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der standart, 19/03<br />
Die Plastik Eierköpfe<br />
Ronald Pohl über "Cafe Tamagotchi"<br />
in Erdberg - ein Fest des Trash!<br />
Wie der Rabenhof Wolfgang Bauer<br />
ein Geschenk bereitete<br />
Rechtzeitig zu dessen 6o. Geburtstag bedachte der junge, hoch begabte Regisseur Georg<br />
Staudacher einen Grazer Weltdramatiker mit einem wahren Uraufführungspräsent<br />
Wien - Früher gingen<br />
WolfiBauer-Figuren, diese<br />
kleinen, dreisten Spießer aus<br />
Graz. auf große<br />
Entdeckungsreise: Vorstadtcafe-<br />
Häferlgucker, die sich in<br />
Viersternehotels<br />
großsprecherisch einmieteten,<br />
um dort wahlweise die Zeit oder<br />
das Theater oder einander tot zu<br />
schlagen. Oder um sich van<br />
Goghs Plastikohren an die<br />
Köpfe zu kleben<br />
Mit Ersterem landeten sie<br />
Teilerfolge - ihre Langeweile<br />
bereitete dem Zuschauer einen<br />
ernüchternden Totalspaß.<br />
Zweiteres misslang ihnen<br />
leidlich: Die Theater waren meist<br />
stärker als sie. Im dritten Falle<br />
meuchelten sie einander<br />
zumeist wacker: standen jedoch<br />
unversehrt wieder auf und<br />
gingen einander desto<br />
gründlicher auf die Nerven.<br />
Der Duracell<br />
Hase (Markus<br />
Moiserj<br />
belauscht<br />
unglücklich<br />
Liebende<br />
(Kathrin<br />
Beck, Hans<br />
Piesbergen)<br />
und<br />
kontrolliert ihr<br />
Punktekonto:<br />
Willkommen<br />
in Wolfgang<br />
Bauers Kopf!<br />
Foto: Hendrich<br />
.Die Nerven sind das Kopfweh und das Ewige: immerhin das ließ sich bei Bauer schmerzhaft fröhlich<br />
erlernen. (Der liebe Gott war in diesen Stücken immer gerade auf Klausur!) Und irgendwann kam der<br />
"Wolfi" davon ab, seinen Zeitgenossen etwas vormachen zu wollen. Seine Figuren waren mit Bauers<br />
schwerem Fieberkopf großteils identisch geworden. Umgekehrt schienen diese Antihelden<br />
entschlossen. sich ihn und die wenigen Theater. die sich seine wahnhaft witzigen Stücke überhaupt<br />
noch einzuverleiben ;getrauten, selbst ausgedacht zu haben.<br />
Das schönste Kompliment also an einen großen Absurden, zeitgerecht zu dessen 60er, der im<br />
Rabenhof-Theater mit der viel zu .späten Uraufführung von Cale Tamagotchi wundermild gerührt<br />
gefeiert wurde: Er ist es selbst, der uns alle erfunden hat! (Immerhin ein kleiner Hinweis darauf, dass<br />
er, Wolfgang Bauer, möglicherweise doch der liebe Gott ist!) Wir Wolfi-Bauer-Figuren stecken in<br />
kleinen, eiförmigen Plastikbehältern, ohne es zu merken oder jedenfalls eine bestimmte Ahnung<br />
davon zu haben.
Wir gehen allabendlich in dasselbe schmutzige Cafe. Stecken uns Batterien in die Hose und warten.<br />
bis uns ein Duracell-Hase das EnergiePunktekonto mit obszönen Mundtrommel-Geräuschen<br />
lippenfurzend anzeigt: "Ole. ole. oje, super Jackpot, ole, ole!"<br />
Ein Kellner Silvio Szücs) mit offener Hosentüre und schmierfettiger Haarpracht empfängt uns wie alte<br />
Bekannte. Ein fabeihaiter Zwangshandlungsreisender (Gottfried Neuner) sitzt Probe. Ein Berliner mit<br />
Zylinder (Wolfgang Rommerskirchen) redet aufgekratzten Unsinn. Ein Herr mit Hundekopf frisst<br />
Hände. Eine schöne, kurzsichtige Dame (Kathrin Beck) fällt über ihren eigenen Koffer. Steven<br />
Hawking (Hans Piesbergen) drückt sich aus dem ElektroRollstuhl hoch und beschreibt seine höchst<br />
unsichere Existenz als gefräßiges "schwarzes Loch": ein tadelloser Mundgymnastiker.<br />
Willkommen im Cafe Tamagotchi! Und wenn es der Herr Bauer denn doch nicht zum Schöpfer<br />
gebracht haben sollte, so hat er einen jungen Statthalter auf Theatererden ungewollt eingesetzt:<br />
Regisseur Georg Staudacher, der Bauers schäbig schematisches, schemenhaft verhuschtes<br />
Spätwerk als brachialen TurboKraftschwank spielen lässt.<br />
Aber mit was für einem Formsinn! Welche Pracht: ein DoppelJackpot. Denn Bauers Stück erzählt ein<br />
und dasselbe mindestens auf zwei Arten, zweimal. Zuerst mit TamagotchiGespenstern, die uns<br />
Menschen fabelhaft ähnlich sehen; hierauf mit leibhaftigen, schweigsamen Hubertusmantelträgern, mit<br />
deren sachlichem Status es aber auch nicht so sehr weit her sein dürfte.<br />
Herr Bauer spielt irgend ein fremdes, schwer fertiges, frevelhaftes FantasieRoulette mit Menschen;<br />
aber er enthält uns die Kenntnis der Regeln eisern schweigsam vor. Nur eines gilt: Alles geht! Aber<br />
das muss man erst können. Und der Rabenhof kann es. Intendant Karl Welunschek hat es so gewollt;<br />
und die Dramaturgien, welche sich über den vorsätzlich albernen Stoff nicht drübergetraut haben,<br />
sehen jetzt mit einem Mal furchtbar alt aus.<br />
Das Ewige ist der Kopfschmerz: Auf Wolfgang Bauers dramatisch dröhnenden Charakterschädel kann<br />
man vergnügliche Stücke bauen. Unentwegt schließt er die Figuren und deren "Handlungen" kurz und<br />
klein. Er räubert und kaspert. Existenzphilosophen werden kleine Fetzchen vom Wittgenstein<br />
entdecken und herausstellen: Partikel von Meister Eckhart, Witzchen von Sartre. Der Meister wurde<br />
im Anschluss an diese denkwürdige Uraufführung mit einer Torte standesgemäß gefeiert.<br />
Er selbst verriet, glücklich 60 geworden, im Schutz der tiefen Nacht: Er hätte es, bei allem Wohlwollen<br />
für Staudacher und Bühnenbildner Günter Lickel, doch anders inszeniert! "Realistischer", denn:<br />
Frühstück im Cafe - do g'hörn do Buttersernmerln auf'n Tisch g'stöd!" Bauer muss es sich gefallen<br />
lassen: Seine Schöpfung ist mindestens so klug wie er.<br />
auf'n Tisch g'stöd!" Bauer<br />
muss es sich gefallen lassen:<br />
Seine Schöpfung ist mindestens so klug wie er.
salzburger nachrichten, 19/03<br />
Spiel ohne Grenzen<br />
Zu Wolfgang Bauers 60. Geburtstag holt der Wiener Rabenhof mit "Cafe Tamagotchi" eine<br />
seit ein paar Jahren fällige Uraufführung nach.<br />
HELMUT SCHNEIDER<br />
Tamagotchis, virtuelle Haustiere für Eierformat, sind längst nicht mehr hip, in den<br />
Kinderzimmern toben inzwischen die Kämpfe der Pokemons. Aber Wolfgang Bauers Drama<br />
"Cafe Tamagotchi" hat ja auch scholl ein paar Jährchen auf dein Buckel und schert sich <br />
wie die Uraufführung in Karl Welunscheks neuem Rabenhoftheater beweist auch nicht um<br />
Moden. Und die Idee, dass batteriebetriebene Wesen zu einem energiegeladenen grotesken<br />
Spiel in ein typisches Wiener Lokal mit beflissentlich bemühtem Ober kommen und dabei<br />
unsere Begriffe von Wirklichkeit auf den Kopf stellen, funktioniert allemal noch.<br />
Wolfgang Bauer kann mit diesem Geburtstagsgruß des kleinen Rabenhof Teams (wo<br />
bleiben eigentlich die großen Wiener Bühnen) zum 60er hoch zufrieden still. Denn "Cafe<br />
Tamagotchi" ist Bauer at his best. Wir erleben anderthalb Stunden witziges Theater voller<br />
intellektueller Fallen. Wer noch immer Zweifel am dramatischen Geschick des Dichters aus<br />
Graz hatte, wird mit dieser Produktion eines besseren belehrt.<br />
Foto:<br />
SN/APA/Trierenberg<br />
Aber natürlich sind diese Androiden mit menschlichen oder zumindest mitmenschlichen<br />
Schwächen behaftet. Professor Niemand (Wolfgang Rommerskirchen) gefällt sich im<br />
MachoGehabe, Herr Randstein (Gottfried Neutier) gibt den liebenswerten Neurotiker,<br />
Fräulein Leer (Kathrin Beck) treibt es mit ihrer Erotik unter dem Pelzmantel so weit, dass am<br />
Ende alle Kaffeehausbesucher ihre Batterien eigentlich Energiedrinks über sie<br />
abspritzen und der StephenHawkingKlon Blackhole (Hans Piesbergen) prahlt gerne mit<br />
seiner intellektuellen Überlegenheit.<br />
Ein überdimensionaler rosa Plüschhase aus der Batteriewerbung (Markus Moiser) gibt den<br />
Takt vor zu einem Spiel, das nicht auf Regeln, sondern Verstößen basiert und bei dem es<br />
selbstredend auch keine Gewinner gibt. Die berührendste Szene entsteht nach dein<br />
Spielende, als der Ober (Silvio Szücs) Schluss machen will und die Protagonisten auf einer<br />
anderen Ebene weiterspielen müssen. Da sitzen sie nämlich in Lodenmänteln, bestellen<br />
umständlich ein Frühstück und wirken in ihrer jetzt menschlichen - bürgerlichen<br />
Agonie wie Figuren aus einem Thomas-Bernhard-Stück. Nur, dass man bei Bauer trotzdem<br />
jede Minute lachen muss.Regisseur Georg Staudacher ist für die feine Zeichnung des<br />
Abends verantwortlich, weniger gelungene Szenen umschifft er mit Geschick. Die<br />
farbenprächtige Ausstattung von Marabu Vision liefert optische Reize, die selbst<br />
Couchpotatoes wach halten.