die<br />

Unterbringung nach § 63 StGB nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs kein "geringeres“, sondern ein<br />

"anderes“ Übel als die Sicherungsverwahrung, zumal beide Maßregeln zeitlich unbegrenzt sind. Jedoch erweist sich<br />

die Unterbringung nach § 63 StGB schon deshalb regelmäßig als die weniger beschwerende Maßregel, weil ihr Vollzug<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich vor dem Vollzug der Strafe stattfindet <strong>und</strong> auf die Strafe angerechnet wird (§ 67 Abs. 1 <strong>und</strong> 4<br />

StGB). Auch aus diesem Gr<strong>und</strong> ist - <strong>und</strong> zwar unabhängig von der Frage der Therapierbarkeit - der Maßregelanordnung<br />

nach § 63 StGB in der Regel gegenüber der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung der<br />

Vorrang einzuräumen (BGHSt 42, 306, 308; BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2006 - 4 StR 530/06). Der Maßregelausspruch<br />

bedarf mithin insgesamt neuer Prüfung <strong>und</strong> Entscheidung.<br />

StGB § 66 Verhältnis zwischen der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) <strong>und</strong> der<br />

Sicherungsverwahrung<br />

BGH, Urt. vom 09.11.2006 – 3 StR 360/06<br />

Zu den Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB.<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. November 2006 für Recht erkannt:<br />

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 29. März 2006 im Maßregelausspruch<br />

mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer<br />

Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts<br />

zurückverwiesen.<br />

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren <strong>und</strong> sechs<br />

Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet <strong>und</strong> die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung<br />

abgelehnt. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf den Rechtsfolgenausspruch<br />

beschränkten, auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision, mit der sie die Verhängung einer<br />

höheren Strafe <strong>und</strong> die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung erreichen will. Das Rechtsmittel hat zum Maßregelausspruch<br />

Erfolg, zum Strafausspruch ist es unbegründet.<br />

I. Die Begründung, mit der die Strafkammer eine Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung<br />

gemäß § 66 Abs. 2 StGB abgelehnt hat, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.<br />

1. Das Landgericht hat die formellen Voraussetzungen dieser Vorschrift bejaht <strong>und</strong> ausgeführt, der Erfolg der angeordneten<br />

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zur Behandlung der Alkoholkrankheit des Angeklagten sei hinreichend<br />

wahrscheinlich, um seinem Hang zur Begehung gefährlicher Straftaten ausreichend zu begegnen. Das insoweit<br />

erforderliche hohe Maß an prognostischer Sicherheit sei eingeschränkt durch die Möglichkeit, zum Schutz der<br />

Allgemeinheit die Sicherungsverwahrung gemäß § 66 b StGB nachträglich anzuordnen, weil eine Therapieunwilligkeit<br />

als "neue Tatsache" im Sinne dieser Vorschrift zu bewerten sei. Wenn die Wahrscheinlichkeit bestehe, dass eine<br />

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt Erfolg haben könne, sei es unverhältnismäßig (§ 72 StGB), die Sicherungsverwahrung<br />

zusätzlich anzuordnen.<br />

239


2. Diesen Erwägungen liegt ein rechtlich nicht zutreffendes Verständnis von dem Verhältnis zwischen der Unterbringung<br />

in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) <strong>und</strong> der Sicherungsverwahrung (§§ 66 ff. StGB) zugr<strong>und</strong>e. Die<br />

nachträgliche Sicherungsverwahrung ist solchen Fällen vorbehalten, in denen erstmalig nach der Verurteilung <strong>und</strong><br />

vor Ende des Strafvollzugs "neue Tatsachen" erkennbar werden, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten<br />

hinweisen (vgl. BTDrucks. 15/2887 S. 10, 12). Tatsachen sind nur dann neu, wenn sie das Ausgangsgericht auch<br />

bei pflichtgemäßer Wahrnehmung seiner Aufklärungspflicht nicht hätte erkennen können (vgl. BGHSt 50, 121, 125<br />

f., 180, 187; 275, 278). Eine "neue Tatsache" liegt demgegenüber nicht vor, wenn sich die Gefährlichkeit des Betroffenen<br />

ausschließlich als Folge der - zum Zeit-<br />

punkt der Verurteilung bereits bekannten - unbewältigten Suchtproblematik darstellt. In einem solchen Fall muss<br />

bereits das über die Anlasstat befindende Gericht geeignete Maßnahmen zum Schutz der Allgemeinheit ergreifen,<br />

etwa neben der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt die Sicherungsverwahrung vorbehalten (§ 66 a StGB)<br />

oder sogar anordnen (§ 66, § 72 Abs. 2 StGB). Das Absehen von der Anordnung der Sicherungsverwahrung im Hinblick<br />

auf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt setzt ein hohes Maß an prognostischer Sicherheit voraus,<br />

dass mit der Unterbringung die vom Angeklagten ausgehende Gefahr beseitigt werden kann. Wird die Erwartung des<br />

Gerichts durch in der Suchterkrankung begründete <strong>und</strong> damit dem Gericht gr<strong>und</strong>sätzlich erkennbare Umstände enttäuscht,<br />

so kann das Instrument der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht als Korrektiv der<br />

unrichtigen Prognose herangezogen werden (vgl. BVerfG StV 2006, 574, 577). So liegt es hier.<br />

II. Wegen des engen Zusammenhangs zwischen der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt <strong>und</strong> in der Sicherungsverwahrung<br />

führt der dargestellte Rechtsfehler zur Aufhebung des gesamten Maßregelausspruchs. Der Strafausspruch<br />

kann bestehen bleiben. Unter den hier gegebenen Umständen ist auszuschließen, dass ihn die noch zu<br />

treffenden Entscheidungen über die Maßregeln beeinflussen können. Der Strafausspruch weist weder zu Gunsten<br />

noch zu Lasten des Angeklagten einen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Entgegen der Meinung der Staatsanwaltschaft<br />

musste sich das Landgericht bei der gebotenen Gesamtabwägung aller schuldrelevanten Umstände nicht mit<br />

der Frage auseinandersetzen, ob eine Milderung des in § 177 Abs. 2 StGB vorgegebenen Strafrahmens gemäß § 21, §<br />

49 Abs. 1 Nr. 2 <strong>und</strong> 3 StGB deshalb zu versagen ist, weil die erhebliche Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit<br />

auf verschuldeter Trunkenheit beruht (vgl. BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 31). Denn nach den Feststellungen<br />

leidet er an einer Alkoholkrankheit, die aufgr<strong>und</strong> eines ihn weitgehend beherrschenden Hanges seine Fähigkeit<br />

erheblich einschränkt, der Versuchung zum übermäßigen Alkoholkonsum zu widerstehen. Unter diesen Umständen<br />

kann ihm die Alkoholisierung nicht als ein die Schuld erhöhender Umstand angelastet werden (vgl. BGHR<br />

StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 31, 33 <strong>und</strong> 38). Bei der konkreten Strafzumessung hat die Strafkammer zwar<br />

rechtsfehlerhaft berücksichtigt, dass der seit 1996 in Deutschland lebende Angeklagte als Ausländer besonders strafempfindlich<br />

sei. Die Ausländereigenschaft als solche führt nicht bereits zu einer strafmildernd zu berücksichtigenden<br />

besonderen Strafempfindlichkeit; dies ist allenfalls beim Vorliegen - hier nicht festgestellter - besonderer Umstände<br />

wie mangelnder Vertrautheit mit der deutschen Sprache <strong>und</strong> Kultur oder fehlenden familiären Kontaktmöglichkeiten<br />

der Fall (vgl. BGHSt 43, 233, 234; Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 46 Rdn. 43). Der Senat kann jedoch ausschließen,<br />

dass das Landgericht ohne diese rechtsfehlerhafte Erwägung eine höhere Freiheitsstrafe ausgesprochen hätte. Es<br />

hat die Ausländereigenschaft des Angeklagten nach einer ausführlichen Begründung der tat- <strong>und</strong> schuldangemessenen<br />

Strafe nur beiläufig <strong>und</strong> ergänzend erwähnt <strong>und</strong> ihr im Hinblick auf die zuvor erörterten Strafzumessungsgründe<br />

ersichtlich keine wesentliche Bedeutung beigemessen.<br />

III. Der neue Tatrichter wird genauer als bisher darzulegen haben, ob der Angeklagte einen Hang hat, erhebliche<br />

Straftaten zu begehen, <strong>und</strong> er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist (§ 66 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 StGB). Die<br />

knappen Ausführungen in dem angefochtenen Urteil lassen die erforderliche Gesamtwürdigung des Angeklagten <strong>und</strong><br />

seiner Taten vermissen <strong>und</strong> belegen die materiellen Voraussetzungen für die Anordnung von Sicherungsverwahrung<br />

nicht. Weiterhin sind zusätzliche Feststellungen zur Persönlichkeit <strong>und</strong> den Lebensumständen des Angeklagten erforderlich,<br />

um eine ausreichende Tatsachengr<strong>und</strong>lage für die Beurteilung zu haben, ob die Unterbringung in einer<br />

Entziehungsanstalt Aussicht auf Erfolg hat.<br />

240


StGB § 66 Gefahr für die Allgemeinheit ist auch Gefahr für Einzelperson<br />

BGH, Urt. vom 10.01.2007 – 1 StR 530/06<br />

Eine Gefahr für die Allgemeinheit besteht nicht nur, wenn eine unbestimmte Vielzahl noch nicht<br />

näher individualisierter Personen betroffen ist (vgl. Stree in Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. § 66<br />

Rdn. 35). Jeder Einzelne ist Mitglied der Allgemeinheit, wenn ihm schwerer Schaden droht (vgl.<br />

Tröndle/ Fischer StGB 54. Aufl. § 66 Rdn. 24). Dementsprechend genügt für eine Gefährlichkeit i.<br />

S. d. § 66 StGB, wenn vom Täter erhebliche rechtswidrige Taten nur gegen eine Einzelperson oder<br />

einen begrenzten Personenkreis - wie z. B. Familienangehörige - zu erwarten sind.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. Januar 2007 für Recht erkannt:<br />

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bamberg vom 25. Juli 2006 mit den Feststellungen<br />

aufgehoben<br />

a) soweit von einer Anordnung von Sicherungsverwahrung abgesehen ist;<br />

b) zu Gunsten des Angeklagten im Strafausspruch.<br />

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

I. Der Angeklagte hat über Jahre hinweg insbesondere seine beiden Töchter vielfach sexuell missbraucht. Die Taten<br />

zum Nachteil der 1987 geborenen Tochter J. beging er zunächst zwischen 1995 <strong>und</strong> 1998 in der Ehewohnung, aus<br />

der er dann auszog, <strong>und</strong> dann nochmals zwischen 2000 <strong>und</strong> 2001, als J. bei ihm in der Wohnung lebte. Die Taten<br />

zum Nachteil der 1995 geborenen Tochter Je. beging er zwischen 2003 <strong>und</strong> 2005 bei ihren regelmäßigen Besuchen<br />

bei ihm an den Wochenenden <strong>und</strong> in den Ferien. 2005 missbrauchte er außerdem zweimal die 1997 geborene P. Ma.<br />

, als diese ihre Fre<strong>und</strong>in Je. jeweils bei einem der genannten Wochenendbesuchen begleitete <strong>und</strong> ebenfalls in der<br />

Wohnung des Angeklagten übernachtete.<br />

Die Strafkammer, die unter Anwendung des Zweifelssatzes eine Mindestanzahl von 172 Fällen errechnet hat - davon<br />

zwei Fälle zum Nachteil von zwei Kindern -, hat den Angeklagten deshalb zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben<br />

Jahren (Einzelstrafen zweimal zwei Jahre, zweimal ein Jahr <strong>und</strong> neun Monate, 160 Mal ein Jahr, in den übrigen<br />

Fällen zwischen zehn <strong>und</strong> vier Monaten) verurteilt.<br />

Sicherungsverwahrung hat die Strafkammer nicht angeordnet. Allein hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge<br />

gestützte Revision der Staatsanwaltschaft. Das auch vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.<br />

Es führt zugleich zur Aufhebung des Strafausspruchs zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StPO).<br />

II. Die formalen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB liegen vor, wie dies die Strafkammer im Einzelnen zutreffend<br />

ausgeführt hat. Sachverständig beraten hat sie darüber hinaus beim Angeklagten eine „Neigung zu sexuellem<br />

Kontakt mit Mädchen im Alter von 7 bis 14 Jahren“ festgestellt. Es liege bei ihm ein „eingeschliffenes Verhaltensmuster“<br />

vor, seine sich über Jahre hinziehenden Taten seien „von steter Wiederholung, zum Teil auch von beinahe<br />

gewohnheitsmäßiger Regelmäßigkeit geprägt“. Auf dieser Gr<strong>und</strong>lage bejaht die Strafkammer rechtsfehlerfrei einen<br />

Hang i. S. d. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB. Gleichwohl hat sie von der Anordnung von Sicherungsverwahrung abgesehen.<br />

Die Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 StGB liegt zwar im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters <strong>und</strong> ist deshalb<br />

der Kontrolle durch das Revisionsgericht nur sehr begrenzt zugänglich (vgl. nur BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung<br />

2). Die hier von der Strafkammer maßgeblich für die Ablehnung von Sicherungsverwahrung herangezogenen<br />

Gesichtspunkte gehen jedoch teilweise schon von einem rechtlich zu engen Ansatz aus <strong>und</strong> sind teilweise<br />

mit Erwägungen nicht ohne weiteres vereinbar, die die Strafkammer im Rahmen der Strafzumessung angestellt<br />

hat.<br />

1. Die Strafkammer hält den Angeklagten trotz seines Hanges nicht „für die Allgemeinheit gefährlich“, die Taten<br />

seien nämlich „weitestgehend auf den familiären Bereich beschränkt“. Der Angeklagte habe sich nicht „auf die Suche“<br />

nach Kindern gemacht.<br />

a) Eine Gefahr für die Allgemeinheit besteht nicht nur, wenn eine unbestimmte Vielzahl noch nicht näher individualisierter<br />

Personen betroffen ist (vgl. Stree in Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. § 66 Rdn. 35). Jeder Einzelne ist<br />

Mitglied der Allgemeinheit, wenn ihm schwerer Schaden droht (vgl. Tröndle/ Fischer StGB 54. Aufl. § 66 Rdn. 24).<br />

Dementsprechend genügt für eine Gefährlichkeit i. S. d. § 66 StGB, wenn vom Täter erhebliche rechtswidrige Taten<br />

nur gegen eine Einzelperson oder einen begrenzten Personenkreis - wie z. B. Familienangehörige - zu erwarten sind<br />

241


(vgl. Stree aaO; zum hinsichtlich des Begriffs der Allgemeinheit gleich zu behandelnden Fall des § 63 StGB vgl.<br />

BGHSt 26, 321; Stree aaO § 63 Rdn. 16 m.w.N.).<br />

b) Im Übrigen verlangt die Prüfung von Sicherungsverwahrung eine Prognose, ob von dem Täter mit bestimmter<br />

Wahrscheinlichkeit weitere erhebliche Taten ernsthaft zu erwarten sind <strong>und</strong> er deshalb gefährlich für die - im dargelegten<br />

Sinne zu verstehende - Allgemeinheit ist (vgl. zusammenfassend Tröndle/Fischer aaO Rdn. 22 m.w.N). Diese<br />

Erwartung ergibt sich vielfach schon allein aus der - hier getroffenen - Feststellung eines Hanges (vgl. BGHR StGB<br />

§ 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 1 m.w.N.). Anderes kann gelten, wenn zwischen der letzten Hangtat <strong>und</strong> dem Urteil neue<br />

Umstände eingetreten sind, die die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten entfallen lassen (vgl. BGHR aaO<br />

m.w.N.). Ausdrücklich festgestellt sind derartige Umstände nicht. Insbesondere wäre eine solche Annahme aber auch<br />

nicht mit der von der Strafkammer in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen getroffenen Feststellung vereinbar,<br />

beim Angeklagten liege ein „mittleres einschlägiges Rückfallrisiko“ vor. Im Hinblick darauf, dass dies nicht<br />

näher ausgeführt ist, weist der Senat jedoch vorsorglich auch darauf hin, dass im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung<br />

eine allein abstrakte, auf statistische Wahrscheinlichkeiten gestützte Prognoseentscheidung nicht ausreichen<br />

würde (vgl. BGHSt 50, 121, 130 f. im Zusammenhang mit dem insoweit vergleichbaren § 66b StGB). Dies<br />

wird die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer zu beachten haben.<br />

2. Unabhängig von alledem hat der Angeklagte aber nicht nur seine eigenen Töchter, sondern auch P. Ma. sexuell<br />

missbraucht. Dies spricht auch schon in tatsächlicher Hinsicht gegen die Annahme, der Angeklagte sei im Wesentlichen<br />

nur für seine eigenen Töchter gefährlich. Dies hat die Strafkammer im Ansatz auch nicht verkannt. Sie meint<br />

jedoch, diese Taten hätten in diesem Zusammenhang deshalb ein geringeres Gewicht, weil der Angeklagte „sichtlich<br />

die günstige Gelegenheit ausgenutzt (habe), die sich dadurch ergab, dass sich P. Ma. entschlossen hatte, nicht mehr<br />

am Abend nach Hause zurück zu kehren“. Jedoch ist die im Rahmen der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten<br />

angestellte Erwägung, der Angeklagte habe „nicht etwa nur günstige Gelegenheiten ausgenutzt, sondern planvoll das<br />

…. Bett entfernt, um zu erreichen, dass … (außer Je. auch) … P. Ma. mit ihm in … demselben Bett schlafen“ musste,<br />

damit jedenfalls ohne nähere Erläuterung damit nicht ohne weiteres vereinbar.<br />

3. Die Strafkammer meint, gegen die Notwendigkeit von Sicherungsverwahrung spreche auch, dass beim Angeklagten,<br />

wie dies auch in den Taten zum Ausdruck komme, „keinerlei aggressive oder auch nur nötigende Tendenzen“<br />

vorlägen. Diese Erwägung hält rechtlicher Überprüfung nicht Stand.<br />

a) Wäre der Angeklagte gewaltsam vorgegangen, hätte er nicht nur den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs von<br />

Kindern erfüllt, sondern zugleich auch den Tatbestand der sexuellen Nötigung. Dass er dies nicht zusätzlich getan<br />

hat, kann ihm im Rahmen der Rechtsfolgenbestimmung bei einer Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von<br />

Kindern nicht zugute gehalten werden (vgl. BGH b. Miebach NStZ 1998, 132; Renzikowski in MüKom § 176 Rdn.<br />

67; in vergleichbarem Sinne auch BGH, Urteil vom 21. März 2001 - 1 StR 32/01).<br />

b) Darüber erscheint die Annahme, es lägen keinerlei nötigende Tendenzen vor, durch die im Rahmen der Strafzumessung<br />

angestellte, allerdings nicht konkretisierte Erwägung, zu Lasten des Angeklagten wirke sich der „erhebliche<br />

Druck“ aus, den er als Vater auf seine Töchter „ausgeübt“ habe, zumindest relativiert.<br />

4. Nach alledem muss über die Anordnung von Sicherungsverwahrung neu bef<strong>und</strong>en werden. Im Hinblick auf erkennbare<br />

Bemühungen des Angeklagten, „von seinen Neigungen loszukommen“ - eine „Flucht in den Glauben“ ist<br />

ebenso festgestellt wie aufrichtige Reue des Angeklagten <strong>und</strong> seine von der Strafkammer offenbar für glaubhaft<br />

angesehene Ankündigung, sich einer Therapie unterziehen zu wollen - könnte auch zu prüfen sein, ob eine vorbehaltene<br />

Sicherungsverwahrung (§ 66a StGB) in Betracht kommt.<br />

III. Die Aufhebung des Urteils hinsichtlich der nicht angeordneten Sicherungsverwahrung führt hier zugleich zur<br />

Aufhebung des Strafausspruchs zu Gunsten des Angeklagten. Dies folgt aus den jedenfalls nicht ohne weiteres deckungsgleichen<br />

Erwägungen, die die Strafkammer zu identischen Gesichtspunkten bei der Strafzumessung zu Lasten<br />

des Angeklagten <strong>und</strong> bei der Prüfung von Sicherungsverwahrung zu Gunsten des Angeklagten angestellt hat. Dies<br />

gilt für die Erwägungen im Zusammenhang mit den Taten zum Nachteil von P. Ma. (vgl. oben II. 2.) ebenso wie für<br />

die Erwägungen, die Taten ließen keinerlei nötigende Tendenzen erkennen, der Angeklagte hätte aber erheblichen<br />

Druck ausgeübt (vgl. oben II. 3. b).<br />

242


StGB § 66 a Abs. 2 Satz 1 keine bloße Ordnungsvorschrift<br />

BGH, Urt. vom 14.12.2006 – 3 StR 269/06 - NJW 2007, S. 1011 f.<br />

LS: § 66 a Abs. 2 Satz 1 StGB ist keine bloße Ordnungsvorschrift. Die Einhaltung der Frist stellt<br />

vielmehr eine gr<strong>und</strong>sätzlich verbindliche materiellrechtliche Voraussetzung für die Anordnung der<br />

vorbehaltenen Sicherungsverwahrung dar.<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat aufgr<strong>und</strong> der Verhandlung vom 9. November 2006 in der Sitzung am<br />

14. Dezember 2006 für Recht erkannt:<br />

1. Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 29. März 2006 mit den Feststellungen<br />

aufgehoben; die im Urteil des Landgerichts Duisburg vom 4. November 2003 vorbehaltene Anordnung der<br />

Sicherungsverwahrung unterbleibt.<br />

2. Die Kosten des Verfahrens über die Anordnung der Sicherungsverwahrung <strong>und</strong> die dem Verurteilten insoweit<br />

entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hatte den Beschwerdeführer am 4. November 2003 wegen Vergewaltigung <strong>und</strong> versuchter Vergewaltigung<br />

zur Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet<br />

<strong>und</strong> gemäß § 66 a StGB die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten. Mit dem angefochtenen<br />

Urteil hat es gegen den Verurteilten die vorbehaltene Sicherungsverwahrung angeordnet. Hiergegen wendet sich<br />

dessen Revision mit den Rügen der Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts; das Rechtsmittel hat Erfolg. Der<br />

Verurteilte befand sich im Anschluss an Organisationshaft zunächst in der Unterbringung nach § 64 StGB, deren<br />

Vollzug die Strafvollstreckungskammer beendete, weil der Zweck der Unterbringung aus Gründen, die in der Person<br />

des Untergebrachten lagen, nicht mehr erreicht werden konnte (§ 67 d Abs. 5 Satz 1 StGB). Ab September 2004<br />

wurde Strafhaft vollzogen. Zwei Drittel der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe hatte er am 28. Mai 2005 verbüßt. Die<br />

Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes gemäß § 57 Abs. 1 StGB lehnte die Strafvollstreckungskammer ab,<br />

weil der Verurteilte seine Einwilligung nach § 57 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht erteilt hatte. Das Strafende ist für den 28.<br />

Januar 2007 vorgemerkt. Das Urteil hält der Überprüfung auf die Sachrüge nicht stand, weil es am 29. März 2006<br />

<strong>und</strong> damit nach dem sich aus § 66 a Abs. 2 Satz 1, § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB ergebenden spätesten Entscheidungszeitpunkt,<br />

dem 28. November 2004 (sechs Monate vor dem 28. Mai 2005), ergangen ist. Unter den gegebenen<br />

Umständen konnte die vorbehaltene Sicherungsverwahrung - ungeachtet des Vorliegens ihrer sonstigen Voraussetzungen<br />

- nicht mehr angeordnet werden.<br />

1. Die Frage, welchen Charakter diese Fristbestimmung hat <strong>und</strong> welche Folgen ihre Nichteinhaltung nach sich zieht,<br />

ist umstritten. Der Senat teilt die Auffassung, dass es sich bei der zeitlichen Begrenzung des § 66 a Abs. 2 Satz 1<br />

StGB nicht um eine bloße Ordnungsvorschrift handelt (vgl. Ullenbruch in MünchKomm StGB § 66 a Rdn. 40 ff.;<br />

Frister in SK-StPO 43. Lfg. § 275 a Rdn. 9). Die Einhaltung dieser Frist stellt vielmehr eine gr<strong>und</strong>sätzlich verbindliche<br />

materiellrechtliche Voraussetzung für die Anordnung der Sicherungsverwahrung dar.<br />

a) Bereits der Wortlaut des Gesetzes, wonach "das Gericht spätestens sechs Monate vor dem Zeitpunkt … entscheidet",<br />

spricht für eine verbindliche zeitliche Vorgabe. Allerdings mögen Formulierungen denkbar sein, die dies noch<br />

klarer zum Ausdruck gebracht hätten, wie etwa die, dass die vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung nur<br />

bis zu dem in § 66 a Abs. 2 Satz 1 StGB genannten Zeitpunkt getroffen werden kann. Die Anknüpfung an die "Entscheidung<br />

über die vorbehaltene Anordnung", die auch eine die Anordnung ablehnende Entscheidung einschließt,<br />

bringt den Charakter einer Ausschlussfrist für die Anordnung weniger deutlich zum Ausdruck. Indes ist auch die<br />

Wendung "entscheidet spätestens" (nicht: "soll bis entscheiden") kaum noch im Sinne einer Ordnungsvorschrift<br />

auslegungsfähig. Hinzu kommt, dass die Begründung des Gesetzes das Gewollte noch deutlicher zum Ausdruck<br />

bringt. Dort heißt es: "Die Entscheidung ist spätestens sechs Monate vor dem Zeitpunkt zu treffen, zu dem …"<br />

(BTDrucks. 14/8586 S. 6). Dabei ergibt sich aus dem Umstand, dass die in Frage stehende Frist in § 66 a StGB gemeinsam<br />

mit den übrigen materiellen Voraussetzungen der Anordnung einer zunächst vorbehaltenen Sicherungsverwahrung<br />

geregelt ist (vgl. demgegenüber die Verfahrensvorschrift des § 275 a Abs. 1 Satz 2 StPO für die nachträgliche<br />

Sicherungsverwahrung gemäß § 66 b StGB), dass es sich um eine materiellrechtliche Anforderung handelt.<br />

b) Aber auch Sinn <strong>und</strong> Zweck der Fristbestimmung erfordern eine Auslegung dahin, dass eine spätere Anordnung<br />

der Sicherungsverwahrung gr<strong>und</strong>sätzlich nicht mehr möglich ist. § 66 a Abs. 2 Satz 1 StGB soll, wie auch aus der<br />

Begründung des Gesetzentwurfs folgt, sicherstellen, dass über die Anordnung einerseits erst entschieden wird, wenn<br />

eine ausreichende Erkenntnisgr<strong>und</strong>lage für die Beurteilung der Gefährlichkeit des Verurteilten gegeben ist; andererseits<br />

soll aber die Ungewissheit über seine künftige Lebensplanung nicht ohne zwingenden Gr<strong>und</strong> hinausgeschoben<br />

243


werden. Damit trägt die Vorschrift dem Rechtsstaatsprinzip Rechnung, das es unter anderem verbietet, den von einem<br />

staatlichen Eingriff in die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 GG) Betroffenen über das Ausmaß dieses Eingriffs<br />

im Unklaren zu lassen, wenn <strong>und</strong> sobald nach den jeweiligen gesetzlichen Gr<strong>und</strong>lagen das zulässige Ausmaß des<br />

Eingriffs einer abschließenden Beurteilung zugänglich ist (BVerfG 86, 288, 327). An dieser verfassungsrechtlichen<br />

Vorgabe hat sich auch die Auslegung des § 66 a Abs. 2 Satz 1 StGB zu orientieren, was die Annahme einer bloßen<br />

Ordnungs-vorschrift ausschließt. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> ist das Gericht verpflichtet, rechtzeitig vor der Entscheidung<br />

über die vorzeitige Entlassung aus der Strafhaft nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB Klarheit über den Entlassungszeitpunkt<br />

als Gr<strong>und</strong>lage einer angemessenen Vollzugsplanung zu schaffen. Dafür muss es frühzeitig das Verfahren<br />

einleiten <strong>und</strong> sämtliche Informationen, insbesondere das Sachverständigengutachten einholen (vgl. auch<br />

BTDrucks. 14/8586 S. 6, 7). Würde man die zeitliche Vorgabe als unverbindliche Ordnungsvorschrift ansehen <strong>und</strong><br />

ungeachtet dieser Zeitgrenze die Anordnung der Sicherungsverwahrung für jederzeit möglich erachten, würde das<br />

Anliegen der gesetzlichen Regelung verfehlt werden. Denn weder würde die erforderliche Klarheit für den Verurteilten<br />

geschaffen noch eine sinnvolle Vollzugsplanung ermöglicht werden.<br />

2. Der Gr<strong>und</strong>satz, dass die Entscheidung über die vorbehaltene Anordnung bis zu dem in § 66 Abs. 2 Satz 1 StGB<br />

bestimmten Zeitpunkt erfolgen muss, bedarf allerdings der Präzisierung: Diese Zeitgrenze hat Geltung nur für das<br />

erste tatrichterliche Urteil im Nachverfahren, nicht jedoch für nachfolgende Entscheidungen im Rahmen oder als<br />

Folge eines Rechtsmittelverfahrens (vgl. Frister in SK-StPO 43. Lfg. § 275 a Rdn. 8). Dies ergibt sich aus der Regelung<br />

des § 275 a Abs. 5 Satz 3 StPO: Danach kann ein Unterbringungsbefehl (nur) dann erlassen werden, wenn das<br />

Gericht die vorbehaltene Sicherungsverwahrung im ersten Rechtszug bis zu dem in § 66 a Abs. 2 Satz 1 StGB bestimmten<br />

Zeitpunkt angeordnet hat. Dieser Regelung bedürfte es nicht, wenn die Entscheidung über die Anordnung<br />

der Sicherungsverwahrung zu dem sich aus § 66 a Abs. 2 Satz 1 StGB ergebenden Zeitpunkt schon rechtskräftig sein<br />

müsste.<br />

3. Die für die Annahme einer bloßen Ordnungsvorschrift vorgetragenen Argumente vermögen demgegenüber nicht<br />

zu überzeugen.<br />

a) Soweit geltend gemacht wird, der im jeweiligen Ausgangsurteil ausgesprochene Vorbehalt bewirke, dass das Verfahren<br />

noch nicht endgültig abgeschlossen sei, weshalb die Entscheidung über die vorbehaltene Sicherungsverwahrung<br />

auf jeden Fall - auch noch nach Ablauf der Frist des § 66 a Abs. 2 Satz 1 StGB - getroffen werden müsse (vgl.<br />

Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. Nachtrag § 275 a Rdn. 37 f; Peglau JR 2002, 449, 451), trifft dies<br />

allerdings im Ausgangspunkt zu. Für diese Sicht sprechen der Wortlaut des § 66 a Abs. 2 Satz 1 StGB <strong>und</strong> der des §<br />

275 a Abs. 1 Satz 1 1. Halbs. StPO. Danach hat das Gericht - nicht nur im Fall der Anordnung der Sicherungsverwahrung<br />

<strong>und</strong> ohne dass es eines Antrags der Staatsanwaltschaft bedürfte - von Amts wegen über den Vorbehalt abschließend<br />

zu entscheiden. Dies ergibt sich auch aus den in der Literatur zur prozessualen Stellung <strong>und</strong> zur Funktion<br />

des Nachverfahrens angestellten systematischen Erwägungen, nach denen der Vorbehalt bewirkt, dass das Verfahren<br />

erster Instanz noch nicht völlig erledigt ist <strong>und</strong> deshalb auch bei Überschreiten der Zeitvorgabe durch eine Entscheidung<br />

über den Vorbehalt abgeschlossen werden muss (vgl. Gollwitzer aaO Rdn. 1, 37). Dies besagt indessen nichts<br />

über den Charakter <strong>und</strong> die Verbindlichkeit der zeitlichen Befristung in § 66 a Abs. 2 Satz 1 StGB. Eine Entscheidung<br />

über die vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung ist nach Fristablauf unabhängig davon noch sinnvoll,<br />

ob das Fristgebot lediglich als Ordnungsvorschrift oder als verbindliche Zeitvorgabe angesehen wird. Allerdings<br />

ist bei einem Verständnis der Regelung im letzteren Sinne die Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung<br />

nur bis zu dem sich aus § 66 a Abs. 2 Satz 1 StGB ergebenden Zeitpunkt zulässig. Wird dieser versäumt, so<br />

ist regelmäßig auszusprechen, dass die Anordnung unterbleibt. Auch dies ist indes eine Entscheidung über die vorbehaltene<br />

Anordnung der Sicherungsverwahrung, durch die das hinsichtlich dieser Rechtsfolge noch offene Verfahren<br />

der ersten Instanz seinen Abschluss findet.<br />

b) Die Erwägung, die Zeitbestimmung in § 66 a Abs. 2 Satz 1 StGB könne mit Blick auf den Sinn <strong>und</strong> Zweck der<br />

nachträglichen Sicherungsverwahrung, vor allem wegen des besonderen öffentlichen Interesses am Schutz vor gefährlichen<br />

Straftätern, nicht als eine Art Ausschlussfrist betrachtet werden (vgl. Voll in KMR 8. Aufl. § 275 a Rdn.<br />

6), überzeugt nicht. Mit der Frist nach § 66 a Abs. 2 Satz 1 StGB hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass<br />

dem Anliegen des Schutzes der Allgemeinheit kein absoluter Rang zukommt. Dementsprechend muss sich die Auslegung<br />

des § 66 a Abs. 2 Satz 1 StGB an dem Zweck dieser Regelung <strong>und</strong> nicht am Zweck der Maßregel der vorbehaltenen<br />

Sicherungsverwahrung orientieren.<br />

c) Aus § 32 Abs. 2 Nr. 12 BZRG ergibt sich für die Annahme einer bloßen Ordnungsvorschrift nichts (aA Peglau JR<br />

2002, 449, 451). Zum einen erscheint es schon fernliegend, eine im B<strong>und</strong>eszentralregegistergesetz getroffene Regelung<br />

über den Inhalt eines Führungszeugnisses für die Auslegung einer materiellrechtlichen Vorschrift des Strafgesetzbuches<br />

mit heranzuziehen. Zum anderen wird auch durch die Entscheidung, dass die Anordnung der vorbehalte-<br />

244


nen Sicherungsverwahrung unterbleibt, von dieser "abgesehen", so dass sich aus der genannten Norm auch aus diesem<br />

Gr<strong>und</strong>e kein Argument ableiten lässt.<br />

4. Die möglichen Konsequenzen der Annahme einer Ausschlussfrist rechtfertigen eine andere Auslegung nicht. Allerdings<br />

kann die zeitliche Vorgabe des § 66 a Abs. 2 Satz 1 StGB - namentlich bei kurzen Strafen <strong>und</strong> relativ langer<br />

Dauer des Strafverfahrens bis zur Rechtskraft des Vorbehaltsausspruches - dazu führen, dass für die Beobachtung<br />

des Verurteilten im Strafvollzug zum Zwecke der weiteren Beurteilung seiner Gefährlichkeit <strong>und</strong> für das Nachverfahren<br />

nur ein schmales Zeitfenster zur Verfügung steht. Diese - in den Gesetzesmaterialien nicht erörterte - Möglichkeit<br />

mag in der Praxis zu einer nicht unerheblichen Einschränkung des Anwendungsbereichs der Anordnung der<br />

vorbehaltenen Sicherungsverwahrung führen. Das mag als misslich empf<strong>und</strong>en werden. Indes gilt: Ist bereits im<br />

Ausgangsverfahren absehbar, dass bis zu dem in § 66 a Abs. 2 Satz 1 StGB genannten Zeitpunkt keine ausreichende<br />

Zeit für eine Beobachtung des Verurteilten zur Verfügung stehen wird, die zu besseren Erkenntnissen führt als den in<br />

der Hauptverhandlung möglichen, so darf das Gericht den Vorbehalt der nachträglichen Anordnung schon nicht<br />

anbringen. Vor Einführung des § 66 a StGB konnte eine im Einzelfall - aus späterer Sicht - zum Schutz der Allgemeinheit<br />

objektiv erforderliche Sicherungsverwahrung nicht angeordnet werden <strong>und</strong> war endgültig ausgeschlossen,<br />

wenn im Zeitpunkt der Hauptverhandlung die Gefährlichkeit des Angeklagten noch nicht mit der hinreichenden<br />

Prognosesicherheit festgestellt werden konnte. Die durch die Vorschrift eröffnete Befugnis, über die Gefahr für die<br />

Allgemeinheit erst später - auf der Gr<strong>und</strong>lage im Vollzug gewonnener zusätzlicher Erkenntnisse - zu entscheiden, ist<br />

aber, wie gerade aus § 66 a Abs. 2 Satz 1 StGB folgt, auf die Fälle begrenzt, in denen ein solcher Erkenntniszuwachs<br />

bis zu dem dort genannten Zeitpunkt (genauer: bis zu dem Zeitpunkt zu dem das Verfahren spätestens eingeleitet<br />

werden muss, damit unter Berücksichtigung der üblichen Verfahrensdauer rechtzeitig entschieden werden kann) zu<br />

erwarten ist oder jedenfalls möglich erscheint. Freilich wird es auch Fälle geben, in denen nach einer länger zurückliegenden<br />

Anbringung des Vorbehalts das zur Verfügung stehende Zeitfenster nachträglich, etwa durch ein langdauerndes<br />

Rechtsmittelverfahren, verkürzt wird oder in denen trotz rechtzeitiger Einleitung des Nachverfahrens ein<br />

fristgemäßer Abschluss infolge unvorhergesehener Verzögerungen (z.B. Erkrankungen, verzögerte Gutachtenerstellung)<br />

nicht mehr möglich ist. Wenn in diesen Fällen die Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung wegen<br />

Fristüberschreitung unterbleiben muss, so ist dies - wiewohl im Einzelfall unbefriedigend - gr<strong>und</strong>sätzlich hinzunehmen.<br />

Der Blick auf solche Ausnahmefälle kann jedenfalls eine Auslegung des § 66 a Abs. 2 Satz 1 StGB gegen seinen<br />

Wortlaut sowie den Sinn <strong>und</strong> Zweck der Vorschrift nicht rechtfertigen.<br />

5. Ob in solchen Fällen die Sicherungsverwahrung ausnahmsweise angeordnet werden kann, wenn die Frist nur wenige<br />

Tage überschritten ist (vgl. BGH StV 2006, 63) <strong>und</strong> die Gründe dafür nicht im Verantwortungsbereich der Justiz<br />

liegen, braucht hier nicht entschieden zu werden. Das Landgericht hatte am 28. November 2004, dem spätesten<br />

Entscheidungszeitpunkt (§ 66 a Abs. 2 Satz 1, § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB), das Nachverfahren noch nicht einmal<br />

eingeleitet. Dies ist erst am 19. Juli 2005 mit der Beauftragung eines Sachverständigen geschehen. Die Frist ist auch<br />

nicht nur wenige Tage überschritten worden. Vielmehr ist das angefochtene Urteil, mit dem die Sicherungsverwahrung<br />

angeordnet worden ist, erst ein Jahr <strong>und</strong> vier Monate nach dem spätesten Zeitpunkt ergangen.<br />

StGB § 66a Abs. 2 - nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung<br />

BGH, Beschl. vom 10.11.2006 – 1 StR 483/06<br />

Eine bloße Neugewichtung bereits bei der Anlassentscheidung bekannter Umstände im Rahmen der<br />

späteren Entscheidung über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gem. § 66a<br />

Abs. 2 StGB entspricht nicht der gesetzgeberischen Intention <strong>und</strong> ist der hierüber entscheidenden<br />

Strafkammer verwehrt, sofern sich nicht zusätzliche gewichtige Umstände bezüglich des Verurteilten<br />

in Verbindung mit dem Strafvollzug ergeben haben.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 10. November 2006 beschlossen: Auf die Revision des Verurteilten<br />

wird das Urteil des Landgerichts Amberg vom 24. Mai 2006 aufgehoben. Von einer nachträglichen Anordnung der<br />

vorbehaltenen Sicherungsverwahrung wird abgesehen. Die Kosten des Verfahrens über die Anordnung der Sicherungsverwahrung<br />

<strong>und</strong> die notwendigen Auslagen des Verurteilten fallen der Staatskasse zur Last.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die im Urteil des Landgerichts Amberg vom 21. August 2003 vorbehaltene Unterbringung des<br />

Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66a Abs. 2 Satz 2 StGB angeordnet. Dagegen richtet sich die<br />

245


Revision des Verurteilten mit mehreren Verfahrensrügen <strong>und</strong> der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das<br />

Rechtsmittel hat Erfolg.<br />

I. 1. Der Verurteilte war vom Landgericht Amberg mit Urteil vom 21. August 2003 wegen Versuches der räuberischen<br />

Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt<br />

worden; außerdem war die Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen ihn vorbehalten worden. Der Verurteilung<br />

lag zugr<strong>und</strong>e, dass der Angeklagte am 9. Juni 2001 in der Justizvollzugsanstalt A. zusammen mit zwei Mitgefangenen<br />

einen neu aufgenommenen weiteren Mitgefangenen wegen eines angeblichen Verrates an einem ihnen unbekannten<br />

Straftäter zur "Bestrafung" körperlich misshandelt <strong>und</strong> ihm dabei das Versprechen abgenötigt hatte, in Zukunft<br />

unter anderem seinen gesamten Einkauf abzuliefern.<br />

2. Mit Urteil vom 22. April 2005 hatte das Landgericht Amberg die ursprünglich vorbehaltene Sicherungsverwahrung<br />

angeordnet <strong>und</strong> diese Entscheidung im Wesentlichen darauf gestützt, dass der Verurteilte während des Haftvollzugs<br />

in Belastungs- <strong>und</strong> Enttäuschungssituationen mit Wutausbrüchen reagierte, bei denen er sich gegenüber<br />

Sachen <strong>und</strong> gegenüber sich selbst aggressiv verhielt. Insbesondere habe er sich, als ihm die Polizei eröffnet habe, ein<br />

Mitgefangener habe ihn wegen angeblicher Bedrohung angezeigt, wutentbrannt in der Toilette mit einer "so aggressiven<br />

Wucht auf den Toilettendeckel" gesetzt, dass dieser zerbrach. In einem anderen Fall habe er, nachdem ihm ein<br />

beantragter Umschluss abgelehnt worden sei, mit Fäusten gegen die Toilettentüre "gedroschen" <strong>und</strong> danach in seinem<br />

Haftraum gegen die Wand geschlagen <strong>und</strong> eigene Gegenstände zertrümmert. Zu Körperverletzungstaten sei es<br />

jedoch seit der Tat vom 9. Juni 2001 nicht mehr gekommen. Das Landgericht hatte darüber hinaus eine mehr als<br />

fünfzehn Jahre zurückliegende Vorahndung aus einem Urteil des Amtsgerichts Weiden vom 30. Juni 1988 herangezogen,<br />

die eine versuchte sexuelle Nötigung in Tateinheit mit exhibitionistischen Handlungen zum Nachteil eines zur<br />

Tatzeit 85-jährigen Rentners betraf.<br />

3. Mit Beschluss vom 25. Oktober 2005 hatte der Senat dieses Urteil aufgehoben <strong>und</strong> zu neuer Verhandlung <strong>und</strong><br />

Entscheidung an das Landgericht Amberg zurückverwiesen, weil die materiellen Voraussetzungen einer nachträglichen<br />

Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung nicht ausreichend dargelegt worden waren; denn das der<br />

aufgehobenen Entscheidung zugr<strong>und</strong>e gelegte Verhalten des Betroffenen betraf weder aggressive Handlungen gegen<br />

Strafvollzugsbedienstete oder Mitgefangene noch Straftaten oder Drohungen, welche für sich betrachtet auf eine<br />

Rückkehr in kriminelle Subkulturen hindeuteten. Im Übrigen hatte der Senat ausgeführt, dass die Straftat vom 30.<br />

November 1988, welche bei der Verurteilung wegen der Anlasstat mehr als 15 Jahre zurücklag, bereits in jenem<br />

Verfahren hätte Berücksichtigung finden können. Sofern aber diese Tat entweder bei der Entscheidung vom 21.<br />

August 2003 nicht eingeflossen war oder jedenfalls dennoch kein Anlass bestand, bereits damals die Sicherungsverwahrung<br />

anzuordnen, dann bestünden zumindest rechtliche Bedenken, eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung<br />

hierauf zu stützen.<br />

II. Mit dem nunmehr angefochtenen Urteil hat eine andere Strafkammer des Landgerichts Amberg erneut die Sicherungsverwahrung<br />

gegen den Verurteilten angeordnet. Die Entscheidung ist zunächst auf die Erkenntnisse gestützt,<br />

welche bereits in der aufgehobenen Entscheidung vom 22. April 2005 aufgeführt sind. Ergänzend wurde festgestellt,<br />

dass der Verurteilte am 15. März 2004 in dem arbeitstherapeutischen Betrieb der Vollzugsanstalt, in den er probeweise<br />

aufgenommen worden war, auf Wunsch eines Mitgefangenen eine kleine Engelsfigur aus Ton (Verkaufswert:<br />

12,50 Euro), die er zu bemalen hatte, entwendete <strong>und</strong> gegen Kaffee eintauschte. Außerdem äußerte er sich zuweilen<br />

in hämischem Ton gegenüber Anstaltsbediensteten, schrie einmal beim Einrücken zur Arbeit lautstark herum <strong>und</strong><br />

riss des Öfteren im Gemeinschaftsraum „das Kommando an sich“, bestimmte das Fernsehprogramm <strong>und</strong> ließ Mitgefangene<br />

Putzdienste für sich ausführen. Insgesamt lässt nach Auffassung der Strafkammer das Vollzugsverhalten des<br />

Verurteilten die bisherige Delinquenz als Ausfluss seiner tief verwurzelten kombinierten Persönlichkeitsstörung<br />

erscheinen, wegen derer weitere erhebliche Straftaten ernsthaft zu besorgen seien.<br />

III. Auf die Revision des Verurteilten war die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung bereits auf die<br />

Sachrüge hin aufzuheben. Auf die Verfahrensrügen kam es daher vorliegend nicht mehr an.<br />

1. Nach § 66a Abs. 2 Satz 2 StGB ist die endgültige Sicherungsverwahrung anzuordnen, wenn die Gesamtwürdigung<br />

des Verurteilten, seiner Taten <strong>und</strong> seiner Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass von ihm erhebliche<br />

Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Voraussetzung<br />

ist daher die prognostizierte Gefahr schwerwiegender Delikte gegen die Person; nicht erfasst sind Vermögensdelikte<br />

(BTDrucks. 14/8586 S. 7). Die Berücksichtigung des Verhaltens des Verurteilten im Strafvollzug soll dabei<br />

vor allem seine Entwicklung in einer Behandlung als gewichtigen Prognosefaktor erfassen, wobei weitere prognoserelevante<br />

Gesichtspunkte z.B. aggressive Handlungen gegen Strafvollzugsbedienstete oder Mitgefangene, Straftaten<br />

oder subkulturelle Aktivitäten im Vollzug, Drohungen oder andere Äußerungen sein können, die auf eine Rückkehr<br />

in kriminelle Subkulturen <strong>und</strong> eine Wiederaufnahme insbesondere von Gewalt- oder Sexualkriminalität hindeuten<br />

(BTDrucks. aaO).<br />

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2. Das vom Landgericht seiner Anordnung zugr<strong>und</strong>e gelegte Verhalten des Verurteilten im Vollzug umfasst an gewalttätigen<br />

Handlungen nur die Beschädigung eines Toilettendeckels, das Eindreschen mit den Fäusten gegen eine<br />

Toilettentür, das Schlagen gegen eine Wand sowie das Zertrümmern eigener Gegenstände <strong>und</strong> das Schlagen gegen<br />

den Stahlschrank eines Mitgefangenen, wofür er sich aber später entschuldigte. Hierbei handelt es sich aber weder<br />

um aggressive Handlungen gegen Strafvollzugsbedienstete oder Mitgefangene noch um Straftaten oder Drohungen,<br />

welche für sich betrachtet auf eine Rückkehr in kriminelle Subkulturen hindeuten. Das mit zahlreichen Beispielen<br />

verdeutlichte Sozialverhalten des Verurteilten gegenüber Mitgefangenen erweist sich zwar als teilweise ausgesprochen<br />

unfre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> gemeinschaftswidrig, jedoch handelt es sich hierbei um ubiquitäre <strong>und</strong> vollzugstypische Verhaltensweisen,<br />

welche ohne weitere Feststellungen nicht als Hinweise auf eine erhebliche Gefährlichkeit eines Verurteilten<br />

gewertet werden können (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 23. August 2006 - 2 BvR 226/06 - Rdn. 32).<br />

Hinzu kommt, dass nach den Feststellungen des Landgerichts der Verurteilte seit seiner Verlegung in eine Einzelzelle<br />

der Untersuchungshaftabteilung am 1. Dezember 2004 <strong>und</strong> seit seinem Einsatz als Kost-träger in dieser Abteilung<br />

zunehmend ruhiger geworden ist <strong>und</strong> es mit zwei Ausnahmen (verbale Entgleisungen bei Verkündung des später<br />

aufgehobenen Urteils vom 22. April 2005 <strong>und</strong> bei Erhalt der Terminsladung am 20. Januar 2006 zur erneuten Verhandlung<br />

in dieser Sache) nicht mehr zu aggressiven Verhaltensweisen gekommen ist. Auch der einmalige Diebstahl<br />

von Arbeitsmaterial mit relativ geringfügigem Wert lässt keinen Rückschluss auf eine Verstärkung des aggressiven<br />

Potentials beim Verurteilten zu. Zum Nachteil kann dem Verurteilten auch nicht gereichen, dass er an einem Anti-<br />

Aggressions-Training nicht teilnehmen konnte, weil dieses in Bayern nur in der JVA Bayreuth angeboten wird, die<br />

nur Erstverbüßer aufnimmt. In gleicher Weise gilt dies für den Umstand, dass mehrmalige Bewerbungen des Verurteilten<br />

um eine Aufnahme in die sozialtherapeutische Abteilung der JVA Erlangen keinen Erfolg hatten.<br />

3. Die Feststellungen des Landgerichts in der angefochtenen Entscheidung lassen somit keine relevanten „neuen“<br />

Umstände erkennen (vgl. hierzu MünchKommStGB/Ullenbruch § 66a Rdn. 53 ff.), welche sich während des Strafvollzugs<br />

ergeben haben <strong>und</strong> damit der Strafkammer bei Entscheidung über die Anlasstat am 21. August 2003 nicht<br />

bekannt waren. Eine bloße Neugewichtung bereits bei der Anlassentscheidung bekannter Umstände im Rahmen der<br />

späteren Entscheidung über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66a Abs. 2 StGB<br />

entspricht nicht der gesetzgeberischen Intention (vgl. BTDrucks. 14/8586 S. 7) <strong>und</strong> ist der hierüber entscheidenden<br />

Strafkammer verwehrt, sofern sich nicht zusätzliche gewichtige Umstände bezüglich des Verurteilten in Verbindung<br />

mit dem Strafvollzug ergeben haben.<br />

IV. Der Senat schließt aus, dass bei einer weiteren Hauptverhandlung noch zusätzliche Tatsachen festgestellt werden<br />

können, die die nachträgliche Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung rechtfertigen könnten, <strong>und</strong> hat<br />

deshalb auf den Wegfall der Anordnung erkannt.<br />

StGB § 66b – Verwertung innerer Tatsachen<br />

BGH, Beschl. vom 01.12.2006 – 2 StR 475/06<br />

Neue Tatsachen im Sinne von § 66 b Abs. 1 StGB können auch innere Tatsachen, also Umstände<br />

<strong>und</strong> Veränderungen in der Persönlichkeit, der psychischen Stabilität, der Lebensplanung oder Motivation<br />

des Verurteilten sein.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> des Beschwerdeführers<br />

am 1. Dezember 2006 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen: Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des<br />

Landgerichts Trier vom 28. Juni 2006 aufgehoben. Der Antrag auf nachträgliche Anordnung der Unterbringung in<br />

der Sicherungsverwahrung wird zurückgewiesen. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der Rechtsmittelkosten<br />

<strong>und</strong> die notwendigen Auslagen des Verurteilten fallen der Staatskasse zur Last. Die Entscheidung über die Entschädigung<br />

des Verurteilten wegen der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt dem Landgericht vorbehalten. Der<br />

Unterbringungsbefehl des Landgerichts Trier vom 14. November 2005 wird aufgehoben. Der Verurteilte ist in dieser<br />

Sache sofort auf freien Fuß zu setzen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat gegen den Verurteilten die nachträgliche Sicherungsverwahrung gemäß § 66 b i.V.m. § 66 Abs.<br />

3 Satz 1 <strong>und</strong> 2 StGB angeordnet. Seine Revision führt mit der Sachrüge zur Aufhebung dieser Entscheidung <strong>und</strong> zur<br />

Zurückweisung des Antrags der Staatsanwaltschaft.<br />

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde der Verurteilte im Jahr 2002 wegen schweren Raubs in zwei<br />

Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt. Dem lag zugr<strong>und</strong>e, dass der<br />

247


Verurteilte im März <strong>und</strong> Mai 2001 zwei Postfilialen überfallen <strong>und</strong> unter Verwendung einer ungeladenen Schreckschusspistole<br />

Bargeldbeträge <strong>und</strong> Postwertzeichen im Gesamtwert von ca. 48.000 DM geraubt hatte. Motiv für diese<br />

Taten waren wirtschaftliche Schwierigkeiten des Verurteilten, der sich mit einem Transportunternehmen selbständig<br />

gemacht hatte, nachdem er wegen psychischer Instabilität <strong>und</strong> depressiver Verstimmungen seine zuvor betriebene<br />

Ausbildung als Kommissaranwärter im Polizeidienst abbrechen musste. Mit dem erbeuteten Geld zahlte er Bankschulden<br />

zurück. Die wegen der genannten Taten verhängten Einzelfreiheitsstrafen betrugen jeweils drei Jahre. Eine<br />

erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit hat das sachverständig beratene Ausgangsgericht nicht festgestellt.<br />

Nach seinen Feststellungen handelt es sich bei dem Verurteilten allerdings um "eine deutlich gestörte Persönlichkeit<br />

mit Schwierigkeiten bei der Selbstwertregulation"; zu einer selbstkritischen Auseinandersetzung mit der eigenen<br />

Person sei er nicht in der Lage. Kritisches Infragestellen führe zu schneller Gekränktheit <strong>und</strong> Rückzug. Er weise eine<br />

emotional instabile Persönlichkeitsstruktur auf; Größenideen mit Selbstüberschätzung wechselten mit depressiven<br />

Phasen; die Ursachen für Misserfolg suche der Verurteilte regelmäßig (allein) bei Dritten.<br />

a) Strafende der zu verbüßenden Strafe war am 25. November 2005; seither war der Verurteilte durch Unterbringungsbefehl<br />

des Landgerichts gemäß § 275 a Abs. 5 Satz 1 StPO untergebracht. Während des Vollzugs der Strafhaft<br />

kam es lediglich einmal zu einer - vollzugstypischen - Auseinandersetzung mit einem Mithäftling, die mit einem<br />

"Geschubse" endete <strong>und</strong> zu einer Disziplinarmaßnahme gegen den Verurteilten führte.<br />

Der Verurteilte fühlte sich während der Haft ungerecht behandelt <strong>und</strong> "diskriminiert", mit zunehmender Haftdauer<br />

überdies psychisch instabil. Er bemühte sich auf verschiedene Weise um die Aufnahme in eine Psychotherapie, war<br />

hiermit jedoch im Ergebnis nicht erfolgreich. Einer externen Drogenberaterin teilte er (wahrheitswidrig) mit, er sei<br />

seit Jahren Konsument harter Drogen. Einer konsiliarisch in der JVA tätigen Psychiaterin offenbarte er, er höre zeitweise<br />

"leises Gemurmel"; eine Bestätigung einer paranoid schizophrenen Erkrankung hat sich jedoch nicht ergeben.<br />

b) Im März 2003 verfasste der Verurteilte daraufhin im Zeitraum von mehreren St<strong>und</strong>en in unmittelbarem Fortgang<br />

insgesamt sechs Briefe, die nicht datiert oder auf den 15. November 2005 (10 Tage vor Strafende) vordatiert waren.<br />

Er bewahrte sie danach in seinem unverschlossenen Spind im Haftraum auf; dort wurden sie am 29. März 2004 aufgef<strong>und</strong>en<br />

<strong>und</strong> beschlagnahmt. Zu den - weitgehend identisch formulierten - Briefen an die Redaktionen der Zeitschriften<br />

Sp., St. <strong>und</strong> F. sowie einem Brief an die Kriminalinspektorin W. "offenbarte" der Verurteilte unter anderem,<br />

er sei seit seiner Jugend "ein psychisch geistesgestörter Sexualstraftäter" mit "brutalsten Tendenzen". Durch<br />

exzessiven Konsum von "Internetpornos" sei er zu einem äußerst gefährlichen Gewalttäter geworden, der bereits<br />

zahllose - unentdeckte - Gewaltdelikte, insbesondere Morde, Vergewaltigungen, schwere Körperverletzungen <strong>und</strong><br />

exhibitionistische Taten begangen habe. Tatsächlich habe er seit dem Jahr 2000 sämtliche Gewaltdelikte in Süddeutschland<br />

begangen, die von der Polizei in der Vergangenheit nicht hätten aufgeklärt werden können. Er sei "total<br />

krank im Kopf <strong>und</strong> gehöre für immer weggesperrt"; er sei "der Horror", "gruselig", "Deutschlands Antwort auf Hannibal<br />

Lecter", der "größte deutsche Gewaltstraftäter aller Zeiten". Er leide unter fünf verschiedenen Geisteskrankheiten<br />

<strong>und</strong> sei eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung. Nach seiner - zu befürchtenden - Entlassung<br />

werde er sich nach Schweden begeben. Dorthin werde er von einem Sondereinsatzkommando der deutschen Polizei<br />

verfolgt werden. Dessen Angehörige werde er dann allesamt kaltblütig ermorden, denn er sei "der allergrößte Gewaltverbrecher<br />

des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts". Einem der Briefe fügte der Verurteilte eine "Liste des Grauens" bei, in welcher<br />

er eine Vielzahl angeblich von ihm begangener Straftaten aufführte. An seine Tante schrieb er einen ähnlichen Brief,<br />

in welchem er ausführte: "Es wäre am besten, für immer in der geschlossenen Psychiatrie zu bleiben". Wenn man<br />

ihm nicht glaube, sei er nicht verantwortlich für das, was dann passiere; dies hätten dann die Ärzte <strong>und</strong> Behörden zu<br />

verantworten. Zweí ähnliche Briefe schickte der Verurteilte an seinen Vater <strong>und</strong> seine Großmutter ab; sie wurden im<br />

Rahmen der Postkontrolle angehalten. Darin führte er aus, noch könne ein nie dagewesenes Massaker verhindert<br />

werden, wenn er "ordentlich" therapiert werde. Die Schuld daran, dass er geisteskrank geworden sei, trage allein<br />

seine Mutter, denn diese habe ihn grausam gedemütigt <strong>und</strong> erpresst.<br />

c) Die Staatsanwaltschaft leitete nach dem Auffinden der Briefe gegen den Verurteilten Ermittlungsverfahren wegen<br />

der (angeblichen) zurückliegenden Straftaten sowie wegen Bedrohung unbekannter Polizeibeamter mit zukünftigen<br />

Verbrechen ein. Die Verfahren wurden, da sich Anhaltspunkte für die Verwirklichung dieser Taten nicht ergaben,<br />

gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Am 1. April 2005 hat die Staatsanwaltschaft beantragt, gegen den Verurteilten<br />

im Hinblick auf die in den genannten Schreiben neu zutage getretenen Tatsachen die nachträgliche Sicherungsverwahrung<br />

anzuordnen. Das Landgericht beauftragte am 17. August 2005 gemäß § 275 a Abs. 4 Satz 2 StPO zwei<br />

Sachverständige mit der Erstattung von Gutachten; am 14. November 2005 erließ es einen Unterbringungsbefehl<br />

gemäß § 275 a Abs. 5 Satz 1 StPO. Die Hauptverhandlung begann am 5. April 2006 <strong>und</strong> endete mit der Urteilsverkündung<br />

am 28. Juni 2006.<br />

d) Das Landgericht hat als neue Tatsachen im Sinne von § 66 b Abs. 1 StGB "die Gewaltgedanken des Verurteilten<br />

(bezeichnet), die er - nach außen hin erkennbar - konkret <strong>und</strong> wiederholt in seinen Briefen zum Ausdruck gebracht<br />

248


hat" (UA S. 64); darüber hinaus auch die "Warnungen vor sich selbst" (UA S. 66). Die "von Gewaltphantasien<br />

schlimmster Art geprägte Gedankenwelt" des Verurteilten sei neu im Sinne von § 66 b StGB. Zwar sei dem Ausgangsgericht<br />

die Persönlichkeitsstörung des Verurteilten bekannt gewesen. Diese habe danach aber noch keinen<br />

"Krankheitswert" gehabt. Anhaltspunkte für Gewaltphantasien hätten sich nach dem damals eingeholten Sachverständigengutachten<br />

nicht ergeben; auch frühere Fre<strong>und</strong>innen des Verurteilten hätten irgendwelche Gewalt-<br />

Tendenzen in seinem Verhalten übereinstimmend verneint. Nunmehr habe sich aber eine "qualitative Verschlechterung<br />

der damals bereits vorliegenden narzisstischen Persönlichkeitsstörung" ergeben (UA S. 69). Der Verurteilte<br />

leide einerseits unter "Größenwahn", andererseits an Selbstzweifeln. Er habe immer "nach oben" gewollt; dafür spreche<br />

auch sein Eintritt in den Polizeidienst. Er suche die Ursachen für die Niederlagen seines Lebens in einer psychischen<br />

Erkrankung <strong>und</strong> zeige Kennzeichen einer sogenannten "narzisstischen Wut"; seine Briefe seien als die "narzisstischen<br />

Rachephantasien eines Verlierers" (UA S. 71 f.) anzusehen. Der Verurteilte hat sich dahin eingelassen, er<br />

habe die Briefe geschrieben, um "seinen Frust abzubauen", weil er sich ungerecht behandelt gefühlt habe. Es sei<br />

zwar nicht alles, was in den Briefen stehe, "Quatsch"; es habe sich aber nicht um ein "Geständnis" gehandelt <strong>und</strong> er<br />

habe sich auch nichts "von der Seele reden" wollen. Man habe versucht, ihn zu diskriminieren. Er habe vor sich<br />

selbst gewarnt, um Resozialisierung <strong>und</strong> Therapie zu bekommen; er brauche Behandlung. Aufgr<strong>und</strong> seiner Labilität<br />

<strong>und</strong> Therapiebedürftigkeit könne es heute eher als früher zu irrationalen Handlungen, nämlich Körperverletzungen<br />

oder Bedrohungen kommen, wenn er sich unter Druck gesetzt fühle.<br />

e) Das Landgericht hat die Angaben zur Motivation als glaubhaft angesehen; die Einlassung, seit 2003 keine entsprechenden<br />

Gedanken mehr gehabt zu haben, hat es dagegen für unglaubhaft gehalten, ebenso die Versicherung des<br />

Verurteilten, er würde nichts tatsächlich ausführen, was in den Briefen steht (UA S. 73). Nach Ansicht des Landgerichts<br />

stehen die Gewaltgedanken <strong>und</strong> Drohungen in symptomatischem Zusammenhang mit den Anlasstaten, denn<br />

sie seien Ausdruck der Persönlichkeitsstörung, die bereits zum Zeitpunkt der früheren Taten vorgelegen habe. Dass<br />

der Verurteilte die früheren Taten in seine Briefe "eingebaut" habe, zeige, "dass aus seiner Sicht die Anlasstaten wie<br />

ein Mosaikstein auf dem Weg zu seiner Entwicklung zum 'größten deutschen Gewaltverbrecher des Jahrh<strong>und</strong>erts'<br />

sind" (UA S. 75). Auch dem Tatbestand des schweren Raubs sei überdies die Gewalt immanent. Das Landgericht hat<br />

- in Übereinstimmung mit den Sachverständigen - angenommen, es liege bei dem Verurteilten ein Hang im Sinne<br />

von § 66 b Abs. 1 i.V.m. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB vor, denn seine Gewaltphantasien seien der motivationalen Gr<strong>und</strong>struktur<br />

zuzuordnen <strong>und</strong> daher "eine eingewurzelte Neigung" (UA S. 77). Die Briefe stünden in Widerspruch zur<br />

guten Intelligenz des Verurteilten; dies zeige, dass ihm eine Kontrolle seiner narzisstischen Wut nicht möglich sei.<br />

Zur Prognose hat das Landgericht - nach den Urteilsgründen ebenfalls im Anschluss an die beiden Sachverständigen<br />

- ausgeführt, es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass der Verurteilte die in seinen Briefen angekündigten<br />

Gewalttaten begehen werde. Die Sachverständigen hätten dargelegt, dass zwischen konkretisierter <strong>und</strong> imaginierter<br />

Gewalt ein kategorialer Unterschied nicht bestehe (UA S. 79); für den Umschlag in die Konkretisierung bedürfe<br />

es daher lediglich eines geringfügigen Anlasses. Für die Ernsthaftigkeit der Drohungen spreche, dass der Verurteilte<br />

sie "über verschiedene Briefe hinweg immer wiederholt" habe (ebd.). Dass der Verurteilte die beiden Anlasstaten in<br />

seinen Briefen erwähnt habe, zeige, dass in seiner Gedankenwelt eine Trennung zwischen Phantasie <strong>und</strong> konkretisierter<br />

(wohl gemeint: realer) Handlung nicht möglich sei (UA S. 80). Das Landgericht hat ausgeführt, angesichts der<br />

Schwere der zu erwartenden Taten sei die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung auch verhältnismäßig. Allerdings<br />

sei der Verurteilte vor allem "dringend behandlungsbedürftig"; es müssten eine psychiatrische Fachbehandlung<br />

sowie eine langwierige psychotherapeutische Behandlung erfolgen (UA S. 81). "Angesichts des Krankheitsbildes"<br />

des Verurteilten empfehle sich daher die alsbaldige Überweisung gemäß § 67 a Abs. 2 StGB in den Vollzug der<br />

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.<br />

2. Diese Feststellungen <strong>und</strong> Erwägungen tragen die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nicht.<br />

a) Schon die Neuheit von für die Gefährlichkeit des Verurteilten indiziellen Tatsachen <strong>und</strong> ihr - nach Ansicht des<br />

Landgerichts - symptomatischer Zusammenhang mit den Anlasstaten sind unklar <strong>und</strong> nicht ohne Widersprüche dargelegt.<br />

So lässt sich die Ausführung, zum Zeitpunkt des früheren Urteils sei die Neigung des Verurteilten zu Gewalttaten<br />

nicht erkennbar gewesen, nicht ohne weiteres mit der Darlegung vereinbaren, den Anlasstaten (nach § 250 Abs.<br />

1 Nr. 1 Buchst. b StGB) sei Gewalt oder Drohung mit Gewalt "immanent"; die Gewaltphantasien seien Ausdruck<br />

eben der Persönlichkeitsstörung, die im Ausgangsverfahren festgestellt wurde, <strong>und</strong> in der Ausführung der Anlasstaten<br />

liege "die Wurzel" dieser Persönlichkeitsstörung (UA S. 75 f.). Letztlich wird aus den Urteilsgründen nicht gänzlich<br />

klar, ob das Landgericht die neuen Tatsachen in der "Verschlechterung der Persönlichkeitsstörung" (UA S. 76)<br />

oder in den "Gewaltgedanken" (UA S. 74) gesehen hat.<br />

b) Neue Tatsachen im Sinne von § 66 b Abs. 1 StGB können auch innere Tatsachen, also Umstände <strong>und</strong> Veränderungen<br />

in der Persönlichkeit, der psychischen Stabilität, der Lebensplanung oder Motivation des Verurteilten sein.<br />

Daher war es gr<strong>und</strong>sätzlich zulässig, die sichergestellten Briefe des Verurteilten als Indizien für solche Tatsachen zu<br />

249


verwerten, welche ihrerseits auf die von § 66 b StGB vorausgesetzte besondere Gefährlichkeit hindeuten könnten.<br />

Angesichts des Umstands, dass es sich bei den Briefen um die insoweit einzigen Beweismittel handelte, <strong>und</strong> angesichts<br />

der auffälligen Besonderheiten des Falles musste sich das Landgericht mit den Auslegungs- <strong>und</strong> Deutungsmöglichkeiten<br />

dieser Indizien aber umfassend <strong>und</strong> erschöpfend auseinandersetzen. Hieran fehlt es im angefochtenen<br />

Urteil. Die rechtliche Prüfung der Urteilsausführungen ergibt, dass das Landgericht bei der Würdigung der Beweisergebnisse<br />

teilweise einem einseitig verengten Blickwinkel gefolgt ist <strong>und</strong> wesentliche Anhaltspunkte für eine abweichende<br />

Würdigung nicht hinreichend beachtet hat. Zur Frage der Motivation des Verurteilten hat das Landgericht<br />

dessen Einlassung als glaubhaft angesehen, er habe die Briefe "aus Frust" geschrieben; abgegrenzt hat es dieses Motiv<br />

von einer "schriftstellerischen Tätigkeit" <strong>und</strong> dem Motiv der "Prahlerei in der JVA". Damit sind die Möglichkeiten<br />

der Einordnung jedoch nicht ausgeschöpft. Das Landgericht hat insbesondere einen Zusammenhang zwischen<br />

dem vielfältigem Bemühen des Verurteilten, eine psychotherapeutische Behandlung zu erlangen, einschließlich seines<br />

hierbei hervorgetretenen Manipulationsverhaltens, <strong>und</strong> dem Inhalt der sichergestellten Briefe nicht erkennbar<br />

geprüft. Den erwiesenermaßen falschen <strong>und</strong> teilweise bis zur Lächerlichkeit übertriebenen Briefinhalt - etwa die<br />

Selbstbezichtigung, sämtliche unaufgeklärten Gewaltdelikte in Süddeutschland begangen zu haben - hat es allein<br />

dahin gewürdigt, aus dem Widerspruch zur guten Intelligenz des Verurteilten ergebe sich, dass ihm "eine Kontrolle<br />

über die ... narzisstische Wut nicht möglich" sei (UA S. 78). Nach den übrigen Feststellungen des Urteils drängt sich<br />

aber auf, dass es andere, wohl näher liegende Erklärungsmöglichkeiten dieses Widerspruchs gab. Das lag schon<br />

deshalb auf der Hand, weil es weder in der Vergangenheit im Verhalten des Verurteilten gegenüber anderen Personen<br />

zu "Kontrollverlusten" gekommen ist noch der Verurteilte die "Kontrolle" über seine schriftlichen Offenbarungen<br />

im März 2003 verlor. Selbst wenn er, wie die teilweise Vordatierung der Briefe vermuten lässt, jedenfalls zunächst<br />

beabsichtigte, die restlichen Schreiben erst kurz vor seiner zu erwartenden Haftentlassung Ende 2005 abzusenden,<br />

würde eine solche über Jahre hinweg geplante <strong>und</strong> ohne äußere Auffälligkeit im Vollzugsalltag umgesetzte<br />

Manipulation zur Erreichung eines - wie auch immer zu beurteilenden - Ziels eher das Gegenteil eines "Kontrollverlusts"<br />

belegen. Da der Verurteilte weder an einer Wahnerkrankung leidet noch gravierende Mängel der kognitiven<br />

Intelligenz aufweist, liegt es eher fern anzunehmen, er könne beim Schreiben der Briefe ernstlich vermutet oder<br />

angestrebt haben, dass die darin enthaltenen "Geständnisse", Selbstbeschreibungen oder Ankündigungen in dem<br />

Sinne ernst genommen würden, dass man sie als Wiedergabe wahrer Tatsachen ansehen könnte. Es musste daher<br />

jedenfalls auch die nahe liegende Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass der Verurteilte mit dem offenk<strong>und</strong>ig<br />

unzutreffenden Geständnis angeblicher monströser Untaten in der Vergangenheit sowie der erkennbar abwegigen<br />

Ankündigung eines "Blutbads" aus einem fiktiven zukünftigen Anlass, dessen Eintritt gänzlich fern liegt, seine Behauptung<br />

belegen wollte, er sei "geisteskrank", jedenfalls aber dringend therapiebedürftig. Auch wenn eine solche<br />

Selbstdarstellung sowie eine Flucht in die Rolle eines für sein Verhalten nicht verantwortlichen, zu "heilenden" Geisteskranken<br />

Ausdruck der bei dem Verurteilten festgestellten Persönlichkeitsstörung sein mögen, müssten entsprechende<br />

Feststellungen doch zu anderen Bewertungen bei der Frage des Hangs <strong>und</strong> der Prognose führen. Das angefochtene<br />

Urteil verhält sich hierzu nicht; es teilt auch nicht mit, ob die Sachverständigen dazu Stellung genommen<br />

haben.<br />

c) Nicht rechtsfehlerfrei sind auch die Darlegungen des Landgerichts zum Verhältnis von Fantasie <strong>und</strong> Realität in<br />

Persönlichkeit <strong>und</strong> Verhalten des Verurteilten. Hierbei wäre zunächst der wichtige Umstand zu berücksichtigen gewesen,<br />

dass sich weder in dessen Biographie bis zu den Anlasstaten noch bei deren Ausführung noch im Vollzug der<br />

Strafhaft Anhaltspunkte für eine "unkontrollierte" Neigung zur Gewalt oder dafür ergeben haben, dass der Verurteilte<br />

jemals Taten wie die in den Briefen geschilderten begangen oder ernstlich geplant haben könnte. Dass der Verurteilte<br />

sich seit dem Schreiben der Briefe weitere dreieinhalb Jahre in Haft befand <strong>und</strong> daher nicht im gleichen Maß<br />

Gelegenheit zur Begehung von Straftaten hatte, spricht im Hinblick auf die Besonderheiten des Falles nicht gegen<br />

die Indizwirkung des Umstands, dass es in dieser Zeit nicht zu Gewalttaten gekommen ist. Wenn es dem Verurteilten<br />

darum gegangen wäre, durch tatsächliche Ausführung von Gewalttaten seinen Charakter als hochgefährlicher, unkontrollierbarer<br />

Geisteskranker zu "beweisen", hätte es mehr als nahe gelegen, dies bereits während des Vollzugs der<br />

Haft zu tun. Da es in diesem Fall auf die Vermeidung eines Entdeckungsrisikos nicht angekommen wäre, hätte sich<br />

das Landgericht damit auseinander setzen müssen, wieso die angebliche, jedenfalls ab März 2003 "unkontrollierbare"<br />

Gewaltneigung des Verurteilten während mehrerer Jahre keinerlei äußeren Ausdruck gef<strong>und</strong>en hat. Fehlerhaft ist<br />

auch die Würdigung des Landgerichts, die Ernsthaftigkeit der Drohungen des Verurteilten ergebe sich schon daraus,<br />

dass er diese "über verschiedene Briefe hinweg immer wieder wiederholt" habe (UA S. 79). Das lässt außer Acht,<br />

dass diese Briefe alle an einem Nachmittag im März 2003 geschrieben worden sind <strong>und</strong> über weite Strecken textidentisch<br />

waren. Wenn der Verurteilte mehrere Zeitschriften <strong>und</strong> sonstige Stellen über seine angebliche Leidens- <strong>und</strong><br />

Tatgeschichte informieren wollte, blieb ihm, da ihm ein Kopiergerät in der Haft nicht zur Verfügung stand, nur der<br />

Weg des handschriftlichen Abschreibens. Ein Indiz für einen besonderen psychischen Tat-Druck ergibt sich hieraus<br />

250


gerade nicht. Rechtsfehlerhaft ist insoweit schließlich auch, dass das Landgericht einen unmittelbaren symptomatischen<br />

Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsstörung, Anlasstaten <strong>und</strong> den "Gewaltgedanken" als neue Tatsachen<br />

herstellt. Dies daraus abzuleiten, dass der Verurteilte die beiden Raubüberfälle in seinen Briefen erwähnte, <strong>und</strong> hieraus<br />

zu schließen, sie seien "Mosaiksteine auf seinem Weg zu seiner Entwicklung zum größten deutschen Gewaltverbrecher<br />

des Jahrh<strong>und</strong>erts" (UA S. 75), wird von den Feststellungen nicht getragen, denn zum einen lag den Anlasstaten<br />

ein gänzlich anderes Motiv - wirtschaftliche Schwierigkeiten nach Scheitern der Selbstständigkeit - zugr<strong>und</strong>e;<br />

zum anderen hat der Verurteilte bei diesen Taten die Ausübung von Gewalt gerade vermieden.<br />

d) Die Maßregel des § 66 b StGB ist nach inzwischen ständiger Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs eine auf<br />

Ausnahmefälle zu beschränkende Maßnahme (vgl. BGHSt 50, 121, 125; 50, 284, 296; 50, 373, 378). Sie dient nicht<br />

dazu, unklare Gefährdungslagen "vorsorglich" abzuwenden. Auch eine Umgehung der Grenzen des § 63 StGB auf<br />

dem Weg über die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung ist nicht zulässig. Eine "nachträgliche" Unterbringung<br />

in einem psychiatrischen Krankenhaus kennt das Gesetz nicht; dies darf nicht dadurch umgangen werden,<br />

dass die psychische Störung eines Verurteilten ohne Weiteres in einen Hang im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB<br />

umgedeutet wird (vgl. auch Senatsbeschluss vom 15. Februar 2006 - 2 StR 4/06, StV 2006, 413). Auch dies hat das<br />

Landgericht nicht zutreffend gesehen. Seine Anregung, "alsbald" nach Rechtskraft des Urteils den Verurteilten in<br />

den Vollzug der Maßregel nach § 63 StGB zu überweisen, deutet darauf hin, dass es in Wahrheit eher eine nachträgliche<br />

Unterbringung nach § 63 StGB anordnen wollte. Hierfür fehlt es an den gesetzlichen Voraussetzungen.<br />

4. Die Maßregelanordnung war daher aufzuheben. Der Senat schließt aus, dass in einer neuen Hauptverhandlung<br />

Feststellungen getroffen werden könnten, auf welche eine rechtsfehlerfreie Anordnung gemäß § 66 b StGB gestützt<br />

werden könnte. Daher war in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO der Antrag der Staatsanwaltschaft<br />

zurückzuweisen <strong>und</strong> der Verurteilte sofort auf freien Fuß zu setzen. Die Entscheidung über die Entschädigung des<br />

Verurteilten wegen der seit dem Ende der Strafhaft erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt wegen der größeren<br />

Sachnähe dem Landgericht vorbehalten.<br />

StGB § 66b dient nicht der Korrektur von Fehlern bei § 66 StGB<br />

BGH, Beschl. vom 29.08.2006 -1 StR 306/06 -<br />

Das Verfahren nach § 66b StGB dient nicht der Korrektur früherer Entscheidungen, in denen Tatsachen<br />

bei der Entscheidung über die Anordnung einer Maßregel nach § 66 StGB unberücksichtigt<br />

geblieben sind. Dies gilt erst recht, wenn eine Prüfung der Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung<br />

im Ausgangsverfahren rechtsfehlerhaft gänzlich unterblieben ist. Selbst wenn ein Verurteilter<br />

sich unter solchen Umständen am Ende der Straftat unverändert als hochgefährlich erweist, scheidet<br />

eine Abhilfe mit dem Institut der nachträglichen Sicherungsverwahrung aus zwingenden rechtlichen<br />

Gründen aus.<br />

1. Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des Landgerichts Amberg vom 24. März 2006 mit den Feststellungen<br />

aufgehoben.<br />

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere<br />

Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die nachträgliche Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gem. § 66b Abs.<br />

2 StGB angeordnet. Hiergegen wendet sich die Revision des Verurteilten, mit der er das Verfahren beanstandet <strong>und</strong><br />

die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.<br />

I. Dem Urteil des Landgerichts liegt Folgendes zugr<strong>und</strong>e:<br />

1. Der 51-jährige Verurteilte ist durch 14 Strafurteile, davon zwölf ausgesprochen durch Gerichte der ehemaligen<br />

DDR, überwiegend wegen Eigentums-, Körperverletzungs- <strong>und</strong> Sexualdelikten vorgeahndet. Er befindet sich seit<br />

dem Jahr 1974 fast durchgehend in Straf- <strong>und</strong> Untersuchungshaft, unterbrochen durch nur kurze Zeiträume zwischen<br />

Haftentlassung <strong>und</strong> der Inhaftierung wegen erneuter Straftaten. Einer Verurteilung durch das Kreisgericht Glauchau<br />

vom 4. April 1978 lag unter anderem zugr<strong>und</strong>e, dass der zweieinhalb Monate zuvor aus dem Strafvollzug entlassene<br />

Verurteilte sich Zugang zur Wohnung einer ihm unbekannten Frau verschaffte <strong>und</strong> diese bis zur Bewusstlosigkeit<br />

würgte. In einem weiteren, durch das Kreisgericht Glauchau am 7. Juni 1985 abgeurteilten Fall bedrohte der Verurteilte<br />

zwei Monate nach seiner letzten Haftentlassung die Angestellte eines Elektrogeschäftes mit einem Messer. Im<br />

Januar 1990, fünf Monate nach seiner letzten Entlassung aus Strafhaft, zwang der Verurteilte in seiner Wohnung eine<br />

251


Versicherungsvertreterin mit einem Messer, sich zu entkleiden <strong>und</strong> sexuelle Handlungen an ihm vorzunehmen. Er<br />

wurde wegen dieser Tat am 2. Juli 1990 vom Landgericht Amberg wegen sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe<br />

von zwei Jahren <strong>und</strong> neun Monaten verurteilt.<br />

2. Der Anlassverurteilung für das Verfahren zur nachträglichen Anordnung von Sicherungsverwahrung lag folgendes<br />

Geschehen zugr<strong>und</strong>e: Am 7. April 1993 - fünf Monate nach seiner letzten Entlassung aus Strafhaft - begab sich der<br />

Verurteilte in das Büro seiner Rechtsanwältin in S. <strong>und</strong> traf dort allein eine Kanzleiangestellte an. Der Verurteilte<br />

bedrohte die Angestellte mit einem mitgeführten Messer, fesselte sie mit Handschellen <strong>und</strong> führte den ungeschützten<br />

Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss mit ihr aus. Hiernach drückte er der am Boden liegenden Frau den Hals<br />

zu, bis sie das Bewusstsein verlor. Das Landgericht Amberg verhängte gegen den Verurteilten deshalb am 12. April<br />

1994 wegen Vergewaltigung <strong>und</strong> gefährlicher Körperverletzung eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren (Einzelfreiheitsstrafen:<br />

zehn <strong>und</strong> drei Jahre). In dem Verfahren ließ das Landgericht den Verurteilten zur Frage seiner<br />

Schuldfähigkeit durch eine psychiatrische Sachverständige begutachten. Die Sachverständige sah keine Hinweise auf<br />

eine Einschränkung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Verurteilten. Nach den Ausführungen in einem psychologischen<br />

Zusatzgutachten handelt es sich bei dem Verurteilten allerdings um eine dissoziale, haltschwache Persönlichkeit,<br />

die keine soziale Bindungsfähigkeit aufweise <strong>und</strong> Affekte nur mangelhaft steuern könne. Die Sachverständige<br />

kam weiterhin zu dem Ergebnis, "dass die der Straftat zugr<strong>und</strong>e- liegende Entwicklung (…) <strong>und</strong> die sich<br />

daraus ableitenden Probleme in der Lebensbewältigung auch nach einer Haftstrafe weiter bestehen werden (…). Es<br />

ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit gleichen Straftaten auch nach verbüßter Haftstrafe zu rechnen,<br />

insbesondere auch sexuellen Straftaten, falls keine entsprechenden psychotherapeutischen bzw. soziotherapeutischen<br />

Maßnahmen erfolgen." Die Anordnung der Sicherungsverwahrung hatte die Staatsanwaltschaft nicht beantragt.<br />

Die Urteilsgründe verhalten sich zu dieser Frage nicht. Gr<strong>und</strong> hierfür ist - wie das Landgericht nunmehr feststellt<br />

-, dass die gegen den Verurteilten in der ehemaligen DDR verhängten Vorstrafen, die bei Anwendung von § 66<br />

Abs. 1 StGB aF heranzuziehen gewesen wären, seitens der Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> des Landgerichts als ungerechtfertigt<br />

hoch eingeschätzt wurden.<br />

3. Der Verurteilte verbüßte die verhängte Freiheitsstrafe vollständig. Er bemühte sich erfolglos um die Verlegung in<br />

eine Justizvollzugsanstalt mit einer sozialtherapeutischen Abteilung für Sexualtäter, um sich einer entsprechenden<br />

Therapie zu unterziehen. Seine Gesuche an verschiedene Justizvollzugsanstalten wurden zunächst mit der Begründung<br />

abgelehnt, dass eine Sozialtherapie wegen der langen Strafzeit verfrüht, später damit, dass es für sie wegen des<br />

nahen Strafendes zu spät sei. Während des laufenden Strafvollzuges nahm der Verurteilte an Gruppentherapien für<br />

Sexualstraftäter teil; zu einer hinreichenden Auseinandersetzung mit seiner Persönlichkeit <strong>und</strong> seinen Delikten kam<br />

es dabei nach Einschätzung der behandelnden Psychologen allerdings nicht. Im Vollzugsalltag ist der Verurteilte<br />

wegen Disziplinarverstößen in insgesamt neun Fällen geahndet worden. Wegen aggressiven Verhaltens ist er während<br />

des gesamten Strafvollzuges nicht aufgefallen.<br />

4. Das Landgericht geht vom Vorliegen der Voraussetzungen für die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach §<br />

66b Abs. 2 StGB aus. Es hat zwei psychiatrische Gutachten eingeholt, die beide zu dem Ergebnis kommen, dass bei<br />

dem Verurteilten eine Minderbegabung in Verbindung mit einer verfestigten dissozialen Persönlichkeitsstörung<br />

vorliege <strong>und</strong> von ihm unverändert weitere Straftaten zu erwarten seien. Umstände seit der Anlassverurteilung, die zu<br />

einer weiteren Verschlechterung der Prognose oder dazu geführt hätten, dass die Gefährlichkeit des Verurteilten in<br />

einem neuen Licht erschiene, vermochten die Sachverständigen nicht zu erkennen. Als "neue Tatsachen" im Sinne<br />

des § 66b StGB hat das Landgericht gewertet, - dass der Verurteilte während des Strafvollzuges 1,3 Gramm Haschisch<br />

an einen anderen Strafgefangenen übergeben hat;<br />

- dass er seine Verlobte nur darüber informiert hat, dass er wegen Vergewaltigung verurteilt wurde, er sie über seine<br />

sonstige kriminelle Vergangenheit, insbesondere die gegen Frauen gerichteten früheren Gewalttaten dagegen nicht<br />

aufgeklärt hat;<br />

- dass es während des Strafvollzuges zu einvernehmlichen homo-sexuellen Kontakten zu einem Mithäftling gekommen<br />

ist; das Landgericht schließt hieraus, dass die Beziehungsfähigkeit des Verurteilten zu Frauen über sein bekanntes<br />

Persönlichkeitsbild hinaus gestört sei.<br />

II. Das angefochtene Urteil hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat die formellen<br />

Eingangsvoraussetzungen des § 66b Abs. 2 StGB zwar zu Recht bejaht. Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung<br />

kann jedoch keinen Bestand haben, weil den vom Landgericht herangezogenen Umständen nicht<br />

die Qualität "neuer Tatsachen" im Sinne des § 66b StGB zukommt.<br />

1. Wie der B<strong>und</strong>esgerichtshof wiederholt betont hat, kommt der Vorschrift des § 66b StGB nur ein eng umgrenzter<br />

Anwendungsbereich zu (BGHSt 50, 121, 125; BGH NJW 2006, 1442, 1443 f. m.w.N.). Nach dem Willen des Gesetzgebers<br />

soll die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung besonderen Ausnahmefällen vorbehalten<br />

<strong>und</strong> auf wenige extrem gefährliche Verurteilte beschränkt bleiben (BTDrucks. 15/2887, S. 10, 12 f.). Auch von Ver-<br />

252


fassungs wegen ist die Verhängung der Maßregel in Anbetracht der Schwere des damit verb<strong>und</strong>enen Eingriffs äußerst<br />

restriktiv zu handhaben (BVerfGE 109, 190, 236, 242; BVerfG, Kammer, Beschluss vom 23. August 2006 - 2<br />

BvR 226/06). Hiernach bestimmen sich zugleich die Anforderungen, die an die von § 66b StGB vorausgesetzte Tatsachengr<strong>und</strong>lage<br />

zu stellen sind.<br />

2. "Neue" Tatsachen der von § 66b Abs. 1 StGB umschriebenen Art sind zunächst nur solche, die nach der letzten<br />

Verhandlung in der Tatsacheninstanz <strong>und</strong> vor Ende des Vollzuges der verhängten Freiheitsstrafe bekannt oder erkennbar<br />

geworden sind, <strong>und</strong> die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen.<br />

Umstände, die dem ersten Tatrichter bekannt waren oder die er hätte erkennen können <strong>und</strong> erforderlichenfalls aufklären<br />

müssen, scheiden als "neue" Tatsachen aus (BGHSt 50, 121, 125 f.; 180, 187; 275, 278; BGH NJW 2006, 1442,<br />

1444; zuletzt BGH, Urteil vom 11. Juli 2006 - 5 StR 125/06).<br />

a) Danach reicht es nicht aus, wenn bereits im Ausgangsverfahren bekannte oder erkennbare Tatsachen im Verfahren<br />

nach § 66b StGB lediglich eine Neu- oder Umbewertung erfahren (BGHSt 50, 275, 279; BGH NStZ 2006, 276, 278;<br />

NJW 2006, 1442, 1445; BGH, Beschluss vom 24. März 2006 - 1 StR 27/06). Ebenso wenig können Tatsachen, die<br />

zwar nach der Anlassverurteilung auftreten, durch die sich ein im Ausgangsverfahren bekannter Zustand aber lediglich<br />

bestätigt, als "neu" im Sinne des § 66b StGB gelten (BGHSt 50, 275, 279; BGH, Urteil vom 11. Juli 2006 - 5<br />

StR 125/06). Dies gilt insbesondere für persönlichkeits- oder krankheitsbedingte Auffälligkeiten bei dem Verurteilten,<br />

die sich in seinem Verhalten nach der Anlassverurteilung lediglich fortsetzen. "Neu" <strong>und</strong> damit prognoserelevant<br />

im Rahmen von § 66b StGB wären derartige Tatsachen nur dann, wenn sie belegen, dass sich eine bekannte Störung<br />

des Verurteilten in nicht vorhersehbarer Weise vertieft oder verändert hat, <strong>und</strong> sie seine Gefährlichkeit daher in einem<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich anderen Licht erscheinen lassen (vgl. BVerfG, Kammer, Beschluss vom 23. August 2006 - 2 BvR<br />

226/06). Um einen solchen Fall nur fortgesetzter Auffälligkeiten auf Gr<strong>und</strong>lage eines bekannten Störungsbildes<br />

handelt es sich hier. Dem früheren Tatrichter war bekannt, dass die Persönlichkeit des Verurteilten von ausgeprägten<br />

dissozialen Zügen gekennzeichnet war. Nach Einschätzung der im jetzigen Verfahren gehörten Sachverständigen,<br />

der sich das Landgericht angeschlossen hat, ist das Verhalten des Verurteilten im Vollzug nur Ausdruck dieser Persönlichkeitsdefizite.<br />

Danach steht die Beteiligung an einem Rauschgiftgeschäft innerhalb der Justizvollzugsanstalt<br />

mit der Dissozialität des Verurteilten im Einklang; auch die fehlende Offenheit gegenüber seiner Verlobten <strong>und</strong> die<br />

homosexuellen Kontakte im Vollzug belegen allenfalls eine mangelnde Beziehungsfähigkeit des Verurteilten als<br />

typisches Symptom seiner dissozialen Persönlichkeitsstörung. Dass der bereits im Ursprungsverfahren bekannte<br />

Zustand des Verurteilten <strong>und</strong> sein darauf beruhendes Gefährlichkeitspotential aufgr<strong>und</strong> seines Vollzugsverhaltens<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich neu einzuschätzen ist, hat das Landgericht nicht dargetan. Eine solche Bewertung stünde auch im Widerspruch<br />

zu der Einschätzung der Sachverständigen, wonach das Verhalten des Verurteilten zu keiner weiteren<br />

Verschlechterung der Prognose geführt oder seine Gefährlichkeit auch nur entscheidend neu belegt hätte.<br />

b) Das Landgericht bewertet unter Berufung auf eine in der Literatur vertretene Auffassung (Veh NStZ 2005, 310)<br />

die angeführten Tatsachen auch deshalb als "neu" im Sinne des § 66b StGB, weil sie für den ursprünglichen Tatrichter<br />

nicht "rechtlich erkennbar" gewesen seien; denn dieser sei in einen die Frage der Sicherungsverwahrung betreffenden<br />

Erkenntnisprozess überhaupt nicht eingetreten <strong>und</strong> habe für den Verurteilten daher auch keinen schützenswerten<br />

Vertrauenstatbestand geschaffen. Der Senat vermag dem nicht zu folgen. Ob Sicherungsverwahrung bei Aburteilung<br />

der Anlasstat bereits obligatorisch nach § 66 Abs. 1 StGB aF hätte verhängt werden müssen oder Anhaltspunkte<br />

bestanden, dass die Strafverurteilungen aus der ehemaligen DDR als unangemessen hart anzusehen waren<br />

<strong>und</strong> daher nicht hätten berücksichtigt werden können (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Vorverurteilungen 10), kann auf<br />

sich beruhen. Jedenfalls lagen - wie auch das Landgericht nicht verkennt - bei der Anlassverurteilung die formellen<br />

Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung gem. § 66 Abs. 2 StGB aF vor. Angesichts der Vorstrafen des Verurteilten<br />

<strong>und</strong> der Ausführungen der damaligen Sachverständigen hätte die Anordnung der Maßregel auch nahe gelegen.<br />

Das Verfahren nach § 66b StGB dient jedoch nicht der Korrektur früherer Entscheidungen, in denen Tatsachen bei<br />

der Entscheidung über die Anordnung einer Maßregel nach § 66 StGB unberücksichtigt geblieben sind (BGHSt 50,<br />

121, 126; 180, 188). Dies gilt erst recht, wenn eine Prüfung der Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung im<br />

Ausgangsverfahren rechtsfehlerhaft gänzlich unterblieben ist. Selbst wenn ein Verurteilter sich unter solchen Umständen<br />

am Ende der Strafhaft unverändert als hochgefährlich erweist, scheidet eine Abhilfe mit dem Institut der<br />

nachträglichen Sicherungsverwahrung aus zwingenden rechtlichen Gründen aus.<br />

3. Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung setzt nach dem Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismäßigkeit weiterhin<br />

voraus, dass die nachträglich erkennbaren Tatsachen jenseits einer gewissen Erheblichkeitsschwelle liegen<br />

(vgl. BTDrucks. 15/2887, S. 10, 12). Ungeachtet der notwendigen Gesamtwürdigung müssen sie bereits für sich<br />

Gewicht haben <strong>und</strong> auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten schließen lassen (BGHSt 50, 284, 296 f.<br />

m.w.N.). Vorfälle im Vollzug können die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung daher nur rechtfertigen,<br />

wenn sie auf eine Bereitschaft des Verurteilten hinweisen, schwere Straftaten gegen das Leben, die körperliche<br />

253


Unversehrtheit, die Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung anderer zu begehen. Verhaltensweisen, die sich auf<br />

die Vollzugssituation zurückführen lassen <strong>und</strong> sich für Strafgefangene als typisch oder doch weit verbreitet darstellen,<br />

fallen nicht darunter (BVerfG, Kammer, Beschluss vom 23. August 2006 - 2 BvR 226/06; BGHSt 50, 284, 297;<br />

BGH NJW 1446, 1447 f.). Auch dieser Anforderung werden die von dem Landgericht herangezogenen Umstände<br />

nicht gerecht. Sie sind nicht derart bedeutsam, dass ihnen eine tragfähige Indizwirkung für die Gefährlichkeit des<br />

Verurteilten zukommt. Die Weitergabe einer geringen Menge Haschisch stellt eine Straftat im unteren Bereich dar,<br />

aus der sich eine Gewaltbereitschaft des Verurteilten ebenso wenig ablesen lässt wie aus der vom Landgericht vermissten<br />

Offenlegung seines gesamten kriminellen Lebenslaufes gegenüber seiner Verlobten, zumal diese Kenntnis<br />

von den Anlasstaten hatte. Die einvernehmlichen homosexuellen Handlungen lassen für sich genommen gleichfalls<br />

keinen Rückschluss auf aggressive Tendenzen des Verurteilten zu. Auch in ihrer Zusammenschau gewinnen die<br />

einzelnen Umstände keine erhebliche Bedeutung. Das Vollzugsverhalten des Verurteilten fällt insgesamt nicht aus<br />

dem für Langzeitstrafgefangene typischen Rahmen, wie das Landgericht im Anschluss an die Ausführungen der<br />

Sachverständigen selbst feststellt.<br />

III. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden. Er vermag nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen, dass<br />

sich in einer erneuten Hauptverhandlung Gesichtspunkte ergeben, die die Annahme hinreichender neuer Tatsachen<br />

im Sinne des § 66b StGB <strong>und</strong> eine darauf gestützte Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung<br />

rechtfertigen können. Der nunmehr zur Entscheidung berufene Richter wird alsbald darüber zu befinden haben, ob<br />

die Fortdauer der vorläufigen Unterbringung des Verurteilten aus dringenden Gründen weiterhin gerechtfertigt ist (§<br />

275a Abs. 5, § 126a Abs. 3 StPO). Sollte eine Aufhebung des Unterbringungsbefehles - auch im Falle der Ablehnung<br />

des staatsanwaltschaftlichen Antrages auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung - in Betracht kommen,<br />

werden organisatorische Maßnahmen angezeigt sein, die bei Entlassung des Verurteilten greifen <strong>und</strong> geeignet<br />

sind, das Rückfallrisiko zu mindern (vgl. näher BGH NJW 2006, 1442, 1445 f.). Im Einzelfall können solche Maßnahmen<br />

nach dem verfassungsrechtlichen Gr<strong>und</strong>satz der Verhältnismäßigkeit auch als milderes Mittel an die Stelle<br />

der nachträglichen Anordnung von Sicherungsverwahrung treten (BVerfG, Kammer, Beschluss vom 23. August<br />

2006 - 2 BvR 26/06). Neben der Entlassenenhilfe (§§ 74 f., 126 StVollzG) bietet sich insbesondere eine engmaschige<br />

Leitung des Verurteilten durch Ausschöpfung der Möglichkeiten der hier gem. § 68f Abs. 1 StGB kraft Gesetzes<br />

eintretenden Führungsaufsicht an (§§ 68 ff. StGB). Hierdurch wird zu vermeiden sein, dass der noch immer als<br />

hochgefährlich eingeschätzte Verurteilte nach langjähriger Haft ohne Unterkunft, soziale Anbindung - das Verlöbnis<br />

ist zwischenzeitlich aufgelöst - <strong>und</strong> weitere therapeutische Unterstützung unvermittelt in Freiheit entlassen wird <strong>und</strong><br />

sich dort selbst überlassen bleibt.<br />

StGB § 66b Psychische Erkrankung im Strafvollzug<br />

BGH, Beschl. vom 09.01.2007 – 1 StR 605/06 - NJW 2007, 1074 ff.<br />

LS: Eine im Strafvollzug aufgetretene psychische Erkrankung des Verurteilten kann für sich genommen<br />

die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b StGB regelmäßig<br />

nicht begründen. Maßgebliches Kriterium ist, dass sich die Erkrankung während der Strafhaft in<br />

einer für die Gefährlichkeitsprognose relevanten Weise im Verhalten des Verurteilten ausgedrückt<br />

hat.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 9. Januar 2007 beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des Landgerichts Passau vom 9. Oktober 2006 mit den Feststellungen<br />

aufgehoben.<br />

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere<br />

Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die nachträgliche Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gem. § 66b Abs.<br />

2 StGB angeordnet. Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten<br />

Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.<br />

I. Dem Urteil des Landgerichts liegt Folgendes zugr<strong>und</strong>e:<br />

1. Gegen den Verurteilten wurde vom Landgericht Passau am 9. Oktober 1997 wegen versuchten Mordes in Tateinheit<br />

mit räuberischem Angriff auf einen Kraftfahrer <strong>und</strong> mit versuchtem schwerem Raub eine Freiheitsstrafe von<br />

sieben Jahren verhängt (Anlassverurteilung). Der Verurteilte <strong>und</strong> dessen mitverurteilter Bruder hatten versucht, einen<br />

254


Taxifahrer während der Fahrt mit mitgeführten Tapezier- <strong>und</strong> Küchenmessern zu erstechen, um in den Besitz seiner<br />

Einnahmen zu gelangen <strong>und</strong> die Kosten für die Fahrt zu sparen. Dem Tatopfer gelang mit erheblichen Verletzungen<br />

die Flucht. Der Verurteilte war wegen Delikten aus dem Bereich der mittleren Kriminalität, darunter Körperverletzungen,<br />

bereits mehrfach vorgeahndet. Nach den Feststellungen des sachverständig beratenen Ausgangsgerichts liegt<br />

bei ihm eine schwere Persönlichkeitsstörung vor, die mit erheblicher Impulsivität <strong>und</strong> mit auto- <strong>und</strong> fremdaggressivem<br />

Verhalten einhergeht. Wegen dieser Persönlichkeitsstruktur <strong>und</strong> einer aktuellen Alkoholintoxikation ist das<br />

Ausgangsgericht von einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit des Verurteilten im Tatzeitpunkt ausgegangen.<br />

Von einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat es abgesehen, „weil der Angeklagte jede<br />

Therapie ablehnt, insbesondere auch eine Therapie nach der Strafe <strong>und</strong> er deswegen nach den Ausführungen des<br />

Sachverständigen nicht therapiefähig ist, eine Unterbringung von Vornherein also aussichtslos wäre.“<br />

2. Der Verurteilte verbüßte die verhängte Freiheitsstrafe vollständig. Wie die nunmehr befasste Strafkammer feststellt,<br />

erkrankte er im Verlaufe des Strafvollzuges an einer paranoiden Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie.<br />

Die Krankheit äußert sich in Denkstörungen <strong>und</strong> paranoiden Wahn-vorstellungen. Der Verurteilte zeigt<br />

weder Krankheitseinsicht noch Behandlungsbereitschaft; eine Medikation muss daher im Rahmen einer Betreuung<br />

zwangsweise durchgeführt werden. Darüber hinausgehende Feststellungen zu den Auswirkungen der Erkrankung,<br />

insbesondere zu den bei dem Verurteilten konkret aufgetretenen Krankheitssymptomen <strong>und</strong> deren Einfluss auf sein<br />

Vollzugsverhalten trifft das Landgericht nicht.<br />

3. Das Landgericht hat die Voraussetzungen für die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66b<br />

Abs. 2 StGB bejaht. Als neue Tatsache im Sinne von § 66b Abs. 1 StGB hat es die psychiatrische Erkrankung des<br />

Verurteilten gewertet. Im Anschluss an die eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachten führt es aus, dass<br />

der Verurteilte ohne die von ihm abgelehnte medikamentöse Behandlung einem wahnhaftem Beeinträchtigungs- <strong>und</strong><br />

Beeinflussungserleben unterliegen werde. Seine bereits persönlichkeitsbedingt angelegte Neigung zu Aggressivität<br />

<strong>und</strong> Impulsivität, auf die sich die Anlasstat gegründet habe, werde hierdurch deutlich erhöht. Das Landgericht sieht<br />

aus diesem Gr<strong>und</strong>e auch einen prognoserelevanten symptomatischen Zusammenhang mit der Anlassverurteilung.<br />

Als neue Tatsache wertet das Landgericht auch die Therapieunwilligkeit des Verurteilten, misst ihr allerdings keine<br />

eigene entscheidungserhebliche Bedeutung bei. Das Vollzugsverhalten des Verurteilten, auf das der im vorbereitenden<br />

Antragsverfahren von der Staatsanwaltschaft beauftragte Sachverständige noch seine Gefährlichkeitsprognose<br />

gestützt hatte (UA S. 12), hält es für insgesamt „nicht relevant“. Nach Auffassung des Landgerichts bedurften daher<br />

Umstände wie „beispielsweise das Auffinden der beiden selbstgefertigten Schneidewerkzeuge in der Zelle des Betroffenen“<br />

oder die Frage, „ob der Betroffene tatsächlich einem Mitgefangenen gegenüber geäußert hatte, er werde/wolle<br />

mit den selbstgefertigten Schneidwerkzeugen Anstaltspersonal aufschlitzen“ (UA S. 19), keiner näheren<br />

Aufklärung <strong>und</strong> Feststellung.<br />

II. Das angefochtene Urteil hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat die formellen<br />

Eingangsvoraussetzungen des § 66b Abs. 2 StGB zwar zu Recht bejaht. Auch ist der vom Landgericht herangezogene<br />

Umstand der psychiatrischen Erkrankung des Verurteilten „neu“ im Sinne des § 66b StGB. Die nachträgliche<br />

Anordnung der Sicherungsverwahrung kann gleichwohl keinen Bestand haben, weil der festgestellte Zustand des<br />

Verurteilten für sich genommen keine hinreichende Tatsachengr<strong>und</strong>lage bietet, um hieraus eine den Anforderungen<br />

von § 66b StGB genügende qualifizierte Gefährlichkeit des Verurteilten abzuleiten.<br />

1. Nicht zu beanstanden ist die Bewertung des Landgerichts, dass es sich bei der im Verlaufe des Strafvollzugs hervorgetretenen<br />

Erkrankung des Verurteilten um eine „neue“, im Verfahren zur nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich berücksichtigungsfähige Tatsache handelt.<br />

a) Neue Tatsachen im Sinne des § 66b Abs. 1 StGB sind nur solche, die nach der letzten Verhandlung in der Tatsacheninstanz<br />

<strong>und</strong> vor Ende des Vollzuges der verhängten Freiheitsstrafe bekannt oder erkennbar geworden sind.<br />

Demgegenüber können Umstände, die dem ersten Tatrichter bekannt waren oder die er bei pflichtgemäßer Sorgfalt<br />

hätte erkennen <strong>und</strong> erforderlichenfalls näher aufklären müssen, im Verfahren nach § 66b StGB keine Berücksichtigung<br />

finden (BGHSt 50, 180, 187; 373, 378 f.). Im Falle psychischer Auffälligkeiten des Verurteilten kommt es<br />

nicht darauf an, wann diese Auffälligkeiten erstmals zur Diagnose einer psychischen Störung oder psychiatrischen<br />

Krankheit geführt haben; maßgeblich ist vielmehr, ob die der psychologischen oder medizinischen Bewertung<br />

zugr<strong>und</strong>e liegenden Anknüpfungstatsachen im Zeitpunkt der Aburteilung bereits vorlagen <strong>und</strong> bekannt oder zumindest<br />

erkennbar waren (vgl. BGHSt 50, 275, 278 f.; 373, 379, 383; BGH NStZ-RR 2006, 302). Eine erstmalige oder<br />

neue Bewertung derartiger Tatsachen stellt selbst keine neue Tatsache im Sinne des § 66b Abs. 1 StGB dar (BGH,<br />

Beschluss vom 24. März 2006 - 1 StR 27/06). Um den Fall einer solch nachträglichen Diagnose auf der Gr<strong>und</strong>lage<br />

bereits früher bekannter oder erkennbarer Tatsachen handelt es sich hier nicht. Zwar sind bereits im Ausgangsverfahren<br />

bei dem Verurteilten Verhaltensweisen <strong>und</strong> Auffälligkeiten festgestellt worden, die der hinzugezogene Sachverständige<br />

als Persönlichkeitsstörung in der Ausprägung einer dissozialen Entwicklung mit emotionaler Instabilität<br />

255


ewertet hatte. Die Urteilsgründe belegen jedoch hinreichend, dass es sich bei diesen Symptomen um andere handelt<br />

als jene, auf die sich die jetzige Diagnose einer paranoiden Schizophrenie gründet. Soweit der nunmehr angehörte<br />

Sachverständige es für möglich hält, dass der aktuellen Erkrankung ein unspezifisches Vorstadium vorangegangen<br />

ist, das bereits vor der Anlassverurteilung aufgetreten sein könnte, war dies für den damaligen Tatrichter jedenfalls<br />

nicht erkennbar. Wie das Landgericht feststellt, hatte der im damaligen Verfahren gehörte Sachverständige keine<br />

Anhaltspunkte für das Vorliegen einer schizophrenen Erkrankung oder eines möglichen Vorstadiums wahrgenommen.<br />

Dass der Sachverständige einen entsprechenden Bef<strong>und</strong> hätte gewinnen können, ist nicht ersichtlich. Vor diesem<br />

Hintergr<strong>und</strong> bestand auch für den damaligen Tatrichter kein Anhaltspunkt für einen über die diagnostizierte<br />

Störung hinausgehenden psychischen Defekt <strong>und</strong> daher auch kein Anlass, Aufklärungsbemühungen in diese Richtung<br />

zu entfalten.<br />

b) Keinen Bedenken begegnet auch, dass das Landgericht die fehlende Krankheitseinsicht <strong>und</strong> die Therapieunwilligkeit<br />

des Verurteilten als „neu“ bewertet. Der Verurteilte hatte zwar bereits vor der Ausgangsverurteilung keine Therapiebereitschaft<br />

gezeigt. Sofern sich seine jetzige Verweigerung nur als Fortsetzung dieses Verhaltens darstellt,<br />

wäre sie kein Umstand, auf den die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gestützt werden könnte<br />

(vgl. BGHSt 50, 121, 130; 275, 280 f.). So liegt es hier jedoch nicht. Das Landgericht hat nicht die bekannte Therapieverweigerung<br />

des Verurteilten im Hinblick auf dessen Persönlichkeitsstörung herangezogen, sondern allein die<br />

Uneinsichtigkeit, die sich auf das Vorliegen <strong>und</strong> die Behandlungsbedürftigkeit seiner neu hervorgetretenen Erkrankung<br />

bezieht. Nach den Feststellungen stellt sich diese Haltung als spezifischer Ausdruck der - sich auch im Übrigen<br />

in einer umfassenden Wirklichkeitsverkennung manifestierenden – paranoiden Schizophrenie dar. Das Landgericht<br />

durfte sie daher neben anderen Symptomen der Krankheit berücksichtigen <strong>und</strong> bei Bewertung der von dem Verurteilten<br />

ausgehenden Gefahr auf seinen unbehandelten Zustand abstellen. Ob die fehlende Krankheitseinsicht trotz ihrer<br />

offensichtlichen Verknüpfung mit der psychiatrischen Erkrankung des Verurteilten darüber hinaus – wie das Landgericht<br />

annimmt - Geltung als eigenständige neue Tatsache im Sinne des § 66b StGB beanspruchen kann, kann offen<br />

bleiben, da das Landgericht dieser Einordnung ausdrücklich keine entscheidungserhebliche Bedeutung beigemessen<br />

hat.<br />

2. Allerdings ist hier die Feststellung der schizophrenen Erkrankung des Verurteilten für sich nicht hinreichend, um<br />

die Anordnung der Maßregel der Sicherungsverwahrung zu tragen. Das Landgericht hätte über die Diagnose der<br />

Krankheit <strong>und</strong> die abstrakte Beschreibung der durch sie bewirkten Veränderungen in der Person des Verurteilten<br />

hinaus konkret feststellen müssen, auf welche Weise die Erkrankung sich auf das Verhalten des Verurteilten ausgewirkt<br />

hat. Es hätte belegen müssen, dass derartige Entäußerungen der Krankheit eine Gefahr für die Allgemeinheit<br />

im Sinne des § 66b StGB indizieren <strong>und</strong> in einen symptomatischen Zusammenhang mit der Anlasstat gebracht werden<br />

können.<br />

a) Das Landgericht geht von dem zutreffenden rechtlichen Ansatz aus, dass auch innere Tatsachen wie Veränderungen<br />

in der Persönlichkeit <strong>und</strong> Psyche des Verurteilten neue Tatsachen im Sinne des § 66b StGB sein können (BGH,<br />

Beschluss vom 1. Dezember 2006 - 2 StR 475/06). Dies gilt auch für psychiatrische Bef<strong>und</strong>tatsachen (BGHSt 50,<br />

275, 279 f.; BGH, Beschluss vom 24. März 2006 - 1 StR 27/06; Beschluss vom 15. Februar 2006 - 2 StR 4/06). Wie<br />

alle sonstigen „nova“ müssen auch solche Umstände eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überschreiten <strong>und</strong> in einem<br />

prognoserelevanten symptomatischen Zusammenhang mit der Anlassverurteilung stehen (BGH NStZ 2006, 276,<br />

278; Beschluss vom 24. März 2006 - 1 StR 27/06). Diesen Anforderungen hat das Landgericht Rechnung getragen,<br />

indem es die Erkrankung des Verurteilten im Anschluss an die Ausführungen der angehörten Sachverständigen dahingehend<br />

charakterisiert hat, dass sie die bereits durch die Persönlichkeitsstörung reduzierte Impulskontrolle des<br />

Verurteilten weiter verringern <strong>und</strong> damit zu einer Erhöhung der Gefahr impulshafter Aggressionshandlungen, die<br />

sich bereits in der Anlasstat realisiert hat, führen wird. Hiergegen ist nichts zu erinnern.<br />

b) Im Falle einer psychischen Erkrankung des Verurteilten ist allerdings darüber hinaus zu verlangen, dass sich die<br />

Krankheit während der Strafhaft nach außen manifestiert <strong>und</strong> in einer prognoserelevanten Weise ausgedrückt hat<br />

(BGH, Urteil vom 23. März 2006 - 1 StR 476/05; Beschluss vom 24. März 2006 - 1 StR 27/06). Nur so ist gewährleistet,<br />

dass sich die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung auf eine hinreichende Tatsachengr<strong>und</strong>lage<br />

stützt <strong>und</strong> damit ihren vom Gesetzgeber zugedachten (BTDrucks. 15/2887, S. 10, 12f.) <strong>und</strong> von Verfassungs wegen<br />

gebotenen (vgl. BVerfGE 109, 190, 236, 242; BVerfG - Kammer - NJW 2006, 3483, 3484) Charakter einer auf seltene<br />

Ausnahmefälle beschränkten Maßnahme bewahrt.<br />

aa) Die zeitlich unbefristete Unterbringung in der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach voller Verbüßung der<br />

verhängten Schuldstrafe bildet eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Im Hinblick auf den erheblichen<br />

Eingriff in das Freiheitsgr<strong>und</strong>recht des Verurteilten ist ihre Anordnung nur dann verhältnismäßig, wenn die Gefahrenprognose<br />

auf einer umfassenden Gesamtwürdigung beruht, die sich an die Feststellung der neuen erheblichen<br />

Tatsachen anschließt, <strong>und</strong> in die sämtliche weitere prognoserelevante Umstände einfließen (BGHSt 50, 121, 125;<br />

256


275, 277 f.). Bereits die Gesetzesmaterialien betonen, dass monokausale Erklärungsmuster bei der Beurteilung der<br />

Gefährlichkeit des Verurteilten fehl am Platze sind, die Qualität der Prognose vielmehr entscheidend von der Breite<br />

der Prognosegr<strong>und</strong>lage abhängt (BT Drucks. 15/2887 S.12 f.; vgl. auch BVerfG - Kammer - NJW 2006, 3483,<br />

3485). Hierzu stünde in Widerspruch, wenn psychologisch oder medizinisch begründeten inneren Tatsachen bereits<br />

eine ausreichende Indizwirkung für die Gefährlichkeit des Verurteilten zukäme. Eine solche Betrachtungsweise<br />

verengt den Blick, der im Rahmen des § 66b StGB auf alle den Verurteilten betreffenden kriminogenen Faktoren<br />

gerichtet sein muss, in unzulässiger Weise auf den Innenbereich des Verurteilten. So kann eine dort festgestellte<br />

psychiatrische Erkrankung zwar abstrakt geeignet sein, eine von dem Verurteilten ausgehende Gefahr zu begründen<br />

oder eine an sich bereits gegebene Gefährlichkeit zu erhöhen. In Ermangelung nach außen getretener Hinweise würde<br />

sich eine derartige Gefährlichkeitsprognose aber allein auf medizinische Erfahrungswerte <strong>und</strong> statistische Wahrscheinlichkeiten<br />

stützen. Dies wäre angesichts der Schwere des Eingriffes in die Freiheitsrechte des Verurteilten<br />

nicht ausreichend (BGHSt 50, 121, 130 f.; vgl. zu § 66 StGB BGH, Urteil vom 10. Januar 2007 – 1 StR 530/06). Erst<br />

konkrete Auswirkungen der Krankheit verbreitern daher die Entscheidungsgr<strong>und</strong>lage in der von § 66b StGB geforderten<br />

Weise <strong>und</strong> verleihen der Erkrankung ein die Gefährlichkeitsprognose tragendes Gewicht. Solche Auswirkungen<br />

werden regelmäßig im Vollzugsverhalten des Verurteilten zu suchen sein. Sie müssen nicht bereits für sich genommen<br />

geeignet sein, die Anordnung der Maßregel zu tragen; sie dürfen sich andererseits aber auch nicht in prognoseneutralen<br />

Symptomen der psychiatrischen Krankheit erschöpfen, sondern müssen einen Rückschluss auf die<br />

krankheitsbedingt erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten zulassen. So wird im Falle eines psychotisch erkrankten<br />

Verurteilten selbst Auffälligkeiten, die eine hochgradige Wirklichkeitsverkennung belegen (z.B. Wahnerleben durch<br />

Stimmenhören), keine prognostische Bedeutung beizumessen sein, solange sie ohne bedrohlichen Charakter bleiben.<br />

Anders verhält es sich, wenn etwa aus wahnhaften Äußerungen die Bereitschaft erkennbar wird, nach Entlassung aus<br />

dem Strafvollzug erhebliche Straftaten zu begehen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. März 2006 - 1 StR 27/06), oder<br />

wenn die Krankheit sich bereits im Vollzug in einem aggressiven Verhalten ausgedrückt hat, das nicht allein auf die<br />

Besonderheiten der Vollzugssituation zurückzuführen ist, sondern konkrete Rückschlüsse auf das Verhalten im Fall<br />

der Entlassung zulässt (vgl. hierzu BVerfG - Kammer - NJW 2006, 3483, 3484; BGHSt 50, 284, 297; BGH, Beschluss<br />

vom 29. August 2006 - 1 StR 306/06).<br />

bb) Die Rechtsnatur der nachträglichen Sicherungsverwahrung als eine zum Strafrecht gehörende Maßnahme (Art.<br />

74 Abs. 1 Nr. 1 GG) verlangt, dass ihre Anordnung an eine Straftat anknüpft <strong>und</strong> ihre sachliche Rechtfertigung aus<br />

ihr beziehen kann (BVerfGE 109, 190; BGHSt 50, 275, 278 f.). Der B<strong>und</strong>esgerichtshof hat dieses Erfordernis in<br />

inzwischen ständiger Rechtsprechung (BGH a.a.O.; NStZ 2006, 276) dahingehend konkretisiert, dass sich in den<br />

neuen Tatsachen die bei der Anlasstat hervorgetretene spezifische Gefährlichkeit des Verurteilten widerspiegeln<br />

muss, die „nova“ mithin in einem prognoserelevanten symptomatischen Zusammenhang mit der Anlassverurteilung<br />

stehen müssen. Auch aus diesem Gr<strong>und</strong>satz folgt für die Fallgruppe psychisch erkrankter Verurteilter, dass die<br />

Krankheit ihren Ausdruck in Auffälligkeiten gef<strong>und</strong>en haben muss, die sich als Fortsetzung oder Verstärkung der<br />

Gefahrenlage bei der Anlasstat darstellen. Dagegen kämen allenfalls präventive polizeirechtliche Maßnahmen in<br />

Betracht, wenn allein aufgr<strong>und</strong> der aufgetretenen Krankheit ein deliktisches Verhalten des Verurteilten zu erwarten<br />

wäre, ein konkreter Zusammenhang mit der zurückliegenden Straftat sich jedoch nicht herstellen ließe. Eine auf<br />

solcher Gr<strong>und</strong>lage gleichwohl angeordnete Maßregel würde nur gelegentlich des laufenden Strafvollzuges verhängt,<br />

wäre aus der Anlasstat jedoch nicht mehr zu rechtfertigen.<br />

cc) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Das Landgericht hat im Rahmen seiner Feststellungen<br />

allein den von den hinzugezogenen Sachverständigen ermittelten <strong>und</strong> bewerteten klinischen Zustand des<br />

Verurteilten in einem hohen Abstraktionsgrad beschrieben. Es kommt dann im Anschluss an die Sachverständigen zu<br />

der Einschätzung, dass es, „wie die Erfahrung lehrt“ (UA S. 17), ohne konsequente Behandlung erneut zu einem<br />

psychotischen Krankheitserleben bei dem Verurteilten kommen werde, <strong>und</strong> leitet hieraus ein dem Verurteilten innewohnendes<br />

erhebliches Gefährdungspotential ab. Aufgr<strong>und</strong> welcher konkreten Bef<strong>und</strong>tatsachen die Sachverständigen<br />

zu ihrer Einschätzung gelangt sind, teilt das Landgericht nicht mit. Auch das Krankheitsbild schildert es pauschal<br />

(„wahnhaftes Denken“; „Situationsverkennung“), ohne konkrete Ausprägungen der Symptomatik zu benennen<br />

<strong>und</strong> im Zusammenhang mit der Anlassverurteilung zu bewerten. Der Vollzugsverlauf bleibt - auch im Rahmen der<br />

abschließenden Gesamtwürdigung - insgesamt ausgeblendet, obwohl sich Anhaltspunkte für Verhaltensweisen des<br />

Verurteilten bieten, die in augenfälliger Übereinstimmung mit der Situation vor Begehung der Anlasstat stehen.<br />

3. Der Senat hält - wie bereits für § 66b Abs. 1 StGB ausgesprochen (BGHSt 50, 121, 132) - auch im vorliegenden<br />

Fall, in welchem die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung sich auf § 66b Abs. 2 StGB stützt, Feststellungen<br />

zum Vorliegen eines Hanges zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB<br />

für erforderlich (so auch BGHSt 50, 373, 381; Tröndle/Fischer StGB 54. Aufl. § 66b Rdn. 20; a.A. BVerfG - Kammer<br />

-NJW 2006, 3483, 3484; Lackner/Kühl StGB 25. Aufl. § 66b Rdn. 8). Zwar nimmt § 66b Abs. 2 StGB im Un-<br />

257


terschied zu § 66b Abs. 1 StGB nicht auf die Voraussetzungen des § 66 StGB Bezug, zu denen auch das Hangerfordernis<br />

gem. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB zählt. Die Gesetzesbegründung legt allerdings nahe, dass die unterschiedliche<br />

Anknüpfung sich in erster Linie auf die formellen Eingangsvoraussetzungen der Maßregel beziehen soll (BTDrucks.<br />

15/2887 S. 13). Demgegenüber setzt der Wortlaut von § 67d Abs. 3 StGB, § 463 Abs. 3 Satz 4 StPO für alle Fallgestaltungen<br />

der Sicherungsverwahrung unterschiedslos das Vorliegen eines Hanges voraus. Ein Auseinanderfallen der<br />

Anordnungsvoraussetzungen bei § 66b Abs. 1 StGB <strong>und</strong> § 66b Abs. 2 StGB wäre auch im Hinblick auf die identische<br />

Eingriffstiefe <strong>und</strong> die angesprochene Tätergruppe wenig plausibel (vgl. näher BGHSt 50, 373, 381). Die hangbedingte<br />

Gefährlichkeit des Verurteilten erweist sich zudem als notwendiges Merkmal, um die nachträgliche Unterbringung<br />

in der Sicherungsverwahrung von jener in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 StGB abzugrenzen<br />

<strong>und</strong> einer Umgehung der Grenzen des § 63 StGB durch Anwendung von § 66b StGB - gleich welcher Variante -<br />

in den Fällen psychiatrischer Erkrankungen als „nova“ vorzubeugen. Anknüpfungspunkt für eine Unterbringung<br />

nach § 63 StGB bildet eine andauernde psychische Störung des Betroffenen („Zustand“), die ihren Ausdruck in der<br />

Anlasstat gef<strong>und</strong>en hat. Demgegenüber dient die - auch nachträgliche - Sicherungsverwahrung in erster Linie dem<br />

Schutz der Allgemeinheit vor hochgefährlichen nicht-kranken Rechtsbrechern, deren Lebens- <strong>und</strong> Kriminalgeschichte<br />

die Begehung weiterer schwerwiegender Straftaten erwarten lässt („bad or mad“, vgl. Kröber, Behavioral Sciences<br />

and the Law 18, 679 [2000]; zum Verhältnis der Maßregeln vgl. auch Stree in: Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. §<br />

66 Rdn. 76). Dieser Unterscheidung entspricht die in § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB enthaltene Voraussetzung eines „Hanges“<br />

als einer anlagebedingten oder durch Übung erworbenen intensiven Neigung zu Rechtsbrüchen (BGH NStZ<br />

2005, 265; BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 1; Tröndle/Fischer StGB 54. Aufl. § 66 Rdn. 18), der mit dem von § 63<br />

StGB vorausgesetzten krankhaften oder krankheitsgleichen Zustand nicht gleichgesetzt werden kann. Führt das Auftreten<br />

einer psychiatrischen Erkrankung zur Einleitung eines auf die nachträgliche Anordnung von Sicherungsverwahrung<br />

gerichteten Verfahrens, so darf ihre Einordnung als neue Tatsache daher nicht den Blick darauf verstellen,<br />

dass die Erkrankung in erster Linie einen Zustand begründet, der - unter den weiteren Voraussetzungen des § 63<br />

StGB - nur eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus rechtfertigen könnte. Die Anordnung der<br />

Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB kann hierauf allein nicht gestützt werden. Denn anderenfalls würden die<br />

Voraussetzungen des § 63 StGB faktisch umgangen, indem psychisch Erkrankte zunächst in Sicherungsverwahrung<br />

genommen <strong>und</strong> sodann in den Vollzug der Maßregel des § 63 StGB überwiesen werden könnten (§ 67a Abs. 2<br />

StGB), ohne dass ihre Krankheit für die Anlasstat oder eine sonstige erhebliche Straftat ursächlich gewesen ist. Eine<br />

derartige „nachträgliche“ Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist dem Gesetz jedoch fremd (BGH,<br />

Beschluss vom 1. Dezember 2006 - 2 StR 475/06; Urteil vom 23. März 2006 - 1 StR 476/05). Sie scheidet auch dann<br />

aus, wenn die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB - wie vorliegend - im Ausgangsverfahren mit einer<br />

nicht tragfähigen Begründung abgelehnt wurde; auch insoweit gilt, dass das Verfahren nach § 66b StGB nicht der<br />

Korrektur früherer Entscheidungen dient, in denen eine Prüfung geeigneter Maßregeln rechtsfehlerhaft vorgenommen<br />

wurde oder gänzlich unterblieben ist. Der Senat ist an der vorgenommenen Auslegung von § 66b Abs. 2 StGB<br />

nicht durch die Entscheidung einer Kammer des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichtes gehindert, wonach eine gesetzgeberische<br />

Entscheidung, auf die Feststellung eines Hanges zu verzichten, unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht<br />

zu beanstanden ist (BVerfG - Kammer - NJW 2006, 3483, 3484; hierzu kritisch Tröndle/Fischer StGB 54. Aufl. § 66<br />

Rdn. 20a). Die Auslegung der neugestalteten Vorschrift des § 66b StGB, die hier zum Erfordernis eines Hanges<br />

geführt hat, obliegt den Fachgerichten. Zudem berührt die Bewertung, dass die nachträgliche Anordnung von Sicherungsverwahrung<br />

ohne Feststellung einer hang-bedingten Gefährlichkeit nicht in verfassungswidriger Weise in das<br />

Freiheits-gr<strong>und</strong>recht des Verurteilten eingreift, nicht die vorgenommene Auslegung, die dem Gr<strong>und</strong>recht des Verurteilten<br />

in noch weitgehender Weise Rechnung trägt. Im Übrigen führt die Kammer des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts<br />

selbst aus, dass die Feststellung eines Hanges auch im Rahmen des § 66b Abs. 2 StGB im Einzelfall geboten sein<br />

kann (BVerfG a.a.O.).<br />

III. 1. Die Sache war demzufolge zu neuer Prüfung an das Landgericht zurückzuverweisen. Die nunmehr zur Entscheidung<br />

berufene Kammer wird insbesondere aufzuklären haben, in welchem äußerlichen Verhalten die Erkrankung<br />

des Verurteilten ihren Niederschlag gef<strong>und</strong>en hat. Hierbei wird es sich aufdrängen, zunächst dem im angefochtenen<br />

Urteil angesprochenen Vollzugsverhalten (UA S. 19) nachzugehen, das sich auf von dem Verurteilten selbstgefertigte<br />

Schneidewerkzeuge <strong>und</strong> deren beabsichtigte Verwendung bezieht. Das Landgericht wird sich zudem damit<br />

auseinanderzusetzen haben, ob die bisherige Kriminalitätsentwicklung, die Anlasstat <strong>und</strong> die Entwicklung im Strafvollzug<br />

geeignet sind, ein kriminelles Verhaltensmuster des Verurteilten im Sinne eines Hanges offen zu legen. Dabei<br />

können auch seine Persönlichkeit <strong>und</strong> die psychiatrische Erkrankung eine Rolle spielen, ohne dass dem gegenwärtigen<br />

krankheitsbedingten Zustand allerdings ein Übergewicht für die Beurteilung zukommen darf.<br />

2. Der Senat bemerkt, dass es sich in Fällen wie dem vorliegenden, in dem die besondere Gefährlichkeit des Verurteilten<br />

sich in einer psychiatrischen Erkrankung gründet, empfehlen wird, parallel zu dem auf die nachträgliche An-<br />

258


ordnung der Sicherungsverwahrung gerichteten strafrechtlichen Verfahren ein polizeirechtliches Verfahren nach dem<br />

landesrechtlichen Unterbringungsgesetz einzuleiten. Sollte sich im Verfahren nach § 66b StGB erweisen, dass von<br />

dem Verurteilten eine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht, eine Anordnung der Maßregel - etwa mangels<br />

tragfähiger neuer Tatsachen oder mangels eines Hanges - aber gleichwohl nicht in Betracht kommt, könnte der<br />

erkannten Gefahrenlage durch Ausschöpfung der auf polizeirechtlicher Gr<strong>und</strong>lage zulässigen Maßnahmen (vgl. §§ 9<br />

f. BayUntbrG) begegnet werden. Da solche Maßnahmen, sollen sie einen effektiven Schutz der Allgemeinheit vor<br />

den vom Verurteilten ausgehenden Gefahren bewirken, bereits bei Entlassung des Verurteilten eingreifen müssten,<br />

erscheint es unzweckmäßig, wenn die Verwaltungsbehörde - wie dem landgerichtlichen Urteil zu entnehmen ist - ein<br />

Verfahren unter Hinweis auf den Vorrang der Unterbringung nach § 66b StGB (vgl. § 1 Abs. 2 BayUntbrG) zunächst<br />

nicht betreibt. Es wird sich vielmehr als notwendig erweisen, dass die Staatsanwaltschaft in geeigneten Fällen bereits<br />

im Antragsverfahren die Verwaltungsbehörde von der Einleitung des Verfahrens unterrichtet (§§ 481 f. StPO), damit<br />

diese Gelegenheit erhält, die Voraussetzungen einer Unterbringung in eigener Zuständigkeit zu prüfen <strong>und</strong> gegebenenfalls<br />

entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Sollte auch eine Unterbringung auf landesrechtlicher Gr<strong>und</strong>lage<br />

nicht in Betracht kommen, verweist der Senat auf die Möglichkeit, mithilfe geeigneter organisatorischer Maßnahmen,<br />

insbesondere solcher der Führungsaufsicht gem. §§ 68 ff. StGB, das Rückfallrisiko des in Freiheit entlassenen<br />

Verurteilten zu mindern (vgl. näher BGHSt 50, 373, 384 f.; BGH, Beschluss vom 29. August 2006 - 1 StR 306/06).<br />

StGB § 69 - Fahren ohne Fahrerlaubnis<br />

BGH, Urt. vom 05.09.2006 – 1 StR 107/06 -<br />

1. Eine typische Verkehrsstraftat i.S.d. § 69 Abs. 1 StGB ist auch das Fahren ohne Fahrerlaubnis.<br />

2. Fahren ohne Fahrerlaubnis, zumal, wenn es häufig <strong>und</strong> nach gerichtlicher Entziehung der Fahrerlaubnis<br />

begangen wurde, deutet auf fehlende charakterliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen<br />

hin. Die Beurteilung der in Rede stehenden charakterlichen Eignung obliegt dem Tatrichter,<br />

der dabei auch die Erkenntnisse zur Persönlichkeit des Täters zu berücksichtigen hat.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat in der Sitzung vom 5. September 2006 für Recht erkannt:<br />

1. Dem Angeklagten wird nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts<br />

Landshut vom 6. Oktober 2005, der Frist zur Stellung des Antrags auf Entscheidung des Revisionsgerichts<br />

nach Verwerfung der Revision durch das Landgericht <strong>und</strong> der Fristen zur Stellung der Wiedereinsetzungsanträge<br />

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.<br />

2. Der Beschluss des Landgerichts Landshut vom 11. Januar 2006 ist damit gegenstandslos.<br />

3. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 6. Oktober 2005 wird mit der<br />

Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte,<br />

a) soweit er wegen Computerbetrugs verurteilt ist, des Computerbetrugs in 11 Fällen <strong>und</strong><br />

b) soweit er wegen versuchten Computerbetrugs verurteilt ist, des versuchten Computerbetrugs in drei Fällen<br />

schuldig ist.<br />

4. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels <strong>und</strong> der Wiedereinsetzung.<br />

Gründe:<br />

I. Hinsichtlich der Wiedereinsetzungsentscheidung, die zur Gegenstandslosigkeit des Verwerfungsbeschlusses des<br />

Landgerichts vom 11. Januar 2006 führt, verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen der Generalb<strong>und</strong>esanwältin<br />

in ihrem Antrag vom 14. Juli 2006.<br />

II. Nachdem der Angeklagte wegen einer Einbruchsserie in Pkws <strong>und</strong> weiterer Straftaten (z. B. versuchter schwerer<br />

räuberischer Erpressung) verhängte langjährige Freiheitsstrafen verbüßt hatte, lebte er "nach eigenem Eingeständnis<br />

von Straftaten". Teils zusammen mit seinem Vater, teils mit anderen Mittätern brach er vor allem Pkws auf, aus<br />

denen er insbesondere Mobiltelefone <strong>und</strong> EC-Karten entwendete; teilweise entwendete er auch Pkws oder versuchte<br />

dies. Weitere Straftaten, insbesondere Betrug, Computerbetrug, Urk<strong>und</strong>enfälschung <strong>und</strong> Ausweismissbrauch hingen<br />

mit der Verwertung der Beute zusammen. Hinzu kam häufiges Fahren ohne Fahrerlaubnis. Dem Angeklagten war<br />

bereits vor Jahren die Fahrerlaubnis gerichtlich entzogen worden; eine neue hat er auch nach Ablauf der Sperrfrist<br />

nicht erworben. Gleichwohl fuhr er immer wieder auf öffentlichen Straßen mit einem Pkw. Er wurde wegen insgesamt<br />

mehr als 100 Straftaten - davon dreizehn Mal Fahren ohne Fahrerlaubnis - zu sieben Jahren Gesamtfreiheitsstrafe<br />

verurteilt. Zugleich wurde eine (isolierte) Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis von vier Jahren (§<br />

69a Abs. 1 Satz 3 StGB) festgesetzt. Seine auf die näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision führt zu dem für<br />

259


die Gesamtfreiheitsstrafe im Ergebnis nicht bedeutsamen Wegfall einiger Fälle des Computerbetrugs, bleibt aber im<br />

Übrigen auch unter Berücksichtigung der schriftlichen Ausführungen seines früheren Verteidigers (Rechtsanwalt S. )<br />

erfolglos.<br />

1. Zu den Schuldsprüchen wegen (versuchten) Computerbetrugs in Fällen, in denen kurz hintereinander mehrere<br />

Abhebungen vom Konto eines Geschädigten erfolgten oder versucht wurden, hat die Generalb<strong>und</strong>esanwältin in ihrer<br />

Antragsschrift zutreffend ausgeführt: "Nach den Urteilsfeststellungen wurden die Geldabhebungen bei Bankautomaten<br />

in den Fällen unter V. der Urteilsgründe in aller Regel von dem Mitangeklagten G. H. durchgeführt, während der<br />

Angeklagte es übernahm, nach der notierten PIN-Nummer zu suchen <strong>und</strong> Aufpasserdienste zu leisten. Auch in den<br />

Fällen unter XI. 3. b. nahm der Mitangeklagte die Abhebungen vor. Zwar muss sich der Angeklagte als Mittäter auch<br />

die allein vom Mitangeklagten abgewickelten Abhebungen nach § 25 Abs. 2 StGB zurechnen lassen. Diese Zurechnungsnorm<br />

zwingt aber nicht dazu, dem Mittäter die von einem anderen Täter eigenhändig tatmehrheitlich begangenen<br />

Taten zur Last zu legen. Vielmehr ist jeder der Mittäter hinsichtlich der Frage des Vorliegens einer oder mehrerer<br />

Handlungen i.S.d. §§ 52, 53 StGB nur nach seinem individuellen Tatbeitrag zu beurteilen (vgl. BGH NStZ 1997,<br />

121; BGHR StGB § 52 Abs. 1 Handlung dieselbe 29, jew. m.w.N.). Auf die Frage, in welchem Konkurrenzverhältnis<br />

die von dem Mitangeklagten vorgenommenen Einzelabhebungen stehen, kommt es deshalb nicht an. In den Fällen<br />

V. 1. a. - c. (drei Abhebungen), V. 7. a. - d. (vier Abhebungen), V. 8. a., b. (zwei Abhebungen), V. 9. a., b. (zwei<br />

Abhebungen), V. 11. a. - d. (drei Abhebungen, ein Versuch), XI. 3. b. (vier Abhebungen) liegen somit nicht 18 vollendete<br />

Taten <strong>und</strong> eine versuchte Tat, sondern lediglich insgesamt sechs Vergehen des Computerbetruges vor. Damit<br />

entfallen zwölf Fälle des vollendeten <strong>und</strong> ein Fall des versuchten Computerbetrugs.“<br />

2. Im Übrigen enthält der Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten. Der Senat verweist auch<br />

insoweit auf die Ausführungen der Generalb<strong>und</strong>esanwältin.<br />

3. Zu den Auswirkungen der Änderungen des Schuldspruchs auf den Strafausspruch hat die Generalb<strong>und</strong>esanwältin<br />

in ihrem Antrag vom 14. Juli 2006 zutreffend ausgeführt: "Der Wegfall von zwölf Einzelstrafen in Höhe von sieben<br />

Monaten Freiheitsstrafe wegen Computerbetrugs <strong>und</strong> einer weiteren Einzelstrafe in Höhe von fünf Monaten Freiheitsstrafe<br />

wegen versuchten Computerbetrugs gefährdet den Gesamtstrafenausspruch nicht. Der Senat wird ausschließen<br />

können, dass die Strafkammer angesichts der Vielzahl <strong>und</strong> Höhe der verbleibenden Einzelstrafen auf der<br />

Gr<strong>und</strong>lage des geänderten Schuldspruchs eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe gebildet hätte, zumal die bloße Korrektur<br />

des Konkurrenzverhältnisses keine Verringerung des Tatunrechts <strong>und</strong> des Schuldgehalts in seiner Gesamtheit<br />

zur Folge gehabt hätte (BGH NStZ 1999, 513, 514 m.w.N.)."<br />

4. Auch im Übrigen ist der Strafausspruch rechtsfehlerfrei, wie die Generalb<strong>und</strong>esanwältin im Einzelnen ausgeführt<br />

hat.<br />

5. Schließlich hält auch die Anordnung einer isolierten Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis rechtlicher<br />

Überprüfung stand, wie dies der Vertreter der Generalb<strong>und</strong>esanwältin in der Hauptverhandlung vor dem Senat zutreffend<br />

ausgeführt hat. Auch der Senat hält die Anordnung der isolierten Sperrfrist für rechtsfehlerfrei.<br />

a) Wer bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges (§ 69 Abs. 1 StGB) ein "typisches Verkehrsdelikt"<br />

begeht, verstößt regelmäßig dadurch gegen die Pflichten eines Kraftfahrers (vgl. Großer Senat für Strafsachen<br />

BGHSt 50, 93, 97, 103); dabei sind Verkehrsstraftaten nicht allein solche, die im Katalog des § 69 Abs. 2<br />

StGB aufgeführt sind (aaO 103).<br />

b) Eine in diesem Sinne typische Verkehrsstraftat ist auch das Fahren ohne Fahrerlaubnis (vgl. Athing in MK-StGB<br />

§ 69 StGB Rdn. 56; Herzog in NK-StGB 2. Aufl. § 69a Rdn. 10; Tröndle/Fischer StGB 53. Aufl. § 69 Rdn. 38;<br />

Hentschel, Trunkenheit, Fahrerlaubnisentziehung, Fahrverbot im Straf- <strong>und</strong> Ordnungswidrigkeitenrecht 10. Aufl.<br />

Rdn. 602 m.w.N.). Wem die Erlaubnis fehlt, mit dem Pkw am öffentlichen Straßenverkehr teilzunehmen, der verletzt,<br />

wenn er es trotzdem tut, eine typische Pflicht im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs - Teilnahme<br />

am öffentlichen Verkehr nur mit Erlaubnis - in besonders augenfälliger Weise.<br />

c) Fahren ohne Fahrerlaubnis, zumal, wenn es wie hier häufig <strong>und</strong> nach gerichtlicher Entziehung der Fahrerlaubnis<br />

begangen wurde, deutet auf fehlende charakterliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen hin (vgl. BayObLG<br />

bei Bär, DAR 1990, 361, 365; OLG Koblenz VRS 69, 298, 300 f.; Athing aaO; Tröndle/Fischer aaO; Hentschel aaO<br />

m.w.N.). Freilich kann im Einzelfall auch eine andere Beurteilung in Betracht kommen. Der - im Einzelnen umstrittenen<br />

- Frage, unter welchen konkreten Voraussetzungen dies der Fall sein kann (vgl. Hentschel aaO Rdn. 602, 740<br />

m.w.N.) braucht der Senat aber hier nicht näher nachzugehen. Die Beurteilung der in Rede stehenden charakterlichen<br />

Eignung obliegt dem Tatrichter (BGHSt aaO 104), der dabei auch die Erkenntnisse zur Persönlichkeit des Täters zu<br />

berücksichtigen hat (aaO 103). Gründe, warum die Strafkammer mit ihrer Annahme, dem Angeklagten fehle diese<br />

Eignung, die ihr bei dieser Beurteilung gezogenen Grenzen überschritten haben könnte, sind nicht erkennbar.<br />

d) Auch die Dauer der Sperrfrist ist ohne den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler bemessen.<br />

260


StGB § 78c Abs. 1 Nr. 4 Verjährungsunterbrechung durch Durchsuchungsbeschluss mit unzutreffender<br />

rechtlicher Beurteilung<br />

BGH Urt. vom 22.08.2006 – 1 StR 547/05 -<br />

1. Eine Beschlagnahmeanordnung eines deutschen Gerichts unterbricht nach § 78c Abs. 1 Nr. 4<br />

StGB auch dann die Verjährung, wenn die Beschlagnahme bei Dritten erfolgen soll <strong>und</strong> der Beschuldigte<br />

vorher weder vernommen noch von der Einleitung des Ermittlungsverfahrens in Kenntnis<br />

gesetzt wurde.<br />

2. Sofern der Beschluss die Verdachtslage hinreichend beschreibt <strong>und</strong> verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen<br />

genügt, ist es unschädlich, wenn die rechtliche Beurteilung unzutreffend ist.<br />

3. Bei den standardisierten, auf Massenerledigung angelegten Abrechnungsverfahren der kassenärztlichen<br />

Vereinigungen ist es nicht erforderlich, dass der jeweilige Mitarbeiter hinsichtlich jeder<br />

einzelnen geltend gemachten Position die positive Vorstellung hatte, sie sei der Höhe nach berechtigt;<br />

vielmehr genügt die stillschweigende Annahme, die ihm vorliegende Abrechnung sei insgesamt<br />

"in Ordnung". Daher setzt ein Irrtum nicht voraus, dass tatsächlich eine Überprüfung der Abrechnungen<br />

im Einzelfall durchgeführt wurde. Dies ergibt sich hier gerade aus der besonderen Stellung<br />

von Kassenärzten; denn das ihnen durch die Kassenarztzulassung entgegengebrachte Vertrauen<br />

rechtfertigt erwartungsgemäß die Herabsetzung des Prüfungsumfangs seitens der Leistungsträger.)<br />

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 30. Juni 2005 mit den<br />

zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit das Verfahren gegen die Angeklagten eingestellt <strong>und</strong> der Angeklagte<br />

Dr. P. hinsichtlich des Tatkomplexes "Augenlinsen" freigesprochen worden ist.<br />

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten der<br />

Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Mit Urteil des Landgerichts Mannheim vom 3. Dezember 2002 waren die drei Angeklagten sowie drei weitere vormals<br />

Mitangeklagte wegen zahlreicher Betrugs- <strong>und</strong> Untreuetaten verurteilt worden, <strong>und</strong> zwar der Angeklagte Dr. P.<br />

zur Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten auf Bewährung <strong>und</strong> daneben zur Gesamtgeldstrafe von 330 Tagessätzen,<br />

die Angeklagten Dr. S. <strong>und</strong> Dr. Sch. jeweils zur Gesamtgeldstrafe von 600 Tagessätzen. Das Urteil hatte der<br />

Senat mit Beschluss vom 27. April 2004 - 1 StR 165/03 (NStZ 2004, 568) auf die Revisionen der drei Angeklagten<br />

<strong>und</strong> des früheren Mitangeklagten R. aufgehoben.<br />

Nunmehr hat das Landgericht, nachdem zwischenzeitlich das Verfahren gegen R. abgetrennt <strong>und</strong> ein Verfahren gegen<br />

die drei Angeklagten wegen Steuerhinterziehung hierher verb<strong>und</strong>en worden war, diese wie folgt verurteilt:<br />

– den Angeklagten Dr. P. wegen Steuerhinterziehung in drei Fällen zur Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen,<br />

– die Angeklagten Dr. S. <strong>und</strong> Dr. Sch. jeweils wegen Steuerhinterziehung in fünf Fällen zur Gesamtgeldstrafe von<br />

150 Tagessätzen.<br />

Soweit dem Angeklagten Dr. P. Betrug durch manipulierte Abrechnungen von Augenlinsen (Tatkomplex „Augenlinsen“)<br />

<strong>und</strong> ein weiterer Fall der Steuerhinterziehung zur Last lagen, ist er aus tatsächlichen Gründen freigesprochen<br />

worden. Soweit den drei Angeklagten Untreue durch manipulierte Abrechnungen von Medikamenten (Tatkomplex<br />

„Medikamente“) vorgeworfen wurde, ist das Verfahren wegen Verfolgungsverjährung eingestellt worden.<br />

Die Staatsanwaltschaft greift das Urteil mit ihren zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten <strong>und</strong> wirksam beschränkten<br />

Revisionen an. Sie beanstandet, dass das Landgericht zu Unrecht das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung<br />

angenommen habe. Mit der Sachbeschwerde rügt sie den Teilfreispruch des Angeklagten Dr. P.<br />

hinsichtlich des Tatkomplexes „Augenlinsen“. Die Revisionen haben Erfolg.<br />

I.<br />

1. Folgendes ist - soweit im Rahmen der Revisionen von Bedeutung -festgestellt:<br />

Die drei Angeklagten - allesamt kassenärztlich zugelassene Augenärzte - bestellten <strong>und</strong> erwarben in den Jahren 1993<br />

bis 1997 von dem vormals mitangeklagten Pharmahändler R. Augenlinsen <strong>und</strong> Medikamente (Hilfs- oder Zusatzstoffe),<br />

die sie für ambulant durchgeführte Operationen zur Behandlung des Grauen Star verwandten. Die Kosten hierfür,<br />

die gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen geltend gemacht <strong>und</strong> mit denen diese letztlich belastet wurden,<br />

waren jedoch überhöht, weil R. an die Angeklagten umsatzbezogene Rückvergütungen (sog. kick backs) entrichtete,<br />

261


was die Angeklagten den Kassen gegenüber verschwiegen. R. zahlte an den Angeklagten Dr. P. insgesamt 500.000,-<br />

DM, an die Angeklagten Dr. S. <strong>und</strong> Dr. Sch. zusammen insgesamt 1.848.000,- DM.<br />

Der Abrechnungsmodus war für Augenlinsen einerseits <strong>und</strong> Medikamente andererseits verschieden. Die Kosten für<br />

die an den Angeklagten Dr. P. gelieferten Augenlinsen wurden diesem in Rechnung gestellt <strong>und</strong> von ihm verauslagt.<br />

Der Angeklagte machte sodann im Rahmen der quartalsmäßigen patientenbezogenen Abrechnungen die Einzelpreise<br />

für die Augenlinsen gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung geltend <strong>und</strong> verschwieg dabei den jeweiligen Rabattanteil<br />

infolge der Rückvergütungen. Von der Kassenärztlichen Vereinigung wurden die Preise diversen Krankenkassen<br />

in Rechnung gestellt, welche daraufhin die überhöhten Zahlungen an den Angeklagten leisteten. Die Bestellung<br />

von Medikamenten seitens der drei Angeklagten erfolgte hingegen nicht im eigenen Namen <strong>und</strong> auf eigene<br />

Rechnung, sondern im Wege der kassenärztlichen Verordnung (Sprechst<strong>und</strong>enbedarfsrezept) unmittelbar zu Lasten<br />

der Krankenkassen nicht einzelfallbezogen als Operationsbedarf. Geliefert wurden die Medikamente über den gutgläubigen<br />

Apotheker V. , der das Rezept bei der Verrechnungsstelle für Apotheker mit den von R. vorgegebenen<br />

Bezugspreisen einreichte. Diese erstellte monatlich eine Gesamtabrechnung gegenüber der örtlich zuständigen AOK<br />

<strong>und</strong> bis einschließlich 1994 auch gegenüber der Barmer Ersatzkasse, woraufhin die wiederum um den Rabattanteil<br />

überhöhten Zahlungen an V. erfolgten.<br />

2. Wegen der verschiedenen Abrechnungsmodi hat das Landgericht im Ansatz zutreffend den Tatkomplex „Augenlinsen“<br />

auf eine Strafbarkeit wegen Betruges, den Tatkomplex „Medikamente“ - gemäß den Gr<strong>und</strong>sätzen von BGHSt<br />

49, 17 - auf eine Strafbarkeit wegen Untreue geprüft <strong>und</strong> ist sodann auf dieser Basis zu Freispruch <strong>und</strong> Einstellung<br />

gelangt.<br />

In Bezug auf die Betrugstaten hat es sich weder von irrtumsbedingten Vermögensverfügungen bei den Leistungsträgern<br />

noch von einem entsprechenden „Täuschungsvorsatz“ des Angeklagten Dr. P. überzeugen können, da die Abrechnungen<br />

von der Kassenärztlichen Vereinigung <strong>und</strong> von den Krankenkassen keiner Überprüfung unterzogen<br />

worden seien. Die Untreuehandlungen hinsichtlich des Tatkomplexes „Medikamente“ waren nach Auffassung des<br />

Landgerichts bereits verjährt, weil insoweit keine Verjährungsunterbrechung erfolgt sei.<br />

II. Die Beschwerdeführerin beanstandet zu Recht die Teileinstellungen wegen Verfolgungsverjährung. Ob ein Verfahrenshindernis<br />

vorliegt, prüft das Revisionsgericht von Amts wegen aufgr<strong>und</strong> eigener Sachuntersuchung unter<br />

Benutzung aller verfügbaren Erkenntnisquellen im Freibeweisverfahren (vgl. BGHSt 46, 307, 309; Meyer-Goßner,<br />

StPO 49. Aufl. § 337 Rdn. 6 m.w.N.).<br />

1. Die Kammer hat die Untreuetaten mit Erhalt der nachträglichen Kick-back-Zahlungen als materiell beendet angesehen.<br />

Nach den Urteilsfeststellungen sind solche Zahlungen an den Angeklagten Dr. P. vom 30. November 1994 bis<br />

zum 11. Oktober 1996, an die Angeklagten Dr. S. <strong>und</strong> Dr. Sch. gemeinsam vom 8. Oktober 1993 bis zum 18. Juni<br />

1997 erfolgt (UA S. 51).<br />

Das Landgericht ist der Auffassung, die Verjährungsfrist, die nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB fünf Jahre beträgt <strong>und</strong><br />

nach § 78a StGB mit der materiellen Beendigung der Taten zu laufen beginnt, sei bei Anklageerhebung - die Anklageschrift<br />

vom 26. Juni 2002 ging am 5. Juli 2002 beim Landgericht ein - bereits verstrichen gewesen. Hinsichtlich<br />

des Tatkomplexes "Medikamente" seien zuvor keine verjährungsunterbrechenden Maßnahmen im Sinne von § 78c<br />

StGB erfolgt. Das Amtsgericht Mannheim habe zwar am 1. September 1998 Durchsuchungsbeschlüsse gegen die<br />

Angeklagten Dr. P. <strong>und</strong> Dr. S. sowie am 16. Juli 1999 gegen die Angeklagten Dr. S. <strong>und</strong> Dr. Sch. erlassen (UA S. 13<br />

f.). Die Beschlüsse hätten jedoch nicht diesen Tatkomplex, sondern den Tatkomplex „Augenlinsen“ betroffen (UA S.<br />

52 f.). Zeugenvernehmungen zweier Ermittlungsbeamter in der Hauptverhandlung hätten ergeben, dass Unregelmäßigkeiten<br />

bei der Abrechnung von Medikamenten erst im September 2000 aufgefallen seien (UA S. 42 f., 52).<br />

2. Ein - im Urteil nicht erwähnter - Beschlagnahmebeschluss des Amtsgerichts Mannheim vom 25. Oktober 1999 ( -<br />

) hat die Verjährung nach § 78c Abs. 1 Nr. 4 StGB unterbrochen, sodass schon deswegen die Untreuetaten, bei denen<br />

die materielle Beendigung nach dem 25. Oktober 1994 eintrat, nicht verjährt sind. In diesen Zeitraum fallen sämtliche<br />

Kick-back-Zahlungen an den Angeklagten Dr. P. sowie 13 von 17 Zahlungen an die Angeklagten Dr. S. <strong>und</strong> Dr.<br />

Sch. - ausgenommen diejenigen in den Jahren 1993 <strong>und</strong> 1994 von insgesamt 285.000,- DM (UA S. 18 f.).<br />

Mit dem benannten Beschluss wurde die Beschlagnahme von Unterlagen bei der Firma Ph. , angeordnet. Als Beschuldigte<br />

im Ermittlungsverfahren sind dort ausdrücklich unter anderem die drei Angeklagten bezeichnet. Der Tatvorwurf<br />

ist auf „Abrechnungsbetrügereien“ zum Nachteil der gesetzlichen Krankenkassen infolge von Kick-back-<br />

Zahlungen gerichtet, wobei er auf die fehlerhafte Abrechnung von Augenlinsen <strong>und</strong> - ausdrücklich auch - Zusatzstoffen<br />

bezogen ist. Der Beschluss beschreibt die Verdachtslage hinreichend <strong>und</strong> genügt verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen;<br />

er ist damit eine taugliche richterliche Untersuchungsmaßnahme i.S.v. § 78c Abs. 1 Nr. 4 StGB<br />

(vgl. BGH NStZ 2000, 427, 429; 2004, 275; Beschluss vom 25. April 2006 - 5 StR 42/06 - Umdruck S. 2). Dass<br />

hinsichtlich des Tatkomplexes „Medikamente" die zutreffende rechtliche Beurteilung im Urteil als Untreuetaten von<br />

262


der Beschlussbegründung, der zufolge den Angeklagten Betrug vorgeworfen wurde, abweicht, ist unschädlich (vgl.<br />

G. Schäfer in FS für Dünnebier S. 541, 545).<br />

Eine Beschlagnahmeanordnung eines deutschen Gerichts (vgl. BGHSt 1, 325) unterbricht nach § 78c Abs. 1 Nr. 4<br />

StGB auch dann die Verjährung, wenn die Beschlagnahme bei Dritten erfolgen soll <strong>und</strong> der Beschuldigte vorher<br />

weder vernommen noch von der Einleitung des Ermittlungsverfahrens in Kenntnis gesetzt wurde (vgl.<br />

Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 78c Rdn. 12).<br />

An der verjährungsunterbrechenden Wirkung des Beschlusses zu zweifeln, besteht auch deshalb kein Anlass, weil<br />

die ohne Bindung an die Urteilsfeststellungen vorzunehmende freibeweisliche Prüfung durch den Senat ergibt, dass<br />

die Strafverfolgungsbehörden bereits im Oktober 1999 Kenntnis von Umständen hatten, die auf manipulierte Abrechnungen<br />

von Medikamenten hindeuteten. Die Annahme der Kammer, die Ermittlungen hätten erstmals im September<br />

2000 derartige Verdachtsmomente ergeben, kann somit nicht zutreffen. In einem Schreiben des sachbearbeitenden<br />

Dezernenten der Staatsanwaltschaft vom 19. Mai 1999 an den Verteidiger des damaligen Mitbeschuldigten V.<br />

( ) heißt es wörtlich: „Ich verweise insoweit auf den Inhalt des Durchsuchungsbeschlusses gegen den Beschuldigten,<br />

der sich im Hinblick auf das zugr<strong>und</strong>e liegende Schema auch auf die Lieferung der Zusatzstoffe wie beispielsweise<br />

Cellugel weiter übertragen lässt“. In den Ermittlungsakten findet sich weiterhin ein AOK-internes Schreiben vom 1.<br />

April 1998, in welchem von Verdachtsmomenten gegen V. <strong>und</strong> andere in dem Beschluss vom 25. Oktober 1999<br />

beschuldigte Augenärzte im Hinblick auf die Abrechnung des Medikaments Cellugel berichtet wird ( ). Der Verteidiger<br />

von V. nahm mit an die Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> die Steuerfahndung gerichteten Schriftsätzen vom 25. Februar<br />

1999 ausdrücklich hierauf Bezug ( ).<br />

3. Aber auch drei gegen die Angeklagten gerichtete Durchsuchungsbeschlüsse des Amtsgerichts Mannheim vom 1.<br />

September 1998 (<strong>und</strong> ) haben entgegen der Auffassung der Kammer verjäh-rungsunterbrechende Wirkung im Sinne<br />

von § 78c Abs. 1 Nr. 4 StGB. Dadurch sind Untreuetaten der Angeklagten Dr. S. <strong>und</strong> Dr. Sch. , die mit drei Kickback-Zahlungen<br />

von insgesamt 245.000,- DM im Jahre 1994 beendet <strong>und</strong> von der Unterbrechungswirkung des oben<br />

erwähnten Beschlusses nicht erfasst wurden, ebenfalls nicht verjährt.<br />

a) Dass, wie das Urteil feststellt (UA S. 13 f.), ein Durchsuchungsbeschluss vom 1. September 1998 gegen den Angeklagten<br />

Dr. Sch. nicht er-lassen wurde, trifft nicht zu. Der Originalbeschluss befindet sich zwar ebenso wenig wie<br />

die gegen die Angeklagten Dr. P. <strong>und</strong> Dr. S. erlassenen Originalbeschlüsse bei den Ermittlungsakten; die drei Beschlüsse<br />

sind jedoch von der Staatsanwaltschaft in beglaubigter Abschrift vorgelegt worden. Dass die Staatsanwaltschaft<br />

inhaltsgleiche Durchsuchungsbeschlüsse beantragt hatte, ergibt sich auch aus der Einleitungsverfügung für die<br />

drei Angeklagten vom 26. August 1998 ( ).<br />

b) Die gleich lautenden Beschlüsse haben folgenden Inhalt:<br />

Die Durchsuchung sollte zum Zweck der Auffindung <strong>und</strong> Beschlagnahme von Geschäfts- <strong>und</strong> sonstigen Unterlagen<br />

seit 1991 betreffend die damaligen Mitbeschuldigten R. , V. <strong>und</strong> diesen zuzuordnende Unternehmen sowie von sonstigen<br />

Beweismitteln bezüglich des aus der Beschlussbegründung ersichtlichen Tatvorwurfs erfolgen. Zur Begründung<br />

ist die Verdachtslage wie folgt dargestellt:<br />

Der jeweilige beschuldigte Augenarzt „ist des Abrechnungsbetruges zum Nachteil der gesetzlichen Krankenkassen<br />

seit 1994 sowie der Einkommenssteuerhinterziehung für zwischen 1994 <strong>und</strong> 1996 verdächtig.<br />

Der Beschuldigte R. bezieht seit 1994 als Geschäftsführer der R. OHG bzw. der Einzelfirma B. … von inländischen<br />

Herstellern zur Implantation bestimmte, intraokulare Linsen zum Preis von durchschnittlich ca. 190,- DM pro Paar.<br />

Die Linsen verkaufte R. anschließend papiermäßig mit einer jeweils 5-pro-zentigen Provision an die von ihm wirtschaftlich<br />

beherrschte Domizilfirma Ph. mit Sitz auf G. <strong>und</strong> in der Sc. <strong>und</strong> von dort aus weiter an den Beschuldigten<br />

V. , dieser als Inhaber einer Apotheke in F. . Von dort aus wurden die Linsen, die gegenständlich das Gebiet der<br />

B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland nie verlassen hatten, auf Vermittlung von R. an zahlreiche im Inland ansässige Augenärzte<br />

... weiterveräußert. Der Preis schwankte je nach Beschaffenheit der Linse zwischen 308,- DM <strong>und</strong> 710,- DM.<br />

Der durchschnittliche Verkaufspreis lag bei 476,- DM. Die letztgenannten Preise wurden durch die Augenärzte den<br />

gesetzlichen Krankenkassen als gesonderte Sachkosten in Rechnung gestellt <strong>und</strong> durch diese bezahlt.<br />

Es besteht der Verdacht, dass entsprechend einem gemeinsamen Tatplan … von den Krankenkassen die Erstattung<br />

überhöhter Sachkosten erschlichen werden sollte. Dabei sei ein Teil des von der Tätergruppe erzielten Gewinns an<br />

die beteiligten Augenärzte in Form von Geldzahlungen oder Rabatten in bislang unbekannter Höhe zurückgeflossen,<br />

ohne dass dies den Kassen gegenüber offenbart worden sei …“<br />

c) Die verjährungsunterbrechende Wirkung der Beschlüsse erfasst nicht nur die Betrugstaten in Bezug auf Augenlinsen,<br />

sondern auch die Untreuetaten in Bezug auf Medikamente.<br />

Generell gilt: In Wirtschaftsstrafverfahren werden regelmäßig schon zu einem frühen Zeitpunkt Durchsuchungen<br />

nach §§ 102, 103 StPO notwendig. Insoweit ist es üblich <strong>und</strong> für erfolgversprechende Ermittlungen auch geboten,<br />

263


auf schriftliche Unterlagen, insbesondere über die Buchhaltung <strong>und</strong> den Zahlungsverkehr, zuzugreifen, weil sich in<br />

den meisten Fällen erst aufgr<strong>und</strong> derartiger Unterlagen Umstände herausstellen, die den Tatverdacht konkretisieren<br />

sowie Schuld oder Unschuld belegen. Dies gilt insbesondere bei Abrechnungsmanipulationen, die in einem so frühen<br />

Verfahrensstadium regelmäßig nicht detailliert zu umschreiben sind. Es entspricht daher einem praktischen Bedürfnis<br />

<strong>und</strong> ist prinzipiell nicht zu beanstanden, wenn der Tatverdacht in den Durchsuchsuchungsbeschlüssen weit gefasst<br />

wird. Dementsprechend genügt es für die Darstellung der Verdachtslage, dass die Taten unter zusammenfassenden<br />

kennzeichnenden Merkmalen bestimmbar sind, falls die Maßnahme wegen einer Vielzahl von Taten im prozessualen<br />

Sinne erfolgt, deren Einzelheiten die Ermittlungen noch klären müssen (vgl. BGH NStZ 2001, 191). Dies<br />

ist bei der Auslegung verjährungsunterbrechender Durchsuchungs- <strong>und</strong> Beschlagnahmebeschlüsse sowie bei der<br />

Ermittlung des Verfolgungswillens der Strafverfolgungsbehörden zu bedenken.<br />

Im Einzelnen hat die Rechtsprechung folgende Gr<strong>und</strong>sätze aufgestellt: Wird in einem Verfahren wegen einer Vielzahl<br />

von Taten ermittelt, so erstreckt sich die Unterbrechungswirkung gr<strong>und</strong>sätzlich auf alle verfahrensgegenständlichen<br />

Taten, es sei denn der - insoweit maßgebliche - Verfolgungswille der Strafverfolgungsbehörden ist erkennbar<br />

auf eine oder mehrere Taten beschränkt. Für die Bestimmung des Verfolgungswillens ist der Zweck der richterlichen<br />

Untersuchungsmaßnahme maßgeblich. Ergibt sich dieser nicht bereits aus deren Wortlaut, ist namentlich auf den<br />

Sach- <strong>und</strong> Verfahrenszusammenhang abzustellen (vgl. BGH NStZ 2000, 427 m. Anm. Jäger wistra 2000, 227; BGH<br />

NStZ 2001, 191; wistra 2002, 57; Stree/Sternberg-Lieben aaO Rdn. 23).<br />

Die Unterbrechungswirkung ergibt sich hier auch hinsichtlich des Tat-komplexes "Medikamente" aus dem Wortlaut<br />

der Beschlüsse. Zweck der Beschlüsse war danach das Auffinden <strong>und</strong> die Beschlagnahme insbesondere von Unterlagen<br />

betreffend die damaligen Mitbeschuldigten R. <strong>und</strong> V. bzw. bestimmte ihnen zuzuordnende Unternehmen. Dieser<br />

Zweck ist für die Ermittlungen im Tatkomplex „Medikamente“ gleichermaßen wie im Tatkomplex „Augenlinsen“<br />

relevant. Dem Wortlaut der Beschlussbegründung lässt sich eine Beschränkung des Verfolgungswillens nicht entnehmen.<br />

Die Tatschilderung bezieht sich zwar zunächst nur auf Augenlinsen. Die anschließend dargelegte Schlussfolgerung<br />

geht allerdings dahin, der Verdacht richte sich allgemein darauf, dass von den gesetzlichen Krankenkassen<br />

die Erstattung überhöhter Sachkosten erschlichen werden sollte.<br />

Die in den Durchsuchungsbeschlüssen genau umschriebene Begehungsweise genügt dem Bedürfnis, die von der<br />

Unterbrechung betroffenen Taten von denkbar ähnlichen oder gleichartigen Vorkommnissen, auf die sich die Verfolgung<br />

nicht bezog, zu unterscheiden (vgl. Senat, Urt. vom 17. Februar 1981 – 1 StR 546/80 – Umdruck S. 6; BGH<br />

NStZ 2001, 191). Bei der Schilderung der Taten tritt als bestimmendes Merkmal, welches die Taten von legalen<br />

Verhaltensweisen unterscheidet, der Umstand hervor, dass die Angeklagten Kick-back-Zahlungen von ihrem Lieferanten<br />

R. erhielten, die sie gegenüber den Krankenkassen verschwiegen. Ferner ist die Begehungsweise auch dadurch<br />

charakterisiert, dass R. zuzuordnende Unternehmen eingeb<strong>und</strong>en waren <strong>und</strong> die Lieferungen über den Apotheker<br />

V. erfolgten. Alle diese kennzeichnenden Merkmale treffen sowohl auf den Tatkomplex „Augenlinsen“ als auch<br />

auf den Tatkomplex „Medikamente“ zu. Was die Begehungsweise anbelangt, differiert zwischen den Tatkomplexen<br />

lediglich der Abrechnungsmodus gegenüber den Krankenkassen aufgr<strong>und</strong> unterschiedlicher sozialversicherungsrechtlicher<br />

Vorschriften, was letztlich zur Beurteilung des Tatkomplexes „Medikamente" als Untreue – <strong>und</strong> nicht als<br />

Betrug – führt. Der Abrechnungsmodus ist in den Beschlussbegründungen aber gerade nicht dargestellt.<br />

Ferner ist der enge Sach- <strong>und</strong> Verfahrenszusammenhang zwischen von R. gelieferten Augenlinsen <strong>und</strong> Medikamenten<br />

evident. Es geht nämlich gerade nicht um irgendwelche Medikamente, sondern um solche, die bei den von den<br />

Angeklagten durchgeführten ambulanten Operationen für das Einsetzen der Augenlinsen als Hilfs- bzw. Zusatzstoffe<br />

verwendet wurden, die also die Angeklagten überhaupt nur deswegen erwarben, weil ihnen die Augenlinsen geliefert<br />

wurden. Der enge Verfahrenszusammenhang ist insbesondere auch daran zu erkennen, dass es lebensfremd gewesen<br />

wäre, wenn die Staatsanwaltschaft im Fall späterer Kenntniserlangung von Unregelmäßigkeiten bei der Abrechnung<br />

solcher Stoffe ein neues Verfahren gegen die Angeklagten eingeleitet hätte.<br />

4. Die Teileinstellungen bezüglich der Angeklagten Dr. S. <strong>und</strong> Dr. Sch. können auch nicht teilweise bestehen bleiben,<br />

soweit die Kammer die Untreuetaten bereits im Jahr 1993 als materiell beendet angesehen hat. Zwar erfasst der<br />

Inhalt der Durchsuchungsbeschlüsse vom 1. September 1998 nur Taten ab 1994, sodass 1993 beendete Taten bereits<br />

verjährt sind.<br />

Nach den Urteilsfeststellungen erfolgten die kassenärztlichen Verordnungen seitens der Angeklagten Dr. S. <strong>und</strong> Dr.<br />

Sch. ab dem 26. Oktober 1993 (UA S. 24). Die erste <strong>und</strong> einzige Kick-back-Zahlung im Jahr 1993 datiert allerdings<br />

bereits auf den 8. Oktober 1993 (UA S. 18). Den Feststellungen zufolge kann es sich demnach nicht um eine - wie<br />

für die Frage der Verjährung von der Kammer durchgehend angenommene - nachträgliche Zahlung handeln, sodass<br />

das Urteil insoweit unklar bleibt. Ist die Zahlung indessen ausnahmsweise im Vorhinein erfolgt, ist nicht ausge-<br />

264


schlossen, dass sie (teilweise) für Verordnungen im Jahr 1994 bestimmt war, sodass insoweit auch die materielle<br />

Beendigung nicht vor 1994 eingetreten sein kann.<br />

III. Der Teilfreispruch des Angeklagten Dr. P. hinsichtlich des Tatkomplexes „Augenlinsen“ hält sachlich-rechtlicher<br />

Überprüfung nicht stand.<br />

1. Das Landgericht hat den Angeklagten Dr. P. aus tatsächlichen Gründen von den Betrugsvorwürfen freigesprochen,<br />

da es weder irrtumsbedingte Vermögensverfügungen seitens der Leistungsträger noch einen entsprechenden „Täuschungsvorsatz“<br />

des Angeklagten habe feststellen können (UA S. 50). Den Mitarbeitern der Kassenärztlichen Vereinigung<br />

<strong>und</strong> der Krankenkassen habe jegliche Vorstellung über die Berechtigung der Höhe der geltend gemachten<br />

Kosten für die Augenlinsen gefehlt, da insoweit keine Überprüfungen vorgenommen worden seien (UA S. 20 f.).<br />

Nach den Urteilsfeststellungen vertrat man bei der Kassenärztlichen Vereinigung die Auffassung, die Überprüfungspflicht<br />

für diese Kosten treffe die Krankenkassen (UA S. 35 f.). Die Krankenkassen überprüften die Abrechnungen<br />

aber nur bei außergewöhnlichen Abweichungen bzw. stichprobenartig oder unterzogen diejenigen eines Arztes insgesamt<br />

einer Wirtschaftlichkeitsprüfung. Teilweise wurde dies damit gerechtfertigt, dass man bei den Krankenkassen<br />

der Ansicht war, die Kassenärztliche Vereinigung würde auch die geltend gemachten Sachkosten überprüfen (UA S.<br />

37 f.). Angesichts dieser Prüfungspraxis habe nicht festgestellt werden können, dass der Angeklagte Dr. P. davon<br />

ausging, die Kassenärztliche Vereinigung oder die Krankenkassen nähmen Kontrollen vor (UA S. 21, 39).<br />

2. Das Landgericht hat mit rechtsfehlerhafter Begründung das Vorliegen eines Irrtums verneint. Ob beim Verfügenden<br />

ein Irrtum erregt oder unterhalten wurde, ist zwar Tatfrage (vgl. BGH NStZ 2000, 375); die Ausführungen im<br />

Urteil zum fehlenden Irrtum gehen jedoch schon im rechtlichen Ausgangspunkt fehl. Das Landgericht hat nicht bedacht,<br />

dass es jedenfalls bei dem - hier gegebenen - standardisierten, auf Massenerledigung angelegten Abrechnungsverfahren<br />

nicht erforderlich ist, dass der jeweilige Mitarbeiter hinsichtlich jeder einzelnen geltend gemachten<br />

Position die positive Vorstellung hatte, sie sei der Höhe nach berechtigt; vielmehr genügt die stillschweigende Annahme,<br />

die ihm vorliegende Abrechnung sei insgesamt „in Ordnung“ (vgl. BGHSt 2, 325, 326; 386, 389; Tiedemann<br />

in LK 11. Aufl. § 263 Rdn. 79, 83). Daher setzt ein Irrtum nicht voraus, dass tatsächlich eine Überprüfung der Abrechnungen<br />

im Einzelfall durchgeführt wurde. Dies ergibt sich hier gerade aus der besonderen Stellung von Kassenärzten;<br />

denn das ihnen durch die Kassenarztzulassung entgegengebrachte Vertrauen rechtfertigt erwartungsgemäß<br />

die Herabsetzung des Prüfungsumfangs seitens der Leistungsträger.<br />

Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> ist insbesondere der Schluss des Landgerichts vom Prüfungsumfang bei den betroffenen<br />

Krankenkassen darauf, dass bei deren Mitarbeitern kein Irrtum erregt worden sei, nicht nachvollziehbar. So legen<br />

etwa stichprobenartige Kontrollen den Schluss auf eine selbstverständliche Erwartungshaltung des jeweiligen Mitarbeiters<br />

bei den nicht kontrollierten Vorgängen dahin nahe, dass die angesetzten Kosten auch tatsächlich angefallen<br />

sind. Auch ist sachlogische Voraussetzung für die - den Krankenkassen regelmäßig vorbehaltene - Wirtschaftlichkeitsprüfung,<br />

dass Prüfungsgegenstand nur tatsächlich erbrachte Leistungen <strong>und</strong> angefallene Kosten sind (vgl. BSG<br />

MedR 1995, 245, 248; Herffs, Der Abrechnungsbetrug des Vertragsarztes Diss. 2002 S. 74).<br />

Inwieweit das Landgericht daneben das Fehlen eines Irrtums bei den Mitarbeitern der Kassenärztlichen Vereinigung<br />

tragfähig begründet hat, braucht der Senat nicht zu entscheiden (vgl. hierzu Herffs aaO S. 60 ff.). Für die Krankenkassen<br />

gilt jedenfalls, dass diese nach den Urteilsfeststellungen nicht wie der Kassenärztlichen Vereinigung nachgeordnete<br />

Zahlstellen zu beurteilen sind, die ohne eigene Prüfungskompetenz etwaige dortige Entscheidungen nur<br />

zahlungstechnisch abwickeln (zu dieser - hier nicht vorliegenden - Fallkonstellation vgl. den in der Gegenerklärung<br />

zitierten Beschluss des 5. Strafsenats vom 11. Oktober 2004 – 5 StR 389/04 [NStZ 2005, 157]).<br />

3. Auch soweit das Landgericht den Vorsatz beim Angeklagten Dr. P. verneint hat, begegnen die Ausführungen im<br />

Urteil - bereits für sich gesehen - durchgreifenden Bedenken.<br />

Zunächst wird die Vorstellung des Angeklagten nur unter dem Gesichtspunkt des direkten Vorsatzes, nicht des bedingten<br />

Vorsatzes erörtert. Das Urteil verhält sich nicht dazu, ob der Angeklagte Fehlvorstellungen bei den Mitarbeitern<br />

der Leistungsträger für möglich hielt <strong>und</strong> sich um seines finanziellen Vorteils willen hiermit abfand (vgl. BGHSt<br />

36, 1, 9 f.; BGH NStZ 1999, 32, 34). Darüber hinaus könnte einer bestimmten Prüfungspraxis für den Vorsatz überhaupt<br />

nur dann Bedeutung zukommen, wenn sie in die Vorstellung des Angeklagten, was das Urteil nicht erörtert,<br />

auf irgendeine Weise Eingang fand.<br />

IV. Für die neue Hauptverhandlung sieht der Senat Anlass zu den folgenden Hinweisen: 1. Ob die von den drei Angeklagten<br />

bezogenen Medikamente unter die (jeweils) einschlägige Sprechst<strong>und</strong>enbedarfsvereinbarung fielen, ist<br />

entgegen der Auffassung der Kammer (UA S. 24 f.) im Ergebnis unerheblich. Die Möglichkeit der Verordnung von<br />

Sprechst<strong>und</strong>enbedarf - hier Operationsbedarf - zu Lasten der Krankenkassen ergibt sich aus derartigen Vereinbarungen<br />

auf der Gr<strong>und</strong>lage von § 83 Abs. 1 Satz 1 SGB V, wonach die Kassenärztlichen Vereinigungen mit den zuständigen<br />

Verbänden der Kassen Gesamtverträge über die vertragsärztliche Versorgung der Mitglieder schließen; was als<br />

265


Sprechst<strong>und</strong>enbedarf verordnungsfähig ist, kann dabei in den Vereinbarungen, insbesondere in den Anlagen, definiert<br />

werden (vgl. Dahm in Rieger [Hrsg.], Lexikon des Arztrechts 2. Aufl. 13. Lfg. Ordnungsziff. 4940 Rdn. 9, 15).<br />

Die Strafbarkeit wegen Untreue hängt allerdings im Ergebnis weder vom im Wege der Vertragsauslegung zu ermittelnden<br />

Inhalt der einschlägigen Sprechst<strong>und</strong>enbedarfsvereinbarung noch von der Anwendung des Verbringungsverbots<br />

nach § 73 AMG in den für den Tatzeitraum geltenden Fassungen vom 27. April 1993 <strong>und</strong> 19. Oktober 1994 ab.<br />

Die Vertretungsmacht des Kassen- bzw. Vertragsarztes geht sehr weit. Der Apotheker, der sich an die ärztliche Verordnung<br />

hält, ist in seinem Vertrauen auf Bezahlung des Kaufpreises durch die Krankenkasse geschützt (vgl. BSG<br />

SozR 3-2500 § 132a Nr. 3). Er ist im Gr<strong>und</strong>satz nicht verpflichtet, zu überprüfen, ob die ärztliche Verordnung sachlich<br />

richtig ist. Die jeweilige Krankenkasse kann dem Apotheker Einwendungen, die die ärztliche Verordnung<br />

betreffen, regelmäßig nicht entgegenhalten (vgl. BSGE 77, 194, 206; Senat, Beschluss vom 27. April 2004 - 1 StR<br />

165/03 - Umdruck S. 11). Aber selbst wenn sich hier die Vertretungsmacht (vgl. BGHSt 49, 17, 19, 23 f.; BSGE aaO<br />

200) nicht auf die Verordnung der Produkte Cellugel <strong>und</strong> Wydase als Sprechst<strong>und</strong>enbedarf bezogen hätte, hätten die<br />

Angeklagten zwar als Vertreter ohne Vertretungsmacht i.S.v. § 177 Abs. 1 BGB gehandelt. Dann wäre das jeweilige<br />

Geschäft jedoch durch die nachträgliche Zahlung seitens der zuständigen AOK oder der Barmer Ersatzkasse genehmigt<br />

worden, wobei sich die Genehmigung naturgemäß nicht auf den von den Angeklagten gerade verschwiegenen<br />

Rabattanteil hätte beziehen können. An der Strafbarkeit eines derartigen Verhaltens nach § 266 Abs. 1 StGB würde<br />

sich hierdurch - abgesehen davon, dass der Treubruchs- anstelle des Missbrauchs-Tatbestands einschlägig wäre -<br />

nichts ändern. Sollten sich die Angeklagten sogar bewusst über die ihnen zustehende Vertretungsmacht hinweggesetzt<br />

haben, um die jeweilige Kasse zur Zahlung zu veranlassen, könnte dies freilich bei der Strafzumessung zu ihren<br />

Lasten gewertet werden.<br />

2. Was den Tatkomplex „Augenlinsen“ anbelangt, hat die Kammer nicht feststellen können, welche der patientenbezogenen<br />

Abrechnungen Augenlinsen, die R. an den Angeklagten Dr. P. geliefert hatte, <strong>und</strong> welche Augenlinsen<br />

seiner sechs anderen Lieferanten betrafen. Da alle nicht mit einer speziellen Identifizierungsnummer versehen waren,<br />

war die Zuordnung der Augenlinsen, hinsichtlich derer Kick-back-Zahlungen erfolgten, zu den Abrechnungen nicht<br />

möglich (UA S. 39). Die Kammer hat somit letztlich nicht feststellen können, gegenüber welchen Krankenkassen -<br />

allein die vierte Quartalsabrechnung aus 1996 betraf 30 Kassen (UA S. 36) - überhöhte Kosten abgerechnet wurden.<br />

Sollten sich von dem nunmehr zur Entscheidung berufenen Tatgericht hinsichtlich des Tatkomplexes „Augenlinsen“<br />

erneut keine Feststellungen zu konkret geschädigten Kassen treffen lassen, stellt dies keinen Mangel des Urteils dar,<br />

der dessen Bestand gefährden würde (vgl. Senat, Beschluss vom 27. April 2004 - 1 StR 165/03 - Umdruck S. 7 f.).<br />

Auch dann ist die Beweisaufnahme aber wiederum auf die regelhaften internen Abläufe bei der Kassenärztlichen<br />

Vereinigung <strong>und</strong> den Kassen zu erstrecken (aaO S. 6), wobei es sich, da einerseits eine Vielzahl von Kassen als Geschädigte<br />

in Betracht kommt, andererseits die Geschädigten nicht mehr zu ermitteln sind, nur um exemplarische<br />

Beweiserhebungen für die Überzeugungsbildung des Tatgerichts handeln kann. Da es um standardisierte, auf Massenerledigung<br />

angelegte Abrechnungsverfahren geht, sind die Anforderungen an die Aufklärungspflicht (vgl. § 244<br />

Abs. 2 StPO) nicht zu überspannen. Was die Frage anbelangt, wie der Gesamtschaden auf die Tathandlungen zu<br />

verteilen ist, wird gegebenenfalls eine Schätzung anhand der prozentualen Gewinnmarge erforderlich sein.<br />

3. Dem Beschleunigungsgebot nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK wird hier besondere Bedeutung zukommen, obwohl<br />

es sich nicht um eine Haftsache handelt.<br />

266


267<br />

StGB - Besonderer Teil<br />

StGB § 86 a Abs. 1 – Durchgestrichenes Hakenkreuz ist kein Hakenkreuz<br />

BGH, Urt. vom 15.03.2007 – 3 StR 486/06 – NJW 2007, 1602 ff.= JR 2007 xxx mit Anm. Vormbaum.<br />

Der Gebrauch des Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation in einer Darstellung, deren<br />

Inhalt in offenk<strong>und</strong>iger <strong>und</strong> eindeutiger Weise die Gegnerschaft zu der Organisation <strong>und</strong> die<br />

Bekämpfung ihrer Ideologie zum Ausdruck bringt, läuft dem Schutzzweck des § 86 a StGB ersichtlich<br />

nicht zuwider <strong>und</strong> wird daher vom Tatbestand der Vorschrift nicht erfasst.<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat auf Gr<strong>und</strong> der Verhandlung vom 8. März 2007 in der Sitzung am 15.<br />

März 2007 für Recht erkannt:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 29. September 2006 aufgehoben.<br />

Der Angeklagte wird freigesprochen.<br />

2. Die Kosten des Verfahrens <strong>und</strong> die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.<br />

3. Zur Entscheidung über die Verpflichtung zur Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen ist das Landgericht<br />

Stuttgart zuständig.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu<br />

einer Geldstrafe verurteilt. Dieser betreibt unter dem Namen "N. " ein Unternehmen, das Artikel für die Punkerszene<br />

wie CDs, Kleidungsstücke, Aufkleber u. ä. über ein Ladengeschäft <strong>und</strong> einen Versandhandel vertreibt. In seinem<br />

Sortiment waren bei einer Durchsuchung am 23. August 2005 auch zahlreiche Artikel mit Darstellungen enthalten,<br />

auf denen nationalsozialistische Symbole, insbesondere das Hakenkreuz, in zum Teil veränderter, aber noch erkennbarer<br />

Form abgebildet waren, wobei durch die Art der Darstellung die Gegnerschaft zum Nationalsozialismus zum<br />

Ausdruck gebracht werden sollte. Die sichergestellten Artikel waren im Lager <strong>und</strong> im Ladengeschäft der Firma vorrätig<br />

gehalten <strong>und</strong> zum Teil auch ausgestellt worden. Das gesamte Warensortiment war zudem in Katalogen <strong>und</strong> im<br />

Rahmen eines sog. "Onlineshop" auf einer Internetseite einsehbar. Das Landgericht hatte bei der Entscheidung über<br />

die Eröffnung des Hauptverfahrens die Auffassung vertreten, die vom Angeklagten vertriebenen Artikel unterfielen<br />

zum größten Teil nicht dem Tatbestand des § 86 a StGB, weil die nationalsozialistischen Kennzeichen insoweit in<br />

eindeutig distanzierender Weise gebraucht worden seien; lediglich bei drei von ihnen sei die Gegnerschaft nicht in<br />

ausreichender Weise eindeutig erkennbar. Insoweit hat es das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht - Strafrichter -<br />

Waiblingen eröffnet. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat das Oberlandesgericht Stuttgart die<br />

Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Landgericht in nahezu vollem Umfang der Anklage angeordnet, weil auch<br />

eine eindeutig distanzierende Verwendung solcher Kennzeichen der Strafvorschrift des § 86 a StGB unterfalle, mit<br />

der die inkriminierten Symbole unabhängig von der Absicht des Verwenders tabuisiert werden sollten. Das Landgericht<br />

hat in seinem Urteil nunmehr - er-sichtlich auf der Gr<strong>und</strong>lage der Entscheidung BGHSt 25, 30 - die Auffassung<br />

vertreten, "jedenfalls die hier vorliegende Verwendung der Kennzeichen in größerem Umfang sei unabhängig davon<br />

strafbar, ob eine innere Distanzierung von nationalsozialistischem Gedankengut bestehe <strong>und</strong> auch unabhängig davon,<br />

ob bei ihnen eine solche Distanzierung bereits durch die Art der Darstellung als solche hinreichend deutlich nach<br />

außen in Erscheinung tritt". Der Angeklagte hat gegen seine Verurteilung Revision eingelegt. Er hat mit der Sachrüge<br />

Erfolg.<br />

I. Entgegen der Auffassung des Landgerichts erfüllt die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen<br />

in Darstellungen, bei denen sich bereits aus ihrem Inhalt in offenk<strong>und</strong>iger <strong>und</strong> eindeutiger Weise ergibt,<br />

dass sie in einem nachdrücklich ablehnenden Sinne gebraucht werden, unabhängig von deren Umfang nicht den<br />

Straftatbestand des § 86 a StGB.<br />

1. Der Schutzzweck dieses Straftatbestandes ist die Abwehr einer Wiederbelebung der verbotenen Organisation oder<br />

der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Bestrebungen, auf die das Kennzeichen symbolhaft hinweist. Die Vorschrift<br />

dient aber auch der Wahrung des politischen Friedens dadurch, dass jeglicher Anschein einer solchen Wiederbelebung<br />

sowie der Eindruck bei in- <strong>und</strong> ausländischen Beobachtern des politischen Geschehens in der B<strong>und</strong>esrepublik<br />

Deutschland vermieden werden soll, in ihr gebe es eine rechtsstaatswidrige innenpolitische Entwicklung,<br />

die dadurch gekennzeichnet ist, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen der durch das Kennzeichen angezeigten


Richtung geduldet würden. Auch ein solcher Eindruck <strong>und</strong> die sich daran knüpfenden Reaktionen können den politischen<br />

Frieden empfindlich stören. § 86 a StGB will darüber hinaus verhindern, dass die Verwendung von Kennzeichen<br />

verbotener verfassungsfeindlicher Organisationen - ungeachtet der damit verb<strong>und</strong>enen Absichten - sich wieder<br />

derart einbürgert, dass das Ziel, solche Kennzeichen aus dem Bild des politischen Lebens in der B<strong>und</strong>esrepublik<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich zu verbannen, nicht erreicht wird, mit der Folge, dass sie schließlich auch wieder von den Verfechtern<br />

der politischen Ziele, für die das Kennzeichen steht, gefahrlos gebraucht werden können (BGHSt 25, 30, 33 f.; 25,<br />

128, 130 f.).<br />

2. Die weite Fassung des Tatbestandes, der nach seinem Wortlaut - von Fällen der sog. Sozialadäquanzklausel nach §<br />

86 a Abs. 3 i. V. m. § 86 Abs. 3 StGB abgesehen - jegliches Verwenden eines solchen Kennzeichens anspricht, würde<br />

bei wortgetreuer Auslegung jedoch auch Handlungen erfassen, die diesem Schutzzweck nicht zuwiderlaufen oder<br />

sogar in seinem Sinne wirken sollen. Dies erfordert eine Restriktion des Tatbestandes, die derartige Kennzeichenverwendungen<br />

von der Strafbarkeit nach § 86 a StGB ausnimmt.<br />

a) Bereits im Gesetzgebungsverfahren hatte man erkannt, dass der Tatbestand zu weit gefasst ist. Dabei hatte man<br />

erörtert, dass es Fälle - wie etwa den bloß scherzhaften Gebrauch des Kennzeichens - geben kann, die der Sozialadäquanzklausel<br />

des § 86 a Abs. 3 i. V. m. § 86 Abs. 3 StGB nicht unterfallen, aber dennoch nicht strafwürdig sind. Die<br />

Notwendigkeit einer Einschränkung war im Sonderausschuss des Deutschen B<strong>und</strong>estages für die Strafrechtsreform<br />

angesprochen worden, jedoch hatte man damals keine Möglichkeit zur Verfeinerung der tatbestandlichen Umschreibung<br />

gesehen <strong>und</strong> die Auslegung des Tatbestandes im Einzelnen der Rechtsprechung überlassen (Beratung des § 94<br />

a des Regierungsentwurfs eines Achten Strafrechtsänderungsgesetzes i. d. F. der Formulierungshilfe vom 20. Februar<br />

1967, Protokoll S. 959 f., 1617 f.).<br />

b) Der B<strong>und</strong>esgerichtshof hatte im Jahre 1970 in einem Fall, in dem ein Künstler Plastik-Sparschweine mit den Farben<br />

der B<strong>und</strong>esrepublik <strong>und</strong> mit einem Hakenkreuz bemalt <strong>und</strong> Kunstsammlungen angeboten hatte, eine Tatbestandsrestriktion<br />

allerdings zunächst noch abgelehnt <strong>und</strong> die Auffassung vertreten, dass das Verwenden gemäß § 86<br />

a StGB im weitesten Sinne auszulegen sei <strong>und</strong> auch durch eine kritische Absicht des Täters nicht ausgeschlossen<br />

werde (BGHSt 23, 267). Diese Ansicht hat er jedoch 1972 aufgegeben <strong>und</strong> es für geboten gehalten, solche Kennzeichenverwendungen<br />

vom Tatbestand auszuschließen, die dem Schutzzweck der Vorschrift ersichtlich nicht zuwiderlaufen,<br />

um eine Überdehnung des Tatbestandes zu vermeiden (BGHSt 25, 30; so auch Sonnen in AK-StGB § 86 a<br />

Rdn. 13 ff.; Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 86 a Rdn. 18 f.). Dabei hat der Senat namentlich eine solche Verwendung<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich vom Tatbestand ausgenommen, die ersichtlich Ausdruck der Gegnerschaft zu den politischen<br />

Zielen <strong>und</strong> Methoden der verfassungsfeindlichen Organisation ist, deren Kennzeichen gebraucht wird, allerdings für<br />

das gehäufte Verwenden eine Ausnahme gemacht, da damit die Gefahr verb<strong>und</strong>en sein könnte, dass sich das verbotene<br />

Kennzeichen in der Öffentlichkeit wieder einbürgere (vgl. dazu Träger/Mayer/Krauth in FS 25 Jahre BGH S.<br />

240 f.). In einer unveröffentlichten Folgeentscheidung zu dem BGHSt 23, 267 zugr<strong>und</strong>e liegenden Ausgangsfall der<br />

bemalten Plastik-Sparschweine hat der Senat mit Urteil vom 10. Juli 1974 - 3 StR 6/71 I - in Anwendung der zwischenzeitlich<br />

geänderten Rechtsprechung angenommen, dass die Verwendung des Hakenkreuzes auf diesen Gegenständen<br />

dem Tatbestand des § 86 a StGB nicht unterfalle, weil es deutlich erkennbar in kritisch abwertendem Sinne<br />

verwendet werde <strong>und</strong> somit dem Schutzzweck ersichtlich nicht zuwiderlaufe.<br />

c) Die in der Literatur vertretenen Auffassungen kommen - mit unter-schiedlichen Begründungen - für Fälle kritischer<br />

Verwendung zu ähnlichen Ergebnissen: So sehen einige Stimmen den Tatbestand nur dann als erfüllt an, wenn<br />

die Verwendung des Symbols als Bekenntnis zu den Zielen der verbotenen Organisation aufgefasst <strong>und</strong> insoweit eine<br />

Gefährdung der Schutzgüter des § 86 a StGB angenommen werden könne (Paeffgen in NK StGB § 86 a Rdn. 14;<br />

Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 86 a Rdn. 6). Andere wollen diese Fälle ausschließlich<br />

über die Sozialadäquanzklausel des § 86 a Abs. 3 i. V. m. § 86 Abs. 3 StGB lösen (Steinmetz in MünchKomm §<br />

86 a Rdn. 18; Laufhütte in LK 11. Aufl. § 86 a Rdn. 14).<br />

3. Für die hier zu entscheidende Fallgestaltung gilt Folgendes: Der Gebrauch des Kennzeichens einer verfassungswidrigen<br />

Organisation in einer Darstellung, deren Inhalt in offenk<strong>und</strong>iger <strong>und</strong> eindeutiger Weise die Gegnerschaft zu<br />

der Organisation <strong>und</strong> die Bekämpfung ihrer Ideologie zum Ausdruck bringt, läuft dem Schutzzweck der Vorschrift<br />

ersichtlich nicht zuwider <strong>und</strong> wird daher vom Tatbestand des § 86 a StGB nicht erfasst. Da sich in einem derartigen<br />

Fall die gegnerische Zielrichtung bereits aus dem Aussagegehalt der Darstellung selbst ergibt, erstreckt sich der<br />

Tatbestandsausschluss gr<strong>und</strong>sätzlich auf jeglichen Gebrauch der Kennzeichen, sei es Herstellung, Vorrätighalten,<br />

Verbreiten oder sonstiges Verwenden. Auf die Umstände des Gebrauchs kommt es dabei zur Begründung eines Tatbestandsausschlusses<br />

nicht an. Der Senat weist freilich darauf hin, dass ein Tatbestandsausschluss nur gerechtfertigt<br />

erscheint, wenn die Gegnerschaft sich eindeutig <strong>und</strong> offenk<strong>und</strong>ig ergibt <strong>und</strong> ein Beobachter sie somit auf Anhieb zu<br />

erkennen vermag. Ist dagegen der Aussagegehalt einer Darstellung mehrdeutig oder die Gegnerschaft nur <strong>und</strong>eutlich<br />

268


erkennbar, so ist der Schutzzweck des § 86 a StGB verletzt. Dies mag etwa der Fall sein, wenn das Durchstreichen<br />

des Hakenkreuzes so dünn erfolgt, dass aus einer gewissen Entfernung nur noch das Hakenkreuz, nicht mehr aber die<br />

Distanzierung erkennbar ist.<br />

a) Eine Einschränkung des Straftatbestandes in solchen Fällen trägt auch dem Gr<strong>und</strong>recht auf freie Meinungsäußerung<br />

nach Art. 5 Abs. 1 GG Rechnung. Zwar handelt es sich bei § 86 a StGB um ein allgemeines Gesetz im Sinne<br />

des Art. 5 Abs. 2 GG, das gr<strong>und</strong>sätzlich geeignet ist, zur Verwirklichung seines Schutzzweckes die Meinungsfreiheit<br />

zu beschränken. Läuft jedoch ein Handeln - wie hier der Gebrauch von Kennzeichen in eindeutig <strong>und</strong> offenk<strong>und</strong>ig<br />

ablehnender Weise - dem Schutzzweck des § 86 a StGB ersichtlich nicht zuwider, wäre es auch verfassungsrechtlich<br />

bedenklich, ein solches Verhalten gleichwohl zu inkriminieren <strong>und</strong> dadurch die Freiheit von Bürgern zu beschränken,<br />

die gegen die Wiederbelebung von nationalsozialistischen Bestrebungen in der Weise protestieren wollen, dass<br />

sie gerade die Kennzeichen angreifen, die eben diese unerwünschten Bestrebungen symbolisieren (vgl. BVerfG,<br />

Beschl. vom 23. März 2006 - 1 BvR 204/03).<br />

b) Einem Tatbestandsausschluss steht auch nicht der Umstand entgegen, dass der Angeklagte mit dem Vertrieb der<br />

Artikel auch oder sogar vorrangig kommerzielle Ziele verfolgte. Ein wirtschaftliches Motiv nimmt den Darstellungen<br />

nicht den ihnen selbst innewohnenden nachdrücklich ablehnenden Aussagegehalt. Insoweit kann hier nichts<br />

anderes gelten als in Fällen der Anwendung der Sozialadäquanzklausel. Wenn etwa eine Druckerei aus geschäftlichem<br />

Interesse Aufträge zur Herstellung von Plakaten, Schriften oder Büchern ausführt, die im Sinne des § 86 Abs. 3<br />

StGB der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Wissenschaft oder der<br />

Geschichtsberichterstattung dienen <strong>und</strong> in denen entsprechende Kennzeichen dargestellt werden, wird auch für ihr<br />

Handeln diese Klausel Anwendung finden <strong>und</strong> eine Strafbarkeit ausscheiden. Im Übrigen steht auch die kommerzialisierte<br />

Meinungsverbreitung unter dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG (Leibholz/Rinck, GG Art. 5 Rdn. 61).<br />

c) Der Senat teilt auch nicht die vom Landgericht gehegten Befürchtungen, eine solche Auslegung könne von Anhängern<br />

der verbotenen Organisationen zum gefahrlosen Gebrauch der Kennzeichen missbraucht werden.<br />

aa) Solche Personen würden Darstellungen, in denen die Kennzeichen in eindeutig <strong>und</strong> offenk<strong>und</strong>ig ablehnender<br />

Weise gebraucht werden, als Verhöhnung des ihnen "heiligen" Kennzeichens empfinden <strong>und</strong> selbst nicht verwenden<br />

(vgl. BGHSt 25, 133, 137). Der Senat hält es daher nicht für vorstellbar, wie es das Landgericht befürchtet, dass eine<br />

Gruppe rechtsgerichteter Personen in Springerstiefeln, Braunhemden <strong>und</strong> mit einer Oberarmbinde, die ein - deutlich<br />

- durchgestrichenes Hakenkreuz enthält, in Erscheinung treten könnte. Er muss daher auch nicht abschließend dazu<br />

Stellung nehmen, ob in einem solchen Falle ebenfalls ein Tatbestandsausschluss anzunehmen oder infolge der besonderen<br />

gegenläufigen Umstände abzulehnen wäre.<br />

bb) Soweit eingewandt wird, die Verwendung des "Umweltmännchens" durch eine rechtsgerichtete Gruppierung<br />

belege eine solche Gefahr, trifft dies nicht zu: Dieses Symbol zeigt im allgemeinen Gebrauch eine stilisierte Figur,<br />

die einen Abfallgegenstand mit ausgestrecktem Arm in einen Abfallbehälter wirft <strong>und</strong> so zur Sauberhaltung etwa von<br />

Parkanlagen auffordert. Auf vom Angeklagten vertriebenen Artikeln wurde dieses Symbol dahin abgeändert, dass<br />

der Abfallgegenstand durch ein Hakenkreuz ersetzt wurde, um ersichtlich zum Ausdruck zu bringen, dass dieses<br />

nichts wert <strong>und</strong> daher wegzuwerfen sei. Die offensichtlich rechtsextreme Gruppe "Nationaler Widerstand" hat nun<br />

diese veränderte Darstellung mit Hakenkreuz übernommen, aber mit der Überschrift "Ihr stimmt uns heiter" <strong>und</strong> der<br />

Unterschrift "der Nationale Widerstand marschiert geschlossen weiter!" versehen. Damit hat diese Gruppe nicht die<br />

vom Angeklagten verwendete Darstellung gebraucht, sondern diese durch den Begleittext so verändert, dass sie<br />

einen entgegengesetzten Sinngehalt bekommen hat. Denn in dem aufgedruckten Kontext ergibt sich die Aussage,<br />

dass der "Nationale Widerstand" ungeachtet der dargestellten Gegenpropaganda, über die er nur lachen könne, "weitermarschiere"<br />

<strong>und</strong> somit seine Ziele weiterverfolge. Die Verwendung des Hakenkreuzes in einer solchen Bedeutung<br />

unterfällt ohne weiteres dem Tatbestand des § 86 a StGB. Denn sie zeigt ein Bekenntnis zu diesem Symbol <strong>und</strong> nicht<br />

dessen Ablehnung.<br />

cc) Dass, wie das Landgericht betont, die ablehnende Verwendung solcher Kennzeichen die Anhänger der verbotenen<br />

Organisationen herausfordern könnte, erst recht ihre Symbole zu zeigen <strong>und</strong> sich so zu ihnen zu bekennen, mag<br />

zutreffen. Dies kann aber nicht rechtfertigen, den durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Protest gegen solche inkriminierten<br />

Kennzeichen unter Strafe zu stellen.<br />

d) Eine andere Beurteilung rechtfertigt auch nicht der vom Landgericht maßgeblich für seine Rechtsauffassung herangezogene<br />

Umstand, dass die vom Angeklagten vertriebenen Darstellungen für einen massenhaften Gebrauch<br />

gedacht waren.<br />

aa) Allerdings kann der Entscheidung BGHSt 25, 30, 34 eine Beschränkung der Tatbestandsrestriktion auf Einzelverwendungen<br />

der Kennzeichen in Abgrenzung zu deren gehäuftem Gebrauch entnommen werden. Der Senat hat<br />

zum dortigen Sachverhalt (ein Angeklagter protestiert gegen den - nach seiner Auffassung ungerechtfertigten -<br />

269


Schlagstockeinsatz der Polizei mit dem "Hitlergruß" <strong>und</strong> "Sieg Heil"-Rufen) darauf hingewiesen, dass bei einer einmaligen<br />

Verwendung, bei der das Kennzeichen nur kurz in Erscheinung trete, es der Feststellung besonderer Umstände<br />

bedürfe, um das Handeln als Verstoß gegen § 86 a StGB einzuordnen; jedoch sei der Tatbestand erfüllt, wenn<br />

etwa bei einer Demonstration solche Kennzeichen in einer Häufung verwendet werden würden, dass die Gefahr<br />

bestehe, sie könnten sich entgegen dem Schutzzweck des § 86 a StGB wieder einbürgern. Der zu entscheidende<br />

Sachverhalt war somit dadurch geprägt, dass die Kennzeichen in unveränderter Form gebraucht worden sind <strong>und</strong> ihre<br />

ablehnende Verwendung erst aus den näheren Begleitumständen gefolgert werden konnte. Dass eine solche Beurteilung<br />

bei einem gehäuften Gebrauch - etwa bei einer Demonstration - außerordentlich problematisch ist <strong>und</strong> die Gefahr<br />

einer Missinterpretation einschließt, liegt auf der Hand. Auch im Fall einer neutralen Verwendung hat der Senat<br />

eine ähnliche Einschränkung vorgenommen. Bei einem Spielzeughersteller, der originalgetreue Modelle von Kriegsflugzeugen<br />

mit Hakenkreuz auf den Markt gebracht hatte, hat er entscheidend auf die "massenhafte Verbreitung"<br />

abgestellt <strong>und</strong> diese für unzulässig erklärt (BGHSt 28, 394, 397).<br />

bb) Für eine solche Einschränkung besteht jedoch in Fällen wie hier, in denen bereits die Darstellung selbst eine<br />

nachdrückliche Ablehnung zum Ausdruck bringt, kein Bedürfnis. Denn auch bei häufiger Verwendung eines derart<br />

dargestellten Kennzeichens ist eine Verletzung des Schutzzwecks des § 86 a StGB nicht zu befürchten (so auch Sonnen<br />

aaO). Gleich ob eine Person oder eine Vielzahl von Personen etwa ein Abzeichen mit einem deutlich durchgestrichenen<br />

Hakenkreuz zum Zeichen der Ablehnung des Nationalsozialismus <strong>und</strong> etwaiger Bestrebungen seiner<br />

Wiederbelebung öffentlich trägt, wird ein Beobachter des Geschehens nicht den Eindruck gewinnen können, in der<br />

B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland gebe es eine innenpolitische Entwicklung, die verfassungs-feindliche Bestrebungen der<br />

durch das Kennzeichen angezeigten Richtung duldet; ihm wird im Gegenteil vermittelt, dass es Bürger gibt, die sich<br />

dem engagiert widersetzen. Durch die Vielzahl solcher gegnerischer Verwendungen kann der Eindruck einer Ablehnung<br />

eher noch verstärkt werden. Demgemäß hat der Senat in BGHSt 25, 133 in einem vergleichbaren Fall, in dem<br />

der Angeklagte auf Plakaten ein Hakenkreuz in einer aus dem Inhalt des Plakats ersichtlichen, ablehnenden Weise<br />

verwendet hatte, die Erfüllung des Tatbestandes ohne weiteres verneint, ohne auf den Gesichtspunkt der gehäuften<br />

Verwendung, die bei einem Plakat nahe gelegen hätte, näher einzugehen.<br />

II. Die Verwendung der Kennzeichen in den Darstellungen, die dem Angeklagten als Verstoß gegen § 86 a Abs. 1<br />

StGB zur Last gelegt worden sind, lässt mit Ausnahme des Artikels Nr. II. 79 der Urteilsgründe eine hinreichend<br />

eindeutige <strong>und</strong> offenk<strong>und</strong>ige Gegnerschaft erkennen <strong>und</strong> erfüllt daher den Tatbestand dieser Vorschrift nicht.<br />

1. Bei allen Artikeln, bei denen auch im ersten Rechtszug insoweit keine Zweifel geäußert worden sind, bedarf dies<br />

keiner näheren Erörterung.<br />

2. Aber auch bei den übrigen Artikeln bejaht der Senat - mit Ausnahme der Nr. II. 79 - eine eindeutige <strong>und</strong> offenk<strong>und</strong>ige<br />

Ablehnung:<br />

a) Auf den Gegenständen Nr. II. 68 <strong>und</strong> 80 wird ein am Boden liegendes, zertrümmertes Hakenkreuz dargestellt, auf<br />

dem sich ein Springerstiefel befindet. Damit wird deutlich, dass die Zerstörung des Hakenkreuzes durch einen Stiefeltritt<br />

symbolisiert wird.<br />

b) Die Artikel Nr. II. 72, 73 <strong>und</strong> 76 zeigen ein zerbrochenes Hakenkreuz, bei dem die Brocken farblich so gestaltet<br />

sind, dass ein Teil von ihnen ein "4." bildet, wobei in der Umrandung die Aufschrift "Kein Reich" enthalten ist. Damit<br />

wird nicht nur die Zerstörung des Hakenkreuzes dargestellt, sondern auch die Forderung erhoben, es solle kein 4.<br />

Reich geben. Diese Distanzierung ist nach ihrem Gesamteindruck ausreichend.<br />

c) Soweit hinsichtlich des oben näher geschilderten "Umweltmännchens" Zweifel an einer hinreichend gegnerischen<br />

Verwendung geäußert werden, weil der ausgestreckte Arm nicht nur das Wegwerfen eines Hakenkreuzes, sondern<br />

auch das Entbieten des "Hitlergrußes" gegenüber dem Hakenkreuz oder das Herausholen des Hakenkreuzes aus dem<br />

Abfall darstellen könne, kann dies der Senat angesichts der in der alltäglichen Verwendung dieses Piktogramms<br />

enthaltenen eindeutigen Aussage, Abfall solle in den Abfallbehälter geworfen werden, nicht nachvollziehen. Nur<br />

sehr fern liegende, theoretische Deutungsmöglichkeiten vermögen die sonst gegebene Eindeutigkeit einer Darstellung<br />

nicht in Frage zu stellen.<br />

d) Dagegen teilt der Senat die Beurteilung des Landgerichts zu dem Artikel Nr. II. 79, dessen unzureichende Distanzierung<br />

auch die Verteidigung einräumt. Auf der Vorderseite der CD-Hülle ist ein Bild Adolf Hitlers neben der<br />

"Reichsstandarte" mit unverändertem Hakenkreuz zu sehen. Die Textaufdrucke "Schleim Keim" <strong>und</strong> "Drecksau"<br />

vermögen einem durchschnittlichen Beobachter keinen Bedeutungsinhalt, insbesondere keine deutliche Distanzierung<br />

zu vermitteln. Eine solche ergibt sich allerdings in gewissem Umfang aus der Rückseite der CD-Hülle, auf der<br />

drei Liedtexte abgedruckt sind, wovon einer den Begriff "Faschosau" enthält, was auf einen Text gegen Rechtsextreme<br />

hindeutet. Jedoch fehlt es insgesamt an einer ausreichenden Kenntlichmachung der Ablehnung; diese ist weder<br />

eindeutig, noch offenk<strong>und</strong>ig.<br />

270


III. Der Senat kann dennoch in der Sache abschließend entscheiden. Abgesehen von dem Artikel Nr. II. 79 fehlt es<br />

bereits an der Tatbestandsmäßigkeit des Handelns des Angeklagten. Im verbleibenden Fall II. 79 kann ausgeschlossen<br />

werden, dass die subjektive Tatseite eines Verstoßes nachgewiesen werden kann. Dies würde den Nachweis<br />

eines Vorsatzes voraussetzen, der die Kenntnis davon umfasst, dass bei diesem Artikel die beabsichtigte Distanzierung<br />

nicht ausreichend gelungen ist. Der Angeklagte, der nach den Feststellungen die Bestrebungen, die durch die<br />

verwendeten Kennzeichen symbolisiert werden, glaubwürdig ablehnt, hat sich in der Revisionshauptverhandlung<br />

über seinen Verteidiger dahin eingelassen, er habe die unzureichende Kenntlichmachung der Gegnerschaft übersehen,<br />

als er diesen Artikel in sein umfangreiches Sortiment übernommen hatte. Feststellungen, die dies widerlegen<br />

könnten, sind dem Urteil des Landgerichts - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - nicht zu entnehmen. Der<br />

Senat kann angesichts der besonderen Umstände des Falles auch ausschließen, dass diese in einer neuen Hauptverhandlung<br />

noch getroffen werden könnten.<br />

IV. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 467 Abs. 1 StPO. Zur Entscheidung über die Verpflichtung zur<br />

Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (§ 8 StrEG) ist das Landgericht zuständig (vgl. BGHR StrEG § 8<br />

Zuständigkeit 1 m. w. N.). Art <strong>und</strong> Umfang der entschädigungspflichtigen Maßnahmen sind ohne besondere Anhörung<br />

der Beteiligten allein aus den dem Senat vorliegenden Akten nicht feststellbar.<br />

StGB § 129 a Abs. 5 Unterstützer einer terroristischen Vereinigung nicht schon bei Werben um<br />

Mitglieder<br />

BGH, Beschl. vom 16.05.2007 - AK 6/07 <strong>und</strong> StB 3/07 -<br />

LS: Eine Tathandlung, die sich als Werben um Mitglieder oder Unterstützer einer terroristischen<br />

Vereinigung darstellt, ist gr<strong>und</strong>sätzlich keine Unterstützung dieser Vereinigung.<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts sowie des Beschuldigten<br />

<strong>und</strong> seiner Verteidiger am 16. Mai 2007 gemäß § 304 Abs. 5, §§ 121, 122 StPO beschlossen:<br />

1. Der Haftbefehl des Ermittlungsrichters des B<strong>und</strong>esgerichtshofs vom 5. März 2007 - 2 BGs 43/07 - wird dahin<br />

geändert, dass der Beschuldigte nicht der Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung in mindestens<br />

40 Fällen, sondern des Werbens um Mitglieder oder Unterstützer für eine ausländische terroristische Vereinigung<br />

in mindestens 26 Fällen dringend verdächtig ist.<br />

2. Die Untersuchungshaft hat fortzudauern. Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den B<strong>und</strong>esgerichtshof<br />

findet in drei Monaten statt. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Vorschriften<br />

zuständigen Gericht übertragen.<br />

3. Die Beschwerde des Beschuldigten ist damit erledigt.<br />

Gründe:<br />

Der Beschuldigte ist am 10. Oktober 2006 festgenommen worden <strong>und</strong> befindet sich seitdem in Untersuchungshaft,<br />

zuerst aufgr<strong>und</strong> des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des B<strong>und</strong>esgerichtshofs vom 28. September 2006 - 2 BGs<br />

280/06, seit dem 8. März 2007 aufgr<strong>und</strong> des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des B<strong>und</strong>esgerichtshofs vom 5.<br />

März 2007 - 2 BGs 43/07, der den vorangegangenen Haftbefehl ersetzt hat. Gegenstand des neuen Haftbefehls ist der<br />

Vorwurf, der Beschuldigte habe vom 24. September 2005 bis zum 4. Oktober 2006 in zumindest 40 Fällen eine ausländische<br />

terroristische Vereinigung unterstützt, deren Zwecke <strong>und</strong> deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord oder<br />

Totschlag oder Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239 a oder des § 239 b StGB zu begehen<br />

(§ 129 a Abs. 1 Nr. 1 <strong>und</strong> Nr. 2, Abs. 5 Satz 1, § 129 b Abs. 1 StGB). Der Beschuldigte hat gegen den ursprünglichen<br />

Haftbefehl Beschwerde eingelegt <strong>und</strong> das Rechtsmittel auf den neuen Haftbefehl erstreckt, nachdem dieser an<br />

dessen Stelle getreten ist. Der Ermittlungsrichter des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Dem<br />

Senat liegt die Sache zugleich zur Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft nach §§ 121, 122 StPO<br />

vor. Er ändert im Rahmen der Haftprüfung den Haftbefehl ab <strong>und</strong> hält die Untersuchungshaft aufrecht. Die Haftbeschwerde<br />

des Beschuldigten findet damit ihre Erledigung.<br />

1. Nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Geschehen<br />

auszugehen: Der Beschuldigte verbreitete in der Zeit vom 24. September 2005 bis zum 4. Oktober 2006 von seinem<br />

Wohnsitz über eine Kommunikationssoftware in einem islamistisch ausgerichteten Chatroom Audio- <strong>und</strong> Videobotschaften<br />

von Rädelsführern oder Mitgliedern der ausländischen terroristischen Vereinigungen Al-Qaeda <strong>und</strong> Al-<br />

Qaeda im Zweistromland. Er spielte entweder die Audiodateien in Echtzeit in dem Chatroom ab, stellte sie in Einzel-<br />

271


fällen in den so genannten Textchat ein oder machte diese Dateien über Links den Teilnehmern zugänglich. In mindestens<br />

40 Fällen verbreitete der Beschuldigte auf diese Weise Texte, in denen im wesentlichen durch die Rädelsführer<br />

Bin Laden, Al-Zarqawi <strong>und</strong> Al-Zawahiri zur Teilnahme am Djihad sowie zur Tötung von Gegnern aufgerufen<br />

wurde oder bereits begangene terroristische Anschläge gerechtfertigt wurden.<br />

2. Der dringende Tatverdacht ergibt sich bezüglich der Existenz, Tätigkeit <strong>und</strong> Zusammensetzung der ausländischen<br />

terroristischen Vereinigungen aus den im Haftbefehl näher aufgeführten Erkenntnissen. Hinsichtlich der Handlungen<br />

des Beschuldigten folgt er im Wesentlichen aus den im Haftbefehl geschilderten Überwachungsmaßnahmen des<br />

Internetverkehrs. Dass es der Beschuldigte war, der unter insgesamt neun verschiedenen Tarnnamen in dem<br />

Chatroom agierte, folgt aus Erkenntnissen, die bei der Auswertung der beiden tragbaren Computer des Beschuldigten,<br />

bei dessen längerfristiger Observation <strong>und</strong> bei der Überwachung der Telekommunikation gewonnen wurden,<br />

sowie aus Umständen, die im Rahmen eines früheren Ermittlungsverfahrens bekannt geworden waren.<br />

3. Entgegen der vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt <strong>und</strong> vom Ermittlungsrichter des B<strong>und</strong>esgerichtshofs vertretenen Ansicht<br />

erfüllt das Verhalten, dessen der Beschuldigte nach den bisherigen Ermittlungen dringend verdächtig ist, nicht den<br />

Tatbestand des Unterstützens einer ausländischen terroristischen Vereinigung (§ 129 b Abs. 1, § 129 a Abs. 1 Nr. 1<br />

<strong>und</strong> 2, Abs. 5 Satz 1 StGB). Die vom Gesetzgeber mit dem 34. Strafrechtsänderungsgesetz (vom 22. August 2002,<br />

BGBl I 3390) <strong>und</strong> dem Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung<br />

<strong>und</strong> zur Änderung anderer Gesetze (vom 22. Dezember 2003, BGBl I 2836) vorgenommenen Änderungen<br />

des § 129 a StGB schließen es aus, Tätigkeiten, die sich als Werben für eine terroristische Vereinigung<br />

darstellen, (auch) unter das Tatbestandsmerkmal des Unterstützens zu subsumieren; dies gilt sowohl für das Werben<br />

um Mitglieder oder Unterstützer, als auch für das Werben für die Ideologie oder die Ziele der Vereinigung. Im Einzelnen:<br />

a) § 129 a StGB stellt mit den Tatbestandsvarianten des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung <strong>und</strong> des<br />

Werbens für eine solche auch Handlungen unter Strafe, die durch außerhalb der Organisation Stehende begangen<br />

werden. Obwohl derartige Taten gegenüber denjenigen des Gründens einer terroristischen Vereinigung <strong>und</strong> der<br />

mitgliedschaftlichen Beteiligung an ihr im Gr<strong>und</strong>satz geringeres Unrecht verwirklichen, hatte die Vorschrift in Absatz<br />

1 ihrer ursprünglichen Fassung (eingefügt in das StGB durch das Gesetz zur Änderung des StGB, der StPO, des<br />

GVG, der BRAO <strong>und</strong> des StVollzG vom 18. August 1976, BGBl I 2181) zunächst für alle diese Taten dieselbe Strafe<br />

angedroht (Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren). Erst durch das Gesetz zur Bekämpfung des<br />

Terrorismus (vom 19. Dezember 1986, BGBl I 2566) hat der Gesetzgeber die Tatbestandsvarianten des Gründens<br />

<strong>und</strong> der mitgliedschaftlichen Beteiligung mit höherer Strafe bedroht (Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren)<br />

<strong>und</strong> die Alternativen des Unterstützens <strong>und</strong> Werbens in Absatz 3 gesondert erfasst, es dabei jedoch für beide<br />

einheitlich bei der Strafdrohung von Freiheitsstrafe zwischen sechs Monaten <strong>und</strong> fünf Jahren belassen. Mit dem 34.<br />

Strafrechtsänderungsgesetz hat er den Tatbestand des Werbens eingeschränkt; während bis dahin jede Art der Werbung<br />

für eine terroristische Vereinigung mit Strafe bedroht war, ist seither nur noch das Werben um Mitglieder oder<br />

Unterstützer strafbar. Dem lag das Ziel zu Gr<strong>und</strong>e, eine gegenüber der bisherigen Rechtsprechung klarere Eingrenzung<br />

des Tatbestandsmerkmals des Werbens zu erreichen <strong>und</strong> dieses auf die Fälle zu beschränken, in denen auch<br />

unter Berücksichtigung der gr<strong>und</strong>rechtlich geschützten Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) die Pönalisierung<br />

erforderlich sei; hierzu sollte insbesondere der Bereich der sog. reinen Sympathiewerbung von der Strafbarkeit ausgenommen<br />

werden (s. Protokoll der 125. Sitzung des Rechtsausschusses der 14. Wahlperiode vom 24. April 2002 S.<br />

33 ff.; Beschlussempfehlung <strong>und</strong> Bericht des Rechtsausschusses vom 24. April 2002, BTDrucks. 14/8893 S. 8). Eine<br />

Änderung der Strafandrohung für das Unterstützen sowie für das Werben um Mitglieder oder Unterstützer ist hiermit<br />

nicht verb<strong>und</strong>en worden. Durch das Gesetz vom 22. Dezember 2003 hat der Gesetzgeber in § 129 a StGB schließlich<br />

deutliche Differenzierungen zwischen den Tatbestandsalternativen des Unterstützens <strong>und</strong> des Werbens um Mitglieder<br />

oder Unterstützer vorgenommen. Nach Absatz 5 Satz 1 der Neufassung ist die Unterstützung jeder der in den<br />

Absätzen 1 bis 3 genannten terroristischen Vereinigungen strafbar, jedoch mit unterschiedlicher Strafandrohung je<br />

nach Art der Vereinigung (Unterstützung einer der in den Absätzen 1 oder 2 genannten Organisationen: Freiheitsstrafe<br />

von sechs Monaten bis zu zehn Jahren; Unterstützung einer von Absatz 3 erfassten Organisation: Freiheitsstrafe<br />

bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe). Demgegenüber ist, soweit eine werbende Tätigkeit in Frage steht, gemäß Absatz<br />

5 Satz 2 der Neufassung allein das Werben um Mitglieder oder Unterstützer für eine der in den Absätzen 1 oder 2<br />

genannten Vereinigungen strafbar; die Strafandrohung hierfür ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf<br />

Jahren unverändert geblieben. Das Werben um Mitglieder oder Unterstützer für die in Absatz 3 beschriebenen Organisationen<br />

sowie jede andere, nicht auf die Gewinnung von Mitgliedern oder Unterstützern gerichtete Werbung sind<br />

als solche nicht mit Strafe bedroht.<br />

272


) Während es nach den Fassungen des § 129 a StGB bis zum 34. Strafrechtsänderungsgesetz im Hinblick auf den<br />

einheitlichen <strong>und</strong> uneingeschränkten Anwendungsbereich des Unterstützens <strong>und</strong> des Werbens sowie auf die identische<br />

Strafandrohung nicht erforderlich war, eine auf die Förderung einer terroristischen Vereinigung <strong>und</strong> ihrer Zwecke<br />

oder die Propagierung ihrer Ideologie <strong>und</strong> ihrer Ziele ausgerichteten Tathandlung eindeutig einer der beiden<br />

Tatbestandsvarianten zuzuordnen, ist es vor dem Hintergr<strong>und</strong> der geschilderten Gesetzgebungsgeschichte, der dem<br />

Gesetz dadurch in seiner heute geltenden Fassung verliehenen Systematik <strong>und</strong> insbesondere der nur noch eingeschränkten<br />

Strafbarkeit des Werbens auf die Fälle des Werbens um Mitglieder oder Unterstützer nunmehr unerlässlich,<br />

eine klare Abgrenzung zwischen § 129 a Abs. 5 Satz 1 <strong>und</strong> § 129 a Abs. 5 Satz 2 StGB nF vorzunehmen. Nach<br />

bisheriger Rechtsprechung <strong>und</strong> vorherrschender Ansicht im Schrifttum (s. insg. Miebach/Schäfer in MünchKomm §<br />

129 a Rdn. 60 i. V. m. § 129 Rdn. 81 ff. m. zahlr. w. N.) unterstützt eine terroristische Vereinigung, wer, ohne selbst<br />

Mitglied der Organisation zu sein, deren Tätigkeit <strong>und</strong> terroristische Be-strebungen direkt oder über eines ihrer Mitglieder<br />

fördert. Dabei kann sich die Förderung richten auf die innere Organisation der Vereinigung <strong>und</strong> deren Zusammenhalt,<br />

auf die Erleichterung einzelner von ihr geplanter Straftaten, aber auch allgemein auf die Erhöhung ihrer<br />

Aktionsmöglichkeiten oder die Stärkung ihrer kriminellen Zielsetzung. Nicht erforderlich ist, dass der Organisation<br />

durch die Tathandlung ein messbarer Nutzen entsteht. Vielmehr genügt es, wenn die Förderungshandlung an sich<br />

wirksam ist <strong>und</strong> der Organisation irgendeinen Vorteil bringt; ob dieser Vorteil genutzt wird <strong>und</strong> daher etwa eine<br />

konkrete, aus der Organisation heraus begangene Straftat oder auch nur eine organisationsbezogene Handlung eines<br />

ihrer Mitglieder mitprägt, ist dagegen ohne Belang. Diese Maßstäbe, die trotz einer gewissen - unvermeidlichen -<br />

begrifflichen Unschärfe (vgl. Miebach/Schäfer aaO Rdn. 82), das tatbestandliche Un-recht ausreichend bestimmt<br />

umschreiben, würden es für sich nicht ausschließen, auch solche Betätigungen, die der Sache nach Werbung um<br />

Mitglieder oder Unterstützer für eine terroristische Vereinigung, aber auch um "Sympathie" für deren Ideologie oder<br />

Ziele darstellen, dem Tatbestandsmerkmal der Unterstützung zu subsumieren. Dementsprechend hat der Senat unter<br />

der Geltung des alten Rechts etwa die Verbreitung einer Schrift, in der vergangene <strong>und</strong> zu-künftige terroristische<br />

Aktivitäten der "Rote Armee Fraktion" zustimmend dargestellt <strong>und</strong> kommentiert wurden, als Unterstützung dieser<br />

terroristischen Vereinigung bewertet, weil hierdurch deren Stellung in der Gesellschaft günstig beeinflusst, ihre Aktionsmöglichkeiten<br />

<strong>und</strong> eventuell ihr Rekrutierungsfeld erweitert <strong>und</strong> damit insgesamt ihr Gefährdungspotential<br />

gestärkt werden könnte (BGH NJW 1988, 1677 f. = BGHR StGB § 129 a Abs. 3 Unterstützen 1). Hieran kann im<br />

Hinblick auf die neue Gesetzeslage nicht festgehalten werden. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich alle Handlungen,<br />

die sich in einem Werben für die Ideologie <strong>und</strong> die Ziele einer terroristischen Vereinigung erschöpfen, aus der Strafbarkeit<br />

herausnehmen wollen; das Werben um Mitglieder oder Unterstützer hat er nur noch für bestimmte besonders<br />

gefährliche terroristische Vereinigungen unter Strafe gestellt <strong>und</strong> es insoweit bei einem gegenüber dem Unterstützen<br />

niedrigeren Strafrahmen belassen. Es hieße, diesen im Gesetzeswortlaut <strong>und</strong> in der Gesetzessystematik objektivierten<br />

Willen des Gesetzgebers zu missachten, wollte man derartige Aktivitäten weiterhin als Unterstützen im Sinne des §<br />

129 a Abs. 5 Satz 1 StGB ansehen, weil ihnen die abstrakte Eignung zukommt, das Gefährdungspotential der beworbenen<br />

Vereinigung zu stärken.<br />

c) Die demgegenüber vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt in seiner Zuschrift vom 2. Mai 2007 vorgebrachten Argumente<br />

vermögen nicht zu überzeugen:<br />

aa) Soweit er darauf hinweist, dass für die Al-Qaeda <strong>und</strong> die Al-Qaeda im Zweistromland die Verbreitung ihrer Propaganda<br />

wesentliches Element des Kampfes sei <strong>und</strong> der Beschuldigte daher durch seine Betätigung als Multiplikator<br />

dieser Propaganda gewichtige Beiträge zu diesem Kampf geleistet habe, macht er in der Sache eine gesteigerte<br />

Strafwürdigkeit geltend. Über diese hat in erster Linie der Gesetzgeber zu entscheiden; die Gerichte können das<br />

Strafbedürfnis im Rahmen der Auslegung nur berücksichtigen, soweit das Gesetz dafür Raum lässt. Hier hat der<br />

Gesetzgeber derartige propagandistische Tätigkeiten, wenn sie durch ein Nichtmitglied der Organisation begangen<br />

werden, aber gerade vollständig <strong>und</strong> nicht nur etwa nach dem Maßstab ihrer mehr oder weniger großen Nützlichkeit<br />

für die Vereinigung oder deren Ziele aus der Strafbarkeit herausgenommen.<br />

bb) Der Generalb<strong>und</strong>esanwalt weist weiter darauf hin, dass das Unterstützen einer terroristischen Vereinigung in<br />

Rechtsprechung (vgl. BGHSt 20, 89; 29, 99, 101) <strong>und</strong> Schrifttum (s. etwa Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 129<br />

Rdn. 30; Rudolphi/Stein in SK-StGB - Stand März 2005 - § 129 Rdn. 17; von Bubnoff in LK 11. Aufl. § 129 Rdn.<br />

65; Miebach/Schäfer aaO Rdn. 81 m. w. N. auch zur Gegenansicht) teilweise als zur Täterschaft verselbständigte<br />

Form der Beihilfe bezeichnet wird. Falls mit diesem Hinweis angedeutet werden soll, dass auch jedes Werben für<br />

eine terroristische Vereinigung, das sich als Beihilfe zu einer Tat nach § 129 a Abs. 1 - 3 StGB darstellt, als täterschaftliches<br />

Delikt im Sinne des § 129 a Abs. 5 Satz 1 strafbar ist, könnte der Senat dem nicht folgen. Die Umschreibung<br />

der Tatvariante des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung als zur Täterschaft verselbständigte Form<br />

der Beihilfe ist erkennbar nicht als dogmatische Einordnung in dem Sinne zu verstehen, dass ohne gesonderte Pöna-<br />

273


lisierung der Unterstützungshandlungen in § 129 a Abs. 5 Satz 1 StGB diese stets als Beihilfe (§ 27 Abs. 1 StGB) zu<br />

Tathandlungen nach § 129 a Abs. 1 - 3 StGB strafbar wären. Denn zum einen bezieht sich ein Hilfeleisten im Sinne<br />

des § 27 Abs. 1 StGB stets auf die vorsätzliche rechtswidrige Tat eines Haupttäters, während sich das Unterstützen<br />

gemäß § 129 a Abs. 5 Satz 1 StGB auf die Vereinigung als solche richtet <strong>und</strong> lediglich nach der besonderen Gestaltung<br />

des Einzelfalles gleichzeitig eine Beihilfe zu der mitgliedschaftlichen Betätigung eines Mitglieds der Organisation<br />

darstellen kann; zum anderen setzt die Strafbarkeit nach § 27 Abs. 1 StGB voraus, dass die Haupttat in ihrer<br />

konkreten Ausgestaltung durch die Hilfeleistung gefördert oder erleichtert wird (BGH NJW 2007 384, 388 m. w.<br />

N.), während ein entsprechender Effekt der Unterstützungshandlung für die Vereinigung gerade nicht notwendig ist.<br />

Hinzu kommt, dass der ausdrückliche <strong>und</strong> im Gesetz unmissverständlich zum Ausdruck gebrachte Wille des Gesetzgebers<br />

unterlaufen würde. Danach ist die in der Werbung um Mitglieder, Unterstützer oder Sympathie für eine terroristische<br />

Vereinigung etwa liegende Beihilfe zu täterschaftlichen terroristischen Handlungen im Sinne des § 129 a<br />

Abs. 1 - 3 StGB durch § 129 a Abs. 5 Satz 2 StGB strafrechtlich privilegiert, nämlich im Falle der Sympathiewerbung<br />

straflos, im Falle der Mitglieder- oder Unterstützerwerbung nur mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis fünf<br />

Jahren bedroht <strong>und</strong> dies auch nur, wenn um Mitglieder oder Unterstützer für Organisationen geworben wird, die dem<br />

§ 129 a Abs. 1 oder 2 StGB unterfallen. Dies darf nicht durch Anwendung des § 129 a Abs. 5 Satz 1 StGB umgangen<br />

werden. Ob eine abweichende Beurteilung gerechtfertigt wäre, wenn in einem Einzelfall einmal festgestellt werden<br />

könnte, dass das Werben der Organisation tatsächlich einen messbaren Vorteil gebracht, etwa nachweislich zum<br />

Beitritt eines neuen Mitglieds geführt hat, bedarf hier keiner Entscheidung; denn die Ermittlungen ergeben keinen<br />

Anhaltspunkt dafür, dass durch die Tätigkeit des Beschuldigten den beiden terroristischen Vereinigungen ein derartiger<br />

konkreter Vorteil erwachsen wäre. Hier ist zudem schon rein tatsächlich eine Beihilfehandlung des Beschuldigten<br />

zu den mitgliedschaftlichen Betätigungsakten der Rädelsführer <strong>und</strong> sonstigen Mitglieder der beiden terroristischen<br />

Vereinigungen nicht feststellbar, die an der Herstellung der Dateien sowie deren Bereitstellung im Internet<br />

beteiligt waren; denn es ist nicht erkennbar, dass diese Taten in ihrer konkreten Gestalt durch die Weiterverbreitung<br />

der Dateien in irgendeiner Form gefördert oder erleichtert worden wären. Das Weiterverbreiten durch den Beschuldigten<br />

knüpft an diese Vortaten an, fördert sie aber nicht mehr.<br />

cc) Auch soweit der Generalb<strong>und</strong>esanwalt weiterhin darauf verweist, dass das Verhalten des Beschuldigten deswegen<br />

als Unterstützung der beiden terroristischen Vereinigungen <strong>und</strong> nicht als Werben für diese einzustufen sei, weil<br />

er lediglich die Dateien im Internet weiterverbreitet habe, nicht aber mit ausdrücklich befürwortenden Stellungnahmen<br />

für deren Inhalte eingetreten sei, kann ihm nicht gefolgt werden. Diese Erwägungen finden schon im Ergebnis<br />

der Ermittlungen keine Gr<strong>und</strong>lage. Diese belegen zum einen eine Mehrzahl derartiger Äußerungen des Beschuldigten;<br />

zum anderen ist allein schon aus den Gesamtumständen seiner Besuche <strong>und</strong> Aktivitäten in dem Chatroom für<br />

alle anderen dortigen Besucher sein befürwortendes Eintreten für die Inhalte der von ihm verbreiteten Dateien unverkennbar<br />

(vgl. BGHSt 43, 41, 46). Davon abgesehen ist eine derartige ausdrücklich befürwortende Stellungnahme<br />

zum Inhalt der weiterverbreiteten Dateien rechtlich aber nicht einmal erforderlich. Vielmehr reicht es zur Verwirklichung<br />

des § 129 a Abs. 5 Satz 2 StGB aus, dass der Beschuldigte den werbenden Inhalt der von ihm weiterverbreiteten<br />

Dateien erkennbar als eigene Meinungsäußerung den weiteren Besuchern des Chatrooms zugänglich machen<br />

wollte (vgl. BGHSt 36, 363, 367 f.). Dies steht nach den bisherigen Ermittlungen nicht in Zweifel. Letztlich würde<br />

diese Argumentation des Generalb<strong>und</strong>esanwalts in Fäl-len der hier zu beurteilenden Art aber auch zu in sich nicht<br />

stimmigen Ergebnissen führen. Die Weiterverbreitung fremder Äußerungen, deren Inhalt propagandistisch um Mitglieder<br />

oder Unterstützer für eine terroristische Vereinigung oder für deren Ideologie <strong>und</strong> Ziele wirbt, wäre gemäß §<br />

129 a Abs. 5 Satz 1 StGB als Unterstützung der Organisation strafbar, wenn die Weiterverbreitung nicht mit eigenen<br />

befürwortenden Stellungnahmen verb<strong>und</strong>en ist. Dagegen wäre das Verhalten straflos oder nur mit geringerer Strafe<br />

bedroht, wenn solche ausdrücklich befürwortenden Stellungnahmen hinzugefügt werden. Da durch sie die Wirkung<br />

der Weiterverbreitung <strong>und</strong> damit das Maß des Rechtsgutsangriffs aber im Allgemeinen eher verstärkt werden, wären<br />

die Ergebnisse der vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt befürworteten Argumentation nicht mehr plausibel.<br />

4. Der Beschuldigte ist vielmehr dringend verdächtig, in mindestens 26 Fällen für eine ausländische terroristische<br />

Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer geworben zu haben (§ 129 a Abs. 1 Nr. 1 <strong>und</strong> Nr. 2, Abs. 5 Satz 2, §<br />

129 b Abs. 1 StGB).<br />

a) Um Mitglieder für eine der in § 129 a Abs.1 oder 2 StGB bezeichneten terroristischen Vereinigungen wirbt, wer<br />

sich um die Gewinnung von Personen bemüht, die sich mitgliedschaftlich in die Organisation einer bestimmten derartigen<br />

Vereinigung einfügen. Um Unterstützer wirbt, wer bei anderen die Bereitschaft wecken will, die Tätigkeit<br />

oder die Bestrebungen einer solchen Vereinigung direkt oder über eines ihrer Mitglieder zu fördern, ohne sich selbst<br />

als Mitglied in die Organisation einzugliedern. Die Werbung kann sich dabei in beiden Fällen sowohl an eine konkrete<br />

Person als auch an eine unbestimmte Vielzahl von Adressaten richten. Ein Erfolg der Werbung wird nicht vor-<br />

274


ausgesetzt; auch der erfolglose Versuch, andere als Mitglied oder Unterstützer einer Vereinigung zu gewinnen, wird<br />

von der Strafbarkeit erfasst. Nicht mehr ausreichend sind demgegenüber das befürwortende Eintreten für eine terroristische<br />

Vereinigung, die Rechtfertigung ihrer Ziele oder der aus ihr heraus begangenen Straftaten sowie die Verherrlichung<br />

der Ideologie, aus der verschiedene derartige Vereinigungen ihre Tätigkeit legitimieren <strong>und</strong> die gegebenenfalls<br />

auch Einzelpersonen zur Rechtfertigung für die Begehung von Straftaten dient. Vielmehr muss sich zumindest<br />

aus den Gesamtumständen der Äußerung ergeben, dass der Werbende gezielt Mitglieder oder Unterstützer gewinnen<br />

will - <strong>und</strong> dies zu Gunsten einer konkreten Organisation. Ein allgemein gefasster Aufruf, sich an nicht näher<br />

gekennzeichneten terroristischen Aktivitäten zu beteiligen, reicht für den erforderlichen Organisationsbezug nicht<br />

aus. Auch die Aufforderung, sich dem Djihad anzuschließen, genügt für sich genommen nicht, da dieser Begriff<br />

nicht allein für den Kampf einer oder mehrerer bestimmter terroristischer Vereinigungen steht, sondern für eine<br />

Vielzahl von islamistischen Aktivitäten, selbst wenn diese nicht durch terroristische Vereinigungen unternommen<br />

werden. Etwas anderes kann für den Aufruf zum Djihad nur gelten, wenn er durch eine Person erfolgt, die eine Vereinigung<br />

derartig herausgehoben repräsentiert, dass sich allein daraus ausreichend konkret ergibt, die Aufforderung<br />

gelte zu allererst oder zumindest auch zu Gunsten der repräsentierten Vereinigung. Ist dies der Fall, so wird die<br />

Strafbarkeit allerdings nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Äußerung als Werbung um Mitglieder oder Unterstützer<br />

auch für andere - ideologisch gleichgesinnte - Vereinigungen verstanden werden kann oder gleichzeitig auch<br />

deren Tätigkeit preist sowie zu deren Fortsetzung aufruft. Veröffentlicht oder verbreitet ein Dritter lediglich eine in<br />

diesem Sinne um Mitglieder oder Unterstützer werbende Äußerung eines anderen - sei dieser selbst Mitglied der<br />

beworbenen terroristischen Vereinigung oder nicht -, so macht er sich nur dann nach § 129 a Abs. 5 Satz 2 StGB<br />

strafbar, wenn zumindest aus den Umständen erkennbar wird, dass er sie sich zu eigen macht <strong>und</strong> als eigenes werbendes<br />

Eintreten für die Vereinigung verstanden wissen will. Wer die Äußerung lediglich als fremde - gleichsam zu<br />

Informationszwecken - weitergibt, handelt hingegen nicht tatbestandsmäßig.<br />

b) Nach diesen Maßstäben ist der Beschuldigte hier jedenfalls in 26 der vom Haftbefehl erfassten Taten des Werbens<br />

um Mitglieder oder Unterstützer für die terroristischen Vereinigungen Al-Qaeda oder Al-Qaeda im Zweistromland<br />

dringend verdächtig (Nrn. 2, 4, 8, 11, 13, 14, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36<br />

<strong>und</strong> 38 des Haftbefehls). In diesen Fällen hat er jeweils die in Dateien enthaltenen Reden der Rädelsführer dieser<br />

Vereinigungen - Bin Laden, Al-Zawahiri, Al-Zarqawi <strong>und</strong> Al-Muhadjer - den Besuchern des Chatrooms zugänglich<br />

gemacht. Die Äußerungen der genannten Rädelsführer waren nach ihrer Gesamtaussage unverkennbar nicht nur<br />

darauf gerichtet, allgemein Propaganda für den Djihad <strong>und</strong> ungenannte Vereinigungen zu treiben, die sich diesem<br />

verschrieben haben; ihr Anliegen beschränkte sich auch nicht darauf, terroristische Anschläge zu rechtfertigen oder<br />

anzukündigen. Im Vordergr<strong>und</strong> stand vielmehr der Zweck, gezielt neue Teilnehmer oder Unterstützer für diesen<br />

Kampf zu gewinnen. Unter den hier gegebenen Umständen, insbesondere aufgr<strong>und</strong> der herausgehobenen Stellung<br />

der allgemein, vor allem in islamistisch orientierten Kreisen bekannten Rädelsführer kann dabei kein Zweifel daran<br />

bestehen, dass diese Werbung vorrangig darauf gerichtet war, Mitglieder oder Unterstützer gerade für die durch sie<br />

jeweils repräsentierten Vereinigungen zu rekrutieren. Dass sie dabei aufgr<strong>und</strong> ihres ideologischen Dogmas des weltumspannenden<br />

Heiligen Krieges gegen die Westliche Welt, namentlich gegen "Amerikaner <strong>und</strong> Juden" sowie deren<br />

"Helfers-Helfer", zu einer umfassenden Förderung des Djihad aufriefen <strong>und</strong> damit notwendigerweise gleichzeitig für<br />

Sympathie, aber auch um Mitglieder <strong>und</strong> Unterstützer für entsprechend ausgerichtete andere Organisationen warben,<br />

tritt demgegenüber in den Hintergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> ist für die rechtliche Bewertung ohne Belang. Diese werbenden Reden<br />

hat sich der Beschuldigte zu eigen gemacht. Soweit dies nicht schon dadurch geschehen ist, dass er den entsprechenden<br />

Dateien eigene befürwortende Stellungnahmen beigefügt hat, ergibt sich dies aus den Gesamtumständen seines<br />

Tuns. Denn schon durch die Gestaltung <strong>und</strong> Ausrichtung des Chatrooms war für deren Besucher unverkennbar, dass<br />

diejenigen, die dort derartige Dateien zugänglich machten, die in diesen enthaltenen Erklärungen guthießen <strong>und</strong> als<br />

eigene Botschaften weitergaben. Ein abweichendes Verständnis ließe sich weder mit dem Inhalt der Reden noch mit<br />

dem Verhalten des Beschuldigten in Einklang bringen. Unter diesen Umständen kommt eine andere Auslegung auch<br />

nicht mit Blick darauf in Betracht, dass es sich bei dem Tun des Beschuldigten letztlich um die Äußerung von Meinungen<br />

handelte <strong>und</strong> die Beachtung des Gr<strong>und</strong>rechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG daher die Prüfung gebietet, ob<br />

diese Äußerungen <strong>und</strong> Verhaltensweisen eventuell auch in einer Weise interpretiert werden können, die ihnen die<br />

strafrechtliche Relevanz nähme (BVerfGE 93, 266, 295 ff.; BVerfG NJW 1999, 204, 205).<br />

c) Hingegen kann in der Verbreitung der übrigen Reden kein Werben im Sinne von § 129 a Abs. 5 Satz 2 StGB gesehen<br />

werden. Es handelt sich dabei um Texte, die entweder nicht konkret zur Teilnahme Außenstehender am Kampf<br />

auffordern, oder lediglich allgemeine religiöse oder politische Erörterungen enthalten oder begangene Anschläge<br />

rechtfertigen bzw. beschreiben. Ihnen kann daher nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit entnommen werden, dass sie<br />

275


auf das Gewinnen von Mitgliedern oder Unterstützern für die Al-Qaeda oder die Al-Qaeda im Zweistromland ausgerichtet<br />

sind.<br />

5. Der Senat hat deshalb im Rahmen der Haftprüfung den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des B<strong>und</strong>esgerichtshofs<br />

entsprechend abgeändert. Die Fortdauer der Untersuchungshaft des Beschuldigten ist derzeit auch unter dieser veränderten<br />

rechtlichen Beurteilung noch gerechtfertigt.<br />

a) Es besteht der Haftgr<strong>und</strong> der Fluchtgefahr. Auch wenn der Tatbestand des Werbens um Mitglieder oder Unterstützer<br />

mit einem geringeren Strafrahmen versehen ist, besteht angesichts der Vielzahl der Taten eine Anreiz zur Flucht<br />

gebende Straferwartung. Im Übrigen nimmt der Senat Bezug auf die Erwägungen im vorbezeichneten Haftbefehl,<br />

die durch das Vorbringen der Verteidigung nicht entkräftet werden. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Beschuldigte<br />

derzeit bereit wäre, mit seiner Familie wieder in den Irak umzusiedeln. Er kann sich dem Verfahren auch<br />

dadurch entziehen, dass er das Land ohne seine Familie verlässt, wie er es bereits einmal getan hat. Haftverschonende<br />

Maßnahmen nach § 116 StPO vermögen die Fluchtgefahr nicht auszuräumen.<br />

b) Die Voraussetzungen der Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor. Der besondere<br />

Umfang der Ermittlungen hat ein Urteil noch nicht zugelassen. Es waren durch die Ermittlungsbehörden umfangreiche<br />

Beweismittel, insbesondere die im Zusammenhang mit der Verhaftung des Beschuldigten sichergestellten beiden<br />

tragbaren Computer sowie weitere Datenspeicher, zu sichten <strong>und</strong> auszuwerten. Der überwachte Internetverkehr umfasst<br />

ein Datenvolumen von 318 Gigabyte, von dem 14 Gigabyte Daten mit Textchat <strong>und</strong> mit im Chatroom in Echtzeit<br />

abgespielten Reden überprüft wurden. Da die Kommunikation größtenteils auf Arabisch, im Übrigen in einem<br />

kurdischen Dialekt geführt wurde, war diese Auswertung besonders zeitraubend. Der Einwand der Verteidigung, der<br />

Generalb<strong>und</strong>esanwalt hätte über die Auswertung des Internetverkehrs bereits zum Zeitpunkt der Verhaftung verfügt<br />

<strong>und</strong> deshalb unverzüglich die Anklage erheben müssen, trifft nicht zu, was sich schon daraus ergibt, dass die Vorwürfe<br />

in dem neuen Haftbefehl unter dem Eindruck inzwischen hinzugewonnener Erkenntnisse detaillierter sind. Der<br />

Generalb<strong>und</strong>esanwalt erstellt derzeit die Anklage, mit deren unverzüglicher Erhebung der Senat rechnet.<br />

6. Durch die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft nach §§ 121, 122 StPO wird die Haftbeschwerde des<br />

Beschuldigten gegenstandslos. Sie ist für erledigt zu erklären (Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 122 Rdn. 18).<br />

StGB § 176 Abs. 3 Nr. 2 .Bedeutung des Merkmals: sexuelle Handlungen "an sich" vornimmt<br />

BGH, Beschl. vom 01.12.2006 – 2 StR 434/06<br />

Das Bestimmen eines Kindes zur Vornahme einer nicht mit Manipulationen an seinem Körper verb<strong>und</strong>enen<br />

sexuellen Handlung wird von dem Tatbestand des § 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB in der Fassung<br />

des 6. Strafrechtsreformgesetzes nicht erfasst. Im Gegensatz zu § 176 Abs. 5 Nr. 2 StGB in der Fassung<br />

des 4. Strafrechtsreformgesetzes, der das Bestimmen eines Kindes zur Vornahme sexueller<br />

Handlungen "vor" dem Täter unter Strafe stellte, setzt § 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB in der Fassung des<br />

6. Strafrechtsreformgesetzes - ebenso wie § 176 Abs. 4 Satz 2 StGB n.F. - voraus, dass der Täter ein<br />

Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen "an sich" vornimmt.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> des Beschwerdeführers<br />

am 1. Dezember 2006 gemäß § 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4, § 354 Abs. 1 StPO beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten G. wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 28. März 2006 aufgehoben,<br />

a) soweit der Angeklagte in den Fällen II 4 <strong>und</strong> 5 wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zu Einzelfreiheitsstrafen<br />

von jeweils zwei Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt worden ist. Insoweit wird der Angeklagte freigesprochen.<br />

Im Umfang des Freispruchs fallen die Kosten des Verfahrens <strong>und</strong> die notwendigen Auslagen des Angeklagten<br />

der Staatskasse zur Last.<br />

b) im Ausspruch über die den Angeklagten G. betreffende Gesamtfreiheitsstrafe.<br />

2. Zur Bildung einer neuen Gesamtfreiheitsstrafe wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über<br />

die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten - wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen, in zwei<br />

Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen <strong>und</strong> davon in einem Fall auch in Tateinheit mit<br />

276


Förderung von sexuellen Handlungen Minderjähriger sowie - wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit<br />

mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in 18 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren<br />

verurteilt. Im Übrigen hat es den Angeklagten freigesprochen. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung<br />

formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen<br />

Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176 a Abs. 2 i.V.m. §<br />

176 Abs. 3 Nr. 2 StGB i.d.F. des 6. StrRG) in den Fällen II 4 <strong>und</strong> 5 hat keinen Bestand, weil der Angeklagte die<br />

Nebenklägerin Elisabeth S. in diesen Fällen nicht dazu bestimmt hat, sexuelle Handlungen an sich vorzunehmen.<br />

Das Landgericht hat hierzu festgestellt: Der Angeklagte forderte an zwei nicht mehr exakt festzustellenden Tagen im<br />

Herbst 2000 das damals 13-jährige Kind Elisabeth auf, sich nackt auf das Bett zu legen <strong>und</strong> die Beine zu spreizen.<br />

Sodann fertigte er von dem Kind jeweils mindestens ein Foto in der Absicht, diese kinderpornografischen Bilder für<br />

eine spätere Verbreitung vorrätig zu halten. Der Angeklagte hat die kindliche Nebenklägerin danach zwar dazu bestimmt,<br />

vor ihm sexuelle Handlungen vorzunehmen, denn das Posieren der Nebenklägerin, um ihre Genitalien unbedeckt<br />

zur Schau zu stellen, ist eine - nicht unerhebliche (§ 184 f Nr. 1 StGB) - sexuelle Handlung, durch die der<br />

Betrachter sexuell provoziert werden soll (vgl. BGHSt 50, 370, 371; 43, 366, 368). Das Bestimmen eines Kindes zur<br />

Vornahme einer nicht mit Manipulationen an seinem Körper verb<strong>und</strong>enen sexuellen Handlung wird aber von dem<br />

Tatbestand des § 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB in der Fassung des 6. Strafrechtsreformgesetzes nicht erfasst. Im Gegensatz<br />

zu § 176 Abs. 5 Nr. 2 StGB in der Fassung des 4. Strafrechtsreformgesetzes, der das Bestimmen eines Kindes zur<br />

Vornahme sexueller Handlungen "vor" dem Täter unter Strafe stellte (BGHSt 50, 370, 371; 43, 366, 368 m.w.N.),<br />

demgemäß auch die hier festgestellten Handlungen des Angeklagten erfasste, setzt § 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB in der<br />

Fassung des 6. Strafrechtsreformgesetzes - ebenso wie § 176 Abs. 4 Satz 2 StGB n.F. - voraus, dass der Täter ein<br />

Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen "an sich" vornimmt. Die Neufassung des Tatbestands durch das 6.<br />

Strafrechtsreformgesetz sollte den Anwendungsbereich über die bis dahin geregelten Fälle hinaus all-gemein auf<br />

sexuelle Handlungen erstrecken, die das Kind an sich vornimmt, <strong>und</strong> damit auch den "Verbalerotiker" erfassen, der<br />

Kinder telefonisch zu derartigen Manipulationen veranlasst. Dies hat aber zugleich zu einer Einschränkung des Anwendungsbereichs<br />

geführt. Erfasst werden nach dem Wortlaut des § 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB in der Fassung des 6.<br />

Strafrechtsreformgesetzes, wie der B<strong>und</strong>esgerichtshof bereits entschieden hat, nur sexuelle Handlungen, die ein Kind<br />

an, also nicht lediglich mit seinem Körper vornimmt. Nur wer mit Berührungen verb<strong>und</strong>ene Manipulationen am<br />

eigenen Körper vornimmt, nimmt eine Handlung an sich selbst vor (BGHSt 50, 370, 371 f. m.w.N.). Damit scheidet<br />

eine Verurteilung des Angeklagten nach § 176 a Abs. 2 i.V.m. § 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB in der zur Tatzeit geltenden<br />

Fassung des 6. Strafrechtsreformgesetzes aus.<br />

2. Der Angeklagte hat auch den Tatbestand des § 184 Absatz 3 oder Absatz 5 StGB in der Fassung des 6. Strafrechtsreformgesetzes<br />

nicht erfüllt. Diese Vorschriften setzen voraus, dass die pornografischen Schriften den sexuellen<br />

Missbrauch von Kindern im Sinne der §§ 176 bis 176 b StGB zum Gegenstand haben (vgl. BGHSt 50, 370, 372; 43,<br />

366, 368; 45, 41, 42 f.). Das ist hier jedoch - wie dargelegt - nicht der Fall. Der Tatbestand des § 180 Abs. 3 StGB in<br />

der Fassung des 6. Strafrechtsreformgesetzes ist deshalb nicht erfüllt, weil der Angeklagte die Nebenklägerin nicht<br />

dazu bestimmt hat, sexuelle Handlungen an oder vor einem Dritten vorzunehmen. Der Angeklagte als Täter ist nicht<br />

Dritter im Sinne dieses Tatbestands. Schließlich erfüllt das Verhalten des Angeklagten auch nicht den Tatbestand des<br />

sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen (§ 174 Abs. 2 Nr. 2 StGB), weil nach dem festgestellten Sachverhalt<br />

der Angeklagte die Nebenklägerin nicht dazu bestimmt hat, die sexuellen Handlungen vor ihm vorzunehmen, um<br />

sich oder die schutzbefohlene Nebenklägerin hierdurch sexuell zu erregen. Es ging vielmehr ausschließlich darum,<br />

die pornografischen Fotos herzustellen, um sie gewinnbringend zu verwerten <strong>und</strong> dadurch die finanziellen Probleme<br />

des Angeklagten <strong>und</strong> der mitangeklagten Mutter der Nebenklägerin zu lösen.<br />

3. Der Senat spricht den Angeklagten in den Fällen II 4 <strong>und</strong> 5 selbst frei, weil auszuschließen ist, dass in einer erneuten<br />

Hauptverhandlung weitergehende Feststellungen getroffen werden können, die insoweit eine Strafbarkeit des<br />

Angeklagten begründen könnten. Damit entfallen auch die beiden zugehörigen Einzelfreiheitsstrafen. Die übrigen<br />

Einzelfreiheitsstrafen können bestehen bleiben, weil sie von der fehlerhaften Verurteilung des Angeklagten in den<br />

Fällen II 4 <strong>und</strong> 5 nicht betroffen sind. Die Gesamtfreiheitsstrafe kann jedoch nach der Aufhebung der Verurteilung<br />

des Angeklagten in den Fällen II 4 <strong>und</strong> 5 keinen Bestand haben <strong>und</strong> muss deshalb von einem anderen Tatrichter neu<br />

bemessen werden.<br />

277


StGB § 177 Abs. 4 Nr. 1, § 24 – kein Teilrücktritt von einzelnen Qualifikationsmerkmalen<br />

BGH, Urt. vom 04.04.2007 – 2 StR 34/07 = JR 2007, xxx mit Anm. F.C.Schroeder<br />

LS: Ein "Teilrücktritt" von der Qualifikation des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB kommt nicht in Betracht,<br />

wenn das Qualifikationsmerkmal bereits verwirklicht ist.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat in der Sitzung vom 4. April 2007 für Recht erkannt:<br />

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 28. August 2006<br />

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der besonders schweren sexuellen Nötigung (§ 177 Abs. 4<br />

Nr. 1 StGB) in Tateinheit mit Körperverletzung schuldig ist <strong>und</strong><br />

b) im Strafausspruch aufgehoben.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe<br />

von zwei Jahren mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer Revision<br />

die Verletzung materiellen Rechts <strong>und</strong> erstrebt einen Schuldspruch wegen besonders schwerer sexueller Nötigung.<br />

Das vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt vertretene Rechtsmittel hat im Wesentlichen Erfolg. Die rechtsfehlerfrei getroffenen<br />

Feststellungen des Landgerichts belegen, dass der Angeklagte bei seiner Tat den Qualifikationstatbestand der besonders<br />

schweren sexuellen Nötigung (§ 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB) erfüllt hat, weil er bei der Tat ein Messer verwendet<br />

hat.<br />

1. Das Landgericht hat im Wesentlichen festgestellt: Der Angeklagte begleitete die Nebenklägerin B. nachts auf dem<br />

Heimweg. Als die Nebenklägerin die Haustür geöffnet hatte, folgte ihr der Angeklagte unvermittelt, forderte sie auf,<br />

ihn zu küssen <strong>und</strong> bedrängte sie körperlich. Als die Nebenklägerin das energisch ablehnte, packte der Angeklagte sie<br />

an den Schultern <strong>und</strong> schubste sie in den Hausflur. Dabei war er entschlossen, die Nebenklägerin auch gegen ihren<br />

Willen mit Gewalt zur Duldung von sexuellen Handlungen zu zwingen. Gegen ihren heftigen körperlichen Widerstand<br />

fasste er sie an verschiedenen Körperstellen an <strong>und</strong> drückte sie gegen die Wand. Der Angeklagte beschimpfte<br />

sie <strong>und</strong> warf ihr Geschlechtsverkehr mit anderen Männern vor. Es gelang ihm die Nebenklägerin gegen deren heftigen<br />

Widerstand zu sich heranzuziehen. Er küsste sie wiederholt im M<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Halsbereich, fasste sie mehrmals am<br />

Hals sowie über der Kleidung an den Brüsten an <strong>und</strong> kniff auch mehrfach in ihre Brüste. Mindestens zweimal fasste<br />

er der Nebenklägerin, die sich nicht aus dem Griff des Angeklagten befreien konnte, über der Kleidung fest an die<br />

Scheide. Zudem schlug er ihr im Verlauf des Geschehens mehrfach mit der flachen Hand ins Gesicht, um ihren Widerstand<br />

zu brechen. Zeitweise umfasste er sie auch von hinten. Den genauen Ablauf der heftigen körperlichen Auseinandersetzung<br />

<strong>und</strong> die zeitliche Abfolge der einzelnen sexuellen Handlungen des Angeklagten konnte das Landgericht<br />

nicht mehr sicher feststellen. Als die Auseinandersetzung bereits eine zeitlang gedauert hatte, hielt der Angeklagte<br />

der Nebenklägerin ein aufgeklapptes kleineres Messer - möglicherweise ein Taschenmesser - mit einer einige<br />

Zentimeter langen Klinge vor den Halsbereich, ohne die Nebenklägerin zu berühren <strong>und</strong> bedrohte sie damit. Dabei<br />

erklärte er ihr, er werde von ihr lassen, wenn sie ihm "einen blase" oder "einen runterhole" <strong>und</strong> wenn sie ihn küsse.<br />

Die Nebenklägerin leistete jedoch weiterhin heftige Gegenwehr. Nach kurzer Zeit steckte der Angeklagte das Messer<br />

wieder weg. Nach 10 bis 15 Minuten ließ der Angeklagte von der Nebenklägerin ab <strong>und</strong> verließ das Haus.<br />

2. Nach diesen Feststellungen hat der Angeklagte die Nebenklägerin mit Gewalt genötigt, sexuelle Handlungen des<br />

Angeklagten an sich zu dulden <strong>und</strong> damit den Tatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllt. Das Landgericht ist<br />

ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die Handlungen des Angeklagten im Sinne von § 184 f Nr. 1 StGB im<br />

Hinblick auf das geschützte Rechtsgut erheblich waren. Darüber hinaus hat der Angeklagte die Nebenklägerin aber<br />

auch mit gegenwärtiger Gefahr zumindest für ihren Leib bedroht, indem er ihr das aufgeklappte Messer vor den<br />

Halsbereich gehalten hat, um sie zu weiteren sexuellen Handlungen zu nötigen. Als Mittel der Bedrohung der Nebenklägerin<br />

hat er ein gefährliches Werkzeug verwendet <strong>und</strong> somit die Qualifikation des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB<br />

erfüllt. Auch wenn nach den Feststellungen des Landgerichts das Tatmesser möglicherweise nur ein Taschenmesser<br />

mit einer einige Zentimeter langen Klinge war, war es doch durch die konkrete Art der Verwendung im Halsbereich<br />

der Nebenklägerin geeignet, erhebliche - wenn nicht gar lebensgefährliche - Verletzungen zuzufügen (vgl. BGHSt<br />

46, 225, 228; BGH NStZ 2000, 419; 2005, 35; NStZ-RR 2002, 108). Der Angeklagte hat das Messer auch zur Bedrohung<br />

"bei der Tat" verwendet. Die gesetzliche Formulierung in § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB entspricht dem insoweit<br />

278


gleichlautenden § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB. Es liegt deshalb nahe, den notwendigen zeitlich-örtlichen Zusammenhang<br />

zwischen der den Gr<strong>und</strong>tatbestand erfüllenden Handlung <strong>und</strong> dem qualifizierenden Verwenden einer Waffe oder<br />

eines gefährlichen Werkzeugs ebenso zu umschreiben wie dort. Qualifiziert ist die Tat danach dann, wenn das gefährliche<br />

Werkzeug zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen Versuchsbeginn <strong>und</strong> Beendigung der Tat eingesetzt wird<br />

(vgl. Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 177 Rdn. 85; § 250 Rdn. 18; vgl. auch BGH, Beschl. vom 8. Februar 2006 -<br />

2 StR 575/05). Die Nebenklägerin bemerkte das Messer spätestens, als der Angeklagte von ihr unter dem Eindruck<br />

der Bedrohung mit dem Messer den Oral- oder Handverkehr verlangte. Die Drohung wurde daher von der Nebenklägerin<br />

auch wahrgenommen (vgl. hierzu BGH NJW 2004, 3437). Das Nötigungsmittel der Drohung mit dem Messer<br />

führte zwar nicht zu der vom Angeklagten angestrebten weiteren sexuellen Handlung. Es ist auch nicht festgestellt,<br />

dass der Angeklagte während oder nach der Bedrohung der Nebenklägerin mit dem Messer über die tätliche Auseinandersetzung<br />

hinaus andere sexuelle Handlungen an der Nebenklägerin vorgenommen hat. Deshalb wird die Tat<br />

des Angeklagten, die materiell-rechtlich eine Einheit bildet, aber nicht zur versuchten sexuellen Nötigung, denn die<br />

Tat war bereits durch die vorausgegangenen durch Gewalt erzwungenen sexuellen Handlungen vollendet. Ein strafbefreiender<br />

Rücktritt von der versuchten sexuellen Nötigung war daher nicht mehr möglich, so dass es nicht mehr<br />

darauf ankommt, ob der Angeklagte schließlich freiwillig davon Abstand nahm, die Nebenklägerin weiter sexuell zu<br />

bedrängen oder ob er sein Vorhaben als fehlgeschlagen ansah, weil er mit den ihm verfügbaren Nötigungsmitteln den<br />

angestrebten weiteren Erfolg nicht erreichen konnte. In Betracht kommen könnte unter diesen Umständen allenfalls<br />

ein "Teilrücktritt" (vgl. hierzu Lilie/Albrecht LK 11. Aufl. § 24 Rdn. 339; Eser in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl.<br />

§ 24 Rdn. 113; jew. m.w.N.) von der Qualifikation des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB, weil der Angeklagte das Messer<br />

nach kurzer Zeit wieder wegsteckte, ohne dass er die erstrebte weitere sexuelle Handlung nach § 177 Abs. 2 Nr. 1<br />

StGB erreicht hatte. Ein solcher "Teilrücktritt" scheidet hier jedoch aus, weil der Angeklagte nicht nur das Gr<strong>und</strong>delikt<br />

der sexuellen Nötigung, sondern durch den Gebrauch des Messers auch die Qualifikation bereits vollendet hatte<br />

<strong>und</strong> die qualifikationsbegründende erhöhte Gefahr schon eingetreten war (vgl. BGH NStZ 1984, 216 m. abl. Anm.<br />

von Zaczyk, zust. hingegen Lilie/Albrecht aaO Rdn. 341). Anders wäre es, wenn die Qualifikation selbst nur versucht<br />

wäre (Tröndle/Fischer aaO § 24 Rdn. 27).<br />

3. Der Schuldspruch des Landgerichts ist daher dahin zu ändern, dass der Angeklagte der besonders schweren sexuellen<br />

Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung schuldig ist. § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht<br />

entgegen, weil das Landgericht dem Angeklagten bereits in der Hauptverhandlung einen entsprechenden Hinweis<br />

erteilt hat.<br />

4. Die Änderung des Schuldspruchs hat die Aufhebung des Strafausspruchs zur Folge. Die hierzu getroffenen Feststellungen<br />

können jedoch - entgegen dem Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts - bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen<br />

in der neuen Hauptverhandlung sind zulässig, soweit sie den bisherigen Feststellungen nicht widersprechen.<br />

StGB § 182 Abs. 2 Nr. 1 - fehlenden Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung<br />

BGH, Beschl. vom 17.10.2006 – 4 StR 341/06<br />

Eine Strafbarkeit gem. § 182 Abs. 2 Nr. 1 StGB setzt das Ausnutzen der fehlenden Fähigkeit des<br />

Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung im Einzelfall voraus. Dies bedarf auch dann konkreter<br />

Feststellung, wenn das Opfer entgegen der irrigen Annahme des Täters noch keine 14 Jahre alt gewesen<br />

ist.<br />

Der 4. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> nach Anhörung der Beschwerdeführer<br />

am 17. Oktober 2006 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen: Die Revisionen der Angeklagten gegen<br />

das Urteil des Landgerichts Landau (Pfalz) vom 15. März 2006 werden als unbegründet verworfen. Jeder Beschwerdeführer<br />

hat die Kosten seines Rechtsmittels <strong>und</strong> die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen<br />

Auslagen zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs einer Jugendlichen jeweils zu einer Freiheitsstrafe<br />

von neun Monaten verurteilt <strong>und</strong> deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die hiergegen gerichteten Revisionen<br />

der Angeklagten, mit denen sie die Verletzung sachlichen Rechts rügen, sind unbegründet, da die Nachprüfung<br />

des Urteils aufgr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigungen keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil der<br />

Angeklagten ergeben hat. Der näheren Erörterung bedarf nur folgendes: Nach den Feststellungen hatten der zur Tat-<br />

279


zeit 31 Jahre alte Angeklagte L. , der 28 Jahre alte Angeklagte S. <strong>und</strong> der 25 Jahre alte Angeklagte K.<br />

nacheinander mit der damals 13 Jahre <strong>und</strong> 11 Monate alten Nebenklägerin Geschlechtsverkehr. Sie nahmen an, dass<br />

die Nebenklägerin noch nicht 16 Jahre alt war. Ihnen war „im Hinblick auf das Verhalten der Nebenklägerin jedenfalls<br />

die Möglichkeit bewusst, dass diese ihnen die Vornahme der sexuellen Handlungen nur aufgr<strong>und</strong> ihrer fehlenden<br />

Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung gestattete, was sich die Angeklagten aus dem Wunsch sexueller Bedürfnisbefriedigung<br />

heraus jeweils auch bewusst zunutze machten." Das Landgericht hat nicht festzustellen vermocht,<br />

dass die Angeklagten wussten oder zumindest billigend in Kauf nahmen, dass die Nebenklägerin noch nicht<br />

14 Jahre alt war. Die Verurteilung der Angeklagten jeweils wegen sexuellen Missbrauchs einer Jugendlichen gemäß<br />

§ 182 Abs. 2 Nr. 1 StGB hält im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand: § 182 StGB ist auch anwendbar, wenn das<br />

Tatopfer noch nicht 14 Jahre alt ist (vgl. BGHSt 42, 27, 29; 42, 51, 55; BGH NStZ 2000, 644). Daher kann ein Täter,<br />

der sich – wie hier - über das Alter des kindlichen Tatopfers irrt, nach § 182 Abs. 2 Nr. 1 StGB, der andernfalls im<br />

Wege der Gesetzeskonkurrenz von § 176 StGB verdrängt wird (vgl. BGHSt 42, 27), bestraft werden, sofern die<br />

Voraussetzungen dieser Vorschrift vorliegen (vgl. BGHSt 42, 27, 29 <strong>und</strong> 51, 55). Das hat das Landgericht, auch<br />

soweit § 182 Abs. 2 Nr. 1 StGB voraussetzt, dass der Täter bei der Vornahme der sexuellen Handlungen die fehlende<br />

Fähigkeit des Tatopfers zur sexuellen Selbstbestimmung ausnutzt, für jeden der Angeklagten rechtsfehlerfrei festgestellt.<br />

Rechtlichen Bedenken begegnet allerdings die von den Revisionen der Angeklagten L. <strong>und</strong> K. zu<br />

Recht beanstandete Erwägung des Landgerichts, die 13-jährige Nebenklägerin sei schon deshalb objektiv zur hinreichenden<br />

Selbstbestimmung nicht in der Lage gewesen, weil das Gesetz, wie sich aus § 176 StGB ergebe, hiervon bei<br />

Kindern unwiderleglich ausgehe. Dies trifft zwar für § 176 StGB zu (vgl. BGHSt 42, 27, 28 f.; BGH NStZ-RR 1997,<br />

98,<br />

99). Anders verhält es sich aber, wenn der Täter mangels Vorsatzes in Bezug auf das kindliche Alter des Opfers nicht<br />

nach § 176 StGB, sondern nur nach § 182 Abs. 2 Nr. 1 StGB bestraft werden kann. Da diese Vorschrift das Ausnutzen<br />

der fehlenden Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung im Einzelfall voraussetzt (vgl. BGHSt 42,<br />

27, 29; BGH NStZ-RR 1997, 98, 99), bedarf dies auch dann konkreter Feststellung, wenn das Opfer entgegen der<br />

irrigen Annahme des Täters noch keine 14 Jahre alt gewesen ist. Allein auf das kindliche Alter des Opfers durfte das<br />

Landgericht schon deshalb nicht abstellen, weil sich der – zumindest bedingte – Vorsatz auf die Umstände beziehen<br />

muss, aus denen sich die fehlende Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung ergibt (vgl. Lenckner/Perron/Eisele in<br />

Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 182 Rn. 13), die Angeklagten im Hinblick auf das Alter aber irrtumsbedingt<br />

nicht vorsätzlich handelten (§ 16 Abs. 1 Satz 1 StGB). Der aufgezeigte Rechtfehler gefährdet den Bestand des Urteils<br />

jedoch nicht. Vielmehr ist die fehlende Fähigkeit der Nebenklägerin aufgr<strong>und</strong> ihrer sittlichen <strong>und</strong> geistigen Entwicklung<br />

Bedeutung <strong>und</strong> Tragweite der konkreten sexuellen Handlung zu erfassen (vgl. BT-Drucks. 12/4584 S. 8; Wolters/Horn<br />

in SK-StGB § 182 Rn. 13), durch die getroffenen Feststellungen hinreichend belegt. Das Landgericht hat<br />

sich mit diesen Umständen im Rahmen der rechtlichen Würdigung zur inneren Tatseite im Einzelnen auseinandergesetzt.<br />

Es hat recht-fehlerfrei dargelegt, dass das zum Teil bizarre Tatgeschehen unabhängig vom genauen Alter der<br />

Nebenklägerin belegt, dass sie die Tragweite der sexuellen Handlungen „nicht zu überblicken <strong>und</strong> in reifer Weise zu<br />

bewerten in der Lage war <strong>und</strong> sie dem Begehren der Angeklagten nur deshalb nachgab, weil sie nicht über die notwendige<br />

Urteilsfähigkeit verfügt hat“. Von den diese Annahme begründenden Tatumständen hatten die Angeklagten<br />

nach den Feststellungen Kenntnis (UA 39). Der vom Landgericht daraus gezogene Schluss, „dass die Angeklagten es<br />

(zumindest) billigend in Kauf nahmen, dass die Nebenklägerin nur aus Unreife <strong>und</strong> fehlender Fähigkeit zu eigenverantwortlicher<br />

Entscheidung bereit war, die von ihnen gewählte Sexualpraktik zu dulden <strong>und</strong> sie deshalb unter Ausnutzung<br />

dieser Unreife ihren Wunsch nach sexueller Betätigung umsetzen konnten“, ist möglich <strong>und</strong> damit rechtlich<br />

nicht zu beanstanden.<br />

StGB § 184b Abs. 4 – Besitz von Cache-Daten.<br />

BGH, Beschl. vom 10.10.2006 – 1 StR 430/06<br />

Auch mit der bloßen Speicherung von Dateien i.S.d. § 184b Abs. 4 StGB im Cache-Speicher eines<br />

PC-Systems erlangt dessen Benutzer Besitz, weil es ihm möglich ist, jederzeit diese Dateien wieder<br />

aufzurufen, solange sie nicht manuell oder systembedingt automatisch gelöscht wurden.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 29. März 2006 wird als unbegründet<br />

verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil<br />

280


des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Ergänzend bemerkt der Senat: Bereits aus dem von der Jugendschutzkammer festgestellten Umstand, dass der Angeklagte<br />

die kinderpornographischen Dateien manuell von der Festplatte seines Laptops gelöscht hat, ergibt sich, dass<br />

ihm das Vorhandensein dieser Dateien bewusst war; entweder weil er sie selbst aus dem Internet heruntergeladen<br />

hatte oder diese Dateien durch deren Aufruf auf entsprechenden Internetseiten automatisch im Cache-Speicher des<br />

Laptops auf dessen Festplatte abgespeichert wurden. Nachdem zudem feststeht, dass der Angeklagte an verschiedenen<br />

Tagen gezielt Seiten mit entsprechenden porno-graphischen Inhalten gesucht <strong>und</strong> aufgerufen hat, hat er sich<br />

damit auch bewusst den Besitz dieser Dateien im Sinne von § 184b Abs. 4 StGB verschafft. Auch mit der bloßen<br />

Speicherung solcher Dateien im Cache-Speicher eines PC-Systems erlangt dessen Benutzer Besitz (vgl. hierzu<br />

Harms NStZ 2003, 646, 650; MüKo StGB/Hörnle § 184b Rdn. 27), weil es ihm möglich ist, jederzeit diese Dateien<br />

wieder aufzurufen, solange sie nicht manuell oder systembedingt automatisch gelöscht wurden.<br />

StGB § 211 Keine Heimtücke nach Ankündigung<br />

BGH, Beschl. vom 11.12.2006 - 5 StR 468/06<br />

In der Regel kein Heimtückemord, wenn der Täter seine Tat vorher ankündigt.<br />

Der 5. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 11. Dezember 2006 beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 23. Juni 2006 nach § 349 Abs.<br />

4 StPO<br />

a) im Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte wegen Totschlags in Tateinheit mit unerlaubtem<br />

Führen einer Schusswaffe verurteilt ist,<br />

b) im Strafausspruch aufgehoben.<br />

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten gegen das genannte Urteil wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet<br />

verworfen.<br />

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer Schusswaffe zu<br />

lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus dem Tenor ersichtlichen<br />

Teilerfolg; im Übrigen ist sie aus den in der Antragsschrift der B<strong>und</strong>esanwaltschaft genannten Gründen<br />

im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.<br />

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der aus Sizilien stammende Angeklagte dem späteren Tatopfer<br />

B. , einem italienischen Wirt, seit 1999 wiederholt nicht unerhebliche Geldbeträge geliehen. Als der Angeklagte<br />

ab 2003 mehrfach auf eine Rückzahlung der Schulden in Höhe von über 10.000 Euro drängte, wurde er von<br />

B. immer wieder vertröstet <strong>und</strong> um neue Darlehen gebeten, die der Angeklagte teilweise auch gewährte. Die<br />

fre<strong>und</strong>schaftlichen Beziehungen änderten sich, als der Angeklagte erfuhr, dass B. Mitte 2005 einen<br />

Motorradführerschein machte, anstatt seine Schulden zurückzuzahlen. Ende 2005 benötigte der Angeklagte dringend<br />

selbst Geld <strong>und</strong> drang abermals auf das spätere Tatopfer ein, es solle seine Schulden zurückzahlen. Der Angeklagte<br />

war deshalb sehr erbost, als B. ihm Anfang 2006 einen Teilbetrag in Höhe von 700 Euro zahlte, das<br />

Geld aber am selben Tag unter Hinweis darauf zurückforderte, es handele sich um Falschgeld. Einige Wochen später<br />

(zwei Tage vor der Tat) traf der Angeklagte das spätere Opfer mit einem vor kurzem für mehrere tausend Euro erworbenen<br />

fabrikneuen Motorrad an. Dies versetzte den Angeklagten in große Wut; er fühlte sich von seinem Landsmann<br />

hintergangen. Am Abend des Tattages rief der angetrunkene Angeklagte B. an <strong>und</strong> stellte ihn zur<br />

Rede, weshalb er seine Schulden nicht zurückzahle. B. antwortete, der Angeklagte solle „ihn am Arsch lecken“,<br />

er werde ihn mit seinem Geld in einen Mülleimer werfen, sein Geld werde er nicht zurückbekommen. Über<br />

diese erstmalig von B. ihm gegenüber ausgesprochenen Beleidigungen war der Angeklagte äußerst wütend;<br />

er beschloss, B. zu töten. Er sagte zu dem späteren Tatopfer am Telefon: „Pass auf, mein Fre<strong>und</strong>, ich<br />

komme jetzt zu dir ins Restaurant <strong>und</strong> mach dich platt.“ Diese Ankündigung setzte der Angeklagte wie folgt in die<br />

Tat um: Er nahm einen zu Hause aufbewahrten Revolver, lud diesen <strong>und</strong> ging zu Fuß in<br />

281


das Lokal von B. . Dort war B. nach der telefonischen Drohung des Angeklagten merklich nervös<br />

geworden, was sich jedoch nach einem erneuten Telefonat mit dem Angeklagten, das indes unbekannten Inhalts<br />

ist, etwas zu legen schien. Einen tätlichen Angriff erwartete B. von dem bislang nicht als gewalttätig bekannten<br />

Angeklagten nicht, sondern er hoffte, diesen beruhigen zu können. Als der Angeklagte das Lokal betrat, grüßte er<br />

kurz einige Anwesende <strong>und</strong> ging direkt auf den am Tresen stehenden B. zu, wobei er anfänglich seine mitgeführte<br />

Schusswaffe unter dem Mantel verbarg. Mit dem Wort „miserable“ zog er im Gehen seine rechte Hand mit der<br />

Waffe hervor <strong>und</strong> schoss aus einer Entfernung von höchstens zwei Metern zielgerichtet auf die Brust von B. ,<br />

der hierdurch letztlich tödlich getroffen wurde. Anschließend kam es noch zu weiteren Schüssen. Dass der Angeklagte<br />

die Arg- <strong>und</strong> Wehrlosigkeit seines Opfers erkannt <strong>und</strong> ausgenutzt habe, begründet das Schwurgericht mit dem<br />

Tatbild: B. habe sich nach erster Aufregung wieder etwas beruhigt gehabt <strong>und</strong> abwartend am Tresen gestanden.<br />

Als der Angeklagte auf ihn zugetreten sei, habe er nicht mit einem Angriff gerechnet. Der Angeklagte habe<br />

nicht mit vorgehaltener Waffe das Lokal betreten, sondern die Waffe unter dem Mantel zunächst verborgen gehalten,<br />

bis er kurz vor seinem Opfer stand <strong>und</strong> dieses keine Ausweichmöglichkeit mehr gehabt habe. Dies habe der Angeklagte<br />

auch erkannt <strong>und</strong> für seine Zwecke ausgenutzt.<br />

2. Die Annahme eines Heimtückemordes begegnet – wie die Revision zu Recht rügt – unter diesen Umständen<br />

durchgreifenden Bedenken. Insbesondere belegen die Feststellungen des Landgerichts nicht tragfähig, dass der Angeklagte<br />

in feindlicher Willensrichtung die Arg- <strong>und</strong> Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zu dessen Tötung ausgenutzt<br />

hat, sich also bei Abgabe des tödlichen Schusses bewusst war, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem<br />

Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (vgl. BGH NStZ 2003, 535). Dem steht schon die nach gravierenden<br />

Beleidigungen geäußerte Ankündigung des Angeklagten gegenüber dem späteren Opfer entgegen, „ich komme jetzt<br />

zu dir ins Restaurant <strong>und</strong> mach dich platt.“ Zwar mag die Annahme des Landgerichts noch tragfähig sein, der zu<br />

Recht wegen dieser Ankündigung besorgte Geschädigte habe sich etwas später wieder beruhigt <strong>und</strong> deshalb unmittelbar<br />

keinen tödlichen Angriff erwartet. Dem Senat scheint es jedoch gänzlich fernliegend zu sein, dass auch der<br />

Angeklagte davon ausgegangen sein soll, er könne nach einer solchen Ankündigung vor dem Hintergr<strong>und</strong> des vorangegangenen<br />

heftigen Streits noch einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen<br />

überraschen. Die Revision weist vielmehr zu Recht darauf hin, dass derjenige, der heimtückisch handeln will,<br />

seine Tat nicht kurz zuvor anzukündigen pflegt. Da der Angeklagte den gewalttätigen Übergriff unmittelbar angekündigt<br />

<strong>und</strong> dementsprechend ausgeführt hat, bedarf die Annahme des notwendigen Ausnutzungsbewusstseins ganz<br />

besonderer Umstände (vgl. auch Mosbacher, NStZ 2005, 688, 690). Solche können hier nicht schon darin gesehen<br />

werden, dass der Angeklagte beim Betreten des Lokals zunächst die Hand mit der Waffe verborgen hielt <strong>und</strong> während<br />

des zielstrebigen Zusteuerns auf sein Opfer kurz einige Gäste grüßte. Denn nur durch ein solches Vorgehen<br />

konnte er sicherstellen, dass er weder auf der Straße noch beim Betreten des Lokals von Unbeteiligten an seinem<br />

festen Plan gehindert wurde, B. – wie angekündigt – zu töten. Der Senat schließt angesichts des Tatablaufs<br />

aus, dass das Landgericht das erforderliche Ausnutzungsbewusstsein noch tragfähig feststellen könnte, <strong>und</strong> ändert<br />

deshalb den Schuldspruch von Mord in Totschlag.<br />

3. Aufgr<strong>und</strong> des neuen Schuldspruchs bedarf die Bemessung der Strafe erneuter schwurgerichtlicher Prüfung auf der<br />

Gr<strong>und</strong>lage der bisherigen rechtsfehlerfreien Feststellungen. Der neue Tatrichter wird hierzu allenfalls solche ergänzenden<br />

Feststellungen treffen können, die den bisherigen nicht widersprechen.<br />

StGB § 212 – Wissenselement des bedingten Vorsatzes<br />

BGH, Beschl. vom 06.03.2007 – 3 StR 497/06<br />

Zur Begründung des bedingten Tötungsvorsatzes. „Das Wissenselement des bedingten Tötungsvorsatzes<br />

ist nur dann gegeben, wenn der Angeklagte die Möglichkeit tatsächlich erkannt hat, ohne<br />

ärztliche Hilfe werde sein Fre<strong>und</strong> zu Tode kommen.“<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers <strong>und</strong> des Generalb<strong>und</strong>esanwalts<br />

- zu 2. auf dessen Antrag - am 6. März 2007 gemäß § 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 StPO einstimmig beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aurich vom 7. September 2006<br />

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Körperverletzung mit Todesfolge schuldig ist;<br />

282


) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu<br />

neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels <strong>und</strong> die den Nebenklägern dadurch<br />

entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "Totschlags durch Unter-lassen" zu einer Freiheitsstrafe von sieben<br />

Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision führt zur Änderung des Schuldspruchs <strong>und</strong><br />

Aufhebung des Strafausspruchs mit den zugehörigen Feststellungen. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf<br />

Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

1. Nach den Feststellungen lebte der von Schmerz- <strong>und</strong> Beruhigungsmitteln abhängige Angeklagte mit seinem querschnittsgelähmten<br />

Fre<strong>und</strong> S. , dessen umfassende Betreuung er gegen Bezahlung übernommen hatte, in häuslicher<br />

Gemeinschaft zusammen. Ab Mitte Mai 2005 vernachlässigte er die Pflege <strong>und</strong> die Versorgung des hilflos im Bett<br />

liegenden S. . Obwohl sich für ihn erkennbar der Ges<strong>und</strong>heitszustand seines Fre<strong>und</strong>es so dramatisch verschlechterte,<br />

dass jede Erkrankung zum Tode führen konnte, holte der Angeklagte keine ärztliche Hilfe. Dabei sah er den möglichen<br />

tödlichen Verlauf voraus, den er aus Gleichgültigkeit in Kauf nahm. S. verstarb zwischen dem 5. <strong>und</strong> 7. Juni<br />

2006 infolge unzureichender Versorgung <strong>und</strong> fehlender ärztlicher Betreuung an einer Lungenentzündung.<br />

2. Der Angeklagte hat die Vernachlässigung der Pflege eingeräumt <strong>und</strong> sich hinsichtlich der letzten Wochen des<br />

Zusammenlebens mit S. weitgehend auf Erinnerungslücken berufen. Die Strafkammer hat - ausgehend von der Einlassung<br />

des Angeklagten, seinem Fre<strong>und</strong> sei es zuletzt schlecht gegangen, er habe ihm Medikamente geben müssen -<br />

auf einen bedingten Tötungsvorsatz geschlossen <strong>und</strong> hierzu im Wesentlichen ausgeführt: Auch wenn der Angeklagte<br />

die Diagnose einer Lungenentzündung nicht habe stellen können, sei in Anbetracht des sichtbar geschwächten Gesamtzustandes<br />

des S. für ihn die konkrete Todesgefahr erkennbar gewesen. Es sei ihm bewusst gewesen, dass ohne<br />

ärztliche Hilfe jede Erkrankung tödlich verlaufen könne. Dennoch habe er nicht reagiert <strong>und</strong> sei bis zuletzt untätig<br />

geblieben. Zwar könnten der verwahrloste Zustand der Wohnung sowie das Fehlen eines Tötungsmotivs gegen einen<br />

bedingten Tötungsvorsatz sprechen. Dies sei jedoch nicht entscheidend, weil bei einer Tötung durch Unterlassen nur<br />

der Impuls zum Tätigwerden unterdrückt werden müsse <strong>und</strong> daher die zu überwindende Hemmschwelle geringer sei<br />

als bei einem aktiven Tun. Dieser Impuls sei beim Angeklagten durch die Beschäftigung mit seiner eigenen Person<br />

überlagert gewesen. Bei vernünftiger Betrachtung komme als Motiv für die von ihm behaupteten Erinnerungslücken<br />

lediglich der Versuch in Betracht, dadurch den Nachweis eines Tötungsvorsatzes zu verhindern.<br />

3. Die Verurteilung des Angeklagten wegen durch Unterlassen begangenen Totschlags kann nicht bestehen bleiben.<br />

a) Zu Bedenken Anlass geben schon die vom Landgericht zur Begründung des bedingten Tötungsvorsatzes im Urteil<br />

mehrfach verwendeten Formulierungen, für den Angeklagten seien der schlechte Ges<strong>und</strong>heitszustand des Tatopfers<br />

<strong>und</strong> die konkrete Todesgefahr "erkennbar gewesen". Durch sie wird das Wissenselement des bedingten Tötungsvorsatzes<br />

nicht belegt. Dieses ist nur dann gegeben, wenn der Angeklagte die Möglichkeit tatsächlich erkannt hat, ohne<br />

ärztliche Hilfe werde sein Fre<strong>und</strong> zu Tode kommen (vgl. BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 7; Tröndle/Fischer,<br />

StGB 54. Aufl. § 15 Rdn. 9 a, 17).<br />

b) Selbst wenn der Angeklagte - was aufgr<strong>und</strong> der festgestellten objektiven Tatumstände nicht fern liegend ist - ab<br />

einem bestimmten Zeitpunkt damit gerechnet hat, sein Fre<strong>und</strong> S. könne wegen des sich ständig verschlechternden<br />

Ges<strong>und</strong>heitszustandes ohne sofortige ärztliche Hilfe zu Tode kommen, <strong>und</strong> er den Todeseintritt billigend in Kauf<br />

genommen hat, tragen die Feststellungen den Schuldspruch nicht. Wegen Totschlags durch Unterlassen hat sich der<br />

Angeklagte nur strafbar gemacht, wenn das gebotene Handeln, insbesondere die Herbeiholung ärztlicher Hilfe, den<br />

als möglich erkannten Tod noch hätte verhindern können <strong>und</strong> er sich dessen bewusst war (vgl. Cramer/Sternberg-<br />

Lieben in Schönke/ Schröder, StGB 27. Aufl. § 15 Rdn. 94; Tröndle/Fischer aaO § 13 Rdn. 18). Dazu enthält das<br />

angefochtene Urteil keine Feststellungen. Es ist schon nicht dargelegt, zu welchem Zeitpunkt während der lang andauernden<br />

Vernachlässigung der Pflege der Angeklagte aufgr<strong>und</strong> welcher Indizien die Todesgefahr erkannte <strong>und</strong> der<br />

Körperverletzungsvorsatz in einen Tötungsvorsatz umgeschlagen ist. Auch enthält das Urteil keine Aussage dazu, ob<br />

zu diesem Zeitpunkt bei sofortiger ärztlicher Hilfe die Verhinderung des Todeseintritts mit an Sicherheit grenzender<br />

Wahrscheinlichkeit (vgl. Tröndle/Fischer aaO vor § 13 Rdn. 20) noch möglich <strong>und</strong> dem Angeklagten die Möglichkeit<br />

einer Rettung überhaupt bewusst war. Angesichts der besonderen Umstände des Falles erscheint nicht ausgeschlossen,<br />

dass der Angeklagte auf Gr<strong>und</strong> seines eigenen schlechten Ges<strong>und</strong>heitszustandes die Todesgefahr nicht<br />

oder jedenfalls so spät erkannte, dass eine Rettung des schwer kranken S. nicht mehr in Betracht kam.<br />

4. Demnach hat die Verurteilung wegen Totschlags keinen Bestand. Es ist auszuschließen, dass in einer neuen<br />

Hauptverhandlung die für eine Verurteilung wegen Totschlags durch Unterlassen erforderlichen Feststellungen,<br />

insbesondere die Möglichkeit der Erfolgsverhinderung nach Erkennen der Todesgefahr, getroffen werden könnten.<br />

283


Aufgr<strong>und</strong> des festgestellten Sachverhalts ist der Angeklagte jedoch der Körperverletzung mit Todesfolge (durch<br />

Unterlassen) gemäß § 227 StGB schuldig. Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert. § 265 Abs. 1<br />

StPO steht der Änderung nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.<br />

Die Änderung des Schuldspruchs führt schon deshalb zur Aufhebung des Strafausspruchs mit den zugehörigen<br />

Feststellungen, weil die Mindeststrafe der Körperverletzung mit Todesfolge deutlich geringer ist als die des Totschlags.<br />

5. Die Strafzumessung in dem angefochtenen Urteil gibt Anlass zu folgendem Hinweis: Die zu Lasten des Angeklagten<br />

berücksichtigten Strafzumessungsgründe, er habe letztlich sein Wohlbefinden "ohne Not" über das des Getöteten<br />

gestellt, das Opfer sei auf Gr<strong>und</strong> der Querschnittslähmung ohne fremde Hilfe überhaupt nicht überlebensfähig gewesen,<br />

so dass sich die Untätigkeit nur wenig von einer aktiven Tötung unterscheide, ist im Hinblick auf das Doppelverwertungsverbot<br />

des § 46 Abs. 3 StGB bedenklich. Denn mit diesen Erwägungen wird dem Angeklagten strafschärfend<br />

angelastet, dass er seine Garantenpflicht gegenüber dem hilflosen S. verletzt hat, obwohl ihm ein Tätigwerden<br />

zumutbar gewesen wäre. Bei der Festsetzung der für die Körperverletzung mit Todesfolge schuldangemessenen<br />

Strafe wird der neue Tatrichter auch den sich aufdrängenden Umstand berücksichtigen müssen, dass der noch<br />

junge Angeklagte mit der Betreuung <strong>und</strong> Pflege seines querschnittsgelähmten Fre<strong>und</strong>es offensichtlich überfordert<br />

war.<br />

StGB § 226 Abs. 1 Nr. 2 Wann ist ein Glied wichtig?<br />

BGH, Urt. vom 15.03.2007 - 4 StR 522/06 - NJW 2007, 1988 f.<br />

LS: Bei Beurteilung der Frage, ob ein Körperglied im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB wichtig ist,<br />

sind auch individuelle Körpereigenschaften <strong>und</strong> dauerhafte körperliche (Vor-)Schädigungen des<br />

Verletzten zu berücksichtigen.<br />

Der 4. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat in der Sitzung vom 15. März 2007 für Recht erkannt:<br />

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 5. Mai 2006, soweit es<br />

den Angeklagten B. betrifft,<br />

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der absichtlichen schweren Körperverletzung schuldig ist,<br />

b) im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die<br />

Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren<br />

<strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen <strong>und</strong><br />

materiellen Rechts gestützten Revision. Die Staatsanwaltschaft stützt ihr zu Ungunsten des Angeklagten eingelegtes<br />

Rechtsmittel, das vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt vertreten wird, auf die Sachrüge <strong>und</strong> erstrebt eine Verurteilung wegen<br />

absichtlicher oder wissentlicher schwerer Körperverletzung gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 2 <strong>und</strong> Abs. 2 StGB. Das<br />

Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die Revision des Angeklagten ist hingegen unbegründet.<br />

I. 1. Nach den Feststellungen kamen der Angeklagte <strong>und</strong> der Mitangeklagte Bi. überein, Safder S. zu verprügeln <strong>und</strong><br />

ihm auf diese Weise einen Denkzettel zu verpassen, weil er im Verdacht stand, das Patenkind des Mitangeklagten<br />

sexuell missbraucht zu haben. Sie lockten S. deshalb mit seinem Fahrzeug an eine abgelegene Stelle, zogen ihn dort<br />

aus seinem Pkw heraus, brachten ihn zu Boden <strong>und</strong> schlugen <strong>und</strong> traten zunächst auf ihn ein. Sodann fixierten sie die<br />

rechte Hand S. s durch Festhalten seines Unterarms so, dass die Hand flach auf dem asphaltierten Boden lag. Der<br />

Angeklagte schlug daraufhin mit einem scharfen Gipserbeil mehrfach <strong>und</strong> mit erheblicher Wucht gezielt auf die zu<br />

Boden gedrückte Hand des Tatopfers. Er trennte S. zwei Glieder des rechten Mittelfingers vollständig, den Zeige<strong>und</strong><br />

Ringfinger der rechten Hand nahezu vollständig ab. Während die Verletzung am Ringfinger folgenlos ausheilte,<br />

musste der Zeigefinger versteift werden <strong>und</strong> ist seither im Mittelgelenk nicht mehr beweglich. S. kann deshalb seine<br />

Faust nicht mehr schließen. Es ist ein erheblicher Kraftverlust in der rechten Hand eingetreten, ihre Funktionsfähigkeit<br />

ist erheblich eingeschränkt. S. ist verletzungsbedingt eine Minderung seiner Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 %<br />

zuerkannt worden.<br />

284


2. Das Landgericht hat den Angeklagten (nur) wegen gefährlicher Körperverletzung für schuldig bef<strong>und</strong>en, da er die<br />

Tat gemeinschaftlich mit dem Mitangeklagten Bi. (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) <strong>und</strong> - in Form eines Mittäterexzesses -<br />

mittels eines gefährlichen Werkzeugs (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) begangen hat. Die Voraussetzungen einer (absichtlichen<br />

oder wissentlichen) schweren Körperverletzung gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 2, (Abs. 2) StGB hat es indes in objektiver<br />

Hinsicht nicht für gegeben erachtet. Die Abtrennung lediglich der ersten beiden Glieder des rechten Mittelfingers<br />

stelle keinen Verlust eines wichtigen Körpergliedes im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB dar. Die Versteifung<br />

des rechten Zeigefingers habe keine dauernde Unbrauchbarkeit im Sinne dieser Vorschrift zur Folge, da dem<br />

Finger "die ihm im sozialen Leben zugewiesene Zeigefunktion" erhalten geblieben sei. Schließlich sei auch durch<br />

die Verletzung beider Finger die Gebrauchsfähigkeit der rechten Hand nicht insgesamt aufgehoben, sondern nur<br />

erheblich eingeschränkt.<br />

II. Die Revision der Staatsanwaltschaft<br />

1. Die Begründung, mit welcher das Landgericht die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen einer schweren Körperverletzung<br />

nach § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB abgelehnt hat, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Beschwerdeführerin<br />

beanstandet zu Recht, dass die Strafkammer ihrer Wertung, die Versteifung des rechten Zeigefingers<br />

stelle keine dauernde Gebrauchsunfähigkeit eines wichtigen Körpergliedes dar, einen zu engen Maßstab zu Gr<strong>und</strong>e<br />

gelegt hat.<br />

a) Der Zeigefinger der rechten Hand stellt, was das Landgericht letztlich offen gelassen hat, unter den hier gegebenen<br />

Umständen ein wichtiges Glied des Körpers im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB dar.<br />

aa) Die Rechtsfrage, ob ein Körperglied im Sinne dieser Vorschrift "wichtig" ist, ist in Rechtsprechung <strong>und</strong> Literatur<br />

umstritten. Das Reichsgericht hat die Wichtigkeit eines Körperglieds rein abstrakt <strong>und</strong> generalisierend danach bestimmt,<br />

ob dessen Verlust "für jeden normalen Menschen eine wesentliche Beeinträchtigung des gesamten Körpers<br />

in seinen regelmäßigen Verrichtungen" bedeutet. Es hat also allein darauf abgestellt, welche Bedeutung das Körperglied<br />

für den Menschen überhaupt hat, unabhängig von den individuellen Besonderheiten des Verletzten (vgl. RGSt<br />

6, 346, 347; 62, 161, 162; 64, 201, 202; RG GA Bd. 47 (1900), 168; Bd. 52 (1905), 91). Diese Rechtsprechung hat<br />

der B<strong>und</strong>esgerichtshof im Gr<strong>und</strong>satz fortgeführt (ebenso vgl. Paeffgen in NK-StGB 2. Aufl. § 226 Rdn. 29). So hat<br />

der erkennende Senat in seinem Urteil vom 28. Mai 1953 (MDR bei Dallinger 1953, 597) ausgeführt, der Zeigefinger<br />

der rechten Hand sei ein wichtiges Körperglied, da sein Verlust eine erhebliche Beeinträchtigung der Lebensführung<br />

"für jedermann" bedeute. Eine etwas differenzierendere Betrachtung findet sich in der Entscheidung des 5.<br />

Strafsenats in NJW 1991, 990, wonach jedenfalls bei dem Verlust eines Fingers das Tatbestandsmerkmal nur dann<br />

zu bejahen sei, wenn "zusätzliche Umstände" festgestellt werden können. Demgegenüber beurteilt ein Teil des<br />

Schrifttums die Wichtigkeit eines Körpergliedes maßgeblich nach der Individualität des Tatopfers, namentlich nach<br />

seinen beruflichen Verhältnissen (Stree in Schönke/Schröder 27. Aufl. § 226 Rdn. 2; Lackner/Kühl StGB 25. Aufl. §<br />

226 Rdn. 3). Hierfür wird ausgeführt, dass die Bedeutung bestimmter Körperglieder <strong>und</strong> damit das Gewicht ihres<br />

Verlustes bei einzelnen Personen (z.B. ein Finger bei einem Berufspianisten) größer als im Normalfall sein kann.<br />

Eine andere Meinung stellt unter Bezug auf den Schutzzweck der Norm auf die individuelle Wichtigkeit des Körpergliedes<br />

für die generellen körperlichen Mindestfähigkeiten ab. Danach sollen bei der Beurteilung der Wichtigkeit<br />

eines Körpergliedes zwar berufliche, soziale oder private Sonderfähigkeiten oder Interessen des Tatopfers außer<br />

Acht bleiben, hingegen dessen individuelle Körpereigenschaften bzw. körperliche Besonderheiten Berücksichtigung<br />

finden (Hardtung in MünchKomm StGB § 226 Rdn. 27; Hirsch in LK 11. Aufl. § 226 Rdn. 15; Horn/Wolters in SK<br />

§ 226 Rdn. 10).<br />

bb) Der Senat hält mit der Literatur die Auslegung, die das Tatbestandsmerkmal der "Wichtigkeit" eines Körperglieds<br />

durch das Reichsgericht erfahren hat, für zu eng <strong>und</strong> nicht mehr zeitgemäß. Er ist der Auffassung, dass bei<br />

Beurteilung der Frage, ob ein Körperglied im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB wichtig ist, auch individuelle Körpereigenschaften<br />

<strong>und</strong> dauerhafte körperliche (Vor-)Schädigungen des Verletzten zu berücksichtigen sind. Einer solchen<br />

Auslegung des Tatbestandsmerkmals stehen weder der Wortlaut des Gesetzes noch tragende Rechtsprechung<br />

anderer Senate des B<strong>und</strong>esgerichtshofs entgegen. Soweit eigene Rechtsprechung des Senats (MDR bei Dallinger<br />

1953, 597) entgegensteht, wird diese aufgegeben. § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist ein konkretes Verletzungsdelikt, dessen<br />

Erfolg auch von der jeweiligen körperlichen Beschaffenheit des Tatopfers abhängt. So hat ein Finger der linken<br />

Hand naturgemäß für einen Linkshänder eine größere Bedeutung als für einen Rechtshänder. Für einen Menschen<br />

ohne Hände, etwa infolge einer körperlichen Behinderung, der gelernt hat, seine Zehen als Fingerersatz einzusetzen,<br />

sind diese Zehen für das Hantieren ebenso wichtig wie die Finger für einen nicht behinderten Menschen (vgl. Hardtung<br />

in MünchKomm StGB § 226 Rdn. 27). Solche dauerhaften körperlichen Besonderheiten eines Tatopfers bei der<br />

Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Wichtigkeit eines Körperglieds entsprechend der vom Reichsgericht entwi-<br />

285


ckelten Rechtsprechung gänzlich außer Acht zu lassen, widerspräche dem heutigen Verständnis eines gleichberechtigten<br />

Zusammenlebens von Menschen unter-schiedlicher körperlicher Beschaffenheit.<br />

cc) Hiervon ausgehend ist im vorliegenden Fall der Zeigefinger der rechten Hand des Tatopfers ein wichtiges Körperglied<br />

im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB <strong>und</strong> zwar unabhängig davon, ob - was sich aus dem Urteil nicht zweifelsfrei<br />

ergibt - der Verletzte Rechts- oder Linkshänder ist. Es ist nämlich auf die Besonderheit Bedacht zu nehmen,<br />

dass dem Opfer durch die Tat auch dessen rechter Mittelfinger teilweise abgetrennt wurde, sich die Verletzung mithin<br />

besonders schwerwiegend für das Tatopfer ausgewirkt hat, weil die durch die Versteifung des Zeigefingers eingetretenen<br />

Funktionsverluste nicht einmal teilweise durch den Mittelfinger übernommen werden können.<br />

b) Entgegen der Auffassung des Landgerichts hat die verletzungsbedingte Versteifung auch zu einer dauernden<br />

Gebrauchsunfähigkeit des rechten Zeigefingers geführt. Konnte nach der ständigen Rechtsprechung zu der Gesetzesfassung<br />

des § 224 Abs. 1 StGB a.F. nur der physische Verlust eines wichtigen Körpergliedes, nicht aber lediglich die<br />

Verminderung oder Aufhebung der Gebrauchsfähigkeit dieses Gliedes den Tatbestand der schweren Körperverletzung<br />

begründen (vgl. BGH NJW 1988, 2622; BGH StV 1992, 115), so ist seit Inkrafttreten des 6. Strafrechtsreformgesetzes<br />

in § 226 Abs. 1 Nr. 2 2. Alt. StGB die dauernde Gebrauchsunfähigkeit dem Verlust eines Körpergliedes<br />

gleichgestellt. Entgegen der Auffassung des Landgerichts setzt die dauernde Gebrauchsunfähigkeit jedoch keinen<br />

völligen, in jeder Hinsicht gegebenen Funktionsverlust des betroffenen Körpergliedes voraus. Eine so enge Auslegung<br />

entspräche weder dem Sinn des Gesetzes noch dem Willen des Gesetzgebers, der von der neu geschaffenen<br />

Tatbestandsalternative ausdrücklich jene von der Rechtsprechung nicht unter § 224 Abs. 1 StGB a.F. subsumierten<br />

Fälle der verletzungs-bedingten Versteifung eines wichtigen Körpergliedes (BGH NJW 1988, 2622) erfasst sehen<br />

wollte (BTDrucks. 13/9064, S. 16). Bei einem "nur" durch Versteifung beeinträchtigten Körperglied wird jedoch<br />

zumeist irgendeine Funktion erhalten bleiben. Für die Beurteilung, ob ein wichtiges Körperglied dauernd nicht mehr<br />

gebraucht werden kann, ist deshalb im Wege einer wertenden Gesamtbetrachtung zu ermitteln, ob als Folge der vorsätzlichen<br />

Körperverletzung so viele Funktionen ausgefallen sind, dass das Körperglied weitgehend unbrauchbar<br />

geworden ist <strong>und</strong> von daher die wesentlichen faktischen Wirkungen denjenigen eines physischen Verlusts entsprechen<br />

(vgl. Rengier in ZStW 111 (1999), 1, 15 f.; im Ergebnis ebenso Horn/Wolters in SK § 226 Rdn. 11, Hardtung<br />

in Münch-Komm StGB § 226 Rdn. 30). Dies zu Gr<strong>und</strong>e gelegt, hat die festgestellte Versteifung des Zeigefingers der<br />

rechten Hand des Tatopfers entgegen der Auffassung des Landgerichts eine dauernde Unbrauchbarkeit dieses (wichtigen)<br />

Körpergliedes zur Folge (ebenso Horn/Wolters aaO). Wie der physische Verlust dieses Fingers führt dessen<br />

Versteifung zu einer - von der Strafkammer bei ihrer Abwägung gänzlich außer Acht gelassenen - massiven Einschränkung<br />

sowohl beim Greifen als auch beim Halten <strong>und</strong> Arbeiten. Gerade durch den sog. "Pinzetten-Griff" des<br />

Daumens <strong>und</strong> des Zeigefingers wird die menschliche Handgeschicklichkeit ganz entscheidend geprägt (vgl. RGSt 6,<br />

346, 348; Paeffgen in NK-StGB 2. Aufl. § 226 Rdn. 29). Gegenüber dieser besonderen Bedeutung des Zeigefingers<br />

für alle Greiftätigkeiten tritt die aufrechterhalten gebliebene "Zeigefunktion" dieses Fingers in den Hintergr<strong>und</strong>.<br />

2. Der Senat kann den Schuldspruch selbst ändern. Die vollständig <strong>und</strong> rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen<br />

tragen eine Verurteilung wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung nach § 226 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB nicht<br />

nur in objektiver, sondern auch in subjektiver Hinsicht. Das Landgericht ist auf der Gr<strong>und</strong>lage rechtlich beanstandungsfreier<br />

Erwägungen zu dem Ergebnis gelangt, dass der Angeklagte dem Tatopfer absichtlich die schwere Tatfolge<br />

beigebracht hat. Die Annahme absichtlichen Handelns im Sinne des § 226 Abs. 2 StGB war im Hinblick auf<br />

das Vorgehen des Angeklagten, der, ein Widerlager ausnutzend, mit einem scharfen Beil mehrfach kräftig auf die<br />

Finger der fixierten Hand des Tatopfers schlug, nicht nur möglich, sondern nahe liegend. § 265 StPO steht der<br />

Schuldspruchänderung nicht entgegen, da der Angeklagte wegen wissentlicher oder absichtlicher schwerer Körperverletzung<br />

angeklagt war.<br />

3. Die Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Obwohl das Landgericht im Rahmen<br />

der Strafzumessung den einer absichtlichen schweren Körperverletzung entsprechenden Schuldumfang zu Lasten des<br />

Angeklagten berücksichtigt hat, kann der Senat in Anbetracht des höheren Strafrahmens des § 226 Abs. 2 StGB nicht<br />

mit letzter Sicherheit ausschließen, dass die Strafkammer bei Zugr<strong>und</strong>elegung des geänderten Schuldspruchs auf eine<br />

höhere Strafe erkannt hätte.<br />

III. Die Revision des Angeklagten<br />

Die Überprüfung des Urteils auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung hat aus den Gründen der Antragsschrift des<br />

Generalb<strong>und</strong>esanwalts keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.<br />

286


StGB § 235 Abs. 2 Nr. 2 Kindesentziehung Dauerdelikt „Zäsurwirkung“ durch staatliches Handeln,<br />

Schuldprinzip<br />

BVerfG, Beschl. vom 27.12.2006 - - 2 BvR 1895/05 -<br />

Dass der Staat bei den Dauerdelikten der Kindesentziehung durch einen bloßen, nicht näher begründeten<br />

Verweis auf die dogmatische Figur der "Zäsurwirkung" einer vorausgegangenen Verurteilung<br />

selbst die Voraussetzungen für die Verurteilung wegen einer vermeintlichen Tat schafft,<br />

stellt einen offensichtlichen Verstoß gegen das Schuldprinzip dar.<br />

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde, ... hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts<br />

durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richter Di Fabio <strong>und</strong> Landau gemäß § 93c in Verbindung<br />

mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)<br />

am 27. Dezember 2006 einstimmig beschlossen:<br />

Das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 19. April 2005 – 221 Js 221/04 – <strong>und</strong> der Beschluss des Oberlandesgerichts<br />

Frankfurt am Main vom 5. Oktober 2005 - 2 Ss 290/05 - verletzen die Rechte des Beschwerdeführers aus Artikel<br />

1 Absatz 1 <strong>und</strong> Artikel 2 Absatz 1 des Gr<strong>und</strong>gesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip. Das Urteil des<br />

Landgerichts Darmstadt <strong>und</strong> der Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main werden aufgehoben; die Sache<br />

wird an eine Strafkammer des Landgerichts Darmstadt zurückverwiesen. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde<br />

nicht zur Entscheidung angenommen. Das Land Hessen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen<br />

Auslagen zu erstatten. Damit erledigt sich der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe <strong>und</strong> auf Beiordnung<br />

des Verfahrensbevollmächtigten.<br />

Gründe:<br />

A. I. 1. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die zweite gegen den Beschwerdeführer ergangene strafgerichtliche<br />

Verurteilung wegen Kindesentziehung. Der Beschwerdeführer ist Vater einer im Jahre 1995 geborenen<br />

Tochter namens S. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht für S. wurde rechtskräftig der Mutter, seiner früheren Ehefrau,<br />

übertragen. Im Jahr 2001 reiste S. mit dem Einverständnis ihrer Mutter zu Verwandten des Beschwerdeführers nach<br />

Algerien, wo sie sich seither aufhält. Alle Versuche der Kindesmutter, S. wieder nach Deutschland zu holen, scheiterten<br />

daran, dass für die Ausreise nach algerischem Recht ein notariell beurk<strong>und</strong>etes Einverständnis des Vaters<br />

notwendig ist. Dieses hat der Beschwerdeführer von Anfang an verweigert.<br />

2. Infolge dieser Weigerung verurteilte ihn das Amtsgericht wegen Kindesentziehung (§ 235 Abs. 2 Nr. 2 StGB) zu<br />

einer Freiheitsstrafe, die das Landgericht als Berufungsinstanz auf zwei Jahre <strong>und</strong> sechs Monate Freiheitsstrafe ermäßigte.<br />

Bereits im Rahmen der Vorbereitung des Hauptverhandlungstermins wies der Vorsitzende der Berufungskammer<br />

den Beschwerdeführer <strong>und</strong> dessen Verteidiger schriftlich darauf hin, dass es sich bei Kindesentziehung um<br />

ein Dauerdelikt handele. Daher trete mit dem Tag der letzten Hauptverhandlung in einer Tatsacheninstanz eine Zäsurwirkung<br />

ein. Der Beschwerdeführer laufe "daher Gefahr, bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres seiner Tochter<br />

zahlreiche erhebliche Freiheitsstrafen anzusammeln".<br />

3. Aufgr<strong>und</strong> dieser Verurteilung, die nicht Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist, befand sich der Beschwerdeführer<br />

bis zum 30. September 2006 in Strafhaft.<br />

4. Auch nach Rechtskraft dieser Verurteilung weigerte sich der Beschwerdeführer, die Genehmigung zur Ausreise S.<br />

aus Algerien zu erteilen. Die Staatsanwaltschaft erhob daraufhin erneut Anklage wegen dieses Sachverhalts, jedoch<br />

im Hinblick auf einen Tatzeitraum nach der ersten Verurteilung durch das Landgericht am 17. November 2003. Der<br />

Beschwerdeführer wurde wiederum von Amtsgericht <strong>und</strong> Landgericht wegen Kindesentziehung zu einer Freiheitsstrafe<br />

von nunmehr drei Jahren verurteilt. Das Landgericht führt aus, der Beschwerdeführer habe ein Dauerdelikt<br />

begangen, bei dem die letzte Hauptverhandlung in einer Tatsacheninstanz, die der ersten Verurteilung zugr<strong>und</strong>e lag,<br />

eine Zäsurwirkung entfalte. Demnach liege im Zeitraum seit der letzten Tatsachenverhandlung eine neue Tat vor.<br />

Zur Tatmotivation des Beschwerdeführers stellt das Landgericht fest, er habe die Zustimmung zur Heimkehr S. verweigert,<br />

um die Kindesmutter davon abzuhalten, sich von ihm scheiden zu lassen, <strong>und</strong> um sie zu bewegen, ihn als bei<br />

ihr wohnhaft zu melden, damit er Vollzugslockerungen erhalte.<br />

5. Die gegen diese Verurteilung erhobene Revision des Beschwerdeführers hat das Oberlandesgericht gemäß § 349<br />

Abs. 2 StPO verworfen.<br />

6. Inzwischen wird gegen den Beschwerdeführer ein gleich gelagertes drittes Strafverfahren geführt, das noch nicht<br />

rechtskräftig abgeschlossen ist.<br />

287


II. Im familiengerichtlichen Verfahren, das unter anderem die elterliche Sorge zum Gegenstand hatte, stellte das<br />

Amtsgericht über den Beschwerdeführer fest: "Auch sein Verhalten im Zusammenhang mit der von der Kindesmutter<br />

angestrebten Rückführung der Tochter nach Deutschland macht deutlich, dass es dem Beschwerdeführer nicht um<br />

das Wohl der gemeinsamen Tochter geht, sondern um die Durchsetzung eigener Interessen. Er versucht, die Sorge<br />

der Kindesmutter um das Wohlergehen der Tochter skrupellos für sich auszunutzen, indem er seine Zustimmung zur<br />

Rückführung davon abhängig macht, dass die Kindesmutter ihn mit Wohnsitz wieder unter ihrer Anschrift anmeldet,<br />

weil er sich davon den Freigängerstatus erhofft, <strong>und</strong> sie zu veranlassen, sich dafür zu verwenden, dass er nicht abgeschoben<br />

wird. Die Belange der Tochter, die im Februar 2002 seit mehr als 1 1/4 Jahren keinerlei persönlichen Kontakt<br />

zur Mutter halten kann, interessieren ihn hingegen offensichtlich überhaupt nicht." Die gegen diese Entscheidung<br />

gerichtete Berufung hat das Oberlandesgericht durch Beschluss vom 28. März 2003 verworfen.<br />

III. Mit seiner rechtzeitig erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des Doppelbestrafungsverbots<br />

("ne bis in idem") aus Art. 103 Abs. 3 GG sowie des Verhältnismäßigkeitsprinzips in Gestalt<br />

des Übermaßverbots aus Art. 2 Abs. 1 GG durch die Entscheidungen des Amtsgerichts, des Landgerichts <strong>und</strong> des<br />

Oberlandesgerichts.<br />

1. Die zweite strafgerichtliche Verurteilung verstoße gegen das Doppelbestrafungsverbot. Ihr Gegenstand sei "dieselbe<br />

Tat" im Sinne des Art. 103 Abs. 3 GG wie bei der ersten Verurteilung wegen Kindesentziehung. Auch wenn<br />

bei vordergründiger Betrachtung zwei Lebenssachverhalte - nämlich zwei Tatzeiträume - zu unterscheiden seien,<br />

liege dem Unterlassen doch nur ein einziger, einmal gefasster <strong>und</strong> unabänderlicher Entschluss zugr<strong>und</strong>e. Auch werde<br />

von dem Beschwerdeführer stets nur dasselbe Verhalten verlangt, nämlich die einmalige Abgabe der Zustimmungserklärung.<br />

Daher ende der maßgebliche Lebenssachverhalt erst, wenn die Handlungspflicht ende, also mit der Volljährigkeit<br />

seiner Tochter im Jahre 2013.<br />

2. Die Verhängung zweier Freiheitsstrafen von insgesamt fünf Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verstoße bereits heute<br />

angesichts eines Strafrahmens von nur fünf Jahren gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip <strong>und</strong> das Übermaßverbot.<br />

Zudem drohe in dem bereits eingeleiteten dritten Ermittlungsverfahren eine weitere Freiheitsstrafe von mehr als drei<br />

Jahren. Insgesamt sei damit eine "Verurteilungskette" in Gang gesetzt, die erst mit der Volljährigkeit der Tochter S.<br />

im Jahre 2013 ihren Abschluss finden werde. Dies könne zu Freiheitsstrafen von zehn bis 15 Jahren führen. Die Zahl<br />

der noch zu erwartenden Verurteilungen sei lediglich vom Ermessen der Strafverfolgungsbehörden abhängig, wann<br />

Hauptverhandlungstermine angesetzt würden <strong>und</strong> in wie viele Einzelabschnitte das Unterlassen des Beschwerdeführers<br />

damit aufgespalten werde. Insgesamt sei die zu erwartende Strafhöhe nicht mehr am Unrechts- <strong>und</strong> Schuldgehalt<br />

der Tat des Beschwerdeführers orientiert.<br />

IV. Zu der Verfassungsbeschwerde haben der Präsident des B<strong>und</strong>esgerichtshofs, der Generalb<strong>und</strong>esanwalt <strong>und</strong> die<br />

Hessische Staatskanzlei Stellung genommen.<br />

1. Der Präsident des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat eine Stellungnahme der Vorsitzenden des 5. Strafsenats übersandt, die<br />

sich auf das Urteil vom 9. Februar 2006 - 5 StR 564/05 – bezieht (NStZ 2006, S. 447 = StV 2006, S. 470).<br />

2. Der Generalb<strong>und</strong>esanwalt hat unter anderem ausgeführt, die rechtskräftige Verurteilung führe bei Dauerdelikten<br />

zu einer Zäsurwirkung, wobei für Unterlassungsdelikte nichts anderes gelte.<br />

3. Die Hessische Staatskanzlei hat ausgeführt, man könnte sich im vorliegenden Fall zwar darauf berufen, die unterlassene<br />

Zustimmung zur Ausreise der Tochter des Beschwerdeführers aus Algerien sei ein einheitliches, auf einem<br />

einmaligen Willensentschluss beruhendes Unterlassen. Dann wäre die Tat vollendet, aber nicht beendet <strong>und</strong> könnte<br />

somit als einheitlicher Lebensvorgang zu qualifizieren sein. Indes werde – was hier der Fall sei - von einer neuen Tat<br />

im prozessualen Sinne dann ausgegangen, wenn der Täter eines Dauerdelikts den rechtswidrigen Zustand nach der<br />

letzten Tatsacheninstanz weiterhin aufrechterhalte. Die erste Verurteilung bewirke eine Zäsur, ab der eine neue Tat<br />

vorliege, die einer erneuten Verurteilung zugänglich sei.<br />

V. Die Akten der beiden gegen den Beschwerdeführer wegen Kindesentziehung geführten Strafverfahren <strong>und</strong> des<br />

familiengerichtlichen Verfahrens haben der Kammer vorgelegen.<br />

B. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sie sich gegen die Verurteilung durch das Amtsgericht wendet.<br />

Das Berufungsgericht hat auf die Berufung des Beschwerdeführers in vollem Umfang über den Prozessgegenstand<br />

entschieden. Damit ist die vorhergehende Entscheidung des Amtsgerichts prozessual überholt.<br />

C. Soweit zulässig, ist die Verfassungsbeschwerde in einer die Zuständigkeit der Kammer eröffnenden Weise begründet.<br />

Die Verfassungsbeschwerde ist zur Entscheidung anzunehmen, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs.<br />

1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die angegriffenen<br />

Entscheidungen des Landgerichts <strong>und</strong> des Oberlandesgerichts verletzen den Beschwerdeführer in seinen Gr<strong>und</strong>rechten<br />

aus Art. 1 Abs. 1 <strong>und</strong> Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Schuldprinzip). Die Voraussetzungen<br />

des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine der Verfassungsbeschwerde stattgebende Entscheidung der<br />

288


Kammer sind gegeben. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht bereits<br />

entschieden.<br />

I. Auf dem Gebiet der Strafrechtspflege bestimmt Art. 1 Abs. 1 GG die Auffassung vom Wesen der Strafe. Der<br />

Gr<strong>und</strong>satz "Keine Strafe ohne Schuld" hat Verfassungsrang; er findet seine Gr<strong>und</strong>lage im Gebot der Achtung der<br />

Menschenwürde sowie in Art. 2 Abs. 1 GG <strong>und</strong> im Rechtsstaatsprinzip (vgl.BVerfGE 9, 167 ; 86, 288 ;<br />

95, 96 ; stRspr). Aus diesem Gr<strong>und</strong>satz folgt für die Strafgerichte das Gebot schuldangemessenen Strafens im<br />

Einzelfall. Jede Strafe setzt Schuld voraus. Die Strafe ist im Gegensatz zur reinen Präventionsmaßnahme dadurch<br />

gekennzeichnet, dass sie - wenn nicht ausschließlich, so doch auch - auf gerechte Vergeltung für ein rechtlich verbotenes<br />

Verhalten abzielt. Die Strafe antwortet auf ein rechtswidriges sozialethisches Fehlverhalten. Eine solche strafrechtliche<br />

Reaktion wäre ohne Feststellung der individuellen Zurechenbarkeit mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar<br />

(vgl.BVerfGE 6, 389 ; 20, 323 ). Die Strafe muss in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der<br />

Tat <strong>und</strong> zum Verschulden des Täters stehen (vgl. BVerfGE 50, 5 ; 73, 206 ; 86, 288 ; 96, 245<br />

). Insoweit deckt sich der Schuldgr<strong>und</strong>satz mit dem Übermaßverbot (vgl. BVerfGE 50, 205 ; 73, 206<br />

; 86, 288 ; 95, 96 ). Das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht prüft nur nach, ob dem Schuldgr<strong>und</strong>satz überhaupt<br />

Rechnung getragen oder ob seine Tragweite bei der Auslegung <strong>und</strong> Anwendung des Strafrechts gr<strong>und</strong>legend<br />

verkannt worden ist (BVerfGE 95, 96 ).<br />

II. Diesen Anforderungen werden die angegriffenen Entscheidungen, die den Beschwerdeführer zum zweiten Mal<br />

wegen Kindesentziehung nach § 235 Abs. 2 Ziff. 2 StGB bestrafen, nicht gerecht.<br />

1. Die Gerichte nehmen an, die erste Verurteilung entfalte Zäsurwirkung im Hinblick auf das Dauerdelikt der Kindesentziehung,<br />

so dass es sich bei der nach dem 18. November 2003 weiter verweigerten Zustimmungserklärung des<br />

Beschwerdeführers zur Ausreise seines Kindes aus Algerien um eine neue Tat der Kindesentziehung handele.<br />

2. Bei dieser Bewertung lassen die Gerichte in verfassungsrechtlich erheblicher Weise Besonderheiten des erneut auf<br />

das Verhalten des Beschwerdeführers angewendeten Tatbestandes außer Acht.<br />

a) Bei dem vorgeworfenen Verhalten – Nichtabgabe der Zustimmungserklärung zur Ausreise trotz rechtskräftiger<br />

familienrechtlicher Entscheidung - handelt es sich um ein Unterlassen im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB (vgl. Gribbohm,<br />

in: Leipziger Kommentar zum StGB, 11. Aufl. 2005, Rn. 75 zu § 235 StGB), das der Beschwerdeführer als<br />

Dauerdelikt begeht (vgl. ausdrücklich zur Kindesentziehung: Reichsgericht, Entscheidung vom 12. Dezember 1941 –<br />

1 D 463/41 -, DR 1942, S. 438 ; B<strong>und</strong>esgerichtshof, Urteil vom 11. Februar 1999 – 4 StR 594/98 -, NJW<br />

1999, S. 1344 ; Urteil vom 9. Februar 2006 - 5 StR 564/05 -, NStZ 2006, S. 447 = StV 2006, S. 470).<br />

Das verleiht der Tat die Eigenschaft eines Unterlassungsdauerdelikts (Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder,<br />

StGB, 27. Aufl. 2006, vor §§ 52 ff., Rn. 81 a.E.; BayObLG, Urteil vom 30. Juni 1960 – RevReg. 4 St 120/60 -, Bay-<br />

ObLG 1960, S. 168 ff.; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26. Januar 1981 – 1 Ss 27/81 -, MDR 1981, S. 1042).<br />

b) Vor diesem strafrechtsdogmatischen Hintergr<strong>und</strong> verletzt die zweite Verurteilung des Beschwerdeführers, die an<br />

die Nichtabgabe der notariellen Zustimmungserklärung zur Ausreise seiner Tochter anknüpft, in mehrfacher Hinsicht<br />

das Schuldprinzip.<br />

aa) Die Gerichte haben sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob der Beschwerdeführer durch das weitere<br />

Unterlassen der Abgabe der notariellen Zustimmungserklärung überhaupt erneut schuldhaft Unrecht verwirklicht hat.<br />

In den Entscheidungen wird nicht geprüft, ob der Beschwerdeführer angesichts der Einmaligkeit der von ihm geforderten<br />

Leistung - Abgabe der notariellen Zustimmungserklärung zur Ausreise seiner Tochter - durch die bloße Fortsetzung<br />

seines Nichthandelns ein erneutes rechtlich verbotenes Verhalten gezeigt hat, das eigenständiger Sanktionierung<br />

zugänglich ist. Die Gerichte haben den Beschwerdeführer ohne hinreichende Begründung, nur unter Hinweis<br />

auf die erste Verurteilung, zu einer noch höheren Freiheitsstrafe verurteilt <strong>und</strong> somit die Reichweite des Schuldgr<strong>und</strong>satzes<br />

bei der Auslegung <strong>und</strong> Anwendung des Strafrechts verkannt.<br />

bb) Die Gerichte haben – sollte der Beschwerdeführer erneut schuldhaft Unrecht verwirklicht haben - auch nicht den<br />

Schuldumfang der von ihnen angenommenen zweiten im Verhältnis zur ersten Tat erörtert. Dass der Staat durch<br />

einen bloßen, nicht näher begründeten Verweis auf die dogmatische Figur der "Zäsurwirkung" einer vorausgegangenen<br />

Verurteilung selbst die Voraussetzungen für die Verurteilung wegen einer vermeintlich neuen Tat schafft, stellt<br />

einen offensichtlichen Verstoß gegen das Schuldprinzip dar: Nicht die individuelle Schuld ist in einem solchen Falle<br />

Gr<strong>und</strong> der Bestrafung <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>lage der Strafzumessung, sondern die von Zufälligkeiten abhängige Geschwindigkeit<br />

der Strafverfolgung, die zur Konstruktion von Zäsurwirkungen führt. Die Strafbarkeit hängt nicht von den abstrakt-generellen<br />

Normen des Strafrechts, sondern von der konkreten Organisation der Gerichte ab, die die Voraussetzungen<br />

der Strafbarkeit selbst gestalten. Eine solche Rechtsanwendung birgt die Gefahr, den Beschuldigten als bloßes<br />

Objekt der Strafverfolgungsbehörden zu behandeln. Auch wenn sich eine Zäsurwirkung der letzten Tatsachenverhandlung<br />

begründen ließe, hätte es Feststellungen dazu bedurft, dass der Beschwerdeführer danach einen neuen,<br />

289


von dem ersten qualitativ verschiedenen, weil die vorausgegangene Verurteilung außer Acht lassenden Tatentschluss<br />

gefasst hat. Die bloße Fiktion eines solchen Entschlusses ohne Anhaltspunkte in äußeren Handlungen des Beschwerdeführers<br />

kann unter der Geltung des Schuldprinzips keine Gr<strong>und</strong>lage für eine erneute Verurteilung sein.<br />

cc) Selbst bei Annahme einer neuen schuldhaft verwirklichten Tat hätten die Gerichte sich damit auseinandersetzen<br />

müssen, ob eine erneute Verurteilung sich nicht von der Bestimmung der Strafe löst, gerechter Schuldausgleich zu<br />

sein. Einer vom individuellen Schuldgehalt der Handlung bzw. des einer Handlung gleichgestellten Unterlassens<br />

(§ 13 Abs. 1 StGB) absehenden Verurteilung des Beschwerdeführers käme lediglich eine mit dem Schuldprinzip<br />

nicht zu vereinbarende, die verfassungsrechtlich anerkannten Strafzwecke des gerechten Schuldausgleichs sowie der<br />

General- <strong>und</strong> Spezialprävention (BVerfGE 45, 187 ; 64, 261 ; 92, 277 ; 109, 133 ) verfehlende<br />

Beugewirkung zu. Der Beschwerdeführer wird dann nicht entsprechend dem Maß seiner individuellen<br />

Schuld, sondern wegen seines gegenüber den Strafverfolgungsbehörden gezeigten Ungehorsams mit Strafen belegt,<br />

deren Ende – entgegen allen etwa in der Strafprozessordnung <strong>und</strong> der Zivilprozessordnung aufgestellten Regeln zur<br />

Erzwingung unvertretbarer Handlungen - nicht absehbar ist. Ungehorsam ist einem rechtsstaatlichen Strafrecht als<br />

Strafgr<strong>und</strong> fremd <strong>und</strong> könnte allenfalls - begriffen als beharrliche Verletzung von Rechtspositionen anderer oder der<br />

Allgemeinheit - bei der Strafzumessung Berücksichtigung finden. Das setzte indes eine strafbare Handlung als<br />

Gr<strong>und</strong>lage der zweiten Verurteilung voraus, die in den angegriffenen Entscheidungen nicht hinreichend begründet<br />

ist.<br />

3. Die angegriffene Entscheidung des Landgerichts beruht auf der Verletzung des Schuldprinzips. Die Entscheidung<br />

des Oberlandesgerichts hat den Gr<strong>und</strong>rechtsverstoß nicht beseitigt, sondern perpetuiert.<br />

III. Weil die angegriffenen Entscheidungen gegen den Schuldgr<strong>und</strong>satz (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem<br />

Rechtsstaatsprinzip) verstoßen, bedarf keiner Erörterung, ob auch Art. 103 Abs. 3 GG (ne bis in idem) verletzt ist.<br />

D. Die Auslagenentscheidung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Weil die Beschwerde in der Sache vollen Erfolg<br />

hat, ist die vollständige Auslagenerstattung angemessen. Diese Entscheidung ist unanfechtbar.<br />

StGB § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b – Scheinwaffe<br />

BGH, Urt. vom 18.01.2007 – 4 StR 394/06 =JR 2007 Heft 9 mit Anm. Kudlich<br />

Ein einfacher Metallgegenstand, der dem Opfer, das nichts sehen konnte, an den Kopf gehalten<br />

wird mit der Drohung, man werde „ihm das Licht ausknipsen“ ist kein taugliches Werkzeug oder<br />

Mittel im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 31. Mai 2006 im Ausspruch über<br />

den Wertersatzverfall aufgehoben.<br />

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.<br />

3. Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu<br />

einer Freiheitsstrafe von vier Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt. Außerdem hat es gegen ihn den Verfall von Wertersatz<br />

in Höhe eines Betrages von 5.000 € angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten<br />

führt lediglich zur Aufhebung der Anordnung des Wertersatzverfalls. Im Übrigen erweist sich das Rechtsmittel als<br />

unbegründet.<br />

1. Die Nachprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten<br />

ergeben. Näherer Erörterung bedarf lediglich die Verurteilung des Angeklagten wegen schweren Raubes (§<br />

250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB). - 4 -<br />

a) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen drang der Angeklagte mit vier weiteren unbekannt gebliebenen<br />

Mittätern auf Gr<strong>und</strong> eines gemeinsam gefassten Tatplanes in eine Spielhalle mit Internetcafé ein, um sich dort –<br />

unter anderem unter Einsatz von Gewalt gegen die in den Räumen anwesenden Personen – stehlenswerte Gegenstände<br />

zu verschaffen. Im Verlauf des Überfalls drückte einer der Täter dem an einem Spielautomaten stehenden Jasmin<br />

D. von hinten einen zu diesem Zweck mitgeführten Metallgegenstand an den Hals, um ihn einzuschüchtern <strong>und</strong> von<br />

jeder Gegenwehr abzuhalten. D. hatte den Eindruck, er werde mit einer (Schuss-) Waffe bedroht, so dass er sich aus<br />

Angst weder umdrehte noch Widerstand leistete. Anschließend schoben die Täter ihn in einen Toilettenraum <strong>und</strong><br />

nahmen ihm die Geldbörse, in der sich 30 € befanden, <strong>und</strong> ein Mobiltelefon weg. In ähnlicher Weise verfuhren die<br />

290


Täter mit dem die Aufsicht in der Spielhalle führenden Kemal K. . K. wurde zunächst geschlagen <strong>und</strong> zu Boden<br />

gestoßen. Dort fixierten die Täter ihn <strong>und</strong> zogen ihm sein T-Shirt so vor das Gesicht, dass er nichts mehr sehen konnte.<br />

Sodann hielt ihm einer der Täter wiederum einen metallischen Gegenstand an den Kopf, wobei die Drohung fiel,<br />

man werde „ihm das Licht ausknipsen“. Im Anschluss brachen die Täter unter anderem die Kasse des Internetcafés<br />

auf, aus der sie 900 € entnahmen. Der Wert der Gesamtbeute belief sich auf mindestens 5.000 €. Vor Verlassen des<br />

Tatortes fesselte der Angeklagte den Geschädigten K. an den Beinen <strong>und</strong> Unterarmen mit Paketklebeband von ca. 4<br />

bis 5 cm Breite, das einer der Täter zuvor in einem Regal des Internetcafés vorgef<strong>und</strong>en hatte.<br />

b) Das Landgericht hat die Voraussetzungen des Qualifikationstatbestandes des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB<br />

für erfüllt angesehen <strong>und</strong> dies damit begründet, dass es sich bei dem von den Tätern mitgeführten metallischen Gegenstand<br />

um ein Werkzeug im Sinne dieser Bestimmung gehandelt habe, von dem schließlich entsprechend dem<br />

zuvor gefassten Tatplan auch Gebrauch gemacht worden sei. Es könne dahinstehen, ob dieser Gegenstand objektiv<br />

gefährlich war, da auch so genannte Scheinwaffen dem Tatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB unterfielen.<br />

Voraussetzung sei lediglich, dass das Werkzeug bei seiner Verwendung für das Opfer eine erhebliche Bedrohungswirkung<br />

entfaltet. Dies sei hier der Fall gewesen, da die Tatopfer den metallisch kalten Gegenstand, dessen<br />

Beschaffenheit sie nicht hatten erkennen können, für eine (Schuss-) Waffe gehalten <strong>und</strong> die von ihm ausgehende<br />

Bedrohung ernst genommen hatten.<br />

c) Die rechtliche Bewertung des Tatgeschehens als schwerer Raub nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB hält,<br />

wenn auch nicht in der Begründung, so doch im Ergebnis, rechtlicher Nachprüfung stand.<br />

aa) Der Qualifikationstatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB setzt nach der Neuregelung durch das 6.<br />

Strafrechtsreformgesetz im Jahre 1998 voraus, dass der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub „sonst ein Werkzeug<br />

oder Mittel“ bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu<br />

verhindern oder zu überwinden. Sowohl aus dem klaren Wortlaut der Vorschrift als auch aus dem systematischen<br />

Zusammenhang zu der unmittelbar vorausgehenden Regelung in der Nr. 1 Buchst. a der Bestimmung, in der – ohne<br />

das Erfordernis einer Verwendungsabsicht – das Mitführen einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs<br />

als Qualifikationsmerkmal dient, folgt, dass von § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB gr<strong>und</strong>sätzlich alle Gegenstände<br />

erfasst werden, die als Mittel zur Überwindung des Widerstands des Tatopfers mittels Gewalt oder Drohung geeignet<br />

sind, also auch so genannte Scheinwaffen, das heißt Gegenstände, die objektiv ungefährlich sind <strong>und</strong> deren Verletzungstauglichkeit<br />

lediglich vorgetäuscht wird (h.M., vgl. nur Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 250 Rdn. 10 <strong>und</strong> §<br />

244 Rdn. 11 mit zahlr. Nachw.; in diesem Sinne auch die Gesetzesmaterialien, vgl. Bericht des Rechtsausschusses<br />

BTDrucks. 13/9064 S. 18). Soweit im Schrifttum zur Rechtslage vor dem Inkrafttreten des 6. Strafrechtsreformgesetzes<br />

zur Vorgängervorschrift des § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F. überwiegend eine Gegenauffassung vertreten worden<br />

ist (vgl. die Nachweise bei Günther in SK-StGB § 250 Rdn. 19 <strong>und</strong> 23), wird diese daher weitgehend nicht mehr<br />

aufrechterhalten (vgl. hierzu Günther aaO Rdn. 20 <strong>und</strong> 24; Eser in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 250 Rdn. 15<br />

<strong>und</strong> § 244 Rdn. 12 ff).<br />

bb) Allerdings findet sich in den Gesetzesmaterialien zur Neuregelung des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB durch<br />

das 6. Strafrechtsreformgesetz der Hinweis, es werde davon ausgegangen, dass die einschränkende neuere Rechtsprechung<br />

des B<strong>und</strong>esgerichtshofs (BGHSt 38, 116, 117 bis 119 [„Plastikrohr“] <strong>und</strong> BGH NStZ 1997, 184 [„Labello“])<br />

„auch bei der Auslegung von § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b Beachtung finden wird“ (BTDrucks. aaO). In der<br />

zuerst genannten Entscheidung BGHSt 38, 116 hat der B<strong>und</strong>esgerichtshof zu-nächst seine bereits zu § 250 Abs. 1<br />

Nr. 2 StGB a.F. bestehende Rechtsprechung, nach der auch Scheinwaffen von dieser Bestimmung erfasst wurden,<br />

nochmals bestätigt. Namentlich vor dem Hintergr<strong>und</strong> der damaligen hohen Mindeststrafe des § 250 Abs. 1 StGB a.F.<br />

von fünf Jahren Freiheitsstrafe hat er jedoch im Anschluss die Einschränkung vorgenommen, dass nur solche Gegenstände<br />

erfasst werden, die unter den konkreten Umständen ihrer geplanten Anwendung aus der Sicht des Täters<br />

ohne weiteres geeignet sind, bei dem Opfer den Eindruck hervorzurufen, der Gegenstand könne zur Gewaltanwendung<br />

verwendet werden <strong>und</strong> deshalb gefährlich sein. Er hat dies bei einem kurzen gebogenen Plastikrohr von ca. 3<br />

cm Durchmesser verneint, das der Täter dergestalt unter der Jacke trug, dass diese ausbeulte <strong>und</strong> so der von ihm<br />

gewollte Eindruck entstand, es handle sich um eine Schusswaffe. Das Plastikrohr habe einer Waffe nicht ähnlich<br />

gesehen. Erst der zusätzliche Hinweis „bin bewaffnet“ habe dem Tatopfer den Eindruck vermittelt, dass ihm von<br />

einer Waffe Gefahr drohe. Dessen Einschüchterung sei daher maßgeblich durch Täuschung <strong>und</strong> nicht durch das<br />

mitgeführte Werkzeug oder Mittel bewirkt worden. In der weiteren angeführten Entscheidung hatte der erkennende<br />

Senat darüber zu befinden, ob ein Lippenpflegestift („Labello“), den der Täter dem Opfer mit einem der Enden gegen<br />

den Rücken gedrückt hatte <strong>und</strong> den dieses für die Spitze eines Messers, einer Schere oder eines sonstigen gefährlichen<br />

Gegenstandes hielt, ein taugliches Tatmittel im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F. darstellt. Er hat dies<br />

im Anschluss an die tragenden Gründe der Entscheidung BGHSt 38, 116 verneint <strong>und</strong> in Fortführung der dort entwi-<br />

291


ckelten Gr<strong>und</strong>sätze ausgesprochen, dass jedenfalls dann, wenn der Gegenstand schon nach seinem äußeren Erscheinungsbild<br />

offensichtlich ungefährlich ist <strong>und</strong> deshalb nicht geeignet ist, mit ihm – etwa durch Schlagen, Stoßen,<br />

Stechen oder ihn ähnlicher Weise – auf den Körper eines anderen in erheblicher Weise einzuwirken, eine Anwendung<br />

des § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F. nicht in Betracht kommt. Bediene sich der Täter eines solchen Gegenstandes<br />

bei der Tat zur ausdrücklichen oder konkludenten Drohung, so stehe die Täuschung so sehr im Vordergr<strong>und</strong> seiner<br />

Anwendung, dass die Qualifizierung als Werkzeug oder Mittel im Sinne dieser Bestimmung verfehlt wäre. Diese<br />

Gr<strong>und</strong>sätze hat der Senat in der Folge in weiteren Entscheidungen zur Anwendung gebracht (vgl. Senatsbeschlüsse<br />

vom 20. Juni 1996 – 4 StR 175/96, NStZ-RR 1996, 356 [„Holzstück“], vom 22. Oktober 1996 – 4 StR 506/96, NStZ-<br />

RR 1997, 129, 130 [„Bombenattrappe“] <strong>und</strong> vom 9. September 1997 – 4 StR 423/97, NStZ 1998, 38 [„Schrotpatrone“]).<br />

cc) Der Senat folgt – ungeachtet der Frage einer Bindung - dem „Auslegungshinweis“ in den Gesetzesmaterialien (so<br />

bereits Senatsbeschluss vom 12. Januar 1999 - 4 StR 705/98, NStZ 1999, 188). Er verkennt nicht, dass die genannte<br />

Einschränkung mit der Systematik des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a <strong>und</strong> Nr. 1 Buchst. b StGB schwer vereinbar ist,<br />

da sie nicht - wie es der Wortlaut des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB nahe legt - ausschließlich auf die vom Täter<br />

vorgestellte, beim Opfer herbeizuführende Zwangswirkung abstellt. Andererseits erscheint eine restriktive Auslegung<br />

von § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB auch angesichts der gegenüber dem alten Rechtszustand abgesenkten<br />

Mindeststrafe von drei Jahren Freiheitsstrafe - im Vergleich zu dem Strafrahmen des Gr<strong>und</strong>tatbestandes in § 249<br />

StGB (ein Jahr bis fünfzehn Jahre Freiheitsstrafe) - nach wie vor sachgerecht, wenn die Zwangswirkung beim Opfer<br />

zwar mittels eines Gegenstandes, maßgeblich jedoch durch Täuschung hervorgerufen werden soll. In welchem Verhältnis<br />

diese beiden Elemente wirksam werden, kann im Einzelfall schwierig zu beurteilen sein. Grenzfälle sind<br />

unvermeidbar, so dass sich allgemeine Abgrenzungsmaßstäbe, die allen denkbaren Fallgestaltungen voll gerecht<br />

werden, kaum finden lassen. Jedenfalls wird aber regelmäßig davon auszugehen sein, dass bei Verwendung eines<br />

objektiv er-sichtlich ungefährlichen Gegenstandes, den das Opfer nicht oder nur unzureichend sinnlich wahrnehmen<br />

kann (<strong>und</strong> soll), das Täuschungselement im Vordergr<strong>und</strong> steht. Entsprechend dem gesetzgeberischen Willen erscheint<br />

es daher weiterhin gerechtfertigt, solche Gegenstände, die bereits nach ihrem äußeren Erscheinungsbild offensichtlich<br />

ungefährlich sind, vom Anwendungsbereich des Qualifikationstatbestandes des § 250 Abs. 1 Nr. 1<br />

Buchst. b StGB auszunehmen (im Ergebnis ebenso Eser aaO § 244 Rdn. 13; Günther aaO § 250 Rdn. 24; Sander in<br />

MünchKomm, StGB § 250 Rdn. 45; Schroth NJW 1998, 2861, 2865; Kudlich JR 1998, 357, 359). Die teilweise im<br />

Schrifttum hiergegen angeführten Abgrenzungsschwierigkeiten (vgl. hierzu die Darstellung bei Tröndle/Fischer aaO<br />

§ 250 Rdn. 11) rechtfertigen keine andere Sichtweise. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beurteilung des äußeren Erscheinungsbildes<br />

eines Gegenstandes, die hier aus der Sicht eines objektiven Betrachters <strong>und</strong> nicht etwa aus der des<br />

Tatopfers zu erfolgen hat (zutreffend Sander aaO § 250 Rdn. 44 a.E., vgl. auch Senat, StV 1990, 546, 547), die Tatrichter<br />

vor größeren Schwierigkeiten stellen wird.<br />

dd) Nach Maßgabe der vom Senat in der Entscheidung NStZ 1997, 184 („Labello“) <strong>und</strong> den oben genannten Nachfolgeentscheidungen<br />

aufgestellten Gr<strong>und</strong>sätzen stellt der vom Angeklagten <strong>und</strong> seinen Mittätern mitgeführte Metallgegenstand<br />

kein taugliches Werkzeug oder Mittel im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB dar. Nachdem das<br />

Landgericht zu dessen näheren Beschaffenheit keine Feststellungen treffen konnte, ist zu Gunsten des Angeklagten<br />

davon auszugehen, dass es sich um einen Gegenstand, etwa um ein dünnes Metallrohr oder einen Metallstift, handelte,<br />

der bei objektiver Betrachtung nach seinem äußeren Erscheinungsbild offensichtlich ungefährlich war. Soweit in<br />

der Entscheidung BGHSt 38, 116 zum Ausdruck gebracht worden ist, dass das Setzen eines metallischen Gegenstandes<br />

in das Genick des Tatopfers, durch das der Eindruck einer Schusswaffe erweckt werden soll, geeignet sein kann,<br />

den Qualifikationstatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F. zu erfüllen, handelte es sich ersichtlich um eine nicht<br />

tragende Erwägung, der eine Bindungswirkung nicht zukam.<br />

ee) Die Verurteilung wegen schweren Raubes hat jedoch im Ergebnis Bestand. Der Angeklagte war nach den Feststellungen<br />

bei dem Raub, nämlich jedenfalls vor dessen Beendigung (vgl. BGHSt 20, 194; Tröndle/Fischer aaO §<br />

244 Rdnr. 13 m.w.N.), im Besitz von zur Fesselung bestimmten Paketklebebands <strong>und</strong> hat dieses schließlich auch zur<br />

Fesselung des Kemal K. eingesetzt. Damit hat er als Täter eines Raubes ein sonstiges Mittel im Sinne des § 250 Abs.<br />

1 Nr. 1 Buchst. b StGB (vgl. BGH NStZ 1993, 79; NStZ-RR 2003, 328 [zu § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB]) bei sich geführt,<br />

um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt zu verhindern oder zu unterbinden. Dass dies erst nach<br />

den eigentlichen Wegnahmehandlungen der Fall war, ist unschädlich (st. Rspr., vgl. nur BGHSt 20, 194, 197; BGH<br />

NStZ 1998, 354 m.w.N.). § 265 StPO steht einer Bestätigung des Schuldspruchs durch den Senat nicht entgegen, da<br />

ausgeschlossen werden kann, dass sich der Angeklagte bei einem entsprechenden Hinweis anders verteidigt hätte, als<br />

geschehen.<br />

292


2. Auch der Strafausspruch weist keinen, den Beschwerdeführer belastenden Rechtsfehler auf. Angesichts der gegen<br />

den erheblich, teilweise einschlägig vorbelasteten Angeklagten verhängten maßvollen Freiheitsstrafe schließt der<br />

Senat aus, dass das Landgericht bei rechtlich zutreffender Einordnung des Tatgeschehens unter den Tatbestand des §<br />

250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB auf eine niedrigere Strafe erkannt hätte.<br />

3. Keinen Bestand kann jedoch der Ausspruch über den Wertersatzverfall haben. Das Landgericht hat verkannt, dass<br />

diesem die Regelung des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB entgegensteht. Er ist daher aufzuheben.<br />

4. Der nur geringfügige Teilerfolg des Rechtsmittels rechtfertigt es nicht, den Angeklagten auch nur teilweise von<br />

den Kosten <strong>und</strong> Auslagen des Revisionsverfahrens freizustellen.<br />

StGB § 239a Abs. 1 Erpresserischer Menschenraub<br />

BGH, Urt. vom 31.08.2006 – 3 StR 246/06 -<br />

Zur Auslegung des § 239a Abs. 1 StGB<br />

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 5. Dezember 2005 mit den<br />

zugehörigen Feststellungen aufgehoben,<br />

a) soweit die Angeklagten wegen versuchten schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt<br />

worden sind,<br />

b) im Gesamtstrafenausspruch.<br />

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels <strong>und</strong> die den Nebenklägern dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer<br />

des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen gemeinschaftlichen versuchten schweren Raubes in Tateinheit<br />

mit gefährlicher Körperverletzung (erster Tatkomplex) <strong>und</strong> wegen Nötigung (zweiter Tatkomplex) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von vier Jahren <strong>und</strong> acht Monaten verurteilt. Mit ihrer wirksam auf den ersten Tatkomplex beschränkten,<br />

mit der Verletzung sachlichen Rechts begründeten Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft eine Verurteilung der<br />

Angeklagten auch wegen erpresserischen Menschenraubes (§ 239 a Abs. 1 StGB). Das Rechtsmittel hat Erfolg.<br />

I. Nach den Feststellungen zum ersten Tatkomplex überfielen die Angeklagten maskiert <strong>und</strong> mit einer funktionsfähigen,<br />

geladenen Schreckschusspistole bewaffnet nach Ladenschluss Angestellte eines Verbrauchermarktes, um den<br />

Inhalt des dort im Büro befindlichen Tresors zu erbeuten. Zunächst schlug der Angeklagte C. den Angestellten D.<br />

mit zwei kräftigen Schlägen gegen dessen Kopf zu Boden, unmittelbar nachdem dieser den Markt verlassen hatte.<br />

Anschließend zerschlug er die durchsichtige Glasscheibe der Eingangstür, wobei er die dahinter stehende Verkäuferin<br />

T. verletzte, <strong>und</strong> drang in das Gebäude ein. Im Aufenthaltsraum traf er auf die Verkäuferin H. , der er sofort einen<br />

heftigen Schlag gegen die Stirn versetzte <strong>und</strong> sie flüchtig nach dem Tresorschlüssel durchsuchte. In der Zwischenzeit<br />

hatte der Angeklagte Ö. den Angestellten D. in den Markt zurückgeschleift. Beide Angeklagte fragten die Geschädigten<br />

H. <strong>und</strong> D. erfolglos nach dem Tresorschlüssel <strong>und</strong> sperrten sie in den Vorraum der Toilette ein. Nachdem sie<br />

anschließend selbst einige Zeit im Büro vergeblich nach dem Schlüssel gesucht hatten, brachte der Angeklagte C. die<br />

Angestellte H. unter Schlägen aus dem Toilettenvorraum in das Büro, wo beide Angeklagte von ihr nochmals die<br />

Herausgabe des Tresorschlüssels verlangten. Als Frau H. angab, sie wisse nicht, wo sich der Schlüssel befinde, drohte<br />

der Angeklagte Ö. sie umzubringen, wenn sie nicht die Wahrheit sage. Die Angeklagten, die erfuhren, dass die<br />

Angestellte T. geflüchtet war, verließen aus Angst vor der Polizei alsbald den Verbrauchermarkt ohne Beute.<br />

II. Das Landgericht hat eine Verurteilung der Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubes (§ 239 a Abs. 1<br />

StGB) abgelehnt <strong>und</strong> hierzu ausgeführt: Die Herausgabe des Tresorschlüssels habe nicht durch die eigenständige<br />

Wirkung einer stabilisierten Bemächtigungssituation durchgesetzt werden sollen. Die Angeklagten hätten, als sie die<br />

Geschädigten H. <strong>und</strong> D. im Vorraum der Toilette einsperrten, um im Büro ungestört nach dem Schlüssel suchen zu<br />

können, keine erpresserischen Ziele verfolgt. Als sie die Verkäuferin H. unter Gewaltanwendung aus dem Toilettenvorraum<br />

in das Büro gebracht <strong>und</strong> dort unter Todesdrohung nochmals nach dem Schlüssel befragt hätten, sei von<br />

ihnen die durch eine eigenständige Bemächtigungslage veranlasste Sorge der Geschädigten um ihr Wohl nicht zu<br />

einer Erpressung ausgenutzt worden, weil sie keinen neuen Tatentschluss gefasst hätten. Die Angeklagten hätten<br />

vielmehr lediglich ihren von vorneherein auf Raub bzw. räuberische Erpressung gerichteten Tatplan fortgesetzt,<br />

293


nachdem ihre vorausgegangenen Versuche, in den Besitz des Schlüssels zu gelangen, gescheitert seien. Außerdem<br />

dürfte ihnen nicht bewusst gewesen sein, die Schwelle zum erpresserischen Menschenraub zu überschreiten.<br />

III. Die Begründung, mit der das Landgericht einen vollendeten erpresserischen Menschenraub verneint hat, hält<br />

rechtlicher Überprüfung nicht stand.<br />

1. Im Hinblick auf den Anwendungsbereich klassischer Delikte mit Nötigungselementen wie § 177, §§ 249 ff., §§<br />

253 ff. StGB ist der Tatbestand des § 239 a Abs. 1 StGB im Zwei-Personen-Verhältnis, insbesondere für Fälle des<br />

Sichbemächtigens, allerdings einschränkend auszulegen. Der Täter muss durch die Anwendung von Gewalt oder<br />

durch Drohungen gegen das Opfer eine stabile Bemächtigungslage schaffen <strong>und</strong> beabsichtigen, diese Lage für sein<br />

weiteres Vorgehen auszunutzen, wobei dieser mit Blick auf die erstrebte Erpressung eine eigenständige Bedeutung<br />

zukommen muss. Mit der eigenständigen Bedeutung der Bemächtigungslage ist - insbesondere in Abgrenzung zu<br />

den Raubdelikten - lediglich gemeint, dass sich über die in jeder mit Gewalt verb<strong>und</strong>enen Nötigungshandlung liegende<br />

Beherrschungssituation hinaus eine weitergehende Drucksituation auf das Opfer gerade auch aus der stabilen<br />

Bemächtigungslage ergeben muss. Der erforderliche funktionale Zusammenhang liegt daher nicht vor, wenn sich der<br />

Täter des Opfers durch Nötigungsmittel bemächtigt, die zugleich unmittelbar der beabsichtigten Erpressung dienen,<br />

wenn also Bemächtigungs- <strong>und</strong> Nötigungsmittel zusammenfallen (vgl. BGHSt 40, 350 ff., 359; BGHR StGB § 239 a<br />

Abs. 1 Anwendungsbereich 1 <strong>und</strong> Sichbemächtigen 4, 8; BGH NJW 1997, 1082 f. <strong>und</strong> NStZ 2006, 448 f.).<br />

2. Nach diesen Maßstäben sind die Voraussetzungen des erpresserischen Menschenraubes bis zum Einsperren der<br />

Geschädigten H. <strong>und</strong> D. in der Toilette nicht gegeben. Durch die bis dahin erfolgten Gewaltanwendungen hatten die<br />

Angeklagten zwar eine andauernde physische Herrschaft über ihre Opfer erlangt. Sie forderten jedoch bereits im<br />

unmittelbaren, engen Zusammenhang mit dem gewaltsamen Sichbemächtigen die Herausgabe des Tresorschlüssels.<br />

Eine stabile Bemächtigungslage als Basis einer weiteren Erpressung bestand deshalb noch nicht (vgl. BGHR StGB §<br />

239 a Abs. 1 Sichbemächtigen 4; Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 239 a Rdn. 7).<br />

3. Auf der Gr<strong>und</strong>lage der getroffenen Feststellungen liegt es indes nahe, dass sich die Angeklagten wegen eines<br />

vollendeten erpresserischen Menschenraubes in der Form der 2. Alternative des § 239 a Abs. 1 StGB strafbar gemacht<br />

haben, als sie - um in den Besitz des Tresorschlüssels zu gelangen - die unter Schlägen in das Büro gebrachte<br />

Verkäuferin H. mit dem Tode bedrohten. Zu diesem Zeitpunkt bestand bereits über einen längeren Zeitraum als Basis<br />

für eine Erpressung eine stabile Bemächtigungslage, in der die Geschädigte - unabhängig von der Gewaltanwendung<br />

beim Sichbemächtigen - dem ungehemmten Einfluss der beiden Angeklagten wegen deren physischen Übermacht<br />

<strong>und</strong> der fortwirkenden Einschüchterung als Folge der vorangegangenen Misshandlungen ausgesetzt war. Unter<br />

diesen Umständen drängt es sich auf, dass die Angeklagten bei ihrer mit der Todesdrohung verb<strong>und</strong>enen Forderung<br />

nach Herausgabe des Tresorschlüssels auch die durch die Bemächtigungslage entstandene besondere Drucksituation<br />

der bedrohten Frau ausnutzten, um diese zu veranlassen, aus Sorge um ihr Wohl ihrem Begehren nachkommen,<br />

zumal sie dabei die Gaspistole nicht als Drohmittel verwendeten. Die Strafkammer legt § 239 a Abs. 1 StGB zu<br />

eng aus, wenn sie meint, der Tatbestand dieser Vorschrift scheide aus, weil die Angeklagten mit der versuchten Erpressung<br />

der Angestellten H. lediglich ihren ursprünglichen Raub- bzw. Erpressungsvorsatz weiter verfolgt <strong>und</strong><br />

keinen neuen Tatentschluss gefasst hätten. Entscheidend ist demgegenüber, dass sie die von ihnen geschaffene Bemächtigungslage<br />

tatsächlich für die Fortsetzung ihres erpresserischen Vorhabens ausnutzten. Entgegen der Meinung<br />

der Verteidigung widerspricht es auch nicht der Annahme einer stabilen Bemächtigungslage, dass die Tat insgesamt<br />

nur ca. sechseinhalb Minuten dauerte <strong>und</strong> die Zeugin H. lediglich eine kurze Zeit eingesperrt war. Von ausschlaggebender<br />

Bedeutung sind vielmehr die Gesamtumstände der Tat, vor allem die Intensität der Bemächtigungssituation,<br />

die hier wesentlich durch das Einsperren herbeigeführt wurde. Der Vollendung des erpresserischen Menschenraubes<br />

steht nicht entgegen, dass die Erpressung im Versuchsstadium steckengeblieben ist. Anders als bei der 1. Alt. des §<br />

239 a Abs. 1 StGB genügt für § 239 a Abs. 1 2. Alt. zwar nicht die bloße Erpressungsabsicht des Täters; dieser muss<br />

vielmehr auch tatsächlich in erpresserischer Richtung tätig werden <strong>und</strong> zumindest in das Versuchsstadium der Erpressung<br />

eintreten (vgl. BGHSt 26, 309, 310; Träger/ Schluckebier in LK 11. Aufl. § 239 a Rdn. 20; Eser in Schönke/Schröder,<br />

StGB 26. Aufl. § 239 a Rdn. 24; aA: Renzikowski in MünchKomm-StGB § 239 a Rdn. 68;<br />

Horn/Wolters in SK-StGB § 239 a Rdn. 15). Ist dies - wie hier - der Fall, so ist der Tatbestand des § 239 a Abs. 1 2.<br />

Alt. verwirklicht.<br />

294


StGB § 263 Sportwetten, Konkludente Täuschung, Spielschaden – Fall Hoyzer -<br />

BGH, Urt. vom 15.12.2006 – 5 StR 181/06 - NJW 2007, S. 782 ff. = JR 2007, Heft 10 (?) mit Anm. Engländer<br />

LS:<br />

1. Dem Angebot auf Abschluss eines Sportwettenvertrages ist in aller Regel die konkludente Erklärung<br />

zu entnehmen, dass der in Bezug genommene Vertragsgegenstand nicht vorsätzlich zum eigenen<br />

Vorteil manipuliert ist (im Anschluss an BGHSt 29, 165).<br />

2. Zur Schadensfeststellung beim Sportwettenbetrug.<br />

Der 5. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat aufgr<strong>und</strong> der Hauptverhandlung vom 28. November <strong>und</strong> 15. Dezember<br />

2006 am 15. Dezember 2006 für Recht erkannt:<br />

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 17. November 2005 werden verworfen.<br />

Jeder Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat die Angeklagten wie folgt verurteilt: A. S. wegen Betruges in zehn Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von zwei Jahren <strong>und</strong> elf Monaten, M. S. wegen Betruges <strong>und</strong> wegen Beihilfe zum Betrug in drei Fällen zu<br />

einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr <strong>und</strong> vier Monaten, R. H. (unter Freisprechung im Übrigen) wegen Beihilfe<br />

zum Betrug in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> fünf Monaten, D. M. (unter Freisprechung<br />

im Übrigen) wegen Beihilfe zum Betrug in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr <strong>und</strong><br />

sechs Monaten sowie F. S. wegen Beihilfe zum Betrug in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr.<br />

Soweit Freiheitsstrafen unter zwei Jahren verhängt worden sind, hat das Landgericht deren Vollstreckung zur Bewährung<br />

ausgesetzt. Die mit der Sachrüge <strong>und</strong> teilweise mit Verfahrensrügen geführten Revisionen der Angeklagten<br />

bleiben erfolglos.<br />

I. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen: Der Angeklagte A. S. , ein jüngerer Bruder<br />

der Angeklagten M. <strong>und</strong> F. S. , beschäftigte sich seit vielen Jahren intensiv mit Sportwetten. Seit 2000 riskierte<br />

<strong>und</strong> gewann er jährlich sechsstellige Beträge. Aufgr<strong>und</strong> seines großen Insiderwissens im Sportbereich verfügte er<br />

vielfach über einen Wissensvorsprung gegenüber den Buchmachern <strong>und</strong> konnte deshalb erhebliche Gewinne erzielen.<br />

Die hohen Wetterfolge führten dazu, dass die in Berlin ortsansässigen Buchmacher seine Wettmöglichkeiten<br />

erheblich beschränkten <strong>und</strong> seinen Einsatz limitierten. Im Jahr 2003 konnte A. S. höhere Einsätze praktisch nur noch<br />

bei der von der Deutschen Klassenlotterie Berlin (DKLB) unter dem Namen „Oddset“ betriebenen Sportwette plazieren;<br />

die dabei vorgegebenen festen Quoten empfand er als „die schlechtesten Wettquoten in ganz Europa“. Sein<br />

Wettverhalten wurde zusätzlich dadurch reglementiert, dass er Kombinationswetten spielen musste. Dabei kann der<br />

Wettende nicht mehr auf ein Sportereignis allein wetten, sondern muss das Ergebnis verschiedener Sportereignisse,<br />

vornehmlich Fußballspiele, vorhersagen. Bis Frühjahr 2004 hatte A. S. bei Oddset insgesamt Spielverluste in Höhe<br />

von 300.000 bis 500.000 Euro erlitten. Zu dieser Zeit entschloss er sich, seine Gewinnchancen durch Einflussnahme<br />

auf das Spielgeschehen mittels Bestechung von Spielern <strong>und</strong> Schiedsrichtern entscheidend zu erhöhen, um so den bei<br />

Oddset verlorenen Betrag zurückzugewinnen. Selbstverständlich hielt er diese Manipulationen vor dem jeweiligen<br />

Wettanbieter geheim, schon um von diesem nicht von der Spielteilnahme ausgeschlossen zu werden. In Ausführung<br />

seines Plans kam es zu zehn einzelnen Taten, wobei die Wetten jeweils zu festen Gewinnquoten abgeschlossen wurden.<br />

Der Angeklagte A. S. gewann dabei, teilweise unter Mithilfe seiner Brüder, die angeklagten Schiedsrichter H.<br />

<strong>und</strong> M. sowie den gesondert verfolgten Fußballspieler K. <strong>und</strong> andere Fußballspieler gegen Zahlung oder das Versprechen<br />

von erheblichen Geldbeträgen (zwischen 3.000 <strong>und</strong> 50.000 Euro) dazu, dass diese den Ausgang von Fußballspielen<br />

durch falsche Schiedsrichterentscheidungen oder unsportliche Spielzurückhaltung manipulieren. In einem<br />

Fall half R. H. , seinen Kollegen M. für eine Manipulation zu gewinnen. Betroffen waren Fußballspiele in der Regionalliga,<br />

in der Zweiten B<strong>und</strong>esliga <strong>und</strong> im DFB-Pokal. Teilweise gelangen die von A. S. geplanten Manipulationen<br />

nicht, teilweise hatten die kombiniert gewetteten Spiele nicht den von ihm erhofften Ausgang. In vier Fällen (Fälle 2,<br />

6, 7 <strong>und</strong> 11 der Urteilsgründe) gewann A. S. ganz erhebliche Geldbeträge (zwischen 300.000 <strong>und</strong> 870.000 Euro), in<br />

den übrigen Fällen verlor er seine Einsätze. Im Fall 10 der Urteilsgründe setzte auch M. S. Beträge in eigenem Interesse.<br />

Nach den Feststellungen des Landgerichts lag der bei den Wettanbietern in allen zehn Fällen insgesamt verursachte<br />

Vermögensschaden bei knapp 2 Mio. Euro (Gewinn abzüglich der jeweiligen Einsätze), in Fällen erfolgloser<br />

Wetten nahm das Landgericht darüber hinaus eine schadensgleiche Vermögensgefährdung von insgesamt etwa 1<br />

Mio. Euro an. Das Landgericht hat jeweils einen vollendeten Betrug durch A. S. (im Fall 10 auch durch M. S. ) auf-<br />

295


gr<strong>und</strong> einer konkludenten Täuschung der Angestellten der Wettannahmestellen bei Abgabe der Wettscheine angenommen.<br />

Aufgr<strong>und</strong> dieser Täuschung sei das Personal der Wettannahmestellen dem Irrtum erlegen, es läge bei dem<br />

jeweils vorgelegten Spielschein nicht der Ablehnungsgr<strong>und</strong> einer unlauteren Einflussnahme des Wettenden auf ein<br />

wettgegenständliches Spiel vor. Der hierdurch bedingte Abschluss des Wettvertrages habe unmittelbar zu einer schadensgleichen<br />

Vermögensgefährdung bei dem jeweiligen Wettanbieter in Höhe des möglichen Wettgewinns abzüglich<br />

des Einsatzes geführt.<br />

II. Die Revisionen der Angeklagten bleiben erfolglos.<br />

1. Die Verfahrensrügen, in denen jeweils die Behandlung von Wettbedingungen als Verstoß gegen § 244 Abs. 2,<br />

Abs. 3 oder § 261 StPO beanstandet wird, zeigen – unabhängig von der Frage der Zulässigkeit der jeweiligen Verfahrensbeanstandungen<br />

(vgl. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) – keine Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf.<br />

Entgegen der Auffassung des Landgerichts <strong>und</strong> der Revisionen sind die Teilnahmebedingungen der DKLB für Oddset-Wetten<br />

<strong>und</strong> die Bedingungen der übrigen Wettanbieter für die rechtliche Lösung des Falls unerheblich:<br />

a) Allgemeine Geschäftsbedingungen, die bei Vertragsschluss wirksam einbezogen werden, könnten im vorliegenden<br />

Fall allenfalls dann beachtlich sein, wenn sie zum Vorteil manipulierender Wettk<strong>und</strong>en vom geltenden Recht abweichen<br />

würden, also etwa – was überaus fernliegend ist <strong>und</strong> von den Revisionen auch nicht behauptet wird – ausnahmsweise<br />

eine Manipulation des Wettgegenstandes erlauben oder eine diesbezügliche Überprüfung des Wettk<strong>und</strong>en<br />

bzw. der Wetten auf Manipulation ausschließen würden.<br />

b) Im Übrigen ergibt sich schon aus dem (allgemein) geltenden Zivil-recht, dass bei einer Wette auf den Ausgang<br />

eines zukünftigen Sportereignisses eine vorsätzliche Manipulation des Wettereignisses vertragswidrig ist. Schon<br />

hiernach ist selbstverständlich, dass kein Wettanbieter Wetten auf Sportereignisse entgegennehmen muss oder zur<br />

Auszahlung des Wettbetrages verpflichtet ist, wenn der Wettende das Wettrisiko durch eine Manipulation des Sportereignisses<br />

zu seinen Gunsten erheblich verschiebt. Die Teilnahmebedingungen haben aus diesem Gr<strong>und</strong> auch keinen<br />

entscheidenden Einfluss auf die Feststellung des Erklärungsinhalts im Rahmen des Wettvertragsschlusses. Denn<br />

dass der Wettanbieter bei einer Manipulation des Sportereignisses nicht an den Wettvertrag geb<strong>und</strong>en bleibt, ergibt<br />

sich schon aus der gravierenden Verletzung vertraglicher Nebenpflichten durch den Wettenden. Ob die Teilnahmebedingungen<br />

der DKLB nach den jeweiligen Taten geändert wurden oder nicht, ist entgegen der Auffassung einzelner<br />

Revisionen rechtlich unerheblich, weil es allein auf die Umstände zur Tatzeit ankommt. Es ergibt sich aus den<br />

Allgemeinen Geschäftsbedingungen hier auch – anders als etwa im Fall der Fehlbuchung (dazu näher BGHSt 39,<br />

392; 46, 196) – kein Ansatzpunkt zum Verständnis der Erklärungen bei Wettabschluss. Bei einer arglistigen Manipulation<br />

der Vertragsgr<strong>und</strong>lage bedarf es keiner Allgemeinen Geschäftsbedingungen, um eine entsprechende Prüfungspflicht<br />

bzw. ein Ablehnungs- oder Anfechtungsrecht des Wettanbieters zu statuieren. Dies ergibt sich bereits aus<br />

allgemeinen zivilrechtlichen Gr<strong>und</strong>sätzen. Anders als einige Revisionen meinen, bestimmen oder begrenzen die<br />

Allgemeinen Geschäftsbedingungen auch nicht Prüfungsrecht <strong>und</strong> Prüfungspflicht desjenigen, der den Wettschein<br />

für den Wettanbieter entgegennimmt. Für den Erklärungsinhalt <strong>und</strong> die Überprüfungspflicht wichtig können Allgemeine<br />

Geschäftsbedingungen allerdings dann sein, wenn es nicht um die aktive Manipulation des Vertragsgegenstandes,<br />

sondern um das Ausnutzen von Fehlern wie etwa bei einer Fehlbuchung geht (vgl. BGHSt 46, 196). Auf<br />

Allgemeine Geschäftsbedingungen kommt es vorliegend auch deshalb nicht entscheidend an, weil weder die Feststellungen<br />

des Landgerichts noch der Revisionsvortrag eine wirksame Einbeziehung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen<br />

belegen (vgl. §§ 305, 305a BGB).<br />

c) Dies gilt unabhängig davon, ob es um Wettabschlüsse mit deutschen oder mit ausländischen Wettanbietern über<br />

deutsche Sportwettenvermittler geht. In allen diesen Fällen bestimmt sich die Rechtslage nach dem dargestellten<br />

deutschen Recht (Art. 28 <strong>und</strong> Art. 29 EGBGB; vgl. auch Heldrich in Palandt, BGB 66. Aufl. Art. 28 EGBGB Rdn.<br />

19; Martiny in MünchKomm-BGB 4. Aufl. Art. 28 EGBGB Rdn. 376).<br />

2. Auch die Sachrügen der Angeklagten haben keinen Erfolg.<br />

a) Das Landgericht hat die Taten im Ergebnis zutreffend als zehn Fälle des Betruges zum Nachteil der jeweiligen<br />

Wettanbieter angesehen. Der Angeklagte A. S. (im Fall 10 auch M. S. ) hat bei Abgabe der Wettscheine konkludent<br />

erklärt, nicht an einer Manipulation des Wettgegenstandes beteiligt zu sein, <strong>und</strong> hat hierdurch den Mitarbeiter der<br />

Annahmestelle getäuscht, so dass dieser irrtumsbedingt die jeweiligen Wettverträge abschloss, wodurch den Wettanbietern<br />

täuschungsbedingt ein Schaden entstanden ist.<br />

aa) Der 3. Strafsenat hat bereits entschieden, dass ein Wettteilnehmer, der den Gegenstand des Wettvertrages zu<br />

seinen Gunsten beeinflusst, einen Betrug begeht, wenn er diesen Umstand bei Abschluss des Wettvertrages verschweigt<br />

(BGHSt 29, 165, 167 – „Pferdewetten“): Dem Vertragsangebot könne die stillschweigende Erklärung entnommen<br />

werden, der Wetter selbst habe die Geschäftsgr<strong>und</strong>lage der Wette nicht durch eine rechtswidrige Manipulation<br />

verändert; in dem Verschweigen der Manipulation liege eine Täuschung durch schlüssiges Handeln (BGHSt 29,<br />

296


165, 167 f.). Der Senat sieht entgegen der B<strong>und</strong>esanwaltschaft keinen Anlass, von dieser in der Literatur vielfach<br />

geteilten Auffassung (vgl. nur Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 263 Rdn. 18; Cramer/Perron in Schönke/Schröder,<br />

StGB 27. Aufl. § 263 Rdn. 16e; Hefendehl in MünchKomm-StGB § 263 Rdn. 113; Lackner/Kühl, StGB 25. Aufl. §<br />

263 Rdn. 9; Kindhäuser in NK-StGB 2. Aufl. § 263 Rdn. 133; Fasten/Oppermann JA 2006, 69, 71; Valerius SpuRt<br />

2005, 90, 92; Weber in Pfister [Hrsg.], Rechtsprobleme der Sportwette [1989] S. 39, 62; a. A. etwa Schlösser NStZ<br />

2005, 423, 425 f.; jeweils m.w.N.) im Ergebnis abzurücken. Gegen die Auffassung, beim Abschluss einer Sportwette<br />

erkläre der Wetter zugleich die Nichtmanipulation des sportlichen Ereignisses, wird – im Anschluss an BGHSt 16,<br />

120 („Spätwette“, m. abl. Anm. Bockelmann NJW 1961, 1934) – geltend gemacht, die Annahme einer solchen Erklärung<br />

liefe auf eine „willkürliche Konstruktion“ hinaus (vgl. Gauger, Die Dogmatik der konkludenten Täuschung<br />

[2001] S. 164 f.; Weber aaO S. 57 f.; Schlösser aaO S. 425 f.; Schild ZfWG 2006, 213, 215 ff.); damit werde zudem<br />

in unzulässiger Weise ein lediglich gemäß § 13 StGB strafbares Unterlassen in ein aktives Tun umgedeutet (vgl.<br />

Schlösser aaO S. 426; Schild aaO S. 216). Gegen diese auch von der B<strong>und</strong>esanwaltschaft erhobenen Einwände<br />

spricht folgendes:<br />

(1) In Rechtsprechung <strong>und</strong> Literatur ist allgemein anerkannt, dass außer durch ausdrückliche Erklärung, namentlich<br />

durch bewusst unwahre Behauptungen, eine Täuschung im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB auch konkludent erfolgen<br />

kann, nämlich durch irreführendes Verhalten, das nach der Verkehrsanschauung als stillschweigende Erklärung zu<br />

verstehen ist. Davon ist auszugehen, wenn der Täter die Unwahrheit zwar nicht expressis verbis zum Ausdruck<br />

bringt, sie aber nach der Verkehrsanschauung durch sein Verhalten miterklärt (BGHSt 47, 1, 3; vgl. auch Tröndle/Fischer<br />

aaO § 263 Rdn. 12; Tiedemann in LK 11. Aufl. § 263 Rdn. 22; jeweils m.w.N.). Der Erklärungswert eines<br />

Verhaltens ergibt sich demnach nicht nur aus demjenigen, was ausdrücklich zum Gegenstand der Kommunikation<br />

gemacht wird, sondern auch aus den Gesamtumständen der konkreten Situation (vgl. Vogel in Gedächtnisschrift für<br />

Rolf Keller [2003] S. 313, 315). Dieser unausgesprochene Kommunikationsinhalt wird wesentlich durch den dem<br />

Erklärenden bekannten Empfängerhorizont <strong>und</strong> damit durch die ersichtlichen Erwartungen der Beteiligten bestimmt<br />

(vgl. Tröndle/Fischer aaO § 263 Rdn. 12). Derartige tatsächliche Erwartungen werden ganz wesentlich auch durch<br />

die Anschauungen der jeweiligen Verkehrskreise <strong>und</strong> die in der Situation relevanten rechtlichen Normen geprägt<br />

(vgl. auch Hefendehl aaO § 263 Rdn. 88; Tiedemann aaO § 263 Rdn. 30). In aller Regel muss der Inhalt konkludenter<br />

Kommunikation deshalb auch unter Bezugnahme auf die Verkehrsanschauung <strong>und</strong> den rechtlichen Rahmen bestimmt<br />

werden, von denen ersichtlich die Erwartungen der Kommunikationspartner geprägt sind. Bei der Ermittlung<br />

des Erklärungswertes eines konkreten Verhaltens sind daher sowohl faktische als auch normative Gesichtspunkte zu<br />

berücksichtigen (vgl. Cramer/Perron aaO § 263 Rdn. 14/15; Vogel aaO S. 316). Entscheidende Kriterien für die<br />

Auslegung eines rechtsgeschäftlich bedeutsamen Verhaltens sind neben der konkreten Situation der jeweilige Geschäftstyp<br />

<strong>und</strong> die dabei typische Pflichten- <strong>und</strong> Risikoverteilung zwischen den <strong>Partner</strong>n (vgl. BGHR StGB § 263<br />

Abs. 1 Täuschung 22; Cramer/Perron aaO § 263 Rdn. 14/15). Liegen keine Besonderheiten vor, kann der Tatrichter<br />

regelmäßig von allgemein verbreiteten, durch die Verkehrsanschauung <strong>und</strong> den rechtlichen Rahmen bestimmten<br />

Erwartungen auf den tatsächlichen Inhalt konkludenter Kommunikation schließen. Ein derartiger Schluss des Tatrichters<br />

von den Gesamtumständen eines Geschehens, die auch von normativen Erwartungen geprägt sind, auf einen<br />

bestimmten Kommunikationsinhalt führt nicht zur „Fiktion“ einer Erklärung. Für eine Vielzahl von Fallgruppen hat<br />

die Rechtsprechung anhand des jeweiligen Geschäftstyps <strong>und</strong> der dabei üblichen Pflichten- <strong>und</strong> Risikoverteilung den<br />

jeweils typischen Inhalt konkludenter Kommunikation herausgearbeitet (vgl. näher Tiedemann aaO § 263 Rdn. 31<br />

ff.; Hefendehl aaO § 263 Rdn. 93 ff.; Tröndle/Fischer aaO § 263 Rdn. 13 ff.; je m.w.N.). Erklärungsinhalt kann danach<br />

auch sein, dass etwas nicht geschehen ist (sog. „Negativtatsache“), etwa ein Angebot ohne vorherige Preisabsprache<br />

zwischen den Bietern zustande kam (vgl. BGHSt 47, 83, 87). Eine konkludente Erklärung derartiger Negativtatsachen<br />

kommt insbesondere dann in Betracht, wenn es um erhebliche vorsätzliche Manipulationen des Vertragsgegenstandes<br />

geht, auf den sich das kommunikative Verhalten bezieht (vgl. RGSt 20, 144: Überstreichen<br />

schwammbefallener Hausteile; RGSt 59, 299, 305 f.: Überdecken schlechter Ware; RGSt 29, 369, 370; 59, 311, 312;<br />

BGH MDR 1969, 497 f.: Verfälschen von Lebensmitteln; BGHSt 8, 289: Zurückbehalten des Haupt-gewinnloses<br />

einer Lotterie; BGH NJW 1988, 150: Erschleichen einer Prädikatsbezeichnung für Wein; BGHSt 38, 186; 47, 83:<br />

unzulässige vorherige Preisabsprache; vgl. zur konkludenten Täuschung bei Manipulation auch Pawlik, Das unerlaubte<br />

Verhalten beim Betrug [1999] S. 87). Zwar reicht die allgemeine Erwartung, der andere werde sich redlich<br />

verhalten, für die Annahme entsprechender konkludenter Erklärungen nicht aus. Abgesehen davon, dass die Vertragspartner<br />

aber ein Minimum an Redlichkeit im Rechtsverkehr, das auch verbürgt bleiben muss, voraussetzen dürfen<br />

(vgl. Cramer/Perron aaO § 263 Rdn. 14/15), ist die Erwartung, dass keine vorsätzliche sittenwidrige Manipulation<br />

des Vertragsgegenstandes durch einen Vertragspartner in Rede steht, unverzichtbare Gr<strong>und</strong>lage jeden Geschäftsverkehrs<br />

<strong>und</strong> deshalb zugleich miterklärter Inhalt entsprechender rechtsgeschäftlicher Erklärungen. Dem Angebot<br />

297


auf Abschluss eines Vertrages ist demnach in aller Regel die konkludente Erklärung zu entnehmen, dass der in Bezug<br />

genommene Vertragsgegenstand nicht vorsätzlich zum eigenen Vorteil manipuliert wird. Bei der Sportwette,<br />

einer Unterform des wesentlich durch Zufall bestimmten Glücksspiels (vgl. BGH NStZ 2003, 372, 373; Hofmann/Mosbacher<br />

NStZ 2006, 249, 251 m.w.N.), ist Gegenstand des Vertrages das in der Zukunft stattfindende <strong>und</strong><br />

von den Sportwettenteilnehmern nicht beeinflussbare (vgl. Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand [1994] S. 471)<br />

Sportereignis. Auf diesen Vertragsgegenstand nimmt jede der Parteien bei Abgabe <strong>und</strong> Annahme des Wettscheins<br />

Bezug. Beim Abschluss einer Sportwette erklärt demnach regelmäßig jeder der Beteiligten konkludent, dass das<br />

wettgegenständliche Risiko nicht durch eine von ihm veranlasste, dem Vertragspartner unbekannte Manipulation des<br />

Sportereignisses zu seinen Gunsten verändert wird (BGHSt 29, 165). Denn dies erwartet nicht nur der Wettanbieter<br />

vom Wettenden, sondern auch umgekehrt der Wettende vom Wettanbieter. Weil sich eine Sportwette zwangsläufig<br />

auf ein in der Zukunft stattfindendes Ereignis bezieht, kann sich die Erklärung der Manipulationsfreiheit nicht auf<br />

eine bereits endgültig durchgeführte, sondern nur auf eine beabsichtigte Manipulation beziehen. Eine Täuschung ist<br />

jedenfalls dann anzunehmen, wenn zu dem konkreten Plan der Manipulation des zukünftigen Sportereignisses die<br />

konkrete Einflussnahme tritt, etwa wie hier durch die vorherigen Abreden mit Teilnehmern an dem Sportereignis, die<br />

ihre Manipulationsbereitschaft zugesagt haben. Nur in einem solchen Fall wird der Wettende auch – wie hier – erhebliche<br />

Beträge auf einen eher unwahrscheinlichen (<strong>und</strong> dafür zu hohen Gewinnquoten angebotenen) Spielausgang<br />

setzen. Wer erhebliche Beträge zu hoher Quote auf einen unwahrscheinlichen Spielausgang setzt <strong>und</strong> in Manipulationen<br />

des Spielgeschehens verstrickt ist, hat diese regelmäßig bereits zuvor schon so hinreichend konkret ins Werk<br />

gesetzt, dass es bei normalem Lauf der Dinge allein von ihm abhängt, ob es zu der unlauteren Beeinflussung des<br />

Spielverlaufs kommt. Dass dies bei A. S. jeweils der Fall war, ist den Feststellungen des Landgerichts zu den Wettvertragsabschlüssen<br />

insgesamt mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen. Dieser Begründung steht die Entscheidung<br />

des Senats in BGHSt 16, 120 („Spätwette“) nicht entgegen. Dort ging es nicht um eine Manipulation des Vertragsgegenstandes,<br />

sondern um ein überlegenes Wissen des Wettenden, das aus allgemein zugänglichen Informationsquellen<br />

stammte. Ob der Wettende bei Abschluss einer Wette auf ein zukünftiges Ereignis auch konkludent erklärt,<br />

dieses sei noch nicht eingetreten, so dass er davon nichts wisse, bedarf hier deshalb keiner Entscheidung. Dagegen<br />

mag sprechen, dass das Einholen allgemein zugänglicher Informationen über den Wettgegenstand typischerweise<br />

in das Risiko jedes Vertragspartners fällt. Berechtigterweise erwartet der Vertragspartner einer Sportwette<br />

jedenfalls, dass der andere Teil nicht über Sonderwissen verfügt, das aus einer verwerflichen Manipulation des Wettgegenstandes<br />

resultiert (vgl. aber auch Habersack in MünchKomm-BGB 4. Aufl. § 762 Rdn. 19).<br />

(2) Entgegen einer in der Literatur verbreiteten Meinung (vgl. Schlösser aaO S. 426; Schild aaO S. 216) handelt es<br />

sich bei der Täuschung der jeweiligen Wettbüro-Mitarbeiter um eine konkludente Täuschung durch aktives Tun <strong>und</strong><br />

nicht um eine Täuschung durch Unterlassen. Die Grenze zwischen einer aktiven konkludenten Täuschung <strong>und</strong> einer<br />

Täuschung durch Unterlassen bestimmt sich nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Erklärungswert des aktiven<br />

Verhaltens. Deshalb darf der Tatrichter gr<strong>und</strong>sätzlich nicht an ein Unterlassen, sondern muss an das aktive Tun –<br />

also insbesondere den jeweiligen Vertragsschluss – anknüpfen (miss-verständlich deshalb BGHSt 29, 165, 167, soweit<br />

dort auf ein „Verschweigen“ abgestellt wird), wenn in der Erklärung bereits die Täuschungshandlung zu sehen<br />

ist. In diesen Fällen liegt der relevante Handlungsschwerpunkt in einem positiven Tun, weil der Täter inzident die<br />

Essentialia zusichert, die – wie oben dargestellt – zur unverzichtbaren Gr<strong>und</strong>lage des Geschäfts zählen. Deshalb ist<br />

im vorliegenden Fall ein aktives Verhalten, nämlich der Abschluss des Wettvertrages, die strafbarkeitsbegründende<br />

Täuschungshandlung, weil ihm der Erklärungswert zukommt, nicht auf Manipulationen des Vertragsgegenstandes<br />

hingewirkt zu haben. Da bereits ein Betrug durch aktives Tun vorliegt, kann dahinstehen, ob hier auch ein Betrug<br />

durch Unterlassen der Aufklärung über die Spielmanipulation (vgl. zu einer möglichen Aufklärungspflicht Henssler<br />

aaO S. 471; Habersack aaO § 762 Rdn. 19) oder später (vgl. etwa in Fall 7 der Urteilsgründe das Gespräch mit den<br />

Vertretern des Wettveranstalters) gegeben ist (vgl. allgemein zu den Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zwischen<br />

einer Täuschung durch Tun <strong>und</strong> durch Unter-lassen Tiedemann aaO § 263 Rdn. 29 m.w.N.; Schlösser aaO S. 426).<br />

bb) Durch die konkludente Täuschung über die Manipulationsfreiheit des Wettgegenstandes ist bei den jeweiligen<br />

Mitarbeitern der Wettanbieter auch ein entsprechender Irrtum erregt worden (vgl. BGHSt 29, 165, 168). Die Mitarbeiter<br />

der Wettanbieter gingen – jedenfalls in Form des sachgedanklichen Mitbewusstseins (hierzu näher Tröndle/Fischer<br />

aaO § 263 Rdn. 35 m.w.N.) – jeweils davon aus, dass das wettgegenständliche Risiko nicht durch Manipulation<br />

des Sportereignisses zu Ungunsten ihres Unternehmens ganz erheblich verändert wird. Ansonsten hätten sie<br />

die jeweiligen Wettangebote zu der angebotenen Quote zurückgewiesen. Gerade weil die Manipulationsfreiheit des<br />

Wettgegenstandes beim Abschluss einer Sportwette mit festen Quoten für die Vertragspartner von entscheidender<br />

Bedeutung für die Einschätzung des Wettrisikos ist, verbinden Wettender <strong>und</strong> Wettanbieter mit ihren rechtsgeschäftlichen<br />

Erklärungen regelmäßig die Vorstellung, dass der Wettgegenstand nicht manipuliert wird (vgl. auch BGHSt<br />

298


24, 386, 389). Hierüber irren sie aber infolge des Verhaltens des anderen Teils. Dieser Irrtum führte auch zu einer<br />

Vermögensverfügung, nämlich zum Vertragsabschluss mit dem jeweiligen Wettanbieter.<br />

cc) Bei den jeweiligen Wettveranstaltern ist durch diese täuschungs-bedingte Vermögensverfügung auch ein Schaden<br />

entstanden.<br />

(1) In allen Fällen liegt bereits mit Abschluss der jeweiligen Wettverträge ein vollendeter Betrug vor.<br />

Beim Betrug durch Abschluss eines Vertrages (Eingehungsbetrug) ergibt der Vergleich der Vermögenslage vor <strong>und</strong><br />

nach Abschluss des Vertrages, ob ein Vermögensschaden eingetreten ist. Zu vergleichen sind die beiderseitigen<br />

Vertragsverpflichtungen. Wenn der Wert des Anspruchs auf die Leistung des Täuschenden hinter dem Wert der<br />

Verpflichtung zur Gegenleistung des Getäuschten zurückbleibt, ist der Getäuschte geschädigt (vgl. BGHSt 16, 220,<br />

221; BGH NStZ 1991, 488). Entscheidend ist für die Tatbestandserfüllung beim (Eingehungs-)Betrug nämlich, dass<br />

der Verfügende aus dem Bestand seines Vermögens aufgr<strong>und</strong> der Täuschung mehr weggibt, als er zurückerhält<br />

(BGHR StGB § 263 Abs. 1 Vermögensschaden 64 m.w.N.). Diese für übliche Austauschgeschäfte entwickelte<br />

Rechtsprechung bedarf der Anpassung an die Besonderheiten der hier gegenständlichen Sportwetten, bei denen zur<br />

Eingehung der vertraglichen Verpflichtungen der Austausch von Einsatz <strong>und</strong> Wettschein (einer Inhaberschuldverschreibung,<br />

vgl. Sprau in Palandt aaO § 793 Rdn. 5) hinzukommt: Bei Sportwetten mit festen Quoten (sog. Oddset-<br />

Wetten) stellt die aufgr<strong>und</strong> eines bestimmten Risikos ermittelte Quote gleichsam den „Verkaufspreis“ der Wettchance<br />

dar; die Quote bestimmt, mit welchem Faktor der Einsatz im Gewinnfall multipliziert wird. Weil die von A. S.<br />

geplante <strong>und</strong> ins Werk gesetzte Manipulation der Fußballspiele das Wettrisiko ganz erheblich zu seinen Gunsten<br />

verschoben hatte, entsprachen die bei dem Vertragsschluss vom Wettanbieter vorgegebenen Quoten nicht mehr dem<br />

Risiko, das jeder Wettanbieter seiner eigenen kaufmännischen Kalkulation zugr<strong>und</strong>e gelegt hatte. Eine derart erheblich<br />

höhere Chance auf den Wettgewinn ist aber wesentlich mehr wert, als A. S. hierfür jeweils in Ausnutzung der<br />

erfolgten Täuschung gezahlt hat. Für seinen jeweiligen Einsatz hätte er bei realistischer Einschätzung des Wettrisikos<br />

unter Berücksichtigung der verabredeten Manipulation nur die Chance auf einen erheblich geringeren Gewinn erkaufen<br />

können. Diese „Quotendifferenz“ stellt bereits bei jedem Wettvertragsabschluss einen nicht unerheblichen Vermögensschaden<br />

dar. Dieser ähnelt infolge des für Wetten typischen Zusammenhangs zwischen Wettchance <strong>und</strong><br />

realisiertem Wettrisiko der vom Landgericht angenommenen schadensgleichen Vermögensgefährdung (gegen deren<br />

Annahme indes durchgreifende Bedenken bestehen, vgl. unten [3]) <strong>und</strong> stellt wirtschaftlich bereits einen erheblichen<br />

Teil des beabsichtigten Wettgewinns dar. Dass Wetten für erkannt manipulierte Spiele nicht angeboten werden, ist<br />

insoweit ohne Bedeutung. Maßgeblich ist allein, dass der Wettanbieter täuschungs-bedingt aus seinem Vermögen<br />

eine Gewinnchance einräumt, die (unter Berücksichtigung der Preisbildung des Wettanbieters) gemessen am Wetteinsatz<br />

zu hoch ist. Mithin verschafft sich der Täuschende eine höhere Gewinnchance, als der Wettanbieter ihm für<br />

diesen Preis bei richtiger Risikoeinschätzung „verkaufen“ würde. Ein derartiger Quotenschaden muss nicht beziffert<br />

werden. Es reicht aus, wenn die insoweit relevanten Risikofaktoren gesehen <strong>und</strong> bewertet werden. Realisiert sich der<br />

vom Wettenden infolge seiner Manipulation erstrebte Gewinn nicht, verbleibt es vielmehr bei dem mit erfolgreicher<br />

Täuschung bereits erzielten Quotenschaden, so ist dem wegen der geringeren Auswirkungen der Tat im Rahmen der<br />

Strafzumessung Rechnung zu tragen.<br />

(2) In denjenigen Fällen, in denen es zur Auszahlung von Wettgewinnen auf manipulierte Spiele kam (Fälle 2, 6, 7,<br />

11), ist das mit dem Eingehungsbetrug verb<strong>und</strong>ene erhöhte Verlustrisiko in einen endgültigen Vermögensverlust der<br />

jeweiligen Wettanbieter in Höhe der Differenz zwischen Wetteinsatz <strong>und</strong> Wettgewinn umgeschlagen (vgl. zur Schadensberechnung<br />

näher Fasten/Oppermann JA 2006, 69, 73; Tröndle/Fischer aaO § 263 Rdn. 71 m.w.N.); der so erzielte<br />

Vermögensvorteil war insbesondere das Endziel des mit Hilfe von Manipulationen Wettenden. Weil sich<br />

Sportwettenverträge auf ein in der Zukunft stattfindendes Ereignis beziehen, stellt der Quotenschaden das notwendige<br />

Durchgangsstadium <strong>und</strong> damit einen erheblichen Teil des beabsichtigten endgültigen Schadens bei dem Wettanbieter<br />

dar. Entgegen einer in der Literatur vertretenen Ansicht (Kutzner JZ 2006 S. 712, 717; Schild aaO S. 219) liegt<br />

der betrugsrelevante Vermögensschaden in diesen Fällen nicht in der – kaum feststellbaren – Differenz zwischen der<br />

auf Gr<strong>und</strong> des „normalen Wettverhaltens“ prognostizierten Gesamtgewinnausschüttung <strong>und</strong> der nach Manipulation<br />

tatsächlich auszuschüttenden Gesamtgewinnsumme. Diese mögliche Vermögenseinbuße stünde zudem in keinem<br />

unmittelbaren Zusammenhang mit der vom Wettenden beabsichtigten Vermögensmehrung, so dass insoweit Bedenken<br />

hinsichtlich der Stoffgleichheit der erstrebten Bereicherung bestünden. Ausreichend <strong>und</strong> allein maßgeblich ist,<br />

dass der jeweilige Wettanbieter täuschungsbedingt den Wettgewinn auszahlt, auf den der Wettende wegen der<br />

Spielmanipulation keinen Anspruch hat, <strong>und</strong> in dieser Höhe sein Vermögen mindert; gerade diese Bereicherung<br />

erstrebt auch der Wettende. Die Ersparnis anderweitig zu erwartender Gewinnausschüttungen durch den Wettanbieter<br />

infolge der Manipulation ist allenfalls mittelbar relevant (vgl. auch BGHR StGB § 263 Abs. 1 Vermögensschaden<br />

54). Für die Schadensfeststellung kommt es entgegen der Auffassung einiger Revisionen auch nicht darauf an, ob<br />

299


sich die von A. S. ins Werk gesetzten Manipulationen kausal im Spielergebnis oder wenigstens entscheidend im<br />

Spielverlauf niedergeschlagen haben. Es reicht vielmehr aus, dass der jeweilige Wettanbieter täuschungsbedingt<br />

Wettverträge abgeschlossen hat, die er bei Kenntnis der beabsichtigten Manipulationen nicht abgeschlossen hätte.<br />

Denn nicht der Erfolg der Manipulation ist Tatbestandsmerkmal des § 263 StGB, sondern allein die täuschungsbedingte<br />

Vermögensschädigung. Im Übrigen ist für die Risikoverschiebung die Zusage der Manipulation durch einen<br />

Mannschaftsspieler oder gar einen Schiedsrichter – anders als von einigen Verteidigern in der Revisionshauptverhandlung<br />

vorgetragen – regelmäßig von erheblicher Bedeutung.<br />

(3) In denjenigen Fällen, in denen die Manipulationen keinen oder keinen vollständigen Wetterfolg einbrachten, hat<br />

das Landgericht allerdings den Schaden nicht gemäß den vorstehenden Gr<strong>und</strong>sätzen bestimmt. Abgesehen davon<br />

sind auch die rechtlichen Erwägungen des Landgerichts nicht tragfähig, soweit es bereits beim Abschluss der Wettverträge<br />

eine schadensgleiche Vermögensgefährdung der jeweiligen Wettanbieter in Höhe des möglichen Wettgewinns<br />

(abzüglich des Einsatzes) angenommen hat. Zwar kann auch schon die bloße konkrete Gefährdung einen<br />

Vermögensschaden i. S. von § 263 StGB darstellen. Diese Gefährdung muss aber nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise<br />

bereits eine Verschlechterung der gegenwärtigen Vermögenslage bedeuten. Die täuschungsbedingte<br />

Gefahr des endgültigen Verlustes eines Vermögensbestandteils muss zum Zeitpunkt der Verfügung so groß sein,<br />

dass sie schon jetzt eine Minderung des Gesamtvermögens zur Folge hat (vgl. BGHSt 34, 394, 395; BGH NStZ<br />

2004, 264). Eine derartige konkrete Gefährdung, die bereits einem Schaden entspricht, kann nur dann anerkannt<br />

werden, wenn der Betrogene ernstlich mit wirtschaftlichen Nachteilen zu rechnen hat (BGHSt 21, 112, 113). Diese<br />

Voraussetzungen sind jedoch nicht erfüllt, wenn der Eintritt wirtschaftlicher Nachteile nicht einmal überwiegend<br />

wahrscheinlich ist, sondern von zukünftigen Ereignissen abhängt, die sich einer Einflussnahme trotz der Manipulation<br />

immer noch in ganz wesentlichem Umfang entziehen. Durch den Abschluss der Wettverträge ist es über den oben<br />

dargestellten Quotenschaden hinaus erst zu einer abstrakten Gefährdung der Vermögen der jeweiligen Wettanbieter<br />

in Höhe des durch die Wettquote bestimmten Auszahlungsbetrages abzüglich des Einsatzes gekommen. Ein Erfolg<br />

der Manipulationen war nach den Feststellungen des Landgerichts nicht einmal überwiegend wahrscheinlich, sondern<br />

schlug in vielen Fällen trotz beträchtlicher Eingriffe in das Spielgeschehen fehl, insbesondere auch, weil die<br />

kombinierten Spiele teilweise einen anderen Ausgang nahmen; dies macht deutlich, dass die Manipulation des Spielgeschehens<br />

nur die Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Spielausgangs um einen gewissen – regelmäßig freilich,<br />

wie ausgeführt, erheblichen – Grad erhöhen konnte (vgl. dazu Kutzner aaO S. 717; Mosbacher NJW 2006, 3529,<br />

3530).<br />

b) Die Feststellungen des Landgerichts belegen ohne Weiteres die abgeurteilten Beihilfehandlungen der Angeklagten<br />

M. <strong>und</strong> F. S. sowie R. H. <strong>und</strong> D. M. .<br />

aa) Die Betrugstaten des Haupttäters A. S. waren in dem von ihm beabsichtigten <strong>und</strong> von den Teilnehmern erkannten<br />

Umfang frühestens mit der Auszahlung des zu Unrecht beanspruchten Wettgewinns beendet. Bis zu diesem Zeitpunkt<br />

förderten alle Handlungen, die unmittelbar der Manipulation des wettgegenständlichen Spielereignisses dienten<br />

oder durch die Spieler bzw. Schiedsrichter zur Manipulation des Spielgeschehens angehalten oder dabei bestärkt<br />

wurden, den beabsichtigten unrechtmäßigen Wettgewinn von A. S. . Aufgr<strong>und</strong> der Eigenart der Sportwette, die ein in<br />

der Zukunft liegendes Sportereignis betrifft, ist eine derartige Beihilfe zum Wettbetrug mittels Manipulation des<br />

Wettereignisses nicht nur durch deren vorherige Zusage, sondern auch nach Wettvertragsabschluss möglich. Dass die<br />

jeweiligen Teilnehmer insoweit vorsätzlich gehandelt haben, ergibt sich nach den Feststellungen des Landgerichts<br />

aus der Kenntnis vom beabsichtigten bzw. erfolgten Abschluss der Sportwetten; nur der Wettvertragsabschluss gab<br />

den Spielmanipulationen aus Sicht der Beteiligten hier einen nachvollziehbaren wirtschaftlichen Sinn.<br />

bb) Der Angeklagte H. hat auch im Fall 8 der Urteilsgründe eine Beihilfe zum Wettbetrug A. S. begangen. Entgegen<br />

der Auffassung der Revision zu diesem Fall belegen die Feststellungen des Landgerichts hinreichend, dass H. in<br />

diesem Fall dem Haupttäter A. S. konkret bei seinem Betrug geholfen hat, indem er ihn bei der Anwerbung des Angeklagten<br />

M. für eine Spielmanipulation unterstützte. Soweit das Landgericht bei der rechtlichen Würdigung der<br />

Taten <strong>und</strong> im Rahmen der Strafzumessung – ersichtlich versehentlich – nicht zwischen dem Fall 8 der Urteilsgründe<br />

<strong>und</strong> den Einflussnahmen H. s als Schiedsrichter auf dem Spielfeld differenziert hat (vgl. UA S. 47, 53), ist dies im<br />

Ergebnis unschädlich: Das Unrecht H. s wiegt in Fall 8 nicht minder schwer als in den Fällen einer Manipulation auf<br />

dem Spielfeld. H. hat in diesem Fall sogar ganz erheblich dazu beigetragen, einen weiteren zur Unparteilichkeit<br />

verpflichteten Schiedsrichter in kriminelle Machenschaften zu verstricken.<br />

cc) Im Fall 10 tragen die Feststellungen des Landgerichts auch die Annahme einer Beihilfe F. S. s zum gemeinschaftlich<br />

von A. <strong>und</strong> M. S. begangenen Betrug. F. S. hat danach R. H. ausdrücklich zur Manipulation des Fußballspiels<br />

in dem von seinem Bruder A. S. gewünschten Sinne ermutigt. Er hat aufgr<strong>und</strong> der Gesamtumstände des Ge-<br />

300


schehens auch ersichtlich in der Kenntnis gehandelt, dass auf dieses manipulierte Spiel Sportwetten abgeschlossen<br />

sind oder werden <strong>und</strong> dass sein Handeln den beabsichtigten Eintritt des Wetterfolges fördert.<br />

c) Dass im Fall 10 der Urteilsgründe nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen M. S. die Sportwetten in<br />

Italien abgeschlossen hat, hindert eine Bestrafung der in diesem Fall Beteiligten nach deutschem Recht nicht: Eine<br />

als Betrug nach § 263 StGB strafbare Haupttat M. S. s ist noch hinreichend durch Feststellungen belegt. Wie sich aus<br />

den gleichsam „vor die Klammer“ gezogenen Feststellungen des Landgerichts ergibt, gab der Angeklagte M. S. die<br />

Wettscheine auch in diesem Fall in den Geschäftsräumen des Wettanbieters ab <strong>und</strong> erklärte damit zugleich konkludent,<br />

nicht an einer Manipulation des wettgenständlichen Sportereignisses beteiligt zu sein. Aus dem einschlägigen<br />

italienischen Recht ergibt sich weder zum Erklärungswert seines Verhaltens noch in anderer Hinsicht ein relevanter<br />

Unterschied zum deutschen Recht; insbesondere besteht auch dort die Möglichkeit, sich bei einer bewussten Täuschung<br />

ohne weiteres vom Vertrag zu lösen (vgl. Art. 1427 ff. Codice Civile). Für die Tat von M. S. im Fall 10 der<br />

Urteilsgründe gilt nach § 3 StGB das deutsche Strafrecht, weil die Tat (auch) im Inland begangen worden ist. Weil<br />

M. S. nach den (insoweit tragfähigen) Feststellungen des Landgerichts in diesem Fall als Mittäter des Angeklagten<br />

A. S. gehandelt hat, <strong>und</strong> ihm deshalb aufgr<strong>und</strong> des gemeinsamen Tatplans das Handeln A. S. s in Deutschland <strong>und</strong><br />

auch der Ort dieses Handelns zuzurechnen ist, ist Tatort im Sinne von § 9 StGB auch für M. S. Deutschland (vgl.<br />

BGHSt 39, 88, 91; Tröndle/Fischer aaO § 9 Rdn. 3). Für die Teilnehmer ergibt sich ein Tatort im B<strong>und</strong>esgebiet in<br />

diesem Fall jedenfalls aus § 9 Abs. 2 StGB. Zudem ergibt sich aus den Urteilsgründen, dass auch A. S. in diesem<br />

Fall – was angesichts der von ihm versprochenen Bestechungssumme von 50.000 Euro mehr als nahe liegt – auf das<br />

manipulierte Spiel gewettet hat; das Landgericht konnte lediglich keine Feststellungen dazu treffen, wo <strong>und</strong> in welcher<br />

Höhe dies geschehen ist.<br />

d) Auch die weiteren Einwände der Revisionen gegen den Schuldspruch tragen nicht: Soweit unter Hinweis auf nicht<br />

im Urteil wiedergegebene Allgemeine Geschäftsbedingungen vorgetragen wird, beim Wettvertragsschluss könnte<br />

keine reale Person getäuscht werden, weil der Vertragsschluss letztlich nur elektronisch erfolge, widerspricht dies<br />

den (nicht angegriffenen) Feststellungen des Landgerichts. Danach hat stets ein Mitarbeiter des Wettbüros die Wettscheine<br />

entgegengenommen, nach Prüfung weitergeleitet <strong>und</strong> insbesondere den Wetteinsatz vereinnahmt. Der Einwand<br />

der Revision, ausländischen Wettanbietern könne in Hinblick auf §§ 762, 763 BGB wegen der Rechtswidrigkeit<br />

ungenehmigter ausländischer Wetten kein Schaden entstehen, verfängt nicht. Zwar findet auf Sportwetten § 763<br />

Satz 2 i.V.m. § 762 BGB gr<strong>und</strong>sätzlich Anwendung (vgl. BGH NJW 1999, 54). Unabhängig von der Frage, ob im<br />

EU-Ausland genehmigte Sportwetten auch im B<strong>und</strong>esgebiet ohne zusätzliche Genehmigung zulässig vermittelt werden<br />

dürfen oder nicht (vgl. hierzu OLG München NJW 2006, 3588; Mosbacher NJW 2006, 3529), ist hier jedenfalls<br />

aus wirtschaftlicher Sicht eine Schädigung der ausländischen Wettanbieter eingetreten (vgl. auch Weber aaO S. 67;<br />

Cramer/Perron aaO § 263 Rdn. 91; RGSt 68, 379, 380). Auch die Beweiswürdigung des Landgerichts hält revisionsgerichtlicher<br />

Überprüfung stand. Dies gilt namentlich hinsichtlich des Angeklagten M. . Die Feststellungen des<br />

Landgerichts zu seiner Tatbeteiligung beruhen auf einer tragfähigen Gr<strong>und</strong>lage, nämlich auf seinem Eingeständnis,<br />

von A. S. die festgestellten Zahlungen erhalten zu haben, sowie im Übrigen auf den vom Landgericht als glaubhaft<br />

angesehenen Angaben der geständigen Angeklagten A. S. <strong>und</strong> R. H. .<br />

e) Die Rechtsfolgenaussprüche können bestehen bleiben.<br />

aa) Auch wenn das Landgericht in demjenigen Teil der Fälle, in denen die Manipulationen nicht zu dem gewünschten<br />

Spielergebnis geführt haben oder die Kombinationswetten aus anderen Gründen keinen Erfolg hatten, der Strafzumessung<br />

einen zu großen Schadensumfang zugr<strong>und</strong>e gelegt hat, kann der Senat ausschließen (§ 354 Abs. 1 StPO),<br />

dass das Landgericht bei einer zutreffenden rechtlichen Bewertung niedrigere Einzelstrafen <strong>und</strong> niedrigere Gesamtstrafen<br />

verhängt hätte: Zum einen ist ein Gefährdungsschaden für die Strafzumessung ohnehin nicht mit dem darüber<br />

hinaus erstrebten endgültigen Schaden gleichzusetzen (vgl. BGH wistra 1999, 185, 187). Zum zweiten ähnelt der<br />

vom Landgericht nicht ausdrücklich bezifferte Quotenschaden dem angenommenen Gefährdungsschaden <strong>und</strong> stellt<br />

jedenfalls einen erheblichen Teil hiervon dar; die Wettanbieter hätten bei nicht täuschungsbedingter Fehleinschätzung<br />

des Wettrisikos für die gezahlten Einsätze allenfalls wesentlich geringere Wettchancen eingeräumt. Schließlich<br />

war ohnehin strafschärfend zu berücksichtigen, dass sich der Vorsatz über den durch Eingehung der Wetten bereits<br />

vollendeten Schadenseintritt hinaus auf eine ganz erhebliche Gewinnsumme bezog <strong>und</strong> damit das vom Vorsatz umfasste<br />

Handlungsziel den als „Durchgangsschaden“ erfassten Quotenschaden des Wettanbieters jeweils ganz erheblich<br />

überstieg (vgl. auch BGHSt 43, 270, 276; BGH NStZ 2000, 38, 39).<br />

bb) Auch im Übrigen hält die Strafzumessung im Ergebnis revisions-rechtlicher Überprüfung stand: Das Landgericht<br />

hat zwar verkannt, dass es sich bei § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 erste Alt. StGB nicht um einen Qualifikationstatbestand<br />

des gewerbsmäßigen Betruges, sondern um eine Strafzumessungsregel handelt, die gr<strong>und</strong>sätzlich eine Gesamtwürdigung<br />

aller schuldrelevanten Gesichtspunkte erfordert (vgl. BGHR StGB § 266 Abs. 2 Besonders schwerer Fall 1)<br />

301


<strong>und</strong> insbesondere auch deshalb ausscheiden kann, weil die Voraussetzungen eines vertypten Strafmilderungsgr<strong>und</strong>s<br />

(hier etwa §§ 21, 27 StGB) vorliegen (BGH wistra 2003, 297). Bei den wegen Beihilfe zum Betrug verurteilten Angeklagten<br />

hat das Landgericht auch nicht bedacht, dass die Teilnahmehandlung als solche als besonders schwerer<br />

Fall zu werten sein muss (vgl. Tröndle/Fischer aaO § 46 Rdn. 105 m.w.N.) <strong>und</strong> das täterbezogene Merkmal der Gewerbsmäßigkeit<br />

nur demjenigen Tatbeteiligten angelastet werden kann, der dieses Merkmal selbst aufweist (vgl. Eser<br />

in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 243 Rdn. 47 m.w.N.). Der Senat kann jedoch ausschließen (§ 354 Abs. 1<br />

StPO), dass sich diese Fehler bei der Strafzumessung ausgewirkt haben.<br />

(1) Bei A. S. war ein Absehen von der Regelwirkung des § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 erste Alt. StGB nach den Gesamtumständen<br />

der mit hoher krimineller Energie ins Werk gesetzten Betrügereien, bei denen es jeweils um ganz<br />

erhebliche Summen ging, auch unter Berücksichtigung von § 21 StGB offensichtlich nicht veranlasst. Dem Senat<br />

erscheint es im Übrigen angesichts des jahrelangen professionellen Agierens von A. S. auf dem Sportwettenmarkt,<br />

seines kompliziert angelegten Wett- <strong>und</strong> Manipulationssystems <strong>und</strong> des damit verb<strong>und</strong>enen erheblichen organisatorischen<br />

Aufwands ohnehin eher fernliegend, dass bei diesem Angeklagten die Steuerungsfähigkeit bei der Begehung<br />

sämtlicher Taten wegen „Spielsucht“ erheblich eingeschränkt gewesen sein soll (vgl. zu den Anforderungen BGHSt<br />

49, 365, 369 f. m.w.N.). Die vom Landgericht angenommene Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB<br />

beschwert den Angeklagten jedoch nicht. In den Fällen 2, 6, 7 <strong>und</strong> 11 liegen zudem zusätzlich – auch bei den Teilnehmern,<br />

die angesichts der Kenntnis von den Gesamtumständen <strong>und</strong> angesichts der Höhe der gezahlten Bestechungsgelder<br />

insoweit zumindest mit bedingtem Vorsatz handelten – die Voraussetzungen eines besonders schweren<br />

Falls nach § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 erste Alt. StGB vor.<br />

(2) Bei den Angeklagten H. <strong>und</strong> M. hat das Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellt, dass auch diese Angeklagten<br />

selbst gewerbsmäßig gehandelt haben. Sie wollten sich durch die Zusammenarbeit mit A. S. eine auf Dauer angelegte<br />

Einnahmequelle von einigem Umfang erschließen. Bei diesen Angeklagten liegt aufgr<strong>und</strong> der besonders pflichtwidrigen<br />

Ausnutzung ihrer Stellung als unparteiische Schiedsrichter im Übrigen auch die Annahme eines unbenannten<br />

besonders schweren Falls nach § 263 Abs. 3 Satz 1 StGB auf der Hand.<br />

(3) Eigenes gewerbsmäßiges Handeln hat das Landgericht auch für M. S. festgestellt. Es kann dahinstehen, ob diese<br />

Wertung tatsächlich ausreichend belegt ist. Der Senat kann angesichts der Vielzahl erschwerender Gesichtspunkte<br />

jedenfalls ausschließen (§ 354 Abs. 1 StPO), dass das Landgericht bei den Angeklagten M. <strong>und</strong> F. S. bei bloßer Anwendung<br />

von § 263 Abs. 1 StGB auf noch niedrigere Einzel- <strong>und</strong> Gesamtstrafen erkannt hätte. Das Landgericht hat<br />

sich bei der Bemessung der ohnehin maßvollen Strafen ersichtlich nicht am oberen Ende des – abgesehen von Fall<br />

10 für M. S. – gemäß § 27 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB verschobenen Strafrahmens des § 263 Abs. 3 StGB orientiert.<br />

(4) Die verhängten Einzelstrafen <strong>und</strong> die verhängte Gesamtstrafe sind darüber hinaus auch aus folgenden Gründen<br />

angemessen im Sinne von § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO: Es geht bei den durch die Angeklagten unterstützen Betrügereien<br />

von A. S. ganz überwiegend um erhebliche Summen <strong>und</strong> insgesamt um Beträge von mehreren Millionen Euro.<br />

Die Spielmanipulationen haben nicht nur die jeweiligen Wettanbieter geschädigt, sondern – wie die Angeklagten<br />

wussten – einer Vielzahl Unbeteiligter ganz erhebliche Schäden zugefügt: Die jeweiligen Fußballmannschaften <strong>und</strong><br />

alle zahlenden Zuschauer wurden um ein faires Spiel gebracht. Die infolge von Manipulationen unterlegenen Mannschaften<br />

<strong>und</strong> ihre Trainer mussten erhebliche wirtschaftliche Schäden gewärtigen, die sich etwa im Fall des Ausscheidens<br />

des Hamburger SV aus dem DFB-Pokal auch durch die Entlassung des damaligen Trainers realisiert haben.<br />

Die massive Bestechung von Spielern <strong>und</strong> Schiedsrichtern zum Zweck der Spielmanipulation hat zudem dem<br />

gesamten professionellen Fußballsport einen ganz erheblichen Rufschaden zugefügt, indem das Vertrauen von Millionen<br />

sportbegeisterter Zuschauer in die Fairness des Fußballsports <strong>und</strong> in die Unparteilichkeit der Schiedsrichter<br />

massiv enttäuscht wurde. Im Übrigen sind auch viele redliche Wettk<strong>und</strong>en, die auf ein anderes Ergebnis gesetzt<br />

hatten, im Falle gelungener Spielmanipulationen um ihre Gewinnchancen gebracht worden. Diese offenk<strong>und</strong>igen<br />

erschwerenden Gesichtspunkte hat das Landgericht im Rahmen seiner Strafzumessung nicht einmal umfassend ausdrücklich<br />

bedacht.<br />

(5) Bei F. S. ist die Gesamtstrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe auch deshalb angemessen, weil das Landgericht<br />

zugunsten dieses Angeklagten einen nicht gerechtfertigten Härteausgleich vorgenommen hat. Die Strafkammer hat<br />

sich hierfür auf eine am 25. Oktober 2004 erfolgte Verurteilung zu einer bereits vollstreckten Geldstrafe bezogen <strong>und</strong><br />

mit Rücksicht auf die fehlende Gesamtstrafenfähigkeit einen Härteausgleich in Höhe von einem Monat Freiheitsstrafe<br />

gewährt. Unbeachtet blieb dabei, dass zu diesem Zeitpunkt die Tat Nr. 10 der Urteilsgründe noch nicht begangen<br />

worden war. Wegen der Erledigung der Geldstrafe entfiel mithin lediglich die Zäsurwirkung der Verurteilung vom<br />

25. Oktober 2005. Daher hat sich der Angeklagte durch die Erledigung der Geldstrafe die Verhängung zweier –<br />

notwendig in der Summe gegenüber der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe höherer – Freiheitsstrafen erspart, mithin<br />

302


keinen Nachteil, sondern einen Vorteil erlangt. Deshalb war kein Härteausgleich gerechtfertigt (vgl. BGHR StGB §<br />

55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 4).<br />

3. Der Senat weist abschließend darauf hin, dass die missverständliche Entscheidung des Landgerichts im Adhäsionsverfahren<br />

nicht bedeutet, dass die Adhäsionskläger ihr Ziel nicht anderweitig weiter verfolgen könnten (§ 406<br />

Abs. 3 Satz 3 StPO). Daher wäre lediglich ein Absehen von einer Entscheidung, nicht etwa, wie zu weitgehend erfolgt,<br />

eine Antragsabweisung zu tenorieren gewesen (vgl. BGHR StPO § 406 Teilentscheidung 1).<br />

StGB § 263 – Bandenbetrug durch Zahnarzt bei Kick-back-Zahlungen<br />

BGH, Urt. vom 16.11.2006 – 3 StR 204/06<br />

Kick-back-Zahlungen an einen Zahnarzt als bandenmäßiger Betrug.<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat aufgr<strong>und</strong> der Verhandlung vom 26. Oktober 2006 in der Sitzung am 16.<br />

November 2006 für Recht erkannt:<br />

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 30. August 2005 wird<br />

a) das Verfahren in den Fällen 37 bis 41 der Urteilsgründe eingestellt; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten<br />

des Verfahrens <strong>und</strong> die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last,<br />

b) das vorgenannte Urteil im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßigen<br />

Betruges in 36 Fällen schuldig ist.<br />

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

3. Die Staatskasse hat die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels <strong>und</strong> die dem Angeklagten dadurch erwachsenen<br />

notwendigen Auslagen zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in 41 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr<br />

<strong>und</strong> zehn Monaten verurteilt <strong>und</strong> deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Mit ihrer zum Nachteil des Angeklagten<br />

eingelegten, mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts begründeten Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft<br />

eine Verurteilung des Angeklagten wegen gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßigen Betruges (§ 263 Abs. 5 StGB) <strong>und</strong><br />

beanstandet im Übrigen die Strafzumessung. Auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts stellt der Senat das Verfahren<br />

gemäß § 154 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO ein, soweit der Angeklagte in den Fällen 37 bis 41 der Urteilsgründe wegen<br />

Betruges verurteilt worden ist. Im verbleibenden Umfang führt das Rechtsmittel zu der beantragten Änderung des<br />

Schuldspruchs. Im Übrigen hat es keinen Erfolg.<br />

I. Nach den Feststellungen bezog der Angeklagte - ein kassenärztlich zugelassener Zahnarzt - für seine Praxis von<br />

der Firma G. Dentalhandelsgesellschaft mbH (im Folgenden: Firma G. ) Zahnersatz. Für die Geschäftsbeziehung galt<br />

ein Rabattsystem, das er mit den Verantwortlichen dieser Firma - den bereits rechtskräftig abgeurteilten Zeugen T.<br />

M. , O. M. <strong>und</strong> B. - über deren Außendienstmitarbeiter K. vereinbart hatte. Danach hatte der Angeklagte die Rechnungen<br />

der Firma G. , welche die vereinbarten Rabatte nicht auswiesen, in voller Höhe zu bezahlen, erhielt aber<br />

nachträglich umsatzbezogene monatliche Rückvergütungen ("kickbacks") in Höhe von 30 % bzw. 25 % der Nettobeträge<br />

(Fälle II. 1 - 34 der Urteilsgründe) oder sollte sie absprachegemäß erhalten. Am Ende jeden Monats oder Anfang<br />

des Folgemonats ließ der Angeklagte von seinen Angestellten die Behandlungskosten mit der zuständigen Kassenzahnärztlichen<br />

Vereinigung Nordrhein <strong>und</strong>/oder - soweit es Eigenanteile oder Privatleistungen betraf - mit den<br />

Patienten abrechnen <strong>und</strong> die Rechnungen der Dentalhandelsgesellschaft zur Erstattung vorlegen. Dabei verschwieg<br />

er die mit den Verantwortlichen der Firma G. vereinbarten Rückvergütungen. Die Sachbearbeiter der Kassenzahnärztlichen<br />

Vereinigung <strong>und</strong> die Patienten, welche die Rechnungen beglichen, gingen irrtümlich davon aus, dass der<br />

Angeklagte die in den Rechnungen angegebenen Preise für den Zahnersatz tatsächlich verauslagt hatte <strong>und</strong> er deshalb<br />

Erstattung verlangen konnte. Sie bezahlten daher die geforderten Beträge. Der Angeklagte wollte sich damit<br />

eine dauernde zusätzliche Einnahmequelle von erheblichem Umfang verschaffen. In den 41 Monaten von Juni 1999<br />

bis Oktober 2002 betrugen die vereinbarten Rückvergütungen nach Abzug von 6 % für ein dem Angeklagten eingeräumtes<br />

Zahlungsziel monatlich zwischen 1.130 € <strong>und</strong> 9.995 €. Unter Berücksichtigung von Forderungsausfällen<br />

ließ sich der Angeklagte insgesamt mindestens ca. 176.398 € erstatten, auf die er keinen Anspruch hatte. Für die<br />

Abrechnungsmonate April 1999 bis März 2002 wurden dem Angeklagten der "kickback" in bar ausbezahlt. In den<br />

weiteren Monaten kam es zu keinen Auszahlungen mehr, weil der Angeklagte mit seinen Zahlungsverpflichtungen in<br />

Verzug geraten war.<br />

303


II. Das Landgericht ist davon ausgegangen, der Angeklagte habe gewerbsmäßig, aber nicht als Mitglied einer Bande<br />

gehandelt. Zwar hätten die Zeugen T. M. , O. M. <strong>und</strong> B. als die Verantwortlichen der Firma G. <strong>und</strong> möglicherweise<br />

auch deren Außendienstmitarbeiter K. eine Bande zur fortgesetzten Begehung von Betrugsstraftaten gegründet. Der<br />

Angeklagte sei jedoch nicht Mitglied dieser Bande gewesen, weil er Geschäftspartner der Firma G. gewesen sei <strong>und</strong><br />

deshalb nicht im Lager der Bandenmitglieder gestanden habe.<br />

III. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Betruges in allen Fällen (vgl. BGH NStZ 2004, 568, 569) jeweils unter<br />

Annahme des Regelbeispiels der gewerbsmäßigen Begehung (§ 263 Abs. 3 Nr. 1 StGB) lässt keinen Rechtsfehler<br />

erkennen. Entgegen der Meinung des Landgerichts hat der Angeklagte die Betrugsstraftaten indes auch bandenmäßig<br />

begangen, so dass er sich in 36 Fällen wegen gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßigen Betruges (§ 263 Abs. 5 StGB) strafbar<br />

gemacht hat.<br />

1. Der Begriff der Bande setzt den Zusammenschluss von mindestens drei Personen voraus, die sich mit dem Willen<br />

verb<strong>und</strong>en haben, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbständige, im Einzelnen noch ungewisse Straftaten des<br />

im Gesetz genannten Deliktstyps zu begehen. Danach unterscheidet sich die Bande von der Mittäterschaft durch das<br />

Element der auf eine gewisse Dauer angelegten Verbindung zu zukünftiger gemeinsamer Deliktsbegehung. Ein "gefestigter<br />

Bandenwille" oder ein "Tätigwerden in einem übergeordneten Bandeninteresse" ist nicht erforderlich. Es<br />

steht der Annahme einer Bande deshalb nicht entgegen, wenn ihre Mitglieder bei der Tatbegehung ihre eigenen Interessen<br />

an einer risikolosen <strong>und</strong> effektiven Tatausführung sowie Beute- <strong>und</strong> Gewinnerzielung verfolgen (vgl. BGHSt<br />

46, 321, 325 ff., 329, 330).<br />

2. Auf der Gr<strong>und</strong>lage der von der Strafkammer rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen haben sich der Angeklagte,<br />

die bereits rechtskräftig abgeurteilten Zeugen T. M. , O. M. <strong>und</strong> B. sowie der Außendienstmitarbeiter K. zu bandenmäßiger<br />

Begehung der Betrugstaten zusammengeschlossen. Nach den Abreden, die er vor Beginn der Tatserie<br />

mit den Verantwortlichen der Firma G. getroffenen hatte, sollte der Angeklagte für eine gewisse Dauer <strong>und</strong> in einer<br />

Vielzahl im Einzelnen noch unbestimmter selbständiger Fälle unter Vorlage der Rechnungen der Dentalhandelsgesellschaft,<br />

die das vereinbarte "kickback" nicht auswiesen, als Täter Betrugstaten zum Nachteil der Kassenzahnärztlichen<br />

Vereinigung <strong>und</strong> von Patienten begehen. An diesen sollten sich die rechtskräftig abgeurteilten Zeugen sowie<br />

der Außendienstmitarbeiter K. durch Erstellung <strong>und</strong> Übergabe der um die Rückvergütungen überhöhten Rechnungen<br />

beteiligen. Ob sich diese Beteiligung rechtlich als Mittäterschaft oder Beihilfe darstellt, ist für die Frage der bandenmäßigen<br />

Begehung ohne Belang. Es liegt nahe, zumindest die Zeugen T. M. , O. M. <strong>und</strong> B. als Mittäter einzuordnen.<br />

Dafür spricht schon, dass die Idee <strong>und</strong> die Initiative zu den Betrugstaten von ihnen ausging <strong>und</strong> für diese ihre Tatbeiträge<br />

zwingend erforderlich waren. Außerdem hatten sie ein erhebliches eigenes Interesse am Taterfolg, weil sie<br />

durch das auf Betrug aufgebaute Rabattsystem den Angeklagten als K<strong>und</strong>en an sich binden <strong>und</strong> dadurch ihren eigenen<br />

Gewinn steigern konnten. Aber selbst wenn man die Verantwortlichen der Firma G. nicht als Mittäter ansehen,<br />

sondern ihre Beteiligung als die eines Gehilfen einordnen wollte, stünde dies der Annahme einer Bande nicht entgegen<br />

(vgl. BGHSt 47, 214). Soweit das Landgericht meint, der Angeklagte habe die Betrugstaten nicht als Mitglied<br />

einer Bande begangen, weil er der Firma G. als Geschäftspartner gegenüber gestanden habe, hat es sich offensichtlich<br />

an der Rechtssprechung zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln orientiert, die es als maßgeblich<br />

ansieht, ob der Tatbeteiligte in eine Absatzorganisation eingeb<strong>und</strong>en war oder dieser als Käufer auf der Abnehmerseite<br />

gegenüber trat (vgl. BGH NStZ 2004, 696). Diese Rechtsprechung betrifft delikts-spezifische Fallgestaltungen<br />

mit besonderen Umständen, die hier nicht vorliegen. Die für die Annahme bandenmäßiger Begehung gegenüber<br />

der Mittäterschaft gesteigerte, über die aktuelle Tat tendenziell hinausreichende deliktische Zusammenarbeit (BGHSt<br />

42, 256, 259) kann - wie der B<strong>und</strong>esgerichtshof noch unter der Geltung des alten, lediglich zwei Mitglieder voraussetzenden<br />

Bandenbegriffs ausgeführt hat - beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nicht schon darin gesehen<br />

werden, dass der Verkäufer mit einem Erwerber zusammenwirkt. Ein solches Zusammenwirken ist nämlich durch<br />

die Art der Deliktshandlung notwendig vorgegeben <strong>und</strong> stellt sich gr<strong>und</strong>sätzlich als jeweils selbständige Täterschaft<br />

der Beteiligten dar (BGHSt aaO). Dieser Gr<strong>und</strong>gedanke, nach dem es für die Bejahung einer Bande nach § 30 Abs. 1<br />

Nr. 1 <strong>und</strong> § 30 a Abs. 1 BtMG nicht allein ausreicht, dass die Täter beim unerlaubten Vertrieb von Betäubungsmitteln<br />

im Rahmen eines "eingespielten Bezugs- <strong>und</strong> Absatzsystems" handeln (BGHSt aaO), lässt sich auf die hier zu<br />

beurteilende Konstellation nicht übertragen. Der Angeklagte <strong>und</strong> die Verantwortlichen der Firma G. standen sich<br />

nämlich, soweit es um die Betrugstaten zum Nachteil der Kassenzahnärztlichen Vereinigung <strong>und</strong> der Patienten ging,<br />

nicht als selbständige Täter mit gegenläufigen Interessen gegenüber. Dies war lediglich in Bezug auf die zwischen<br />

ihnen abgeschlossenen Verträge über die Lieferung von Zahnersatz der Fall. Mit Blick auf die betrügerische Schädigung<br />

der Kassenzahnärztlichen Vereinigung <strong>und</strong> der Patienten zogen sie aber am selben Strang (BGHSt aaO, 259 f.).<br />

IV. Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert. Die Einzelstrafen (Einsatzstrafe von zehn Monaten sowie<br />

Freiheitsstrafen von einmal neun Monaten, zehnmal acht Monaten, sechzehnmal sieben Monaten <strong>und</strong> achtmal<br />

304


sechs Monaten) sowie die Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr <strong>und</strong> zehn Monaten können bestehen bleiben, weil<br />

die verhängten Rechtsfolgen - trotz der Schuldspruchänderung (vgl. BGH NStZ 2005, 285) <strong>und</strong> dem dadurch geänderten<br />

Strafrahmen - auf Gr<strong>und</strong>lage der Urteilsfeststellungen nach Abwägung aller für die Strafzumessung erheblichen<br />

Gesichtspunkte angemessen sind (§ 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO). Bei den Einzelstrafen hat der Senat neben der<br />

jeweiligen Schadenshöhe zu Gunsten des nicht vorbestraften Angeklagten insbesondere sein von Reue <strong>und</strong> Einsicht<br />

getragenes Geständnis, die Schadenswiedergutmachung durch Sicherheitsleistungen, die erheblichen Tatfolgen für<br />

ihn sowie den Umstand berücksichtigt, dass er von den Verantwortlichen der Firma G. in die Straftaten verstrickt<br />

wurde. Diese Gesichtspunkte sprechen für die Annahme minder schwerer Fälle <strong>und</strong> Freiheitsstrafen im unteren Bereich<br />

des Strafrahmens von sechs Monaten bis fünf Jahren. Bei der Einsatzstrafe von zehn Monaten erscheint wegen<br />

des engen sachlichen Zusammenhangs der 36 Betrugsstraftaten unter Berücksichtigung des verursachten Gesamtschadens,<br />

der Vielzahl der Geschädigten <strong>und</strong> der eingestellten Taten die vom Landgericht verhängte Gesamtfreiheitsstrafe<br />

als angemessen. Die Voraussetzungen für die Strafaussetzung zur Bewährung liegen aus den Gründen des<br />

angefochtenen Urteils vor.<br />

V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StPO. Die Revision hat keinen wesentlichen Teilerfolg,<br />

weil sie nur zu einer Schuldspruchänderung führt, die den Angeklagten wenig belastet.<br />

StGB § 263 – Betrugvermögensschaden ungedeckter Schecks<br />

BGH, Beschl. vom 24.04.2007 – 4 StR 558/06<br />

Ein betrugsrelevanter Vermögensschaden durch Einreichung ungedeckter Schecks kann nur festgestellt<br />

werden, wenn der Angeklagte während des Zeitraums der vorläufigen Gutschrift der Scheckbeträge<br />

hierauf Zugriff genommen hätte oder - im Sinne einer schadensgleichen Vermögensgefährdung<br />

- jedenfalls hätte Zugriff nehmen können.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 26. Juni 2006 mit den jeweils<br />

zugehörigen Feststellungen aufgehoben<br />

a) in den Fällen I 1, 3 <strong>und</strong> 4 der Urteilsgründe insgesamt,<br />

b) im Fall I 2 im Ausspruch über die Einzelstrafe <strong>und</strong><br />

c) im Gesamtstrafenausspruch.<br />

2. Das Verfahren im Fall I 4 der Urteilsgründe wird eingestellt. Insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens<br />

<strong>und</strong> die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen.<br />

3. Im Übrigen wird im Umfang der Aufhebung die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die<br />

verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

4. Die weiter gehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren<br />

verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision. Er rügt die Verletzung formellen <strong>und</strong><br />

materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen weitgehenden Erfolg. Im Übrigen<br />

ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Fall I 4 der Urteilsgründe<br />

Das Verfahren ist hinsichtlich des Falles I 4 der Urteilsgründe wegen eines Verfahrenshindernisses einzustellen (§<br />

206 a Abs. 1 StPO). Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs für schuldig bef<strong>und</strong>en, weil er die Volksbank<br />

- im Wissen, eine entsprechende Deckung des belasteten Kontos nicht herbeiführen zu können - durch wahrheitswidrige<br />

Angaben am 13. November 2001 zur Einlösung eines Schecks über 285.000 DM veranlasst habe. Diese<br />

Tat ist weder Gegenstand der Anklage vom 21. April 2004 noch ist eine diese Tat einbeziehende Nachtragsanklage<br />

erhoben worden. Es besteht auch keine prozessuale Tatidentität (vgl. BGHSt 32, 215, 216) mit den übrigen der Anklageschrift<br />

zugr<strong>und</strong>e liegenden Lebensvorgängen, die die Geschäftsbeziehungen des Angeklagten bzw. der K.<br />

GmbH & Co. KG (künftig: K. GmbH) mit der Volksbank betreffen. Die der Anklage zugr<strong>und</strong>e liegenden Sachverhalte<br />

unterscheiden sich vielmehr nach Zeit <strong>und</strong> Tatumständen eindeutig von dem abgeurteilten Geschehen.<br />

2. Fälle I 1 <strong>und</strong> 3 der Urteilsgründe<br />

305


In den Fällen 1 <strong>und</strong> 3 hält die Verurteilung wegen Betrugs sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. In beiden<br />

Fällen sind die Feststellungen zum Eintritt eines Vermögensschadens ungenau <strong>und</strong> unvollständig <strong>und</strong> entziehen sich<br />

deshalb einer revisionsgerichtlichen Kontrolle.<br />

a) Fall I 1 der Urteilsgründe<br />

Nach den Feststellungen bewilligte die Firma D. - eine Hauptlieferantin der im Mineralölhandel tätigen K. GmbH,<br />

deren Geschäftsführer der Angeklagte war - im April 2000 auf Antrag des Angeklagten die Prolongation eines Lieferantenkredits<br />

für ein weiteres Jahr <strong>und</strong> stockte diesen (Kontokorrent-)Kredit gleichzeitig auf eine Million DM auf.<br />

Dabei vertraute die Kreditgeberin auf die vom Angeklagten behauptete Bonität der GmbH <strong>und</strong> die Werthaltigkeit<br />

einer von ihm übernommenen selbstschuldnerischen Bürgschaft in Höhe des Kreditbetrags (UA 24). Tatsächlich<br />

hatte der Angeklagte den von der Kreditgeberin geforderten Bonitätsnachweisen bewusst falsche Zahlen zugr<strong>und</strong>e<br />

gelegt <strong>und</strong> so das Liquiditätsrisiko verschleiert. Im Rahmen der aufgestockten Kreditlinie lieferte die Firma D. in der<br />

Folgezeit Mineralöl an die K. GmbH. Im November 2001 stellte diese Zahlungen an die Firma D. ein. Im Dezember<br />

2001 beantragte der Angeklagte die Eröffnung der Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH <strong>und</strong> über sein<br />

Privatvermögen. Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass sich der Angeklagte durch die falsche Darstellung des<br />

Liquiditätsrisikos eines Eingehungsbetruges schuldig gemacht habe, da der Firma D. bereits durch die - täuschungsbedingte<br />

- Kreditzusage ein Vermögensschaden in Form einer Vermögensgefährdung entstanden sei (UA 28). Die<br />

bisher zur Vermögenslage der K. GmbH <strong>und</strong> des Angeklagten getroffenen Feststellungen belegen nicht hinreichend,<br />

dass der Rückzahlungsanspruch der Kreditgeberin bereits im Zeitpunkt der Darlehensbewilligung Anfang April 2000<br />

wirtschaftlich nicht sicher, das Vermögen der Firma D. also zu diesem für den Betrugsvorwurf maßgeblichen Zeitpunkt<br />

bei lebensnaher Betrachtung konkret <strong>und</strong> damit schadensgleich gefährdet war (vgl. BGHSt 34, 394, 395, BGH<br />

wistra 1995, 222, 223). Zweifel an der von der Wirtschaftsstrafkammer als Betrugsschaden gewerteten Vermögensgefährdung<br />

ergeben sich, weil nach den Feststellungen der Kredit bis November 2001 von der K. GmbH bedient<br />

wurde. Zahlungsschwierigkeiten traten erstmals zu diesem Zeitpunkt auf <strong>und</strong> die GmbH stellte fortan "weitere" -<br />

mithin bis dahin erfolgte - Zahlungen an die Firma D. ein (UA 13). Angesichts dieses Umstandes hätten die Vermögensverhältnisse<br />

der K. GmbH <strong>und</strong> des Angeklagten als selbstschuldnerisch haftenden Bürgen präziser als bisher<br />

geschehen anhand nachvollziehbarer Vermögensübersichten dargelegt werden müssen. Den Urteilsgründen sind<br />

insbesondere nahezu keine überprüfbaren Feststellungen zum Status des Privatvermögens des Angeklagten in dem<br />

für die Schadensberechnung maßgeblichen Zeitpunkt der Kreditgewährung im April 2000 zu entnehmen. Das insoweit<br />

in Bezug genommene Immobilienvermögen (Stand zum 31. Juli 1999, UA 11) ist ersichtlich nicht dem Angeklagten,<br />

sondern dem Privatvermögen der Gesellschafter der K. GmbH zuzuordnen. Soweit das Urteil in anderem<br />

Zusammenhang Ausführungen zum Gr<strong>und</strong>vermögen des Angeklagten macht (UA 16), betrifft dies Zeitpunkte, die<br />

deutlich nach der Kreditvereinbarung vom April 2000 liegen. Diese sind deshalb für die Schadensberechnung ohne<br />

weitere Darlegungen nicht aussagekräftig. Gleiches gilt für den pauschalen Hinweis, am 31. Dezember 2001 hätten<br />

Forderungen gegen den Angeklagten aus übernommenen Bürgschaften in Höhe von insgesamt 28 Millionen DM<br />

bestanden. Soweit das Urteil in diesem Zusammenhang auf vorhandenes Barvermögen des Angeklagten verweist,<br />

wird nicht einmal dessen Höhe mitgeteilt (UA 29). In der neuen Hauptverhandlung werden deshalb weitergehende<br />

Feststellungen zu treffen sein, ob <strong>und</strong> gegebenenfalls in welcher Höhe bei Darlehensgewährung eine Vermögensgefährdung<br />

bestand. Sollte ein Vergehen des Betrugs nach § 263 StGB mangels Vermögensschadens oder Gefährdungsvorsatzes<br />

zu verneinen sein, so wird das Landgericht zu prüfen haben, ob ein Kreditbetrug nach § 265 b StGB<br />

in Betracht kommt.<br />

b) Fall I 3 der Urteilsgründe<br />

Diesem Fall liegt der Vorwurf zugr<strong>und</strong>e, der Angeklagte habe ungedeckte Schecks über eine Gesamtsumme von ca.<br />

950.000 DM zum Inkasso bei der Volksbank eingereicht, um so eine Rückführung des Kontokorrentkredits der K.<br />

GmbH in das vereinbarte Kreditlimit vorzutäuschen <strong>und</strong> die Bank zu veranlassen, weitere Scheckbelastungen oder<br />

Überweisungen zu Lasten des Kontokorrentkontos zu akzeptieren. Die Feststellungen belegen nicht, dass sich der<br />

Angeklagte eines - vollendeten - Betrugs schuldig gemacht hat. Die Annahme des Landgerichts, durch die Rückbelastung<br />

der zum Inkasso vorgelegten <strong>und</strong> (vorläufig) gutgeschriebenen Schecks sei der Volksbank ein Vermögensschaden<br />

entstanden (UA 18), ist rechtsfehlerhaft. Ein Vermögensschaden wäre bei der Inkassobank nur dann eingetreten,<br />

wenn der Angeklagte während des Zeitraums der vorläufigen Gutschrift der Scheckbeträge hierauf Zugriff<br />

genommen hätte oder - im Sinne einer schadensgleichen Vermögensgefährdung - jedenfalls hätte Zugriff nehmen<br />

können. Dies ergeben die Feststellungen nicht. Zwar werden Scheckbeträge von den Kreditinstituten aus bankwirtschaftlichen<br />

Gründen bereits bei Hereinnahme "unter dem Vorbehalt ihrer Einlösung" gutgeschrieben (Nr. 9 Abs. 1<br />

Satz 1 AGB-Banken <strong>und</strong> AGB-Sparkassen). Die Gutschrift ist bis zur Einlösung des Schecks durch die bezogene<br />

Bank allerdings nur eine vorläufige. Einen Anspruch auf Auszahlung der Schecksumme hat der Scheckeinreicher zu<br />

306


diesem Zeitpunkt nicht (vgl. Nobbe in WM (SB 5) 2000 S. 1, 13 ff. m.N.). Es versteht sich deshalb nicht von selbst,<br />

dass der Scheckeinreicher bereits vor der endgültigen Gutschrift über den Scheckbetrag auch verfügen kann. Mit der<br />

Frage, ob eine solche Verfügungsmöglichkeit durch den Angeklagten bestand bzw. ob er gegebenenfalls hiervon zu<br />

Lasten der Volksbank Gebrauch gemacht hat, hat sich das Landgericht indes nicht auseinandergesetzt (UA 18).<br />

3. Fall I 2 der Urteilsgründe<br />

Im Fall I 2 weist der Schuldspruch wegen Betrugs keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Jedoch hält der Strafausspruch<br />

sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Urteil enthält keine Feststellungen über die persönlichen<br />

Verhältnisse des Angeklagten. Dies stellt hier einen sachlichrechtlichen Mangel dar (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 3<br />

Satz 1 Strafzumessung 8). Für die Strafzumessung <strong>und</strong> deren rechtliche Überprüfung ist jedenfalls im Hinblick auf<br />

die verhängte, nicht unerhebliche Einzelfreiheitsstrafe die Kenntnis von Werdegang <strong>und</strong> Lebensverhältnissen des<br />

Angeklagten unentbehrlich. Zwar hat das Landgericht im Wege eines Berichtigungsbeschlusses die Urteilsgründe<br />

ergänzt <strong>und</strong> Ausführungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten gemacht. Eine Urteilsberichtigung ist<br />

allerdings nur dann zulässig, wenn ein offensichtliches Versehen vorliegt, das sich zwanglos aus klar zutage tretenden<br />

Tatsachen ergibt, wenn die Urteilsgründe also offensichtliche Schreibfehler oder ähnliche äußere, für alle Beteiligten<br />

offenk<strong>und</strong>ige <strong>und</strong> aus sich heraus erkennbare Unstimmigkeiten enthalten. Eine Berichtigung ist hingegen unzulässig,<br />

wenn auch nur der Verdacht einer nachträglichen (sachlichen) Änderung <strong>und</strong> damit einer Verfälschung des<br />

Urteils entstehen kann (vgl. BGHR StPO § 267 Berichtigung 1). So liegt es hier. Durch das "Nachschieben" der<br />

Feststellungen zur Person des Angeklagten sollte ein dem Urteil anhaftender Rechtsfehler beseitigt werden. Dass<br />

dieser auf einer Nachlässigkeit der erkennenden Richter bei Durchsicht der Urteilsurk<strong>und</strong>e vor deren Unterzeichnung<br />

beruht, vermag an diesem Umstand nichts zu ändern.<br />

StGB § 263 Betrug bandenmäßig + gewerbsmäßig = Verbrechen<br />

BGH, Beschl. vom 25.04.2007 – 1 StR 181/07<br />

Wird Betrug banden- <strong>und</strong> gewerbsmäßig begangen, liegt nicht lediglich ein nur für die Strafzumessung<br />

bedeutsames Regelbeispiel vor; vielmehr enthält § 263 Abs. 5 StGB einen Qualifikationstatbestand,<br />

der die Tat, wenn sie, wie hier, kumulativ banden- <strong>und</strong> gewerbsmäßig begangen ist, zum<br />

Verbrechen macht. Für banden- <strong>und</strong> gewerbsmäßig begangene Urk<strong>und</strong>enfälschung gilt dies in gleicher<br />

Weise.<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 27. Oktober 2006 wird mit der Maßgabe<br />

verworfen, dass der Ausspruch über die Einziehung des Mobiltelefons Motorola C 350, Farbe silbern, mit SIM-<br />

Karte Debitel/E-Plus (Ass. Nr. 12.1) entfällt. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

1. Der Angeklagte gehörte einer Bande an, deren Mitglieder mittels un-wahrer Angaben über Identität, Wohnsitz <strong>und</strong><br />

Einkommensverhältnisse, die mehrfach durch Vorlage gefälschter Urk<strong>und</strong>en erhärtet wurden, in Autohäusern gegen<br />

(meist geringe) Anzahlung die Übergabe hochwertiger Pkws anstrebten <strong>und</strong> wiederholt auch erreichten. Soweit sie<br />

Erfolg hatten, wurden die Pkws dann in einem Autohaus des Angeklagten in Bergamo verwertet. Deshalb wurde der<br />

Angeklagte in einer Reihe von Fällen je nach Geschehensablauf wegen vollendeten oder versuchten gewerbs- <strong>und</strong><br />

bandenmäßig begangenen Betrugs, teilweise in Tateinheit mit gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßig begangener Urk<strong>und</strong>enfälschung<br />

zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Ein anlässlich seiner Festnahme in einem Autohaus beim Angeklagten<br />

sichergestellter Geldbetrag <strong>und</strong> zwei Mobiltelefone wurden eingezogen.<br />

2. Die auf mehrere Verfahrensrügen <strong>und</strong> die nicht näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten<br />

bleibt aus den vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt zutreffend dargelegten Gründen hinsichtlich des Schuldspruchs, des Strafausspruchs,<br />

des Geldbetrages <strong>und</strong> eines der beiden Mobiltelefone erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

3. Hinsichtlich des zweiten Mobiltelefons hat der Generalb<strong>und</strong>esanwalt unter anderem ausgeführt: „Die Einziehung<br />

des Mobiltelefons C 350 … ist … zu beanstanden. Im Gegensatz zu dem Mobiltelefon Motorola schwarz … hat der<br />

Tatrichter keine Feststellungen zu einer Verwendung des zweiten sichergestellten Mobiltelefons getroffen. Die Einziehung<br />

von Tatmitteln nach § 74 StGB ist jedoch nur dann zu-lässig, wenn sie zur Begehung oder Vorbereitung<br />

einer Tat gebraucht worden oder bestimmt gewesen sind, die den Gegenstand der Anklage bildet <strong>und</strong> vom Tatrichter<br />

festgestellt worden ist (BGHR StGB § 74 Abs. 1 Tatmittel 6). Auszuschließen ist, dass insoweit weitere Feststellungen<br />

getroffen werden können.“ Dem verschließt sich der Senat nicht (§ 349 Abs. 4 StPO).<br />

307


4. Der aufgeführte geringe Teilerfolg der Revision hat auf die Kostenentscheidung keinen Einfluss (§ 473 Abs. 4<br />

StPO).<br />

5. Dem Antrag, in der Urteilsformel die zur Kennzeichnung der Betrugs- <strong>und</strong> Urk<strong>und</strong>sdelikte verwendeten Worte<br />

„bandenmäßig“ <strong>und</strong> „gewerbsmäßig“ zu streichen, folgt der Senat nicht. Wird Betrug banden- <strong>und</strong> gewerbsmäßig<br />

begangen, liegt nicht lediglich ein nur für die Strafzumessung bedeutsames Regelbeispiel vor; vielmehr enthält § 263<br />

Abs. 5 StGB einen Qualifikationstatbestand, der die Tat, wenn sie, wie hier, kumulativ banden- <strong>und</strong> gewerbsmäßig<br />

begangen ist, zum Verbrechen macht (Tröndle/Fischer StGB 54. Aufl. § 263 Rdn. 131). Für banden- <strong>und</strong> gewerbsmäßig<br />

begangene Urk<strong>und</strong>enfälschung (§ 267 Abs. 4 StGB) gilt dies in gleicher Weise (Tröndle/Fischer aaO § 267<br />

Rdn. 43). Ist jedoch ein eigener Straftatbestand mit besonderen Qualifikationsmerkmalen verwirklicht, so ist dies,<br />

wie hier zutreffend geschehen, in der Urteilsformel durch Aufführung dieser Qualifikationsmerkmale zum Ausdruck<br />

zu bringen (Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 260 Rdn. 25. m. w. N.).<br />

StGB § 264 Abs. 1 Nr. 1; Subventionsbetrug Bewertungseinheit<br />

BGH, Beschl. vom 01.02.2007 – 5 StR 467/06<br />

1. Ein Anwendungsfall der Bewertungseinheit [sogenannte rechtliche Handlungseinheit] ist auch<br />

dann gegeben, wenn mehrere Handlungen im natürlichen Sinn eine sukzessive [fortlaufende] Tatausführung<br />

zur Erreichung eines einheitlichen Erfolges darstellen<br />

2. Dass der Subventionsbetrug ein verselbstständigtes Tätigkeitsdelikt im Vorfeld des Betrugs ist,<br />

der unter anderem in der Vorschrift des § 264 Abs. 1 Nr. 1 StGB keinen tatbestandlichen Erfolg<br />

voraussetzt, steht der Annahme einer Bewertungseinheit nicht entgegen. Denn mit dem Eingang des<br />

Finanzierungshilfeantrags bei der Subventionsstelle ist der Subventionsbetrug zwar vollendet, aber<br />

noch nicht beendet. Dies bedeutet, dass mit dem Eingang des Mittelanforderungsantrags in der<br />

Phase zwischen Vollendung <strong>und</strong> Beendigung der Angriff auf das öffentliche Vermögen als das von §<br />

264 StGB geschützte Rechtsgut lediglich fortgesetzt wird.<br />

Der 5. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 1. Februar 2007 beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten B. wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 10. Juli 2006 gemäß §<br />

349 Abs. 4 StPO<br />

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte B. des Subventionsbetrugs in fünf Fällen, jeweils in Tateinheit<br />

mit Urk<strong>und</strong>enfälschung schuldig ist;<br />

b) auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts gemäß § 354 Abs. 1a Satz 2, Abs. 1b StPO im Gesamtstrafausspruch dahin<br />

geändert, dass der Angeklagte B. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt wird;<br />

c) die zu den Ziffern 2, 4, 6, 8 <strong>und</strong> 10 der Anklage verhängten Einzelstrafen entfallen.<br />

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten B. <strong>und</strong> die Revision des Angeklagten K. werden gemäß § 349 Abs.<br />

2 StPO als unbegründet verworfen.<br />

3. Jeder Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels. Jedoch wird die Gebühr, soweit es die Revision des<br />

Angeklagten B. betrifft, um ein Viertel ermäßigt. Jeweils ein Viertel der in diesem Revisionsverfahren entstandenen<br />

gerichtlichen Auslagen <strong>und</strong> notwendigen Auslagen des Angeklagten B. trägt die Staatskasse.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten B. wegen „vorsätzlichen Subventionsbetrugs im besonders schweren Fall in<br />

Tateinheit mit Urk<strong>und</strong>enfälschung in jeweils 10 Fällen“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> neun<br />

Monaten verurteilt. Gegen den Angeklagten K. <strong>und</strong> den früheren Mitangeklagten D. , der keine Revision eingelegt<br />

hat, hat es jeweils wegen leichtfertig begangenen Subventionsbetrugs in zwei Fällen eine zur Bewährung ausgesetzte<br />

Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verhängt. Die Revision des Angeklagten B. hat den aus dem Tenor ersichtlichen<br />

Teilerfolg. Seine weitergehende Revision <strong>und</strong> die Revision des Angeklagten K. insgesamt sind aus den in<br />

der Antragsschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts genannten Gründen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

I. Nach den Feststellungen des Landgerichts erlangte der Angeklagte B. unberechtigt Subventionen, wobei er gefälschte<br />

Belege für angeblich getätigte Investitionen vorlegte. Im Zeitraum von November 2001 bis April 2004 stellte<br />

der Angeklagte B. , um Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln zu erlangen, bei der Bezirksregierung Braunschweig<br />

bzw. der Bank in Hannover für fünf verschiedene Firmen jeweils einen sogenannten Finanzierungshilfeantrag, in<br />

308


dem die anzuschaffenden Wirtschaftsgüter nach Art, Anzahl <strong>und</strong> Preis detailliert aufgeführt waren. Tatsächlich wollte<br />

der Angeklagte B. entgegen seinen Angaben in den Finanzierungshilfeanträgen jedoch keine neuen Wirtschaftsgüter<br />

anschaffen, sondern mit den Zuschüssen Finanzierungslücken in den Firmen schließen. Nach Prüfung der Förderungsfähigkeit<br />

der angemeldeten Investitionen wurden fünf Bewilligungsbescheide erlassen, in denen Zuschüsse bis<br />

zu einer bestimmten Höhe bewilligt wurden. In der Folgezeit reichte der Angeklagte B. , um die Finanzierungsmittel<br />

abzurufen, sogenannte Mittelanforderungsanträge ein. Diesen Anträgen fügte er, um die angeblich getätigten Investitionen<br />

zu belegen, gefälschte Steuerberatertestate bzw. gefälschte Eingangsrechnungen bei. Auf diese Weise erlangte<br />

der Angeklagte aufgr<strong>und</strong> von insgesamt zehn Mittelanforderungsanträgen (jeweils zwei pro Firma) fast 1,28 Mio.<br />

Euro an Zuschüssen. Das Landgericht hat auf die Mittelanforderungsanträge abgestellt <strong>und</strong> dementsprechend zehn<br />

Fälle des Subventionsbetrugs ausgeurteilt, für die es Einzelfreiheitsstrafen von einmal neun Monaten, siebenmal<br />

einem Jahr <strong>und</strong> zweimal einem Jahr neun Monaten verhängt hat.<br />

II. 1. Auf die Sachrüge des Angeklagten B. war der Schuldspruch auf fünf Fälle des Subventionsbetrugs, jeweils in<br />

Tateinheit mit Urk<strong>und</strong>enfälschung abzuändern. Die Annahme von zehn zueinander in Tatmehrheit stehenden Einzeltaten<br />

durch das Landgericht ist rechtsfehlerhaft. Der jeweilige Finanzierungshilfeantrag <strong>und</strong> die dazugehörigen beiden<br />

Mittelanforderungsanträge sind eine Tat (§ 52 Abs. 1 StGB) des Subventionsbetrugs (§ 264 Abs. 1 Nr. 1 StGB).<br />

a) Ein Anwendungsfall der Bewertungseinheit (sogenannte rechtliche Handlungseinheit) ist auch dann gegeben,<br />

wenn mehrere Handlungen im natürlichen Sinn eine sukzessive (fortlaufende) Tatausführung zur Erreichung eines<br />

einheitlichen Erfolges darstellen (vgl. dazu Rissing-van Saan in LK 12. Aufl. Vor § 52 Rdn. 36; Stree/Sternberg-<br />

Lieben in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. Vorbem. §§ 52 ff. Rdn. 10 ff.; 18). So liegt es hier. Der Bewilligungsbescheid<br />

ist im zweistufigen Subventionsvergabeverfahren die notwendige Zwischenstufe, um die Auszahlung der<br />

Geldmittel (regelmäßig das eigentlich vom Antragsteller erstrebte Tatziel) zu erreichen. Auch die einzelnen Handlungsakte,<br />

d. h. der auf den Bewilligungsbescheid gerichtete Antrag <strong>und</strong> derjenige auf Abrufen der Geldmittel, gehören<br />

inhaltlich zusammen. Insoweit ist die Rechtslage dem Verhältnis zwischen Eingehungs- <strong>und</strong> Erfüllungsbetrug<br />

vergleichbar, bei dem in bestimmten Konstellationen ebenfalls von einer einheitlichen Tat auszugehen ist (vgl. dazu<br />

BGH NStZ 1997, 542, 543 m.w.N.; vgl. auch BGH wistra 2007, 21, 22).<br />

b) Dass der Subventionsbetrug ein verselbstständigtes Tätigkeitsdelikt im Vorfeld des Betrugs ist, der unter anderem<br />

in der Vorschrift des § 264 Abs. 1 Nr. 1 StGB keinen tatbestandlichen Erfolg voraussetzt (vgl. dazu auch BGHSt 34,<br />

265, 267 f.), steht der Annahme einer Bewertungseinheit nicht entgegen. Denn mit dem Eingang des Finanzierungshilfeantrags<br />

bei der Subventionsstelle ist der Subventionsbetrug zwar vollendet, aber noch nicht beendet (Tröndle/Fischer,<br />

StGB 54. Aufl. § 264 Rdn. 38; Lenckner/Perron in Schönke/Schröder aaO § 264 Rdn. 66; Wohlers in<br />

MünchKomm-StGB 2003 § 264 Rdn. 116, 117). Dies bedeutet, dass mit dem Eingang des Mittelanforderungsantrags<br />

in der Phase zwischen Vollendung <strong>und</strong> Beendigung der Angriff auf das öffentliche Vermögen als das von § 264<br />

StGB geschützte Rechtsgut lediglich fortgesetzt wird. Soweit das Oberlandesgericht München (wistra 2006, 275,<br />

276) für die Frage des Beginns der Verjährungsfrist (§ 78a Satz 1 StGB) eine hiervon abweichende Auffassung vertreten<br />

hat, ist dem nicht zu folgen. Dass der Subventionsbetrugstatbestand keinen Vermögensschaden voraussetzt,<br />

bedeutet nicht zwangsläufig den Abschluss des Subventionsbetrugs mit Eingang der ersten unrichtigen oder unvollständigen<br />

Angaben in tatsächlicher Hinsicht. Der Antragsteller hat vor den Auszahlungen auf der Gr<strong>und</strong>lage des<br />

ungerechtfertigten Subventionsbescheids sein Vorhaben, Subventionen zu erschleichen, nicht erfolgreich abgeschlossen<br />

(vgl. auch § 78a Satz 2 StGB). Schließlich findet die hiesige Auffassung eine Bestätigung durch die Beurteilung<br />

des Konkurrenzverhältnisses des Subventionsbetrugs zum Betrug. Der Tatbestand des § 264 StGB verdrängt<br />

auch dann den des § 263 StGB, wenn die ungerechtfertige Subvention tatsächlich gewährt wird <strong>und</strong> damit das Vermögen<br />

der öffentlichen Hand geschädigt ist (BGHSt 44, 233, 243; BGHSt 32, 203, 206 f.). Sollten die Voraussetzungen<br />

des Subventionsbetrugs im Einzelfall aber nicht vorliegen, kommt § 263 StGB wieder zur Anwendung<br />

(BGHSt 44, 233, 243). Dann kann das Vorliegen von Bewertungseinheit bei mehreren Anträgen in einem einheitlichen<br />

Subventionsvergabeverfahren aber nicht anders beurteilt werden als bei dem verdrängten Betrug.<br />

2. Die Änderung des Schuldspruchs führt zum Wegfall von fünf Einzelstrafen. Indes können die innerhalb eines<br />

Subventionsvergabeverfahrens, hier also in Bezug auf die einzelnen Firmen, verhängten jeweils höheren Einzelstrafen<br />

bestehen bleiben (§ 354 Abs. 1 StPO).<br />

3. Die nunmehr aus den verbliebenen Einzelfreiheitsstrafen von dreimal einem Jahr <strong>und</strong> zweimal einem Jahr <strong>und</strong><br />

neun Monaten zu bildende Gesamtfreiheitsstrafe setzt der Senat, dem Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts folgend, auf<br />

zwei Jahre <strong>und</strong> sechs Monate herab. Mehr als eine solche geringfügige Sanktionsreduzierung ist bei unverändertem<br />

Gesamtschuldgehalt nicht gerechtfertigt.<br />

III. Der Senat sieht von einer Schuldspruchänderung beim Nichtrevidenten D. ab, dem zwar auch nur eine Subvention,<br />

aber mit dem etwas anders gelagerten Vorwurf nur leichtfertiger Begehungsweise angelastet wird. Eine andere<br />

309


als die verhängte Gesamtstrafe käme bei ihm angesichts des unverändert gebliebenen Schuld- <strong>und</strong> Unrechtsgehalts<br />

der Tat <strong>und</strong> der Höhe der verhängten beiden Einzelstrafen als Strafe nicht in Betracht.<br />

StGB § 265 Abs. 1, § 306 b Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1<br />

BGH, Beschl. vom 15.03.2007 – 3 StR 454/06 - NJW 2007, S. 2130 ff.<br />

LS: 1. Der mit der schweren Brandstiftung nach § 306 a Abs. 1 Nr. 1 StGB gleichzeitig verwirklichte<br />

Versicherungsmissbrauch gegenüber der Gebäudeversicherung ist keine andere Straftat im Sinne<br />

des § 306 b Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB, die der Täter durch die Brandlegung zu ermöglichen beabsichtigt.<br />

2. Dieser Qualifikationstatbestand ist auch dann nicht verwirklicht, wenn der Täter durch das Feuer<br />

in dem Wohngebäude befindliches Inventar eines Dritten zerstören <strong>und</strong> damit eine Sachbeschädigung<br />

begehen will, um dem Dritten Leistungen aus dessen Hausratversicherung zu verschaffen.<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers <strong>und</strong> des Generalb<strong>und</strong>esanwalts<br />

- zu 2. auf dessen Antrag - am 15. März 2007 gemäß § 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 StPO einstimmig beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 11. August 2006<br />

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der schweren Brandstiftung in Tateinheit mit Versicherungsmissbrauch<br />

schuldig ist;<br />

b) im Strafausspruch aufgehoben; die zugehörigen Feststellungen werden jedoch aufrechterhalten.<br />

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat gegen den Angeklagten wegen (besonders) schwerer Brandstiftung (§ 306 b Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1<br />

StGB) <strong>und</strong> wegen Versicherungs-missbrauchs (§ 265 Abs. 1 StGB) unter Einbeziehung der Einzelgeldstrafen aus<br />

einer früheren Verurteilung auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren erkannt. Mit seiner hiergegen gerichteten<br />

Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge<br />

den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349<br />

Abs. 2 StPO.<br />

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts setzte der Angeklagte das Wohnhaus seiner Familie in Brand, das im<br />

Eigentum der von ihm adoptierten vier Kinder seiner Ehefrau stand. Er handelte dabei in der Absicht, seiner Schwiegermutter<br />

- der Voreigentümerin des Hauses, die sich bei dessen Übereignung den lebenslangen Nießbrauch daran<br />

vorbehalten hatte - Leistungen aus deren Wohn-Gebäudeversicherung <strong>und</strong> seiner Ehefrau Leistungen aus der Hausratversicherung<br />

zu verschaffen, die sie für das in ihrem Alleineigentum stehende Inventar abgeschlossen hatte. Hierdurch<br />

wollte er die Neuerrichtung des Gebäudes finanzieren sowie Barmittel zur Neuanschaffung des Inventars erlangen.<br />

Beide Versicherungsnehmerinnen waren in das Vorhaben des Angeklagten nicht eingeweiht. Die Gebäudeversicherung<br />

hat bisher ca. 289.000 € für den Wiederaufbau des bis auf die Gr<strong>und</strong>mauern niedergebrannten Gebäudes<br />

geleistet. Die Hausratversicherung hat dagegen noch keine Zahlungen vorgenommen.<br />

2. Bei diesem Sachverhalt hat sich der Angeklagte nicht einer besonders schweren Brandstiftung nach § 306 b Abs. 2<br />

Nr. 2 Alt. 1 StGB schuldig gemacht.<br />

a) Das Landgericht hat die Verurteilung des Angeklagten nach dieser Vorschrift nicht darauf gestützt, dass er mit der<br />

Brandstiftung einen Betrug (§ 263 StGB) zum Nachteil des Gebäude- oder des Hausratversicherers beabsichtigt<br />

haben könnte. Diese Würdigung entspricht auf der Gr<strong>und</strong>lage der getroffenen Feststellungen der Rechtslage. Sie<br />

folgt zwar entgegen der Ansicht der Revision nicht daraus, dass diese Norm wegen ihrer erheblichen Strafandrohung<br />

einschränkend ausgelegt werden müsste <strong>und</strong> entgegen ihrem Wortlaut nur dann Anwendung finden könnte, wenn die<br />

Straftat, die der Täter durch die Brandlegung ermöglichen will, gerade durch die besonderen Wirkungen der mit dem<br />

Brand verb<strong>und</strong>enen Gemeingefahr gefördert werden soll. Eine solche einschränkende Auslegung würde weder dem<br />

Wortlaut der Vorschrift, noch ihrer Entstehungsgeschichte gerecht <strong>und</strong> erschiene auch aus systematischen Erwägungen<br />

nicht überzeugend (BGHSt 45, 211, 216 ff.; vgl. Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 306 b Rdn. 9 ff. m. zahlr. w.<br />

N. zum Meinungsstreit). Entscheidend ist vielmehr, dass der Angeklagte keinen Betrug zum Nachteil der betroffenen<br />

310


Versicherer beabsichtigt hat. In der geplanten Inanspruchnahme der Versicherung lag weder ein Betrug durch die<br />

Schwiegermutter noch ein Betrug durch den Angeklagten in mittelbarer Täterschaft. Da seine Schwiegermutter in<br />

sein Vorhaben nicht eingeweiht war <strong>und</strong> der Angeklagte ersichtlich auch nicht als deren Repräsentant im versicherungsrechtlichen<br />

Sinne angesehen werden kann, dessen Verhalten sie sich zurechnen lassen muss, war die Versicherung<br />

zum Eintritt verpflichtet. Der Angeklagte hat dementsprechend nicht beabsichtigt, dem Gebäudeversicherer<br />

einen rechtswidrigen Vermögensnachteil zuzufügen <strong>und</strong> sich oder seine Schwiegermutter zu Unrecht zu bereichern.<br />

Entsprechendes gilt für die Hausratversicherung. Auch insofern ergeben die Urteilsgründe keinen Anhaltspunkt, dass<br />

der Angeklagte eine betrügerische Inanspruchnahme des Versicherers durch seine Ehefrau beabsichtigte. Diese kannte<br />

seinen Tatplan nicht. Sie konnte daher die Hausratversicherung berechtigt in Anspruch nehmen; denn sie musste<br />

sich das Verhalten ihres Ehemannes nicht zurechnen lassen, da allein seine Mitobhut über die gemeinsame Wohnung<br />

zur Annahme einer Repräsentantenstellung im versicherungs-rechtlichen Sinne nicht genügte (BGH VersR 1965,<br />

425, 429; Prölss/Martin, VVG § 6 Rdn. 76 m. w. N.) <strong>und</strong> sonstige Umstände, die seine Stellung als Repräsentant<br />

hätten begründen können (vgl. Prölss/Martin aaO), fehlen.<br />

b) Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist ein tatbestandsmäßiges Handeln im Sinne des § 306 b Abs. 2 Nr. 2<br />

Alt. 1 StGB aber auch nicht im Hinblick darauf gegeben, dass der Angeklagte einen Versicherungsmissbrauch durch<br />

das Zerstören des Gebäudes beabsichtigt hatte. Allerdings trifft zu, dass er eine Straftat nach § 265 StGB durch<br />

Inbrandsetzen des Gebäudes beabsichtigte.<br />

aa) Dieses Delikt stellt indes schon bei wortsinngerechter Auslegung des § 306 b Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB keine von<br />

der schweren Brandstiftung (§ 306 a Abs. 1 Nr. 1 StGB) abgrenzbare "andere Straftat" dar, die der Angeklagte durch<br />

die Brandlegung zu ermöglichen trachtete. Der Angeklagte hat durch die Brandlegung keine andere Straftat ermöglicht,<br />

sondern durch eine Handlung gleichzeitig zwei Straftaten begangen. Durch das Inbrandsetzen des versicherten<br />

Gebäudes hat er sowohl den objektiven Tatbestand des § 306 a Abs. 1 Nr. 1 StGB als auch denjenigen des § 265<br />

Abs. 1 StGB verwirklicht. Tathandlung <strong>und</strong> Tatobjekt der schweren Brandstiftung <strong>und</strong> des Versicherungsmissbrauchs<br />

zu Lasten der Gebäudeversicherung (zur Hausratversicherung s. unten c) stimmen deckungsgleich überein;<br />

mit der durch die Brandlegung bewirkten Zerstörung des Gebäudes war auch der Versicherungsmissbrauch vollendet.<br />

Allein der Umstand, dass der Angeklagte aufgr<strong>und</strong> seiner Tatmotivation durch seine einheitliche Tathandlung<br />

nicht nur das Schutzgut des § 306 a Abs. 1 Nr. 1 StGB, sondern auch dasjenige des § 265 Abs. 1 StGB angriff, reicht<br />

zur Verwirklichung des § 306 b Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB nicht aus.<br />

bb) Dieses - schon vom Wortlaut der Vorschrift nahe liegende - Ergebnis entspricht im Übrigen der Auslegung des<br />

entsprechenden Qualifikationsmerkmals in § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. b <strong>und</strong> § 211 Abs. 2 StGB, auf die bei der<br />

Anwendung von § 306 b Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB in besonderem Maße zurückgegriffen werden kann (BGHSt 45,<br />

211, 217; BGH NJW 2000, 3581 f.): Eine gewisse Parallele zeigt sich etwa zu dem Fall eines gefährlichen Eingriffs<br />

in den Straßenverkehr (§ 315 b Abs. 1 StGB), der gleichzeitig sämtliche objektiven Merkmale eines Widerstands<br />

gegen Vollstreckungsbeamte erfüllt. Da hier die Widerstandshandlung aus der Sicht des Täters nicht durch den gefährlichen<br />

Eingriff ermöglicht oder zumindest erleichtert wird, vielmehr objektiv <strong>und</strong> nach der Vorstellung des Täters<br />

eine einheitliche Tat vorliegt, ist § 315 b Abs. 3 i. V. m § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. b StGB nicht erfüllt (BGH<br />

NZV 1995, 285). Dass die Widerstandshandlung gleichzeitig sowohl die Sicherheit von Leib <strong>und</strong> Leben anderer im<br />

öffentlichen Straßenverkehr als auch das Allgemeininteresse an der Durchsetzung rechtmäßiger staatlicher Vollzugsakte<br />

(vgl. BGHSt 21, 334, 365; Bosch in MünchKomm-StGB § 113 Rdn. 1) angreift, wird - zu Recht - zur Annahme<br />

der Ermöglichungsabsicht nicht als ausreichend angesehen. Ebenso scheidet die Annahme des entsprechenden<br />

Mordmerkmals aus, wenn die Tötung nicht funktionales Mittel zur Verwirklichung weiteren Unrechts darstellt, sondern<br />

sich völlig in der Begehung der gleichzeitig vollzogenen anderen Straftat erschöpft (vgl. Schneider in Münch-<br />

Komm-StGB § 211 Rdn. 199).<br />

c) Die Anwendbarkeit des § 306 b Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB folgt hier auch nicht daraus, dass der Angeklagte nicht<br />

nur das Gebäude, sondern gezielt auch das darin befindliche Inventar in Brand setzte, um seiner Ehefrau Leistungen<br />

aus der Hausratversicherung zu verschaffen.<br />

aa) Zwar hat er durch die Brandlegung nicht nur eine schwere Brandstiftung, sondern auch (bezogen auf die Gegenstände<br />

des Inventars) einen Versicherungsmissbrauch <strong>und</strong> tateinheitlich (RG JW 1935, 2372; Heine in Schönke/Schröder,<br />

StGB 27. Aufl. § 306 Rdn. 24; Tröndle/Fischer aaO § 306 Rdn. 24; aA Wolters/Horn in SK-StGB -<br />

Stand April 2006 - § 306 Rdn. 21; Radtke in MünchKomm-StGB § 306 Rdn. 68: Konsumtion) eine Sachbeschädigung<br />

(§ 303 Abs. 1 StGB) begangen. Diese Beschädigung oder Zerstörung der zum Inventar zählenden Sachen stellt<br />

auch einen weitergehenden, von § 306 a StGB nicht erfassten Erfolg dar. Indes macht der Umstand, dass die<br />

Inbrandsetzung des Wohngebäudes auch als Tatmittel zur Zerstörung des Inventars diente, die Sachbeschädigung im<br />

Verhältnis zur schweren Brandstiftung nicht zu einer anderen Straftat im Sinne des § 306 b Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB.<br />

311


Da sich die Tathandlung des Angeklagten auf die Inbrandsetzung des Gebäudes beschränkte <strong>und</strong> hieran zur Zerstörung<br />

des Inventars keine andere Tathandlung anknüpfen sollte, rechtfertigt der von ihm erstrebte, über § 306 a Abs. 1<br />

Nr. 1 StGB hinausgehende Taterfolg nicht die Annahme, es lägen zwei Straftaten vor, von denen nach der Vorstellung<br />

des Angeklagten die eine durch die andere ermöglicht werden sollte. Vielmehr hat der Angeklagte durch eine<br />

einheitliche Handlung den Taterfolg sowohl der schweren Brandstiftung als auch den der Sachbeschädigung herbeiführen<br />

wollen <strong>und</strong> herbeigeführt.<br />

bb) Auch dies stimmt mit dem Verständnis der Ermöglichungsabsicht in § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. b StGB überein.<br />

Beabsichtigt der Täter etwa, durch einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr einen anderen Verkehrsteilnehmer<br />

zum Anhalten zu zwingen, so führt er nicht nur vorsätzlich eine Gefährdung im Sinne des § 315 b Abs. 1<br />

StGB herbei, sondern will den gefährlichen Eingriff gleichzeitig als Tatmittel eines Angriffs auf die freie Willensbetätigung<br />

einsetzen <strong>und</strong> hierdurch unmittelbar einen Nötigungserfolg im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB erreichen. Dies<br />

ändert an der Identität der Tathandlung indessen nichts <strong>und</strong> führt daher nicht zur Anwendung des § 315 b Abs. 3 i. V.<br />

m. § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. b StGB (BGH NStZ-RR 2001, 298). Selbst wenn der Täter mit Tötungsvorsatz handelt,<br />

ergibt sich kein anderes Ergebnis (vgl. Altvater NStZ 2002, 20, 23). Hier greift vielmehr allein die gesonderte<br />

Qualifikationsnorm des § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a StGB ein (abweichend Barnickel in MünchKomm-StGB § 315<br />

Rdn. 95: Konsumtion des § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. b durch § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a StGB).<br />

cc) Allerdings hat die Rechtsprechung zu § 307 Nr. 2 StGB aF angenommen, dass dieser Qualifikationstatbestand<br />

auch dann verwirklicht sei, wenn die schwere Brandstiftung unter den Voraussetzungen eines Mordmerkmals gleichzeitig<br />

der Tötung eines Menschen dienen, die Brandlegung also als unmittelbares Tatmittel zur Herbeiführung des<br />

Todes wirken sollte, ohne dass es aus Sicht des Täters eines weiteren Handlungsaktes bedurfte (BGHSt 20, 246, 247;<br />

40, 106, 107; BGH NJW 1985, 1477, 1478). Dies ist für die Anwendbarkeit des § 306 b Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB auf<br />

den hier zu beurteilenden Sachverhalt indessen ohne Belang. Schon in der die zitierte Rechtsprechung begründenden<br />

Entscheidung BGHSt 20, 246 wurde anerkannt, dass dem Wortlaut des § 307 Nr. 2 StGB aF eher eine Auslegung<br />

entsprochen hätte, wonach die Tötung, die unmittelbar durch die schwere Brandstiftung verwirklicht werden soll,<br />

nicht als ein von dieser abgrenzbarer Mord anzusehen ist, den der Täter unter Ausnutzung der Brandlegung zu begehen<br />

beabsichtigt (die anderen in § 307 Nr. 2 StGB aF genannten Verbrechen konnten ohnehin nicht allein durch die<br />

reine Brandstiftung verwirklicht werden). Dennoch wurde der Vorschrift aus Gründen der Systematik, namentlich<br />

der Strafwürdigkeit ein anderes Verständnis entnommen: Die Brandstiftung in der Absicht, in den Flammen einen<br />

Menschen umkommen zu lassen, sei ebenso "strafwürdig, wie wenn im streng wörtlichen Sinne unter der Begünstigung<br />

der Brandstiftung ein Mord oder Totschlag verübt werden soll". Der weitergehende Sinn der Vorschrift werde<br />

besonders deutlich, wenn man sich vergegenwärtige, dass nach früherem (im Zeitpunkt der damaligen Entscheidung<br />

bereits geändertem) Recht die Strafmilderung beim Versuch zwingend vorgeschrieben gewesen sei. Bei einer am<br />

Wortlaut haftenden Auslegung hätte dies zur Folge gehabt, dass nach früherem Recht bei einem Mordversuch in<br />

Tateinheit mit schwerer Brandstiftung nur ein Strafrahmen von drei bis fünf-zehn Jahren Zuchthaus zur Verfügung<br />

gestanden hätte, während die Brandstiftung in der Absicht, unter ihrer Begünstigung mit anderen Mitteln einen Mord<br />

zu begehen, mit Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder mit lebenslangem Zuchthaus (so die Strafandrohung des §<br />

307 StGB aF vor dessen Änderung durch das 1. StrRG vom 25. Juni 1969, BGBl I 645 ff.) zu bestrafen gewesen<br />

wäre <strong>und</strong> dies selbst dann, wenn das Tötungsdelikt nicht einmal zum Versuch gediehen war (BGHSt 20, 246, 247).<br />

Es erscheint dem Senat bereits zweifelhaft, ob diese Rechtsprechung zu einer in Mordabsicht begangenen schweren<br />

Brandstiftung auf § 306 b Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB übertragen werden kann (so aber - tragend - BGH, Beschl. vom<br />

10. Juni 1999 - 4 StR 60/99); denn in dessen engeren Wortsinn setzt - wie oben dargelegt - das Ermöglichen einer<br />

anderen Straftat ebenso wie das Aus-nutzen der schweren Brandstiftung zur Begehung eines Mordes nach altem<br />

Recht eigentlich voraus, dass zu der Brandlegung nach der Vorstellung des Täters zumindest ein weiterer Handlungsakt<br />

hinzutreten soll, um den Tötungserfolg herbeizuführen (so auch - entgegen der herrschenden Ansicht im<br />

Schrifttum - Wolters/Horn aaO § 306 b Rdn. 11 b m. w. N. zum Meinungsstreit). Dies bedarf hier jedoch keiner<br />

abschließenden Entscheidung. Denn jedenfalls kann die Rechtsprechung, die sich allein zu einer Tatbestandsvariante<br />

des § 307 Nr. 2 StGB aF verhielt <strong>und</strong> davon geleitet war, als unangemessen empf<strong>und</strong>ene - im geltenden Recht so<br />

nicht mehr vorhandene - Strafrahmendivergenzen auszugleichen, nicht umfassend zur Auslegung des § 306 b Abs. 2<br />

Nr. 2 Alt. 1 StGB herangezogen werden, der die Absicht der Ermöglichung einer beliebigen anderen Straftat zur<br />

Erfüllung des Qualifikationstatbestandes genügen lässt. Daher hat es jedenfalls dann, wenn der Täter durch den von<br />

ihm gelegten Brand des Wohngebäudes zugleich darin befindliche Sachen eines Dritten zerstören will, bei dem<br />

Gr<strong>und</strong>satz zu verbleiben, dass die unmittelbar mit der Tathandlung des Gr<strong>und</strong>delikts ohne weiteren Tätigkeitsakt<br />

beabsichtigte Herbeiführung eines über das Gr<strong>und</strong>delikt hinausgehenden, strafrechtlichen relevanten Erfolges den<br />

Qualifikationstatbestand des Ermöglichens einer anderen Straftat nicht erfüllt. Ein anderes Verständnis würde, wie<br />

312


der hier zu beurteilende Sachverhalt exemplarisch belegt, die Höhe der Strafandrohung gegebenenfalls an Zufälligkeiten<br />

im Tatgeschehen knüpfen, die unter dem Aspekt der Strafwürdigkeit gerade keine Differenzierung rechtfertigen.<br />

Denn hätte der Angeklagte zunächst Inventargegenstände seiner Ehefrau angezündet, damit das Feuer von diesen<br />

auf das Gebäude übergreift, hätte er sich allein der Sachbeschädigung (die keinen dem § 306 b Abs. 2 Nr. 2 Alt.<br />

1 StGB entsprechenden Qualifikationstatbestand kennt) in Tateinheit mit schwerer Brandstiftung schuldig gemacht,<br />

so dass ihm - lediglich - Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr (§ 306 a Abs. 1 Nr. 1 StGB, § 52 Abs. 2 Satz 1 StGB)<br />

oder, bei Annahme eines minder schweren Falles (§ 306 a Abs. 3 StGB, § 52 Abs. 2 Satz 1 StGB), von sechs Monaten<br />

bis fünf Jahren gedroht hätte. Bei Ausbringung des Brandbeschleunigers auf wesentliche Bestandteile des Gebäudes<br />

in der Absicht, dass die Flammen von dort auf das Inventar übergreifen, wäre dagegen eine Freiheitsstrafe<br />

nicht unter fünf Jahren verwirkt gewesen. Ein tragfähiger Gr<strong>und</strong> für diesen erheblichen Unterschied in der Strafdrohung<br />

lässt sich aber weder im objektiven noch im subjektiven Tatbild der beiden Sachverhaltsvarianten finden.<br />

3. Die Verurteilung wegen besonders schwerer Brandstiftung hat daher keinen Bestand. Da ausgeschlossen werden<br />

kann, dass in einer neuen Hauptverhandlung noch Feststellungen zu einer betrügerischen Absicht des Angeklagten<br />

getroffen werden können, ändert der Senat den Schuldspruch dahin ab, dass der Angeklagte der schweren Brandstiftung<br />

(§ 306 a Abs. 1 Nr. 1 StGB) in Tateinheit mit Versicherungsmissbrauch (§ 265 Abs. 1 StGB) schuldig ist. Da<br />

beide Delikte durch dieselbe Tathandlung verwirklicht wurden, liegt entgegen der Auffassung des Landgerichts eine<br />

Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB vor. Die vom Angeklagten ebenfalls tateinheitlich verwirklichte Sachbeschädigung<br />

kann nicht abgeurteilt werden, da seine Ehefrau keinen Strafantrag gestellt <strong>und</strong> die Staatsanwaltschaft<br />

das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung nicht bejaht hat, sodass ein Verfolgungshindernis besteht<br />

(§ 303 c StGB). § 265 Abs. 1 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, da dem Angeklagten bereits in<br />

der Anklageschrift schwere Brandstiftung in Tateinheit mit Versicherungsbetrug vorgeworfen worden war. Die Änderung<br />

des Schuldspruchs führt zur Aufhebung des Strafausspruchs; jedoch können die diesbezüglichen bisherigen<br />

Feststellungen aufrechterhalten werden, da sie rechtsfehlerfrei getroffen worden sind. Neue zu-messungsrelevante<br />

Feststellungen darf die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer daher nur treffen, wenn sie zu den bisherigen<br />

nicht in Widerspruch stehen.<br />

StGB § 266 Abs. 1; StPO § 22 Nr. 1, § 338 Nr. 1 – Fall Kanther<br />

BGH, Urt. vom 18.10.2006 – 2 StR 499/05 - NStZ 2006, 646 = NJW 2007, 1760 ff.<br />

LS: 1. Ein Richter ist nicht deshalb als Verletzter einer Untreue gemäß § 22 Nr. 1 StPO von der<br />

Entscheidung ausgeschlossen, weil die angeklagte Vermögensstraftat sich gegen eine als nichtrechtsfähiger<br />

Verein organisierte politische Partei richtete, deren Mitglied er ist.<br />

2. Das pflichtwidrige Entziehen <strong>und</strong> Vorenthalten erheblicher Vermögenswerte unter Einrichtung<br />

einer treuhänderisch verwalteten „schwarzen Kasse“ durch Verantwortliche einer politischen Partei<br />

führt auch dann zu einem Nachteil im Sinne von § 266 Abs. 1 StGB, wenn durch Einsatz der<br />

vorenthaltenen Mittel unter Umgehung der satzungsgemäßen Organe politische oder sonstige Zwecke<br />

der Partei nach dem Gutdünken des Täters gefördert werden sollen (im Anschluss an BGHSt<br />

40, 287).<br />

3. Zu den Voraussetzungen des bedingten Vorsatzes eines Gefährdungsschadens bei der Untreue.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. Oktober 2006 aufgr<strong>und</strong> der Hauptverhandlung<br />

vom 6. September 2006 für Recht erkannt:<br />

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 18. April 2005 mit den zugehörigen<br />

Feststellungen aufgehoben, soweit die Angeklagten wegen Untreue bzw. wegen Beihilfe zur Untreue<br />

durch Beteiligung an der Vorlage unrichtiger Rechenschaftsberichte der CDU-Deutschlands beim Präsidenten des<br />

Deutschen B<strong>und</strong>estages verurteilt worden sind, sowie in den Strafaussprüchen.<br />

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten der<br />

Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

3. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.<br />

313


Gründe:<br />

I. Das Landgericht hat den Angeklagten K. wegen Untreue zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr <strong>und</strong> sechs Monaten<br />

verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Den Angeklagten W. hat es wegen Beihilfe zur<br />

Untreue zu einer Geldstrafe von 360 Tagessätzen zu je 170 Euro verurteilt.<br />

1. Das Landgericht hat zur Vorgeschichte der Taten unter anderem Folgendes festgestellt:<br />

a) Der Angeklagte K. war von 1970 bis 1987 Geschäftsführer des Landesverbandes Hessen der Christlich-<br />

Demokratischen Union Deutschlands (CDU), von 1980 bis 1987 Generalsekretär <strong>und</strong> von 1991 bis Januar 1998<br />

Landesvorsitzender der CDU Hessen (im Folgenden: Landesverband). Von 1992 bis Ende 1998 war er Mitglied des<br />

Vorstands <strong>und</strong> des Präsidiums des B<strong>und</strong>esverbands der CDU Deutschlands (im Folgenden: B<strong>und</strong>esverband). Der<br />

Angeklagte W. war ab 1977 bis 2000 in einer eigenen Kanzlei als Wirtschaftsprüfer <strong>und</strong> Steuerberater tätig. Im<br />

Rahmen eines umfangreichen bis 1999 bestehenden Mandats betreute der Angeklagte sowohl Angelegenheiten des<br />

B<strong>und</strong>esverbands als auch solche des Landesverbands. Unter anderem prüfte er die Rechenschaftsberichte der CDU<br />

Hessen für die Jahre 1994 bis 1997 <strong>und</strong> erstellte die Testate. Der frühere Mitangeklagte Wi. hatte seit 1976 das Amt<br />

des Schatzmeisters des Landesverbands inne. In der zweiten Hälfte der 70er Jahre bis 1983 entstand aus verschiedenen<br />

Quellen - namentlich Wahlkampf-Kosten-Erstattungen, Zinseinnahmen sowie Zuwendungen unbekannter, vom<br />

Landgericht nicht aufgeklärter Herkunft - ein erhebliches Geldvermögen des Landesverbands, das in dessen offiziellem<br />

Rechnungswesen nicht aufgeführt war. Es wurde ab 1979 auf verschiedenen Konten <strong>und</strong> Depots der M. bank F.<br />

angelegt. Kontoinhaber war der Landesverband; er wurde jedoch unter verdeckter Bezeichnung geführt. Einzelvollmachten<br />

besaßen nur Wi. <strong>und</strong> der Angeklagte K. , der von den verdeckten Mitteln zwischen 1979 <strong>und</strong> 1983 Kenntnis<br />

erlangte; den übrigen Mitgliedern des Landesvorstands waren weder diese sog. "C-Konten" (oder "Vorkonten") noch<br />

das sog. "Sondervermögen" überhaupt bekannt. Die Höhe des verdeckten Vermögens betrug 1979 7,2 Mio. DM,<br />

1982 ca. 15 Mio. DM, im Jahr 1983 ca. 22,4 Mio. DM.<br />

b) Im Jahr 1983 wurden in der Folge der sog. Flick-Affäre durch das Gesetz vom 22. Dezember 1983 umfangreiche<br />

Änderungen des Parteiengesetzes beschlossen, die zum 1. Januar 1984 in Kraft traten <strong>und</strong> eine Rechenschaftspflicht<br />

der politischen Parteien über Herkunft <strong>und</strong> Verwendung ihrer Mittel vorsahen. Der Kommission, die die Vorschläge<br />

zur Neufassung vorbereitet hatte, gehörte auch der Angeklagte W. an. Vor dem Hintergr<strong>und</strong> der zur Änderung des<br />

Parteiengesetzes führenden Diskussionen beschlossen der Angeklagte K. <strong>und</strong> Wi. , die verdeckten Vermögenswerte<br />

nicht zu offenbaren <strong>und</strong> durch Verbringen auf ausländische Konten weitergehende Geheimhaltung zu sichern; sie<br />

wollten so eine Diskussion über die Herkunft der Mittel vermeiden <strong>und</strong> diese für politische Zwecke der CDU Hessen<br />

sichern. Überdies sollten mögliche Forderungen <strong>und</strong> Verwendungsvorschläge aus dem Landesverband <strong>und</strong> dessen<br />

selbständigen Untergliederungen sowie aus dem B<strong>und</strong>esverband verhindert werden. In der zweiten Jahreshälfte 1983<br />

beschlossen daher K. <strong>und</strong> Wi. , das Geld von den "Vorkonten" bei der M. bank in die Schweiz zu transferieren <strong>und</strong><br />

eigenmächtig ohne Beschlüsse oder Auftrag des Landesvorstands zur Verwendung für Zwecke der CDU Hessen<br />

nach <strong>und</strong> nach zurückzuführen. Der Angeklagte W. erfuhr erstmals im Dezember 1983 von den "Vorkonten". Ihm<br />

wurde der Auftrag erteilt, den auf den "C-Konten" vorhandenen Geldbetrag verdeckt in die Schweiz zu verlagern<br />

<strong>und</strong> treuhänderisch zu verwalten. Ein entsprechender Treuhandvertrag wurde am 22.12.1983 geschlossen; als Vertreter<br />

des Treugebers - des Landesverbands - traten der Angeklagte K. <strong>und</strong> Wi. auf. In Ausführung des Auftrags hob der<br />

Angeklagte W. das gesamte Guthaben von zusammen ca. 22,4 Mio. DM in acht Teilbeträgen bar von den Konten bei<br />

der M. bank ab, zahlte es auf ein "Zwischenkonto" mit verschleiertem Kontoinhaber bei einer anderen Bank ein <strong>und</strong><br />

transferierte davon schließlich 20,8 Mio. DM auf Treuhänder-Nummernkonten bei der Sch. Bankgesellschaft in Z.<br />

(S. : später umbenannt in U. ). Kontoinhaber war der Angeklagte W. ; der U. war bekannt, dass der Landesverband<br />

wirtschaftlich Berechtigter war. Dem Angeklagten K. <strong>und</strong> Wi. erteilte der Angeklagte W. vereinbarungsgemäß Konten-Vollmachten.<br />

Die Vollmacht des Angeklagten K. wurde bei dessen Ausscheiden aus dem Amt des Landesgeschäftsführers<br />

1987 gelöscht. Der Angeklagte W. verwaltete die Konten <strong>und</strong> Depots treuhänderisch. Durch Zinsgutschriften<br />

<strong>und</strong> Wertpapiergeschäfte wurde eine kapital-marktübliche, durchschnittliche Rendite erzielt. Im Zeitraum<br />

vom 1. Januar 1986 bis 22. Juli 1993 wurden von den Konten insgesamt r<strong>und</strong> 14,4 Mio. DM bar abgehoben <strong>und</strong> auf<br />

verschiedenen Kanälen dem offiziellen Rechnungswerk des Landesverbands oder von dessen selbständigen CDU-<br />

Untergliederungen zugeführt. Kontoverfügungen traf der Angeklagte W. in der Regel nur auf Weisung des Wi. ;<br />

ausnahmsweise erfolgte auf Weisung des Angeklagten K. im Jahr 1986 eine Zahlung an den Hessischen E.-Verein in<br />

Höhe von 200.000 DM. Um möglichst hohe Rückflüsse in das offizielle Vermögen der CDU zu ermöglichen, ohne<br />

die Herkunft dieser Mittel offen legen zu müssen, täuschten die Beteiligten in den Jahren 1989 <strong>und</strong> 1991 angebliche<br />

Vermächtnisse anonym gebliebener, tatsächlich nicht existierender Erblasser vor. 1989 wurde so dem Landesverband<br />

ein Betrag von ca. 4 Mio. DM zugeführt, 1991 dem Landesverband 2 Mio. DM <strong>und</strong> dem Stadtkreisverband F.<br />

ein Betrag von 3,5 Mio. DM.<br />

314


c) Im Anschluss an das Urteil des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts vom 9. April 1992 (BVerfGE 85, 264) wurde in den<br />

Jahren 1992 <strong>und</strong> 1993 eine Novellierung des Parteiengesetzes vorbereitet, welches unter anderem wesentlich erweiterte<br />

Publizitäts- <strong>und</strong> Rechenschaftspflichten der politischen Parteien vorsah <strong>und</strong> ab 1. Januar 1994 galt (im Folgenden:<br />

PartG 1994). Der Angeklagte K. übernahm Anfang Juli 1993 das Amt des B<strong>und</strong>esministers des Inneren <strong>und</strong> war<br />

jedenfalls von diesem Zeitpunkt an mit den Gesetzesvorhaben mehrfach befasst <strong>und</strong> über die Beratungen umfassend<br />

informiert. Nach der ab 1. Januar 1994 bis zum Jahr 2002 geltenden Fassung des Gesetzes waren die Parteien verpflichtet,<br />

jeweils bis zum 30. September eines Jahres bei dem Präsidenten des Deutschen B<strong>und</strong>estages einen Rechenschaftsbericht<br />

für das vorangegangene Jahr mit einer Einnahmen- <strong>und</strong> Ausgabenrechnung sowie einer Vermögensrechnung<br />

einzureichen. Wenn ein den Vorschriften des 5. Abschnitts des PartG 1994 entsprechender Rechenschaftsbericht<br />

nicht bis zum 31. Dezember des Folgejahres vorgelegt wurde, verlor die Partei den Anspruch auf staatliche<br />

Teilfinanzierung, die nach einem an die Zahl der Wählerstimmen gekoppelten (Wählerstimmenanteil) <strong>und</strong> einem an<br />

die Höhe von Mitgliedsbeiträgen <strong>und</strong> Spenden gekoppelten Anteil (Zuwendungsanteil) unterschied. Da auf Gr<strong>und</strong><br />

der zu erwartenden verschärften Rechenschaftspflichten mit einer intensiveren Kontrolle zu rechnen war, beschlossen<br />

der Angeklagte W. <strong>und</strong> Wi. im Jahr 1993, das in der Schweiz befindliche Treuhandvermögen des Landesverbands<br />

weitergehend als bisher zu verschleiern <strong>und</strong> eine Aufdeckung auch in der Zukunft zu verhindern. Der Angeklagte<br />

K. hatte von diesem Vorhaben Kenntnis <strong>und</strong> billigte es. Am 13. Mai 1993 wurde auf Veranlassung des Angeklagten<br />

W. in V. die Stiftung "Za. ", eine Stiftung Liechtensteinischen Rechts, gegründet. Einziger Begünstigter der<br />

Stiftung war der Landesverband, satzungsmäßiger Zweck der Stiftung Verwaltung <strong>und</strong> Anlage des Vermögens der<br />

Stiftung. Als Stiftungsräte wurden die Geschäftsführer des Finanzkontors in V. eingesetzt, das die Stiftungsgründung<br />

durchführte; im Statut <strong>und</strong> in einem sog. Beistatut wurden die Stiftungsräte jedoch zu Gunsten eines Beirats von der<br />

Entscheidungs- <strong>und</strong> Verwaltungsbefugnis hinsichtlich des Stiftungsvermögens ausgeschlossen; ihnen war auch jede<br />

Auskunft gegenüber dem Begünstigten oder Dritten untersagt. Als Beiräte wurden der Angeklagte W. <strong>und</strong> Wi. eingesetzt.<br />

Ausschüttungen zugunsten des begünstigten Landesverbands durften gr<strong>und</strong>sätzlich nur nach Weisung durch<br />

die Beiräte <strong>und</strong> aus den Erträgen erfolgen, das Kapital sollte erhalten bleiben. Dem Begünstigten durfte die Existenz<br />

der Stiftung nicht offenbart werden. Die Beiräte waren verpflichtet, unverzüglich jeweils Nachfolger für den Fall<br />

ihrer dauerhaften Verhinderung zu benennen; diese Verpflichtung erfüllten sie aber bis zur Aufdeckung der Stiftung<br />

im Jahr 2000 nicht. Nach der Stiftungsgründung wurde im Juli 1993 das gesamte Treuhandvermögen auf Konten der<br />

Stiftung "Za. " übertragen, die ebenfalls bei der U. -Bank in Z. eingerichtet wurden. Dort wurde es bis zu seiner Aufdeckung<br />

im Januar 2000 in der oben genannten Weise verwaltet. Von dem Konto der Stiftung hob der Angeklagte<br />

W. zwischen Juli 1993 <strong>und</strong> Dezember 1999 insgesamt ca. 9,93 Mio. DM in bar ab; diese Mittel wurden nach Weisung<br />

des Wi. über verdeckte Einzahlungen ganz überwiegend dem Landesverband sowie dem Stadtkreisverband F.<br />

der CDU zugeführt, um dort bestehende Verbindlichkeiten auszugleichen <strong>und</strong> laufende Kosten, insbesondere aus<br />

Wahlkämpfen, zu bestreiten. Kleinere Zahlungen erfolgten u.a. an den Hessischen E.-Verein <strong>und</strong> an den CDU-<br />

Kreisverband We. . Um einen hohen Mittelrückfluss ohne Aufdeckung der Herkunft zu ermöglichen, wurde im August<br />

1995 ein weiteres angebliches "Vermächtnis" in Höhe von ca. 3,5 Mio. DM vorgetäuscht, über verdeckte Bareinzahlungen<br />

auf offizielle Konten der CDU geleitet <strong>und</strong> von dem Schatzmeister Wi. in Ausführung des angeblichen<br />

Willens eines erf<strong>und</strong>enen anonymen Erblassers Anfang 1996 dem Kreisverband F. der CDU zugewendet. Das Vermögen<br />

der Stiftung "Za. " betrug zwischen 1993 (ca. 20,1 Mio. DM) <strong>und</strong> 1999 (ca. 17 Mio. DM) im Durchschnitt ca.<br />

18 Mio. DM; bei Aufdeckung <strong>und</strong> Auflösung im Januar 2000 befanden sich 16,8 Mio. DM auf Konten der Stiftung.<br />

Die von der Stiftung zurücktransferierten Mittel wurden für Zwecke <strong>und</strong> zur Unterstützung von Gliederungen der<br />

CDU eingesetzt. Die unmittelbare Zweckbestimmung traf jeweils Wi. . Dieser informierte den Angeklagten K. , der<br />

seit 1991 Landesvorsitzender der CDU Hessen war, zumindest über den Rückfluss des angeblichen Vermächtnisses<br />

im Jahr 1995. Weitere Beteiligungen des Angeklagten K. an konkreten Zuwendungen sind nicht festgestellt. Eine<br />

persönliche Bereicherung der Angeklagten oder des Wi. ist nicht festgestellt <strong>und</strong> war von den Beteiligten auch nicht<br />

beabsichtigt.<br />

2. Der Verurteilung hat das Landgericht unter Beschränkung gemäß § 154 a Abs. 2 StPO allein das Verhalten der<br />

Angeklagten ab 1. August 1995 zu Gr<strong>und</strong>e gelegt <strong>und</strong> insoweit zu den Taten <strong>und</strong> den Tatfolgen Folgendes festgestellt:<br />

a) Der Angeklagte K. nahm als Landesvorsitzender <strong>und</strong> Mitglied des Landesvorstands der CDU Hessen in den Jahren<br />

1995, 1996 <strong>und</strong> 1997 an den Beratungen des Haushalts des Landesverbands für das jeweils folgende Jahr teil <strong>und</strong><br />

wirkte an der Verabschiedung dieser Haushalte mit. Dabei verschwieg er jeweils das Vorhandensein des Vermögens<br />

der Liechtensteinischen Stiftung "Za. " in Höhe von durchschnittlich 18 Mio. DM; diese Summe entsprach etwa dem<br />

Fünffachen des damaligen offiziellen Haushalts des Landesverbands. Dem Landesverband standen die Mittel für<br />

seine Haushaltsplanungen daher nicht zur Verfügung. In den Jahren 1995, 1996 <strong>und</strong> 1997 nahmen der Angeklagte K.<br />

315


als Landesvorsitzender <strong>und</strong> der frühere Mitangeklagte Wi. als Landesschatzmeister darüber hinaus an den Beratungen<br />

<strong>und</strong> Verabschiedungen der Rechenschaftsberichte des Landesverbands für die Jahre 1994, 1995 <strong>und</strong> 1996 teil. In<br />

den Rechenschaftsberichten war das Vermögen der Stiftung "Za. " jeweils nicht berücksichtigt. K. <strong>und</strong> W. unterzeichneten<br />

die Berichte ebenso wie Wi. in Kenntnis ihrer inhaltlichen Unrichtigkeit. Die Berichte des Landesverbands<br />

gingen, wie sie wussten, in die Rechenschaftsberichte des B<strong>und</strong>esverbands der CDU ein, die dieser dem Präsidenten<br />

des Deutschen B<strong>und</strong>estages zuleitete <strong>und</strong> auf deren Gr<strong>und</strong>lage der Zuwendungsanteil der staatlichen Parteienfinanzierung<br />

berechnet wurde. Dabei war dem Angeklagten K. bewusst, dass nach den zur Tatzeit geltenden Regelungen<br />

des PartG 1994 ein Anspruch der B<strong>und</strong>espartei entfiel, wenn nicht ein den Anforderungen des 5. Abschnitts<br />

des PartG genügender Rechenschaftsbericht bis zum Ablauf des jeweils folgenden Jahres vorgelegt wurde. Er hielt<br />

es zumindest für möglich, dass diese Regelung nicht allein die Vorlage eines formell ordnungsgemäßen, sondern<br />

eines im Wesentlichen inhaltlich richtigen Rechenschaftsberichts verlangte, dass eine spätere Aufdeckung der Unrichtigkeiten<br />

die Rückforderung von Zuwendungen gegenüber der B<strong>und</strong>espartei zur Folge haben könnte <strong>und</strong> dass<br />

sich der Landesverband Hessen in diesem Fall Regressforderungen der B<strong>und</strong>espartei ausgesetzt sehen könnte. Diese<br />

Gefahren nahm der Angeklagte K. nach den Feststellungen des Landgerichts billigend in Kauf. Beim Ausscheiden<br />

aus seinem Amt als Landesvorsitzender im Januar 1998 offenbarte der Angeklagte K. seinem Nachfolger sowie dem<br />

Landesverband das Bestehen des Auslandsvermögens der Stiftung "Za. " pflichtwidrig nicht, so dass dem Landesverband<br />

die Existenz dieses Vermögens weiter verborgen blieb. Der Angeklagte W. unterstützte die Handlungen des<br />

Angeklagten K. sowie des früheren Mitangeklagten Wi. , indem er auch im abgeurteilten Tatzeitraum die Verwaltung<br />

der verschleierten Vermögenswerte treuhänderisch durchführte, die banktechnische Abwicklung der Vermögensverwaltung<br />

veranlasste <strong>und</strong> leitete, die Barentnahmen <strong>und</strong> Bareinzahlungen vornahm sowie die Verschleierung<br />

des angeblichen Vermächtnisses organisierte. Er unterschrieb überdies die Testate für die Rechenschaftsberichte der<br />

CDU Hessen für die Jahre 1994, 1995 <strong>und</strong> 1996. Die Möglichkeit des Verlustes staatlicher Mittel, insbesondere des<br />

Zuwendungsanteils, aufgr<strong>und</strong> der unrichtigen Rechenschaftsberichte erkannte auch er <strong>und</strong> nahm sie billigend in<br />

Kauf.<br />

b) Nachdem Ende 1999 erste Hinweise auf das Auslandsvermögen der Stiftung "Za. " öffentlich geworden waren,<br />

versuchten die Angeklagten in ersten Stellungnahmen zunächst, den Sachverhalt weiter zu verschleiern. Nachdem<br />

Unklarheiten <strong>und</strong> Widersprüche in ihren Darstellungen weitere Nachforschungen durch den Landesverband Hessen<br />

der CDU nach sich zogen, offenbarten sie den festgestellten äußeren Sachverhalt im Januar 2000 weitgehend <strong>und</strong><br />

wirkten an der Rückführung des Vermögens der im Januar 2000 liquidierten Stiftung "Za. " mit. Nach Aufdeckung<br />

im Dezember 1999/Januar 2000 stellte der Präsident des Deutschen B<strong>und</strong>estages mit Bescheid vom 14. Februar 2000<br />

fest, dass auf Gr<strong>und</strong> des falschen Rechenschaftsberichts der CDU Deutschlands für das Jahr 1998 an die Gesamtpartei<br />

ein staatlicher Förderbetrag von ca. 41,35 Mio. DM zu Unrecht ausgezahlt worden sei. Hiervon forderte der Präsident<br />

des Deutschen B<strong>und</strong>estages unter Verrechnung mit Abschlagszahlungen von der Gesamtpartei 35,85 Mio. DM<br />

zurück. Von der hiervon auf den B<strong>und</strong>esverband entfallenden Summe von 21 Mio. DM trug nach Abschluss eines<br />

entsprechenden Vergleichs der Landesverband im Ergebnis 10,5 Mio. DM. Hinsichtlich der zurückliegenden Jahre<br />

von 1994 bis 1997 sah der Präsident des Deutschen B<strong>und</strong>estages im Rahmen seiner Ermessensausübung von Rückforderungen<br />

staatlicher Zuwendungen aus Gründen des Übermaßverbotes ab. Von der CDU Deutschlands gegen den<br />

Bescheid vom 14. Februar 2000 eingelegte Rechts-mittel blieben im Ergebnis erfolglos; durch Beschluss vom 17.<br />

Juni 2004 (NJW 2005, 126 = BVerfGE 111, 54) hat das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde der<br />

CDU Deutschlands gegen die rechtskräftige fachgerichtliche Entscheidung als unbegründet verworfen. Der finanzielle<br />

Spielraum des B<strong>und</strong>esverbands <strong>und</strong> des Landesverbands wurde durch die Rückforderungen stark belastet. Zur<br />

Schadensminderung wurden Mittel durch eine Mitgliederumlage aufgebracht. Regresszahlungen der Angeklagten an<br />

die Partei wurden weder gefordert noch erbracht.<br />

3. Das Landgericht hat die Einlassung der Angeklagten, sie seien davon ausgegangen, dass das PartG 1994 die Sanktion<br />

des Wegfalls des Zuwendungsanteils der staatlichen Teilfinanzierung nur an das vollständige Fehlen eines Rechenschaftsberichts<br />

der Partei, nicht aber an die Vorlage eines inhaltlich unrichtigen Berichts knüpfe, für widerlegt<br />

gehalten <strong>und</strong> angenommen, dass die Angeklagten die Möglichkeit von Rückforderungen erkannten. Es hat das Verhalten<br />

des Angeklagten K. (sowie des früheren Mitangeklagten Wi. ) als Untreue in der Tatvariante des Treuebruchs<br />

gewertet <strong>und</strong> als einheitliche Tat angesehen. Soweit den vom Landgericht angenommenen sieben Teilakten teils<br />

aktives Tun, teils Unterlassen zugr<strong>und</strong>e lag, hat es den Schwerpunkt der Tat im Unterlassen der Aufklärung gesehen.<br />

Als Vermögensnachteil im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB hat das Landgericht einen Gefährdungsschaden für den<br />

B<strong>und</strong>esverband durch die Gefahr des Verlustes staatlicher Teilfinanzierung für die Jahre ab 1994 angesehen. Einen<br />

Gefährdungsschaden des Landesverbands hat es darüber hinaus dahingehend angenommen, dass die konkrete Gefahr<br />

einer Inanspruchnahme des Landesverbands zur Leistung von Schadensersatz an den B<strong>und</strong>esverband bestanden<br />

316


habe. Schließlich hat es einen Gefährdungsschaden des Landesverbands darin gesehen, dass der Angeklagte K. gemeinsam<br />

mit dem früheren Mitangeklagten Wi. erhebliches Vermögen des Landesverbandes vor - 15 -<br />

diesem verborgen <strong>und</strong> nach Art einer "schwarzen Kasse" nach eigenem Gutdünken verwendet <strong>und</strong> hierdurch die<br />

Dispositionsfähigkeit des Landesverbands in schwerwiegender Weise beeinträchtigt habe. Der Angeklagte W. habe<br />

zu dieser einheitlichen Tat Beihilfe geleistet. Das Vorliegen eines Verbotsirrtums bei den Angeklagten hat das Landgericht<br />

ausgeschlossen. Bei der Strafzumessung hat der Tatrichter angenommen, es seien zwar die Voraussetzungen<br />

eines Regelbeispiels eines besonders schweren Falles gemäß § 266 Abs. 2 in Verbindung mit § 263 Abs. 3 Nr. 2<br />

StGB gegeben, weil ein Vermögensverlust großen Ausmaßes verursacht worden sei. Die Indizwirkung des Regelbeispiels<br />

sei aber aufgr<strong>und</strong> des Umstands widerlegt, dass die Angeklagten keine persönliche Bereicherung anstrebten.<br />

Eine bandenmäßige Begehung gemäß § 263 Abs. 3 Nr. 1 StGB ist im Urteil nicht erörtert. Bei dem Angeklagten K.<br />

hat das Landgericht den Strafrahmen des § 266 Abs. 1 StGB im Hinblick auf den Unterlassungscharakter der Tat<br />

gemäß § 13 Abs. 2 in Verbindung mit § 49 Abs. 1 StGB gemildert. Bei dem Angeklagten W. hat es eine doppelte<br />

Strafrahmenmilderung gemäß § 27 Abs. 2 StGB <strong>und</strong> gemäß § 28 Abs. 1 StGB vorgenommen. Die als schuldangemessen<br />

angesehenen Strafen hat es herabgesetzt, weil es das Vorliegen einer rechts-staatswidrigen Verfahrensverzögerung<br />

von einem Jahr Dauer unter Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 MRK angenommen hat. Gegen das Urteil wenden<br />

sich die Revisionen der Angeklagten mit Verfahrensrügen <strong>und</strong> der Sachrüge. Während die Verfahrensrügen unbegründet<br />

sind, führt die Sachrüge zur teilweisen Aufhebung des Urteils.<br />

II. Die Verfahrensrügen sind unbegründet.<br />

1. Die vom Angeklagten K. erhobene Rüge eines Verstoßes gegen § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO im Hinblick auf den<br />

Beweisantrag zur Vernehmung des Zeugen H. ist unbegründet. In der Ablehnung des Antrags mit der Begründung,<br />

es sei für die Entscheidung ohne Bedeutung, ob der Angeklagte am 14. Januar 2000 gegenüber dem Zeugen erklärte,<br />

er habe angenommen, das Vermögen sei schon seit langem vollständig zurückgeführt, liegt aus den vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt<br />

schon in seiner Zuschrift an den Senat zutreffend dargelegten Gründen keine unzulässige Beweisantizipation.<br />

2. Unbegründet ist auch die von beiden Angeklagten erhobene Rüge des Verstoßes gegen § 244 Abs. 3 StPO durch<br />

Zurückweisung des Antrags auf Vernehmung des Zeugen Prof. Dr. I. wegen Bedeutungslosigkeit der Beweistatsache.<br />

Die Beweisbehauptung, der Zeuge hätte, wenn er im Jahr 1994 von den Angeklagten als Sachverständiger konsultiert<br />

worden wäre, die Auskunft erteilt, §§ 19, 23 PartG 1994 setze für den Anspruch auf staatliche Teilfinanzierung<br />

keinen inhaltlich richtigen, sondern nur einen den formellen Anforderungen genügenden Rechenschaftsbericht<br />

der Partei voraus, konnte als solche als tatsächlich bedeutungslos angesehen werden, denn unstreitig hatten die Angeklagten<br />

den Zeugen zur Tatzeit gerade nicht befragt; er hatte ihnen auch sonst keine Auskunft zu der Rechtsfrage<br />

gegeben. Dass die genannte Frage im Jahr 1994 streitig gewesen ist, hat das Landgericht nicht übersehen. Tatsächlich<br />

zielte, worauf der Generalb<strong>und</strong>esanwalt zutreffend hingewiesen hat, der Beweisantrag eher auf eine - insoweit<br />

un-zulässige - Einführung eines Sachverständigengutachtens zu der im Verfahren streitigen Rechtsfrage im Wege<br />

einer "hypothetischen" Tatsachenbek<strong>und</strong>ung ab. Soweit es einen im Zeugenbeweis zu klärenden Tatsachenkern betraf,<br />

hat das Landgericht zutreffend ausgeführt, dass die möglichen Bek<strong>und</strong>ungen des Zeugen weder für die Beweiswürdigung<br />

zu der Frage von Bedeutung waren, was die Angeklagten tatsächlich annahmen, noch für die Klärung der<br />

Frage, ob sie jedenfalls die Möglichkeit einer von ihrer eigenen abweichenden Auslegung erkannten <strong>und</strong> billigten.<br />

3. Die vom Angeklagten W. erhobene Verfahrensrüge eines Verstoßes gegen § 22 Nr. 1 in Verbindung mit § 338 Nr.<br />

2 StPO ist, ihre Zulässigkeit unterstellt, jedenfalls unbegründet. Der Vorsitzende der erkennenden Strafkammer war<br />

nicht deshalb gesetzlich von der Mitwirkung an der Entscheidung ausgeschlossen, weil er - zum Zeitpunkt der Anklageerhebung<br />

<strong>und</strong> des Urteils, möglicherweise aber auch schon zur Tatzeit - Mitglied des Landesverbandes Hessen<br />

der CDU Deutschlands war. Die Zulässigkeit der Rüge gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ist zweifelhaft, weil die<br />

Revision nicht vorträgt, dass der Richter schon zu dem Zeitpunkt Mitglied des Landesverbandes gewesen ist, zu dem<br />

ein durch das Verhalten der Angeklagten verursachter Nachteil eingetreten ist, oder aus welchen tatsächlichen Gründen<br />

der Richter als Mitglied der Partei zu einem späteren Zeitpunkt Geschädigter der verfahrensgegenständlichen<br />

Taten geworden sein könnte. Dies kann aber dahinstehen, weil die Rüge jedenfalls unbegründet ist. Der Ausschluss<br />

eines Richters von der Mitwirkung gemäß § 22 Nr. 1 StPO setzt voraus, dass er durch die Straftat, die Gegenstand<br />

des Verfahrens ist, persönlich unmittelbar in seinen Rechten betroffen ist (BGHSt 1, 298; BGHR StPO § 22 Verletzter<br />

1). Die Vorschrift ist eng auszulegen. Die Eigenschaft als Verletzter ist, wie der Senat schon in dem im vorliegenden<br />

Verfahren ergangenen Beschluss vom 11. Juli 2006 - 2 StR 499/05 - entschieden hat, nicht schon deshalb<br />

gegeben, weil Gegenstand des Verfahrens eine Tat ist, die sich gegen eine als nicht rechtsfähiger Verein organisierte<br />

politische Partei richtet, deren Mitglied der verfahrensbeteiligte Richter ist. Zwar bestimmt § 54 Satz 1 BGB, dass<br />

auf nicht rechtsfähige Vereine die Vorschriften über die Gesellschaft bürgerlichen Rechts Anwendung finden. Da-<br />

317


nach wäre sämtlichen Mitgliedern einer Partei deren Vermögen in gesamthänderischer Verb<strong>und</strong>enheit gemäß § 718<br />

Abs. 1 BGB zugeordnet; eine Vermögensträgerschaft der Partei selbst schiede aus. So hat in der Tat das Reichsgericht<br />

für den Fall eines kleinen nicht eingetragenen Idealvereins entschieden (RGSt 33, 316). Es besteht heute aber<br />

Einigkeit darüber, dass diese Gr<strong>und</strong>sätze jedenfalls für Großorganisationen wie Parteien oder Gewerkschaften nicht<br />

passen <strong>und</strong> modifiziert werden müssen. Die zivilrechtlichen Gr<strong>und</strong>sätze sind überdies durch Regelungen des Parteienrechts<br />

überlagert <strong>und</strong> durch parteiinterne Regelungen der Satzungen abgeändert oder ausgeschlossen. So gehen<br />

etwa die §§ 24, 26, 26a PartG von einer Rechtsträgerschaft der Partei aus; § 37 PartG schließt die persönliche Haftung<br />

von Mitgliedern für Verbindlichkeiten der Partei aus. Entsprechendes regelt § 35 Abs. 1 <strong>und</strong> 2 des Statuts der<br />

CDU Deutschlands; die Partei will ihre Mitglieder im Innenverhältnis nämlich gerade nicht wie Gesellschafter einer<br />

BGB-Gesellschaft behandeln (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Juli 2006 in dieser Sache). Das einzelne Parteimitglied<br />

ist daher durch einen dem Parteivermögen zugefügten Vermögensschaden nicht unmittelbar in seinen durch § 266<br />

StGB geschützten Rechten verletzt. Entgegen der Ansicht der Revision kommt es hierfür nicht entscheidend darauf<br />

an, welchem Landesverband das Mitglied angehört. Der Beitritt zu dem nicht rechtsfähigen Verein begründet eine<br />

unmittelbare Mitgliedschaft sowohl im Kreis- <strong>und</strong> Landesverband als auch im B<strong>und</strong>esverband der CDU; der Letztere<br />

ist nicht eine Dachorganisation, deren Mitglieder allein die Landesverbände sind. Der Vorsitzende der Strafkammer<br />

war daher weder durch den der Anklage <strong>und</strong> dem Urteil zugr<strong>und</strong>e liegenden Vermögensschaden auf der Ebene des<br />

Landesverbands Hessen noch durch einen dem B<strong>und</strong>esverband entstandenen Vermögensschaden in seinen persönlichen<br />

Vermögensrechten unmittelbar betroffen <strong>und</strong> damit Verletzter im Sinne von § 22 Nr. 1 StPO. Das gilt erst<br />

recht, soweit der verbleibende Vermögensnachteil der Partei nachträglich durch eine bei den Mitgliedern erhobene<br />

Umlage ausgeglichen wurde; diese stellt eine nur mittelbare Auswirkung der verfahrensgegenständlichen Taten dar.<br />

Die mittelbare Betroffenheit eines Richters kann allenfalls Gr<strong>und</strong>lage einer Ablehnung wegen Befangenheit gemäß §<br />

24 StPO sein; dies ist vorliegend nicht geltend gemacht worden.<br />

III. Die von beiden Angeklagten erhobene Sachrüge führt zur Aufhebung des Urteils in dem in der Urteilsformel<br />

bezeichneten Umfang. Das Landgericht hat auf der Gr<strong>und</strong>lage einer unzutreffenden Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses<br />

nicht hinreichend zwischen den einzelnen Tathandlungen differenziert; hierdurch ist es zu einer rechtsfehlerhaften<br />

Würdigung gelangt.<br />

1. Im Ergebnis zutreffend sind allerdings der Angeklagte K. wegen Untreue zu Lasten des Landesverbands Hessen<br />

durch Unterhaltung einer "schwarzen Kasse" <strong>und</strong> der Angeklagte W. wegen Beihilfe hierzu verurteilt worden.<br />

a) Das Landgericht hat eine einheitliche Tat des Angeklagten K. <strong>und</strong> des früheren Mitangeklagten Wi. angenommen,<br />

die sich - nach Beschränkung der Strafverfolgung auf den Zeitraum ab 1995 - vom 20. September 1995 bis zum<br />

Januar 1998 erstreckt habe (UA S. 211). Diese Tat hat es als "fortdauerndes Verschweigen der Existenz eines wesentlichen<br />

Vermögensbestandteils" des Landesverbands ab 1995 beschrieben; als Teilakte hat es das Unterlassen der<br />

Aufklärung über das vorhandene Auslandsvermögen bei der Mitwirkung an den unzutreffenden Rechenschaftsberichten<br />

des Landesverbands vom 20. September 1995 (für 1994), vom 28. Juni 1996 (für 1995) <strong>und</strong> vom 7. Juli 1997<br />

(für 1996) sowie an den Beschlussfassungen über die Haushalte des Landesverbands vom 8. Dezember 1995 (für<br />

1996), vom 6. Dezember 1996 (für 1997) <strong>und</strong> vom 5. Dezember 1997 (für 1998) <strong>und</strong> das Unterlassen pflichtgemäßer<br />

Aufklärung bei Ausscheiden der Vorstandsmitglieder K. <strong>und</strong> Wi. aus ihren Ämtern im Jahr 1998 angesehen. Hierdurch<br />

sei von K. <strong>und</strong> Wi. gegen die auf ihrer Vorstandsmitgliedschaft beruhende Vermögensbetreuungspflicht verstoßen<br />

worden. Durch dieselbe Tat habe der Angeklagte K. zugleich eine Vermögensbetreuungspflicht zugunsten des<br />

B<strong>und</strong>esverbands verletzt, welche sich aus seiner Position als Mitglied des B<strong>und</strong>esvorstands <strong>und</strong> des Präsidiums der<br />

Partei ergeben habe. Zu dieser einheitlichen gemeinschaftlichen Tat habe der Angeklagte W. Beihilfe geleistet. Gefährdungsschäden<br />

seien dem B<strong>und</strong>esverband durch die Gefahr des Verlustes der jährlichen Zuwendungsanteile der<br />

staatlichen Teilfinanzierung (UA S. 188), dem Landesverband durch die Gefahr von Regressforderungen der B<strong>und</strong>espartei<br />

(UA S. 190 ff.) sowie durch eigenmächtige Verfügung über eine "schwarze Kasse" <strong>und</strong> Beeinträchtigung<br />

der Dispositionsfreiheit entstanden (UA S. 202 f.).<br />

b) Soweit es eine Untreue gegenüber dem Landesverband durch Vorenthalten der verdeckten Guthaben betrifft, geht<br />

das Landgericht zutreffend von einer einheitlichen, gemeinschaftlich begangenen Unterlassungstat des Angeklagten<br />

K. <strong>und</strong> des früheren Mitangeklagten Wi. aus; diese erstreckte sich jedenfalls vom Zeitpunkt der Verlagerung der<br />

Vermögenswerte auf Konten in der Schweiz (1983) über die Einbringung in die liechtensteinische Stiftung (1993)<br />

hinaus bis zur Aufdeckung im Jahr 1999 <strong>und</strong> zur Rückführung der Guthaben der Stiftung "Za. " an den Landesverband<br />

(vgl. UA S. 210 f.). Die Übertragung der Guthaben der so genannten "C-Konten" auf schweizerische Konten,<br />

deren Inhaber der Angeklagte W. war, im Jahr 1983 verstieß gegen die Vermögensbetreuungspflicht, welche der<br />

Angeklagte K. <strong>und</strong> der frühere Mitangeklagte Wi. gegenüber dem Landesverband hatten. Hierfür ist unerheblich, ob<br />

sie "letztlich" im Interesse der Berechtigten zu handeln glaubten. Es bleibt hierbei schon offen, ob dieses Interesse<br />

318


von den Tatbeteiligten ganz oder überwiegend wirtschaftlich oder eher politisch definiert wurde. Dies kann aber<br />

dahinstehen, denn aus ihrer Position in dem Landesverband der Partei entsprang die Pflicht, das zu betreuende Vermögen<br />

nach Maßgabe der satzungsgemäßen Willensbildung, also nach Weisung des Parteitags <strong>und</strong> des Vorstands zu<br />

verwalten. Hiergegen verstieß die Verschleierung <strong>und</strong> Verlagerung des in der "schwarzen Kasse" auf den so genannten<br />

"C-Konten" angesammelten Vermögens offenk<strong>und</strong>ig; dies war den Beteiligten auch bekannt. Ein Vermögensnachteil<br />

im Sinne von § 266 Abs. 1 StGB ist dem Landesverband dadurch entstanden, dass die Täter sich die Möglichkeit<br />

verschafften, die zunächst auf den Angeklagten W. , später auf die von ihnen kontrollierte Stiftung "Za. "<br />

übertragenen Vermögenswerte als geheimen, keiner tatsächlich wirksamen Zweckbindung unterliegenden <strong>und</strong> jeder<br />

Kontrolle durch den Berechtigten entzogenen "Dispositionsfonds" zu nutzen (vgl. BGHSt 40, 287, 296). Ziel der<br />

Angeklagten war es, die verdeckt angesammelten Vermögenswerte vor den satzungsgemäßen Organen des Landesverbands<br />

geheim zu halten, da sie die Bestimmung über die Mittelverwendung nach eigenem Gutdünken - wenn<br />

auch in einem von ihnen selbst definierten Interesse des Berechtigten - vorzunehmen wünschten. Hierdurch war<br />

entgegen dem Vorbringen der Revisionsführer nicht allein die Dispositionsbefugnis des Berechtigten betroffen, deren<br />

Beschränkung für sich allein die Feststellung eines Vermögensschadens nicht begründen könnte (vgl. Tröndle/Fischer<br />

StGB 53. Aufl. § 266 Rdn. 70); vielmehr trat eine konkrete, vom Berechtigten nicht zu kontrollierende <strong>und</strong><br />

nur noch im Belieben der Täter stehende Möglichkeit des endgültigen Vermögensverlusts ein. Wie nahe liegend<br />

diese Gefahr war, macht nicht zuletzt der Umstand deutlich, dass nach den Feststellungen des Landgerichts mehrfach,<br />

im abgeurteilten Zeitraum jedenfalls im Jahr 1995 erhebliche Beträge pflichtwidrig Dritten zugewandt wurden.<br />

Die mit hohem konspirativen Aufwand durchgeführte Entziehung der Vermögenswerte über einen langen Zeitraum<br />

zu dem tatsächlich auch erreichten Zweck, dem Berechtigten diese Teile seines Vermögens vorzuenthalten <strong>und</strong> sie<br />

nach Maßgabe eigenen Gutdünkens <strong>und</strong> vorgeblich „besserer“ Beurteilung zur Förderung von Zwecken einzusetzen,<br />

welche den Tätern im Einzelfall als förderungswürdig erschienen, minderte den objektiven wirtschaftlichen Wert der<br />

Forderungen für den Berechtigten <strong>und</strong> begründete daher einen Vermögensschaden (vgl. auch BGH NStZ 1984, 549;<br />

OLG Frankfurt NJW 2004, 2030; Lackner/Kühl StGB 25. Aufl. § 266 Rdn. 17 a; Schünemann in LK 11. Aufl. § 266<br />

Rdn. 148; Tröndle/Fischer aaO Rdn. 71). Hierbei ist namentlich auch zu berücksichtigen, dass nach satzungsgemäßem<br />

Zweck <strong>und</strong> Struktur des Landesverbands die Definition dessen, was als das "Interesse" des Landesverbands<br />

anzusehen war, gerade in der innerparteilich offenen Diskussion zu finden <strong>und</strong> von den zuständigen Organen zu<br />

entscheiden war. Wenn einzelne Verantwortliche dem Parteiverband pflichtwidrig Vermögenswerte in Höhe des<br />

etwa fünffachen Jahreshaushalts entzogen, um sie unter Umgehung der zuständigen Organe für Zwecke einzusetzen,<br />

welche sie selbst jeweils als förderungswürdig ansahen, so ging dies über eine bloße Einschränkung der Dispositionsbefugnis<br />

hinaus. Hiergegen kann nicht eingewandt werden, dass, wie das Landgericht unterstellt hat, in keinem<br />

Fall Wünsche des Parteivorstands von den Tatbeteiligten K. <strong>und</strong> Wi. unter Hinweis auf fehlende Mittel zurückgewiesen<br />

wurden. Schon die den Feststellungen des Landgerichts zugr<strong>und</strong>e liegende Einlassung der Angeklagten, sie hätten<br />

die Vermögenswerte verschleiert, um "Begehrlichkeiten aus der Partei" zu vermeiden, zeigt, dass es ihnen gerade<br />

auch darauf ankam, den zuständigen Organen des Landesverbands zu verheimlichen, in welchem Umfang finanzielle<br />

Wünsche, Planungen <strong>und</strong> Dispositionen überhaupt möglich waren (vgl. auch Tröndle/Fischer aaO § 266 Rdn. 71).<br />

Die Übertragung auf Treuhandkonten des Angeklagten W. führte somit zwar noch nicht zu einem endgültigen Vermögensverlust,<br />

wohl aber zu einer konkreten Vermögensgefährdung, durch welche der wirtschaftliche Wert des<br />

Vermögens des berechtigten Landesverbands gemindert wurde.<br />

c) Die Übertragung des Vermögens auf die liechtensteinische Stiftung "Za. " im Jahr 1993 führte nicht zur Beendigung<br />

der Tat. Die Übertragung des Guthabens von dem auch gegenüber der Bank als Treuhänder auftretenden Angeklagten<br />

W. auf die juristische Person liechtensteinischen Rechts bewirkte zwar eine Vertiefung des Gefährdungsschadens,<br />

weil die Zugriffsmöglichkeit des Landesverbands durch die Verschleierung <strong>und</strong> die in dem Beistatut der<br />

Stiftung ausgestaltete rechtliche Konstruktion faktisch weiter eingeschränkt wurde (zur Einschränkung oder Aufhebung<br />

der tatsächlichen Möglichkeit des Vermögensinhabers, den Eintritt eines endgültigen Vermögensverlustes zu<br />

vermeiden, als Kriterium des Vorliegens eines Gefährdungs-schadens Schünemann aaO Rdn. 146; vgl. auch Kindhäuser<br />

in NK 2. Aufl. § 266 Rdn. 111; Cramer/Perron in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 263 Rdn. 143). Jedoch<br />

ging die Kontrolle über die Verwendung der Guthaben nicht von den Mittätern auf die Stiftungsräte über; vielmehr<br />

sicherte die rechtliche Konstruktion des faktisch allein bestimmenden Beirats das Fortbestehen der zuvor gegebenen<br />

Bestimmungsrechte mit dem Ziel, die Vermögensverwaltung in gleicher Form fortzuführen. Eine aus ihrer Vermögensbetreuungspflicht<br />

abzuleitende Offenbarungspflicht des Angeklagten K. sowie des früheren Mitangeklagten Wi.<br />

bestand daher auch über den Zeitpunkt der Vermögensverschiebung auf die Stiftung "Za. " hinaus. Dies gilt unbeschadet<br />

des Umstands, dass der Angeklagte K. zwischen 1987 <strong>und</strong> 1991 keine leitenden Positionen im Landesverband<br />

Hessen innehatte. Die Offenbarungspflicht der Tatbeteiligten veränderte <strong>und</strong> erweiterte sich inhaltlich entspre-<br />

319


chend der Entwicklung des Bestands der "schwarzen Kasse", denn Bestand <strong>und</strong> Umfang des rechtswidrig entzogenen<br />

Geldvermögens blieben nicht gleich, sondern veränderten sich in Folge der vom Angeklagten W. durchgeführten<br />

Anlagegeschäfte <strong>und</strong> sonstiger Verwaltungstätigkeit ständig. So wurden nach den Feststellungen des Landgerichts<br />

allein in den Jahren 1993 bis 1999 auf einem Konto der Stiftung "Za. " Ausgaben für Wertpapierkäufe in Höhe von<br />

65,1 Mio. DM <strong>und</strong> Einnahmen aus Wertpapierverkäufen in Höhe von 68,4 Mio. DM gebucht (UA S. 47 f.); zwischen<br />

1985 <strong>und</strong> 1999 wurden von den Konten bei der U. insgesamt r<strong>und</strong> 23,3 Mio. DM in bar verfügt (UA S. 52).<br />

Die Offenbarungspflicht bestand, entgegen der Ansicht des Landgerichts, nicht allein zu den Zeitpunkten der jährlichen<br />

Haushaltsberatungen <strong>und</strong> der Verabschiedung der Haushalte für das Folgejahr, sondern durchgängig. Ihre<br />

Nichterfüllung ist als einheitliche Tat anzusehen, deren Beendigung mit der Folge des Verjährungsbeginns erst mit<br />

der Aufdeckung im Jahr 1999 eintrat.<br />

d) Dadurch, dass die Beteiligten im Jahr 1995 ein angebliches Vermächtnis eines anonymen Erblassers in Höhe von<br />

3,5 Mio. DM vortäuschten <strong>und</strong> letztlich dem Stadtkreisverband F. am Main der CDU zuwandten, ist dem Landesverband<br />

in Höhe dieses Betrags nicht nur ein Gefährdungsschaden entstanden; vielmehr hat sich die konkrete Gefahr<br />

des Vermögensverlustes insoweit realisiert, weil die Beteiligten den Betrag, indem sie den Landesverband quasi vor<br />

vollendete Tatsachen stellten, ohne rechtliche Gr<strong>und</strong>lage einem Dritten - dem selbständig organisierten Kreisverband<br />

- zuwandten, der ihn alsbald verbrauchte. Spätere Rückzahlungen oder Verrechnungen konnten nur Schadenswiedergutmachung<br />

sein. Im Umfang dieses Schadens ist mit der Zuwendung Tatbeendigung gem. § 78 a StGB eingetreten.<br />

Die Tat ist auch insoweit nicht verjährt, denn durch den Erlass des Durchsuchungsbeschlusses vom 28. Januar 2000<br />

(Bl. III/108 d. A.) wurde eine Verjährungsunterbrechung bewirkt.<br />

2. Unzutreffend ist hingegen die Ansicht des Landgerichts, die Mitwirkung der Angeklagten an den unrichtigen<br />

Rechenschaftsberichten des Landesverbands <strong>und</strong> damit mittelbar an denjenigen des B<strong>und</strong>esverbands mit der Folge<br />

einer konkreten Gefahr des Verlustes staatlicher Zuwendung <strong>und</strong> der Rückforderung von in der Vergangenheit gezahlten<br />

Förderungsbeträgen sei Teil der einheitlichen Gefährdungstat. Die Handlungen der Angeklagten <strong>und</strong> des<br />

früheren Mitangeklagten Wi. in Bezug auf die falschen Rechenschaftsberichte können, entgegen der Annahme des<br />

Landgerichts, nicht als unselbständige Teile der durch pflichtwidriges Unterlassen der Aufklärung verursachten<br />

Vermögensgefährdung zum Nachteil des Landesverbands angesehen werden. Daher kommt es insoweit weder auf<br />

die Anwendung der Gr<strong>und</strong>sätze zur Straflosigkeit einer allein der Sicherung, Ausnutzung oder Verwertung einer<br />

durch eine Vortat erlangten Position dienenden Tat im Sinne einer sog. "mitbestraften Nachtat" an (vgl. BGHSt 38,<br />

366, 368 f.; Rissing-van Saan in LK 11. Aufl., vor § 52 Rdn. 123, Tröndle/Fischer StGB 53. Aufl. vor § 52 Rdn. 65;<br />

jeweils m.w.N.) noch auf die von den Revisionen erörterte Frage, ob den Angeklagten die Offenbarung ihrer früheren<br />

Tathandlungen unter dem Gesichtspunkt der Selbstbelastungsfreiheit zugemutet werden konnte. Der Gr<strong>und</strong>satz,<br />

dass niemand durch (neue) Strafdrohung dazu gezwungen werden darf, sich selbst zu belasten, führt jedenfalls nicht<br />

zu der Befugnis, neue Straftaten mit weitergehenden Schäden gegen andere, von den Vortaten nicht betroffene<br />

Rechtsgutsinhaber zu begehen. Beim B<strong>und</strong>esverband handelte es sich aber um einen neuen Geschädigten, dessen<br />

von dem des Landesverbands zu unterscheidendes Vermögen ein selbständiges Schädigungsobjekt darstellte. Den<br />

Blick auf die Unterscheidung hat sich das Landgericht möglicherweise auch dadurch verstellt, dass es die Frage<br />

fremdnütziger Betrugstaten zu Lasten der B<strong>und</strong>esrepublik, die die Staatsanwaltschaft in der Abschlussverfügung<br />

vom 11. Mai 2001 gemäß § 154 a Abs. 1 StPO von der Verfolgung ausgenommen hatte, auch in ihrem Zusammenhang<br />

mit den abgeurteilten Untreuehandlungen nicht mehr bedacht hat.<br />

a) Den Angeklagten K. traf als Mitglied des B<strong>und</strong>esvorstands <strong>und</strong> des Präsidiums der CDU Deutschlands dieser<br />

gegenüber eine Vermögensbetreuungspflicht. Er durfte nicht an der Erstellung <strong>und</strong> Vorlage wissentlich falscher<br />

Rechenschaftsberichte mitwirken, wenn sich hieraus für die Partei ein nicht kompensierter Vermögensnachteil ergab.<br />

b) Die Veranlassung falscher Rechenschaftsberichte verursachte einen über das Verschweigen der Ersatzansprüche<br />

hinausgehenden Vermögensnachteil. Der Schaden des B<strong>und</strong>esverbands der Partei bestand nach der zutreffenden<br />

Auffassung des Landgerichts in dem konkreten Risiko des Vorenthaltens oder der Rückforderung des Zuwendungsanteils<br />

(UA S. 188, 190; ebenso Lenckner/Perron aaO § 263 Rdn. 45 m.w.N.; a.A. Dierlamm in MüKo-StGB § 266<br />

Rdn. 218); einen weiteren Gefährdungsschaden des Landesverbands hat das Landgericht in der konkreten Gefahr<br />

gesehen, dass die B<strong>und</strong>espartei Schadensersatzforderungen gegen den Landesverband geltend machen könnte (UA S.<br />

191 ff.). Selbst wenn insoweit nur Gefährdungsschäden vorlagen, handelte es sich hierbei in der Substanz <strong>und</strong> quantitativ<br />

um andere Nachteile als bei dem durch das Verschweigen des Vermögens der Stiftung "Za. " dem Landesverband<br />

zugefügten Nachteil. Die pflichtwidrige Verursachung der nahe liegenden Möglichkeit einer Rückforderung zu<br />

Unrecht erlangter Mittel in Höhe von mehreren h<strong>und</strong>ert Millionen DM für die Jahre 1994 bis 1997 vom B<strong>und</strong>esverband<br />

kann nicht als Teilakt der Untreue angesehen werden, durch welche dem Landesverband von 1983 bis 1999<br />

320


vermögenswerte Ansprüche entzogen wurden. Das würde erst recht gelten, wenn der gesetzliche Wegfall des Zuwendungsanspruchs<br />

schon zu einer endgültigen Vermögenseinbuße des B<strong>und</strong>esverbands geführt hätte.<br />

c) Auch wenn sich die Mitwirkung des Angeklagten K. im B<strong>und</strong>es-vorstand darauf beschränkt haben sollte, dem<br />

vom Schatzmeister des B<strong>und</strong>esverbands vorgelegten Rechenschaftsbericht ausdrücklich zuzustimmen, läge insoweit<br />

- die hinreichende Feststellung des subjektiven Tatbestands vorausgesetzt - die Annahme positiven Tuns nahe. Daher<br />

ist auch die Würdigung des Landgerichts unzutreffend, es habe sich um Unterlassungstaten gehandelt, weil der<br />

"Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit" bei dem Verschweigen des Vermögens der Stiftung "Za. " gelegen habe.<br />

d) Da die Mitwirkung an den falschen Rechenschaftsberichten sich jährlich neu nicht allein auf eine Verschleierung<br />

der früheren Untreue richtete, sondern auf die Verursachung eines jeweils neuen, wesentlich höheren Schadens eines<br />

anderen Rechtsgutsinhabers, begegnet die Annahme einer einheitlichen Tat insoweit durchgreifenden rechtlichen<br />

Bedenken. Der einmal gefasste Vorsatz, einem zu betreuenden Vermögen in der Zukunft wiederholt durch Vortäuschen<br />

oder Verschweigen desselben Umstands Nachteile zuzufügen, ist nicht geeignet, mehrere Tatverwirklichungen<br />

aufgr<strong>und</strong> jeweils neuer ausdrücklicher Erklärungen zu einer natürlichen oder rechtlichen Handlungseinheit zusammenzufassen.<br />

3. Durchgreifenden <strong>und</strong> zur Teilaufhebung des Urteils führenden Bedenken begegnet die Annahme des Landgerichts,<br />

die Angeklagten hätten auch hinsichtlich der dem B<strong>und</strong>esverband zugefügten Vermögensnachteile vorsätzlich gehandelt.<br />

Das Landgericht hat angenommen, der Angeklagte K. habe im Hinblick auf die Pflichtverletzung jedenfalls<br />

bedingt vorsätzlich gehandelt, indem er, ebenso wie der frühere Mitangeklagte Wi. , die Möglichkeit erkannt <strong>und</strong><br />

billigend in Kauf genommen habe, dass die Regelungen der §§ 19 Abs. 4 Satz 3, 23 Abs. 4 Satz 3 PartG 1994 die<br />

staatliche Teilfinanzierung in Höhe des Zuwendungsanteils von der Vorlage nicht nur eines formell ordnungsgemäßen,<br />

sondern eines inhaltlich richtigen Rechenschaftsberichts der B<strong>und</strong>espartei abhängig machten. Diese Auslegung<br />

der Regelungen war nach Auffassung des Landgerichts "nahe liegend" (UA S. 161). Unter Würdigung der festgestellten<br />

intensiven Befassung der Angeklagten mit der Neuregelung im Jahr 1993 hat der Tatrichter hieraus geschlossen,<br />

dass die Angeklagten auch die Möglichkeit der "Verlustfolge" erkannten <strong>und</strong> "als Risikofaktor ins Kalkül zogen"<br />

(UA S. 161) <strong>und</strong> dass sie "einen Vermögensschaden für die CDU-B<strong>und</strong>espartei <strong>und</strong> in weiterer Folge auch für<br />

die CDU Hessen billigend in Kauf nahmen" (UA S. 163).<br />

a) Zutreffend ist das Landgericht insoweit davon ausgegangen, dass es sich bei der Frage der Anforderungen an den<br />

Rechenschaftsbericht um eine Frage des objektiven Tatbestands <strong>und</strong> nicht allein um eine solche der rechtlichen<br />

Würdigung handelte. Das Tatbestandsmerkmal der Pflichtwidrigkeit im Sinne von § 266 Abs. 1 StGB verwies insoweit<br />

auf die Regelungen der §§ 19 Abs. 4 Satz 3, 23 Abs. 4 i.V.m. § 24 PartG 1994. Auf die tatsächlichen Voraussetzungen<br />

der so konkretisierten Pflicht muss sich der Vorsatz des Täters erstrecken; sie beschreiben die im Sinne von §<br />

266 Abs. 1 StGB verletzte Pflicht selbst <strong>und</strong> nicht allein das Verbot ihrer Verletzung. Die irrtümliche Verkennung<br />

dieser Anforderungen würde daher gem. § 16 Abs. 1 StGB den Tat-vorsatz ausschließen, ohne dass es auf die Vermeidbarkeit<br />

des Irrtums ankäme. Das kognitive Element des bedingten Tatvorsatzes ist vom Landgericht im Ergebnis<br />

rechtsfehlerfrei festgestellt. Zutreffend hat zwar die Revision darauf hingewiesen, dass die nachträgliche Klärung<br />

der Rechtsfrage, ob das Parteiengesetz 1994 die Vorlage eines nur formell ordnungsgemäßen oder eines inhaltlich<br />

richtigen Rechenschaftsberichts als Voraussetzung für die Festsetzung der staatlichen Zuwendung an die Partei verlangte,<br />

durch das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 12. Juni 2002 in Verbindung mit dem Beschluss<br />

des B<strong>und</strong>esverwaltungsgerichts vom 4. Februar 2003 sowie durch den Beschluss des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts<br />

vom 17. Juni 2004 (NJW 2005, 126) nicht ohne Weiteres dazu führen kann, die Einlassung der Angeklagten als<br />

widerlegt anzusehen, sie hätten angenommen, ausreichend sei die fristgemäße Vorlage eines nur formell ordnungsgemäßen<br />

Rechenschaftsberichts. Für diese Auslegung sprach immerhin der Wortlaut des § 23 Abs. 4 PartG 1994;<br />

dass sie entgegen der Annahme des Landgerichts nicht gänzlich fern lag, zeigt der Umstand, dass auch die erkennende<br />

Strafkammer selbst sie im Nichteröffnungsbeschluss vom 20. März 2002 im Anschluss an das Urteil des Verwaltungsgerichts<br />

erkannten, dass §§ 19 Abs. 4 Satz 3, 23 Abs. 4 Satz 3 PartG 1994 die Vorlage eines inhaltlich im Wesentlichen<br />

Berlin vom 31. Januar 2001 (NJW 2001, 1367) zunächst vertreten hat. Für die Verwirklichung des subjektiven<br />

Tatbestands reicht jedoch auch insoweit bedingter Vorsatz aus. Die rechtsfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts<br />

belegen zweifelsfrei (insoweit a.A. Saliger, Parteiengesetz <strong>und</strong> Strafrecht, 2005, S. 394; MüKo-Dierlamm §<br />

266 Rdn. 218), dass die Angeklagten jedenfalls die Möglichkeit richtigen Rechenschaftsberichts forderten. Soweit<br />

der Tatrichter die spätere Ermessensentscheidung des Präsidenten des Deutschen B<strong>und</strong>estages, von Rückforderungen<br />

für die Jahre 1994 bis 1997 abzusehen <strong>und</strong> die Rückforderung für das Jahr 1998 auf den Zuwendungsanteil der staatlichen<br />

Teilfinanzierung zu beschränken, in den Tatvorsatz der Angeklagten einbezogen hat, beschwert dies die Angeklagten<br />

zwar nicht, führt aber zur Unklarheit über den festgestellten Schadensumfang.<br />

321


) Durchgreifenden Bedenken begegnet hingegen die Bejahung des voluntativen Vorsatzelements. Das Landgericht<br />

ist davon ausgegangen, auch hinsichtlich des durch die falschen Rechenschaftsberichte verursachten Gefährdungsschadens<br />

reiche der bei den Angeklagten festgestellte (UA S. 196 f.) bedingte Vorsatz aus. Da der so genannte Gefährdungsschaden<br />

dem endgültigen Schaden nach ständiger Rechtsprechung <strong>und</strong> herrschender Ansicht in der Literatur<br />

in § 266 Abs. 1 StGB ebenso wie in § 263 StGB gr<strong>und</strong>sätzlich gleichgestellt ist, hat das Landgericht angenommen,<br />

das Inkaufnehmen der Voraussetzungen einer konkreten Gefährdung erfülle auch dann das voluntative Element<br />

des Untreuevorsatzes, wenn der Täter die - als möglich erkannte - endgültige Realisierung der Gefahr vermeiden will<br />

<strong>und</strong> gerade nicht billigt. Gegen diese Ansicht bestehen in dieser Allgemeinheit Bedenken, weil sie im Ergebnis zu<br />

einer Ausweitung des ohnehin schon äußerst weiten Tatbestands der Untreue in Richtung auf ein bloßes Gefährdungs-Delikt<br />

führt. Die unveränderte Übertragung des von der Rechtsprechung ursprünglich für die Bestimmung des<br />

Vermögensschadens in Sonderfällen des Betrugs entwickelten Begriffs der schadensgleichen Vermögensgefährdung<br />

(vgl. Cramer/Perron aaO § 263 Rdn. 143 ff.; Tröndle/Fischer aaO § 263 Rdn. 94 ff. m.w.N.) auf die Auslegung des<br />

Nachteilsbegriffs in § 266 Abs. 1 StGB beachtet nicht hinreichend, dass der subjektive Tatbestand des § 263 Abs. 1<br />

StGB durch das Erfordernis der Bereicherungsabsicht eine Einschränkung erfährt, welche der Tatbestand der Untreue<br />

nicht voraussetzt. Dies führt in der Praxis zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Abgrenzung der Tatvollendung<br />

vom - nicht strafbaren - Versuch (krit. zur Vorverlagerung der Strafbarkeit u. a. Schünemann in LK 11. Aufl. §<br />

266 Rdn. 146; Dierlamm Müko § 266 Rdn. 195; Cramer/Perron aaO § 263 Rdn. 143; jew. m.w.N.) <strong>und</strong> bei der Anwendung<br />

des Untreuetatbestands insbesondere im Bereich wirtschaftlichen Handelns, etwa auf Handlungen im Zusammenhang<br />

mit dem Abschluss sog. Risikogeschäfte. Der hiergegen in der Literatur vorgetragene Einwand der<br />

Zufälligkeit der Strafverfolgung - je nach dem oft zufälligen wirtschaftlichen Erfolg des Handelns - ist nicht von<br />

vornherein von der Hand zu weisen. Eine Eingrenzung wurde hier in der Rechtsprechung bislang insbesondere durch<br />

die Einbeziehung subjektiver Elemente in den Begriff der Pflichtwidrigkeit versucht (vgl. BGHSt 46, 30, 34). Nach<br />

Ansicht des Senats ist der Tatbestand der Untreue in Fällen der vorliegenden Art im subjektiven Bereich dahingehend<br />

zu begrenzen, dass der bedingte Vorsatz eines Gefährdungsschadens nicht nur Kenntnis des Täters von der<br />

konkreten Möglichkeit eines Schadenseintritts <strong>und</strong> das Inkaufnehmen dieser konkreten Gefahr voraussetzt, sondern<br />

darüber hinaus eine Billigung der Realisierung dieser Gefahr, sei es auch nur in der Form, dass der Täter sich mit<br />

dem Eintritt des ihm unerwünschten Erfolgs abfindet. Nur unter dieser Voraussetzung erscheint in enger als bisher<br />

begrenzten Fallgruppen die Annahme der Tatvollendung schon bei Eintritt einer konkreten Gefahr des Vermögensverlustes<br />

als rechtsstaatlich unbedenkliche Vorverlagerung der Strafbarkeit wegen Untreue. Der Begriff der sogenannten<br />

schadensgleichen Vermögensgefährdung als Vollendung des Schadenseintritts hindert diese einschränkende<br />

Auslegung nicht. Aus der bloßen begrifflichen Gleichsetzung sind nicht schon ohne Weiteres zwingende dogmatische<br />

Folgerungen für die Anwendung des Tatbestands abzuleiten; vielmehr muss diese unter Beachtung allgemeiner<br />

Gr<strong>und</strong>sätze, namentlich auch des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgr<strong>und</strong>satzes, aus der Sache selbst folgen.<br />

Dies geschieht bei der Anwendung des Begriffs des Gefährdungsschadens auch bisher schon insoweit, als bei der<br />

Frage der Beendigung der Tat <strong>und</strong> damit des Verjährungsbeginns (§ 78 a StGB) die konkrete Vermögensgefährdung<br />

der endgültigen Schädigung gerade nicht gleichgesetzt wird (vgl. BGH wistra 2003, 379). Das Urteil des 1. Strafsenats<br />

vom 15. November 2001 - 1 StR 185/01 (BGHSt 47, 148) steht dem nicht entgegen. In dem jener Entscheidung<br />

zugr<strong>und</strong>e liegenden Fall einer risikobehafteten Kreditvergabe hat der 1. Strafsenat zwar ausgeführt, das Billigungselement<br />

des bedingten Schädigungs-Vorsatzes müsse sich nur auf die schadensgleiche Vermögensgefährdung beziehen<br />

(BGHSt 47, 148, 157). Jedoch betraf diese Entscheidung ersichtlich eine besondere Fallgruppe in Abgrenzung<br />

zu dem der Entscheidung BGHSt 46, 30 zugr<strong>und</strong>e liegenden Fall einer möglicherweise pflichtwidrigen Kreditvergabe<br />

unter Verstoß gegen § 18 Satz 1 KWK. Im Fall BGHSt 47, 148 hat der 1. Strafsenat entschieden, auch das voluntative<br />

Element des (bedingten) Gefährdungs-Vorsatzes sei gegeben oder liege jedenfalls nahe, wenn nach Kenntnis<br />

des Täters ein extrem hohes, "nicht abschätzbares" <strong>und</strong> "unbeherrschbares" Risiko eingegangen werde (BGHSt 47,<br />

148, 155), das zu einer konkreten "höchsten Gefährdung" des zu betreuenden Vermögens führte. Diese Fallkonstellation,<br />

bei welcher die "letztliche" Ablehnung der Schadensrealisierung durch den Täter nurmehr im Bereich einer<br />

vagen Hoffnung angesiedelt ist, ist mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Dieser zeichnet sich vielmehr dadurch<br />

aus, dass auch anhand einer Vielzahl objektiver Indizien über einen langen Zeitraum belegt ist, dass die Täter<br />

angesichts des über fast zwei Jahrzehnte erfolgreich funktionierenden Verschleierungssystems ernsthaft <strong>und</strong> nicht<br />

nur vage darauf vertrauten, dass die Geheimkonten unentdeckt blieben, <strong>und</strong> daher bei der Erstellung der falschen<br />

Rechenschaftsberichte zwar eine (konkrete) Vermögensgefährdung als notwendige Folge ihres Handelns in Kauf<br />

nahmen, eine Realisierung dieser Gefahr jedoch unter allen Umständen vermeiden wollten <strong>und</strong> keinesfalls billigten.<br />

Gegen die Einschränkung in Fällen der vorliegenden Art kann auch nicht eingewandt werden, dass auf diese Weise<br />

eine Inkongruenz von objektivem <strong>und</strong> subjektivem Tatbestand für Fälle der Untreue bei Verursachung eines bedingt<br />

322


vorsätzlichen Gefährdungsschadens entstehe. Der Gr<strong>und</strong> ergibt sich nämlich aus dem Umstand, dass die Anerkennung<br />

einer "konkreten Vermögensgefährdung" auf der Gr<strong>und</strong>lage einer wirtschaftlichen Betrachtung der Sache nach<br />

eine Vorverlagerung der Vollendung in den Bereich des Versuchs bedeutet (zutr. Cramer/Perron aaO § 263 Rdn.<br />

143). Der Versuch einer Straftat zeichnet sich aber gerade durch diese Inkongruenz, d. h. durch objektive Nichtvollendung<br />

bei auf Vollendung gerichtetem Vorsatz aus. Bei der Anwendung des § 263 StGB, für welche die Figur<br />

der "schadensgleichen Vermögensgefährdung" entwickelt wurde, spiegelt sich diese in dem subjektiven Element der<br />

Absicht der Selbst- oder Drittbereicherung; diese muss sich gerade auf einen dem Vermögensnachteil stoffgleichen<br />

Vorteil richten.<br />

4. Das Landgericht hat, ausgehend von seinem unzutreffenden rechtlichen Ansatz, die genannten Fragen nicht oder<br />

nur unzureichend erörtert. Die rechtsfehlerhafte Annahme, durch die Mitwirkungen an den Rechenschaftsberichten<br />

sei jeweils der Tatbestand der Untreue verwirklicht worden, beschwert die Angeklagten auch auf der Gr<strong>und</strong>lage der -<br />

ebenfalls unzutreffenden - Annahme des Landgerichts, es habe sich insoweit um unselbständige Teilakte einer einheitlichen<br />

Tat gehandelt, da sie zur fehlerhaften Bewertung des Schuldumfangs führt. Der Senat kann ausschließen,<br />

dass ein neuer Tatrichter auf der Gr<strong>und</strong>lage der oben ausgeführten Anforderungen zur rechtsfehlerfreien Feststellung<br />

des bedingten Vorsatzes im Hinblick auf die Mitwirkung an den falschen Rechenschaftsberichten gelangen könnte.<br />

Die insoweit aus Rechtsgründen nicht zu beanstandenden Feststellungen des Landgerichts belegen, dass eine Billigung<br />

des Schadenseintritts bei den Angeklagten nicht vorlag.<br />

IV. Die dargelegten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Schuldspruchs, soweit die Angeklagten wegen Untreue<br />

bzw. Beihilfe zur Untreue durch Mitwirkung bei den Rechenschaftsberichten verurteilt worden sind. Ein Freispruch<br />

hinsichtlich dieser selbständigen, auch als solche angeklagten Taten durch den Senat kam nicht in Betracht, weil<br />

nicht auszuschließen ist, dass in der neuen Hauptverhandlung der gemäß § 154 a Abs. 1 StPO ausgeschiedene Vorwurf<br />

des Betrugs zu Lasten der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland wieder einbezogen wird. Aufzuheben war auch der<br />

Strafausspruch, da der Schuldumfang vom Landgericht auf rechtsfehlerhafter Gr<strong>und</strong>lage insgesamt unzutreffend,<br />

weil zu weitreichend beurteilt worden ist. Auch insoweit kommt eine eigene Sachentscheidung des Senats nicht in<br />

Betracht. Es ist möglich, dass der neue Tatrichter die bislang ausgeschiedenen Tatteile der Untreue zu Lasten des<br />

Landesverbands wieder einbezieht oder auch im Übrigen zu einer anderen Würdigung gelangt.<br />

StGB § 266 Zum Vorwurf der Untreue im Rahmen von Bestechungsdelikten.<br />

BGH, Beschl. vom 13.02.2007 – 5 StR 400/06<br />

Zum Vorwurf der Untreue im Rahmen von Bestechungsdelikten.<br />

Der 5. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 13. Februar 2007 beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 10. Januar 2006 gemäß § 349<br />

Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen Untreue verurteilt worden<br />

ist, <strong>und</strong> im gesamten Rechtsfolgenausspruch.<br />

2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.<br />

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) zurückverwiesen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Bestechlichkeit (Einsatzstrafe: ein Jahr <strong>und</strong> sechs Monate Freiheitsstrafe)<br />

<strong>und</strong> wegen Untreue in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt <strong>und</strong> deren Vollstreckung<br />

zur Bewährung ausgesetzt. Die Wirtschaftsstrafkammer hat dem Angeklagten ferner für die Dauer von drei<br />

Jahren die Fähigkeit aberkannt, öffentliche Ämter zu bekleiden, <strong>und</strong> den Verfall von Wertersatz in Höhe von über<br />

15.000 Euro angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat den aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Teilerfolg (§<br />

349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 StPO).<br />

1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen <strong>und</strong> Wertungen getroffen: Im Mai 1995 beantragte<br />

die B. W. GmbH & Co. KG (W. ) aus Berlin für die Errichtung des Geschäfts- <strong>und</strong> Dienstleistungszentrums Rathauspassage<br />

in Eberswalde die Baugenehmigung. Diese wurde Anfang 1996 kurz nach Amtsantritt des Angeklagten<br />

als Bürgermeister der Stadt Eberswalde erteilt. W. errichtete unter anderem ein Parkhaus mit 226 Stellplätzen, die<br />

indes nach Planungserweiterungen nicht mehr zur Erfüllung der bauordnungsrechtlichen Pflicht zur Errichtung von<br />

Stellplätzen ausreichten. W. hätte nach dem letzten Antrag auf Nutzungsänderung vom 13. Januar 1998 noch 36<br />

323


weitere Stellplätze errichten oder einen Ablösebetrag von 342.000 DM entrichten müssen. Es bestand eine Sicherheitsleistung<br />

durch Abtretung einer Forderung in Höhe von 180.000 DM. Die österreichische Unternehmerin E. B.<br />

betätigte sich, vertreten durch ihren Ehemann J. , ebenfalls als Investorin in Eberswalde. Sie beantragte im April<br />

1996 die Baugenehmigung zur Errichtung eines Wohn- <strong>und</strong> Geschäftshauses, für das 13 Stellplätze zu errichten<br />

waren. Sie beantragte, sich von dieser Pflicht durch Zahlung des Ablösebetrages befreien zu dürfen. Dem wurde in<br />

der bestandskräftig gewordenen Baugenehmigung vom 21. Oktober 1996 entsprochen, die als ebenfalls nicht angefochtene<br />

Auflage die Pflicht enthielt, bis 20. Juni 1997 123.500 DM als Ablösebetrag an die Stadt zu zahlen. Zur<br />

Sicherung der Zahlungsverpflichtung stellte E. B. – einem Zwischenbescheid folgend – eine Bankbürgschaft, die<br />

wiederum durch Festgeld in Höhe der Bürgschaftssumme gesichert war. J. B. <strong>und</strong> die Vertreter von W. hatten bereits<br />

zum Jahresende 1997 auf eine Verringerung der Ablösebeträge gedrängt. Dem gab der Angeklagte nach; er schloss<br />

am 17. Februar 1998 mit W. einen – erst durch Änderung des § 52 Abs. 6 der Brandenburgischen Bauordnung<br />

(LBO) ab 1. Januar 1998 ermöglichten – Stellplatzablösevertrag über 35.000 DM. Dieser Betrag wurde sofort bezahlt<br />

<strong>und</strong> die Nutzungsänderung danach genehmigt. Der Angeklagte kam ferner mit J. B. überein, den von dessen<br />

Ehefrau zu leistenden Ablösebetrag auf etwa die Hälfte zu verringern. Dafür sollte der Angeklagte etwa die Hälfte<br />

aus dem von der Bauherrin hierdurch ersparten Ablösebetrag als Gegenleistung erhalten. Nach Abnahme des Bauvorhabens<br />

B. am 25. März 1998 schloss der Angeklagte an demselben Tag einen Stellplatzablösevertrag über 59.800<br />

DM. J. B. wies am 14. April 1998 seine Bank an, diesen Betrag der Stadt Eberswalde aus dem nicht länger anzulegenden<br />

Festgeld gegen Rückgabe der Bürgschaftsurk<strong>und</strong>e zu überweisen. Einen Tag nach Eingang der Bürgschaftsurk<strong>und</strong>e<br />

bei der Bank überwies E. B. aus dem verbliebenen ehemaligen Festgeldbetrag am 12. Mai 1998 auf ein<br />

Konto der Eheleute Sch. 30.000 DM <strong>und</strong> benannte als Verwendungszweck „Optionsgeld Gr<strong>und</strong>stück Finowfurt“.<br />

Das Landgericht hat den Abschluss der Stellplatzablöseverträge als missbräuchliche Vermögensverfügungen gewertet,<br />

aus denen der Stadt Vermögensnachteile in Höhe von 63.700 DM (Fall B. ) <strong>und</strong> 307.000 DM (Fall W. ) entstanden<br />

seien. Eine spätere Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes durch E. B. gegen die Nachforderung<br />

der Stadtverwaltung blieb erfolglos. Das Landgericht hat sich auf der Gr<strong>und</strong>lage einer eingehenden – rechtsfehlerfreien<br />

– Beweiswürdigung davon überzeugt, dass die Überweisung der 30.000 DM auf keinem legalen Hintergr<strong>und</strong><br />

beruhte.<br />

2. Die Revision hat mit der Sachrüge Erfolg, soweit sie die Schuldsprüche wegen Untreue angreift. Die Annahme<br />

des Landgerichts, der Angeklagte habe der Stadt durch Vornahme einer pflichtwidrigen wirksamen Diensthandlung<br />

einen erheblichen Vermögensnachteil zugefügt, trifft nicht zu. Jenseits davon rechtfertigen die Feststellungen des<br />

Landgerichts den Schuldspruch wegen Untreue nicht ohne weiteres.<br />

a) Der Angeklagte hat durch den Abschluss der Stellplatzablöseverträge – im Fall B. im Wege des Wiederaufgreifens<br />

des Verwaltungsverfahrens (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 Bbg VwVfG) in Verbindung mit Artikel 1 Nr. 34 lit. a des Gesetzes<br />

zur Änderung der Brandenburgischen Bauordnung <strong>und</strong> anderer Gesetze vom 18. Dezember 1997 (GVBl. I S. 124,<br />

130) <strong>und</strong> im Fall W. allein nach dieser Vorschrift – die Ansprüche der Stadt Eberswalde auf Zahlung der Ablösebeträge<br />

nicht wirksam verringert. Die Verträge waren unwirksam. Der vom Landgericht angenommene Missbrauchstatbestand<br />

des § 266 Abs. 1 StGB ist nicht erfüllt.<br />

aa) Der Senat kann es dahingestellt sein lassen, ob – wie die Revision <strong>und</strong> der Generalb<strong>und</strong>esanwalt meinen – die<br />

von dem Angeklagten geschlossenen Verträge gemäß § 59 Abs. 1 Bbg VwVfG, § 134 BGB nichtig sind. Die Pflicht<br />

zur Zahlung der Stellplatzablösebeträge stellt eine sich aus Gesetz ergebende öffentlich-rechtliche Zahlungsverpflichtung<br />

dar. Ob es sich hierbei um sonstige Abgaben im Sinne des § 1 Abs. 3 des Kommunalabgabengesetzes für<br />

das Land Brandenburg handelt (VG Frankfurt [Oder], Urteil vom 19. April 2002 – 7 K 2552/00 m.w.N.; offen gelassen<br />

von OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. Januar 2006 – 10 N 29.05; jeweils das Verfahren E. B. gegen<br />

Stadt Eberswalde betreffend), braucht der Senat nicht zu entscheiden. Mit einer solchen Wertung wäre freilich dem<br />

Gr<strong>und</strong>satz der strikten Bindung an das Gesetz (Artikel 20 Abs. 3 GG) besondere <strong>und</strong> gesteigerte Bedeutung zugekommen<br />

(vgl. VG Frankfurt [Oder] aaO unter Berufung auf BVerwG NJW 1982, 2392, dort zum Erschließungsbeitragsrecht).<br />

Die vorliegend auf der Gr<strong>und</strong>lage des nach wie vor geltenden § 52 Abs. 7 LBO zutreffend festgelegten<br />

Ablösebeträge von jeweils 9.500 DM pro Stellplatz hätten demnach nur bei Eingreifen einer gesetzlichen Ermächtigung<br />

wirksam reduziert werden können. Eine solche lag indes nicht vor. Zwar eröffnete Artikel 1 Nr. 59 lit. c des<br />

genannten Änderungsgesetzes die Möglichkeit einer Minderung der Ablösebeträge um 50 %. Dies war aber von dem<br />

Erlass einer örtlichen Bauvorschrift abhängig, die in Eberswalde erst am 1. Januar 1999 in Kraft getreten ist. Im<br />

Übrigen unterschritten die vom Angeklagten vorgenommenen Reduzierungen das gesetzlich zulässige Höchstmaß<br />

zusätzlich (von 9.500 DM auf 4.600 DM im Fall B. <strong>und</strong> auf – markant – 972 DM im Fall W. ). Ob solches in der<br />

vorliegenden Fallkonstellation ausnahmslos gelten müsste <strong>und</strong> ob gegebenenfalls eine so begründete – untreuespezi-<br />

324


fische – Nichtigkeit die Erfüllung des Straftatbestands der Untreue überhaupt berühren könnte, kann gleichfalls offen<br />

bleiben.<br />

bb) Jedenfalls sind die vom Angeklagten abgeschlossenen Verträge unwirksam wegen Verstoßes gegen § 67 Abs. 2<br />

Satz 2 der Gemeindeordnung für das Land Brandenburg (GO) i.V.m. §§ 177 ff. BGB, weil die danach zusätzlich<br />

erforderliche Unterschrift des Vorsitzenden der Gemeindevertretung oder eines seiner Vertreter nicht beigefügt worden<br />

ist (BGH NJW-RR 2001, 1524; VG Frankfurt [Oder] aaO; OVG Berlin-Brandenburg aaO) <strong>und</strong> hier auch nicht<br />

beigefügt werden durfte. Die fehlende Mitwirkung des Vorstands der Gemeindevertretung hat zur Folge, dass der<br />

Angeklagte die Gemeinde nicht wirksam im Außenverhältnis binden konnte. Dies führt zum Ausschluss des Missbrauchstatbestandes<br />

(Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 266 Rdn. 17).<br />

b) Auch auf der Gr<strong>und</strong>lage des Treubruchstatbestandes des § 266 Abs. 1 StGB kann die Verurteilung wegen Untreue<br />

nicht aufrechterhalten bleiben. Einen derart alternativ begründeten Schuldspruch tragen die Feststellungen bei der<br />

offensichtlichen Unwirksamkeit der Verträge vor dem Hintergr<strong>und</strong> der Straflosigkeit versuchter Untreue sowie eines<br />

jedenfalls geringeren Schuldumfangs <strong>und</strong> eines fehlenden Beleges eines hierauf bezogenen Vorsatzes für sich nicht<br />

ohne weiteres. Zwar stand der Angeklagte als Bürgermeister gegenüber der Stadt Eberswalde in einem Treueverhältnis<br />

(vgl. allgemein BGH GA 1956, 121 f.; BGHR StGB § 266 Abs. 1 Vermögensbetreuungspflicht 34). Als Leiter<br />

der Gemeindeverwaltung (§ 61 Abs. 1 Satz 1 GO) hatte der Angeklagte für eine sparsame <strong>und</strong> wirtschaftliche Führung<br />

der Haushaltswirtschaft (§ 74 Abs. 2 GO) <strong>und</strong> dafür Sorge zu tragen, dass die Gemeinde Abgaben nach den<br />

gesetzlichen Vorschriften erhebt (§ 75 Abs. 1 GO). Die Feststellungen belegen aber nicht die vom Landgericht<br />

zugr<strong>und</strong>e gelegten Vermögensnachteile der Stadt, die durch die vom Angeklagten geschlossenen Verträge wegen<br />

deren Unwirksamkeit unmittelbar keine Ansprüche einbüßte (vgl. auch BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 46).<br />

aa) Im Fall B. kommt als Vermögensnachteil hier auch nicht die Herausgabe der Bürgschaft in Betracht. Zwar hat<br />

die Stadt Eberswalde eine ihr gestellte Sicherheit aufgegeben, was gr<strong>und</strong>sätzlich eine Vermögensminderung zur<br />

Folge haben kann (vgl. BGHR StGB § 263 Abs. 1 Vermögensschaden 67). Indes ist nicht ersichtlich, dass der Stadt<br />

Eberswalde eine schadensgleiche konkrete Gefahr drohte, mit ihrer Forderung gegen die vermögende Abgabenschuldnerin<br />

B. auszufallen. Der Senat kann überdies dem zur Prüfung der öffentlichrechtlichen Rechtslage herangezogenen<br />

Urteil des VG Frankfurt (Oder) entnehmen, dass der Anspruch der Stadt schon seit dem 31. Mai 2001 durch<br />

Aufrechnung erloschen ist.<br />

bb) Die Vertragsabschlüsse durch den Angeklagten begründen auch deshalb keinen Nachteil im Sinne des § 266<br />

StGB, weil die bisherigen Feststellungen nicht ausreichend belegen, dass die Durchsetzung der Ablösezahlungen,<br />

wenn schon nicht verhindert, so doch erheblich erschwert worden wäre. Anders als etwa in den Fällen unordentlicher<br />

Buchführung, in denen eine Untreue durch eine mangelhafte Dokumentation dann eintreten kann, wenn die Realisierung<br />

von Forderungen nachhaltig <strong>und</strong> konkret erschwert ist (vgl. dazu BGHSt 47, 8, 11; BGHR StGB § 266 Abs. 1<br />

Vermögensbetreuungspflicht 24, Nachteil 12), liegt eine vergleichbare Situation bei der hier gegebenen Sachlage<br />

nicht vor. Hier hätten Dritte lediglich beurteilen müssen, ob die vom Angeklagten abgeschlossenen, der Stadtverwaltung<br />

aber bekannten Verträge rechtswirksam sind. Die Unwirksamkeit der von dem Angeklagten abgeschlossenen<br />

Verträge drängte sich aber schon wegen des leicht zu erkennenden Fehlens der zweiten Unterschrift so stark auf,<br />

dass vor dem Hintergr<strong>und</strong> der den Mitarbeitern der Stadtverwaltung obliegenden Pflicht zur Einhaltung der Gesetze,<br />

die nach § 75 Abs. 1 GO eine Geltendmachung der scheinbar erlassenen Beträge verlangte, eine ernstliche Gefährdung<br />

der Ansprüche insoweit auszuschließen ist.<br />

cc) Soweit der Generalb<strong>und</strong>esanwalt in seiner Antragsschrift vom 7. November 2006 einen Vermögensnachteil darin<br />

erblickt, dass vom Angeklagten vereitelte Haushaltseinnahmen zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der<br />

Dispositionsfreiheit des Haushaltsgesetzgebers der Stadt Eberswalde (im Anschluss an BGHSt 43, 381, 399 <strong>und</strong><br />

BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 54) geführt haben <strong>und</strong> er durch den gemäß § 52 Abs. 8 LBO für den Bau von<br />

Stellplätzen vorgegebenen Mittelaufwand in seinen politischen Gestaltungsmöglichkeiten beschnitten worden ist,<br />

vermag dem der Senat nicht zu folgen. Das sich aus § 52 Abs. 8 LBO ergebende Gebot, die Stellplatzablösebeträge<br />

zum Bau von Stellplätzen oder für den öffentlichen Nahverkehr zu verwenden, ist nicht sofort nach Festsetzung <strong>und</strong><br />

Eingang der Ablösebeträge zu erfüllen. Vielmehr sind die eingegangenen oder beigetriebenen Stellplatzablösebeträge<br />

in einer Sonderrücklage anzusammeln (vgl. Semtner in Reimus/Semtner/Langer, Die neue Brandenburgische<br />

Bauordnung § 52 Rdn. 16 m.w.N.). Die Ausgabe dieser Mittel unterliegt demgemäß der sinnvollen Disposition im<br />

Rahmen der längerfristig zu verwirklichenden Stadtentwicklung. Ein vorübergehender Ausfall eines Teils der für den<br />

Stellplatzbau oder die Förderung des öffentlichen Nahverkehrs bestimmten Mittel nötigte deshalb gr<strong>und</strong>sätzlich nicht<br />

zu Kreditaufnahmen oder Umschichtungen der Finanzmittel der Stadt. Dabei liegt ein Sonderfall eines Bedürfnisses<br />

für einen kurzfristig notwendigen Bau von öffentlichen Stellplätzen nicht vor. Solche waren sogar über den Bedarf<br />

325


hinaus in der Innenstadt von Eberswalde vorhanden. Das von der W. errichtete Parkhaus war nämlich nur zu 27 %<br />

ausgelastet.<br />

dd) Die Feststellungen belegen demnach – ausgehend von der sich auch im Fall W. aus dem Zusammenhang der<br />

Urteilsgründe ergebenden Werthaltigkeit des Anspruchs der Stadt gegen diesen Investor – allenfalls einen gewissen,<br />

zudem nicht näher bestimmbaren Zinsverlust als Vermögensnachteil (vgl. BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 51).<br />

Allein dies kann aber die Aufrechterhaltung der Schuldsprüche – jenseits der vom Landgericht in dem nicht mit einer<br />

Bestechlichkeit verb<strong>und</strong>enen Fall W. unzureichend erörterten Vorsatzproblematik (vgl. BGHSt 46, 30, 35; 47, 148,<br />

157; 48, 331, 347 ff.) – nicht rechtfertigen. Dem neuen Tatrichter ist Gelegenheit zu geben, zu erwägen, ob gegen<br />

den nicht vorbestraften Angeklagten das Verfahren wegen der Tatvorwürfe der Untreue gemäß §§ 154, 154a StPO<br />

erledigt werden kann. Solche Überlegungen waren dem Landgericht wegen seines anderen Ansatzes zur Wirksamkeit<br />

der vom Angeklagten abgeschlossenen Verträge versagt.<br />

3. Die Revision bleibt hingegen erfolglos im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, soweit sie sich gegen den – zentralen –<br />

Schuldspruch wegen Bestechlichkeit richtet. Der Senat hat dabei in seine Überprüfung wegen der Verschränkung der<br />

Beweisführung sämtliche Verfahrensrügen in seine Würdigung einbezogen <strong>und</strong> bemerkt lediglich zum geltend gemachten<br />

Verstoß gegen § 244 Abs. 6 StPO durch Nichtverbescheidung des Antrags auf Vernehmung des Zeugen K. :<br />

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Verteidiger unter den Gegebenheiten des vorliegenden Falles – über die Senatsentscheidung<br />

BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 42 hinaus – verpflichtet gewesen wäre, bereits am 11.<br />

Verhandlungstag dem Missverständnis des Gerichts, auch der Antrag auf Vernehmung des Zeugen K. sei verbeschieden,<br />

entgegenzutreten. Insbesondere kann offen bleiben, ob nach einem mit zahlreichen Anträgen vom Verteidiger<br />

bewirkten Wiedereintritt in die Beweisaufnahme am 12. Verhandlungstag eine gesteigerte Hinweispflicht gegenüber<br />

dem an diesem Tag wiederholt verlautbarten Missverständnis des Gerichts über die Verbescheidung des<br />

Antrags jedenfalls deshalb anzunehmen gewesen wäre, weil der Verteidiger zu diesem Zeitpunkt über den Stand der<br />

Beweisaufnahme wegen der mit der Stellung der weiteren Anträge notwendig verb<strong>und</strong>enen Überprüfung der Antragslage<br />

besser informiert gewesen ist als zum Zeitpunkt der ersten Feststellung, dass alle Anträge verbeschieden<br />

seien. Der Senat schließt vorliegend im Blick auf die Allgemeinheit der den Inhalt politischer Erörterungen betreffender<br />

Beweisthemen <strong>und</strong> den Ausführungen des Landgerichts dazu (UA S. 10 f., 13, 25, 27) das Beruhen des Urteils<br />

auf dem Rechtsfehler aus. In der Sache hat das Landgericht – wie in der dienstlichen Erklärung der Strafkammervorsitzenden<br />

dargelegt – die Behauptungen als bereits bewiesen betrachtet.<br />

4. Der Strafausspruch <strong>und</strong> die Nebenentscheidungen können nicht aufrecht erhalten bleiben. Der Senat kann nicht<br />

ausschließen, dass sich bei der Bemessung der Freiheitsstrafe von einem Jahr <strong>und</strong> sechs Monaten für die Bestechlichkeit<br />

die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe durch Vornahme einer pflichtwidrigen wirksamen<br />

Diensthandlung der Stadt einen erheblichen Vermögensnachteil zugefügt, zulasten des Angeklagten ausgewirkt hat.<br />

Das gleiche gilt für die gemäß § 358 StGB erfolgte Festsetzung der Aberkennung der Fähigkeit, öffentliche Ämter zu<br />

bekleiden. Auch die Verfallsanordnung hat keinen Bestand. Gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB kommt vorliegend in<br />

Betracht, dass ein Teil des Bestechungslohns in Höhe des der Stadt entstandenen Schadens dieser nach § 823 Abs. 2<br />

BGB in Verbindung mit § 266 StGB zusteht (vgl. BGHR StGB § 73 Verletzter 4).<br />

5. Im erkannten Umfang bedarf die Sache deshalb neuer Aufklärung <strong>und</strong> Bewertung. Der Senat hat das Verfahren an<br />

eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) gemäß § 354 Abs. 2 StPO zurückverwiesen. Dieses<br />

Gericht ist als Tatort- <strong>und</strong> Wohnsitzgericht zuständig (§ 7 Abs. 1, § 8 Abs. 1 StPO). Nach einer ersten Anklageerhebung<br />

am 29. Januar 2003 hat das Landgericht Potsdam am 16. Mai 2003 zurecht seine örtliche Zuständigkeit verneint.<br />

Auf die am 17. Juli 2003 zutreffend bei der allgemeinen Strafkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) erhobene<br />

Anklage hat die 2. große Strafkammer dieses Gerichts mit Beschluss vom 15. September 2003 die Eröffnung<br />

des Hauptverfahrens abgelehnt. Das Brandenburgische Oberlandesgericht hat schließlich am 21. April 2005 das<br />

Hauptverfahren vor dem bisher erkennenden Gericht eröffnet, das nach Nichtannahme einer Verfassungsbeschwerde<br />

durch Beschluss des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts vom 15. September 2005 am 18. Oktober 2005 mit der Hauptverhandlung<br />

begonnen hat. Der neue Tatrichter wird den hier dargestellten Verfahrensgang im Rahmen der Strafzumessung<br />

unter dem Gesichtspunkt zu würdigen haben, ob die in Anspruch genommenen Bearbeitungszeiten bis zur Anklageerhebung,<br />

für die Prüfung der örtlichen Zuständigkeit <strong>und</strong> das Beschwerdeverfahren nach Nichteröffnung des<br />

Hauptverfahrens vor dem Hintergr<strong>und</strong> der Gesamtverfahrensdauer eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung<br />

begründen können (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 13, 17; BGH NStZ-RR 2006, 177, 178).<br />

326


StGB § 266a – Vortäuschung Entsendetatbestand – türk. Scheinfirmen<br />

BGH, Beschl. vom 07.03.2007 – 1 StR 301/06 – NJW 2007, S. 1370 ff.<br />

LS: Zur Anwendbarkeit von § 266a StGB bei einem durch türkische Scheinfirmen vorgetäuschten<br />

Entsendetatbestand (im Anschluss an BGH NJW 2007, 233, zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 7. März 2007 beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 30. Januar 2006<br />

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in 53 Fällen, des Betruges<br />

in 14 Fällen sowie der Beschaffung einer Aufenthaltsgenehmigung durch unrichtige Angaben in 62 Fällen<br />

schuldig ist;<br />

b) in den Einzelstrafaussprüchen zu V. 1. c) Fälle 3. bis 11. der Urteilsgründe aufgehoben.<br />

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.<br />

3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

I. 1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: Der Angeklagte war von 1996 bis 2001 faktischer <strong>und</strong><br />

seit 2001 formeller Geschäftsführer der Firma HaCe GmbH (im Folgenden: HaCe GmbH) mit Sitz in P. . Die Gesellschaft<br />

führte unter Einschaltung von Subunternehmen Bauarbeiten im Bereich der Eisenflechterei durch. Auf Veranlassung<br />

des Angeklagten gründete der anderweitig Verfolgte - 4 -<br />

O. in der Türkei in den Jahren 1999 <strong>und</strong> 2002 die Firmen Eryilmaz Limited (im Folgenden: Eryilmaz Ltd.) <strong>und</strong> Kanal<br />

Ltd. (im Folgenden: Kanal Ltd.), zwei Gesellschaften mit beschränkter Haftung türkischen Rechts. Faktischer<br />

Geschäftsführer auch dieser Gesellschaften war der Angeklagte. Ihr alleiniger Zweck bestand darin, Arbeiter anzuwerben,<br />

die in Deutschland auf Baustellen der HaCe GmbH Arbeiten verrichten sollten; im Übrigen waren sie, wie<br />

die Strafkammer im Einzelnen ausführt, nicht unternehmerisch tätig. Zweigstellen beider Firmen wurden in Deutschland<br />

in P. angemeldet. Die HaCe GmbH schloss mit der Eryilmaz Ltd. <strong>und</strong> der Kanal Ltd. Werkverträge, denen zufolge<br />

die türkischen Gesellschaften unter Einsatz der angeworbenen Arbeiter in Deutschland als Subunternehmer für<br />

die HaCe GmbH tätig werden sollten. Gegenüber den deutschen Behörden stellte der Angeklagte mit Unterstützung<br />

des - früheren - Mitangeklagten A. - der keine Revision eingelegt hat - die beabsichtigte Beschäftigung der Arbeiter<br />

als „Entsendefall“ dar. Bei den deutschen Sozialversicherungsbehörden meldete der Angeklagte die türkischen Arbeiter<br />

nicht an <strong>und</strong> führte auch keine Beiträge für sie ab. Hierdurch wurden der deutschen Sozialversicherung zwischen<br />

April 1999 <strong>und</strong> Juni 2003 insgesamt 315.290,93 € entzogen. In der Türkei wurden für die Arbeiter Sozialversicherungsbeiträge<br />

in dem dort vorgeschriebenen Umfang entrichtet. Der Angeklagte beschäftigte bei der HaCe<br />

GmbH zugleich deutsche Arbeitnehmer, die sich auf seine Weisung in den Wintermonaten arbeitslos meldeten, tatsächlich<br />

jedoch im Betrieb der Firma weiterbeschäftigt wurden. In den Monaten Januar, Februar <strong>und</strong> Dezember der<br />

Jahre 1999 bis 2001 sowie im Januar <strong>und</strong> Februar 2002 entzog der Angeklagte auf diese Weise Sozialversicherungsbeiträge<br />

in Höhe von insgesamt 20.979,78 €.<br />

2. Das Landgericht hat die unterlassene Beitragsabführung als auf den monatlichen Fälligkeitszeitpunkt bezogene<br />

Fälle des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 1 StGB bewertet. Hinsichtlich der türkischen Arbeiter<br />

ist es von 51 selbständigen Taten ausgegangen; hinsichtlich der nicht angemeldeten deutschen Arbeiter hat es weitere<br />

elf Taten angenommen. Nach Auffassung des Landgerichts waren die auf Baustellen der HaCe GmbH tätigen türkischen<br />

Arbeiter in Deutschland sozialversicherungs- <strong>und</strong> daher beitragspflichtig. Bei ihnen habe es sich zwar nicht<br />

um Arbeitnehmer der deutschen HaCe GmbH gehandelt, da sie nicht hinreichend in deren Betrieb integriert gewesen<br />

seien, sondern um solche der Eryilmaz Ltd. <strong>und</strong> der Kanal Ltd.. Aufgr<strong>und</strong> ihrer Tätigkeit in Deutschland unterlägen<br />

sie gleichwohl der deutschen Sozialversicherungspflicht. Eine nur vorübergehende Entsendung der Arbeiter nach § 5<br />

SGB IV mit der Folge, dass die Arbeiter in Deutschland hätten beitragsfrei beschäftigt werden können, scheide aus.<br />

Die Verantwortung des Angeklagten für die Beitragsabführung hinsichtlich der türkischen Arbeitnehmer folge - so<br />

das Landgericht - aus seiner Eigenschaft als faktischer Geschäftsführer der Eryilmaz Ltd. <strong>und</strong> der Kanal Ltd.. Hinsichtlich<br />

der deutschen Arbeitnehmer sei der Angeklagte aufgr<strong>und</strong> seiner Stellung als zunächst faktischer, später<br />

formeller Geschäftsführer der HaCe GmbH zur Zahlung der Beiträge verpflichtet gewesen.<br />

3. Das Landgericht hat den Angeklagten auf dieser Gr<strong>und</strong>lage wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in 62 Fällen<br />

verurteilt. Wegen dieser Taten <strong>und</strong> weiterer Verurteilungen wegen Betruges in 14 Fällen <strong>und</strong> wegen Verstoßes gegen<br />

327


§ 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG in 62 Fällen hat es eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verhängt. Die hiergegen gerichtete,<br />

auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten bleibt weitgehend erfolglos. Sie führt bei gleichbleibendem<br />

Schuldumfang zu einer Änderung des Schuldspruchs <strong>und</strong> dementsprechend zum Wegfall von neun Einzelstrafen;<br />

der Gesamtstrafenausspruch bleibt hiervon unberührt.<br />

II. Das Landgericht hat für die Strafbarkeit nach § 266a StGB zu Recht auf die sozialversicherungsrechtliche Pflicht<br />

zur Beitragsabführung abgestellt (vgl. BGH NJW 2007, 233, 234 - „E 101“, zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen;<br />

BGHSt 47, 318 f.; Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 266a Rdn. 9 ff.). Es hat die in der Türkei angeworbenen<br />

<strong>und</strong> in Deutschland tätigen Arbeitnehmer im Ergebnis zutreffend für sozialversicherungspflichtig in Deutschland<br />

gehalten <strong>und</strong> dem Angeklagten die unterlassene Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen als Vorenthaltung von<br />

Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 1 StGB angelastet. Rechtlichen Bedenken begegnet allerdings der Ausgangspunkt<br />

des Landgerichts, wonach es sich bei den betroffenen türkischen Arbeitnehmern um Angehörige ausländischer Unternehmen<br />

gehandelt haben soll. Auf Gr<strong>und</strong>lage der getroffenen Feststellungen waren die angeworbenen türkischen<br />

Arbeiter nicht bei der Eryilmaz Ltd. <strong>und</strong> der Kanal Ltd., sondern bei der deutschen HaCe GmbH beschäftigt. Eine<br />

zur Versicherungsfreiheit führende Entsendung der Arbeiter war danach von vornherein ausgeschlossen. Zugleich<br />

ergibt sich eine abweichende konkurrenzrechtliche Beurteilung der festgestellten Taten.<br />

1. Die - fehlerfrei getroffenen - Feststellungen des Landgerichts tragen nicht die Bewertung, dass es sich bei den in<br />

der Türkei angeworbenen Arbeitern um Beschäftigte der Firmen Eryilmaz Ltd. <strong>und</strong> Kanal Ltd. gehandelt hat. Sie<br />

belegen vielmehr, dass die Arbeiter nur zum Schein bei diesen Gesellschaften angestellt wurden, tatsächlich jedoch<br />

der deutschen HaCe GmbH zuzuordnen waren.<br />

a) Nach den teilweise an unterschiedlichen Stellen der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen ging die Gründung<br />

der beiden türkischen Gesellschaften auf den Angeklagten zurück, der türkische Arbeitnehmer einstellen, durch<br />

Vortäuschung eines Entsendefalles die deutschen Sozialversicherungsbeiträge ersparen <strong>und</strong> dadurch Wettbewerbsvorteile<br />

erlangen wollte. Die Gründung der Kanal Ltd. erfolgte auch deshalb, weil Lohnsteuerverpflichtungen umgangen<br />

werden sollten. Die Gesellschaften traten in der Türkei nicht nach außen auf; sie besaßen keine Betriebsräume,<br />

sondern verwendeten die Anschrift eines Steuerberatungsbüros. Nach der Aussage des Zeugen O. haben sie<br />

„lediglich auf dem Papier existiert“. Nach der den Feststellungen gleichfalls zugr<strong>und</strong>e gelegten Einlassung des Mitangeklagten<br />

A. haben die Firmen in der Türkei „keinen eigentlichen Firmensitz“ gehabt. Die Arbeiter seien bei den<br />

Firmen auch nicht beschäftigt gewesen. Das Landgericht stellt weiter fest, dass alle maßgeblichen, das Arbeitsverhältnis<br />

der türkischen Arbeitnehmer betreffenden Vorgänge durch den Angeklagten in Deutschland abgewickelt<br />

wurden. Zu diesem Zweck befand sich bei der HaCe GmbH eine „grüne Kiste“, in welcher sich Blankoformulare<br />

(Schecks, Überweisungsträger, Briefpapier) <strong>und</strong> Stempel der Eryilmaz Ltd. <strong>und</strong> Kanal Ltd. befanden, <strong>und</strong> die auf der<br />

jeweiligen Baustelle nach Bedarf eingesetzt wurde. Nach der Einlassung des Mitangeklagten A. habe diese Kiste<br />

letztlich das „Büro“ der Firmen dargestellt. Die türkischen Firmen unterhielten auch ihre Konten am Firmensitz der<br />

HaCe GmbH, auf die der Angeklagte Zugriff hatte <strong>und</strong> über die er die finanziellen Angelegenheiten der Firmen abwickelte;<br />

dies schloss die Lohnzahlungen an die türkischen Arbeiter ein. Die finanziellen Mittel hierfür stammten<br />

aus dem Vermögen der HaCe GmbH. Der Angeklagte hatte auch in allen Personalangelegenheiten der türkischen<br />

Arbeitnehmer bis in Einzelheiten das Sagen, entschied insbesondere über Einstellungen, Entlassungen <strong>und</strong> Urlaub.<br />

Er bestimmte den Einsatz der Arbeiter an den Baustellen der HaCe GmbH, zum Teil über die durch die Werkverträge<br />

bestimmten Einsatzorte hinaus, <strong>und</strong> gab vermittelt über die Vorarbeiter oder den als Strohmann eingesetzten Zeugen<br />

O. Weisungen. Auf den Baustellen hatte er „das letzte Wort“.<br />

b) Bei der Eryilmaz Ltd. <strong>und</strong> Kanal Ltd. handelte es sich demnach um bloße Scheinfirmen ohne eigene Organisationsstruktur<br />

<strong>und</strong> Tätigkeit, deren Zweck allein darin bestand, Beschäftigungsverhältnisse formal zu begründen <strong>und</strong><br />

mittels Vortäuschung eines Entsendetatbestandes die bei der HaCe GmbH anfallenden Lohnnebenkosten zu verringern.<br />

Dass die türkischen Arbeiter gleichwohl bei der Eryilmaz Ltd. oder Kanal Ltd. beschäftigt waren, scheidet<br />

bereits deshalb aus, weil es gänzlich an einer betrieblichen Organisation fehlt, in die die Arbeiter hätten eingegliedert<br />

sein können (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Ein Beschäftigungsverhältnis bestand demgegenüber zur deutschen<br />

HaCe GmbH (zu den maßgeblichen Kriterien vgl. Radtke in: MüKo StGB § 266a Rdn. 9; Heitmann in: Müller-<br />

Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht 4. Aufl. § 36 Rdn. 15). Die türkischen Arbeiter waren von dem Angeklagten<br />

als Geschäftsführer der HaCe GmbH weisungsabhängig, erhielten auf seine Veranlassung aus dem Vermögen<br />

der Gesellschaft ihren Lohn <strong>und</strong> arbeiteten auf den Baustellen der Gesellschaft zur Erledigung der von ihr übernommenen<br />

Bauaufträge. Das Landgericht sieht sich an einer Einordnung der Arbeiter als Beschäftigte der HaCe<br />

GmbH gleichwohl dadurch gehindert, dass es eine weiterreichende Integration der Arbeiter in den Geschäftsbetrieb<br />

des Unternehmens, insbesondere eine „Vermischung“ der von den türkischen Gesellschaften geworbenen Arbeiter<br />

mit sonstigen Arbeitnehmern der HaCe GmbH nicht festzustellen vermochte. Nach den Umständen des Falles war<br />

328


dies aber nicht zu verlangen. Die Feststellungen belegen, dass der Angeklagte eine Zugehörigkeit der Arbeiter zu<br />

einem Fremdunternehmen gezielt - etwa durch gefälschte Lohn- <strong>und</strong> Arbeitszeitlisten für den Fall einer Kontrolle<br />

durch die Zollbehörden - vorzutäuschen versuchte. Dem entsprach es, die türkischen Arbeiter Bauleistungen nur<br />

abgetrennt an „ihren“ Gewerken verrichten zu lassen.<br />

2. Bereits hieraus folgt, dass die türkischen Arbeitnehmer der deutschen Sozialversicherungspflicht unterlagen.<br />

a) Nach den Vorschriften des deutschen Sozialgesetzbuches führt eine inländische Beschäftigung zur Sozialversicherungspflicht<br />

des Arbeitnehmers (§ 3 Nr. 1 SGB IV); maßgeblich ist dabei der Ort, an dem die Beschäftigung tatsächlich<br />

ausgeübt wird (§ 9 SGB IV). Abweichend hiervon gelten für Arbeitnehmer, die im Rahmen eines ausländischen<br />

Beschäftigungsverhältnisses für einen im Voraus begrenzten Zeitraum in das Inland entsandt worden sind, gemäß § 5<br />

Abs. 1 SGB IV die sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften ihres Heimatlandes fort; eine Versicherungspflicht<br />

am Beschäftigungsort besteht nicht. Die auf Baustellen in Deutschland eingesetzten türkischen Arbeitnehmer waren<br />

danach in Deutschland zu versichern. An den Voraussetzungen einer zur Versicherungsfreiheit in Deutschland führenden<br />

Entsendung fehlt es schon deshalb, weil ein ausländisches Beschäftigungsverhältnis nicht bestand. Auf die<br />

Erwägungen des Landgerichts, dass eine Entsendung nach sozialgerichtlicher Rechtsprechung einen ausländischen<br />

Schwerpunkt des Beschäftigungsverhältnisses (vgl. BSGE 79, 214, 217) <strong>und</strong> eine beabsichtigte Rückkehr in das<br />

Ausland unter Fortsetzung der Tätigkeit (vgl. BSGE 71, 227, 234 f. zu den insoweit identischen Voraussetzungen<br />

von § 4 SGB IV) voraussetze, kommt es demnach nicht mehr an.<br />

b) Die Vorschriften der §§ 2 ff. SGB IV stehen unter dem Vorbehalt über- <strong>und</strong> zwischenstaatlichen Rechts, soweit es<br />

in Deutschland gilt <strong>und</strong> das anzuwendende Sozialversicherungsrecht bestimmt (§ 6 SGB IV). Hiernach ergibt sich<br />

keine abweichende Bewertung.<br />

aa) Solches Recht bildet das durch Zustimmungsgesetz vom 13. September 1965 (BGBl. II 1965, 1169) umgesetzte<br />

bilaterale Abkommen zwischen der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland <strong>und</strong> der Republik Türkei über Soziale Sicherheit<br />

vom 30. April 1964 (BGBl. II 1965, 1170; fortan: Sozialversicherungsabkommen) in der Fassung des Änderungsabkommens<br />

vom 28. Mai 1969 (BGBl. II 1972, 2) <strong>und</strong> des Zwischenabkommens vom 25. Oktober 1974 (BGBl. II<br />

1975, 374), ergänzt durch Zusatzabkommen vom 2. November 1984 (BGBl. II 1986, 1040). Das Abkommen enthält<br />

zur Frage des anwendbaren Rechts für Fälle länderübergreifender Beschäftigung Kollisionsvorschriften, die das<br />

anwendbare Sozialversicherungsrecht bestimmen. Art. 5 des Sozialversicherungsabkommens geht - entsprechend § 3<br />

SGB IV - als Gr<strong>und</strong>regel davon aus, dass die Versicherungspflicht von Arbeitnehmern sich unabhängig vom Sitz des<br />

Arbeitgebers nach dem Sozialversicherungsrecht des Beschäftigungsortes richtet. Art. 6 Abs. 1 des Sozialversicherungsabkommens<br />

sieht hiervon - insoweit ähnlich § 5 SGB IV - eine Ausnahme für den Fall einer Entsendung vor:<br />

Nach dem Vertragstext gelten für den „Arbeitnehmer eines Unternehmens mit dem Sitz im Gebiet der einen Vertragspartei“,<br />

welcher „vorübergehend zur Arbeitsleistung in das Gebiet der anderen Vertragspartei entsandt“ wird,<br />

die Rechtsvorschriften der ersten Vertragspartei fort. Auch nach diesem Maßstab liegt eine zur Versicherungsfreiheit<br />

in Deutschland führende Entsendung nicht vor. Denn die türkischen Arbeiter waren auf Gr<strong>und</strong>lage der Feststellungen<br />

gerade nicht Arbeitnehmer eines Unternehmens mit Sitz in der Türkei. Damit fehlt es bereits an der personalen Anknüpfung<br />

des im Abkommen enthaltenen Entsendetatbestandes.<br />

bb) Die zur Frage des anwendbaren Sozialversicherungsrechts in Ländern der Europäischen Union geltenden Kollisions-<br />

<strong>und</strong> Verfahrensvorschriften (Verordnung [EWG] 1408/71, ABl. L 149 vom 5. Juli 1971, S. 2; Verordnung<br />

[EWG] 574/72, ABl. L 74 vom 27. März 1972, S. 1) finden mangels einer Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen<br />

Union keine unmittelbare Anwendung. Sie sind auch auf Gr<strong>und</strong>lage des im Hinblick auf eine Annäherung der<br />

Türkei an die Europäische Union abgeschlossenen Assoziationsabkommens vom 12. September 1963 (BGBl. II 1964<br />

S. 510) <strong>und</strong> den zu seiner Umsetzung getroffenen Maßnahmen nicht heranzuziehen. Soweit der Assoziationsratsbeschluss<br />

3/80 (ABl. C 110 vom 25. April 1983, S. 60) die Vorschriften der VO (EWG) 1408/71 für anwendbar erklärt,<br />

gilt dies nach der Ermächtigung in Art. 39 Abs. 1 des zu dem Assoziationsabkommen vereinbarten Zusatzprotokolls<br />

vom 23. November 1970 (ABl. L 293 vom 29. Dezember 1972, S. 4) nur für Arbeitnehmer türkischer Staatsangehörigkeit,<br />

die von einem Mitgliedsstaat in einen anderen zu- oder abwandern, nicht aber für den - vorliegenden - Fall<br />

eines rein bilateralen Geschehens zwischen einem Mitgliedsstaat <strong>und</strong> der Türkei (Hänlein, Sozialrechtliche Probleme<br />

türkischer Staatsangehöriger in Deutschland, S. 24 ff.; Sieveking ZIAS 2001, 160, 162; vgl. auch VO [EWG] Nr.<br />

859/03 vom 14. Mai 2003, ABl. L 124 vom 20. Mai 2003, S. 1).<br />

cc) Schließlich hindern auch Besonderheiten des zwischenstaatlichen sozialversicherungsrechtlichen Verfahrens<br />

nicht, auf das Beschäftigungsverhältnis der türkischen Arbeitnehmer deutsches Sozialversicherungsrecht zur Anwendung<br />

zu bringen. Die zu dem deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommen am 2. November 1984 geschlossene<br />

Durchführungsvereinbarung (BGBl. II 1986, 1055) sieht in Artikel 5 Abs. 1 vor, dass in Entsendungsfällen<br />

der zuständige Träger des Entsendestaates dem Betroffenen auf Antrag eine Bescheinigung darüber ausstellt,<br />

329


dass er den Rechtsvorschriften des Entsendestaates untersteht. Nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>essozialgerichts<br />

(BSGE 85, 240) ist eine derartige - im EU-Raum der E 101-Bescheinigung entsprechende - Entsendebescheinigung<br />

von den Sozialgerichten des Gaststaates nur in begrenztem Umfang auf ihren materiellen Gehalt überprüfbar. Eine<br />

derartige Bescheinigung hat hier - wie das Landgericht ausdrücklich feststellt - nicht vorgelegen. Der Senat braucht<br />

daher nicht darüber zu befinden, inwieweit ihr auch im Strafverfahren Bindungswirkung im Hinblick auf die bescheinigte<br />

Anwendbarkeit ausländischen Sozialversicherungsrechts zukommen würde (zum europäischen Recht vgl.<br />

BGH NJW 2007, 233). Nach den Feststellungen des Landgerichts verfügte ein Teil der von dem Angeklagten eingesetzten<br />

türkischen Arbeiter allein hinsichtlich ihrer Krankenversicherung über einen Leistungsberechtigungsschein,<br />

der aufgr<strong>und</strong> der Anmeldung der Arbeiter bei der türkischen Sozialversicherung ausgestellt wurde <strong>und</strong> sie berechtigte,<br />

Sachleistungen bei einem Aufenthalt in Deutschland in Anspruch zu nehmen („A/T 11-Schein“). Die Ausstellung<br />

des Scheines beruht auf der Anwendung der leistungsrechtlichen Koordinierungsvorschriften des Sozialversicherungsabkommens<br />

(Art. 12 Abs.1 b) <strong>und</strong> c), Art. 14 Abs. 1 Satz 2, Art. 14 Abs. 3 Satz 2 des Abkommens; Art. 9 der<br />

Durchführungsvereinbarung). Diese Vorschriften sind nicht kollisionsrechtlicher Natur. Entgegen der Auffassung<br />

der Revision verhält sich der Leistungsschein daher nicht zur Frage des anwendbaren Sozialversicherungsrechts.<br />

Eine Bindungswirkung im Hinblick auf die Sozialversicherungspflicht kann ihm daher unter keinem rechtlichen<br />

Gesichtspunkt zukommen.<br />

c) Für die Abführung der geschuldeten Beiträge war der Angeklagte als zunächst faktischer, später formeller Geschäftführer<br />

der HaCe GmbH auch strafrechtlich verantwortlich. Aus den Feststellungen des Landgerichts geht hinlänglich<br />

hervor, dass er auch vor seiner Berufung zum formellen Geschäftsführer mit allen Belangen der Gesellschaft<br />

befasst war. Dies begründet seine Täterstellung für eine Beitragsstraftat nach § 266a StGB (vgl. BGHSt 47, 318; 324,<br />

21, 101, 103).<br />

3. Die Einordnung der türkischen Arbeitnehmer als Beschäftigte der Ha-Ce GmbH führt zu einer Änderung des<br />

Schuldspruchs <strong>und</strong> zum Wegfall von neun Einzelstrafen. Das Landgericht hat die unterlassene Beitragsabführung<br />

hinsichtlich der bei der HaCe GmbH beschäftigten deutschen Arbeitnehmer <strong>und</strong> der - nach Auffassung des Landgerichts<br />

der Eryilmaz Ltd. <strong>und</strong> der Kanal Ltd. zugehörigen - türkischen Arbeitnehmer jeweils als selbständige Taten<br />

gewertet, auch soweit sie in den Monaten Dezember 1999, Januar 2000, Februar 2000, Dezember 2000, Januar 2001,<br />

Februar 2001, Dezember 2001, Januar 2002 <strong>und</strong> Februar 2002 auf gleiche Beitragszeiträume <strong>und</strong> Fälligkeitszeitpunkte<br />

bezogen waren <strong>und</strong> die Beiträge zur gleichen Einzugsstelle zu entrichten waren. Es kann offen bleiben, ob<br />

dieser Bewertung auf der Gr<strong>und</strong>lage einer Zugehörigkeit der Arbeitnehmer zu unterschiedlichen Unternehmen zu<br />

folgen wäre. Denn bei zutreffender Einordnung der türkischen Arbeitnehmer als Beschäftigte der deutschen HaCe<br />

GmbH bildet die unterlassene Beitragsabführung zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt gegenüber derselben Einzugsstelle<br />

jedenfalls nur eine Tat (vgl. Gribbohm in LK, 11. Aufl. § 266a Rdn. 108). Der Senat hat daher die auf die betroffenen<br />

Beitragszeiträume entfallenden neun Einzelstrafen, die das Landgericht hinsichtlich der deutschen Arbeitnehmer<br />

verhängt hat (Geldstrafen in Höhe von jeweils 70 Tagessätzen zu 150 €), in Wegfall gebracht. Die hinsichtlich<br />

der türkischen Arbeitnehmer für die gleichen Beitragszeiträume verhängten - jeweils höheren - Einzelstrafen<br />

können angesichts des erhöhten Schuldgehalts der erfassten Taten bestehen bleiben. Die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe<br />

kann gleichfalls bestehen bleiben. Der Schuldgehalt der Beitragsstraftaten bleibt im Hinblick auf die unveränderte<br />

Höhe der entzogenen Beiträge gleich. Auch angesichts von Zahl <strong>und</strong> Gewicht der verbleibenden 129 Taten, der<br />

Höhe der für sie verhängten Einzelstrafen <strong>und</strong> aller sonstiger im angefochtenen Urteil getroffener für die Strafzumessung<br />

bedeutsamer Feststellungen hält der Senat die verhängte Gesamtstrafe jedenfalls für angemessen (§ 354 Abs. 1a<br />

StPO; vgl. BGH StV 2005, 118; NStZ-RR 2006, 44; Beschluss vom 6. Dezember 2005 - 1 StR 445/05).<br />

4. § 265 StPO steht all dem nicht entgegen. Dem Angeklagten war bereits in der zugelassenen Anklage vorgeworfen<br />

worden, auch für die türkischen Arbeitnehmer als Geschäftsführer der deutschen HaCe GmbH Sozialversicherungsbeiträge<br />

nicht abgeführt zu haben, da es sich bei ihnen um Beschäftigte der HaCe GmbH handele. Die Anklage qualifiziert<br />

die Taten allerdings als (Beitrags-)Betrug gemäß § 263 StGB. Das Landgericht hat dem Angeklagten daraufhin<br />

in der Hauptverhandlung den Hinweis erteilt, dass auch eine Bewertung als Beitragsvorenthaltung gemäß § 266a<br />

StGB in Betracht komme. Erst hiernach hat es an einem nachfolgenden Verhandlungstag darauf hingewiesen, dass<br />

der Tatvorwurf auch an seine Stellung als faktischer Geschäftsführer der Eryilmaz Ltd. <strong>und</strong> der Kanal Ltd. anknüpfen<br />

könne. Für den Angeklagten war damit hinreichend ersichtlich, dass eine Verurteilung wegen Beitragsvorenthaltung<br />

insgesamt aufgr<strong>und</strong> seiner Organstellung bei der deutschen Gesellschaft erfolgen konnte.<br />

III. Auch im Übrigen hat die Überprüfung des landgerichtlichen Urteils auf Gr<strong>und</strong>lage der Revisionsrechtfertigung<br />

keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben. Soweit der Angeklagte beanstandet, dass das Landgericht<br />

ihn zu Unrecht als faktischen Geschäftsführer eingestuft habe, geht dieser Vortrag bereits im Ansatz ins Leere<br />

330


(vgl. oben II. 2. c)). Soweit er vorbringt § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG sei unrichtig angewandt, verweist der Senat auf die<br />

zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts.<br />

StGB § 266a Abs. 1 <strong>und</strong> 2, § 5 Abs. 1; SGB IV § 6<br />

BGH, Urt. vom 24.10.2006 – 1 StR 44/06 - NJW 2007, S. 233 ff.<br />

LS:<br />

1. Eine von einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union erteilte Entsendebescheinigung<br />

(E 101) bindet auch die deutschen Organe der Strafrechtspflege.<br />

2. Die Durchführung eines Strafverfahrens wegen Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen<br />

(§ 266a Abs. 1 StGB) ist ebenso gehindert wie eine Strafverfolgung in Zusammenhang mit Erklärungen<br />

gegenüber den Behörden des Entsendestaates zur Erlangung der E 101-Bescheinigung jedenfalls<br />

solange die erteilte Bescheinigung nicht zurückgenommen ist.<br />

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 14. Juli 2005 aufgehoben.<br />

Die Angeklagten werden freigesprochen.<br />

2. Die Kosten des Verfahrens <strong>und</strong> die notwendigen Auslagen der Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.<br />

3. Die Entscheidung über die Entschädigung der Angeklagten wegen der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen<br />

bleibt dem Landgericht vorbehalten.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht München I hat den Angeklagten F. durch Urteil vom 14. Juli 2005 wegen Vorenthaltens <strong>und</strong> Veruntreuens<br />

von Arbeitsentgelt in 11 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt.<br />

Den Angeklagten H. hat es wegen Beihilfe zu diesen Taten unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus einer früheren<br />

Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt; daneben hat es eine Gesamtgeldstrafe von<br />

200 Tagessätzen zu jeweils 10,-- € verhängt. Die Vollstreckung beider Gesamtfreiheitsstrafen hat das Landgericht<br />

zur Bewährung ausgesetzt. Die Angeklagten machen mit ihren auf die Sachrüge gestützten Revisionen geltend, dass<br />

den Angeklagten F. wegen Unanwendbarkeit deutschen Sozialversicherungsrechtes keine Pflicht zur Abführung von<br />

Beiträgen zur deutschen Sozialversicherung treffe, eine Strafbarkeit nach § 266a StGB daher für beide Angeklagte<br />

ausscheide. Die Rechtsmittel haben Erfolg.<br />

I.<br />

1. Das Landgericht hat festgestellt: Der Angeklagte F. war Geschäftsführer der „A. GmbH“ mit Sitz in M. (fortan: A.<br />

GmbH), die auf Baustellen in Deutschland als Subunternehmerin Aufträge im Bereich der Fassadenmontage ausführte<br />

<strong>und</strong> dabei portugiesische Arbeiter einsetzte. Um die Arbeiter der deutschen Sozialversicherungspflicht zu entziehen,<br />

wurden sie auf Veranlassung des Angeklagten F. zum Schein bei zwei portugiesischen Bauunternehmen angestellt.<br />

Die portugiesischen Unternehmen traten formell auch in die Bauaufträge der A. GmbH ein. Tatsächlich hatten<br />

die portugiesischen Firmen keinerlei Geschäftsbeziehungen nach Deutschland, insbesondere weder Kontakt zu den<br />

Auftraggebern der A. GmbH noch zu den portugiesischen Arbeitnehmern. Diese blieben faktisch bei der A. GmbH<br />

beschäftigt, von der sie auch ihren - auf Konten der portugiesischen Unternehmen überwiesenen <strong>und</strong> von dort ausgezahlten<br />

- Arbeitslohn erhielten. Der Angeklagte H. , ein ehemaliger Rechtsanwalt, hatte zusammen mit dem Angeklagten<br />

F. die Verhandlungen mit den portugiesischen Firmen geführt, die abgeschlossenen Scheinarbeitsverträge<br />

entworfen <strong>und</strong> die Organisation der umgeleiteten Lohnzahlungen übernommen. Die Angeklagten beabsichtigten,<br />

durch die angeblichen Arbeitsverhältnisse in Portugal den Anschein einer nur vorübergehenden Entsendung der<br />

Arbeiter von Portugal nach Deutschland zu erwecken. Das deutsche <strong>und</strong> das europäische Sozialversicherungsrecht<br />

sehen für einen derartigen Fall vor, dass die entsandten Arbeitnehmer nur in ihrem Herkunftsstaat zu versichern sind,<br />

im Gastland dagegen beitragsfrei beschäftigt werden können. Die Geschäftsführer der portugiesischen Gesellschaften<br />

stellten nach Absprache mit den Angeklagten daher bei den portugiesischen Sozialversicherungsträgern Anträge<br />

auf Erteilung so genannter E 101-Bescheinigungen, welche daraufhin auch ausgestellt wurden. In den Bescheinigungen<br />

bestätigten die portugiesischen Behörden, dass die eingesetzten Arbeiter nach der EWG-Verordnung Nr.<br />

1408/71 vom 14. Juni 1971 aufgr<strong>und</strong> von Werkverträgen für nicht länger als ein Jahr ins Ausland entsandt wurden<br />

mit der rechtlichen Folge, dass sie in Portugal sozial-versicherungspflichtig blieben. Tatsächlich lagen die Voraussetzungen<br />

hierfür - wie das Landgericht feststellt - nicht vor, da die Arbeitnehmer bereits zum Zeitpunkt ihrer angeb-<br />

331


lichen Entsendung durch die portugiesischen Unternehmen länger als ein Jahr in Deutschland tätig <strong>und</strong> vollständig in<br />

den Betrieb der A. GmbH eingegliedert waren. Bei den deutschen Sozialversicherungsbehörden meldeten die Angeklagten<br />

die Arbeiter nicht an <strong>und</strong> führten auch keine Beiträge für sie ab. Nach der Berechnung des Landgerichts<br />

entzogen sie dadurch im Zeitraum zwischen Juli 2001 <strong>und</strong> Juni 2002 in Deutschland Beiträge in Höhe von insgesamt<br />

112.132,40 €. In Portugal sollten Beiträge nach Vorstellung der Angeklagten aus dem an die dortigen Unternehmen<br />

überwiesenen Arbeitslohn entrichtet werden. Ob dies tatsächlich geschah, hat das Landgericht nicht festgestellt. Zur<br />

behördlichen Handhabung der E 101-Bescheinigungen teilt das Urteil mit, dass die deutschen Sozialversicherungsträger<br />

aufgr<strong>und</strong> von Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes darin übereingekommen seien, den Bescheinigungen<br />

bindende Wirkung beizumessen. Die Landesversicherungsanstalt Oberbayern hob daher in einem das Vorgängerunternehmen<br />

der A. GmbH betreffenden Verfahren mit ähnlichem Sachverhalt - die Arbeitnehmer wurden bei<br />

zu diesem Zweck eigens gegründeten portugiesischen Briefkastenfirmen angestellt <strong>und</strong> erlangten auf diesem Weg E<br />

101-Bescheinigungen - einen bereits ergangenen Leistungsbescheid wieder auf, nachdem die portugiesischen Behörden<br />

die Richtigkeit der von ihnen ausgestellten Bescheinigungen bestätigt hatten. Im laufenden, gegen den Angeklagten<br />

F. gerichteten sozialversicherungsrechtlichen Verfahren wurden Beitragsforderungen gar nicht erst erhoben.<br />

Nach Aussage von Mitarbeitern der befassten deutschen Sozialbehörden ist dies auch für die Zukunft nicht beabsichtigt,<br />

sofern die vorliegenden Bescheinigungen Bestand haben.<br />

2. Das Landgericht ist der Auffassung, dass die portugiesischen Arbeiter ungeachtet der vorgelegten E 101-<br />

Bescheinigungen in Deutschland sozialversicherungspflichtig waren, da die Voraussetzungen für eine versicherungsfreie<br />

Tätigkeit nicht gegeben waren. Den Bescheinigungen misst es eine nur formale Bedeutung zu. Sie entfalten<br />

nach Auffassung des Landgerichts bindende Wirkung nur im Sozialversicherungsrecht, begründen auch dort aber nur<br />

eine widerlegbare Vermutung dafür, dass der betroffene Arbeitnehmer in das Sozialversicherungssystem eines anderen<br />

Landes eingeb<strong>und</strong>en ist. Die deutschen Sozialversicherungsträger seien bis zur Rücknahme der auf falschen<br />

Annahmen beruhenden Bescheinigungen durch die ausstellende Behörde zwar gehindert, Beiträge einzuziehen. Am<br />

Bestehen eines darauf gerichteten materiellen Anspruches <strong>und</strong> an der strafrechtlichen Bedeutung unterlassener Beitragsabführung<br />

ändere dies aber nichts.<br />

II.<br />

Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Nach den Kollisionsvorschriften des europäischen Sozialversicherungsrechtes<br />

in der ihnen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zukommenden Reichweite <strong>und</strong><br />

Wirkung findet deutsches Sozialversicherungsrecht auf die dem Urteil des Landgerichts zugr<strong>und</strong>e liegenden Beschäftigungsverhältnisse<br />

keine Anwendung. Eine Strafbarkeit der Angeklagten nach § 266a StGB scheidet infolgedessen<br />

aus.<br />

1. Gegenstand einer Beitragsstraftat nach § 266a StGB sind fällige Arbeitnehmerbeiträge, die aufgr<strong>und</strong> einer versicherungspflichtigen<br />

Beschäftigung nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuches geschuldet sind. § 266a StGB ist<br />

insoweit sozialrechtsakzessorisch ausgestaltet (vgl. BGHSt 47, 318 f.; Tröndle/Fischer StGB 53. Aufl. § 266a Rdn.<br />

9a, 10; Ignor/Rixen, wistra 2001, 201, 202). Auch das Landgericht geht zutreffend davon aus, dass eine sozialversicherungsrechtliche<br />

Beitragspflicht die Voraussetzung für eine Beitragsstraftat bildet.<br />

2. In Fällen mit Auslandsbezug ist daher von vorrangiger Bedeutung, ob der betroffene Arbeitnehmer der inländischen<br />

Sozialversicherungspflicht unterliegt oder davon ausgenommen ist. § 266a StGB knüpft hierbei nicht allein an<br />

die deutschen Sozialgesetze, sondern auch an zwischen- <strong>und</strong> überstaatliche Bestimmungen an, soweit sie in Deutschland<br />

gelten <strong>und</strong> das anzuwendende Sozialversicherungsrecht bestimmen. Danach ergibt sich Folgendes:<br />

a) Nach den Bestimmungen des deutschen Sozialgesetzbuches führt eine inländische Beschäftigung zur Sozialversicherungspflicht<br />

des Arbeitnehmers (§ 2 Abs. 2, § 3 Nr. 1 SGB IV); maßgeblich ist dabei der Ort, an dem die Beschäftigung<br />

tatsächlich ausgeübt wird (§ 9 Abs. 1 SGB IV). Die Versicherungspflicht entfällt gem. § 5 Abs. 1 SGB<br />

IV bei Personen, die im Rahmen eines ausländischen Beschäftigungsverhältnisses in das Inland entsandt werden,<br />

sofern die Entsendung im Voraus zeitlich begrenzt ist. Nach diesem Maßstab unterlagen die portugiesischen Arbeiter<br />

in der zugr<strong>und</strong>e liegenden Fallkonstellation der deutschen Sozialversicherungspflicht. An einer zur Versicherungsfreiheit<br />

führenden Entsendung fehlte es bereits deshalb, weil ein ausländisches Beschäftigungsverhältnis im Sinne<br />

des § 5 Abs. 1 SGB IV nicht bestand, die Arbeiter vielmehr allein von der inländischen A. GmbH beschäftigt wurden.<br />

Sie waren insbesondere weder an Weisungen der nur nach außen als Arbeitgeber auftretenden portugiesischen<br />

Unternehmen geb<strong>und</strong>en noch in deren Arbeitsorganisation eingegliedert (vgl. § 7 Abs. 1 SGB IV).<br />

b) Die Vorschriften der §§ 2 ff. SGB IV stehen jedoch unter dem Vorbehalt über- <strong>und</strong> zwischenstaatlichen Rechtes<br />

(§ 6 SGB IV). Als derartige, nach Art. 249 Abs. 2 EG-Vertrag mit unmittelbarem Geltungsvorrang ausgestattete<br />

Regelung enthält die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 vom 14. Juni 1971 (sog. „Wanderarbeitnehmerverordnung“,<br />

ABl. L 149 vom 5. Juli 1971 S. 2; fortan: VO 1408/71) für Fälle grenzüberschreitender Beschäftigung in Ländern der<br />

332


europäischen Union Kollisionsvorschriften, die das anwendbare nationale Sozialversicherungsrecht bestimmen.<br />

Nach der Gr<strong>und</strong>regel des Art. 13 Abs. 1 der VO 1408/71 sollen grenzüberschreitend beschäftigte Personen dem<br />

Sozialversicherungsrecht nur eines Mitgliedstaates unterliegen. Art. 13 Abs. 2 lit. a) der VO 1408/71 bestimmt insoweit,<br />

dass auf einen Arbeitnehmer, der im Gebiet eines Mitgliedstaates beschäftigt ist, unabhängig von seinem<br />

Wohnsitz <strong>und</strong> dem Sitz seines Arbeitgebers das Recht dieses Staates Anwendung findet. Als Ausnahme hierzu findet<br />

im Falle einer Entsendung von voraussichtlich nicht mehr als zwölf Monaten nach Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 a) der VO<br />

1408/71 weiterhin das Sozialversicherungsrecht des Herkunftsstaates Anwendung, aus dem der Arbeitnehmer entsandt<br />

wird, sofern der Arbeitnehmer einem dortigen Unternehmen gewöhnlich angehört <strong>und</strong> für Rechnung dieses<br />

Unternehmens entsandt wird. Voraussetzung für die Anwendung dieser Ausnahmeregelung ist eine auch während<br />

der Entsendung fortbestehende arbeitsrechtliche Bindung zwischen dem entsendenden Unternehmen <strong>und</strong> dem Arbeitnehmer,<br />

die sich in der Zahlung des Entgeltes, der Erhaltung eines Abhängigkeitsverhältnisses, der Verantwortung<br />

für Anwerbung, Arbeitsvertrag, Entlassung <strong>und</strong> der Entscheidungsgewalt über die Art der Arbeit ausdrückt (vgl.<br />

die Beschlüsse der - nach Art. 80, 81 der VO 1408/71 zu Fragen der Auslegung <strong>und</strong> Durchführung der Verordnung<br />

eingesetzten - Verwaltungskommission Nr. 128 vom 17. Oktober 1985, ABl. C 141 vom 7. Juni 1986, S. 6; Nr. 162<br />

vom 31. Mai 1996, ABl. L 241 vom 21. September 1996, S. 28; Nr. 181 vom 13. Dezember 2000, ABl. L 329 vom<br />

14. Dezember 2001, S. 73). Auch nach diesem Maßstab lagen die Voraussetzungen einer zur inländischen Versicherungsfreiheit<br />

führenden Entsendung auf Gr<strong>und</strong>lage der Feststellungen des Landgerichts nicht vor; denn die portugiesischen<br />

Arbeitnehmer befanden sich in keiner arbeitsrechtlichen Bindung zu den portugiesischen Unternehmen. Sie<br />

waren auch nicht für deren Rechnung tätig, da ihre Arbeitskraft allein zur Durchführung der tatsächlich bei der A.<br />

GmbH verbliebenen Bauaufträge diente <strong>und</strong> sie faktisch auch ihren Lohn von der GmbH bezogen.<br />

3. Dem Landgericht war es gleichwohl verwehrt, seiner Beurteilung die Anwendung deutschen Sozialversicherungsrechtes<br />

zugr<strong>und</strong>e zu legen. Nach den zur Durchführung der VO 1408/71 ergangenen europäischen Rechtsvorschriften<br />

war es an die Bescheinigung des portugiesischen Sozialversicherungsträgers geb<strong>und</strong>en, wonach die Arbeiter der<br />

A. GmbH portugiesischem Sozialversicherungsrecht unterliegen. Die Strafkammer war daher gehindert, entgegen<br />

der Bewertung der portugiesischen Behörde dennoch zu einer bestehenden Sozialversicherungspflicht in Deutschland<br />

zu gelangen.<br />

a) Die VO 1408/71 wird ergänzt durch Durchführungsvorschriften in der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 vom 21.<br />

März 1972 (ABl. L 74 vom 27. März 1972, S. 1; fortan: VO 574/72). Für die Fälle einer Entsendung nach Art. 14<br />

Abs. 1 der VO 1408/71 sieht Art. 11 der VO 574/72 ein Verfahren vor, in dem der zuständige Sozialversicherungsträger<br />

des Herkunftsstaates auf Antrag des betroffenen Arbeitnehmers oder Arbeitgebers die Entsendung bestätigt<br />

<strong>und</strong> für einen begrenzten Zeitraum bescheinigt, dass der Beschäftigte den Rechtsvorschriften des Herkunftsstaates<br />

unterstellt bleibt. Die Bescheinigung erfolgt auf einem gemäß Art. 2 der VO 574/72 von der Verwaltungskommission<br />

entworfenen einheitlichen Formblatt mit der Bezeichnung „E 101“. Über die Rechtsnatur <strong>und</strong> Wirkung einer<br />

derartigen E 101-Bescheinigung verhält sich die VO 574/72 nicht unmittelbar. Ihr ist insbesondere nicht zu entnehmen,<br />

welche Wirkung der Bescheinigung in einem das Sozialversicherungsverhältnis eines entsandten Arbeitnehmers<br />

betreffenden Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren im Gastland zukommt, ob sie dort etwa nur verfahrensrechtliche<br />

Bedeutung im Sinne einer Beweiserleichterung oder widerleglichen Vermutung für das Vorliegen des bescheinigten<br />

Entsendetatbestandes erlangt, oder ob sie materielle Bindungswirkung dahingehend entfaltet, dass sie die sich<br />

aus der bescheinigten Entsendung ergebende Anwendung des Sozialversicherungs-rechtes des Entsendestaates verbindlich<br />

festschreibt.<br />

b) Der Europäische Gerichtshof hat in mehreren Entscheidungen, denen Vorlagefragen aus arbeits- <strong>und</strong> sozialgerichtlichen<br />

Verfahren der Mitgliedsstaaten zugr<strong>und</strong>e lagen, zur Wirkung einer E 101-Bescheinigung ausgesprochen,<br />

dass die nationalen Behörden des Gastlandes <strong>und</strong> dessen Gerichte an die bescheinigte Anwendbarkeit des Sozialversicherungsrechtes<br />

des Herkunftslandes geb<strong>und</strong>en sind (Urteil vom 10. Februar 2000 - Rs. C-202/97, EuZW 2000,<br />

380; Urteil vom 30. März 2000 - Rs. C-178/97, Slg. 2000 I, 2005, 2040 ff.; Urteil vom 26. Januar 2006 - Rs. C-2/05,<br />

AP EWG-Verordnung Nr. 1408/71 Nr. 13.). Der Gerichtshof begründet seine Auffassung mit dem Zweck der Verordnungen,<br />

dass ein Arbeitnehmer nur an ein einziges System der sozialen Sicherheit angeschlossen werden soll, der<br />

damit verb<strong>und</strong>enen Rechtssicherheit <strong>und</strong> der mit der Verordnung <strong>und</strong> der Bescheinigung beabsichtigten Förderung<br />

von Arbeitnehmerfreizügigkeit <strong>und</strong> Dienstleistungsfreiheit. Er führt darüber hinaus aus, dass der Gr<strong>und</strong>satz der vertrauensvollen<br />

Zusammenarbeit nach Art. 10 (alt: Art. 5) EG-Vertrag den ausstellenden Träger verpflichte, den Sachverhalt<br />

ordnungsgemäß zu beurteilen <strong>und</strong> damit die Richtigkeit der Bescheinigung zu gewährleisten. Umgekehrt<br />

würde der zuständige Träger des Aufnahmestaates seine Verpflichtung zur Zusammenarbeit verletzen, wenn er sich<br />

nicht an die Angaben in der Bescheinigung geb<strong>und</strong>en sähe <strong>und</strong> den Betroffenen (zusätzlich) seinem eigenen Sozialversicherungssystem<br />

unterstellen würde. In Konfliktfällen habe der Träger des Aufnahmestaates sich vielmehr zu-<br />

333


nächst an den Träger des Entsendestaates zu wenden, dann an die Verwaltungskommission. Gelinge dieser keine<br />

Vermittlung, könne der Träger des Aufnahmestaates im Entsendestaat klagen oder ein Vertragsverletzungsverfahren<br />

nach Art. 227 (alt: Art. 170) EG-Vertrag einleiten. Zur Reichweite der Bindung führt der Europäische Gerichtshof<br />

aus, dass eine E 101-Bescheinigung notwendig zur Folge habe, dass das System der sozialen Sicherheit des anderen<br />

Mitgliedstaates nicht angewandt werden kann. Hieran seien auch die nationalen Gerichte geb<strong>und</strong>en (Urteil vom 26.<br />

Januar 2006 - Rs. C-2/05; AP EWG-Verordnung Nr. 1408/71 Nr. 13). Der Gerichtshof hatte insoweit über die Vorlagefrage<br />

zu befinden, ob ein Gericht des Gaststaates das Fortbestehen einer arbeitsrechtlichen Bindung zwischen<br />

dem entsendenden Unternehmen <strong>und</strong> dem entsandten Arbeitnehmer prüfen darf, weiterhin, ob es die E 101-<br />

Bescheinigung unbeachtet lassen darf, wenn nach den ihm vorliegenden tatsächlichen Umständen feststeht, dass<br />

während des Entsendungszeitraums eine solche Bindung nicht bestand. Der Europäische Gerichtshof hat dies abgelehnt<br />

<strong>und</strong> ausgeführt, ein Gericht des Gaststaates sei „nicht befugt, die Gültigkeit einer Bescheinigung E 101 im<br />

Hinblick auf die Bestätigung der Tatsachen, auf deren Gr<strong>und</strong>lage eine solche Bescheinigung ausgestellt wurde, insbesondere<br />

das Bestehen einer arbeitsrechtlichen Bindung im Sinne von Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung<br />

(EWG) Nr. 1408/71 (…) zu überprüfen“ (EuGH aaO Rdn. 33).<br />

c) Der Senat sieht vor diesem Hintergr<strong>und</strong> auch die an einem innerstaatlichen Strafverfahren beteiligten Behörden<br />

<strong>und</strong> Gerichte an eine von einem ausländischen Sozialversicherungsträger ausgestellte E 101-Bescheinigung geb<strong>und</strong>en,<br />

soweit sich das Strafverfahren auf eine Verletzung der Beitragspflicht des Arbeitgebers bezieht. Er hält zunächst<br />

für nicht zweifelhaft, dass der Europäische Gerichtshof trotz einzelner Formulierungen, die der Bescheinigung lediglich<br />

Beweiskraft oder die Wirkung einer Vermutung zuschreiben (vgl. EuGH, Urteil vom 10. Februar 2000 - Rs. C-<br />

202/97, EuZW 2000, 380, 384), eine behördliche oder gerichtliche Auseinandersetzung über die tatsächlichen Verhältnisse,<br />

aufgr<strong>und</strong> derer die Bescheinigung erteilt wurde, im Gastland für ausgeschlossen hält. Die seitens des Gerichtshofes<br />

betonte Bindung lässt sich nicht anders verstehen, als dass eine derartige Sachprüfung durch dortige Behörden<br />

nicht stattfinden darf. Dies betrifft auch die Organe der Strafrechtspflege. Der Europäische Gerichtshof hat in<br />

seiner - erst nach dem Urteil des Landgerichts ergangenen - Entscheidung vom 26. Januar 2006 (Rs. C-2/05) bereits<br />

die Vorlagefragen weitreichend im Hinblick auf eine Bindung der „innerstaatlichen Rechtsordnung des Gaststaates“<br />

verstanden <strong>und</strong> eine Bindung der nationalen Gerichte ohne Unterscheidung nach Gerichtsbarkeit ausgesprochen. Ein<br />

solches Verständnis entspricht dem Zweck der europäischen Kollisionsvorschriften <strong>und</strong> der Entsendebescheinigung.<br />

Denn ein strafrechtliches Urteil, das sich auf von der Bescheinigung abweichende Feststellungen stützt, hätte wegen<br />

der einschneidenden Sanktionsfolge tiefergreifende Auswirkungen als eine von der Bescheinigung abweichende<br />

Beitragserhebung durch die Sozialversicherungsbehörden des Gastlandes. Im Hinblick auf § 266a StGB ergibt sich<br />

eine Bindung auch mittelbar aus der sozialrechtsakzessorischen Natur der Strafvorschrift. Da die strafrechtliche<br />

Beitragsvorenthaltung eine sozialrechtlich begründete Beitragspflicht voraussetzt, lässt eine Unanwendbarkeit deutschen<br />

Sozialversicherungsrechtes infolge der bindenden Bewertung der Entsendebehörde zugleich die Strafbarkeit<br />

nach § 266a StGB entfallen (zutreffend Ignor/Rixen, wistra 2001, 201, 204; a.A. Heitmann in Müller-<br />

Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht 4. Aufl. § 36 Rdn. 70 f., 76, der einer Entsendebescheinigung allerdings<br />

auch für das sozial-rechtliche Verfahren nur eine Beweisfunktion zuschreibt). Dies zeigt auch die Struktur von §<br />

266a StGB als echtes Unterlassungsdelikt. Dem Unterlassen steht bei Vorliegen einer Entsendebescheinigung eine<br />

erfüllbare Rechtspflicht nicht gegenüber; da mangels eines Sozialversicherungsverhältnisses kein Anspruch eines<br />

inländischen Sozialversicherungsträgers besteht, ist dem Täter die von § 266a StGB abverlangte Handlung - rechtzeitige<br />

Beitragsabführung - rechtlich <strong>und</strong> tatsächlich unmöglich. Eine strafrechtliche Feststellung fehlender Entsendungsvoraussetzungen,<br />

wie von dem Landgericht vorgenommen, vermag hieran nichts zu ändern, da sie eine Sozialversicherungspflicht<br />

nicht begründen kann.<br />

d) Der Senat hat erwogen, ob die Bindungswirkung der E 101-Bescheinigung in Fallgestaltungen wie der vorliegenden<br />

in Frage steht, in denen die Bescheinigung durch Manipulation erschlichen worden ist. Der Europäische Gerichtshof<br />

hat insoweit in anderem Zusammenhang mehrfach ausgesprochen, dass das Gemeinschaftsrecht die missbräuchliche<br />

oder betrügerische Anwendung von Vorschriften nicht gestatte (vgl. Urteil vom 2. Mai 1996 - Rs. C-<br />

206/94, BB 1996, 1116, 1117 m.w.N.). Sollte der Verdacht von Manipulationen eine Überprüfungsmöglichkeit des<br />

Entsendetatbestandes durch die Behörden <strong>und</strong> Gerichte des Gaststaates eröffnen, würde dies allerdings die von den<br />

Verordnungen bezweckte <strong>und</strong> in der Rechtsprechung des Gerichtshofes als wesentliche Zielsetzung betonte eindeutige<br />

Rechtszuordnung unterlaufen, da eine auf den Missbrauchsverdacht gestützte Ermittlungs- <strong>und</strong> Eingriffsbefugnis<br />

keine trennscharfen Konturen aufweist <strong>und</strong> zu Konflikten zwischen den Versicherungsträgern der beteiligten Mitgliedstaaten<br />

Anlass geben würde. Dementsprechend hat der Europäische Gerichtshof eine Ausnahme von der Bindungswirkung<br />

nicht vorgesehen <strong>und</strong> an der Richtigkeit der Bescheinigung zweifelnde Gastlandbehörden ausnahmslos<br />

auf eine Überprüfungsanregung bei der Ausstellungsbehörde verwiesen. Dies betrifft auch das vom Gerichtshof<br />

334


mit Urteil vom 30. März 2000 (- Rs. C-178/97, Slg. 2000 I, 2005) entschiedene Vorlageverfahren, dem die Problematik<br />

einer Scheinselbständigkeit zugr<strong>und</strong>e lag. In den im Verfahren eingeholten Stellungnahmen der deutschen <strong>und</strong><br />

niederländischen Regierungen wurde der Befürchtung Ausdruck verliehen, dass mit einer allzu großzügigen Handhabung<br />

der Verordnungen <strong>und</strong> der auf ihrer Gr<strong>und</strong>lage ergangenen Bescheinigungen einem Missbrauch durch erschlichene<br />

Rechtswahl der Sozialrechtsordnung eines Mitgliedsstaates, dessen Sozialabgaben niedriger als jene im<br />

tatsächlichen Beschäftigungsstaat ausfallen, Vorschub geleistet würde (vgl. Slg. 2000 I, 2005, 2016). Der Gerichtshof<br />

hat gleichwohl auch in diesem Fall keine Veranlassung gesehen, die Bindungswirkung der E 101-Bescheinigung<br />

unter einen Missbrauchsvorbehalt zu stellen. Nach Auffassung des Senats liegt daher eine gesicherte Rechtsprechung<br />

des Europäischen Gerichtshofes vor, die vernünftige Zweifel an der Auslegung des Gemeinschaftsrechtes im vorliegenden<br />

Fall nicht zulässt; hiermit entfällt zugleich eine Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 EG-Vertrag, § 1 Abs. 2<br />

EuGHG zur Klärung der Rechtsfrage (vgl. hierzu Kokott, JZ 2006, 633).<br />

4. Eine Beitragsvorenthaltung zu Lasten der portugiesischen Sozialbehörden kommt nach den Feststellungen des<br />

Landgerichts gleichfalls nicht in Betracht. Angesichts des durch die Entsendebescheinigung festgestellten Arbeitsverhältnisses<br />

trifft eine Beitragspflicht allein die portugiesischen Unternehmen <strong>und</strong> ihre Organe. Darüber hinaus<br />

ergeben die Feststellungen des Landgerichts, dass nach Absicht der Angeklagten aus den von ihnen an die portugiesischen<br />

Firmen überwiesenen Lohnzahlungen Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden sollten. Es kann daher<br />

dahinstehen, ob § 266a StGB allein die Nichtabführung von Beiträgen aufgr<strong>und</strong> einer inländischen Sozialversicherungspflicht<br />

betrifft oder aufgr<strong>und</strong> der Verknüpfung der europäischen Sozialsysteme auch das gesamteuropäische<br />

Beitragsaufkommen schützt.<br />

III. Der Senat hat weiterhin erwogen, ob das Landgericht - gegebenenfalls nach einem Hinweis gemäß § 265 Abs. 1<br />

StPO - der Frage hätte nachgehen müssen, ob sich die Angeklagten aufgr<strong>und</strong> der Beantragung der Entsendebescheinigungen<br />

eines Beitragsbetruges nach § 263 StGB schuldig gemacht haben. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen<br />

legen nahe, dass die E 101-Bescheinigungen von den portugiesischen Sozialversicherungsbehörden infolge<br />

einer - von den Angeklagten zumindest veranlassten - Täuschung über die tatsächlichen Voraussetzungen des<br />

Entsendetatbestandes ausgestellt worden sein könnten. Die Ausstellung der Bescheinigungen könnte in diesem Fall<br />

eine irrtumsbedingte Verfügung darstellen, da sie aufgr<strong>und</strong> ihrer Bindungswirkung die Erhebung höherer Sozialversicherungsbeiträge<br />

in Deutschland hindern. Eine Zurückverweisung der Sache zur ergänzenden Sachaufklärung war<br />

gleichwohl nicht veranlasst. Unabhängig davon, ob die einem etwaigen Beitragsbetrug zugr<strong>und</strong>e liegenden Tathandlungen<br />

von der zugelassenen Anklage <strong>und</strong> damit der Kognitionspflicht des Landgerichts umfasst sind, steht einer<br />

solchen Prüfung gleichfalls die Bindungswirkung der erteilten Entsendebescheinigungen entgegen. Nach der - für<br />

den Senat bindenden - Auffassung des Europäischen Gerichtshofes sind die Gerichte des Gaststaates nicht befugt,<br />

die der Entsendebescheinigung zugr<strong>und</strong>e liegenden Tatsachen einer eigenständigen Überprüfung zu unterziehen (vgl.<br />

Urteil vom 26. Januar 2006, Rs. C-2/05 Rdn. 32 f.). Die Annahme eines Beitragsbetruges widerspräche einer solchen<br />

Bindung. Denn sie setzt die Bewertung voraus, dass es an den tatsächlichen Voraussetzungen einer Entsendung fehlt,<br />

diese dem ausländischen Versicherungs-träger vielmehr nur vorgetäuscht wurden <strong>und</strong> die von ihm ausgestellte Bescheinigung<br />

auf einer fehlerhaften Tatsachengr<strong>und</strong>lage beruht. Der Senat braucht vorliegend nicht zu entscheiden,<br />

welche Rechtsfolgen ein möglicher Widerruf der erteilten E 101-Bescheinigungen durch die ausstellende Behörde<br />

hätte, doch könnte bei erschlichenen Bescheinigungen Betrug zum Nachteil deutscher Sozialversicherungsträger<br />

nahe liegen. Da mithin lediglich ein Mangel der rechtlichen Würdigung vorliegt <strong>und</strong> weitergehende Feststellungen<br />

ausscheiden, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden. Die Entscheidung über die Verpflichtung zur Entschädigung<br />

für Strafverfolgungsmaßnahmen (§ 8 StrEG) ist vom Landgericht zu treffen, weil Art <strong>und</strong> Umfang der entschädigungspflichtigen<br />

Maßnahmen ohne weitere Feststellungen <strong>und</strong> ohne weitere Anhörung der Beteiligten nicht zu<br />

bestimmen sind (vgl. BGH StV 2002, 422, 423). Der Senat weist im übrigen klarstellend darauf hin, dass die in die<br />

Gesamtstrafe gegenüber dem Angeklagten H. gem. § 55 StGB einbezogenen Einzelstrafen aus einer früheren Verurteilung<br />

von dem Freispruch nicht berührt werden. Insoweit verbleibt es bei der in dem früheren Erkenntnis gebildeten<br />

Gesamtstrafe, deren Auflösung mit Aufhebung des land-gerichtlichen Urteils entfallen ist.<br />

335


StGB § 266a lex specialis zu § 263 StGB<br />

BGH, Beschl. vom 24.04.2007 – 1 StR 639/06<br />

1. Durch den neu gefassten Tatbestand des § 266a StGB sind nunmehr auch betrugsähnliche Begehungsweisen<br />

erfasst, sodass die Vorenthaltung von Arbeitnehmer- <strong>und</strong> Arbeitgeberanteilen nach<br />

neuem Recht dem Betrug als lex specialis vorgeht.<br />

2. Bei gleichzeitigem Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen für mehrere Arbeitnehmer<br />

gegenüber derselben Einzugsstelle ist nur eine Tat anzunehmen.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 24. April 2007 beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landsgerichts Bamberg vom 26. September 2006<br />

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in 36 Fällen schuldig<br />

ist;<br />

b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.<br />

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in 55 Fällen unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus einer<br />

früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte<br />

mit seiner auf die Verletzung formellen <strong>und</strong> materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel erzielt den<br />

aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

1. Die erhobenen Verfahrensrügen genügen aus den in der Antragsschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts vom 19. Februar<br />

2007 dargelegten Gründen nicht den formellen Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.<br />

2. Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge führt zu einer Änderung des Schuldspruchs <strong>und</strong> zur Aufhebung der<br />

Einzelstrafaussprüche <strong>und</strong> des Gesamtstrafenausspruchs.<br />

a) Das Landgericht ist auf Gr<strong>und</strong>lage der im Tatzeitraum - Januar 2001 bis Dezember 2002 - geltenden Rechtslage<br />

zutreffend von einem Vorrang von § 263 StGB gegenüber § 266a StGB aF ausgegangen (vgl. hierzu BGH NStZ-RR<br />

2006, 308). Es hat jedoch die im Entscheidungszeitpunkt geänderte, dem Angeklagten günstigere Rechtslage nicht<br />

berücksichtigt. Von dem durch Gesetz vom 23. Juli 2004 (BGBl. I S. 1842) neu gefassten Tatbestand des § 266a<br />

StGB sind nunmehr auch betrugsähnliche Begehungsweisen erfasst, sodass die Vorenthaltung von Arbeitnehmer<strong>und</strong><br />

Arbeitgeberanteilen nach neuem Recht dem Betrug als lex specialis vorgeht (vgl. BTDrucks. 15/2573 S. 28;<br />

Lackner/Kühl, StGB 25. Aufl. § 266a Rdn. 20; Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 266a Rdn.<br />

28). Diese Gesetzeslage ist bei der gebotenen konkreten Betrachtungsweise (vgl. Tröndle/ Fischer, StGB 54. Aufl. §<br />

2 Rdn. 10) als die dem Angeklagten günstigere gemäß § 2 Abs. 3 StGB zur Anwendung zu bringen. Denn das Landgericht<br />

ist bei seiner Strafzumessung jeweils von besonders schweren Fällen des Betruges gemäß § 263 Abs. 3 Satz 2<br />

Nr. 1 StGB aufgr<strong>und</strong> gewerbsmäßiger Handlungsweise ausgegangen; gegenüber dem hierdurch eröffneten Strafrahmen<br />

einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren sieht § 266a Abs. 1 <strong>und</strong> 2 StGB die mildere Strafandrohung<br />

vor (Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe). Dass das Landgericht bei Anwendung von § 266a<br />

StGB gleichfalls zur Annahme eines - auch unbenannten - besonders schweren Falles gemäß § 266a Abs. 4 StGB<br />

gelangt wäre, ist in Anbetracht der getroffenen Feststellungen auszuschließen, zumal auch der gewerbsmäßigen<br />

Begehungsweise als ein dem Tatbestand des § 266a StGB immanentes Merkmal im Regelfall keine strafschärfende<br />

Bedeutung zukommen kann.<br />

b) Das Landgericht hat darüber hinaus nicht beachtet, dass bei gleichzeitigem Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen<br />

für mehrere Arbeitnehmer gegenüber derselben Einzugsstelle nur eine Tat anzunehmen ist (vgl.<br />

Gribbohm in LK 11. Aufl. § 266a Rdn. 108). Wie der Generalb<strong>und</strong>esanwalt im Einzelnen ausführt, verbleiben auf<br />

Gr<strong>und</strong>lage der - fehlerfrei getroffenen - Feststellungen bei zutreffender konkurrenzrechtlicher Betrachtung 36 Fälle<br />

des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt.<br />

c) Der Rechtsfolgenausspruch kann trotz des im Hinblick auf die Höhe der hinterzogenen Beiträge unveränderten<br />

Schuldgehalts der festgestellten Taten keinen Bestand haben. Der neue Tatrichter wird die Einzelstrafen <strong>und</strong> die<br />

Gesamtstrafe unter Anwendung des zutreffenden Strafrahmens <strong>und</strong> auf Gr<strong>und</strong>lage der geänderten konkurrenzrechtlichen<br />

Bewertung neu zu bestimmen haben. Soweit er dabei neue Einzelstrafen hinsichtlich der zu einer Tat zusam-<br />

336


mengezogenen gleichzeitigen Beitragsvorenthaltung gegenüber derselben Einzugsstelle festzusetzen hat, ist er durch<br />

das Verschlechterungsverbot nur gehindert, eine die Summe aus den bisherigen Einzelstrafen übersteigende neue<br />

Einzelstrafe zu verhängen (vgl. BGHR StPO § 358 Abs. 2 Nachteil 12; BGH, Beschluss vom 8. Juni 2004 - 4 StR<br />

150/04 in NStZ-RR 2004, 294 insoweit nicht abgedruckt).<br />

StGB § 306a Abs. 1 Nr. 1 Vollendung<br />

BGH, Beschl. vom 24.10.2006 – 3 StR 339/06<br />

Für die Vollendung des § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB ist erforderlich, dass der Brand Teile des Gebäudes,<br />

die für dessen bestimmungsgemäßen Gebrauch wesentlich sind, erfasst hat <strong>und</strong> dass diese selbständig,<br />

d. h. ohne Fortwirken des Zündstoffs, weiter brennen (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl.<br />

§ 306 Rdn. 14 m.w.N.) oder dass es durch die Brandlegung zu einer völligen oder teilweisen Zerstörung<br />

von Gewicht gekommen ist; bei einer Brandlegung in einem Mehrfamilienhaus setzt dies voraus,<br />

dass zumindest ein zum selbständigen Gebrauch bestimmter Teil des Wohngebäudes - d. h.<br />

eine zum Wohnen bestimmte Untereinheit - durch die Brandlegung für eine beträchtliche Zeit für<br />

Wohnzwecke nicht mehr benutzbar ist.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 6. Februar 2006 im Schuldspruch<br />

dahin geändert, dass der Angeklagte des Totschlags <strong>und</strong> der versuchten schweren Brandstiftung schuldig ist.<br />

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels <strong>und</strong> die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen<br />

notwendigen Auslagen zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags <strong>und</strong> schwerer Brandstiftung zur Jugendstrafe von acht Jahren<br />

verurteilt. Die hiergegen gerichtete, die Verletzung formellen <strong>und</strong> sachlichen Rechts rügende Revision des Angeklagten<br />

führt auf die Sachrüge zur Änderung des Schuldspruchs; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im<br />

Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Die getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung wegen vollendeter schwerer<br />

Brandstiftung gemäß § 306 a Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht. Für die Vollendung dieses Delikts ist erforderlich, dass der<br />

Brand Teile des Gebäudes, die für dessen bestimmungsgemäßen Gebrauch wesentlich sind, erfasst hat <strong>und</strong> dass diese<br />

selbständig, d. h. ohne Fortwirken des Zündstoffs, weiter brennen (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 306 Rdn.<br />

14 m. w. N.) oder dass es durch die Brandlegung zu einer völligen oder teilweisen Zerstörung von Gewicht gekommen<br />

ist; bei einer Brandlegung in einem Mehrfamilienhaus setzt dies voraus, dass zumindest ein zum selbständigen<br />

Gebrauch bestimmter Teil des Wohngebäudes - d. h. eine zum Wohnen bestimmte Untereinheit - durch die Brandlegung<br />

für eine beträchtliche Zeit für Wohnzwecke nicht mehr benutzbar ist (vgl. BGHSt 48, 14, 20). Solches belegt<br />

das angefochtene Urteil nicht. Nach den getroffenen Feststellungen setzten der Angeklagte <strong>und</strong> sein Mittäter im<br />

Wohnzimmer der in einem Mehrfamilienhaus gelegenen Wohnung der Getöteten deren Kleidung oder das Sofa, an<br />

dessen Kante diese lehnte, im Bereich der Sitzfläche in Brand. Aus der Beweiswürdigung ergibt sich, dass es in<br />

Folge hoher Temperaturen in dem Bereich oberhalb des Sofas zu Putzabplatzungen gekommen ist, dass es sich eher<br />

um einen "Schwel- als einen Vollbrand" gehandelt hat <strong>und</strong> dass der Raum, in dem sich die Leiche befand, bei Eintreffen<br />

der Feuerwehr völlig verqualmt war. Daraus ergibt sich eine vollendete schwere Brandstiftung gemäß § 306 a<br />

Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht. Auf der Gr<strong>und</strong>lage der - rechtsfehlerfrei getroffenen - Urteilsfeststellungen ist der Angeklagte<br />

indessen - neben dem Verbrechen des Totschlags - jedenfalls der versuchten schweren Brandstiftung schuldig.<br />

Da in einer neuen Hauptverhandlung weitergehende als die aus dem Urteil ersichtlichen Feststellungen nicht zu<br />

erwarten sind, hat der Senat in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO den Schuldspruch insoweit geändert.<br />

§ 265 StPO steht dem hier nicht entgegen. Der Strafausspruch hat gleichwohl Bestand, da der Senat ausschließen<br />

kann, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Würdigung eine niedrigere Jugendstrafe verhängt hätte.<br />

Denn das Landgericht hat bei deren Bemessung im Wesentlichen auf den im Jugendstrafrecht maßgeblichen Erziehungsgedanken<br />

<strong>und</strong> die insoweit erforderliche erzieherische Einwirkung auf den Angeklagten <strong>und</strong> nicht auf die<br />

Vollendung der schweren Brandstiftung abgestellt. Angesicht des nur geringfügigen Teilerfolgs des Rechtsmittels ist<br />

die Belastung des Angeklagten mit den gesamten Kosten nicht unbillig (§ 473 Abs. 4 StPO).<br />

337


StGB § 331 §§ 332, 333. AO 370 Pflichtwidrigkeit Diensthandlung aus Höhe der Bestechungszuwendung<br />

BGH, Urt. vom 14.02.2007 – 5 StR 323/06<br />

Zur indiziellen Bedeutung der Höhe von Zuwendungen bei Bestechungsdelikten für die Feststellung<br />

der Pflichtwidrigkeit einer Diensthandlung.<br />

Der 5. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. Februar 2007 für Recht erkannt:<br />

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 2. Dezember 2005 hinsichtlich<br />

der Fälle 2 bis 19 der Urteilsgründe (Verurteilungen wegen Vorteilsgewährung bzw. Vorteilsannahme) mit<br />

den zu-gehörigen Feststellungen aufgehoben; die Feststellungen zu den einzelnen Zuwendungen bleiben aufrechterhalten.<br />

Die Revisionen des Angeklagten K. <strong>und</strong> der Nebenbeteiligten werden verworfen. Der Angeklagte K. <strong>und</strong> die<br />

Nebenbeteiligte haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.<br />

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten der<br />

Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen Vorteilsannahme in 18 Fällen <strong>und</strong> wegen Steuerhinterziehung in<br />

fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt <strong>und</strong> hinsichtlich eines Geldbetrags von<br />

171.363,35 € den Verfall angeordnet. Gegen den Mitangeklagten K. hat das Landgericht wegen Vorteilsgewährung<br />

in 18 Fällen ebenfalls eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt. Die Vollstreckung beider Gesamtfreiheitsstrafen<br />

ist zur Bewährung ausgesetzt worden. Zudem hat das Landgericht gegen die Nebenbeteiligte, die M. K.<br />

GmbH, wegen der vorsätzlichen Tat ihres Geschäftsführers eine Geldbuße in Höhe von 215.000 € festgesetzt. Gegen<br />

dieses Urteil richten sich die Revisionen des Angeklagten K. <strong>und</strong> der Nebenbeteiligten. Die Staatsanwaltschaft wendet<br />

sich mit ihren Revisionen, die vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt vertreten werden, dagegen, dass Verurteilungen lediglich<br />

wegen Vorteilsannahme bzw. Vorteilsgewährung <strong>und</strong> nicht wegen Bestechlichkeit bzw. Bestechung erfolgt sind,<br />

ferner gegen die Höhe des gegen den Angeklagten S. angeordneten Verfalls sowie gegen den Sanktionsumfang, der<br />

gegen die Nebenbeteiligte festgelegt wurde. Nur die Revisionen der Staatsanwaltschaft haben Erfolg.<br />

I. Unangefochten bleibt das landgerichtliche Urteil insoweit, als die Aneklagten wegen eines weiteren Tatvorwurfs<br />

freigesprochen worden sind <strong>und</strong> der Angeklagte S. wegen Steuerhinterziehung in fünf Fällen verurteilt worden ist.<br />

Das Urteil enthält – soweit es im Übrigen zur revisionsgerichtlichen Überprüfung gestellt wurde – folgende Feststellungen<br />

<strong>und</strong> rechtliche Würdigungen:<br />

1. Der Angeklagte S. war seit 1964 beim Amt für Strom- <strong>und</strong> Hafenbau in Hamburg tätig. Ab 1990 war er als technischer<br />

Angestellter im Referat 312 „Anlagenmanagement Dalben/Pontons“ beschäftigt. Dieses Referat war für Bau,<br />

Reparatur <strong>und</strong> Unterhalt von Wasserbauwerken zuständig. Soweit kleinere Aufträge, die im Zuständigkeitsbereich<br />

des Referats 312 anfielen, nicht von einem Regiebetrieb der Behörde erledigt wurden, konnten diese Aufträge im<br />

Bestellscheinverfahren zu Pauschalpreisen bis zu einer Grenze von 50.000 DM von dem Referat selbst vergeben<br />

werden. Der Angeklagte S. war befugt, entsprechende Verträge selbst oder zusammen mit einer anderen autorisierten<br />

Person abzuschließen, wenn das Auftragsvolumen 10.000 DM, später nach einer Anhebung 10.000 €, nicht überstieg.<br />

Verträge, die diese Preisgrenze überschritten, mussten von zwei Personen unterzeichnet werden, die berechtigt<br />

waren, die Stadt zu vertreten. Hierzu zählte der Angeklagte S. nicht. Der Angeklagte S. erteilte im Zeitraum von<br />

Januar 1998 bis August 2001 209 Aufträge an die Nebenbeteiligte, deren Hauptgesellschafter <strong>und</strong> Geschäftsführer<br />

der Mitangeklagte K. war, mit dem er seit Jugendzeit eng befre<strong>und</strong>et war. Die Nebenbeteiligte, die frühere (<strong>und</strong><br />

mittlerweile umfirmierte) T. K. GmbH, war auf entsprechende Wasserbauarbeiten spezialisiert. Der Angeklagte K.<br />

wandte dem Angeklagten S. von Oktober 1997 bis März 2001 nach den Feststellungen des Landgerichts insgesamt<br />

176.000 DM (richtig gerechnet 194.000 DM) Bargeld zu, aufgeteilt in Quartalszahlungen zwischen 12.500 <strong>und</strong><br />

13.000 DM, die ohne den Rechenfehler jeweils um etwas mehr als 1.000 DM höher zu bemessen gewesen wären.<br />

Weiterhin überließ der Angeklagte K. dem Angeklagten S. in diesem Zeitraum unentgeltlich vier gebrauchte, verhältnismäßig<br />

hochwertige Firmenwagen, deren Zeitwert in der Summe etwa 245.000 DM betrug.<br />

2. Das Landgericht wertet die Zuwendungen aus der Sicht des Angeklagten K. als bloße Vorteilsgewährung im Sinne<br />

des § 333 StGB, aus der Sicht des Angeklagten S. als Vorteilsannahme gemäß § 331 StGB. Die Strafkammer hat<br />

sich nicht davon überzeugen können, dass zwischen den Angeklagten eine Unrechtsvereinbarung im Sinne der Bestechungsdelikte<br />

bestanden hat, wonach die Zuwendungen als Gegenleistungen für die Verletzung der Dienstpflich-<br />

338


ten des Angeklagten S. im Zusammenhang mit der Auftragsvergabe erfolgen sollten. Eine solche Absprache – auch<br />

in konkludenter Form – hat sich nach Auffassung des Landgerichts nicht feststellen lassen. Die Beauftragung der<br />

Nebenbeteiligten beruhe vielmehr, wie dies durch Zeugenaussagen bestätigt worden sei, auf deren deutlich höherem<br />

Leistungsvermögen. Ein Anlass für Schmiergeldzahlungen habe deshalb nicht bestanden, weil die Nebenbeteiligte<br />

aufgr<strong>und</strong> ihres Leistungsangebots weitestgehend konkurrenzlos gewesen sei. Soweit der Angeklagte in etlichen Fällen<br />

den Auftrag unterschrieben habe, obwohl er die Stadt nach den bestehenden Vertretungsregelungen nicht hätte<br />

verpflichten dürfen, ergebe sich hieraus jedenfalls aus subjektiven Gründen keine Dienstpflichtverletzung. Aufgr<strong>und</strong><br />

der tatsächlichen Übung im Amt lasse sich nicht feststellen, dass dem Angeklagten ein entsprechender Pflichtenverstoß<br />

bewusst gewesen wäre.<br />

II. Während die Revisionen der Staatsanwaltschaft Erfolg haben, sind die Revisionen des Angeklagten K. <strong>und</strong> der<br />

Nebenbeteiligten unbegründet.<br />

1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft führen zur Aufhebung der Schuldsprüche wegen Vorteilsannahme bei dem<br />

Angeklagten S. <strong>und</strong> wegen Vorteilsgewährung bei dem Angeklagten K. .<br />

a) Die Annahme des Landgerichts, dass keine den Anwendungsbereich der Bestechungsdelikte begründende, auf<br />

eine pflichtwidrige Diensthandlung gerichtete Unrechtsvereinbarung vorliege, begegnet durchgreifenden rechtlichen<br />

Bedenken. Die dazu vom Landgericht vorgenommene Würdigung ist lückenhaft. Sie lässt wesentliche Gesichtspunkte<br />

unberücksichtigt (vgl. BGH NJW 2006, 925, 928, insoweit in BGHSt 50, 299 nicht abgedruckt).<br />

aa) Eine Unrechtsvereinbarung im Sinne des § 331 Abs. 1 StGB liegt vor, wenn eine beiden Seiten bewusste Verknüpfung<br />

zwischen der Diensthandlung <strong>und</strong> dem Vorteil besteht, mithin der Vorteil für die Diensthandlung erbracht<br />

wird (Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 331 Rdn. 22 f. m.w.N. zur Entstehungsgeschichte). Für die Erfüllung der<br />

Bestechungsdelikte (§§ 332, 334 StGB) tritt als weiteres Merkmal hinzu, dass sich die Unrechtsvereinbarung auf<br />

eine konkrete Diensthandlung beziehen muss, durch die der Täter seine dienstlichen Pflichten verletzt hat oder verletzen<br />

würde (Tröndle/Fischer aaO § 332 Rdn. 3). Dabei wird der Tatbestand der Bestechungsdelikte (§ 332 Abs. 1,<br />

§ 334 Abs. 1 StGB) sowohl dann erfüllt, wenn der Vorteil für – soweit sie hinreichend konkret umrissen sind<br />

(BGHR StGB § 332 Abs. 1 Satz 1 Unrechtsvereinbarung 4) – künftige Diensthandlungen gewährt wird als auch,<br />

wenn die dienstpflichtwidrige Diensthandlung bereits abgeschlossen ist. Beide Tatbestandsvarianten gehen in der<br />

Rechtswirklichkeit ineinander über. Gerade in Fällen des gestreckten korrumptiven Zusammenwirkens werden Vorteile<br />

nicht nur im Hinblick auf bereits abgeschlossene pflichtwidrige Diensthandlungen gewährt, sondern zugleich<br />

auch, um weitere gleichartige Pflichtwidrigkeiten des Amtsträgers zu befördern. Die Pflichtwidrigkeit der Diensthandlung<br />

ergibt sich – im Falle des so genannten geb<strong>und</strong>enen Verwaltungshandelns – daraus, dass die Diensthandlung<br />

gegen ein Gesetz, eine Rechtsverordnung, eine Verwaltungsvorschrift oder eine allgemeine oder konkrete<br />

dienstliche Weisung verstößt (BGHSt 48, 44, 46). Ergeben sich die inhaltlichen Grenzen der vorzunehmenden<br />

Diensthandlungen nicht ohne weiteres auf Gr<strong>und</strong> solcher Vorgaben, steht vielmehr dem Amtsträger ein Ermessens-<br />

oder Gestaltungsspielraum zu, kann die Pflichtwidrigkeit der Diensthandlung auch darin bestehen, dass der Amtsträger<br />

sich nicht ausschließlich von sachlichen Gesichtspunkten leiten lässt, sondern auch die ihm zugewandten oder<br />

bereits zugesagten Vorteile in die Abwägung einfließen lässt (BGHSt 47, 260, 263; BGHR StGB § 332 Abs. 1 Satz 1<br />

Unrechtsvereinbarung 5 <strong>und</strong> § 334 Abs. 3 Nr. 2 Unrechtsvereinbarung 1). Ob der Täter sich insgeheim vorbehält,<br />

später sachgerecht zu verfahren, ist unerheblich. Entscheidend ist der von ihm nach außen erweckte Eindruck. Dabei<br />

darf die Pflichtwidrigkeit der Diensthandlung nicht allein in ihrer Verknüpfung mit dem Vorteil gesehen werden. Die<br />

Diensthandlung muss vielmehr bereits an sich pflichtwidrig sein (BGHSt 15, 239, 241; BGH NJW 2002, 2801, 2806,<br />

insoweit in BGHSt 47, 295 nicht abgedruckt). Hierin liegt der systematisch wesentliche Unterschied zwischen der<br />

Vorteilsannahme <strong>und</strong> der Bestechlichkeit. Die Bestechlichkeit setzt voraus, dass der Empfänger der Zuwendung nach<br />

außen gerade bek<strong>und</strong>et, beeinflussbar zu sein (§ 332 Abs. 3 Nr. 2 StGB). Es bedarf deshalb tragfähiger Umstände,<br />

aus denen sich die Folgerung ableiten lässt, der Amtsträger habe bewusst seine Bereitschaft zum Ausdruck gebracht,<br />

seine Entscheidung auch an dem Vorteil auszurichten (BGHSt 48, 44, 47).<br />

bb) Als Amtsträger hatte der Angeklagte, was die Auswahl des Vertragspartners anbelangte, einen Gestaltungsspielraum.<br />

Insoweit gelten für ihn die Gr<strong>und</strong>sätze, die für den Ermessensbeamten entwickelt wurden (BGHSt 47, 260,<br />

263). Allerdings hat das Landgericht aufgr<strong>und</strong> einer eingehenden Würdigung festgestellt, dass die überwiegende<br />

Beauftragung der Nebenbeteiligten auf sachlich gerechtfertigten Gründen beruht. Dies hat es aus dem im Verhältnis<br />

zum Konkurrenten T. F. GmbH überlegenen Ausrüstungsstand sowie der Verlässlichkeit <strong>und</strong> dem hohen Qualitätsstandard<br />

bei der Auftragsdurchführung der Nebenbeteiligten geschlossen. Ebenso wenig ist – was auch die Staatsanwaltschaft<br />

ausdrücklich einräumt – aus Rechtsgründen zu beanstanden, dass das Landgericht eine Dienstpflichtverletzung<br />

nicht schon wegen der in etlichen Fällen vom Angeklagten vorgenommenen Überschreitung seiner Vertretungsbefugnis<br />

angenommen hat, weil dieser Umstand ihm ebenso wenig geläufig war wie anderen Amtsangehörigen.<br />

339


Wenngleich eine Dienstpflichtverletzung nicht schon in der Beauftragung der Nebenbeteiligten gesehen werden<br />

kann, so lässt das Landgericht jedoch unerörtert, ob die Ausgestaltung der Aufträge, insbesondere der Um-ang der<br />

gezahlten Vergütungen für die Arbeiten der Nebenbeteiligten, eine Dienstpflichtverletzung dargestellt haben könnte.<br />

Die Höhe der dem Angeklagten S. zugewandten Vorteile, die sich allein im Zeitraum 1997 bis 2001 auf über<br />

400.000 DM beliefen, hätte hierfür besonderen Anlass geben müssen. Die ausschließlich für private Zwecke des<br />

Amtsträgers verwendeten Zuwendungen in erheblicher Höhe genügen zwar für sich genommen für die Tatbestandserfüllung<br />

nicht, sie haben aber wesentliche indizielle Bedeutung für ein Sichbereitzeigen im Sinne des § 332 Abs. 3<br />

Nr. 2 StGB.<br />

cc) Auch wenn die Wirtschaftsstrafkammer ein nicht gänzlich unplausibles Motiv fre<strong>und</strong>schaftsbedingter Schenkungen<br />

des Angeklagten K. an den Angeklagten S. angeführt hat, bedarf der Sachverhalt bei der Höhe der Zuwendungen<br />

hinsichtlich der Preisgestaltung bei den Aufträgen ergänzender Aufklärung. Zwar stellt die Strafkammer fest, dass<br />

Bauarbeiten aufgr<strong>und</strong> einer Preisliste zu Pauschalpreisen abgerechnet wurden. Das landgerichtliche Urteil verhält<br />

sich aber nicht dazu, ob für den Angeklagten damit eine Preisverhandlung gänzlich ausgeschlossen war oder eine<br />

Beeinflussung der Vergütungshöhe sich jedenfalls mittelbar daraus ergab, dass die Einordnung in bestimmte<br />

Leistungs- <strong>und</strong> Vergütungsgruppen selbst wiederum eine Ermessensentscheidung darstellte. Neben der Preisbildung<br />

im Hinblick auf die einzelne Beauftragung hätte auch in den Blick genommen werden müssen, wie die Pauschalpreise<br />

gef<strong>und</strong>en wurden. Hierbei kommt in Betracht, dass diese in einem Gremium ausgehandelt wurden; sie können<br />

aber auch von einer der beiden Seiten im Wesentlichen vorgegeben worden sein. Ebenso kann das Verhältnis der<br />

Pauschalpreise zu solchen Preisen, die auf dem freien Markt mit privaten Nachfragen erzielt werden, relevant sein.<br />

Jedenfalls hätte es der Darlegung bedurft, inwieweit der Angeklagte S. in die Bestimmung der dort allgemein festgesetzten<br />

Preise eingeb<strong>und</strong>en war. Selbst wenn er insoweit nicht der eigentlich Entscheidende war, wäre er auch dann<br />

tauglicher Täter im Sinne der Bestechungsdelikte, wenn er die Entscheidung maßgeblich beeinflussen konnte<br />

(BGHSt 47, 260, 263). Sollte sich ergeben, dass insoweit nennenswerte Einflussmöglichkeiten für den Angeklagten<br />

K. bestanden haben, käme der indiziellen Wirkung der Höhe der dem Angeklagten S. zugewandten Vorteile Bedeutung<br />

zu. Deren Gewicht hängt auch davon ab, in welchem Verhältnis die Zuwendungen zu dem von ihm beauftragten<br />

Vertragsvolumen standen. Auch hierzu fehlen bislang Feststellungen.<br />

dd) In der Nichterörterung der vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt hervorgehobenen Möglichkeit, dass die Zahlungen auch<br />

der Sicherung der etwa pflichtwidrigen Erteilung zukünftiger Aufträge gedient haben könnten, sieht der Senat keinen<br />

Rechtsfehler. Die Beweiswürdigung ist vor dem Hintergr<strong>und</strong> der in diesem Zusammenhang rechtsfehlerfrei getroffenen<br />

Feststellungen nicht lückenhaft.<br />

b) Die Aufhebung der Schuldsprüche wegen Vorteilsannahme (hinsichtlich des Angeklagten S. ) <strong>und</strong> Vorteilsgewährung<br />

(hinsichtlich des Angeklagten K. ) führt zugleich zum Wegfall der insoweit festgesetzten Einzelstrafen. Die<br />

Feststellungen zu den gewährten Zuwendungen können jedoch bestehen bleiben, weil sie von dem Rechtsfehler nicht<br />

beeinflusst sind. Sie werden von der Staatsanwaltschaft nicht angegriffen. Der genannte – erst vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt<br />

aufgezeigte – Rechenfehler hat sich er-sichtlich nicht maßgeblich ausgewirkt.<br />

c) Hinsichtlich des Angeklagten S. kann in Ermangelung eines zugehörigen Schuldspruchs auch die vom Landgericht<br />

ausgesprochene Verfallsanordnung keinen Bestand haben. Die Beanstandungen der Staatsanwaltschaft hierzu,<br />

die einen höheren Verfallsbetrag erstrebt, gehen in diesem Verfahrensstadium deshalb ins Leere. Der neue Tatrichter<br />

wird allerdings zu beachten haben, dass die Anordnung des Verfalls dann ausgeschlossen ist, wenn der Dienstherr<br />

des Angeklagten Verletzter im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB ist. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn dem<br />

Dienstherrn ein Ersatzanspruch auf Herausgabe des Erlangten nach § 687 Abs. 2, § 681 Satz 2, § 667 BGB zusteht.<br />

Da solche Ansprüche auf die Herausgabe von Schmiergeldern letztlich der Kompensation der Interessen des Geschäftsherrn<br />

dienen, unterfällt ein solcher Anspruch der Vorrangbestimmung des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB (BGHR<br />

StGB § 73 Verletzter 5, insoweit in BGHSt 46, 310 nicht abgedruckt). Dies gilt auch, wenn – wie hier – fiskalisch<br />

Anspruchsberechtigter <strong>und</strong> Verfallsbegünstigter identisch sind, weil insoweit die öffentliche Hand nicht anders behandelt<br />

werden soll als private Gläubiger <strong>und</strong> der ressortmäßige Zufluss der Gelder unterschiedlich sein kann<br />

(BGHR StGB § 73 Verletzter 3). Soweit die Rechtsprechung in Bestechungsfällen teilweise eine Anordnung des<br />

Verfalls zugelassen hat, beruht dies darauf, dass entweder wegen der formellen Beamtenstellung des Täters ein Ersatzanspruch<br />

ausgeschlossen war (BGH NStZ 2000, 589, 590; vgl. auch BGH NStZ 2003, 423) oder ein entsprechender<br />

Ersatzanspruch nicht festgestellt wurde (BGHSt 47, 22, 31 f.; BGHR StGB § 73 Verletzter 7).<br />

d) Mit der Aufhebung der Schuldsprüche wegen Vorteilsgewährung entfällt insoweit auch die Gr<strong>und</strong>lage für die<br />

Ahndung der Nebenbeteiligten. Insoweit ist zu der Revision der Staatsanwaltschaft im Blick auf die Verhandlung vor<br />

dem neuen Tatrichter lediglich noch folgendes zu bemerken:<br />

340


aa) Die Anordnung des Verfalls gegen die Nebenbeteiligte war – entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft –<br />

hier schon deshalb ausgeschlossen, weil gegen sie ein Bußgeld verhängt wurde. Um eine Verfallsanordnung neben<br />

einer Bußgeldfestsetzung zu verhindern, setzt nach § 30 Abs. 5 OWiG eine Verfallsanordnung voraus, dass gegen<br />

die Nebenbeteiligte keine Geldbuße verhängt wurde. Es darf deshalb hinsichtlich derselben Tat Verfall auch nicht<br />

etwa insoweit angeordnet werden, als eine Gewinnabschöpfung nicht schon durch das festgesetzte Bußgeld erfolgt<br />

sein sollte. Dies übersieht die Staatsanwaltschaft.<br />

bb) Bei der Bemessung der Geldbuße gegen die Nebenbeteiligte muss von der Tat des Verantwortlichen ausgegangen<br />

werden. Dessen Schuld bestimmt auch gegenüber der Nebenbeteiligten den Umfang der Vorwerfbarkeit (Raum<br />

in Langen/Bunte, GWB 10. Aufl. § 81 Rdn. 137; Lemke in Lemke/Mosbacher, OWiG 2. Aufl. § 30 Rdn. 63). Dabei<br />

spielt – allerdings vor dem Hintergr<strong>und</strong> der wirtschaftlichen Gesamtsituation des Unternehmens – der durch die Tat<br />

erlangte Vorteil eine entscheidende Rolle, weil das Bußgeld ihn übersteigen soll (§ 17 Abs. 4 OWiG). Dieser Vorteil,<br />

der neben dem reinen Gewinn auch weitere Vorteile hinsichtlich der Situation der Nebenbeteiligten am Markt umfasst<br />

(BGH WUW/E 2718, 2719 – Bußgeldbemessung), kann durch Schätzung bestimmt werden (vgl. BGH WUW<br />

DE-R 1487, 1488 f. – steuerfreier Mehrerlös). Dabei hat sich die Schätzung darauf zu beziehen, welche Situation<br />

bestanden hätte, wenn die Nebenbeteiligte nicht zu dem inkriminierten Verhalten (Schmiergeldzahlungen an den<br />

Angeklagten S. ) gegriffen hätte. Dieser hypothetische Sachverhalt ist wirtschaftlich mit der nach der Tat tatsächlich<br />

eingetretenen Situation zu vergleichen (vgl. hierzu Raum aaO Rdn. 141 ff.). Dass dies nur im Rahmen einer groben<br />

Schätzung erfolgen kann, versteht sich von selbst. Bei der Bemessung des Vorteils sind die steuerlichen Wirkungen<br />

zu berücksichtigen (BVerfGE 81, 228, 241 f.). Ist das Besteuerungsverfahren bestandskräftig abgeschlossen, wird<br />

der anzusetzende Vorteil um die auf den Gewinn entfallende steuerliche Belastung zu mindern sein (BGHSt 47, 260,<br />

264 ff.; BGH WUW DE-R 1487, 1489 – steuerfreier Mehrerlös; vgl. auch BGHR StGB § 73 Verletzter 7).<br />

2. Die Revisionen des Angeklagten K. <strong>und</strong> der Nebenbeteiligten, die lediglich die nicht ausgeführte Sachrüge erhoben<br />

haben, sind unbegründet. Die umfassende Überprüfung der angefochtenen Urteile hat keinen Rechtsfehler zu<br />

deren Nachteil ergeben.<br />

StGB § 352 – Keine Gebührenüberhebung bei vereinbarter Vergütung<br />

BGH, Urt. vom 06.09.2006 – 5 StR 64/06 - NJW 2006, S. 3219 ff. = JR 2007, S. 202 ff. m. Anm. Kuhlen<br />

LS: Zum Anwendungsbereich des § 352 StGB bei Honorarvereinbarungen.<br />

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 30. März 2005 wie folgt abgeändert:<br />

1. Der Angeklagte wird auch hinsichtlich der nachstehend unter A. I (2) (Fall Abschnitt A II Ziffer 2.2 der Urteilsgründe)<br />

<strong>und</strong> A. I (3) (Fall Abschnitt A II Ziffer 2.3 der Urteilsgründe) genannten Tatvorwürfe auf Kosten der Staatskasse<br />

freigesprochen. Seine insoweit entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.<br />

2. Soweit der Angeklagte verurteilt worden ist, wird das Urteil im Übrigen mit den Feststellungen aufgehoben. Ausgenommen<br />

sind die Feststellungen zu den einzelnen Honorarvereinbarungen <strong>und</strong> ihrer Vorgeschichte (Abschnitt A II<br />

der Urteilsgründe), die aufrechterhalten bleiben. Insoweit wird die weitergehende Revision des Angeklagten verworfen.<br />

II. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorgenannte Urteil mit den Feststellungen aufgehoben,<br />

soweit der Angeklagte vom Vorwurf der Untreue freigesprochen worden ist (Abschnitt C der Urteilsgründe).<br />

III. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die verbliebenen<br />

Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Gebührenüberhebung in Tatmehrheit mit vier tateinheitlichen Vergehen<br />

der Gebührenüberhebung, diese in Tateinheit mit Betrug <strong>und</strong> versuchtem Betrug, zu einer Gesamtgeldstrafe von<br />

170 Tagessätzen zu je 100 Euro verurteilt. Im Übrigen hat es den Angeklagten freigesprochen. Der Angeklagte greift<br />

seine Verurteilung mit seiner auf sachlichrechtliche Beanstandungen gestützten Revision an. Die Staatsanwaltschaft<br />

wendet sich mit ihrem Rechtsmittel, das die B<strong>und</strong>esanwaltschaft vertritt, insoweit gegen den Teilfreispruch des Angeklagten,<br />

als dieser nicht wegen Untreue zu Lasten von Alexander H. verurteilt worden ist. Im Übrigen ist die Revision<br />

zurückgenommen worden. Die Rechtsmittel haben den aus dem Urteilstenor ersichtlichen Erfolg.<br />

A. Revision des Angeklagten<br />

341


I. Nach den Feststellungen des Landgerichts vertrat der Angeklagte, der in Torgau eine Rechtsanwaltskanzlei betreibt,<br />

die von Sozialhilfe lebende Angela H. . Angela H. , eine allein erziehende Mutter dreier Kinder, war sorgeberechtigt<br />

für ihren 2 ½-jährigen Sohn Alexander H. , der bei einem Treppensturz schwerste Verletzungen erlitten<br />

hatte, in deren Folge er später verstorben ist. Im Zusammenhang mit diesem Unfall, der im Haushalt seiner Pflegemutter<br />

stattgef<strong>und</strong>en hatte, entwickelte sich eine Reihe von Rechtsstreitigkeiten, in denen der Angeklagte auch Alexander<br />

H. vertrat. In diesem Zusammenhang wusste der Angeklagte ab April 2001, dass aus einer Unfallversicherung<br />

eine erhebliche Summe zu erwarten war. Tatsächlich überwies die Debeka am 17. September 2001 einen Betrag<br />

in Höhe von etwa 330.000 DM auf das Konto des Angeklagten, der von Angela H. namens ihres Sohnes Alexander<br />

H. mandatiert war. Der Angeklagte schloss mit Angela H. , teilweise als Vertreterin ihres Sohnes Alexander, in folgenden<br />

Fällen Honorarvereinbarungen, in denen er sich höhere als die gesetzlich geschuldeten Gebühren zusichern<br />

ließ:<br />

(1) Für eine Strafanzeige, die der Angeklagte für Angela H. gegen L. wegen Beleidigung stellen sollte, vereinbarte<br />

der Angeklagte am 21. Mai 2001 eine Gebühr in Höhe von 1.500 DM, obwohl nach Auffassung des Landgerichts<br />

hier nur eine Gebühr von 315 DM (netto) geschuldet gewesen wäre.<br />

(2) Im Widerspruchsverfahren vor dem Versorgungsamt Leipzig ließ sich der Angeklagte von Angela H. , die insoweit<br />

als Vertreterin für ihren Sohn Alexander handelte, am 1. Juni 2001 eine Gebühr in Höhe von 1.500 DM zusichern,<br />

obwohl die gesetzliche Gebühr nur 630 DM betragen hätte.<br />

(3) Für die Erstattung einer Strafanzeige gegen St. , die als Verantwortliche für den Unfall des Alexander H. bezeichnet<br />

wurde, <strong>und</strong> die sich hieran anschließende Nebenklagevertretung vereinbarte der Angeklagte am 9. August<br />

2000 eine Gebühr in Höhe von 2.500 DM bei einer Erledigung des Vorgangs ohne <strong>und</strong> eine Gebühr in Höhe von<br />

3.000 DM bei einer Erledigung mit Hauptverhandlung. Die gesetzliche Gebühr für das später ohne Hauptverhandlung<br />

nach § 153a StPO erledigte Strafverfahren gegen St. betrug nach Auffassung des Landgerichts 315 DM.<br />

(4) Der Angeklagte, der nach einer Überleitungsanzeige durch die Sozialbehörde für das Überleitungsverfahren nach<br />

§ 90 BSHG wegen erbrachter Sozialhilfeleistungen mandatiert wurde, schloss für dieses Verfahren am 25. Juli 2001<br />

eine Honorarvereinbarung über 2.000 DM ab. Mit der Bezifferung des übergeleiteten Antragsanspruchs auf nunmehr<br />

etwa 2.000 DM durch die Sozialbehörde legte der Angeklagte einen neuen Vorgang an <strong>und</strong> traf mit Angela H. am<br />

18. September 2001 eine weitere Gebührenvereinbarung über 500 DM, obwohl es sich – wie er auch wusste – um<br />

eine identische Angelegenheit handelte <strong>und</strong> deshalb kein neuer Gebührenanspruch entstehen konnte.<br />

(5) Der Angeklagte hatte am 23. August 2000 eine Strafanzeige im Auftrag von Angela H. gegen Mitarbeiter des<br />

Jugendamtes Torgau gefertigt. Hierfür schloss er am 25. September 2001 eine Honorarvereinbarung über 2.000 DM<br />

mit Angela H. ab. Die gesetzliche Gebühr hätte nur etwa 300 DM betragen.<br />

(6) Im Hinblick auf die Vertretung von Angela H. in einem vor dem Amtsgericht in Torgau anhängigen Sorgerechtsverfahren<br />

vereinbarte der Angeklagte am 18. Oktober 2001 mit Angela H. ein Honorar in Höhe von 2.000 DM. Tatsächlich<br />

hätte sich die gesetzliche Gebühr nur auf ca. 870 DM belaufen.<br />

(7) Angela H. beauftragte den Angeklagten mit der Durchsetzung von Ersatzansprüchen gegen den Landkreis Torgau,<br />

weil diesen bei der Bestellung der Pflegemutter ein Auswahlverschulden getroffen habe. Das hierfür vereinbarte<br />

Honorar betrug 10.000 DM netto. Nachdem der Landkreis die Angelegenheit an den „Kommunalen Schadenausgleich“<br />

weitergeleitet hatte, legte der Angeklagte einen neuen Vorgang an <strong>und</strong> spiegelte so Angela H. vor, dass es<br />

sich um eine neue Sache handele. Im Vertrauen hierauf schloss Angela H. am 26. Oktober 2001 mit dem Angeklagten<br />

eine erneute Gebührenvereinbarung über 2.000 DM ab. Zu einer Zahlung dieser Gebühr kam es im Folgenden<br />

jedoch nicht mehr.<br />

Mit Ausnahme des letztgenannten Falles wurden sämtliche Forderungen aus den Honorarvereinbarungen beglichen.<br />

Dies erfolgte in der Regel durch Verrechnungen oder auch durch Überweisungen von Angela H.<br />

Das Landgericht hat in fünf der vorgenannten Fälle eine Gebührenüberhebung im Sinne des § 352 StGB gesehen.<br />

Hinsichtlich der Fälle (4) <strong>und</strong> (7) hat es einen Betrug nach § 263 StGB darin erblickt, dass der Angeklagte durch<br />

Anlage eines gesonderten Vorgangs der Zeugin H. wahrheitswidrig vorgespiegelt habe, es handele sich jeweils um<br />

einen neuen Vorgang, der einen gesonderten Honoraranspruch auslöse. Im Fall (7) sei es beim Versuch geblieben,<br />

weil eine Auszahlung des Honorars nicht mehr erfolgt sei. Den Tatbestand des Wuchers nach § 291 StGB hat das<br />

Landgericht verneint, weil die hierfür notwendige besondere Lage des Opfers nicht vorgelegen hätte. Mit Ausnahme<br />

der unter (3) genannten Honorarvereinbarung, die längere Zeit davor abgeschlossen worden sei, habe der Angeklagte<br />

ab dem 24. April 2001 mit einheitlichem Vorsatz gehandelt, weil er nach Kenntnis von der zu erwartenden Auszahlung<br />

der Debeka den einheitlichen Vorsatz gefasst habe, Gebührenüberhebungen oder Betrugstaten zu Lasten des<br />

Vermögens des Alexander H. zu begehen. Insoweit geht das Landgericht von einer tateinheitlichen Verwirklichung<br />

dieser Tatbestände aus.<br />

342


II. Die Revision des Angeklagten hat weitgehend Erfolg.<br />

1. Die Verurteilungen wegen Gebührenüberhebung (§ 352 StGB) halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.<br />

a) Das Landgericht begründet die Strafbarkeit des Angeklagten nach § 352 StGB mit der Erwägung, dass bei unwirksamen<br />

Honorarvereinbarungen der Rechtsanwalt nur auf der Gr<strong>und</strong>lage der Gebührenordnung hätte abrechnen<br />

dürfen. In den Verurteilungsfällen seien die Gebührenvereinbarungen sittenwidrig im Sinne des § 138 BGB, weil<br />

sowohl Angela H. als auch – bis zur Auszahlung der Versicherungssumme – Alexander H. Anspruch auf Sozialhilfe<br />

gehabt hätten. Solche die gesetzlichen Gebühren übersteigenden Honorarvereinbarungen, die mit Sozialhilfeempfängern<br />

geschlossen würden, verstießen gegen § 138 Abs. 1 BGB. Da der Angeklagte sich Honorare habe zusichern<br />

lassen, die mindestens das Doppelte der gesetzlichen Gebühr betrügen, habe er sich nach § 352 StGB strafbar gemacht,<br />

zumal er die Sittenwidrigkeit erkannt habe.<br />

b) Diese Ausführungen begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der Senat vermag dem Landgericht schon<br />

im Ausgangspunkt nicht zu folgen. Rechnet der Rechtsanwalt, dem ein Vergütungsanspruch zusteht, diese auf Gr<strong>und</strong><br />

einer Honorarvereinbarung <strong>und</strong> nicht nach der Gebührenordnung (BRAGO, jetzt RVG) ab, fällt sein Verhalten<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich nicht unter den Tatbestand des § 352 StGB. Dies gilt allerdings nur dann, wenn sich aus der anzuwendenden<br />

Vergütungsordnung jedenfalls dem Gr<strong>und</strong>e nach ein Anspruch ergibt (vgl. dagegen die Fälle I. (4) <strong>und</strong> I. (7),<br />

unten 2 d). Schließt der Rechtsanwalt dann hierüber eine Honorarvereinbarung <strong>und</strong> macht er aus dieser seine Vergütungsansprüche<br />

geltend, erfüllt dies nicht den Tatbestand der Gebührenüberhebung nach § 352 StGB, unabhängig<br />

davon, ob die Honorarvereinbarung wirksam zustande gekommen ist oder nicht. Diese Auslegung ergibt sich aus<br />

dem Wortlaut wie auch aus dem Zweck der Vorschrift.<br />

aa) Nach § 352 StGB wird ein Rechtsanwalt wegen Gebührenüberhebung bestraft, wenn er Vergütungen erhebt, von<br />

denen er weiß, dass der Zahlende sie überhaupt nicht oder nur in geringerem Maße schuldet. Die Bestimmung grenzt<br />

den Täterkreis auf solche Personen ein, die Vergütungen zu ihrem Vorteil „zu erheben haben“. Vergütungen im<br />

Sinne dieser Vorschrift sind nur solche Ansprüche, die dem Gr<strong>und</strong>e <strong>und</strong> dem Betrag nach gesetzlich festgelegt sind<br />

<strong>und</strong> die der Rechtsanwalt nach den Gebührenordnungen, Taxen oder sonstigen Vorschriften selbst zu berechnen hat<br />

(BGHSt 4, 233, 235). Nur soweit der Rechtsanwalt nach den gesetzlichen Gebühren abrechnet, kann er sie in den<br />

vereinfachten Festsetzungsverfahren nach § 11 RVG (früher § 19 BRAGO) festsetzen lassen <strong>und</strong> so einen vollstreckbaren<br />

Titel erlangen (Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG 17. Aufl. § 11 Rdn. 41 ff.). Die Strafandrohung<br />

will sicherstellen, dass er sich bei dieser ihm überlassenen Berechnung seines Anspruchs in den Schranken hält, die<br />

ihm die Gebührenordnungen auferlegen (BGHSt aaO). Der Schutzzweck dieser Strafnorm besteht danach nicht nur<br />

darin, das Publikum vor überhöhten Vergütungsforderungen des Rechtsanwalts zu bewahren, sondern es vor allem<br />

vor dem Missbrauch seiner Befugnis zu schützen, gesetzliche Gebühren erheben zu dürfen (Träger in LK 11. Aufl. §<br />

352 Rdn. 1; Kuhlen in NK-StGB 2. Aufl. § 352 Rdn. 3). Das spezifische Unrecht der Gebührenüberhebung besteht<br />

gerade darin, dass der Täter für seine Forderungen zu Unrecht die Autorität einer gesetzlichen Gebührenregelung in<br />

Anspruch nimmt.<br />

bb) Rechnet der Rechtsanwalt auf der Gr<strong>und</strong>lage einer Honorarvereinbarung ab, dann „erhebt“ er keine Vergütung<br />

im Sinne des § 352 StGB. Seinen Vergütungsanspruch leitet er in diesem Falle allein aus der vertraglichen Vereinbarung<br />

her. Dies ist für den Fall der die gesetzlichen Gebühren übersteigenden Honorarforderung auch unstreitig (vgl.<br />

Kuhlen aaO Rdn. 17; Träger aaO Rdn. 12; jeweils m.w.N.). Gleiches gilt aber auch, wenn der Rechtsanwalt auf der<br />

Gr<strong>und</strong>lage einer unwirksamen Honorarvereinbarung seinen Anspruch beziffert (Kuhlen aaO Rdn. 17; Cramer/Sternberg-Lieben<br />

in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 352 Rdn. 9a; OLG Braunschweig NJW 2004, 2606 für<br />

den Fall der formunwirksamen Honorarvereinbarung; a. A. Träger aaO Rdn. 12; Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. §<br />

352 Rdn. 6; BayObLG NJW 1989, 2901, 2902). Insoweit bezieht er sich gerade nicht auf die gesetzlich festgelegte<br />

Vergütungsordnung, sondern die Basis seiner Honorarberechnung bleibt die vertragliche Vereinbarung. Er „erhebt“<br />

deshalb in diesen Fällen keine Vergütung, weil er den Vergütungsanspruch nicht nach den gesetzlichen Vergütungsordnungen<br />

bestimmt. Dies ist im Übrigen auch seinem Mandanten als dem Adressaten seiner Abrechnung deutlich.<br />

Dieser erhält eine Abrechnung, die sich ausdrücklich nicht auf die gesetzliche Vergütungsordnung stützt, sondern auf<br />

eine mit ihm getroffene Honorarvereinbarung. Demnach besteht kein Vertrauen des Mandanten, dass der Rechtsanwalt<br />

seine Befugnis, nach einer gesetzlichen Gebührenordnung abrechnen zu dürfen, nicht missbraucht hat.<br />

Der Schutzzweck des § 352 StGB ist nicht berührt, soweit der Rechtsanwalt auf der Gr<strong>und</strong>lage einer vertraglichen<br />

Honorarvereinbarung abrechnet. Dies trifft gleichermaßen zu, wenn die Honorarvereinbarung un-wirksam ist. Auch<br />

dann nimmt der Rechtsanwalt nicht die Autorität der gesetzlichen Gebührenordnung in Anspruch. Beruht die Unwirksamkeit<br />

der Honorarvereinbarung auf allgemeinen zivilrechtlichen Gr<strong>und</strong>sätzen (hier nach Auffassung des<br />

Landgerichts auf § 138 Abs. 1 BGB), die in gleicher Weise auch für andere Rechtsgeschäfte gelten, ist aus rechtssystematischen<br />

Überlegungen kein Gr<strong>und</strong> ersichtlich, solche Vergütungsvereinbarungen straf-rechtlich anders zu be-<br />

343


handeln als sonstige unwirksame Vergütungsvereinbarungen. Für die Anwendung des speziellen Tatbestands des §<br />

352 StGB, der auf die übervorteilende Abrechnung auf der Gr<strong>und</strong>lage einer gesetzlichen Gebührenordnung zugeschnitten<br />

ist, besteht deshalb in Fällen der unwirksamen Honorarvereinbarung keine sachliche Berechtigung.<br />

cc) Dieser Auslegung steht nicht die Rechtsprechung anderer Senate des B<strong>und</strong>esgerichtshofs entgegen. Zwar haben<br />

der 2. Strafsenat (Urteil vom 2. Februar 1954 – 2 StR 10/53) <strong>und</strong> der 4. Strafsenat (wistra 1982, 66, 67) unter Bezugnahme<br />

auf reichsgerichtliche Rechtsprechung (RG DR 1943, 758) ausgeführt, dass es für die Anwendung des § 352<br />

StGB gleich-gültig sei, ob der Betrag als gesetzliche Gebühr oder aufgr<strong>und</strong> einer angeblichen Vereinbarung gefordert<br />

werde. Diese ohne nähere Begründung geäußerte Rechtsauffassung betrifft jedoch jeweils andere Fallkonstellationen,<br />

die im Übrigen auch nach der hier vertretenen Rechtsauffassung zu einer Strafbarkeit wegen Gebührenüberhebung<br />

führen würden.<br />

In der vom 2. Strafsenat entschiedenen Fallkonstellation hat der Rechtsanwalt entgegen dem damaligen § 93 RAGebO<br />

(vgl. § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO i.V.m. § 3 Abs. 3 Satz 1 BRAGO; § 4 Abs. 5 Satz 1 RVG) als im Wege der Prozesskostenhilfe<br />

beigeordneter Rechtsanwalt gegenüber dem eigenen Mandanten abgerechnet, wobei der Senat offen<br />

gelassen hat, ob die Abrechnung auf Gr<strong>und</strong> einer vom Angeklagten behaupteten Honorarvereinbarung erfolgt ist.<br />

Der aufgr<strong>und</strong> einer gerichtlichen Anordnung beigeordnete Rechtsanwalt hat einen gesetzlichen Gebührenanspruch<br />

gegen die Staatskasse. Gegenüber der von ihm vertretenen Partei darf er keine weiteren Honorarforderungen stellen.<br />

Deshalb war das Fordern eines von der Vergütungsordnung ausgeschlossenen Gebührenanspruchs bereits eine Gebührenüberhebung<br />

im Sinne des § 352 StGB, <strong>und</strong> zwar unabhängig davon, ob letztlich eine Honorarvereinbarung<br />

geschlossen wurde.<br />

Der Entscheidung des 4. Strafsenats (wistra 1982, 66, 67) lag die Fallgestaltung zugr<strong>und</strong>e, dass ein Rechtsanwalt<br />

Gebühren berechnet hatte, obwohl er vorher auf Gebühren verzichtet hatte. Da der dort wegen Gebührenüberhebung<br />

verurteilte Rechtsanwalt sich auf eine Gebührenordnung bezogen hatte, unterscheidet sich dieser Fall schon deshalb<br />

von der hier zu beurteilenden Sachverhaltskonstellation.<br />

2. Die Verurteilungen wegen Betruges <strong>und</strong> versuchten Betruges halten gleichfalls rechtlicher Überprüfung nicht<br />

stand.<br />

a) Das Landgericht hat in den Fällen, in denen der Angeklagte nach Bezifferung des Überleitungsanspruchs (I. (4))<br />

bzw. nach Weiterleitung der geltend gemachten Schadensersatzansprüche an den Kommunalen Schadenausgleich (I.<br />

(7)) jeweils zusätzliche Honorarvereinbarungen abgeschlossen hatte, Betrugshandlungen angenommen. Im Falle der<br />

Abgabe der Ansprüche an den Kommunalen Schadenausgleich ist das Landgericht nur von einem Versuch ausgegangen,<br />

weil keine Zahlung auf die Honorarvereinbarung mehr folgte. Die Täuschungshandlung hat das Landgericht<br />

darin gesehen, dass der Angeklagte Angela H. vorgespiegelt habe, dass es sich jeweils um neue Mandate handele.<br />

Deshalb habe der Angeklagte auch jedes Mal einen neuen Vorgang angelegt.<br />

b) Das Landgericht geht zutreffend davon aus, dass jeweils keine Neumandatierungen vorlagen. In beiden Fällen<br />

handelte es sich jeweils um dieselbe Angelegenheit im Sinne des § 13 Abs. 1 BRAGO (vgl. jetzt §§ 16 ff. RVG). Die<br />

Weiterleitung der Akten des Anspruchsgegners an den Kommunalen Schadenausgleich berührt im Innenverhältnis<br />

nur die Prüfung durch die Stelle, die – ähnlich einem Versicherer – letztlich den Schaden zu begleichen hätte. Entgegen<br />

dem Einwand der Verteidigung ist damit im Außenverhältnis kein neuer Anspruchsgegner aufgetreten. Vielmehr<br />

hat der Kommunale Schadenausgleich lediglich nach außen die Interessen der in Anspruch genommenen öffentlichrechtlichen<br />

Körperschaft wahrgenommen. Bei der Bezifferung des Überleitungsanspruchs nach § 90 BSHG ist<br />

gleichfalls dieselbe Angelegenheit gegeben, weil von vornherein offensichtlich war, dass hinsichtlich der erwarteten<br />

Zahlung nur erbrachte Sozialhilfeleistungen bis zu einem gewissen Umfang anzurechnen waren. Dies war ersichtlich<br />

der Gegenstand des Mandatsverhältnisses. Hieran ändert sich – entgegen der Auffassung der Verteidigung –<br />

auch nichts dadurch, dass mehrmals die Überleitung angezeigt wurde.<br />

c) Eine Verurteilung wegen Betruges käme indes nur dann in Betracht, wenn das Verhalten des Angeklagten insoweit<br />

nicht als Gebührenüberhebung im Sinne des § 352 zu qualifizieren wäre. Anders als das Landgericht ersichtlich<br />

meint, wird § 352 StGB durch den Betrugstatbestand nicht verdrängt. Vielmehr ist der Tatbestand des § 352 StGB<br />

ein – freilich rechts-politisch aus heutiger Sicht bedenklicher <strong>und</strong> überholter (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. §<br />

352 Rdn. 2; Kuhlen in NK-StGB 2. Aufl. § 352 Rdn. 4 f.) – spezialgesetzlicher Privilegierungstatbestand, der dem<br />

Betrug vorgeht. Aufgr<strong>und</strong> seines Privilegierungscharakters kann neben § 352 StGB tateinheitlich ein Betrug nur<br />

dann in Betracht kommen, wenn zu der Täuschungshandlung, die notwendig zu der Gebührenüberhebung gehört,<br />

eine weitere Täuschung hinzukommt (BGHSt 2, 35).<br />

d) Hier liegt in beiden Fällen eine Gebührenüberhebung vor. Auch wenn sich dabei jeweils der geltend gemachte<br />

bzw. beigetriebene Gebührenanspruch aus einer Honorarvereinbarung ergeben hat, ist bei der vom Landgericht<br />

rechtsfehlerfrei festgestellten Sachverhaltskonstellation eine Gebührenüberhebung (§ 352 StGB) gegeben. Entschei-<br />

344


dend ist nämlich darauf abzustellen, dass der Angeklagte eine (neuerliche) Vergütung gefordert hatte, obwohl es sich<br />

nach den danach maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen um dieselbe Angelegenheit im Sinne des § 13 Abs. 1<br />

BRAGO gehandelt hat <strong>und</strong> gerade kein neuer Gebührentatbestand entstanden ist. Hierin liegt auch die im Sinne des<br />

§ 352 StGB bedeutsame Täuschungshandlung. Der Angeklagte forderte ein weiteres Honorar, ohne hierzu nach den<br />

gesetzlichen Bestimmungen berechtigt zu sein. Dass diese Honorarforderung dann in eine Honorarvereinbarung<br />

eingeflossen ist, ändert an seiner Strafbarkeit nach § 352 StGB nichts. Das unterscheidet diese Fallgestaltung von<br />

den unter 1. genannten Fällen. Dort war eine Honorarforderung entstanden, die der Angeklagte absichtlich nicht nach<br />

den gesetzlichen Vergütungsregelungen abrechnen wollte. Vielmehr hatte er einvernehmlich mit dem Mandanten<br />

eine übersteigende Gebühr festgelegt <strong>und</strong> aus dieser vereinbarten höheren Vergütung auch liquidiert. Soweit es in<br />

dem unter I. (7) genannten Fall nicht zu einer Auszahlung gekommen ist, liegt eine versuchte Gebührenüberhebung<br />

vor (§ 352 Abs. 2 StGB).<br />

Die von der Verteidigung vorgebrachten <strong>und</strong> – wie oben ausgeführt – erfolglosen Einwendungen zu den Betrugsverurteilungen,<br />

die sich allein auf die vom Landgericht verneinte Entstehung eines weiteren Gebührenanspruchs beziehen,<br />

vermögen in beiden Fällen eine Strafbarkeit wegen Gebührenüberhebung bzw. versuchter Gebührenüberhebung<br />

nicht in Frage zu stellen.<br />

3. Das Landgericht hat in den Verurteilungsfällen nicht erörtert, ob sich der Angeklagte zugleich wegen Untreue<br />

strafbar gemacht hat. Dies hätte jedoch nahe gelegen, weil der treupflichtige Rechtsanwalt entweder durch die Verrechnung<br />

mit ihm nicht zustehenden Ansprüchen oder aufgr<strong>und</strong> der vorher getroffenen Abrede einer Zahlung aus der<br />

Unfallversicherungsleistung, die Alexander H. zustand, das von ihm zu betreuende Vermögen geschädigt hatte. Da<br />

der Tatbestand der Gebührenüberhebung erst durch die Bezahlung der unberechtigten Vergütung vollendet wird<br />

(Träger in LK 11. Aufl. § 352 Rdn. 17 f.) <strong>und</strong> dies – auch in Gestalt der Verrechnung – bei der Untreue ebenfalls die<br />

Tathandlung ist, läge insoweit Tateinheit (§ 52 StGB) vor (BGH NJW 1957, 596, 597). Die richterliche Kognitionspflicht<br />

hätte sich hierauf erstrecken müssen.<br />

Mögliche im Zusammenhang mit den Honorarvereinbarungen stehende Untreuehandlungen wären im Übrigen auch<br />

unter dem im Abschnitt C der Urteilsgründe geschilderten Anklagevorwurf zu prüfen gewesen. Insoweit lag dem<br />

Angeklagten zur Last, das Vermögen des Alexander H. geschädigt zu haben, indem er einen möglichst großen Teil<br />

der Unfallversicherungsleistung für sich vereinnahmt habe. Da aus diesem Vermögen zugleich die Honorarvereinbarungen<br />

beglichen wurden, wären hierin liegende Untreuehandlungen zugleich Tathandlungen nach dem Abschnitt C<br />

gewesen <strong>und</strong> hätten auch dort Gegenstand richterlicher Prüfung sein müssen.<br />

a) Soweit im Fall I. (4) – wie unten ausgeführt – eine Gebührenüberhebung darin zu sehen ist, dass der Angeklagte<br />

nach der Bezifferung des Überleitungsanspruchs eine Honorarvereinbarung abschloss, kommt eine Strafbarkeit wegen<br />

Untreue in Betracht, weil der Angeklagte hierfür aus der Zahlung der Unfallversicherungsleistung an seinen<br />

Mandanten bezahlt wurde, ohne dass ihm ein Anspruch zustand. Bezüglich des Falles I. (7) ist die Forderung aus der<br />

weiteren Honorarvereinbarung nach der Abgabe an den Kommunalen Schadenausgleich nicht beglichen worden. Da<br />

die versuchte Untreue nicht strafbewehrt ist, läge eine Strafbarkeit nach § 266 StGB nur vor, wenn allein die Honorarvereinbarung<br />

bereits eine schadensgleiche Vermögensgefährdung im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB darstellen<br />

würde.<br />

b) Eine Untreue liegt weiter in den Fällen nahe, in denen Angela H. in ihren eigenen Angelegenheiten mit dem Angeklagten<br />

eine Honorarvereinbarung getroffen hat (Fälle I. (1), (5) <strong>und</strong> (6)) unter der Abrede, dass diese Zahlungen<br />

aus der Versicherungsleistung erbracht werden. Insoweit wurde das Vermögen des Alexander H. geschädigt. Dass<br />

eine entsprechende Vereinbarung zu Lasten Alexander H. s als Vertrag zu Lasten Dritter unwirksam ist, bedarf –<br />

unabhängig von der Höhe der ausbedungenen Vergütung – keiner näheren Darlegung.<br />

c) In den übrigen Fällen kommt eine Strafbarkeit wegen Untreue oder auch wegen Betruges nicht in Betracht. Entgegen<br />

der Auffassung des Landgerichts sind die Honorarvereinbarungen, die Alexander H. , vertreten durch seine Mutter<br />

Angela H. , mit dem Angeklagten geschlossen hat, nicht sittenwidrig. Abgesehen davon, dass Alexander H. im<br />

Blick auf die als sicher zugesagte erhebliche Versicherungssumme, schon nicht generell einem mittellosen Sozialhilfeempfänger<br />

gleichgestellt werden kann, sind Honorarvereinbarungen mit Sozialhilfeempfängern nicht gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

sittenwidrig im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB. Die Sittenwidrigkeit ist aufgr<strong>und</strong> einer umfassenden Gesamtbetrachtung<br />

zu bestimmen (BGHZ 107, 92, 97; 86, 82, 88). Die wirtschaftliche Leistungskraft des Mandanten kann dabei<br />

nur ein Gesichtspunkt unter mehreren sein. Da es auch wirtschaftlich Schwachen gr<strong>und</strong>sätzlich freisteht, sich eine<br />

kostengünstigere Rechtsbesorgung zu organisieren, braucht der Rechtsanwalt nicht ausschließlich auf die wirtschaftliche<br />

Leistungsfähigkeit des Mandanten Bedacht zu nehmen. Dies gilt erst recht dann, wenn Dritte bereit sind, für<br />

ihn eventuelle Zahlungen zu erbringen. Im vorliegenden Fall sind keine Anhaltspunkte erkennbar, die eine Sittenwidrigkeit<br />

der Vereinbarung begründen könnten. Die Überschreitungen der gesetzlichen Gebühren sind durchweg<br />

345


nicht so außergewöhnlich, dass unter diesem Gesichtspunkt ein Verstoß gegen § 138 Abs. 1 BGB in Betracht kommen<br />

könnte.<br />

Nach der Rechtsprechung des IX. Zivilsenats des B<strong>und</strong>esgerichtshofs kann ein Honorar, das den gesetzlichen Vergütungsanspruch<br />

um mehr als das fünffache übersteigt, sittenwidrig gemäß § 138 Abs. 1 BGB sein, wenn das Verfahren<br />

nicht durch besonderen Aufwand gekennzeichnet ist (BGHZ 144, 343, 346; BGH AnwBl. 2004, 61). Der Senat<br />

braucht hier nicht zu entscheiden, ob der Rechtsprechung des IX. Zivilsenats in jedem Fall zu folgen wäre. Die<br />

Grenze des fünffachen Satzes hätte nach den im Übrigen nachvollziehbaren Gebührenberechnungen des Landgerichts<br />

nur im Fall der Strafanzeige gegen St. Bedeutung. Insoweit ging das Landgericht von einer 7,9-fachen Überhöhung<br />

der gesetzlichen Gebühren aus. Hinsichtlich dieses Falles trifft jedoch die Gebührenberechnung des Landgerichts<br />

nicht zu. Das Strafverfahren gegen St. hatte ganz erhebliche Bedeutung, weil es dort um die Schuldfrage bei<br />

dem Unfall ging, durch den die erheblichen Verletzungen von Alexander H. verursacht wurden. Neben seiner immateriellen<br />

Relevanz hatte es auch deshalb erhebliches Gewicht, weil es präjudiziell für das nachfolgende Entschädigungsverfahren<br />

sein konnte. Da insoweit nach der Bedeutung der Angelegenheit eher ein Ansatz am oberen Rand<br />

des Gebührenrahmens angemessen wäre, ist auch hinsichtlich dieses Verfahrens der fünffache Satz nicht erreicht.<br />

4. Die Behandlung der Konkurrenzverhältnisse durch das Landgericht ist rechtsfehlerhaft. Mit Ausnahme der Tat I.<br />

(3), der Erstattung der Strafanzeige gegen St. , hat das Landgericht eine einheitliche Tat angenommen. Maßgeblich<br />

war hierfür die Erwägung, dass der Angeklagte nach Kenntniserlangung von der bevorstehenden Zahlung der Versicherungsleistung<br />

an Alexander H. den einheitlichen Vorsatz gefasst habe, durch Gebührenüberhebungen oder Betrugshandlungen<br />

das Vermögen des Alexander H. s zu schädigen, um sich zu bereichern. Ein derartiger „Gesamtvorsatz“<br />

wird jedoch von der Rechtsprechung seit der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen (BGHSt 40, 138)<br />

nicht mehr anerkannt. Die einzelnen Honorarvereinbarungen, die jeweils auf den einzelnen Fall bezogen waren,<br />

stellen vielmehr selbständige Handlungen dar, die aufgr<strong>und</strong> eines jeweils neuen Tatentschlusses erfolgt sind. Dies<br />

gilt selbst dann, wenn der Angeklagte die Taten nach Bekanntwerden der bevorstehenden Auszahlung der Versicherungsleistung<br />

schon geplant haben sollte.<br />

Denkbar ist eine tateinheitliche Begehung allenfalls dann, wenn zu der Gebührenüberhebung eine Untreue hinzutritt,<br />

darüber hinaus wenn mehrere Untreuehandlungen in einer Handlung zusammenfallen. Dies kann dann der Fall sein,<br />

wenn der Angeklagte durch einen einheitlichen Verrechnungsvorgang das Vermögen des Alexander H. geschädigt<br />

oder Angela H. durch einen einheitlichen Auszahlungsvorgang zu Lasten des Vermögens ihres Sohnes im Einvernehmen<br />

mit dem Angeklagten verfügt haben sollte. Nur unter dieser Voraussetzung könnte die Nachteilszufügung im<br />

Sinne des § 266 Abs. 1 StGB in einer einheitlichen Handlung zusammenfallen. Hierzu fehlen jedoch Feststellungen<br />

des Landgerichts. Daraus ergeben sich für die Fassung des Schuldspruchs folgende Konsequenzen:<br />

a) Freizusprechen ist der Angeklagte hinsichtlich der Fälle I. (2) – Rente nach dem Opferentschädigungsgesetz – <strong>und</strong><br />

I. (3) – Strafanzeige gegen St. . In beiden Fällen liegt weder ein Gebührenüberhebung nach § 352 StGB vor, noch<br />

kommt ein Betrug oder eine Untreue in Betracht.<br />

b) In den übrigen Fällen ist der Schuldspruch aufzuheben. Soweit auf der Gr<strong>und</strong>lage der getroffenen Feststellungen<br />

in den Fällen I. (4) <strong>und</strong> (7) – siehe unter II. 2 – ein Schuldspruch wegen Gebührenüberhebung bzw. versuchter Gebührenüberhebung<br />

erfolgen könnte, ist der Senat hieran gehindert, weil möglicherweise eine tateinheitliche Verurteilung<br />

wegen Untreue in Betracht kommt (vgl. Kuckein in KK, 5. Aufl. § 353 Rdn. 12 m.w.N.). Hinsichtlich des Vorwurfs<br />

der Untreue verbietet sich ein Durchentscheiden im Schuldspruch, weil sich der Angeklagte noch nicht im<br />

Hinblick auf diesen Vorwurf verteidigen konnte. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass hierzu für den Angeklagten<br />

günstige Feststellungen getroffen werden können.<br />

c) Da es sich um Fehler in der rechtlichen Würdigung handelt, die auf Revision des Angeklagten eine Aufhebung der<br />

Sache notwendig machen, können die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den einzelnen Mandatsverhältnissen<br />

einschließlich der Vorgeschichte der Tat aufrechterhalten bleiben. Insoweit greift die Revision des Angeklagten<br />

nicht durch. Der neue Tatrichter ist nicht gehindert, ergänzende Feststellungen zu treffen, soweit diese den nunmehr<br />

rechtskräftigen Feststellungen nicht widersprechen.<br />

B. Revision der Staatsanwaltschaft<br />

Die Staatsanwaltschaft greift, nach Rücknahme ihrer Revisionen gegen die Verurteilungsfälle <strong>und</strong> den Teilfreispruch<br />

hinsichtlich Abschnitt D der Urteilsgründe, nur noch den Freispruch vom Vorwurf der Untreue zu Lasten von Alexander<br />

H. an (Abschnitt C der Urteilsgründe). In diesem Umfang wird das Rechtsmittel auch von der B<strong>und</strong>esanwaltschaft<br />

vertreten. Insoweit liegt dem Angeklagten zur Last, aus der Versicherungsleistung an seinen Mandanten Alexander<br />

H. durch Verschleiern der Geldgeschäfte einen größtmöglichen Teil für sich behalten zu haben. Wegen der<br />

bereits näher dargelegten Verwobenheit dieses Tatvorwurfs mit dem Komplex der Honorarvereinbarungen könnten<br />

auch diese unter dem Gesichtspunkt der Untreue von diesem Tatvorwurf erfasst sein.<br />

346


I. Nach den Feststellungen des Landgerichts erfolgte – in engem Zusammenhang mit den umfangreichen Mahndatierungen<br />

(hierzu oben A) – im Zeitraum zwischen August 2001 <strong>und</strong> März 2002 eine Vielzahl von Geldbewegungen<br />

zwischen dem Angeklagten <strong>und</strong> Angela H. . Hierzu zählten u. a. neben Vorauszahlungen des Angeklagten in Höhe<br />

von knapp 50.000 DM an Angela H. , diverse Barauszahlungen an sie in Höhe von über 250.000 DM nach Eingang<br />

der Versicherungssumme sowie umgekehrt die Gewährung eines zinslosen Darlehens durch Angela H. in Höhe von<br />

200.000 DM an den Angeklagten <strong>und</strong> damit zusammenhängende Geldrückflüsse. Insgesamt hat das Landgericht<br />

Geldflüsse in Höhe von etwa 580.000 DM an den Angeklagten <strong>und</strong> nur in Höhe von etwa 574.000 DM an Angela H.<br />

oder auf Konten ihres Sohnes Alexander festgestellt. Das Landgericht hat sich davon überzeugt, dass – entgegen dem<br />

Anklagevorwurf – die quittierten Barauszahlungen tatsächlich an Angela H. geflossen sind. Hinsichtlich des überschießenden<br />

Differenzbetrages in Höhe von etwa 6.000 DM ließ sich nach Auffassung des Landgerichts insoweit<br />

nicht ausschließen, dass der Angeklagte nur „schlampig“ gearbeitet habe.<br />

II. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet.<br />

1. Ein Rechtsfehler ist allerdings nicht schon darin zu erblicken, dass die Strafkammer hinsichtlich des Differenzbetrages<br />

von 6.000 DM nicht von einer bewussten Unterschlagungshandlung des Angeklagten ausgegangen ist, sondern<br />

insoweit ein fahrlässiges Verhalten nicht ausschließen konnte. Diese Wertung ist angesichts der Vielzahl der<br />

Geldbewegungen jedenfalls vertretbar.<br />

2. Durchgreifenden Bedenken begegnet es allerdings, dass das Landgericht nicht das Gesamtsystem der zwischen<br />

dem Angeklagten <strong>und</strong> Angela H. erfolgten Transferleistungen unter dem Gesichtspunkt der Untreue gewürdigt hat.<br />

Dies hätte sich aber nach der gegebenen Sachlage aufdrängen müssen.<br />

a) Zu den Pflichten des Anwalts aus dem Mandatsverhältnis zählt, dass er die für seinen Mandanten vereinnahmten<br />

Gelder ordnungsgemäß an diesen weiterleitet. Er darf an den gesetzlichen Vertreter nur auszahlen, wenn die gesetzlichen<br />

Regeln für den Umgang mit dem Vermögen des Geschäftsunfähigen eingehalten sind. Eine Auszahlung an die<br />

Eltern eines Kindes darf nur dann erfolgen, wenn diese das Geld ihrer Kinder nach den Gr<strong>und</strong>sätzen einer wirtschaftlichen<br />

Vermögensverwaltung anlegen (§ 1642 BGB) <strong>und</strong> Schenkungen aus dem Vermögen des Kindes gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

ausgeschlossen sind (§ 1641 BGB). Zu einer ordnungsgemäßen Anlageform gehört dabei auch, dass eine eindeutige<br />

Zuordnung des Vermögenswertes zu dem Vermögen des Kindes ohne weiteres möglich ist (vgl. BGHR StGB § 266<br />

Abs. 1 Vermögensbetreuungspflicht 24). Bei einem geschäftsunfähigen Mandanten muss der Rechtsanwalt Sorge<br />

tragen, dass das Geld gesichert die Vermögenssphäre des Geschäftsunfähigen erreicht. Diese aus dem anwaltlichen<br />

Geschäftsbesorgungsvertrag folgende Leistungssicherungspflicht ist zugleich eine Treuepflicht im Sinne des § 266<br />

Abs. 1 StGB.<br />

b) Zwar wird der Rechtsanwalt, der einen Geschäftsunfähigen vertritt, im Regelfall seine anwaltliche Pflicht dadurch<br />

erfüllen, dass er die Gelder an dessen Vertreter weiterleitet. Insoweit darf er – ohne eigene Nachforschungen anstellen<br />

zu müssen – darauf vertrauen, dass die gesetzlichen Vertreter mit den ihnen ausgezahlten Geldern ordnungsgemäß<br />

umgehen werden. Anderes gilt aber dann, wenn er voraussieht, dass der gesetzliche Vertreter mit den zugewandten<br />

Geldern in einer die Vermögensinteressen des Geschäftsunfähigen verletzenden Art <strong>und</strong> Weise verfährt<br />

oder wenn er es sogar hierauf anlegt.<br />

Dies hätte das Landgericht bei der gegebenen Sachlage prüfen müssen. Es liegt nahe, dass der Angeklagte gegen<br />

diese Pflicht verstoßen hat. Aus dem gesamten Geschehen im Vorfeld der Auszahlung musste es sich für ihn aufdrängen,<br />

dass Angela H. die vereinnahmten Gelder aus der Versicherungsleistung jedenfalls zum Teil für sich verwenden<br />

wollte. Dies hätte er schon deshalb erkennen können, weil Angela H. die von ihr persönlich geschuldeten<br />

Honorare auch aus der Versicherungsleistung erbringen wollte. Ebenfalls war die nach Auszahlung der Versicherungsleistung<br />

ungewöhnliche Form der Zahlungsabwicklung ein gewichtiges Indiz dafür, dass die Gelder nicht,<br />

jedenfalls nicht vollständig für Alexander H. verwandt werden sollten.<br />

c) Nach den Feststellungen des Landgerichts kommt in Betracht, dass durch die Pflichtverletzung ein Nachteil gemäß<br />

§ 266 Abs. 1 StGB entstanden ist. Dies hätte der Erörterung bedurft. Ein Nachteil im Sinne des Untreuetatbestands<br />

entfällt nämlich nicht allein deshalb, weil letztlich von einer Auszahlung der Gelder an Angela H. auszugehen<br />

war. Vielmehr hätte in den Blick genommen werden müssen, inwiefern das Vermögen von Alexander H. geschädigt<br />

sein konnte. Da es für die Annahme eines Nachteils im Sinne dieser Bestimmung regelmäßig ausreicht, dass eine<br />

schadensgleiche Gefährdung des Vermögens vorliegt (BGHSt 44, 376, 384 ff. m.w.N.), hätte das Maß der Vermögensgefährdung<br />

bestimmt werden müssen.<br />

Der neue Tatrichter wird deshalb zu prüfen haben, ob die Behandlung der Versicherungsleistung durch den Angeklagten<br />

<strong>und</strong> Angela H. für Alexander H. eine Vermögensschädigung darstellen konnte. Dabei ist der Grad der Gefährdung<br />

zu bewerten, der sich auch darin ausdrückt, wie schwierig sich für einen Dritten (z. B. Sozialhilfeverwaltung<br />

oder einen Erben) die Feststellung des Alexander H. zugeordneten Vermögens gestaltet (vgl. BGHSt 47, 8, 10<br />

347


f.). Neben der Transparenz der Zahlungsflüsse wird weiterhin zu beurteilen sein, inwieweit die Rückzahlung des dem<br />

Angeklagten gewährten Darlehens gesichert war.<br />

Im Verurteilungsfall hinsichtlich des Tatkomplexes C der Urteilsgründe ist angesichts der dargelegten Verwobenheit<br />

mit den Vorwürfen aus dem Tatkomplex A der Urteilsgründe auch die Annahme von Idealkonkurrenz nicht ausgeschlossen.<br />

Dies wird dann in Betracht kommen, wenn der Angeklagte das Vermögen des Alexander H. ganz oder in<br />

Teilen in schadensgleicher Weise gefährdet haben sollte <strong>und</strong> aus diesem Vermögensbestand auch die Honorare beglichen<br />

worden sein sollten.<br />

Der Senat weist darauf hin, dass die – nicht gesondert angefochtene – Kostenentscheidung in dem angefochtenen<br />

Urteil (Kostenquote bei Teilfreispruch) zwar falsch ist, sie jedoch im Umfang der Aufhebung ohnehin obsolet geworden<br />

ist. Es verbleiben lediglich rechtskräftige Freisprüche des Angeklagten, hinsichtlich derer die Staatskasse die<br />

Kosten des Verfahrens <strong>und</strong> die hierauf entfallenden notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt. Im Übrigen bedarf<br />

es einer umfassenden Neuentscheidung über die Verfahrenskosten durch das neue Tatgericht.<br />

Nebenstrafrecht<br />

AO § 370 – Ausländische Normen zur Ausfüllung deutschen Blankettstrafrechts<br />

BGH, Beschl. vom 19.04.2007 - 5 StR 549/06<br />

Steuerstrafrecht ist Blankettstrafrecht. Der Unterschied zu anderen Straftatbeständen liegt darin,<br />

dass erst das Blankettstrafgesetz <strong>und</strong> die blankettausfüllenden Normen zusammen die maßgebliche<br />

Strafvorschrift bilden. Deshalb muss sich der im Steuerstrafverfahren tätige Richter selbst mit den<br />

blankettausfüllenden Normen des materiellen Steuerrechts befassen <strong>und</strong> diese auf den Einzelfall<br />

anwenden. Werden Blankettstraftatbestände – wie in den Fällen des § 370 Abs. 6 AO <strong>und</strong> des § 374<br />

Abs. 2 AO – nicht nur durch deutsche Steuergesetze <strong>und</strong> die Vorschriften des Zollkodexes, sondern<br />

auch durch Verbrauchsteuergesetze anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften<br />

ausgefüllt, gilt nichts anderes.<br />

Der 5. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 19. April 2007 beschlossen:<br />

1. Der Angeklagten G. D. wird auf ihre Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der<br />

Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Verden vom 28. Juni 2006 gewährt.<br />

2. Auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts wird das Verfahren hinsichtlich der Fälle II. 6 Buchstabe a bis g der Gründe<br />

des vorgenannten Urteils gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens<br />

<strong>und</strong> die notwendigen Auslagen der Angeklagten.<br />

3. Auf die Revisionen der Angeklagten A. D. <strong>und</strong> G. D. wird das vorbezeichnete Urteil gemäß § 349 Abs. 4 StPO<br />

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass<br />

aa) der Angeklagte A. D. des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier<br />

Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge,<br />

<strong>und</strong> der Steuerhehlerei,<br />

bb) die Angeklagte G. D. der Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge<br />

in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in<br />

nicht geringer Menge, <strong>und</strong> der Beihilfe zur Steuerhehlerei schuldig sind, sowie<br />

b) auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts gemäß § 354 Abs. 1a Satz 2 StPO in den Gesamtstrafaussprüchen dahin<br />

abgeändert, dass<br />

aa) die gegen den Angeklagten A. D. verhängte Gesamtfreiheitsstrafe auf fünf Jahre <strong>und</strong> zehn Monate,<br />

bb) die gegen die Angeklagte G. D. verhängte Gesamtfreiheitsstrafe auf drei Jahre herabgesetzt werden.<br />

4. Die weitergehenden Revisionen werden gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. 5. Die Angeklagten<br />

tragen die weiteren Kosten ihrer Revisionen, jedoch wird die Gebühr jeweils um ein Fünftel ermäßigt. Jeweils ein<br />

Fünftel der im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen <strong>und</strong> notwendigen Auslagen der Angeklagten<br />

trägt die Staatskasse.<br />

348


G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten A. D. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer<br />

Menge in vier Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in<br />

nicht geringer Menge, sowie wegen Steuerhehlerei in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren<br />

<strong>und</strong> vier Monaten verurteilt. Gegen die Angeklagte G. D. hat es wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit<br />

Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beihilfe zur unerlaubten<br />

Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, sowie wegen Beihilfe zur Steuerhehlerei in zwei<br />

Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren <strong>und</strong> vier Monaten verhängt. Die Revisionen der Angeklagten führen<br />

– nach Teileinstellung des Verfahrens – zu der aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Herabsetzung der Gesamtstrafaussprüche.<br />

Im Übrigen sind sie aus den Gründen der Antragsschrift des Generalb<strong>und</strong>esanwalts vom 8. Februar<br />

2007 unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Soweit das Landgericht im Tatkomplex II. 6 der Urteilsgründe den Angeklagten A. D. wegen Steuerhehlerei in<br />

sieben Fällen <strong>und</strong> die Angeklagte G. D. wegen Beihilfe zur Steuerhehlerei verurteilt hat, stellt der Senat das Verfahren<br />

auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts gemäß § 154 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 StPO ein, denn die Urteilsfeststellungen<br />

enthalten keine ausreichende Gr<strong>und</strong>lage für eine revisionsgerichtliche Nachprüfung der bei der Einfuhr der<br />

verfahrensgegenständlichen Zigaretten in die Europäische Gemeinschaft entstandenen Einfuhrabgaben. Eine Aufhebung<br />

des Urteils in diesen Fällen <strong>und</strong> Zurückverweisung der Sache an das Landgericht, um dem Tatrichter neue,<br />

tragfähige Feststellungen zu ermöglichen, ist angesichts der seit den Taten im Jahr 2002 verstrichenen Zeit nicht<br />

angezeigt. Die insoweit verhängten Einzelstrafen fallen neben der Höhe der verbleibenden <strong>und</strong> von dem Rechtsfehler<br />

nicht betroffenen Einzelstrafen nicht beträchtlich ins Gewicht.<br />

a) Nach den Urteilsfeststellungen hatte sich der Angeklagte A. D. gegenüber polnischen Auftraggebern bereit erklärt,<br />

in Spanien in das Zollgebiet der Europäischen Gemeinschaft verbrachte unverzollte <strong>und</strong> unversteuerte Zigaretten, die<br />

zur Tarnung in mit Papier umwickelten Wachszylindern eingegossen waren, mit Fahrzeugen der von ihm betriebenen<br />

A & G T. <strong>und</strong> L. GmbH von Barcelona nach Großbritannien zu bringen. Für jede Fahrt sollte er einen Betrag<br />

von 12.000 Euro erhalten, der sich aus einem Euro pro geschmuggelter Stange Zigaretten errechnete. In Ausführung<br />

dieser Vereinbarung ließ der Angeklagte im Zeitraum von Mai bis August 2002 jeweils 2,4 Millionen, im Fall II. 6<br />

Buchstabe f der Urteilsgründe 2.478.000 unverzollte <strong>und</strong> unversteuerte Zigaretten der Marke „Super King“ von Spanien<br />

nach Großbritannien bringen. Im Fall II. 6 Buchstabe d der Urteilsgründe wurde der Angeklagte A. D. von der<br />

Angeklagten G. D. unterstützt, die vom Büro der Firma aus dem Fahrer des Lkw telefonisch Anweisungen zur<br />

Durchführung des Transports übermittelte.<br />

Als Hinterziehungsschaden hat das Landgericht jeweils eine aus Zoll, spanischer Tabaksteuer <strong>und</strong> spanischer Einfuhrumsatzsteuer<br />

zusammengesetzte Summe von 221.064,42 Euro errechnet, im Fall II. 6 Buchstabe f der Urteilsgründe<br />

von 228.765,26 Euro. Es hat dabei neben der Stückzahl <strong>und</strong> dem Zollsatz der Zigaretten jeweils auch deren<br />

Zollwert sowie den Kleinverkaufspreis der Zigaretten <strong>und</strong> die Höhe der spanischen Einfuhrumsatzsteuer angegeben.<br />

Den Zollwert hat die Strafkammer durch Multiplikation der Anzahl der Zigarettenschachteln zu je 20 Zigaretten mit<br />

einem Faktor von 0,3038798 berechnet; zu dessen Höhe hat das Landgericht auf eine nicht näher bezeichnete, im<br />

Urteil nicht enthaltene Tabelle Bezug genommen. Die Höhe der spanischen Tabaksteuer hat die Strafkammer ohne<br />

Nennung spanischer Steuernormen unter bloßem Hinweis darauf, dass es sich um einen „Staffelsteuersatz“ handele,<br />

mit einem Betrag von 161.164,00 Euro pro Fall angegeben, im Fall II. 6 Buchstabe f der Urteilsgründe von<br />

166.918,08 Euro. Dass die Angeklagten die Richtigkeit der Höhe der Verkürzungsbeträge eingeräumt hätten, ist<br />

nicht mitgeteilt.<br />

b) Aufgr<strong>und</strong> dieser Feststellungen ist es für den Senat nicht nachprüfbar, ob das Landgericht von zutreffenden Besteuerungsgr<strong>und</strong>lagen<br />

ausgegangen ist <strong>und</strong> den Schuldumfang aufgr<strong>und</strong> eigener Feststellungen zutreffend ermittelt<br />

hat (vgl. BGHR AO § 370 Abs. 1 Berechnungsdarstellung 9; Jäger NStZ 2005, 552, 560 <strong>und</strong> StraFo 2006, 477, 479<br />

ff. m.w.N.).<br />

aa) Es begegnet bereits erheblichen Bedenken, dass das Landgericht die der Berechnung der verkürzten Einfuhrabgaben<br />

zugr<strong>und</strong>eliegenden Normen des Zollkodexes <strong>und</strong> der spanischen Steuergesetze im Urteil nicht bezeichnet hat.<br />

Denn schon dies lässt hier besorgen, das Landgericht habe die Anwendung steuerrechtlicher Vorschriften auf den<br />

festgestellten Sachverhalt nicht selbst vorgenommen, sondern lediglich Berechnungen der Finanzier-Waltung ungeprüft<br />

übernommen. Solches wäre aber rechtsfehlerhaft (st. Rspr.; vgl. nur BGH wistra 1997, 302; BGHR AO § 370<br />

Abs. 1 Berechnungsdarstellung 10). Steuerstrafrecht ist Blankettstrafrecht. Der Unterschied zu anderen Straftatbeständen<br />

liegt darin, dass erst das Blankettstrafgesetz <strong>und</strong> die blankettausfüllenden Normen zusammen die maßgebliche<br />

Strafvorschrift bilden. Deshalb muss sich der im Steuerstrafverfahren tätige Richter selbst mit den blankettausfüllenden<br />

Normen des materiellen Steuerrechts befassen <strong>und</strong> diese auf den Einzelfall anwenden (vgl. Jäger StraFo<br />

349


2006, 477 m.w.N.). Werden Blankettstraftatbestände – wie in den Fällen des § 370 Abs. 6 AO <strong>und</strong> des § 374 Abs. 2<br />

AO – nicht nur durch deutsche Steuergesetze <strong>und</strong> die Vorschriften des Zollkodexes, sondern auch durch<br />

Verbrauchsteuergesetze anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften ausgefüllt (vgl. dazu BGH, Beschluss<br />

vom 1. Februar 2007 – 5 StR 372/06, zur Veröffentlichung in BGHR bestimmt; BGH wistra 2001, 62, 63),<br />

gilt nichts anderes. Hier hat die Strafkammer indes offen gelassen, welche spanischen Steuernormen sie angewandt<br />

hat. Hinsichtlich der von ihr der Verurteilung zugr<strong>und</strong>e gelegten Tabaksteuerbeträge hat sie lediglich auf einen nicht<br />

näher bezeichneten „Staffelsteuersatz“ nach spanischem Recht verwiesen.<br />

bb) Jedenfalls ist es für die Feststellung der Bemessungsgr<strong>und</strong>lagen nicht ausreichend, dass sich das Landgericht bei<br />

der Berechnung der Zollschuld mit der pauschalen Angabe begnügt hat, der für die Bestimmung des Zollwerts maßgebende<br />

„Faktor aus dem spanischen Steuerrecht“ betrage „laut Tabelle“ 0,3038798 pro Schachtel Zigaretten (UA S.<br />

17 f.). Denn der Zollwert von Zigaretten ist nach Maßgabe der Art. 29 ff. Zollkodex – regelmäßig auf der Gr<strong>und</strong>lage<br />

des von den Umständen des Einzelfalls abhängigen Transaktionswerts – vom Tatrichter selbst zu ermitteln. Selbst<br />

wenn dieser Wert einem Erlass spanischer Finanzbehörden entnommen worden sein sollte, darf er nicht ungeprüft in<br />

das Steuerstrafverfahren übernommen werden. Insoweit gilt bei der Zollwertbestimmung nichts anderes als für die<br />

entsprechenden Erlasse des B<strong>und</strong>esministers der Finanzen in der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland (vgl. BGHR AO § 370<br />

Abs. 1 Berechnungsdarstellung 10; BGH wistra 2004, 348, 349). Wenn die Besteuerungsgr<strong>und</strong>lagen nicht ermittelt<br />

werden können, sind sie unter Beachtung der vom Besteuerungsverfahren abweichenden strafrechtlichen Verfahrensgr<strong>und</strong>sätze<br />

(§ 261 StPO) vom Tatrichter selbst zu schätzen. Daher muss das Tatgericht in den Urteilsgründen<br />

zum Ausdruck bringen, ob <strong>und</strong> gegebenenfalls auf welcher Gr<strong>und</strong>lage es eine Schätzung der Besteuerungsgr<strong>und</strong>lagen<br />

vorgenommen hat. Die Übernahme einer Schätzung der Finanzbehörden kommt nur in Betracht, wenn der Tatrichter<br />

diese eigenverantwortlich nachgeprüft hat <strong>und</strong> von ihrer Richtigkeit auch bei Zugr<strong>und</strong>elegung der strafrechtlichen<br />

Verfahrensgr<strong>und</strong>sätze überzeugt ist (st. Rspr.; vgl. nur BGHR AO § 370 Abs. 1 Berechnungsdarstellung 10).<br />

2. Der Wegfall der Einzelstrafen im Tatkomplex II. 6 der Urteilsgründe erfordert hier die Aufhebung der Gesamtstrafaussprüche<br />

<strong>und</strong> eine angemessene Herabsetzung der vom Landgericht verhängten Gesamtfreiheitsstrafen. Der<br />

Senat kann die vom Landgericht festgesetzten Gesamtstrafen analog § 354 Abs. 1a Satz 2 StPO durch Beschluss<br />

selbst herabsetzen (vgl. BGHR StPO § 354 Abs. 1a Verfahren 3). Denn Sinn dieser Regelung ist auch die Beschleunigung<br />

des Verfahrens (vgl. BGHR StPO § 354 Abs. 1a Satz 2 Herabsetzung 1 <strong>und</strong> § 354 Abs. 1a Verfahren 3),<br />

zumal wenn – wie hier – die Taten bereits länger zurückliegen. Gemäß dem Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts vom<br />

23. März 2007 reduziert der Senat die vom Landgericht verhängten Gesamtfreiheitsstrafen auf fünf Jahre <strong>und</strong> zehn<br />

Monate (A. D. ) <strong>und</strong> auf drei Jahre (G. D. ). Der Umfang der Herabsetzung trägt sowohl den durch die Einstellung<br />

weggefallenen Tatvorwürfen als auch der Verfahrensdauer <strong>und</strong> dem Zeitablauf seit Tatbegehung angemessen Rechnung.<br />

Eine weitergehende Herabsetzung der Gesamtfreiheitsstrafen kommt im Hinblick auf die von der Teileinstellung<br />

nicht betroffenen Einzelstrafen, darunter die gewichtigen Einsatzstrafen von vier Jahren (A. D. ) bzw. zwei<br />

Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten (G. D. ) bei jeweils einer weiteren Einzelfreiheitsstrafe in gleicher Höhe, nicht in Betracht.<br />

AO § 370 Abs. 1 Nr. 1; StGB §§ 52, 263, 263a, 266<br />

BGH – Beschluss vom 22.05.2007 –5 StR 94/07- für BGHSt bestimmt<br />

LS: 1. Bewirkt ein Sachbearbeiter des Finanzamtes durch die eigenhändig vorgenommene Eingabe<br />

erf<strong>und</strong>ener Daten in die EDV-Anlage des Finanzamtes für fingierte Steuerpflichtige die Erstattung<br />

in Wirklichkeit nicht vorhandener Steueranrechnungsbeträge (§ 36 Abs. 2 EStG), macht er sich<br />

wegen Untreue (§ 266 StGB) in Tateinheit mit Steuerhinterziehung (§ 370 AO), nicht aber wegen<br />

Computerbetruges (§ 263a StGB) strafbar.<br />

2. Zinsen auf Steuererstattungsbeträge gemäß § 233a AO sind Steuervorteile im Sinne von § 370<br />

Abs. 1 AO (Abgrenzung zu BGHSt 43, 381).<br />

3. Bei einer aufgr<strong>und</strong> unrichtiger Angaben gegenüber den Finanzbehörden erlangten Eigenheimzulage<br />

im Sinne des Eigenheimzulagengesetzes vom 26. März 1997 (BGBl. I S. 734) handelt es sich<br />

nicht um einen Steuervorteil im Sinne von § 370 Abs. 1 AO, sondern um einen Vermögensvorteil im<br />

Sinne von § 263 StGB.<br />

1. Auf die Revisionen der Angeklagten A. <strong>und</strong> Ay. wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 16. August 2006<br />

nach § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben<br />

350


a) mit den zugehörigen Feststellungen, soweit diese Angeklagten wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln<br />

in nicht geringer Menge verurteilt sind,<br />

b) in den Aussprüchen über die Gesamtfreiheitsstrafen <strong>und</strong> den Verfall.<br />

2. Die weitergehenden Revisionen dieser Angeklagten werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.<br />

3. Auf die Revision des Angeklagten AI. wird das vorbezeichnete Urteil gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen<br />

Feststellungen aufgehoben, soweit es diesen Angeklagten betrifft.<br />

4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten der<br />

Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts<br />

zurückverwiesen.<br />

Gründe<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten A. wegen "gemeinschaftlichen unerlaubten" bandenmäßigen Handeltreibens<br />

mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 115 Fällen, wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln<br />

in nicht geringer Menge sowie wegen unerlaubten Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe in Tateinheit<br />

mit unerlaubtem Besitz von Munition zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren <strong>und</strong> neun Monaten verurteilt<br />

<strong>und</strong> den Verfall von 500.000 Euro angeordnet. Den Angeklagten Ay. hat das Landgericht wegen "gemeinschaftlichen<br />

unerlaubten" bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 70 Fällen,<br />

wegen unerlaubten Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb <strong>und</strong> Besitz<br />

einer halbautomatischen Kurzwaffe <strong>und</strong> unerlaubtem Erwerb <strong>und</strong> Besitz von Munition zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von sieben Jahren <strong>und</strong> zwei Monaten verurteilt <strong>und</strong> gegen diesen Angeklagten den Verfall von 250.000 Euro angeordnet.<br />

Das Landgericht hat ferner den Angeklagten AI. wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln<br />

in nicht geringer Menge in fünf Fällen unter Einbeziehung einer anderweitig verhängten Freiheitsstrafe<br />

zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt <strong>und</strong> gegen diesen Angeklagten den Verfall<br />

von 500 Euro angeordnet. Schließlich hat es den Nichtrevidenten Ab. wegen "unerlaubten" bandenmäßigen<br />

Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 295 Fällen sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln<br />

in nicht geringer Menge in fünf Fällen unter Einbeziehung einer anderweitig verhängten Geldstrafe zu einer<br />

Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Die<br />

Revision des Angeklagten AI. Greift mit der Sachrüge durch. Die Rechtsmittel der Angeklagten A. <strong>und</strong> Ay. sind<br />

überwiegend mit der Sachrüge erfolgreich.<br />

1. Das Landgericht hat sich - im Wesentlichen auf frühere Angaben des rechtskräftig verurteilten Rauschgifthändlers<br />

K. stützend – davon überzeugt, dass der Angeklagte A. als Lieferant von Marihuana, der Angeklagte Ay. als Bunker-<br />

<strong>und</strong> Buchhalter <strong>und</strong> K. als Verkäufer des Rauschgifts an Endk<strong>und</strong>en oder Zwischenverkäufer in großem Stil als<br />

Mitglieder einer Rauschgifthändlerbande tätig geworden sind. Ab Februar 2001 schlossen sich die ehemalige Lebensgefährtin<br />

des K. , die Zeugen O. , <strong>und</strong> der Angeklagte Ab. der Bande an. Ab. wirkte zwischen seiner Festnahme<br />

am 25. Februar 2002 <strong>und</strong> Ende 2003 <strong>und</strong> der Angeklagte Ay. frühestens ab Januar 2003 nach Zwistigkeiten mit K.<br />

nicht mehr an den Betäubungsmittelgeschäften der Gruppierung mit. Der Angeklagte AI. arbeitete ab August 2003<br />

im Imbissbetrieb des Angeklagten A. . Dieser bat AI. zwischen dem 1. Januar <strong>und</strong> dem 25. August 2004 in fünf<br />

Fällen, als Drogenkurier jeweils mindestens 3 kg Marihuana in die Wohnung des K. zu bringen. Als Vergütung erhielt<br />

AI. "entweder Marihuana oder Geld im Wert von mindestens 500 Euro" (UA S.34).<br />

2. Die von den Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen versagen. Ergänzend zur Stellungnahme des Generalb<strong>und</strong>esanwalts<br />

in dessen Antragsschrift vom 8. März 2007 bemerkt der Senat zu den zulässig erhobenen Besetzungsrügen<br />

der Angeklagten Ay. <strong>und</strong> AI. Folgendes:<br />

a) Das Präsidium des Landgerichts hat aufgr<strong>und</strong> einer Überlastungsanzeige des Vorsitzenden der großen Strafkammer<br />

29 vom 31. Oktober 2005 mit einer Entschließung im Umlaufverfahren das am 2. November 2005 bei der großen<br />

Strafkammer 29 eingegangene Strafverfahren auf die neu gegründete Hilfsstrafkammer 29a abgeleitet. R Im<br />

rechtzeitig erhobenen Besetzungseinwand haben die Verteidiger geltend gemacht, ein zwingender sachlicher Anlass<br />

für die Umverteilung allein dieses Verfahrens habe nicht bestanden, weil ein 13 Tage später bei der großen Strafkammer<br />

29 anhängig gewordenes weiteres Verfahren nicht ebenfalls abgeleitet worden sei. Des weiteren ist mit dem<br />

Besetzungseinwand geltend gemacht worden, dem Präsidium des Landgerichts sei bekannt gewesen, dass die Hilfsstrafkammer<br />

29a mit dem Vorsitzenden <strong>und</strong> einem Beisitzer besetzt worden sei, die das Verfahren gegen K. geführt<br />

hätten, aus dem erst die Erkenntnisse für das vorliegende Verfahren erwachsen seien. Zudem sei dieser Vorsitzende<br />

von der Staatsanwaltschaft als Zeuge benannt worden. Eine solche Einzelfallzuweisung an eine derartig vorbefasste<br />

Strafkammer sei nicht vertretbar. Der Vorsitzende der erkennenden Strafkammer 29a hat den Besetzungseinwand<br />

dem Präsidium zur Entscheidung über die darin liegende Gegenvorstellung gegen die Ableitung vorgelegt. Das Präsidium<br />

hat in seiner Sitzung vom 25. Januar 2006 keine Veranlassung gesehen, von der am 15. November 2005 ge-<br />

351


troffenen <strong>und</strong> am 30. November 2005 bestätigten Entscheidung abzugehen. Daraufhin hat das Landgericht die Besetzungsrüge<br />

als unbegründet zurückgewiesen, weil die Entscheidungen des Präsidiums für die Strafkammer bindend<br />

seien.<br />

b) Der geltend gemachte Revisionsgr<strong>und</strong> des § 338 Nr. 1b StPO liegt nicht vor. Die erkennende Strafkammer war<br />

nicht vorschriftswidrig besetzt. Das Präsidium durfte die große Strafkammer 29 um nur eine Haftsache, nämlich das<br />

gegenständliche Verfahren entlasten (vgl. BGHSt 44, 161, 166). Der Vortrag der Revisionen belegt den geltend<br />

gemachten Ermessensfehler, es unterlassen zu haben, die abgeleitete Sache mit dem am 15. November 2005 bei der<br />

großen Strafkammer 29 eingegangen weiteren Verfahren abgewogen zu haben, nicht. Die Behauptung, zum Zeitpunkt<br />

des Präsidiumsbeschlusses am 15. November 2005 sei der Eingang der weiteren Sache bekannt gewesen, wird<br />

durch den Revisionsvortrag nicht bewiesen. Soweit die Revisionen auf die Kenntnis dieses Umstandes zum Zeitpunkt<br />

der bestätigenden Entscheidung vom 30. November 2005 <strong>und</strong> der Entscheidung über die Gegenvorstellung<br />

vom 25. Januar 2006 abstellen, wird nichts dafür vorgetragen, warum die Ableitung gerade der hier vorliegenden<br />

umfangreichen Haftsache einen Ermessensfehler des Präsidiums begründen könnte (vgl. BGHSt 44, 161, 170; vgl.<br />

auch BVerfG - Kammer - NJW 2005,2689,2690). Zu welchen Änderungen des Jahresgeschäftsverteilungsplans das<br />

Präsidium nach § 21e Abs. 3 GVG wegen Überlastung eines Spruchkörpers zwingt, ist weitgehend dem pflichtgemäßen<br />

Ermessen des Präsidiums überlassen (BGHSt aaO). Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, sein eigenes<br />

Ermessen an die Stelle des pflichtgemäßen Ermessens des Präsidiums des Landgerichts zu setzen (BGHSt aaO<br />

m.w.N.). Q Das Präsidium hat das ihm zustehende Ermessen auch nicht dadurch überschritten, indem es daran festgehalten<br />

hat, die erkennende Hilfsstrafkammer 29a mit zwei Richtern zu besetzen, die in der Ausgangssache gegen<br />

K. <strong>und</strong> O. Recht gesprochen haben. Das Interesse der Rechtspflege an einer problemlosen Handhabung des konkreten<br />

Verfahrens ist nicht Entscheidungsmaßstab für die Ableitungsentscheidung. Hierfür kommt es lediglich auf die<br />

konkrete Überlastung oder unzureichende Auslastung des jeweiligen Spruchkörpers unter Beachtung des Abstraktionsprinzips<br />

an (vgl. BGHSt aaO). Diese Auffassung wird aus rechtssystematischer Sicht bestätigt durch die in § 338<br />

Nr. 2 <strong>und</strong> 3 StPO genannten Revisionsgründe <strong>und</strong> den diesen zugr<strong>und</strong>e liegenden Verfahrensvorschriften. Nur in<br />

deren Rahmen können allein behauptete Verstöße gegen die Neutralitätspflicht eines Richters geltend gemacht werden.<br />

Schließlich machen die Revisionen auch vor dem Hintergr<strong>und</strong> des weiteren - aber offensichtlich unbegründeten<br />

- Antrags gemäß § 22 Nr. 5 StPO analog nicht mehr als eine schlichte Vorbefassung des Vorsitzenden <strong>und</strong> eines<br />

Beisitzers geltend. Daran ändert auch die – ersichtlich vorsorgliche - Benennung des Vorsitzenden als Zeugen in der<br />

Anklageschrift für dessen Wahrnehmungen in der Hauptverhandlung gegen K. nichts. In einem solchen Fall könnten<br />

sogar die erkennenden Richter noch zur Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch in analoger Anwendung von § 26a<br />

Abs. 1 Nr. 2 Alternative 1 StPO berufen sein (vgl. BVerfG - Kammer -, Beschluss vom 29. Januar 2007 - 2 BvR<br />

1743/06; BGHSt 50, 216, 220). Daraus folgt, dass das Präsidium des Landgerichts bei Nichtbeachtung einer schlichten<br />

Vorbefassung sein Ermessen nicht überschritten haben kann. 11 3. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält<br />

der sachlichrechtlichen Prüfung nicht stand, soweit die Angeklagten A. <strong>und</strong> Ay. wegen bandenmäßigen Handeltreibens<br />

mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden sind. Die vom Landgericht zu bewertende<br />

Beweislage ist durch besondere Schwierigkeiten charakterisiert. Die Angaben des maßgeblichen – rechtskräftig<br />

verurteilten "ausgesprochen problematischen" (UA S. 59) – Belastungszeugen K. haben wegen dessen umfänglicher<br />

Berufung auf § 55 StPO dem Landgericht nur mittelbar durch Verlesen seiner Einlassung als Angeklagter aus dem<br />

ihn betreffenden Strafurteil <strong>und</strong> Vernehmung eines polizeilichen Vernehmungsbeamten zur Verfügung gestanden;<br />

sie stimmten mit den zum Teil andersartigen <strong>und</strong> weitaus geringeren Teilgeständnissen der Angeklagten A. <strong>und</strong> Ay.<br />

nicht überein. Das Landgericht hat ferner festgestellt, dass der Zeuge K. , der die Vergünstigungen des § 31 BtMG<br />

erheischt hat (UA S. 59), möglicherweise hinsichtlich der von ihm verkauften Mengen nicht die volle Wahrheit gesagt,<br />

den Umfang des von ihm verkauften Rauschgifts geschönt <strong>und</strong> hinsichtlich seiner früheren Lebensgefährtin <strong>und</strong><br />

ehemaligen Mitangeklagten O. keine oder falsche Angaben gemacht hat (UA S. 61). Das ob dieser Umstände zu<br />

besonders kritischer Würdigung der Angaben des K. verpflichtete Landgericht (vgl. BGHSt 47, 220,223 f.; 48, 161,<br />

168; BGH NJW 2007,237,239 f., zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen) hat seine Schuldsprüche hinsichtlich<br />

des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge indes schon auf eine widersprüchliche<br />

<strong>und</strong> lückenhafte Beweisführung gestützt <strong>und</strong> ist hierdurch den besonderen Anforderungen der überaus<br />

schwierigen Beweislage nicht gerecht geworden (vgl. BGH StV 2006,515).<br />

a) Das Landgericht hat für den Tatzeitraum Oktober bis Dezember 1999 aus dem von K. täglich verkauften Marihuana<br />

eine Gesamtmenge von 1,84 kg berechnet <strong>und</strong> daraus nach Vornahme eines Sicherheitsabschlags auf fünf gemeinsame<br />

Einkäufe der Angeklagten A. <strong>und</strong> Ay. geschlossen. Die so begründeten Schuldsprüche stoßen unter mehren<br />

Gesichtspunkten auf durchgreifende Bedenken: Die Annahme der Verkaufsmenge des K. - fünf Tütchen Marihuana<br />

zu je 4 g täglich - wird von den dafür herangezogenen Angaben des K. (UA S. 51) von drei bis fünf Tütchen je<br />

352


Tag nicht vollständig getragen. Die Annahme des Landgerichts, Ay. habe gemeinsam mit A. das Rauschgift eingekauft,<br />

kann sich zwar auf die Einlassung des K. in dessen Verfahren stützen (UA S. 50), steht indes im Widerspruch<br />

zu der vom Landgericht in der Bandenabrede (UA S. 51) niedergelegten, von den Angeklagten Ay. (UA S. 43) <strong>und</strong><br />

A. (UA S. 37) eingeräumten Rollenverteilung, wonach Ay. als Bunkerhalter <strong>und</strong> Verpacker, A. hingegen allein als<br />

Lieferant tätig werden sollte. Die das Jahr 1999 betreffenden Schuldsprüche können aber letztlich nicht aufrecht<br />

erhalten bleiben, weil der der polizeilichen Vernehmung des K. vom 7. Juni 2005 entnommene Geschäftsbeginn im<br />

Widerspruch zu dessen Angaben als Angeklagter in seiner Hauptverhandlung steht. In der verlesenen Einlassung hat<br />

K. dargelegt, dass er erst seit Anfang 2000 "Gras" verkauft habe, <strong>und</strong> dies anfangs eigenhändig, ohne jegliche Hilfe<br />

von anderen (UA S. 48). Der Angeklagte Ay. hat für das Jahr 1999 lediglich ein unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln<br />

durch Vermittlung von K<strong>und</strong>en eingeräumt (UA S. 42). Der Angeklagte A. bestätigt zwar eine frühere<br />

Geschäftsbeziehung zwischen K. <strong>und</strong> Ay., beschreibt dessen Rolle als Bunkerhalter aber nicht aufgr<strong>und</strong> eigener<br />

sicherer Kenntnis (UA S. 37). Diese Widersprüche hätten der tatrichterlichen Aufklärung <strong>und</strong> Bewertung bedurft.<br />

Davon war das Landgericht nicht dispensiert, weil - worauf der Generalb<strong>und</strong>esanwalt abstellt - die Einlassung des K.<br />

als Angeklagter in der fünf Tage später erfolgten polizeilichen Vernehmung konkretisiert worden sei. In der Sache<br />

hat K. in seiner polizeilichen Vernehmung zwar eine ihn treffende Mehrbelastung formuliert - ohne dass aber ersichtlich<br />

geworden ist, wie sich diese zu seinem Nachteil nach seinem Geständnis noch ausgewirkt hat -, indes aber auch<br />

eine Mehrbelastung der Angeklagten Ay. <strong>und</strong> A. vorgenommen. Diese hätte bei der hier gegebenen Beweislage einer<br />

besonderen Glaubhaftigkeitsbeurteilung bedurft (vgl. BGH StV 2005, 253,254).<br />

b) Für den Tatzeitraum Januar 2000 bis Januar 2001 hat das Landgericht aus den von K. <strong>und</strong> dem Mitangeklagten<br />

Ab. ab Februar 2001 verkauften Mengen von r<strong>und</strong> täglich 150 g Marihuana eine Lieferung von einem Kilogramm<br />

pro Woche durch die Angeklagten Ay. <strong>und</strong> A. <strong>und</strong> bei weiter angenommenen 50 Lieferungen auf 25 Einkäufe dieser<br />

Angeklagten von je zwei Kilogramm Marihuana geschlossen <strong>und</strong> sich auf diese Weise von 25 Taten des unerlaubten<br />

Handeltreibens überzeugt (UA S. 86 f.). Auch diese Begründung der Schuldsprüche begegnet durchgreifenden Bedenken.<br />

Die Annahme eines durchschnittlichen Verkaufs von mindestens 150 g Marihuana pro Tag findet in den<br />

Angaben des K. keine ausreichende Stütze. Dieser hat in seiner eigenen Hauptverhandlung angegeben (UA S. 49),<br />

dass er in sieben Wochen ein Kilogramm verkauft habe, später pro Woche 500 g; es seien aber auch Pausen von<br />

einem bis zwei Monate eingetreten. In seiner polizeilichen Vernehmung (UA S. 51) hat er angegeben, täglich 20<br />

Tütchen mit insgesamt 80 g verkauft zu haben; 500 g seien nach zwei bis drei Wochen weg gewesen. Zwar hat K. für<br />

diesen Tatzeitraum weiter angegeben (UA S. 52), dass der Angeklagte A. im Sommer 2000 bestimmt hätte, dass<br />

auch größere Mengen weggegeben werden könnten. Solches rechtfertigt aber nicht die Annahme eines Jahresdurchschnitts<br />

an Verkaufsmengen, der erheblich über den von K. im Einzelnen angegebenen Mengen liegt. Soweit das<br />

Landgericht - zwar im Ansatz zutreffend - aus der von dem Mitangeklagten Ab. geschilderten Geschäftslage bei den<br />

Rauschgifthändlern K. <strong>und</strong> O. Schlüsse auf die zeitlich früheren Geschäftsumstände gezogen hat, begegnet auch dies<br />

durchgreifenden Bedenken. Das Landgericht hat die Aussage dieses Angeklagten, der ebenfalls die Vorteile des § 31<br />

BtMG erreichen wollte (UA S. 63), nur unvollständig gewürdigt. Es ist nicht darauf eingegangen, dass dieser Angeklagte<br />

zwar präzise Angaben zu den von K. <strong>und</strong> o. verkauften Drogenmengen gemacht hat, indes seine eigene, eher<br />

überschaubare Verkaufstätigkeit sogar hinsichtlich der verkauften Mindestmengen nicht genau hat angeben können<br />

oder wollen (UA S. 94). Der Senat kann auch nicht einen Teil der Schuldsprüche im Blick auf die Teilgeständnisse<br />

der Angeklagten Ay. <strong>und</strong> A. aufrechterhalten. Ay. hat zwar eingeräumt, mehrfach Marihuana dem K. in Tütchen<br />

geliefert, auch kiloweise Rauschgift in Beuteln verpackt <strong>und</strong> K. zur Verfügung gestellt zu haben (UA S. 42 f.). Der<br />

Angeklagte A. hat eine Geschäftsbeziehung mit K. als Vermittler von Marihuana im Umfang von 20 Kilogramm<br />

eingeräumt (UA S. 38). Diese Angaben <strong>und</strong> die eine Handelstätigkeit - aber nur im Allgemeinen - bestätigenden<br />

Aussagen der Zeugin T. (UA S. 65) lassen sich aber mit den vom Landgericht angenommenen 25 Taten hoch nicht<br />

im Sinne von Mindestfeststellungen in Einklang bringen.<br />

c) Auch für den Tatzeitraum Februar 2001 bis Dezember 2002 begründet das Landgericht die Schuldsprüche aus<br />

Einkäufen, die A. <strong>und</strong> Ay. getätigt haben, um den wöchentlichen Verkauf durch K. <strong>und</strong> Ab. von je einem Kilogramm<br />

Marihuana zu ermöglichen. Das Landgericht hat auf den 100 Wochen umfassenden Tatzeitraum einen Sicherheitsabschlag<br />

von 20 Wochen vorgenommen <strong>und</strong> nimmt Einkäufe durch A. <strong>und</strong> Ay. im Umfang von je zwei Kilogramm,<br />

mithin 40 Fälle des Handeltreibens an (UA S. 88 f.). Dieser Aufbau der Schuldsprüche stößt auf die gleichen durchgreifenden<br />

Bedenken, wie sie zu b) dargelegt worden sind. K. hat für die Zeit bis Sommer 2001 keine weitergehenden<br />

Angaben hinsichtlich einer Steigerung seiner Umsätze gemacht (UA S. 49, 51). Soweit K. angegeben hat, dass<br />

im Sommer 2001 angefangen worden sei, im Bereich 50, 100 oder 150 g zu verkaufen, <strong>und</strong> A. eineinhalb bis zwei<br />

Kilogramm Marihuana nicht so guter Qualität zum Verkauf freigegeben habe, durfte das Landgericht die darauf <strong>und</strong><br />

auf die Angaben des Mitangeklagten Ab. gestützten größeren Verkaufsmengen den Angeklagten A. <strong>und</strong> Ay. aber<br />

353


nicht als Liefermenge anlasten, ohne sich mit einem erheblichen, die Angeklagten A. <strong>und</strong> Ay. entlastenden Umstand<br />

auseinandergesetzt zu haben (vgl. BGH NJW 2003, 150, 152; 2006, 925, 928). Ab. hat in seiner vom Landgericht als<br />

glaubhaft bewerteten Einlassung bek<strong>und</strong>et, dass das von A. gelieferte Rauschgift "Scheiß-Stoff" (UA S. 62) gewesen<br />

sei, weswegen K. auch Drogen aus Holland geliefert bekommen habe. Mit einer danach möglichen Belieferung des<br />

K. durch Dritte, die im Übrigen auch die Angeklagten A. (UA S. 38) <strong>und</strong> Ay. (UA S. 43) bek<strong>und</strong>et haben, hat sich<br />

das Landgericht aber nicht auseinandergesetzt. Jede Lieferung durch Dritte hätte aber den aus den Abverkäufen des<br />

K. begründeten Schuldumfang <strong>und</strong> naheliegenderweise auch die Anzahl der vom Landgericht angenommenen Taten<br />

verringert. Die für diesen Tatzeitraum vorliegenden Teilgeständnisse des Ay. (UA S. 43) <strong>und</strong> des A. (UA S. 38)<br />

lassen sich ebenfalls nicht einem Teil der Schuldsprüche zuordnen. Alle die diesen Tatzeitraum betreffenden Verurteilungen<br />

sind deshalb aufzuheben.<br />

d) Für den Tatzeitraum Januar bis Dezember 2003 begründet das Landgericht 25 Ankäufe zu je 3 kg durch den Angeklagten<br />

A. aufgr<strong>und</strong> der Angabe des K. in dessen polizeilicher Vernehmung vom 7. Juni 2005 (UA S. 54), wonach<br />

A. Marihuanagebinde von 2 bis 3 kg direkt in die Wohnung des K. gebracht habe. Das Landgericht hat sich die Überzeugung<br />

gebildet, dies sei einmal pro Woche geschehen (UA S. 90), wodurch 104 kg im Jahr 2003 <strong>und</strong> nach<br />

Vornahme eines Sicherheitsabschlags 25 Einkaufsfälle zu je 3 kg gegeben seien. Die Annahme einer wöchentlichen<br />

Belieferung durch A. begegnet aber durchgreifenden Bedenken. Sie beruht für diesen Tatzeitraum nicht auf einer<br />

ausdrücklichen Erklärung des K. , sondern fußt auf dessen Angaben zu dem nachfolgenden Tatzeitraum im Jahr<br />

2004. Dazu hat K. angegeben, im Jahr 2004 sei es höchstens vier- bis fünfmal vorgekommen, dass A. nicht habe<br />

liefern können. Er habe höchstens zwei Wochen auf die Belieferung mit neuen Drogen warten müssen. Der daraus<br />

vom Landgericht ersichtlich gezogene Schluss, im Jahr 2003 habe ohne Lieferunterbrechung eine wöchentliche Belieferung<br />

mit 2 bis 3 kg Marihuana durch A. stattgef<strong>und</strong>en, beruht aber auf einer unvollständigen Auswertung der<br />

Angaben des K. .zu dem Geschäftsjahr 2004. Nach den vom Landgericht auch insoweit als glaubhaft angesehenen<br />

Angaben des K. hat dieser nämlich im Jahr 2004 am allermeisten verkauft (UA S. 50). Dies sei eine Menge von ca. 7<br />

bis 10 kg Marihuana monatlich gewesen (UA S. 55). Die Annahme einer wöchentlichen Belieferung im Jahr 2003<br />

mit 2 bis 3 kg übertrifft dann aber mit einem monatlichen Lieferumfang von mindestens 8 bis 12 kg die Umsätze im<br />

Geschäftsjahr 2004 mit monatlich 7 bis 10 kg, in dem zudem am allermeisten - also mehr als im Jahr davor - verkauft<br />

worden ist. Damit beruhen die diesen Tatzeitraum betreffenden Schuldsprüche ebenfalls auf widersprüchlichen<br />

Annahmen. Dies <strong>und</strong> die unterlassene Erörterung einer möglichen Belieferung durch Dritte nötigen ebenfalls zur<br />

Aufhebung der Verurteilungen in diesem Tatzeitraum.<br />

e) Für den Tatzeitraum Januar bis 25. August 2004 nimmt das Landgericht Ankäufe des Angeklagten A. "etwa alle<br />

zwei Wochen, in mindestens 20 Fällen" von je 3,5 kg Marihuana zur Belieferung des K. an (UA S.27). Dabei legt es<br />

letztendlich einen oberen Rand von 10 kg monatlich zugr<strong>und</strong>e, weil K. auch erklärt habe, monatlich 7 bis 10 kg bezogen<br />

zu haben. Das Landgericht gelangt dann für den acht Monate umfassenden Tatzeitraum zu einer Handelsmenge<br />

von 80 kg - abzüglich eines Sicherheitsabschlags von 10 kg - auf 70 kg (UA S. 91 f.). Daraus hat das Landgericht<br />

auf 20 Ankäufe des A. zu je 3,5 kg Marihuana geschlossen. Auch diese Begründung der Schuldsprüche unterliegt<br />

durchgreifenden Bedenken. Wie das Landgericht dazu kommt, die Obergrenze der monatlichen Lieferungen (vgl.<br />

allerdings UA S. 91) seinen weiteren Berechnungen zugr<strong>und</strong>e zu legen, bleibt ungeklärt. Der Tatzeitraum umfasst<br />

zudem lediglich 34 Wochen <strong>und</strong> 6 Tage, sodass ein alle zwei Wochen stattgef<strong>und</strong>ener Ankauf durch A. nicht 20,<br />

sondern nur 17 Fälle ergeben kann. Dies nötigt den Senat dazu, auch die diesen Tatzeitraum betreffenden Schuldsprüche<br />

aufzuheben. Daran kann das für den Tatzeitraum April bis 25. August 2004 vorliegende Teilgeständnis des<br />

Angeklagten A. nichts ändern. Dieser hat angegeben, wöchentlich fast 2 kg Marihuana dem K. vermittelt zu haben<br />

(UA S. 39). Darauf hat das Landgericht indes nicht abgestellt; es ist auch von einer anderen Tatbegehung durch den<br />

Angeklagten A. ,nämlich einem selbstständigen Ankauf zur Belieferung des K. <strong>und</strong> nicht einer bloßen Vermittlung<br />

ausgegangen. Bei dieser Sachlage scheidet eine Bestätigung der Schuldsprüche ab April 2004 durch den Senat aus.<br />

f) Die Fälle des bisher angenommenen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer<br />

Menge der Angeklagten A. <strong>und</strong> Ay. bedürfen demnach insgesamt neuer tatrichterlicher Aufklärung <strong>und</strong> Bewertung.<br />

Der Senat weist darauf hin, dass der bisher als glaubhaftigkeitssteigernd bewertete Umstand der Selbstbelastung des<br />

K. ersichtlich nahezu ohne Bedeutung ist, weil K. als bekannter Rauschgifthändler durch zahlreiche Beweismittel<br />

bereits ganz erheblich belastet gewesen ist (vgl. BGH StraFo 2007, 202, 203). Der neue Tatrichter wird zudem ein<br />

vom Angeklagten A. benanntes Falschbelastungsmotiv des K. zu erörtern haben (vgl. BGHSt 48, 161, 167 f.; BGHR<br />

StPO § 261 Zeuge 8; BGH StV 2006, 515). Die Darlegung, K. habe unter dem Druck gestanden, eventuell zwölf<br />

Jahre Freiheitsstrafe zu bekommen oder mit der Nennung des A. als Lieferanten die Strafe halbieren zu können (UA<br />

S. 40), erscheint vor dem Hintergr<strong>und</strong> des Inhalts des von den Revisionen in ihren Verfahrensrügen vorgelegten<br />

Beschlusses des Landgerichts vom 6. Februar 2006 nicht aus der Luft gegriffen. Zur Bedeutung der Erwägung, eine<br />

354


lügnerische Aussage des K. hinsichtlich der Identität seiner Lieferanten hätte einen erheblichen intellektuellen Aufwand<br />

vorausgesetzt (UA S. 79), verweist der Senat auf seinen Beschluss vom 17. April 2007 - 5 StR 99/07.<br />

4. Auch die Beweiswürdigung des Landgerichts, die zur Verurteilung des Angeklagten AI. geführt hat, hält der sachlichrechtlichen<br />

Nachprüfung nicht stand. Schon der Ausgangspunkt des Landgerichts (UA S. 106), die zu den Taten<br />

dieses Angeklagten eher dürftige Schilderung des K. spreche eher für als gegen die Glaubhaftigkeit von dessen ursprünglicher<br />

Aussage, weil K. im Falle einer bewussten Falschaussage ohne Weiteres detaillierte Angaben zu den<br />

Taten des AI. hätte machen können, ist im Blick auf die aus aussagepsychologischen Untersuchungen gewonnenen<br />

Erfahrungsregeln (vgl. BVerfG - Kammer - NJW 2003, 2444, 2445; BGHSt 45, 164, 170 f.) zur Bedeutung des Detailreichtums<br />

als Glaubhaftigkeitskriterium zweifelhaft. Das Landgericht setzt sich mit seiner Wertung auch in Widerspruch<br />

zu seiner eigenen Beweiswürdigung im Übrigen, in der gerade der Detailreichtum der früheren Aussagen<br />

des K. als glaubhaftigkeitssteigernder Umstand gewürdigt wird. Letztlich maßgeblich für die Aufhebung des Schuldspruchs<br />

auch insoweit ist aber auch hier die Lückenhaftigkeit der Beweiswürdigung des Landgerichts. Es lässt eine<br />

AI. entlastende Äußerung des A. (UA S. 40) genauso unerörtert wie ein sich aus der Einlassung des Angeklagten AI.<br />

In Verbindung mit den mitgeteilten Feststellungen des gegen diesen Angeklagten ergangenen Urteils des Landgerichts<br />

Hamburg vom 28. April 2005 ergebendes nahe liegendes Falschbelastungsmotiv des K. Der Angeklagte AI.<br />

hat im Interesse des K. <strong>und</strong> nach Anstiftung durch dessen Lebensgefährtin O. am 27. Januar 2004 R. mit zwei Messerstichen<br />

erheblich verletzt; er ist deshalb vom Amtsgericht Harnburg-Bergedorf zu einer Freiheitsstrafe von zwei<br />

Jahren <strong>und</strong> sieben Monaten verurteilt worden. Nachdem AI. vom Vollzug der Untersuchungshaft verschont worden<br />

war, hatte er versichert, K. <strong>und</strong> O. aus der Angelegenheit vollständig herauszuhalten (UA S. 105). Indes hat er in<br />

seiner Berufungshauptverhandlung, die zu dem das Amtsgericht bestätigenden Urteil vom 28. April 2005 geführt hat,<br />

die Hintergründe seiner Handlung offenbart (UA S. 105; UA S. 7). Im Blick auf die den Angeklagten AI. Belastende<br />

Aussage des K. vom 13. Juni 2005 (UA S. 55) wäre somit auch ein Rachemotiv wegen Bruchs der zugesagten Vertraulichkeit<br />

durch AI. Als Falschbelastungshypothese in die Prüfung einzubeziehen gewesen (vgl. BGHR StPO §<br />

261 Erfahrungssatz 9). Demnach bedürfen auch die Schuldsprüche zum Nachteil des Angeklagten AI. neuer tatrichterlicher<br />

Aufklärung <strong>und</strong> Bewertung.<br />

5. Die Aufhebung aller Schuldsprüche wegen unerlaubten Handeltreibens mit Marihuana entzieht den darauf beruhenden<br />

Verfallsanordnungen <strong>und</strong> den gegen A. <strong>und</strong> Ay. festgesetzten Gesamtfreiheitsstrafen die Gr<strong>und</strong>lage. Für eine<br />

erneute Anwendung des § 73c StGB weist der Senat auf BGHR StGB § 73c Härte 4 hin.<br />

6. Soweit der Angeklagte A. wegen unerlaubten Handeltreibens in nicht geringer Menge mit Kokain <strong>und</strong> Haschisch<br />

zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren <strong>und</strong> drei Monaten <strong>und</strong> wegen des Waffendelikts zu einer solchen von einem<br />

Jahr <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt worden ist, bleibt sein Rechtsmittel erfolglos im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Das<br />

Gleiche gilt, soweit der Angeklagte Ay. wegen des Waffendelikts zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt<br />

worden ist. Der Senat kann eine Beeinflussung dieser ersichtlich maßvollen Einzelstrafen durch die weiteren aufzuhebenden<br />

Einzelstrafen ausschließen.<br />

AO § 370, § 162 – Schätzung von Besteuerungsgr<strong>und</strong>lagen ohne Angabe der Vergleichsobjekte<br />

BGH, Beschl. vom 24.05.2007- 5 StR 58/07<br />

Eine Schätzung von Besteuerungsgr<strong>und</strong>lagen aufgr<strong>und</strong> von Angaben der Finanzbehörden, die auf<br />

von ihnen ermittelten Vergleichszahlen beruhen, kann nicht ohne Darlegung der Vergleichsobjekte<br />

erfolgen.<br />

Der 5. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 24. Mai 2007 beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kaiserslautern vom 22. September 2006 nach<br />

§ 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.<br />

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere<br />

Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von<br />

drei Jahren verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat<br />

zum Strafausspruch Erfolg.<br />

355


I. Der Beschwerdeführer hat die zunächst unbeschränkt eingelegte Revision mit der Revisionsrechtfertigungsschrift<br />

nachträglich schlüssig auf den Strafausspruch beschränkt. Darin wendet er sich allein gegen die Höhe der festgestellten<br />

Hinterziehungsbeträge, ohne den Schuldspruch anzugreifen. Insoweit führt die Revision aus, es sei „rechtsfehlerfrei<br />

festgestellt“, dass sich der Angeklagte in den Jahren 1997 bis 2000 „der Hinterziehung von Umsatz-, Einkommen-<br />

<strong>und</strong> Gewerbesteuern schuldig gemacht“ habe. Die vorgenommene Rechtsmittelbeschränkung ist wirksam.<br />

Zwar können Umstände, die für die Höhe der hinterzogenen Steuern bedeutsam sind, auch den Schuldspruch tangieren<br />

<strong>und</strong> als doppelrelevante Tatsachen einer Beschränkung des Rechtsmittels entgegenstehen (vgl. BGHSt 29, 359,<br />

366 f.; BGHR StPO § 344 Abs. 1 Beschränkung 2). Vorliegend kann eine solche „Doppelwirkung“ jedoch ausgeschlossen<br />

werden. Hierzu hat der Generalb<strong>und</strong>esanwalt zutreffend ausgeführt: „Das Landgericht hat festgestellt, dass<br />

das Finanzamt infolge der Abgabe von falschen Jahreserklärungen die Steuern zu niedrig festgesetzt hat (UA S. 8).<br />

Dies rechtfertigt für sich betrachtet den Schuldspruch. Die darüber hinaus erforderlichen weiteren Feststellungen zur<br />

Höhe der verkürzten Steuern wirken sich nur noch auf den Strafausspruch aus.“ Die Möglichkeit, der Schuldumfang<br />

könnte sich in einer neuen Hauptverhandlung soweit reduzieren, dass eine Steuerverkürzung vollständig entfiele,<br />

besteht angesichts der vom Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellten <strong>und</strong> auch vom Angeklagten eingeräumten Art<br />

<strong>und</strong> Weise der Manipulation der Buchhaltung nicht.<br />

II. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen <strong>und</strong> Wertungen getroffen:<br />

1. Der Angeklagte betrieb von Februar 1997 bis Ende 2001 in Landau unter dem Namen „C. “ ein Schnellrestaurant<br />

mit asiatischen Gerichten. Für die Jahre 1997 bis 2000 gab er jeweils unvollständige Umsatzsteuerjahreserklärungen<br />

sowie Einkommensteuer- <strong>und</strong> Gewerbesteuererklärungen ab, in denen er gegenüber den Finanzbehörden Umsätze,<br />

Betriebseinnahmen <strong>und</strong> Gewinne verschwieg. Hierzu ging er in der Weise vor, dass er mit der Gastronomiekasse<br />

mehrmals am Tag sogenannte „Z-Ausdrucke“ erstellte, aber nicht sämtliche Ausdrucke in die Buchhaltung aufnahm.<br />

Damit wurde ein wesentlicher Teil der getätigten Umsätze nicht in der Buchhaltung erfasst. Zudem kaufte der Angeklagte<br />

im Zeitraum 1997 bis 1999 bei insgesamt drei Lieferanten Waren gegen Barzahlung ein <strong>und</strong> verbuchte diese<br />

Einkäufe ebenfalls nicht. Da somit nicht sämtliche Betriebseinnahmen in der Buchhaltung erfasst wurden, waren die<br />

vom Angeklagten auf deren Gr<strong>und</strong>lage abgegebenen Umsatzsteuerjahreserklärungen sowie Einkommen- <strong>und</strong> Gewerbesteuererklärungen<br />

für die Jahre 1997 bis 2000 unvollständig. Infolge dieser unrichtigen Steuererklärungen<br />

wurden jeweils zu geringe Steuerbeträge festgesetzt. Nach den Berechnungen des Landgerichts führte dies zu Steuerverkürzungen<br />

im Umfang von 295.876,81 DM (1997), 416.573,03 DM (1998), 255.677,08 DM (1999) <strong>und</strong><br />

344.554,90 DM (2000). Die Gastronomiekasse des Schnellrestaurants wurde bei einer Durchsuchung am 6. Januar<br />

2002 vollständig zerstört aufgef<strong>und</strong>en.<br />

2. Der Angeklagte räumte die ihm zur Last liegende Vorgehensweise ein <strong>und</strong> bestätigte im Übrigen, dass „die Zahlen<br />

der Steuerfahndung dem Gr<strong>und</strong>e nach richtig“ seien. Er wollte jedoch weiter berücksichtigt haben, dass ein erhöhter<br />

Warenverderb vorgelegen habe <strong>und</strong> auch seine Angestellten unentgeltlich verköstigt worden seien. Zudem zweifelte<br />

er den von der Steuerfahndung angenommenen Rohgewinnaufschlag von 350 % an.<br />

3. Da die Buchführung des Angeklagten aufgr<strong>und</strong> nicht erfasster Betriebseinnahmen sowie nicht erfasster Wareneinkäufe<br />

<strong>und</strong> Umsätze formell <strong>und</strong> materiell nicht ordnungsgemäß gewesen sei, hat das Landgericht die Höhe der verschwiegenen<br />

Betriebseinnahmen durch Schätzung ermittelt. Es ist dabei im Wesentlichen wie folgt vorgegangen:<br />

a) Zu dem vom Angeklagten erklärten Wareneinsatz hat es die festgestellten, aber nicht erfassten Bareinkäufe hinzugerechnet.<br />

Die sich daraus ergebende Summe hat es um einen Rohgewinnaufschlag von 350 % erhöht. Schließlich<br />

hat es einen Reingewinnsatz von 32 % (1997 <strong>und</strong> 1998) bzw. von 33 % (1999 <strong>und</strong> 2000) angewendet.<br />

b) Von der Richtigkeit des Rohgewinnaufschlagsatzes <strong>und</strong> des Reingewinnsatzes hat sich das Landgericht aufgr<strong>und</strong><br />

der Ausführungen des als sachverständigen Zeugen gehörten Steuerfahndungsbeamten S. überzeugt. Dieser habe<br />

vergleichbare chinesische Imbissbetriebe geprüft, insbesondere den an demselben Ort zuvor ansässigen Restaurantbetrieb<br />

des H. . Aus Vergleichsbetrieben ergebe sich für den Rohgewinnaufschlagsatz eine Spanne von 320 % bis<br />

418 %. Der letztendlich zugr<strong>und</strong>e gelegte Rohgewinnaufschlagsatz von 350 % berücksichtige bereits ausreichend<br />

Verderb <strong>und</strong> Diebstahl bei den eingekauften Waren. Hinsichtlich der Ermittlung des Reingewinnsatzes hat das Landgericht<br />

die amtliche Richtsatzsammlung der Gewerbeklasse „Imbissbetriebe“ herangezogen. Die sich hieraus ergebenden<br />

Werte hat es nach den Angaben des Zeugen S. aufgr<strong>und</strong> des gegenüber „normalen“ Imbissbetrieben bei China-Imbissen<br />

geringeren Fleischeinsatzes auf 32 % (1997 <strong>und</strong> 1998) bzw. 33 % (1999 <strong>und</strong> 2000) abgeändert.<br />

c) Die Schätzungsergebnisse sah das Landgericht durch die Ergebnisse einer vom 16. Juli bis 16. August 2001<br />

durchgeführten Observation des Restaurantbetriebs des Angeklagten bestätigt. Aus den hierbei gemachten Beobachtungen<br />

ergebe sich eine durchschnittliche Verkaufszahl von 370 bis 500 verkauften Essenportionen pro Tag mit<br />

einem Durchschnittspreis von 10 DM zuzüglich konsumierter Getränke.<br />

356


III. Der Strafausspruch hat keinen Bestand. Die Feststellungen zum Umfang der verkürzten Steuern, den das Landgericht<br />

ausdrücklich strafschärfend gewertet hat, beruhen nicht auf einer tragfähigen Beweiswürdigung.<br />

1. Allerdings bedarf es einer ins Einzelne gehenden Darstellung der Berechnung der verkürzten Abgaben dann nicht,<br />

wenn der Angeklagte aufgr<strong>und</strong> eigener Sachk<strong>und</strong>e die ihm vorgeworfenen Steuerhinterziehungen auch der Höhe<br />

nach einräumt (vgl. BGH wistra 2005, 307, 308). So verhält es sich hier indes nicht. Der Angeklagte hat lediglich<br />

bestätigt, dass „die Zahlen der Steuerfahndung dem Gr<strong>und</strong>e nach richtig“ seien. Gegen die Höhe der ihm zur Last<br />

liegenden Steuerverkürzungen hat er jedoch Einwendungen erhoben.<br />

2. Das Landgericht hat – im Ansatz zutreffend – die von dem Angeklagten der Höhe nach nicht eingeräumten Besteuerungsgr<strong>und</strong>lagen<br />

durch Schätzung ermittelt. Auch im Steuerstrafverfahren ist die Schätzung von Besteuerungsgr<strong>und</strong>lagen<br />

zulässig (st. Rspr.; vgl. nur BGH wistra 1992, 147; 1986, 65; BGHR AO § 370 Abs. 1 Steuerschätzung 1,<br />

2), wenn zwar feststeht, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand erfüllt hat, das Ausmaß der verwirklichten<br />

Besteuerungsgr<strong>und</strong>lagen aber ungewiss ist. Zur Durchführung der Schätzung kommen die auch im Besteuerungsverfahren<br />

anerkannten – <strong>und</strong> erforderlichenfalls kombiniert anzuwendenden – Schätzungsmethoden in Betracht<br />

(vgl. Jäger StraFo 2006, 477, 480 f. <strong>und</strong> Joecks wistra 1990, 52, 54), einschließlich der Heranziehung der Richtsatzsammlung<br />

des B<strong>und</strong>esministeriums der Finanzen (vgl. Kohlmann, Steuerstrafrecht 34. Lfg. Oktober 2005 § 370 AO<br />

Rdn. 493 <strong>und</strong> Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung 110. Lfg. August 2006 § 162 Rdn. 56). Die Schätzung obliegt<br />

dem Tatrichter selbst. Er darf Schätzungen der Finanzbehörden nur dann übernehmen, wenn er von ihrer Richtigkeit<br />

unter Berücksichtigung der vom Besteuerungsverfahren abweichenden strafrechtlichen Verfahrensgr<strong>und</strong>sätze (§ 261<br />

StPO) überzeugt ist (st. Rspr., vgl. nur BGH NStZ-RR 2005, 209, 211; wistra 2001, 308, 309). In jedem Fall hat der<br />

Tatrichter in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht nachvollziehbar darzulegen, wie er zu den Schätzungsergebnissen<br />

gelangt ist (BGH aaO).<br />

3. Daran fehlt es hier. Das Landgericht hat nicht nachvollziehbar begründet, auf welcher Gr<strong>und</strong>lage es sich von der<br />

Richtigkeit des den Berechnungen des Zeugen S. zugr<strong>und</strong>e liegenden Rohgewinnaufschlagsatzes von 350 % überzeugt<br />

hat. Dessen hätte es indes bedurft, weil die vom Landgericht herangezogene Richtsatzsammlung des B<strong>und</strong>esministeriums<br />

der Finanzen für die Gewerbeklasse „Imbissbetriebe“ – freilich ohne Berücksichtigung der Besonderheiten<br />

asiatischer Restaurants – lediglich Rohgewinnaufschlagsätze von 117 % bis 213 % (1997/1998) bzw. von 117<br />

% bis 270 % (1999/2000) enthält. Der Hinweis auf die von dem Steuerfahnder S. in „Vergleichsbetrieben“ aus dem<br />

Bereich von China-Imbisslokalen ermittelten „Vergleichszahlen“ kann hier ohne nähere Darlegung der Ähnlichkeit<br />

der geprüften Betriebe mit dem Schnellrestaurant des Angeklagten <strong>und</strong> der dabei ermittelten Rohgewinnaufschläge<br />

für sich allein schon deshalb nicht genügen, weil das Landgericht nicht die Untergrenze der in den Vergleichsbetrieben<br />

festgestellten Aufschlagsätze, sondern einen um 30 Prozentpunkte erhöhten Rohgewinnaufschlagsatz angesetzt<br />

hat.<br />

4. Schließlich begegnet auch die Berechnungsdarstellung der verkürzten Gewerbesteuern durchgreifenden rechtlichen<br />

Bedenken.<br />

Der Generalb<strong>und</strong>esanwalt hat die Lückenhaftigkeit der Feststellungen zur Gewerbesteuer beanstandet <strong>und</strong> hierzu<br />

ausgeführt: „Das Landgericht stellt in einer Tabelle lediglich die im Ausgangs- <strong>und</strong> geänderten Bescheid festgesetzten<br />

Gewerbesteuermessbeträge <strong>und</strong> die bei Anwendung des Hebesatzes sich ergebende verkürzte Gewerbesteuer dar.<br />

Die dem zugr<strong>und</strong>e liegende Berechnung legt das Urteil indes nicht offen.“<br />

Dem schließt sich der Senat an. Dass der Angeklagte bei seinem Teilgeständnis – jenseits der Feststellung der verschwiegenen<br />

Betriebseinnahmen – in Fragen der Steuerberechnung ausreichend sachk<strong>und</strong>ig gewesen sein könnte<br />

(vgl. BGH wistra 2005, 307, 308), ist nicht mitgeteilt <strong>und</strong> liegt hier auch eher fern. - 8 -<br />

IV. Für die neue Hauptverhandlung bemerkt der Senat:<br />

Im Hinblick darauf, dass Observation <strong>und</strong> Durchsuchung bereits im Sommer 2001 bzw. Januar 2002 stattfanden,<br />

Anklageschrift <strong>und</strong> Eröffnungsbeschluss aber erst vom 21. November 2005 bzw. 24. Juli 2006 datieren, wird der<br />

neue Tatrichter auch das mögliche Vorliegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung zu erörtern haben.<br />

357


AO § 370, § 373, § 374; Art. 40 Zollkodex; §§ 19, 21 TabStG<br />

BGH, Beschl. vom 01.02.2007 – 5 StR 372/06 – NJW 2007, S. 1294 ff.<br />

LS: 1. Wird einfuhrabgabenpflichtige Ware („Schmuggelware“) mit einem Fahrzeug unter Umgehung<br />

der Grenzzollstellen <strong>und</strong> ohne Gestellung gemäß Art. 40 Zollkodex in das Zollgebiet der Europäischen<br />

Gemeinschaft eingeführt, ist Verbringer im Sinne der Art. 38, 40 Zollkodex <strong>und</strong> damit<br />

Täter einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) auch derjenige, der als<br />

Organisator des Transports kraft seiner Weisungsbefugnis die Herrschaft über das Fahrzeug hat.<br />

2. Werden aus einem Drittland stammende unverzollte <strong>und</strong> unversteuerte Zigaretten aus dem freien<br />

Verkehr eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Gemeinschaften in das Steuergebiet der<br />

B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland verbracht, ist der Verbringer gemäß § 19 Satz 3 TabStG verpflichtet,<br />

über die Zigaretten unverzüglich eine Steuererklärung abzugeben. Der Verstoß gegen diese Pflicht<br />

ist als Steuerhinterziehung durch Unterlassen strafbar. Die für Zölle geltenden Vorschriften (vgl. §<br />

21 TabStG) sind auch dann nicht anzuwenden, wenn sich die Zigaretten zu keinem Zeitpunkt legal<br />

in dem anderen Mitgliedstaat bef<strong>und</strong>en haben.<br />

1. Auf die Revisionen der Angeklagten H. <strong>und</strong> K. wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 16. März 2006<br />

gemäß § 349 Abs. 4, § 357 StPO<br />

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass<br />

aa) der Angeklagte H. <strong>und</strong> der Mitangeklagte V. der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei in vier Fällen, jeweils in Tateinheit<br />

mit Beihilfe zur Steuerhinterziehung, <strong>und</strong><br />

bb) die Angeklagte K. der Beihilfe zur Steuerhehlerei in vier Fällen, jeweils in Tateinheit mit Beihilfe zur Steuerhinterziehung,<br />

schuldig sind,<br />

sowie<br />

b) auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts gemäß § 354 Abs. 1a Satz 2 StPO in den Gesamtstrafaussprüchen – unter<br />

Teilabänderung der Einzelstrafen nach Maßgabe der Beschlussgründe – dahin geändert, dass<br />

aa) der Angeklagte H. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren,<br />

bb) der Mitangeklagte V. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> drei Monaten <strong>und</strong><br />

cc) die Angeklagte K. zu einer Gesamtfreiheits- strafe von einem Jahr <strong>und</strong> drei Monaten unter Strafaussetzung zur<br />

Bewährung verurteilt sind.<br />

2. Die weitergehenden Revisionen werden gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.<br />

3. Die Angeklagten tragen die Kosten ihrer Revisionen, jedoch wird die Gebühr jeweils um ein Viertel ermäßigt.<br />

Jeweils ein Viertel der im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen <strong>und</strong> notwendigen Auslagen der<br />

Angeklagten trägt die Staatskasse.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten H. <strong>und</strong> den nicht revidierenden Mitangeklagten V. jeweils wegen gewerbs<strong>und</strong><br />

bandenmäßigen Schmuggels in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten<br />

bzw. von zwei Jahren <strong>und</strong> neun Monaten verurteilt. Gegen die Angeklagte K. hat es wegen Beihilfe zum bandenmäßigen<br />

Schmuggel in vier Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr <strong>und</strong> neun Monaten verhängt <strong>und</strong> die Vollstreckung<br />

dieser Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Die Revisionen der Angeklagten führen zur Änderung der<br />

Schuldsprüche, die eine Neufestsetzung eines Teils der Einzelstrafen <strong>und</strong> der Gesamtstrafen bedingt. Der Senat setzt,<br />

den Anträgen des Generalb<strong>und</strong>esanwalts folgend, die Einsatzstrafen (Fall II. 3 der Urteilsgründe) <strong>und</strong> die Gesamtfreiheitsstrafen,<br />

bei der Angeklagten K. auch die weiteren Einzelstrafen angemessen herab. Gemäß § 357 StPO ist in<br />

gleicher Weise zugunsten des Mitangeklagten V. bezüglich der Einsatz- <strong>und</strong> der Gesamtstrafe zu verfahren. Im Übrigen<br />

sind die Revisionen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

I. Nach den Feststellungen des Landgerichts schlossen sich der Angeklagte H. <strong>und</strong> der Mitangeklagte V. im Frühjahr<br />

2004 mit unbekannt gebliebenen Hinterleuten zusammen, um aus der Ukraine nach Ungarn verbrachte unversteuerte<br />

<strong>und</strong> unverzollte Zigaretten über Deutschland nach England zu transportieren. Dabei bestand die Hauptaufgabe von<br />

H. <strong>und</strong> V. darin, den gesondert verfolgten, in der Nähe von Osnabrück ansässigen Spediteur Ku. in die einzelnen<br />

Zigarettentransporte einzuweisen, ihn zu überwachen, für seine Entlohnung zu sorgen <strong>und</strong> dabei den Kontakt zu den<br />

358


Hinterleuten zu halten. Dafür war den Angeklagten H. <strong>und</strong> V. jeweils ein Anteil von fünf Prozent aus dem Gewinn<br />

des Zigarettenverkaufs auf dem englischen Schwarzmarkt zugesagt worden. Die Gespräche mit Ku. wurden in allen<br />

Fällen von der Angeklagten K. übersetzt.<br />

1. Im Juni 2004 (Fall II. 1 der Urteilsgründe) ließen die Hinterleute in Absprache mit den Angeklagten 900.000 Zigaretten<br />

von Ungarn in ein Lager Ku. nach Melle bringen, wo sie vom Mitangeklagten V. abgeladen <strong>und</strong> mehrere Wochen<br />

später von ihm <strong>und</strong> H. zusammen mit der Tarnladung auf einen Lkw Ku. s aufgeladen wurden. Ku. lieferte<br />

anschließend im Juli 2004 die Zigarettenladung an einen Abnehmer in England.<br />

2. Ende Juli 2004 (Fall II. 2 der Urteilsgründe) fuhren der Mitangeklagte V. <strong>und</strong> Ku. in Absprache mit den anderen<br />

Angeklagten mit einem Lkw des Spediteurs nach Ungarn, wo Ku. gegen einen anderen Fahrer ausgetauscht wurde.<br />

V. musste sich vor der Fahrt zum Zigarettenlager die Augen verbinden lassen. Anschließend half er beim Aufladen<br />

von 1.610.800 Zigaretten <strong>und</strong> von Tarnware. Am 28. Juli 2004 fuhr Ku. seinen Lkw mit der Zigarettenladung von<br />

Ungarn über Deutschland nach Birmingham, wo das Fahrzeug nebst Zigaretten von den englischen Behörden sichergestellt<br />

wurde.<br />

3. Im August 2004 (Fall II. 3 der Urteilsgründe) mieteten die drei Angeklagten mit dem Geld der Hinterleute für<br />

einen weiteren Zigarettentransport einen Lkw, der von Ku. nach Ungarn gefahren <strong>und</strong> dort mit 1.600.000 Zigaretten<br />

beladen wurde. Ku. lieferte diese Zigarettenladung an einen Abnehmer in England aus.<br />

4. Im November 2004 (Fall II. 4 der Urteilsgründe) ließen die Hinterleute in Absprache mit den drei Angeklagten<br />

2.500.000 Zigaretten über Wien in die Werkstatt Ku. s in Bünde bringen, wo V. bereits Servietten als Tarnware auf<br />

einen Lkw Ku. s aufgeladen hatte. Die auf dieses Fahrzeug umgeladenen Zigaretten wurden auf der Fahrt nach England<br />

in den Niederlanden beschlagnahmt. Insgesamt wurden nach den Berechnungen des Landgerichts Einfuhrabgaben<br />

<strong>und</strong> Verbrauchsteuern in Höhe von fast 1,1 Mio. Euro hinterzogen.<br />

II. Die – im Übrigen im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO unbegründete – Revision des Angeklagten H. hat teilweise<br />

Erfolg.<br />

1. Die Urteilsfeststellungen tragen den Schuldspruch wegen gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßigen Schmuggels nicht. Da sie<br />

jedoch eine Verurteilung wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei in vier Fällen, jeweils in Tateinheit mit Beihilfe zur<br />

Steuerhinterziehung rechtfertigen, stellt der Senat den Schuldspruch entsprechend um. Er schließt aus, dass sich der<br />

geständige Angeklagte H. bei einem Hinweis auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunkts (§ 265 Abs. 1<br />

StPO) anders als geschehen hätte verteidigen können. - 6 -<br />

a) Die Verurteilung wegen gewerbs- <strong>und</strong> bandenmäßigen Schmuggels (§ 373 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 AO) hält rechtlicher<br />

Nachprüfung nicht stand.<br />

aa) Aufgr<strong>und</strong> des festgestellten Transportwegs der Zigarettenladungen von der Ukraine über Ungarn nach Deutschland<br />

steht fest, dass in allen vier Fällen lediglich solche Einfuhrabgaben hinterzogen wurden, die nicht von der Vorschrift<br />

des § 373 AO erfasst werden. Der Begriff der Einfuhrabgaben im Sinne der §§ 373, 370 Abs. 1 AO setzt<br />

einen Einfuhrvorgang voraus. Nach den Vorgaben des Art. 4 Nr. 10 Zollkodex (ZK), Art. 7 Abs. 1 der Sechsten<br />

Richtlinie Nr. 77/388/EWG zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern<br />

vom 17. Mai 1977 (ABl. EG Nr. L 145/1 – „Mehrwertsteuerrichtlinie“) <strong>und</strong> Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie Nr.<br />

92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung <strong>und</strong> die Kontrolle<br />

verbrauchsteuerpflichtiger Waren (ABl. EG Nr. L 76/1 – „Systemrichtlinie“) sowie der Vorschrift des § 1 Abs.<br />

1 Satz 3 ZollVG ist die Einfuhr das unmittelbare Verbringen der Ware aus dem Drittlandsgebiet in das Gebiet der<br />

Europäischen Gemeinschaft, nicht jedoch das Verbringen der Ware (außerhalb eines gemeinschaftlichen Zollverfahrens)<br />

von einem Mitgliedstaat in den anderen. Vom Tatbestand des § 373 AO sind – im Gegensatz zu § 370 Abs. 6<br />

Satz 1 <strong>und</strong> § 374 Abs. 2 AO – Einfuhrabgaben, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften<br />

verwaltet werden, nicht erfasst. Daher sind Einfuhrabgaben im Sinne des § 373 AO lediglich die Zölle, die von<br />

Deutschland für die Europäische Gemeinschaft (EG) verwaltet werden (BGH wistra 1987, 293; Voß in Franzen/Gast/Joecks,<br />

Steuerstrafrecht, 6. Aufl. § 373 AO Rdn. 6a; Kohlmann, Steuerstrafrecht 31. Lfg. Juni 2003 § 373<br />

AO Rdn. 10.2; Engelhardt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO 128. Lfg. November 1989 § 373 Rdn. 22; Bender<br />

wistra 2001, 161, 166; a. A. OLG Karlsruhe wistra 2001, 229, 231), sowie deutsche Einfuhrumsatz- <strong>und</strong> Tabaksteuer,<br />

die über die Verweisungsvorschriften der § 1 Abs. 1 Nr. 4, § 21 Abs. 2 UStG <strong>und</strong> § 21 Satz 1 TabStG anlässlich<br />

eines Einfuhrvorgangs erhoben werden, also bei unmittelbarer Einfuhr der Zigaretten von einem Drittland in das<br />

Gebiet der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland entstehen (Voß aaO Rdn. 6; Engelhardt aaO Rdn. 20; Kohlmann aaO Rdn.<br />

10). Solche Einfuhrabgaben wurden von dem Angeklagten nicht verkürzt, denn die Zölle sind hier bereits bei dem<br />

vorschriftswidrigen Verbringen der Zigaretten nach Ungarn gemäß Art. 202 Abs. 1 Buchstabe a, Abs. 2, Art. 40, 38<br />

ZK i.V.m. Art. 215 Abs. 1 erster Spiegelstrich ZK entstanden <strong>und</strong> vom Mitgliedstaat Ungarn für die Europäische<br />

Gemeinschaft zu verwalten (vgl. Art. 215 Abs. 3 ZK). Die Zollschuld entsteht nur bei erstmaliger Einfuhr in das<br />

359


Zollgebiet der Gemeinschaft <strong>und</strong> fällt damit bei dem Transport nach Deutschland nicht erneut an (BGH wistra 2005,<br />

461, 463 m.w.N.). Die Vorschriften § 1 Abs. 1 Nr. 4, § 21 Abs. 2 UStG finden hier keine Anwendung, weil die Zigaretten<br />

nicht unmittelbar vom Drittland nach Deutschland verbracht wurden <strong>und</strong> sich auch nicht in einem Zollverfahren<br />

befanden (vgl. dazu BFH DStRE 2007, 39, 40). Gleiches gilt für die Vorschrift § 21 Satz 1 TabStG, die ebenfalls<br />

eine unmittelbare Einfuhr aus einem Drittland voraussetzt. Hingegen betrifft die hier anzuwendende Vorschrift des §<br />

19 TabStG nicht die Einfuhr von Tabakwaren aus Drittländern (BFH ZfZ 2006, 288, 291 f.).<br />

bb) Der Angeklagte H. war auch nicht Mittäter des von Hinterleuten organisierten „Einschmuggelns“ der Zigaretten<br />

nach Ungarn. Diese Vortaten waren bereits mit dem Abladen der aus der Ukraine angelieferten Zigaretten in Lagerhallen<br />

in Ungarn beendet. Nach ständiger Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs ist die Steuerhinterziehung bzw.<br />

der Schmuggel (als unselbständige Qualifikation der Steuerhinterziehung) beendet, wenn das geschmuggelte Gut in<br />

Sicherheit gebracht <strong>und</strong> „zur Ruhe gekommen“ ist (BGH wistra 2000, 425; BGHSt 3, 40, 44). Wann dies der Fall ist,<br />

hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Maßgeblich für die Beendigung des Schmuggels ist, ob die<br />

Schmuggelware die gefährliche Phase des Grenzübergangs passiert <strong>und</strong> der Schmuggler sein Unternehmen erfolgreich<br />

abgeschlossen hat (BGHSt 3, 40, 44 f.). In der Regel wird der Schmuggel daher erst dann beendet sein, wenn<br />

das Schmuggelgut seinen Bestimmungsort erreicht hat (vgl. BGH wistra 2000, 425). Wird die Ware auf dem Weg<br />

dorthin in einem Zwischenlager umgeladen, ist sie noch nicht „zur Ruhe gekommen”. Anders sind jedoch die Fälle<br />

zu beurteilen, in denen das Schmuggelgut an einem Ort geraume Zeit lagert <strong>und</strong> seine Weiterbeförderung von weiteren<br />

Entscheidungen abhängt, so dass sich nach den Gesamtumständen des Einzelfalls das Zwischenlagern nicht mehr<br />

als ein bloßes Umladen darstellt. An diesen Kriterien gemessen war der „Schmuggel” der Zigaretten in das Zollgebiet<br />

der Europäischen Gemeinschaft bereits mit der Entladung des Transportfahrzeugs in Ungarn beendet. Ein<br />

Zugriff der ungarischen Zollbehörden im Zusammenhang mit dem Grenzübertritt drohte ersichtlich nicht mehr. Zudem<br />

belegen die Feststellungen in den Fällen II. 2 <strong>und</strong> II. 3 der Urteilsgründe, dass die Zigaretten nach dem Abladen<br />

in Ungarn dort geraume Zeit bis zur Übernahme durch den Spediteur Ku. gelagert wurden. Die Hinterleute entschieden<br />

erst von Fall zu Fall über die Einzelheiten des Weitertransports nach England über Deutschland <strong>und</strong> bedienten<br />

sich unterschiedlicher Transporteure.<br />

b) Ungeachtet der fehlerhaften rechtlichen Einordnung sind indes die Urteilsfeststellungen rechtsfehlerfrei getroffen.<br />

Sie belegen, dass sich der Angeklagte H. zumindest hinsichtlich der in Ungarn entstandenen <strong>und</strong> verkürzten Zoll-<br />

<strong>und</strong> Einfuhrumsatzsteuerschuld in vier Fällen der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei (§ 374 Abs. 1, Abs. 2 AO) schuldig<br />

gemacht hat. Zudem hat er im Zusammenhang mit dem Transport der Zigaretten in das Steuergebiet der B<strong>und</strong>esrepublik<br />

Deutschland jeweils tateinheitlich Beihilfe zur Verkürzung der in Deutschland entstandenen Tabaksteuer<br />

geleistet.<br />

aa) Hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Zigaretten sind bei der Einfuhr in das Zollgebiet der Europäischen<br />

Gemeinschaft durch das deutsche Strafrecht geschützte Einfuhrabgaben hinterzogen worden.<br />

(1) Der von den Hinterleuten organisierte Transport der Zigaretten von der Ukraine nach Ungarn erfüllt den Tatbestand<br />

der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 AO). Dem steht nicht entgegen, dass der genaue Ablauf des Verbringens<br />

in das Zollgebiet der Europäischen Gemeinschaft vom Landgericht nicht festgestellt worden ist.<br />

(a) Haben die Transporteure bei der Wareneinfuhr von der Ukraine in die Europäische Gemeinschaft an einer ungarischen<br />

Zollstelle auf die unter der Ladung versteckten oder durch besondere Vorrichtungen verheimlichten Zigaretten<br />

nicht hingewiesen <strong>und</strong> damit nur Tarnware gestellt, ist die Einfuhrzollschuld wegen vorschriftswidrigen Verbringens<br />

der Zigaretten in das Zollgebiet der Europäischen Gemeinschaft gemäß Art. 202 Abs. 1 Buchstabe a, Art. 40, 4 Nr.<br />

19 ZK entstanden. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften bewirkt auch eine<br />

im Zusammenhang mit der Gestellung abgegebene unrichtige oder unvollständige Zollanmeldung, dass die nicht<br />

angemeldeten Schmuggelwaren von der Gestellung nicht erfasst <strong>und</strong> damit vorschriftswidrig verbracht sind (EuGH<br />

ZfZ 2005, 192, 194, Ziffer 31). Haben die Transporteure vorsätzlich hinsichtlich der nicht angemeldeten Zigaretten<br />

gehandelt, haben sie als Täter die beim Verbringen nach Ungarn insoweit entstandenen <strong>und</strong> von § 370 Abs. 6 Satz 1<br />

AO erfassten Einfuhrabgaben gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1, Abs. 7 AO dadurch hinterzogen, dass diese<br />

Abgaben infolge ihrer unrichtigen Anmeldung nicht festgesetzt worden sind (Art. 217 ff., 221 ZK). Dies ist den<br />

Hinterleuten als Mittätern aufgr<strong>und</strong> des gemeinsamen Tatplans <strong>und</strong> der arbeitsteiligen Tatdurchführung gemäß § 25<br />

Abs. 2 StGB zuzurechnen. War den Transporteuren dagegen nicht bekannt, dass sich unter der Ladung auch Zigaretten<br />

befanden, haben die Hinterleute die Tat in mittelbarer Täterschaft begangen (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO i.V.m. § 25<br />

Abs. 1 2. Var. StGB).<br />

(b) Sind die Zigaretten ohne Gestellung (Art. 4 Nr. 19 ZK) unter Umgehung der Grenzzollstellen, d. h. über die sogenannte<br />

grüne Grenze von der Ukraine nach Ungarn gebracht worden, hat dies gemäß Art. 202 Abs. 1 Buchstabe a,<br />

Art. 38 Abs. 1, Art. 40 ZK zur Entstehung der Einfuhrzollschuld <strong>und</strong> – hieran anknüpfend – auch der weiteren Ein-<br />

360


fuhrabgaben geführt. Wegen Verletzung der Pflicht zur Gestellung (Art. 40 ZK) der eingeführten Zigaretten bei der<br />

sich aus Art. 38 ZK ergebenden Zollstelle sind die Einfuhrabgaben nicht festgesetzt <strong>und</strong> damit im Sinne von § 370<br />

Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 Satz 1, Abs. 7 AO verkürzt worden. Die Fahrer der Transportfahrzeuge werden in einem solchen<br />

Fall bereits deswegen als bösgläubig anzusehen sein, weil sie Waren aus dem Drittlandsgebiet unter Umgehung der<br />

Zollstellen in das Zollgebiet der Europäischen Gemeinschaft eingeführt haben. Mit der äußerst fern liegenden, bloß<br />

theoretischen Möglichkeit, diese Personen könnten trotz bewusster Umgehung der Zollstelle, bei der das Transportgut<br />

zu gestellen gewesen wäre, ohne – zumindest bedingten – Tatvorsatz gehandelt haben, brauchte sich das Landgericht<br />

nicht auseinanderzusetzen. Bei der Einfuhr über die „grüne Grenze“ haben sich auch diejenigen (nicht im Fahrzeug<br />

befindlichen) Hinterleute, die Sachherrschaft über die Zigarettenladungen hatten, gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO<br />

strafbar gemacht, indem sie die Zigaretten nicht unverzüglich bei der in Art. 38 ZK bezeichneten Zollstelle gestellen<br />

ließen <strong>und</strong> dadurch die Nichtfestsetzung der Einfuhrabgaben bewirkten. Denn sie waren als Verbringer (Art. 38 Abs.<br />

1 ZK) gestellungs- <strong>und</strong> anmeldepflichtig. Den Begriff des „Verbringers“ im Sinne von Art. 38 <strong>und</strong> Art. 40 ZK hat<br />

der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften durch Urteil vom 4. März 2004 in den Rechtssachen C-238/02<br />

[Viluckas] <strong>und</strong> C-246/02 [Jonusas] für die nationalen Gerichte verbindlich ausgelegt. Danach „verbringen“ bei der<br />

Einfuhr mit einem Kraftfahrzeug „diejenigen“ Personen die Nichtgemeinschaftsware in das Zollgebiet der Gemeinschaft,<br />

„die die Herrschaft über das Fahrzeug im Zeitpunkt der Verbringung haben, nämlich u. a. die Fahrer, <strong>und</strong><br />

zwar derjenige, der das Fahrzeug lenkt, <strong>und</strong> sein Beifahrer oder Ersatzmann, sofern er sich im Fahrzeug befindet“<br />

(EuGH wistra 2004, 376, 378, Ziffer 23). Ferner ist auch „eine andere sich im Fahrzeug befindende Person“ Verbringer,<br />

„wenn nachgewiesen ist, dass sie hinsichtlich der Verbringung der Waren Verantwortung trägt“ (EuGH aaO).<br />

Entscheidendes Kennzeichen des in Art. 38 ZK <strong>und</strong> 40 ZK bezeichneten Verbringers <strong>und</strong> alleiniger Anknüpfungspunkt<br />

für die Gestellungspflicht in Art. 40 ZK ist nach dem Wortlaut dieser Entscheidung die Herrschaft über das<br />

Fahrzeug bei der Einfuhr. Herrschaft über das Transportfahrzeug haben aber nicht nur der Fahrer, weil er das Fahrzeug<br />

steuert, <strong>und</strong> seine Begleiter im Fahrzeug, wenn sie für die Verbringung der Waren Verantwortung übernommen<br />

haben, sondern kraft ihrer Weisungsbefugnis auch diejenigen Organisatoren des Transports, die beherrschenden<br />

Einfluss auf den Fahrzeugführer haben, indem sie die Entscheidung zur Durchführung des Transports treffen <strong>und</strong> die<br />

Einzelheiten der Fahrt (z. B. Fahrtroute, Ort <strong>und</strong> Zeit der Einfuhr) bestimmen. Der demgegenüber in der Literatur<br />

(Bender wistra 2004, 368, 370 f. <strong>und</strong> wistra 2006, 41, 42 f.; Fuchs ZfZ 2004, 160; Kohlmann aaO § 370 Rdn. 219<br />

<strong>und</strong> 285) vereinzelt vertretenen Auffassung, als Verbringer kämen ausschließlich solche Personen in Betracht, die<br />

sich bei der Einfuhr in dem Transportfahrzeug befänden, stehen die Ausführungen des Gerichtshofs entgegen (vgl.<br />

EuGH aaO, dort insbesondere Ziffer 23). Dasselbe gilt für ein obiter dictum des B<strong>und</strong>esfinanzhofs in dem Ausgangsverfahren<br />

nach der genannten Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (BFH<br />

ZfZ 2005, 13, 15). Der Gerichtshof knüpft die Bestimmung desjenigen, den die Gestellungspflicht des Art. 40 ZK<br />

trifft, ausschließlich an die „Herrschaft über das Fahrzeug“ (engl.: „the persons ... in charge thereof“; franz.: „maîtrise“)<br />

<strong>und</strong> liefert anschließend eine nicht abschließende fallbezogene Subsumtion („nämlich u. a.“, engl.: „and, in<br />

particular“, franz.: „et, no-tamment“). Daraus ist zu entnehmen, dass die Erwähnung von Fahrer, Beifahrer <strong>und</strong> weiterer<br />

im Fahrzeug befindlicher Personen keine abschließende Aufzählung darstellt. Zu einem ausdrücklichen Hinweis<br />

auf mögliche Hinterleute mit Herrschaft über das Transportfahrzeug hatte der Gerichtshof angesichts der verfahrensgegenständlichen<br />

Fallkonstellation keine Veranlassung, denn solche Personen waren an den Ausgangsverfahren<br />

nicht beteiligt. Zudem stand im Vordergr<strong>und</strong> des vom B<strong>und</strong>esfinanzhof (BFH, Beschlüsse vom 7. Mai 2002 –<br />

VII R 38/01, BFH/NV 2002, 1191 <strong>und</strong> VII R 39/01, ZfZ 2002, 309) initiierten Vorabentscheidungsverfahrens allein<br />

die für die Zollschuldnerschaft (Art. 202 Abs. 3 erster Spiegelstrich ZK) der Personen, die sich bei der Einreise im<br />

Transportfahrzeug bef<strong>und</strong>en haben, bedeutsame Frage, ob auch der Fahrer (oder gleichberechtigte Beifahrer), der<br />

von den in seinem Lastzug versteckten oder verheimlichten Waren weder Kenntnis hatte noch hätte haben müssen,<br />

auf diese Waren hinzuweisen hätte. Diese Frage hat der Gerichtshof bejaht. Soweit Fuchs (aaO) seine Auffassung,<br />

lediglich dieser Personenkreis sei zur Gestellung verpflichtet, auf Ziffer 21 der Vorabentscheidung des Gerichtshofs<br />

stützt, hat er nicht bedacht, dass dort lediglich die Auffassung der Kommission wiedergegeben wird. Der Gerichtshof<br />

(aaO) stellt demgegenüber allein auf die Herrschaft an dem Transportfahrzeug <strong>und</strong> nicht auf die persönliche Anwesenheit<br />

bei der Einfuhr in das Zollgebiet der Gemeinschaft ab. Damit steht fest, dass lediglich Personen, denen Sachherrschaft<br />

über die Ware beim Verbringen in das Zollgebiet fehlt, keine Verbringer im Sinne von Art. 38, 40 ZK<br />

sind. Eines weiteren Vorabentscheidungsverfahrens bedarf es daher nicht. Bei der hier vorliegenden Sachverhaltskonstellation<br />

braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob – namentlich für etwaige Ausnahmefälle möglicherweise<br />

gutgläubiger Transporteure – in Abweichung von herkömmlicher Dogmatik auch für das echte Unterlassungsdelikt<br />

des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO (vgl. auch Bender wistra 2004, 368, 371) eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Hintermannes,<br />

der das von den Transporteuren unmittelbar verwirklichte Einfuhrgeschehen beherrscht, aus dem Rechts-<br />

361


gedanken der mittelbaren Täterschaft oder auch der Ingerenz (vgl. BFH BStBl II 1997, 157, 159 f.; Joecks in Franzen/Gast/Joecks<br />

aaO § 370 Rdn. 162a; Hellmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler aaO § 370 Rdn. 110; vgl. auch<br />

BGHSt 43, 381, 396 f.; ablehnend Kohlmann aaO § 370 Rdn. 90 <strong>und</strong> 279 m.w.N.) zu begründen wäre.<br />

(2) Nach § 374 Abs. 2 erster Halbsatz AO i.V.m. Abs. 2 zweiter Halbsatz, § 370 Abs. 7 AO genügt es, wenn sich die<br />

im Ausland begangene Vortat, wie hier, auf Einfuhrabgaben bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen<br />

Gemeinschaften verwaltet werden (vgl. Voß in Franzen/Gast/Joecks aaO § 374 AO Rdn 7a f.; Joecks in<br />

Franzen/Gast/Joecks aaO § 370 AO Rdn. 27 f.; Hellmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler aaO 171. Lfg. November<br />

2001 § 370 Rdn. 89; Kohlmann aaO § 370 AO, Rdn. 425, a. A. Schmitz/Wulf wistra 2001, 361, 364 ff.). Dazu gehört<br />

auch die von dem anderen Mitgliedstaat verwaltete Einfuhrumsatzsteuer (vgl. BGH wistra 2001, 62, 63; a. A.<br />

Schmitz/Wulf aaO 367 ff.), <strong>und</strong> zwar unabhängig davon, ob sie ihm selbst zusteht oder an die Europäische Gemeinschaft<br />

abgeführt werden muss. Dass sich das angefochtene Urteil nicht zur ungarischen Tabaksteuer verhält, beschwert<br />

die Angeklagten nicht.<br />

(3) Da die Steuerhinterziehung zum Zeitpunkt der Beteiligung der Angeklagten bereits abgeschlossen <strong>und</strong> der Angeklagte<br />

H. hieran auch nicht als Täter beteiligt war, kann er lediglich Steuerhehler sein. Er wurde von den unbekannt<br />

gebliebenen Hinterleuten nicht mit der Einfuhr der Ware in das Zollgebiet der Gemeinschaft betraut; vielmehr hatte<br />

er sich nach den Feststellungen lediglich dazu bereit erklärt, für den weiteren Transport der Zigaretten nach England<br />

zu sorgen. Sollten die Zigaretten infolge vorschriftswidriger Gestellung <strong>und</strong> Anmeldung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) in<br />

das Zollgebiet der Gemeinschaft gelangt sein, ist nach den Urteilsfeststellungen eine (mit-) täterschaftliche Beteiligung<br />

des Angeklagten daran auszuschließen. Sachherrschaft an der Ware bei Einfuhr in die Europäische Gemeinschaft<br />

hatte der Angeklagte ebenfalls nicht. Er war daher nicht Erklärungspflichtiger im Sinne des § 370 Abs. 1 Nr.<br />

2 AO <strong>und</strong> konnte bereits deswegen nicht Täter einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen sein.<br />

bb) Durch das Einbinden, Bezahlen <strong>und</strong> Überwachen des Spediteurs Ku. hat der Angeklagte H. täterschaftliche Absatzhilfe<br />

zu den Absatzbemühungen der Hinterleute geleistet. Er wollte sich dadurch selbst bereichern <strong>und</strong> handelte<br />

darüber hinaus gewerbsmäßig. Dass die Zigaretten in den Fällen II. 2 <strong>und</strong> II. 4 der Urteilsgründe vor Übergabe an<br />

den Abnehmer in England sichergestellt wurden, steht der Vollendung der Hehlereitaten nicht entgegen. Denn die<br />

Tatvarianten des Absetzens <strong>und</strong> der Absatzhilfe setzen einen Absatzerfolg nicht voraus (BGHSt 27, 45, 47 ff.; 26,<br />

358, 359 ff.).<br />

c) Durch dieselben Tathandlungen hat der Angeklagte H. in den Fällen II. 2 <strong>und</strong> II. 3 dem Spediteur <strong>und</strong> durch die<br />

jeweils vor Transportbeginn abgegebene Zusage, an der Weiterbeförderung von Deutschland nach England mitzuwirken,<br />

in allen Fällen auch den unbekannt gebliebenen Hinterleuten bei der Hinterziehung der deutschen Tabaksteuer<br />

Hilfe geleistet.<br />

aa) Gemäß § 19 TabStG entsteht die deutsche Tabaksteuer, wenn Tabakwaren unzulässigerweise entgegen § 12 Abs.<br />

1 TabStG aus dem freien Verkehr anderer Mitgliedstaaten zu gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet der B<strong>und</strong>esrepublik<br />

Deutschland verbracht werden. Die in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats eingeschmuggelten Zigaretten<br />

befinden sich dort im freien Verkehr. Das anschließende Überführen der auf dem Schwarzmarkt zu veräußernden<br />

Zigaretten nach Deutschland ohne Inanspruchnahme des Steueraussetzungsverfahrens (§ 16 Abs. 1 Satz 1 TabStG)<br />

ist ein gewerbliches unversteuertes Verbringen (vgl. BFH, Be-schluss vom 6. September 2004 – VII B 62/04; BFH<br />

ZfZ 1997, 22 f.; BFH/NV 1996, 934, 935; FG Düsseldorf ZfZ 1996, 152, 153 mit Anmerkung Hampel ZfZ 1996,<br />

358; FG Düsseldorf, Beschluss vom 1. August 2005 – 4 V 2072/05). Durch die unrechtmäßige Einfuhr aus der Ukraine<br />

nach Ungarn befanden sich die Zigaretten dort im steuerrechtlich freien Verkehr. Da somit über die Tabakwaren<br />

unverzüglich nach deren Verbringen in das Steuergebiet der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland eine Steuererklärung<br />

abzugeben war (§ 19 Satz 3 TabStG), wurde die deutsche Tabaksteuer mit der Missachtung dieser Pflicht hinterzogen<br />

(§ 370 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 Satz 1 AO). An der Auffassung, dass geschmuggelte Zigaretten auch dann im Sinne<br />

von § 21 TabStG unmittelbar in das Steuergebiet der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland eingeführt worden sind, wenn sie<br />

schon vorher in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften verbracht worden, dort aber zu keinem<br />

Zeitpunkt legal in den freien Verkehr gelangt sind (vgl. BGH wistra 2004, 475, 476), hält der Senat nicht fest.<br />

Maßgeblich ist allein, ob die verbrauchsteuerpflichtige Ware überhaupt – legal oder illegal – in einem Mitgliedstaat<br />

in den freien Verkehr gelangt ist, bevor sie von dort in das Steuergebiet der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland verbracht<br />

wurde (vgl. BFH aaO; FG Düsseldorf aaO). Hier waren die Zigaretten nach dem vorschriftswidrigen Verbringen in<br />

die Europäische Gemeinschaft durch die Hinterleute bereits in Ungarn in den freien Verkehr gelangt. Sie waren<br />

deshalb zwar nicht gemäß § 21 TabStG i.V.m. Art. 40 ZK beim Verbringen nach Deutschland zu gestellen. Über sie<br />

war jedoch gemäß § 19 Satz 3 TabStG unverzüglich eine Steuererklärung abzugeben.<br />

bb) Der Angeklagte H. war nicht Steuerschuldner <strong>und</strong> damit nicht Erklärungspflichtiger. Er hat aber den Erklärungspflichtigen<br />

Hilfe geleistet. Steuerschuldner ist gemäß § 19 Satz 2 TabStG, wer verbringt, versendet oder empfängt.<br />

362


Bei der Auslegung dieser Begriffe ist die eingangs genannte Systemrichtlinie zu beachten, denn das deutsche Tabaksteuergesetz<br />

beruht auf dieser Richtlinie. Zwar verwendet diese – im Unterschied zum Zollkodex – den Begriff<br />

des „Verbringens“ nicht. Ob der Begriff des „Verbringens“ in gleicher Weise auszulegen ist wie bei Art. 38, 40 ZK<br />

(ablehnend FG Düsseldorf ZfZ 2006, 380, 381), bedarf jedoch keiner vertieften Erörterung. Denn jedenfalls erfordert<br />

auch das Verbringen im Sinne von § 19 Satz 1 TabStG ein Minimum an Sachherrschaft an den Tabakwaren bei der<br />

Einfuhr der Ware, das der Angeklagte H. – im Gegensatz zu Ku. – nicht hatte. Weder nahm er selbst an den Transportfahrten<br />

teil, noch hatte er – im Unterschied zu den unbekannt gebliebenen Hinterleuten – einen ausreichend gewichtigen<br />

Einfluss auf die Durchführung der Transporte. Insbesondere konnte er den Ablauf der Fahrten nicht steuern.<br />

Er war auch nicht Empfänger der Waren. Seine Beteiligung beschränkte sich im Wesentlichen darauf, den Spediteur<br />

Ku. an die Zigarettenladungen heranzuführen.<br />

d) Die Beihilfe zur Steuerhinterziehung <strong>und</strong> die gewerbsmäßige Steuerhehlerei stehen in allen vier Fällen zueinander<br />

in Tateinheit (§ 52 StGB), denn der Angeklagte H. hat seine Tatbeiträge jeweils bereits im Vorfeld des Verbringens<br />

der Zigaretten nach Deutschland geleistet. Ob das Konkurrenzverhältnis der Taten beim Fahrzeugführer Ku. in den<br />

Fällen II. 2 <strong>und</strong> II. 3 der Urteilsgründe anders zu beurteilen wäre (vgl. § 29 StGB), braucht der Senat nicht zu entscheiden.<br />

2. Der Senat setzt auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts durch Beschluss gemäß der Vorschrift des § 354 Abs. 1a<br />

Satz 2 StPO (vgl. BGHR StPO § 354 Abs. 1a Verfahren 3), die bei einer Schuldspruchänderung entsprechend anwendbar<br />

ist, die Einsatzstrafe (Fall II. 3 der Urteilsgründe) auf zwei Jahre Freiheitsstrafe <strong>und</strong> die Gesamtstrafe auf<br />

drei Jahre Freiheitsstrafe herab.<br />

a) Die Einzelstrafe im Fall II. 3 der Urteilsgründe (Freiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten), kann keinen<br />

Bestand haben. Denn das Landgericht hat sie dem Strafrahmen des § 370 Abs. 3 AO (Freiheitsstrafe von sechs Monaten<br />

bis 10 Jahren) entnommen, der besonders schwere Fälle der Steuerhinterziehung voraussetzt. Dieser Strafrahmen<br />

ist nach der Schuldspruchänderung nicht mehr eröffnet, weil § 370 Abs. 3 AO nur auf die unselbständige Qualifikation<br />

des § 373 AO, nicht aber auf den selbständigen Tatbestand der Steuerhehlerei anwendbar ist (vgl. BGHSt<br />

32, 95, 98 f.). Der Senat mindert deshalb diese Einzelfreiheitsstrafe auf die angemessene Strafe von zwei Jahren<br />

Freiheitsstrafe (entsprechend der im Fall II. 1 der Urteilsgründe vom Landgericht unter Zugr<strong>und</strong>elegung eines Strafrahmens<br />

von drei Monaten bis fünf Jahren Freiheitsstrafe <strong>und</strong> eines deutlich geringeren Steuerschadens verhängten<br />

zweithöchsten Strafe) <strong>und</strong> ermäßigt die Gesamtfreiheitsstrafe auf drei Jahre.<br />

b) Die übrigen Einzelstrafen haben Bestand. Der Senat schließt aus, dass sie von der fehlerhaften rechtlichen Würdigung<br />

betroffen sind. Denn die Verweisung in § 374 Abs. 1 AO eröffnet den vom Landgericht angewendeten Strafrahmen<br />

des § 373 AO (drei Monate bis fünf Jahre Freiheitsstrafe), den das Landgericht sowohl hier als auch in dem<br />

Verfahren gegen Ku. (rechtskräftig mit Senatsbeschluss vom 24. Mai 2006 – 5 StR 155/06) zutreffend zugr<strong>und</strong>e<br />

gelegt hat. Das gewerbsmäßige Handeln des Angeklagten H. ist ausreichend durch die Feststellungen belegt. Auf die<br />

einzelnen Strafzumessungserwägungen wirkt sich die Schuldspruchänderung nicht aus, zumal da der Schuldumfang<br />

hiervon nicht berührt wird. Die Zölle sind in Ungarn in gleicher Höhe angefallen wie dies bei unmittelbarer Einfuhr<br />

nach Deutschland der Fall gewesen wäre. Der Einfuhrumsatzsteuersatz in Ungarn belief sich im Tatzeitraum sogar<br />

auf 25 Prozent. Wegen der Gleichstellung der von Ungarn verwalteten Zölle <strong>und</strong> Einfuhrumsatzsteuer mit den entsprechenden<br />

deutschen Steueransprüchen durch § 374 Abs. 2 AO bleibt auch die Wertigkeit des verletzten Rechtsguts<br />

unverändert. Dass das Landgericht auch den dem deutschen Fiskus entstandenen Tabaksteuerschaden straferhöhend<br />

berücksichtigt hat, ist nicht zu beanstanden. Denn diese Schadensposition ist auch nach der Schuldspruchumstellung<br />

zu berücksichtigen. Der Senat schließt aus, dass sich die Zurechnung dieser Schadensbeträge nur über Gehilfenschaft<br />

(anstelle über Täterschaft) im Ergebnis hätte auswirken können.<br />

III. Die Änderung des Schuldspruchs ist gemäß § 357 StPO auf den Nichtrevidenten V. zu erstrecken. Auf Antrag<br />

des Generalb<strong>und</strong>esanwalts setzt der Senat auch bei ihm die Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren im Fall II. 3 der<br />

Urteilsgründe auf eine angemessene Freiheitsstrafe von einem Jahr <strong>und</strong> sechs Monaten <strong>und</strong> die Gesamtfreiheitsstrafe<br />

auf zwei Jahre <strong>und</strong> drei Monate herab.<br />

IV. Auch die Revision der Angeklagten K. ist teilweise erfolgreich, im Übrigen aber unbegründet im Sinne von §<br />

349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Die Angeklagte K. hat mit ihren jeweils bereits im Vorfeld der Fahrten von Ungarn nach Deutschland geleisteten<br />

Dolmetscherdiensten sowohl den Spediteur Ku. als auch die Angeklagten H. <strong>und</strong> V. bei deren Absatzhilfe als Gehilfin<br />

unterstützt. Zugleich hat sie Ku. <strong>und</strong> mittelbar den Hinterleuten bei der Hinterziehung der deutschen Tabaksteuer<br />

Hilfe geleistet. Der Schuldspruch ist daher auf Beihilfe zur Steuerhehlerei in vier Fällen, jeweils in Tateinheit mit<br />

Beihilfe zur Steuerhinterziehung abzuändern.<br />

363


2. Infolge der Schuldspruchänderung verschiebt sich der Strafrahmen. Da die Angeklagte selbst nicht gewerbsmäßig<br />

gehandelt hat, sind die Einzelstrafen dem gemäß §§ 27, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen der § 374 Abs. 1, §<br />

370 Abs. 1 AO, nicht dem des § 373 AO zu entnehmen. Der Senat setzt daher die gegen die Angeklagte K. verhängten<br />

Strafen entsprechend dem Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts wie folgt herab: Im Fall II. 1 der Urteilsgründe:<br />

sieben statt zehn Monate Freiheitsstrafe, im Fall II. 2 der Urteilsgründe: sechs statt sieben Monate Freiheitsstrafe, im<br />

Fall II. 3 der Urteilsgründe: ein Jahr statt ein Jahr <strong>und</strong> drei Monate Freiheitsstrafe <strong>und</strong> im Fall II. 4 der Urteilsgründe:<br />

sechs statt acht Monate Freiheitsstrafe. Die Gesamtfreiheitsstrafe ermäßigt der Senat – ebenfalls antragsgemäß – auf<br />

ein Jahr <strong>und</strong> drei Monate Freiheitsstrafe.<br />

AuslG § 92 a.F.<br />

BGH, Urt. vom 15.11.2006 – 2 StR 157/06<br />

Von der Strafvorschrift des § 92 AuslG a.F. wird auch die Duldungsfunktion gemäß § 69 Abs. 2<br />

Satz 1 AuslG a.F. erfasst.<br />

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 13. Dezember 2005<br />

wird als unbegründet verworfen.<br />

2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht Frankfurt am Main hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern zu<br />

einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt <strong>und</strong> die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Vom<br />

weiteren Vorwurf der versuchten Strafvereitelung hat es den Angeklagten freigesprochen. Das auf die Sachrüge<br />

gestützte Rechtsmittel hat keinen Erfolg.<br />

I. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte, der als Rechtsanwalt in Frankfurt am Main tätig<br />

ist, Kontakt zu Personen, die Frauen aus Russland, der Ukraine <strong>und</strong> dem Baltikum nach Deutschland einschleusten,<br />

wo sie als Prostituierte tätig waren. Sämtliche Frauen waren mit einem gültigen, aber durch falsche Angaben erschlichenen<br />

Visum eingereist, das meist für 10 bis 15 Tage ausgestellt war. Lief dieses Visum ab, wandten sich Begleiter<br />

der Prostituierten an den Angeklagten, damit dieser eine Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung beantragte. Dem<br />

Angeklagten war bewusst, dass die Frauen ihre Visa durch falsche Angaben erschlichen <strong>und</strong> keinen Anspruch auf<br />

eine Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung hatten. Der Angeklagte hatte durch allgemeine Anweisungen den<br />

Ablauf in seiner Kanzlei so organisiert, dass er selbst mit der Bearbeitung möglichst nicht befasst war <strong>und</strong> in den<br />

Akten nicht auftauchte. Er ließ durch Mitarbeiterinnen der Kanzlei die betroffenen Frauen zunächst das behördliche<br />

Formular eines Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung blanko unterschreiben. Sodann erhielten sie<br />

bzw. ihre als Dolmetscher fungierenden Zuhälter ein kanzleiinternes Formular, das der Angeklagte entworfen hatte<br />

<strong>und</strong> das unter anderem Fragen zu Namen, Wohnort <strong>und</strong> Zweck des Aufenthalts enthielt. Dieses Formular hatten die<br />

Frauen auszufüllen, wobei auf Vollständigkeit der Angaben nicht geachtet wurde. Gespräche mit den Frauen über<br />

ihren tatsächlichen Aufenthaltszweck, ihren Wohn- bzw. Aufenthaltsort oder die Finanzierung ihrer Reise wurden<br />

nicht geführt. Mitarbeiter des Angeklagten füllten an Hand der von den Frauen ausgefüllten Vordrucke das Behördenformular<br />

später selbständig aus. Soweit die Frauen Angaben zu Aufenthaltsort, -zweck <strong>und</strong> Finanzierung der<br />

Reise unterlassen hatten, wurden frei erf<strong>und</strong>ene Angaben nach Rücksprache mit dem Angeklagten oder seiner Lebensgefährtin<br />

eingesetzt. Sodann wurde der Antrag nach einer von dem Angeklagten oder seiner Lebensgefährtin<br />

vorgenommenen Endkontrolle bei der Ausländerbehörde gestellt. Für die Tätigkeit des Angeklagten hatten die Frauen<br />

ein pauschales Entgelt in Höhe von 100 € zu entrichten. In Fällen, in denen das Visum zum Zeitpunkt des Erscheinens<br />

in der Kanzlei bereits abgelaufen war, wurden die Frauen bzw. deren Begleiter aufgefordert, von zwei<br />

bestimmten Ärzten rückdatierte falsche Atteste über angeblich der Ausreise entgegenstehende akute Erkrankungen<br />

zu besorgen. Das Landgericht hat im Zeitraum vom 17. April 2001 bis 2. August 2002 insgesamt sieben einzelne<br />

Fälle festgestellt. In den Fällen 1 <strong>und</strong> 2 wurden zusätzlich zu den Anträgen auch unrichtige Atteste bei der Ausländerbehörde<br />

vorgelegt. Im Fall 6 gelangte der zum Antrag gehörende amtliche Fragebogen nicht mit dem Antrag zu<br />

der Behörde. Im Fall 7 wurde ein Antrag nicht gestellt. Insgesamt brachten die - insoweit abgeurteilten - Zuhälter,<br />

mit denen der Angeklagte regelmäßig zusammenarbeitete, im Zeitraum von 2001 bis August 2002 mehr als 50 Frauen<br />

in die Kanzlei des Angeklagten, damit entsprechende Anträge gestellt wurden. Der Angeklagte ging jeweils davon<br />

aus, dass die Anträge auf Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigungen der Frauen zwar zulässig, jedoch unbegrün-<br />

364


det waren. Mit der Erteilung einer Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung rechnete er daher nicht. Gr<strong>und</strong> für die<br />

Antragstellung war jeweils die in Folge der Bearbeitungszeit des Verlängerungsantrags nach § 69 Abs. 2 Satz 1<br />

AuslG eintretende Duldungsfiktion, die für die Frauen ausgenutzt werden sollte. Auf diese Weise sollten die zulässige<br />

Aufenthaltsdauer verlängert <strong>und</strong> eine Abschiebung vermieden werden, da ein Abschiebungsvermerk ein Hindernis<br />

für eine spätere Wiedereinreise bedeutet hätte. Dabei war das Ausländeramt der Stadt F. gezielt für alle Anträge<br />

ausgesucht worden, weil dort mit der längsten Bearbeitungszeit zu rechnen war. Das Landgericht hat auf der Gr<strong>und</strong>lage<br />

dieser Feststellungen den Angeklagten einer Tat für schuldig bef<strong>und</strong>en. Tatmehrheit hat es nicht angenommen,<br />

weil der Angeklagte in den jeweiligen Einzelfällen keine gesonderten Aktivitäten mehr entfaltet, sondern seine Tätigkeit<br />

sich auf die allgemeine Organisation des Ablaufs beschränkt habe. Die Strafe hat das Landgericht im Hinblick<br />

auf die lange Verfahrensdauer - eine erste Durchsuchung der Kanzlei des Angeklagten fand am 5. August 2002 statt -<br />

um ein Drittel gesenkt.<br />

II. Die Revision des Angeklagten ist nicht begründet. Der Tatbestand des § 92 a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 92<br />

Abs. 2 Nr. 2 AuslG a.F. ist erfüllt. Denn der Angeklagte hat den aus Osteuropa stammenden Ausländerinnen Hilfe<br />

geleistet, unrichtige Angaben zu machen, um für sich eine Aufenthaltsgenehmigung oder Duldung zu beschaffen.<br />

1. Durch die unrichtige Angabe der jeweiligen Anschrift, des Aufenthaltszwecks sowie der Finanzierung der Reise<br />

haben die Ausländerinnen ihrerseits den Tatbestand des § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG verwirklicht. Dabei ist es unerheblich,<br />

dass die amtlichen Antragsformulare von ihnen nicht eigenhändig ausgefüllt worden sind. Die von den Angestellten<br />

des Angeklagten dort jeweils angegebenen unrichtigen Tatsachen sind den Ausländerinnen zuzurechnen, die<br />

die Antragsformulare blanko unterzeichnet <strong>und</strong> in dem kanzleiinternen Fragebogen selbst falsche oder unvollständige<br />

Angaben gemacht hatten. Sie erhielten jeweils Durchschriften der von dem Angeklagten an die Ausländerbehörde<br />

gestellten Anträge (UA S. 6), aus denen die unrichtigen Angaben ersichtlich waren. Hinsichtlich des Vorsatzes der<br />

Unrichtigkeit war im Übrigen zu berücksichtigen, dass die Ausländerinnen bereits vor der Einreise wissentlich falsche<br />

Angaben zur Erlangung eines formell gültigen Touristenvisums gemacht hatten.<br />

2. Die unrichtigen Angaben der ausländischen Frauen erfolgten mit dem Ziel, eine Aufenthaltsgenehmigung - <strong>und</strong><br />

nicht allein eine Duldung - zu erlangen; die Ausländerinnen strebten eine Verlängerung ihres Aufenthalts in der<br />

B<strong>und</strong>esrepublik an. Dass sie hierbei den unrichtigen Angaben zu ihrem Aufenthaltsort sowie zum Zweck <strong>und</strong> zur<br />

Finanzierung der Reise keine Bedeutung beigemessen haben könnten, liegt fern; es bedurfte daher keiner näheren<br />

Erörterung durch den Tatrichter. Von der Strafvorschrift des § 92 AuslG a.F. wird im Übrigen, entgegen der Ansicht<br />

der Revision, auch die Duldungsfiktion gemäß § 69 Abs. 2 Satz 1 AuslG a.F. erfasst. Die Vorschrift erfasste sämtliche<br />

unrichtigen <strong>und</strong> unvollständigen Angaben unabhängig von ihrer Verwendung in den ausländerrechtlichen Verfahren<br />

<strong>und</strong> bezog das Erwirken einer Duldung ausdrücklich ein. Aus dem systematischen Zusammenhang ergeben<br />

sich ebenso wenig wie aus der gesetzlichen Zielrichtung Anhaltspunkte dafür, dass unrichtige oder unvollständige<br />

Angaben allein im Rahmen der Herbeiführung einer behördlichen Entscheidung den Tatbestand erfüllen sollten;<br />

vielmehr diente die Vorschrift gerade der Pönalisierung von abstrakt gefährlichen Handlungen im Vorfeld solcher<br />

Entscheidungen (vgl. OLG Karlsruhe NStZ-RR 1998, 378; Senge in Erbs-Kohlhaas § 92 AuslG Rdn. 37 m.w.N.).<br />

Dass die Ausländerinnen - wie der Angeklagte - angenommen haben könnten, die Anträge würden ohnehin als unbegründet<br />

abgelehnt werden, liegt fern, denn die erst kurz zuvor eingereisten, regelmäßig sprachunk<strong>und</strong>igen Ausländerinnen<br />

hatten zu differenzierten ausländerrechtlichen Erwägungen weder Anlass noch waren sie dazu überhaupt in<br />

der Lage. Das gilt insbesondere auch für eine nähere Kenntnis des deutschen Verwaltungsverfahrens unter Einschätzung<br />

der voraussichtlichen Bearbeitungszeit <strong>und</strong> deren materiellrechtlichen Folgen. Der Schluss des Landgerichts,<br />

die Angabe unrichtiger Umstände in den Verlängerungsanträgen habe aus Sicht der Antragstellerinnen subjektiv dem<br />

Erhalt einer Aufenthaltsgenehmigung dienen sollen, ist daher aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.<br />

3. Die Revision rügt zu Unrecht, dass das Landgericht hinsichtlich der Zeugin E. die Beantragung einer Duldung<br />

angenommen habe; dies sei aber nach dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes, das insoweit milderes Recht sei,<br />

nicht mehr strafbar (UA S. 9, Anklagepunkt 2). Denn der Angeklagte hat auch im Auftrag dieser Ausländerin einen<br />

Antrag auf Aufenthaltsverlängerung gestellt; hierauf hat das Landgericht ersichtlich abgestellt. Die von der Revision<br />

hervorgehobene Beantragung einer Duldung bezog sich dagegen auf eine Verlängerung der Ausreisefrist, nachdem<br />

über den Antrag auf Aufenthaltsverlängerung bereits ablehnend entschieden worden war. Eine Strafbarkeit des Angeklagten<br />

hat das Landgericht insoweit gerade nicht angenommen.<br />

4. Rechtlich zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Angeklagte zu den Taten der Ausländerinnen<br />

durch die Anfertigung der mit un-richtigen Angaben versehenen Anträge <strong>und</strong> ihre Einreichung bei der Ausländerbehörde<br />

Hilfe geleistet hat. Die Tätigkeiten der Mitarbeiterinnen des Angeklagten sind diesem gemäß § 25 Abs. 2<br />

StGB zuzurechnen. Eine eigene Täterschaft des Angeklagten gemäß § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG a.F. lag ersichtlich<br />

nicht vor, so dass es auf die von der Revision angestellten Erwägungen zur Übertragung des Absichtserfordernisses<br />

365


auf den Tatbestand des § 92 a Abs. 1 AuslG a.F. nicht ankommt. Eine solche liegt nach der Systematik der Regelungen<br />

auch fern. Dem Vorsatz des Angeklagten steht nicht entgegen, dass er von vorneherein von einer Ablehnung der<br />

Anträge ausgegangen ist. Der Täter-Vorsatz des § 92 a Abs. 1 AuslG a.F., der eine zur selbständigen Tat aufgewertete<br />

Beihilfe unter Strafe stellte, bestimmt sich nach den für § 27 StGB geltenden Gr<strong>und</strong>sätzen. Der Täter handelt daher<br />

bereits dann vorsätzlich, wenn er erkennt, dass seine Hilfeleistung an sich geeignet ist, die fremde Tat zu fördern<br />

(vgl. Tröndle/Fischer StGB 53. Auflage § 27 Rdn. 8 m.w.N.). Dies war bei dem Angeklagten der Fall, denn diesem<br />

war bewusst, dass die Ausländerinnen mit seiner Hilfe gegenüber der Ausländerbehörde unrichtige Angaben machten,<br />

um eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Dass er selbst nicht von der Begründetheit der Anträge ausging, steht<br />

dem nicht entgegen. Die bei den Ausländerinnen selbst gegebene Motivation ihres Handelns musste der Angeklagte<br />

nicht selbst aufweisen. Seine Vorstellung von der konkreten Eignung zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung<br />

ist daher für den subjektiven Tatbestand des § 92 a Abs. 1 AuslG a.F. ohne Bedeutung (OLG Karlsruhe NStZ-RR<br />

1998, 378; Senge in Erbs/Kohlhaas aaO).<br />

5. Auf die von der B<strong>und</strong>esanwaltschaft in der Hauptverhandlung hilfsweise vertretene Auffassung, eine Strafbarkeit<br />

des Angeklagten folge bereits deshalb aus § 92 a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 AuslG a.F., weil die Duldungsfiktion des § 69<br />

Abs. 2 Satz 1 AuslG a.F. nicht eingetreten sei <strong>und</strong> die Ausländerinnen sich daher gemäß § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG<br />

a.F. ohne Aufenthaltsgenehmigung im B<strong>und</strong>esgebiet aufgehalten hätten, wozu ihnen der Angeklagte Hilfe geleistet<br />

habe (vgl. auch Senge in Erbs/Kohlhaas § 69 AuslG Rdn. 2), kommt es nicht an. Der Senat hätte allerdings Bedenken,<br />

den Begriff der unerlaubten Einreise innerhalb desselben Gesetzes unterschiedlich auszulegen.<br />

6. Die Revision führt zwar zutreffend aus, dass strafbare Haupttaten in den Fällen der Anklagepunkte 6 <strong>und</strong> 7 nicht<br />

gegeben seien; die Hilfeleistungen des Angeklagten in diesen Fällen sind daher nicht Teil der vom Landgericht angenommenen<br />

einheitlichen Tat. Ein den Angeklagten beschwerender Rechtsfehler bei der Strafzumessung liegt aber<br />

trotz der insoweit missverständlichen Formulierungen im Rahmen der rechtlichen Würdigung nicht vor. Das Landgericht<br />

hat strafmildernd berücksichtigt (UA S. 24), dass lediglich in fünf Fällen unrichtige bzw. unvollständige Angaben<br />

gegenüber der Ausländerbehörde gemacht worden seien. Es hat somit die Hilfeleistung des Angeklagten in den<br />

beiden genannten Fällen aus dem Schuldumfang ausdrücklich herausgenommen.<br />

AWG § 34 Abs. 4 - Irak-Finanzembargo<br />

BGH, Beschl. vom 23.08.2006 – 5 StR 105/06 -<br />

Nach dem Wortlaut <strong>und</strong> der Zielrichtung der Verbotsnorm des § 69e AWV sollte das auf Nr. 4 der<br />

vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 6. August 1990 beschlossenen Resolution 661/1990<br />

beruhende Irak-Finanzembargo durchgesetzt werden. Daran knüpft die Strafbewehrung des § 34<br />

Abs. 4 AWG an, die den Embargoverstoß als kriminelles Unrecht unter Strafe stellt. Der Zweck der<br />

Norm erfordert es deshalb, den Verstoß gegen das Embargo auch dann unter Strafe zu stellen,<br />

wenn das Embargo - wie hier - wegen der Veränderung der politischen Rahmenbedingungen wegfällt.<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 30. November 2005 wird nach §<br />

349 Abs. 4 StPO im gesamten Strafausspruch aufgehoben.<br />

2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.<br />

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die Kosten des<br />

Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „Zuwiderhandlung gegen Sanktionsmaßnahmen des Sicherheitsrates<br />

der Vereinten Nationen“ in 317 Fällen, davon in 288 Fällen in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Kreditwesengesetz,<br />

zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> acht Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten<br />

hat den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.<br />

I. Der Angeklagte war nach den Urteilsfeststellungen 1999 aus dem Irak geflohen <strong>und</strong> holte im September 2001<br />

seine Ehefrau mitsamt den vier Kindern nach Deutschland. Der Angeklagte nahm im Zeitraum Dezember 2000 bis<br />

zum 21. Mai 2003 Banküberweisungen von Exilirakern entgegen, um die Beträge über jordanische Geschäftspartner,<br />

später auch über das in Australien ansässige Unternehmen seines Bruders an im Irak ansässige hilfsbedürftige Fami-<br />

366


lienangehörige <strong>und</strong> Bekannte der Geldgeber weiterzutransferieren, obwohl er dazu nicht die außenwirtschafts- <strong>und</strong><br />

bankenaufsichtsrechtliche Genehmigung hatte. Dem Angeklagten war das vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen<br />

beschlossene Irak-Embargo einschließlich des Verbots von Geldüberweisungen bekannt. Er meinte jedoch, Zahlungen<br />

aus humanitären Gründen fielen nicht unter die Embargobestimmungen. Nach den Feststellungen des Landgerichts<br />

kannte er weder die Genehmigungspflicht entsprechender Zahlungen noch wusste er, dass hierfür eine Erlaubnis<br />

nach dem Kreditwesengesetz erforderlich war. Der Angeklagte vereinnahmte für die Überweisungen überwiegend<br />

Provisionen um 5 %, die er mit seinen jordanischen Geschäftspartnern teilte. Die Provisionszahlungen, die<br />

durchschnittlich monatlich 250 € betrugen, gab er in seinen Steuererklärungen an. Das Landgericht hat die 317 Zahlungsaufträge<br />

als Verstoß gegen § 34 Abs. 4 AWG, § 69e Abs. 2 Buchstabe c AWV a. F. gewertet <strong>und</strong> in den 288<br />

Fällen, in denen der Angeklagte eine Provision vereinnahmte, einen tateinheitlichen Verstoß gegen § 54 Abs. 1 Nr.<br />

2, § 32 Abs. 1 Satz 1, § 1 Abs. 1a Nr. 6 KWG angenommen. Es hat vor allem mit Blick auf die professionelle <strong>und</strong><br />

gewerbsmäßige Organisation des Geldtransfers, die fehlende Genehmigungsfähigkeit <strong>und</strong> den zusätzlichen Verstoß<br />

gegen das KWG die Annahme minder schwerer Fälle (§ 34 Abs. 4 Satz 2 AWG) durchgängig verneint. Auf der<br />

Gr<strong>und</strong>lage des als vermeidbar gewerteten Verbotsirrtums des Angeklagten hat das Landgericht den Strafrahmen des<br />

§ 34 Abs. 4 Satz 1 AWG nach § 17 Satz 2, § 49 StGB gemildert <strong>und</strong> Einzelfreiheitsstrafen von sieben Monaten bis<br />

elf Monaten verhängt.<br />

II. 1. Die Überprüfung des Urteils hat bezüglich des Schuldspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten<br />

ergeben.<br />

a) Die Vorschrift des Art. 69e Abs. 2 Buchstabe c AWV a. F., die die Blankettnorm des § 34 Abs. 4 AWG ausfüllte,<br />

galt noch zum Zeitpunkt der letzten Tatbegehung. Der Umstand, dass Art. 69e AWV mit Wirkung zum 27. August<br />

2003 durch Art. 1 Nr. 2, Art. 2 der 60. Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung (B<strong>und</strong>esanzeiger<br />

Nr. 158 vom 26. August 2003, S. 19421) aufgehoben wurde, um damit die Resolution 1482/2003 des Sicherheitsrates<br />

der Vereinten Nationen vom 22. Mai 2003 umzusetzen, <strong>und</strong> damit auch die Strafbarkeit eines gegen dieses Verbot<br />

verstoßenden Verhaltens entfallen ist, beseitigt die Strafbarkeit nicht rückwirkend. Handlungen, die zu dem Zeitpunkt<br />

begangen wurden, in dem das Verbot noch galt, bleiben deshalb strafbar. Die Verbotsnormen, die der Blankettstraftatbestand<br />

aufgenommen hat, sind Zeitgesetze im Sinne des § 2 Abs. 4 Satz 1 StGB (vgl. BGH StV 1999, 26<br />

für das von Art. 69k AWV a. F. erfasste Serbien-Embargo). Nach dem Wortlaut <strong>und</strong> der Zielrichtung der Verbotsnorm<br />

des § 69e AWV sollte das auf Nr. 4 der vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 6. August 1990 beschlossenen<br />

Resolution 661/1990 beruhende Irak-Finanzembargo durchgesetzt werden. Daran knüpft die Strafbewehrung<br />

des § 34 Abs. 4 AWG an, die den Embargoverstoß als kriminelles Unrecht unter Strafe stellt. Der Zweck<br />

der Norm erfordert es deshalb, den Verstoß gegen das Embargo auch dann unter Strafe zu stellen, wenn das Embargo<br />

– wie hier – wegen der Veränderung der politischen Rahmenbedingungen wegfällt. Die Übertragung von Vermögenswerten<br />

sowie sämtliche Zahlungen in den Irak blieben danach gr<strong>und</strong>sätzlich strafbewehrt <strong>und</strong> waren nur aufgr<strong>und</strong><br />

einer Genehmigung zulässig.<br />

b) Den Irrtum des Angeklagten über das Erlaubtsein seiner Zahlungen aus humanitären Gründen hat das Landgericht<br />

zutreffend als Verbotsirrtum <strong>und</strong> nicht als Tatbestandsirrtum gewertet. Bei den Vorschriften der § 34 Abs. 4 AWG<br />

i.V.m. § 69e Abs. 2 Buchstabe c AWV handelte es sich um ein repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt. Zahlungen<br />

in den Irak wurden gr<strong>und</strong>sätzlich als sozialwidrig erachtet <strong>und</strong> sollten nur im Ausnahmefall erlaubt sein. Irrt sich<br />

der Angeklagte, der von dem Embargo im Gr<strong>und</strong>satz Kenntnis hat, über dessen rechtliche Reichweite, unterliegt er<br />

einem Subsumtionsirrtum, der den Vorsatz unberührt lässt (BGHR AWG § 34 UN-Embargo 5; vgl. auch BGH<br />

wistra 1995, 306, 307). So liegt es hier. Der Angeklagte wusste um das generelle Zahlungsverbot <strong>und</strong> legte lediglich<br />

dieses Verbot zu seinen Gunsten falsch aus.<br />

2. Allerdings hält die Strafzumessung der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat trotz ganz erheblicher<br />

mildernder Gesichtspunkte – die überwiegend geringen Zahlungen dienten humanitären Zwecken, der<br />

vertypte Milderungsgr<strong>und</strong> des § 17 Satz 2 StGB lag vor, der geständige Angeklagte ist bislang unbestraft – die Annahme<br />

minder schwerer Fälle abgelehnt. Die dafür gegebene Begründung lässt besorgen, dass das Landgericht dem<br />

Angeklagten in unzulässiger Weise das Nichtvorliegen eines Milderungsgr<strong>und</strong>es (kein bloßer Formalverstoß mangels<br />

Genehmigungsfähigkeit) zur Last gelegt <strong>und</strong> zudem nicht bedacht hat, dass der ganz erhebliche Milderungsgr<strong>und</strong><br />

des humanitären Hintergr<strong>und</strong>s nicht durch die professionelle <strong>und</strong> geschäftsmäßige Abwicklung des Zahlungsflusses<br />

entwertet wird. Hinzu kommt, dass das UN-Embargo, wie ausgeführt, seit mehreren Jahren aufgehoben ist<br />

<strong>und</strong> auch ein weiterer Verstoß des irakischen Angeklagten gegen ein derartiges Embargo eher fern liegt.<br />

3. Die Aufhebung der Einzelstrafen zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich. Die Feststellungen können bei<br />

dem hier allein vorliegenden Wertungsfehler insgesamt bestehen bleiben. Das neue Tatgericht wird auf der Gr<strong>und</strong>lage<br />

der bislang getroffenen Feststellungen die Einzelstrafen <strong>und</strong> die Gesamtstrafe neu festzusetzen haben. Darüber<br />

367


hinaus darf es seiner neuen Bewertung etwa zu treffende weitere, hierzu nicht in Widerspruch stehende Feststellungen<br />

zugr<strong>und</strong>e legen.<br />

AWG § 34 Abs. 1 Nr. 1<br />

BGH, Beschl. vom 28.03.2007 – 5 StR 225/06<br />

LS: 1. Ob im Sinne der Position 0006 A der Ausfuhrliste zum Außenwirtschaftsgesetz ein Gegenstand<br />

„besonders konstruiert für militärische Zwecke“ ist, bestimmt sich auch hinsichtlich des beabsichtigten<br />

Verwendungszwecks nach der Ausfuhrliste (Fortführung von BGHSt 41, 348).<br />

2. Eine Befreiung von der Genehmigungspflicht für Ausfuhren nach § 19 Abs. 1 Nr. 8 AWV wirkt<br />

zugunsten sämtlicher Beteiligter des Ausfuhrvorgangs.<br />

Der 5. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 28. März 2007 beschlossen:<br />

Auf die Revisionen des Angeklagten <strong>und</strong> der Verfallsbeteiligten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 19.<br />

September 2005 gemäß § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben. Der Angeklagte wird freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens<br />

sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten <strong>und</strong> der Verfallsbeteiligten trägt die Staatskasse.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz in sieben Fällen zu einer<br />

Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt <strong>und</strong> die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Gegen<br />

die S. I. GmbH hat es den Verfall von Wertersatz in Höhe von 1.833.468 Euro angeordnet. Sowohl der Angeklagte<br />

als auch die Verfallsbeteiligte haben gegen dieses Urteil Revision eingelegt. Beide Rechtsmittel haben in vollem<br />

Umfang Erfolg.<br />

I. Nach den Feststellungen des Landgerichts baute der Angeklagte durch die S. I. GmbH (im Folgenden: S. GmbH),<br />

deren alleiniger Gesellschafter <strong>und</strong> Geschäftsführer er ist, Geländefahrzeuge um. Seine Firma war darauf spezialisiert,<br />

an Geländewagen, zunächst der Marke Mercedes G 500, später der Marke Toyota Landcruiser, umfangreiche<br />

Sicherheitsumbauten durchzuführen. Die Autos wurden mit schutzsicherer Panzerung versehen, gegen Zerstörung<br />

durch Einschüsse speziell präparierte Reifen wurden angebracht <strong>und</strong> eine besondere Kommunikationstechnik wurde<br />

eingebaut. Seit einer Teilnahme an einer Messe in Tel Aviv, auf welcher der Angeklagte einen so umgerüsteten Mercedes<br />

vorstellen wollte, war ihm bekannt, dass für gepanzerte Fahrzeuge eine Ausfuhrgenehmigung einzuholen war.<br />

Das zuständige B<strong>und</strong>esamt für Wirtschaft <strong>und</strong> Ausfuhrkontrolle (BAFA), mit dem er anlässlich dieses Vorgangs in<br />

Kontakt kam, verlangte zudem die Benennung eines Ausfuhrverantwortlichen für die S. GmbH. Diese Funktion<br />

übernahm der Angeklagte selbst. Der Angeklagte, der über einen englischsprachigen Mitarbeiter entsprechende Kontakte<br />

aufgebaut hatte, konnte insgesamt 15 umgebaute Geländewagen der Marke Toyota Landcruiser an Regierungsstellen<br />

des Vereinigten Königreichs (im Folgenden: britische Regierungsstellen) verkaufen. In sämtlichen Fällen<br />

verzollte der Angeklagte für die S. GmbH die Fahrzeuge, die zollrechtlich als Fälle der aktiven Veredelung behandelt<br />

wurden. Aus den Zollunterlagen ergab sich jeweils, dass das Fahrzeug – als Veredelung – mit einer Sicherungspanzerung<br />

versehen worden war. Eine Ausfuhrgenehmigung des BAFA holte der Angeklagte in keinem Fall ein.<br />

Diese Verkäufe stellten sich wie folgt dar:<br />

(1) Das britische Entwicklungshilfeministerium bestellte im Juni 2003 bei der S. GmbH zwei Geländewagen. Diese<br />

Fahrzeuge, die vorher durch einen Beauftragten des Entwicklungshilfeministeriums abgenommen worden waren,<br />

wurden nach Durchführung des Verzollungsverfahrens von einer durch den Käufer beauftragten Spedition von dem<br />

Betriebsgelände der S. GmbH am 20. August 2003 abgeholt <strong>und</strong> – wie der Angeklagte wusste – über Tschechien in<br />

den Irak ausgeflogen.<br />

(2) Ebenfalls noch im Sommer 2003 orderte das britische Zollamt über die C. A. , ein privates aus der britischen<br />

Regierungsorganisation ausgegliedertes Unternehmen, umgebaute gelände- gängige Fahrzeuge, die in Afghanistan<br />

für die Schulung der dortigen Polizei im Kampf gegen Drogenhandel eingesetzt werden sollten. Nach Verzollung<br />

überführte ein Mitarbeiter auf Weisung des Angeklagten am 5. September 2003 ein Fahrzeug nach Bill<strong>und</strong>, Dänemark,<br />

von wo aus es nach Afghanistan ausgeflogen wurde.<br />

(3) Das zweite Fahrzeug aus dem Auftrag des britischen Zollamtes wurde am 11. September 2003 wieder auf Weisung<br />

des Angeklagten nach Bill<strong>und</strong> transportiert <strong>und</strong> von dort nach Afghanistan ausgeflogen.<br />

(4) Bei einem weiteren Auftrag des britischen Entwicklungshilfeministeriums, das zwei umgebaute Geländewagen<br />

für die regionale Übergangsregierung in Basra benötigte, ging der Angeklagte als Verantwortlicher der S. GmbH wie<br />

368


unter 1) geschildert vor. Nach Verzollung wurden die Fahrzeuge Ende September 2003 von einem von dem Besteller<br />

beauftragten Spediteur auf dem Betriebsgelände der S. GmbH abgeholt <strong>und</strong> über Tschechien in den Irak ausgeflogen.<br />

(5) Im November 2003 erfolgte der Verkauf von weiteren fünf umgebauten Geländewagen. Diese wurden nach Verzollung<br />

eben- falls durch einen vom britischen Entwicklungshilfeministerium beauftragten Spediteur auf dem Betriebsgelände<br />

der S. GmbH übernommen <strong>und</strong> über Tschechien in den Irak ausgeflogen.<br />

(6) Das britische Unternehmen H. , das von dem britischen Entwicklungshilfeministerium hiermit beauftragt war,<br />

kaufte zwei weitere Geländewagen. Die beiden Fahrzeuge, die wiederum für den Irak bestimmt <strong>und</strong> dementsprechend<br />

umgerüstet waren, wurden durch Beauftragte des britischen Ministeriums von dem Betriebsgelände der S.<br />

GmbH abgeholt <strong>und</strong> im Dezember 2003 über Tschechien in den Irak ausgeflogen.<br />

(7) Das britische Außenministerium, das gleichfalls gepanzerte Fahr- zeuge für die Übergangsregierung in Basra<br />

benötigte, bestellte zwei so ausgerüstete Geländewagen, wobei allerdings dies- mal der Transport der Fahrzeuge vom<br />

Angeklagten direkt übernommen werden sollte. Dieser beauftragte eine in Köln ansässige Spedition. Da der Lufttransport<br />

am 18. Dezember 2003 ab Köln nach Basra erfolgen sollte, ließ der Angeklagte die beiden Fahrzeuge –<br />

nach Verzollung – von Mitarbeitern nach Köln fahren. Im Rahmen der Verzollung wurde zunächst wegen der fehlenden<br />

Ausfuhrgenehmigung des BAFA die Freigabe der Fahrzeuge ver- zögert. Schließlich konnten diese aber<br />

dennoch termingerecht über Köln nach Basra ausgeflogen werden.<br />

Das Landgericht sieht die Handlungen des Angeklagten als Verstöße gegen § 34 Abs. 1 AWG an. Die Ausfuhr der<br />

gepanzerten Geländewagen sei genehmigungspflichtig gewesen, weil sie unter die Ausfuhrliste fielen. Mit der Zollgestellung<br />

der Fahrzeuge, die eine notwendige Voraussetzung der Ausfuhr sei <strong>und</strong> den Ausfuhrvorgang einleite,<br />

habe der Angeklagte zu der Ausfuhr bereits unmittelbar angesetzt. Deshalb greife der Ausnahmetatbestand des § 19<br />

Abs. 1 Nr. 8 AWG, der Ausfuhren durch Regierungen von Mitgliedstaaten privilegiere, nicht ein. Soweit nämlich die<br />

Ausfuhr vom Angeklagten bewirkt worden sei, liege keine Ausfuhr durch eine Behörde der EU im Sinne des § 19<br />

Abs. 1 Nr. 8 AWG vor. Der Angeklagte, der die Genehmigungspflichten kenne, habe mit direktem Vorsatz gehandelt.<br />

Er sei mittelbarer Tä-ter, weil er sich seiner gutgläubigen Mitarbeiter bedient habe, um die Ausfuhr durchzuführen.<br />

Jeder Transportvorgang stelle – unabhängig von der Zahl der hierfür transportierten Fahrzeuge – eine selbständige<br />

Tat dar.<br />

II. Die Revision des Angeklagten hat Erfolg. Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist der objektive Tatbestand<br />

des § 34 AWG nicht erfüllt.<br />

1. Das Landgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die umgerüsteten Geländefahrzeuge Waren im Sinne<br />

des § 34 Abs. 1 Nr. 1 AWG sind.<br />

a) Eine Strafbarkeit nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 AWG liegt nur vor, wenn der Täter ohne Genehmigungen Waren ausführt,<br />

die in speziell bezeichneten Teilen der Ausfuhrliste ausdrücklich genannt sind. Das Landgericht nimmt ohne<br />

Rechtsverstoß an, dass die umgerüsteten Geländefahrzeuge die umbaubedingten Spezifika nach der Liste enthalten<br />

<strong>und</strong> dieser deshalb unterfallen. Maßgeblich ist die zur Tatzeit geltende Anlage zur 100. Verordnung zur Änderung<br />

der Ausfuhrliste, die am 5. April 2002 in Kraft getreten ist. Nach Teil 1 Abschnitt A sind unter der Listennummer<br />

0006 genannt: „Landfahrzeuge <strong>und</strong> Bestandteile hierfür, besonders konstruiert oder geändert für militärische Zwecke“.<br />

In den Anmerkungen, die integraler Bestandteil der Liste sind <strong>und</strong> an der normativen Geltung der Liste teilhaben<br />

(vgl. Bieneck in Bieneck, Handbuch des Außenwirtschaftsrechts 2. Aufl. S. 705), sind in Anmerkung 1 als Unterfall<br />

gepanzerte Fahrzeuge genannt. Als bauliche Änderung für militärische Zwecke sind in Anmerkung 2 unter lit.<br />

a die Umrüstung mit „Luftreifendecken in beschussfester oder bei abgelassener Luft fahrtauglicher Spezialbauart“<br />

<strong>und</strong> unter lit. c „Panzerschutz von wichtigen Teilen“ verzeichnet. Nach den Feststellungen des landgerichtlichen<br />

Urteils liegen sämtliche in diesen Anmerkungen genannten Konstruktionsspezifika vor.<br />

b) Entgegen der Auffassung des Generalb<strong>und</strong>esanwalts in seiner Antragsschrift bestehen am Vorliegen des Merkmals<br />

„besonders konstruiert oder geändert für militärische Zwecke“ keine durchgreifenden Bedenken. Trotz der<br />

subjektiven Komponente der Zweckbestimmung (vgl. für einen anders gelagerten Fall BGHSt 41, 348; dagegen<br />

Bieneck aaO S. 706 ff. m.w.N.) legen die Bauartspezifika, die in der Liste genannt sind, eine militärische Nutzung<br />

von vornherein nahe. Die detaillierten Beschreibungen der Ausfuhrliste füllen das Eingangsmerkmal „konstruiert für<br />

militärische Zwecke“ aus. Das gilt auch für die subjektive Komponente. Ob die Zweckbestimmung „besonders konstruiert<br />

für militärische Zwecke“ erfüllt ist, muss anhand der Liste selbst <strong>und</strong> aus den in den Anmerkungen vorgegebenen<br />

Auslegungskriterien bestimmt werden. Eine solche eng an der Liste orientierte Bestimmung ist aus Gründen<br />

der Rechtssicherheit geboten, um zweifelsfrei das Erfordernis einer Genehmigungspflicht feststellen zu können.<br />

Deshalb kann es auch nicht auf eine – im Übrigen kaum zweifelsfrei vorzunehmende – alleinige Bewertung des<br />

individuellen Zwecks ankommen. Maßgeblich – <strong>und</strong> für die Berücksichtigung des Herstellungszwecks ausreichend –<br />

ist vielmehr, ob es sich um einen Verwendungszweck handelt, den die Liste selbst als nicht „besonders konstruiert<br />

369


für militärische Zwecke“ bezeichnet <strong>und</strong> damit von dem Genehmigungserfordernis ausnimmt. Danach erfüllen die<br />

umgerüsteten Geländefahrzeuge – wie oben dargestellt – in dreierlei Hinsicht indiziell die Voraussetzungen, die sie<br />

als „für militärische Zwecke besonders konstruiert“ kennzeichnen. Ausgenommen aus der Geltung der Nummer<br />

0006 sind lediglich zivile Sonderschutzlimousinen <strong>und</strong> Werttransporter mit Schutzpanzerung (Anmerkung 3 zu<br />

Nummer 0006 der Liste). Da die vom Betrieb des Angeklagten umgerüsteten Fahrzeuge nicht diesen Ausnahmetatbeständen<br />

zuzurechnen sind, unterfallen sie der Ausfuhrliste.<br />

c) Für die letzte Lieferung, die am 17. Dezember 2003 erfolgt ist, gilt die am 12. Dezember 2003 in Kraft getretene<br />

Anlage zur 102. Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste. Auch hiernach sind die vom Betrieb des Angeklagten<br />

umgerüsteten Fahrzeuge erfasst.<br />

d) Dieses Ergebnis wird bestätigt, wenn man den zur Tatzeit geltenden Auffangtatbestand gemäß Listennummer<br />

0023 in die Auslegung mit einbezieht. Dieser erfasst geländegängige Fahrzeuge für Sicherheitskräfte, die mit ballistischem<br />

Schutz ausgestattet sind. Unter der Listennummer 0023 wird auf das Merkmal „besonders konstruiert“ verzichtet.<br />

Auch dort sind aber lediglich Fahrzeuge für den Transport von Geld <strong>und</strong> Wertsachen ausgeschlossen. Hieraus<br />

wird deutlich, dass jedweder Einsatz von derart ausgerüsteten Fahrzeugen durch staatliche Stellen der Liste unterfällt,<br />

weil sie zu-nächst ein Kontrollbedürfnis auslösen, dem durch das staatliche Genehmigungserfordernis Rechnung<br />

getragen werden soll.<br />

2. Eine verbotene Ausfuhr ist in den Fällen 1, 4, 5 <strong>und</strong> 6 entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht gegeben,<br />

weil der Angeklagte die Fahrzeuge nicht ausgeführt hat.<br />

a) Der Begriff der Ausfuhr ist im Außenwirtschaftsgesetz legal definiert. Nach § 4 Abs. 2 Nr. 4 (Nr. 3 a.F.) AWG ist<br />

Ausfuhr im Sinne dieses Gesetzes das Verbringen von Sachen, Gütern <strong>und</strong> Elektrizität aus dem Wirtschaftsgebiet<br />

nach fremden Wirtschaftsgebieten, soweit in einer zu diesem Gesetz erlassenen Rechtsverordnung nichts anderes<br />

bestimmt ist. In der zu diesem Gesetz ergangenen Rechtsverordnung, der Außenwirtschaftsverordnung (Verordnung<br />

zur Durchführung des Außenwirtschaftsgesetzes – AWV), ist in § 4c Nr. 1 (Nr. 3 a.F.) AWV der Ausführer als diejenige<br />

natürliche oder juristische Person bezeichnet, die zum Zeitpunkt der Ausfuhr Vertragspartner des Empfängers<br />

in einem Drittland ist <strong>und</strong> über die Versendung der Güter aus dem Wirtschaftsgebiet in ein Drittland bestimmt. Wenn<br />

kein Ausfuhrvertrag geschlossen wurde oder wenn der Vertragspartner nicht für sich selbst handelt, ist ausschlaggebend,<br />

wer die Versendung der Güter aus dem Wirtschaftsgebiet in ein Drittland tatsächlich bestimmt. Als Ausführer<br />

gilt auch jede natürliche oder juristische Person, die entscheidet. An dieser Definition des Ausführers knüpft die<br />

Genehmigungspflicht an, die nach § 5 Abs. 1 AWV für die Ausfuhr der in Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste (Anlage<br />

AL) aufgeführten Waren gilt. Ihrer Definition nach bezeichnet die Ausfuhr zunächst einen nur tatsächlichen Vorgang.<br />

Wer Waren in ein Wirtschaftsgebiet verbringt, führt aus (BGHR AWG § 34 Ausfuhr 1). Neben dieser rein<br />

tatsächlichen Bestimmung kann jedoch – wie sich aus der normativen Bestimmung des Ausführerbegriffs ergibt –<br />

auch derjenige Ausführer sein, der den Vorgang steuert. Eine entsprechende Steuerung des tatsächlich Handelnden<br />

wird regelmäßig aufgr<strong>und</strong> einer entsprechenden vertraglichen Vereinbarung erfolgen (Speditionsauftrag). Zwingend<br />

ist aber ein rechtsgeschäftliches Handeln als organisierender Tatbeitrag nicht. Maßgeblich ist nach der Geschäftsherrentheorie<br />

darauf abzustellen, wer den exportrechtlich relevanten Vorgang beherrscht (vgl. Hölscher ZfZ 2000, 154;<br />

Bieneck wistra 2000, 441, 445; Karpenstein EuZW 2000, 677, 679).<br />

b) Danach liegt in den Fällen 1, 4, 5 <strong>und</strong> 6 keine Ausfuhr vor.<br />

aa) Nach den Feststellungen des Landgerichts ist diesen Taten gemeinsam, dass die gepanzerten Geländewagen nach<br />

vorher durchgeführter Verzollung jeweils durch Beauftragte der britischen Regierungsstelle vom Betriebsgelände der<br />

S. GmbH abgeholt wurden. Leistungsort im Sinne des § 269 BGB war damit der Ort der Fertigung, das Betriebsgelände<br />

der S. GmbH. Aus Sicht des Käufers handelte es sich dabei um eine Holschuld. Zwar darf die Frage, wer Ausführer<br />

im Sinne des Außenwirtschaftsrechts ist, nicht im Sinne einer Akzessorietät zu den zivilrechtlichen Regelungen<br />

entschieden werden (vgl. Bieneck aaO). Aber auch eine wertende Betrachtung, die sich an den tatsächlichen<br />

Verhältnissen orientiert, unterstreicht dieses Ergebnis. Der Angeklagte konnte über die Ware nach Übergabe nicht<br />

mehr – auch nicht mittelbar – verfügen <strong>und</strong> damit das Ziel der umgerüsteten Autos nicht mehr beeinflussen. Die<br />

tatsächliche Herrschaft über den Tatvorgang hatte allein die britische Regierungsstelle als Käuferin. Dies wird im<br />

Übrigen auch durch die vom Landgericht festgestellte Vorgeschichte des ersten Auftrags durch das Entwicklungshilfeministerium<br />

bestätigt. Danach sollten die Fahrzeuge durch die vom britischen Entwicklungshilfeministerium bestimmte<br />

Spedition zunächst nach London verbracht werden. Allein auf Betreiben des Entwicklungshilfeministeriums<br />

wurde im Interesse der Abkürzung des Lieferwegs festgelegt, dass die Fahrzeuge von der Spedition direkt an den<br />

vom britischen Entwicklungshilfeministerium bestimmten Einsatzort gebracht wurden.<br />

bb) Entgegen der Auffassung des Landgerichts kommt der von Mitarbeitern des Angeklagten durchgeführten Verzollung<br />

kein Aussagegehalt für die Bestimmung des Ausführers zu. Zwar hat der Angeklagte in den zoll-rechtlichen<br />

370


Ausfuhranmeldungen die S. GmbH jeweils als Versender <strong>und</strong> die von britischen Regierungsstellen beauftragten<br />

Speditionen als Empfänger genannt. Diese Vorgehensweise war jedoch der zollrechtlichen Lage geschuldet. Die<br />

Firma S. hat die Geländefahrzeuge nämlich im Rahmen des aktiven Veredelungsverfahrens eingeführt (Art. 114 ZK).<br />

Die Sicherheitsumrüstung der von ihm – abgabenfrei – eingeführten Fahrzeuge stellte im Sinne der von Art. 114<br />

Abs. 2 lit. c ZK einen Veredelungsvorgang dar. Sie mussten innerhalb der Bewilligungsfrist wieder ausgeführt werden<br />

(Art. 118 ZK), wodurch das zollrechtliche Nichterhebungsverfahren auch endete (Art. 89 ZK). Ob der Angeklagte<br />

als Verantwortlicher der S. GmbH, die formal auf den Zollformularen als Ausführerin fungierte, auch ein materieller<br />

Ausführer im Sinne des Art. 788 ZK-DVO anzusehen ist, mag zweifelhaft sein. Diese Frage hat allerdings keine<br />

Auswirkung auf die Bestimmung des Ausführers im Sinne des § 34 Abs. 1 AWG. Beide Tatbestände sind aus ihrer<br />

jeweiligen Schutzrichtung autonom auszulegen (vgl. Karpenstein aaO). Während die Regelungen des Zollkodex das<br />

Ziel haben, den Warenverkehr beim Verlassen des Gemeinschaftsgebiets abgaberechtlich zu erfassen, ist für die<br />

Bestimmung des Ausführers entscheidend, wer den Ausfuhrvorgang beherrscht. Da die Angabe in den Zollformularen<br />

auf die Beendigung des Verfahrens der aktiven Veredelung gerichtet ist <strong>und</strong> die Herbeiführung der Zollfestsetzung<br />

im Blick hat, lässt sich aus ihr nicht auf den Ausführer im Sinne des § 34 Abs.1 AWG schließen, weil dort der<br />

auf die tatsächliche Beherrschung ausgerichtete Ausführerbegriff des Außenwirtschaftsrechts gilt. Daher ist die verfahrensmäßige<br />

Abwicklung des zollrechtlichen aktiven Veredelungsverfahrens, die mit dem tatsächlichen Beginn der<br />

Ausfuhr in keinem untrennbaren Zusammenhang steht, für die Bestimmung des Versuchsbeginns nach § 34 Abs. 1<br />

AWG nicht ohne weiteres geeignet. Dies belegt der vorliegende Fall. Die Übergabe an der Betriebsstätte erfolgte erst<br />

nach der Verzollung; erst zu diesem Zeitpunkt begann der Ausfuhrvorgang, der mit dem Passieren der Grenze beendet<br />

wurde (vgl. Fuhrmann in Erbs/Kohlhaas 140. ErgLfg § 4 AWG Rdn. 11). Aus der vom Landgericht herangezogenen<br />

Entscheidung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs vom 19. Januar 1965 (BGHSt 20, 150), die eine andere Fallgestaltung<br />

betrifft, ergibt sich nichts anderes. Im Übrigen ist es schon im Ansatz fraglich, ob ein etwaiger Versuchsbeginn für<br />

die Frage, ob der Angeklagte Täter im Sinne des § 34 Abs. 1 AWG ist, überhaupt nutzbar gemacht werden kann.<br />

Täter im Sinne des § 34 Abs. 1 AWG kann nämlich – wie oben dargelegt – nur sein, wer entweder selbst absichtlich<br />

den Gegenstand über die Grenze transportiert oder jedenfalls den Ausfuhrvorgang wirtschaftlich bestimmt. Beide<br />

Voraussetzungen stehen nicht notwendig in einem Zusammenhang zu der Frage, ob die vorgängige Verzollung den<br />

Beginn der Ausfuhrhandlung darstellt. Vielmehr konnte der Angeklagte überhaupt nur dann unmittelbar zur Tat<br />

ansetzen, wenn er selber Ausführer war. Insoweit ist die Frage des Versuchsbeginns der nach der Ausfuhrverantwortlichkeit<br />

logisch nachgelagert <strong>und</strong> bestimmt diese nicht.<br />

3. Hinsichtlich der Fälle 2, 3 <strong>und</strong> 7 liegt gleichfalls keine strafbare Handlung gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 1 AWG vor.<br />

a) Allerdings ist die S. GmbH, für die der Angeklagte als verantwortliches Organ gehandelt hat (§ 14 Abs. 1 Nr. 1<br />

StGB), hier direkt in den Ausfuhrprozess einbezogen gewesen.<br />

aa) In den Fällen 2 <strong>und</strong> 3 wurden die umgerüsteten Fahrzeuge auf Weisung des Angeklagten über die deutsche<br />

Staatsgrenze nach Bill<strong>und</strong> in Dänemark verbracht <strong>und</strong> von dort nach Afghanistan ausgeflogen. Damit ist der Ausfuhrtatbestand<br />

erfüllt, weil der Angeklagte durch einen Mitarbeiter die beiden Fahrzeuge tatsächlich körperlich über<br />

die Grenze in ein fremdes Wirtschaftsgebiet verbracht hat. Fremdes Wirtschaftsgebiet ist nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 AWG<br />

das nicht vom Geltungsbereich dieses Gesetzes umfasste Territorium. Der Senat kann dabei dahinstehen lassen, ob<br />

der Transport der in der Ausfuhrliste bezeichneten Güter nach Bill<strong>und</strong>/Dänemark, von wo aus die gepanzerten Fahrzeuge<br />

ausgeflogen wurden, als Ausfuhr anzusehen ist oder, weil dieses Ziel in einem anderen EU-Mitgliedstaat gelegen<br />

ist, nach der Terminologie der Ausfuhrverordnung (§ 4 Nr. 2 AWV) nur als Verbringung zu bezeichnen ist (so<br />

unter Hinweis auf § 7 AWV Schörner in Hohmann/John, Ausfuhrrecht 2002 § 5 Rdn. 7). Da die Kontrolle des Exports<br />

von Rüstungsgütern im Wesentlichen dem nationalen Gesetzgeber vorbehalten geblieben <strong>und</strong> nicht durch das<br />

vorrangige EU-Recht erfasst ist (Schörner aaO Rdn. 5), kommt dieser Unterscheidung hier keine Bedeutung zu.<br />

Auch die Verbringung der in Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste genannten Waren ist nämlich genehmigungspflichtig<br />

(§ 7 Abs. 1 AWV).<br />

bb) Eine Ausfuhr liegt auch im Fall 7 vor. Zwar wurden hier die umgerüsteten Fahrzeuge von Mitarbeitern des Angeklagten<br />

unmittelbar nicht in ein fremdes Wirtschaftsgebiet im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 2 AWG ausgeführt. Hier ist<br />

jedoch eine Ausfuhr dadurch erfolgt, dass der Angeklagte selbst die Spedition mit der Ausfuhr der umgerüsteten<br />

Fahrzeuge in den Irak beauftragt hat. Da der Spediteur insoweit nur unmittelbar Handelnder war, ist der Angeklagte<br />

als derjenige, der als Organ der S. GmbH den Speditionsauftrag mit der Maßgabe erteilt hat, die umgerüsteten Fahrzeuge<br />

nach Basra zu fliegen, Ausführer im Sinne des § 4c Nr. 1 AWV gewesen.<br />

b) Dies führt hier jedoch nicht zu einer Strafbarkeit, weil die Ausfuhr im Auftrag eines Mitgliedstaats der Europäischen<br />

Union zur Erledigung dienstlicher Aufgaben oder zur eigenen dienstlichen Verwendung erfolgte. Solche Ausfuhren<br />

sind nach § 19 Abs. 1 Nr. 8 AWV von der Genehmigungspflicht freigestellt.<br />

371


aa) Die jeweiligen Käufer der umgerüsteten Geländefahrzeuge waren solche Regierungsstellen im Sinne des § 19<br />

Abs. 1 Nr. 8 AWV. Dass diese Regierungsstellen sich im Rahmen der Beschaffung wiederum regierungsnaher –<br />

auch privater – Organisationen bedienten, ist unerheblich. Aus dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen, insbesondere<br />

auch im Blick auf die festgestellten Einsatzzwecke, entnimmt der Senat mit der notwendigen Eindeutigkeit,<br />

dass wirtschaftlicher Auftraggeber der entsprechenden Lieferungen die jeweilige britische Regierungsstelle war.<br />

bb) In den Fällen 2, 3 <strong>und</strong> 7, in denen der Angeklagte selbst als Ausführer anzusehen ist, liegt zugleich auch eine<br />

Ausfuhrhandlung der jeweiligen britischen Regierungsstelle vor. Dies ergibt sich in den Fällen 2 <strong>und</strong> 3 schon daraus,<br />

dass die britische Regierungsstelle für den Transport ab Bill<strong>und</strong>/Dänemark verantwortlich war. Insoweit liegt – da<br />

der Transportweg <strong>und</strong> der endgültige Bestimmungsort von vornherein abgesprochen <strong>und</strong> für den Verkäufer <strong>und</strong> den<br />

Käufer eindeutig waren – ein einheitlicher Transportvorgang vor. Deshalb ist das britische Zollamt in den Fällen 2<br />

<strong>und</strong> 3 gleichermaßen als Ausführer anzusehen. Dasselbe Ergebnis ergibt sich auch im Fall 7. Dort war gleichfalls das<br />

britische Außenministerium Ausführer. Zwar hatte der Angeklagte den Speditionsauftrag für die Verbringung der<br />

umgerüsteten Fahrzeuge in den Irak erteilt. Nach den Feststellungen wurde er aber vom britischen Außenministerium<br />

hierfür ergänzend beauftragt <strong>und</strong> mit 17.000 Euro pro Fahrzeug auch gesondert entlohnt (UA S. 18). Letztlich agierte<br />

der Angeklagte – bei einer rein faktischen Betrachtung – hier zugleich als Spediteur für den Käufer. Dem britischen<br />

Regierungsministerium allein oblag letztlich die Bestimmung, wann <strong>und</strong> wohin die Fahrzeuge transportiert werden<br />

sollten.<br />

cc) Soweit die britischen Regierungsstellen sich an der Ausfuhr beteiligt haben, wirkt die Befreiung von der Genehmigungspflicht<br />

umfassend. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Regierungsstelle eines europäischen Mitgliedstaats<br />

die wirtschaftliche Disposition über den Bestimmungsort der Lieferung obliegt. Die Befreiung von der Genehmigungspflicht<br />

findet ihren Gr<strong>und</strong> in erster Linie in dem Umstand, dass der Verordnungsgeber für den Export in diesen<br />

Fällen das Genehmigungsbedürfnis als gering erachtet hat (Balzer in Hohmann/John, aaO § 19 AWV Rdn. 1). Im<br />

Blick auf Regierungsstellen anderer EU-Mitgliedstaaten rechtfertigt sich die Befreiungspflicht ersichtlich aus dem<br />

besonderen Vertrauen, das die Regierungen der anderen EU-Mitgliedstaaten in Anspruch nehmen. Damit wäre es<br />

nicht vereinbar, diese wie einen gewöhnlichen Dritten einem Genehmigungserfordernis zu unterwerfen.<br />

dd) Die Befreiungsvorschrift ist vor dem Hintergr<strong>und</strong> ihres Normzwecks anzuwenden. Das bedeutet, dass immer<br />

dann, wenn die wesentliche wirtschaftliche Entscheidung über den Transport der an sich genehmigungspflichtigen<br />

Güter durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union getroffen wird, dies die Befreiung von der Genehmigungspflicht<br />

nach sich zieht. Derartige Fallkonstellationen können nicht anders gewürdigt werden, als wenn der Mitgliedstaat<br />

die Güter zunächst selber importiert <strong>und</strong> dann wieder ausgeführt hätte. Der direkte Export nach Afghanistan<br />

bzw. in den Irak diente lediglich der Abkürzung des Lieferwegs, mithin allein also der Zeitersparnis <strong>und</strong> dem Kosteninteresse<br />

des Käufers. Insoweit ist der Käufer auch der materielle Geschäftsherr des Ausfuhrvorgangs.<br />

ee) Entfällt die Genehmigungspflicht für den eigentlichen Geschäftsherrn, kann für andere Personen, die an dem<br />

Ausfuhrvorgang beteiligt sind, nichts anderes gelten. Die Genehmigungsfreiheit muss auch für sie wirken. Dies gilt<br />

jedenfalls dann, wenn die Regierungsstelle den Ausfuhrvorgang umfassend beherrscht, was Transportweg <strong>und</strong> Endziel<br />

anbelangt. Ist der Transport in seiner konkreten Ausgestaltung im Einverständnis mit der Regierungsstelle des<br />

EU-Mitgliedstaats durchgeführt worden, bedarf es für diesen Transportvorgang keiner Genehmigung, wenn er für die<br />

beteiligte Regierungsstelle genehmigungsfrei ist. Deshalb ist der zugr<strong>und</strong>e liegende Kaufvertrag auch nicht schwebend<br />

unwirksam (vgl. Just in Hohmann/John aaO § 31 AWG Rdn. 10 ff.), sondern uneingeschränkt zivilrechtlich<br />

wirksam, weil wegen der Privilegierung des Vertragspartners das Geschäft genehmigungsfrei ist. Der Fortbestand<br />

der Genehmigungspflicht für den Vertragspartner würde dem Zweck des Befreiungstatbestandes zuwiderlaufen.<br />

Denn auch derjenige, der für die britische Regierung tätig wird, muss sich auf deren besondere Integrität verlassen<br />

können. Der Zweck des Privilegierungstatbestandes gilt hier gleichermaßen. Wenn die Regierungsstelle eines anderen<br />

EU-Mitgliedstaats den direkten Transport in ein Drittland anweist, dann nimmt der EU-Mitgliedstaat mit dieser<br />

Anweisung seine eigene staatliche Autorität in Anspruch. Er genehmigt sie inzident. Diese Legitimation strahlt auch<br />

auf denjenigen aus, der die Weisung der Regierungsstelle des EU-Mitgliedstaats befolgt, weil aufgr<strong>und</strong> der Befreiung<br />

von dem Genehmigungs-vorbehalt die Regierungsstellen von EU-Mitgliedstaaten damit den inner-staatlichen<br />

Hoheitsträgern gleichgestellt sind. Die Befreiung von der Genehmigungspflicht, die andere Mitgliedstaaten der EU<br />

nach § 19 Abs. 1 Nr. 8 AWV genießen, führt dazu, dass der Ausfuhrvorgang jedenfalls insgesamt dann von der Genehmigungspflicht<br />

freigestellt ist, wenn die Ausfuhr auf Weisung des EU-Mitgliedstaats erfolgt. Dies verdeutlicht im<br />

Übrigen die nachfolgende Erwägung. Sähe man den Vorgang – wie das Landgericht <strong>und</strong> ihm insoweit folgend der<br />

Generalb<strong>und</strong>esanwalt – als genehmigungspflichtig an, ergäbe sich eine Strafbarkeit des Ausführenden. Dies hätte<br />

aber auch zur Folge, dass Mitarbeiter britischer Regierungsstellen sich als Teilnehmer an der Tat strafbar machen<br />

würden. Ein solches Ergebnis, das mit dem Zweck des Befreiungstatbestands nicht zu vereinbaren ist, wäre wider-<br />

372


sprüchlich <strong>und</strong> kaum verständlich. Es kann keinen Unterschied machen, ob die britischen Regierungsstellen unmittelbar<br />

selbst einen Spediteur damit betrauten, die umgerüsteten Fahrzeuge in das Drittland zu verbringen, oder ob<br />

dies der Angeklagte auf ihre Weisung hin tat.<br />

4. Bei dem Angeklagten kommt auch eine Strafbarkeit nach § 34 Abs. 3 AWG nicht in Betracht. Danach macht sich<br />

strafbar, wer in den Fällen des Absatzes 1 oder 2 die Ausfuhr dadurch fördert, dass er die auszuführende Ware zur<br />

Verfügung stellt. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift, die eine zur selbständigen Straftat erhobene Beihilfe umschreibt,<br />

sind hier ebenfalls nicht erfüllt. In sämtlichen Fällen wurde die Ausfuhr durch britische Regierungsstellen<br />

oder von ihnen beauftragten Speditionen durchgeführt. Es liegt damit wegen der fehlenden Genehmigungspflicht<br />

keine Haupttat nach § 34 Abs. 1 AWG vor. Eine Haupttat nach § 34 Abs. 2 AWG ist aus demselben Gr<strong>und</strong>e nicht<br />

gegeben, weil mangels einzuholender Genehmigung der Angeklagte schon nicht ordnungswidrig im Sinne der in §<br />

70 Abs. 1 AWV enthaltenen Regelungen gehandelt hat. Schließlich ist § 34 Abs. 4 AWG i.V.m. § 69e AWV a.F.<br />

nicht einschlägig, weil das Irak-Embargo zur Tatzeit bereits aufgehoben war.<br />

III. Die Revision der Verfallsbeteiligten ist gleichfalls begründet. Da keine Straftat vorliegt, scheidet die Anordnung<br />

des Verfalls aus.<br />

BtMG § 29 Einfuhr, Handeltreiben<br />

BGH, Beschl. vom 01.03.2007 – 3 StR 55/07<br />

Zwar wird bei § 29 BtMG (anders als bei § 30 BtMG) die Einfuhr vom umfassenden Merkmal des<br />

Handeltreibens verdrängt, wenn sich beide Tatmodalitäten auf die gleichen Betäubungsmittel beziehen.<br />

Etwas anderes gilt jedoch, wenn ein Teil des eingeführten Marihuanas dem Eigenverbrauch<br />

dienen sollte. Hinsichtlich dieses Teils stellt der Einkauf nicht Handeltreiben, sondern nur Erwerb<br />

von Betäubungsmitteln dar. Da der Erwerb die nachfolgende Einfuhr nicht umfasst <strong>und</strong> mit dieser<br />

anders als beim Handeltreiben keine Bewertungseinheit bildet, kann diese in Tateinheit verwirklicht<br />

werden <strong>und</strong> wiederum in Tateinheit mit dem Handeltreiben (in Bezug auf die zum Weiterverkauf<br />

bestimmte Teilmenge) stehen.<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> nach Anhörung des Beschwerdeführers<br />

am 1. März 2007 gemäß § 349 Abs. 2, § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO einstimmig beschlossen: Die<br />

Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 26. Oktober 2006 wird verworfen. Der<br />

Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Die Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

Ergänzend zu den Ausführungen des Generalb<strong>und</strong>esanwalts bemerkt der Senat:<br />

1. Soweit bei der Tat vom 23. Mai 2006 neben Handeltreiben nach § 29 BtMG auch eine tateinheitlich verwirklichte<br />

Einfuhr von Betäubungsmitteln angenommen worden ist, ist dies im Ergebnis zutreffend. Zwar wird bei § 29 BtMG<br />

(anders als bei § 30 BtMG) die Einfuhr vom umfassenden Merkmal des Handeltreibens verdrängt, wenn sich beide<br />

Tatmodalitäten auf die gleichen Betäubungsmittel beziehen (vgl. Weber, BtMG 2. Aufl. § 29 Rdn. 400 ff. m. w. N.).<br />

Hier besteht jedoch die Besonderheit, dass ein Teil des eingeführten Marihuanas dem Eigenverbrauch dienen sollte.<br />

Hinsichtlich dieses Teils stellt der Einkauf nicht Handeltreiben, sondern nur Erwerb von Betäubungsmitteln dar. Da<br />

der Erwerb die nachfolgende Einfuhr nicht umfasst <strong>und</strong> mit dieser anders als beim Handeltreiben keine Bewertungseinheit<br />

bildet, kann diese in Tateinheit verwirklicht werden <strong>und</strong> wiederum in Tateinheit mit dem Handeltreiben (in<br />

Bezug auf die zum Weiterverkauf bestimmte Teilmenge) stehen. Der Senat hat davon abgesehen, den Schuldspruch<br />

um den - tateinheitlich begangenen - Erwerb zu ergänzen, da der Angeklagte durch diese Unvollständigkeit nicht<br />

beschwert ist.<br />

2. Wie der Generalb<strong>und</strong>esanwalt dargelegt hat, sind die Voraussetzungen des § 31 Nr. 1 BtMG nicht erfüllt. Die<br />

Angaben des Angeklagten nach seiner Festnahme bezogen sich nur auf die Mittäter bei der vorausgehenden - ohnehin<br />

observierten - Fahrt vom 31. Mai 2006. Soweit die Revision auf weitergehende Angaben des Angeklagten in der<br />

Hauptverhandlung zu anderen Taten verweist, ergeben die Urteilsgründe nicht, dass mit ihnen ein Aufklärungserfolg<br />

verb<strong>und</strong>en war.<br />

373


3. Der Angeklagte ist nicht dadurch beschwert, dass die Strafkammer nicht schon bei der Prüfung, ob ein minder<br />

schwerer Fall der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gegeben ist, berücksichtigt hat, dass mit<br />

einem Teil der eingeführten Drogen gewerbsmäßig Handel getrieben werden sollte, <strong>und</strong> deshalb nicht den Strafrahmen<br />

des § 30 Abs. 1 BtMG, sondern den des § 29 Abs. 3 BtMG angewandt hat.<br />

BtMG § 029 - Abgrenzung von Täterschaft <strong>und</strong> Beihilfe bei Rauschgiftkurieren<br />

BGH, Beschl. vom 30.03.2007 – 2 StR 81/07<br />

Zur Abgrenzung von Täterschaft <strong>und</strong> Beihilfe bei Rauschgiftkurieren.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> nach Anhörung des Beschwerdeführers<br />

am 30. März 2007 gemäß § 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 StPO beschlossen:<br />

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 24. Oktober 2006 im<br />

Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer<br />

Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge<br />

schuldig ist.<br />

Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in<br />

Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe<br />

von vier Jahren verurteilt <strong>und</strong> sichergestelltes Rauschgift sowie Verpackungs-material eingezogen. Dagegen wendet<br />

sich die Revision des Angeklagten mit der Sachrüge.<br />

Das Rechtsmittel führt zu der aus dem Urteilstenor ersichtlichen Schuldspruchänderung, im Übrigen ist es unbegründet<br />

im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.<br />

I.<br />

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurden dem aus Nigeria stammenden Angeklagten, dem Inhaber einer<br />

kleinen Druckerei, von einem "Lambert" in Nigeria 3.000 englische Pf<strong>und</strong> Kurierlohn für einen Kokaintransport<br />

nach Deutschland in Aussicht gestellt. Der Angeklagte stimmte zu. In der Folgezeit wurde für ihn für den Zeitraum<br />

22. Mai bis 29. Mai 2006 in Bremen ein Hotelzimmer gebucht <strong>und</strong> der Angeklagte beantragte auf Kosten seines<br />

Auftraggebers für seine Person eine Reisekranken- <strong>und</strong> eine Unfallreiseversicherung. Darüber hinaus beantragte er<br />

für die Einreise nach Deutschland ein Visum <strong>und</strong> bezeichnete als einladendes Unternehmen eine in Bremen ansässige<br />

Papierhandelsgesellschaft, von der er zuvor ein Angebot für eine Papierlieferung eingeholt hatte. Diese Geschäftsbeziehung<br />

hatte er seinen Auftraggebern benannt, damit diese die Reiseroute zur Tarnung darauf abstellen<br />

konnten. Das ursprünglich für die Route Nigeria-Frankfurt-Amsterdam auf den Angeklagten für den 26. Mai 2006<br />

ausgestellte Lufthansaticket wurde auf den Zielort Bremen umgebucht.<br />

Vor seiner Abreise bezog er weisungsgemäß ein Hotelzimmer, wo er unter Aufsicht 100 Behältnisse mit einer Kokainmischung<br />

von insgesamt 997,5 g (766,6 g Kokainhydrochlorid) schluckte, bevor er zum Flughafen gebracht<br />

wurde, wo er von "Lambert" das Flugticket <strong>und</strong> 500 englische Pf<strong>und</strong> als Reisespesen erhielt. In Deutschland sollte er<br />

von Frankfurt nach Bremen weiterfliegen <strong>und</strong> das für ihn reservierte Hotel beziehen, aus dem er abgeholt werden<br />

sollte. Am 26. Mai 2006 wurde er bei der Einreise am Frankfurter Flughafen festgenommen.<br />

2. Das Landgericht hat die Kuriertätigkeit des Angeklagten (neben der tateinheitlich verwirklichten Einfuhr) als<br />

täterschaftliches Handeltreiben gewertet <strong>und</strong> dabei darauf abgestellt, dass der während des Transports nicht überwachte<br />

Angeklagte die alleinige Gewalt über das Kokain hatte <strong>und</strong> den konkreten Tatablauf sowie die Ausführungsmodalitäten<br />

weitgehend mitbestimmte.<br />

II. Die Annahme täterschaftlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hält rechtlicher<br />

Überprüfung nicht stand. Die Kuriertätigkeit des Angeklagten ist, soweit ihm Handeltreiben vorgeworfen worden ist,<br />

nur als Beihilfe zu werten.<br />

1. Zur Abgrenzung von Täterschaft <strong>und</strong> Beihilfe bei Rauschgiftkurieren:<br />

a) In der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs ist die Tätigkeit von Rauschgiftkurieren zunächst überwiegend als<br />

(mit-)täterschaftliches Handeltreiben angesehen worden (vgl. BGH NStZ 1983, 124; BGHR § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG<br />

Handeltreiben 36; BGH StV 1998, 596), wenn die Rolle des Kuriers nicht nur von ganz untergeordneter Bedeutung<br />

war (BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 9, 24, 36, 57; BGH NStZ-RR 1999, 24). Beihilfe wurde ledig-<br />

374


lich dann angenommen, wenn der Kurier keinen Einfluss auf die Bestimmung von Art <strong>und</strong> Menge des zu transportierenden<br />

Rauschgifts hatte, weder Zeit <strong>und</strong> Ort der Übernahme des Rauschgifts noch die Gestaltung des Transports<br />

mitbestimmen konnte <strong>und</strong> auch sonst mit dem An- <strong>und</strong> Verkauf des Rauschgifts nichts zu tun hatte (vgl. auch Senatsbeschlüsse<br />

vom 3. Mai 2006 - 2 StR 85/06; vom 13. Juli 2006 - 2 StR 199/06 <strong>und</strong> vom 25. Oktober 2006 - 2 StR<br />

359/06). Kuriere wurden, auch bei einer im Gesamtgefüge des Betäubungsmittelgeschäfts nur nachrangigen Tätigkeit,<br />

in der Regel schon deshalb als Täter angesehen, weil sie während des Transports faktische Zugriffsmöglichkeiten<br />

auf die Betäubungsmittel hatten. Damit verblieb für die Teilnahmeform der Beihilfe nur ein schmaler Anwendungsbereich.<br />

b) Dieser Tendenz zur Einschränkung der Beihilfe im Betäubungsmittel-strafrecht entgegenzuwirken, ist nach der<br />

Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen nicht durch Aufgabe des bisherigen Begriffs des Handeltreibens zu<br />

erreichen, sondern durch konsequente Anwendung der für die Abgrenzung zwischen Beteiligung an der eigenen Tat<br />

(als Täter) <strong>und</strong> Teilnahme an einer fremden Tat (als Gehilfe) entwickelten Regeln. In der neueren Rechtsprechung ist<br />

daher bei der Beurteilung von Kuriertätigkeit teilweise darauf abgestellt worden, ob ein Rauschgift-Transporteur<br />

auch in den Erwerb oder den späteren Absatz der Betäubungsmittel eingeb<strong>und</strong>en oder "lediglich" als Kurier eingesetzt<br />

war (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Mai 2006 - 3 StR 105/06; vom 23. Mai 2006 - 3 StR 119/06; vom 30. Mai<br />

2006 - 3 StR 126/06; vom 27. Juni 2006 - 3 StR 177/06; vom 7. September 2006 - 3 StR 277/06; vom 5. Dezember<br />

2006 - 3 StR 456/06; vom 14. Dezember 2006 - 4 StR 421/06; NStZ-RR 2006, 350). Der Senat würde allerdings<br />

einer Ansicht nicht folgen, wonach täterschaftliches Handeln nur dann vorliegt, wenn der Transporteur auch unmittelbar<br />

am Erwerb oder Absatz der Betäubungsmittel beteiligt ist.<br />

c) Nach neuester Rechtsprechung des Senats (vgl. Senatsurteil vom 28. Februar 2007 - 2 StR 516/06 - zur Veröffentlichung<br />

in BGHSt vorgesehen) muss vielmehr für eine zutreffende Einordnung der Beteiligung des Kuriers der jeweils<br />

konkrete Tatbeitrag für das Umsatzgeschäft insgesamt <strong>und</strong> nicht allein für den Teilbereich des Transports (von<br />

Betäubungsmitteln oder Geld) bewertet werden. Strafbar ist nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG das Handeltreiben mit<br />

Betäubungsmitteln, nicht - isoliert - das Transportieren derselben. Daher kommt es für die Annahme täterschaftlicher<br />

Verwirklichung dieses Tatbestands jedenfalls nicht allein oder entscheidend darauf an, welches Maß an Selbständigkeit<br />

<strong>und</strong> Tatherrschaft der Beteiligte hinsichtlich eines isolierten Teilakts des Umsatzgeschäfts innehat. Abzustellen<br />

ist vielmehr darauf, welche Bedeutung der konkreten Beteiligungshandlung im Rahmen des Gesamtgeschäfts zukommt.<br />

aa) Eine Gehilfenstellung ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Tathandlung sich auf den (Teil-)Transport<br />

von Rauschgift zwischen selbständig handelnden Lieferanten <strong>und</strong> Abnehmern oder innerhalb der Sphäre von Lieferanten-<br />

oder Abnehmer-Organisationen beschränkt <strong>und</strong> der Beteiligte nicht in der Lage ist, das Geschäft insgesamt<br />

maßgeblich mitzugestalten. Einer Tätigkeit als Kurier, die sich in bloßem Transport von Rauschgift erschöpft,<br />

kommt daher eine täterschaftliche Gestaltungsmöglichkeit in der Regel nicht zu; sie stellt zumeist eine (bloß) untergeordnete<br />

Hilfstätigkeit dar. Denn es geht dem reinen Kurier nicht in erster Linie um den Umsatz des Betäubungsmittels<br />

(Veräußerung an Abnehmer), sondern um die Entlohnung für seine Dienstleistung, nämlich um das Entgelt<br />

für den Transport des Betäubungsmittels von einem Ort zum anderen. Dabei kommt es nach Ansicht des Senats nicht<br />

darauf an, ob der Kurier ein erhebliches Honorar zu erwarten hat oder zeitweise faktische Verfügungsgewalt über das<br />

von ihm transportierte Rauschgift erlangt. Die als Beihilfe zu wertende Kuriertätigkeit zeichnet sich nämlich gerade<br />

dadurch aus, dass der Kurier in die hierarchische Organisation des Rauschgift-Umsatzes an unterer Stelle einzuordnen<br />

ist. Auch ein möglicher faktischer Handlungsspielraum während des Transports der Drogen kann von ihm dann<br />

in der Regel schon auf Gr<strong>und</strong> seiner finanziellen <strong>und</strong> meist auch persönlichen Abhängigkeit von den Hintermännern<br />

nicht zu eigener täterschaftlicher Einflussnahme ausgenutzt werden. Soweit der Senat in Einzelfällen in der Inkorporation<br />

von Rauschgift durch Kuriere die Begründung einer besonderen, zur Täterschaft führenden Verfügungsmacht<br />

gesehen hatte, hat er diese Rechtsprechung bereits im Senatsurteil vom 28. Februar 2007 - 2 StR 516/06 - nicht mehr<br />

aufrechterhalten.<br />

bb) Eine Bewertung von Transporttätigkeit als mittäterschaftliches Handeltreiben wird vor allem dann in Betracht<br />

kommen, wenn der Beteiligte erhebliche, über den reinen Transport hinausgehende Tätigkeiten entfaltet (vgl. etwa<br />

BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2006 - 4 StR 421/06 - Gründung von Exportgesellschaften für die Beförderung<br />

der Drogen), etwa am An- <strong>und</strong> Verkauf des Rauschgifts unmittelbar beteiligt ist oder sonst ein eigenes Interesse am<br />

weiteren Schicksal des Gesamtgeschäfts hat, weil er eine Beteiligung am Umsatz oder dem zu erzielenden Gewinn<br />

erhalten soll (BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 36). Auch eine Einbindung des Transporteurs in eine<br />

gleichberechtigt verabredete arbeitsteilige Durchführung des Umsatzgeschäfts spricht für die Annahme von Mittäterschaft,<br />

auch wenn seine konkrete Tätigkeit in diesem Rahmen auf die Beförderung der Drogen, von Kaufgeld oder<br />

Verkaufserlös beschränkt ist. Im Einzelfall kann auch eine weit gehende Einflussmöglichkeit des Transporteurs auf<br />

375


Art <strong>und</strong> Menge der zu transportierenden Drogen sowie auf die Gestaltung des Transports für eine über das übliche<br />

Maß reiner Kuriertätigkeit hinausgehende Beteiligung am Gesamtgeschäft sprechen.<br />

2. Unter Zugr<strong>und</strong>elegung dieser Kriterien hat der Angeklagte, der nur als Transporteur des Kokains von Nigeria nach<br />

Deutschland eingeschaltet war <strong>und</strong> dem - auch wenn durch sein Zutun der Transportweg geringfügig modifiziert<br />

wurde - auf den Einfluss des Rauschgiftgeschäfts als solchem keine Einflussmöglichkeit zukam, lediglich Beihilfe<br />

zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln geleistet. Der gleichzeitige Besitz tritt gegenüber der verbotenen<br />

Einfuhr zurück (BGHSt 25, 285). Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert.<br />

3. Der Strafausspruch kann auch nach der Änderung des Schuldspruchs bestehen bleiben. Der Senat schließt aus,<br />

dass die Strafe auf der rechtsfehlerhaften Annahme eines täterschaftlichen Handeltreibens beruht. Das Landgericht<br />

hat die Strafe dem Strafrahmen des § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG entnommen, im Übrigen hat es strafmildernd berücksichtigt,<br />

dass der Angeklagte lediglich eine untergeordnete Tätigkeit im Rahmen des organisierten Systems ausgeübt<br />

hat.<br />

BtMG § 29 Handeltreiben Tateinheit bei einheitlichem Zahlungsvorgang<br />

BGH, Beschl. vom 19.06.2007 – 1 StR 105/07<br />

Ein einheitlicher Zahlungsvorgang kann Rauschgifthandelsgeschäfte zu einer Tat im Rechtssinne<br />

nur verbinden, wenn Abnehmer <strong>und</strong> Lieferant jeweils dieselben sind.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 19. Juni 2007 beschlossen:<br />

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Ansbach vom 23. November 2006 wird als unbegründet<br />

verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum<br />

Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels<br />

zu tragen. Ergänzend bemerkt der Senat zum Strafklageverbrauch:<br />

Das Revisionsgericht ist auch an die Feststellungen des Tatrichters zu Tatzeit <strong>und</strong> Modalitäten der Zahlungen - insbesondere<br />

Zahlbetrag, Zahlungszweck <strong>und</strong> Zeitpunkt der Zahlungen - geb<strong>und</strong>en, da es sich hierbei um doppelrelevante<br />

Tatsachen handelt (vgl. BGH StV 2001, 174, 175; Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 337 Rdn. 35;<br />

Herdegen in KK 5. Aufl. § 244 Rdn. 8; Widmaier in Festschrift für Hanack S. 387, 391). Danach erfolgte die Zahlung<br />

im Fall 3 der Urteilsgründe des Urteils des Amtsgerichts Nürnberg vom 5. Oktober 2004 per Postüberweisung,<br />

<strong>und</strong> zwar als Gegenleistung ("dafür") für die Beschaffung von 100 g Amphetamin. Im Fall II. 2 des angefochtenen<br />

Urteils erfolgte lediglich eine Teilzahlung von 600 € per Überweisung durch W. U. , <strong>und</strong> zwar auf den hier abgeurteilten<br />

Verkauf von 2 kg Amphetamin. Schon deshalb liegt keine Tatidentität vor. Aber selbst wenn man den urteilsfremden<br />

Erwägungen der Revision zu einem anderen Sachverhalt folgen würde, wäre ein Strafklageverbrauch nicht<br />

eingetreten. Auch bei Zugr<strong>und</strong>elegung der Auffassung, ein einheitlicher Zahlungsvorgang könne Rauschgifthandelsgeschäfte<br />

zu einer Tat im Rechtssinne verbinden, setzt dies die Identität von Abnehmer <strong>und</strong> Lieferant voraus. Selbst<br />

wenn durch eine der drei, von der Revision vorgetragenen Überweisungen im Mai bzw. Juni 2003 durch W. U. der<br />

Kaufpreis im Fall 2 des Urteils des Amtsgerichts Nürnberg <strong>und</strong> ein Teilkaufpreis im Fall II. 2 des hiesigen Verfahrens<br />

beglichen worden sein sollte, so führte dies nicht zu einer tateinheitlichen Verbindung. Lieferant in der vom<br />

Amtsgericht Nürnberg abgeurteilten Tat war K. T. (K. ), hier dagegen E. . Letzterer war bei der vom Amtsgericht<br />

Nürnberg abgeurteilten Tat lediglich Vermittler <strong>und</strong> hat die Zahlung auf fremde Rechnung zur Weiterleitung an den<br />

Lieferanten erhalten. Im Übrigen erfolgte die Zahlung auf die vom Amtsgericht Nürnberg abgeurteilte Tat im Fall II.<br />

2 nach den Feststellungen einige Wochen nach Ende Dezember 2002. Dieser festgestellte Zahlungszeitraum ist mit<br />

Überweisungen im Mai bzw. Juni 2003 nicht in Einklang zu bringen.<br />

376


BtMG § 29 Natur des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln<br />

BGH, Beschl. vom 24.10.2006 – 3 StR 392/06<br />

Die Natur des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln als eines unechten Unterlassungsdelikts <strong>und</strong><br />

mithin der Umstand, dass als vollendetes Handeltreiben auch solche Handlungen bestraft werden,<br />

bei denen es sich qualitativ um einen Versuch des Delikts handelt, darf bei der Beurteilung der<br />

Strafbarkeit von Teilnehmern nicht aus dem Blick geraten. Vielmehr müssen, wenn das Handeltreiben<br />

mit Betäubungsmitteln als ein unechtes Unternehmensdelikt ausgestaltet wird, die dargestellten<br />

Gr<strong>und</strong>sätze der Teilnahmestrafbarkeit entsprechend angewandt werden. Demgemäß kann<br />

derjenige, der sich durch Anstiftungs- <strong>und</strong> Gehilfenhandlungen vorsätzlich an Handlungen eines<br />

anderen beteiligt, die sich - wegen des weiteren Begriffs des Tatbestandsmerkmals - formell als vollendetes<br />

Handeltreiben darstellen, ihrer Qualität nach aber Versuchshandlungen sind, nur dann<br />

wegen Teilnahme bestraft werden, wenn er sich - jedenfalls mit bedingtem Vorsatz - vorstellt, dass<br />

es zu dem in Rede stehenden Betäubungsmittelumsatz kommt.<br />

Der 3. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers <strong>und</strong> des Generalb<strong>und</strong>esanwalts<br />

- zu 2. auf dessen Antrag - am 24. Oktober 2006 gemäß § 349 Abs. 2 <strong>und</strong> 4 StPO einstimmig beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 21. Juni 2006 im Schuldspruch<br />

dahin geändert, dass der Angeklagte wegen Abgabe von Betäubungsmitteln verurteilt wird.<br />

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer<br />

Menge zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt. Die Revision des Angeklagten rügt mit Einzelbeanstandungen<br />

die Verletzung materiellen Rechts. Sie hat teilweise Erfolg.<br />

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts vermittelte der Angeklagte dem Mitangeklagten J. , der ihn zuvor<br />

einmal nach Geschäften mit Heroin gefragt hatte, den Eindruck, er könne ihm innerhalb kurzer Zeit eine größere<br />

Menge Heroin liefern; tatsächlich war er dazu nicht in der Lage; er wollte damit dem Mitangeklagten, über den er<br />

verärgert war, "eins auswischen", nachdem dieser ihm ein tatsächlich <strong>und</strong>urchführbares größeres Geschäft über Kupferschrott<br />

angedient hatte, auf das er, der Angeklagte, sich zu seinem Schaden eingelassen hatte. Der Mitangeklagte<br />

J. versuchte dann in der Hoffnung auf eine Provision, Großabnehmer für Heroin zu finden. Bei seinen Bemühungen<br />

geriet er an einen Scheinaufkäufer der Polizei. Zur Kontaktaufnahme ließ er dem Kaufinteressenten eine<br />

Probe von ca. 1,29 g Heroingemisch übergeben. Diese Probe hatte er von dem Angeklagten erhalten. Bei einem<br />

Treffen mit dem vermeintlichen Käufer Anfang Dezember 2005, zu dem ihn der Angeklagte begleitet hatte, bot der<br />

Mitangeklagte die Lieferung von 8 kg Heroin noch vor Jahresende <strong>und</strong> weiterer 15 kg im folgenden Jahr an. Die<br />

Verhandlungen scheiterten, weil der Angeklagte dem Mitangeklagten auf dessen mehrfaches Verlangen nicht die<br />

vom Käufer verlangte weitere Probe von 50 g Heroin zur Verfügung stellte. Dazu war der Angeklagte, der nicht über<br />

die erforderlichen Kontakte zum Drogenmilieu verfügte, auch nicht in der Lage. Zu den Vorstellungen des Angeklagten<br />

hinsichtlich der Absatzbemühungen des Mitangeklagten J. hat das Landgericht festgestellt: Der Angeklagte<br />

wusste bei der Übergabe der Probe von 1,29 g, "dass er damit den Mitangeklagten J. bei dessen Bemühungen,<br />

ein Heroingeschäft abzuwickeln, unterstützte. Er ging zwar weiter davon aus, dass es für den Angeklagten J.<br />

keine Möglichkeit gab, dieses Geschäft zu realisieren, da er selbst über keinerlei Liefermöglichkeiten verfügte <strong>und</strong> er<br />

offenbar die einzige Bezugsquelle des J. war. Er wusste aber auch, dass die Verkaufsverhandlungen des Angeklagten<br />

J. mit dem potentiellen Käufer immer konkreter wurden <strong>und</strong> insbesondere, dass in Hannover am<br />

8.12.2005 die Übergabe einer Probe von 50 g im Vorlauf für ein Geschäft im Kilobereich stattfinden sollte. ... Es<br />

kam dem Angeklagten zwar darauf an, dass diese Verkaufsverhandlungen <strong>und</strong> die Probenübergabe im Ergebnis<br />

scheitern, zugleich sollten die Verhandlungen aber zunächst stattfinden, weil J. eine ähnliche Erfahrung machen<br />

sollte, wie er sie mit dem geplatzten Kupfergeschäft machen musste."<br />

2. Auf der Gr<strong>und</strong>lage dieser - rechtsfehlerfrei getroffenen - Feststellungen kann die Verurteilung des Angeklagten<br />

wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge keinen Bestand haben.<br />

377


a) Allerdings hat sich der Mitangeklagte, wie das Landgericht zu Recht angenommen hat, durch die Verhandlungen<br />

mit dem Scheinaufkäufer <strong>und</strong> sein Angebot, diesem 8 kg Heroin zu liefern, des vollendeten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln<br />

in nicht geringer Menge schuldig gemacht. Dem steht nicht entgegen, dass ein Umsatz von Betäubungsmitteln<br />

mangels Beschaffungs- <strong>und</strong> Liefermöglichkeiten des Mitangeklagten nach den festgestellten Umständen<br />

weder stattgef<strong>und</strong>en noch unmittelbar bevorgestanden hat. Entscheidend ist allein, dass der Mitangeklagte eine<br />

eigennützige, auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit entfaltet hat. Damit hat er, nachdem sich<br />

die Verhandlungen auf eine in unmittelbarer Zukunft zu liefernde Menge von 8 kg Heroin konkretisiert hatten, nach<br />

dem weiten Begriff des Handeltreibens, der dem Betäubungsmittelstrafrecht zugr<strong>und</strong>e liegt (st. Rspr.; zuletzt BGHSt<br />

50, 252, 256), den Tatbestand des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29 a Abs. 1 Nr.<br />

2 BtMG) vollendet.<br />

b) Die Voraussetzungen für eine Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe - oder (möglicherweise näherliegend)<br />

Anstiftung - zu dieser Tat, liegen aber nicht vor.<br />

aa) Der Angeklagte hat zwar die Tat des Mitangeklagten - das Führen der Verhandlungen <strong>und</strong> die Abgabe des Angebots<br />

über die Lieferung von 8 kg Heroin - objektiv gefördert, wie das Landgericht angenommen hat (wenn er diesen<br />

nicht sogar zu der Tat im Sinne des § 26 StGB als Anstifter bestimmt hat). Auch hat er gewusst, dass der Mitangeklagte<br />

Bemühungen entfalten würde, um den Absatz zu organisieren. Damit hat er die Kenntnis der Umstände gehabt,<br />

die nach dem weiten Begriff des Handeltreibens zum gesetzlichen Tatbestand des § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG<br />

gehören (§ 16 StGB).<br />

bb) Allein darauf die Annahme des Teilnahmevorsatzes zu stützen, wie es die Strafkammer - freilich ohne nähere<br />

Begründung - getan hat, würde indes zu kurz greifen <strong>und</strong> zu einer vom Gesetz nicht gewollten Ausweitung der Strafbarkeit<br />

führen: Im Rahmen der Teilnahmelehre ist anerkannt, dass sich der Vorsatz des Anstifters oder Gehilfen in<br />

jedem Fall auf eine vollendete Haupt- tat erstrecken muss (Hoyer in SK-StGB vor § 26 Rdn. 59 m. w. N.). Wenn die<br />

Haupttat objektiv nicht über das Versuchsstadium hinausgelangt, genügt für die Annahme einer strafbaren Beteiligung<br />

an dieser versuchten Tat dementsprechend nicht, dass der Teilnehmer den Vorsatz hatte, dass es durch seine<br />

Anstiftungs- oder Unterstützungshandlung jedenfalls zu dem tatsächlich begangen Versuch kommen wird. Vielmehr<br />

kommt eine strafbare Teilnahme erst in Betracht, wenn er eine vollendete Tat angestrebt hat oder - zumindest mit<br />

bedingtem Vorsatz - von einer Vollendung ausgegangen ist. Ausgehend von dem weiten Begriff dieses Tatbestandsmerkmals<br />

stellt das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln ein sogenanntes unechtes Unternehmensdelikt dar. Als<br />

vollendetes Handeltreiben werden nicht nur die Handlungen abgeurteilt, die den Umsatz der Betäubungsmittel bewirken<br />

<strong>und</strong> damit unmittelbar den Erfolg herbeiführen, dessen Verhinderung - wegen seiner Gefährlichkeit für die<br />

vom Betäubungsmittelstrafrecht geschützten Rechtsgüter - der Zweck des Tatbestands ist. Gleichermaßen als vollendete<br />

Delikte werden vielmehr auch die Tätigkeiten erfasst, die dem Güterumsatz vorgelagert sind <strong>und</strong> - gemessen an<br />

diesem Erfolg - der Sache nach eigentlich als Vorbereitungs- oder Versuchshandlungen einzuordnen wären. Diese<br />

Natur des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln als eines unechten Unterlassungsdelikts <strong>und</strong> mithin der Umstand,<br />

dass als vollendetes Handeltreiben auch solche Handlungen bestraft werden, bei denen es sich qualitativ um einen<br />

Versuch des Delikts handelt, darf bei der Beurteilung der Strafbarkeit von Teilnehmern nicht aus dem Blick geraten.<br />

Vielmehr müssen, wenn das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln als ein unechtes Unternehmensdelikt ausgestaltet<br />

wird, die dargestellten Gr<strong>und</strong>sätze der Teilnahmestrafbarkeit entsprechend angewandt werden. Demgemäß kann<br />

derjenige, der sich durch Anstiftungs- oder Gehilfenhandlungen vorsätzlich an Handlungen eines anderen beteiligt,<br />

die sich - wegen des weiteren Begriffs des Tatbestandsmerkmals - formell als vollendetes Handeltreiben darstellen,<br />

ihrer Qualität nach aber Versuchshandlungen sind, nur dann wegen Teilnahme bestraft werden, wenn er sich - jedenfalls<br />

mit bedingtem Vorsatz - vorstellt, dass es zu dem in Rede stehenden Betäubungsmittelumsatz kommt. Wollte<br />

man anders entscheiden, so hätte die weite Auslegung des Begriffs des Handeltreibens, die - nicht zuletzt aus kriminalpolitischen<br />

Gesichtspunkten (BGHSt 50, 252, 261) - für den Täter in erster Linie zu einer Verschiebung der Grenze<br />

zwischen strafbarer Vollendung <strong>und</strong> (nach dem Gesetz ebenfalls) strafbarem Versuch in Richtung der Annahme<br />

vollendeter Taten führt, für den Teilnehmer eine nicht gewollte Ausweitung der Strafbarkeit zur Folge. Diese restriktive<br />

Anwendung der Teilnahmevorschriften in Fällen der Anstiftung oder Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln<br />

ist im Übrigen auch zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen im Hinblick auf die Beschränkungen<br />

der Strafbarkeit wegen täterschaftlichen Handeltreibens geboten: Wer Verhandlungen über den An- oder Verkauf<br />

von Betäubungsmitteln führt, kann, auch wenn diese Verhandlungen den Eindruck erwecken, ernst gemeint zu sein,<br />

nicht als Täter des Handeltreibens bestraft werden, falls er das Geschäft in Wirklichkeit nicht abwickeln will; in<br />

solchen Fällen fehlt es nämlich an einem Tun, das - wie erforderlich - (subjektiv) auf den Umsatz von Betäubungsmitteln<br />

gerichtet ist. Im Hinblick darauf kann sich aber auch nicht wegen Beihilfe strafbar machen, wer als Hintermann<br />

solche Verhandlungen in dem Wissen unterstützt, dass es zu einem Güterumsatz nicht kommen kann.<br />

378


3. Der Angeklagte ist nach allem nicht der Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln schuldig. Er hat sich<br />

aber dadurch, dass er dem Mitangeklagten eine Probe mit ca. 0,18 g HHC übergeben hat, wegen Abgabe von Betäubungsmitteln<br />

(§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG) strafbar gemacht. Hinter dieser Begehungsweise tritt der gegebenenfalls<br />

zugleich verwirklichte Besitz (§ 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG) zurück (Weber, BtMG 2. Aufl. § 29 Rdn. 904). Der<br />

Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert. § 265 StPO steht nicht entgegen, da sich der Angeklagten hiergegen<br />

nicht anders hätte verteidigen können. Der Strafausspruch bleibt unberührt. Die verhängte Geldstrafe ist angemessen<br />

im Sinne von § 354 Abs. 1 a StPO, zumal der Angeklagte den Mitangeklagten - wenn auch unter dem<br />

Aspekt der Teilnahme in nicht strafbarer Weise - durch die Heroinprobe weiter in das "Geschäft" verstrickt hat.<br />

4. Im Hinblick auf den nur geringen Teilerfolg der Revision ist es nicht unbillig, den Beschwerdeführer mit den<br />

gesamten Kosten <strong>und</strong> Auslagen seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 1 <strong>und</strong> 4 StPO).<br />

BtMG § 29, 30, 31 – Handeltreiben.<br />

BGH, Beschl. vom 10.10.2006 - 1 StR 377/06<br />

Ein Handeltreiben mit Betäubungsmitteln liegt noch nicht vor, wenn die Beteiligten auf der (potentiellen)<br />

Käuferseite ihr Verhalten für den Fall der Aufnahme <strong>und</strong> des Erfolges der geplanten Verhandlungen<br />

mit einem (potentiellen) Verkäufer schon abgestimmt haben. Es fehlt in einem solchen<br />

Fall zwar nicht an der Konkretisierung der beabsichtigten Tat, wohl aber an der Konkretisierung<br />

hinsichtlich der Aufnahme von Verhandlungen zwischen (potentieller) Verkäufer- <strong>und</strong> (potentieller)<br />

Käuferseite, die für den Tatbestand des Handeltreibens kennzeichnend sind.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 10. Oktober 2006 beschlossen:<br />

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 9. Februar 2006 aufgehoben<br />

a) im Fall II 2 g der Urteilsgründe; insoweit wird der Angeklagte freigesprochen;<br />

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die<br />

Gesamtstrafe gemäß §§ 460, 462 StPO zu treffen ist.<br />

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.<br />

3. Der Angeklagte ist damit schuldig des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge,<br />

des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 14 Fällen <strong>und</strong> des unerlaubten Erwerbs<br />

von Betäubungsmitteln.<br />

4. Soweit der Angeklagte freigesprochen wurde, hat die Staatskasse die Kosten des Verfahrens <strong>und</strong> die notwendigen<br />

Auslagen des Angeklagten zu tragen. Über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels ist zugleich mit der Entscheidung<br />

über die Gesamtstrafe zu befinden.<br />

Gründe:<br />

Der Angeklagte wurde wegen zwei Fällen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, 14<br />

Fällen des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge <strong>und</strong> einem Fall des Erwerbs von Betäubungsmitteln<br />

zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren <strong>und</strong> neun Monaten verurteilt. Seine auf die näher ausgeführte<br />

Sachrüge gestützte Revision hat hinsichtlich einer Verurteilung wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in<br />

nicht geringer Menge (Fall II 2 g der Urteilsgründe = Fall 6 der Anklage) Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Insoweit hat<br />

der Senat, wie auch von der Generalb<strong>und</strong>esanwältin beantragt, den Angeklagten freigesprochen (§ 354 Abs. 1 StPO).<br />

Mit dem Wegfall der hierfür ausgeworfenen Einzelstrafe entfällt zugleich die Gesamtstrafe (§ 349 Abs. 4 StPO). Im<br />

Übrigen bleibt die Revision erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).<br />

I.<br />

1. Der Angeklagte konsumierte jedenfalls ab 1997/98 bis 2003 <strong>und</strong> wieder ab 2004 regelmäßig Kokain, „1 bis maximal<br />

2mal wöchentlich in sich steigernder Dosierung, ab 2001/2002 2-3 g, gelegentlich auch 5 g“. Die Strafkammer<br />

hat festgestellt, dass er zwischen 1998 <strong>und</strong> 2004 regelmäßig jedenfalls in 15 Fällen Kokain erworben hat, einmal 3 g,<br />

sonst zwischen 10 g <strong>und</strong> 100 g, oft 50 g, so allein im Frühjahr 2001 innerhalb von maximal vier Wochen vier Mal. In<br />

diesen Fällen konnte die Strafkammer Zweifel daran, dass dieses Kokain auch zum Weiterverkauf bestimmt war,<br />

nicht über-winden, selbst nicht insoweit, als der Angeklagte innerhalb von höchstens vier Wochen bei einem maximalen<br />

wöchentlichen Eigenverbrauch von 10 g insgesamt 200 g kaufte. Sie verkennt zwar nicht, dass die Umstände<br />

379


des Falles auf die Absicht gewinnbringender Weiterveräußerung hindeuten. Konkrete Umstände, die gegen diese<br />

Annahme sprechen könnten, führt sie nicht an. Sie hält jedoch die getroffenen Feststellungen für nicht tragfähig<br />

genug, um auf die genannte Absicht schließen zu können.<br />

2. Der Senat braucht der Frage, ob die genannten Erwägungen der Strafkammer die Anforderungen an die richterliche<br />

Überzeugungsbildung überspannt haben könnten (vgl. Körner BtMG 5. Aufl. § 29 Rdn. 282, 284 m. w. N.),<br />

nicht näher nachzugehen, weil der Angeklagte hierdurch nicht beschwert sein kann. Den Angeklagten beschwerende<br />

Rechtsfehler sind hinsichtlich des Schuldspruchs in allen diesen Fällen nicht zu erkennen, wie dies auch die Generalb<strong>und</strong>esanwältin<br />

zutreffend ausgeführt hat.<br />

II. Ebenso hält der Schuldspruch rechtlicher Überprüfung stand, soweit der Angeklagte im Fall II 2 e der Urteilsgründe<br />

wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt wurde.<br />

1. Hier war der Angeklagte mit weiteren Tatbeteiligten, darunter C. C. , der in großem Umfang mit Rauschgift handelte,<br />

2001 nach Hamburg gefahren <strong>und</strong> war nach einem gemeinsamen Probekauf über Kokain im Wert von insgesamt<br />

fast 1.000.- DM mit einem Rauschgifthändler über den Erwerb von 500 g Kokain für 40.000.- DM „handelseinig“<br />

geworden. Aus nicht näher mitgeteilten Gründen sagte der Angeklagte dieses Geschäft allerdings später wieder<br />

ab.<br />

2. Unter Berufung auf die Beweiswürdigung der Strafkammer in den geschilderten Fällen, in denen der Angeklagte<br />

nicht wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt wurde, hält die Revision die Urteilsgründe im Fall II 2<br />

e für lückenhaft. Sie vermisst die Erörterung der Möglichkeit, dass es dem Angeklagten auch in diesem Fall nicht um<br />

Weiterverkauf ging. Darüber hinaus habe die Strafkammer nicht einmal ausdrücklich festgestellt, dass es dem Angeklagten<br />

überhaupt darum ging, diese 500 g (gewinnbringend) umzusetzen, obwohl sie diese Annahme ihrem Schuldspruch<br />

wegen Handeltreibens offenbar zu Gr<strong>und</strong>e gelegt habe.<br />

3. Der Senat sieht keinen Rechtsfehler. Der Angeklagte hatte 1996 die eidesstattliche Versicherung abgegeben. 2003<br />

wurde hinsichtlich der von ihm beantragten Restschuldbefreiung das Insolvenzverfahren eröffnet. Seine Schulden<br />

beliefen sich auf mindestens 80.000.- Euro. Unter Berücksichtigung dieser <strong>und</strong> aller sonstiger Umstände des Falles<br />

erscheint es auch unter Beachtung der Zweifel der Strafkammer in den anderen Fällen nicht als nahe liegende <strong>und</strong><br />

deshalb erörterungsbedürftige Möglichkeit, dass der Angeklagte 2001 für 40.000.- DM Kokain kaufen wollte, um<br />

seinen Eigenbedarf für mindestens jedenfalls r<strong>und</strong> ein Jahr im Voraus zu decken, oder dass es ihm aus - wie auch<br />

immer beschaffenen - sonstigen Gründen nicht um gewinnbringenden Weiterverkauf ging (vgl. auch BGH StraFo<br />

2004, 180 m. w. N.).<br />

III. Keinen Bestand haben kann dagegen der Schuldspruch wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht<br />

geringer Menge im Fall II 2 g der Urteilsgründe.<br />

1. Gegenstand der Verurteilung sind Verhandlungen, die der Angeklagte insbesondere mit H. C. über den Erwerb<br />

großer Mengen von Kokain in Kolumbien geführt hatte. C. sollte als Finanzier die Kaufgelder bereitstellen, der Angeklagte<br />

zusammen mit einem Kurier das Rauschgift in Kolumbien beschaffen. Der Angeklagte <strong>und</strong> C. hatten Ende<br />

2004 vereinbart, dass sie gemeinsam im Januar 2005 nach Kolumbien fliegen wollten, „um sich die Sache anzusehen,<br />

insbesondere die Lieferanten kennen zu lernen“. Hierzu kam es nicht, nachdem sich der Angeklagte, so die<br />

Feststellung der Strafkammer, nach einem Gespräch mit seiner Schwester anders besonnen <strong>und</strong> dies C. mitgeteilt<br />

hatte. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte zuvor in Verfolgung des geschilderten Tatplans mit der Verkäuferseite<br />

in Kolumbien Kontakt aufgenommen hätte oder gar mit ihr in ernsthafte Verhandlungen eingetreten sei, sind<br />

nicht ersichtlich.<br />

2. Revision <strong>und</strong> Generalb<strong>und</strong>esanwältin legen im Wesentlichen übereinstimmend zutreffend dar, dass diese Feststellungen<br />

eine Verurteilung wegen (vollendeten oder auch nur versuchten) Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nicht<br />

tragen. Zwar ist der Tatbestand des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln schon dann erfüllt, wenn der Täter bei<br />

einem beabsichtigten Ankauf von zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmten Betäubungsmitteln in ernsthafte<br />

Verhandlungen mit dem potentiellen Verkäufer eintritt (BGHSt 50, 252 - Großer Senat -). Hier waren die Verhandlungen<br />

aber nur innerhalb der (potentiellen) Käuferseite geführt, es ging darum, wie mit einem künftigen Verkäufer<br />

in Kontakt zu treten sei, welche Mengen gekauft werden sollten, wie der Kauf zu finanzieren sei, <strong>und</strong> von<br />

wem das Rauschgift im Falle des Kaufes zu transportieren sei. Einen Kontakt mit einem (potentiellen) Verkäufer gab<br />

es dagegen noch nicht. In einem solchen Fall liegt auch dann noch kein Handeltreiben vor, wenn die Beteiligten auf<br />

der (potentiellen) Käuferseite ihr Verhalten für den Fall der Aufnahme <strong>und</strong> des Erfolges der geplanten Verhandlungen<br />

mit einem (potentiellen) Verkäufer schon abgestimmt haben. Es fehlt in einem solchen Fall zwar nicht an jeder<br />

Konkretisierung der beabsichtigten Tat (vgl. hierzu BGH aaO 265 f. m. w. N.), wohl aber an der Konkretisierung<br />

hinsichtlich der Aufnahme von Verhandlungen zwischen (potentieller) Verkäufer- <strong>und</strong> (potentieller) Käuferseite, die<br />

für den Tatbestand des Handeltreibens kennzeichnend sind.<br />

380


3. Freilich haben der Angeklagte <strong>und</strong> C. , durch ihren gemeinsamen Plan, große Mengen Rauschgift einzukaufen, die<br />

Begehung eines Verbrechens verabredet (§ 30 Abs. 2 StGB). Wie die Revision <strong>und</strong> die Generalb<strong>und</strong>esanwältin übereinstimmend<br />

darlegen, ist der Angeklagte hiervon jedoch zurückgetreten. Die Generalb<strong>und</strong>esanwältin hat hierzu im<br />

Einzelnen ausgeführt: „ … der Angeklagte (hat) die Tat jedoch verhindert, indem er C. erklärte, von dem geplanten<br />

Geschäft Abstand zu nehmen. Aus den … Feststellungen ergibt sich …, dass der vom Angeklagten nunmehr verweigerte<br />

Tatbeitrag (Schaffen der Kontakte nach Kolumbien) unerlässliche Voraussetzung für die Durchführung der Tat<br />

gewesen wäre. Anhaltspunkte dafür, dass … C. auf Gr<strong>und</strong> ihm vom Angeklagten bereits erteilter Detailinformationen<br />

in der Lage gewesen wäre, die Rauschgiftgeschäfte in eigener Regie durchzuführen, enthält das Urteil nicht.<br />

Weiß der Zurücktretende, dass die Tat ohne ihn gar nicht begangen werden kann, genügt für einen Rücktritt nach §<br />

31 Abs. 1 Nr. 3 StGB bloßes Untätigbleiben (vgl. Joecks in MünchKomm StGB § 31 Rdn. 21; Roxin in LK StGB<br />

11. Aufl. § 31 Rdn. 20; Lackner/Kühl StGB 25. Aufl. § 31 Rdn. 5 jew. m. RsprNachw).“ Dem stimmt der Senat zu<br />

(vgl. auch BGHSt 32,133; BGH NStZ 1999, 395, 396).<br />

4. Der Senat kann keine Anhaltspunkte dafür erkennen, dass ein neuer Tatrichter zu diesem Komplex noch Feststellungen<br />

treffen könnte, die eine Verurteilung des Angeklagten tragen könnten. Entsprechend auch dem Antrag der<br />

Generalb<strong>und</strong>esanwältin spricht der Senat daher den Angeklagten im Punkt II 2 g der Urteilsgründe (= Fall 6 der<br />

Anklage) frei (§ 354 Abs. 1 StPO).<br />

IV.<br />

Zu den Strafaussprüchen:<br />

1. Der Freispruch im Fall II 2 g der Urteilsgründe führt zum Wegfall der hierfür verhängten Einzelstrafe von vier<br />

Jahren, der Einsatzstrafe, <strong>und</strong> damit zugleich zum Wegfall der Gesamtstrafe.<br />

2. Die übrigen Einzelstrafen können bestehen bleiben.<br />

a) Für sich genommen enthalten sie keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten. Auch insoweit teilt der Senat<br />

die auch durch die Erwiderung der Revision (§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO) nicht entkräftete Auffassung der Generalb<strong>und</strong>esanwältin.<br />

b) Der Senat hat erwogen, ob der Wegfall der Strafe im Fall II 2 g der Urteilsgründe gleichwohl zur Aufhebung der<br />

übrigen Einzelstrafen führen kann. Dies kann insbesondere in Betracht kommen, wenn die höchste Einzelstrafe<br />

(Einsatzstrafe) keinen Bestand haben kann oder wenn sämtliche abgeurteilte Taten in einem engen inneren Zusammenhang<br />

stehen (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 1995 - 1 StR 117/95). Beides ist hier der Fall. Andererseits ist bei<br />

der Bemessung der in Rede stehenden Einzelstrafen in keiner Weise auf die unter II 2 g der Urteilsgründe abgeurteilte<br />

Tat oder die deshalb verhängte Strafe Bezug genommen. Letztlich braucht der Senat der Frage eines möglichen<br />

Zusammenhangs zwischen der Strafe im Fall II 2 g der Urteilsgründe <strong>und</strong> den übrigen Strafen aber nicht zu entscheiden,<br />

weil er die übrigen Einzelstrafen jedenfalls für angemessen i. S. d. § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO hält (vgl.<br />

BGH, Beschluss vom 26. Januar 2006 - 1 StR 407/05; vgl. auch Senge in FS für Hans Dahs 2005, 475, 486 m. w.<br />

N.).<br />

c) Besonderheiten des Einzelfalls, die einer Entscheidung gemäß § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO hier entgegenstehen<br />

könnten (vgl. hierzu zusammenfassend BGH, Beschluss vom 22. August 2006 - 1 StR 293/06 m. w. N., zur Veröffentlichung<br />

in BGHSt bestimmt) sind nicht ersichtlich.<br />

d) Bei seiner Entscheidung konnte der Senat auch Folgendes nicht außer Acht lassen: Der Angeklagte war innerhalb<br />

des Zeitraums, in dem er die hier abgeurteilten Taten begangen hat, auch sonst wiederholt straffällig geworden. 2001<br />

wurde er wegen Betrügereien zu elf Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, 2002 wegen Verkehrsunfallflucht zu drei<br />

Monaten Freiheitsstrafe. Beide Strafen wurden zur Bewährung ausgesetzt <strong>und</strong> später erlassen. Die Strafkammer sieht<br />

in diesem Verfahrensgang eine besondere Härte für den Angeklagten, <strong>und</strong> hat ihm deshalb - ersichtlich schon bei der<br />

Bemessung der Einzelstrafen - einen sog. Härteausgleich zugebilligt. Der Angeklagte stellt sich mit dem Erlass der<br />

früheren Strafe(n) jedoch besser, als wenn deren Einbeziehung in eine erst noch zu vollstreckende nachträgliche<br />

Gesamtfreiheitsstrafe diese nahe liegend erhöht hätte. Eine wie auch immer beschaffene Härte liegt jedenfalls nicht<br />

vor, dementsprechend ist ein Härteausgleich nicht veranlasst (BGH NStZ-RR 2004, 330 m. w. N.).<br />

e) Unter Berücksichtigung dieses Gesichtspunkts, aller für die Strafzumessung bedeutsamer Urteilsfeststellungen<br />

<strong>und</strong> des gesamten auf die Strafzumessung bezogenen Vorbringens der Verfahrensbeteiligten hält der Senat die von<br />

der Strafkammer ausgeworfenen Einzelstrafen für angemessen.<br />

3. Die nach alledem hinsichtlich des Strafausspruchs allein gebotene Aufhebung der Gesamtstrafe erfolgt mit der<br />

Maßgabe, dass die nunmehr nur noch gebotene Entscheidung über die Gesamtstrafe durch Beschluss gemäß §§ 460,<br />

462 StPO zu erfolgen hat, § 354 Abs. 1b Sätze 1 <strong>und</strong> 2 StPO. Nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs ist<br />

eine Gesetzesverletzung bei der Bildung einer Gesamtstrafe i. S. d. § 354 Abs. 1b StPO auch dann gegeben, <strong>und</strong><br />

dementsprechend eine Verweisung auf das Beschlussverfahren auch dann möglich, wenn im Revisionsverfahren eine<br />

381


Einzelstrafe durch Verfahrenseinstellung wegfällt (vgl. BGH NStZ 2005, 223; BGH, Beschluss vom 9. August 2006<br />

- 1 StR 252/06). Fällt, wie hier, eine Einzelstrafe infolge Freispruchs weg, kann nichts anderes gelten. Die Entscheidung<br />

über die Gesamtstrafe aus den nunmehr rechtskräftigen Einzelstrafen obliegt dem gemäß § 462a Abs. 3 StPO<br />

zuständigen Gericht (BGH aaO; Senge aaO 493).<br />

BtMG § 29; StGB §§ 25, 27<br />

BGH, Urt. vom 28.02.2007 – 2 StR 516/06 – NJW 2007, S. 1220 = JR 2007, 298(Anm. Puppe;)Zusammenfassend zur<br />

Rechtsprechung nach der Entscheidung des Großen Senats zum Handeltreiben Weber JR 2007, xxx<br />

LS: Die Tätigkeit eines Kuriers, die sich in dem Transport des Rauschgifts erschöpft, ist als Beihilfe<br />

zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zu werten.<br />

Der 2. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat aufgr<strong>und</strong> der Verhandlung vom 31. Januar 2007 in der Sitzung am 28.<br />

Februar 2007 für Recht erkannt:<br />

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 20. Juli 2006 im<br />

Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer<br />

Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge<br />

schuldig ist. Die weitergehende Revision wird verworfen. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu<br />

tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in<br />

Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe<br />

von drei Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt <strong>und</strong> das Rauschgift, Verpackungsmaterial <strong>und</strong> das Flugticket eingezogen.<br />

Dagegen wendet sich die Revision des Angeklagten mit der Sachrüge. Das Rechtsmittel führt zu der aus dem<br />

Urteilstenor ersichtlichen Schuldspruchänderung, im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.<br />

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurden dem aus Ghana stammenden, mit seiner Familie in Irland lebenden<br />

Angeklagten von einem E. in Dublin 5000 € Kurierlohn für je 1 kg Kokain in Aussicht gestellt, wenn er<br />

Kokain von Ghana nach Irland transportiere. Der Angeklagte stimmte zu <strong>und</strong> flog mit einem von E. , der ihn auch<br />

zum Flughafen gebracht hatte, besorgten Flugticket von Dublin nach Accra. In Accra wurde er abgeholt <strong>und</strong> in einem<br />

Hotel untergebracht, um dort Kokainbehältnisse zu schlucken. Als der Angeklagte, dem nunmehr die damit<br />

verb<strong>und</strong>ene Lebensgefahr bewusst wurde, von dem Vorhaben zurücktreten wollte, wurde ihm - allerdings ohne Gewaltandrohung<br />

- bedeutet, dass ein Rückzieher nicht möglich sei. Der Angeklagte schluckte daraufhin 53 der 80<br />

vorgesehenen Behältnisse - mehr war ihm nicht möglich - <strong>und</strong> trat den Rückflug an, bei dem er in Frankfurt aussteigen<br />

musste. Bei der zollrechtlichen Kontrolle wurde das Rauschgift entdeckt. Das Landgericht hat die Kuriertätigkeit<br />

des Angeklagten (neben der tat-einheitlich verwirklichten Einfuhr) als täterschaftliches Handeltreiben gewertet <strong>und</strong><br />

dabei darauf abgestellt, dass der Angeklagte während des Transports die alleinige Gewalt über das Kokain hatte,<br />

seine Transportleistung Voraussetzung für den angestrebten gewinnbringenden Weiterverkauf in Irland war, ihm ein<br />

erheblicher Kurierlohn versprochen worden sei <strong>und</strong> er auch bei der Abwicklung des Transports insofern frei war, als<br />

er in Frankfurt das Kokain auf eigene Rechnung hätte verkaufen können. Die Annahme täterschaftlichen Handeltreibens<br />

mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Kuriertätigkeit<br />

des Angeklagten ist, soweit ihm Handeltreiben vorgeworfen worden ist, nur als Beihilfe zu werten.<br />

2. Der Begriff des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln ist nach ständiger Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs<br />

weit auszulegen. Als Handeltreiben sind alle Tätigkeiten anzusehen, die auf den Umsatz von Rauschgift gerichtet<br />

sind; als tatbestandliche Handlungen sind damit dem Gr<strong>und</strong>satz nach auch unterstützende Tätigkeiten erfasst (vgl.<br />

BGH, Beschluss vom 26.10.2005 - GSSt 1/05 = BGHSt 50, 252 f.). Auch auf den Tatbestand des Handeltreibens mit<br />

Betäubungsmitteln sind aber die allgemeinen Regeln zur Abgrenzung von (Mit-) Täterschaft <strong>und</strong> Beihilfe anzuwenden<br />

(st. Rspr.; vgl. die Nachweise bei Winkler, NStZ 2006, 328 f.); die Weite des Begriffs des Handeltreibens darf<br />

nicht dazu verleiten, eine mit den Gr<strong>und</strong>sätzen der §§ 25 ff. StGB nicht zu vereinbarende Einheitstäterschaft einzuführen,<br />

indem jede möglicherweise unter das Merkmal des Handeltreibens zu subsumierende Tätigkeit ohne Rücksicht<br />

auf ihr Gewicht für das Gesamtgeschehen <strong>und</strong> auf das Interesse des Beteiligten am Gelingen des Umsatzgeschäfts<br />

mit täterschaftlichem Handeltreiben gleichgesetzt wird (zur Problematik der Abgrenzung vgl. schon Anfra-<br />

382


gebeschluss vom 10. Juli 2003 - 3 StR 61/02 / 3 StR 243/02 = NStZ 2004, 105 sowie die Stellungnahmen der anderen<br />

Senate, Beschlüsse vom 22. Januar 2004 - 5 ARs 46/03; vom 2. Februar 2004 - 4 ARs 23/03 <strong>und</strong> vom 6. Februar<br />

2004 - 2 ARs 276/03 = NStZ-RR 2004, 183). In der Praxis stellt sich die Frage der Abgrenzung der Beteiligungsformen<br />

insbesondere bei der Beurteilung von Kuriertätigkeiten.<br />

a) In der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs ist die Tätigkeit von Rauschgiftkurieren zunächst überwiegend als<br />

(mit-)täterschaftliches Handeltreiben angesehen worden (vgl. BGH NStZ 1983, 124; BGHR § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG<br />

Handeltreiben 36; BGH StV 1998, 596), wenn die Rolle des Kuriers nicht nur von ganz untergeordneter Bedeutung<br />

war (BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 9, 24, 36, 57; BGH NStZ-RR 1999, 24). Beihilfe wurde lediglich<br />

dann angenommen, wenn der Kurier keinen Einfluss auf die Bestimmung von Art <strong>und</strong> Menge des zu transportierenden<br />

Rauschgifts hatte, weder Zeit <strong>und</strong> Ort der Übernahme des Rauschgifts noch die Gestaltung des Transports<br />

mitbestimmen konnte <strong>und</strong> auch sonst mit dem An- <strong>und</strong> Verkauf des Rauschgifts nichts zu tun hatte (vgl. auch Senatsbeschlüsse<br />

vom 3. Mai 2006 - 2 StR 85/06; vom 13. Juli 2006 - 2 StR 199/06 <strong>und</strong> vom 25. Oktober 2006 - 2 StR<br />

359/06). Kuriere wurden, auch bei einer im Gesamtgefüge des Betäubungsmittelgeschäfts nur nachrangigen Tätigkeit,<br />

in der Regel schon deshalb als Täter angesehen, weil sie während des Transports faktische Zugriffsmöglichkeiten<br />

auf die Betäubungsmittel hatten. Damit verblieb für die Teilnahmeform der Beihilfe nur ein schmaler Anwendungsbereich.<br />

b) Dieser Tendenz zur Einschränkung der Beihilfe im Betäubungsmittel-strafrecht entgegenzuwirken, ist nach der<br />

Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen nicht durch Aufgabe des bisherigen Begriffs des Handeltreibens zu<br />

erreichen, sondern durch konsequente Anwendung der für die Abgrenzung zwischen Beteiligung an der eigenen Tat<br />

(als Täter) <strong>und</strong> Teilnahme an einer fremden Tat (als Gehilfe) entwickelten Regeln. In der neueren Rechtsprechung ist<br />

daher bei der Beurteilung von Kuriertätigkeit teilweise darauf abgestellt worden, ob ein Rauschgift-Transporteur<br />

auch in den Erwerb oder den späteren Absatz der Betäubungsmittel eingeb<strong>und</strong>en oder "lediglich" als Kurier eingesetzt<br />

war (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Mai 2006 - 3 StR 105/06; vom 23. Mai 2006 - 3 StR 119/06; vom 30. Mai<br />

2006 - 3 StR 126/06; vom 27. Juni 2006 - 3 StR 177/06; vom 7. September 2006 - 3 StR 277/06; vom 5. Dezember<br />

2006 - 3 StR 456/06; vom 14. Dezember 2006 - 4 StR 421/06; NStZ-RR 2006, 350). Der Senat würde allerdings<br />

einer Ansicht nicht folgen, wonach täterschaftliches Handeln nur dann vorliegt, wenn der Transporteur auch unmittelbar<br />

am Erwerb oder Absatz der Betäubungsmittel beteiligt ist.<br />

c) Nach Ansicht des Senats muss vielmehr für eine zutreffende Einordnung der Beteiligung des Kuriers der jeweils<br />

konkrete Tatbeitrag für das Umsatzgeschäft insgesamt <strong>und</strong> nicht allein für den Teilbereich des Transports (von Betäubungsmitteln<br />

oder Geld) bewertet werden. Strafbar ist nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln,<br />

nicht - isoliert - das Transportieren derselben. Daher kommt es für die Annahme täterschaftlicher<br />

Verwirklichung dieses Tatbestands jedenfalls nicht allein oder entscheidend darauf an, welches Maß an Selbständigkeit<br />

<strong>und</strong> Tatherrschaft der Beteiligte hinsichtlich eines isolierten Teilakts des Umsatzgeschäfts innehat. Abzustellen<br />

ist vielmehr darauf, welche Bedeutung der konkreten Beteiligungshandlung im Rahmen des Gesamtgeschäfts zukommt.<br />

aa) Eine Gehilfenstellung ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Tathandlung sich auf den (Teil-) Transport<br />

von Rauschgift zwischen selbständig handelnden Lieferanten <strong>und</strong> Abnehmern oder innerhalb der Sphäre von Lieferanten-<br />

oder Abnehmer-Organisationen beschränkt <strong>und</strong> der Beteiligte nicht in der Lage ist, das Geschäft insgesamt<br />

maßgeblich mitzugestalten. Einer Tätigkeit als Kurier, die sich in bloßem Transport von Rauschgift erschöpft,<br />

kommt daher eine täterschaftliche Gestaltungsmöglichkeit in der Regel nicht zu; sie stellt zumeist eine (bloß) untergeordnete<br />

Hilfstätigkeit dar. Denn es geht dem reinen Kurier nicht in erster Linie um den Umsatz des Betäubungsmittels<br />

(Veräußerung an Abnehmer), sondern um die Entlohnung für seine Dienstleistung, nämlich um das Entgelt<br />

für den Transport des Betäubungsmittels von einem Ort zum anderen. Dabei kommt es nach Ansicht des Senats nicht<br />

darauf an, ob der Kurier ein erhebliches Honorar zu erwarten hat oder zeitweise faktische Verfügungsgewalt über das<br />

von ihm transportierte Rauschgift erlangt. Die als Beihilfe zu wertende Kuriertätigkeit zeichnet sich nämlich gerade<br />

dadurch aus, dass der Kurier in die hierarchische Organisation des Rauschgift-Umsatzes an unterer Stelle einzuordnen<br />

ist. Auch ein möglicher faktischer Handlungsspielraum während des Transports der Drogen kann von ihm dann<br />

in der Regel schon auf Gr<strong>und</strong> seiner finanziellen <strong>und</strong> meist auch persönlichen Abhängigkeit von den Hintermännern<br />

nicht zu eigener täterschaftlicher Einflussnahme ausgenutzt werden. Soweit der Senat in Einzelfällen in der Inkorporation<br />

von Rauschgift durch Kuriere die Begründung einer besonderen, zur Täterschaft führenden Verfügungsmacht<br />

gesehen hat, hält er daran nicht fest.<br />

bb) Eine Bewertung von Transporttätigkeit als mittäterschaftliches Handeltreiben wird vor allem dann in Betracht<br />

kommen, wenn der Beteiligte erhebliche, über den reinen Transport hinausgehende Tätigkeiten entfaltet (vgl. etwa<br />

BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2006 - 4 StR 421/06 - Gründung von Exportgesellschaften für die Beförderung<br />

383


der Drogen), etwa am An- <strong>und</strong> Verkauf des Rauschgifts unmittelbar beteiligt ist oder sonst ein eigenes Interesse am<br />

weiteren Schicksal des Gesamtgeschäfts hat, weil er eine Beteiligung am Umsatz oder dem zu erzielenden Gewinn<br />

erhalten soll (BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 36). Auch eine Einbindung des Transporteurs in eine<br />

gleichberechtigt verabredete arbeitsteilige Durchführung des Umsatzgeschäfts spricht für die Annahme von Mittäterschaft,<br />

auch wenn seine konkrete Tätigkeit in diesem Rahmen auf die Beförderung der Drogen, von Kaufgeld oder<br />

Verkaufserlös beschränkt ist. Im Einzelfall kann auch eine weit gehende Einflussmöglichkeit des Transporteurs auf<br />

Art <strong>und</strong> Menge der zu transportierenden Drogen sowie auf die Gestaltung des Transports für eine über das übliche<br />

Maß reiner Kuriertätigkeit hinausgehende Beteiligung am Gesamtgeschäft sprechen.<br />

d) Unter Zugr<strong>und</strong>elegung dieser Kriterien hat der Angeklagte, der nur als Transporteur des Kokains von Accra nach<br />

Dublin eingeschaltet war <strong>und</strong> dem auf den Ablauf des Geschäfts als solchem keine Einflussmöglichkeit zukam,<br />

(hier) lediglich Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln geleistet. Der gleichzeitige Besitz<br />

tritt gegenüber der verbotenen Einfuhr zurück (BGHSt 25, 285). Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert.<br />

3. Der Strafausspruch kann auch nach der Änderung des Schuldspruchs bestehen bleiben. Der Senat schließt aus,<br />

dass die Strafe auf der rechtsfehlerhaften Annahme eines täterschaftlichen Handeltreibens beruht. Das Landgericht<br />

hat die Strafe dem Strafrahmen des § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG entnommen, im Übrigen hat es strafmildernd berücksichtigt,<br />

dass der Angeklagte lediglich als Kurier auf der untersten Ebene der Drogenorganisation tätig war.<br />

BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 2, § 30 Abs. 1 Nr. 4<br />

BGH, Urt. vom 24.04.2007 - 1 StR 52/07 - NJW 2007, 2054<br />

Für Buprenorphin beginnt die "nicht geringe Menge" im Sinne von § 29a Abs. 1 Nr. 2 sowie § 30<br />

Abs. 1 Nr. 4 BtMG bei 450 mg Buprenorphin-Hydrochlorid.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. April 2007 für Recht erkannt:<br />

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 29. August 2006 wird<br />

verworfen.<br />

2. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen<br />

Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Beihilfe<br />

zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, jeweils in nicht geringer Menge, zu einer Freiheitsstrafe von<br />

vier Jahren verurteilt <strong>und</strong> seinen Pkw eingezogen. Die Staatsanwaltschaft greift das Urteil mit der zu Ungunsten des<br />

Angeklagten eingelegten, auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten <strong>und</strong> auf die Sachrüge gestützten Revision an.<br />

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.<br />

I.<br />

Festgestellt ist, dass der Angeklagte als Rauschgiftkurier in Paris 3801 Subutex-8 mg-Tabletten mit einem Wirkstoffgehalt<br />

von 32,8 g Buprenorphin-Hydrochlorid bzw. 30,4 g Buprenorphin übernahm, um sie auftragsgemäß nach<br />

Georgien zu verbringen. In München wurde er am 21. Oktober 2005 einer polizeilichen Kontrolle unterzogen, anlässlich<br />

der das Rauschgift in seinem Pkw sichergestellt wurde. Der rechtlichen Würdigung <strong>und</strong> der Strafzumessung<br />

hat das Landgericht die Annahme zugr<strong>und</strong>e gelegt, die nicht geringe Menge an Betäubungsmitteln im Sinne von §<br />

29a Abs. 1 Nr. 2, § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG beginne für Buprenorphin <strong>und</strong> Buprenorphin-Hydrochlorid jeweils bei<br />

450 mg (0,45 g).<br />

II.<br />

1. Die Beschwerdeführerin beanstandet, dass das Landgericht von einem zu hohen Grenzwert für die nicht geringe<br />

Menge ausgegangen sei; denn diese sei bereits bei 50 mg Buprenorphin (250 Konsumeinheiten zu 0,2 mg) erreicht.<br />

Bei der Strafzumessung habe das Landgericht zwar zu Lasten des Angeklagten die vielfache Überschreitung des<br />

Grenzwerts für die nicht geringe Menge gewertet. Der Grenzwert sei allerdings nicht nur, wie das Landgericht angenommen<br />

habe, um das 67,55-fache (bezogen auf Buprenorphin) bzw. 72,88-fache (bezogen auf Buprenorphin-<br />

Hydrochlorid), sondern um das 608-fache überschritten.<br />

2. Die sachlich-rechtliche Überprüfung des Urteils aufgr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung ergibt keinen durchgreifenden<br />

Rechtsfehler zu Gunsten - oder, was der Senat gemäß § 301 StPO zu beachten hat, zu Ungunsten - des Ange-<br />

384


klagten. Das Landgericht hat den Grenzwert für die nicht geringe Menge zutreffend mittels eines Vergleichs zwischen<br />

Buprenorphin <strong>und</strong> Morphin ermittelt. Die Annahme, die nicht geringe Menge beginne für Buprenorphin <strong>und</strong><br />

Buprenorphin-Hydrochlorid gleichermaßen bei jeweils 450 mg, trifft allerdings nicht zu. Der Grenzwert ist vielmehr<br />

bei 450 mg Buprenorphin-Hydrochlorid anzusetzen.<br />

a) Buprenorphin - chemische Bezeichnung: (5R,6R,7R,14S)-17-Cy- clopropylmethyl-4,5-epoxy-7-[(S)-2-hydroxy-<br />

3,3-dimethylbutan-2-yl]-6-methoxy-6,14-ethanomorphinan-3-ol - wurde durch die 1. BtMÄndV vom 6. August 1984<br />

(BGBl I 1081) als verkehrs- <strong>und</strong> verschreibungsfähiges Betäubungsmittel der Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG unterstellt.<br />

§ 2 Abs. 1 Nr. 2 BtMVV legt nach der letzten Änderung durch die 19. BtMÄndV vom 10. März 2005 (BGBl I<br />

757) die Höchstmenge für Buprenorphin, die ein Arzt für seinen Praxisbedarf pro Patient innerhalb von 30 Tagen<br />

verschreiben darf, auf 800 mg fest. Hinsichtlich Beschaffenheit, Wirkung <strong>und</strong> Gefährlichkeit von Buprenorphin kann<br />

der Senat auf die vom Landgericht eingeholten schriftlichen Gutachten der Sachverständigen Dr. S. , öffentlich bestellter<br />

<strong>und</strong> beeidigter Sachverständiger für Forensische Toxikologie, Dr. U. , stellvertretender Sachgebietsleiter<br />

Chemie am Bayerischen Landeskriminalamt, sowie Dr. G. , Chemieoberrat am Bayerischen Landeskriminalamt,<br />

zurückgreifen. Unter Berücksichtigung weiterer Literatur (Benos Der Nervenarzt 1983, 259 ff.; Geschwinde,<br />

Rauschdrogen 6. Aufl. Rdn. 2922 ff.; Groß/Soyka Suchtmed 1999, 5 ff.; Körner, BtMG 5. Aufl. Teil C 1 Rdn. 126 f.;<br />

Pallenbach DAZ 2000, 4838 ff.) ergibt sich folgendes: Buprenorphin ist ein halbsynthetisches Opioid, das aus dem<br />

Opiumalkaloid Thebain gewonnen werden kann. Es ist anders als etwa Morphin, Heroin <strong>und</strong> Methadon kein voller,<br />

sondern nur ein partieller Opioid-Agonist. Buprenorphin wurde zunächst als Analgetikum entwickelt; seine Zulassung<br />

in Deutschland erfolgte erstmals im Jahr 1980. Im Jahr 2000 wurde es auch zur Substitutionstherapie bei Opiatabhängigkeit<br />

zugelassen. Der Wirkstoff ist unter den Handelsnamen Subutex, Temgesic <strong>und</strong> Transtec erhältlich.<br />

Temgesic <strong>und</strong> Transtec werden in der Schmerztherapie bei akuten <strong>und</strong> chronischen Schmerzen (bei postoperativen<br />

Schmerzen, zur Krebsbehandlung) verabreicht. Subutex wird hingegen in der Substitutionstherapie verwendet. Seine<br />

Einnahme erfolgt sublingual; das heißt, eine Tablette wird unter der Zunge belassen, bis sie sich allmählich auflöst.<br />

Obwohl bei der Einnahme von Buprenorphin der für volle Opioid-Agonisten typische Rauschzustand ("Kick") ausbleibt,<br />

hat es gewisse von Süchtigen gewünschte euphorisierende Effekte. Es unterdrückt zudem das Opioid-<br />

Entzugssyndrom. Die häufige Einnahme von Buprenorphin führt jedoch auch zur Toleranzentwicklung <strong>und</strong> seinerseits<br />

zur Suchtentwicklung. Als Nebenwirkungen werden unter anderem Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, Übelkeit,<br />

Erbrechen, Tränen- <strong>und</strong> Nasenfluss, Benommenheit, Frösteln, körperliche Schwäche sowie Atemdepression beschrieben.<br />

Das therapeutische Spektrum von Buprenorphin ist breit. In der Schmerztherapie werden gewöhnlich<br />

Einzeldosen zwischen 0,2 <strong>und</strong> 0,4 mg verabreicht; die Einzeldosen in der Substitutionstherapie reichen von 0,8 mg<br />

als Einstiegsdosis bei leichter Opiatabhängigkeit bis hin zu 8 mg. 8 mg Buprenorphin stellen dementsprechend den<br />

höchsten in einer Tablette derzeit auf dem Arzneimarkt erhältlichen Wirkstoffgehalt dar; hierbei handelt es sich um -<br />

auch in diesem Verfahren sichergestellte - Subutex-8 mg-Tabletten. Erhebliche Überdosierungen werden regelmäßig<br />

ohne wesentliche Nebenwirkungen vertragen. Akzidentielle Überdosierungen durch Verschlucken sind unwahrscheinlich,<br />

da die orale - anstelle der sublingualen - Einnahme weitgehend wirkungslos ist. Die Angaben zum Verhältnis<br />

der analgetischen Wirkungsstärke von Mor-phin zu Buprenorphin reichen von 1:10 bis zu 1:40 (nach Geschwinde<br />

aaO Rdn. 2924 <strong>und</strong> Körner aaO Rdn. 126 sogar bis maximal 1:50). In den Richtlinien zur Substitutionstherapie<br />

wird angenommen, dass Buprenorphin gegenüber Methadon eine etwa zehnmal stärkere Wirkung hat; 8 mg<br />

Buprenorphin entsprechen damit einer Dosis von etwa 80 mg Methadon (nach Pallenbach aaO 4846 von "ungefähr"<br />

45 mg; nach Groß/Soyka aaO 8 von 40 bis 60 mg). Im Vergleich zu Methadon weist Buprenorphin ein geringeres<br />

Risiko von Nebenwirkungen <strong>und</strong> auch ein kleineres Missbrauchs- <strong>und</strong> Abhängigkeitspotential auf.<br />

b) Aufgr<strong>und</strong> der Eigenheiten des Betäubungsmittels Buprenorphin scheidet die nach ständiger Rechtsprechung vorrangig<br />

anzuwendende Methode zur Festlegung des Grenzwerts der nicht geringen Menge, nämlich diesen mittels<br />

einer äußerst gefährlichen Dosis oder durchschnittlichen Konsumeinheit <strong>und</strong> einer an der Gefährlichkeit orientierten<br />

Maßzahl zu bestimmen (vgl. BGHSt 32, 162, 164; 33, 8, 14; 35, 43, 49; 42, 1, 3 ff.; 42, 255, 265; 49, 306, 312), hier<br />

aus.<br />

aa) Zur äußerst gefährlichen Dosis liegen keine gesicherten Erkenntnisse vor. Zwar scheinen schwere Intoxikationen<br />

selbst mit tödlichem Ausgang möglich (Geschwinde, Rauschdrogen 6. Aufl. Rdn. 2932). Nach den dem Senat vorliegenden<br />

Sachverständigengutachten ist die Gefahr von Überdosierungen jedoch gering. Auch hat sich in Frankreich,<br />

wo bei der Behandlung Opiatabhängiger mit Buprenorphin langjährige Erfahrungen bestehen, gezeigt, dass bei<br />

der Obduktion sämtlicher Drogentoter, deren Tod in Zusammenhang mit der Einnahme von Buprenorphin stand, ein<br />

Beikonsum von illegal erworbenen Betäubungsmitteln <strong>und</strong>/oder stark wirksamen Psychopharmaka festgestellt wurde<br />

(vgl. auch Pallenbach DAZ 2000, 4838, 4844).<br />

385


) Eine Festlegung des Grenzwerts auf der Gr<strong>und</strong>lage einer durchschnittlichen Konsumeinheit für einen Drogenunerfahrenen,<br />

welche die Beschwerdeführerin mit der in der Schmerztherapie üblichen Mindestdosis von 0,2 mg<br />

gleichsetzt, kommt ebenfalls nicht in Betracht. Unter der durchschnittlichen Konsumeinheit versteht die Rechtsprechung<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich die adäquate Dosis zur Erzielung einer stofftypischen Rauschwirkung (BGHSt 33, 169, 170; 35,<br />

43, 49; 49, 306, 312), wobei prinzipiell, um nicht die mit dem regelmäßigen Konsum vieler Betäubungsmittel einhergehende<br />

Toleranzentwicklung zu prämieren, auf den Konsumanfänger abzustellen ist (Cassardt NStZ 1995, 257,<br />

261; Hügel/Junge/Lander/Winkler, Deutsches Betäubungsmittelrecht 8. Aufl. 4. Lfg. § 29a BtMG Rdn. 4.3.5). Eine<br />

derartige Bestimmung der Konsumeinheit kommt hier aus mehreren Gründen nicht in Betracht: Zum einen bleibt bei<br />

der Einnahme von Buprenorphin, obwohl es gewisse euphorisierende Effekte hat, der etwa für Heroin, Morphin <strong>und</strong><br />

Methadon ty-pische Rauschzustand ("Kick") aus. Zum anderen fehlen praktische Erkenntnisse über den illegalen<br />

Markt; es liegt nicht nahe, dass Buprenorphin überhaupt von einer nennenswerten Anzahl Drogenunerfahrener konsumiert<br />

wird. Im Hinblick darauf, dass die Rauschwirkung eher gering ist, jedoch das Opioid-Entzugssyndrom unterdrückt<br />

wird, kommt vielmehr der illegale Erwerb insbesondere durch Opiatabhängige in Betracht. Schließlich ist<br />

es verfehlt, die Konsumeinheit bei verkehrs- <strong>und</strong> verschreibungsfähigen Betäubungsmitteln allein an einer möglichen<br />

legalen Anwendung auszurichten (Hügel/Junge/Lander/Winkler aaO Rdn. 4.3.4, 4.3.6 a.E.).<br />

cc) Die Konsumeinheit kann auch nicht dadurch hinreichend sicher bestimmt werden, dass - unter Zugr<strong>und</strong>elegung<br />

der in der Substitutionstherapie verabreichten Einzeldosen - auf durchschnittliche Konsumgewohnheiten abgestellt<br />

wird (vgl. BGHSt 49, 306, 313). Jedenfalls die große Bandbreite medizinisch indizierter Einzeldosen ermöglicht ein<br />

derartiges Vorgehen nicht (ähnlich für Kokain BGHSt 33, 133, 136 ff.; hierzu Cassardt NStZ 1995, 257, 258); denn<br />

die Höhe dieser Dosen schwankt je nach Einzelfall - insbesondere dem Grad der Abhängigkeit - stark, wie oben<br />

ausgeführt zwischen 0,8 <strong>und</strong> 8 mg. Nach Geschwinde (Rauschdrogen 6. Aufl. Rdn. 2932) stellt die Verabreichung<br />

von 2 mg-Einheiten bei der Suchtbehandlung eine niedrige Dosierung dar. Das brei-te Spektrum wird zudem daraus<br />

ersichtlich, dass die in der Substitutionstherapie verwendeten Subutex-Tabletten derzeit mit einem sehr unterschiedlichen<br />

Wirkstoffgehalt von 0,4 mg bis hin zu 8 mg Buprenorphin auf dem Arzneimarkt angeboten werden.<br />

c) Der Grenzwert für die nicht geringe Menge an Buprenorphin ist daher - wovon auch das Landgericht zutreffend<br />

ausgegangen ist - mittels eines Vergleichs mit verwandten Wirkstoffen festzulegen. Der B<strong>und</strong>esgerichtshof hat bereits<br />

in der Vergangenheit bei der Grenzwertbestimmung einen solchen Wirkstoffvergleich herangezogen (vgl.<br />

BGHSt 35, 179, 182; 49, 306, 312 ff.; BGH NJW 2001, 3641, 3642). Neben Methadon, für das - soweit ersichtlich -<br />

eine Entscheidung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs zur nicht geringen Menge noch aussteht, kommt hier insbesondere Morphin<br />

in Betracht. Für Zubereitungen von Morphin hat der Senat entschieden, dass die nicht geringe Menge bei 4,5 g<br />

Morphin-Hydrochlorid beginnt (BGHSt 35, 179). Da die Wirkung von Buprenorphin mindestens zehnmal so stark ist<br />

wie von Morphin, ist der Grenzwert der nicht geringen Menge zugunsten des Angeklagten (vgl. BGHSt 33, 8, 14; 49,<br />

306, 313; Cassardt NStZ 1995, 257, 259) auf den zehnten Teil der nicht geringen Menge für Morphin, die bei 4,5 g<br />

Morphin-Hydrochlorid beginnt, anzusetzen; er ist damit auf 450 mg Buprenorphin-Hydrochlorid festzulegen. Auch<br />

wenn es im vorliegenden Fall nicht von Bedeutung sein mag, kommt für Buprenorphin <strong>und</strong> Buprenorphin-<br />

Hydrochlorid entgegen der Ansicht des Landgerichts kein einheitlicher Grenzwert in Betracht. Nach den vorliegenden<br />

Gutachten übersteigt nämlich das Gewicht von Buprenorphin-Hydrochlorid (Salz) dasjenige der Gr<strong>und</strong>form<br />

Buprenorphin (Base) um acht Prozentpunkte. Dieser - wenngleich nur - "äußerst geringe Unterschied" hinsichtlich<br />

Wirkung <strong>und</strong> Gefährlichkeit (UA S. 15) kann nicht vernachlässigt werden. Denn der - der Rechtsprechung obliegenden<br />

- zahlenmäßigen Festlegung des Grenzwerts für die nicht geringe Menge im Sinne von § 29a Abs. 1 Nr. 2, § 30<br />

Abs. 1 Nr. 4 BtMG ist immanent, dass auch marginale pharmakologische <strong>und</strong> toxikologische Unterschiede in Grenzfällen<br />

die Strafrahmenwahl bestimmen <strong>und</strong> damit das Strafmaß beeinflussen können (vgl. BGHSt 42, 1, 11). Als<br />

Vergleichsmaßstab dient hier der Wirkstoff Morphin, bei dem sich der Grenzwert an einer bestimmten Menge des<br />

Salzes Morphin-Hydrochlorid - <strong>und</strong> nicht der Base - bemisst. Daher ist bei der Umrechnung ebenfalls das Salz<br />

Buprenorphin-Hydrochlorid zugr<strong>und</strong>e zu legen. 450 mg Buprenorphin-Hydrochlorid entsprechen dabei 416,67 mg<br />

Buprenorphin.<br />

d) Da für die Kammer "die genannten geringen Unterschiede auch für das Strafmaß ohne Bedeutung" (UA S. 16)<br />

waren, kann der Senat ausschließen, dass sie eine höhere Freiheitsstrafe verhängt hätte.<br />

386


BtMG § 30 a Abs. 2 Nr. 1 – Begriff der Ausfuhr<br />

BGH, Beschl. vom 13.07.2006 – 4 StR 129/06<br />

Die Ausfuhr von Betäubungsmitteln setzt das Verbringen der Betäubungsmittel aus dem Geltungsbereich<br />

des Betäubungsmittelgesetzes über die Deutsche Hoheitsgrenze in das Ausland voraus.<br />

Der 4. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat auf Antrag des Generalb<strong>und</strong>esanwalts <strong>und</strong> nach Anhörung der Beschwerdeführerin<br />

am 13. Juli 2006 gemäß §§ 349 Abs. 2, 354 Abs. 1 StPO analog beschlossen:<br />

1. Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 11. November 2005 wird mit der<br />

Maßgabe als unbegründet verworfen, dass die Angeklagte in den Fällen II. 1 <strong>und</strong> 2 der Urteilsgründe jeweils des<br />

unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Bestimmen einer Person<br />

unter 18 Jahren zur Förderung des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln schuldig ist.<br />

2. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.<br />

Gründe:<br />

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer<br />

Menge in acht Fällen, in zwei der Fälle jeweils in Tateinheit mit Bestimmen einer Person unter 18 Jahren zum unerlaubten<br />

Ausführen von Betäubungsmitteln <strong>und</strong> in einem der Fälle in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln<br />

in nicht geringer Menge, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die auf die allgemeine<br />

Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten führt lediglich zu einer Änderung des Schuldspruchs in den<br />

Fällen II. 1 <strong>und</strong> 2 der Urteilsgründe; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Im Ergebnis<br />

zutreffend hat das Landgericht die Angeklagte in den Fällen II. 1 <strong>und</strong> 2 der Urteilsgründe jeweils eines tateinheitlich<br />

begangenen Verbrechens gemäß § 30 a Abs. 2 Nr. 1 BtMG schuldig gesprochen. Entgegen der Auffassung des<br />

Landgerichts hat die Angeklagte jedoch die an den Transporten von jeweils 1 kg Kokain von Brüssel über Dublin<br />

nach Belfast (Fall II. 1 der Urteilsgründe) bzw. aus den Niederlanden über Dublin nach London (Fall II. 2 der Urteilsgründe)<br />

beteiligten Minderjährigen nicht zur Ausfuhr von Betäubungsmitteln bestimmt, denn diese setzt das<br />

Verbringen der Betäubungsmittel aus dem Geltungsbereich des Betäubungsmittelgesetzes über die Deutsche Hoheitsgrenze<br />

in das Ausland voraus (vgl. Körner BtMG 5. Aufl. § 29 Rn. 660; Weber BtMG 2. Aufl. § 29 Rdn. 565;<br />

zu dem umgekehrten Fall der Einfuhr vgl. BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Einfuhr 37). Vielmehr hat die Angeklagte<br />

nach den Feststellungen in den genannten Fällen jeweils tateinheitlich den Tatbestand des Bestimmens einer Person<br />

unter 18 Jahren zur Förderung des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verwirklicht. Der Senat ändert<br />

den Schuldspruch entsprechend. § 265 StPO steht nicht entgegen, weil sich die Angeklagte nicht wirksamer als geschehen<br />

hätte verteidigen können. Die Änderung des Schuldspruchs hat keine Auswirkungen auf die Aussprüche<br />

über die in den Fällen II. 1 <strong>und</strong> 2 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen, die das Landgericht im Ergebnis zutreffend<br />

dem Strafrahmen des § 30 a Abs. 3 BtMG entnommen hat.<br />

BtMG §§ 29 ff.; StGB §§ 25, 27; StPO § 261<br />

BGH, Beschl. vom 25.04.2007 – 1 StR 159/07 - NJW 2007, S. 2274 = JR 2007, S. 300 (Anm. Puppe S. 298)<br />

LS: Behauptet der Transporteur von Betäubungsmitteln, sein Tatbeitrag habe sich darin erschöpft,<br />

die Betäubungsmittel im Auftrag eines Dritten zu transportieren, <strong>und</strong> individualisiert er seinen Auftraggeber<br />

nicht, so ist der Tatrichter nicht auf Gr<strong>und</strong> des Zweifelssatzes gehalten, diese auf eine<br />

Beihilfe zum Handeltreiben abzielende Einlassung zugr<strong>und</strong>e zu legen, wenn keine zuverlässigen<br />

Anhaltspunkte für Auftrag <strong>und</strong> Person des Auftraggebers vorliegen.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 25. April 2007 beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen<br />

das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 8. Dezember 2006 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung<br />

des Urteils auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben<br />

hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Ergänzend bemerkt<br />

der Senat:<br />

1. Das Landgericht hat den Angeklagten im Ergebnis zu Recht wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit<br />

mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, jeweils in nicht geringer Menge <strong>und</strong> mit einer Waffe, verurteilt. Zwar ist<br />

387


die bewaffnete Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ein unselbständiger Teilakt des bewaffneten<br />

Handeltreibens in nicht geringer Menge, wenn sie im Rahmen ein- <strong>und</strong> desselben Güterumsatzes erfolgt; dies ergibt<br />

sich schon aus dem Wortlaut des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG: "wer ... ohne Handel zu treiben, einführt" (BGH NStZ<br />

2003, 440; Urteil vom 24. Juni 2003 - 1 StR 25/03 jew. m.w.N.). Soweit das erworbene Heroin gewinnbringend<br />

verkauft werden sollte, ist hier deshalb die Tatbestandsalternative der Einfuhr ausgeschlossen. Der Angeklagte hat<br />

jedoch 40 g der erworbenen Menge (Wirkstoffgehalt 59,4 = 60 %) zum Eigenverbrauch bestimmt. Insoweit ist in<br />

Tateinheit zum Handeltreiben auch der Tatbestand der Einfuhr, jeweils in nicht geringer Menge <strong>und</strong> mit einer Waffe,<br />

erfüllt, da diese Teilmenge nicht von der Tatbestandsalternative des Handeltreibens erfasst wird (vgl. BGH, Beschluss<br />

vom 16. Februar 2000 - 3 StR 22/00; Beschluss vom 28. Januar 2005 - 2 StR 555/04).<br />

2. Die Verurteilung wegen täterschaftlichen Handeltreibens <strong>und</strong> nicht wegen Beihilfe ist - auch im Lichte neuerer<br />

Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs zu Kuriertätigkeiten (vgl. zusammenfassend BGH NJW 2007, 1220) - ebenfalls<br />

nicht zu beanstanden. Der Angeklagte hat erhebliche, über den reinen Transport hinausgehende Tätigkeiten<br />

entfaltet. Er war unmittelbar mit Eigen-initiative am Erwerb beteiligt; insbesondere konnte er, nachdem ihm in Holland<br />

eine Kontaktaufnahme zu dem Drogenhändler "P. " nicht gelungen war, eigenverantwortlich entscheiden, das<br />

Heroin mit dem von seinem Auftraggeber zur Verfügung gestellten Geld bei einem "A. " zu erwerben. Er hatte auch<br />

darüber hinaus ein eigenes Interesse am weiteren Schicksal des Gesamtgeschäfts, weil ihm für die Betäubungsmittelbeschaffung<br />

eine erhebliche Entlohnung in Form eines Schuldenerlasses in Höhe von 1.000 € in Aussicht gestellt<br />

war <strong>und</strong> er von den zu erwerbenden 300 g Heroin 40 g für den Eigenkonsum behalten sollte. Im Übrigen wäre das<br />

Landgericht nicht gehalten gewesen, die Einlassung des Angeklagten, er habe die Betäubungsmittel lediglich im<br />

Auftrag eines Drogenhändlers, dessen Name er nicht nennen wolle, von Holland nach Bayern transportiert, den Urteilsfeststellungen<br />

als unwiderlegbar zugr<strong>und</strong>e zu legen. Die Strafkammer hat für einen solchen Auftrag <strong>und</strong> für die<br />

Person des Auftraggebers keine konkreten Anhaltspunkte festgestellt. Bei einer solchen Sachlage muss der Tatrichter<br />

nach ständiger Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs auf der Gr<strong>und</strong>lage des gesamten Beweisergebnisses entscheiden,<br />

ob derartige Angaben geeignet sind, seine Überzeugungsbildung zu beeinflussen (vgl. BGHSt 34, 29, 34;<br />

BGH NStZ 2002, 48). Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten<br />

Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine zureichenden Anhaltspunkte erbracht sind (vgl. nur<br />

BVerfG, Beschluss vom 8. November 2006 - 2 BvR 1378/06; BGH NStZ-RR 2003, 371 LS; NStZ 2004, 35, 36).<br />

Dies führt auch hinsichtlich des insoweit schweigenden Angeklagten nicht zu einer mit dem Schuldprinzip kollidierenden<br />

Beweislastumkehr, sondern ist notwendige Folge der Verpflichtung des Gerichts, gemäß § 261 StPO seine<br />

Überzeugung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung zu schöpfen (BVerfG aaO).<br />

GewSchG § 4 – Keine Strafbarkeit ohne Zustellung der e.V.<br />

BGH, Urt. vom 15.03.2007 – 5 StR 536/06 – NJW 2007, 1605 f.<br />

LS: Die wirksame Zustellung einer im Beschlusswege ergangenen einstweiligen Verfügung ist Voraussetzung<br />

für die Strafbarkeit nach § 4 GewSchG<br />

Der 5. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat in der Sitzung vom 15. März 2007 für Recht erkannt:<br />

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 4. September 2006 wird verworfen.<br />

Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels <strong>und</strong> die hierdurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen<br />

Auslagen zu tragen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Schwurgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung <strong>und</strong> versuchter gefährlicher Körperverletzung<br />

unter Einbeziehung einer rechtskräftigen Geldstrafe zu einer – zur Bewährung ausgesetzten – Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von einem Jahr <strong>und</strong> sieben Monaten verurteilt <strong>und</strong> ihn im Übrigen freigesprochen. Die hiergegen gerichtete Revision<br />

der Staatsanwaltschaft, die vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt nicht vertreten wird, hat keinen Erfolg.<br />

I. Nach den Feststellungen des Landgerichts belästigte der Angeklagte die Nebenklägerin, mit der er früher ein intimes<br />

Verhältnis unterhalten hatte, in vielfältiger Weise, nachdem diese sich von ihm getrennt hatte. Auf Betreiben der<br />

Nebenklägerin, die sich zuvor auf der Rechtsantragsstelle k<strong>und</strong>ig gemacht hatte, erließ der Zivilrichter des Amtsgerichts<br />

Göttingen ohne mündliche Verhandlung <strong>und</strong> ohne Anhörung des Angeklagten mit Beschluss vom 9. Oktober<br />

2003 eine einstweilige Verfügung gegen den Angeklagten. Diesem wurde darin – aufgegliedert in konkrete Einzelverbote<br />

– untersagt, in irgendeiner Form Kontakt mit der Nebenklägerin aufzunehmen oder sich ihr auf eine kürzere<br />

388


Entfernung als 50 Meter zu nähern. Am 13. Oktober 2003 wurde der Nebenklägerin die einstweilige Verfügung mit<br />

dem Bemerken „mit der Bitte um weitere Veranlassung“ per Post zugestellt. Weder die Nebenklägerin noch das<br />

Gericht bewirkten allerdings in der Folgezeit eine Zustellung an den Angeklagten. Der Angeklagte begab sich am 9.<br />

November 2003 gegen 2.00 Uhr nachts zur Gaststätte „Deja Vu“ in Göttingen, die ausdrücklich als zu meidender Ort<br />

in der einstweiligen Verfügung benannt war. Dort arbeitete die Nebenklägerin als Bedienung. Er setzte sich auf eine<br />

Freifläche vor der Gaststätte, die weniger als 50 Meter von der Gaststätte entfernt lag. Nachdem der Angeklagte<br />

diesen Platz trotz Aufforderung von Kollegen der Nebenklägerin nicht freiwillig verlassen hatte, verständigte die<br />

Nebenklägerin die Polizei. Den Polizeibeamten erläuterte die Nebenklägerin den Sachverhalt. Sie legte dabei auch<br />

die einstweilige Verfügung des Amtsgerichts Göttingen vor. Die Polizeibeamten konfrontierten den Angeklagten mit<br />

dem Vorwurf, gegen die Unterlassungsverfügung des Amtsgerichts verstoßen zu haben. Da der Angeklagte angab,<br />

von einer einstweiligen Verfügung nichts zu wissen, informierten sie ihn über deren Inhalt, ohne ihm allerdings die<br />

einstweilige Verfügung auszuhändigen. Weiterhin notierten die Polizeibeamten für den Angeklagten das Aktenzeichen<br />

der einstweiligen Verfügung auf einen Zettel mit dem Hinweis, er solle sich eine Ausfertigung des Beschlusses<br />

besorgen (Tat 1). Der Angeklagte, der nun sicher von der einstweiligen Verfügung der Nebenklägerin wusste, suchte<br />

am 6. Dezember 2003 gegen 23.30 Uhr wiederum die Gaststätte „Deja Vu“ auf, in der sich die Nebenklägerin aufhielt.<br />

Als er die Nebenklägerin dort mit ihrem neuen Lebensgefährten, dem Zeugen B. , sitzen sah, warf er wutentbrannt<br />

von ihm mitgebrachte Fotos auf den Boden <strong>und</strong> spuckte dem Zeugen B. ins Gesicht (Tat 2). Nachdem er<br />

zunächst die Gaststätte verlassen hatte <strong>und</strong> ziellos durch das Stadtgebiet gelaufen war, traf der Angeklagte kurz nach<br />

24.00 Uhr in der Nähe des „Deja Vu“ erneut auf die Nebenklägerin, als diese in Begleitung ihres Fre<strong>und</strong>es zu ihrem<br />

geparkten Pkw laufen wollte. Der Angeklagte lief auf den Zeugen B. zu <strong>und</strong> versetzte ihm mehrere Faustschläge ins<br />

Gesicht <strong>und</strong> Fußtritte gegen das rechte Schienbein. Als sich der Zeuge wehrte <strong>und</strong> den Angeklagten seinerseits<br />

schlug, flüchtete der Angeklagte (Tat 3). Der Angeklagte, der sich mittlerweile mit einer Eisenstange bewaffnet<br />

hatte, lauerte eine halbe St<strong>und</strong>e später erneut der Nebenklägerin <strong>und</strong> dem Zeugen B. auf, die sich in die Gaststätte<br />

zurückgezogen hatten. Als der Zeuge B. in Begleitung der Nebenklägerin aus der Gaststätte kam <strong>und</strong> die beiden zu<br />

ihrem Auto gehen wollten, stürmte der Angeklagte mit der Eisenstange auf den Zeugen zu <strong>und</strong> versuchte, auf diesen<br />

einzuschlagen. Dem Zeugen gelang es jedoch, dem Angeklagten die Eisenstange zu entwinden (Tat 4). Das Landgericht<br />

hat den Angeklagten nicht wegen eines Verstoßes nach § 4 Gewaltschutzgesetz (GewSchG) verurteilt, weil<br />

keine wirksame vollstreckbare Anordnung eines Gerichts vorgelegen habe.<br />

II. Die Revision der Staatsanwaltschaft beanstandet allein die unterbliebenen Verurteilungen wegen Verstoßes gegen<br />

§ 4 GewSchG in vier Fällen. Sie richtet sich damit gegen die Freisprüche in den ersten beiden Tatkomplexen sowie<br />

auch dagegen, dass der Verstoß in den Tatkomplexen 3 <strong>und</strong> 4 nicht tateinheitlich zu den Körperverletzungsdelikten<br />

ausgeurteilt wurde. Die Revision ist unbegründet.<br />

1. Das Landgericht hat seine Auffassung, dass kein Verstoß gegen § 4 GewSchG vorliege, rechtsfehlerfrei damit<br />

begründet, dass es an einer wirksamen vollstreckbaren Anordnung eines Gerichts fehle.<br />

a) Tathandlung nach § 4 GewSchG ist die Zuwiderhandlung gegen eine vollstreckbare Anordnung nach § 1 Abs.1<br />

Satz 1 oder 3 GewSchG. Dabei handelt es sich um eine Blankettnorm, deren Verbotsgehalt sich aus der zugr<strong>und</strong>e<br />

liegenden zivilgerichtlichen Entscheidung ergibt (Heinke in Anwaltkommentar BGB 2005 § 4 GewSchG Rdn. 2).<br />

Ob eine gegenüber dem Angeklagten vollstreckbare Anordnung vorliegt, ist deshalb nach den hierfür geltenden<br />

zivilrechtlichen Gr<strong>und</strong>sätzen zu beurteilen. Eine vollstreckbare Anordnung setzt voraus, dass diese dem Angeklagten<br />

gegenüber wirksam geworden ist. Dies geschieht durch die Zustellung der einstweiligen Verfügung. Insoweit ist die<br />

Zustellung Wirksamkeitsvoraussetzung. Mit der Zustellung entsteht überhaupt erst ein Prozessrechtsverhältnis gegenüber<br />

dem Adressaten der einstweiligen Verfügung (Vollkommer in Zöller, ZPO 26. Aufl. § 922 Rdn. 12a). Die<br />

vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt angesprochene Möglichkeit einer Vollziehung vor Zustellung nach § 929 Abs. 3 ZPO<br />

kommt bei einer – hier gegebenen – rechtsgestaltenden Regelungsverfügung daher ihrer Struktur nach nicht in Betracht<br />

(vgl. Vollkommer in Zöller aaO § 929 Rdn. 26; Grunsky in Stein/Jonas, ZPO 22. Aufl. § 938 Rdn. 30, 31).<br />

aa) Da eine wirksame Zustellung Geltungsvoraussetzung der einstweiligen Verfügung gegenüber dem Betroffenen<br />

ist, kommt keine – von der Staatsanwaltschaft befürwortete – Auslegung des § 4 GewSchG in Betracht, wonach eine<br />

so genannte „abstrakte Vollstreckbarkeit“ der einstweiligen Verfügung ausreichen solle (so aber OLG Oldenburg<br />

NStZ 2005, 411). Damit ist ersichtlich gemeint, dass für die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes die bloße<br />

Existenz einer einstweiligen Verfügung genügen soll, ihre durch eine ordnungsgemäße Zustellung bewirkte Wirksamkeit<br />

gegenüber dem Betroffenen aber nicht verlangt werden soll. Abgesehen davon, dass eine solche der gr<strong>und</strong>legenden<br />

Systematik des Rechts der einstweiligen Verfügung entgegenstehende Auslegung mit der Struktur des § 4<br />

GewSchG als Blanketttatbestand nicht vereinbar wäre, gibt auch der Wort-laut dieser Bestimmung keinen Anhalt für<br />

eine derartige Auslegung. Dass die Anordnungen nach den §§ 1, 2 GewSchG zu befristen sind, soll ersichtlich einer<br />

389


Verletzung des Übermaßverbotes vorbeugen, stellt aber kein Argument im Sinne einer „abstrakten Vollstreckbarkeit“<br />

dar (a.A. OLG Oldenburg aaO). Vielmehr legt der Wortlaut des § 4 GewSchG nahe, dass der Gesetzgeber auch<br />

insoweit die konkrete Vollstreckbarkeit gegenüber dem Betroffenen gemeint <strong>und</strong> zur Voraussetzung für eine Strafbarkeit<br />

gemacht hat. Dies wird nämlich aus dem ausdrücklichen <strong>und</strong> zusätzlichen Erfordernis deutlich, dass die vollstreckbare<br />

Anordnung bestimmt sein muss. Damit wollte der Gesetzgeber ersichtlich den Betroffenen vor strafrechtlichen<br />

Risiken für den Fall einer unklaren Verbotsverfügung schützen. Entsprechend wäre Rechtssicherheit für den<br />

Betroffenen noch weniger gegeben, wenn als Gr<strong>und</strong>lage für den Vorsatz unter Umständen mündliche Berichte Dritter<br />

ausreichen sollen. Deshalb liegt die Annahme fern, der Gesetzgeber habe von einer wirksamen Zustellung gegenüber<br />

einem Betroffenen absehen wollen, der unter Umständen von dem Verfahren über die einstweilige Verfügung<br />

nicht einmal Kenntnis erlangt hat.<br />

bb) Die Zustellung hat nach § 936 i.V.m. § 922 Abs. 2 ZPO im Parteibetrieb zu erfolgen. Das bedeutet, dass der<br />

Antragsteller (im vorliegenden Fall also die Nebenklägerin) die Zustellung zu bewirken hat. Damit soll die Entscheidung<br />

in der Hand des Antragstellers bleiben, ob er von der einstweiligen Verfügung Gebrauch macht, <strong>und</strong> sich unter<br />

Umständen dadurch auch Schadensersatzansprüchen nach § 945 ZPO aussetzt. Schon allein wegen dieses Zusammenhangs<br />

kann eine Zustellung im Parteibetrieb nicht durch andere Formen der Bekanntgabe ersetzt werden (vgl.<br />

BGHZ 120, 73, 78 ff.).<br />

b) Eine solche Zustellung fehlt im vorliegenden Fall. Schon aus diesem Gr<strong>und</strong> ist die einstweilige Verfügung keine<br />

taugliche Gr<strong>und</strong>lage für eine Strafbarkeit nach § 4 GewSchG. Die bloße Kenntnis von dem Inhalt der einstweiligen<br />

Verfügung, die hier jedenfalls sicher durch die Polizeibeamten vermittelt wurde, steht der Zustellung nicht gleich.<br />

Zwar können Mängel der Zustellung geheilt werden. Die Voraussetzungen hierfür, die sich nach der Regelung des §<br />

189 ZPO bestimmen, liegen jedoch nicht vor. Wesentliches <strong>und</strong> unverzichtbares Erfordernis einer Heilung ist, dass<br />

der Adressat der einstweiligen Verfügung das Dokument auch tatsächlich erhält, mithin „es in die Hand bekommt“<br />

(Stöber in Zöller aaO § 189 Rdn. 4). Dies gebietet schon der Gr<strong>und</strong>satz der Rechtsklarheit, weil nur so für den Adressaten<br />

Inhalt <strong>und</strong> Umfang der gerichtlichen Verfügung eindeutig umrissen werden. Nur dadurch wird für den Verpflichteten<br />

deutlich, dass er durch ein Gericht in Anspruch genommen werden soll. Eine gerichtliche Maßnahme<br />

gewinnt ihren Geltungsanspruch auch daraus, dass sie zweifelsfrei – schon durch ihre äußere Form – als solche zu<br />

identifizieren ist. Deshalb kann die Ausfertigung einer gerichtlichen Entscheidung nicht durch die bloße Mitteilung<br />

über ihren Inhalt ersetzt werden (vgl. BGHZ 70, 384, 387). Zudem fehlte im vorliegenden Fall ein Zustellungswille<br />

der Nebenklägerin, also die Absicht, die Zustellung auch bewirken zu wollen (vgl. BGH NJW 2003, 1192, 1193).<br />

Eine ohne Zustellungswillen erfolgte Übermittlung des Inhalts ist nicht geeignet, den Zustellungsmangel zu heilen.<br />

Die Zustellung bleibt unwirksam. Dies würde sogar dann gelten, wenn der Empfänger das Dokument selbst in Empfang<br />

genommen hätte.<br />

c) Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft kommt es nicht darauf an, ob im vorliegenden Fall das Familiengericht<br />

hätte entscheiden müssen. Abgesehen davon, dass die nach § 620 Nr. 9 ZPO hierfür maßgeblichen Voraussetzungen<br />

wegen des Fehlens eines auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalts ersichtlich nicht gegeben sind, ist<br />

für die Wirkungen einer gerichtlichen Entscheidung maßgebend, in welchem Verfahren sie ergangen ist, <strong>und</strong> nicht,<br />

in welchem sie hätte ergehen müssen. Deshalb bestimmen sich die Vorschriften über die Zustellung nach der Verfahrensart,<br />

die tatsächlich auch zur Anwendung gelangt ist, <strong>und</strong> nach der konkret getroffenen Entscheidung. Hier hat das<br />

Zivilgericht eine einstweilige Verfügung im Sinne des § 935 ZPO erlassen. Eine solche ist – was nicht geschehen ist<br />

– nach § 922 Abs. 2 i.V.m. § 936 ZPO im Parteibetrieb zuzustellen. Ob im Interesse des Opferschutzes eine generell<br />

abweichende Regelung vorzugswürdig wäre, die in Fällen des Gewaltschutzgesetzes eine Zustellung von Amts wegen<br />

vorsieht, hat der Senat nicht zu entscheiden.<br />

d) Schließlich lagen – wie das Landgericht zutreffend ausführt – für die Taten vom 6./7. Dezember 2003 die Voraussetzungen<br />

einer Strafbarkeit auch deshalb nicht mehr vor, weil die Vollziehung aus der einstweiligen Verfügung<br />

durch Ablauf der Frist des § 929 Abs. 2 ZPO unstatthaft geworden ist. Eine für die Verhinderung einer solchen Folge<br />

unverzichtbare so genannte Vollziehungszustellung (vgl. BGHZ 120, 73, 78) wurde im vorliegenden Fall von der<br />

Nebenklägerin nicht vorgenommen.<br />

2. Auch im Übrigen hat die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung keinen Fehler zum Vor- oder Nachteil (§<br />

301 StPO) des Angeklagten ergeben.<br />

390


GmbHG § 84 – Begriff der Zahlungsunfähigkeit<br />

BGH, Urt. vom 19.04.2007 – 5 StR 505/06<br />

Zum Begriff der Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 84 Abs. 1 GmbHG.<br />

Der 5. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. April 2007 für Recht erkannt:<br />

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 23. Mai 2006 aufgehoben,<br />

soweit der Angeklagte in den Fällen VI. 2. <strong>und</strong> 4. der Urteilsgründe freigesprochen worden ist.<br />

Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen; insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des<br />

Rechtsmittels <strong>und</strong> die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen.<br />

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung <strong>und</strong> Entscheidung, auch über die weiteren Kosten<br />

des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.<br />

G r ü n d e<br />

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in zwei Fällen sowie wegen vorsätzlichen Unterlassens der<br />

Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens unter Einbeziehung von anderweitig verhängten Geldstrafen<br />

zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren <strong>und</strong> sechs Monaten verurteilt <strong>und</strong> ihn in weiteren Punkten<br />

freigesprochen. Mit Ausnahme des Freispruchs im Fall VI. 1. der Urteilsgründe wendet sich die Staatsanwaltschaft<br />

mit ihrem Rechtsmittel, das vom Generalb<strong>und</strong>esanwalt nicht vertreten wird, gegen die übrigen Freisprüche. Die<br />

Revision der Staatsanwaltschaft hat teilweise Erfolg.<br />

I. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet, soweit sie sich gegen die Freisprüche in den Fällen VI. 2. <strong>und</strong> 4.<br />

der Urteilsgründe (entspricht Fällen 2, 5 <strong>und</strong> 6 der Anklage vom 5. Oktober 2004) richtet. Im Übrigen – bezüglich<br />

der Fälle VI. 3. der Urteilsgründe (entspricht Fällen 3 <strong>und</strong> 4 der Anklage vom 5. Oktober 2004) – ist sie unbegründet.<br />

1. Im Fall VI. 2. der Urteilsgründe hat das Landgericht den Angeklagten aus rechtlichen Gründen vom Vorwurf<br />

freigesprochen, in Kenntnis der seit dem 1. Dezember 1999 bestehenden Zahlungsunfähigkeit der W. GmbH (W. ),<br />

deren Geschäftsführer er war, spätestens bis zum 22. Dezember 1999 keinen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />

gestellt zu haben. Das Landgericht nimmt an, dass die Zahlungsunfähigkeit der WSP dadurch entfallen sei,<br />

dass ihr ca. 2,2 Mio. DM gutgeschrieben wurden. Mit diesem Betrag sollte nach den Feststellungen des Landgerichts<br />

der Angeklagte für den türkischen Staatsangehörigen B. Aktien einer Bank erwerben. Entgegen der Auffassung des<br />

Landgerichts hat die am 23. Dezember 1999 eingegangene Überweisung über mehr als 2 Mio. DM die Zahlungsunfähigkeit<br />

der WSP nicht ohne weiteres beseitigt.<br />

a) Die Zahlungsunfähigkeit ist in § 17 Abs. 2 InsO legaldefiniert. Danach tritt Zahlungsunfähigkeit ein, wenn der<br />

Schuldner nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Hieran knüpfen die Insolvenzantragungspflicht<br />

des § 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG <strong>und</strong> die einen diesbezüglichen Pflichtverstoß pönalisierende Strafvorschrift<br />

des § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG an. Nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs bedeutet Zahlungsunfähigkeit<br />

in diesem Sinne das nach außen in Erscheinung tretende, auf dem Mangel an Zahlungsmitteln beruhende, voraussichtlich<br />

dauernde Unvermögen des Unternehmens, seine sofort zu erfüllenden Geldschulden noch im Wesentlichen<br />

zu begleichen (BGHR GmbHG § 64 Abs. 1 Zahlungsunfähigkeit 1).<br />

b) Aufgr<strong>und</strong> der schuldrechtlichen Vereinbarung über den Verwendungszweck stand das Bankguthaben von 2,2 Mio.<br />

DM für die Begleichung der fälligen Verbindlichkeiten der W. nicht zur Verfügung. Maßgeblich für die Frage der<br />

Zahlungsunfähigkeit ist, was dem Schuldner an flüssigen Mitteln zur freien Verfügung steht (Kirchhof in HK InsO 4.<br />

Aufl. § 17 Rdn. 14). Für den Schuldner wäre eine freie Verfügung in diesem Sinne dann nicht mehr gegeben, wenn<br />

er die Gelder nur um den Preis einer neuerlichen Straftat für die Begleichung fälliger Verbindlichkeiten einsetzen<br />

könnte. Jedenfalls aber liegt eine Zahlungsunfähigkeit in den Fällen vor, in denen am Vermögenswert, der für die<br />

Begleichung der fälligen Verbindlichkeiten eingesetzt werden könnte, ein nach §§ 47 ff. InsO liquides Recht des<br />

Gläubigers fortbestehen würde, das ihm auch im Insolvenzfalle den Zugriff sichern würde. Denn dann stünde der<br />

Vermögenswert selbst in der Insolvenz nicht mehr den Gläubigern als Verteilungsmasse zur Verfügung.<br />

Dass ein solches Aussonderungsrecht im Sinne des § 47 InsO hier gegeben ist, liegt aufgr<strong>und</strong> der Feststellungen des<br />

Landgerichts nahe. Den Urteilsgründen ist nämlich zu entnehmen, dass die Gelder auf ein erst kurz zuvor eröffnetes<br />

Konto der W. überwiesen wurden <strong>und</strong> aufgr<strong>und</strong> des notariellen Vertrages hierfür auch eine eindeutige vertragliche<br />

Gr<strong>und</strong>lage bestanden hat (vgl. BGH ZIP 2005, 1465, 1466; Ganter in MüKo InsO 2001 § 47 Rdn. 354 ff.).<br />

c) Nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs sind allerdings sämtliche Einkünfte bei der Feststellung der<br />

Zahlungsunfähigkeit heranzuziehen. Dies gilt selbst dann, wenn sie aus Straftaten herrühren (BGH NJW 1982, 1952,<br />

1954 m.w.N.). Der Unterschied zu der hier vorliegenden Sachverhaltskonstellation ist jedoch darin zu sehen, dass die<br />

391


Gelder noch nicht in das Betriebsvermögen der W. integriert waren. Deshalb standen sie auch für die Erfüllung<br />

fremder Verbindlichkeiten nicht zur Verfügung. Anders ist die Sachlage zu beurteilen, wenn der Verantwortliche die<br />

Gelder – ob im Wege einer strafbaren Handlung oder in nicht strafbarer Weise – dem Unternehmen zuführt, indem er<br />

ihre Separierung aufhebt. Deshalb würde, wenn der Angeklagte die zweckgeb<strong>und</strong>enen Gelder tatsächlich für die<br />

Begleichung der fälligen Verbindlichkeiten der W. eingesetzt hätte, dies deren Zahlungsunfähigkeit beseitigen. Solange<br />

die Gesellschaft ihren Zahlungspflichten nachkommt, ist nämlich unerheblich, aus welcher Quelle ihre Einnahmen<br />

stammen (BGH NJW 1982, 1952, 1954).<br />

Die Strafkammer hat nicht festgestellt, dass der Angeklagte die auf dem neu eröffneten Konto gutgeschriebenen<br />

Geldbeträge für die W. <strong>und</strong> insbesondere zur Tilgung fälliger Verbindlichkeiten verwandt hat. Sowohl das weitere<br />

Schicksal der Verbindlichkeiten als auch des Überweisungsbetrages blieben unaufgeklärt. Ob der Angeklagte die<br />

zum Zwecke des Aktienkaufs überwiesenen 2,2 Mio. DM veruntreut hat, ist Gegenstand eines Strafverfahrens, das<br />

vorläufig gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist. Für die Frage, ob die W. zahlungsunfähig war, ist allerdings<br />

eine nähere Aufklärung hierzu unumgänglich.<br />

d) Entgegen der Auffassung des Landgerichts bestehen im vorliegenden Fall hinreichende Anhaltspunkte für das<br />

Vorliegen einer Überschuldung im Sinne des § 19 InsO. Besteht für fällige Verbindlichkeiten in erheblicher Größenordung<br />

keine Deckung, kann dies auch darauf hindeuten, dass kein Aktivvermögen vorhanden ist, das für deren<br />

Ausgleich herangezogen werden oder jedenfalls die Gr<strong>und</strong>lage für eine kurzfristige Kreditgewährung bilden könnte.<br />

Die Überschuldung ist der Zahlungsunfähigkeit häufig vorgelagert (Kirchhof in HK aaO § 16 Rdn. 6). Bei der Erstellung<br />

einer Überschuldungsbilanz hätte im Übrigen die zweckgeb<strong>und</strong>ene Überweisung außer Betracht zu bleiben,<br />

weil solche Gelder kein Aktivvermögen des Unternehmens darstellen. Selbst wenn der Angeklagte sie in das Unternehmen<br />

„eingebracht“ haben sollte, wäre zugleich eine entsprechende Verbindlichkeit entstanden, die auf Ersatz des<br />

durch die zweckwidrige Verwendung entstandenen Schadens gerichtet wäre.<br />

2. Hinsichtlich der Fälle VI. 4., die den Vorwurf zum Gegenstand haben, der Angeklagte habe als Geschäftsführer<br />

der W. trotz Kenntnis der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit die Bilanzen für die Jahre 1999 <strong>und</strong> 2000 nicht erstellt,<br />

kann das Urteil ebenfalls keinen Bestand haben. Da die Ausführungen des Landgerichts zur Zahlungsunfähigkeit der<br />

W. durchgreifenden rechtlichen Bedenken unterliegen, ergreift dieser Begründungsmangel auch die Freisprüche vom<br />

Vorwurf des Bankrotts nach § 283 Abs. 1 Nr. 7 lit. b StGB. Es bedürfen sowohl das Tatbestandsmerkmal der Zahlungsunfähigkeit<br />

nach § 283 Abs. 1 StGB als auch das des Eintritts der Zahlungseinstellung – als objektive Bedingung<br />

der Strafbarkeit gemäß § 283 Abs. 6 StGB – umfassender tatrichterlicher Prüfung.<br />

3. Dagegen hat die Revision der Staatsanwaltschaft in den Fällen VI. 3. der Urteilsgründe keinen Erfolg. Das Landgericht<br />

hat den Angeklagten aus rechtlichen Gründen insoweit im Ergebnis zu Recht freigesprochen.<br />

a) Dem Angeklagten liegt zur Last, es als Geschäftsführer der S. GmbH trotz Kenntnis der am 1. Dezember 1999<br />

eingetretenen Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft unterlassen zu haben, jeweils eine Bilanz zum 31. Dezember<br />

1999 <strong>und</strong> zum 31. Dezember 2000 aufzustellen. Das Landgericht hat den Freispruch damit begründet, dass das Unternehmen<br />

nicht über die erforderlichen Mittel verfügt hätte, die beiden Bilanzen über den Steuer-Berater aufstellen<br />

zu lassen, <strong>und</strong> ferner keine Anhaltspunkte dafür bestünden, dass der Angeklagte die Bilanzen selbst hätte aufstellen<br />

können.<br />

b) Diese Begründung des Landgerichts begegnet allerdings durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil die Urteilsgründe<br />

keine – bei einem solchen Begründungsansatz erforderliche – Übersicht über die wirtschaftliche Situation<br />

<strong>und</strong> die Geschäftstätigkeit der S. GmbH enthalten. Indes ist dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe noch<br />

hinreichend deutlich zu entnehmen, dass jedenfalls keine ausreichenden Mittel mehr vorhanden gewesen sein dürften,<br />

um den Steuerberater mit der Erstellung einer Bilanz zu betrauen. Angesichts dieser Sachlage kann der Senat<br />

dahinstehen lassen, ob eine Strafbarkeit schon dann nicht in Betracht kommt, wenn die Zahlungseinstellung erfolgt<br />

(§ 283 Abs. 6 StGB), bevor die Frist zur rechtzeitigen Bilanzerstellung abgelaufen ist (vgl. BGHR StGB § 283 Abs.<br />

1 Nr. 7b Zeit 1, Bilanz 2).<br />

II. Im Hinblick auf den erheblichen Ermittlungsaufwand in den Fällen, in denen eine Zurückverweisung der Sache an<br />

das Landgericht erfolgen musste, könnte eine Sachbehandlung nach § 154 Abs. 2 StPO angezeigt erscheinen. Die<br />

auch im Blick auf die lange zurückliegenden Tatzeiten hier allenfalls zu erwartenden Strafen fallen gegenüber den<br />

gegen den Angeklagten bereits rechtskräftig verhängten Strafen nicht wesentlich ins Gewicht.<br />

392


GmbHG § 84 Abs. 2 Nr.2, § 64 Abs. 1 S. 1; Insolvenzgesetz § 17 II – Zahlungsunfähigkeit Begriff<br />

BGH, Beschl. vom 23.05.2007 – 1 StR 88/07<br />

Zum Begriff der Zahlungsunfähigkeit nach dem neuen Insolvenzrecht.<br />

Der 1. Strafsenat des B<strong>und</strong>esgerichtshofs hat am 23. Mai 2007 beschlossen: Die Revisionen der Angeklagten gegen<br />

das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 28. Juli 2006 werden als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des<br />

Urteils auf Gr<strong>und</strong> der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat (§<br />

349 Abs. 2 StPO). Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.<br />

Ergänzend bemerkt der Senat: Bei der Prüfung der Strafbarkeit gemäß § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG ging die Strafkammer<br />

bei der Feststellung der Insolvenzantragspflicht wegen Zahlungsunfähigkeit gemäß § 64 Abs. 1 Satz 1<br />

GmbHG zutreffend von der Legaldefinition des § 17 Abs. 2 der Insolvenzordnung aus, die mit Wirkung vom 1.<br />

Januar 1999 die Konkursordnung ablöste. Nach § 17 Abs. 2 InsO ist der Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht in<br />

der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Auf die Merkmale der „Dauer“ <strong>und</strong> der „Wesentlichkeit“<br />

hat der Gesetzgeber der Insolvenzordnung bei der Umschreibung der Zahlungsunfähigkeit bewusst verzichtet,<br />

um der unter Geltung des alten Rechts (§ 102 KO) verbreiteten Neigung zu begegnen, den Begriff der<br />

Zahlungsunfähigkeit stark einzuengen <strong>und</strong> damit eine über Wochen oder sogar Monate fortbestehende Illiquidität<br />

zur rechtlich unerheblichen Zahlungsstockung zu erklären. Mit dieser Legaldefinition ist auch die<br />

frühere Rechtsprechung überholt, wonach nur die von den Gläubigern „ernstlich eingeforderten“ Verbindlichkeiten<br />

maßgebend waren. Entscheidend ist allein der Zeitpunkt der Fälligkeit einer Forderung, der nur<br />

durch eine St<strong>und</strong>ungsvereinbarung hinausgeschoben werden kann. Von der Zahlungsunfähigkeit abzugrenzen<br />

ist - weiterhin - die bloße Zahlungsstockung, d.h. der kurzfristig behebbare Mangel an flüssigen Mitteln. Dieser muss<br />

in einem Zeitraum von maximal drei Wochen zu beseitigen sein, da eine kreditwürdige Person in der Lage ist, sich<br />

binnen zwei bis drei Wochen die benötigten Beträge darlehensweise zu beschaffen. Sonst liegt - von vorneherein -<br />

Zahlungs-unfähigkeit vor (vgl. zu allem BGH wistra 2005, 432; Schulze-Osterloh in Baumbach/Hueck, GmbH-<br />

Gesetz 18. Aufl. § 64 Rdn. 4 ff., § 84 Rdn. 25; Bieneck in Müller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht 4.<br />

Aufl. § 76 Rdn. 51 ff.). Der Senat versteht daher die im Urteil des B<strong>und</strong>esgerichtshofs vom 19. April 2007 (5 StR<br />

505/06 Rdn. 4) unter Hinweis auf eine aus dem Jahr 1997 stammende Entscheidung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs zum<br />

alten Konkurs-recht (BGHR GmbHG § 64 Abs. 1 Zahlungsunfähigkeit 1) gewählte Formulierung, wonach Zahlungsunfähigkeit<br />

(im konkreten Fall seit dem 1. Dezember 1999) im Sinne von §§ 64, 84 GmbHG „das nach außen<br />

in Erscheinung tretende, auf dem Mangel an Zahlungsmitteln beruhende, voraussichtlich dauernde Unvermögen des<br />

Unternehmens [sei], seine sofort zu erfüllenden Geldschulden noch im Wesentlichen zu begleichen“, dahingehend,<br />

dass damit nur noch die Zahlungsstockung im Sinne des neuen Insolvenzrechts angesprochen werden sollte. Denn<br />

davon, dass der 5. Strafsenat die alte Rechtsprechung trotz der neuen Legaldefinition des § 17 Abs. 2 InsO für den<br />

Bereich des Strafrechts - unter Hintanstellung der Zivilrechtsakzessorietät der Strafnorm - perpetuieren <strong>und</strong> sich so<br />

über die - ältere - Rechtsprechung des IX. Zivilsenats des B<strong>und</strong>esgerichtshofs aus dem Jahre 2005 (BGH wistra aaO)<br />

hinwegsetzen wollte, kann nicht ausgegangen werden.<br />

393


Inhaltsverzeichnis<br />

<strong>Verfahrensrecht</strong>...............................................................................................................................2<br />

StPO § 22 – Richterausschluss infolge Zeugenaussage im Parallelverfahren ................................... 2<br />

BGH, Beschl. vom 22.05.2007-5 StR 530/06....................................................................................................... 2<br />

StPO § 24 – Keine Revisibilität der Ablehnung erstinstanzlicher OLG-Richter.............................. 3<br />

BGH, Beschl. vom 16.01.2007 – 3 StR 251/06.................................................................................................... 3<br />

StPO § 24 StPO, StGB § 266 Pressekontakte als Ablehnungsgr<strong>und</strong> –( Fall Allianz-Arena<br />

München)................................................................................................................................................. 5<br />

BGH, Urt. vom 09.08.2006 - 1 StR 50/06 -.......................................................................................................... 5<br />

StPO § 24, § 243, § 244 – Richterablehnung nur bei willkürlichen oder abwegigen<br />

Verfahrensfehlern - Beweisantrag....................................................................................................... 16<br />

BGH, Urt. vom 20.06.2007 – 2 StR 84/07 ......................................................................................................... 16<br />

StPO § 24, § 338 Nr. 3 – Ablehnung des Vorsitzenden nach Äußerungen ...................................... 20<br />

BGH, Beschl. vom 15.05.2007 – 3 StR 132/07.................................................................................................. 20<br />

StPO § 24, § 338 Nr. 3 – Ablehnung wegen kritikloser Übernahme der Feststellungen teilweise<br />

aufgehobenen Urteils in Haftentscheidung......................................................................................... 22<br />

BGH, Urt. vom 20.06.2007 – 1 StR 167/07 ....................................................................................................... 22<br />

StPO § 26a, § 27 – Ablehnungsgesuch nicht schon wegen Substanzlosigkeit unzulässig �<br />

Aufhebung von BGH NStZ 2004, 630 ................................................................................................. 25<br />

BVerfG, 2 BvR 836/04 vom 24.2.2006 - NJW 2006, 3129 = StV 2006, 673 .................................................... 25<br />

StPO § 55 Abs. 1, § 238 Abs. 2 Sachleitung zu beanstanden bei falscher Zubilligung des § 55..... 32<br />

BGH, Urt. vom 16.11.2006 – 3 StR 139/06 = JR 2007, XXX (Heft 9) mit Anm. Mosbacher........................... 32<br />

StPO § 55, § 238 BVerfG zur vorstehenden Entscheidung BGH ..................................................... 41<br />

BVerfG vom 10.1.2007 -2 BvR 2557/06- Kammer - ......................................................................................... 41<br />

StPO § 96 V-Mann, Wahrung der Anonymität................................................................................. 42<br />

BGH, Beschl vom 24.10.2006 – 1 StR 442/06................................................................................................... 42<br />

StPO § 97; Art. 6 Abs. 3 MRK; Art. 2 Abs. 1 GG............................................................................. 43<br />

Beschl. des OLG München v. 30. 11. 2004 – 3 Ws 720-722/04 StV 2005, 118 = JR 2007, 336 mit Anm.<br />

Satzger................................................................................................................................................................ 43<br />

StPO § 102 Onlinedurchsuchung „B<strong>und</strong>estrojaner“......................................................................... 46<br />

BGH, Beschl. vom 31.01.2007 - StB 18/06 – NJW 2007, 930 mit Anm. <strong>Hamm</strong> 932; Kutscha NJW 2007, 1169;<br />

Harrendorf, Stefan StraFo 2007, 149; JR 2007, S. 123 mit Aufsatz Jahn/Kudlich l zu den vorausgeg.<br />

Entscheidungen des Ermittlungsrichters des BGH vom 25.11.2006 - 1 BGs 184/2006, JR 2007 S. 57 <strong>und</strong> S.<br />

77.)...................................................................................................................................................................... 46<br />

StPO § 102, § 105 Abs. 1 Satz 1, Art. 13 Abs. 2 GG Richtervorbehalt bei Durchsuchung bewusst<br />

missachtet............................................................................................................................................... 49<br />

BGH, Urt. vom 18. April 2007 – 5 StR 546/06 – NJW 2007, S. 2269 ff.= JR 2007, XXX mit Anm. Ransiek . 49<br />

StPO § 110a – Ausländische Polizeibeamte als Verdeckte Ermittler im Inland sind V-Personen 55<br />

BGH, Beschl. vom 20.06.2007 – 1 StR 251/07.................................................................................................. 55<br />

394


395<br />

StPO § 136 Abs. 1, § 136 a Abs. 1, § 110 a Abs. 1 Verwertungsverbot, wenn verdeckter Ermittler<br />

den gegenüber Polizei schweigenden Beschuldigten zur scheinbar vertraulichen Äußerung<br />

gedrängt hat........................................................................................................................................... 57<br />

BGH, Urt. vom 26.07.2007 - 3 StR 104/07 = JR 2007, xxx mit Anm. Renzikowski......................................... 57<br />

StPO § 136 Abs. 1, § 163a Abs. 4 – Beginn der Beschuldigteneigenschaft „Inkulpation“ ............. 62<br />

BGH, Urt. vom 3. Juli 2007 - 1 StR 3/07 - LG Waldshut-Tiengen = JR 2007, xxx mit Anm. Roxin................ 62<br />

StPO § 136 StPO – Verwertungsverbot bei unterlassener Belehrung ab wann Beschuldigter? .. 68<br />

BGH, Beschl. vom 08.11.2006 – 1 StR 454/06 – JR 2007, S. 125 m. Anm. Wohlers ....................................... 68<br />

StPO § 136, § 163a – Beschuldigtenbegriff bei Erstvernehmung als Zeugen.................................. 70<br />

BGH 1 StR 280/07; Beschl. vom 18.07.2007..................................................................................................... 70<br />

StPO § 136a Drohung oder Vorteilsversprechen bei Dealgesprächen mit „Sanktionsschere“...... 71<br />

BGH, Urt. vom 27.04.2007 – 2 StR 523/06 - ..................................................................................................... 71<br />

StPO § 154 oder § 154a? - Verwechslung unschädlich...................................................................... 74<br />

BGH, Urt. vom 14.03.2007- 5 StR 461/06 ......................................................................................................... 74<br />

StPO § 206a, § 353 Abs. 2; IRG § 72 Rechtshilfe Widerruf............................................................. 81<br />

BGH, Beschl. vom 10.01.2007 – 5 StR 305/06 (alt: 5 StR 299/03) - NJW 2007, S. 853 ff. .............................. 81<br />

StPO § 229 Abs. 1 – Fristwahrung <strong>und</strong> Schiebetermine ................................................................... 87<br />

BGH, Urt. vom 03.08.2006 – 3 StR 199/06 - NJW 2006, S. 3077 ff. = JR 2007, S. 38 m. Anm. Gössel.......... 87<br />

StPO§ 244 Abs. 2, § 247a Audiovisuelle Vernehmung darf nicht an Mitteln scheitern ................. 90<br />

BGH, Beschl. vom 07.03.2007 – 1 StR 646/06 – NJW 2007, S. 1475 = JR 2007, xxx mit Anm. Güntge......... 90<br />

StPO § 244 Ablehnung Beweisantrag – formalisierter Dialog.......................................................... 92<br />

BGH, Beschl. vom 20.12.2006 – 2 StR 444/06.................................................................................................. 92<br />

StPO § 244 Abs. 3 Satz 2, § 245 Abs. 2 Satz 3 Var. 5, § 246 Abs. 1 Prozessverschleppung............ 93<br />

BGH, Beschl. vom 9.05.2007 - 1 StR 32/07 - NJW 2007, 2501 ....................................................................... 93<br />

StPO § 244 Abs. 3 Satz 2, Abs. 6 – Beweisantrag - Wahrunterstellung ......................................... 100<br />

BGH, Beschl. vom 21.06.2007 – 5 StR 189/07................................................................................................ 100<br />

StPO § 244 Beweisantrag - Beweisermittlungsantrag ..................................................................... 101<br />

BGH, Urt. vom 13.06.2007 – 4 StR 100/07 ..................................................................................................... 101<br />

StPO § 244 Beweisantrag Bedeutungslosigkeit – nähere Begründung erforderlich..................... 103<br />

BGH, Beschl. vom 19.10.2006 – 4 StR 251/06................................................................................................ 103<br />

StPO § 244 Beweisantrag nach Urteilsberatung, aber vor der Urteilsverkündung...................... 104<br />

BGH, Urt. vom 07.09.2006 – 3 StR 277/06 - ................................................................................................... 104<br />

StPO § 247 – Unterrichtung des Angeklagten.................................................................................. 108<br />

BGH, Beschl. vom 25.10.2006 – 2 StR 339/06 – StraFo 2007, 118 ................................................................ 108<br />

StPO § 247 Satz 4 Unterrichtung des Angeklagten mittels Videoübertragung............................. 109<br />

BGH, Beschl. vom 19.12. 2006 - 1 StR 268/06 – JR 2007, S. 256 (Anm. Kretschmer) .................................. 109<br />

StPO § 247, § 338 Nr. 5 – Entscheidung über Zeugenvereidigung nicht wesentlicher Teil der HV<br />

.............................................................................................................................................................. 112<br />

BGH, Beschl. vom 11.07.2006 – 3 StR 216/06 - NJW 2006, S. 2934 f. = JR 2007, S. 79 m. Anm. Müller.... 112<br />

StPO § 247, 338 Nr. 5 Entfernung des Angeklagten während der Vernehmung der Zeugin ...... 113<br />

BGH, Beschl. vom 26.09.2006 – 4 StR 353/06................................................................................................ 113


StPO § 251 Abs. 1 Nr. 2, § 250 Satz 2, § 55 – Zeuge muss trotz umfassenden § 55 StPO erscheinen<br />

.............................................................................................................................................................. 115<br />

BGH, Urt. vom 27.04.2007 – 2 StR 490/06 - NJW 2007, S. 2195 ff. .............................................................. 115<br />

StPO § 251 Abs. 1 Nr. 2; StGB § 177 Abs. 1 Nr. 3 Verlesbarkeit von Niederschriften über frühere<br />

Vernehmung nach Abbruch der Zeugenvern. in der Hauptverhandlung..................................... 118<br />

BGH, Beschl. vom 4.04. 2007 - 4 StR 345/06 – NJW 2007, S. 2341 ff........................................................... 118<br />

StPO § 252 StPO - Einverständnis eines nach § 52 StPO verweigerungsberechtigten Zeugen zur<br />

Verwertung einer früheren Aussage? ............................................................................................... 122<br />

BGH, Beschl. vom 30.03.2007 – 1 StR 349/06................................................................................................ 122<br />

StPO § 252 Verletzung rügbar ohne Beanstandung ........................................................................ 126<br />

BGH, Beschl. vom 27.10.2006 – 2 StR 334/06 – StV 2007, 68....................................................................... 126<br />

StPO § 257 Abs. 2 – Meldung zu Wort als Rügevoraussetzung - § 265 Rechtl. Hinweis, Zeitpunkt<br />

.............................................................................................................................................................. 127<br />

BGH, Beschl. vom 24.10.2006 – 1 StR 503/06 – NStZ 2007, 234 = StraFo 2007, 67..................................... 127<br />

StPO § 261 Beweiswürdigung – Indiztatsachen - Vermutungen .................................................... 128<br />

BGH, Beschl. vom 31.10.2006 – 2 StR 417/06 – NStR-RR 2007, 86.............................................................. 128<br />

StPO § 261 Inbegriff der Verhandlung - Irrtum in der Bezeichnung der Rüge als Sach- oder<br />

Verfahrensrüge ................................................................................................................................... 130<br />

BGH, Urt. vom 16.10.2006 – 1 StR 180/06 - NJW 2007, S. 92 ff. = JR 2007, 172 (Anm. Kretschmer)1....... 130<br />

StPO § 261, § 354 Abs. 1a Satz 1, StGB § 46 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1. Deal – Punktstrafe.... 135<br />

BGH, Beschl. vom 22.08.2006 – 1 StR 293/06 - NJW 2006, S. 3362 f. .......................................................... 135<br />

StPO § 265 Abs. 4, § 137 Abs. 1 S.1 - Fortbildungsinteresse des Verteidigers .............................. 137<br />

BGH, Beschl. vom 09.11.2006 – 1 StR 474/06 – JR 2007, 209 ff. m. Anm. Eidam........................................ 137<br />

StPO § 265, § 207 Abs. 2 – Verfahrensgegenstand nach Hinweis im Eröffnungsbeschluss-<br />

Teilfreispruch ...................................................................................................................................... 140<br />

BGH, Beschl. vom 10.05.2007 – 5 StR 155/07................................................................................................ 140<br />

StPO § 267 StPO – Urteil muss richtig, nicht „revisionssicher“ sein............................................. 141<br />

BGH, Beschl. vom 07.12.2006 – 2 StR 470/06................................................................................................ 141<br />

StPO § 268 Abs. 3 Satz 2 – Urteilsverkündungsfrist 10 Tage zwingendes Recht.......................... 143<br />

BGH, Beschl. vom 20.06.2007 – 1 StR 58/07 = NStZ-RR 2007, 278.............................................................. 143<br />

StPO § 268 Abs. 3 Satz 2 – zwingendes Recht (gegen 5 StR 349/06) .............................................. 144<br />

BGH, Beschl. vom 30.11.2006 – 4 StR 452/06 - NJW 2007, S. 448 ............................................................... 144<br />

StPO § 268 Abs. 3 Satz 2, § 229 Abs. 1, Urteilsverkündungsfrist ................................................. 145<br />

BGH, Beschl. vom 09.11.2006 – 5 StR 349/06 - NJW 2007, S. 96 ................................................................. 145<br />

StPO § 274 – Beweiskraft zum Vorliegen einer Urteilsabsprache.................................................. 146<br />

BGH, Beschl. vom 27.02.2007 – 3 StR 32/07.................................................................................................. 146<br />

StPO § 274 – Wahrheitswidrige Behauptung eines Verfahrensfehlers......................................... 147<br />

BGH, Urt. vom 11.08.2006 – 3 StR 284/05 - NJW 2006, S. 3579 ff. = JR 2007, S. 31 m. Anm. Fahl, dazu<br />

ebenfalls Hollaender JR 2007, S. 6................................................................................................................... 147<br />

StPO § 274 Rügeverkümmerung Großer Senat............................................................................... 154<br />

BGH, Beschl. vom 23.04.2007 - GSSt 1/06 – NJW 2007, S. 2419 ff. = JR 2007, 345 mit Anm. Fahl............ 154<br />

StPO § 274 Rügevernichtende Protokollberichtigung – Vorlagebeschluss an GS........................ 162<br />

396


397<br />

BGH, Beschl. vom 23.08.2006 – 1 StR 466/05 - NJW 2006, S. 3582 ff. = JR 2006, 162 m. Anm.<br />

Jahn/Widmaier.................................................................................................................................................. 162<br />

StPO § 275 Abs. 1 Unterschrift durch Richter auf Probe bei StA.................................................. 169<br />

BGH, Urt. vom 08.11.2006 – 2 StR 294/06 ..................................................................................................... 169<br />

StPO § 275 Abs. 1 Urteilsabsetzung - Versterben des Berichterstatters....................................... 169<br />

BGH, Beschl. vom 24.11.2006 – 1 StR 558/06................................................................................................ 169<br />

StPO § 275 Urteilsabsetzungsfrist. Was heißt "zu den Akten zu bringen"?................................. 170<br />

BGH, Beschl. vom 09.11.2006 – 1 StR 388/06................................................................................................ 170<br />

StPO § 302, § 35 a Satz 1 - Kein Verzicht auf Rechtsmittelbelehrung nach Urteilsabsprache.... 171<br />

BGH, Beschl. vom 03.04.2007 - 3 StR 72/07 =JR 2007, XXX mit Anm. Gössel........................................... 171<br />

StPO § 338 Nr. 1 – Besetzungsrüge Schöffenzuteilung für eine Hilfsstrafkammer...................... 171<br />

BGH, Beschl. vom 07.02.2007 – 2 StR 370/06................................................................................................ 171<br />

StPO § 338 Nr. 1 , 222b Rügepräklusion durch unvollständigen Besetzungseinwand................. 173<br />

BGH, Urt. vom 25.10.2006 – 2 StR 104/06 ..................................................................................................... 173<br />

StPO § 344 Abs. 2 – Beweismittel zu Verfahrensfehler nicht erforderlich.................................... 175<br />

BGH, Beschl. vom 22.09.2006 –1 StR 298/06................................................................................................ 175<br />

StPO § 344 Abs. 2 - Revisionsvortrag bei Rüge der Staatsanwalt habe seine eigene Zeugenaussage<br />

gewürdigt ............................................................................................................................................. 176<br />

BGH, Besch. Vom 30.01.2007 – 5 StR 465/06 ................................................................................................ 176<br />

StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Revisionsvortrag bei Befangenheitsrüge................................................ 177<br />

BGH, Beschl. vom 29.09.2006 – 2 StR 328/06 -.............................................................................................. 177<br />

StPO § 344 Abs. 2, § 345 Abs. 1; MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 – Verfahrensrüge wegen später<br />

Verfahrensverzögerung mit eigener Frist.........................................................................................178<br />

BGH, Beschl. vom 20.06.2007 – 2 StR 493/06 – NJW 2007, 2647................................................................. 178<br />

StPO § 344 Revision – Behauptung des Rechtsfehlers .................................................................... 179<br />

BGH, Beschl. vom 27.07.2006 – 1 StR 147/06 -.............................................................................................. 179<br />

StPO § 349 Abs. 3 – Senat entscheidet gleich nach Fristablauf – Verteidiger muss das wissen .. 183<br />

BGH, Beschl. vom 27.02.2007 – 1 StR 8/07.................................................................................................... 183<br />

StPO § 349 Abs. 3 Satz 2 – Schriftsatz nach Fristablauf................................................................. 183<br />

BGH, Beschl. vom 06.12.2006 – 1 StR 532/06................................................................................................ 183<br />

StPO § 353 Abs. 2 – Tenorierung des Revisionsurteils.................................................................... 184<br />

BGH, Beschl. vom 28.03.2007 – 2 StR 62/07.................................................................................................. 184<br />

StPO § 354 Abs. 1 1a <strong>und</strong> 1b – Anwendungsbereich – analoge Anwendung................................. 186<br />

BGH, Beschl. vom 27.02.2007 – 5 StR 459/06 -.............................................................................................. 186<br />

StPO § 354 Abs. 1a – Grenzen der eigenen Strafzumessung durch das Revisionsgericht BVerfG<br />

.............................................................................................................................................................. 188<br />

Beschluss des BVerfG vom 14. Juni 2007 -- 2 BvR 1447/05 -- 2 BvR 136/05 -= JR 2007, XXX mit Anm.<br />

Peglau ............................................................................................................................................................... 188<br />

StPO § 356a Rechtliches Gehör in der Revisionsinstanz................................................................. 201<br />

BGH, Beschl. v.06.11.2006 – 1 StR 50/06 - NJW 2006, S. 3290 .................................................................... 201<br />

StrEG § 4 Abs. 1 Nr. 2 Billigkeitsentscheidung................................................................................ 201<br />

BGH, Beschl. vom 10.01.2007 - 5 StR 454/06 (alt: 5 StR 136/04, 5 StR 290/05)........................................... 201


GG Art. 1; Art. 20 Abs. 3; StPO § 96; MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1; BerlLBG § 27 Abs. 3 Recht auf<br />

Verteidigung - Beamtenrecht............................................................................................................. 203<br />

BGH, Beschl. vom 5.06.2007 – 5 StR 383/06.................................................................................................. 203<br />

GVG § 169 – Schließung des Dienstgebäudes – Zeugenbefragung von Beweisantrag abhängig 207<br />

BGH, Beschl. vom 14.12.2006 - 5 StR 472/06................................................................................................. 207<br />

JGG § 66, 27, 30, 31, 62 - Sperrwirkung........................................................................................... 209<br />

BGH, Beschl. vom 25.10.2006 – 2 ARs 428/06 - NJW 2007, 447 .................................................................. 209<br />

MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. d, StPO § 168c ...................................................................................... 210<br />

BGH, Beschl. vom 29.11.2006 – 1 StR 493/06 - BGHSt 51, 150 = NJW 2007, 237 = JR 2007, 300 (Anm.<br />

Eisele)............................................................................................................................................................... 210<br />

RVG § 42 Abs. 1 Satz – Pauschvergütung für Fremdschriftsatz in Revision................................ 214<br />

BGH, Beschl. vom 02.04.2007 – 1 StR 579/05................................................................................................ 214<br />

RVG Gebühr für Verfallsbeteiligtenvertreter.................................................................................. 214<br />

BGH, Beschl. vom 14.12.2006 – 5 StR 119/05................................................................................................ 214<br />

StGB - Allgemeiner Teil..............................................................................................................216<br />

StGB § 9 Abs. 2 – Auslandstaten Teilnahme .................................................................................... 216<br />

BGH, Urt. vom 14.12.2006 – 4 StR 421/06 ..................................................................................................... 216<br />

StGB § 11 Abs. 1 Nr. 2 Iit. c, §§ 333 ff. Amtsträger Kommunale Wohnbaugesellschaft.............. 219<br />

BGH, Urteil vom 18.04.2007 - 5 StR 506/06 ................................................................................................... 219<br />

StGB § 20 – Keine Einweisung in Psychiatrie wegen Versuchs, sich der Einweisung zu entziehen.<br />

.............................................................................................................................................................. 223<br />

BGH, Beschl. vom 07.03.2007 – 2 StR 52/07.................................................................................................. 223<br />

StGB § 32 Notwehr – Notwehrexzess – widersprüchliche Feststellungen ..................................... 224<br />

BGH, Beschl. vom 13.03.2007 – 4 StR 606/06................................................................................................ 224<br />

StGB § 46 Abs. 2 Tatumstände 16..................................................................................................... 226<br />

BGH, Beschl. vom 12.09.2006 – 4 StR 279/06 -.............................................................................................. 226<br />

StGB § 46 Strafmildernde Wirkung des prouesstaktischen Geständnisses................................... 226<br />

BGH, Besch. Vom 08.05.2007 – 1 StR 193/07 ................................................................................................ 226<br />

StGB § 46, AO § 370 - Strafzumessung gerechter Schuldausgleich ............................................... 227<br />

BGH; Urt. vom 29.11.2006 - 5 StR 324/06...................................................................................................... 227<br />

StGB § 46, MRK Art. 6 Abs.2 – Warnfunktion früheres Verfahren - Unschuldsvermutung ..... 231<br />

BGH, Beschl. vom 25.04.2006 – 4 StR 125/06 – NStZ 2006, 620 = StraFo 2006, 422................................... 231<br />

StGB § 46a – Täter-Opfer-Ausgleich, wenn Entschädigung beim Verteidiger hängenbleibt?.... 232<br />

BGH, Beschl. vom 16.03.2007 – 2 StR 35/07.................................................................................................. 232<br />

StGB § 47 Abs. 1 Kurze Freiheitsstrafe „unerlässlich“ grenzt zu Geldstrafe ab.......................... 233<br />

BGH, Beschl. vom 06.12.2006 – 2 StR 497/06................................................................................................ 233<br />

StGB § 56 Abs. 1 – „künftiges Wohlverhalten“ muss über Bewährungszeit hinausreichen........ 234<br />

BGH, Urt. vom 13.03.2007 – 1 StR 601/06 ..................................................................................................... 234<br />

StGB § 56 Abs. 1 Positive Prognose................................................................................................... 237<br />

BGH, Beschl. vom 10.01.2007 - 5 StR 542/06................................................................................................. 237<br />

398


399<br />

StGB § 63, 20, 21 – Unterbringung bei Alkoholsucht krankhaft alkoholüberempfindlich einer<br />

Politoxikomanie................................................................................................................................... 238<br />

BGH, Beschl. vom 22.03.2007 – 4 StR 56/07.................................................................................................. 238<br />

StGB § 66 Verhältnis zwischen der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) <strong>und</strong><br />

der Sicherungsverwahrung ................................................................................................................ 239<br />

BGH, Urt. vom 09.11.2006 – 3 StR 360/06 ..................................................................................................... 239<br />

StGB § 66 Gefahr für die Allgemeinheit ist auch Gefahr für Einzelperson .................................. 241<br />

BGH, Urt. vom 10.01.2007 – 1 StR 530/06 ..................................................................................................... 241<br />

StGB § 66 a Abs. 2 Satz 1 keine bloße Ordnungsvorschrift........................................................... 243<br />

BGH, Urt. vom 14.12.2006 – 3 StR 269/06 - NJW 2007, S. 1011 f................................................................. 243<br />

StGB § 66a Abs. 2 - nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung................................. 245<br />

BGH, Beschl. vom 10.11.2006 – 1 StR 483/06................................................................................................ 245<br />

StGB § 66b – Verwertung innerer Tatsachen .................................................................................. 247<br />

BGH, Beschl. vom 01.12.2006 – 2 StR 475/06................................................................................................ 247<br />

StGB § 66b dient nicht der Korrektur von Fehlern bei § 66 StGB ................................................ 251<br />

BGH, Beschl. vom 29.08.2006 -1 StR 306/06 - ............................................................................................... 251<br />

StGB § 66b Psychische Erkrankung im Strafvollzug ...................................................................... 254<br />

BGH, Beschl. vom 09.01.2007 – 1 StR 605/06 - NJW 2007, 1074 ff.............................................................. 254<br />

StGB § 69 - Fahren ohne Fahrerlaubnis...........................................................................................259<br />

BGH, Urt. vom 05.09.2006 – 1 StR 107/06 - ................................................................................................... 259<br />

StGB § 78c Abs. 1 Nr. 4 Verjährungsunterbrechung durch Durchsuchungsbeschluss mit<br />

unzutreffender rechtlicher Beurteilung ............................................................................................ 261<br />

BGH Urt. vom 22.08.2006 – 1 StR 547/05 - .................................................................................................... 261<br />

StGB - Besonderer Teil ...............................................................................................................267<br />

StGB § 86 a Abs. 1 – Durchgestrichenes Hakenkreuz ist kein Hakenkreuz.................................. 267<br />

BGH, Urt. vom 15.03.2007 – 3 StR 486/06 – NJW 2007, 1602 ff.= JR 2007 xxx mit Anm. Vormbaum. ...... 267<br />

StGB § 129 a Abs. 5 Unterstützer einer terroristischen Vereinigung nicht schon bei Werben um<br />

Mitglieder............................................................................................................................................. 271<br />

BGH, Beschl. vom 16.05.2007 - AK 6/07 <strong>und</strong> StB 3/07 - ............................................................................... 271<br />

StGB § 176 Abs. 3 Nr. 2 .Bedeutung des Merkmals: sexuelle Handlungen "an sich" vornimmt 276<br />

BGH, Beschl. vom 01.12.2006 – 2 StR 434/06................................................................................................ 276<br />

StGB § 177 Abs. 4 Nr. 1, § 24 – kein Teilrücktritt von einzelnen Qualifikationsmerkmalen ...... 278<br />

BGH, Urt. vom 04.04.2007 – 2 StR 34/07 = JR 2007, xxx mit Anm. F.C.Schroeder...................................... 278<br />

StGB § 182 Abs. 2 Nr. 1 - fehlenden Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung ...... 279<br />

BGH, Beschl. vom 17.10.2006 – 4 StR 341/06................................................................................................ 279<br />

StGB § 184b Abs. 4 – Besitz von Cache-Daten................................................................................. 280<br />

BGH, Beschl. vom 10.10.2006 – 1 StR 430/06................................................................................................ 280<br />

StGB § 211 Keine Heimtücke nach Ankündigung........................................................................... 281<br />

BGH, Beschl. vom 11.12.2006 - 5 StR 468/06................................................................................................. 281<br />

StGB § 212 – Wissenselement des bedingten Vorsatzes .................................................................. 282<br />

BGH, Beschl. vom 06.03.2007 – 3 StR 497/06................................................................................................ 282


StGB § 226 Abs. 1 Nr. 2 Wann ist ein Glied wichtig?...................................................................... 284<br />

BGH, Urt. vom 15.03.2007 - 4 StR 522/06 - NJW 2007, 1988 f. .................................................................... 284<br />

StGB § 235 Abs. 2 Nr. 2 Kindesentziehung Dauerdelikt „Zäsurwirkung“ durch staatliches<br />

Handeln, Schuldprinzip...................................................................................................................... 287<br />

BVerfG, Beschl. vom 27.12.2006 - - 2 BvR 1895/05 - .................................................................................... 287<br />

StGB § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b – Scheinwaffe ............................................................................ 290<br />

BGH, Urt. vom 18.01.2007 – 4 StR 394/06 =JR 2007 Heft 9 mit Anm. Kudlich ............................................ 290<br />

StGB § 239a Abs. 1 Erpresserischer Menschenraub ....................................................................... 293<br />

BGH, Urt. vom 31.08.2006 – 3 StR 246/06 - ................................................................................................... 293<br />

StGB § 263 Sportwetten, Konkludente Täuschung, Spielschaden – Fall Hoyzer -....................... 295<br />

BGH, Urt. vom 15.12.2006 – 5 StR 181/06 - NJW 2007, S. 782 ff. = JR 2007, Heft 10 (?) mit Anm. Engländer<br />

.......................................................................................................................................................................... 295<br />

StGB § 263 – Bandenbetrug durch Zahnarzt bei Kick-back-Zahlungen ...................................... 303<br />

BGH, Urt. vom 16.11.2006 – 3 StR 204/06 ..................................................................................................... 303<br />

StGB § 263 – Betrugvermögensschaden ungedeckter Schecks....................................................... 305<br />

BGH, Beschl. vom 24.04.2007 – 4 StR 558/06................................................................................................ 305<br />

StGB § 263 Betrug bandenmäßig + gewerbsmäßig = Verbrechen................................................. 307<br />

BGH, Beschl. vom 25.04.2007 – 1 StR 181/07................................................................................................ 307<br />

StGB § 264 Abs. 1 Nr. 1; Subventionsbetrug Bewertungseinheit................................................... 308<br />

BGH, Beschl. vom 01.02.2007 – 5 StR 467/06................................................................................................ 308<br />

StGB § 265 Abs. 1, § 306 b Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1..................................................................................310<br />

BGH, Beschl. vom 15.03.2007 – 3 StR 454/06 - NJW 2007, S. 2130 ff.......................................................... 310<br />

StGB § 266 Abs. 1; StPO § 22 Nr. 1, § 338 Nr. 1 – Fall Kanther.................................................... 313<br />

BGH, Urt. vom 18.10.2006 – 2 StR 499/05 - NStZ 2006, 646 = NJW 2007, 1760 ff...................................... 313<br />

StGB § 266 Zum Vorwurf der Untreue im Rahmen von Bestechungsdelikten............................. 323<br />

BGH, Beschl. vom 13.02.2007 – 5 StR 400/06................................................................................................ 323<br />

StGB § 266a – Vortäuschung Entsendetatbestand – türk. Scheinfirmen ...................................... 327<br />

BGH, Beschl. vom 07.03.2007 – 1 StR 301/06 – NJW 2007, S. 1370 ff. ........................................................ 327<br />

StGB § 266a Abs. 1 <strong>und</strong> 2, § 5 Abs. 1; SGB IV § 6........................................................................... 331<br />

BGH, Urt. vom 24.10.2006 – 1 StR 44/06 - NJW 2007, S. 233 ff. .................................................................. 331<br />

StGB § 266a lex specialis zu § 263 StGB........................................................................................... 336<br />

BGH, Beschl. vom 24.04.2007 – 1 StR 639/06................................................................................................ 336<br />

StGB § 306a Abs. 1 Nr. 1 Vollendung ............................................................................................... 337<br />

BGH, Beschl. vom 24.10.2006 – 3 StR 339/06................................................................................................ 337<br />

StGB § 331 §§ 332, 333. AO 370 Pflichtwidrigkeit Diensthandlung aus Höhe der<br />

Bestechungszuwendung...................................................................................................................... 338<br />

BGH, Urt. vom 14.02.2007 – 5 StR 323/06 ..................................................................................................... 338<br />

StGB § 352 – Keine Gebührenüberhebung bei vereinbarter Vergütung ...................................... 341<br />

BGH, Urt. vom 06.09.2006 – 5 StR 64/06 - NJW 2006, S. 3219 ff. = JR 2007, S. 202 ff. m. Anm. Kuhlen .. 341<br />

Nebenstrafrecht ...........................................................................................................................348<br />

AO § 370 – Ausländische Normen zur Ausfüllung deutschen Blankettstrafrechts ...................... 348<br />

400


401<br />

BGH, Beschl. vom 19.04.2007 - 5 StR 549/06................................................................................................. 348<br />

BGH – Beschluss vom 22.05.2007 –5 StR 94/07- für BGHSt bestimmt ........................................................ 350<br />

AO § 370, § 162 – Schätzung von Besteuerungsgr<strong>und</strong>lagen ohne Angabe der Vergleichsobjekte<br />

.............................................................................................................................................................. 355<br />

BGH, Beschl. vom 24.05.2007- 5 StR 58/07.................................................................................................... 355<br />

AO § 370, § 373, § 374; Art. 40 Zollkodex; §§ 19, 21 TabStG......................................................... 358<br />

BGH, Beschl. vom 01.02.2007 – 5 StR 372/06 – NJW 2007, S. 1294 ff. ........................................................ 358<br />

AuslG § 92 a.F. .................................................................................................................................... 364<br />

BGH, Urt. vom 15.11.2006 – 2 StR 157/06 ..................................................................................................... 364<br />

AWG § 34 Abs. 4 - Irak-Finanzembargo......................................................................................... 366<br />

BGH, Beschl. vom 23.08.2006 – 5 StR 105/06 -.............................................................................................. 366<br />

AWG § 34 Abs. 1 Nr. 1 ....................................................................................................................... 368<br />

BGH, Beschl. vom 28.03.2007 – 5 StR 225/06................................................................................................ 368<br />

BtMG § 29 Einfuhr, Handeltreiben................................................................................................... 373<br />

BGH, Beschl. vom 01.03.2007 – 3 StR 55/07.................................................................................................. 373<br />

BGH, Beschl. vom 30.03.2007 – 2 StR 81/07.................................................................................................. 374<br />

BtMG § 29 Handeltreiben Tateinheit bei einheitlichem Zahlungsvorgang................................... 376<br />

BGH, Beschl. vom 19.06.2007 – 1 StR 105/07................................................................................................ 376<br />

BtMG § 29 Natur des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln....................................................... 377<br />

BGH, Beschl. vom 24.10.2006 – 3 StR 392/06................................................................................................ 377<br />

BtMG § 29, 30, 31 – Handeltreiben. .................................................................................................. 379<br />

BGH, Beschl. vom 10.10.2006 - 1 StR 377/06................................................................................................. 379<br />

BtMG § 29; StGB §§ 25, 27 ................................................................................................................ 382<br />

BGH, Urt. vom 28.02.2007 – 2 StR 516/06 – NJW 2007, S. 1220 = JR 2007, 298(Anm.<br />

Puppe;)Zusammenfassend zur Rechtsprechung nach der Entscheidung des Großen Senats zum Handeltreiben<br />

Weber JR 2007, xxx ......................................................................................................................................... 382<br />

BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 2, § 30 Abs. 1 Nr. 4 ......................................................................................384<br />

BGH, Urt. vom 24.04.2007 - 1 StR 52/07 - NJW 2007, 2054.......................................................................... 384<br />

BtMG § 30 a Abs. 2 Nr. 1 – Begriff der Ausfuhr.............................................................................. 387<br />

BGH, Beschl. vom 13.07.2006 – 4 StR 129/06................................................................................................ 387<br />

BtMG §§ 29 ff.; StGB §§ 25, 27; StPO § 261 .................................................................................... 387<br />

BGH, Beschl. vom 25.04.2007 – 1 StR 159/07 - NJW 2007, S. 2274 = JR 2007, S. 300 (Anm. Puppe S. 298)<br />

.......................................................................................................................................................................... 387<br />

GewSchG § 4 – Keine Strafbarkeit ohne Zustellung der e.V.......................................................... 388<br />

BGH, Urt. vom 15.03.2007 – 5 StR 536/06 – NJW 2007, 1605 f. ................................................................... 388<br />

GmbHG § 84 – Begriff der Zahlungsunfähigkeit............................................................................. 391<br />

BGH, Urt. vom 19.04.2007 – 5 StR 505/06 ..................................................................................................... 391<br />

GmbHG § 84 Abs. 2 Nr.2, § 64 Abs. 1 S. 1; Insolvenzgesetz § 17 II – Zahlungsunfähigkeit Begriff<br />

.............................................................................................................................................................. 393<br />

BGH, Beschl. vom 23.05.2007 – 1 StR 88/07.................................................................................................. 393<br />

Inhaltsverzeichnis........................................................................................................................394

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