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Strafbarkeit wegen falscher Verdächtigung im Lichte des nemo ... - ZIS

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<strong>Strafbarkeit</strong> <strong>wegen</strong> <strong>falscher</strong> Verdächtigung <strong>im</strong> <strong>Lichte</strong> <strong>des</strong> <strong>nemo</strong> tenetur-Grundsatzesnach polnischem StrafrechtVon Prof. Dr. Andrzej Zoll, KrakauIch wünsche der verehrten Jubilarin viele Jahre in Gesundheitund Freude in ihrer wissenschaftlichen und beruflichenTätigkeit und möchte aus diesem Anlass einen bescheidenenBeitrag zur Diskussion über ein wichtiges Problem <strong>im</strong>Schnittpunkt zwischen dem materiellen Strafrecht und demStrafprozessrecht vorlegen. Die Aktivität der Jubilarin in derStrafrechts- und Strafprozesslehre sowie als Rechtsanwältinwird meine Wahl begründen.Das verfassungsrechtlich garantierte Recht <strong>des</strong> Angeklagtenauf Verteidigung 1 enthält eine Reihe von Einzelgrundsätzen.Einer von ihnen ist der Grundsatz <strong>nemo</strong> tenetur se ipsumaccusare mit dem Verbot, von dem Beschuldigten zu verlangen,ihn belastende Beweismittel vorzulegen. 2 Dieser Grundsatzist mit den Prozessgrundsätzen der Unschuldsvermutung(praesumptio boni viri) und der Entscheidung zugunsten <strong>des</strong>Angeklagten be<strong>im</strong> Vorliegen unwiderlegbarer Zweifel (indubio pro reo) eng verbunden. Die genannten Grundsätzebezwecken eine solche Gestaltung <strong>des</strong> Rechts auf Verteidigung,dass eine fälschlicherweise der Begehung einer Straftatbeschuldigte Person nicht strafrechtlich belangt wird. Siehaben somit nicht nur die Belange <strong>des</strong> Angeklagten, vielmehrauch die der Rechtspflege zu schützen.In der polnischen Strafrechtslehre 3 und der Rechtsprechungwird der Umfang der Rechtfertigung <strong>des</strong> Verhaltens<strong>des</strong> Angeklagten <strong>im</strong> Rahmen <strong>des</strong> Rechts auf Verteidigungnicht einheitlich verstanden. Hat das Recht auf Verteidigungzu bedeuten, dass der Angeklagte das Recht hat, zu schweigenoder dass er von der strafrechtlichen Verantwortung <strong>wegen</strong><strong>des</strong> Inhalts seiner Angaben bzw. Aussagen zu befreienist, wenn dieser Inhalt die tatbestandsmäßigen Merkmaleverwirklicht? 4 Auf dem Boden <strong>des</strong> polnischen Rechts könnendie in Art. 233 § 1 polnStGB (Falschaussage), Art. 234polnStGB (falsche Beschuldigung), Art. 236 § 1 polnStGB(Verhe<strong>im</strong>lichung von Beweisen für die Unschuld einer derBegehung einer Straftat verdächtigen Person) oder Art. 240§ 1 polnStGB (Nichtanzeige einer Straftat) bezeichnetenStraftatbestände in Frage kommen. Die Regelung enthält <strong>des</strong>Weiteren die Möglichkeit, von der in Art. 236 § 1 polnStGBbezeichneten Straftat abzusehen. Dies ist <strong>im</strong> Hinblick auf den1 Siehe Art. 42 Abs. 1 Verfassung der Republik Polen, Art. 6polnStPO sowie Art. 14 Abs. 3 lit g <strong>des</strong> Internationalen Paktsüber Bürgerliche und Politische Rechte (Dz. U von 1977 Nr.38, Pos. 168).2 Art. 74 § 1 polnStPO: „Ein Angeklagter hat weder diePflicht, seine Unschuld zu beweisen, noch die Pflicht, belastendeBeweismittel vorzulegen“.3 Mit diesem Grundsatz befasste sich in seiner MonographieSobolewski, Samooskarżenie w świetle prawa karnego (<strong>nemo</strong>se ipsum accusare tenetur) – Selbstbeschuldigung <strong>im</strong> <strong>Lichte</strong><strong>des</strong> Strafrechts (<strong>nemo</strong> se ipsum accusare tenetur), 1982.4 Gem. Art. 175 § 1 polStPO hat der Angeklagte das Recht,Angaben zu machen oder sie zu verweigern. Ein Zeuge dagegenhat Aussagen zu machen (Art. 177 § 1 polStPO).in Art. 236 § 2 vorgesehenen Ausschluss der <strong>Strafbarkeit</strong>dann der Fall, wenn Beweismittel zugunsten <strong>des</strong> Tatverdächtigen(sei es – um an dieser Stelle an die <strong>im</strong> polnischen Strafrechtgeläufige, vorliegend nicht erhebliche Unterscheidungvon Straftat und Finanzstraftat anzuschließen – eine Straftatoder auch eine Finanzstraftat, eine Übertretung, speziell eineFinanzübertretung oder auch eine Disziplinarverfehlung) verhe<strong>im</strong>lichtwerden, weil der Verdächtige die Strafverfolgunggegen sich selbst oder einen „Allernächsten“ 5 befürchtet.Dasselbe gilt für eine Straftat nach Art. 240 § 1 polnStGB –ebenfalls <strong>wegen</strong> der in § 3 dieser Vorschrift vorgesehenenStraffreiheit –, wenn der Täter die Benachrichtigung <strong>des</strong> zuständigenVerfolgungsorgans aus Angst vor der ihm odereinem Allernächsten drohenden Strafverfolgung unterlassenhat. Der Gesetzgeber selbst setzt somit in solchen Fällen diefehlende <strong>Strafbarkeit</strong> einer der Begehung einer Straftat (potentiell)verdächtigen Person <strong>wegen</strong> Verhe<strong>im</strong>lichung von Beweisenfür die Unschuld einer anderen der Begehung dieserStraftat verdächtigen Person (auch bei Vernehmung als Beschuldigterbzw. Zeuge) oder <strong>wegen</strong> Nichtbenachrichtigungvoraus. Art. 236 § 2 polnStGB findet auch dann Anwendung,wenn sich die Verhe<strong>im</strong>lichung von Unschuldsbeweisen aufeine Person bezieht, die der Begehung einer anderen Straftatverdächtigt wird, die jedoch mit der Straftat <strong>im</strong> Zusammenhangsteht, deren Begehung die Unschuldsbeweise verhe<strong>im</strong>lichendePerson verdächtigt wird.Die Aufnahme der Straffreiheitsklausel in Art. 236 § 2polnStGB und Art. 240 § 3 polnStGB gibt zweifelsfrei Anlasszu einer inhaltlichen Interpretation jener Vorschriften, indenen eine solche Klausel fehlt. Es geht insbesondere umArt. 234 polnStGB – falsche Beschuldigung der Begehungeiner Straftat (auch einer Finanzstraftat), einer Übertretung(auch einer Finanzübertretung) bzw. einer Disziplinarverfehlung.Es gilt zunächst die Frage zu beantworten, ob ein Verdächtigerbzw. ein als Zeuge vernommener Täter, der <strong>im</strong>Verfahren <strong>wegen</strong> der Begehung einer Straftat Aussagenmacht, <strong>wegen</strong> Falschaussage strafrechtlich belangt werdenkann.Es sei in diesem Zusammenhang vor allem auf die Tatbestandsmerkmale<strong>des</strong> Art. 233 § 1 polnStGB hingewiesen, indem als ursächliche Handlung eindeutig die Aussage best<strong>im</strong>mtwurde. Eine so definierte Handlung wird weder voneinem <strong>im</strong> vorbereitenden Verfahren als Verdächtiger nochvon einem <strong>im</strong> Gerichtsverfahren als Angeklagter Vernommenenverwirklicht. Angaben in solchen Vernehmungen ver-5 Das polnische Strafrecht unterscheidet zwischen „Allernächstem“und nur „Nahestehendem“. Die Allernächsten(Art. 115 § 11 polStGB) sind der Ehegatte, der Aszendentund der Deszendent, die Geschwister, der in der gleichenLinie oder <strong>im</strong> gleichen Grad Verschwägerte, eine <strong>im</strong> Adoptionsverhältnisstehende Person und deren Ehegatte sowie einein faktischer Lebensgemeinschaft stehende Person._____________________________________________________________________________________262<strong>ZIS</strong> 5/2012


<strong>Strafbarkeit</strong> <strong>wegen</strong> <strong>falscher</strong> Verdächtigung nach polnischem Strafrecht_____________________________________________________________________________________wirklichen <strong>des</strong>halb keine der in Art. 233 § 1 polnStGB bezeichnetenTatbestandsmerkmale. In einem solchen Fallbraucht es <strong>des</strong>halb keine weitere Begründung für den Ausschlussder <strong>Strafbarkeit</strong> <strong>wegen</strong> <strong>falscher</strong> Angaben, da der ineigener Sache vernommene und falsche Angaben machendeVerdächtige bzw. Angeklagte nicht die in Art. 233 § 1polnStGB bezeichneten Tatbestandsmerkmale verwirklicht.Ein solches Verhalten ist, wie man wohl sagen darf, bereitstatbestandlich und nicht erst <strong>wegen</strong> Vorliegens eines Rechtfertigungsgrun<strong>des</strong>(sekundäre Legalität) straflos.Dem Recht auf Verteidigung als Rechtfertigungsgrundkommt aber auch auf dem Boden <strong>des</strong> Art. 233 § 1 polnStGBBedeutung zu. Es betrifft nämlich den Inhalt der Aussageneiner als Zeuge hinsichtlich der Begehung einer Straftat vernommenenPerson, der <strong>im</strong> Nachhinein die Begehung dieserStraftat vorgeworfen wird. Steht dem Verdächtigen das Rechtauf Verteidigung erst ab der formellen Beschuldigung oderbereits früher zu? Gilt der Ausschluss der <strong>Strafbarkeit</strong> <strong>wegen</strong>Falschaussage auch für einen Verdächtigen bzw. Angeklagten,der <strong>im</strong> Strafverfahren gegen eine andere Person wahrheitsgemäßeAussagen macht, mit denen er sich selbst möglicherweisebelastet? Und schließlich: Endet das die Falschaussageausschließende Recht auf Verteidigung als Rechtfertigungmit der rechtskräftigen Entscheidung (Verurteilungbzw. Freispruch) oder besteht es weiter und – wenn ja – biszu welchem Zeitpunkt?Nicht ohne Bedeutung für die Beantwortung der vorstehendenFragen ist die in Art. 233 § 3 polnStGB best<strong>im</strong>mteGrundlage für den Ausschluss der <strong>Strafbarkeit</strong>, wenn derBetroffene in Unkenntnis seines Aussageverweigerungsrechtsoder seines Rechts, die Beantwortung best<strong>im</strong>mter Fragen zuverweigern, aus Angst vor einer ihm selbst oder einem Allernächstendrohenden Strafverfolgung eine falsche Aussagemacht. Das Aussageverweigerungsrecht und das Recht, dieBeantwortung best<strong>im</strong>mter Fragen zu verweigern – in demdurch das <strong>nemo</strong> tenetur-Prinzip erfassten Umfang –, sind inArt. 182 § 3 polnStPO 6 und Art. 183 § 1 polnStPO 7 best<strong>im</strong>mt.Aus Art. 233 § 3 polnStGB in Verbindung mit Art. 182§ 3 polnStPO und Art. 183 § 1 polnStPO wäre zu schließen,dass der polnische Gesetzgeber das Modell „Wahrheit sagenoder schweigen“ angenommen und <strong>im</strong> Rahmen <strong>des</strong> Rechtsauf Verteidigung die Möglichkeit der Aussage- bzw. Auskunftsverweigerungeingeräumt hat. Eine <strong>Strafbarkeit</strong> <strong>wegen</strong>Falschaussage setzt die Kenntnis <strong>des</strong> Aussagenden über dasihm zustehende Schweigerecht voraus. Bei Unkenntnis diesesRechts spricht das Gesetz von „Nichtbestrafung“, was daraufhinweist, dass in diesem Fall weder die Verwirklichung vonTatbestandsmerkmalen noch Rechtfertigungsgründe vorlie-gen. Im letzteren Fall bedient sich das Gesetz der Formel„keine Straftat begeht“. Der Gesetzgeber sieht somit dieFalschaussage bei Unkenntnis <strong>des</strong> dem Aussagenden zustehendenSchweigerechts als ein Verhalten, das die Tatbestandsmerkmaleeiner unter Androhung von Strafe verbotenenTat verwirklicht, als ein rechtswidriges, aus kr<strong>im</strong>inalpolitischenGründen aber straffreies Verhalten an. Ob eine solcheQualifizierung der unter Umständen gem. Art. 233 § 3polnStGB gemachten Aussagen dogmatisch richtig ist, istnicht unumstritten. Anders übrigens werden die unter solchenUmständen gemachten Aussagen durch das Oberste Gericht(OG) qualifiziert, das in seinem Urteil vom 12.2.2009 8 feststellte:„Keine Straftat der Falschaussage (Art. 233 § 1polnStGB) begeht, wer vorsätzlich unwahre Aussagen hinsichtlichder Umstände macht, die für die Verwirklichungseines Rechts auf Verteidigung von Bedeutung sind (Art. 6polnStPO)“. Aus den Urteilsgründen ging nicht hervor, obder Falschaussagende über das ihm zustehende Aussageverweigerungsrechtbzw. das Recht, die Beantwortung best<strong>im</strong>mterFragen zu verweigern, belehrt worden ist. Es ist somitanzunehmen, dass das Oberste Gericht die unter solchenUmständen gemachten Falschaussagen als einen <strong>wegen</strong> Vorliegens<strong>des</strong> gesetzlichen Konträrtypus (Recht auf Verteidigung)rechtswidrigkeitsausschließenden Umstand qualifiziert.Umstritten bleibt aber nach wie vor, ob Falschaussageneiner über das Aussage- bzw. Auskunftsverweigerungsrechtbelehrten Person in der Situation, in der wahre Aussagen ihreProzesssituation verschlechtern würden, die <strong>Strafbarkeit</strong> <strong>wegen</strong>der Straftat gem. Art. 233 § 1 polnStGB begründen. Aufdie so formulierte Frage gibt das Schrifttum verschiedeneAntworten. In der älteren Fachliteratur wurde angenommen,dass die trotz Belehrung über das Aussage- bzw. Auskunftsverweigerungsrechtgemachten Falschaussagen eine <strong>Strafbarkeit</strong><strong>wegen</strong> Falschaussage begründen (jetzt Art. 233 § 1polnStGB). Diesen Standpunkt vertraten u.a. Młynarczyk 9und Wąsek 10 .Zu den bestehenden Zweifeln bezog das OG in seinemBeschluss vom 20.9.2007 11 unmittelbar Stellung. In der Begründungzum Beschluss bewertet das OG kritisch die inArt. 233 § 3 polnStGB und in Art. 183 § 1 polnStPO angenommeneLösung <strong>wegen</strong> der ihr anhaftenden inneren Widersprüchlichkeitund der Unvereinbarkeit mit den verfassungsundprozessrechtlichen Garantien <strong>des</strong> Rechts auf Verteidigung.Aus diesen Gründen kann die Möglichkeit, die Beantwortungder Frage unter Umständen gem. Art. 183 § 1polnStGB zu verweigern, nach Auffassung <strong>des</strong> OG von min<strong>im</strong>alerpraktischer Bedeutung sein. Unter Berufung auf dieMeinung von Sowiński 12 stellt das OG fest, dass der diskutiertenKonstruktion „ein angeborener Mangel anhaftet, den6 „Das Zeugnisverweigerungsrecht steht auch einem Zeugenzu, der in einer anderen anhängigen Sache <strong>wegen</strong> Beteiligungan der Straftat angeklagt ist, auf die sich das Verfahren erstreckt.“7 „Jeder Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern,deren Beantwortung ihn selbst oder einen seiner nächstenAngehörigen der Gefahr aussetzen würde, <strong>wegen</strong> einerStraftat oder einer Fiskalstraftat verfolgt zu werden“.8 III KK 339/08, LEX Nr. 4865459 Młynarczyk, Fałszywe zeznania w polsk<strong>im</strong> prawie karnym(Falschaussagen <strong>im</strong> polnischen Strafrecht), 1971, S. 153 f.10 Wąsek, Wojskowy Przegląd Prawniczy z. 3-4/1992, 73.11 I KZP 26/07, OSNKW 10/2007, Pos. 71.12 Sowiński, Prawo świadka do odmowy zeznań w procesiekarnym (Das Zeugnisverweigerungsrecht <strong>im</strong> Strafprozess),2004, S. 126._____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com263


Andrzej Zoll_____________________________________________________________________________________keine Kur zu heilen vermag“. Wir haben es somit mit einerDesavouierung einer gesetzlichen Lösung durch das OG zutun. Angebrachter wäre in diesem Fall der in der Verfassungvorgesehene Weg 13 und der Antrag an den Verfassungsgerichtshofauf Prüfung der Vereinbarkeit <strong>des</strong> Art. 183 § 1polnStPO i.V.m. Art. 233 § 1 polnStGB mit der Verfassung.Das OG stellte somit fest, dass unabhängig von der Belehrungüber das Aussage- und Auskunftsverweigerungsrecht„keine Falschaussage (Art. 233 § 1 polnStGB) begeht, wervorsätzlich unwahre Aussagen hinsichtlich der für die Verwirklichungseines Rechts auf Verteidigung relevanten Umständegemacht hat (Art. 6 polnStPO)“. Das Recht auf Verteidigungstelle das Recht auf Verteidigung <strong>des</strong> Menschen,und nicht seiner Rolle bzw. seines Status <strong>im</strong> Strafverfahrendar. 14 Folglich könne es nicht von der Prozessrolle der Vernommenenund insbesondere davon abhängig gemacht werden,ob ihm die Tat bereits zur Last gelegt worden ist odernoch ein ad rem-Verfahren geführt wird. Unter Verweis aufArt. 14 Abs. 3 lit. g <strong>des</strong> Internationalen Paktes über bürgerlicheund politische Rechte 15 stellte das OG fest, der <strong>nemo</strong>tenetur-Grundsatz habe einen weiteren Anwendungsumfangals die Prozessgarantien <strong>des</strong> Beschuldigten (Angeklagtenbzw. Verdächtigen). „Er schützt nämlich auch jeden zur Abgabevon Prozesserklärungen verpflichteten Verfahrensbeteiligten(Zeugen, Sachverständige, Verfahrensparteien), dembei Straftataufdeckung die Strafverfolgung drohen würde.“ 16In der Begründung zum erwähnten Beschluss führte dasOG ausführliche Argumente dafür an, den Ausschluss derStrafverantwortung <strong>des</strong> Zeugen <strong>wegen</strong> Falschaussagen hinsichtlich<strong>des</strong> Verhaltens <strong>des</strong> Zeugen, das seine Strafverantwortungbegründen könnte, als einen Rechtfertigungsgrund(Konträrtypus) zu betrachten.Das I-Tüpfelchen stellte, wie man wohl sagen kann, dasUrteil <strong>des</strong> OG vom 30.6.2009 17 dar. „Das Handeln <strong>des</strong> Angeklagten<strong>im</strong> Rahmen <strong>des</strong> ihm zustehenden Rechts auf Verteidigung“– so das OG – „stellt einen Konträrtypus dar, der dieRechtswidrigkeit der Falschaussage ausschließt und insbesonderein den Vorschriften von Art. 6, Art. 74 § 1 undArt. 175 polnStPO begründet ist. Liegen also <strong>im</strong> Zusammenhangmit einem best<strong>im</strong>mten Ereignis die Voraussetzungen für13 Siehe Art. 193 VerfRP: „Je<strong>des</strong> Gericht kann dem Verfassungsgerichtshofeine Rechtsfrage bezüglich der Vereinbarkeiteines Normativaktes mit der Verfassung, den ratifiziertenvölkerrechtlichen Verträgen oder dem Gesetz vorlegen, wennvon der Beantwortung der Rechtsfrage die Entscheidungeiner bei dem Gericht anhängigen Sache abhängig ist.“14Siehe Dudek, Konstytucyjna wolność człowieka atymczasowe aresztowanie (Verfassungsrechtliche Freiheit<strong>des</strong> Menschen und Untersuchungshaft), 1999, S. 20215 Siehe Fn. 1.16 Begründung zum Beschluss <strong>des</strong> OG (siehe Fn. 9). Einenähnlichen Standpunkt vertreten in der polnischen FachliteraturSobolewski (Fn. 3), S. 11 und Wiliński, Zasada prawa doobrony w polsk<strong>im</strong> procesie karnym (Der Grundsatz <strong>des</strong>Rechts auf Verteidigung <strong>im</strong> polnischen Strafprozess), 2006,S. 356.17 V KK 25/09, LEX Nr. 512071.die Strafverfolgung einer konkreten Person vor, so kann ihrnicht zugleich die Falschaussage hinsichtlich <strong>des</strong> Verlaufsdieses Ereignisses zur Last gelegt werden, selbst dann nicht,wenn sie vor der Erhebung der den Vorwurf der Straftatbegehungbegründenden Beweise vernommen worden ist. In einersolchen Situation sind Aussagen dieser Person für die Verwirklichungihres Rechts auf Verteidigung <strong>im</strong>mer von Belang“.Fasst man dies zusammen, dann begeht nach Auffassungvor allem <strong>des</strong> Obersten Gerichts, aber auch eines Teils derStrafrechtlehre, keine Straftat gem. Art. 233 § 1 polnStGB,wer Aussagen über Umstände macht, die ihn belasten. Diesgilt für alle Phasen <strong>des</strong> Strafverfahrens und unabhängig voneiner Belehrung. Dogmatisch begründet wird die fehlende<strong>Strafbarkeit</strong> der Falschaussage durch die Situation <strong>des</strong> Konträrtypus,d.h. dem Vorliegen einer Rechtfertigung, der sekundärenLegalität aufgrund eines Güterkonflikts.Dies ist meines Erachtens ein überzeugender Standpunkt.Mein einziger Zweifel gilt der Nichtbeachtung <strong>des</strong> Inhaltsvon Art. 233 § 3 polnStGB und Art. 183 § 1 polnStPO. DasOG n<strong>im</strong>mt eine Rechtfertigung entgegen der eindeutigenRegelung <strong>des</strong> Gesetzes, d.h. <strong>des</strong> Gesetzgebers an. Es kommensomit Zweifel verfassungsrechtlicher Natur auf, insbesonderein Bezug auf die Verletzung <strong>des</strong> sich aus Art. 10VerfRP ergebenden Prinzips der Gewaltenteilung. Die bereitsgefestigte Rechtsprechung <strong>des</strong> OG lässt sich nur dann mit dergeltenden Rechtsordnung vereinbaren, wenn sie der Vorentscheidung<strong>des</strong> Gesetzgebers entspricht.Die Feststellung der fehlenden <strong>Strafbarkeit</strong> <strong>wegen</strong> Falschaussageeiner ihr Recht auf Verteidigung in den durch dasOG festgelegten Grenzen wahrnehmenden Person ist nochnicht für die Beantwortung der Frage entscheidend, ob derAussagende <strong>wegen</strong> einer anderen als in Art. 233 § 1 poln-StGB bezeichneten Straftat strafrechtlich belangt werdenkann, wenn der Inhalt seiner Aussagen die Tatbestandsmerkmaleeiner unter Strafandrohung verbotenen Tat verwirklicht.Dasselbe gilt auch für die vom Verdächtigen bzw. Angeklagtengemachten Angaben. Entsprechend dem hiesigen Themageht es mir um die mögliche <strong>Strafbarkeit</strong> einer solchen Person<strong>wegen</strong> einer Straftat nach Art. 234 polnStGB. Die fehlende<strong>Strafbarkeit</strong> <strong>wegen</strong> Falschaussage bzw. <strong>falscher</strong> Angabenbegründet noch nicht die fehlende <strong>Strafbarkeit</strong> <strong>wegen</strong> derdurch den Inhalt dieser Aussagen bzw. Angaben verwirklichtenTatbestandsmerkmale der falschen Beschuldigung derBegehung einer Straftat, einer Übertretung bzw. einer Disziplinarverfehlung.Einen anderen Standpunkt nahm in dieserFrage Szewczyk ein. Für ihn ist mit Rücksicht auf die Einheitder Rechtsordnung davon auszugehen, „dass, wenn der Gesetzgeberdavon ausgeht, dass der Angeklagte <strong>wegen</strong> seinerfalschen Beweiserklärungen niemals strafrechtlich belangtwird […], unter Würdigung dieser Lösung konsequenterweiseauch dem Standpunkt zuzust<strong>im</strong>men wäre, dass dieselbenGründe ausreichend sind, um ihn von der Strafverantwortung<strong>wegen</strong> jeder, nur durch Abgabe von falschen Erklärungenzustande gekommenen Straftat zu befreien“ 18 . DieseArgumentation ist allerdings nicht korrekt. Für die Strafbar-18 Szewczyk, Orzecznictwo Sądów Polskich 12/2004, 682._____________________________________________________________________________________264<strong>ZIS</strong> 5/2012


<strong>Strafbarkeit</strong> <strong>wegen</strong> <strong>falscher</strong> Verdächtigung nach polnischem Strafrecht_____________________________________________________________________________________keit <strong>wegen</strong> <strong>falscher</strong> Verdächtigung sprechen nämlich andereGründe als für den Ausschluss der <strong>Strafbarkeit</strong> <strong>wegen</strong> Falschaussagebzw. Falschangaben. Neben dem (den Konträrtypus<strong>des</strong> Rechts auf Verteidigung begründenden) Interesse derJustiz kommen <strong>im</strong> Falle der falschen Beschuldigung auchnoch die Rechtsgüter der falsch beschuldigten Person insSpiel sowie die Gefahr einer ungerechten Verurteilung undsomit eine Gefahr für die Justiz in einem anderen Aspekt, alses bei der Begründung <strong>des</strong> Rechts auf Verteidigung der Fallist.Für die Absicht <strong>des</strong> Gesetzgebers, <strong>wegen</strong> <strong>falscher</strong> Beschuldigungauch denjenigen strafrechtlich zu belangen, dermit seinen Aussagen bzw. Angaben fälschlicherweise eineandere Person beschuldigt, um sich auf diese Weise derStrafverantwortung zu entziehen, spricht der Umstand, dassArt. 234 polnStGB keine Straffreiheitsklausel enthält, wie siein Art. 236 § 2 polnStGB und Art. 240 § 3 polnStGB vorgesehenist. Aber auch hinsichtlich dieser Frage sind die Meinungender Rechtslehre und der Rechtsprechung geteilt. Eslassen sich hierbei drei Auffassungen unterscheiden. Nachder ersten gibt es <strong>im</strong> besprochenen Fall keine Begründung füreinen Ausschluss der <strong>Strafbarkeit</strong> <strong>wegen</strong> <strong>falscher</strong> Beschuldigung.Nach der zweiten liefert das Recht auf Verteidigungeinen Rechtfertigungsgrund, d.h. es greift als rechtswidrigkeitsausschließenderKonträrtypus ein. Nach der dritten Auffassungbleibt die Falschaussage bzw. falsche Angabe straffrei,allerdings nur in den Grenzen <strong>des</strong> tatsächlich wahrgenommenenRechts auf Verteidigung; fehlt diese Voraussetzung,kann sich ein Beschuldigter durch Erklärungen <strong>im</strong> Prozess<strong>wegen</strong> <strong>falscher</strong> Beschuldigung strafbar machen.Die <strong>im</strong> Fehlen der Straffreiheitsklausel in Art. 234 poln-StGB verankerte erste Auffassung, fand in der früheren, nochauf der Grundlage <strong>des</strong> Strafgesetzbuches von 1932 ergangenenRechtsprechung ihren Ausdruck. Das OG hielt die beiAbgabe von Prozesserklärungen erfolgte falsche Beschuldigung<strong>im</strong> Urteil vom 24.4.1934 für strafbar. 19 Aufrechterhaltenwurde dieser Standpunkt durch das OG in der Zeit derVolksrepublik Polen. Im Beschluss der Strafkammer vom18.2.1961 20 stellte das Gericht fest: „Wer vor einem für dieVerfolgung von Straftaten zuständigen Organ eine anderePerson bewusst fälschlicherweise der Begehung der ihm vorgeworfenenStraftat, einer anderen Straftat bzw. der Beteiligungan der Straftatbegehung beschuldigt, überschreitet dasRecht auf Verteidigung und begeht ein Vergehen <strong>im</strong> Sinne<strong>des</strong> Art. 143 polnStGB (StGB von 1932 – Anm. <strong>des</strong> Verf.)“.In diesem Beschluss verwies das OG, in der Zeit der VolksrepublikPolen eher eine Ausnahme, auf die damals geltendeVerfassung von 1952, die in Art. 76 die Wahrnehmung derzustehenden Rechte in Übereinst<strong>im</strong>mung mit den Vorschriften<strong>des</strong> Gesetzes und den Grundsätzen <strong>des</strong> gesellschaftlichenZusammenlebens zuließ. Die in der Ausübung <strong>des</strong> Rechts aufVerteidigung erfolgte falsche Beschuldigung verstieß nachAuffassung <strong>des</strong> OG nicht nur gegen das Recht (Art. 143polnStGB von 1932), sondern auch gegen die Grundsätze <strong>des</strong>gesellschaftlichen Zusammenlebens.19 2 K 289/34, Zb.O. 268/34.20 VI KO 29/59, OSNCK 2/1961, Pos. 20.An den oben erwähnten Beschluss der Strafkammer wurde<strong>im</strong> Beschluss <strong>des</strong> OG in der Besetzung von sieben Richternvom 29.6.1972 angeknüpft 21 , in dem das das GerichtFolgen<strong>des</strong> feststellte: „Die vor einem Gericht gemachten Angaben<strong>des</strong> Angeklagten, in denen er einen Funktionär derBürgermiliz fälschlicherweise der Anwendung von unerlaubtenVernehmungsmethoden beschuldigt, können eine Straftat<strong>im</strong> Sinne <strong>des</strong> Art. 178 § 1 polnStGB, und wenn der Täterzwecks Herabwürdigung dieses Funktionärs in der öffentlichenMeinung bzw. zwecks Gefährdung seines Vertrauenskreditshandelt, eine Straftat <strong>im</strong> Sinne <strong>des</strong> Art. 178 § 2polnStGB bilden“. Das Gericht schloss die <strong>Strafbarkeit</strong> <strong>des</strong>Täters der falschen Beschuldigung nach Art. 248 polnStGBvon 1969 aus, weil es, anders als Art. 234 polnStGB von1997, die <strong>Strafbarkeit</strong> <strong>wegen</strong> <strong>falscher</strong> Beschuldigung auf dievor einer für die Verfolgung von Straftaten zuständigen Behördeoder einem ebensolchen Amt beschränkte. Das Gerichtsei keine solche Behörde bzw. Amt.Diese Richtung der Rechtsprechung gehört keineswegsder Geschichte an. 22 In dem erwähnten Urteil v. 30.6.2009 23nahm das OG an, dass der <strong>im</strong> Rahmen <strong>des</strong> Rechts auf VerteidigungFalschaussagende <strong>wegen</strong> der Straftat <strong>im</strong> Sinne <strong>des</strong>Art. 233 § 1 polnStGB nicht zur Strafverantwortung gezogenwerden kann. Es verzichtete dabei allerdings darauf, denabweichenden Standpunkt der Gerichte in den Vorinstanzenfür falsch zu erklären.Vertreten wurde der Standpunkt, wonach eine <strong>Strafbarkeit</strong>nach Art. 234 polnStGB vorliegt, auch in der älteren Fachliteratur.Papierkowski schrieb: „Selbst der weitest gehendeLiberalismus der neuzeitlichen Gesetzgebungsrichtungen, derden Angeklagten mit Rechten der Prozesspartei ausstattet,darf best<strong>im</strong>mte Grenzen nicht überschreiten; deren Überschreitungkäme der Einführung <strong>des</strong> Unrechts in die Rechtsordnunggleich. Jene Grenze, an der das Recht <strong>des</strong> Angeklagtenauf Verteidigung endet und <strong>des</strong>sen verbrecherische Tätigkeitbeginnt, bildet die Heranziehung zu Verteidigungszweckensolcher Maßnahmen, die als ein Angriff auf RechtsgüterDritter anzusehen sind“ 24 . Ähnlicher Meinung war auch Śliwiński.25Ein entschiedener Anhänger der zweiten Auffassung,nach der die <strong>Strafbarkeit</strong> entfällt, war Cieślak. 26 SeinemStandpunkt lagen Argumente praxeologischer Natur zugrunde.Nach Auffassung von Cieślak sei es lohnender, eine sozialschädlichefalsche Beschuldigung durch den Angeklagtenstraflos zu lassen, als ihn zur Strafverantwortung zu ziehen.Falsche Angaben <strong>des</strong> Angeklagten dürften nach Auffassungdieses Autors nach keiner Strafvorschrift als eine Straftatqualifiziert werden. Diesen Standpunkt vertritt heute vor21 VI KZP 67/71, OSNKW 10/1972, Pos. 150.22 Siehe OG, Beschl. v. 25.4.1995 – II KO 6/95 = Prokuraturai Prawo 7-8/1995, Beiheft Pos. 7.23 V KK 25/09, LEX 512071.24 Papierkowski, Głos Prawa 9-10/1935, 9 f.25 Śliwiński, Polski proces karny przed sądem powszechnym(Der polnische Strafprozess vor ordentlichen Gerichten),1959, S. 189.26 Siehe Cieślak, Państwo i Prawo 11/1973, 183 f._____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com265


Andrzej Zoll_____________________________________________________________________________________allem Szewczyk. 27 Wie bereits erwähnt, stützt diese Autorinihren Standpunkt auf die allgemein anerkannte Straffreiheit<strong>wegen</strong> Abgabe von falschen Prozesserklärungen durch einePerson, der das Recht auf Verteidigung zusteht (Art. 233 § 1polnStGB) und die sich daraus mit Rücksicht auf die Kohärenz<strong>des</strong> Rechtssystems zu ergebende Straffreiheit <strong>wegen</strong><strong>falscher</strong> Verdächtigung.Nach der heute vorherrschenden Lehre 28 und der Rechtsprechungist die Straflosigkeit dann anzunehmen, wenn diefalsche Beschuldigung nicht nur neben anderen Motiven,sondern unmittelbar dem Recht auf Verteidigung diente. Diefür diese Auffassung wohl repräsentativste Entscheidung ist,zumin<strong>des</strong>t bis jetzt, der Beschluss <strong>des</strong> OG v. 11.1.2006. 29 Inder Begründung zu diesem Beschluss stellte das OG Folgen<strong>des</strong>fest: „Es sollte […] offensichtlich sein, dass die Verteidigung<strong>des</strong> Angeklagten nicht uneingeschränkt, per fas et nefas,sondern in den durch die Vorschriften <strong>des</strong> Rechts festgesetztenGrenzen verwirklicht werden darf. Sowohl die Konstruktionder Verteidigung als Prozesstätigkeit selbst als auch dasRecht auf diese Verteidigung bilden nämlich Einrichtungen<strong>des</strong> Rechts, so dass sie mit rechtlich vorgesehenen (zulässigen)Mitteln und Maßnahmen zu realisieren sind und nurdieses Recht jenes ‚nefas‘, d.h. die ‚Ruchlosigkeit‘ best<strong>im</strong>mterVerteidigungshandlungen <strong>des</strong> Angeklagten in einem best<strong>im</strong>mtenUmfang zulassen kann.“ Des Weiteren hielt dasGericht fest: „[…] der Angeklagte trägt keine Strafverantwortung<strong>wegen</strong> der sich aus seinen falschen Angaben ergebendenInhalte, solange diese Angaben der Verwirklichung seinerVerteidigung dienen“. Dieser Standpunkt umfasst somit auchdie falsche Beschuldigung.Man kann unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit diesemStandpunkt <strong>des</strong> OG zust<strong>im</strong>men, auch wenn diese „Billigkeit“in diesem Fall nicht ganz eindeutig ist. Nur schwer kann ichmich aber, wie es auch bei der Interpretation der <strong>Strafbarkeit</strong><strong>wegen</strong> Falschaussage der Fall war, kommentarlos über denInhalt <strong>des</strong> Strafgesetzbuches hinwegsetzen. Dass in der Vorschriftüber falsche Beschuldigung die Straffreiheitsklauselfehlt, während sie in Bezug auf die in Art. 236 § 1 polnStGBund Art. 240 § 1 polnStGB bezeichneten Straftaten vorgesehenist, hat doch etwas zu bedeuten. Auch in diesem Fallwäre eine Entscheidung <strong>des</strong> Gesetzgebers oder zumin<strong>des</strong>t <strong>des</strong>Verfassungsgerichtshofes angezeigt.Das OG neigt dazu, den Ausschluss der <strong>Strafbarkeit</strong> <strong>wegen</strong><strong>falscher</strong> Beschuldigung <strong>im</strong> Rahmen <strong>des</strong> Rechts auf Verteidigungals Rechtfertigungsgrund (Konträrtypus) zu qualifi-zieren. 30 Dieser Standpunkt kann nicht nur in dogmatischerHinsicht, sondern auch <strong>im</strong> Hinblick auf praktische Konsequenzenzu erheblichen Zweifeln Anlass geben. Die Annahme,ein best<strong>im</strong>mter Umstand schließe die Rechtswidrigkeitder Tat aus, bewirkt, dass eine tatbestandsmäßige Tat alsdurch die Rechtsordnung gerechtfertigt und somit legal zugelten hat. Die Folge wäre, dass einer falsch beschuldigtenPerson die Möglichkeit genommen würde, den Schutz ihrerpersönlichen Rechte auf dem Boden <strong>des</strong> Zivilrechts geltendzu machen. Dies wäre ein entschieden zu weit gehender Liberalismus,der zu Lasten der Ehre bzw. <strong>des</strong> guten Rufs einerPerson als wichtiges, verfassungsrechtlich geschütztes Rechtsgutginge.Im Ergebnis ist die Verwirklichung <strong>des</strong> Rechts auf Verteidigungin Form von falschen Aussagen bzw. Angaben aufKosten anderer Personen ein Umstand, der lediglich die<strong>Strafbarkeit</strong> der Tat, nicht aber deren Tatbestandsmäßigkeitund Rechtswidrigkeit ausschließt.27 Siehe Szewczyk, Orzecznictwo Sądów Polskich 12/2004,682, sowie ders., in: Zoll (Hrsg.), Komentarz do Kodeksukarnego (Kommentar zum Strafgesetzbuch), Bd. 2, 2006,S. 1027 ff.28 Siehe Kunicka-Michalska, in: Wąsek (Hrsg.), Kodeks karny,Część szczególna (Strafgesetzbuch, Besonderer Teil),Bd. 2, 2004, S. 188; Wiliński (Fn. 16), S. 368; Potulski,Gdańskie Studia Prawnicze 4/2006, 121ff.29 I KZP 49/05, OSNKW 2/2006, Pos. 12.30 Siehe insbesondere: OG, Beschl. v. 22.9.2008 – IV KK241/08 = Prokuratura i Prawo 2/2009, Beiheft Pos. 6. sowieOG. Urt. v. 20.6.2009 – V KK 25/09 = LEX Nr. 512071._____________________________________________________________________________________266<strong>ZIS</strong> 5/2012

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