Dieter Pongratz/Stephan Zierz - Deutscher Ärzte-Verlag
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Link zum Titel: <strong>Dieter</strong> <strong>Pongratz</strong>/<strong>Stephan</strong> <strong>Zierz</strong>, Neuromuskuläre Erkrankungen, <strong>Deutscher</strong> <strong>Ärzte</strong>-<strong>Verlag</strong> 2003<br />
Entzündliche Muskelkrankheiten<br />
D. <strong>Pongratz</strong>, M. Späth<br />
Grundlagen<br />
Entzündungen der Muskulatur sind, verglichen mit anderen Organen, selten.<br />
Myositiden zählen zu den wenigen therapierbaren Muskelerkrankungen.<br />
Ätiologisch sind die Myositiden aufzugliedern in<br />
nicht erregerbedingte Myositiden im Rahmen von Autoimmunopathien<br />
(Autoaggressionskrankheiten),<br />
nicht erregerbedingte Krankheitsbilder, deren Ätiologie noch nicht<br />
geklärt ist und<br />
erregerbedingte Muskelentzündungen (s. insbesondere Abschnitt<br />
„Therapie“).<br />
Schwerpunkt dieser Betrachtung sind die immunogenen entzündlichen<br />
Muskelkrankheiten.<br />
Definition<br />
Die entzündlichen Muskelkrankheiten gehören zu den Autoimmunerkrankungen.<br />
Die Assoziation mit bestimmten Autoantikörpern ist das Kriterium<br />
für die Unterteilung in Untergruppen. Die immunogenen Myositiden sind<br />
charakterisiert durch den Befall der quergestreiften Muskulatur, manchmal<br />
auch der Haut und fakultativ innerer Organe.<br />
Klassifikation<br />
Die Zuordnung einer Myositis zu einer der drei Hauptgruppen<br />
Polymyositis (PM)<br />
Dermatomyositis (DM)<br />
Einschlusskörpermyositis (IBM – inclusion body myositis)<br />
erfolgt nach den diagnostischen Kriterien für immunogene entzündliche<br />
Muskelkrankheiten der Tabelle 1.
Grundlagen 141<br />
Tab. 1: Muskelbiopsiebefunde bei PM, DM, IBM [6]<br />
PM DM IBM<br />
Nekrose von Kapillaren Ø + Ø<br />
Muskelinfarkte Ø + Ø<br />
Tubulovesikuläre Endothelzelleinschlüsse Ø + Ø<br />
C5b9-Komplementablagerung in kleinen Muskelgefäßen Ø + Ø<br />
Perimysiale Infiltrate + ++ +<br />
Endomysiale Infiltrate ++ + ++<br />
B-Lymphozyten Ø ++ Ø<br />
CD4-Lymphozyten + ++ +<br />
CD8-Lymphozyten ++ + ++<br />
Invasion von CD8-Lymphozyten in noch nicht nekrotische Muskelfasern ++ Ø +<br />
„Rimmed vacuoles“ mit eosinophilen Einschlüssen Ø Ø +<br />
Filamentäre Einschlüsse in Kern und Zytoplasma Ø Ø +<br />
Pathologie<br />
Den morphologischen Befunden folgt die Unterteilung in<br />
rein interstitielle Myositiden ohne begleitende Parenchymzerstörung,<br />
interstitielle Myositiden mit herdförmigem Parenchymuntergang<br />
(Herdmyositiden) und<br />
gemischte interstitiell-parenchymatöse Myositiden (Polymyositiden)<br />
Im Einzelfall können fließende Übergänge vorliegen.<br />
Bei der Polymyositis (PM) ist eine T-Zell-vermittelte Autoimmunreaktion<br />
gegen quergestreifte Muskelfasern gesichert. Das Eindringen von T8-<br />
Lymphozyten in nicht nekrotische Muskelfasern ist der charakteristische<br />
immunhistologische Befund.<br />
Die Dermatomyositis (DM) ist durch humorale Reaktionen sowie vaskulitische<br />
Prozesse gekennzeichnet.<br />
Bei der Einschlusskörpermyositis (IBM) finden sich als pathognomonischer<br />
Befund im Zellkern filamentäre Einschlüsse neben ebenfalls endomysialen<br />
Infiltraten mit vorwiegend CD8-positiven Lymphozyten.<br />
Fachgebiete<br />
Immunogene entzündliche Muskelkrankheiten bieten einen interdisziplinären<br />
Aspekt. Sie gehören nosologisch in das Fachgebiet der Rheumatologie,<br />
das diagnostische und differenzialdiagnostische Vorgehen wird durch neurologische<br />
Methoden bestimmt.
142 Entzündliche Muskelkrankheiten<br />
Geschichte<br />
Das Krankheitsbild der Dermatomyositis wurde von dem Leipziger<br />
Pathologen E. L. Wagner 1863 und 1887 erstmals publiziert. Die<br />
Abgrenzung der isolierten Polymyositis von der Dermatomyositis geschah<br />
durch den amerikanischen Neurologen L. M. Eaton.<br />
Die Einschlusskörpermyositis (inclusion body myositis) wurde erstmals<br />
1965 von Adams und Mitarbeitern in Einzelfällen beschrieben. Erst 1971<br />
wurde sie von Yunis und Samaha aufgrund der morphologischen<br />
Besonderheiten begrifflich von den übrigen Polymyositiden abgetrennt.<br />
Epidemiologie<br />
Die immunogenen entzündlichen Muskelkrankheiten sind selten, mit einer<br />
Inzidenz von etwa 0,2 bis 1 Neuerkrankungen zu 100.000 Einwohnern im<br />
Jahr. Frauen erkranken in der Regel etwa 2,5mal so häufig wie Männer.<br />
Die Dermatomyositis (DM) ist am häufigsten, gefolgt von der<br />
Einschlusskörpermyositis (IBM) und dann der Polymyositis (PM). Dabei finden<br />
sich ein Altersgipfel in der Kindheit (hauptsächlich DM) und ein weiterer<br />
im mittleren bis höheren Erwachsenenalter (hier vor allem IBM).<br />
Im Kindesalter sowie bei Assoziation mit einem Malignom liegt das<br />
Geschlechterverhältnis bei nahezu 1 zu 1, im Rahmen einer anderen entzündlich-rheumatischen<br />
Systemerkrankung („Overlap-Syndrom“) ist der<br />
Frauenanteil mit 10 zu 1 jedoch deutlich höher.<br />
Die IBM tritt überwiegend bei Männern im mittleren Lebensalter auf. Sie<br />
macht nach heutiger Kenntnis bis zu 30% der immunogen entzündlichen<br />
Erkrankungen des Erwachsenenalters aus.<br />
Für alle Myositiden sind geographische Häufungen nicht bekannt.<br />
Ätiologie und Pathogenese<br />
Die Ätiologie der immunogenen entzündlichen Muskelkrankheiten ist noch<br />
unklar. Assoziationen mit bestimmten HLA-Konstellationen sind schwach.<br />
Gelegentlich, vor allem bei den Fällen im Kindesalter, werden häufiger vorausgehende<br />
virale Infektionen berichtet.<br />
Wesentliche Aussagen zu Pathogenese, Pathologie und zur differenzialdiagnostischen<br />
Abgrenzung liefern morphologische Untersuchungen.<br />
Bei der Dermatomyositis (DM) finden sich entzündliche Infiltrate vorwiegend<br />
im perivaskulären und perifaszikulären Bereich. Sie bedingen das typische<br />
Bild einer Polymyositis vom perifaszikulären Typ.<br />
Im Muskelparenchym entsteht eine so genannte perifaszikuläre Atrophie.<br />
Zusätzlich finden sich entzündliche Veränderungen der kleinen<br />
Muskelgefäße mit Endothelzellproliferation und elektronenmikroskopisch<br />
nachweisbaren „tubulovesikulären Einschlüssen“. Besonders bei der
Grundlagen 143<br />
Abb. 1: Polymyositis<br />
vom perifaszikulären<br />
Typ. Perimysial und<br />
perivaskulär betonte<br />
Infiltrate mit Parenchymreaktion<br />
im Bereich<br />
der Faszikelperipherie.Darstellung<br />
von B-Lymphozyten.<br />
AP-A-AP-<br />
Methode, Vergrößerung<br />
100fach<br />
Tab. 2: Diagnostische Kriterien für immunogene entzündliche Muskelkrankheiten [5]<br />
Polymyositis Dermatomyositis Einschlusskörpermyositis<br />
Kriterium definitiv möglich a)<br />
definitiv leichte oder be- definitiv<br />
ginnende Form<br />
Muskel- Paresen der Paresen der Paresen der fast normale Paresen der prox.<br />
kraft prox. Extremitä- prox. Extremi- prox. Extremi- Kraft c)<br />
und dist. Extremitätenmuskulatur<br />
b)<br />
tätenmus- tätenmus- tenmus-<br />
kulatur b)<br />
kulatur b)<br />
kulatur<br />
EMG myopathisch myopathisch myopathisch myopathisch myopathisch mit<br />
oder unspe- möglicher „neuro-<br />
zifisch gener“ Komponente<br />
Muskel- erhöht erhöht erhöht erhöht (bis 10fach) erhöht (bis 10fach)<br />
enzyme (bis 50fach) (bis 50fach) (bis 50fach) oder normal oder normal<br />
Muskel- diagnostisch unspezifisch oder diagnostisch diagnostisch diagnostisch<br />
biopsie d)<br />
ohne entzünd- oder unspezi-<br />
liche Reaktion fisch<br />
a) Ein Therapieversuch (3 bis max. 6 Monate) mit einer adäquaten Kortikoiddosis ist zu empfehlen. Sollte<br />
kein Ansprechen erfolgen, ist eine weitere Muskelbiopsie zu empfehlen, um insbesondere eine sich<br />
möglicherweise entwickelnde IBM nicht zu übersehen.<br />
b) Progrediente Paresen der prox. Extremitätenmuskulatur ohne Hinweis auf eine erbliche Myopathie<br />
(auszuschließen auf der Basis der Muskelbiopsiebefunde) und ohne anamnestische Hinweise auf eine<br />
toxische Myopathie<br />
c) Obwohl die Kraft fast normal ist, klagen die Patienten oft über eine neu aufgetretene muskuläre<br />
Ermüdbarkeit, über Myalgien oder Belastungsintoleranz. Sorgfältige Kraft- und Ausdauermessungen<br />
objektivieren eine leichte Muskelschwäche.<br />
d) Vgl. Tab. 1
144 Entzündliche Muskelkrankheiten<br />
Dermatomyositis (DM) im Kindesalter finden sich als Zeichen einer floriden<br />
Vaskulitis gelegentlich Mikroinfarkte. Immunhistologisch bestehen die zellulären<br />
Infiltrate überwiegend aus B-Lymphozyten sowie CD4-positiven<br />
Zellen. CD8-positive Zellen stehen zahlenmäßig ganz im Hintergrund.<br />
Charakteristisch sind C5b9-Komplementablagerungen im Bereich der kleinen<br />
Arteriolen und Kapillaren.<br />
Abb. 2: Darstellung<br />
von C5b9-Komplementablagerungen<br />
in der Gefäßwand<br />
einer kleinen Arteriole.<br />
Vergrößerung<br />
400fach<br />
Bei der Polymyositis (PM) finden sich zelluläre Infiltrate vorwiegend<br />
endomysial und bedingen das histologische Bild einer diffusen PM (s.a. Tab.<br />
2). Eine perifaszikuläre Atrophie bzw. eine Mikroangiopathie wird nicht<br />
beobachtet. Immunhistologisch dominieren zytotoxische CD8-positive<br />
Lymphozyten endomysial.<br />
Abb. 3: Diffuse<br />
Polymyositis. DarstellungCD8-positiver<br />
Lymphozyten<br />
im Endomysium.<br />
AP-A-AP-Methode.<br />
Vergrößerung<br />
100fach
Untersuchung 145<br />
Dabei wird immer wieder eine Invasion dieser Zellen in nicht-nekrotische<br />
Muskelfasern beobachtet. Die Muskelfasern exprimieren das Major-<br />
Histokompatibilitätskomplex-Klasse-1-Antigen (MHC-1-Antigen), das im<br />
normalen Muskel nicht vorhanden ist.<br />
Die Einschlusskörpermyositis (IBM) ist ebenfalls charakterisiert durch<br />
endomysiale Infiltrate mit vorwiegend CD8-positiven Lymphozyten.<br />
Zusätzlich finden sich „rimmed vacuoles“ mit eosinophilen zytoplasmatischen<br />
Einschlüssen. Elektronenmikroskopisch handelt es sich dabei um<br />
autophagische Vakuolen. In ihnen sowie im Zellkern ist der Nachweis filamentärer<br />
Einschlüsse pathognomonisch.<br />
Abb. 4: Einschlusskörpermyositis.ElektronenmikroskopischerNachweis<br />
filamentärer<br />
Einschlüsse innerhalb<br />
von Zellkern<br />
und Cytoplasma<br />
(Zusammenarbeit<br />
mit Prof. Müller-<br />
Höcker, Pathologisches<br />
Institut der<br />
Universität München)<br />
Untersuchung<br />
Anamnese und klinische Diagnostik<br />
Gemeinsame klinische Kardinalsymptome<br />
Muskelschwäche und Muskelatrophie sind allen drei Krankheitsbildern<br />
gemeinsam, die sich bei der Dermatomyositis (DM) typischerweise akut, bei<br />
der Polymyositis (PM) subakut und bei der Einschlusskörpermyositis (IBM)<br />
immer chronisch entwickeln. In der Regel sind die proximalen Muskeln von<br />
Armen und Beinen betroffen. Nur bei der IBM ist von Anfang an eine deutliche<br />
Mitbeteiligung distaler Muskeln charakteristisch. Die Pharynx- und<br />
Kopfhebermuskulatur ist häufig mitbetroffen, was zu Dysphagien und<br />
Haltungsschwierigkeiten des Kopfes führen kann.
146 Entzündliche Muskelkrankheiten<br />
Muskelatrophien entwickeln sich erst im Verlauf der Erkrankung. Sie sind<br />
besonders bei der IBM und der chronischen Polymyositis am ausgeprägtesten<br />
und häufig auch asymmetrisch. Bei der IBM betreffen sie vor allem einzelne<br />
Muskeln (z.B. M. quadriceps femoris, M. tibialis ant., Fingerbeuger).<br />
Muskelschmerzen, insbesondere in Form eines überstarken und inadäquaten<br />
Muskelkaters mit bevorzugter Lokalisation in der Tiefe der<br />
Extremitätenmuskeln, finden sich am häufigsten bei der akuten DM, bei der<br />
PM als fakultatives Symptom, bei der IBM fehlen sie fast immer.<br />
Die Sensorik ist ungestört. Faszikulationen kommen nicht vor. Die<br />
Muskeleigenreflexe sind meist erhalten, aber abgeschwächt. Nur bei ausgeprägten<br />
Muskelatrophien, besonders bei der IBM können sie fehlen.<br />
Tab. 3: Klinische Kardinalsymptome der DM, PM und IBM<br />
Klinische Befunde Dermatomyositis Polymyositis Einschlusskörpermyositis<br />
Beginn der Symptome Kindheit und<br />
Erwachsenenalter<br />
> 18 Jahre > 50 Jahre<br />
Progredienz der<br />
muskulären Symptome<br />
akut subakut langsam<br />
Verteilung der proximale proximale proximale und distale<br />
Muskelschwäche Muskulatur Muskulatur Muskulatur<br />
Muskelatrophien gering v.a. bei chronischen nahezu immer ausgeprägt in<br />
Formen bestimmten Muskeln<br />
Myalgien oft (speziell im akuten<br />
Stadium)<br />
manchmal nie<br />
Hauteffloreszenzen oder<br />
Kalzinose<br />
vorhanden fehlend fehlend<br />
Besonderheiten der Dermatomyositis (DM)<br />
Charakteristisch sind zusätzlich Hauterscheinungen, die neben den<br />
Muskelsymptomen auftreten oder diesen sogar vorangehen. Besonders<br />
typisch für das akute Stadium ist das heliotropfarbene Erythem (lilac disease)<br />
mit Schwerpunkt im Bereich der Augenlider, der Wangen und des vorderen<br />
Halsdreiecks, das sich auf andere Körperabschnitte (Streckseiten der<br />
Extremitäten, Nacken, Brust) ausdehnen kann.
Untersuchung 147<br />
Abb. 5: Juvenile Dermatomyositis. Heliotropfarbene<br />
Erytheme im Bereich der Augenlider,<br />
der Wangen sowie des vorderen Halsdreiecks<br />
Lange Verläufe zeigen De- und Hyperpigmentierungen. Im Bereich der Haut<br />
über den Knöcheln bilden sich so genannte Kollodiumflecke (Gottron-<br />
Zeichen). Am Nagelfalz zeigen sich schmerzhafte erweiterte Kapillaren<br />
(Keinig-Zeichen). In einigen Fällen bilden sich aufgeraute, aufgesprungene<br />
Hautpartien an Handflächen und Fingern („Mechanikerhände“), im weiteren<br />
Verlauf treten häufig subkutane Kalzifikationen auf, besonders bei der<br />
DM im Kindes- und Jugendendalter.<br />
Besonderheiten der Einschlusskörpermyositis (IBM)<br />
Klinische Kennzeichen sind der extrem chronische Verlauf der IBM, starke<br />
Asymmetrien des Muskelbefalls, die oft schon von Anfang an deutliche<br />
Mitbeteiligung distaler Muskeln sowie selektive ausgeprägte Atrophien. Bei<br />
einem häufig zu beobachtenden Reflexverlust muss differenzialdiagnostisch<br />
eine Neuropathie abgeklärt werden.<br />
Anamnese und klinische Diagnostik müssen auch den möglichen Befall<br />
innerer Organe einbeziehen, der bei der DM häufig, bei der PM gelegentlich<br />
und bei der IBM selten vorkommt. Mit mindestens 50% der Fälle sind der<br />
Pharynx und der untere Ösophagus am häufigsten betroffen, in bis zu 40%<br />
finden sich kardiale Symptome (Herzrhythmusstörungen, aber auch dilatative<br />
Kardiomyopathie).
148 Entzündliche Muskelkrankheiten<br />
Pulmonale Symptome haben eine unterschiedliche Genese. Aufgrund von<br />
Schluckstörungen kommt es zu Aspirationspneumonien. Eine Schwäche der<br />
Atemhilfsmuskulatur entwickelt sich selten. Eine fibrosierende Alveolitis findet<br />
sich bevorzugt bei Patienten mit Jo-1-Syndrom. Vaskulitische<br />
Komplikationen in vielen Organen finden sich praktisch nur bei der infantilen<br />
und juvenilen DM.<br />
Apparative Diagnostik<br />
Labor<br />
Blut<br />
Bestimmung der Kreatinkinase(CK)-Aktivität im Serum<br />
serologischer Nachweis anderer entzündlicher Bindegewebserkrankungen<br />
serologischer Nachweis von Myositis-assoziierten Autoantikörpern<br />
Üblicherweise korreliert die Erhöhung der Kreatinkinase (CK) mit der<br />
Krankheitsaktivität. Die Werte können im akuten Stadium bis auf das<br />
50fache der Norm ansteigen. Selten gibt es auch eine aktive Polymyositis<br />
(PM) bzw. Dermatomyositis (DM) mit normaler CK-Aktivität. Bei der<br />
Einschlusskörpermyositis (IBM) ist die CK meist geringer (maximal auf das<br />
10fache der Norm erhöht), kann aber auch normal sein.<br />
Der Nachweis Myositis-assoziierter Autoantikörper gelingt nur in einem<br />
Teil der Fälle. Eine ausführliche Darstellung erfolgt in Tabelle 4.<br />
Tab. 4: Mögliche Klassifikation Myositis-assoziierter Erkrankungen<br />
Myositis-assoziierte Syndrome „Mischkollagenosen“<br />
Poly- oder Dermatomyositis mit Antisynthetase-Syndrom<br />
– SRP-Antikörpern Anti-PM-Scl-Syndrom<br />
– Mi-2-Antikörpern Anti-Ku-Syndrom<br />
(anderen Myositis-assoziierten Antikörpern)<br />
Autoantikörpernegative Poly- oder Dermatomyositis<br />
Anti-U1-nRNP-Syndrom / MCTD<br />
Elektrophysiologische Untersuchungen<br />
Die Elektromyographie zeigt in der Regel in zahlreichen Muskeln ein<br />
„Myopathiemuster“, charakterisiert durch kurze Dauer, niedrige Amplitude<br />
und polyphasische Konfiguration der Muskelaktionspotenziale. Zusätzlich<br />
findet sich bei allen floriden Stadien vermehrt pathologische<br />
Spontanaktivität in Ruhe in Form von Fibrillationspotenzialen, positiven
Untersuchung 149<br />
scharfen Wellen bzw. komplexen repetitiven Entladungen. Diese Veränderungen<br />
kommen jedoch auch bei anderen aktiven myopathischen<br />
Prozessen vor und sind nicht beweisend für eine entzündliche Muskelkrankheit.<br />
Ein Mischbild aus einem „Myopathiemuster“ und „Neuropathiemuster“<br />
kommt bei chronischen Formen mit Regeneration vor. Bei einigen Patienten<br />
mit IBM finden sich zusätzlich neurophysiologische Hinweise auf eine sensorische<br />
axonale Neuropathie.<br />
Bildgebende Verfahren<br />
Bei der Kernspintomographie ist in den T1-betonten Sequenzen eine nur<br />
sehr geringe, in den T2-betonten Sequenzen eine deutliche Signalintensitätssteigerung<br />
zu beobachten.<br />
Abb. 6 und 7:<br />
Akute Dermatomyositis.<br />
Kernspintomographie der<br />
Unterschenkel.<br />
Abb. 6: Im T1-betonten<br />
Bild nur mäßige Signalintensitätssteigerungen<br />
im Bereich des anteriorenUnterschenkelkompartments<br />
Abb. 7: Im T2-betonten<br />
Bild deutliche Signalintensitätssteigerungen<br />
im anterioren Unterschenkelkompartment<br />
als Hinweis auf ein<br />
Ödem (Zusammenarbeit<br />
mit der Radiologischen<br />
Klinik der Universität<br />
München)
150 Entzündliche Muskelkrankheiten<br />
Ein solcher Befund kann neben dem klinischen Bild und den Ergebnissen<br />
der Elektromyographie die Lokalisation der geeigneten Biopsiestelle erleichtern<br />
und somit eine Re-Biopsie erübrigen.<br />
Chronische Stadien von Myositiden zeigen zusätzliche intertitielle<br />
Umbauvorgänge, vor allem in Form von Fettgewebseinlagerungen, die<br />
sowohl in den T1-, als auch in den T2-betonten Sequenzen Signalintensitätssteigerungen<br />
bedingen. Die Differenzierung von Fett und Ödem (letzteres<br />
als Hinweis auf einen noch bestehenden akuten entzündlichen Prozess)<br />
gelingt allerdings mit bestimmten Fett unterdrückenden Sequenzen (z.B. so<br />
genannte STIR-Sequenzen).<br />
Muskelbiopsien<br />
Muskelbiopsiebefunde, wie man sie nur durch die kombinierte Anwendung<br />
histologischer, enzym- und immunhistochemischer und ggf. elektronenmikroskopischer<br />
Untersuchungen erstellen kann (s. Tab. 2), sichern die<br />
Diagnose der PM, DM oder IBM und dienen dem Ausschluss anderer neuromuskulärer<br />
Erkrankungen.<br />
Differenzialdiagnose<br />
Differenzialdiagnosen im weiteren Sinne stellen alle Erkrankungen dar, die<br />
von Muskelschmerzen, Muskelschwäche und/oder Muskelatrophie begleitet<br />
sind. Dabei ist der „systemische“ Befall der Muskulatur (Myopathien im<br />
eigentlichen Sinne, entzündlich oder degenerativ) abzugrenzen von lokalen<br />
Muskelaffektionen, z.B. im Rahmen von Fehl- oder Überbelastung (myofasziales<br />
Schmerzsyndrom), sowie von Erkrankungen, die mit Myalgien einhergehen,<br />
ohne dass die Muskulatur ausreichende morphologische<br />
Veränderungen zeigt, um die Beschwerden zu erklären.<br />
Eine differenzialdiagnostische Abklärung ist vor allem erforderlich bei<br />
einer „möglichen Polymyositis“. Entweder kann die Diagnose myopathologisch<br />
nicht eindeutig untermauert werden oder das therapeutische<br />
Ansprechen entspricht nicht den Erwartungen. Hier ist ggf. eine Wiederholung<br />
der Muskelbiopsie anzuraten, bevor man sich zu einer längerfristigen<br />
immunsuppressiven Therapie entschließt.<br />
Die wichtigsten muskulären Differenzialdiagnosen einer möglichen<br />
Polymyositis sind:<br />
sporadische Fälle von progressiven Muskeldystrophien<br />
toxische Myopathien<br />
infektiöse Myopathien<br />
metabolische Myopathien (insbesondere Glykogenosen)
Therapie 151<br />
Overlap-Syndrome<br />
Overlap-Syndrome werden überwiegend bei der DM beobachtet. Sie betreffen<br />
im Wesentlichen die progressive systemische Sklerose sowie das Sharp-<br />
Syndrom. Das Jo-1-Syndrom ist eine eigene klinische Entität mit den<br />
Leitbefunden Myositis, Synovitis und fibrosierende Alveolitis.<br />
Paraneoplastisches Syndrom<br />
Eine eindeutige Inzidenz mit malignen Tumoren besteht nur für die<br />
Dermatomyositis (DM) jenseits des 40. Lebensjahres. Für die Polymyositis<br />
(PM) und die Einschlusskörpermyositis (IBM) ist das gehäufte Auftreten<br />
eines paraneoplastischen Syndroms nicht bestätigt. (Unsicherheiten in der<br />
klinischen Differenzialdiagnose der einzelnen Formen müssen allerdings<br />
einschränkend bedacht werden.)<br />
Unter den Malignomen ist das kleinzellige Bronchialkarzinom die häufigste<br />
Tumorart, gefolgt von Entartungen im Bereich der Mamma, des Magens<br />
und des Ovars. In Einzelfällen ist das Vorkommen zahlreicher anderer neoplastischer<br />
Prozesse beschrieben.<br />
Therapie<br />
Therapie der Polymyositis/Dermatomyositis<br />
Medikamentöse Therapie<br />
Glukokortikoide sind wegen ihres antiphlogistischen und immunsuppressiven<br />
Effekts bei jeder akuten Form einer PM/DM die Therapie der Wahl. Bei<br />
primär chronischen Verlaufsformen des Krankheitsbildes ist ein<br />
Behandlungsversuch nach Sicherung der Diagnose ebenfalls angezeigt. Die<br />
Indikation zur Dauertherapie hängt vom individuellen Ansprechen ab.<br />
Bei der akuten PM/DM kann die anfänglich hohe Dosis (1,5–2 mg/kg/d)<br />
erst reduziert werden, wenn die erhöhte CK-Aktivität im Serum sowie die<br />
pathologische Spontanaktivität im Elektromyogramm deutlich rückläufig<br />
sind, in der Regel nach etwa einem Monat. Anzustreben ist eine vorsichtige<br />
Reduktion der Dosis in den folgenden Wochen unter die Cushing-<br />
Schwellendosis: zunächst eine alternierende Therapie mit ca. 20 mg<br />
Prednison oder Fluocortolon alle 48 Stunden, später in noch geringerer<br />
Dosis über mindestens zwei Jahre. Danach ist bei Beschwerdefreiheit ein<br />
Auslassversuch indiziert. Nach einigen Jahren muss mit einer Rezidivneigung<br />
gerechnet werden.
152 Entzündliche Muskelkrankheiten<br />
Immunsuppressiva: Azathioprin verstärkt die immunsuppressive Wirkung<br />
der Glukokortikoide. Eine Indikation zum zusätzlichen Einsatz ist unter folgenden<br />
zwei Bedingungen gegeben:<br />
Bei allen schweren, insbesondere progredienten Verläufen kann wegen<br />
vitaler Bedrohung des Patienten nicht abgewartet werden, ob das<br />
Krankheitsbild mit Glukokortikoiden allein beherrscht werden kann.<br />
Bei Erkrankungen, in deren Verlauf entweder die Therapie mit<br />
Glukokortikoiden allein wirkungslos bleibt (sehr selten!) oder wenn die<br />
erforderliche Dosis trotz Reduktion über der Cushing-Schwellendosis<br />
bleibt.<br />
Die Dosierung von Azathioprin beträgt 2 mg/kg/d. Limitierend kann die<br />
Ausbildung einer Leukozytopenie (Thrombozytopenie) oder einer Cholestase<br />
sein. Die Induktion von Neoplasmen ist denkbar, jedoch statistisch nicht<br />
gesichert.<br />
Der Einsatz von Methotrexat anstelle von Azathioprin ist indiziert, wenn<br />
bei gesicherter Diagnose mit Azathioprin innerhalb eines halben Jahres kein<br />
befriedigendes Therapieresultat erzielt werden kann (vor allem häufig bei<br />
der schweren infantilen DM).<br />
Cyclophosphamid ist anstelle von Azathioprin insbesondere den Fällen vorbehalten,<br />
bei denen wegen schwerer internistischer (z.B. pulmonaler, renaler,<br />
kardialer) Organkomplikationen ein rascher Wirkungseintritt erforderlich ist.<br />
Nach kurzer initialer intravenöser Therapie (5 mg/kg/d für wenige Tage) werden<br />
oral 2–3 mg/kg/d, später 1 mg/kg/d (Erhaltungsdosis) gegeben.<br />
Hochdosierte intravenöse Immunglobulintherapie ist eine erfolgversprechende<br />
(sehr teure) neue Therapieform sowohl der PM als auch der DM. Der<br />
genaue Wirkungsmechanismus ist bisher nicht bekannt. Kontrollierte<br />
Studien bei der PM sind bisher noch nicht abgeschlossen. Bei der DM wurde<br />
eine gute Wirksamkeit belegt und nachgewiesen, dass sich die immunpathologischen<br />
Befunde in Kontrollmuskelbiopsien zurückbilden [5]. Derzeit<br />
wird die Immunglobulintherapie bei der DM bzw. PM des Erwachsenen nur<br />
als Therapieoption empfohlen, wenn die Standardtherapie mit Glukokortikoiden<br />
und Immunsuppressiva nicht zum gewünschten Erfolg führt (was<br />
selten ist). In diesen Fällen muss die primäre Diagnose überprüft werden,<br />
um eine z.B. paraneoplastische DM oder eine IBM auszuschließen. Nur bei<br />
der infantilen DM ist die intravenöse Immunglobulintherapie aufgrund der<br />
Nebenwirkungen der Standardbehandlung zusammen mit Glukokortikoiden<br />
das Vorgehen der ersten Wahl.<br />
Plasmapherese: Die Wirksamkeit von Plasmapheresen ist nicht belegt. Die<br />
Behandlung ist allenfalls besonders schweren Einzelfällen vorbehalten.
Therapie 153<br />
Bettruhe, stationäre Behandlung: Bettruhe ist in floriden Stadien einer PM häufig<br />
erforderlich aufgrund der schweren Paresen und indiziert, um einen weiteren<br />
Zerfall des Muskelparenchyms durch Überlastung zu verhindern. In der Regel<br />
erfolgt die Behandlung einer schweren akuten PM stationär, um die anfänglich<br />
hochdosierte medikamentöse Therapie engmaschig überwachen zu können.<br />
Physikalische Therapie<br />
In jedem floriden Stadium einer PM ist aktive Krankengymnastik kontraindiziert.<br />
Wenn die entzündliche Aktivität des Prozesses medikamentös<br />
gestoppt ist, muss eine konsequente aktive Übungsbehandlung einsetzen<br />
und kontinuierlich fortgeführt werden. Jede PM und jeder Schub führen zu<br />
einem irreparablen Verlust an Muskelparenchym. In der Regel bleibt aber<br />
belastbare Muskulatur erhalten.<br />
Therapie der paraneoplastischen DM/PM<br />
Paraneoplastisch bedingte Myositiden sind mit Glukokortikoiden bzw.<br />
Azathioprin nur wenig zu beeinflussen. Dagegen führt die operative Entfernung<br />
des Tumors, sofern möglich, in der Regel zu einer Remission der Myositis.<br />
Therapie der Einschlusskörpermyositis<br />
Die Einschlusskörpermyositis (IBM) ist durch Glukokortikoide und<br />
Azathioprin nahezu nicht beeinflussbar. Im Einzelfall sind niedrig dosierte<br />
Steroide insbesondere in floriden Phasen (CK-Erhöhung) von Nutzen.<br />
Einzige therapeutische Option ist derzeit die intravenöse Immunglobulintherapie.<br />
In zwei abgeschlossenen placebokontrollierten Doppelblindstudien<br />
wurde ein Stillstand der Progredienz und in einigen Fällen eine moderate<br />
Funktionsverbesserung gezeigt [7]. Im Hinblick auf die Kosten der<br />
Behandlung sollte die Therapieindikation überdacht werden bei, zum<br />
Zeitpunkt der Diagnosestellung, relativ jungen Patienten mit ausgeprägter<br />
entzündlicher Komponente in der Muskelbiopsie und so überschaubarem<br />
Spontanverlauf, dass eine raschere Progression wahrscheinlich ist.<br />
Therapie der erregerbedingten Myositiden<br />
Die Therapie richtet sich im Wesentlichen nach den Möglichkeiten der<br />
Behandlung der jeweiligen Infektion.<br />
Viren (Coxsackie u.a.)<br />
In Frage kommen lediglich symptomatische Behandlungsmaßnahmen. Bei<br />
Hinweisen auf einen stärkeren Parenchymzerfall ist Bettruhe erforderlich.
154 Entzündliche Muskelkrankheiten<br />
HIV-Polymyositis: Diese primär durch das HI-Virus getriggerte, T-Zell-vermittelte<br />
zytotoxische Myositis stellt ein besonderes therapeutisches Dilemma<br />
dar, da auf der einen Seite Glukokortikoide im Hinblick auf den<br />
Immunstatus des Patienten gefährlich sind, auf der anderen Seite die antivirale<br />
Substanz Zidovudin eine mitochondriale Myopathie induzieren kann.<br />
Bakterien und Pilze<br />
Eine Beteiligung des Muskels im Rahmen bakterieller Infekte (Pyomyositis)<br />
ist selten. Die antibiotische Therapie richtet sich nach dem jeweiligen<br />
Erreger. Unter den Protozoen ist in unseren Breiten vor allem die<br />
Toxoplasma-Infektion von Bedeutung, eine Myositis stellt eine seltene<br />
Organmanifestation dar. Die Therapie erfolgt mit Antimalariamitteln und<br />
Sulfonamiden.<br />
Parasiten<br />
Bei einem Parasitenbefall der Muskulatur ist die chemotherapeutische<br />
Sanierung Therapie der Wahl. Bei der Trichinose ist Mebendazol therapeutisch<br />
wirksamer und nebenwirkungsärmer als Tiabendazol. Bei der<br />
Zystizerkose ist Albendazol dem bisher verwendeten Praziquantel überlegen.<br />
Prognose und Prävention<br />
Der Spontanverlauf der Polymyositis (PM) und Dermatomyositis (DM) ist<br />
nahezu unbekannt, da seit langem praktisch alle Patienten mit<br />
Glukokortikoiden behandelt werden. Die IBM ist bisher weitgehend therapieresistent.<br />
Placebokontrollierte Doppelblindstudien zum Effekt von hochdosierten<br />
intravenösen Immunglobulinen sind derzeit noch nicht abgeschlossen.<br />
Die Einschlusskörpermyositis (IBM) verläuft langsam stetig progredient<br />
und führt meist 10 bis 15 Jahre nach Diagnosestellung zur Immobilisierung.<br />
Durch Glukokortikoide und Immunsuppressiva ist bei über 90% der<br />
Patienten mit PM bzw. DM eine Remission zu erzielen. Die Langzeiterhaltungstherapie<br />
dient der Stabilisierung des Behandlungseffektes und der<br />
Rezidivverhinderung. Rezidive treten vorwiegend innerhalb der ersten fünf<br />
Jahre auf. Bei schweren initialen Manifestationen oder verzögertem Eintritt<br />
der Therapie kann es zu Defektheilungen kommen.
Service 155<br />
Service<br />
Forschung und Ausblick<br />
Durch die Entwicklung neuer Immunsuppressiva und monoklonaler<br />
Antikörper wird eine Therapieverbesserung der entzündlichen Muskelkrankheiten<br />
erwartet. Bisher sind erste placebokontrollierte Doppelblindestudien<br />
u.a. mit Tumornekrosefaktor alpha in der Planung, Ergebnisse sind<br />
jedoch noch nicht abzusehen. Ähnliches gilt für Nebenwirkungen der neuen<br />
Therapieverfahren, welche sich an der relativ nebenwirkungsarmen<br />
Standardmedikation messen lassen müssen.<br />
Gesundheitswesen<br />
Es ist unbekannt, wie oft die klinischen Kardinalsymptome aller neuromuskulären<br />
Erkrankungen (Muskelschwäche, Muskelatrophie sowie Muskelschmerzen)<br />
nicht richtig zugeordnet und die jeweils zugrunde liegende<br />
Krankheit rechtzeitig erkannt werden. Dies kann Ausdruck eines möglichen<br />
Versorgungsproblemes sein. Dessen vielschichtige Aspekte sind in Tabelle 5<br />
skizziert.<br />
Die definitive Diagnose der neuromuskulären Erkrankung, die Festlegung<br />
einer Therapie sowie die Verlaufsbeobachtung sind spezifische Aufgaben<br />
der neuromuskulären Zentren, die zwar in der Bundesrepublik Deutschland<br />
in ausreichender Zahl existieren, jedoch nicht immer adäquat herangezogen<br />
werden. Sie sind organisatorisch verzahnt mit der Deutschen Gesellschaft<br />
für Muskelkranke e. V. (DGM).<br />
Es ist eine wichtige Aufgabe der neuromuskulären Zentren, auch diagnostische<br />
und therapeutische Methoden zu bewerten und daraus Leitlinien zu<br />
entwickeln, wie sie für die PM/DM für einen breiten Einsatz zu empfehlen<br />
wären.
156 Entzündliche Muskelkrankheiten<br />
Tab. 5: Beispiel: Polymyositis/Dermatomyositis<br />
Kommentar Beleg<br />
Versorgungs- Seltene, erworbene, immunogene entzündliche (1) Engel AG et al. in<br />
problem Muskelkrankheiten, z.T. als paraneoplastisches Engel AG, Franzini-<br />
Syndrom Armstrong C (Hrsg.):<br />
Inzidenz 1–9,3/1.000.000 Myology, Vol. 2. Disea-<br />
ses of Muscle. McGraw-<br />
Hill, New York (1994)<br />
Gute Versorgung Nur an neuromuskulären Zentren mit interdiszipli- (2) <strong>Pongratz</strong> D und<br />
nären Muskelsprechstunden und adäquater Dalakas MC in Brandt T<br />
Erfahrung im Einsatz diagnostischer Methoden et al (Hrsg.): Neurological<br />
(insbesondere Neurophysiologie, Muskel-/Nerven- Disorders. Academic<br />
biopsie, Bildgebung) gewährleistet Press, San Diego (1996)<br />
Koopertation mit Internisten (insbes. Rheumatologen<br />
(2), Tumorsuche)<br />
Kooperation mit Dermatologen (2)<br />
Unterversorgung Unzureichende primäre Diagnostik beim<br />
niedergelassenen Neurologen/Neuropädiater<br />
oder in nicht spezialisierten Kliniken<br />
Einleitung und Überwachung der Therapie der<br />
gut behandelbaren autoimmunologischen erworbenen<br />
Myopathien ohne enge Anbindung an ein<br />
neuromuskuläres Zentrum<br />
Psychosoziale Betreuung, Physik. Therapie,<br />
Ergotherapie, Hilfsmittelberatung<br />
Überversorgung Extensive Autoantikörperdiagnostik<br />
Fehlversorgung Alleinige Betreuung durch den Hausarzt<br />
Keine regelmäßige physikalische Therapie<br />
Inadäquate Hilfsmittel<br />
Konsequenzen Verbesserung der Kooperation zw. den niedergelassenen<br />
<strong>Ärzte</strong>n und den Neuromuskulären Zentren<br />
Potenzial der Verbesserung der Überweisungsmodalität<br />
Versorgungs- Adäquate Honorierung amb. Leistungen an den<br />
optimierung Neuromuskulären Zentren<br />
(Beispiele) Verbesserung der amb. psychosoz. Beratung<br />
Verbesserung der Beratung auf den Gebieten<br />
Krankengymnastik und Ergotherapie<br />
Verbesserung der Hilfsmittelberatung<br />
Enge Zusammenarbeit mit Selbsthilfeorganisationen (DGM)<br />
Qualifikation f. Leistungserbringer
Service 157<br />
Tab. 6: Leitlinien zur Diagnostik der Polymyositis/Dermatomyositis<br />
DiagnoseschrittMethoden Bewertung<br />
Labor CK im Serum in 95% aller floriden Formen stark erhöht<br />
BKS, CRP nur in 50–60% aller immunogenen Myositiden<br />
pathologisch (besonders bei akuten Formen)<br />
myositisspezif. Autoantikörper nur in 40–60% aller Fälle pathologisch; vor<br />
allem bei Dermatomyositis/Overlap-Syndromen<br />
sowie bei akuter Polymyositis; praktisch<br />
nie bei primär chron. Polymyositis und<br />
Einschlusskörpermyositis<br />
EMG path. Spontanaktivität in Ruhe ⊕ Sehr typisch, aber nicht spezifisch. Allenfalls<br />
sog. Myopathiemuster bei Willkür- orientierende Untersuchung durch niedergelasinnervation<br />
sene Neurologen zur Diagnosefindung. Ausführliche<br />
Untersuchung im Muskelzentrum unmittelbar<br />
vor Durchführung der Biopsie<br />
(Cave: Artefakte im Stichkanal)<br />
Bildgebende Myosonographie wenig sensitiv, nur in der Hand des Erfahrenen<br />
Verfahren Computertomographie entbehrlich bis auf spezielle Fragen (z.B. Kalk);<br />
Strahlenbelastung!<br />
Kernspintomographie bei akuten Formen Nachweis eines Muskelödems<br />
in T2-betonten Sequenzen (häufig,<br />
wenn Klinik, CK und EMG richtungsweisend,<br />
für Auswahl der Biopsiestelle nicht nötig!)<br />
bei chronischen Formen zur Auswahl der<br />
Biopsiestelle immer empfehlenswert; Fett<br />
unterdrückende Sequenz (STIR)!<br />
Muskel- nur in speziellen Einrichtungen: Dermatomyositis: Polymyositis vom perifaszibiopsie<br />
Histologie kulären Typ (Histologie), Vasculitis (Histologie),<br />
Enzymhistologie (Gefrierschnitt) C5b9-Komplementablagerungen (Immunhisto-<br />
Immunhistologie (Gefrierschnitt) logie), tubulovesikulären Einschlüssen (Elektro-<br />
Elektronenmikroskopie nenmikroskopie), Infiltrate mit vorwiegend<br />
(Glutaraldehyd-Einbettung) B-Lymphozyten + CD4⊕-Lymphozyten (Immunhistologie)<br />
Polymyositis: Diffuse Polymyositis (Histologie),<br />
vorwiegend CD8⊕-Lymphozyten (Immunhistologie),<br />
Invasion von CD8⊕-Lymphozyten in noch<br />
nicht nekrotische Muskelfasern (Immunhistologie)<br />
Elektronenmikroskopie: Differentialdiagnose<br />
vakuolärer Degenerationen (DD Einschlusskörpermyositis)
158 Entzündliche Muskelkrankheiten<br />
Literatur<br />
[1] Engel A G, Hohlfeld R, Banker B Q (1994), The polymyositis and dermatomyositis syndromes.<br />
In: Engel A G, Franzini-Armstrong C (Hrsg.), Myology Vol. 2, Diseases of<br />
muscle, 1335–1383. McGraw-Hill, New York<br />
[2] Goebels N, <strong>Pongratz</strong> D (1998), Myositiden. In: Brandt T, Dichgans J, Diener H C<br />
(Hrsg.), Therapie und Verlauf neurologischer Erkrankungen, 3. Aufl., 1120–1137.<br />
Kohlhammer, Stuttgart<br />
[3] <strong>Pongratz</strong> D (1999), Myositiden. In: Hopf H C, et al. (Hrsg.), Neurologie in Praxis und<br />
Klinik, 620–629. Thieme, Stuttgart<br />
[4] <strong>Pongratz</strong> D E (1999), Erkrankungen der Muskulatur. In: Kunze K (Hrsg.), Praxis der<br />
Neurologie, 3. Aufl., 123–167. Thieme, Stuttgart<br />
[5] <strong>Pongratz</strong> D, Dalakas M C (1996), Inflammatory Myopathies. In: Brandt T, et al. (Hrsg.),<br />
Neurological Disorders. Course and Treatment, 965–969. Academic Press, San Diego<br />
[6] <strong>Pongratz</strong> D, Späth M (2002), Myositiden. In: Berger M, el al. (Hrsg.),<br />
Therapiehandbuch. Urban & Fischer, München<br />
[7] Walter M C, et al., High-dose immunoglobulin therapy in sporadic inclusion body myositis:<br />
a double-blind, placebo-controlled study. J. Neurol. (2000), 247, 22–28