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Ingeborg Bachmann: Poetik-Vorlesungen zum schreibenden

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Rheinische Friedrichs-Wilhelms-Universität BonnGermanistisches SeminarE II: Weibliche Autorschaft in SelbstbeschreibungSeminarleitung: Dr. U. GeitnerSommersemester 2002Referentinnen: Christine Mikliss, Birgit Mikus, Sonja NankoReferat 28.6. 2002:<strong>Ingeborg</strong> <strong>Bachmann</strong>, <strong>Poetik</strong>-<strong>Vorlesungen</strong> <strong>zum</strong> <strong>schreibenden</strong> „Ich“Teil 2: Text III, Das schreibende Ich- Problematik des Ich-Erzählers (auf den ersten Blick nicht zu erkennen)- Beispiel für Problematik: „Ich sage Ihnen“; mit der Distanz <strong>zum</strong> Sprecher Ich immer unklarer,abstrakter, formaler, kommt mit der eigentlichen Person nicht mehr zur Deckung- „Ich ohne Gewähr“- weiterer Aspekt: Das eigene Ich ist nicht immer bewusst, aber selbstverständlicher Umgang mitdem Begriff Ich- nach Aufzeigen der Probleme verschiedene Formen des <strong>schreibenden</strong> Ichs, verschiedeneMöglichkeiten, dem Problem des Ich-Erzählers zu begegnen- zunächst Ich als historische Persönlichkeit (Bsp.: Winston Churchill)- keine Trennung von Ich und Autor gegeben- für Schriftsteller nicht möglich, daher muss andere Form gefunden werden, um Ich glaubhaft <strong>zum</strong>achen- Beispiele für verschiedene Ich-Konzeptionen:1. Henry Miller und Luis Ferdinand Céline:- Autoren verwenden ihre eigene Identität als Ich-Erzähler und lassen diesen ihre eigenenErlebnisse zustoßen; Trennung von Ich und Autor unmöglich- <strong>Bachmann</strong> deckt grundlegende Schwäche dieser Ich Konzeption auf: Zitat S. 222 Mitte- eine Existenzberechtigung erhält dieses Ich allein durch seine Sprache, ein Gedanke, derauch bei anderen Ich-Konzeptionen grundlegend ist2. Das Tagebuch-Ich:- dieses Ich darf – im Gegensatz zu allen anderen – willkürlich sein und braucht keineHandlung zu tragen, es darf auch von Belanglosigkeiten erzählen- Tagebuch-Ich bildet sozusagen Standbild des Autors ab, wobei es keine Rücksicht aufHandlung oder Subjektivität nehmen muss- Das gleiche gilt auch für Brief-Ich; hinter beiden Ich steckt zwar der Autor, aber für denLeser formalisiert, „entrückt“ (nach <strong>Bachmann</strong>)- Ist auf die anfängliche These von der Distanz zurückzuführen3. Doppelter Ich-Erzähler:- Ein Ich-Erzähler bereitet das Auftreten eines weiteren, wichtigeren Ich-Erzähler vor;dabei ist nicht zu erfahren, ob der erste der Autor selbst ist oder ebenfalls ein fiktives Ich- Gleiches gilt für Herausgeber-Ich, das z.B. von Dostojewskij benutzt wurde, um derZensur zu entgehen- Diese Form ist schon aufgrund der Form (Rahmen- und Binnenhandlung) interessant,inhaltlich gibt sie Rätsel auf in Bezug auf Identität der Ich-Erzähler; Ziel, dass Ichglaubhaft ist, ist erreicht- Wie schon erwähnt, kann man aber über keinen der Erzähler eine Aussage bezüglich desRealitätsanspruches machen4. Reflektierender Ich-Erzähler:- dieser erzählt seine Lebensgeschichte auf der Suche nach sich selbst


- dabei verändert sich das Ich aber immer wieder- dabei wird Frage nach Einheit von Ich und Autor schon gar nicht mehr gestellt, da Ichallein schon so undefinierbar, nicht festlegbar ist- Kunstgriff, um sich der traditionellen Ich-Konzeption als Handlungsträger undHandlungs-Überblickender (-Überbringender) zu entziehen- Dazu gehört auch eine neue Behandlung der Zeit: Vergangenheit ist keine Konstantemehr, sondern taucht immer wieder unmittelbar in der Romangegenwart auf, in derErinnerung des Ichs- In diesem Zusammenhang wichtige These:„Die erste Veränderung, die das Ich erfahren hat, ist, daß es sich nicht mehr in der Geschichteaufhält, sondern daß sich neuerdings die Geschichte im Ich aufhält.“ (S. 230 Mitte)- das Ich wird wegen seiner Fähigkeit zur Erinnerung und zur Reflektion selbst <strong>zum</strong>(inneren) Schauplatz des Romans5. Übermittelnder Ich-Erzähler:- wird nur kurz angesprochen: bei Proust als Beispiel vermittelt das Ich zwar seineErlebnisse, aber diese werden direkt verallgemeinert und als Erkenntnissätze an den Leserweitergegeben- deswegen lässt sich kein klares Ich herauskristallisieren, das Ich bleibt nicht greifbar- genauso auch ein „richtendes Ich“ (Beispiel: vom Autor Hans Henny Jahnn); Ich-Erzählerversucht, sich im Schreiben selbst zu richten- auch dieses Ich verändert sich immer wieder, daher <strong>zum</strong> Scheitern verurteilt6. Der bloß existierende Ich-Erzähler:- eindrucksvoll bei Samuel Beckett, „Der Namenlose“ (als Beispiel im Text): Ich existiertnur, indem es spricht, erlebt nichts mehr- muss sprechen und denken, um seine Existenz aufrecht zu erhalten, um seineBerechtigung zur Existenz zu erhalten- dieses Ich ist sich selbst ausgeliefert- es braucht zwar keine Rechtfertigung in Bezug auf Handlung, aber es muss sich ständigselbst legitimieren, indem es spricht, es darf nicht verstummen, da es sonst aufhörenwürde, zu existieren- dazu der wichtige Satz im Ausklang der Vorlesung:„ Es ist das Wunder des Ich, daß es, wo immer es spricht, lebt;...“ (S. 237)- am Ende wird klar, wie vielschichtig das Wort Ich eigentlich ist, sowohl im Alltag als auch in derLiteratur- Aufgabe, die <strong>Bachmann</strong> an das schreibende Ich stellt, ist die der Vertretung einer Persönlichkeit,in unterschiedlichster Form:-„Und es wird seinen Triumph haben, heute wie eh und je – als Platzhalter der menschlichenStimme.“ (S. 237 unten)

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