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tom clancy im sturm

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2<br />

TOM<br />

CLANCY<br />

IM STURM<br />

R O M A N<br />

Aus dem Amerikanischen<br />

von Hardo Wichmann<br />

GOLDMANN VERLAG


Nischnewartowsk, UdSSR,<br />

Träge Lunte<br />

Sie gingen rasch, lautlos, zielstrebig vor; über ihnen leuchtete kristallklar<br />

der Sternenh<strong>im</strong>mel Westsibiriens. Sie waren Moslems, was<br />

man ihnen kaum anmerkte; sie sprachen russisch mit dem singenden<br />

Tonfall der Aserbeidschaner. Die drei hatten gerade auf dem<br />

Lkw-Parkplatz und an den Bahngleisen eine komplizierte Aufgabe<br />

erledigt, nämlich das Öffnen Hunderter von Füllventilen. Ibrah<strong>im</strong><br />

Tolkase war ihr Anführer. An der Spitze ging jedoch Rasul, ein<br />

Schrank von einem Mann, ehemals Feldwebel be<strong>im</strong> MVD; er hatte<br />

in dieser kalten Nacht bereits sechs Männer getötet - drei mit der<br />

Pistole, drei mit bloßen Händen. Niemand hatte etwas gehört, denn<br />

in einer Erdölraffinerie herrscht viel Lärm. Die Leichen waren <strong>im</strong><br />

Dunkel zurückgelassen worden, und die drei Männer bestiegen nun<br />

Tolkases Wagen, um die nächste Phase in Angriff zu nehmen.<br />

Das Kontrollzentrum befand sich in einem modernen zweistöckigen<br />

Bau in der Mitte des Komplexes. Mindestens fünf Kilometer<br />

weit in alle Richtungen erstreckten sich die Destillations- und katalytischen<br />

Anlagen, Tanklager und vor allem das kilometerlange<br />

Röhrengeflecht, das Nischnewartowsk zu einer der größten Raffinerien<br />

der Welt machte. In unregelmäßigen Abständen erhellten<br />

Flammen den H<strong>im</strong>mel, wo Gase abgefackelt wurden, und es stank<br />

nach Rohöldestillaten: Kerosin, Benzin, Diesel, Stickstofftetraoxid<br />

für Interkontinentalraketen, nach Schmierölen und allen möglichen<br />

anderen petrochemischen Verbindungen.<br />

Der Ingenieur Tolkase steuerte seinen privaten Lada auf das<br />

fensterlose Backsteingebäude zu, hielt auf dem für ihn reservierten<br />

Parkplatz und ging zum Eingang. Seine Kameraden warteten geduckt<br />

<strong>im</strong> Fond.<br />

Hinter der Glastür begrüßte Ibrah<strong>im</strong> den Mann vom Werkschutz,<br />

der zurücklächelte und die Hand nach Tolkases Ausweis<br />

ausstreckte. Der Wächter hatte getrunken; einziger Trost in diesem<br />

3


auhen, kalten Land. Sein Blick war verschwommen, sein Lächeln<br />

zu starr. Tolkase händigte ungeschickt seinen Ausweis aus, ließ<br />

ihn fallen, und der Wächter bückte sich wankend, um ihn aufzuheben.<br />

Tolkases Pistolenmündung war das letzte, was der Mann<br />

spürte. Er starb, ohne zu wissen wie oder warum. Ibrah<strong>im</strong> hob die<br />

Leiche auf, setzte sie vorn übergesunken an den Tisch - es verpennte<br />

mal wieder einer die Spätschicht - und winkte dann seine<br />

Kameraden heran. Rasul und Mohammed sprinteten auf den Eingang<br />

zu.<br />

»Brüder, es ist soweit.« Tolkase reichte seinem hünenhaften<br />

Freund die Kalaschnikow AK-47 und einen Patronengurt.<br />

Rasul wog die Waffe kurz in der Hand, überzeugte sich, dass sie<br />

geladen und entsichert war. Dann warf er sich den Patronengurt<br />

über die Schulter, pflanzte das Bajonett auf und sagte zum ersten<br />

Mal in dieser Nacht etwas: »Das Paradies erwartet uns.«<br />

Tolkase klemmte sich den Sicherheitsausweis an den weißen<br />

Kittel. Dann führte er seine Kameraden die Treppe hinauf.<br />

Normalerweise durfte das Kontrollzentrum nur betreten, wer<br />

einem der dort Beschäftigten persönlich bekannt war. Nikolaj<br />

Barsow wirkte überrascht, als er Tolkase durch das winzige Fenster<br />

in der Tür erblickte. »Sie haben doch heute frei, Ischa.«<br />

»Heute Nachmittag versagte ein Ventil, und ich vergaß, vor<br />

Schichtende nach dem Fortgang der Reparaturarbeiten zu sehen.<br />

Sie wissen ja, welches ich meine - das Hilfsspeiseventil für Kerosinlager<br />

acht. Wenn es bis morgen nicht instand gesetzt ist, müssen<br />

wir umleiten, und Sie können sich vorstellen, was das bedeutet.«<br />

Barsow grunzte zust<strong>im</strong>mend. »Allerdings, Ischa. Treten Sie zurück,<br />

damit ich aufmachen kann.«<br />

Die schwere Stahltür öffnete sich nach außen. Rasul und Mohammed<br />

waren Barsow verborgen geblieben. Er hatte keine Zeit<br />

mehr, sie wahrzunehmen. Drei Geschosse vom Kaliber 7,62. mm<br />

bohrten sich in seine Brust.<br />

Die Kontrollzentrale, in der zwanzig Mann Dienst taten, ähnelte<br />

einem Stellwerk oder der Schaltzentrale eines Kraftwerks.<br />

Schematische Darstellungen des Pipeline-Systems bedeckten die<br />

hohen Wände, übersät mit Hunderten von Leuchten, die die Funktion<br />

der einzelnen Steuerventile anzeigten. Doch dies war nur das<br />

Haupt-Display. Einzelne Teile des Systems wurden über separate<br />

Rückmeldeanlagen gesteuert, größtenteils durch Computer, aber<br />

4


auch von der Hälfte der Diensttuenden Ingenieure überwacht. Das<br />

Personal konnte die drei Schüsse nicht überhören.<br />

Doch niemand war bewaffnet.<br />

Gelassen, fast elegant begann sich Rasul vorzuarbeiten, setzte<br />

seine Kalaschnikow meisterhaft ein, gab jedem Ingenieur nur eine<br />

Kugel. Anfangs versuchten sie zu fliehen - bis sie erkannten, dass<br />

Rasul sie wie Vieh in eine Ecke trieb. Zwei Männer griffen tapfer<br />

nach den Telefonen, um die Sicherheitseinheiten des KGB zu alarmieren.<br />

Einen erschoss Rasul auf seinem Posten, der andere aber<br />

ging hinter den Schaltpulten in Deckung und rannte zur Tür, wo<br />

Tolkase stand. Es war Boris, wie Tolkase sah, der Favorit der Partei<br />

und Chef des Kollektivs, ein Mann, der mit ihm »Freundschaft«<br />

geschlossen hatte. Ibrah<strong>im</strong>, der nicht vergessen hatte, wie gönnerhaft<br />

er von diesem Russen behandelt worden war, hob seine Pistole.<br />

»Ischa!« schrie der Mann entsetzt. Ibrah<strong>im</strong> schoss ihm in den<br />

Mund und hoffte nur, dass Boris noch lange genug lebte, um sein<br />

verächtliches Giaur! zu hören. Es freute ihn, dass Rasul diesen<br />

Mann nicht erwischt hatte. Alle anderen überließ er seinem wortkargen<br />

Freund gern.<br />

Die anderen Ingenieure brüllten und warfen mit Tassen, Stühlen<br />

und Handbüchern, doch es gab nirgends Zuflucht, nichts führte an<br />

dem dunkelhäutigen, baumlangen Mann vorbei. Manche hoben<br />

flehend die Hände, andere beteten sogar laut. Der Lärm legte sich,<br />

als Rasul lächelnd den letzten erschoss. Dieser schwitzende ungläubige<br />

Hund würde ihm <strong>im</strong> Paradies dienen. Rasul lud sein Sturmgewehr<br />

nach, ging zurück in die Kontrollzentrale, stieß die Leichen<br />

mit dem Bajonett an und verpasste jenen vieren, die noch schwache<br />

Lebenszeichen zeigten, den Gnadenschuss. Sein Gesicht war gr<strong>im</strong>mig<br />

befriedigt. Mindestens fünfundzwanzig ungläubige Hunde tot.<br />

Fünfundzwanzig Fremde, die nun nicht mehr zwischen seinem<br />

Volk und Allah standen. Wahrlich, er hatte Allahs Werk getan!<br />

Mohammed, der dritte, war schon an seine Arbeit gegangen, als<br />

Rasul sich am oberen Ende der Treppe postierte. Im rückwärtigen<br />

Teil des Raumes schaltete er unter Umgehung aller au<strong>tom</strong>atischen<br />

Sicherheitssysteme von Computerkontrolle auf manuelle Notsteuerung<br />

um.<br />

Ibrah<strong>im</strong>, ein methodischer Mann, hatte das Unternehmen zwar<br />

über Monate hinweg geplant und sich jede Einzelheit eingeprägt,<br />

trug aber dennoch eine Checkliste in der Tasche, die er nun entfal­<br />

5


tete und vor sich aufs Hauptschaltpult legte. Tolkase warf einen<br />

Blick auf die Anzeigetafel, um sich zu orientieren, und hielt dann<br />

inne.<br />

Aus der Hüfttasche zog er die Hälfte eines Korans, der seinem<br />

Großvater gehört hatte, und schlug ihn aufs Geratewohl auf: die<br />

Sure über die Kriegsbeute. Sein Großvater war bei einem erfolglosen<br />

Aufstand gegen Moskau zum »Märtyrer des Islam« geworden,<br />

sein Vater hatte sich auf schändliche Weise dem gottlosen Staat<br />

unterworfen, und Tolkase selbst war von seinen Lehrern indoktriniert<br />

und schließlich zum Ingenieur ausgebildet worden, der in<br />

Aserbeidschans bedeutendster Industrieanlage Anstellung fand.<br />

Erst dann hatte der Gott seiner Vorväter seine Seele durch einen<br />

inoffiziellen Imam gerettet. Tolkase las die Passage, die er aufgeschlagen<br />

hatte: »Und als die Ungläubigen planten, dich gefangenzuhalten,<br />

zu töten oder zu vertreiben, planten sie schlau; doch auch<br />

Allah hatte seinen Plan gemacht. Und seine Pläne sind die klügsten.«<br />

Tolkase lächelte. Ein letzter Fingerzeig für einen Plan, den ein<br />

Größerer ausführte. Seelenruhig und zuversichtlich begann er, sein<br />

Schicksal und seinen Auftrag zu erfüllen.<br />

Zuerst das Benzin. Er schloss sechzehn Steuerventile - die nächsten<br />

waren drei Kilometer entfernt - und öffnete dann zehn; so<br />

leitete er achtzig Millionen Liter Benzin um, die nun aus einer<br />

Batterie von Füllventilen für Tanklaster strömten. Da die drei keine<br />

pyrotechnischen Vorrichtungen hinterlassen hatten, entzündete<br />

sich der Treibstoff nicht sofort. Doch wenn wir wahrhaftig das<br />

Werk Allahs tun, hatte sich Tolkase gesagt, wird Er schon dafür<br />

sorgen...<br />

Was Er auch tat. Ein Kleinlaster ging auf dem Abfüllhof zu rasch<br />

in die Kurve, geriet auf dem auslaufenden Benzin ins Schleudern<br />

und prallte seitlich gegen einen Strommast. Es bedurfte nur eines<br />

Funkens... und auch an den Gleisen lief schon der Treibstoff aus.<br />

An den Hauptschaltern des Pipeline-Systems ging Tolkase nach<br />

einem ganz speziellen Plan vor. Rasch gab er in den Computer einen<br />

Befehl ein und dankte Allah für Rasuls Geschick, der mit seinem<br />

Sturmgewehr nichts Wichtiges beschädigt hatte. Die Hauptleitung<br />

von dem nahe gelegenen Ölfeld hatte einen Durchmesser von zwei<br />

Metern und zahlreiche Abzweigungen zu allen Bohrlöchern. Das<br />

Öl in diesen Pipelines stand unter dem Druck der Förderpumpen<br />

6


des Feldes. Auf Ibrah<strong>im</strong>s Befehle hin wurden Ventile in rascher<br />

Folge geöffnet und geschlossen. Die Pipeline barst an einem Dutzend<br />

Stellen, der Computer aber ließ die Pumpen weiterlaufen. Das<br />

austretende leichte Rohöl überflutete das Ölfeld; ein Funke genügte,<br />

um einen vom Winterwind noch weiter angefachten Großbrand<br />

auszulösen. Ein anderer Rohrbruch ereignete sich an der<br />

Stelle, wo die Öl- und Erdgasleitungen parallel über den Fluß Ob<br />

geführt wurden.<br />

»Die Grünen sind da!« schrie Rasul. Gleich darauf kam der<br />

Einsatztrupp des KGB-Grenzschutzes die Treppe hochgestürmt.<br />

Ein kurzer Feuerstoß aus der Kalaschnikow tötete die beiden ersten<br />

Männer. Der Rest des Trupps machte hinter einer Biegung des<br />

Treppenhauses jäh halt; ein junger Feldwebel versuchte auszumachen,<br />

in was sie da hineingeraten waren.<br />

Ringsum <strong>im</strong> Kontrollzentrum gingen au<strong>tom</strong>atische Alarmsignale<br />

los. Die Hauptanzeige stellte vier wachsende Brände dar, umrissen<br />

von blinkenden roten Leuchten. Tolkase trat an den Hauptrechner<br />

und riss die Bandspule mit den digitalen Steuer<strong>im</strong>pulsen heraus.<br />

Ersatzbänder lagen in einem Tresorraum <strong>im</strong> Keller, doch die einzigen<br />

Männer <strong>im</strong> Umkreis von zehn Kilometern, die die Kombination<br />

des Türschlosses kannten, lagen tot am Boden. Mohammed riss<br />

eifrig die Anschlüsse aller Telefone heraus. Die Explosion eines<br />

zwei Kilometer entfernten Benzintanks ließ das ganze Gebäude<br />

erzittern.<br />

Die Detonation einer Handgranate leitete einen neuen Angriff<br />

der KGB-Truppen ein. Rasul erwiderte das Feuer; Todesschreie<br />

mischten sich mit dem ohrenbetäubenden Lärm der Brandsirenen.<br />

Tolkase eilte in die Ecke, wo der Boden vom Blut schlüpfrig war,<br />

öffnete die Tür eines Sicherungsschranks, legte den Hauptschalter<br />

um und schoss dann mit der Pistole hinein. Wer hier etwas reparieren<br />

wollte, würde <strong>im</strong> Dunkeln arbeiten müssen.<br />

Es war vollbracht. Ibrah<strong>im</strong> sah, dass sein hünenhafter Freund von<br />

Granatsplittern tödlich in die Brust getroffen war, sich aber wankend<br />

an der Tür auf den Beinen hielt, bemüht, seine Kameraden bis<br />

zum letzten Augenblick zu schützen.<br />

»Ich nehme Zuflucht <strong>im</strong> Herrn der Welt«, rief Tolkase den KGB-<br />

Truppen, die kein Wort Arabisch verstanden, trotzig zu. »Dem<br />

König der Menschen, Gott der Menschen, vorm Übel des flüsternden<br />

Scheitan«<br />

7


Der KGB-Feldwebel sprang auf den unteren Treppenabsatz, und<br />

seine erste Garbe riss Rasul die Kalaschnikow aus den blutleeren<br />

Händen. Zwei Handgranaten flogen <strong>im</strong> Bogen durch die Luft, als<br />

der Feldwebel schon wieder um die Ecke verschwand.<br />

Kein Ausweg, kein Grund zur Flucht. Mohammed und Ibrah<strong>im</strong><br />

blieben reglos in der Tür stehen, als die Handgranaten über die<br />

Fliesen auf sie zugerollt kamen. Um sie herum schien die ganze Welt<br />

Feuer zu fangen - und ihretwegen würde sie auch tatsächlich in<br />

Brand geraten.<br />

»Allahu akhbar!«<br />

Sunnyvale, Kalifornien<br />

»Heiliger Strohsack!« hauchte der Chief Master Sergeant. Der in<br />

dem Benzin- und Diesellager der Raffinerie ausgebrochene Brand<br />

hatte ausgereicht, die Sensoren eines vierzigtausend Kilometer über<br />

dem Indischen Ozean in einer geo-synchronen Umlaufbahn schwebenden<br />

strategischen Frühwarnsatelliten zu aktivieren. Das Signal<br />

wurde zu einer hochgehe<strong>im</strong>en Bodenstation der US-Luftwaffe gesendet.<br />

Der ranghöchste Wachoffizier der Satelliten -Kontrolleinrichtung<br />

war ein Colonel der Air Force, der sich nun an seinen rangältesten<br />

Techniker wandte. »Bringen Sie das auf die Karte.«<br />

»Ja, Sir.« Der Sergeant gab an seinem Terminal einen Befehl ein,<br />

der die Empfindlichkeit der Kameras <strong>im</strong> Satelliten verringerte. Als<br />

der Überbelichtungseffekt auf dem Bildschirm nachließ, ortete der<br />

Satellit die Quelle der Wärmeenergie rasch. Eine Computer erzeugte<br />

Landkarte auf dem Monitor lieferte genaue Koordinaten. »Sir, da<br />

brennt eine Erdölraffinerie. In zwanzig Minuten haben wir einen<br />

KH-11-Durchlauf. Der Satellit passiert die Brandstelle in knapp<br />

hundertzwanzig Kilometer Entfernung.«<br />

»Gut.« Der Colonel nickte. Er betrachtete aufmerksam den Bildschirm,<br />

um sich zu vergewissern, dass die Hitzequelle sich nicht<br />

bewegte. Mit der rechten Hand griff er nach dem goldenen Telefon<br />

zum NORAD - Hauptquartier in Cheyenne Mountain <strong>im</strong> Bundesstaat<br />

Colorado. »Hier Argus Control. Ich habe eine Blitzmeldung<br />

für den CINC-NORAD.«<br />

»Moment.«<br />

8


»Hier CINC-NORAD«, sagte ein zweiter Mann, der Oberbefehlshaber<br />

der nordamerikanischen Luft- und Raumverteidigung.<br />

»Sir, hier Colonel Burnette, Argus Control. Massiver Thermalenergiewert,<br />

Koordinaten sechzig Grad fünfzig Minuten Nord,<br />

sechsundsiebzig Grad vierzig Minuten Ost. Die Lokalität ist als<br />

Erdölraffinerie ausgewiesen. Die Hitzequelle ist stationär, wiederhole:<br />

stationär. In zwanzig Minuten erfolgt ein KH-11-Durchlauf.<br />

Nach erster Einschätzung, General, haben wir es hier mit einem<br />

Großbrand auf einem Ölfeld zu tun.«<br />

»Ihr Satellit wird also nicht von einem Laser geblendet?« fragte<br />

der CINC-NORAD. Es bestand <strong>im</strong>mer die Möglichkeit, dass die<br />

Sowjets solche Spiele trieben.<br />

»Negativ. Die Lichtquelle umfasst das gesamte sichtbare Spektrum<br />

plus infrarot und ist nicht, wiederhole: nicht monochromatisch.<br />

Weitere Einzelheiten in wenigen Minuten, Sir. Bisher weisen<br />

alle Daten auf einen Flächenbrand hin.«<br />

Dreißig Minuten später hatten sie Gewissheit. Der Aufklärungssatellit<br />

kam über den Horizont und der Unfallstelle so nahe, dass<br />

seine acht Fernsehkameras das Chaos aufzeichnen konnten. Das<br />

Signal wurde über einen stationären Satelliten an die Bodenstation<br />

gefunkt, und Burnette sah sich das Ganze in »Echtzeit« an, live und<br />

in Farbe. Der Brand hatte bereits auf die Hälfte des Raffineriekomplexes<br />

und auf mehr als die Hälfte des nahe gelegenen Ölfelds<br />

übergegriffen; brennendes Öl strömte aus den geborstenen Pipelines<br />

in den Ob. Sie konnten zusehen, wie sich das von einem<br />

starken Wind angefachte Feuer rasch ausbreitete. Im sichtbaren<br />

Spektrum hüllte Rauch den Großteil der Anlage ein, aber Infrarot-<br />

Sensoren durchdrangen ihn und zeigten eine Vielzahl von Hitzequellen,<br />

die nur riesige, heftig brennende Seen von Erdölprodukten<br />

darstellen konnten. Burnettes Sergeant kam aus dem Osten von<br />

Texas und hatte als junger Mann auf Ölfeldern gearbeitet. Er<br />

brachte Tageslichtaufnahmen der Anlage auf den Monitor und<br />

verglich sie mit dem Bild auf dem Sichtgerät nebenan, um festzustellen,<br />

welche Teile der Raffinerie bereits Feuer gefangen hatten.<br />

»Verflucht, Colonel.« Der Sergeant schüttelte andächtig den<br />

Kopf. »Die Raffinerie ist <strong>im</strong> E<strong>im</strong>er, Sir. Das Feuer rast vor dem<br />

Wind her und ist unmöglich zu löschen. Die Anlage ist ein Totalverlust<br />

und brennt vielleicht noch drei, vier Tage weiter, stellenweise<br />

sogar eine Woche. Und wenn sie den Brand nicht unter Kontrolle<br />

9


ekommen, geht auch das Ölfeld hoch. Be<strong>im</strong> nächsten Durchlauf<br />

steht der ganze Schlamassel in Flammen, brennendes Öl aus allen<br />

Bohrlöchern ... Mann, da traut sich selbst Red Adair nicht ran!«<br />

»Von der Raffinerie bleibt also nichts übrig? Hmm.« Burnette<br />

ließ eine Bandaufzeichnung der Satellitenaufnahmen ablaufen.<br />

»Das ist ihre neueste und größte Anlage. Bis die von Grund auf<br />

wieder aufgebaut ist, gibt es bei Petroleumprodukten mit Sicherheit<br />

Engpässe. Wenn der Brand gelöscht ist, werden sie ihre Benzin- und<br />

Dieselproduktion radikal umstellen müssen. Eins muss ich dem<br />

Russen lassen: Wenn bei seiner Industrie etwas schief geht, stößt er<br />

sofort zu. Ein lästiger Rückschlag für unsere russischen Freunde<br />

also, nicht mehr.«<br />

Diese Analyse wurde tags darauf vom CIA und einen Tag später<br />

von den britischen und französischen Nachrichtendiensten bestätigt.<br />

Sie lagen alle schief.<br />

10


2<br />

Außenseiter <strong>im</strong> inneren Zirkel<br />

DATUM-ZEIT 31/01 - 06:15 BLATT 01 GROSSBRAND UDSSR<br />

BC - Soviet Fire, Bjt, 1809 -FL-<br />

Feuerkatastrophe auf sowjetischem Ölfeld <strong>im</strong> Nischnewartowsk<br />

-FL.<br />

EDS: Für Nachmittagsausgabe MITTWOCH vorgezogen<br />

•FL-.<br />

Von William Blake -FC-<br />

Militärkorrespondent AP<br />

WASHINGTON (AP) - »Der schwerste Brand auf einem<br />

Ölfeld seit der Katastrophe in Mexico City 1984 und selbst dem<br />

Texas-City-Brand 1947« erhellte laut militärischen und nachrichtendienstlichen<br />

Quellen die Nacht in der mittleren Sowjetunion.<br />

Der Brand wurde mit »nationalen technischen Mitteln«<br />

ausgemacht, ein Begriff, der <strong>im</strong> allgemeinen auf von der CIA<br />

mittels Aufklärungssatelliten gewonnene Daten hinweist. Die<br />

CIA lehnte jeglichen Kommentar zu dem Vorfall ab.<br />

Quellen <strong>im</strong> Pentagon bestätigten den Bericht und betonten,<br />

die von der Unfallstelle abgestrahlte Energie habe bei NO­<br />

RAD vorübergehend Unruhe und die Besorgnis ausgelöst, es<br />

könne sich um den Abschuss einer Rakete gegen die Vereinigten<br />

Staaten handeln oder den Versuch, amerikanische Frühwarnsatelliten<br />

mit einem Laser zu blenden.<br />

Es sei jedoch zu keinem Zeitpunkt erwogen worden, erhöhte<br />

Alarmbereitschaft auszulösen. »Nach dreißig Minuten war<br />

alles vorbei«, erklärte die Quelle.<br />

Von der sowjetischen Nachrichtenagentur TASS ging bisher<br />

keine Bestätigung ein.<br />

Die Tatsache, dass amerikanische Regierungsbeamte außergewöhnliche<br />

Industrieunfälle erwähnten, lässt darauf schließen,<br />

dass dieser Großbrand viele Todesopfer gefordert hat. Quellen<br />

<strong>im</strong> Verteidigungsministerium waren nicht bereit, über die<br />

Möglichkeit von Opfern unter der Zivilbevölkerung zu spekulieren.<br />

Der Erdölkomplex Nischnewartowsk grenzt an die<br />

gleichnamige Stadt an.<br />

Das Feld Nischnewartowsk liefert 31,3 Prozent der gesamten<br />

11


sowjetischen Ölförderung, und die angrenzende, erst kürzlich<br />

erbaute Raffinerie 17,3 Prozent aller Erdöldestillate.<br />

»Zu ihrem Glück«, erklärte Donald Evans, Sprecher des<br />

American Petroleum Institute, »brennt unterirdisches Öl<br />

nicht, und aus diesem Grund ist damit zu rechnen, dass das<br />

Feuer in ein paar Tagen von selbst ausgehen wird.« Der Wiederaufbau<br />

der Raffinerie jedoch könne sehr kostspielig werden.<br />

»Wenn so etwas hochgeht«, meinte Evans, »dann gewöhnlich<br />

mit einem großen Knall. Die Russen verfügen jedoch<br />

über ausreichende ungenutzte Raffineriekapazität und<br />

können den Ausfall ausgleichen, zum Beispiel mit ihrem erweiterten<br />

Komplex bei Moskau.«<br />

Evans sah sich nicht in der Lage, Vermutungen über die<br />

Brandursache anzustellen: »Mag sein, dass das Kl<strong>im</strong>a etwas<br />

damit zu tun hatte. Wir sind zum Beispiel in Alaska auf<br />

Probleme gestoßen, die nur durch sorgfältige Arbeit gelöst<br />

werden konnten. Zudem ist jede Raffinerie anfällig für<br />

Brände, und für intelligentes, umsichtiges und gut ausgebildetes<br />

Bedienungspersonal gibt es eben keinen Ersatz.«<br />

Dies ist der letzte in einer Serie von Rückschlägen für die<br />

sowjetische Ölindustrie. Erst <strong>im</strong> vergangenen Herbst wurde<br />

vor dem Zentralkomitee eingestanden, die Förderleistung beider<br />

Ölfelder m Ostsibirien hätte »frühere Erwartungen nicht<br />

ganz erfüllt«. Westliche Kreise interpretierten diese scheinbar<br />

milde Erklärung als scharfen Angriff auf den inzwischen zurückgetretenen<br />

Erdölminister Satyschin, dessen Posten nun<br />

Michail Sergetow innehat, ehemals Parteichef in Leningrad<br />

und ein Aufsteiger in der Partei. Sergetow, erfahrener Ingenieur<br />

und Parteibürokrat, Muss nun die sowjetische Ölindustrie<br />

von Grund auf reorganisieren, eine Aufgabe, die Jahre m<br />

Anspruch nehmen mag.«<br />

AP-BA-31-01 0501 EST -FL-.<br />

12


Moskau<br />

Michail Eduardowitsch Sergetow hatte keine Gelegenheit, sich den<br />

Bericht der Nachrichtenagentur anzusehen. Er war aus seiner Datscha<br />

in den Birkenwäldern um Moskau geholt worden und sofort<br />

nach Nischnewartowsk geflogen, wo er sich nur zehn Stunden lang<br />

aufhielt, ehe er nach Moskau zurückbeordert wurde, um Bericht zu<br />

erstatten. Erst drei Monate auf dem Posten, dachte er, und jetzt<br />

ausgerechnet das!<br />

Seine Stellvertreter, zwei geschickte junge Ingenieure, waren zurückgeblieben,<br />

um Ordnung in das Chaos zu bringen und zu retten,<br />

was noch zu retten war. Sergetow saß in der leeren Bugkabine einer<br />

IL-86 und ging seine Unterlagen für den Vortrag vom Politbüro<br />

durch, das später am Tag zusammentreten sollte. Dreihundert<br />

Männer waren bei der Bekämpfung des Brandes ums Leben gekommen<br />

und wie durch ein Wunder nur knapp zweihundert Bürger der<br />

Stadt Nischnewartowsk.<br />

Die Raffinerie war fast völlig zerstört. Der Wiederaufbau würde<br />

mindestens zwei bis drei Jahre in Anspruch nehmen und einen<br />

beträchtlichen Anteil der Großröhrenproduktion des Landes verschlingen.<br />

Hinzu kamen alle anderen raffineriespezifischen Einrichtungen.<br />

Kostenpunkt: fünfzehn Milliarden Rubel. Und was<br />

musste alles aus dem Ausland <strong>im</strong>portiert werden - gegen Geld und<br />

kostbare Devisen!<br />

Und das war noch die positive Seite.<br />

Der negative Aspekt: Der Brand auf dem Ölfeld hatte die Quellenfassungen<br />

total zerstört. Reparaturzeit: sechsunddreißig Monate!<br />

Sechsunddreißig Monate, sann Sergetow depr<strong>im</strong>iert, vorausgesetzt,<br />

wir können die Bohrtürme und Mannschaften von anderswo<br />

abziehen und jede einzelne Bohrung neu niederbringen lassen und<br />

zur selben Zeit die ERO-Systeme wiederaufbauen. Achtzehn Monate<br />

lang ein drastischer Produktionsrückgang, wenn nicht dreißig<br />

Monate. Was soll aus unserer Wirtschaft werden?<br />

Er nahm ein liniertes Blatt aus der Aktentasche und begann zu<br />

rechnen. Der Flug dauerte drei Stunden, aber dass er vorüber war,<br />

merkte Sergetow erst, als der Pilot erschien und verkündete, sie<br />

seien gelandet.<br />

Er blinzelte auf die Schneelandschaft bei Wnukowo-2, Moskaus<br />

13


nur für die Parteiprominenz best<strong>im</strong>mtem Flughafen, und ging allein<br />

die Treppe hinunter zu einem bereitstehenden Sil. Die schwere<br />

L<strong>im</strong>ousine raste sofort los und hielt an keinem der Kontrollpunkte.<br />

Die fröstelnden Milizoffiziere nahmen Haltung an, als der Sil vorbeirauschte.<br />

Die Sonne schien hell, der H<strong>im</strong>mel war bis auf dünne<br />

Zirruswolken klar. Sergetow starrte ausdruckslos aus dem Fenster<br />

und ging in Gedanken Zahlen durch, die er schon ein halbes dutzendmal<br />

überprüft hatte.<br />

Sergetow war seit sechs Monaten Kandidat, also nicht st<strong>im</strong>mberechtigtes<br />

Mitglied des Politbüros, was bedeutete, dass er zusammen<br />

mit acht anderen Kandidaten die dreizehn Männer, die allein<br />

alle wichtigen Entscheidungen trafen, beriet. Er war seit September<br />

für die Erzeugung und Verteilung von Energie zuständig und hatte<br />

gerade erst begonnen, seinen Plan für die Reorganisation aller<br />

anderen mit Energie befassten zentralen und regionalen Ministerien,<br />

die den Großteil ihrer Zeit mit bürokratischen Grabenkämpfen<br />

verbrachten, in die Tat umzusetzen und eine übergeordnete<br />

Behörde zu schaffen, die dem Politbüro direkt Bericht erstattete. Er<br />

schloss kurz die Augen und dankte Gott, weil er sich in seiner ersten<br />

Empfehlung vor einem Monat mit Fragen der Sicherheit und politischen<br />

Zuverlässigkeit auf den Ölfeldern befasst und für eine weitere<br />

Russifizierung der größtenteils »ausländischen« Belegschaft eingesetzt<br />

hatte. Aus diesem Grund brauchte er um seine Karriere,<br />

bislang ein ununterbrochener Erfolg, nicht zu fürchten. Er zuckte<br />

die Achseln. Bei der nun vor ihm liegenden Aufgabe ging es auf<br />

jeden Fall um seine Zukunft. Und womöglich um die seines Landes.<br />

Der Sil raste auf der für höchste Persönlichkeiten best<strong>im</strong>mten<br />

Sonderspur in der Fahrbahnmitte des Leningradski-Prospekts entlang.<br />

Sie glitten am Intourist - Hotel vorbei auf den Roten Platz und<br />

hielten schließlich auf das Kremltor zu. Hier musste der Fahrer an<br />

drei von KGB-Soldaten und Taman - Gardisten bemannten Kontrollposten<br />

anhalten. Fünf Minuten später fuhr die L<strong>im</strong>ousine am<br />

Eingang zum Ministerratsgebäude vor, dem einzigen modernen<br />

Bau in der Festung. Hier kannten die Posten Sergetow vom Sehen<br />

und hielten ihm zackig salutierend die Wagentür auf.<br />

Als er eintrat, herrschte <strong>im</strong> Sitzungssaal Totenstille. In dem alten<br />

Saal <strong>im</strong> Arsenal, der gerade renoviert wurde, hätte die St<strong>im</strong>mung an<br />

eine Beerdigung erinnert. Langsam starben die alten Männer, die<br />

Stalins Schreckensherrschaft überlebt hatten, aus. Die »jungen«<br />

14


Männer um die fünfzig verschafften sich Gehör, die Wachablösung<br />

hatte begonnen, kam aber für den Geschmack Sergetows und seiner<br />

Generation trotz des neuen Generalsekretärs viel zu langsam voran.<br />

»Guten Tag, Genossen«, sagte Sergetow. Die anderen Männer<br />

nahmen ihre Plätze ein. Sergetow setzte sich auf der rechten Seite<br />

des Tisches in die Mitte.<br />

Der Generalsekretär eröffnete die Sitzung, sprach beherrscht und<br />

sachlich. «Genosse Sergetow, beginnen Sie mit Ihrem Bericht. Zuerst<br />

möchten wir von Ihnen erfahren, was genau sich zugetragen<br />

hat.«<br />

»Genossen, gestern um dreiundzwanzig Uhr Moskauer Zeit<br />

drangen drei bewaffnete Männer ins Kontrollzentrum des Ölkomplexes<br />

Nischnewartowsk ein und begingen einen raffinierten Sabotageakt.«<br />

»Wer waren sie?« fragte der Verteidigungsminister scharf.<br />

»Bisher konnten wir nur zwei identifizieren. Einer der Banditen<br />

war Betriebsangehöriger, ein Elektriker. Der dritte« - Sergetow zog<br />

einen Personalausweis aus der Tasche und warf ihn auf den Tisch -<br />

»war der Leitende Ingenieur Tolkase. Offenbar löste er in fachmännischer<br />

Kenntnis der Steuersysteme einen Großbrand aus, der sich,<br />

angefacht von starkem Wind, rasch verbreitete. Ein aus zehn Soldaten<br />

des KGB-Grenzschutzes bestehender Sicherheitstrupp griff<br />

auf den Alarm hin sofort ein. Der bisher noch nicht identifizierte<br />

Saboteur tötete oder verwundete fünf dieser Männer mit einem<br />

Sturmgewehr, das er einem Angehörigen des Werkschutzes abgenommen<br />

hatte, der ebenfalls ums Leben kam. Ich muss nach der<br />

Vernehmung des Feldwebels vom KGB - der Leutnant fiel - sagen,<br />

dass der Grenzschutz rasch und korrekt reagierte. Die Männer<br />

töteten die Saboteure binnen Minuten, konnten aber die völlige<br />

Zerstörung der gesamten Anlage, Raffiniere und Ölfeld, nicht verhindern.«<br />

»Gut, der Grenzschutz hat rasch gehandelt. Warum hat er diesen<br />

Sabotageakt nicht verhindern können?« fragte der Verteidigungsminster<br />

aufgebracht. »Was hatte dieses Mohammedanergesindel<br />

dort überhaupt verloren?«<br />

»Genosse, die Arbeit auf den sibirischen Ölfeldern ist hart, und<br />

wir hatten ernsthafte Schwierigkeiten, die Stellen dort zu besetzen.<br />

Mein Vorgänger beschloss, erfahrene Arbeiter aus Baku nach Sibirien<br />

Zwangsversetzen zu lassen. Das war der helle Wahnsinn. Sie<br />

15


werden sich entsinnen, dass ich Ende vergangenen Jahres die Abschaffung<br />

dieser Praktik empfahl.«<br />

»Wir haben davon Kenntnis genommen, Michail Eduardowitsch«,<br />

meinte der Generalsekretär. »Bitte fahren Sie fort.«<br />

»Die KGB-Wache zeichnet alle Telefon- und Funkgespräche auf.<br />

Der Einsatztrupp war binnen zwei Minuten unterwegs. Unglücklicherweise<br />

befindet sich die Wache neben dem alten Kontrollzentrum.<br />

Als wir vor zwei Jahren neue computergesteuerte Anlagen<br />

aus dem Westen erhielten, wurde das gegenwärtige Gebäude drei<br />

Kilometer weiter weg hochgezogen. Das Baumaterial für eine neue<br />

Wache daneben wurde zugeteilt, aber vom Direktor des Komplexes<br />

und dem örtlichen Parteisekretär für den Bau von Datschen am<br />

Fluss zweckentfremdet. Beide Männer sind auf meine Veranlassung<br />

hin wegen Verbrechens gegen den Staat festgenommen worden«,<br />

berichtete Sergetow nüchtern. Keine Reaktion am Tisch. Sergetow<br />

sprach weiter: »Ich habe die Sicherheitsmaßnahmen an allen Ölanlagen<br />

bereits verschärfen lassen. Ebenfalls auf meinen Befehl hin<br />

wurden die Familien der beiden bekannten Saboteure in Baku<br />

verhaftet und vom Staatssicherheitsdienst streng verhört, ebenso<br />

alle Bekannten und Arbeitskollegen der Täter. Ehe die Täter vom<br />

Grenzschutz unschädlich gemacht werden konnten, sabotierten sie<br />

die Steueranlage des Ölfeldes auf eine Weise, die einen Großbrand<br />

auslöste. Es gelang ihnen auch, die Steuereinrichtungen so zu beschädigen,<br />

dass selbst qualifizierte Ingenieure die Katastrophe nicht<br />

hätten verhindern können. Die KGB-Truppen waren gezwungen,<br />

das Gebäude, das später ausbrannte, zu verlassen. Sie konnten<br />

nichts mehr machen.« Sergetow erinnerte sich an die Tränen auf<br />

den Blasen <strong>im</strong> verbrannten Gesicht des Feldwebels.<br />

»Und die Feuerwehr?« fragte der Generalsekretär.<br />

»Über die Hälfte der Männer kam bei der Bekämpfung des<br />

Brandes um«, erwiderte Sergetow, »dazu mehr als hundert Bürger,<br />

die mithalfen, den Komplex zu retten. Man kann hier wirklich<br />

niemandem die Schuld geben, Genosse. Sowie dieser Tolkase sein<br />

Teufelswerk begonnen hatte, war es so leicht unter Kontrolle zu<br />

bringen wie ein Erdbeben. Die Brände sind inzwischen zum größten<br />

Teil gelöscht, denn der bei der Raffinerie lagernde Treibstoff wurden<br />

binnen fünf Stunden von den Flammen verzehrt, und aus den<br />

zerstörten Bohrlöchern tritt kein Öl mehr aus.«<br />

»Wie war eine solche Katastrophe nur möglich?« fragte ein altes<br />

16


Mitglied. Sergetow war von der ruhigen St<strong>im</strong>mung <strong>im</strong> Raum überrascht.<br />

Hatte man den Fall bereits zuvor besprochen?<br />

»Mein Bericht vom 10. Dezember befasste sich mit den Gefahren.<br />

Vom Kontrollzentrum aus werden Pumpen und Ventile auf einem<br />

Gebiet von über hundert Quadratkilometern gesteuert. Von hier<br />

aus kann ein mit der Anlage vertrauter Mann die verschiedenen<br />

Systeme des gesamten Feldes nach Belieben manipulieren und erreichen,<br />

dass sich der ganze Komplex praktisch selbst zerstört. Tolkase<br />

verfügte über diese Kenntnisse. Er war ein Aserbeidschaner, wegen<br />

seines Geschicks und seiner vorbildlichen Treue ausgewählt, Absolvent<br />

der Staatsuniversität Moskau, angesehenes Parte<strong>im</strong>itglied.<br />

Außerdem scheint er ein zu verblüffender He<strong>im</strong>tücke fähiger religiöser<br />

Fanatiker gewesen zu sein. Alle Männer, die <strong>im</strong> Kontrollzentrum<br />

getötet wurden, waren seine Freunde - oder hielten sich<br />

zumindest dafür. Nach fünfzehn Jahren in der Partei waren die<br />

letzten Worte dieses Mannes, der ein gutes Gehalt, den Respekt<br />

seiner Kollegen und sogar einen Privatwagen hatte, der schrille<br />

Schrei: >Allah ist großleicht und süß


zig Prozent unserer Benzin-, achtundvierzig Prozent der Kerosinund<br />

fünfzig Prozent der Dieselproduktion. Diese Zahlen sind das<br />

Ergebnis vorläufiger Berechnungen, die ich auf dem Rückflug anstellte,<br />

sie sollten aber bis auf plus - minus zwei Prozent exakt sein.<br />

Genaue Werte wird meine Behörde in ein, zwei Tagen vorlegen.«<br />

»Also die Hälfte?« fragte der Generalsekretär leise.<br />

»Korrekt, Genosse«, gab Sergetow zurück.<br />

»Und wann kann die Förderung wieder beginnen?«<br />

»Genosse Generalsekretär, wenn wir alle verfügbaren Bohrtürme<br />

heranziehen und rund um die Uhr arbeiten lassen, kann die<br />

Förderung in zwölf Monaten wieder beginnen. Die Beseitigung der<br />

Trümmer wird drei Monate in Anspruch nehmen, Transport und<br />

Aufstellung der Bohrtürme weitere drei. Da uns über Lage und<br />

Tiefe der Bohrungen exakte Informationen vorliegen, kann der<br />

übliche Unsicherheitsfaktor unberücksichtigt bleiben. Innerhalb<br />

eines Jahres - will sagen, sechs Monate nach Beginn der Bohrarbeiten<br />

- produziert das Feld wieder und wird nach zwei Jahren wieder<br />

seine volle Kapazität erreicht haben. Gleichzeitig müssten auch die<br />

EOR-Anlagen erneuert werden -«<br />

»Und was wäre das?« fragte der Verteidigungsminister.<br />

»Enhanced Oil Recovery Systeme, Genosse Minister, eine westliche<br />

Erfindung. Wären dies verhältnismäßig neue Bohrlöcher gewesen,<br />

aus denen das Öl unter dem Druck des Erdgases strömt, hätte<br />

das Feld wochenlang gebrannt. Wie Ihnen bekannt ist, Genossen,<br />

wurde aus diesen Bohrlöchern schon allerhand Öl gepumpt. Um die<br />

Förderleistung zu steigern, haben wir Wasser in die Bohrlöcher<br />

gepumpt, das mehr Öl nach oben drückt. Unsere Geologen sind <strong>im</strong><br />

Augenblick noch damit befasst herauszufinden, in welchem Ausmaß<br />

dies die Ölführenden Schichten schädigt. Wie auch <strong>im</strong>mer, mit<br />

dem Strom fiel auch die Kraft, die das Öl nach oben presste, aus, und<br />

die Brände an der Oberfläche fanden bald keine Nahrung mehr.«<br />

»Wir können also noch nicht einmal in drei Jahren mit voller<br />

Förderleistung rechnen?« fragte der Innenminister.<br />

»Korrekt, Genosse Minister. Es existiert schlicht keine wissenschaftliche<br />

Basis für die Taxierung der Gesamtproduktion. Mit<br />

einer Situation wie dieser sah sich bisher noch niemand konfrontiert,<br />

weder <strong>im</strong> Osten noch <strong>im</strong> Westen. Vielleicht können wir <strong>im</strong><br />

Lauf der nächsten zwei oder drei Monate den Testbohrungen einige<br />

Aufschlüsse entnehmen. Ich habe zwei Ingenieure zurückgelassen,<br />

18


die <strong>im</strong> Begriff sind, den Prozeß mit verfügbarem Gerät in Gang zu<br />

setzen.«<br />

»Gut.« Der Generalsekretär nickte. »Die nächste Frage: Wie<br />

lange kann das Land auf dieser Basis existieren?«<br />

Sergetow konsultierte seine Unterlagen. »Genossen, für unsere<br />

Wirtschaft ist das unbestreitbar eine Katastrophe von noch nie<br />

da gewesenen Ausmaßen. Der Winter hat unsere Schwerölvorräte<br />

stärker als gewöhnlich vermindert. Best<strong>im</strong>mte Energieverbraucher<br />

müssen relativ unangetastet bleiben. Für die Stromerzeugung zum<br />

Beispiel wurden <strong>im</strong> vergangenen Jahr achtunddreißig Prozent unserer<br />

Ölprodukte aufgewandt, sehr viel mehr als geplant, weil die<br />

Kohle- und Gasproduktion, die den Ölverbrauch reduzieren sollte,<br />

enttäuschend ausfiel. Wegen Fehlschlägen bei der Modernisierung<br />

wird der Ausstoß unserer Kohleindustrie erst in fünf Jahren das<br />

Plansoll erreichen. Und Bohrungen nach Erdgas werden gegenwärtig<br />

von Umweltbedingungen verlangsamt. Aus technischen Gründen<br />

sind Einrichtungen dieser Art in extremer Kälte sehr schwer zu<br />

bedienen.«<br />

»Dann sollen die Faulenzer eben fester zupacken!« schlug der<br />

Moskauer Parteichef vor.<br />

»An den Bohrmannschaften liegt es nicht, Genosse.« Sergetow<br />

seufzte. »Es sind die Maschinen. Die Kälte schadet Metall mehr als<br />

Menschen. Werkzeuge und Gerätschaften brechen, weil sie in der<br />

Kälte spröde werden. Die Witterungsbedingungen erschweren die<br />

Versorgung der Lager mit Ersatzteilen.«<br />

»Wäre es möglich, die Bohrarbeiten <strong>im</strong> gehe<strong>im</strong>en durch zuführen?«<br />

fragte der Verteidigungsminister.<br />

Das verblüffte Sergetow. »Ausgeschlossen, Genosse Minister.<br />

Wie versteckt man mehrere hundert zwischen zwanzig und vierzig<br />

Meter hohe Bohrtürme? Da könnte man genauso gut versuchen,<br />

den Raketenkomplex Plesezk zu tarnen.« Zum ersten Mal fiel<br />

Sergetow auf, dass der Verteidigungsminister und der Generalsekretär<br />

Blicke tauschten.<br />

»Dann muss die Stromindustrie ihren Ölverbrauch einschränken«,<br />

verfügte der Generalsekretär.<br />

»Genossen, gestatten Sie mir, Ihnen ein paar grobe Zahlen zu<br />

unserem Ölverbrauch zu nennen. Bitte berücksichtigen Sie, dass ich<br />

das aus dem Gedächtnis tue, da der Jahresbericht meiner Behörde<br />

<strong>im</strong> Augenblick noch erstellt wird.<br />

19


Im vergangenen Jahr förderten wir 589 Millionen Tonnen Rohöl,<br />

zweiunddreißig Millionen Tonnen unterm Plansoll, und selbst<br />

diese Leistung war nur mit Hilfe der erwähnten künstlichen Maßnahmen<br />

möglich. Die Hälfte dieser Menge wurde in masut oder<br />

schweres Heizöl zur Verfeuerung in Kraftwerken, Fabriken und so<br />

weiter umgewandelt. Für den Großteil dieses Öls gibt es keine<br />

andere Verwendung, da wir nur über drei - Verzeihung, nun nur<br />

noch zwei - Raffinerien verfügen, deren komplexe katalytische<br />

Spaltanlagen Schweröl in leichte Destillate umzuwandeln <strong>im</strong>stande<br />

sind.<br />

Unsere Treibstoffproduktion hält die Wirtschaft auf vielfältige<br />

Weise in Gang. Wie bereits erwähnt, werden bei der Stromerzeugung<br />

achtunddreißig Prozent verbraucht. Die gute Hälfte der leichteren<br />

Treibstoffe Benzin, Diesel und Kerosin absorbieren Landwirtschaft,<br />

Nahrungsindustrie, Personen- und Gütertransport, der zivile<br />

Verbrauch und die Streitkräfte. In anderen Worten, Genossen,<br />

ist nach dem Ausfall von Nischnewartowsk der Bedarf der erwähnten<br />

Endverbraucher größer als unsere Produktion, und es bleibt<br />

nichts übrig für Metallurgie, die chemische und die Schwerindustrie,<br />

die Bauwirtschaft und nicht zu vergessen die Lieferungen an<br />

die sozialistischen Bruderstaaten in Osteuropa und anderswo auf<br />

der Welt.<br />

Um auf Ihre spezifische Frage einzugehen, Genosse Generalsekretär,<br />

eine bescheidene Verringerung des Verbrauchs von leichtem<br />

Heizöl in Kraftwerken ist zwar möglich, doch schwere Defizite bei<br />

der Stromerzeugung führen schon jetzt zu gelegentlichen Spannungsabfällen<br />

und Stromausfällen. Weitere Kürzungen auf diesem<br />

Gebiet würden sich ungünstig auf die Industrieproduktion und den<br />

Schienentransport auswirken. Sie werden sich entsinnen, dass wir<br />

vor drei Jahren in einem Exper<strong>im</strong>ent die Spannung des erzeugten<br />

Stroms verringerten, um Treibstoff zu sparen, was <strong>im</strong> ganzen Donezbecken<br />

zu durchgebrannten Elektromotoren führte.«<br />

»Und Kohle und Gas?«<br />

»Genosse Generalsekretär, die Kohleproduktion liegt bereits<br />

sechzehn Prozent unterm Plansoll und sinkt weiter - aus diesem<br />

Grund mussten viele Kessel und Kraftwerke von Kohle auf Öl<br />

umgestellt werden. Zudem wäre die Rückkonvertierung solcher<br />

Anlagen von Öl auf Kohle zu kostspielig und zeitraubend. Umrüstung<br />

auf Erdgas ist eine attraktivere und kostengünstigere Alterna­<br />

20


tive, die wir energisch verfolgt haben. Leider hinkt auch die Erdgasförderung<br />

dem Plansoll hinterher, ist aber nun <strong>im</strong> Steigen begriffen<br />

und mag <strong>im</strong> Lauf des Jahres die vorgegebenen Werte erreichen.<br />

Hier muss allerdings berücksichtigt werden, dass wir die Hälfte<br />

unseres Erdgases gegen Devisen nach Westeuropa liefern, um <strong>im</strong><br />

Ausland Rohöl und natürlich auch Getreide einkaufen zu können."<br />

Bei diesem Hinweis verzog das für die Landwirtschaft zuständige<br />

Mitglied des Politbüros schmerzlich das Gesicht. Wie viele Männer,<br />

fragte sich Sergetow, hatten bei dem Versuch, die sowjetische Landwirtschaft<br />

auf Trab zu bringen, ihre Karrieren ruiniert? Eine Ausnahme<br />

stellte natürlich der gegenwärtige Generalsekretär dar; den<br />

hatten seine Missgriffe auf diesem Gebiet nicht am Aufstieg gehindert.<br />

Doch welchen Preis er bezahlt hatte, begann Sergetow erst<br />

jetzt zu verstehen.<br />

»Welche Lösung schlagen Sie vor, Michail Eduardowitsch?«<br />

fragte der Verteidigungsminister mit beunruhigender Beflissenheit.<br />

» Genossen, wir müssen unsere Wirtschaft auf allen Ebenen rationalisieren<br />

und leistungsfähiger machen.» Höhere Öl<strong>im</strong>porte erwähnte<br />

Sergetow erst gar nicht, denn das von ihm erwähnte Defizit<br />

bedeutete bereits eine dreißigfache Erhöhung der Einfuhren, und<br />

für eine Verdoppelung der Öl<strong>im</strong>porte reichten die Devisenreserven<br />

kaum aus. »Wir werden den Ausstoß der Bohrturmfabrik »Barrikade«<br />

in Wolgograd erhöhen und die Qualitätskontrolle verbessern<br />

müssen. Außerdem ist der Einkauf von Bohrgerät <strong>im</strong> Westen notwendig,<br />

damit existierende Felder weiter erforscht und ausgebeutet<br />

werden können. Wir müssen mehr Kernkraftwerke bauen. Die<br />

Lastwagen und Privatfahrzeugen zur Verfügung stehende Treibstoffmenge<br />

ließe sich kürzen - wir alle wissen, dass auf diesem<br />

Sektor viel verschwendet wird, vielleicht sogar ein Drittel des Gesamtverbrauchs.<br />

Der Treibstoffverbrauch der Streitkräfte ließe sich<br />

vorübergehend einschränken. Und zu erwägen wäre auch die Umstellung<br />

einiger Rüstungsbetriebe auf die Herstellung wichtiger<br />

Produkte für den zivilen Bereich. Wir haben drei sehr schwere Jahre<br />

vor uns - aber nur drei«, schloss Sergetow opt<strong>im</strong>istisch.<br />

»Genosse, auf dem Gebiet der Außen- und Verteidigungspolitik<br />

haben Sie nur wenig Erfahrung, nicht wahr?« fragte der Verteidigungsminister.<br />

»Ich habe nie etwas anderes behauptet, Genosse Minister«, erwiderte<br />

Sergetow argwöhnisch.<br />

21


»Dann will ich Ihnen sagen, weshalb diese Lage unakzeptabel ist.<br />

Wenn wir Ihren Vorschlägen folgen, wird der Westen von unserer<br />

Krise erfahren. Größere Bestellungen von Bohr- und Fördereinrichtungen<br />

und Aktivität in Nischnewartowsk demonstrieren eindeutig,<br />

was hier vor sich geht. Dann sind wir in den Augen des Westens<br />

verwundbar, und unsere Schwäche wird ausgenutzt werden. Und<br />

dabei« - er hieb mit der Faust auf den schweren Eichentisch -<br />

»schlagen Sie die Kürzung des Treibstoffs für die Streitkräfte vor,<br />

die uns gegen den Westen verteidigen sollen!«<br />

»Genosse Minister, ich bin Ingenieur und kein Soldat. Ich wurde<br />

um eine Einschätzung der Lage vom technischen Standpunkt aus<br />

gebeten und habe das getan.« Sergetow war bemüht, sachlich zu<br />

klingen. »Die Lage ist sehr ernst, zieht aber zum Beispiel unsere<br />

Interkontinentalraketen nicht in Mitleidenschaft. Können sie allein<br />

uns nicht vor den Imperialisten schützen, während wir uns von<br />

diesem Schlag erholen?« Wozu sind sie sonst gebaut worden? fragte<br />

sich Sergetow. Unsummen für unproduktive Löcher vergeudet.<br />

Reichte es denn nicht aus, den Westen zehnmal zerstören zu können?<br />

Warum eigentlich zwanzigmal? Und warum war das jetzt<br />

<strong>im</strong>mer noch nicht genug?<br />

»Haben Sie an die Möglichkeit gedacht, dass der Westen uns<br />

nicht verkauft, was wir brauchen?« fragte der Parteitheoretiker.<br />

»Wann haben die Kapitalisten sich je geweigert -«<br />

»Wann hatten die Kapitalisten je eine solche Waffe gegen uns in<br />

der Hand?« gab der Generalsekretär zu bedenken. »Zum ersten<br />

Mal ist der Westen in der Lage, uns innerhalb eines Jahres die Luft<br />

abzuschnüren. Und was, wenn man uns obendrein noch an Getreidekäufen<br />

hindert?«<br />

Daran hatte Sergetow nicht gedacht. Nach sieben aufeinanderfolgenden<br />

Missernten war die Sowjetunion auf riesige Getreidelieferungen<br />

angewiesen, in diesem Jahr ausgerechnet aus den USA und<br />

Kanada, da Argentinien und in geringerem Ausmaß auch Australien<br />

wegen schlechten Wetters in der südlichen Hemisphäre karge<br />

Ernten eingefahren hatten. In Washington und Ottawa waren die<br />

Kaufverhandlungen bereits <strong>im</strong> Gange, und abgesehen vom starken<br />

Dollar, der den Weizen unverhältnismäßig verteuerte, machten die<br />

Amerikaner überhaupt keine Schwierigkeiten. Die Verschiffung<br />

des Getreides würde jedoch Monate in Anspruch nehmen. Wie<br />

einfach war es, fragte sich Sergetow, die Lieferungen <strong>im</strong> kritischen<br />

22


Moment wegen »technischer Schwierigkeiten« in den Getreidehäfen<br />

New Orleans und Balt<strong>im</strong>ore zu verzögern oder ganz einzustellen?<br />

Er schaute in die Runde. Zweiundzwanzig Männer, darunter nur<br />

dreizehn, die die wirklichen Entscheidungen trafen, dachten stumm<br />

über die Aussicht auf über zweihundertfünfzig Millionen hungernde<br />

und frierende Arbeiter und Bauern nach, und das zu einem Zeitpunkt,<br />

zu dem die Truppen der Roten Armee, des Innenministeriums<br />

und des KGB ihre Bewegungsfreiheit und ihre Ausbildungsmöglichkeiten<br />

wegen Treibstoffkürzungen eingeschränkt sahen.<br />

Die Männer <strong>im</strong> Politbüro gehörten zu den mächtigsten der Welt<br />

und waren niemandem Rechenschaft schuldig - nicht dem ZK der<br />

Partei, nicht dem Obersten Sowjet, und schon gar nicht den Bürgern.<br />

Diese Männer hatten die Straßen Moskaus schon seit Jahren nicht<br />

mehr betreten, sondern brausten in ihren handgefertigten, von<br />

Chauffeuren gesteuerten L<strong>im</strong>ousinen zwischen Arbeitsplatz und<br />

Luxuswohnungen in Moskau oder ihren Dienstdatschen vor der<br />

Stadt hin und her. Ihre Einkäufe erledigten sie in bewachten, nur für<br />

die Elite best<strong>im</strong>mten Läden, und um ihre Gesundheit kümmerten<br />

sich Ärzte in Kliniken, die nur den Mitgliedern der Nomenklatura<br />

vorbehalten waren. Diese Männer fühlten sich als Meister ihres<br />

Schicksals.<br />

Erst jetzt ging ihnen auf, dass auch sie wie alle anderen normalen<br />

Menschen zum Spielball des Schicksals wurden.<br />

Die Bürger ihres Landes lebten zusammengepfercht in heruntergekommenen<br />

Wohnungen. Lebensmittel waren knapp. Im Überfluss<br />

gab es nur Plakate und Transparente, die den Fortschritt in der<br />

Sowjetunion und die Solidarität der Werktätigen priesen. Es gab hier<br />

am Tisch Männer, die diese Slogans für bare Münze hielten. Selbst<br />

der sonst eher kritische Sergetow glaubte sie manchmal, wenn sie ihn<br />

an seine idealistische Jugend erinnerten. Doch der Fortschritt in der<br />

Sowjetunion konnte die Lebensmittelversorgung des Landes nicht<br />

garantieren, und wie lange konnten die <strong>im</strong> Dunklen hungernden und<br />

frierenden Werktätigen Solidarität empfinden? Waren sie etwa stolz<br />

auf die Raketen in den Wäldern Sibiriens, auf die Panzer und<br />

Geschütze, die jedes Jahr zu Tausenden produziert wurden? Wenn<br />

sie zum Nachth<strong>im</strong>mel aufschauten, dachten sie dann an die Raumstation<br />

Saljut und fühlten sich inspiriert - oder fragten sie sich<br />

insgehe<strong>im</strong>, was diese Elite dort oben zu essen bekam? Bis vor einem<br />

23


knappen Jahr hatte Sergetow den Parteibezirk Leningrad geführt<br />

und sich von seinen Untergebenen die Klagen der Bürger, die<br />

Schlange standen, um Brot, Zahnpasta oder Schuhe zu ergattern,<br />

genau wiedergeben lassen. Obwohl er auch damals schon von der<br />

harschen Realität des Lebens in der Sowjetunion abgeschirmt war,<br />

hatte er sich oft gefragt, ob nicht eines Tages der Durchschnittsarbeiter<br />

seine schwere Bürde nicht mehr würde tragen wollen. Hatte<br />

er das damals prophezeien können? Nein. Und heute? Ebenfalls<br />

nicht. Und diese alten Männer hier wussten erst recht nicht, was das<br />

Volk empfand.<br />

Das Volk - narod nannten sie es, ein maskulines Substantiv für<br />

die Massen, die gesichtslosen Männer und Frauen, die sich Tag für<br />

Tag in Fabriken und Kolchosen abrackerten und ihre Gedanken<br />

hinter lächelnden Masken verborgen hielten. Die Mitglieder des<br />

Politbüros redeten sich ein, die Arbeiter und Bauern neideten ihnen<br />

den mit der schweren Verantwortung einhergehenden Luxus nicht.<br />

Immerhin hatten sich die Lebensumstände <strong>im</strong> Lande meßbar verbessert.<br />

Das war die stillschweigende Übereinkunft zwischen Volk<br />

und Führung. Doch diese Abmachung sollte nun gebrochen werden.<br />

Was würde geschehen? Nikolaus II. hatte keine Antwort auf<br />

diese Frage gewußt. Diese Männer kannten sie.<br />

Der Verteidigungsminister brach das Schweigen. »Wir müssen<br />

mehr Öl beschaffen. So einfach ist das. Die Alternative wäre eine<br />

gelähmte Volkswirtschaft, hungrige Bürger und reduzierte Verteidigungsbereitschaft.<br />

Die Konsequenzen sind nicht akzeptabel.«<br />

»Wir können uns das Öl nicht leisten«, wandte ein Kandidat ein.<br />

»Dann holen wir es uns eben.«<br />

Fort Meade, Maryland<br />

Bob Toland zog die Stirn kraus und musterte die Scheibe Gewürzkuchen.<br />

Solltest dir den Nachtisch verkneifen, sagte sich der Analytiker<br />

von der nationalen Sicherheitsbehörde NSA. Na ja, sind nur<br />

zweihundert Kalorien. Fünf Minuten länger auf dem Tr<strong>im</strong>mfahrrad,<br />

wenn du he<strong>im</strong>kommst, dann ist alles wieder <strong>im</strong> Lot.<br />

»Was meinen Sie zu diesem Zeitungsartikel, Bob?« fragte ein<br />

Kollege.<br />

»Die Sache mit dem Ölfeld?« Toland sah sich den Anstecker des<br />

24


Mannes noch einmal an und stellte fest, dass seine Sicherheitseinstufung<br />

den Zugang zu Satelliteninformationen ausschloss. »Muss ja<br />

ein schönes Feuerchen gewesen sein.«<br />

»Haben Sie denn noch nichts Offizielles gesehen?«<br />

»Sagen wir, dass die Presse von einer Quelle informiert wurde,<br />

deren Sicherheitseinstufung höher ist als meine.«<br />

»Streng gehe<strong>im</strong> - an die Presse?« Beide lachten.<br />

»So ungefähr. Dem Reporter lagen Informationen vor, die ich<br />

noch nicht zu Gesicht bekommen habe«, meinte Toland fast wahrheitsgemäß.<br />

In seiner Abteilung spekulierte man, wie der Russe den<br />

Brand so schnell gelöscht hatte. »Sollte den Russen aber nicht zu<br />

viel ausmachen. Ist ja nicht wie bei uns, wo jeden Sommer Millionen<br />

von Autofahrern auf den Straßen sind.«<br />

Moskau<br />

Das Politbüro trat am nächsten Morgen um halb zehn zusammen.<br />

Der H<strong>im</strong>mel vor den Doppelfenstern war grau und schneeverhangen.<br />

Heute Abend fahren sie <strong>im</strong> Gorki Park Schlitten, dachte Sergetow.<br />

Die Moskowiter würden lachen, trinken und sich amüsieren,<br />

ohne zu ahnen, was hier beschlossen werden, welche Wendung ihr<br />

Leben nehmen sollte.<br />

Nun hatte sich nur der fünfköpfige Verteidigungsrat versammelt.<br />

Sergetow sah den Generalsekretär an, den »jungen« Mann, der<br />

nach westlicher Meinung das Heft in der Hand hatte. Sein Aufstieg<br />

an die Parteispitze war für viele, darunter auch Sergetow, eine<br />

Überraschung gewesen. Im Westen setzt man noch <strong>im</strong>mer so große<br />

Hoffnungen in ihn wie einst wir, dachte Sergetow. Sein Eintreffen<br />

in Moskau hatte das radikal geändert. Wieder ein zerbrochener<br />

Traum. Der Mann, der jahrelang munter einen landwirtschaftlichen<br />

Fehlschlag nach dem anderen überspielt hatte, ließ nun seinen<br />

Charme in einer weiteren Arena los. Jeder am Tisch musste zugeben,<br />

dass er sich gewaltig anstrengte, doch die Aufgabe war unlösbar.<br />

Um an die Spitze zu kommen, hatte er zu viele Kompromisse mit der<br />

alten Garde schließen müssen. Selbst die »jungen« Männer von<br />

fünfzig und sechzig, die von ihm ins Politbüro geholt worden<br />

waren, hatten ihre Bindungen zum alten Reg<strong>im</strong>e. Geändert hatte<br />

sich <strong>im</strong> Grunde nichts.<br />

25


Seit Chruschtschow war kein Mann mehr allein an der Macht<br />

gewesen. Einzelherrschaft barg Gefahren, an die sich die ältere<br />

Generation in der Partei nur zu gut erinnern konnte. Die Jungen<br />

hatten die Geschichten von den großen Säuberungen unter Stalin<br />

oft genug gehört und sie sich zu Herzen genommen, und auch bei<br />

der Armee wusste man noch, was Chruschtschow mit ihrer Hierarchie<br />

angestellt hatte. Im Politbüro ging es wie <strong>im</strong> Dschungel nur<br />

ums Überleben, und kollektive Führung bedeutete kollektive Sicherheit.<br />

Der Generalsekretär hatte Zugeständnisse machen müssen,<br />

um auf seinen Sessel zu kommen, und weitere waren unvermeidlich,<br />

wenn er ihn behalten wollte. Die wahren Machtblöcke<br />

waren amorph, Loyalitäten verschoben sich mit den Begleitumständen<br />

und wurden nur von Zweckdienlichkeit best<strong>im</strong>mt. Wirkliche<br />

Macht hatte nur die Partei.<br />

Die Partei herrschte über alles, war aber nicht länger Ausdruck<br />

des Willens nur eines Mannes, sondern in Interessengruppen aufgesplittert,<br />

die hier von zwölf Männern vertreten wurden. Einer<br />

sprach fürs Militär, andere für KGB und Schwerindustrie, einer<br />

sogar für die Landwirtschaft. Jeder Interessenvertreter übte auf<br />

seine Weise Macht aus und verbündete sich mit anderen, um seine<br />

Stellung zu sichern. Der Generalsekretär hatte versucht, das durch<br />

die Ernennung seiner eigenen Leute zu ändern; aber würde er wie<br />

seine Vorgänger lernen, dass Loyalität an diesem Tisch nicht von<br />

Dauer war? Solange er seine Leute nicht platziert hatte, war er<br />

Pr<strong>im</strong>us inter pares in einer Gruppe, die ihn ebenso leicht stürzen<br />

konnte wie Chruschtschow.<br />

»Genossen«, begann der Verteidigungsminister, »die Sowjetunion<br />

braucht Öl, und zwar mindestens zweihundert Millionen<br />

Tonnen mehr, als sie fördert. Dieses Öl existiert nur wenige hundert<br />

Kilometer von unserer Grenze entfernt <strong>im</strong> Persischen Golf - mehr<br />

Öl, als wir je brauchen werden. Selbstverständlich sind wir in der<br />

Lage, diese Felder innerhalb von zwei Wochen mit Luftlandetruppen<br />

einzunehmen. Leider aber wäre eine heftige Reaktion des Westens<br />

unvermeidlich, denn diese Felder versorgen Westeuropa, Japan<br />

und zu einem gewissen Grad auch die USA. Der Nato fehlen die<br />

Mittel, sie mit konventionellen Waffen zu verteidigen. Die Amerikaner<br />

haben ihre schnelle Einsatztruppe RDF, eine leere Hülse aus<br />

Hauptquartieren und leichtbewaffneten Truppen. Selbst mit Hilfe<br />

ihres vorgeschobenen Ausrüstungsdepots auf Diego Garcia könn­<br />

26


ten sie unsere Luftlande- und Panzertruppen nicht aufhalten. Bei<br />

dem Versuch würden ihre Elitetruppen binnen weniger Tage überwältigt<br />

und vernichtet, und dann bliebe ihnen nur eine Alternative:<br />

Kernwaffen - ein Risiko, das wir nicht unbeachtet lassen dürfen.<br />

Zum Beispiel wissen wir genau, dass amerikanische Kriegspläne für<br />

diesen Fall den Einsatz von A<strong>tom</strong>waffen vorsehen. Solche Waffen<br />

lagern in großen Mengen auf Diego Garcia. Aus diesem Grund<br />

müssen wir vor der Eroberung des Persischen Golfes die Nato als<br />

militärischen und politischen Faktor ausschalten.«<br />

Sergetow setzte sich in seinem Ledersessel kerzengerade auf. Was<br />

hatte er da gehört? Er wahrte nur mit Mühe eine teilnahmslose<br />

Miene, als der Verteidigungsminister fort fuhr.<br />

»Ist die Nato erst einmal vom Tisch, findet sich Amerika in einer<br />

merkwürdigen Lage. Es kann nämlich seinen Energiebedarf in der<br />

westlichen Hemisphäre decken, ohne die bei den amerikanischen<br />

Juden nicht gerade beliebten arabischen Länder verteidigen zu<br />

müssen.«<br />

Glaubt ihr das denn selbst? fragte sich Sergetow, glaubt ihr denn<br />

wirklich, dass die Vereinigten Staaten untätig bleiben?<br />

Zumindest ein Mann teilte seine Besorgnis. »Wir brauchen also<br />

nur Westeuropa zu erobern, Genosse?« fragte ein Kandidat. »Sind<br />

das nicht jene Länder, vor deren konventionellen Streitkräften Sie<br />

uns jedes Jahr warnen? Alljährlich hören wir von der Bedrohung,<br />

die die massierten Nato-Armeen darstellen, und jetzt sagen Sie so<br />

leichthin, wir müssten sie besiegen? Verfügen Großbritannien und<br />

Frankreich denn nicht über ihre eigenen Nukleararsenale, Genosse<br />

Minister? Und warum sollte Amerika nicht seiner Bündnisverpflichtung<br />

nachkommen und Kernwaffen zur Verteidigung der<br />

Nato einsetzen?«<br />

Sergetow fand es überraschend, dass ausgerechnet ein Kandidat<br />

diese Themen so rasch zur Sprache gebracht hatte. Noch mehr<br />

überraschte ihn, dass der Außenminister darauf antwortete. Wieder<br />

ein Teil des Puzzles. Doch was meinte das KGB dazu? Warum war<br />

es hier nicht vertreten? Sein Vorsitzender erholte sich von einer<br />

Operation, doch es hätte jemand anwesend sein sollen - es sei denn,<br />

die Angelegenheit war gestern Abend bereits abgeklärt worden.<br />

»Aus nahe liegenden Gründen müssen unsere Kriegsziele beschränkt<br />

bleiben, was uns vor eine Reihe politischer Aufgaben<br />

stellt. Erstens müssen wir die Vereinigten Staaten in Sicherheit<br />

27


wiegen, damit die Operation sie unvorbereitet trifft und es für eine<br />

energische Reaktion zu spät ist. Zweitens muss der politische Zusammenhalt<br />

der Nato gelockert werden.« Der Außenminister erlaubte<br />

sich ein seltenes Lächeln. »Wie Sie wissen, arbeitet das KGB schon<br />

seit Jahren an einem solchen Plan, dessen endgültige Form nun<br />

feststeht. Lassen Sie mich ihn in groben Umrissen darlegen.«<br />

Sergetow lauschte und nickte: über die Kühnheit des Vorhabens<br />

und auch, weil er nun eine neue Einsicht in das Kräftegleichgewicht<br />

in diesem Raum gewonnen hatte. Es steckte also das KGB dahinter.<br />

Das hätte er ahnen sollen. Doch ging der Rest des Politbüros mit dem<br />

Vorschlag konform? Der Minister fuhr fort: »Sie sehen also, wie das<br />

funktionieren würde: Ein Element ergänzt das andere, bis das Bild<br />

komplett ist. Unter diesen Voraussetzungen wären die Wasser<br />

gründlich getrübt, und wenn wir darüber hinaus noch erklären, die<br />

beiden unabhängigen A<strong>tom</strong>mächte der Nato nicht direkt bedrohen<br />

zu wollen, ist das nukleare Risiko, wenngleich real, doch geringer als<br />

die Gefahren, die unserer Wirtschaft bereits drohen.«<br />

Sergetow lehnte sich in seinen Ledersessel zurück. Da war es<br />

heraus: Krieg war besser als ein kalter Hungerfrieden. Die Würfel<br />

waren gefallen. Oder? Hatte eine Koalition anderer Mitglieder des<br />

Politbüros die Macht und das Prestige, die Entscheidung umzustoßen?<br />

Konnte er es wagen, gegen diesen Wahnsinn die St<strong>im</strong>me zu<br />

erheben? Erst einmal war eine wohlüberlegte Frage zu stellen.<br />

» Können wir die Nato denn besiegen ?« Die glatte Antwort ließ ihn<br />

frösteln.<br />

»Selbstverständlich«, erwiderte der Verteidigungsminister.<br />

»Wozu haben wir denn eine Armee? Unsere Oberbefehlshaber sind<br />

bereits zu Rate gezogen worden.«<br />

Und erst letzten Monat hast du mehr Stahl für neue Panzer<br />

verlangt, weil die Nato angeblich <strong>im</strong>mer stärker wird, dachte Sergetow<br />

wütend. Was waren hier für Machenschaften <strong>im</strong> Gange? Hatte<br />

man wirklich schon die Fachleute vom Militär konsultiert, oder<br />

basierte das Ganze auf der viel gepriesenen persönlichen Erfahrung<br />

des Verteidigungsministers? Hatte sich der Generalsekretär von ihm<br />

ins Bockshorn jagen lassen? Wurden so Entscheidungen getroffen,<br />

von denen das Schicksal ganzer Nationen abhing? Was würde Lenin<br />

dazu sagen?<br />

»Genossen, das ist der reinste Wahnsinn!« sagte Pjotr Bromkowski,<br />

der Älteste. » Gewiss, unserer Wirtschaft droht große Gefahr.<br />

28


Jawohl, auch der Sicherheit des Staates - doch sollen wir ihr mit<br />

einer noch größeren Gefahr begegnen? Bitte bedenken Sie, was<br />

geschehen kann - wann soll der Krieg denn beginnen, Genosse<br />

Verteidigungsminister?«<br />

»Man hat mir versichert, dass unsere Armeen in vier Monaten<br />

bereit sind.«<br />

»In vier Monaten also. Ich nehme doch an, dass wir in vier<br />

Monaten genug Treibstoff haben - genug, um einen Krieg anzufangen!«<br />

Petja war alt, aber nicht senil.<br />

»Genosse Sergetow.« Der Generalsekretär drückte sich wieder<br />

um die Verantwortung.<br />

Auf welche Seite sollte er sich schlagen ? Der junge Kandidat kam<br />

zu einem raschen Entschluss. »Die Bestände an leichten Treibstoffen<br />

sind <strong>im</strong> Moment hoch«, musste Sergetow zugestehen. »Wir<br />

bauen sie in den Wintermonaten, wenn der Verbrauch am niedrigsten<br />

ist, <strong>im</strong>mer auf, und wenn man unsere strategischen Reserven<br />

hinzurechnet, ergeben sich fünfundvierzig ...«<br />

»Sechzig!« beharrte der Verteidigungsminister.<br />

»Fünfundvierzig Tage, das ist ein realistischerer Wert, Genosse.«<br />

Sergetow hielt seine Stellung. »Meine Behörde hat sich <strong>im</strong> Zug eines<br />

Programms zur Erhöhung der strategischen Reserven mit dem<br />

Treibstoffverbrauch von Einheiten der Streitkräfte befasst. Durch<br />

Einsparungen auf anderen Sektoren und Opfer in der Industrie<br />

ließe sich eine Kriegsreserve von sechzig, vielleicht sogar siebzig<br />

Tagen aufbauen. Die kurzfristige Belastung für die Wirtschaft wäre<br />

nur gering, doch zur Mitte des Sommers würde sich das Bild rapide<br />

ändern.« Sergetow legte eine Pause ein und war betroffen, weil er<br />

sich der unausgesprochenen Entscheidung so leicht gefügt hatte.<br />

Ich habe meine Seele verkauft... oder wie ein Patriot gehandelt?<br />

Bin ich so geworden wie die anderen hier am Tisch? Oder habe ich<br />

nur die Wahrheit gesagt - und was ist die Wahrheit? Fest stand nur,<br />

dass er überlebt hatte. Fürs erste. »Wie ich Ihnen gestern darlegte,<br />

sind wir in beschränktem Maß zu einer Umstrukturierung der<br />

Produktion von Destillaten in der Lage. Meine Behörde ist der<br />

Ansicht, dass die Erzeugung militärisch wichtiger Treibstoffe um<br />

neun Prozent erhöht werden kann. Andererseits halten meine Analytiker<br />

alle existierenden Verbrauchseinschätzungen unter Gefechtsbedingungen<br />

für übertrieben opt<strong>im</strong>istisch.« Ein letzter,<br />

schwacher Protest.<br />

29


»Besorgen Sie uns nur den Treibstoff, Michail Eduardowitsch.«<br />

Der Verteidigungsminister lächelte kalt. »Wir passen schon auf,<br />

dass er vernünftig verwendet wird. Laut Schätzung meiner Experten<br />

werden wir unsere Angriffsziele binnen zwei Wochen erreicht haben,<br />

wenn nicht früher. Aber ich konzediere die Stärke der Nato-<br />

Armeen und gehe daher von dreißig Tagen aus. Es bleibt uns also<br />

<strong>im</strong>mer noch mehr als genug Treibstoff.«<br />

»Und wenn die Nato herausbekommt, was wir planen?« fragte<br />

der alte Petja.<br />

»Sie wird nichts erfahren, denn wir bereiten bereits unsere maskiroivka<br />

vor, unser Ablenkungsmanöver. Die Nato ist keine starke<br />

Allianz. Ihre Minister zanken sich um den Verteidigungsbeitrag<br />

ihrer Länder, die Bevölkerungen sind uneins und verweichlicht.<br />

Weil sie es noch <strong>im</strong>mer nicht fertig gebracht hat, ihre Waffensysteme<br />

zu standardisieren, ist der Nachschub ein Chaos. Und ihr<br />

wichtigstes, stärkstes Mitglied trennt ein fünftausend Kilometer<br />

breiter Ozean von Europa. Die Sowjetunion hingegen ist von der<br />

westdeutschen Grenze nur eine Nachtfahrt mit dem Zug entfernt.<br />

Wenn alles versagt und unsere Absichten bekannt werden, können<br />

wir jederzeit halt machen, sagen, wir hielten Manöver ab, und zu<br />

Friedensbedingungen zurückkehren - und wären dann nicht<br />

schl<strong>im</strong>mer dran, als wenn wir nichts unternommen hätten. Zuzuschlagen<br />

brauchen wir nur, wenn alles bereit ist. Zurückziehen<br />

können wir uns <strong>im</strong>mer.«<br />

Alle wussten, dass das eine geschickte Lüge war, aber niemand<br />

hatte den Mut, sie anzuprangern. Wann hatte sich eine einmal<br />

mobilisierte Armee je zurückgezogen? Bromkowski schwafelte<br />

noch ein paar Minuten lang und zitierte Lenins Warnung vor einer<br />

Gefährdung der He<strong>im</strong>at des Weltsozialismus, doch selbst darauf<br />

reagierte niemand. Dass dem Staat - oder eher der Partei und dem<br />

Politbüro - Gefahr drohte, lag auf der Hand. Die Alternative war<br />

Krieg.<br />

Zehn Minuten später st<strong>im</strong>mte das Politbüro ab. Sergetow und<br />

die acht anderen Kandidaten waren nur Zuschauer. Das Ergebnis<br />

lautete elf zu zwei für den Krieg. Der Prozess hatte begonnen.<br />

30<br />

DATUM - ZEIT 03/02 17:15 BLATT 01 SOWJETREPORT<br />

BC - Soviet Report, Bjt, 2310-FL-<br />

TASS bestätigt Feuer auf Ölfeld


RED: Für Nachmittagsausgabe SAMSTAG vorgezogen - FL.<br />

Von Patrick Flynn - F C-<br />

Korrespondent Moskau AP<br />

MOSKAU (AP) - Die sowjetische Nachrichtenagentur TASS<br />

bestätigte heute, in Westsibirien habe sich ein >schwerer<br />

Brand< ereignet.<br />

Das Parteiorgan Prawda meldete das Unglück und lobte die<br />

»heldenhaften Feuerwehrleute«, die durch pflichtbewussten<br />

Einsatz zahllose Menschenleben gerettet und weitere Schäden<br />

an einer nahe liegenden Einrichtung verhindert hätten.<br />

Dem Vernehmen nach brach der Brand durch »technisches<br />

Versagen« <strong>im</strong> au<strong>tom</strong>atischen Steuerungssystem der Raffinerie<br />

aus und verbreitete sich rasch, wurde aber von »den tapferen<br />

Feuerwehrleuten und mutigen Arbeitern, die ihnen heroisch<br />

zur Hilfe eilten, nicht ohne Opfer« bald gelöscht.<br />

Obgleich in westlichen Berichten Zweifel angemeldet wurden,<br />

erloschen die Flammen offenbar rascher als erwartet. Im<br />

Westen werden nun Spekulationen über ein hochmodernes<br />

Löschsystem m der Anlage angestellt, das es den Sowjets<br />

ermöglichte, den Brand unter Kontrolle zu bringen.<br />

AB-BA 3-2 16:01 EST-FL-<br />

31


Moskau<br />

3<br />

Korrelation der Kräfte<br />

»Nach meiner Meinung hat man mich überhaupt nicht gefragt«,<br />

erklärte Generalstabschef Marschall Schawyrin. »Als man mich am<br />

Donnerstagabend rief, war die politische Entscheidung längst gefallen.<br />

Wie lange ist es her, dass der Verteidigungsminister mich um<br />

eine auf stichhaltigen Argumenten basierende Entscheidung gebeten<br />

hat?«<br />

»Und was haben Sie gesagt?« fragte Marschall Roschkow, Oberbefehlshaber<br />

der Heerestruppen. Die erste Reaktion war ein gr<strong>im</strong>miges,<br />

ironisches Lächeln.<br />

»Die Streitkräfte der Sowjetunion seien nach einer Vorbereitungszeit<br />

von vier Monaten in der Lage, diese Aufgabe zu erfüllen.«<br />

»Vier Mo nate...?« Roschkow starrte aus dem Fenster, drehte<br />

sich dann um. »Wir werden nicht bereit sein.«<br />

»Die Feindseligkeiten beginnen am 15. Juni«, erwiderte Schawyrin.<br />

»Wir müssen bereit sein, Juri. Sollte ich denn vielleicht sagen:<br />

»Bedaure, Genosse Generalsekretär, aber die Sowjetarmee ist dazu<br />

nicht in der Lage?< Ich wäre entlassen und durch einen fügsameren<br />

Mann ersetzt worden - Sie wissen ja, wer das ist. Wollen Sie lieber<br />

unter Bucharin dienen?«<br />

»Dieser Idiot!« grollte Roschkow. Die brillanten Pläne des damaligen<br />

Generalleutnants Bucharin hatten die Sowjetarmee nach<br />

Afghanistan geführt. Bucharin, fachlich eine Null, war von seinen<br />

politischen Beziehungen nicht nur gerettet, sondern bis fast an die<br />

Spitze des Militärs befördert worden.<br />

»Soll also er in diesem Z<strong>im</strong>mer sitzen und Ihnen seine Pläne<br />

diktieren?« fragte Schawyrin. Roschkow schüttelte den Kopf. Die<br />

beiden waren befreundet, seit sie 1945 bei dem letzten Vorstoß auf<br />

Wien Panzerverbände befehligt hatten.<br />

»Und wie fangen wir das an?« fragte Roschkow.<br />

»Roter Sturm«, erwiderte der Marschall schlicht. Roter Sturm<br />

32


hieß der Plan für einen Panzerangriff auf Westdeutschland und die<br />

Niederlande, der unter Berücksichtigung von Strukturveränderungen<br />

in den Streitkräften beider Seiten laufend auf den neuesten<br />

Stand gebracht wurde und auf eine rapide Zunahme der Spannungen<br />

zwischen Ost und West eine drei Wochen dauernde Kampagne<br />

vorsah. Trotzdem wurde <strong>im</strong> Einklang mit der sowjetischen Militärdoktrin<br />

ein strategischer Überraschungseffekt als Voraussetzung<br />

für den Sieg gefordert, der nur mit konventionellen Waffen errungen<br />

werden sollte.<br />

»Wenigstens sind keine A<strong>tom</strong>waffen <strong>im</strong> Spiel«, sagte Roschkow.<br />

Andere Pläne mir anderen Bezeichnungen sahen nämlich verschiedene<br />

Szenarien vor, die den Einsatz von taktischen und gar strategischen<br />

Kernwaffen bedeuteten - etwas, das kein Mann in Uniform<br />

gerne in Erwägung zog. Trotz des Säbelrasselns ihrer politischen<br />

Herren wussten diese Berufssoldaten zu gut, dass der Gebrauch<br />

nuklearer Waffen nur zu grauenerregenden Unsicherheitsfaktoren<br />

führte. »Und die maskirowska?«<br />

»Spielt sich in zwei Stufen ab. Die erste ist rein politisch und<br />

gegen die Vereinigten Staaten gerichtet. Die zweite führt kurz vor<br />

Kriegsbeginn das KGB durch. Sie stammt vom KGB-Nord und<br />

wurde von uns vor zwei Jahren besprochen.«<br />

Roschkow grunzte. Die Gruppe Nord war ein ad hoc- Komitee,<br />

das sich aus den Abteilungsleitern des KGB zusammensetzte und<br />

erstmals Anfang der siebziger Jahre von dem damaligen KGB-Chef<br />

Juri Andropow einberufen worden war. Sein Zweck war die Erforschung<br />

von Möglichkeiten zur Spaltung der Nato <strong>im</strong> allgemeinen<br />

und die Führung von politischen und psychologischen Operationen<br />

zur Untergrabung des westlichen Wehrwillens <strong>im</strong> Besonderen. Der<br />

spezifische Plan, der zur Vorbereitung auf einen heißen Krieg die<br />

militärische und politische Struktur der Nato erschüttern sollte,<br />

war der bislang kühnste Schwindel der Gruppe Nord. Ob er Erfolg<br />

haben würde, stand dahin. Die beiden hohen Offiziere tauschten<br />

einen ironischen Blick. Wie die meisten Berufssoldaten mißtrauten<br />

sie Spionen und ihren Plänen.<br />

»Vier Monate«, wiederholte Roschkow. »Da gibt es viel zu tun.<br />

Und wenn dieser KGB-Zauber nicht funktioniert?«<br />

»Der Plan ist gut. Er soll den Westen nur eine Woche lang<br />

täuschen, obwohl zwei besser wären. Entscheidend ist natürlich,<br />

wie rasch die Nato voll kriegsbereit ist. Wenn wir den Mobilisie­<br />

33


ungsprozeß um sieben Tage verzögern können, ist uns der Sieg<br />

sicher -«<br />

«Und wenn nicht?« fragte Roschkow, der wusste, dass selbst eine<br />

Verzögerung von sieben Tagen keine Garantie bot.<br />

»Dann ist er nicht sicher, aber das Gleichgewicht der Kräfte<br />

bleibt für uns günstig. Das wissen Sie, Juri.« Über die Option,<br />

bereits mobilisierte Streitkräfte wieder zurückzuziehen, hatte der<br />

Verteidigungsminister mit dem Chef des Generalstabs überhaupt<br />

nicht gesprochen.<br />

»Zuerst einmal muss rundum die Disziplin verbessert werden«,<br />

sagte der OB. »Und ich Muss sofort meine Kommandeure informieren.<br />

Es muss intensiv geübt werden. Wie ernst ist die Treibstoffknappheit?«<br />

Schawyrin reichte seinem Untergebenen die Unterlagen.<br />

»Könnte schl<strong>im</strong>mer sein. Wir haben genug für ein erweitertes<br />

Übungsprogramm. Ihre Aufgabe ist nicht leicht, Juri, aber vier<br />

Monate sind doch gewiss eine ausreichende Zeit, oder?«<br />

Natürlich nicht, aber es war sinnlos, das auszusprechen. »Wie Sie<br />

sagten, reichen vier Monate aus, um unseren Männern die Disziplin<br />

zum Kampf einzu<strong>im</strong>pfen. Habe ich freie Hand?«<br />

»In Grenzen.«<br />

»Einem Gemeinen klarzumachen, dass er vorm Feldwebel<br />

strammzustehen hat, ist eine Sache; einen Papierkrieger in einen<br />

Feldoffizier zu verwandeln, eine andere.« Roschkow umging den<br />

Kern des Problems, aber sein Vorgesetzter verstand genau, was<br />

gemeint war.<br />

»Sie haben in beiden Fällen freie Hand, Juri. Aber gehen Sie in<br />

unser beider Interesse behutsam vor.«<br />

Roschkow nickte knapp. Er wusste schon, wem er die Aufgabe<br />

übertragen würde. »Mit den Truppen, die wir vor vierzig Jahren<br />

anführten, Andrej, könnten wir das schaffen.« Roschkow setzte<br />

sich. »Und <strong>im</strong> Grunde haben wir das gleiche Material wie damals ­<br />

und dazu bessere Waffen. Der größte Unsicherheitsfaktor sind die<br />

Männer. Als wir mit unseren Panzern in Wien einfuhren, waren<br />

unsere Leute harte, zähe Kerle mit Front Erfahrung -«<br />

»Vergessen Sie nicht, dass sich auch der Westen mit diesem<br />

Problem herumzuschlagen hat. Wie will er kämpfen, wenn er uneins<br />

ist und überrascht wird? Juri, der Plan kann funktionieren. Er<br />

muss einfach klappen.«<br />

34


»Am Montag spreche ich mit meinen Kommandeuren.«<br />

Norfolk, Virginia<br />

»Passen Sie nur gut darauf auf.«<br />

Commander Daniel X. McCafferty reagierte nicht sofort. USS<br />

Chicago war erst vor sechs Wochen in Dienst gestellt worden, mit<br />

Verspätung wegen eines Feuers auf der Werft. Sie hatten gerade<br />

eine harte fünfwöchige Testfahrt <strong>im</strong> Atlantik hinter sich und nahmen<br />

nun Proviant für ihre erste Dienstfahrt an Bord. McCafferty<br />

war noch <strong>im</strong>mer von seinem neuen Boot entzückt und konnte sich<br />

nicht an ihm Sattsehen. Er war gerade mit dem Oberbürgermeister<br />

von Chicago über das gewölbte Oberdeck gegangen, der Beginn<br />

jeder Führung durch ein U-Boot, obwohl es hier so gut wie nichts zu<br />

sehen gab. »Wie bitte?«<br />

»Passen Sie gut auf Ihr Schiff auf«, sagte der OB von Chicago.<br />

»Wir nennen es ein Boot, Sir, und versprechen, angesichts der<br />

Patenstadt gut auf es aufzupassen. Darf ich Sie in die Messe bitten?«<br />

»Noch mehr Leitern?« Der OB zog eine Gr<strong>im</strong>asse. »Und wohin<br />

geht morgen die Fahrt?«<br />

»Aufs Meer, Sir.« McCafferty trat auf die oberste Sprosse der<br />

Leiter. Der OB von Chicago folgte ihm.<br />

»Das hätte ich mir auch gedacht.« Für einen Mann Ende fünfzig<br />

kletterte er recht gelenkig. »Was treiben Sie eigentlich auf diesen<br />

Booten?«<br />

»Ozeanographische Forschung« heißt es bei der Marine.«<br />

McCafferty drehte sich um und entschuldigte sich mit einem Lächeln<br />

für die Antwort auf die peinliche Frage. Auf der Chicago<br />

entwickelten sich die Dinge rasch. Die Navy wollte sehen, wie<br />

wirksam die neuen Schalldämpfsysteme waren. In dem Akustik-<br />

Erprobungsgebiet vor den Bahamas waren alle Ergebnisse positiv<br />

ausgefallen. Nun wollte man sehen, wie gut das Boot in der Barentssee<br />

funktionierte.<br />

Darüber musste der OB lachen. »Na, dann zählen Sie best<strong>im</strong>mt<br />

<strong>im</strong> Auftrag von Greenpeace Wale.«<br />

»Wo wir hinfahren, gibt es welche, das kann ich Ihnen verraten.«<br />

»Was haben Sie da für Kacheln an Deck? Ich wusste gar nicht,<br />

dass es Schiffe mit Gummideck gibt.«<br />

35


„Das sind echofreie Kacheln, Sir. Das Gummi schluckt Schallwellen.<br />

Dadurch wird das Boot leiser und ist mit Sonar schwerer zu<br />

orten. Kaffee?«<br />

»Man sollte doch meinen, dass es an einem Tag wie heute -«<br />

Der Captain lachte in sich hinein. »Finde ich auch. Aber an Bord<br />

herrscht strenges Alkoholverbot.«<br />

Der OB hob seinen Becher und stieß mit McCafferty an. »Glückliche<br />

Fahrt.«<br />

Moskau<br />

Sie versammelten sich in der Offiziersmesse des Militärbezirks<br />

Moskau in der Uliza Krasnokasarmennaja, einem gewaltigen, beeindruckenden<br />

Bau aus der Zarenzeit. Die Oberbefehlshaber trafen<br />

sich regelmäßig um diese Zeit in Moskau und begingen den Anlass<br />

mit üppigen Festessen. Roschkow begrüßte seine Kameraden am<br />

Haupteingang, und als alle versammelt waren, führte er sie in den<br />

Keller zu den prunkvollen Dampfbädern. Anwesend waren alle<br />

Oberbefehlshaber der Heeresgruppen und ihre Stellvertreter, dazu<br />

die Befehlshaber der Luftwaffe und der Flotten: eine kleine Galaxis<br />

aus Sternen, Ordensbändern und Goldtressen. Zehn Minuten später<br />

waren sie nackt, hatten nur ein Handtuch und ein Bündel<br />

Birkenzweige in der Hand und sahen aus wie ganz normale Männer<br />

in mittleren Jahren, vielleicht etwas besser in Form als der Durchschnitt<br />

in der Sowjetunion.<br />

Alle kannten sich. Manche waren zwar Rivalen, aber doch Berufskollegen<br />

und verbrachten die ersten Minuten in der für ein<br />

russisches Dampfbad typischen int<strong>im</strong>en Atmosphäre mit oberflächlicher<br />

Konversation über Kinder und Enkel. Schließlich kam<br />

die klassische Diskussion über die »Dicke« des Dampfes auf.<br />

Roschkow schlichtete den Streit gebieterisch mit einem dünnen,<br />

stetigen Strahl kalten Wassers auf die erhitzten Ziegelsteine in der<br />

Mitte des Raumes. Das davon ausgelöste Zischen reichte aus, eventuelle<br />

Horchgeräte <strong>im</strong> Raum zu zerstören, wenn sie in der feuchten<br />

Luft nicht schon längst korrodiert waren. Roschkow hatte sich<br />

noch nicht anmerken lassen, was bevorstand, weil er es für besser<br />

hielt, die Männer mit einem Schock zu konfrontieren und ihre<br />

fre<strong>im</strong>ütigen Reaktionen abzuwarten.<br />

36


»Genossen, ich habe eine Erklärung abzugeben.«<br />

Die Gespräche verstummten, die Männer schauten ihn fragend<br />

an.<br />

»Genossen, in vier Monaten, genau gesagt am 15. Juni, starten<br />

wir eine Offensive gegen die Nato.«<br />

Einen Augenblick lang war nur das Zischen des Dampfes zu<br />

vernehmen. Dann lachten drei Männer, die sich auf der Fahrt vom<br />

Kreml in ihren Wagen einen kräftigen Schluck genehmigt hatten,<br />

laut auf. Andere, die nahe genug saßen, um das Gesicht Roschkows<br />

sehen zu können, schwiegen.<br />

»Ist das Ihr Ernst, Genosse Marschall?« fragte der Oberbefehlshaber<br />

West. Er bekam ein Nicken zur Antwort und sprach weiter:<br />

»Könnten Sie uns dann bitte den Grund für dieses Unternehmen<br />

nennen?«<br />

»Sicher. Über die Katastrophe in Nischnewartowsk sind Sie alle<br />

informiert. Was Ihnen noch nicht bekannt ist, sind die strategischen<br />

und politischen Implikationen.« Er umriss knapp alle Entscheidungen<br />

des Politbüros. »In vier Monaten starten wir die entscheidendste<br />

Militäroperation in der Geschichte der Sowjetunion: die Zerschlagung<br />

der Nato als politische und militärische Macht. Und das<br />

Unternehmen wird erfolgreich verlaufen.«<br />

Als er geendet hatte, schaute er die Offiziere schweigend an. Der<br />

Dampf begann die erwünschte Wirkung zu zeigen, ernüchterte<br />

jene, die getrunken hatten, und brachte sie zum Schwitzen. Gewöhnt<br />

euch ruhig daran, dachte Roschkow, <strong>im</strong> Lauf der nächsten<br />

Monate werdet ihr gehörig schwitzen müssen.<br />

Dann sprach Pawel Alexejew, stellvertretender OB Südwest.<br />

»Gerüchte habe ich ja gehört. Aber steht es denn so ernst?«<br />

»Jawohl. Wir haben genug Treibstoff für zwölf Monate unter<br />

Friedens- und für sechzig Tage unter Kriegsbedingungen.« Dass<br />

dabei bis Mitte August die Wirtschaft am Boden liegen würde,<br />

verschwieg er.<br />

Alexejew beugte sich vor und schlug sich mit den Birkenzweigen.<br />

Er war mit fünfzig Jahren der zweitjüngste Offizier <strong>im</strong> Raum, ein<br />

respektierter Soldat und Intellektueller; ein durchtrainierter, gutaussehender<br />

Mann mit den Schultern eines Holzfällers. Aus scharfen<br />

dunklen Augen spähte er durch die aufsteigende Dampfwolke.<br />

»Mitte Juni?«<br />

»Jawohl«, erwiderte Roschkow. »Soviel Zeit bleibt uns, um<br />

37


unsere Pläne und Truppen vorzubereiten.» Roschkow schaute sich<br />

<strong>im</strong> Raum um. Schon machte der Dampf einen Teil der Decke<br />

unsichtbar.<br />

»Ich nehme an, dass wir hier sind, um ganz offen sprechen zu<br />

können.«<br />

»So ist es, Pawel Leonidowitsch«, antwortete Roschkow, nicht<br />

<strong>im</strong> Geringsten überrascht, dass Alexejew als erster das Wort ergriffen<br />

hatte. Roschkow hatte die Karriere dieses Mannes <strong>im</strong> Lauf der<br />

vergangenen zehn Jahre mit Bedacht gefördert. Alexejew war der<br />

einzige Sohn eines verwegenen Panzergenerals des Großen Vaterländischen<br />

Krieges, der unter Chruschtschow bei einer der unblutigen<br />

Säuberungen Ende der fünfziger Jahre zwangsweise in den<br />

Ruhestand versetzt worden war.<br />

»Genossen.« Alexejew erhob sich und stieg von der Holzbank<br />

auf den Marmorboden. »Ich akzeptiere alles, was Marschall<br />

Roschkow gesagt hat. Aber - vier Monate! Vier Monate, in denen<br />

unser Vorhaben aufgedeckt werden, uns das Überraschungsmoment<br />

entgleiten könnte. Was mag dann geschehen? Nein, für einen<br />

solchen Fall haben wir Plan Schukow-4! Sofortige Mobilmachung!<br />

In sechs Stunden können wir wieder auf unseren Befehlsständen<br />

sein. Wenn wir schon einen Überraschungsangriff führen wollen,<br />

dann so, dass er gehe<strong>im</strong> bleibt: in zweiundsiebzig Stunden!«<br />

Wieder hörte man nur das Wasser auf den hellbraunen Ziegeln<br />

verdampfen, aber dann brach <strong>im</strong> Raum ein St<strong>im</strong>mengewirr los.<br />

Schukow-4 war die Wintervariante eines Plans, der die Aufdeckung<br />

eines beabsichtigten Überraschungsangriffs der Nato auf den Warschauer<br />

Pakt voraussetzte. Für diesen Fall sah die sowjetische Militärdoktrin<br />

den Angriff als beste Verteidigung vor: der Nato durch<br />

einen Frontalangriff der Panzerdivisionen der Kategorie A in Ostdeutschland<br />

zuvorkommen.<br />

»Wir sind aber nicht bereit!« wandte OB West ein. Er saß in<br />

Berlin »vor Ort« und befehligte die zahlenmäßig stärksten Verbände<br />

der Welt. Für einen Angriff auf Westdeutschland war vorwiegend<br />

er verantwortlich.<br />

Alexejew hob die Hand. »Der Gegner aber auch nicht. Er ist<br />

sogar noch unvorbereiteter. Berücksichtigen wir unsere Gehe<strong>im</strong>dienstmeldungen.<br />

Vierzehn Prozent ihrer Offiziere sind <strong>im</strong> Urlaub.<br />

Gut, es ist das Ende einer Übungsperiode, aber gerade aus diesem<br />

Grund wird ein Großteil ihres Geräts nun gewartet, und man kann<br />

38


davon ausgehen, dass ihre Befehlshaber zu Besprechungen in die<br />

jeweiligen Hauptstädte gefahren sind - so wie wir. Ihre Truppen<br />

sind <strong>im</strong> Winterquartier und tun Winterdienst. Dies ist die Jahreszeit<br />

für Wartung und Papierkrieg. Das Sportprogramm ist eingeschränkt<br />

- wer will schon <strong>im</strong> Schnee herumrennen? Die Männer<br />

frieren und trinken mehr als gewöhnlich. Jetzt ist unsere Chance!<br />

Die Geschichte lehrt, dass der sowjetische Soldat <strong>im</strong> Winter die<br />

besten Leistungen bringt. Und die Abwehrbereitschaft der Nato ist<br />

auf dem Tiefstand.«<br />

»Und unsere auch, Sie Grünschnabel!« fauchte der OB West.<br />

»Das lässt sich in achtundvierzig Stunden ändern«, konterte<br />

Alexejew.<br />

»Ausgeschlossen«, unterstützte der Stellvertreter des OB West<br />

seinen Chef.<br />

»Max<strong>im</strong>ale Bereitschaft wird sich erst in einigen Monaten erreichen<br />

lassen«, st<strong>im</strong>mte Alexejew zu. Er wusste, dass sein Standpunkt<br />

bei seinen Vorgesetzten nur mit Sachlichkeit anzubringen war.<br />

Seine Erfolgsaussichten waren zwar gering, aber er wollte es wenigstens<br />

versuchen. »Aber es wird schwer, wenn nicht unmöglich sein,<br />

die notwendigen Maßnahmen zu kaschieren.«<br />

»Wie Marschall Roschkow sagte, ist uns politische und diplomatische<br />

maskirowka versprochen worden«, sagte ein General.<br />

»Dass das KGB und unsere geschickte politische Führung Wunder<br />

bewirken, bezweifle ich nicht.« Vielleicht war der Raum ja doch<br />

verwanzt. «Aber ist es nicht zuviel verlangt, von den Imperialisten,<br />

die uns fürchten und hassen und durch ihre Agenten und Spionagesatelliten<br />

belauern, zu erwarten, dass sie eine Steigerung unserer<br />

Übungsaktivitäten um hundert Prozent einfach übersehen? Wir<br />

wissen, dass sich ihre Alarmbereitschaft erhöht, wenn unsere Einheiten<br />

Feldübungen abhalten, und wegen der Frühjahrsübungen<br />

wird ihre Abwehrbereitschaft ohnehin höher sein. Ein Abweichen<br />

von unserem normalen Übungsprogramm würde sie warnen. Ostdeutschland<br />

w<strong>im</strong>melt nur so von westlichen Spionen. Die Nato<br />

wird Verdacht schöpfen und reagieren, sich uns mit allem, was sie<br />

in ihren Arsenalen hat, an der Grenze entgegenstellen. Greifen wir<br />

aber andererseits mit dem an, was uns zu Verfügung steht, und<br />

zwar jetzt, sind wir <strong>im</strong> Vorteil. Unsere Männer sind nämlich nicht<br />

<strong>im</strong> Skiurlaub. Schukow-4 sieht den Übergang vom Friedens- zum<br />

Kriegszustand innerhalb von achtundvierzig Stunden vor. So<br />

39


schnell kann die Nato unmöglich reagieren. Bis ihre Offiziere die<br />

Gehe<strong>im</strong>dienstmeldungen verarbeitet und ihren Ministern vorgelegt<br />

haben, rollen unsere Panzer schon in der Bundesrepublik durchs<br />

Kinzigtal.«<br />

»Zuviel kann schief gehen!« Der OB West erhob sich so rasch,<br />

dass ihm das Handtuch von den Hüften zu rutschen drohte. Er hielt<br />

es mit einer Hand fest und ballte die andere. »Die Verkehrsregelung<br />

muss ausgearbeitet werden. Unsere Männer müssen an den neuen<br />

Waffensystemen üben. Unsere Heeresflieger müssen auf den Fronteinsatz<br />

gegen die Imperialisten vorbereitet werden. Bitte sehr, da<br />

haben Sie ein unüberwindliches Problem. Die Piloten müssen mindestens<br />

einen Monat lang intensiv üben. Und meine Panzerbesatzungen,<br />

Geschützbedienungen und Infanteristen auch.«<br />

Wenn du eine Ahnung von deiner Arbeit hättest, wärst du jetzt<br />

bereit, du nichtsnutziger Hurenbock! dachte Alexejew. Der OB<br />

West war ein Mann von einundsechzig, der unter Vernachlässigung<br />

seiner Dienstpflichten gerne seine Potenz unter Beweis stellte. Aber<br />

der Mann galt als politisch zuverlässig. So geht das also in unserem<br />

System, sagte sich der jüngere General. Zur Verteidigung des Vaterlandes<br />

brauchen wir Kämpfer, und was kriegen wir? Politisch<br />

zuverlässige Bürohengste. Alexejew spielte seine letzte Karte aus:<br />

»Genosse General, Ihre Divisions-, Reg<strong>im</strong>ents- und Bataillonskommandeure<br />

sind tüchtige Männer. Vertrauen Sie ihnen.« Es<br />

konnte nicht schaden, das Banner der Roten Armee zu schwenken,<br />

fand Alexejew.<br />

Roschkow erhob sich. »Was Sie sagen, Pawel Leonidowitsch, hat<br />

Hand und Fuß, aber dürfen wir ein Vabanquespiel um die Sicherheit<br />

des Landes wagen?« Er schüttelte den Kopf und zitierte wie<br />

schon oft die Militärdoktrin: »Nein. Gewiss, wir setzen auf den<br />

Überraschungseffekt, wenn unser erster schwerer Schlag den Weg<br />

für den kühnen Vorstoß unserer Panzer fre<strong>im</strong>acht. Während das<br />

Politbüro den Westen mit Friedensangeboten in Sicherheit wiegt,<br />

bereiten wir unseren Schlag vor, und wenn er fällt, trifft er den<br />

Gegner, der erst drei Tage vorher Verdacht geschöpft hat, unvorbereitet.«<br />

Die Offiziere folgten Roschkow, um sich unter der kalten Dusche<br />

den Schweiß von den Leibern zu waschen. Zehn Minuten später<br />

versammelten sie sich erfrischt <strong>im</strong> Speisesaal <strong>im</strong> zweiten Stock. Die<br />

Kellner, größtenteils KGB-Informanten, stellten fest, dass eine et­<br />

40


was gedrückte St<strong>im</strong>mung herrschte. Unterhaltungen wurden so<br />

leise geführt, dass sie nichts mitbekamen. Die Generale wussten<br />

wohl, dass das Lefortowo-Gefängnis des KGB nur einen knappen<br />

Kilometer entfernt war.<br />

»Unsere Pläne? fragte der OB Südwest seinen Stellvertreter.<br />

»Wie oft haben wir die schon durchgespielt?« bemerkte Alexejew.<br />

»Alle Karten und Formeln haben wir seit Jahren studiert,<br />

wissen, wo die gegnerischen Truppen und Panzerverbände konzentriert<br />

sind, kennen die Straßen und Autobahnen, die wir benutzen<br />

werden. Unsicher ist nur, ob unsere sorgfältig ausgearbeiteten<br />

Pläne auch Erfolg haben werden. Wir sollten sofort angreifen.<br />

Dann hätten nämlich beide Seiten mit diesem Unsicherheitsfaktor<br />

zu kämpfen.«<br />

»Und wenn unsere Offensive zu erfolgreich ist und die Nato<br />

Kernwaffen einsetzt?« fragte Roschkow. Alexejew gestand zu, dass<br />

dieser Faktor entscheidend wichtig und unberechenbar war.<br />

»Das könnte ohnehin eintreffen. Genosse, alle unsere Pläne setzen<br />

einen Überraschungseffekt voraus. Die Kombination von Überraschung<br />

und Erfolg wird den Westen zwingen, die nukleare Option<br />

zu erwägen -«<br />

»Irrtum, junger Freund«, rügte der OB Südwest. »Das ist eine<br />

rein politische Entscheidung. Auch die Entscheidung für den Nichteinsatz<br />

von Kernwaffen ist ein politischer Prozess, der seine Zeit<br />

braucht.«<br />

»Wie können wir uns des strategischen Überraschungseffekts<br />

sicher sein, wenn wir vier Monate lang warten?« fragte Alexejew.<br />

»Die politische Führung hat uns die entsprechenden Maßnahmen<br />

versprochen.«<br />

»In dem Jahr, in dem ich an die Frunse-Akademie kam, verkündete<br />

die Partei, wann wir ins Stadium des wahren Kommunismus<br />

eintreten würden. Das war ein feierliches Versprechen. Der Termin<br />

war vor sechs Jahren.«<br />

»Pascha, bei mir können Sie sich so etwas erlauben, ich habe<br />

Verständnis. Aber wenn Sie nicht lernen, Ihre Zunge <strong>im</strong> Zaum zu<br />

halten -«<br />

»Verzeihung, Genosse General, aber wir müssen mit der Möglichkeit<br />

rechnen, dass uns die Überraschung nicht gelingt. >Im Gefecht<br />

sind trotz sorgfältigster Vorbereitungen Risiken unvermeidlich'«,<br />

zitierte Alexejew aus einem Lehrbuch der Frunse-Akademie.<br />

41


»Korrekt, Pascha.« Der OB Südwest lachte und schenkte seinem<br />

Stellvertreter georgischen Wein ein.<br />

»Wenn der Überraschungsangriff misslingt, steht uns ein Zermürbungskrieg<br />

von ungeheuren Ausmaßen bevor, eine hochtechnisierte<br />

Version von 14/18.«<br />

»Den wir gewinnen werden.« Roschkow setzte sich neben Alexejew.<br />

»Richtig«, st<strong>im</strong>mte Alexejew zu. Alle sowjetischen Generale gingen<br />

von der Voraussetzung aus, dass einer Offensive, die keine<br />

rasche Entscheidung brachte, ein blutiger Abnutzungskrieg, der<br />

beide Seiten gleichermaßen erschöpft, folgen musste. Und für einen<br />

solchen Krieg waren die Sowjets dank größerer Truppen- und<br />

Materialreserven besser gerüstet. »Vorausgesetzt, dass wir das<br />

Tempo der Schlacht best<strong>im</strong>men und es unseren Freunden von der<br />

Marine gelingt, der Nato den Nachschub aus den USA abzuschneiden.<br />

Die Nato hat Kriegsmaterial für rund fünf Wochen auf Lager.<br />

Unsere schöne, teure Flotte muss den Atlantik abriegeln.«<br />

»Maslow?« Roschkow machte eine Geste zum Oberbefehlshaber<br />

der Marine. »Bitte sagen Sie uns etwas über das Kräfteverhältnis<br />

<strong>im</strong> Nordatlantik.«<br />

»Was ist unser Auftrag?« fragte Maslow argwöhnisch.<br />

»Wenn der Überraschungsangriff <strong>im</strong> Westen misslingt, Andrej<br />

Petrowitsch, werden unsere teuren Genossen von der Marine Europa<br />

von Amerika abschneiden müssen«, erklärte Roschkow. Seine<br />

Reaktion auf die Antwort war ein ungläubiges Blinzeln.<br />

» Geben Sie mir eine Fallschirmjägerdivision, und ich erfülle diese<br />

Aufgabe«, erwiderte Maslow nüchtern. Er hatte ein Glas Wasser in<br />

der Hand und den Alkohol an diesem Februarabend mit Bedacht<br />

gemieden. »Die Frage ist nur, ob unsere strategische Haltung auf<br />

See offensiv oder defensiv sein soll. Die Seestreitkräfte der Nato ­<br />

vor allem die der USA - stellen eine direkte Bedrohung der Rodina,<br />

des Vaterlandes, dar. Nur die US-Navy verfügt über Flugzeuge und<br />

Flugzeugträger, mit denen sie die Halbinsel Kola angreifen kann.<br />

Wir wissen sogar, dass solche Pläne existieren.«<br />

»Na u nd?« merkte der OB Südwest an. »Man kann einen Angriff<br />

auf sowjetischen Boden natürlich nicht auf die leichte Schulter<br />

nehmen, aber wir werden in diesem Feldzug schwere Verluste<br />

hinnehmen müssen, ganz gleich, wie brillant wir ihn auch führen.<br />

Entscheidend ist nur das Endergebnis.«<br />

42


»Ein erfolgreicher amerikanischer Angriff auf Kola würde uns<br />

effektiv an der Abriegelung des Atlantiks hindern. Es ist ein Irrtum,<br />

eine solche Attacke einfach abzutun. Ein Eindringen der<br />

Amerikaner in die Barentssee stellte eine direkte Bedrohung unserer<br />

nuklearen Abschreckung dar und könnte ernstere Konsequenzen<br />

haben, als Sie sich vorstellen.» Admiral Maslow beugte sich<br />

vor. »Bekämen wir aber andererseits von STAWKA die Mittel zur<br />

Durchführung des Unternehmens Nordlicht, könnten wir die Initiative<br />

ergreifen und die Art der Operationen <strong>im</strong> Nordatlantik<br />

nach Belieben diktieren.« Er hob einen Finger. »Erstens hinderten<br />

wir die Amerikaner an einem Angriff auf die He<strong>im</strong>at; zweitens<br />

könnten wir den Großteil unserer U-Boote <strong>im</strong> Atlantik einsetzen,<br />

wo die Schifffahrtswege verlaufen, anstatt ihnen eine passive Verteidigungsrolle<br />

zuzuweisen; und drittens könnten wir max<strong>im</strong>alen<br />

Gebrauch von unseren Marinefliegern machen. So verwandeln wir<br />

unsere Marine auf einen Schlag von einer Defensiv- in eine Offensivwaffe.«<br />

»Und dafür brauchen Sie nur eine Division Luftlandetruppen?<br />

Bitte erläutern Sie uns Ihren Plan näher, Genosse Admiral.«<br />

Maslow sprach fünf Minuten lang und schloss: »So verpassen wir<br />

den Kriegsmarinen der Nato auf einen Schlag mehr, als sie verdauen<br />

können, und sichern uns eine wertvolle Position für die<br />

Nachkriegszeit.«<br />

»Lassen wir die Trägerverbände doch lieber herankommen und<br />

zerstören sie dann«, mischte sich der OB West ein.<br />

Maslow antwortete: »Die Amerikaner werden <strong>im</strong> Atlantik fünf<br />

oder sechs Träger gegen uns einsetzen können. Jeder hat achtundfünfzig<br />

Flugzeuge, die, abgesehen von ihrer Schutzfunktion für die<br />

Flotte, auch als Jäger oder A<strong>tom</strong>bomber dienen können. Ich würde<br />

vorschlagen, Genosse, diese Schiffe so weit wie möglich von der<br />

He<strong>im</strong>at fernzuhalten.«<br />

»Andrej Petrowitsch, ich bin sehr beeindruckt«, sagte Roschkow<br />

versonnen und sah auch Respekt in Alexejews Augen. Unternehmen<br />

Nordlicht war kühn und s<strong>im</strong>pel. »Ich möchte bis morgen<br />

Nachmittag umfassend über diesen Plan informiert werden. Ein<br />

Erfolg ist also sehr wahrscheinlich, wenn Ihnen die erforderlichen<br />

Mittel zur Verfügung gestellt werden?«<br />

»Wir haben fünf Jahre an diesem Plan gearbeitet und unser<br />

Hauptaugenmerk auf Einfachheit gerichtet. Vorausgesetzt, der<br />

43


Plan bleibt gehe<strong>im</strong>, müssen zur Sicherung des Erfolges nur zwei<br />

Operationen gelingen.«<br />

Roschkow nickte. »Dann haben Sie meine Unterstützung.«<br />

44


Moskau<br />

4<br />

Maskirowska l<br />

Der Außenminister trat wie üblich von links auf und ging mit<br />

federnden Schritten, die über seine sechzig Jahre hinwegtäuschten,<br />

zum Rednerpult. Vor ihm drängte sich eine Meute von Reportern,<br />

die von Soldaten in zwei Gruppen aufgeteilt worden waren: die<br />

Leute von der Presse mit ihren Fotografen, und die Fernsehteams<br />

mit ihren Kameras und Scheinwerfern. Der Außenminister hasste<br />

die grellen Lichter und die Männer, die sie anschleppten; die Leute<br />

von den westlichen Medien, die keine Manieren hatten, <strong>im</strong>mer<br />

herumschnüffelten und nachbohrten, <strong>im</strong>mer Antworten auf Fragen<br />

verlangten, die kein Russe zu stellen wagte. Merkwürdig, dachte er<br />

und schaute von seinem Redemanuskript auf, vor diesen ausländischen<br />

Spionen muss ich manchmal offener sein als vor dem Zentralkomitee.<br />

Allesamt Spione...<br />

Natürlich konnte man sie mit sorgfältig vorbereiteter Desinformation<br />

manipulieren, und genau das hatte er nun vor. Doch <strong>im</strong><br />

großen und ganzen stellten sie eine Bedrohung dar, weil sie keine<br />

Ruhe gaben.<br />

»Meine Damen und Herren«, begann er auf Englisch, »ich<br />

möchte eine kurze Erklärung abgeben und bedaure, gegenwärtig<br />

keine Fragen beantworten zu können. Der Präsident der Vereinigten<br />

Staaten hat <strong>im</strong> Zusammenhang mit der Rüstungskontrolle oft<br />

>Taten, nicht Worte< gefordert. Wie Sie wissen, sind bei den gegenwärtigen<br />

Abrüstungsverhandlungen in Wien zur Enttäuschung der<br />

ganzen Welt seit einem Jahr keine wesentlichen Fortschritte erzielt<br />

worden, und eine Seite gibt der anderen die Schuld. Es ist allen<br />

Friedensliebenden Völkern der Welt bekannt, dass die Sowjetunion<br />

keinen Krieg will und dass angesichts des nuklearen Winters, des<br />

Fallout und des Overkill nur ein Wahnsinniger den A<strong>tom</strong>krieg als<br />

realistische Option auch nur in Erwägung ziehen würde.«<br />

»Donnerwetter», murmelte Patrick Flynn, Chef des AP-Büros.<br />

45


Die Sowjets nahmen die Möglichkeit eines nuklearen Winters nur<br />

selten zur Kenntnis und hatten den Begriff noch nie bei einem so<br />

öffentlichen Anlass benutzt. Schon hatte er die Nase <strong>im</strong> Wind und<br />

witterte.<br />

»Die Zeit für eine beträchtliche Reduzierung der strategischen<br />

Waffen ist gekommen. Trotz unserer zahlreichen ernsten und aufrichtigen<br />

Abrüstungsvorschläge fahren die Vereinigten Staaten mit<br />

der Aufstellung destabilisierender Offensivwaffen fort: der MX-<br />

Interkontinentalrakete mit Erstschlagssystem Trident D- 5; zwei verschiedener<br />

Typen von Marschflugkörpern, deren Eigenschaften die<br />

Verifizierung eines Abrüstungsabkommens so gut wie unmöglich<br />

machen; und natürlich die so genannte Strategische Verteidigungsinitiative<br />

SDI, die Offensivwaffen in den Weltraum tragen will.<br />

Dies also sind die Taten der Amerikaner.« Er sah auf und setzte in<br />

ironischem Tonfall hinzu: »Und dabei verlangt Amerika mit frommen<br />

Worten sowjetische Taten. Von morgen an werden wir ein für<br />

allemal sehen, ob man Amerikas Wort trauen kann oder nicht. Von<br />

morgen an wird sich erweisen, wie groß der Unterschied zwischen<br />

amerikanischen Friedensworten und sowjetischen Friedenstaten<br />

ist. Morgen wird die Sowjetunion in Wien einen Vorschlag zur<br />

Reduzierung der existierenden strategischen und taktischen A<strong>tom</strong>waffen<br />

um fünfzig Prozent unterbreiten, die drei Jahre nach Ratifizierung<br />

erreicht und durch neutrale Beobachterteams, deren Zusammensetzung<br />

alle Unterzeichneten einvernehmlich best<strong>im</strong>men,<br />

vor Ort verifiziert werden soll. Bitte beachten Sie, dass ich >alle<br />

Unterzeichneten« gesagt habe. Die Sowjetunion lädt Großbritannien,<br />

Frankreich und« - er schaute auf- »die Volksrepublik China<br />

ein, sich mit uns an den Verhandlungstisch zu setzen.« Eine Salve<br />

von Blitzen zwang ihn, kurz das Gesicht abzuwenden.<br />

»Meine Damen und Herren, bitte blenden Sie mich nicht.« Er<br />

lächelte und hielt sich eine Hand vor die Augen. »Ich habe meine<br />

Rede nicht auswendig gelernt. Oder möchten Sie, dass ich in Russisch<br />

fortfahre?«<br />

Gelächter, dann vereinzelter Applaus. Der alte Fuchs lässt seinen<br />

Charme spielen, dachte Flynn und machte sich hastig Notizen.<br />

Diese Erklärung war potentiell Dynamit. Er fragte sich, was nun als<br />

nächstes kam, und war ganz besonders auf den genauen Wortlaut<br />

des Vorschlags gespannt. Flynn berichtete nicht zum ersten Mal<br />

über Abrüstungsverhandlungen und wusste nur zu gut, dass eine<br />

46


generelle Umschreibung von Vorschlägen deren tatsächlichen Inhalt<br />

oft grotesk verzerrte. Der Teufel steckte hier <strong>im</strong> Detail.<br />

»Nun weiter.« Der Außenminister blinzelte, um wieder klar<br />

sehen zu können. »Man hat uns beschuldigt, wir hätten nie mit<br />

einer Geste unseren guten Willen unter Beweis gestellt. Dass dieser<br />

Vorwurf falsch ist, liegt auf der Hand, doch diese boshafte Unterstellung<br />

kursiert <strong>im</strong> Westen nach wie vor. Das hat nun ein Ende. Nie<br />

wieder wird das aufrichtige Streben des sowjetischen Volkes nach<br />

einem gerechten und dauerhaften Frieden in Frage gestellt werden<br />

können. Ab heute wird die Sowjetunion als Geste des guten Willens,<br />

die sie die Vereinigten Staaten und andere interessierte Nationen<br />

nachzuahmen auffordert, eine ganze Klasse a<strong>tom</strong>getriebener<br />

Raketen-U-Boote, die <strong>im</strong> Westen als >Yankee< bekannt ist, außer<br />

Dienst stellen. Alle aktiven Boote dieser Klasse, derzeit zwanzig, die<br />

je zwölf Interkontinentalraketen tragen, gehören zur sowjetischen<br />

Nordflotte und sind auf der Kola-Halbinsel stationiert. Von heute<br />

an werden wir pro Monat eines dieser Boote deaktivieren. Wie Sie<br />

wissen, bedarf die Totaldeaktivierung einer so komplexen Waffe<br />

einer Werft - es muss nämlich die Raketenanlage in ihrer Gesamtheit<br />

aus dem Rumpf entfernt werden -, und aus diesem Grund lässt<br />

sie sich nicht über Nacht völlig entschärfen. Doch um die Ehrlichkeit<br />

unseres Vorhabens unbestreitbar zu demonstrieren, fordern<br />

wir die Vereinigten Staaten zu einer von zwei Maßnahmen auf:<br />

Erstens: Wir werden ein ausgewähltes Team von sechs amerikanischen<br />

Marineoffizieren diese sechs Boote inspizieren und verifizieren<br />

lassen, dass ihre Raketenrohre vor der Entfernung der Raketenanlage<br />

mit Beton ausgegossen worden sind. Im Gegenzug würden<br />

wir erwarten, dass einer gleichen Anzahl sowjetischer Offiziere zu<br />

einem späteren Zeitpunkt ähnliche Inspektionsbesuche auf amerikanischen<br />

Werften gestattet werden. Zweitens: Für den Fall, dass<br />

die Vereinigten Staaten eine auf Gegenseitigkeit beruhende Verifizierung<br />

der Abrüstungsmaßnahmen ablehnt, sind wir bereit, diese<br />

Kontrollen von einer sechsköpfigen Gruppe von Offizieren aus<br />

Drittländern vornehmen zu lassen. Über die Zusammensetzung<br />

dieser Gruppe könnten sich die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion<br />

<strong>im</strong> Lauf der kommenden dreißig Tage einigen. Ein Team aus<br />

neutralen Ländern wie Schweden oder Indien würde die Sowjetunion<br />

<strong>im</strong> Prinzip akzeptieren.<br />

Meine Damen und Herren, es ist Zeit, dem Wettrüsten ein Ende<br />

47


zu setzen. Ich will die blumigen Phrasen, die wir alle nun schon seit<br />

zwei Generationen hören, nicht wiederholen. Es soll niemand mehr<br />

sagen können, die Sowjetunion habe ihren Beitrag zur Verringerung<br />

der Kriegsgefahr nicht geleistet. Ich danke Ihnen für Ihre<br />

Aufmerksamkeit.«<br />

Jäh senkte sich Schweigen über den Raum, bis nur noch das<br />

Surren der Kameras zu hören war.<br />

»Donnerwetter«, murmelte Flynn nach zehn Sekunden.<br />

»Kann man wohl sagen«, st<strong>im</strong>mte der Reuter-Korrespondent<br />

William Calloway zu.<br />

Flynn zog eine Gr<strong>im</strong>asse und schaute dem Außenminister nach,<br />

der sich lächelnd verabschiedete. »Das muss ich schriftlich sehen.<br />

Fahren Sie mit mir zurück?«<br />

In Moskau war es bitter kalt. Am Straßenrand lagen Schneehaufen.<br />

Der H<strong>im</strong>mel war blau. Und die Wagenheizung funktionierte<br />

nicht. Flynn fuhr, sein Freund las laut die Presseerklärung vor. Der<br />

Entwurf des Abrüstungsvorschlags umfasste neunzehn mit Anmerkungen<br />

versehene Seiten.<br />

»Erstaunlich fair«, sagte der Reuter-Korrespondent Calloway<br />

verwundert. »Sie schlagen eine Abrüstung mit El<strong>im</strong>inierung vieler<br />

existierender Waffen vor, lassen beide Seiten überholte Raketen<br />

ersetzen, gestehen beiden Seiten je fünftausend Sprengköpfe zu und<br />

wollen diese Zahl über einen Zeitraum von fünf Jahren nach der<br />

dreijährigen Reduzierungsperiode stabil halten. Ein separater Vorschlag<br />

lädt zu Verhandlungen über den Totalabbau >schwerer<<br />

Raketen ein, die durch mobile Flugkörper ersetzt werden dürfen,<br />

doch die Anzahl der Testflüge soll beschränkt bleiben -« Er blätterte<br />

um und überflog den Rest des Vertragsentwurfs. »Kein Wort<br />

über das Star-Wars-Forschungsprogramm... Nanu, hat er das<br />

nicht in seinem Vortrag erwähnt? Patrick, das ist wirklich Dynamit,<br />

könnte direkt in Washington verfasst worden sein. Es wird natürlich<br />

Monate dauern, bis alle Details geklärt sind, aber das ist ein<br />

ernsthafter und großzügiger Vorschlag.«<br />

»Nichts über Star Wars?« Flynn zog kurz die Stirn kraus und bog<br />

rechts ab. Sollte das bedeuten, dass die Russen bei ihren Forschungen<br />

einen Durchbruch erzielt hatten? Muss mal in Washington<br />

nachfragen, dachte er. »Willie, da haben wir eine Mordsstory. Wie<br />

heißt deine Schlagzeile? Was hältst du von >Frieden


Fort Meade, Maryland<br />

Amerikanische Nachrichtendienste werten wie ihre Konkurrenz<br />

überall auf der Welt die Berichte aller Nachrichtenagenturen aus.<br />

Toland sah sich die Meldungen von AP und Reuter an und verglich<br />

sie mit der Version, die in der Sowjetunion über Mikrowelle an die<br />

Redaktionen der Regionalausgaben von Prawda und Iswestija gesendet<br />

worden waren. Die Art und Weise, in welcher Nachrichten<br />

in der Sowjetunion wiedergegeben werden, soll den Parte<strong>im</strong>itgliedern<br />

den Standpunkt der Führung verdeutlichen.<br />

»Kommt mir alles bekannt vor«, sagte sein Abteilungsleiter.<br />

»Be<strong>im</strong> letzten Mal scheiterten die Verhandlungen, weil beide Seiten<br />

mobile Raketen haben, sie der anderen Seite aber verweigern wollten.«<br />

»Aber der Ton der Meldung.«<br />

»Verdammt, über ihre eigenen Abrüstungsvorschläge berichten<br />

sie <strong>im</strong>mer mit Enthusiasmus. Das wissen Sie doch genau, Bob.«<br />

»Gewiss, Sir, aber dies ist meines Wissens das erste Mal, dass die<br />

Russen einseitig ein Waffensystem außer Dienst stellen.«<br />

»Die U-Boote der >Yankee< -Klasse sind technisch überholt.«<br />

»Na und? Obsolet oder nicht, die Russen werfen nie etwas weg.<br />

In ihren Lagerhäusern stehen <strong>im</strong>mer noch Geschütze aus dem<br />

Zweiten Weltkrieg, nur für den Fall, dass sie noch einmal gebraucht<br />

werden. Dieser Fall liegt anders, und die politischen Implikationen.«<br />

»Wir reden nicht von Politik, sondern von Nuklearstrategie«,<br />

bellte der Abteilungsleiter zurück.<br />

Als ob da ein Unterschied bestünde, sagte sich Toland.<br />

Kiew, Ukraine<br />

»Nun, Pascha?«<br />

»Genosse General, da steht uns eine gewaltige Arbeit bevor.«<br />

Alexejew hatte Haltung angenommen; man befand sich <strong>im</strong> Kiewer<br />

Hauptquartier des Militärbereichs Südwest.<br />

»Unsere Einheiten müssen ausgiebig üben. Übers Wochenende<br />

habe ich über achtzig Bereitschaftsmeldungen unserer Panzer- und<br />

Panzergrenadierdivisionen durchgelesen.« Alexejew legte eine<br />

49


Pause ein, ehe er fort fuhr. Taktische Ausbildung und Bereitschaft<br />

waren die Achillesferse der sowjetischen Streitkräfte. Ihre Soldaten,<br />

größtenteils Wehrpflichtige, dienten zweieinhalb Jahre lang<br />

und brauchten die Hälfte dieser Zeit, um sich die militärischen<br />

Grundkenntnisse anzueignen. Selbst Unteroffiziere waren Wehrpflichtige,<br />

die auf spezielle Schulen geschickt wurden, aber nach<br />

Ablauf ihres Wehrdienstes den Streitkräften wieder verlorengingen.<br />

Aus diesem Grund verließen sich die Sowjets auf ihre Offiziere,<br />

die oft Aufgaben erfüllten, die <strong>im</strong> Westen einem Feldwebel<br />

zufielen. Der einzige zuverlässige Faktor in der sowjetischen Armee<br />

war das Offizierskorps. »Die Wahrheit ist, dass wir unseren<br />

Bereitschaftsgrad <strong>im</strong> Augenblick nicht kennen. Unsere Obersten<br />

benutzen in ihren Meldungen ausnahmslos die gleichen Floskeln.<br />

Jeder erklärt, die Norm erfüllt zu haben - die gleiche Anzahl von<br />

Übungsstunden, die gleiche Anzahl politischer Lektionen, die gleiche<br />

Zahl be<strong>im</strong> Übungsschießen verwendeter Patronen - nun ja,<br />

die Abweichung liegt unter drei Prozent! - und die vorgeschriebene<br />

Anzahl von Feldübungen, selbstverständlich des angemessenen<br />

Typs.«<br />

»So wie es <strong>im</strong> Buch steht«, merkte der Generaloberst an.<br />

»Natürlich. Genau - viel zu genau! Keine Abweichungen wegen<br />

schlechten Wetters. Keine Abweichungen wegen verspäteter Treibstofflieferungen.<br />

Zum Beispiel verbrachte das 703. Panzergrenadierreg<strong>im</strong>ent<br />

den ganzen letzten Oktober <strong>im</strong> Ernteeinsatz bei Charkow<br />

- erfüllte aber dennoch die Übungsnorm für den entsprechenden<br />

Zeitraum. Lügen sind schon schl<strong>im</strong>m, aber diese sind einfach<br />

lächerlich!«<br />

»So schl<strong>im</strong>m kann es doch nicht sein, Pawel Leonidowitsch.«<br />

»Können wir es wagen, etwas anderes anzunehmen, Genosse?«<br />

Der General starrte auf seinen Schreibtisch. »Nein. Gut, Pascha,<br />

Sie haben einen Plan formuliert. Lassen Sie einmal hören.«<br />

«Sie arbeiten <strong>im</strong> Augenblick unseren Angriffsplan gegen die islamischen<br />

Länder aus. Ich muss hinaus, um unsere Truppenführer auf<br />

Trab zu bringen. Wenn wir rechtzeitig vor dem Angriff <strong>im</strong> Westen<br />

unsere Ziele erreichen wollen, müssen wir an den schl<strong>im</strong>msten<br />

Missetätern ein Exempel statuieren. Ich hatte an vier Kommandeure<br />

gedacht, deren Verhalten eindeutig kr<strong>im</strong>inell war. Hier sind<br />

Namen und Anklagepunkte.« Er reichte einen Bogen über den<br />

Tisch.<br />

50


»Darunter sind zwei gute Leute, Pascha«, wandte der General<br />

ein.<br />

»Diese Männer sind Hüter des Staates und genießen großes<br />

Vertrauen. Dieses Vertrauen haben sie sich durch Lügen verscherzt<br />

und dabei den Staat gefährdet.«<br />

»Sind Ihnen die Konsequenzen dieser Anklage bekannt?«<br />

»Selbstverständlich. Auf Hochverrat steht die Todesstrafe. Habe<br />

ich jemals eine Bereitschaftsmeldung verfälscht? Oder Sie?« Alexejew<br />

schaute kurz weg. »Eine harte Maßnahme, die ich nur ungern<br />

ergreife, aber wenn wir unsere Einheiten nicht auf Vordermann<br />

bringen, müssen junge Männer wegen des Versagens ihrer Offiziere<br />

sterben. Kriegsbereitschaft ist wichtiger als vier Lügner. Eine Armee<br />

ohne Disziplin ist ein wertloser Haufen. Wir haben Anweisung<br />

von STAWKA, an aufsässigen Gemeinen und Unteroffizieren Exempel<br />

zu statuieren. So ist es nur gerecht, dass auch ihre Obersten<br />

drankommen. Ihre Verantwortung ist größer, ihr Sold höher. Hier<br />

werden einige Exempel viel für die Erneuerung unserer Armee tun.«<br />

»Überlassen wir die Sache dem Inspektorat?«<br />

»Das wäre das beste«, st<strong>im</strong>mte Alexejew zu. Auf diese Weise<br />

konnte die oberste Führung die Verantwortung für die Maßnahmen<br />

abwälzen. »Übermorgen lasse ich den Generalinspekteur<br />

Teams zu diesen Reg<strong>im</strong>entern schicken. Heute früh gingen bei allen<br />

Divisions- und Reg<strong>im</strong>entshauptquartieren unsere Übungsbefehle<br />

ein. Die Nachricht von der Verhaftung der vier Verräter wird die<br />

Kommandeure unserer Einheiten veranlassen, sie energisch in die<br />

Tat umzusetzen. Doch auch so wird es zwei Wochen dauern, bis wir<br />

erkennen, worauf wir uns konzentrieren müssen, und dann bleibt<br />

uns noch genug Zeit, für Abhilfe zu sorgen.«<br />

»Was untern<strong>im</strong>mt der OB West?«<br />

»Ähnliches, hoffe ich.« Alexejew schüttelte den Kopf. »Hat er<br />

bei Ihnen schon Einheiten angefordert?«<br />

»Nein, aber das kommt noch. Offensive Operationen gegen die<br />

Südflanke der Nato sollen nämlich unterbleiben, das ist Teil der<br />

fortgesetzten maskirowka. Sie können davon ausgehen, dass viele<br />

unserer Einheiten der Kategorie B nach Deutschland verlegt werden,<br />

möglicherweise sogar Panzereinheiten der Kategorie A. Ganz<br />

gleich, wie viele Divisionen dieser Idiot bekommt, es ist ihm nie<br />

genug.«<br />

»Gut, solange wir genug Truppen zur Eroberung der Ölfelder<br />

51


haben, wenn die Zeit gekommen ist«, meinte Pascha. »Welchen<br />

Plan sollen wir ausführen?«<br />

»Den alten. Er muss natürlich auf den neuesten Stand gebracht<br />

werden.« Der alte Plan war vor dem sowjetischen Einmarsch in<br />

Afghanistan ausgearbeitet worden, und inzwischen sah die Rote<br />

Armee die Entsendung von Panzergrenadierdivisionen in von bewaffneten<br />

Moslems bewohnte Gebiete aus einer ganz neuen Perspektive.<br />

Alexejew ballte die Fäuste. »Ist ja großartig. Wir sollen einen<br />

Plan formulieren, ohne zu wissen, wann er ausgeführt wird und<br />

welche Kräfte wir zur Verfügung haben.«<br />

»Tja, da werden Sie zustoßen müssen, Pascha.« Der OB Südwest<br />

lachte in sich hinein.<br />

Der jüngere Mann lächelte bedrückt. »Allerdings, Genosse General.<br />

Geschlafen wird nach dem Krieg.«<br />

52


Chesapeake Bay, Maryland<br />

5<br />

Seeleute und Spione<br />

Er blinzelte schmerzlich geblendet zum Horizont. Über der grünlich-braunen<br />

Küste von Maryland war die Sonnenscheibe nur zur<br />

Hälfte zu sehen und erinnerte ihn daran, dass er am Vortag bis spät<br />

gearbeitet hatte, noch später zu Bett gegangen und um halb fünf<br />

aufgestanden war, um Angeln zu gehen. Langsam nachlassende<br />

Kopfschmerzen wiesen auf die Sechserpackung Bier hin, die er vor<br />

dem Fernseher geleert hatte.<br />

Aber er war zum ersten Mal in diesem Jahr hinausgefahren und<br />

warf nun mit Vergnügen die Angel an einer Stelle aus, wo das stille<br />

Wasser der Bucht sich kräuselte. War das ein Blaufisch oder ein<br />

Klippenbarsch? Auf jeden Fall ließ er sich von seinem Köder nicht<br />

locken.<br />

»Kaffee, Bob?«<br />

»Gerne, Pop.« Robert Toland steckte seine Angelrute in den<br />

Halter und lehnte sich in den mittschiffs angebrachten Drehsessel<br />

seines Boston Whalers zurück. Edward Keegan, sein Schwiegervater,<br />

reichte ihm die gefüllte Plastikkappe einer großen Thermosflasche.<br />

»Kalt oder nicht, es tut gut, mal wieder hier draußen zu sein.«<br />

Keegan trank aus seinem Becher und setzte einen Fuß auf den<br />

Köderkasten. Es war nicht nur das Fischen, st<strong>im</strong>mten die beiden<br />

überein, sondern auch die Gelegenheit, einmal der Zivilisation zu<br />

entkommen.<br />

»Wäre schön, wenn die Klippenbarsche sich wieder mal sehen<br />

ließen.«<br />

»Ja. Und vor allem: Hier gibt's kein Telefon.«<br />

»Und dein Piepser?«<br />

»Hm, den Muss ich in der anderen Hose vergessen haben.« Keegan<br />

lachte in sich hinein. »Die DIA wird heute ohne mich auskommen<br />

müssen.«<br />

53


»Meinst du, das schaffen die?«<br />

«Die Navy hat's auch überstanden.« Keegan, Absolvent der<br />

Marineakademie, hatte seine dreißig Jahre abgedient und dann eine<br />

Stelle be<strong>im</strong> Verteidigungsnachrichtendienst angenommen.<br />

Toland war Lieutenant auf einem in Pearl Harbor stationierten<br />

Zerstörer gewesen, als er Martha Keegan kennen lernte, die an der<br />

Universität von Hawaii <strong>im</strong> Hauptfach Psychologie und <strong>im</strong> Nebenfach<br />

Surfen studierte. Sie waren jetzt seit fünfzehn Jahren glücklich<br />

verheiratet.<br />

Keegan stand auf und griff nach seiner Angel. »Nun, was gibt's<br />

<strong>im</strong> Fort?«<br />

Bob Toland war Analytiker der mittleren Ebene in der Nationalen<br />

Sicherheitsbehörde NSA. Die Navy hatte er nach sechsjähriger<br />

Dienstzeit verlassen, blieb aber Reservist. Seine Arbeit bei der NSA<br />

passte gut zum Dienst als Marinereservist, Er war Kommunikationsexperte,<br />

hatte Elektronik studiert und hörte derzeit von<br />

Horchposten der NSA oder Lauschsatelliten aufgefangene sowjetische<br />

Signale ab. So nebenbei hatte er auch sein Russischdiplom<br />

erworben.<br />

»Letzte Woche kam mir etwas Hochinteressantes unter, aber<br />

mein Chef wollte seine Bedeutung nicht erkennen.«<br />

»Wer ist denn dein Abteilungsleiter?«<br />

»Captain Albert Redman, US Navy.« Toland sah einem Fischerboot<br />

nach, das einige Meilen weiter dahintuckerte und Krabbenfallen<br />

auswarf. »Ein Arschloch.«<br />

Keegan lachte. »So was solltest du nicht laut sagen, Bob. Immerhin<br />

wirst du nächste Woche zum Reservedienst einberufen. Mit<br />

Bert habe ich vor fünfzehn Jahren mal gearbeitet und musste ihm ab<br />

und zu mal was auf den Deckel geben. Der Mann neigt zur Rechthaberei.«<br />

»Das ist sehr milde ausgedrückt«, schnaubte Toland. »Auf den<br />

neuen Abrüstungsvorschlag hin stieß ich letzten Mittwoch auf<br />

etwas ganz Ungewöhnliches, aber er legte es einfach zu den Akten.<br />

Ich frage mich, weshalb er sich überhaupt neue Daten ansieht.«<br />

»Kannst du mir verraten, worum es ging?«<br />

»Eigentlich nicht.« Bob wankte kurz. Verdammt, wenn er noch<br />

nicht einmal mit dem Großvater seiner Kinder reden konnte...<br />

»Ein Lauschsatellit überflog letzte Woche das Hauptquartier<br />

eines sowjetischen Militärbezirks und fing ein Telefongespräch<br />

54


über Mikrowelle auf. Es war ein Bericht an Moskau über vier<br />

Oberste <strong>im</strong> Militärbezirk Karpaten, die wegen getürkter Bereitschaftsmeldungen<br />

erschossen wurden. Offenbar soll er nächste<br />

Woche <strong>im</strong> Roten Stern erscheinen.» Den Brand auf dem Ölfeld<br />

hatte er inzwischen ganz vergessen.<br />

»So?« Keegan hob die Augenbrauen. »Und was hat Bert dazu<br />

gesagt?«<br />

»»War auch höchste Zeit, dass die mal aufräumen.< Das war<br />

alles.«<br />

»Und was meinst du dazu?«<br />

»Pop, mit den verrückten Wahrsagern bei Trends und Plänen<br />

habe ich nichts zu tun, aber die Russen bringen keinen zum Spaß<br />

um. Wenn der Iwan öffentlich Menschen hinrichten lässt, bezweckt<br />

er damit etwas. Das waren keine Personaloffiziere, die gegen<br />

Schmiergeld Versetzungen arrangierten. Sie wurden auch nicht<br />

erschossen, weil sie Treibstoff oder Holz für ihre Datschen abgezweigt<br />

hatten. Ich habe in unserem Archiv nachgesehen und festgestellt,<br />

dass über zwei von ihnen Akten vorliegen. Beide waren Stabsoffiziere<br />

mit Gefechts Erfahrung in Afghanistan und angesehene<br />

Parte<strong>im</strong>itglieder obendrein; einer war Absolvent der Frunse-Akademie<br />

und hatte sogar Artikel in Militärisches Denken veröffentlicht.<br />

Doch alle vier wurden wegen verfälschter Bereitschaftsmeldungen<br />

vors Kriegsgericht gestellt und drei Tage später erschossen.<br />

Krasnaja Swesda wird die Story in ein paar Tagen als Dreiteiler<br />

bringen - gezeichnet >Der Beobachter


Vermutung nach. Im Lauf der vergangenen fünf Jahre hat die Rote<br />

Armee die Namen von vierzehn hingerichteten Offizieren publik<br />

gemacht. Darunter war ein Oberst, ein Personaloffizier in Georgien,<br />

der gegen Bestechungsgeld Versetzungen arrangierte. Bei den<br />

anderen handelte es sich um einen Fall von Spionage, drei Vernachlässigungen<br />

der Dienstpflicht unter Alkoholeinfluss und neun ganz<br />

normale Korruptionsfälle - die Burschen hatten alles mögliche,<br />

vom Treibstoff bis hin zum Großrechner, naljewo, links herum,<br />

auf dem Schwarzmarkt verhökert. Und nun werden auf einmal<br />

allein in einem Militärbezirk vier Reg<strong>im</strong>entskommandeure hingerichtet.»<br />

»Das könntest du Redman vorlegen.«<br />

»Reine Zeitverschwendung.«<br />

»Hast du Kontakt zu Leuten vom zivilen Nachrichtendienst?«<br />

»Nein, meine Kollegen beschäftigen sich alle mit militärischer<br />

Telekommunikation.«<br />

»Vergangenen Montag habe ich be<strong>im</strong> Mittagessen mit einem<br />

Mann von der CIA gesprochen, den ich schon seit einer Ewigkeit<br />

kenne. Wie auch <strong>im</strong>mer, er riss Witze über eine neue Knappheit in<br />

der Sowjetunion.«<br />

»Schon wieder eine?« Bob war amüsiert. Versorgungsengpässe<br />

waren in Russland nichts Neues. Zahnpasta, Toilettenpapier, Scheibenwischer<br />

- davon hörte er in der Kantine <strong>im</strong>mer wieder.<br />

»Ja, und diesmal geht es um Batterien für Autos und Lastwagen.<br />

Seit vier Wochen ist nirgends eine Batterie aufzutreiben. Viele<br />

Autos sind stillgelegt, und weil überall gestohlen wird, klemmen die<br />

Leute abends ihre Batterien ab und nehmen sie mit ins Haus.«<br />

»Aber in Togliatti gibt es doch eine große Batteriefabrik!« Toland<br />

meinte ein mit Hilfe von Fiat errichtetes riesiges Kraftfahrzeugwerk<br />

<strong>im</strong> europäischen Russland.<br />

»Die fährt drei Schichten. Was hältst du davon?«<br />

Norfolk, Virginia<br />

Toland musterte in der Offiziersmesse in Norfolk sein Spiegelbild.<br />

Die Uniform passte noch, wenngleich sie um die Taille herum etwas<br />

eng saß. Seine Ordensspange wies nur kümmerliche anderthalb<br />

Riemen auf, aber er hatte <strong>im</strong>merhin das Seedienstabzeichen, seine<br />

56


»Schw<strong>im</strong>mflügel«, er war nicht <strong>im</strong>mer nur ein glorifizierter Funker<br />

gewesen. An den Ärmeln trug er die zweieinhalb Streifen eines<br />

Lieutenant Commander. Noch einmal kurz über die Schuhe gefahren,<br />

und dann war er zur Tür hinaus, an diesem hellen Montagmorgen<br />

bereit, seine jährlichen zwei Wochen Dienst bei der Flotte<br />

anzutreten.<br />

Fünf Minuten später fuhr er die Mitcher Avenue hinunter zum<br />

Hauptquartier des Oberbefehlshabers der Atlantikflotte - CIN­<br />

CLANTFLT -, einem niedrigen, nichts sagenden Gebäude, das einmal<br />

ein Krankenhaus gewesen war. Toland, ein Frühaufsteher,<br />

fand den Parkplatz an der Ingersoll Street halb leer vor, suchte sich<br />

aber trotzdem einen unmarkierten Platz, um nicht den Zorn eines<br />

hohen Offiziers heraufzubeschwören.<br />

»Bob? Bob Toland?« rief jemand.<br />

»Ed Morris!«<br />

Inzwischen war er Commander Edward Morris, USN, stellte<br />

Toland fest, und der goldene Stern am Uniformrock identifizierte<br />

ihn als Kommandanten eines Schiffes. Toland salutierte, ehe er<br />

seinem Freund die Hand gab. Nachdem sie Erinnerungen ausgetauscht<br />

und von ihren Familien gesprochen hatten, wies Toland auf<br />

den Stern. »Dann erzähl mal von deiner neuen Liebe.«<br />

»Schau dir mein Auto an.«<br />

Toland drehte sich um. Morris' Ford trug das Kennzeichen FF­<br />

1094. Dem Uneingeweihten war das eine ganz gewöhnliche Nummer,<br />

aber ein Seemann wusste, dass sie ein Kommando signalisierte:<br />

U-Jagdfregatte 1094 ~ USS Pharris.<br />

»Bescheidenheit war ja schon <strong>im</strong>mer deine Stärke«, bemerkte<br />

Toland grinsend. »Gratuliere, Ed. Seit wann hast du sie?«<br />

»Seit zwei Jahren. Sie ist groß, schön und mein. Hättest dabeibleiben<br />

sollen, Bob. Der Tag, an dem ich sie übernahm, war wie<br />

J<strong>im</strong>mys Geburt.«<br />

»Fein, Ed, aber es stand doch schon <strong>im</strong>mer fest, dass du ein Schiff<br />

bekommst und ich nicht.« Tolands Personalakte enthielt einen<br />

Tadel, weil er als Wachhabender einen Zerstörer auf Grund gesetzt<br />

hatte. Eigentlich nur Pech: eine unklare Eintragung auf der Seekarte<br />

und eine ungünstige Tide hatten den Irrtum ausgelöst, aber eine<br />

Karriere in der Navy war rasch ruiniert.<br />

»Reißt also deine zwei Wochen runter.«<br />

»St<strong>im</strong>mt.«<br />

57


»Celia ist ihre Eltern besuchen gefahren, und ich bin Strohwitwer.<br />

Was isst du heute Abend?«<br />

»Gehn wir zu McDonalds?« Toland lachte.<br />

«Von wegen. Danny McCafferty ist mit Chicago auch hier.<br />

Wenn wir einen vierten Mann auftreiben, können wir vielleicht<br />

Bridge spielen wie damals.« Morris versetzte seinem Freund einen<br />

Stoß. »So, ich muss weiter. Wir treffen uns um halb sechs <strong>im</strong> Foyer<br />

der Offiziersmesse. Danny hat mich für halb sieben zum Essen auf<br />

sein Boot eingeladen, da bleibt uns gerade eine Stunde zur Justierung<br />

der Geisteshaltung.««<br />

»Ave, aye, Commander.««<br />

»Wie auch <strong>im</strong>mer, da war ich also auf Will Rogers«, erzählte<br />

McCafferty. »Schon fünfzig Tage auf Patrouille, und ich hatte<br />

Wache, klar? Sonar sagt, sie bekamen ein komisches Signal rein,<br />

Richtung null-fünf-zwo. Wir laufen auf Periskoptiefe. Ich fahre das<br />

Ding aus, stelle es auf null-fünf-zwo, und da zuckelt doch tatsächlich<br />

ein Segler mit vier Knoten und Ruderau<strong>tom</strong>atik vorbei. Na, es<br />

war ein trüber Tag, ich schalte auf Vergrößerung um, und da liegen<br />

doch der Käpt'n und sein Fräulein Maat auf dem Ruderhaus und<br />

bumsen! Das Boot war vielleicht tausend Meter entfernt - ehrlich,<br />

das war, als hätte ich daneben gestanden. Haben wir also die Fernsehkamera<br />

<strong>im</strong> Periskop eingeschaltet und das Band laufen lassen.<br />

Fünfzehn Minuten hat es gedauert. Die Crew hat die Kassette die<br />

ganze nächste Woche lang gespielt. Ist gut für die Moral, wenn man<br />

weiß, wofür man kämpft.« Alle drei Offiziere lachten.<br />

»Ich hab's doch schon <strong>im</strong>mer gesagt, Bob«, bemerkte Morris,<br />

»U-Bootfahrer sind ein he<strong>im</strong>tückischer Verein. Und pervers dazu.«<br />

»Und wie lange hast du Chicago schon, Danny?« fragte Toland<br />

bei der zweiten Tasse Kaffee nach dem Essen. Die drei hatten die<br />

Offiziersmesse des U-Bootes für sich, denn die anderen Offiziere an<br />

Bord waren entweder auf Wache oder schlafen gegangen.<br />

»Drei hektische Monate, die Zeit auf der Werft nicht mitgerechnet«,<br />

sagte McCafferty und trank seine Milch aus. Toland war<br />

aufgefallen, dass Dan in der Messe des Stützpunktes bei der »Justierung<br />

der Geisteshaltung«, die aus dem Kippen dreier kräftiger<br />

Drinks bestand, nicht mitgemacht hatte. McCafferty war nicht<br />

mehr der alte.<br />

»Merkt man das nicht an der käsigen Haut, die Höhlenbewohner<br />

58


und U-Boot-Fahrer gemeinsam haben?» witzelte Morris. »Ganz<br />

zu schweigen von dem schwachen Leuchten, das Leute von a<strong>tom</strong>getriebenen<br />

Booten umgibt?« McCafferty grinste. Dann traf der<br />

vierte Mann ein, ein junger Ingenieur, der gerade Reaktorwache<br />

gehabt hatte. Chicagos Reaktor war nicht in Betrieb. Das Boot<br />

wurde von Land mit Strom versorgt, aber die Vorschriften verlangten<br />

auch dann volle Reaktorwache, wenn der »Teekessel«<br />

nicht siedete.<br />

»Na, Jungs, ich kann euch verraten, dass ich vor vier Wochen<br />

echt blass geworden bin.« McCafferty wurde ernst.<br />

»Wie das?« fragte Toland.<br />

»Du weißt ja, was wir mit diesen Booten für eine Dreckarbeit<br />

machen müssen.«<br />

»In Küstennähe Informationen sammeln? Dan, du solltest wissen,<br />

dass die elektronischen Daten, die ihr da auffangt, in unserer<br />

Behörde landen. Vielleicht kenne ich sogar die Leute, auf deren<br />

Datenanforderung hin ihr eure Einsatzbefehle bekommt.« Bob widerstand<br />

der Versuchung, sich zu auffällig umzusehen. Er war<br />

nämlich noch nie an Bord eines A<strong>tom</strong>-U-Boots gewesen. Es war<br />

kalt und roch stark nach Maschinenöl. Rundum glänzte und funkelte<br />

alles wie neu. Also das war die eine Milliarde Dollar teure<br />

Maschine, die die elektronischen ELINT-Daten sammelte...<br />

»Wir waren oben in der Barentssee nordöstlich vom Kola-Fjord<br />

und verfolgten ein russisches Boot, eins aus der Oscar-Klasse, lagen<br />

gut zehn Meilen hinter ihm - und landen auf einmal mitten in<br />

einer Übung mit scharfer Munition! Überall sausten Raketen rum.<br />

Sie versenkten drei alte Schiffe und bepflasterten ein halbes Dutzend<br />

Zielleichter.«<br />

»Nur das Oscar?« fragte Morris.<br />

»Wie sich herausstellte, fuhren da auch noch ein Papa und ein<br />

Mike herum. Das ist der Nachteil unserer leisen Boote. Wenn die<br />

anderen nicht wissen, dass wir da sind, können wir ganz schön in<br />

die Scheiße geraten. Ringsum werden Raketenabschussrohre geflutet,<br />

Sonar schlägt Alarm. Wie sollten wir wissen, dass nicht auf<br />

einmal echte Torpedos abgeschossen werden? Wir fuhren die<br />

ESM-Antenne aus und fingen ihr Periskopradar auf, dann fetzten<br />

so ein paar Dinger direkt über unsere Köpfe weg. Für ein paar<br />

Minuten war das ganz schön haarig, Jungs.« McCafferty schüttelte<br />

den Kopf. »Zwei Stunden später zogen die drei Boote mit<br />

59


zwanzig Knoten wieder he<strong>im</strong> in den Stall. Ziemlich lebhaft für eine<br />

erste Dienstfahrt.«<br />

»Hattest du dabei den Eindruck, dass die Russen etwas Ungewöhnliches<br />

taten?« Tolands Interesse war jäh geweckt.<br />

»Hast du denn nicht gehört, dass sie ihre Patrouillen mit Dieselbooten<br />

<strong>im</strong> Norden stark reduziert haben? Gut, die hört man normalerweise<br />

kaum, aber seit zwei Monaten sind sie einfach nicht<br />

mehr da. Nur eins hab ich gehört, ein einziges. Früher war das da<br />

oben anders. Satellitenfotos zeigen massenhaft Dieselboote <strong>im</strong> Hafen.<br />

Offenbar läuft ein massives Instandsetzungsprogramm. Und<br />

gewöhnlich wird auch um diese Jahreszeit nicht mit scharfer Munition<br />

geübt.« McCafferty lachte. »Vielleicht waren sie es auch müde,<br />

dauernd an den ollen Zerstörern rumzukratzen und zu pinseln, und<br />

schickten sie dahin, wo sie auch hingehören - auf den Grund.«<br />

»Unsinn!« schnaubte Morris.<br />

»Nenne mir doch einmal einen Grund, aus dem du einen ganzen<br />

Haufen Dieselboote außer Dienst stellen würdest«, sagte Toland,<br />

der inzwischen bedauerte, bei der zweiten und dritten Runde <strong>im</strong><br />

Kasino nicht gepasst zu haben. Etwas Wichtiges löste in seinem<br />

Kopf einen Alarm aus, aber der Alkohol ließ sein Gehirn langsamer<br />

arbeiten.<br />

»Verdammt«, versetzte McCafferty. "Es gibt keinen.«<br />

»Was stellen sie dann mit diesen Dieselbooten an?«<br />

»Selbst gesehen habe ich die Satellitenfotos nicht, Bob, sondern<br />

nur von ihnen gehört. Da aber in den Trockendocks keine besondere<br />

Aktivität herrscht, kann es keine Generalüberholung sein.«<br />

Endlich ging Toland ein Licht auf. »Sag mal, ist es einfach, in<br />

einem U-Boot die Batterien auszuwechseln?«<br />

»Nein. Das ist ein schwerer, unangenehmer Job. Spezielle Maschinen<br />

braucht man dazu aber nicht. Unsere Teams erledigen das<br />

in drei bis vier Wochen. Iwans Boote haben eine höhere Batteriekapazität<br />

und sind wartungsfreundlicher ausgelegt. Da sie ihre Batterien<br />

rascher verschleißen als Boote <strong>im</strong> Westen, sind sie durch Wartungsluken<br />

<strong>im</strong> Rumpf leichter auszutauschen. Die ganze Geschichte<br />

wird von Hand erledigt. Worauf willst du hinaus, Bob?«<br />

Toland berichtete von den vier erschossenen sowjetischen Obersten.<br />

»Dann höre ich, dass in Russland Batterien knapp sind. Für<br />

Lastwagen und Personenautos sind keine zu haben. Was die Privatfahrzeuge<br />

angeht, verstehe ich das ja noch, aber in Russland gehört<br />

60


doch jeder Laster dem Staat und ist für den Fall einer Mobilmachung<br />

für den Einsatz vorgemerkt. Laster benutzen doch die gleichen<br />

Batterien, oder?«<br />

»Ja, Bleibatterien. Ist die Fabrik vielleicht abgebrannt?» fragte<br />

Commander Morris. »Ich weiß, dass der Iwan gewöhnlich einer<br />

Riesenfabrik den Vorzug vor einem Haufen kleiner gibt.«<br />

»Nein, sie fährt drei Schichten.«<br />

McCafferty rückte seinen Stuhl zurecht.<br />

»Und was braucht alles Batterien?« war Morris' rhetorische<br />

Frage.<br />

»U-Boote«, verkündete McCafferty. »Panzer, Schützenpanzer,<br />

Befehlsfahrzeuge, Startwagen für Flugzeuge, alles mögliche Militär-Gerät.<br />

Bob, was du da sagst, bedeutet, dass der Iwan ganz<br />

plötzlich beschlossen hat, seinen Bereitschaftsgrad durch die Bank<br />

zu erhöhen. Fragt sich nur: Weißt du eigentlich, wovon du redest?«<br />

»Und ob, Danny. Die Geschichte von den vier Obersten habe ich<br />

selbst gesehen; sie kam über meinen Schreibtisch. Der Iwan weiß<br />

noch <strong>im</strong>mer nicht, wie empfindlich unsere Lauschsatelliten sind,<br />

und sendet nach wie vor <strong>im</strong> Klartext gesprochene und fernschriftliche<br />

Nachrichten, die wir auffangen - vergesst bitte gleich, dass ihr<br />

das gehört habt, klar? « Die anderen nickten. »Die Sache mit den<br />

Batterien bekam ich aus Zufall zu hören, aber ein Bekannter aus<br />

dem Pentagon konnte sie bestätigen. Hinzu kommt nun deine Story<br />

von den Übungen mit scharfer Munition, Dan. Wenn wir nun noch<br />

bestätigen können, dass die Dieselboote tatsächlich zum Batterieaustausch<br />

außer Dienst gestellt sind, ergibt sich langsam ein Bild.<br />

Wie wichtig sind eigentlich neue Batterien für ein Boot mit Dieselantrieb?«<br />

»Sehr wichtig«, erwiderte Chicagos Kommandant. »Es hängt<br />

zwar sehr von Qualitätskontrolle und dem Wartungsstandard ab,<br />

aber neue Batterien verdoppeln den Aktionsbereich.«<br />

»Verdammt noch mal, wisst ihr, wonach das klingt? Iwan ist<br />

<strong>im</strong>mer gefechtsklar, aber diesmal scheint er es ernst zu meinen«,<br />

bemerkte Morris. »In der Zeitung steht aber nur, er benähme sich<br />

wie ein wiedergeborener Engel und wolle abrüsten. Gentlemen,<br />

hier st<strong>im</strong>mt etwas nicht.«<br />

»Ich muss das irgendwie auf dem Dienstweg nach oben weiterleiten.<br />

Bei uns in Fort Meade könnte der Vorgang einfach liegenbleiben.«<br />

Toland dachte an seinen Abteilungsleiter.<br />

61


»Da kann ich helfen«, sagte McCafferty nach einer kurzen Pause.<br />

»Morgen früh habe ich einen Termin bei COMSUBLANT. Du<br />

kommst am besten mit, Bob.«<br />

Toland trug Vizeadmiral Richard Pipes, Befehlshaber der U-Boot-<br />

Flotte <strong>im</strong> Nordatlantik, zwanzig Minuten lang seine Daten vor.<br />

Pipes war der erste schwarze U-Boot-Fahrer, der sich durch Leistung<br />

drei Sterne verdient hatte, in einem Beruf, der traditionell<br />

Weißen vorbehalten gewesen war, und stand in dem Ruf, ein harter<br />

und anspruchsvoller Vorgesetzter zu sein. Der Admiral hörte<br />

schweigend zu und trank Kaffee aus einem mit drei Sternen verzierten<br />

Becher. Er hatte ärgerlich reagiert, als McCaffertys Meldung<br />

durch den Vortrag eines Reservisten ersetzt worden war, seine<br />

Haltung aber nach drei Minuten geändert. Nun vertieften sich die<br />

Falten um seinen Mund.<br />

»Junger Mann, Sie haben einige Sicherheitsvorschriften verletzt,<br />

um mir das zu erzählen.«<br />

»Ich weiß, Sir«, erwiderte Toland.<br />

»Dazu braucht man Mumm. Freut mich, dass ein junger Offizier<br />

mal Initiative beweist, anstatt nur an seine Karriere zu denken.«<br />

Pipes stand auf. »Was Sie mir da erzählt haben, gefällt mir nicht.<br />

Einerseits spielt der Iwan mit diesem ganzen diplomatischen Zirkus<br />

den Weihnachtsmann, andererseits versetzt er seine U-Boot-Flotte<br />

in Gefechtsbereitschaft. Vielleicht ein Zufall, vielleicht auch nicht.<br />

Besprechen wir das doch einmal mit CINCLANT und seinem<br />

Nachrichtenchef.«<br />

Toland zog eine Gr<strong>im</strong>asse. Auf was hab ich mich da eingelassen?<br />

fragte er sich. »Sir, man hat mich nur <strong>im</strong> Rahmen einer Übung<br />

hierher versetzt...«<br />

»Wie auch <strong>im</strong>mer, auf diesen Aufklärungskram scheinen Sie sich<br />

zu verstehen, Commander. Halten Sie die Geschichte, die Sie mir<br />

gerade erzählt haben, für wahr?«<br />

Toland richtete sich auf. »Jawohl, Sir.«<br />

»Dann bekommen Sie die Chance, den Beweis zu erbringen.<br />

Haben Sie den Mumm, etwas zu riskieren, oder tun Sie Ihre Meinungen<br />

nur bei Freunden und Verwandten kund?« herrschte der<br />

Admiral.<br />

Toland wusste, dass Pipes als harter Brocken galt. Der Reservist<br />

stand auf. »Legen wir los, Admiral.«<br />

62


Pipes wählte eine dreistellige Nummer, seine Direktleitung zu<br />

CINCLANT. »Bill? Hier Dick. Ich hab hier einen Jungen <strong>im</strong> Büro,<br />

den Sie sich mal anhören sollten. Es geht um das, was wir letzten<br />

Donnerstag besprochen haben.« Eine kurze Pause. »Genau, finde<br />

ich auch... Ave, aye, Sir, bin schon unterwegs.« Pipes legte auf.<br />

»McCafferty, ich bin dankbar, dass Sie diesen Mann mitgebracht<br />

haben. Ihren Bericht gehen wir heute Nachmittag um 15 Uhr 30<br />

durch. Toland, Sie kommen mit.«<br />

Eine Stunde später wurde Lieutenant Commander Robert<br />

M. Toland beschieden, er sei auf Anweisung des Verteidigungsministers<br />

zum verlängerten aktiven Dienst best<strong>im</strong>mt worden. In Wirklichkeit<br />

kam der Befehl von CINCLANT, aber die Formulare konnten<br />

erst in einer Woche korrekt ausgefüllt werden.<br />

An diesem Tag lud der CINCLANT seine Gattungsbefehlshaber<br />

- Drei-Sterne-Admirale, die Flugzeuge, Schiffe, U-Boote und Versorgungsschiffe<br />

kommandierten - zum Mittagessen ins Gebäude I<br />

des Komplexes ein. Die Unterhaltung war gedämpft und verstummte<br />

ganz, als die Stewards den nächsten Gang servierten. Alle<br />

waren über fünfzig, erfahrene, ernsthafte Männer, die Pläne für<br />

einen Fall, von dem sie hofften, dass er nie eintreten würde, ausarbeiteten<br />

und ausführten. Diese Hoffnung bestand weiter, doch<br />

be<strong>im</strong> Kaffee wurde beschlossen, die Flottenübungen zu intensivieren<br />

und eine Reihe von unangemeldeten Inspektionen durchzuführen.<br />

CINCLANT ließ sich für den nächsten Morgen einen Termin<br />

be<strong>im</strong> Chef der Marineoperationen geben, und sein Nachrichtendienstchef<br />

bestieg eine Zivilmaschine nach Hawaii, um sich mit<br />

seinem für den Pazifik zuständigen Kollegen zu treffen.<br />

Toland wurde von seinem Posten abgelöst und zu »Intentionen«<br />

versetzt, dem nachrichtendienstlichen Beraterstab von CIN­<br />

CLANT.<br />

63


Norfolk, Virginia<br />

6<br />

Die Beobachter<br />

»Intentionen« war ein kleines Büro <strong>im</strong> zweiten Stock, in dem<br />

normalerweise vier Offiziere arbeiteten. Es war also nicht einfach,<br />

Toland zusätzlich unterzubringen, insbesondere, da alle Gehe<strong>im</strong>dokumente<br />

abgedeckt werden mussten, während die Möbelpacker<br />

den Schreibtisch aufstellten. Als sie endlich fort waren, stellte Bob<br />

fest, dass er gerade genug Platz hatte, um sich auf seinen Drehsessel<br />

zu zwängen. Die Bürotür war mit einem elektronischen Kombinationsschloß<br />

gesichert, das über fünf in eine Metallplatte eingelassene<br />

Kippschalter bedient wurde. Durch die vergitterten Fenster des<br />

Raumes in der Nordwestecke des CINCLANT-Gebäudes sah man<br />

eine Landstraße und sonst kaum etwas. Die tristen Vorhänge blieben<br />

zugezogen, und die verschossene Wandfarbe erinnerte an eine<br />

Gelbfieberstation.<br />

Der ranghöchste Offizier war ein Colonel der Marineinfanterie,<br />

der den Einzug mit stummer Missbilligung verfolgt hatte, die Bob<br />

erst verstand, als der Mann sich erhob.<br />

»Weiß der Teufel, wie ich jetzt aufs Klo komme«, murrte der<br />

Colonel, der Chuck Löwe hieß, und manövrierte sein Gipsbein<br />

hinter dem Schreibtisch hervor. Sie gaben sich die Hände.<br />

»Was haben Sie mit dem Bein angestellt, Colonel?«<br />

»War auf der Gebirgsjägerschule in Kalifornien, lief in der Freizeit<br />

Ski und fiel auf die Nase. Die Ärzte meinen, es sei dumm, sich<br />

den Oberschenkelknochen so knapp überm Knie zu brechen«,<br />

erklärte Löwe mit einem ironischen Lächeln. »Da hab ich mich<br />

jahrelang abgerackert, um aus dem Nachrichtendienst rauszukommen,<br />

und ausgerechnet jetzt, wo ich mein eigenes Reg<strong>im</strong>ent bekommen<br />

habe, muss so etwas passieren. Willkommen an Bord, Toland.<br />

Besorgen Sie uns doch mal Kaffee.«<br />

Auf einem Aktenschrank stand eine Kanne. Die drei anderen<br />

Offiziere, erklärte Löwe, hielten Vortrag.<br />

64


»Ich habe Ihren Bericht an CINCLANT gesehen. Hochinteressant.<br />

Was hat der Iwan Ihrer Meinung nach vor?«<br />

»Sieht so aus, als erhöhe er rundum seinen Bereitschaftsgrad,<br />

Colonel.«<br />

»Hier können Sie ruhig Chuck zu mir sagen.«<br />

»Fein, ich heiße Bob.«<br />

»Sie beschäftigen sich bei der NSA mit Fernmeldeaufklärung,<br />

nicht wahr? Und sind Satellitenspezialist, wie ich höre.«<br />

Toland nickte. »Für russische und amerikanische Satelliten, aber<br />

vorwiegend für unsere. Hin und wieder sehe ich mir Fotos an,<br />

kümmere mich aber hauptsächlich um den Fernmeldeverkehr. Dabei<br />

fing ich übrigens die Geschichte mit den vier Obersten auf. Es<br />

wird auch mehr geübt als sonst um diese Jahreszeit. Iwans Panzer<br />

scheinen freier herumkurven zu können, und es stört ihn offenbar<br />

auch nicht, wenn ein Bataillon ein gepflügtes Feld platt walzt.«<br />

»Und Sie sollen auf alles achten, was sich ungewöhnlich ausn<strong>im</strong>mt,<br />

ganz gleich, wie lächerlich es auch scheinen mag, st<strong>im</strong>mt's?<br />

Dann sehen Sie sich mal diese Bilder an, die wir von DIA bekommen<br />

haben.« Löwe zog zwei Fotos <strong>im</strong> Format 20 X 25 aus einem braunen<br />

Umschlag und reichte sie Toland. Sie zeigten das gleiche Stück<br />

Land, aber zu verschiedenen Jahreszeiten und aus verschiedenen<br />

Winkeln aufgenommen. Toland schaute auf.<br />

»Eine Kolchose?«<br />

»Ja. Nummer 1196, rund zweihundert Kilometer nordwestlich<br />

von Moskau. Sehen Sie den Unterschied?«<br />

Toland schaute sich die Bilder noch einmal an. Auf einem sah er<br />

eingezäunte Gärten, auf dem anderen einen neuen Zaun, der das<br />

eingefriedete Gebiet fast verdoppelte.<br />

»Die Bilder hat mir ein ehemaliger Kollege, ein Colonel von der<br />

Army, geschickt, weil er dachte, ich könnte sie interessant finden.<br />

Ich bin nämlich auf einer Maisfarm in Iowa aufgewachsen.«<br />

»Iwan gibt also mehr Land für die private Bestellung frei. Seltsam,<br />

davon habe ich nichts gehört.«<br />

Löwe schüttelte den Kopf. »Eben, und das finde ich sonderbar.<br />

So etwas sollten sie doch bekannt geben. Für die Presse wäre das ein<br />

weiterer Hinweis auf die >Liberalisierung


Gewöhnlich benutzen wir unsere Aufklärungssatelliten ja nicht für<br />

so etwas, aber die Aufnahmen sind wohl an einem Tag entstanden,<br />

an dem die wichtigen Objekte unter einer Wolkendecke lagen."<br />

»Kommt ein bisschen spät, oder? Können die Bauern mit dem<br />

Land um diese Jahreszeit noch etwas anfangen?<br />

»Ich bekam die Bilder vor zwei Tagen, aber sie wurden wohl<br />

schon vor längerem aufgenommen - zur Saatzeit. Gehen wir davon<br />

aus, dass wir es hier mit einem landesweiten Programm zu tun<br />

haben. Bitte evaluieren Sie das, Bob.« Die Augen des Colonel<br />

wurden schmal.<br />

»Zweifellos ein geschickter Schachzug, der einen Teil ihrer Versorgungsprobleme<br />

löst, besonders, was Gemüse betrifft.«<br />

»Mag sein. Berücksichtigen Sie, dass Gemüseanbau arbeitsintensiv<br />

ist und nur geringen Maschineneinsatz erfordert. Was halten Sie<br />

vom demographischen Aspekt des Programms?«<br />

Toland blinzelte. In der US Navy neigte man dazu, die Marines<br />

für dumm zu halten, weil sie sich ihren Lebensunterhalt mit Sturmangriffen<br />

gegen MG-Feuer verdienten. »Die meisten Kolchosebauern<br />

sind relativ alt, <strong>im</strong> Durchschnitt Ende vierzig, Anfang fünfzig.<br />

Es sind diese Leute, die das Privatland bestellen, während die<br />

Jüngeren Traktoren und Mähdrescher fahren. Wollen Sie damit<br />

sagen, dass die Russen auf diese Weise ihre Lebensmittelerzeugung<br />

steigern - ohne die jungen Männer <strong>im</strong> Wehrdienstalter?«<br />

»So könnte man es sehen«, sagte Löwe. »Politisch gesehen ist das<br />

Dynamit. Der private Sektor, der einzige produktive der ganzen<br />

sowjetischen Landwirtschaft, wurde bislang aus ideologischen<br />

Gründen klein gehalten, weil man keine neue Generation von Kulaken<br />

heranziehen wollte. Nun erweitert man ihn auf einmal, ohne<br />

die Tatsache bekannt zugeben. Und gleichzeitig erhöht man den<br />

Bereitschaftsgrad der Streitkräfte. Toland, ich glaube nicht an Zufälle,<br />

auch wenn ich nur ein dummer Feldoffizier bin, dessen Aufgabe<br />

es ist, Strande zu stürmen.«<br />

Lowes Uniformjacke hing in der Ecke. Toland trank einen<br />

Schluck Kaffee und sah sich die Ordensspangen an. Drei Auszeichnungen<br />

in Vietnam, dazu das Navy Cross. Löwe, ein zierlich gebauter<br />

Mann, wirkte in dem olivgrünen Pullover, wie ihn die Offiziere<br />

der Marineinfanterie trugen, entspannt und fast gelangweilt, aber<br />

seine braunen Augen drückten etwas ganz anderes aus. Colonel<br />

Löwe war Tolands Gedankengängen gefolgt.<br />

66


»Chuck, wenn sie sich wirklich gefechtsbereit machen, ist es mit<br />

einem Exempel an vier Obersten nicht getan. Man wird auch am<br />

unteren Ende der Rangleiter etwas unternehmen müssen.«<br />

»Jawohl, und darauf müssen wir nun achten. Ich habe über DIA<br />

veranlasst, dass uns ab sofort nach Erscheinen des Roten Stern über<br />

Satellit ein Fotofaks<strong>im</strong>ile zugeht. Wenn sich etwas tut, taucht es<br />

best<strong>im</strong>mt in Krasnaja Swesda auf.«<br />

Toland trank seinen Kaffee aus. Die Sowjets hatten eine ganze<br />

Klasse von Raketen-U-Booten außer Dienst gestellt und führten in<br />

Wien Abrüstungsverhandlungen. Sie kauften in Amerika und Kanada<br />

Weizen zu erstaunlich günstigen Bedingungen und ließen<br />

sogar zwanzig Prozent des Getreides von amerikanischen Frachtern<br />

transportieren. Wie passte das zu den Signalen, die er gesehen hatte?<br />

Wenn man es logisch betrachtete, passte nichts, es sei denn, es läge<br />

ein spezifischer Fall vor - und der war ausgeschlossen. Oder?<br />

Schpola, Ukraine<br />

Das Donnern der 125-mm-Panzerkanone kann einem die Haare<br />

vom Kopf fetzen, dachte Alexejew, aber nach fünf Stunden dieser<br />

Übung drang es nur noch als dumpfes Dröhnen durch seine Ohrschützer.<br />

Am Morgen war der Boden noch Grasbewachsen und mit<br />

jungen Bäumen bestanden gewesen; inzwischen hatte er sich in eine<br />

einförmige Schlammwüste verwandelt, nur markiert von den Kettenspuren<br />

der Kampfpanzer T-8o und der BMP-Schützenpanzer.<br />

Dre<strong>im</strong>al hatte das Reg<strong>im</strong>ent die Übung durchgeführt, einen Frontalangriff<br />

mit Panzern und aufgesessener Infanterie gegen einen<br />

gleich starken Feind s<strong>im</strong>uliert. Neunzig Geschütze auf Selbstfahrlafetten<br />

und Raketenwerfer hatten Feuerunterstützung geboten.<br />

Dre<strong>im</strong>al.<br />

Alexejew drehte sich um, nahm Helm und Ohrenschützer ab und<br />

schaute den Reg<strong>im</strong>entskommandeur an. »Soll das ein Gardereg<strong>im</strong>ent<br />

sein, Genosse Oberst? Eine Eliteeinheit der Roten Armee?<br />

Diese Milchbärte könnten ja noch nicht mal einen türkischen Puff<br />

bewachen, geschweige denn was Vernünftiges drin anstellen. Und<br />

Sie kommandieren diesen rollenden Zirkus jetzt seit vier Jahren.<br />

Was haben Sie in dieser Zeit eigentlich getrieben, Genosse Oberst?<br />

Sie haben gelernt, Ihre Einheit total zu verheizen, dre<strong>im</strong>al! Ihre<br />

67


Artilleriebeobachter sind nicht richtig postiert. Ihre Kampf- und<br />

Schützenpanzer gehen <strong>im</strong>mer noch nicht koordiniert vor, und Ihre<br />

Panzerschützen bringen es nicht fertig, ein drei Meter hohes Ziel zu<br />

treffen! Wenn ein Nato-Verband diese Anhöhe gehalten hätte,<br />

wären Sie und Ihre Einheit jetzt tot!« Alexejew musterte das Gesicht<br />

des Obersten. Bisher rot vor Angst, war es jetzt weiß vor Zorn<br />

geworden. Gut. »Der Verlust dieser Leute ist für den Staat kein<br />

schwerer Schlag, aber Sie vergeuden wertvolles Gerät, wertvollen<br />

Treibstoff, wertvolle Munition und vor allem meine wertvolle Zeit!<br />

Genosse Oberst, ich verlasse Sie jetzt. Wenn ich zurückkomme,<br />

führen wir diese Übung noch einmal durch. Wenn Ihre Männer<br />

dann nichts Ordentliches leisten, können Sie für den Rest Ihres<br />

Lebens Bäume zählen!«<br />

Alexejew stampfte weg und erwiderte den Gruß des Obersten<br />

nicht. Sein Adjutant, ein Oberst der Panzertruppe, hielt die Wagentür<br />

auf und stieg hinter seinem Vorgesetzten ein.<br />

»Der Verein macht sich ganz ordentlich, nicht wahr?« fragte<br />

Alexejew.<br />

»Er ist noch nicht gut genug, hat aber Fortschritte gemacht«,<br />

gestand der Adjutant zu. »Es sind nur noch sechs Wochen Zeit,<br />

dann muss die Einheit nach Westen.«<br />

Das war eine unglückliche Bemerkung. Alexejew hatte diese<br />

Division zwei Wochen lang auf Gefechtsbereitschaft getr<strong>im</strong>mt, nur<br />

um vorgestern erfahren zu müssen, dass sie dem OB West für die<br />

deutsche Front zugeteilt worden war und nicht in seinen bislang<br />

unvollständigen Plan für den Vorstoß gegen Iran und Irak einbezogen<br />

werden konnte. Man hatte ihm bereits seine vier Elite-Panzerdivisionen<br />

abgenommen, und jede Änderung in der Schlachtordnung<br />

Südwest erzwang eine Umstrukturierung seines Plans für die Eroberung<br />

des Persischen Golfs.<br />

»In diesen sechs Wochen werden die Männer allerhand zu tun<br />

haben«, merkte der Oberst an. »Was halten Sie vom Kommandeur?«<br />

Alexejew zuckte die Achseln. »Er ist mit fünfundvierzig zu alt<br />

und schon zu lange auf seinem Posten, ansonsten aber ein guter<br />

Mann. Zu gut zum Bäume zählen.« Alexejew lachte. Der Ausdruck<br />

stammte aus der Zarenzeit und bedeutete, dass nach Sibirien Verbannte<br />

nichts zu tun hatten, als Bäume zu zählen. Das hatte sich<br />

unter Lenin geändert: Die Menschen <strong>im</strong> Gulag konnten über Man­<br />

68


gel an Beschäftigung nicht klagen. »Bei den letzten beiden Versuchen<br />

hätten sie Erfolg haben können, glaube ich. Dieses Reg<strong>im</strong>ent<br />

wird bereit sein, zusammen mit dem Rest der Division.«<br />

USS Pharris<br />

»Sonar an Brücke: Kontakt Richtung null neun vier!« schallte eine<br />

St<strong>im</strong>me aus dem Lautsprecher am Schott. Commander Morris<br />

schwang seinen erhöht montierten Drehsessel herum, um die Reaktion<br />

des wachhabenden Offiziers zu beobachten.<br />

Der Wachhabende schaute durchs Fernglas in die angegebene<br />

Richtung. »Nichts zu sehen.«<br />

Morris erhob sich. »Zustand 1-AS einleiten.«<br />

»Ave, aye. Gefechtsstationen«, bestätigte der Wachhabende, ein<br />

Bootsmannsmaat trat an die Sprechanlage und blies auf seiner<br />

Bootsmannspfeife drei Töne ins Mikrophon. »Alarm, Alarm, alle<br />

Mann auf Gefechtsstation zur U-Boot-Jagd.« Als nächstes ertönte<br />

das Alarmsignal, und eine ruhige Vormittagswache fand ein Ende.<br />

Morris ging nach achtern und rutschte eine Leiter hinunter in die<br />

Gefechtszentrale CIC. Sein Erster Offizier übernahm nun die<br />

Brücke und gab dem Kommandanten Gelegenheit, vom taktischen<br />

Nervenzentrum des Schiffes aus die Waffen und Sensoren zu überwachen.<br />

Überall auf der Fregatte rannten Männer auf ihre Stationen.<br />

Wasserdichte Türen und Luken wurden geschlossen und<br />

verschraubt. Löschtrupps legten ihre Ausrüstung an. Das Ganze<br />

dauerte nur vier Minuten. Wird <strong>im</strong>mer besser, dachte Morris, als<br />

der Sprecher <strong>im</strong> CIC die Meldungen »bemannt und klar« an ihn<br />

weitergab. Seit Pharris vor vier Tagen aus Norfolk ausgelaufen<br />

war, hatte es wie befohlen durchschnittlich dre<strong>im</strong>al am Tag Alarm<br />

gegeben. Morris vermutete, dass sein Freund Toland ein Wespennest<br />

angestochen hatte. Das Übungsprogramm war praktisch verdoppelt<br />

worden, die entsprechende Anweisung war streng gehe<strong>im</strong>.<br />

Und erstaunlicher noch, das schärfere Übungstempo musste die<br />

Wartungspläne in Mitleidenschaft ziehen, eine Tatsache, die man<br />

nicht auf die leichte Schulter nehmen durfte.<br />

»Alle Stationen bemannt und bereit!« verkündete der Sprecher<br />

schließlich. »Auf dem ganzen Schiff herrscht Zustand Zebra.«<br />

»Gut«, bestätigte der taktische Gefechtsoffizier TAO.<br />

69


«Bitte Meldung«, befahl Morris.<br />

»Sir, Navigations- und Luftabwehrradar sind in Bereitschaft,<br />

Sonar <strong>im</strong> Passivmodus«, erwiderte der TAO. »Scheint sich um ein<br />

schnorchelndes U-Boot zu handeln. Kontakt kam ohne Warnung<br />

auf die Schirme. Zielbewegungsanalyse in Ausarbeitung. Der Kontakt<br />

hat rasch die Fahrtrichtung geändert und scheint sich von uns<br />

zu entfernen. Entfernung zehn Meilen.«<br />

»Ist die Kontaktmeldung schon nach Norfolk abgegangen?«<br />

»Wir warten auf Ihre Anweisung, Sir.«<br />

»Gut. Mal sehen, ob wir den Burschen festnageln können.«<br />

Binnen fünfzehn Minuten warf der Hubschrauber der Pharris<br />

Sonarbojen über dem U-Boot ab, und die Fregatte peilte es mit<br />

ihrem starken aktiven Sonar an. Diese Maßnahmen würden erst<br />

eingestellt werden, wenn sich das sowjetische U-Boot geschlagen<br />

gab und auf Schnorcheltiefe zurückkehrte - oder der Fregatte entkam,<br />

was Morris einen dicken Minuspunkt eintragen würde.<br />

Zweck der Übung war, dem Kommandanten des U-Bootes das<br />

Vertrauen in sein Boot, seine Mannschaft und sich selbst zu rauben.<br />

USS Chicago<br />

Sie liefen tausend Meilen vor der Küste mit fünfundzwanzig Knoten<br />

auf Nordostkurs. Die Mannschaft war unzufrieden, weil eine dreiwöchige<br />

Fahrtunterbrechung in Norfolk schon nach acht Tagen ein<br />

Ende gefunden hatte, nach einer langen Fahrt eine bittere Pille.<br />

Urlaube und Reisen mussten abgebrochen werden, und kleinere<br />

Wartungsarbeiten, die eigentlich Techniker vom Land hätten erledigen<br />

sollen, wurden nun rund um die Uhr von der Mannschaft<br />

ausgeführt. Zwei Stunden nach dem Tauchen hatte McCafferty der<br />

Mannschaft seinen versiegelten Einsatzbefehl verlesen: Zwei Wochen<br />

lang intensive Zielauffassungs- und Torpedoübungen, dann<br />

weiter in die Barentssee zur Aufklärung. Das sei hochwichtig, sagte<br />

er den Männern. Aber das hörten die nicht zum ersten Mal.<br />

70


Norfolk, Virginia<br />

7<br />

Erste Observationen<br />

Toland hoffte, dass seine Uniform richtig saß. Es war halb sieben an<br />

einem Mittwochmorgen, und er hatte seit vier seinen Vortrag geprobt<br />

und den CINCLANT verflucht, der vermutlich nur deshalb<br />

so früh aufstand, um am Nachmittag eine Runde Golf einschieben<br />

zu können.<br />

Den Lageraum der Flaggoffiziere schienen Welten vom Rest des<br />

geschmacklosen Baus zu trennen, aber das konnte kaum überraschen:<br />

Admiräle wissen ihren Komfort zu schätzen. Die Offiziere<br />

nahmen je nach Rang auf Ledersesseln Platz. Vor ihnen lagen<br />

Notizblocks. Stewards brachten mehrere Kannen Kaffee auf Silbertabletts<br />

herein und zogen sich dann zurück. Der CINCLANT<br />

nickte Toland zu.<br />

»Guten Morgen, Gentlemen. Vor ungefähr vier Monaten wurden<br />

vier Oberste der sowjetischen Armee, allesamt Reg<strong>im</strong>entskommandeure<br />

in mechanisierten Divisionen, wegen Verfälschung von<br />

Bereitschaftsmeldungen vors Kriegsgericht gestellt und hingerichtet.<br />

Anfang dieser Woche meldete der Rote Stern, das Organ der<br />

sowjetischen Streitkräfte, die Exekution einer Reihe von Soldaten<br />

der Armee. Alle bis auf zwei waren in den letzten sechs Monaten<br />

ihrer Dienstzeit, allen wurde Missachtung der Befehle ihrer Feldwebel<br />

vorgeworfen. Warum ist das von Bedeutung?«<br />

Toland legte eine kurze Pause ein.<br />

»Die russische Armee ist für ihre harte Disziplin bekannt, doch<br />

auch hier, wie sooft in der Sowjetunion, ist nicht alles so, wie es sich<br />

ausn<strong>im</strong>mt. Anders als in den meisten Armeen ist dort ein Feldwebel<br />

kein Berufssoldat, sondern ein Wehrpflichtiger, der schon zu Beginn<br />

seiner Dienstzeit wegen Intelligenz, politischer Zuverlässigkeit<br />

oder vermuteter Führerqualitäten für eine Sonderausbildung ausgewählt<br />

wurde. Er absolviert einen harten, sechs Monate langen<br />

Kurs, wird dann auf der Stelle zum Feldwebel ernannt und zu seiner<br />

71


Einheit zurückgeschickt. Seine praktische Erfahrung ist so gering<br />

wie die seiner Untergebenen, und seine besseren Kenntnisse auf den<br />

Gebieten Taktik und Waffeneinsatz spiegeln sich lediglich <strong>im</strong> Sold<br />

wider. In westlichen Armeen ist der Ausbildungsunterschied zwischen<br />

Feldwebeln und neuen Rekruten sehr viel größer. In Russland<br />

werden Soldaten zwe<strong>im</strong>al <strong>im</strong> Jahr eingezogen, <strong>im</strong> Januar und <strong>im</strong><br />

Juni. Angesichts der üblichen zweijährigen Dienstzeit haben wir es<br />

also in jeder Einheit mit vier 'Klassen' zu tun: Die niedrigste ist <strong>im</strong><br />

ersten Halbjahr, die höchste <strong>im</strong> vierten. Die jungen Soldaten der<br />

letzten Klasse verlangen und bekommen auch meist das Beste ­<br />

Verpflegung, Uniform, Dienst. Und sie setzen sich über die Autorität<br />

der Unteroffiziere der Kompanie hinweg. Befehle kommen direkt<br />

von den Offizieren, nicht von den Zugführern, und werden<br />

gewöhnlich unter weitgehender Missachtung dessen, was bei uns als<br />

militärische Disziplin auf Unteroffiziersebene gilt, ausgeführt. Wie<br />

Sie sich vorstellen können, ist dies eine gewaltige Belastung für die<br />

Unteroffiziere und zwingt die Offiziere, mit unerträglichen Zuständen<br />

zu leben.«<br />

»Bei der sowjetischen Marine ist das aber anders«, merkte der<br />

Befehlshaber der Kampfverbände Atlantik an.<br />

»Gewiss, Sir. Wie wir wissen, dienen die Seeleute drei, nicht zwei<br />

Jahre, und ihre Lage unterscheidet sich von der ihrer Kameraden <strong>im</strong><br />

sowjetischen Heer. Doch auch dort haben diese Verhältnisse jetzt<br />

ein Ende: Es wird nämlich energisch durchgegriffen.«<br />

»Und wie viele Soldaten wurden erschossen?« fragte der General<br />

der 2. Marineinfanteriedivision.<br />

»Elf, Sir, mit Namen und Einheit aufgeführt. Sie finden die<br />

Aufstellung in Ihren Unterlagen. Die meisten waren in der >vierten<br />

Klasse


Wind weht. Die Frage ist nur: warum? Und es hat den Anschein, als<br />

sei dies kein isolierter Fall.«<br />

Toland schaltete einen Arbeitsprojektor ein und ließ eine graphische<br />

Darstellung erscheinen. »Bei der sowjetischen Marine ist eine<br />

Zunahme der Übungen mit scharfen Schiff-Schiff-Raketen um siebzig<br />

Prozent zu verzeichnen. Der Einsatz von Diesel-U-Booten ist<br />

reduziert, und laut Gehe<strong>im</strong>dienstmeldungen liegt eine ungewöhnlich<br />

große Zahl von Booten wegen routine-, aber außerplanmäßiger<br />

Wartungsarbeiten in den Werften. Wir haben Grund zu der Annahme,<br />

dass dies <strong>im</strong> Zusammenhang mit einer landesweiten Batterieknappheit<br />

steht. Offenbar werden in allen sowjetischen Unterseebooten<br />

die Batterien ausgetauscht, und aus diesem Grund wurde<br />

die Batterieproduktion von zivil auf militärisch umgestellt.<br />

Es ist zudem erhöhte Aktivität bei sowjetischen Überwasserverbänden,<br />

Marinefliegern und Langstreckenbombern festgestellt<br />

worden, zusammen mit intensivierten Waffenübungen. Zudem<br />

scheinen sowjetische Überwasser-Kampfschiffe länger auf See zu<br />

bleiben und realistische Gefechtsübungen durchzuführen. Dies hat<br />

man zwar schon zuvor getan, aber niemals unangekündigt.<br />

Zusammen mit dem, was wir bei Armee und Luftwaffe beobachten<br />

konnten, hat es den Anschein, als würde die Kampfbereitschaft<br />

durch die Bank erhöht. Zum einen schlägt die Sowjetunion eine<br />

Reduzierung der strategischen Kernwaffen vor, zum anderen<br />

n<strong>im</strong>mt die Gefechtsbereitschaft ihrer konventionellen Kräfte rapide<br />

zu. Wir halten diese Kombination von Faktoren für potentiell<br />

gefährlich.«<br />

»Kommt mir ziemlich nebulös vor«, meinte ein Admiral, ohne<br />

die Pfeife aus dem Mund zu nehmen. »Wie sollen wir jemanden<br />

davon überzeugen, dass an der Sache etwas dran ist?«<br />

»Gute Frage, Sir. Isoliert betrachtet ist jeder dieser Indikatoren<br />

harmlos und logisch, doch was uns Sorgen macht, ist die Tatsache,<br />

dass sich alles zur selben Zeit abspielt. Insbesondere weckt die Sache<br />

mit den Batterien unser Interesse. Wir erleben den Beginn einer<br />

Entwicklung, die zu einer schweren Störung der sowjetischen Wirtschaft<br />

führen kann. Die Batteriefabrik arbeitet zwar in drei Schichten,<br />

auf privatem Sektor sind Batterien aber trotzdem knapp. Das<br />

Gesamtbild gefällt mir nicht.«<br />

»Mir auch nicht. Was unternehmen Sie sonst?« fragte der CIN­<br />

CLANT.<br />

73


»Wir haben den OB der alliierten Streitkräfte in Europa SA­<br />

CEUR gebeten, uns über etwaige ungewöhnliche Aktivitäten der<br />

sowjetischen Armeegruppe in Deutschland zu informieren. Die<br />

Norweger überwachen die Barentssee intensiver. Wir bekommen<br />

mehr Zugang zu Satellitenfotos von Häfen und Marinestützpunkten.<br />

DIA ist über unsere Daten informiert und stellt selbst Ermittlungen<br />

an. Es tauchen langsam weitere Einzelheiten auf.«<br />

»Wann beginnt das Frühlingsmanöver des Warschauer Pakts?«<br />

fragte CINCLANT.<br />

»Die diesjährige Übung, die übrigens »Fortschritt« heißt, beginnt<br />

in drei Wochen. Es besteht die Aussicht, dass die Sowjets <strong>im</strong> Zuge<br />

der Entspannung Nato-Beobachter und die westliche Presse einladen<br />

werden.«<br />

»Auf einmal tun die Russen Dinge, um die wir sie schon <strong>im</strong>mer<br />

gebeten haben. Das finde ich beängstigend«, meinte der OB der<br />

Überwasserflotte Atlantik.<br />

»Versuchen Sie mal, das den Medien zu verkaufen«, schlug der<br />

Befehlshaber der Marineflieger Atlantik vor.<br />

»Vorschläge?« fragte der CINCLANT.<br />

»Unser Übungsprogramm ist bereits ziemlich intensiv, aber es<br />

könnte nicht schaden, noch einen Zahn zuzulegen«, antwortete der<br />

für Operationen zuständige Offizier.<br />

»Toland, Sie haben einen hässlichen Verdacht geschöpft«, sagte<br />

der CINCLANT. »Fein, dafür werden Sie bezahlt. Guter Vortrag.«<br />

Bob verstand den Wink und verabschiedete sich. Die Admiräle<br />

blieben zurück, um sich weiter über die Lage zu beraten.<br />

»Nun, wie ist's gelaufen?« fragte Chuck Lowe, als Toland zurück<br />

in sein Büro kam.<br />

Toland zog die Jacke aus und tat so, als wollte er zusammensakken.<br />

»Nicht übel. Jedenfalls hat mir keiner den Kopf abgerissen.«<br />

»Ich habe vorhin nichts gesagt, um Ihnen keine Sorgen zu machen,<br />

aber der CINCLANT isst zum Frühstück am liebsten gebratenen<br />

Commander mit gehacktem Lieutenant.«<br />

»Kein Wunder. Schließlich ist er Admiral. Das war nicht mein<br />

erster Vortrag, Chuck.« Toland wusste, dass die Marines alle Seeleute<br />

für Schlappschwänze hielten. Lowe brauchte in diesem Glauben<br />

nicht auch noch bestärkt zu werden.<br />

»Irgendwelche Entscheidungen?«<br />

74


»Der CINCLANT sagte etwas von einem intensivierten Übungsprogramm<br />

und schickte mich dann hinaus.«<br />

»Gut. Später bekommen wir einen Schwung Satellitenfotos herein.<br />

CIA in Langley und DIA in Arlington stellen Fragen. Noch<br />

nichts Definitives, aber es hat den Anschein, als wären sie auf ein<br />

paar relevante Daten gestoßen. Wenn sich herausstellt, dass Sie<br />

recht haben - na ja, Sie wissen ja, wie das funktioniert.«<br />

»Sicher. Die Lorbeeren wird jemand in Washington ernten, aber<br />

das ist mir scheißegal, Chuck. Hoffentlich habe ich mich geirrt! Ich<br />

will nichts wie he<strong>im</strong> und in meinen Garten.«<br />

»Na, ich habe wenigstens eine gute Nachricht für Sie. Man hat<br />

unseren Fernseher an einen Satellitenempfänger angeschlossen, damit<br />

wir uns die russischen Abendnachrichten ansehen können.<br />

Dabei erfahren wir zwar keine harten Fakten, bekommen aber<br />

Aufschluss über die St<strong>im</strong>mung. Ich habe vorhin einmal den Empfang<br />

geprüft und festgestellt, dass der Iwan ein Eisenstein-Festival<br />

laufen hat. Heute Abend gibt's Panzerkreuzer Potemkin, und die<br />

Serie endet am 30. Mai mit Alexander Newski.«<br />

»So? Newski hab ich auf Video.«<br />

»Die Russen haben die Kopie bei EMI in London <strong>im</strong> Digitalverfahren<br />

restaurieren und Prokofjews Filmmusik <strong>im</strong> Dolby-System<br />

neu aufnehmen lassen.«<br />

»Fein, das schneiden wir mit«, meinte Toland.<br />

Lowe reichte ihm eine zwanzig Zent<strong>im</strong>eter dicke Akte. Zeit,<br />

wieder an die Arbeit zu gehen.<br />

Kiew, Ukraine<br />

»Es sieht günstiger aus, Genosse«, meldete Alexejew. »Die Disziplin<br />

<strong>im</strong> Offizierkorps hat sich unglaublich gebessert. Die Übung des<br />

261. Gardereg<strong>im</strong>ents verlief heute früh recht ordentlich.«<br />

»Und das 173. Gardereg<strong>im</strong>ent?« fragte der OB Südwest.<br />

»Muss sich noch anstrengen, sollte aber rechtzeitig bereit sein«,<br />

sagte Alexejew zuversichtlich. »Endlich benehmen sich die Offiziere<br />

wie Offiziere. Nun müssen wir die Gemeinen dazu bringen,<br />

sich wie Soldaten zu verhalten. Wenn »Fortschritt« beginnt, werden<br />

wir sehen, wie es klappt. Unsere Offiziere müssen von der Lehrbuch-<br />

Choreographie abkommen und reale Gefechts-Szenen durch­<br />

75


spielen. >Fortschritt< gibt uns Gelegenheit, solche Führer zu identifizieren,<br />

die sich realen Gefechtsbedingungen nicht anpassen können,<br />

und sie durch jüngere, fähigere Männer zu ersetzen.« Er nahm<br />

vor dem Schreibtisch seines Vorgesetzten Platz. Alexejew rechnete<br />

sich aus, dass er mit seinem Schlafpensum einen Monat <strong>im</strong> Rückstand<br />

war.<br />

»Sie sehen erschöpft aus, Pascha«, bemerkte der OB Südwest.<br />

»Kein Problem.« Alexejew lachte in sich hinein. »Aber noch ein<br />

Trip mit dem Hubschrauber, und mir wachsen Flügel.«<br />

»Pascha, Sie gehen jetzt he<strong>im</strong> und kommen erst in vierundzwanzig<br />

Stunden wieder.«<br />

»Ich . . .«<br />

»Ein Pferd wäre schon längst zusammengebrochen«, unterbrach<br />

der General. »Ich befehle Ihnen hiermit vierundzwanzig Stunden<br />

Ruhe. Morgen um sechzehn Uhr gehen wir unseren Plan für den<br />

Persischen Golf durch.«<br />

Alexejew stand auf. Sein Chef war ein grantiger alter Bär, der<br />

keine Widerrede duldete. »Jawohl. Die Akten sollen beweisen, dass<br />

ich alle Befehle meines Vorgesetzten befolge.« Beide lachten. Beide<br />

hatten die Spannungsentladung nötig.<br />

Alexejew verließ das Büro und ging hinunter zu seinem Dienstwagen.<br />

Als sie kurz darauf vor seinem Wohnblock anhielten, musste<br />

der Fahrer seinen General wecken.<br />

USS Chicago<br />

»Anpirschen!« befahl McCafferty.<br />

Vor zwei Stunden hatte Chicagos Sonar über eine Distanz von<br />

vierundvierzig Meilen hinweg ein Überwasserschiff geortet, das sie<br />

nun <strong>im</strong>mer noch verfolgten. Auf Anweisung des Kommandanten<br />

hatte Sonar dem Feuerleittrupp nicht verraten, worum es sich bei<br />

dem Objekt handelte. Im Augenblick galt jeder Oberflächenkontakt<br />

als feindliches Kriegsschiff.<br />

»Entfernung dreitausendfünfhundert Meter«, meldete der Erste<br />

Offizier. »Richtung eins-vier-zwo, Geschwindigkeit achtzehn Knoten,<br />

Kurs zwei-sechs-eins.«<br />

»Periskop ausfahren!« Das Angriffs-Sehrohr glitt auf der Steuerbordseite<br />

des Sockels aus seiner Versenkung. Ein Steuermannsmaat<br />

76


trat hinter das Instrument, klappte die Handgriffe herunter und<br />

richtete es aus. Der Kapitän nahm den Bug des Ziels ins Fadenkreuz.<br />

»Ziel - markieren!«<br />

Der Steuermannsmaat drückte den Knopf an der »Gurke« und<br />

übertrug so die Richtung an den Feuerleitcomputer MK-117.<br />

»Zwanzig Grad Steuerbord voraus.«<br />

Der Feuerleittechniker gab die Daten in den Computer ein. Die<br />

Mikrochips berechneten augenblicklich Entfernungen und Winkel.<br />

»Gleichung eingestellt. Rohre drei und vier klarmachen.«<br />

»Gut.« McCafferty trat vom Periskop zurück und warf dem<br />

Ersten einen Blick zu. »Wollen Sie mal sehen, was wir versenkt<br />

haben?«<br />

»Donnerwetter!« Der Erste Offizier lachte.<br />

McCafferty griff zum Mikrophon der Bordsprechanlage. »Hier<br />

spricht der Kommandant. Wir haben gerade eine Verfolgungsübung<br />

abgeschlossen und, falls das jemanden interessiert, die Universe<br />

Ireland versenkt, einen 34 000 BRT großen Supertanker. Das<br />

war's.« Er steckte das Mikrophon zurück in seinen Halter.<br />

»Kritik, 1A?«<br />

»Das war zu einfach, Sir«, meinte der Erste Offizier. »Fahrt und<br />

Kurs des Objekts blieben konstant. Wir hätten die Zielbewegungsanalyse<br />

drei oder vier Minuten früher haben können, wenn wir<br />

nicht auf einen Zickzackkurs fixiert gewesen wären. Aber insgesamt<br />

lief es ganz ordentlich, finde ich.«<br />

McCafferty nickte zust<strong>im</strong>mend. Vorsicht war geboten, denn ein<br />

schnelles Objekt wie ein Zerstörer mochte durchaus direkt auf sie<br />

zulaufen. Langsamere Schiffe würden unter Kriegsbedingungen<br />

unablässig den Kurs ändern. »Wir schaffen es schon noch.« Der<br />

Kommandant schaute hinüber zum Feuerleittrupp. »Gut gemacht,<br />

Leute. Weiter so.« Er nahm sich vor, be<strong>im</strong> nächsten Mal Sonar den<br />

Kontakt erst dann melden zu lassen, wenn sie ganz dicht herangekommen<br />

waren. Dann würde sich erweisen, wie rasch seine Männer<br />

einen Blitzangriff hinbrachten. Bis dahin sollten vom Computer<br />

s<strong>im</strong>ulierte Gefechte geübt werden.<br />

77


Norfolk, Virginia<br />

»Eindeutig Batterien.« Lowe reichte Toland die Satellitenfotos, auf<br />

denen Lastwagen sichtbar waren. Die Ladefläche der meisten waren<br />

zwar mit Planen abgedeckt, aber drei Pritschen waren dem<br />

Blick des hochfliegenden Spähsatelliten ausgesetzt gewesen. Zu<br />

erkennen waren badewannenförmige Großbatterien, die von Matrosen<br />

über eine Pier geschleppt wurden.<br />

»Wie alt sind diese Aufnahmen?« fragte Toland.<br />

»Achtzehn Stunden.«<br />

»Die wären mir heute früh zupass gekommen«, murrte der jüngere<br />

Mann. »Sieht so aus, als lägen da drei Tango. Die Laster sind<br />

Zehntonner, insgesamt neun Stück. Ich habe mich erkundigt: die<br />

Batterien wiegen leer je zweihundertachtzehn Kilo -«<br />

»Aua! Wie viele braucht ein U-Boot?«<br />

»Eine ganze Menge!« Toland grinste. »Die genaue Anzahl kennen<br />

wir nicht. Ich stieß auf vier verschiedene Schätzungen, die um<br />

vierunddreißig Prozent voneinander abweichen, aber die Zahl der<br />

Batterien ist wohl von Boot zu Boot variabel. Je länger ein Typ in<br />

Produktion ist, desto größer die Versuchung, Modifikationen vorzunehmen.<br />

Jedenfalls ist das bei uns so.« Toland schaute auf. »Wir<br />

brauchen mehr Bilder.«<br />

»Dafür ist bereits gesorgt. Von nun an stehen wir auf dem<br />

Verteiler für alle Fotos von Marineeinrichtungen. Was halten Sie<br />

von den Aktivitäten der Überwasserschiffe?«<br />

Toland zuckte die Achseln. Die Lichtbilder zeigten ein Dutzend<br />

Kriegsschiffe, vom Kreuzer bis zur Korvette. Auf allen Decks stapelten<br />

sich Kabelrollen und Kisten; es waren viele Männer zu sehen.<br />

»Dies hier sagt nicht viel aus. Es fehlen Kräne, also wurde nichts<br />

Schweres an Bord genommen, aber auch Kräne sind beweglich. Das<br />

ist das Problem bei Schiffen: Alles, was uns interessiert, ist abgedeckt.<br />

Fest steht nur, dass die Schiffe <strong>im</strong> Hafen liegen. Alles andere<br />

ist reine Spekulation. Selbst bei den U-Booten gehen wir nur von der<br />

Annahme aus, dass sie neue Batterien an Bord nehmen.«<br />

»Ich bitte Sie, Bob!« schnaubte Lowe.<br />

»Denken Sie doch einmal nach, Chuck«, erwiderte Toland. »Die<br />

Russen wissen genau, wozu unsere Satelliten da sind. Sie kennen<br />

ihre Umlaufbahnen und können genau sagen, wo sie sich zu einem<br />

gegebenen Zeitpunkt befinden. Fiele es ihnen also schwer, uns<br />

78


etwas vorzumachen ? Wir verlassen uns zu sehr auf diese Dinger. Sie<br />

sind nützlich, aber nur in Grenzen. Wäre schön, wenn wir jemanden<br />

vor Ort hätten.«<br />

Poljarnij, UdSSR<br />

»Ist schon ein komisches Gefühl, wenn man zusieht, wie Beton in<br />

ein Schiff gegossen wird«, bemerkte Flynn auf der Rückfahrt nach<br />

Murmansk. Von Ballast hatte er wohl noch nie etwas gehört.<br />

»Aber ist das nicht auch großartig?« rief der Begleiter, ein Kapitänleutnant<br />

der sowjetischen Marine, aus. »Wenn Ihre Kriegsmarine<br />

nur unserem Beispiel folgen würde!«<br />

Der kleinen Pressegruppe war es gestattet worden, von einer Pier<br />

aus der Neutralisierung der beiden ersten Raketen-U-Boote der<br />

Yankee-Klasse zuzuschauen. Das Ganze war sorgfältig inszeniert<br />

worden, wie Flynn und Calloway festgestellt hatten. Verblüffend<br />

war <strong>im</strong>mer noch, dass man ihnen erlaubt hatte, einen so gehe<strong>im</strong>en<br />

Stützpunkt zu betreten.<br />

»Schade, dass Ihr Präsident kein Beobachterteam von der amerikanischen<br />

Marine schickte«, fuhr ihr Begleiter fort.<br />

»Da Muss ich Ihnen recht geben.« Flynn nickte. Das hätte eine viel<br />

bessere Story abgegeben. So hatten sich zwei Offiziere, ein Schwede<br />

und ein Inder, beide keine U-Boot-Fahrer, die »Zement-Zeremonie«,<br />

wie es bei der Presse hieß, aus der Nähe angesehen und später<br />

feierlich gemeldet, es sei in der Tat Beton in alle Raketenabschußrohre<br />

der beiden Boote geschüttet worden. Flynn hatte jeden<br />

Schüttvorgang gestoppt und nahm sich vor, zu Hause Berechnungen<br />

anzustellen. Was war der Rauminhalt eines Abschussrohrs?<br />

Wie viel Beton fasste es? Wie lange dauerte es, bis es voll war? »Sie<br />

müssen aber zugestehen, dass die amerikanische Reaktion auf Ihren<br />

Verhandlungsvorschlag sehr positiv war.«<br />

Währenddessen schaute William Calloway aus dem Wagenfenster.<br />

Er hatte über den Falklandkrieg berichtet und viel Zeit auf Schiffen<br />

und Werften verbracht, die Vorbereitungen für die lange Fahrt in<br />

den Südatlantik beobachtet. Sie fuhren nun an den Hafenanlagen für<br />

die Kriegsschiffe vorbei. Irgendetwas st<strong>im</strong>mte hier nicht.<br />

»Und wie findet unser englischer Freund die sowjetischen Werften?«<br />

fragte der Kapitänleutnant und lächelte breit.<br />

79


»Viel moderner als unsere«, erwiderte Calloway. »Und Hafenarbeitergewerkschaften<br />

gibt es bei Ihnen wohl auch nicht?«<br />

Der Offizier lachte. »In der Sowjetunion sind Gewerkschaften<br />

überflüssig, weil die Werktätigen schon alle Produktionsmittel besitzen.«<br />

»Dienen Sie auf einem U-Boot?« fragte der Engländer.<br />

»Nein!« rief der Offizier aus und lachte wieder. »Ich komme aus<br />

der Steppe und liebe blauen H<strong>im</strong>mel und den weiten Horizont. Ich<br />

respektiere meine Kameraden von den U-Booten, aber mit ihnen<br />

fahren möchte ich nicht.«<br />

»Geht mir auch so«, st<strong>im</strong>mte Calloway zu. »Wir älteren Engländer<br />

lieben unsere Parks und Gärten. Auf welchem Schiff fahren<br />

Sie?«<br />

»Im Augenblick tue ich Dienst an Land, aber meine letzte Fahrt<br />

war auf dem Eisbrecher Leonid Breschnew. Wir hatten einen Forschungsauftrag<br />

und hielten auch vor der arktischen Küste Handelsschiffe<br />

den Weg zum Pazifik frei.«<br />

»Das Muss eine schwierige Aufgabe gewesen sein«, meinte Calloway<br />

und dachte: Red schön weiter, alter Junge. »Und eine gefährliche<br />

obendrein.«<br />

»Gewiss, man Muss vorsichtig sein, aber wir Russen sind an Kälte<br />

und Eis gewöhnt.«<br />

»Ich würde mich nie zum Seemann eignen«, fuhr Calloway fort.<br />

Flynn sah ihn zweifelnd an. »Viel zuviel Arbeit, selbst wenn man <strong>im</strong><br />

Hafen liegt. Ist auf Ihren Werften <strong>im</strong>mer so viel los?«<br />

»Ach, das ist noch gar nichts«, versetzte der Russe, ohne nachzudenken.<br />

Der Mann von Reuter nickte. Die Decks der Schiffe waren vollgestellt,<br />

aber es herrschte keine sonderliche Aktivität. Nur wenige<br />

Männer liefen herum. Viele Kräne standen still. Laster waren abgestellt.<br />

Doch auf den Decks herrschte ein Durcheinander, als ob ...<br />

Er schaute auf die Armbanduhr. Halb vier. Längst noch nicht<br />

Feierabend. »Ein großer Tag für die Entspannung«, wechselte er<br />

das Thema. »Und eine großartige Story für unsere Leser.«<br />

»Sehr gut.« Der Kapitänleutnant lächelte. »Es ist Zeit für einen<br />

echten Frieden.«<br />

Nach der vierstündigen Tortur auf den unbequemen Aeroflot-<br />

Sitzen waren die Korrespondenten wieder in Moskau. Sie gingen zu<br />

Flynns Auto - Calloways stand <strong>im</strong>mer noch in der Werkstatt.<br />

80


»Hätte ich doch meinen Morris mitgebracht«, murrte Calloway.<br />

»Für diese russischen Mühlen kriegt man ja keine Ersatzteile.«<br />

»Gibt das eine gute Story, Patrick?«<br />

»Klar. Schade, dass ich keine Aufnahmen machen konnte.« Immerhin<br />

hatte man ihnen Sovfoto-Bilder von der »Beton-Zeremonie«<br />

versprochen.<br />

»Was hielten Sie von der Werft?«<br />

»Groß genug war sie jedenfalls. Ich war mal einen Tag lang auf<br />

der Werft der US-Marine in Norfolk. Sehen alle gleich aus.«<br />

Calloway nickte nachdenklich. Warum war ihm Poljarnij so<br />

sonderbar vorgekommen? War er als Reporter zu argwöhnisch,<br />

fragte <strong>im</strong>mer wieder: Was wird hier vertuscht? Er arbeitete nun<br />

schon zum dritten Mal in Moskau, aber bisher hatte man ihn nie<br />

auf einen Marinestützpunkt gelassen. Einmal hatte er Murmansk<br />

besuchen dürfen. Bei einem Gespräch mit dem Bürgermeister hatte<br />

er gefragt, welche Auswirkung die vielen Seeleute auf die Stadtverwaltung<br />

hatten. Man sähe ja <strong>im</strong>mer Uniformierte auf den Straßen.<br />

Der Bürgermeister hatte versucht, der Frage auszuweichen, und<br />

schließlich erklärt: »Keine Marine in Murmansk.« Die typisch<br />

russische Antwort auf eine unangenehme Frage - aber nun ließ man<br />

auf einmal ein halbes Dutzend Reporter aus dem Westen auf eine<br />

der gehe<strong>im</strong>sten Einrichtungen. Also hatten sie nichts zu verbergen.<br />

Oder? Calloway beschloss, seine Story zu schreiben und loszuschikken<br />

und dann mit einem Freund bei der Botschaft einen Cognac zu<br />

trinken. Außerdem sollte es dort eine Party geben.<br />

Zurück in Moskau schrieb Calloway seinen Bericht. Aus einem<br />

Brandy wurden vier, und be<strong>im</strong> letzten Glas beugte sich der Korrespondent<br />

über eine Karte des Marinestützpunkts und erklärte mit<br />

Hilfe seines trainierten Gedächtnisses die Aktivitäten, die er gesehen<br />

hatte. Eine Stunde später waren diese Daten verschlüsselt und<br />

wurden nach London telegrafiert.<br />

81


Grassau, DDR<br />

8<br />

Weitere Observationen<br />

Das Kamerateam vom Fernsehen war begeistert. Zum ersten Mal<br />

seit Jahren durfte es eine sowjetische Einheit in Aktion filmen, und<br />

die vielen Schnitzer, die sie miterlebten, würden ihrem Bericht für<br />

die Abendnachrichten des Netzes NBC so die rechte Würze verleihen.<br />

Im Augenblick steckte gerade ein Panzerbataillon an einer<br />

Kreuzung der Staatsstraße 101 fünfzig Kilometer südlich von Berlin<br />

fest. Irgendwo waren sie falsch abgebogen, und der Bataillonskommandeur<br />

brüllte seine Untergebenen an. Nach zwei Minuten trat<br />

ein Hauptmann vor und wies auf die Landkarte. Ein Major wurde<br />

von der Szene verbannt, nachdem der jüngere Mann das Problem<br />

offenbar gelöst hatte. Die Kamera folgte dem niedergeschlagenen<br />

Major bis zu seinem Dienstwagen. Fünf Minuten später war das<br />

Bataillon aufgesessen und rollte wieder. Die Kameramänner packten<br />

gemächlich ihr Gerät ein, und der Chefreporter hatte Zeit,<br />

hinüber zu einem französischen Offizier zu gehen, der die Prozedur<br />

ebenfalls beobachtet hatte.<br />

Der Franzose war Verbindungsoffizier be<strong>im</strong> Viermächteausschuß,<br />

einem praktischen Überbleibsel aus dem Zweiten Weltkrieg,<br />

das es beiden Seiten ermöglichte, einander nachzuspionieren. Der<br />

hagere Mann mit dem ausdruckslosen Gesicht trug die Flügel eines<br />

Fallschirmjägers und rauchte Gauloises. Selbstverständlich war er<br />

Gehe<strong>im</strong>dienstoffizier.<br />

»Nun, Major, was halten Sie davon?« fragte der NBC-Reporter.<br />

»Sie haben sich verfahren, hätten vor vier Kilometern links abbiegen<br />

sollen.« Ein lakonisches Achselzucken.<br />

»Eine besonders beeindruckende Leistung haben die Russen da<br />

nicht geboten, finden Sie nicht?« Der Reporter lachte. Der Franzose<br />

wurde noch nachdenklicher.<br />

»Ist Ihnen aufgefallen, dass sie einen deutschen Offizier dabeihatten<br />

?«<br />

82


»Ein Deutscher war das? Mir fiel nur auf, dass er eine andere<br />

Uniform trug. Warum hat man ihn nicht nach dem Weg gefragt?«<br />

»Tja, warum nicht?« versetzte der französische Major. Was er<br />

verschwieg, war die Tatsache, dass er nun schon zum vierten Mal<br />

miterlebt hatte, wie ein sowjetischer Offizier auf die Hilfe seines<br />

deutschen Kameraden von der Volksarmee verzichtete. Dass sowjetische<br />

Einheiten sich verfranzten, war nichts Neues. Die Russen<br />

hatten nicht nur eine andere Sprache, sondern auch ein anderes<br />

Alphabet, und wurden aus diesem Grund von DDR-Offizieren<br />

begleitet. Aber nun... Er schnippte seine Zigarette auf die Straße.<br />

»Was ist Ihnen sonst noch aufgefallen, Monsieur?«<br />

»Der Oberst war stinksauer auf den Major. Und dann wies ihn<br />

ein anderer Offizier - ein Hauptmann, glaube ich - auf den Fehler<br />

hin.«<br />

»Sehr gut.« Der Franzose lächelte. Der Major war auf dem Weg<br />

zurück nach Berlin, und das Bataillon hatte nun einen neuen Kommandeur.<br />

Das Lächeln verschwand.<br />

»Sieht ganz schön dumm aus, wenn sich ein ganzes Panzerbataillon<br />

verfährt, finden Sie nicht auch?«<br />

Der Franzose stieg in seinen Wagen, um den Russen zu folgen.<br />

»Haben Sie <strong>im</strong> Ausland noch nie die Orientierung verloren?«<br />

»Klar, wem ist so was noch nicht passiert?«<br />

»Sie haben den Fehler dann aber rasch bemerkt, nicht wahr?«<br />

Der Franzose gab seinem Fahrer ein Zeichen. Und diesmal dachte<br />

er. Sehr interessant...<br />

Der Fernsehreporter zuckte die Achseln und ging zurück zu<br />

seinem Wagen. Er folgte dem letzten Panzer der Kolonne, die mit<br />

dreißig Stundenkilometern nach Nordwesten fuhr und auf der<br />

Staatsstraße 187 wie durch ein Wunder zu einer anderen sowjetischen<br />

Einheit stieß. Die Kettenfahrzeuge verringerten ihre Geschwindigkeit<br />

auf zwanzig Stundenkilometer und rasselten nach<br />

Westen zum Manövergebiet.<br />

Norfolk, Virginia<br />

Es sah eindrucksvoll aus. In den Fernsehnachrichten aus Moskau<br />

war zu verfolgen, wie ein ganzes Panzerreg<strong>im</strong>ent über eine Ebene<br />

vorrückte. Über dem Angriffsziel stiegen Erdfontänen auf, als Artil­<br />

83


lerie die s<strong>im</strong>ulierten »feindlichen« Stellungen mit Trommelfeuer<br />

belegte. Jagdbomber am H<strong>im</strong>mel, Hubschrauber vollführten ihren<br />

Todestanz. Aus dem Off verkündete der Kommentator die Bereitschaft<br />

der Sowjetunion, jede fremde Bedrohung abzuwehren.<br />

Der nächste Bericht befasste sich mit den Abrüstungsverhandlungen<br />

in Wien. Nach den üblichen Klagen über Einwände der Amerikaner<br />

gegen best<strong>im</strong>mte Aspekte des großzügigen sowjetischen Vorschlags<br />

meldete der Sprecher, es seien dennoch echte Fortschritte<br />

erzielt worden, und es sei nun zum Sommer eine umfassende Übereinkunft<br />

in Sicht.<br />

»Klingt ganz normal«, kommentierte Chuck Lowe. »Wenn eine<br />

Übereinkunft bevorsteht, lässt das Gemecker nach. Und kurz vor<br />

der Unterzeichnung werden die Sowjets direkt euphorisch.»<br />

»Kam Ihnen das Manöver normal vor?«<br />

»Und wie. Haben Sie mal darüber nachgedacht, wie angenehm es<br />

ist, hundert Panzern mit Kanonen vom Kaliber 125 mm gegenüberzustehen?<br />

Nicht zu vergessen die Artillerieunterstützung und die<br />

Flugzeuge. Wenn die Russen kommen, setzen sie das gesamte Inventar<br />

ein. Sie beherrschen die Taktik aus dem Effeff.«<br />

»Und was hätten wir dem entgegenzusetzen?«<br />

»Wir ergreifen die Initiative und lassen den Gegner seinen<br />

Schlachtplan erst gar nicht entwickeln. Wer nur zu reagieren bereit<br />

ist, kann gleich einpacken.«<br />

»Richtig - auf See ist das nicht anders.«<br />

Kiew, Ukraine<br />

Alexejew goss sich am Tisch in der Ecke eine Tasse Tee ein und trat<br />

dann breit grinsend vor den Schreibtisch seines Chefs.<br />

»Genosse General, »Fortschritt« läuft gut!«<br />

»Habe ich auch festgestellt.«<br />

»Das hätte ich nie geglaubt. Unser Offizierkorps hat sich erstaunlich<br />

verbessert. Der Ballast ist weg, und die Männer, denen wir neue<br />

Posten gegeben haben, sind eifrig und tüchtig.«<br />

»Die Hinrichtung der vier Obersten hat also gewirkt«, meinte<br />

der OB Südwest sardonisch. Er hatte das Manöver während der<br />

ersten beiden Tage von seinem Hauptquartier aus geleitet und<br />

sehnte sich danach, hinaus ins Feld zu kommen, wo sich die wahre<br />

84


Aktion abspielte. Doch das war nicht die Aufgabe eines Oberbefehlshabers<br />

einer Front; er musste sich auf Alexejews Berichte verlassen.<br />

»Ein harter, aber guter Entschluss. Die Resultate sprechen für<br />

sich selbst.« Die Begeisterung des jüngeren Mannes ließ nach, denn<br />

sein Gewissen plagte ihn <strong>im</strong>mer noch. Er verdrängte den Gedanken.<br />

»Noch zwei intensive Übungswochen, und die Rote Armee ist<br />

bereit. Wir schaffen es. Wir können die Nato schlagen.«<br />

»Wir werden es nicht mit der Nato aufnehmen müssen, Pascha.«<br />

»Dann sei Allah den Arabern gnädig.«<br />

»Und uns. Der OB West bekommt nämlich noch eine Panzerdivision<br />

von uns.« Der General hob eine Depesche. »Und zwar jene, die<br />

Sie heute besucht haben. Wie hat sie sich gehalten?«<br />

»Recht gut, wie ich höre.«<br />

»Ein Klassenkamerad von mir ist <strong>im</strong> Stab des OB West. Auch<br />

dort werden unfähige Männer ausgeschaltet. Ein Mann auf einem<br />

neuen Posten hat einen besseren Ansporn, seine Arbeit ordentlich<br />

zu tun als jemand, bei dem sie zur Routine verkommen ist.«<br />

»An der Spitze ist das natürlich anders.«<br />

»Ich hatte nie erwartet, den OB West einmal in Schutz nehmen zu<br />

müssen, aber wie ich höre, bringt er seine Leute ebenso auf Trab wie<br />

wir.«<br />

»Wenn Sie so großmütig sind, Muss sich die Lage wirklich gebessert<br />

haben.«<br />

»St<strong>im</strong>mt. Leider sind wir wieder eine Panzerdivision los. Nun,<br />

der OB West hat sie nötiger als wir. Passen Sie auf, wir fegen die<br />

Araber weg wie Dreck auf glatten Fliesen. Der Fall liegt anders als<br />

in Afghanistan. Unser Auftrag ist Erobern, nicht Befrieden. Und das<br />

schaffen wir. Als einziges Problem sehe ich die Zerstörung der<br />

Ölfelder. Selbst mit Fallschirmjägern können wir sie nicht daran<br />

hindern, sich mit einer Politik der verbrannten Erde zu verteidigen.<br />

Trotz alledem sind unsere Ziele erreichbar.«<br />

85


Norfolk, Virginia<br />

9<br />

Ein letzter Blick<br />

»Wie schnell so etwas doch zur Gewohnheit wird, Chuck.« Sie<br />

sahen nun schon den vierten russischen Film über Satellit. Toland<br />

reichte Lowe die Schüssel mit dem Popcorn. »Schade, dass wir Sie<br />

ans Marine Corps verlieren.«<br />

»Mir ist das recht. Ich hab den Papierkrieg satt.«<br />

»Werden Sie unsere Filmabende denn überhaupt nicht vermissen?«<br />

Toland lachte.<br />

»Na, vielleicht ein bisschen.« Sie empfingen nun schon seit Wochen<br />

das Signal eines sowjetischen Nachrichtensatelliten, vorwiegend<br />

der russischen Fernsehnachrichten wegen, aber auch, um sich<br />

einmal in der Woche den Eisenstein-Film anzusehen.<br />

Heute gab es Alexander Newski, sein Meisterwerk.<br />

Toland riss eine Dose Coke auf. »Wie würde der Iwan wohl auf<br />

einen Western von John Ford reagieren? Ich habe das Gefühl, dass<br />

Eisenstein sich bei Ford etwas abgeschaut hat.«<br />

»Tja, John Wayne hätte da gut reingepasst. Oder besser noch<br />

Errol Flynn. Fahren Sie heute he<strong>im</strong>?«<br />

»Ja, gleich nach dem Film. Stellen Sie sich vor, vier Tage frei! Ob<br />

ich das aushalte?«<br />

Der Vorspann war neu und unterschied sich von der Version, die<br />

Toland dahe<strong>im</strong> auf Band hatte. Der Originaldialog war beibehalten<br />

und entstört worden, doch die Musik hatte das Moskauer Staatssinfonieorchester<br />

mit Chor neu aufgenommen.<br />

»Erstklassige Kopie«, bemerkte Lowe.<br />

»Viel besser als meine«, st<strong>im</strong>mte Toland zu. Zwei VHS-Recorder<br />

liefen, doch die Bänder stammten nicht aus Navy-Beständen. SA­<br />

CLANTS Generalinspekteur hatte einen üblen Ruf. Die Offiziere<br />

hatten die Kassetten aus eigener Tasche bezahlt.<br />

Der Film begann auf einer mit Knochen und Waffen übersäten<br />

Steppe, Überreste einer Schlacht gegen die Mongolen. Dann fielen<br />

86


mordend und brandschatzend die Ritter des Deutschen Ordens ein,<br />

und das Volk erhob sich, um unter Führung des anfangs zögerlichen<br />

Fürsten von Nowgorod, Alexander Newski, die Eindringlinge<br />

zurückzuschlagen: Wstawaitje, Ijudi russkijelna slavni boi, na<br />

smjertni boi.. .<br />

„Donnerwetter!» Toland setzte sich auf. »Die neue Version<br />

klingt sehr schmissig! Die Tonqualität war trotz leichter Übertragungsstörungen<br />

fast perfekt.<br />

Steh auf, russisches Volk, zum gerechten Kampf bis auf<br />

den Tod: Steh auf, du tapferes freies Volk, verteidige<br />

unsere schöne He<strong>im</strong>at!<br />

Toland stellte fest, dass »Russland« oder »russisch» über zwanzigmal<br />

vorkamen.<br />

»Sonderbar», merkte er an, »davon will man doch eigentlich<br />

loskommen. Die Sowjetunion soll eine glückliche Völkerfamilie<br />

sein und kein neues Russisches Reich.«<br />

»Eine Laune der Geschichte«, kommentierte Lowe. »Stalin gab<br />

den Film in Auftrag, um die Bevölkerung vor den Nazis zu warnen.«<br />

Die Entscheidungsschlacht wurde auf dem gefrorenen Peipus-See<br />

geschlagen. Die Ordensritter griffen in Keilformation an, die Russen<br />

unter Newski reagierten mit dem Versuch einer doppelten<br />

Umfassung à la Cannae. Dann folgte der unvermeidliche Zweikampf<br />

der Feldherren, den Fürst Alexander für sich entschied, und<br />

daraufhin gerieten die Reihen der Deutschen ins Wanken. Als sie<br />

versuchten, sich am Rande des Sees zum Gegenangriff zu formieren,<br />

brach das Eis, und fast alle ertranken.<br />

»Welcher Idiot stellt sich mit einer halbe Tonne Blech am Leib<br />

auf einem zugefrorenen See zur Schlacht?« stöhnte Toland.<br />

»Die Schlacht fand 1241 tatsächlich so statt«, erklärte der Colonel.<br />

»Genau 700 Jahre vor Stalingrad ...«<br />

Am Schluss befreite Alexander das besetzte Pskow und beschwor<br />

in einer Rede das Schicksal, das jedem Angreifer Russlands droht.<br />

»Dieser Newski ist wohl Stalin nachempfunden, oder?«<br />

»Da ist etwas dran«, st<strong>im</strong>mte Lowe zu. »Die starke, einsame<br />

Vaterfigur. Wie auch <strong>im</strong>mer, Alexander Newski ist wohl der beste<br />

Propagandafilm aller Zeiten.« Lowe holte einen Pappkarton unter<br />

seinem Schreibtisch hervor und begann, seine Sachen einzupacken.<br />

»Ein nützlicher Abend. Falls Krieg möglich ist, sollte man so viel<br />

wie möglich über den Gegner in Erfahrung bringen.«<br />

87


»Glauben Sie denn, dass es Krieg gibt?«<br />

Lowe zog die Stirn kraus. »Davon habe ich seit Vietnam die Nase<br />

voll - aber dafür werden wir schließlich bezahlt.«<br />

Toland stand auf und reckte sich. »Colonel, es war angenehm,<br />

mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Viel Glück bei Ihrem neuen Reg<strong>im</strong>ent.«<br />

»Ganz meinerseits. Besuchen Sie mich doch einmal in Lejeune.«<br />

Nachdem sie sich voneinander verabschiedet hatten, ging Toland<br />

zu seinem Wagen und fuhr rasch über den Interstate Terminal<br />

Boulevard zum Interstate Highway 64. Unterwegs tauchten <strong>im</strong>mer<br />

wieder Szenen aus Eisensteins Film vor seinen Augen auf, besonders<br />

die grässliche, in der ein Ordensritter mit dem Kreuz am Gewand in<br />

Pskow einer Mutter das Kind von der Brust reißt und es in die<br />

Flammen wirft. Wen brachte so etwas nicht auf? Kein Wunder, dass<br />

das mitreißende Lied Steh auf, russisches Volk jahrelang beliebt<br />

gewesen war. Manche Szenen schrieen geradezu nach blutiger Rache.<br />

Bald summte er Prokofjews feurigen Ruf zu den Waffen vor<br />

sich hin. Bist ein richtiger Gehe<strong>im</strong>dienstoffizier, dachte Toland und<br />

lächelte. Denkst wie die Leute, die du studieren sollst... verteidige<br />

unsere schöne He<strong>im</strong>at... sa naschu sjemlju tschestnuju!<br />

»Wie bitte?« fragte eine Frau verdutzt.<br />

Toland schüttelte den Kopf. Hatte er denn laut gesungen? Mit<br />

einem verlegenen Lächeln händigte er die fünfundsiebzig Cent<br />

Maut für den Straßentunnel aus. Was sollte diese Frau von einem<br />

amerikanischen Marineoffizier halten, der auf Russisch vor sich hin<br />

sang?<br />

Moskau<br />

Kurz nach Mitternacht fuhr der Laster über die Kemenny-Brücke<br />

und auf den Borowizkaya-Platz und bog dann nach rechts ab zum<br />

Kreml. Am ersten Kontrollposten hielt der Fahrer an. Die Papiere<br />

waren natürlich in Ordnung, sie wurden durchgewinkt. Auch an<br />

der zweiten Kontrolle ging alles glatt. Nun waren es nur noch<br />

fünfhundert Meter zum Lieferanteneingang des Ministerratsgebäudes.<br />

»Was haben Sie denn um diese Tageszeit abzuliefern, Genosse?«<br />

fragte ein Hauptmann der Roten Armee.<br />

88


»Reinigungsmittel. Hier, ich will sie Ihnen zeigen.« Der Fahrer<br />

stieg aus und ging langsam hinter den Laster. »Nachtdienst muss<br />

angenehm sein, wenn alles so friedlich ist.«<br />

»Wohl wahr«, st<strong>im</strong>mte der Hauptmann zu. Noch neunzig Minuten,<br />

dann wurde er abgelöst.<br />

»Bitte sehr.« Der Fahrer zog die Plane beiseite. Auf der Ladefläche<br />

standen zwölf Kanister und eine Kiste mit Ersatzteilen.<br />

»Aus Deutschland?« fragte der Hauptmann, der hier erst seit<br />

zwei Wochen Dienst tat, überrascht.<br />

»Da. Dieses Reinigungsmittel ist für Teppiche, dieses für Toilettenwände,<br />

und das da für Fensterscheiben. Und die Ersatzteile - na<br />

ja, auch deutsche Maschinen gehen mal kaputt«, setzte er mit einem<br />

spöttischen Grinsen hinzu.<br />

»Öffnen Sie einen Behälter«, befahl der Hauptmann.<br />

»Sicher, aber ich warne Sie vor dem Geruch. Welchen soll ich<br />

aufmachen?« Der Fahrer griff nach einem kleinen Brecheisen.<br />

»Diesen da.« Der Hauptmann wies auf den Toilettenreiniger.<br />

Der Fahrer lachte. »Da haben Sie sich das stinkigste Zeug ausgesucht.<br />

Treten Sie zurück, Genosse, damit Sie das Zeug nicht auf die<br />

Uniform bekommen.«<br />

Der Hauptmann war noch so neu auf diesem Posten, dass er mit<br />

Bedacht nicht zurücktrat. Gut, dachte der Fahrer, setzte das Brecheisen<br />

an, hebelte und schlug mit der freien Hand aufs Ende des<br />

Werkzeugs. Der Deckel sprang ab und bespritzte den Hauptmann<br />

mit Lösungsmittel.<br />

»Puh!« Der Gestank war ekel erregend.<br />

»Ich habe Sie gewarnt, Genosse Hauptmann.«<br />

»Was ist denn das für ein Dreckzeug?«<br />

«Damit entfernt man hartnäckige Flecken von Kacheln. Geben<br />

Sie Ihre Uniform so rasch wie möglich in die Reinigung, Genosse<br />

Hauptmann, denn die Substanz ist säurehaltig und könnte den Stoff<br />

angreifen.«<br />

Der Hauptmann wollte wütend werden, aber hatte ihn der Mann<br />

nicht gewarnt? So was passiert mir nicht noch einmal, dachte er.<br />

»Gut, laden Sie ab.« Der Hauptmann gab einem Gefreiten einen<br />

Wink und entfernte sich. Der Soldat schloss auf; Fahrer und Beifahrer<br />

gingen ins Haus und holten eine Sackkarre, mit der sie die<br />

Behälter zum Aufzug transportierten.<br />

Im dritten Stock brachten sie ihre Ladung in einen Lagerraum,<br />

89


der sich direkt unter dem großen Konferenzsaal <strong>im</strong> vierten Stock<br />

befand.<br />

»Der Vorfall mit dem Hauptmann war günstig, meinte der<br />

Beifahrer. »So, und jetzt an die Arbeit.«<br />

»Jawohl, Genosse Oberst«, erwiderte der Fahrer eilfertig. Vier<br />

Behälter Teppichreinigungsmittel enthielten Sprengladungen. Der<br />

Oberst hatte sich die Blaupausen des Gebäudes angesehen und<br />

eingeprägt. Die Stützen befanden sich an den äußeren Ecken des<br />

Raumes, und an ihnen wurde je eine Ladung befestigt. Davor stellte<br />

man zur Tarnung die leeren Behälter. Als nächstes entfernte der<br />

Fahrer, ein Leutnant, zwei Platten der Deckenverkleidung und legte<br />

Eisenträger frei, die den Fußboden des vierten Stockes stützten. An<br />

ihnen wurden die übrigen Ladungen befestigt. Der Oberst nahm<br />

einen elektronischen Zeitzünder aus der Tasche, schaute auf die<br />

Armbanduhr, wartete drei Minuten lang und aktivierte den T<strong>im</strong>er<br />

dann durch Knopfdruck. Die Bomben sollten in genau drei Stunden<br />

explodieren.<br />

Der Oberst sah dem Leutnant be<strong>im</strong> Aufräumen zu und schob<br />

dann die Sackkarre zurück zum Aufzug. Zwei Minuten später<br />

verließen sie das Gebäude. Der Hauptmann war zurückgekommen.<br />

»Genosse«, sagte er zu dem Fahrer, «warum lassen Sie Ihren<br />

älteren Kollegen alle Arbeit tun? Zeigen Sie doch ein bisschen<br />

Respekt!«<br />

»Anständig von Ihnen, Genosse Hauptmann.« Der Oberst lächelte<br />

schief und zog eine Halbliterflasche Wodka aus der Tasche,<br />

»'n Schluck?«<br />

Die Freundlichkeit des Hauptmanns verflog. »Ein Arbeiter, der<br />

<strong>im</strong> Dienst trinkt - und noch dazu <strong>im</strong> Kreml! Scheren Sie sich fort!«<br />

»Wiedersehen, Genosse.« Der Fahrer stieg in den Laster. Sie<br />

hatten wieder zwei Kontrollen zu passieren, aber ihre Papiere waren<br />

<strong>im</strong>mer noch in Ordnung.<br />

Als der Kreml hinter ihnen lag, bogen sie in den Marksa-Prospekt<br />

ab und fuhren nach Norden zur KGB-Zentrale am Dserschinski-<br />

Platz 2.<br />

90


Crofton, Maryland<br />

»Wo sind die Kinder?«<br />

»Im Bett." Martha Toland umarmte ihren Mann. Sie trug ein<br />

dünnes, attraktives Gewand. »Ich war heute so lange mit ihnen<br />

schw<strong>im</strong>men, dass sie die Augen nicht offen halten konnten.« Ein<br />

schelmisches Lächeln, das er zum ersten Mal am Sunset Beach auf<br />

Oahu gesehen hatte: Martha mit dem Surfbrett und dem knappen<br />

Bikini. Sie war <strong>im</strong>mer noch eine Wasserratte. Und der Bikini passte<br />

auch noch.<br />

Martha ging in die Küche und kam mit einer Flasche Rose und<br />

zwei Gläsern zurück. »Komm, geh mal duschen und entspann dich<br />

ein bisschen. Dann können wir es uns endlich gemütlich machen.«<br />

Das hörte sich gut an. Was danach kam, war noch besser.<br />

91


Crofton, Maryland<br />

10<br />

Die Pulververschwörung<br />

Es war dunkel, und das Telefon läutete. Toland war nach der<br />

langen Fahrt und vom Wein noch benommen und reagierte erst<br />

nach dem zweiten Läuten richtig. Nach einem Blick auf die Uhr auf<br />

dem Nachttisch - «Pest noch mal, 2. Uhr 11!« - nahm er ab. »Ja?«<br />

sagte er barsch.<br />

»Lieutenant Commander Toland, bitte.«<br />

»Am Apparat.«<br />

»Hier CINCLANT. Bitte kehren Sie sofort auf Ihren Posten<br />

zurück. Bestätigen Sie den Befehl, Commander.«<br />

»Sofort zurück nach Norfolk. Verstanden.« Toland setzte sich<br />

auf und schwang die Beine aus dem Bett.<br />

»Schatz, was ist?« fragte Martha.<br />

»Ich werde in Norfolk gebraucht.«<br />

»Wann denn?«<br />

»Sofort.« Martha, auf einen Schlag wach, setzte sich <strong>im</strong> Bett auf.<br />

Die Decke glitt ihr von der Brust, und das durchs Fenster fallende<br />

Mondlicht verlieh ihrer Haut einen ätherischen Sch<strong>im</strong>mer.<br />

»Du bist doch gerade erst gekommen!«<br />

»Als ob ich das nicht wüsste.« Bob stand auf und wankte ins Bad.<br />

Wenn er Norfolk lebend erreichen wollte, musste er erst einmal<br />

duschen und ein paar Tassen Kaffee trinken. Als er zehn Minuten<br />

später mit Rasierschaum <strong>im</strong> Gesicht zurückkam, hatte seine Frau<br />

den Schlafz<strong>im</strong>merfernseher angestellt.<br />

»Sieh dir das mal an, Bob.«<br />

»Hier Rich Suddler live aus dem Kreml«, sagte ein Reporter <strong>im</strong><br />

blauen Blazer. Hinter ihm konnte Toland die düsteren Mauern der<br />

Festung sehen - doch dort standen nun bewaffnete Soldaten <strong>im</strong><br />

Kampfanzug Wache. Toland ging auf den Fernseher zu. Dort war<br />

etwas Merkwürdiges <strong>im</strong> Gange. Eine ganze Kompanie bewaffneter<br />

Soldaten <strong>im</strong> Kreml könnte alles Mögliche bedeuten, nur nichts<br />

92


Gutes. »Im Ministerratsgebäude kam es heute zu einer Explosion.<br />

Ich nahm um halb zehn Uhr Moskauer Zeit ein Interview auf, und<br />

plötzlich hörten wir einen scharfen Knall.«<br />

»Rich, hier Dionna McGee <strong>im</strong> Studio.« Das Bild von Suddler vor<br />

dem Kreml schrumpfte in eine Ecke des Schirmes, als der Regisseur<br />

die attraktive schwarze Moderatorin des Nachrichtensenders CNN<br />

einblendete. »Ich nehme an, dass Sie Personal vom sowjetischen<br />

Sicherheitsdienst bei sich hatten. Wie reagierten diese Leute?«<br />

»Das kann ich Ihnen gleich zeigen, sobald meine Techniker das<br />

Band eingelegt haben.« Er drückte sich den Ohrhörer tief ins Ohr.<br />

»Okay, Dionna, Band läuft- «<br />

Die Bandaufnahme trat an die Stelle des Live-Bildes und füllte<br />

den ganzen Schirm. Zunächst ein Standbild: Suddler, der auf die<br />

Kremlmauer wies. Dann begann das Band zu laufen.<br />

Suddler zuckte zusammen und fuhr herum, als eine donnernde<br />

Explosion über den weiten Platz hallte. Mit dem Reflex des Profis<br />

schwenkte der Kameramann sofort und stellte nach kurzem Wakkeln<br />

die Linse auf eine Wolke aus Staub und Rauch scharf, die von<br />

dem modernen Gebäude in dem ansonsten <strong>im</strong> slawischen Rokokostil<br />

gehaltenen Kreml-Komplex aufstieg. Eine Sekunde später<br />

zoomte er die Szene heran. Drei Geschosse des Gebäudes waren<br />

ihrer Glasfenster beraubt, und die Kamera folgte einem großen<br />

Konferenztisch, der aus einem Stockwerk fiel und dann an Montiereisen<br />

zu baumeln schien. Die Kamera ging tiefer; auf der Straße<br />

waren eine oder zwei Leichen und einige von Trümmern zerquetschte<br />

Autos zu sehen.<br />

Binnen Sekunden füllten rennende Männer in Uniform und die<br />

ersten Dienstwagen den Platz. Eine unscharfe Gestalt, bei der es<br />

sich nur um einen Mann in Uniform handeln konnte, trat jäh vor<br />

die Linse. An diesem Punkt wurde das Band angehalten, und auf<br />

dem Bildschirm erschien wieder Rich Suddler.<br />

»Unser Begleiter, ein Hauptmann der Miliz, unterbrach die Aufnahme<br />

und beschlagnahmte die Videokassette. Wir durften weder<br />

die Feuerwehren noch die mehreren hundert bewaffneten Soldaten<br />

filmen, die nun das gesamte Gebiet bewachen. Wir bekamen das<br />

Band aber gerade zurück und können Ihnen nun, da das Feuer<br />

gelöscht ist, auch ein Live-Bild des Gebäudes zeigen. Ich kann dem<br />

Mann Fairerweise keinen Vorwurf machen, denn für ein paar Minuten<br />

ging es hier ziemlich wild zu.«<br />

93


»Wurden Sie bedroht, Rich?«<br />

Suddler schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, Dionna. Man<br />

schien sich vorwiegend um unsere Sicherheit zu sorgen. Außer<br />

dem Milizhauptmann haben wir nun einen Zug Infanteriesoldaten<br />

bei uns, dessen Führer erklärte, er sei mit seinen Männern zu<br />

unserem Schutz da. Der Zutritt zur Unfallstelle ist uns verwehrt,<br />

und wir dürfen den Platz auch nicht verlassen.« Die Kamera<br />

schwenkte zum Gebäude. »Wie Sie sehen, durchsuchen dort rund<br />

fünfhundert Männer von Feuerwehr, Polizei und Militär die<br />

Trümmer nach weiteren Opfern, und rechts von uns steht ein<br />

Kamerateam vom sowjetischen Fernsehen.« Toland sah sich das<br />

Fernsehbild genau an. Die eine Leiche, die er erkennen konnte,<br />

wirkte erstaunlich klein, aber er schrieb das der Entfernung und<br />

der Perspektive zu.<br />

»Dionna, wir haben es hier offenbar mit dem ersten schweren<br />

Terrorangriff in der Geschichte der Sowjetunion zu tun. Wie verlautete,<br />

wurde <strong>im</strong> Gebäude des Ministerrats eine Bombe zur Explosion<br />

gebracht. Ein Unfall ist ausgeschlossen. Fest steht, dass drei<br />

oder mehr Menschen ums Leben kamen und vierzig oder fünfzig<br />

verletzt wurden. Interessant ist, dass zum Zeitpunkt der Explosion<br />

eine Sitzung des Politbüros anberaumt war.«<br />

»Heiliger Strohsack!« Toland stellte die Dose Rasierschaum auf<br />

den Nachttisch.<br />

»Können Sie sagen, ob ein Mitglied des Politbüros unter den<br />

Toten oder Verletzten ist?« fragte Dionna McGee sofort.<br />

»Nein. Erstens sind wir zu weit von der Unfallstelle entfernt, und<br />

zweitens fahren die Herren mit ihren Dienstwagen auf der anderen<br />

Seite des Gebäudes vor. Aber unserem Milizhauptmann entfuhr:<br />

»H<strong>im</strong>mel, da ist das Politbüro drin.«<br />

»Rich, wie ist die Reaktion in Moskau?«<br />

»Lässt sich von hier aus nur schwer beurteilen. Die Kreml-Garde<br />

ist schockiert und verständlicherweise wütend, aber, das möchte<br />

ich betonen, ihr Zorn richtet sich nicht gegen Amerikaner. Zusammenfassend<br />

lässt sich sagen, dass <strong>im</strong> Kreml eine Bombe explodiert<br />

ist; möglicherweise der Versuch, das Politbüro auszuschalten. Von<br />

der Polizei erfuhren wir, dass es mindestens drei Tote und vierzig bis<br />

fünfzig Verletzte gegeben hat. Weitere Berichte folgen, sobald neue<br />

Informationen vorliegen.«<br />

»Sie sahen einen Exklusivbericht aus Moskau.« Dionna McGee<br />

94


lächelte. Dann verblasste ihr Bild, und es folgte eine Bierreklame.<br />

Martha stand auf und schlüpfte in einen Morgenrock.<br />

»Ich stell den Kaffee auf.«<br />

»Heiliger Strohsack!« sagte Toland noch einmal. Zum Rasieren<br />

brauchte er länger als gewöhnlich und schnitt sich zwe<strong>im</strong>al, weil er<br />

sich <strong>im</strong> Spiegel auf seine Augen und nicht auf sein Kinn konzentrierte.<br />

Er zog sich rasch an und schaute bei seinen schlafenden Kindern<br />

herein, weckte sie aber nicht.<br />

Vierzig Minuten später fuhr er mit offenen Wagenfenstern nach<br />

Süden und hörte Nachrichten. War <strong>im</strong> Kreml wirklich eine Bombe<br />

explodiert? Reporter unter Termindruck oder Fernsehleute auf der<br />

Jagd nach einem Knüller recherchierten oft nicht sorgfältig genug.<br />

War die Explosionsursache vielleicht eine undichte Gasleitung gewesen?<br />

Gab es in Moskau Gasleitungen? Sollte es wirklich eine<br />

Bombe gewesen sein, würden die Sowjets instinktiv annehmen, dass<br />

der Westen dahinter steckte, und eine höhere Alarmstufe auslösen.<br />

Und der Westen würde au<strong>tom</strong>atisch das gleiche tun, um für eine<br />

mögliche sowjetische Aktion gerüstet zu sein. Nichts Auffälliges,<br />

nichts Provokatives, vorwiegend eine Gehe<strong>im</strong>dienst- und Aufklärungsaktion,<br />

für die die Sowjets Verständnis haben würden. Bei uns<br />

wurde dieses Szenarium schon öfters durchgespielt, sagte sich Toland<br />

und entsann sich verschiedener Anschläge auf amerikanische<br />

Präsidenten.<br />

Und wenn sie uns nun doch die Schuld geben? fragte sich Toland.<br />

Ausgeschlossen, sie mussten doch wissen, dass niemand so verrückt<br />

sein konnte. Oder?<br />

Norfolk, Virginia<br />

Er fuhr weitere drei Stunden lang, wünschte sich, weniger Wein und<br />

mehr Kaffee getrunken zu haben, und ließ das Autoradio laufen,<br />

um wach zu bleiben. Kurz nach sieben traf er ein und fand zu seinem<br />

Erstaunen Colonel Lowe an seinem Schreibtisch vor.<br />

»Ich muss mich erst am Dienstag in Lejeune melden und dachte,<br />

fährst mal ins Büro und siehst dir die Sache an. Passen Sie auf, das<br />

ist der Gipfel." Lowe hielt einen Bogen aus dem Fernschreiber<br />

hoch. »Wir haben vor einer halben Stunde bei Reuter mitgeschnit­<br />

95


ten und erfahren, dass das KGB einen Westdeutschen namens Gerhard<br />

Falk verhaftet hat und ihn beschuldigt, die Bombe <strong>im</strong> Kreml<br />

gelegt zu haben!« Lowe atmete tief aus. »Die hohen Tiere sind<br />

davongekommen, aber erwischt hat es offenbar sechs Junge Oktobristen,<br />

die dem Politbüro eine Präsentation machen wollten. Kinder!<br />

Passen Sie auf, jetzt ist der Teufel los.«<br />

Toland schüttelte den Kopf. Schl<strong>im</strong>mer hätte es wirklich nicht<br />

kommen können. »Und man behauptet, es sei ein Deutscher gewesen?«<br />

»Ein Westdeutscher«, korrigierte Lowe. Die Nato-Nachrichtendienste<br />

sind schon wild am Nachprüfen. Die offizielle sowjetische<br />

Verlautbarung nennt seinen Namen - Falk - und seinen Wohnort ­<br />

ein Vorort von Bremen - und seinen Beruf; er hat eine kleine<br />

Export-Firma. Sonst nichts weiter, aber das sowjetische Außenministerium<br />

erklärte weiter, mit negativen Auswirkungen auf die<br />

Wiener Abrüstungsgespräche sei nicht zu rechnen. Es sei zwar<br />

unwahrscheinlich, dass Falk allein handelte, doch man »habe nicht<br />

den Wunsch< anzunehmen, dass wir etwas mit der Sache zu tun<br />

haben.«<br />

»Fein. Schade, dass Sie zurück zu Ihrem Reg<strong>im</strong>ent müssen,<br />

Chuck. Sie haben das Talent, <strong>im</strong>mer die wichtigsten Zitate herauszupicken.«<br />

»Commander, es mag sein, dass wir das Reg<strong>im</strong>ent bald brauchen.<br />

Die Sache stinkt nämlich zum H<strong>im</strong>mel. Sechs tote russische Kinder,<br />

und die Bombe hat angeblich ein Deutscher gelegt.«<br />

»Mag sein«, meinte Toland, ein halbherziger Advokat des Teufels,<br />

versonnen. »Aber meinen Sie, wir könnten diese Tatsache der<br />

Presse oder jemandem in Washington verkaufen? Das Ganze klingt<br />

zu verrückt und zufällig.«<br />

Lowe nickte. »Gehen wir der Sache aber trotzdem auf den<br />

Grund, nur für den Fall, dass sie gestellt ist. Rufen Sie bei CNN in<br />

Atlanta an und finden Sie heraus, wie lange sich dieser Suddler um<br />

die Genehmigung zum Filmen <strong>im</strong> Kreml bemüht hatte, von wem er<br />

sie bekam und ob er sie von einer anderen Stelle als seinen normalen<br />

Pressekontakten erhielt.«<br />

»Ein Türke?« Toland fragte sich, ob sie nun clever oder verrückt<br />

waren.<br />

»Selbst ein Herrenmagazin kann man in die Sowjetunion nur mit<br />

Diplomatenpost einschmuggeln, und nun will man uns vormachen,<br />

96


dass ein Deutscher unbemerkt eine Bombe in den Kreml geschafft<br />

hat, um das Politbüro in die Luft zu sprengen?«<br />

»Brächten wir das denn fertig?« fragte Toland.<br />

»Wenn die CIA so verrückt wäre, das auch nur zu versuchen?«<br />

Lowe schüttelte den Kopf. »Kaum, das schaffen selbst die Russen<br />

nicht. Der Kreml muss eine tief gestaffelte Verteidigungsanlage haben<br />

- Röntgenapparate, Spürhunde, dreihundert Wächter von drei<br />

verschiedenen Einheiten, KGB, MWD, wahrscheinlich auch noch<br />

die Miliz. Sie wissen ja, wie sehr die sich vor ihren eigenen Bürgern<br />

fürchten. Glauben Sie vielleicht, die lassen einen Deutschen<br />

durch?«<br />

»Sie können also nicht behaupten, Falk sei ein Irrer gewesen, der<br />

auf eigene Faust handelte.«<br />

»Bleibt also n ur. ..«<br />

»Genau.« Toland griff nach dem Telefon und rief den Kabelsender<br />

an.<br />

Kiew, Ukraine<br />

»Kinder!« flüsterte Alexejew. »Wegen dieser maskirowka ermordet<br />

die Partei unsere eigenen Kinder. Was ist aus uns geworden?«<br />

Auch sein General war blass, als er den Fernseher ausschaltete.<br />

»Wir müssen diese Gedanken verdrängen, Pascha. Das ist hart,<br />

aber notwendig. Der Staat ist nicht perfekt, aber wir müssen ihm<br />

dienen.«<br />

Alexejew musterte seinen Vorgesetzten aufmerksam. An den<br />

letzten Worten war der General fast erstickt. Der Tag der Abrechnung<br />

wird kommen, sagte sich Pascha, aber werde ich ihn noch<br />

erleben? Vermutlich nicht, dachte er resigniert.<br />

Moskau<br />

So weit ist es mit der Revolution gekommen, dachte Sergetow und<br />

starrte auf die Trümmer. Es war Spätnachmittag, aber die Sonne<br />

stand noch hoch. Die Feuerwehrleute und Soldaten hatten die<br />

Bergungsarbeiten fast abgeschlossen und luden nun den Schutt auf<br />

Lastwagen. Sein Anzug war staubig. Muss in die Reinigung, dachte<br />

97


er und sah zu, wie sie siebte kleine Leiche mit einer Sanftheit, die<br />

irgendwie fehl am Platz wirkte, angehoben wurde. Ein Kind wurde<br />

noch vermisst; es bestarid wenig Hoffnung. In der Nähe packte ein<br />

Sanitäter vom Heer mit zitternden Händen Verbandsmaterial aus.<br />

Links von ihm weinte ein Infanteriemajor vor Zorn.<br />

Die Fernsehkameras waren natürlich auch da. Haben wir uns bei<br />

den Amerikanern abgeguckt, dachte Sergetow, die Teams drängen<br />

sich vor und zeichnen jede grässliche Szene für die Abendnachrichten<br />

auf. Zu seiner Überraschung sah er auch ein amerikanisches Team.<br />

Aha, wir haben den Massenmord zum internationalen Zuschauersport<br />

gemacht. Sergetow war viel zu wütend, um sich seine Emotionen<br />

anmerken zu lassen. Es hätte auch mich erwischen können,<br />

dachte er. Donnerstag bin ich <strong>im</strong>mer früher da. Das weiß jeder, die<br />

Wächter, die Beamten und ganz gewiss auch meine Kollegen <strong>im</strong><br />

Politbüro. Das also ist das vorletzte Teilstück der maskirowka: das<br />

Volk aufbringen, motivieren. Sollte auch ein Mitglied des Politbüros<br />

in den Trümmern liegen? Selbstverständlich nur ein Kandidat...<br />

Du irrst dich best<strong>im</strong>mt, sagte sich Sergetow. Sein Verstand widmete<br />

sich der Frage mit kalter Objektivität und prüfte gleichzeitig<br />

sein persönliches Verhältnis zu den älteren Mitgliedern des Politbüros.<br />

Er wusste nicht, was er von der Sache halten sollte. Eine seltsame<br />

Lage für einen Parteiführer.<br />

Norfolk, Virginia<br />

»Mein Name ist Gerhard Falk«, sagte der Mann. »Ich reiste vor<br />

sechs Tagen über Odessa in die Sowjetunion ein. Seit zehn Jahren<br />

bin ich Agent des Bundesnachrichtendienstes. Mein Auftrag war<br />

die Ausschaltung des Politbüros mittels einer Bombe, die ich in<br />

einen Lagerraum unmittelbar unterhalb des Sitzungssaals legte.«<br />

Lowe und Toland starrten fasziniert auf den Bildschirm. »Falk«<br />

sprach ein perfektes Russisch mit Leningrader Akzent.<br />

»Ich betreibe seit vielen Jahren eine Export-Import-Firma in<br />

Bremen und bin auf den Handel mit der Sowjetunion spezialisiert.<br />

Ich habe viele Reisen in die Sowjetunion unternommen und dabei<br />

oft unter dem Deckmantel eines Geschäftsmanns Agenten gesteuert,<br />

deren Auftrag die Schwächung und Ausspähung der politischen<br />

und militärischen Infrastruktur der Sowjetunion war.«<br />

98


Die Kamera ging näher. »Falk« las monoton vom Blatt ab und<br />

schaute nur selten in die Linse. Er hatte ein blaues Auge, und seine<br />

Hände zitterten leicht.<br />

»Sieht aus, als hätten sie ihn ein bisschen durch die Mangel<br />

gedreht«, merkte Lowe an.<br />

»Interessant«, versetzte Toland. »Man gibt uns zu verstehen, dass<br />

man solche Methoden anwendet.»<br />

Lowe schnaubte. »Bei Kerlen wie ihm, die kleine Kinder in die<br />

Luft sprengen? Ist doch kein Wunder, das Ganze ist ernsthaft<br />

überlegt und geplant.«<br />

»Ich möchte klarstellen«, fuhr Falk fort, »dass es nicht meine<br />

Absicht war, Kindern Schaden zuzufügen. Das Politbüro war ein<br />

legit<strong>im</strong>es politisches Ziel, aber einen Krieg gegen Kinder führt mein<br />

Land nicht.«<br />

Aus dem Off kam ein empörtes Geheul. Wie auf ein Stichwort hin<br />

fuhr die Kamera zurück und zeigte zwei KGB-Offiziere in Uniform,<br />

die den Sprecher mit ausdruckslosen Mienen flankierten. Das Publikum<br />

setzte sich aus rund zwanzig Zivilisten zusammen.<br />

»Wann sind Sie eingereist?« fragte einer der beiden.<br />

»Das habe ich Ihnen bereits gesagt.«<br />

»Warum wollte Ihr Land die Führer unserer Partei töten?«<br />

»Ich bin ein Spion«, erwiderte Falk, »und führe Aufträge aus. Ich<br />

stelle keine Fragen und befolge meinen Befehl.«<br />

»Wie wurden Sie festgenommen?«<br />

»Ich wurde in Kiew auf dem Bahnhof verhaftet. Wie man mir auf<br />

die Spur kam, sagte man mir nicht.«<br />

»Clever«, kommentierte Lowe.<br />

»Moment, er bezeichnet sich als >SpionOffizierAgent< ist ein Ausländer, der für jemanden arbeitet, und ein<br />

>Spion< ein Bösewicht. Die Russen verwenden die Begriffe so wie<br />

wir.«<br />

Eine Stunde später ging über Telex der CIA/DIA-Bericht ein.<br />

Gerhard Eugen Falk, 44, geboren in Bonn. Gutes Abiturzeugnis,<br />

aber sein Lichtbild war aus den Unterlagen des Gymnasiums verschwunden.<br />

Wehrdienst in einem Transportbataillon, dessen Akten<br />

vor zwölf Jahren bei einem Kasernenbrand vernichtet wurden.<br />

Studium der Geisteswissenschaften, gute Noten, aber wieder kein<br />

Foto, und drei Professoren, die ihm Zweier gegeben hatten, konn­<br />

99


ten sich offenbar nicht an ihn entsinnen. Eine kleine Import-Export-Firma.<br />

Woher kam das Startkapital? Auf diese Frage wusste<br />

niemand eine Antwort. Lebte ruhig, bescheiden und allein in Bremen,<br />

galt als freundlich. Grüßte seine Nachbarn, knüpfte aber<br />

keine gesellschaftlichen Kontakte. Ein guter, »sehr korrekter«<br />

Chef, wie seine Sekretärin erklärte, der viel unterwegs war. Kurz:<br />

Viele wussten, dass es ihn gab, nicht wenige machten Geschäfte mit<br />

ihm, aber niemand wusste etwas Genaues über ihn.<br />

»Ich sehe die Schlagzeilen schon jetzt: >Die Handschrift der<br />

CIA


efolgt, und ich kann nur sagen, dass ich stolz bin, mit Ihnen gedient<br />

zu haben. Die üblichen politischen Tiraden überlasse ich Ihren<br />

Politoffizieren.« Alexejew erlaubte sich ein kleines Lächeln. »Wir<br />

sind Berufsoffiziere der sowjetischen Armee und kennen unsere<br />

Aufgabe. Die Existenz der Rodina hängt von unserer Fähigkeit ab,<br />

sie zu erfüllen. Alles andere ist unwichtig«, schloss er.<br />

101


Schpola, Ukraine<br />

11<br />

Die Schlachtordnung<br />

»Bitte fangen Sie an, Genosse Oberst«, sprach Alexejew in sein<br />

Funkgerät und verkniff sich hinzuzufügen: Wenn du mich blamierst,<br />

kannst du Bäume zählen. Der General befand sich auf einer<br />

Anhöhe fünfhundert Meter westlich des Gefechtsstands des Reg<strong>im</strong>ents,<br />

begleitet von seinem Adjutanten und dem Mitglied des<br />

Politbüros Michail Sergetow.<br />

Erst die Artillerie. Sie sahen die Blitze, lange bevor sie den grollenden<br />

Donner der Schüsse hörten. Die Granaten wurden hinter<br />

einem drei Kilometer entfernten Hügel abgefeuert und flogen links<br />

von ihnen <strong>im</strong> hohen Bogen vorbei, durchschnitten die Luft mit<br />

einem Geräusch, das an reißendes Leinen erinnerte. Der Mann von<br />

der Partei zuckte bei dem Lärm zusammen, wie Alexejew feststellte,<br />

wieder so ein verweichlichter Zivilist.<br />

»Ich habe dieses Geräusch nie gemocht«, sagte Sergejew knapp.<br />

»Kennen Sie es denn, Genosse Minister?« fragte Alexejew beflissen.<br />

»Ich diente vier Jahre in einem motorisierten Schützenreg<strong>im</strong>ent«,<br />

erwiderte er, »und lernte, meinen Kameraden an den Zielplanpausen<br />

nicht zu trauen. Dumm von mir. Verzeihung, Genosse General.«<br />

Dann die Panzergeschütze. Durch Feldstecher sahen sie die<br />

mächtigen Kampfpanzer wie Traumungeheuer aus dem Wald auftauchen<br />

und be<strong>im</strong> gleitenden Vormarsch über das wellige Übungsgelände<br />

aus langen Rohren Feuer spucken. Zwischen den Panzern<br />

verteilt fuhren die Schützenpanzer. Dann flogen die Kampfhubschrauber<br />

von links und rechts das Ziel an und schössen ihre<br />

Lenkflugkörper auf die Bunker- und Panzerfahrzeugattrappen ab.<br />

Das Kampfziel, eine Anhöhe, war inzwischen vor Explosionen<br />

und Erdfontänen kaum noch sichtbar. Alexejew schätzte die Übung<br />

mit geübtem Blick sorgfältig ein. Wer auf dieser Anhöhe saß, hatte<br />

102


es nicht leicht. Selbst auf Schützen in tiefen, engen Löchern, selbst<br />

auf Panzer in verdeckten Stellungen musste das Artilleriefeuer so<br />

erschreckend wirken, dass es den Bedienungsmannschaften der<br />

Lenkwaffen die Konzentration nahm, das Fernmeldepersonal aus<br />

der Fassung brachte, vielleicht sogar die Offiziere behinderte.<br />

Denkbar. Aber das Gegenfeuer der feindlichen Artillerie? Und die<br />

Panzerabwehrhubschrauber und Erdkampfflugzeuge, die auf die<br />

vorrückenden Panzerbataillone niederstoßen konnten? So viele<br />

Gründe, ein Risiko einzugehen, und so viele, es bleiben zu lassen. So<br />

viele Unsicherheitsfaktoren <strong>im</strong> Gefecht. Wenn nun Deutsche diese<br />

Anhöhe hielten? Waren die Deutschen jemals aus der Fassung<br />

geraten? Selbst 1945 vor Berlin nicht.<br />

Zwölf Minuten später hatten die Kampf- und Schützenpanzer<br />

die Höhe erreicht. Die Übung war vorbei.<br />

»Hübsch, Genosse General«, meinte Sergetow und nahm die<br />

Ohrschützer ab. »Wenn ich mich recht entsinne, beträgt die vorgeschriebene<br />

Zeit für diese Übung vierzehn Minuten. Die Panzer und<br />

Infanteriefahrzeuge haben gut zusammengearbeitet. Ich habe zwar<br />

noch nie Kampfhubschrauber <strong>im</strong> Einsatz gesehen, aber auch das<br />

war eindrucksvoll.«<br />

»Die entscheidende Verbesserung wurde bei der Koordinierung<br />

von Artilleriefeuer und Infanterie in der letzten Angriffsphase erzielt.«<br />

»Das Problem kenne ich gut«, meinte Sergetow lachend. »Meine<br />

Kompanie hatte zwar keine Verluste zu verzeichnen, aber zwei<br />

Freunde von mir wurden von der eigenen Artillerie verletzt, zum<br />

Glück nicht ernsthaft.«<br />

»Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, Genosse Minister,<br />

es freut mich, dass auch Mitglieder des Politbüros dem Staat in<br />

Uniform gedient haben. Das erleichtert uns armen Soldaten die<br />

Kommunikation.« Ein Freund bei Hof konnte nicht schaden, fand<br />

Alexejew, und Sergetow schien ein anständiger Kerl zu sein.<br />

»Mein älterer Sohn wurde erst <strong>im</strong> letzten Jahr aus dem Militärdienst<br />

entlassen. Und mein jüngerer Sohn wird nach Abschluß<br />

seiner Studien in der Roten Armee dienen.«<br />

So etwas bekam der General nur selten zu hören. Alexejew setzte<br />

den Feldstecher ab und starrte den Mann von der Partei kurz an.<br />

»Sie brauchen es nicht auszusprechen, Genosse General.« Sergetow<br />

lächelte. »Ich weiß, die Sprösslinge hoher Parteifunktionäre<br />

103


wählen nur selten eine solche Karriere. Aber wer herrschen will,<br />

muss erst dienen lernen. So, und nun habe ich einige Fragen an<br />

Sie...<br />

»Bitte folgen Sie mir. Genosse Minister.« Die beiden Männer<br />

gingen zurück zu Alexejews gepanzertem Gefechtsstandsfahrzeug.<br />

Der Adjutant entfernte sich, nachdem er die Besatzung des umgebauten<br />

Mannschaftstransportwagens entlassen hatte, und ließ Sergetow<br />

und Alexejew allein. Der General schenkte aus einer Thermosflasche<br />

heißen Tee ein.<br />

»Auf Ihr Wohl, Genosse Minister."<br />

"Und auf Ihres, Genosse General.« Sergetow trank einen kleinen<br />

Schluck und stellte die Tasse auf den Kartentisch. »So, und<br />

nun zur Hauptsache: Wie ist unsere Bereitschaft für Roter<br />

Sturm?«<br />

»Es sieht gegenüber Januar bemerkenswert besser aus. Unsere<br />

Männer sind fit und haben ihre Aufgaben unablässig geübt. Aufrichtig<br />

gesagt, würde ich mir lieber noch zwei Monate Zeit nehmen,<br />

aber ja: Wir sind bereit.«<br />

»Gut gesagt, Pawel Leonidowitsch. Und darf ich jetzt bitte die<br />

Wahrheit hören?« meinte Sergetow mit einem Lächeln.<br />

Alexejew war trotzdem sofort auf der Hut. »Ich bin kein Narr,<br />

Genosse Minister. Es wäre Wahnsinn, Ihnen etwas vorzulügen.«<br />

»Bei uns ist die Wahrheit oft der größere Wahnsinn. Lassen Sie<br />

uns ganz offen miteinander reden. Gewiss, ich habe Macht, aber<br />

wir beide kennen ihre Grenzen. Es sind <strong>im</strong> Augenblick nur Kandidaten<br />

des Politbüros draußen bei unseren Einheiten, und es ist<br />

unser Auftrag, den Vollmitgliedern Bericht zu erstatten. Sind wir<br />

wirklich bereit, Genosse General? Werden wir siegen?«<br />

»Ja, wenn uns ein strategischer Überraschungseffekt gelingt und<br />

die maskirowka Erfolg hat, sollten wir siegen können«, erwiderte<br />

Alexejew vorsichtig.<br />

»Ein Sieg ist also nicht garantiert?«<br />

»Sie haben gedient. Genosse Minister. Auf dem Gefechtsfeld ist<br />

nichts garantiert. Die Qualität einer Armee erweist sich erst, wenn<br />

Blut geflossen ist. Das ist bei unserer nicht der Fall. Wir haben<br />

alles in unseren Kräften Stehende getan, um sie auf ihre Aufgabe<br />

vorzubereiten «<br />

»Sie wollten noch zwei Monate haben«, stellte Sergetow fest.<br />

»Mit einer solchen Aufgabe ist man nie wirklich fertig. Es gibt<br />

104


<strong>im</strong>mer wieder etwas, das noch verbessert werden kann. Erst vor<br />

einem Monat begannen wir. hohe Offiziere auf Bataillons- und<br />

Reg<strong>im</strong>entsebene durch jüngere, energischere Männer zu ersetzen,<br />

eine Maßnahme, die sehr erfolgreich war. Doch eine Reihe von<br />

jungen Hauptleuten, die nun die Funktion eines Majors erfüllen,<br />

könnte noch mehr Erfahrungen sammeln.«<br />

„Sie haben also <strong>im</strong>mer noch Zweifel?«<br />

»Zweifel wird es <strong>im</strong>mer geben, Genosse Minister. Ein Krieg läßt<br />

sich nicht angehen wie eine Mathematikaufgabe. Wir haben es mit<br />

Menschen zu tun, nicht mit Zahlen.«<br />

»Gut, Pawel Leonidowitsch, sehr gut. Sie sind ein ehrlicher<br />

Mann.« Sergetow hob die Teerasse und trank dem General zu. »Ich<br />

kam hierher, weil ein Genosse aus dem Politbüro, Pjotr Bromkowski,<br />

mir von Ihrem Vater erzahlte.«<br />

»Onkel Petja?« Alexejew nickte. »Er war be<strong>im</strong> Vorstoß auf Wien<br />

Kommissar in der Division meines Vaters und besuchte uns oft, als<br />

ich noch klein war. Geht es ihm gut?«<br />

»Nein, er ist alt und krank. Er hält den Angriff gegen den Westen<br />

für Wahnsinn. Mag sein, dass er ein bisschen senil ist, aber da er sich<br />

<strong>im</strong> Krieg ausgezeichnet hat, wollte ich hören, wie Sie unsere Chancen<br />

einschätzen. Keine Angst, ich werde Sie nicht denunzieren. Zu<br />

viele Leute haben Angst, uns, dem Politbüro, die Wahrheit zu<br />

sagen. Aber es ist Zeit, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Ich will<br />

Ihre fachmännische Meinung hören.« Was als Bitte begonnen<br />

hatte, endete als barscher Befehl.<br />

Alexejew sah seinem Gast fest in die Augen. Der Charme war<br />

verflogen, ihr Blau war kalt. Hier drohte Gefahr, selbst einem<br />

General, aber was der Mann gesagt hatte, st<strong>im</strong>mte.<br />

»Genosse, wir planen einen raschen Feldzug und erwarten, den<br />

Rhein innerhalb von zwei Wochen zu erreichen. Diese Einschätzung<br />

ist sogar noch zurückhaltender als die Pläne, die vor fünf<br />

Jahren galten. Die Nato hat ihren Bereitschaftsgrad erhöht, insbesondere<br />

ihre Panzerabwehr verbessert. Ich persönlich halte drei<br />

Wochen für ein realistischeres Ziel, abhängig vom Überraschungsmoment<br />

und den vielen Imponderabilien <strong>im</strong> Krieg.«<br />

»Das Überraschungsmoment ist also entscheidend?«<br />

»Das ist es <strong>im</strong>mer«, erwiderte Alexejew sofort und zitierte die<br />

sowjetische Militärdoktrin: »Im Krieg ist Überraschung der wichtigste<br />

Faktor. Die taktische Überraschung ist eine operative Kunst,<br />

105


die ein geschickter Truppenführer <strong>im</strong> allgemeinen beherrscht. Strategische<br />

Überraschung erzielt man auf politischer Ebene. Das ist<br />

ihre Aufgabe, und das ist wichtiger als alles, was wir hier bei der<br />

Armee leisten können. Wenn ein echtes strategisches Überraschungsmoment<br />

erzielt wird, wenn unsere maskirowka klappt,<br />

ist der Sieg so gut wie sicher.«<br />

»Und wenn nicht?«<br />

Dann haben wir acht Kinder umsonst ermordet, dachte Alexejew.<br />

Welche Rolle hatte dieser charmante Bursche dabei gespielt?<br />

»Dann kann der Erfolg ausbleiben. Würden Sie mir bitte eine Frage<br />

beantworten? Können wir die Nato politisch spalten?«<br />

Sergetow zuckte die Achseln und war gereizt, weil er in seine<br />

eigene Falle gegangen war. »Wie Sie sagten, Pawel Leonidowitsch,<br />

gibt es viele Imponderabilien. Was, wenn das Unternehmen keinen<br />

Erfolg hat?«<br />

»Dann wird der Krieg eine Willens- und Nervenprobe. Hierbei<br />

sollten wir gewinnen. Wir können leichter Verstärkung heranführen.<br />

Außerdem haben wir nahe der Gefechtszone mehr Truppen,<br />

Panzer und Flugzeuge als die Nato-Mächte.«<br />

»Und Amerika?«<br />

»Amerika liegt jenseits des Atlantiks, für dessen Sperrung wir<br />

einen Plan haben. Gewiss, Amerika kann Truppen nach Europa<br />

fliegen, aber keine Waffen, keinen Treibstoff. Dazu braucht man<br />

Schiffe, und die sind leichter zu zerstören als eine kämpfende Division.<br />

Wenn das volle Überraschungsmoment nicht erzielt werden<br />

kann, wird das Operationsgebiet Atlantik äußerst wichtig sein.«<br />

»Und etwaige Überraschungen von seiten der Nato?«<br />

Der General lehnte sich zurück. »Es liegt in der Natur von<br />

Überraschungen, dass sie sich nicht vorhersagen lassen, Genosse. Es<br />

ist die Aufgabe unserer Gehe<strong>im</strong>dienste, sie zu reduzieren oder ganz<br />

auszuschalten. Aus diesem Grund berücksichtigt unser Plan eine<br />

Reihe von Eventualitäten. Was zum Beispiel, wenn der Überraschungseffekt<br />

gänzlich verloren geht und die Nato vor uns angreift?«<br />

Er hob die Schultern. »Weit käme sie nicht, stiftete aber<br />

Verwirrung. Sorgen macht mir nur noch eine nukleare Reaktion,<br />

aber das ist eher eine politische Frage.«<br />

»Allerdings.« Sergetows Sorge galt seinem älteren Sohn. Wenn<br />

die Reservisten einberufen wurden, musste Iwan in seinen Panzer<br />

klettern, und man brauchte kein Mitglied des Politbüros zu sein,<br />

106


um zu wissen, wohin er rollen würde. Alexejew hatte nur Töchter.<br />

Glückspilz, dachte Sergetow und sagte laut: »Und diese Einheit hier<br />

kommt nach Deutschland?«<br />

»Ja, Ende der Woche.«<br />

»Und Sie?«<br />

»Während der ersten Phase des Krieges ist es unsere Aufgabe, als<br />

strategische Reserve für die Operationen des OB West zu fungieren<br />

und mögliche Übergriffe gegen die Südflanke abzuwehren. Aber<br />

das macht uns keinen großen Kummer. Griechenland und die Türkei<br />

müssten kooperieren, um uns zu bedrohen; eine Möglichkeit,<br />

die ausgeschlossen ist, wenn sich unser Gehe<strong>im</strong>dienst nicht völlig<br />

irrt. Mein OB und ich werden später Phase zwei des Plans durchführen<br />

und den Persischen Golf besetzen. Die Araber sind bis an die<br />

Zähne bewaffnet, aber ihre Zahl ist gering. Was tut Ihr Sohn <strong>im</strong><br />

Augenblick?«<br />

»Mein Ältester? Der hat gerade mit Erfolg das erste Jahr seines<br />

Arabistikstudiums abgeschlossen.« Sergetow war überrascht, <strong>im</strong><br />

Zusammenhang mit Roter Sturm daran nicht gedacht zu haben.<br />

»Solche Leute können wir gebrauchen. Wer sonst bei uns Arabisch<br />

kann, ist meist selbst Moslem, und für den Einsatz <strong>im</strong> Persischen<br />

Golf würde ich zuverlässigere Männer bevorzugen.«<br />

»Trauen Sie den Söhnen Allahs denn nicht?«<br />

»Im Krieg traue ich keinem. Wenn Ihr Sohn Arabisch beherrscht,<br />

werde ich Verwendung für ihn finden.« Das Übereinkommen<br />

wurde mit Kopfnicken bestätigt, und beide fragten sich, ob der<br />

andere das nicht geplant hatte.<br />

Norfolk, Virginia<br />

»>Fortschritt< ist nicht wie geplant zu Ende gegangen«, sagte Toland.<br />

»Satelliten und andere Aufklärungsmittel zeigen, dass die<br />

sowjetischen Kräfte in Ostdeutschland und Westpolen noch <strong>im</strong>mer<br />

in Gefechtsformation <strong>im</strong> Feld liegen. Es gibt auch Hinweise, dass an<br />

mehreren Stellen in der Sowjetunion Züge zusammengestellt werden<br />

- und zwar auf Verschiebebahnhöfen, deren Lage mit einem<br />

Plan zum Transport zahlreicher Truppen nach Westen <strong>im</strong> Zusammenhang<br />

stehen könnte. Heute früh liefen sechs U-Boote der sowjetischen<br />

Nordflotte aus, offenbar, um <strong>im</strong> Mittelmeer operierende<br />

107


Verbände abzulösen. Im Lauf der nächsten zwei Wochen werden<br />

sich also mehr russische U-Boote als gewöhnlich <strong>im</strong> Nordatlantik<br />

befinden.«<br />

»Informieren Sie mich näher über die Verbände, die <strong>im</strong> Mittelmeer<br />

abgelöst werden«, befahl der CINCLANT.<br />

»Es handelt sich um ein Victor, ein Echo, drei Foxtrott und ein<br />

Juliet. Die letzte Woche verbrachten sie längsseits eines Tenders in<br />

Tripoli - das Mutterschiff blieb in libyschen Gewässern zurück. Die<br />

Straße von Gibraltar werden sie morgen um 13.00 Uhr Zulu-Zeit<br />

passieren.«<br />

»Sie warten also nicht auf die erste Ablösung?«<br />

»Nein, Admiral. Gewöhnlich wartet man, bis die ablösenden<br />

Verbände ins Mittelmeer eingefahren sind, aber in drei von zehn<br />

Fällen verfährt man so. Es sind also zwölf sowjetische Boote nach<br />

Norden und nach Süden unterwegs, dazu ein November und drei<br />

weitere Foxtrott, die mit der kubanischen Marine geübt haben.<br />

Auch letztere liegen am Mutterschiff, wie wir heute Vormittag<br />

feststellten - die Information ist gerade zwei Stunden alt.«<br />

»Gut, und wie sieht es in Europa aus?«<br />

»Keine weiteren Informationen über Falk. Die Nachrichtendienste<br />

der Nato rannten gegen eine Wand, und auch in Moskau<br />

verlautete nichts Neues, noch nicht einmal das Datum der Gerichtsverhandlung.<br />

Die Deutschen wissen überhaupt nichts über den<br />

Mann. Man hat seine Wohnung Stück für Stück auseinandergenommen<br />

und nichts Belastendes gefunden«<br />

»Gut, Commander, was halten Sie persönlich davon?«<br />

»Admiral, Falk ist meiner Meinung nach ein sowjetischer Agent,<br />

der vor dreizehn Jahren in die Bundesrepublik eingeschleust wurde<br />

und dort bis jetzt als Maulwurf lebte.«<br />

»Sie halten das Ganze also für eine Operation des sowjetischen<br />

Gehe<strong>im</strong>dienstes. Überrascht mich nicht. Was ist der Zweck der<br />

Übung?« fragte der CINCLANT scharf.<br />

»Sir, bestenfalls soll ungeheurer politischer Druck auf Westdeutschland<br />

ausgeübt, das Land vielleicht sogar aus der Nato getrieben<br />

werden. Schl<strong>im</strong>mstenfalls -«<br />

»Danke, das schl<strong>im</strong>mste Szenarium haben wir bereits erstellt.<br />

Gut gemacht, Toland. Und ich muss mich wegen gestern bei Ihnen<br />

entschuldigen. Es war nicht Ihre Schuld, dass nicht alle Daten<br />

vorlagen, die ich haben wollte.« Toland blinzelte ungläubig. Es<br />

108


kam nicht oft vor, dass sich ein Vier-Sterne-Admiral vor anderen<br />

Offizieren bei einem Lieutenant Commander der Reserve entschuldigte.<br />

»Was treibt Ihre Flotte?«<br />

»Admiral, wegen schlechter Witterungsverhältnisse liegen keine<br />

Satellitenfotos von Murmansk vor, aber wir rechnen damit, dass es<br />

bis morgen nachmittag aufklart. Die Norweger haben ihre Patrouillen<br />

in der Barentssee intensiviert und sagen, dass abgesehen<br />

von den U-Booten <strong>im</strong> Augenblick nur wenige russische Schiffe auf<br />

See sind. Aber das ist schon seit einem Monat so.«<br />

»Und lässt sich innerhalb von drei Stunden ändern«, merkte ein<br />

Admiral an. »Wie ist es Ihrer Einschätzung nach um den Bereitschaftsgrad<br />

der Flotte bestellt?«<br />

»Seit ich begann, mich mit ihm zu befassen, war er noch nie so<br />

hoch«, erwiderte Toland. »Praktisch hundert Prozent. Wie Sie<br />

gerade sagten, Sir, können die Russen jederzeit mit ihrem gesamten<br />

Inventar in See stechen.«<br />

»Wenn sie auslaufen, werden wir das bald erfahren«, meinte<br />

Admiral Pipes. » Drei meiner Boote behalten dort oben die Dinge <strong>im</strong><br />

Auge.«<br />

»Ehe ich hierher kam, sprach ich mit dem Verteidigungsminister.<br />

Er wird sich heute mit dem Präsidenten treffen und um Verteidigungsstufe<br />

DEFCON 3, global, ersuchen. Die Deutschen haben<br />

gebeten, Spirale Grün in Kraft zu belassen, bis die russischen Aktivitäten<br />

abebben. Was haben die Sowjets Ihrer Ansicht nach vor,<br />

Commander?« fragte der CINCLANT.<br />

»Sir, bis heute Nachmittag werden wir mehr wissen. Der Generalsekretär<br />

wird bei einer Sondersitzung des Obersten Sowjet und<br />

vielleicht auch morgen bei der Beerdigung sprechen.«<br />

»Sent<strong>im</strong>entaler Sack«, grollte Pipes.<br />

Eine Stunde später saß Toland <strong>im</strong> Büro vor dem Fernseher und<br />

vermisste Chuck Lowe, der ihm bei der Übersetzung hätte helfen<br />

können. Der Generalsekretär hatte die unangenehme Angewohnheit,<br />

so rasch zu sprechen, dass Toland nur mit Mühe folgen konnte.<br />

Die vierzig Minuten lange Rede bestand zu drei Vierteln aus den<br />

üblichen politischen Phrasen. Am Ende jedoch gab der Generalsekretär<br />

die Mobilisierung der Reserveeinheiten der Kategorie II<br />

bekannt, um der deutschen Bedrohung entgegenzutreten.<br />

109


12<br />

Arrangements für Begräbnisse<br />

Norfolk, Virginia<br />

Das Haus der Allunionskonferenz war ungewöhnlich voll, wie<br />

Toland feststellte. Normalerweise wurden mit solchem Pomp nur<br />

Helden begraben. Einmal hatten hier drei Kosmonauten aufgebahrt<br />

gelegen, doch nun ging es um elf Helden. Acht Junge Oktobristen<br />

aus Pskow und drei Beamte, die dem Politbüro zugearbeitet<br />

hatten, lagen umgeben von einem Blumenmeer in polierten Särgen<br />

aus Birkenholz. Toland sah genauer hin. Die Särge standen erhöht,<br />

so dass man die Opfer sehen konnte, aber zwei Gesichter waren mit<br />

schwarzer Seide abgedeckt, und gerahmte Fotos auf den Särgen<br />

zeigten, wie die Kinder <strong>im</strong> Leben ausgesehen hatten.<br />

Die Säulenhalle war schwarz und rot drapiert, selbst die Lüster<br />

hatte man für diesen feierlichen Anlass verhängt. Die Familien der<br />

Opfer, Eltern ohne ihre Kinder sowie Frauen und Kinder ohne ihre<br />

Väter, standen aufgereiht. Ihre Gesichter verrieten weniger Emotionen<br />

als einen Schock; offenbar hatten sie sich noch nicht mit dem<br />

Schicksalsschlag abgefunden und hofften noch <strong>im</strong>mer, aus diesem<br />

Alptraum aufzuwachen und ihre Lieben gesund in ihren Betten<br />

vorzufinden.<br />

Der Generalsekretär schritt die Reihe der Trauernden ab, umarmte<br />

jeden und hatte ein schwarzes Band am Ärmel, das <strong>im</strong><br />

Kontrast zu dem Leninorden an seinem Revers stand. Toland konzentrierte<br />

sich auf sein Gesicht. Der Mann war erschüttert. Fast<br />

konnte man sich vorstellen, dass seine eigene Familie betroffen war.<br />

Eine Mutter ließ sich umarmen, dann küssen und brach fast<br />

zusammen, fiel auf die Knie und schlug die Hände vors Gesicht.<br />

Noch vor ihrem Mann lag der Generalsekretär neben ihr auf den<br />

Knien, zog ihren Kopf an seine Schultern. Einen Augenblick später<br />

half er ihr auf die Beine und schob sie sanft in die schützenden Arme<br />

ihres Mannes, eines Hauptmanns der sowjetischen Armee, dessen<br />

Gesicht eine steinerne Maske war.<br />

110


Allmächtiger, dachte Toland, das hätte selbst Eisenstein nicht<br />

besser inszenieren können.<br />

Kaltherziges Schwein, dachte Sergetow, der mit dem Rest des<br />

Politbüros links von den Särgen stand. Er hielt das Gesicht den<br />

Särgen zugewandt, schaute aber zur Seite und musste Fernsehkameras<br />

entdecken, die die Zeremonie aufzeichneten. Die ganze Welt<br />

würde sie miterleben, hatte man ihm versichert; so perfekt war also<br />

der vorletzte Akt der maskirowka organisiert. Eine Ehrengarde aus<br />

Soldaten der Roten Armee und Jungen Pionieren bewachte die<br />

ermordeten Kinder. Geigen schluchzten. Was für eine Maskerade!<br />

sagte sich Sergetow. Seht nur, wie rührend wir uns um die Hinterbliebenen<br />

unserer Opfer kümmern! In seinen fünfunddreißig Jahren<br />

in der Partei hatte er genügend Lügen gehört und erzählt, aber<br />

diese Szene stellte alles in den Schatten. Sein Blick kehrte zögernd zu<br />

dem wächsernen Gesicht eines Kindes zurück. Wie oft war er<br />

abends he<strong>im</strong>gekommen und hatte sich seine schlafenden, inzwischen<br />

erwachsenen Kinder angeschaut, davon überzeugt, dass sie<br />

normal atmen, dem Schnüffeln gelauscht, wenn eines erkältet war,<br />

dem Murmeln, wenn eins träumte. Wie oft hatte er sich eingeredet,<br />

dass er und die Partei für ihre Zukunft arbeiteten? Kriegst keinen<br />

Schnupfen mehr, Kleines, sagte er stumm zu einem Kind. Und aus<br />

ist's mit den Träumen. Da siehst du, was die Partei für deine<br />

Zukunft geleistet hat. Als ihm die Tränen kamen, wurde er wütend<br />

auf sich selbst, denn seine Genossen mochten glauben, das gehörte<br />

zur Vorstellung. Am liebsten hätte er sich umgeschaut und betrachtet,<br />

was seine Kollegen vom Politbüro von ihrem Werk hielten. Fast<br />

wünschte sich Sergetow, das Gebäude fünf Minuten früher betreten<br />

zu haben. Lieber tot, als von einer solchen Infamie profitieren. Aber<br />

in diesem Fall hätte er bei dieser Farce eine noch größere Rolle<br />

gespielt.<br />

Norfolk, Virginia<br />

»Genossen, vor uns liegen die unschuldigen Kinder unseres Volkes«,<br />

begann der Generalsekretär so langsam und leise, dass Toland<br />

das Dolmetschen leichter fiel. Neben ihm stand der Chef von CIN-<br />

CLANTs Nachrichtendienstabteilung. »Ermordet von der teuflischen<br />

Maschinerie des Staatsterrorismus. Hingeschlachtet von<br />

111


einem Volk, das unser Vaterland zwe<strong>im</strong>al mir üblen Träumen von<br />

Eroberung und Mord überfiel. Vor uns liegen die einfachen, treuen<br />

Diener der Partei, von faschistischer Aggression zu Märtyrern gemacht.<br />

Genossen, den Familien dieser unschuldigen Kinder, den<br />

Familien dieser braven Männer sage ich, dass der Tag der Abrechnung<br />

kommen wird. Die Toten bleiben unvergessen. Dieses gemeine<br />

Verbrechen wird gesühnt werden ...«<br />

»Guter Gott.« Toland schaute zu seinem Vorgesetzten auf.<br />

»Das ist es: Es gibt Krieg, Bob. Gehen wir zum Chef.«<br />

»Sind Sie ganz sicher?« fragte der CINCLANT.<br />

»Möglich, dass sie sich mit weniger zufrieden geben«, erwiderte<br />

Toland, »aber das bezweifle ich. Diese Operation hat die russische<br />

Bevölkerung auf eine noch nie da gewesene Weise aufgehetzt.«<br />

»Reden Sie nicht um den Brei herum. Sie sagen, dass diese Menschen<br />

absichtlich ermordet wurden, um eine Krise heraufzubeschwören.«<br />

Der CINCLANT starrte auf seine Schreibtischplatte.<br />

»Kaum zu glauben.«<br />

»Admiral, entweder glauben wir das, oder wir glauben, dass die<br />

westdeutsche Regierung auf eigene Faust beschlossen hat, einen<br />

Krieg mit der Sowjetunion vom Zaun zu brechen.«<br />

»H<strong>im</strong>mel noch mal, warum denn?«<br />

»Das wissen wir nicht, Sir. Vorgänge sind leichter zu ergründen<br />

als Gründe.«<br />

Der CINCLANT stand auf und ging in eine Ecke des Dienstz<strong>im</strong>mers.<br />

Es gab Krieg, aber er wusste nicht, warum. Er wollte den<br />

Grund wissen.<br />

»Wir berufen die Reserven ein. Toland, Sie haben in den vergangenen<br />

zwei Monaten verdammt gute Arbeit geleistet. Ich werde Ihre<br />

Beförderung zum Commander beantragen. Was ich für Sie vorhabe,<br />

liegt zwar außerhalb Ihres normalen Dienstbereichs, aber ich<br />

glaube, dass Sie es schaffen. Ich versetze Sie zum Stab des Befehlshabers<br />

der Zweiten Flotte auf einen Flugzeugträger.«<br />

» Es wäre schön, wenn ich noch ein, zwei Tage mit meiner Familie<br />

verbringen könnte, Sir.«<br />

Der Admiral nickte. »Das sind wir Ihnen schuldig. Die N<strong>im</strong>itz ist<br />

<strong>im</strong> Augenblick ohnehin auf der Überfahrt, und Sie können dann vor<br />

der spanischen Küste an Bord gehen. Melden Sie sich hier am<br />

Mittwoch früh zurück.« Der CINCLANT kam auf ihn zu und<br />

drückte ihm die Hand. »Gut gemacht, Commander.«<br />

112


Zwei Meilen weiter lag die Pharris an ihrem Tender. Ed Morris<br />

stand auf der Brücke und sah zu, wie die mit Raketentreibsätzen<br />

ausgerüsteten ASROC-Torpedos mit einem Kran in den Bug geladen<br />

und dann in die Bunker geschoben wurden. Ein weiterer Kran<br />

senkte achtern Versorgungsmaterial aufs Hubschrauberdeck ab.<br />

Zum ersten Mal in seinen zwei Jahren als Kommandant der Pharris<br />

trug das Schiff die volle Waffenladung. Am achtzelligen ASROC-<br />

Werfer, »Pfefferbüchse« genannt, behoben Techniker eine kleine<br />

Funktionsstörung. Ein anderes Team vom Tender befasste sich<br />

zusammen mit Leuten vom Schiff mit einem Radarproblem. Er war<br />

nun am Ende seiner Wartungs- und Instandsetzungs-Checkliste angelangt.<br />

Die Maschinen der Fregatte funktionierten perfekt, besser<br />

als bei einem fast zwanzig Jahre alten Schiff zu erwarten war. Noch<br />

ein paar Stunden, dann war USS Pharris voll einsatzbereit... Wofür?<br />

»Noch <strong>im</strong>mer kein Einsatzbefehl, Skipper?« fragte der Erste<br />

Offizier.<br />

»Nein, aber wenn Sie mich fragen, wissen selbst die Admiräle<br />

noch nicht, was eigentlich läuft. Morgen früh versammeln sich die<br />

Kommandanten be<strong>im</strong> CINCLANT. Vielleicht erfahre ich dort etwas.«<br />

»Was halten Sie von dieser deutschen Geschichte?«<br />

»Die Krauts, mit denen ich zur See gefahren bin, waren ordentliche<br />

Kerle. Die ganze russische Befehlsstruktur in die Luft sprengen<br />

- so verrückt ist doch keiner.« Morris zuckte die Achseln und zog<br />

eine finstere Miene. »Andererseits musste aber nicht alles auf der<br />

Welt mit Logik zugehen.«<br />

»Skipper, ich hab das Gefühl, dass wir die ASROC brauchen<br />

werden.«<br />

»Da haben Sie leider recht.«<br />

Crofton, Maryland<br />

»Auf See?« fragte Martha Toland ungläubig.<br />

»Da werde ich gebraucht, und da gehöre ich hin, ob es uns nun<br />

paßt oder nicht.« Bob konnte seiner Frau nicht in die Augen sehen.<br />

Es war schon schl<strong>im</strong>m genug, ihre brüchige St<strong>im</strong>me zu hören.<br />

»Bob, ist es wirklich ernst?«<br />

113


»Schwer zu sagen. Schau mal, Martha, Ed Morris und Dan<br />

McCafferty haben inzwischen ihre eigenen Schiffe und müssen<br />

auch fort. Soll ich vielleicht zurückbleiben und mich an Land<br />

verkriechen?«<br />

Die Antwort seiner Frau war vernichtend.<br />

»Das sind Profis, du aber nicht«, sagte sie kalt. »Du spielst den<br />

Wochenendkrieger und reißt einmal <strong>im</strong> Jahr deine zwei Wochen ab,<br />

nur um so zu tun, als wärst du noch bei der Navy. Bob, du bist<br />

Zivilist und gehörst nicht aufs Meer. Kannst ja noch nicht mal<br />

schw<strong>im</strong>men!«<br />

»Und ob!« protestierte Toland, der den Streitpunkt absurd fand.<br />

»So? Seit fünf Jahren habe ich dich nicht mehr <strong>im</strong> Schw<strong>im</strong>mbekken<br />

gesehen. Verdammt noch mal, Bob, und wenn dir etwas passiert?<br />

Was soll ich dann den Kindern sagen?«<br />

»Dass ich mich nicht gedrückt habe« Toland wandte den Kopf<br />

ab. Damit hatte er nicht gerechnet. Martha kam aus einer Navy-<br />

Familie und sollte eigentlich Verständnis haben. Doch nun liefen<br />

ihr die Tränen über die Wangen, und ihre Lippen zuckten. Er nahm<br />

sie in die Arme. »Pass auf, ich komme auf einen Flugzeugträger,<br />

klar? Auf unser größtes, sicherstes, am besten geschütztes Schiff,<br />

umgeben von einem Dutzend anderer Schiffe, die den Gegner auf<br />

Distanz halten, und ausgerüstet mit hundert Flugzeugen. Ich soll<br />

mit herausfinden, was der Gegner vorhat, damit man ihn so fern<br />

wie möglich halten kann. Martha, ich werde gebraucht. Der Admiral<br />

hat mich eigens angefordert. Jemand scheint mich für wichtig zu<br />

halten.« Er lächelte sanft, um die Lüge zu vertuschen. Träger waren<br />

die am besten geschützten Schiffe der Marine, weil sie für die<br />

Russen das Ziel Nummer eins darstellten.<br />

»Verzeihung.« Sie löste sich von ihm und ging ans Fenster. »Was<br />

machen Danny und Ed?«<br />

»Die haben viel mehr zu tun als ich. Dannys Boot ist oben - <strong>im</strong><br />

Augenblick ist er der Sowjetunion näher, als ich es jemals sein<br />

werde. Ed macht klar zum Auslaufen. Er hat ein 1052, ein Begleitschiff,<br />

und wird wahrscheinlich Geleitzüge vor U-Booten schützen.<br />

Beide haben Familie. Du bekamst wenigstens Gelegenheit, mich<br />

noch einmal zu sehen.«<br />

Martha drehte sich um und lächelte zum ersten Mal seit seinem<br />

unerwarteten Auftauchen. »Sei vorsichtig.«<br />

114


Aachen<br />

13<br />

Fremde kommen und gehen<br />

Schuld war der Verkehr. Der Umschlag landete wie versprochen <strong>im</strong><br />

richtigen Postfach, und der Schlüssel paßte auch. Min<strong>im</strong>ale persönliche<br />

Beteiligung. Der Major grollte, weil er sich so exponieren<br />

musste, aber das geschah nicht zum ersten Mal, seit er fürs KGB<br />

arbeitete, und er brauchte diese neuesten Informationen, wenn sein<br />

Auftrag eine Erfolgschance haben sollte.<br />

Der Major faltete den DIN-A-4-Umschlag und steckte ihn in die<br />

Jackentasche, ehe er das Gebäude verließ. Draußen auf dem Gehsteig<br />

überzeugte er sich mit Blicken nach links und rechts, dass er<br />

nicht verfolgt wurde. Alles klar. Der KGB-Offizier hatte ihm versprochen,<br />

das konspirative Haus sei völlig sicher. Vielleicht. Das<br />

Taxi wartete auf der anderen Straßenseite. Er hatte es eilig. Die<br />

Autos hielten vor der Ampel, und er beschloß, die Straße auf der<br />

Stelle zu überqueren und nicht erst den Umweg zum Fußgängerübergang<br />

zu machen. Als sich der Verkehr wieder in Bewegung<br />

setzte, trat er vom Bordstein, ohne sich umzusehen.<br />

Den beschleunigenden Peugeot nahm er überhaupt nicht wahr.<br />

Dessen Geschwindigkeit betrug nur fünfundzwanzig Stundenkilometer,<br />

aber das reichte. Der rechte Kotflügel erwischte den Major<br />

an der Hüfte, wirbelte ihn herum und schleuderte ihn gegen einen<br />

Laternenpfahl. Ehe er wusste, wie ihm geschah, wurde er ohnmächtig,<br />

was eine Gnade war, denn das rechte Hinterrad des Peugeot<br />

zerquetschte ihm beide Fußgelenke. Seine Kopfverletzungen waren<br />

schwer. Er lag reglos auf dem Bauch, und aus einer Hauptarterie<br />

schoß eine Blutfontäne auf den Gehsteig. Der Wagen hielt sofort<br />

an, die Fahrerin sprang heraus, um zu sehen, was sie angerichtet<br />

hatte. Ein Kind, das noch nie viel Blut gesehen hatte, schrie, ein<br />

Briefträger rannte los, um einen Polizisten zu holen, und ein anderer<br />

Mann rief in einem Laden den Krankenwagen.<br />

Der Verkehr war zum Stillstand gekommen. Der Taxifahrer stieg<br />

115


aus, überquerte die Straße und versuchte, an den Verletzten heranzukommen,<br />

doch über den beugten sich schon sechs Männer.<br />

»Der ist tot«, verkündete einer, und der Major sah auch tatsächlich<br />

so aus. Die Fahrerin des Peugeot versuchte den Umstehenden<br />

zu erklären, der Mann sei ihr direkt ins Auto gelaufen, und sie habe<br />

nicht mehr bremsen können, aber da sie das auf französisch tat,<br />

komplizierte sie das Ganze nur noch mehr.<br />

Der Taxifahrer hatte sich durch die Schaulustigen gedrängt und<br />

konnte den Verletzten nun fast berühren. Er musste unbedingt den<br />

Umschlag an sich bringen... Doch dann traf der Polizist ein.<br />

»Alles zurück!« befahl der Beamte. Ein Zuschauer meldete, der<br />

Krankenwagen sei bereits verständigt. Der Polizist nickte knapp<br />

und sah zu seiner Erleichterung einen Hauptwachtmeister herannahen.<br />

»Krankenwagen?»<br />

»Schon unterwegs, Herr Hauptwachtmeister. Mein Name ist<br />

Dieter, Verkehrspolizei.«<br />

»Wer hat das Fahrzeug gelenkt?« fragte der Hauptwachtmeister.<br />

Die Fahrerin begann stockend auf französisch zu berichten. Ein<br />

Mann, der das Ganze mit angesehen hatte, unterbrach sie.<br />

»Der Mann trat vom Gehsteig, ohne sich umzusehen. Der Dame<br />

blieb keine Zeit zum Bremsen. Ich bin Bankier und kam direkt<br />

hinter diesem Mann aus dem Postamt. Meine Karte.« Der Banker<br />

reichte dem Hauptwachtmeister seine Geschäftskarte.<br />

»Vielen Dank, Herr Dr. Müller. Darf ich Sie bitten, eine Aussage<br />

zu machen?«<br />

»Selbstverständlich. Ich komme gleich mit zur Wache.«<br />

Der Taxifahrer stand am Rand der Menschenmenge. Als erfahrener<br />

KGB-Führungsoffizier sah er nicht zum ersten Mal eine Operation<br />

scheitern, aber dieser Zwischenfall war einfach absurd. Da lag<br />

der stolze Speznas-Mann, umgefahren von einer angejahrten Französin!<br />

Warum hatte er nicht auf den Verkehr geachtet? Ich hätte<br />

den Umschlag von jemand anderem abholen lassen sollen, dachte<br />

er, scheiß auf die Befehle. Wie soll ich das der Zentrale beibringen?<br />

Wenn etwas schief ging, war nie die Zentrale schuld.<br />

Dann traf der Krankenwagen ein. Der Hauptwachtmeister zog<br />

dem Verletzten die Brieftasche aus der Hose. Das Opfer hieß Siegfried<br />

Baum und kam aus Hamburg-Altona. Er beschloß, mit dem<br />

Verletzten ins Krankenhaus zu fahren.<br />

116


Die Sanitäter gingen zügig ans Werk. Dem Verletzten wurde<br />

eine Halskompresse umgelegt, und er kam dann auf die Bahre.<br />

Der Hauptwachtmeister schaute auf die Uhr und stellte fest, dass<br />

die ganze Prozedur nur sechs Minuten in Anspruch genommen<br />

hatte. Dann stieg er in den Krankenwagen.<br />

»Wie ernst ist es?« fragte er.<br />

»Vermutlich Schädelbruch, starker Blutverlust. Wie ist das passiert?«<br />

»Unachtsamkeit be<strong>im</strong> Überqueren der Straße.«<br />

»Idiot«, kommentierte der Sanitäter. »Als hätten wir nicht<br />

schon so genug zu tun.«<br />

»Kommt der durch?«<br />

»Hängt von der Kopfverletzung ab.« Der Sanitäter zuckte die<br />

Achseln. »Na, er kommt sofort auf den Operationstisch. Haben<br />

Sie seine Personalien? Ich muss ein Formular ausfüllen.«<br />

»Baum, Siegfried, Kaiserstraße 17, Hamburg-Altona.«<br />

»Hm, sein Blutdruck fällt rasch.«<br />

Der Fahrer zog den Krankenwagen in eine scharfe Linkskurve,<br />

und das Martinshorn schaffte freie Bahn. Eine Minute später hielten<br />

sie vor der Poliklinik an, wo schon ein Arzt und zwei Pfleger<br />

warteten.<br />

Innerhalb von zehn Minuten war eine Intubation vorgenommen<br />

worden, der Patient erhielt eine Bluttransfusion und hing am<br />

Tropf. Dann wurde er in die Neurochirurgie gebracht. Der Hauptwachtmeister<br />

blieb mit dem Krankenhausarzt in der Notaufnahme.<br />

»So, und wer ist das?« fragte der junge Doktor. Der Polizeibeamte<br />

nannte ihm die Personalien.<br />

»Ein Deutscher?«<br />

»Wieso, finden Sie das sonderbar?«<br />

»Über Funk hieß es, der Verletzte sei Ausländer.«<br />

»Das Unfallfahrzeug wurde von einer Französin gesteuert.«<br />

»Ach so. Ich hielt den Mann für den Ausländer.«<br />

»Wieso?«<br />

»Als ich ihm den Schlauch einführte, fielen mir seine schlampigen<br />

Plomben auf.«<br />

»Vielleicht stammt er aus der Ostzone«, meinte der Hauptwachtmeister.<br />

Der Arzt schnaubte.<br />

»So eine Stümperei verzapft doch kein Deutscher. Das kann ja<br />

117


jeder Klempner besser!« Der Arzt füllte rasch das Aufnahmeformular<br />

aus.<br />

»Wo sind seine Sachen?« Der Hauptwachtmeister war von Natur<br />

aus neugierig; einer der Gründe, weshalb er nach der Bundeswehr<br />

zur Polizei gegangen war. Der Arzt führt ihn in ein Z<strong>im</strong>mer, in<br />

dem die persönliche Habe des Patienten aufbewahrt wurde. Sie<br />

fanden die Kleidung säuberlich gefaltet vor; Jackett und Hemd<br />

lagen getrennt, damit die Blutflecke nichts anderes beschmutzten.<br />

Kleingeld, ein Schlüsselbund und ein großer Umschlag wurden<br />

gerade von einem Pfleger registriert.<br />

Der Polizeibeamte griff nach dem braunen Umschlag. Er war am<br />

Vortag in Stuttgart aufgegeben worden. Porto zehn Mark. Auf eine<br />

Eingebung hin schlitzte er den Umschlag mit seinem Taschenmesser<br />

auf. Weder der Arzt noch der Pfleger erhoben Einspruch. Immerhin<br />

war der Mann Polizeibeamter.<br />

Der Umschlag enthielt unter anderem ein »Gehe<strong>im</strong>« gestempeltes<br />

Bundeswehrdokument, das den Namen Lammersdorf trug. Der<br />

Hauptwachtmeister hielt die Lageskizze einer Nato-Fernmeldezentrale<br />

in der Hand, die keine dreißig Kilometer entfernt war. Er war<br />

Hauptmann der Reserve und hatte für den MAD gearbeitet. Wer<br />

war dieser Siegfried Baum? Er musterte den Rest des Inhalts und<br />

ging dann ans Telefon.<br />

Rota, Spanien<br />

Das Düsentransportflugzeug landete pünktlich. Toland stieg aus<br />

der Frachttür und wurde von einer leichten Brise begrüßt. Zwei<br />

Seeleute nahmen ihn in Empfang und wiesen auf einen Hubschrauber,<br />

dessen Rotor sich bereits drehte. Zusammen mit vier anderen<br />

Männern kletterte er rasch an Bord und war Minuten später in der<br />

Luft; sein erster Besuch in Spanien hatte genau elf Minuten gewährt.<br />

Niemand unternahm den Versuch, eine Unterhaltung anzufangen.<br />

Toland schaute aus einem der kleinen Fenster, sah blaues<br />

Wasser. Sie befanden sich in einem U-Jagd-Hubschrauber des Typs<br />

Sea King. Der Chef der Besatzung war ein Sonar-Operator, der an<br />

seinen Geräten drehte, offenbar einen Test durchführte. Im Helikopter<br />

war es eng: Achtern waren Sonobojen verstaut, aller verfügbare<br />

Raum wurde von Waffen und Sensorinstrumenten eingenom­<br />

118


men. Nach halbstündigem Flug begann der Hubschrauber zu kreisen<br />

und landete dann auf der USS N<strong>im</strong>itz.<br />

Auf dem Flugdeck war es heiß, laut, und es stank nach Kerosin.<br />

Ein Besatzungsmitglied wies sie zu einer Leiter, hinunter zur Laufplanke<br />

rings ums Flugdeck und in einen Durchgang. Hier betraten<br />

sie eine ruhige, kl<strong>im</strong>atisierte und gegen den Fluglärm von oben<br />

abgeschirmte Atmosphäre.<br />

»Lieutenant Commander Toland?« rief ein Verwaltungsunteroffizier.<br />

»Hier.«<br />

»Bitte kommen Sie mit mir, Sir.«<br />

Toland folgte dem Seemann durch ein Labyrinth von Räumen<br />

unter dem Flugdeck und wurde schließlich zu einer offenen Tür<br />

gewiesen.<br />

»Sie müssen Toland sein«, erklärte ein etwas erschöpft wirkender<br />

Offizier. »Was wollen Sie zuerst hören - die guten Nachrichten<br />

oder die schlechten?«<br />

»Die schlechten.«<br />

»Gut, Sie müssen sich die Koje mit anderen teilen, weil nicht<br />

genug zur Verfügung stehen. Macht aber nichts; ich hab schon seit<br />

drei Tagen nicht mehr geschlafen, deswegen sind Sie unter anderem<br />

hier. Willkommen an Bord, Commander. Ich bin Chip Bennett.«<br />

Der Offizier reichte Toland ein Fernschreiben. »Sie scheinen be<strong>im</strong><br />

CINCLANT beliebt zu sein.«<br />

Das Fernschreiben verkündete knapp, Lieutenant Robert A. Toland<br />

sei zum Commander ernannt worden, eine Beförderung, die<br />

ihn zum Tragen der drei Goldstreifen, aber vorerst noch nicht zum<br />

Kassieren der Bezüge eines Commanders berechtigte. Wie ein Kuss<br />

von der Kusine, sann Toland und sagte: »Für den Anfang nicht<br />

übel. Was soll ich hier tun?«<br />

»Theoretisch sind Sie mein Assistent, aber wir werden <strong>im</strong> Augenblick<br />

derart mit Informationen überschwemmt, dass wir das Territorium<br />

etwas aufgeteilt haben. Ihnen überlasse ich die morgendlichen<br />

und abendlichen Meldungen an den Kommandanten des Verbandes,<br />

die um sieben und um zwanzig Uhr erfolgen. Konteradmiral<br />

Samuel Baker Jr. ist ein scharfer Hund und früher mal auf A<strong>tom</strong>-<br />

U-Booten gefahren. Er legt auf knappe, präzise Berichte mit Fußnoten<br />

und Quellenangaben Wert. Schlafen tut er so gut wie nie. Ihre<br />

Station ist in der Gefechtsinformationszentrale CIC be<strong>im</strong> takti­<br />

119


sehen Offizier des Verbandes.« Bennett rieb sich die Augen. »Und<br />

was geht auf dieser verrückten Welt eigentlich vor?«<br />

»Wie sieht es aus?« fragte Toland zurück.<br />

»Beschissen. Heute wurde der Start der Raumfähre Atlantis verschoben,<br />

angeblich wegen eines Computerproblems. Eben erfahre<br />

ich, dass nur umgeladen wird: Anstelle von vier zivilen Satelliten<br />

werden nun Aufklärungssatelliten in die Umlaufbahn gebracht.«<br />

»Bei uns fängt man wohl an, die Sache ernst zu nehmen.«<br />

Aachen<br />

Als »Siegfried Baum« sechs Stunden später, noch von der Narkose<br />

benommen, erwachte, sah er drei Männer in Chirurgenkitteln.<br />

»Wie geht es Ihnen?« fragte einer - auf russisch.<br />

»Was ist passiert?« antwortete der Major auf russisch.<br />

Aha! »Sie wurden angefahren und liegen jetzt in einem Militärlazarett«,<br />

log der Mann. In Wirklichkeit befanden sie sich noch in<br />

Aachen.<br />

»Was - ich wollte gerade«, sagte der Major schwerzüngig und<br />

versuchte, klar zu sehen.<br />

»Es ist alles aus, mein Freund.« Nun schaltete der Sprecher auf<br />

Deutsch um. »Wir wissen, dass Sie ein sowjetischer Offizier sind<br />

und Gehe<strong>im</strong>dokumente bei sich hatten. Warum interessieren Sie<br />

sich für Lammersdorf?«<br />

»Ich habe nichts zu sagen«, erwiderte »Baum« auf Deutsch.<br />

»Dafür ist es jetzt zu spät«, rügte der Vernehmende und sprach<br />

nun wieder russisch. »Aber wir wollen es Ihnen leicht machen. Der<br />

Arzt hat die Genehmigung gegeben, Ihnen ein neues, äh, Medikament<br />

zu verabreichen, das Sie bewegen wird, uns alles zu sagen, was<br />

Sie wissen. Sie sollten sich auch über Ihre Lage <strong>im</strong> klaren sein«,<br />

fügte der Mann schärfer hinzu. »Sie sind Offizier in der Armee eines<br />

fremden Landes, halten sich mit gefälschten Papieren in der Bundesrepublik<br />

auf und hatten Gehe<strong>im</strong>dokumente in Ihrem Besitz. Das<br />

kann Ihnen eine lebenslange Gefängnisstrafe eintragen. Aber wenn<br />

Sie kooperieren, werden Sie vielleicht später gegen einen deutschen<br />

Agenten ausgetauscht. Wenn Sie sich aber sperren, werden Sie den<br />

bei dem Unfall erlittenen Verletzungen erliegen.«<br />

»Ich habe Familie«, sagte Major Andrej Tschernjawin leise.<br />

120


Er war verängstigt und verwirrt und konnte nicht wissen, dass er<br />

über den Tropf bereits Natriumpentothal erhielt, das seine Hirnfunktionen<br />

beeinträchtigte. Bald würde er sich über die langfristigen<br />

Konsequenzen seiner Handlungen nicht mehr <strong>im</strong> klaren sein.<br />

Dann kam es nur noch auf das Hier und Jetzt an.<br />

»Ihrer Familie wird kein Leid geschehen«, versprach Oberst<br />

Weber. Der Heeresoffizier, der zum BND abgestellt war, hatte<br />

schon viele sowjetische Agenten verhört. »Wenn man die Familien<br />

aller Spione strafte, die wir erwischen, gingen dem KGB bald die<br />

Leute aus.« Weber gestattete sich nun einen milderen Ton. Die<br />

Drogen begannen zu wirken, und wenn der Fremde benommen<br />

war, würde er ihm sanft die Informationen entlocken. Sonderbar<br />

nur, dass ihm diese Technik ein Psychiater beigebracht hatte. In<br />

Filmen wurde <strong>im</strong>mer wieder gezeigt, wie brutal die Deutschen<br />

verhörten, aber ihm war in der Ausbildung nur am Rande beigebracht<br />

worden, wie man mit Gewalt Geständnisse erzwingt.<br />

Schade, dachte er, jetzt kämen mir ein paar harte Tricks zupass.<br />

Seine Familie wohnte bei Kulmbach, nicht weit von der innerdeutschen<br />

Grenze.<br />

Kiew, Ukraine<br />

»Hauptmann Iwan Michailowitsch Sergetow wie befohlen zur<br />

Stelle, Genosse General.«<br />

»Nehmen Sie Platz, Genosse Hauptmann.« Die Ähnlichkeit mit<br />

dem Vater ist frappierend, dachte Alexejew: klein und untersetzt,<br />

der stolze Blick, die Intelligenz. Ein junger Mann auf dem Weg nach<br />

oben. »Von Ihrem Vater höre ich, dass Sie Arabistik studieren.«<br />

»Das st<strong>im</strong>mt, Genosse General.«<br />

»Haben Sie sich auch mit den Leuten befasst, die diese Sprache<br />

sprechen?«<br />

»Das gehört zum Lehrplan, Genosse.« Sergetow jr. lächelte.<br />

»Sogar der Koran war Pflichtlektüre. Außerdem bekommen wir<br />

Gelegenheit, unsere Kenntnisse <strong>im</strong> Gespräch mit Diplomaten aus<br />

befreundeten arabischen Ländern zu verbessern.«<br />

»Sie waren drei Jahre lang bei den Panzern. Können wir die<br />

Araber schlagen?«<br />

»Israel, das nur über einen Bruchteil unserer Ressourcen verfügt,<br />

121


schaffte das mit Leichtigkeit. Der arabische Soldat ist ein ungebildeter<br />

Bauer, von inkompetenten Offizieren schlecht ausgebildet.«<br />

Ein junger Mann, der auf alles eine Antwort parat hat, dachte<br />

Alexejew. »Genosse Hauptmann, Sie kommen für die bevorstehende<br />

Operation gegen die Staaten am Persischen Golf zu meinem<br />

Stab. Ich werde mich auf Ihre Sprachkenntnisse stützen und erwarten,<br />

dass Sie Lageberichte von den Nachrichtendiensten überprüfen.<br />

Wie ich höre, werden Sie auch zum Diplomaten ausgebildet. Nützlich<br />

; ich lasse mir <strong>im</strong>mer gerne ein Gegengutachten zu den Daten von<br />

KGB und GRU erstellen. Nicht etwa, weil ich unseren Kollegen<br />

misstraue, sondern schlicht, weil ich die Daten von jemandem, der in<br />

Heeresbegriffen denkt, prüfen will. Und die Tatsache, dass Sie bei den<br />

Panzern gedient haben, macht Sie für mich doppelt wertvoll. Noch<br />

eine Frage: Wie reagieren die Reservisten auf die Mobilisierung?«<br />

»Selbstverständlich mit Begeisterung«, erwiderte der Hauptmann.<br />

»Iwan Michailowitsch, ich nehme an, dass Sie von Ihrem Vater<br />

gehört haben, was ich für ein Mann bin. Ich lausche aufmerksam den<br />

Worten der Partei, doch Soldaten, die sich auf die Schlacht vorbereiten,<br />

müssen die ungeschminkte Wahrheit erfahren, um die Wünsche<br />

der Partei erfüllen zu können.«<br />

Hauptmann Sergetow fiel die vorsichtige Ausdrucksweise auf.<br />

»Das Volk ist aufgebracht, Genosse General, über den Anschlag <strong>im</strong><br />

Kreml und den Mord an den Kindern. >Begeisterung< ist wohl keine<br />

Übertreibung.«<br />

»Und Ihre Haltung, Iwan Michailowitsch?«<br />

»Genosse General, mein Vater hat mich auf diese Frage vorbereitet<br />

und gebeten, Ihnen zu versichern, dass er von dem Plan keine<br />

Kenntnis hatte. Entscheidend sei nun, meinte er, das Land zu sichern,<br />

damit es solche Tragödien nicht noch einmal gibt.«<br />

Alexejew antwortete nicht sofort. Er war betroffen von der Erkenntnis,<br />

dass Sergetow vor drei Tagen seine Gedanken gelesen, und<br />

verblüfft, weil das Mitglied des Politbüros seinem Sohn ein so großes<br />

Gehe<strong>im</strong>nis anvertraut hatte. Doch er war erleichtert, weil er den<br />

Mann richtig eingeschätzt hatte; i hm konnte man trauen. Auch<br />

seinem Sohn? Michail Eduardowitsch schien jedenfalls dieser Meinung<br />

zu sein.<br />

»Genosse Hauptmann, vergessen wir diese Dinge. Wir haben<br />

auch so schon genug Beschäftigung. Abtreten.«<br />

122


Bonn<br />

»Das Ganze ist eine Farce«, meldete Weber vier Stunden später dem<br />

Bundeskanzler. Er war mit dem Hubschrauber nach Bonn geflogen.<br />

»Ein brutales Täuschungsmanöver.»<br />

»Das wissen wir auch«, versetzte der Kanzler, der nach dem<br />

Ausbruch der Krise zwei schlaflose Nächte verbracht hatte, gereizt.<br />

»Herr Bundeskanzler, der Mann <strong>im</strong> Krankenhaus ist ein Andrej<br />

Iljitsch Tschernjawin. Vor zwei Wochen reiste er mit gefälschten<br />

Papieren aus der CSSR ein. Er ist Offizier der sowjetischen Elite-<br />

Kommandotruppe Speznas. Der Mann wurde bei einem Verkehrsunfall<br />

schwer verletzt und hatte die kompletten Pläne der Nato-<br />

Fernmeldezentrale Lammersdorf bei sich. Die Sicherheitsposten<br />

der Einrichtung wurden gerade vor einem Monat verlegt. Dieses<br />

Dokument hier ist erst zwei Wochen alt. Er hatte auch einen Dienstplan<br />

und eine Liste aller wachhabenden Offiziere - und die ist erst<br />

drei Tage alt! Zusammen mit einem zehnköpfigen Team kam er<br />

über die tschechische Grenze und erhielt erst jetzt den Einsatzbefehl:<br />

am Tag nach Erhalt der Order um Mitternacht den Stützpunkt<br />

angreifen. Es lag auch ein Stornierungssignal bei für den Fall, dass<br />

die Pläne geändert werden.«<br />

»Er kam also schon vor der Explosion <strong>im</strong> Kreml nach Deutschland<br />

-« Der Kanzler, der die ganze Affäre unwirklich fand, war<br />

verdutzt.<br />

»Genau, Herr Bundeskanzler. Es passt alles zusammen. Die Russen<br />

werden Deutschland angreifen, aus welchem Grund auch <strong>im</strong>mer.<br />

Alle Schachzüge bis zu diesem Punkt waren nur Täuschungsmanöver,<br />

um uns in Sicherheit zu wiegen. Hier ist das komplette<br />

Protokoll der Vernehmung Tschernjawins. Er ist über vier weitere<br />

Speznas-Operationen informiert, die alle auf einen Großangriff<br />

gegen uns hinweisen. Inzwischen liegt er unter schwerer Bewachung<br />

<strong>im</strong> Militärlazarett in Koblenz. Wir haben auch eine Videoaufnahme<br />

seines Geständnisses.«<br />

»Kann das nicht alles eine russische Provokation sein? Warum<br />

brachte man diese Dokumente nicht mit, als man die Grenze überschritt?«<br />

»Nach dem Umbau der Einrichtung in Lammersdorf brauchte<br />

man korrekte Informationen. Wie Sie wissen, wurden seit vergangenem<br />

Sommer die Sicherheitsmaßnahmen bei Fernmeldeanlagen<br />

123


der Nato verschärft, und unsere russischen Freunde haben wohl<br />

ebenfalls ihre Angriffspläne auf den neuesten Stand gebracht. Die<br />

Tatsache allein, dass sie über diese zum Teil erst wenige Tage alten<br />

Dokumente verfügen, ist erschreckend. Und zur Enttarnung des<br />

Mannes kam es -


Der Bundeskanzler starrte aus dem Fenster seines Arbeitsz<strong>im</strong>mers<br />

und dachte an seine eigene Militärzeit vor vierzig Jahren;<br />

damals war er ein verängstigter kleiner Junge gewesen, der kaum<br />

unterm Stahlhelm hervorgucken konnte. »Es gibt also wieder<br />

Krieg.« Wie viele Opfer wird dieser fordern?<br />

»Ja, Herr Bundeskanzler.«<br />

Leningrad<br />

Der Kapitän stand in der Brückennock und schaute nach Backbord.<br />

Schlepper schoben den letzten Schw<strong>im</strong>mcontainer auf den Aufzug<br />

am Heck und fuhren dann zurück. Der Aufzug wurde einige Meter<br />

angehoben, und der leichterähnliche Container kam auf einem<br />

bereits auf seinen Schienen stehenden Wagen zur Ruhe. Das Laden<br />

wurde vom Ersten Offizier der Julius Fucik vom Winsch-Bedienungsstand<br />

aus überwacht. Mit den anderen auf dem Achterdeck<br />

arbeitenden Männern stand der Offizier über Sprechfunk in Verbindung.<br />

Als der Aufzug das dritte Frachtdeck erreicht hatte, öffnete<br />

sich eine Tür und gab den Blick in einen riesigen Raum frei.<br />

Matrosen befestigten Stahltrossen an den Wagen.<br />

Winden zogen den Schw<strong>im</strong>mcontainer aufs dritte, unterste<br />

Frachtdeck des Leichtermutterschiffes, auch Seabee oder LASH<br />

genannt. Sowie die Wagen die Markierungslinie überfahren hatten,<br />

wurde die wasserdichte Tür geschlossen, und das Licht ging an,<br />

damit die Matrosen den Leichter verzurren konnten. Saubere Arbeit,<br />

dachte der Erste Offizier. Die ganze Ladeaktion hatte nur elf<br />

Stunden gedauert, fast ein Rekord.<br />

»Der letzte Leichter wird in dreißig Minuten gesichert sein«,<br />

meldete der Bootsmann dem Ersten, der die Nachricht an die<br />

Brücke weitergab.<br />

Kapitän Cherow rief den Maschinenraum an. »Maschinen in<br />

dreißig Minuten klar!«<br />

Der Ingenieur bestätigte den Befehl und legte auf.<br />

Auf der Brücke wandte sich der Kapitän an seinen ranghöchsten<br />

Passagier, einen Fallschirmjägergeneral, der die blaue Jacke eines<br />

Schiffsoffiziers trug. »Was machen Ihre Männer?«<br />

»Ein paar sind jetzt schon seekrank.« General Andrejew lachte.<br />

Sie waren zusammen mit Tonnen militärischer Ausrüstungsge­<br />

125


genstände an Bord gebracht worden. »Danke, dass meine Leute sich<br />

auf den unteren Decks die Füße vertreten können.«<br />

»Ich kommandiere ein Schiff, kein Gefängnis. Solange sie nichts<br />

anrühren, ist alles klar.«<br />

»Das haben sie schon eingeschärft bekommen«, versicherte Andrejew.<br />

»Gut. In ein paar Tagen werden sie alle Hände voll zu tun<br />

haben.«<br />

»Ich bin übrigens zum ersten Mal auf einem Schiff.«<br />

»Wirklich? Keine Angst, Genosse General, hier ist es viel sicherer<br />

und bequemer als in einem Flugzeug - aus dem Sie auch noch<br />

hinausspringen!« Der Kapitän lachte. »Das Schiff ist groß genug<br />

und liegt trotz der leichten Ladung ruhig.«<br />

»Leichte Ladung?« fragte der General. »Sie haben über die<br />

Hälfte der Ausrüstung meiner Division an Bord.«<br />

»Wir können über 35ooo Tonnen tragen. Ihre Ausrüstung ist<br />

sperrig, aber nicht besonders schwer.« Ein neuer Gedanke für den<br />

General, der gewöhnlich in Lufttransportbegriffen dachte.<br />

Unter Deck wuselten unter Aufsicht ihrer Unteroffiziere und<br />

Offiziere über tausend Mann des 234. Garde-Luftlandereg<strong>im</strong>ents<br />

umher. Abgesehen von kurzen Perioden in der Nacht saßen sie hier<br />

unten fest, bis die Fucik den Ärmelkanal hinter sich gelassen hatte,<br />

und hielten das erstaunlich gut aus, denn die gewaltigen Frachträume,<br />

obgleich mit Leichtern und Ausrüstungsgegenständen vollgestellt,<br />

boten weitaus mehr Platz, als sie von ihren Transportflugzeugen<br />

her gewöhnt waren. Die Schiffsbesatzung hatte zwischen<br />

Leichtern Planken aufgeriggt, um Schlafgelegenheiten zu schaffen<br />

und die Soldaten von den öligen Arbeitsflächen, wo die Crew<br />

Inspektionsgänge machte, fernzuhalten. Bald sollten die Offiziere<br />

des Reg<strong>im</strong>ents über die Systeme an Bord, besonders die Löschanlage,<br />

informiert werden. Es herrschte striktes Rauchverbot. Die<br />

Seeleute waren von dem bescheidenen Verhalten der Fallschirmjäger,<br />

die die neue Umgebung wohl etwas einschüchterte, überrascht.<br />

Drei Schlepper strafften die mit dem Schiff verbundenen Trossen<br />

und zogen es langsam vom Kai. Zwei andere stießen dazu, als es<br />

klar war, und schoben den Bug herum, bis er zur Ausfahrt des<br />

Hafens von Leningrad wies. Der General sah zu, wie der Kapitän<br />

das Manöver überwachte, mit einem jungen Offizier <strong>im</strong> Schlepptau<br />

von einer Brückennock auf die andere eilte und <strong>im</strong> Vorbeigehen<br />

126


Ruderkommandos gab. Kapitän Cherow war knapp sechzig und<br />

hatte mehr als zwei Drittel seines Lebens auf See verbracht.<br />

»Aufkommen!« befahl er. »Langsam voraus.«<br />

Der Rudergänger bestätigte beide Befehle auf der Stelle. Nicht<br />

schlecht, dachte der General und entsann sich abfälliger Bemerkungen<br />

über die Handelsmarine. Der Kapitän trat wieder neben ihn.<br />

»So, das Gröbste hätten wir hinter uns.«<br />

»Immerhin hatten Sie Unterstützung«, bemerkte der General.<br />

»Ach was, die Schlepper werden von Säufern befehligt und demolieren<br />

hier dauernd Schiffe.« Der Kapitän ging an die Seekarte.<br />

Vorzüglich: eine tiefe, gerade Fahrrinne bis zur Ostsee. Jetzt konnte<br />

er sich etwas entspannen. Der Kapitän machte es sich auf seinem<br />

Brückensessel bequem und rief: »Tee!«<br />

Sofort erschien ein Steward mit einem Tablett.<br />

»Ist denn kein Schnaps an Bord?« fragte Andrejew überrascht.<br />

»Nein, es sei denn, Ihre Männer hätten welchen mitgebracht«,<br />

erwiderte Cherow. »Auf meinem Schiff dulde ich keinen Alkohol.«<br />

»Sehr gut.« Der Erste Offizier gesellte sich zu ihnen. »Achtern<br />

alles klar. Seewachen aufgestellt, Ausgucks auf ihren Posten, Deckinspektion<br />

wird gerade durchgeführt.«<br />

»Deckinspektion?« fragte Andrejew.<br />

»Normalerweise prüfen wir bei jeder Wachablösung alle Luken<br />

auf Dichtheit«, erklärte der Erste. »Da Ihre Männer an Bord sind,<br />

findet diese Kontrolle alle zwei Stunden statt.«<br />

»Trauen Sie meinen Leuten nicht?« Der General war etwas beleidigt.<br />

»Würden Sie uns denn in Ihren Flugzeugen trauen?« versetzte der<br />

Kapitän.<br />

»Sie haben natürlich recht.« Andrejew erkannte den Fachmann,<br />

wenn er einen vor sich hatte. »Können Sie ein paar Männer entbehren,<br />

die meinen Unteroffizieren das Notwendigste beibringen?«<br />

Der Erste Offizier zog Bögen aus der Tasche. »Der Unterricht<br />

beginnt in drei Stunden. In zwei Wochen sind Ihre Männer ordentliche<br />

Seeleute.«<br />

»Besonderen Kummer macht mir die Brandbekämpfung«,<br />

meinte der Kapitän. »Ein Kriegseinsatz bedeutet Gefahr. Genosse<br />

General, ich möchte wissen, wie Ihre Männer zur Sicherheit und<br />

Verteidigung des Schiffes beitragen können.«<br />

Daran hatte der General nicht gedacht. Bei der für seinen Ge­<br />

127


schmack viel zu hastigen Vorbereitung der Operation hatte er keine<br />

Gelegenheit gehabt, seine Männer auf ihre Pflichten an Bord vorzubereiten.<br />

»Mein für die Flugzeugabwehr zuständiger Mann wird<br />

mit Ihnen reden, sobald es Ihnen recht ist.« Er machte eine Pause.<br />

»Wie schwere Schäden kann das Schiff einstecken, ohne unterzugehen<br />

?«<br />

»Julius Fucik ist kein Kriegsschiff, Genosse General.« Cherow<br />

lächelte kryptisch. »Ihnen wird aber aufgefallen sein, dass praktisch<br />

unsere gesamte Ladung aus stählernen Leichtern besteht. Diese<br />

Leichter haben doppelte Wände mit einem Meter Abstand dazwischen,<br />

was die Fucik vielleicht sicherer macht als ein Kriegsschiff<br />

mit seinen wasserdichten Abteilungen. Die Brandgefahr macht mir<br />

die meisten Sorgen. Wenn es uns gelingt, vernünftige Löschübungen<br />

abzuhalten, können wir durchaus einen oder sogar drei Raketentreffer<br />

überstehen.«<br />

Der General nickte nachdenklich. »Meine Männer stehen Ihnen<br />

jederzeit zur Verfügung.«<br />

»Sobald wir den Ärmelkanal hinter uns haben.« Der Kapitän<br />

stand auf und schaute noch einmal auf die Seekarte. »Bedaure, dass<br />

wir Ihnen keine Vergnügungsfahrt bieten können. Vielleicht wird<br />

der Rückweg angenehmer.«<br />

Der General hob die Teetasse. »Darauf will ich trinken, Genosse.<br />

Auf den Erfolg!«<br />

»Jawohl, Erfolg!« Kapitän Cherow hob ebenfalls die Tasse und<br />

sehnte sich fast nach einem Wodka, um ordentlich auf das Unternehmen<br />

zu trinken. Er war bereit. Seit seiner Militärzeit auf Minenräumbooten<br />

hatte er zum ersten Mal die Gelegenheit, dem Staat<br />

direkt zu dienen. Er war entschlossen, den Auftrag erfolgreich<br />

auszuführen.<br />

Koblenz<br />

»Guten Abend, Major.« In einem abgesperrten Flügel des Militärlazaretts<br />

setzte sich der CIA-Chef Bonn mit seinen britischen und<br />

französischen Gehe<strong>im</strong>dienstkollegen und zwei Dolmetschern zusammen.<br />

»Reden wir von Lammersdorf?« Ohne Wissen der Deutschen<br />

verfügten die Briten über eine Akte, die sich mit den Aktivitäten<br />

von Major Tschernjawin in Afghanistan befasste und ein zwar<br />

128


unscharfes, aber doch erkennbares Foto des Mannes enthielt, an<br />

den sich die Mudschaheddin als »Teufel von Kandahar« erinnerten.<br />

General Jean-Pierre de Ville vom französischen DGSE, der das<br />

beste Russisch sprach, führte die Vernehmung. Inzwischen war<br />

Tschernjawin ein gebrochener Mann. Das Band mit seinem mittels<br />

Drogen herbeigeführten Geständnis brach den letzten Widerstand.<br />

Der Major, in den Augen seiner Landsleute schon so gut wie tot,<br />

wiederholte, was diese Männer bereits wussten, aber selbst hören<br />

wollten.<br />

Drei Stunden später gingen Blitzmeldungen nach Washington,<br />

London und Paris, und Vertreter der drei Nachrichtendienste faßten<br />

Berichte an ihre Kollegen in den restlichen Natoländern ab.<br />

129


Wandlitz, DDR<br />

14<br />

Gas<br />

Szenarium 6<br />

Witterungsverhältnisse in Frühling und Sommer (Temperaturen<br />

und Luftfeuchtigkeit moderat), Winde aus West und Südwest,<br />

10-30 km/h m Bodennähe, auf Höhe ü. d. M. kompensiert;<br />

Einsatz hochpersistenter Kampfstoffe gegen Kommunikationsketten,<br />

POMCUS-Anlagen, Flugplätze, Nachschubund<br />

Kernwaffenlager (normale Fehlerquote: siehe Anhang l,<br />

Abschnitt F). Der Staatsratsvorsitzende der Deutschen Demokratischen<br />

Republik las das Dokument trotz seiner Magenkrämpfe<br />

zu Ende.<br />

Wie bei Szenarien 1,3,4 und 5 wird jede über einen Zeitraum<br />

von 15 Minuten hinausgehende Warnfrist den praktisch<br />

kompletten MOPP-4-Schutz von Kampftruppen und Versorgungspersonal<br />

sichern. Das Problem der Zivilopfer bleibt bestehen,<br />

da sich über hundert der oben aufgeführten Kategorien<br />

in der Nähe von Ballungszentren befinden. Der biologische<br />

Abbau persistenter Kampfstoffe wie GD (die voraussichtliche<br />

Wahl der Sowjets; Anlayse sowjetischer Literatur zu<br />

diesem Thema: siehe Anhang 2, Abschnitt C) wird durch<br />

allgemein milde Temperaturen und witterungsbedingt reduzierte<br />

Photosynthese verlangsamt und führt zu einer Verbreitung<br />

des Kampfstoffes in Aerosolform durch den Wind. Eine<br />

min<strong>im</strong>ale Quellenkonzentration von 2 mg/m 3 , die erwarteten<br />

vertikalen Temperaturengradienten und Wolkenschichten<br />

vorausgesetzt, ist das toxische Risiko für die BRD und die<br />

DDR in Windrichtung mit geschätzt 0,3 (unseren Berechnungen<br />

nach plus oder minus 50%, abhängig von Kontamination<br />

oder chemischer Zersetzung der C-Munition) ebenso groß wie<br />

über den Zielen selbst.<br />

Da die frei zugängliche sowjetische Literatur von Quellen­<br />

130


konzentrationen (über dem Ziel) ausgeht, die deutlich über<br />

der mittleren letalen Dosis (LCT-50) liegen, muss mit schwerster<br />

Gefährdung der gesamten deutschen Zivilbevölkerung<br />

gerechnet werden. Der erwartete Gegenschlag der Nato wird<br />

vorwiegend psychologischer Natur sein - der Einsatz sowjetischer<br />

C-Waffen allein wird zur effektiven Kontaminierung des<br />

Großteils des Territoriums beider deutscher Staaten führen; es<br />

ist damit zu rechnen, dass 12 Stunden nach Abschuss der ersten<br />

Granaten in ganz Deutschland östlich des Rheins für ungeschütztes<br />

Personal ein Risiko besteht. Mit ähnlichen Auswirkungen<br />

kann in der CSSR und je nach Windrichtung und<br />

-geschwindigkeit auch in Westpolen gerechnet werden. Zudem<br />

ist der Fortbestand dieser Kontamination über das 1,5fache<br />

des mittleren Persistenzwertes des eingesetzten Kampfstoffes<br />

hinaus zu erwarten.<br />

Dies ist das letzte (und statistisch wahrscheinlichste) Szenarium<br />

gemäß der <strong>im</strong> Auftrag vorgegebenen Spezifikationen.<br />

Abschnitt VIII: Zusammenfassung<br />

Wie sich zeigt, haben alarmierte militärische Verbände trotz<br />

einer taktischen Warnfrist von nur wenigen Minuten nur eine<br />

geringe Zahl an Ausfällen zu befürchten (allerdings auch ein<br />

Nachlassen der Kampfkraft um 30-40 %; ein Wert, der übrigens<br />

für beide Seiten gilt), aber die Zahl der Zivilopfer wird<br />

größer sein als bei einem Schlagabtausch mit taktischen nuklearen<br />

Waffen (200 Sprengköpfe a 100 Kilotonnen; siehe<br />

Anhang I, Abschnitt A) gegen eine Mixtur von militärischen<br />

und zivilen und industriellen Zielen. Es Muss also trotz der<br />

Tatsache, dass chemische Waffen industrielle Anlagen nicht<br />

direkt beschädigen, mit ernsten kurz- und langfristigen Auswirkungen<br />

auf die Wirtschaft gerechnet werden. Selbst der<br />

Einsatz nichtpersistenter Stoffe an den VRV Muss wegen der<br />

Bevölkerungsdichte in Deutschland und der offenkundigen<br />

Unfähigkeit jeder Regierung, die Bevölkerung adäquat zu<br />

schützen, zwangsläufig zu gravierenden Auswirkungen auf<br />

die Zivilbevölkerung führen.<br />

Was die unmittelbaren Auswirkungen betrifft, stellen die in<br />

Szenarium 2 angeführten über zehn Millionen Opfer unter der<br />

Zivilbevölkerung eine Belastung des Gesundheitswesens dar,<br />

131


die vergleichsweise größer ist als die Folgen der Sturmflutkatastrophe<br />

in Bangladesh 1970 und synergetische Nebeneffekte<br />

haben wird, deren Ausarbeitung den Rahmen dieser Studie<br />

sprengen würde. (Auftragsspezifikationen schlössen die Untersuchungen<br />

bio-ökologischer Effekte eines C-Schlagabtausches<br />

ausdrücklich aus. Der Leser Muss darauf hingewiesen<br />

werden, dass die weitreichenden Auswirkungen leichter zu<br />

studieren als zu beseitigen sind. Es mag beispielsweise erforderlich<br />

sein, erst einmal zu Tonnen Insektenlarven zu <strong>im</strong>portieren,<br />

ehe in Europa auch nur die widerstandsfähigste Feldfrucht<br />

wieder gedeihen kann.) Im Augenblick kann die Fähigkeit<br />

selbst organisierter Armeen, die Leichen von Millionen<br />

Zivilisten in einem fortgeschrittenen Zustand der Verwesung<br />

zu entsorgen, nicht einfach vorausgesetzt werden. Darüber<br />

hinaus würden die zur Wiederaufnahme der Industrieproduktionen<br />

erforderlichen Zivilisten <strong>im</strong> wahrsten Sinne des Wortes<br />

dez<strong>im</strong>iert.<br />

Eine Analyse der Auswirkungen der chemischen Kriegsführung<br />

<strong>im</strong> europäischen Operationsgebiet unter Berücksichtigung<br />

hochgerechneter atmosphärischer freisetzungswerte.<br />

Lawrence-Livermore National Laboratories<br />

LLNL 88-2504 + CR 8305/89/178<br />

S1GMA 2<br />

Intern<br />

+ + + GEHEIM+ + +<br />

Johannes Bitner warf den Bericht nicht in den Papierkorb, aber er<br />

hatte das Bedürfnis, sich die Hände zu waschen. Mal wieder eine<br />

Ähnlichkeit zwischen Ost und West, dachte er kalt: Klingt wie von<br />

Wortprozessoren verfasst. Genau wie bei uns.<br />

»Genosse Generaloberst.« Der Staatsratsvorsitzende sah zu dem<br />

Oberbefehlshaber der Streitkräfte auf. Der Offizier hatte ihm zusammen<br />

mit einem Kollegen - und in Zivil - das Dokument, das<br />

erst vor zwei Tagen von einem <strong>im</strong> westdeutschen Verteidigungsministerium<br />

Hochplatzierten DDR-Spion beschafft worden war, in<br />

seine Dienstvilla in Wandlitz bei Berlin gebracht. »Und wie genau<br />

ist dieses Dokument?«<br />

132


»Genosse, wir können die Computermodelle der Amerikaner<br />

natürlich nicht überprüfen, aber die Formeln beziehungsweise<br />

Einschätzungen der Wirksamkeit sowjetischer Kampfstoffe und<br />

der Witterungsverhältnisse sind von unserem Gehe<strong>im</strong>dienst und<br />

ausgewählten Fakultätsmitgliedern der Universität Leipzig geprüft<br />

worden, und es besteht kein Anlass zu Zweifeln an seiner Echtheit.«<br />

»Die Amerikaner haben sogar die Gesamtmenge der zum Einsatz<br />

kommenden Kampfstoffe unterschätzt«, warf Oberst Mellethin,<br />

Direktor der Analyse Ausland, ein. Er war ein hagerer, strenger<br />

Mann, dessen Augen deutlich verrieten, dass er seit langem<br />

nicht geschlafen hatte. »Sie überschätzen nämlich die Treffgenauigkeit<br />

der russischen Einsatzmittel.«<br />

»Sonst noch etwas, Mellethin?« fragte Bitner scharf.<br />

»Genosse, was ist das Kriegsziel der Russen?«<br />

»Die Neutralisierung der Nato und Zugang zu erweiterten wirtschaftlichen<br />

Kapazitäten. Bitte äußern Sie sich, Genosse Oberst«,<br />

befahl Bitner.<br />

»Genosse, ein Erfolg des Warschauer Paktes könnte ein wiedervereinigtes<br />

Deutschland bedeuten. Ich möchte betonen, dass ein<br />

vereinigtes Deutschland, auch ein sozialistisches, von der Sowjetunion<br />

als strategische Bedrohung angesehen werden würde.« Mellethin<br />

atmete tief durch, ehe er fort fuhr. Setzte er nun sein Leben<br />

aufs Spiel? »Genosse Staatsratsvorsitzender, ein sowjetischer Erfolg<br />

würde das kapitalistische und das sozialistische Deutschland<br />

in eine Mondlandschaft verwandeln. Mindestens zehn bis dreißig<br />

Prozent unserer Bevölkerung tot, das Land auch bei Ausbleiben<br />

eines westlichen Vergeltungsschlages verseucht. Wir haben heute<br />

erfahren, dass die Amerikaner C-Bomben vom Typ >Bigeye< über<br />

den Luftstützpunkt Ramstein einzufliegen beginnen. Wenn unsere<br />

Alliierten ihre chemischen Waffen einsetzen und sich die Nato<br />

revanchiert, ist nicht ausgeschlossen, dass unser Land, die deutsche<br />

Kultur, aufhören wird zu bestehen. Unter militärischen Gesichtspunkten<br />

ist ein solches Ziel nicht vertretbar, aber ich möchte die<br />

Vermutung äußern, Genosse, dass es sich um ein zusätzliches politisches<br />

Ziel des russischen Plans handeln könnte.«<br />

Bitner blieb ungerührt, und seine Gäste konnten nicht ahnen,<br />

dass ihn ein eiskalter Schauer überlief. Das Treffen der letzten<br />

Woche in Warschau war schon beunruhigend genug gewesen,<br />

133


aber nun sah er die Motive hinter den Versicherungen der sowjetischen<br />

Führung allzu deutlich vor sich.<br />

»Und es besteht keine Möglichkeit, unsere Zivilbevölkerung zu<br />

schützen?« fragte Bitner.<br />

»Genosse.« Der General seufzte. »Diese Kampfstoffe brauchen<br />

nicht eingeatmet zu werden, sondern wirken auch durch Hautkontakt.<br />

Wer eine kontaminierte Fläche berührt, vergiftet sich. Wir<br />

können den Menschen befehlen, zu Hause zu bleiben und Türen<br />

und Fenster zu schließen, aber Häuser und Wohnblocks sind nicht<br />

luftdicht. Außerdem müssen die Leute essen. In Schlüsselindustrien<br />

nuss gearbeitet werden. Ärzte, Sanitäter, Angehörige der Sicherheitskräfte,<br />

viele unserer wertvollsten Bürger, sind am stärksten<br />

exponiert. Diese Aerosole ziehen unsichtbar übers Land und verseuchen<br />

alles - Wiesen, Bäume, Zäune, Mauern, Lastwagen. Gewiß,<br />

der Regen wird viel wegwaschen, aber Tests ergaben schon vor<br />

Jahren, dass sich manche dieser Gifte an verdeckten Stellen wochenund<br />

gar monatelang halten. Wir brauchten Tausende von Entgiftungstrupps,<br />

um unser Land wieder so sicher zu machen, dass die<br />

Bürger unbeschadet zum Markt gehen können. Oberst Mellethin<br />

hat recht: Wenn die Russen ihre C-Waffen einsetzen und die Amerikaner<br />

entsprechend reagieren, können wir von Glück sagen, wenn<br />

in sechs Monaten noch die Hälfte unserer Bevölkerung am Leben<br />

ist. Es ist leichter, die Bürger vor den Auswirkungen von Kernwaffen<br />

zu schützen als vor Gasen.«<br />

Moskau<br />

»Was haben die gesagt?« schrie der Verteidigungsminister fast.<br />

»Unsere Genossen aus dem sozialistischen Bruderstaat DDR<br />

haben uns mitgeteilt, dass sie den Einsatz von C-Waffen auf ihrem<br />

Territorium als schwerwiegende Frage von nationalem Interesse<br />

betrachten müssen«, erklärte der Außenminister trocken. »Darüber<br />

hinaus leitete man uns Gehe<strong>im</strong>dienstmeldungen zu, die deutlich<br />

darlegen, dass der Gebrauch solcher Waffen die Haltung der<br />

Nato nur verhärten und möglicherweise zum Einsatz anderer Massenvernichtungsmittel<br />

führen würde.«<br />

»C-Waffen sind aber Teil des Plans!« wandte der Verteidigungsminister<br />

ein.<br />

134


»Genossen«, merkte Sergetow an, »wir alle wissen, dass der<br />

Einsatz chemischer Kampfstoffe katastrophale Auswirkungen auf<br />

die Zivilbevölkerung hat - würde er also nicht unsere politische<br />

maskirowka entwerten? Behaupten wir nicht, wir lägen nur mit der<br />

Regierung der Bundesrepublik <strong>im</strong> Streit? Wie sähe es aus, wenn wir<br />

schon am ersten Kriegstag kaltblütig Tausende von Zivilisten ausrotteten?«<br />

»Es stellt sich noch eine weitere Frage«, sagte Bromkowski. Er<br />

war zwar alt und gebrechlich, genoss aber dank seiner Erfahrungen<br />

aus dem letzten Krieg gegen die Deutschen Respekt. »Wenn wir<br />

diese Waffen gegen alle Nato-Armeen einsetzen - und wie könnten<br />

wir sie auf deutsche Einheiten beschränken? -, werden Amerika<br />

und Frankreich, die Gas als Massenvernichtungswaffen betrachten,<br />

mit ähnlichen Mitteln antworten.«<br />

»Das Arsenal der Amerikaner ist ein Witz«, erwiderte der Verteidigungsminister.<br />

»Ich habe Studien aus Ihrem Hause gesehen, die etwas anderes<br />

aussagen«, versetzte Bromkowski. »Vielleicht werden Sie die Kernwaffen<br />

der Nato auch komisch finden! Wenn wir Tausende von<br />

westdeutschen Zivilisten töten, wird die Bundesregierung den Einsatz<br />

von A<strong>tom</strong>waffen gegen Ziele auf unserem Territorium fordern.<br />

Glauben Sie vielleicht, der Präsident der Vereinigten Staaten würde<br />

zögern, seine Massenvernichtungswaffen freizugeben, wenn wir<br />

ein paar tausend amerikanische Soldaten umgebracht haben? Genossen,<br />

wir diskutieren diese Frage nicht zum ersten Mal. Der Krieg<br />

gegen die Nato ist eine politische Operation, nicht wahr? Warum<br />

werfen wir mit dem Einsatz solcher Waffen unsere politische Camouflage<br />

weg? Inzwischen steht fest, dass mindestens ein Nato-<br />

Land nicht an dem russisch-deutschen Krieg teilnehmen wird; ein<br />

großer Erfolg unserer politischen Strategie. Mit dem Einsatz von C-<br />

Waffen gehen wir dieses Vorteils verlustig und setzen uns politischen<br />

Gefahren in mehr als einer Richtung aus.<br />

Ich finde, dass das Politbüro die Kontrolle über diese Waffen<br />

behalten sollte. Genosse Verteidigungsminister, wollen Sie uns sagen,<br />

dass der Krieg nur mit Massenvernichtungsmitteln zu gewinnen<br />

ist?« Der Alte beugte sich gr<strong>im</strong>mig entschlossen vor. »Hat sich<br />

die Lage geändert? Sagten Sie nicht, unsere Armeen würden zurückbeordert,<br />

wenn das strategische Überraschungsmoment verlorengeht?<br />

Ist dieser Fall eingetreten?«<br />

135


Das Gesicht des Verteidigungsministers wurde starr. «Die Rote<br />

Armee ist bereit und in der Lage, ihren Auftrag auszuführen. Zum<br />

Rückzug ist es nun zu spät. Auch dies ist eine politische Frage, Petja.«<br />

»Die Nato mobilisiert«, merkte Sergetow an.<br />

»Viel zu spät und nur halbherzig«, gab der Direktor des KGB<br />

zurück. »Ein Land haben wir bereits vom Nato-Bündnis abgespalten.<br />

Andere bearbeiten wir und verbreiten in Europa und Amerika<br />

fleißig Desinformationen über den Bombenanschlag. Der Wille der<br />

Bevölkerung der Nato-Länder ist schwach. Niemand will wegen ein<br />

paar deutschen Mördern in den Krieg ziehen, und die Politiker<br />

werden schon einen Weg finden, sich von einem Konflikt zu distanzieren.«<br />

»Aber nicht, wenn wir Zivilisten mit Gas vergiften.« Der Außenminister<br />

nickte. »Petja und Sergetow haben recht: Der politische<br />

Preis des Einsatzes dieser Waffen ist einfach zu hoch.«<br />

Washington, D. C.<br />

»Aber warum?« fragte der Präsident.<br />

»Das wissen wir nicht, Sir.« Der Direktor der CIA fand die Frage<br />

sichtlich unbequem. »Wir wissen, dass der Bombenanschlag <strong>im</strong><br />

Kreml eine reine Erfindung war -«<br />

»Haben Sie heute früh die Washington Post gesehen? Die Presse<br />

schreibt, man sähe diesem Falk den CIA- oder BND-Agenten schon<br />

von weitem an.«<br />

»Mr. President, in Wirklichkeit war Falk mit Sicherheit ein vom<br />

KGB gesteuerter Schläfer. Die Deutschen haben kaum etwas über<br />

ihn in Erfahrung gebracht. Es hat den Anschein, als sei er vor<br />

dreizehn Jahren plötzlich aufgetaucht und habe zwölf Jahre still<br />

sein Export-Import-Geschäft betrieben. Alles deutet darauf hin,<br />

dass sich die Sowjets auf einen Angriff gegen die Nato vorbereiten.<br />

Wehrpflichtige am Ende ihrer Dienstzeit werden zum Beispiel nicht<br />

entlassen, und es gibt keine Hinweise auf Vorbereitungen für den<br />

neuen Jahrgang, der schon vor Tagen in den Kasernen hätte eintreffen<br />

sollen. Und schließlich wäre da noch der Fall des Speznas-<br />

Majors, den die Deutschen festgenommen haben. Er wurde vor<br />

dem Bombenanschlag in die Bundesrepublik eingeschleust und<br />

hatte Anweisung, eine Nato-Fernmeldezentrale anzugreifen. Was<br />

136


den Grund angeht, Mr. President, den kennen wir wirklich nicht.<br />

Wir können nur die Handlungen der Russen beschreiben, nicht ihre<br />

Motive.«<br />

»Gestern Abend sagte ich <strong>im</strong> Fernsehen, wir bekämen die Lage<br />

mit diplomatischen Mitteln in den Griff -«<br />

»Das mag uns noch gelingen, wenn wir uns direkt mit den<br />

Sowjets in Verbindung setzen«, erklärte der Nationale Sicherheitsberater.<br />

»Aber solange wir keine positive Reaktion bekommen,<br />

müssen auch wir zeigen, dass wir es ernst meinen. Mr. President, die<br />

Einberufung weiterer Reserven ist unumgänglich.«<br />

Nordatlantik<br />

Dwarseen ließen die Julius Fucik mit zehn Grad Schlagseite rollen,<br />

was den Soldaten das Leben schwer machte, wie Kapitän Cherow<br />

feststellte, aber für Landratten hielten sie sich recht ordentlich. Die<br />

Mitglieder seiner Crew baumelten an Tauen über die Bordkanten<br />

und übermalten mit Spritzpistolen das Emblem der russischen Reederei.<br />

Soldaten entfernten mit Schweißbrennern Teile der Aufbauten,<br />

um eine Ähnlichkeit mit der Silhouette der Doctor Lykes, eines<br />

amerikanischen Frachters, herzustellen. Das Achterschiff der Fucik<br />

mit dem Aufzug war bereits schwarz gestrichen worden, und die<br />

Aufbauten trugen eine schwarze Raute, Symbol der US-Reederei.<br />

Trupps veränderten mit vorgefertigten Teilen Farbe und Umriss der<br />

beiden Schornsteine. Mit Hilfe von Leinwandschablonen wurde die<br />

neue, sechs Meter hohe Beschriftung an der Bordwand angebracht.<br />

»Wie lange noch, Käptn?«<br />

»Mindestens vier Stunden. Die Arbeit geht gut voran.« Cherow<br />

konnte seine Besorgnis nicht verbergen. Sie befanden sich weit von<br />

allen Schifffahrtsrouten mitten <strong>im</strong> Atlantik, aber man wusste nie...<br />

»Und wenn ein amerikanisches Flugzeug oder Schiff uns ausmacht?«<br />

fragte General Andrejew.<br />

»Dann werden wir feststellen, wie erfolgreich unsere Löschübungen<br />

waren - und unsere Mission schlägt fehl.« Cherow fuhr mit der<br />

Hand über die polierte Reling aus Teak. Er hatte das Schiff nun seit<br />

sechs Jahren kommandiert und in fast jeden Hafen des Nord- und<br />

Südatlantik gesteuert. »Wir nehmen nun Fahrt auf. In vorlicher See<br />

läuft das Schiff ruhiger.«<br />

137


Moskau<br />

»Wann reisen Sie ab?« fragte Flynn Calloway.<br />

»Bald, Patrick. Sie kommen doch hoffentlich mit?« Die unverheirateten<br />

Kinder der beiden Männer studierten, und ihre Frauen<br />

hatten sie schon am Vortag zurück in den Westen geschickt.<br />

»Ach, ich weiß nicht. Ich bin noch nie davongelaufen.« Flynn<br />

warf einen finsteren Blick auf das leere Podium am anderen Ende<br />

des Raumes. »Es ist mein Beruf, vor Ort zu sein und zu berichten.«<br />

»Aus dem Lefortowo-Gefängnis gibt's nichts zu berichten«, bemerkte<br />

Calloway. »Ist Ihnen ein Pulitzer-Preis denn nicht genug?«<br />

Flynn lachte. »Ich dachte schon, den hätte außer mir jeder vergessen.<br />

Willie, was verschweigen Sie mir?«<br />

»Ohne guten Grund würde ich nicht abreisen, Patrick.« Erst am<br />

Abend zuvor hatte er erfahren, dass die Chancen für eine friedliche<br />

Beilegung des Konflikts knapp fünfzig Prozent betrugen. Zum hundertsten<br />

Mal pries der Reuter-Korrespondent seinen Entschluss, mit<br />

dem britischen Gehe<strong>im</strong>dienst zusammenzuarbeiten.<br />

»Ah, es geht los.« Flynn holte seinen Notizblock hervor.<br />

Der Außenminister kam herein und trat ans Rednerpult. Er sah<br />

ungewöhnlich erschöpft aus, sein Anzug war knittrig, sein Hemdkragen<br />

schmutzig, als hätte er die ganze vergangene Nacht mit dem<br />

Versuch verbracht, die Deutschland-Krise mit diplomatischen Mitteln<br />

beizulegen.<br />

»Meine Damen und Herren, ein Jahr, das so viel versprechend für<br />

die Ost-West-Beziehungen begonnen hat, liegt in Trümmern vor<br />

uns. Die Vereinigten Staaten, die Sowjetunion und die anderen<br />

Länder, die unserer Einladung nach Wien gefolgt waren, stehen<br />

kurz vor einem umfassenden Abkommen zur Beschränkung strategischer<br />

A<strong>tom</strong>waffen. Amerika und die Sowjetunion haben so rasch<br />

und kooperativ wie nie zuvor ein Getreidelieferungsabkommen<br />

getroffen, und in diesem Augenblick werden in Odessa am Schwarzen<br />

Meer die ersten Ladungen gelöscht. Der Tourismus aus dem<br />

Westen in die Sowjetunion hat Rekordziffern erreicht, ein Beweis<br />

für die Völkerverständigung <strong>im</strong> Geist der Entspannung. Alle diese<br />

Anstrengungen, das Bemühen, zwischen Ost und West einen gerechten<br />

und dauerhaften Frieden zu schaffen, sind von einer Handvoll<br />

Revanchisten, die aus dem Zweiten Weltkrieg nichts gelernt<br />

haben, zerstört worden.<br />

138


Meine Damen und Herren, der Sowjetunion liegen unwiderlegbare<br />

Beweise vor, dass die westdeutsche Regierung eine Bombe <strong>im</strong><br />

Kreml explodieren ließ, um die Wiedervereinigung Deutschlands<br />

mit Gewalt herbeizuführen. Wir verfügen über gehe<strong>im</strong>e deutsche<br />

Dokumente, die beweisen, dass die westdeutsche Regierung den<br />

Sturz der sowjetischen Regierung plante und beabsichtigte, die<br />

darauf folgenden inneren Wirren zur Wiederherstellung von<br />

Deutschlands Position als Vormacht auf dem Kontinent zu nutzen.<br />

Jeder Europäer weiß, was dies für den Weltfrieden bedeuten würde.<br />

Deutschland ist in diesem Jahrhundert zwe<strong>im</strong>al in mein Land eingefallen.<br />

Über vierzig Millionen Staatsbürger fielen bei der Abwehr<br />

dieser beiden Invasionen, und wir haben auch den Tod von Millionen<br />

anderer Europäer nicht vergessen, die ebenfalls Opfer des<br />

deutschen Nationalismus wurden - Polen, Belgier, Franzosen, Engländer<br />

und Amerikaner. Nach dem Zweiten Weltkrieg hielten wir<br />

alle dieses Problem für endgültig gelöst. In diesem Sinne wurden die<br />

Abkommen geschlossen, die Deutschland und Europa in zwei Einflußsphären<br />

aufteilten und durch die Herstellung eines Gleichgewichts<br />

der Kräfte einen europäischen Krieg unmöglich machten.<br />

Wir wissen, dass die Wiederbewaffnung Deutschlands durch den<br />

Westen als vorgebliche Verteidigungsmaßnahme gegen eine <strong>im</strong>aginäre<br />

Bedrohung aus dem Osten - ungeachtet der Tatsache, dass der<br />

Warschauer Pakt erst nach Gründung der Nato gebildet wurde ­<br />

den ersten Schritt des Westens zur Wiedervereinigung Deutschlands<br />

als Gegengewicht zur Sowjetunion darstellte. Dass dies eine<br />

unsinnige und überflüssige Politik war, liegt nun auf der Hand. Ich<br />

frage Sie: Wer in Europa will ernsthaft ein wiedervereinigtes<br />

Deutschland? Selbst die Mitglieder der Nato stellten ihre Agitation<br />

in diese Richtung schon vor Jahren ein. Lediglich gewisse Kreise in<br />

Deutschland sehen die Tage deutscher Macht in einem anderen<br />

Licht als wir, die unter ihr zu leiden hatten.<br />

Die Bundesrepublik Deutschland hat offensichtlich gegenüber<br />

ihren westlichen Alliierten den Spieß umgedreht und beabsichtigt,<br />

die Nato als Schild zu benutzen, aus dessen Schutz heraus sie eine<br />

Offensive starten will, deren Ziel nur die Erschütterung des friedenswahrenden<br />

Kräftegleichgewichts sein kann. Obwohl wir dem<br />

Westen schuld an der Entstehung dieser Situation geben könnten,<br />

möchte ich betonen, dass die Sowjetunion weder Amerika noch<br />

seine Nato-Alliierten für sie verantwortlich macht. Auch mein<br />

139


Land hat die bittere Lektion gelernt, dass ein Verbündeter über seine<br />

Freunde herfallen kann, wie ein Hund seinen Herrn anfallen mag.<br />

Die Sowjetunion hat nicht den Wunsch, die dramatischen Fortschritte<br />

dieses Jahres auf dem Gebiet der Beziehungen zum Westen<br />

wegzuwerfen.« Der Außenminister legte eine Pause ein und fuhr<br />

dann fort. »Doch die Sowjetunion kann die Tatsache, dass auf<br />

ihrem Boden eine vorsätzliche Aggression gegen sie begangen<br />

wurde, nicht ignorieren. Die Regierung der Sowjetunion wird deshalb<br />

heute der Regierung in Bonn eine Note zugehen lassen. Als<br />

Preis für unsere Nachsicht, als Preis für die Wahrung des Friedens<br />

fordern wir die sofortige Demobilisierung der westdeutschen Streitkräfte<br />

auf eine mit der Wahrung des inneren Friedens zu vereinbarende<br />

Stärke. Außerdem fordern wir Bonn auf, seine Aggression<br />

einzugestehen, das Parlament aufzulösen und Neuwahlen anzusetzen,<br />

damit das deutsche Volk selbst entscheiden kann, wie gut ihm<br />

gedient worden ist. Schließlich verlangen und erwarten wir, dass die<br />

Regierung der Sowjetunion und die Familien der von revanchistischen<br />

deutschen Nationalisten Hingeschlachteten voll entschädigt<br />

werden. Die Nichterfüllung dieser Bedingungen wird schwerwiegendste<br />

Folgen haben.<br />

Wie ich bereits sagte, haben wir keinen Anlass zu der Vermutung,<br />

dass bei diesem Akt des internationalen Terrorismus eine Komplizenschaft<br />

anderer westlicher Länder besteht. Die Krise ist daher<br />

eine Angelegenheit der Regierung der Sowjetunion und der Regierung<br />

in Bonn. Es ist unsere Hoffnung, dass diese Krise mit diplomatischen<br />

Mitteln beigelegt werden kann. Wir fordern die Regierung<br />

in Bonn auf, die Konsequenzen ihrer Handlungen mit größter<br />

Sorgfalt abzuwägen und den Frieden zu wahren. Mehr habe ich<br />

nicht zu sagen.«<br />

Der Außenminister sammelte sein Manuskript ein und ging. Die<br />

versammelten Reporter unterließen jeden Versuch, ihm Fragen zu<br />

stellen.<br />

Flynn steckte seinen Notizblock in die Tasche und schraubte<br />

seinen Füllhalter zu. Der AP-Reporter war in Phnom Penh zurückgelieben,<br />

um das Eintreffen der Khmer Rouge abzuwarten, und war<br />

dabei fast ums Leben gekommen. Er hatte über Kriege, Revolutionen<br />

und Aufstände berichtet und war dabei zwe<strong>im</strong>al verwundet<br />

worden. Doch Kriegsberichterstattung war etwas für junge Männer.<br />

140


»Wann wollen Sie abreisen?«<br />

»Spätestens Mittwoch. Ich habe bei SAS schon zwei Tickets nach<br />

Stockholm reserviert«, antwortete Calloway.<br />

»Ich schicke ein Telegramm nach New York und lasse das Moskauer<br />

Büro morgen schließen. Willie, ich warte, bis Sie soweit sind,<br />

aber ich kann Ihnen sagen, es ist Zeit zu verschwinden. Über diese<br />

Geschichte berichte ich lieber von einem sichereren Ort aus.«<br />

»Über wie viele Kriege haben Sie berichtet, Patrick?«<br />

»Seit Korea praktisch über jeden.«<br />

USS Pharris<br />

DEFCON-2. GEFECHTSBEREITSCHAFT OPTION BRAVO IN<br />

KRAFT. DIESER SPRUCH MUSS ALS KRIEGSWARNUNG VERSTAN­<br />

DEN WERDEN. AUSBRUCH VON FEINDSELIGKEITEN ZWISCHEN<br />

NATO UND WARSCHAUER PAKT NUN WAHRSCHEINLICH,<br />

WENNGLEICH NICHT SICHER. ERGREIFEN SLE ALLE FÜR DIE<br />

SICHERHEIT IHRES SCHIFFES ERFORDERLICHEN MASSNAH­<br />

MEN. FEINDSELIGKEITEN KÖNNEN OHNE WIEDERHOLTE WAR­<br />

NUNG AUSBRECHEN.<br />

Ed Morris griff in seiner Kajüte zum Telefon. »Rufen Sie den XO in<br />

meine Kammer.«<br />

Der Erste Offizier erschien in weniger als einer Minute. »Wie ich<br />

höre, haben Sie einen heißen Spruch, Sir.«<br />

»DEFCON-2, GB Option Bravo.« Er händigte das Formular mit<br />

dem knapp formulierten Spruch aus. »Wir beginnen sofort mit<br />

Fahrtkondition 3. ASROC- und Torpedostationen werden rund um<br />

die Uhr bemannt.« ASROC war ein U-Jagd-Flugkörper.<br />

»Und was sagen wir den Männern?«<br />

»Ich möchte das erst mit den Offizieren durchgehen und dann<br />

zur Mannschaft sprechen. Spezifische Einsatzbefehle liegen noch<br />

nicht vor. Vermutlich laufen wir zum Geleitschutzdienst entweder<br />

nach Norfolk oder nach New York.«<br />

141


USS N<strong>im</strong>itz<br />

»Gut, Toland, raus damit.« Baker setzte sich zurück.<br />

»Admiral, die Nato hat ihren Bereitschaftsgrad erhöht; vom<br />

Präsident ist DEFCON-2 autorisiert worden. Die Reserveflotte der<br />

Navy wird mobilisiert. >Reforger< beginnt um 0100 Zulu-Zeit. Die<br />

Briten haben Queens Order 2 in Kraft gesetzt. Und auf vielen<br />

Flugplätzen in Deutschland wird es rundgehen.«<br />

»Wann ist Unternehmen Reforger abgeschlossen?«<br />

»Die Operation zur Verstärkung unserer Streitkräfte in Europa<br />

wird acht bis zwölf Tage in Anspruch nehmen, Sir.«<br />

»Soviel Zeit wird uns kaum bleiben.«<br />

»Jawohl, Sir.«<br />

»Berichten Sie über die sowjetische Satellitenaufklärung«, befahl<br />

Baker.<br />

»Admiral, <strong>im</strong> Augenblick haben Sie nur einen Radar-Seeaufklärungssatelliten<br />

oben - Kosmos 1801. Gepaart ist er mit Kosmos<br />

1813, einem elektronischen Späher, der vermutlich reaktorgetrieben<br />

ist und zur Ergänzung des Radarsystems auch über Kameras<br />

verfügt.«<br />

»Davon höre ich zum ersten Mal.«<br />

»Die NSA fing vor mehreren Monaten Hinweise auf ein Videosignal<br />

auf, aber diese Erkenntnis wurde, weil unbestätigt, nicht an die<br />

Navy freigegeben.« Toland verschwieg, dass zu dieser Zeit die<br />

Auffassung vorherrschte, die Marine brauche dies nicht zu wissen.<br />

Toland war anderer Ansicht gewesen. Und <strong>im</strong>merhin war er von<br />

der NSA jetzt vor Ort. »Ich nehme an, dass der Iwan noch weitere<br />

Radarsatelliten auf Lager und startbereit hat. Es wurde eine ungewöhnlich<br />

große Anzahl von Nachrichtensatelliten in niedrige<br />

Umlaufbahnen gebracht, dazu eine Menge elektronische >Vögel< ­<br />

normalerweise haben sie nur sechs oder sieben oben, inzwischen<br />

aber insgesamt zehn. Somit ist ihre elektronische Aufklärungskapazität<br />

sehr groß. Unsere elektronischen Emissionen können ihnen<br />

nicht entgehen.«<br />

»Und es lässt sich nichts dagegen unternehmen?«<br />

»Vorerst nicht, Sir. Die Air Force verfügt, wenn ich mich recht<br />

entsinne, über sechs oder sieben Anti-Satelliten-Raketen, die jedoch<br />

nur einmal erfolgreich gegen einen echten Satelliten getestet wurden,<br />

und seit vergangenem Jahr ist ein Antisat-Moratorium in<br />

142


Kraft. Vermutlich kann die Air Force versuchen, das Programm zu<br />

reaktivieren, aber das wird einige Wochen dauern. Priorität als<br />

Ziele haben die Radarsatelliten«, schloss Toland hoffnungsvoll.<br />

»Gut. Unser Befehl lautet, bei den Azoren zur Saratoga zu stoßen<br />

und die amphibischen Einheiten der Marineinfanterie nach Island<br />

zu eskortieren. Ich nehme an, dass uns die Russen den ganzen Weg<br />

beobachten werden! Hoffentlich gibt uns die isländische Regierung<br />

Landeerlaubnis, wenn wir dort eintreffen. Ich habe gerade erfahren,<br />

dass man sich dort nicht entscheiden kann, ob es sich um eine<br />

echte Krise handelt oder nicht. H<strong>im</strong>mel noch mal, meinen Sie, die<br />

Nato hält zusammen?«<br />

»Angeblich haben wir Beweise, dass der ganze Zirkus nur ein<br />

Täuschungsmanöver ist. Der Haken ist nur, dass viele Länder den<br />

Russen die Scharade abkaufen, zumindest offiziell.«<br />

»Find ich großartig. Verfeinern Sie Ihre Analyse der Bedrohung<br />

durch sowjetische U-Boote und Flugzeuge permanent. Sowie sich<br />

bei ihren Einheiten auf See die geringste Veränderung ergibt, will<br />

ich informiert werden.«<br />

143


USS Chicago<br />

15<br />

Die Seefestung<br />

»Lotung?« fragte McCafferty leise.<br />

»Fünfzig Fuß unterm Kiel«, antwortete der Navigator. »Wir sind<br />

zwar noch gut außerhalb russischer Gewässer, kommen aber in<br />

zwanzig Meilen ans Schelf heran, Sir.« Im Lauf einer halben Stunde<br />

meldete er nun zum achten Mal, was vor ihnen lag.<br />

McCafferty nickte, wollte nichts sagen, kein unnötiges Geräusch<br />

verursachen. In der Angriffszentrale der Chicago hing die Spannung<br />

so dick wie der Zigarettenrauch, den die Entlüftung nicht<br />

ganz absaugen konnte. Er schaute sich um und stellte fest, dass seine<br />

Besatzungsmitglieder verstohlen mit gehobenen Brauen und leichtem<br />

Kopfschütteln ihre Verfassung verrieten.<br />

Am nervösesten war der Navigator. Gegen ihre Anwesenheit hier<br />

sprach so gut wie alles. Ob Chicago sich in sowjetischen Hoheitsgewässern<br />

befand oder nicht, war eine rechtlich komplizierte Frage.<br />

Im Nordosten lag Kap Kanin, <strong>im</strong> Nordwesten Kap Swiatoy. Die<br />

Sowjets erhoben auf fast das gesamte Gebiet Anspruch als »historische<br />

Bucht«, während die Amerikaner es vorzogen, sich an die<br />

international anerkannte Vierundzwanzig-Meilen-Zone zu halten.<br />

Jedermann an Bord wusste, dass die Russen eher schießen würden,<br />

als eine Entscheidung gemäß internationalem Seerecht einzuholen.<br />

Frage: Würden die Russen sie finden?<br />

Sie fuhren in gerade dreißig Faden tiefem Wasser - und U-Boote,<br />

so wie die großen Haie, sind Kreaturen der Tiefe. Auf der taktischen<br />

Anzeige erschienen drei sowjetische Patrouillenschiffe, zwei Fregatten<br />

der Grischa-Klasse und eine Korvette der Poti-Klasse, alle auf<br />

die Abwehr von U-Booten spezialisiert. Alle waren meilenweit<br />

entfernt, stellten aber dennoch eine echte Bedrohung dar.<br />

Der einzige positive Aspekt war ein Sturm direkt über ihnen. Ein<br />

Zwanzig-Knoten-Wind und strömender Regen störten die Leistung<br />

des Sonars, allerdings auch die ihrer eigenen Anlage, die einzige<br />

sichere Einrichtung zur Informationsbeschaffung.<br />

144


Und dann gab es Unsicherheitsfaktoren. Welche Spürgeräte hatten<br />

die Sowjets in diesen Gewässern? War das Wasser so klar, dass<br />

sie von einem Hubschrauber oder Anti-U-Boot-Flugzeug gesehen<br />

werden konnten? Trieb dort draußen ein Boot der Tango-Klasse<br />

langsam dahin, angetrieben von leisen Elektromotoren? Antworten<br />

auf diese Frage konnten nur das metallische Sirren einer hochdrehenden<br />

Torpedoschraube oder die Explosion einer Wasserbombe<br />

geben. McCafferty wägte diese Gefahren gegen die Priorität des<br />

Blitzbefehls von COMSUBLANT ab: Sofort Einsatzgebiet von Raketen-U-Booten<br />

Rotflotte feststellen.<br />

Diese Formulierung ließ ihm ein wenig Spielraum.<br />

»Wie exakt ist die Trägheitspeilung?« fragte McCafferty so lässig<br />

wie möglich.<br />

»Plusminus zweihundert Meter.« Der Navigator schaute noch<br />

nicht einmal auf.<br />

McCafferty, der die Gedanken des Navigators erahnte,<br />

brummte. Schon seit Stunden war der Eingang einer NAVSTAR-<br />

Satellitenpeilung fällig, doch ein Signal stellte in einem Gebiet, in<br />

dem es von sowjetischen Schiffen nur so w<strong>im</strong>melte, ein zu großes<br />

Risiko dar. Plusminus zweihundert Meter reichte normalerweise<br />

aus - doch nicht in seichten Gewässern getaucht vor einer feindlichen<br />

Küste. Wie exakt waren seine Seekarten? Lagen nicht eingezeichnete<br />

Wracks auf Grund? Selbst wenn seine Daten genau waren,<br />

würde es nach ein paar Meilen so eng werden, dass ein Fehler<br />

von zweihundert Metern Grundberührung, Beschädigung des U-<br />

Bootes und Lärm bedeuten musste. McCafferty zuckte die Achseln.<br />

Für diesen Auftrag war Chicago das beste Boot der Welt. Er tat ein<br />

paar Schritte und lehnte sich in den Sonar-Raum.<br />

»Was treibt unser Freund?«<br />

»Kurs unverändert, Sir, Geräuschpegel ebenfalls. Zuckelt mit<br />

fünfzehn Knoten dahin wie auf einer Vergnügungsfahrt«, sagte der<br />

Sonar-Chef ironisch.<br />

Schöne Vergnügungsfahrt. Die mit Interkontinentalraketen bestückten<br />

Boote der Sowjets liefen in vierstündigen Abständen aus;<br />

und die Mehrzahl befand sich bereits in See. So etwas war noch nie<br />

vorgekommen. Und alle schienen nach Osten zu laufen - nicht wie<br />

gewöhnlich nach Norden oder Nordwesten, um in der Barentsoder<br />

Karasee oder unter der Polkappe zu kreuzen. Diese Information<br />

hatte SACLANT von einer norwegischen P-3-Maschine erhal­<br />

145


ten, die Checkpoint Charlie abflog, die Stelle fünfzig Meilen vor der<br />

Küste, an der die sowjetischen Boote <strong>im</strong>mer tauchten. Chicago, das<br />

diesem Gebiet nächste Boot, war zum Aufklären geschickt worden.<br />

Bald hatten sie ein Delta-III geortet und zu verfolgen begonnen,<br />

einen modernen sowjetischen »Boomer«, wie man Raketen-U-<br />

Boote nannte. Be<strong>im</strong> Hinterherfahren waren sie parallel des Schelfs<br />

in hundert Faden Tiefe geblieben... bis ihr Ziel plötzlich nach<br />

Südwesten in flache Gewässer Richtung Mys Swiatoy Nos abdrehte,<br />

was es zur Einfahrt zum Weißen Meer führte, also in rein<br />

sowjetisches Gewässer.<br />

Wie weit konnten sie die Vorfolgung wagen? Und was ging<br />

eigentlich vor? McCafferty kehrte in die Zentrale zurück und ging<br />

ans Periskop.<br />

»Schauen wir uns um«, meinte er. »Sehrohr ausfahren.« Ein<br />

Maat betätigte die hydraulische Anlage, und das Backbord-Suchperiskop<br />

stieg auf. »Stop!« McCafferty ging in die Hocke und fing das<br />

Instrument ab, dessen Aufwärtsbewegung der Obersteuermann<br />

knapp unter der Oberfläche gestoppt hatte. In einer teuflisch unbequemen<br />

Haltung watschelte der Kommandant mit dem Periskop <strong>im</strong><br />

Kreis herum. Am Bugschott war ein TV-Monitor angebracht, verbunden<br />

mit einer ins Sehrohr eingebauten Fernsehkamera. Der<br />

Erste Offizier und ein Obermaat überwachten den Bildschirm.<br />

»Keine Schatten«, sagte McCafferty. Kein Hinweis auf ein Schiff.<br />

»Bestätigt, Sir«, meinte der IO.<br />

»Mit Sonar abklären.«<br />

Vorne lauschte die Sonar-Wache aufmerksam. Kreisende Flugzeuge<br />

erzeugten Lärm, aber in diesem Fall war nichts vernommen<br />

worden - was nicht notwendigerweise bedeutete, dass da draußen<br />

nicht doch hoch über ihnen ein Hubschrauber flog oder ein Boot<br />

der Grischa-Klasse mit abgestellten Dieseln driftete und auf Objekte<br />

wie Chicago lauschte.<br />

»Keine Meldung von Sonar, Sir«, sagte der IO.<br />

»Zwei Fuß höher«, befahl McCafferty.<br />

Wieder betätigte der Obersteuermann den Hebel und ließ das<br />

Sehrohr um sechzig Zent<strong>im</strong>eter ansteigen, knapp über die Wasseroberfläche<br />

in den Wellentälern.<br />

»Sir!« rief der leitende ESM-Techniker. An der Spitze des Sehrohrs<br />

war ein kleines Antennenelement montiert, das Signale zu<br />

einem Breitbandempfänger sandte. Sowie es die Oberfläche durch­<br />

146


ach, flammten an der ESM-Konsole drei Warnlichter auf. »Ich<br />

empfange drei - fünf, vielleicht sogar sechs Suchradarsignale auf<br />

dem India-Band.« Der Techniker begann, die Peilungen abzulesen.<br />

McCafferty entspannte sich. Ausgeschlossen, dass ein so kleines<br />

Objekt wie sein Periskop bei diesem Seegang durch Radar geortet<br />

werden konnte. Er drehte das Sehrohr um dreihundertsechzig Grad.<br />

»Ich sehe weder Überwasserschiffe noch Flugzeuge. Wellenhöhe<br />

einsfünfzig. Wind aus Nordwest, zwanzig bis fünfundzwanzig Knoten.«<br />

Er klappte die Griffe hoch und trat zurück. »Sehrohr einfahren.«<br />

Ehe er das zweite Wort ausgesprochen hatte, war die geölte<br />

Stahlsäule in ihrem Schacht verschwunden. Das Sehrohr hatte sich<br />

exakt 5,9 Sekunden über der Oberfläche befunden. Selbst nach<br />

fünfzehn Jahren auf U-Booten fand er <strong>im</strong>mer noch erstaunlich, was<br />

die Männer innerhalb von sechs Sekunden vollbringen konnten.<br />

Der Navigator schaute rasch auf seine Seekarte, und ein Steuermann<br />

half ihm bei der Ermittlung der Ausgangspunkte der Signale.<br />

»Sir.« Der Navigator sah auf. »Richtungen konsistent mit zwei<br />

bekannten Küstenradarstationen; drei Don-2-Anlagen entsprechend<br />

den Richtungen von Sierra-2, 3 und 4.« Er bezog sich auf die<br />

errechneten Positionen der drei sowjetischen Überwasserschiffe.<br />

»Ein unidentifiziertes Signal, Richtung zwei-vier-sieben. Wie sieht<br />

das aus, Harkins?«<br />

»Landgestütztes Oberflächensuchradar, India-Band«, erwiderte<br />

der Techniker und las die Frequenz und Pulsbereitewerte ab.<br />

»Schwaches, unscharfes Signal, Sir. Allerdings eine Menge Aktivität,<br />

Sir, und alle Anlagen sind auf verschiedene Frequenzen eingestellt.«<br />

Die Radarsuche war also wohl koordiniert, damit die Sender<br />

sich nicht gegenseitig störten.<br />

Ein Elektriker spulte das Videoband zurück, damit McCafferty<br />

überprüfen konnte, was er durchs Periskop gesehen hatte. Das Bild<br />

war schwarzweiß; das Band wurde wegen der durch die rasche<br />

Rundumsuche des Kommandanten entstandenen Unscharfen mit<br />

halber Geschwindigkeit abgespielt.<br />

»Schon toll, wie schön nichts aussehen kann, was Joe?« fragte er<br />

seinen Ersten Offizier. Die Wolkendecke hing gut unter tausend Fuß,<br />

und der Seegang hatte das Periskopobjektiv rasch mit Tröpfchen<br />

besprüht. Seit über achtzig Jahren bauen sie jetzt U-Boote, sinnierte<br />

McCafferty, aber eine effiziente Methode zum Klarhalten der Linse<br />

hat noch keiner erfunden.<br />

147


»Das Wasser sieht auch ziemlich trüb aus«, antwortete Joe.<br />

Sichtung durch ein U-Boot-Abwehrflugzeug ist der Alptraum aller<br />

U-Boot-Fahrer.<br />

»Mieses Flugwetter. Keine Sorge, uns sieht keiner«, sagte der<br />

Kommandant so laut, dass alle in der Zentrale es hören konnten.<br />

»Über die nächsten zwei Meilen wird das Wasser langsam tiefer,<br />

Sir«, meldete der Navigator.<br />

»Wie viel?«<br />

»Fünf Faden, Sir.«<br />

McCafferty warf dem IO, der gerade das Steuer überwachte,<br />

einen Blick zu. »Nutzen wir die aus.«<br />

»Aye. Tauchoffizier, langsam zwanzig Fuß tiefer gehen.«<br />

»Ave.« Der Chief gab den Tiefenrudergängern die entsprechenden<br />

Befehle, und in der Zentrale wurde hörbar aufgeatmet.<br />

McCafferty ging wieder nach vorne in den Sonar-Raum. »Was<br />

treiben unsere Freunde, Chief?«<br />

»Die Patrouillenboote klingen noch schwach, Sir, scheinen<br />

Kreise zu fahren - die Richtungen ändern sich entsprechend. Auch<br />

die Schraubenumdrehung des Boomers ist konstant, Sir. Er zuckelt<br />

mit etwa fünfzehn Knoten dahin. Sonderlich leise ist er dabei nicht.<br />

Immer noch eine Menge mechanische Schall<strong>im</strong>pulse. Dem Krach<br />

nach zu schließen, den die da machen, wird dort gewartet. Wollen<br />

Sie mal reinhören, Skipper?« Der Chief hielt einen Kopfhörer hoch.<br />

Sonarsuchpeilungen wurden vorwiegend visuell wahrgenommen ­<br />

der Bordcomputer wandelte akustische Signale um und ließ sie auf<br />

einem Bildschirm erscheinen. Doch für richtiges Horchen war das<br />

noch <strong>im</strong>mer kein echter Ersatz. McCafferty setzte den Kopfhörer<br />

auf.<br />

Als erstes hörte er das Surren der Reaktorpumpen des Delta. Sie<br />

liefen <strong>im</strong> mittleren Umdrehungsbereich und drückten Wasser aus<br />

dem Reaktor in den Wärmetauscher des Sekundärkreislaufs. Dann<br />

konzentrierte er sich auf die Schraubengeräusche. Das russische<br />

strategische U-Boot war mit zwei fünf schaufeligen Schrauben ausgerüstet,<br />

und er versuchte erfolglos mitzuzählen, wie rasch sie<br />

rotierten. Da musste er sich auf das Wort seines Chiefs verlassen,<br />

wie üblich ... peng!<br />

»Was war das?«<br />

Der Chief wandte sich an einen anderen leitenden Sonar-Operator.<br />

»Hat da wer ein Luk zugeschlagen?«<br />

148


Der Sonarmann First Class schüttelte heftig den Kopf. »Klang<br />

eher, als hätte jemand einen Schraubenschlüssel fallen gelassen.<br />

Und zwar ganz in der Nähe.«<br />

Der Captain musste lächeln. Alle Mann an Bord gaben sich<br />

betont lässig. In Wirklichkeit war jeder so angespannt wie er selbst,<br />

und McCafferty hatte nichts anderes <strong>im</strong> Sinn, als aus diesem verfluchten<br />

Teich zu verschwinden. Selbstverständlich durfte er seine<br />

Crew seine Besorgnis nicht spüren lassen - der Kommandant<br />

musste jederzeit über den Dingen stehen -, aber was ist das für ein<br />

Scheißspiel, sagte er sich. Was haben wir hier eigentlich verloren?<br />

Ich hab keine Lust auf einen Krieg!<br />

Er lehnte sich gegen den Türrahmen knapp vor der Zentrale, nur<br />

knapp zwei Meter von seiner Kammer entfernt, und hätte sich am<br />

liebsten dorthin zurückgezogen, ein, zwei Minuten hingelegt, sich<br />

am Waschbecken erfrischt. Kommt nicht in Frage, dachte er.<br />

Durchhalten, Danny, befahl er sich, fuhr sich mit dem Taschentuch<br />

über die Nase, ließ den Blick mit fast gelangweilter Miene über die<br />

Sonar-Displays gleiten. Der coole Kommandant.<br />

Kurz darauf kehrte McCafferty in die Zentrale zurück. Er hatte,<br />

fand er, gerade genug Zeit <strong>im</strong> Sonar-Raum verbracht, um die Crew<br />

dort zu motivieren, ohne sie unter Druck zu setzen. Er sah sich<br />

lässig um. Der Raum war so überfüllt wie eine irische Bar am St.-<br />

Patricks-Tag. Die Gesichter seiner Männer, nach außen hin kühl,<br />

waren trotz der Kl<strong>im</strong>aanlage schweißnass. Besonders die Tiefenrudergänger<br />

konzentrierten sich auf ihre Instrumente, steuerten das<br />

Boot mit Hilfe eines elektronisch definierten Displays tiefer, überwacht<br />

vom Tauchoffizier, dem dienstältesten Chief auf Chicago.<br />

In der Mitte der Zentrale waren die beiden nebeneinander angebrachten<br />

Angriffsrohre voll eingefahren; neben ihnen stand ein<br />

Steuermannsmaat bereit, um sie gegebenenfalls sofort auszufahren.<br />

Der IO schritt den zur Verfügung stehenden Raum ab, schaute alle<br />

zwanzig Sekunden auf die Seekarte, wenn er am achterlichen Ende<br />

kehrtmachte. Hier gab es nichts zu beanstanden. Es herrschte Spannung,<br />

aber die Arbeit wurde getan.<br />

»Insgesamt sieht es nicht so übel aus«, sagte McCafferty so laut,<br />

dass alle es hören konnten. Die Oberflächenverhältnisse machten<br />

eine Ortung unwahrscheinlich.<br />

»Sonar an Zentrale.«<br />

»Zentrale, aye.« Der Kommandant griff zum Telefon.<br />

149


»Rumpfknistern. Er scheint aufzutauchen. Ja, Ziel bläst jetzt<br />

an, Sir.«<br />

»Verstanden. Halten Sie uns auf dem laufenden, Chief.«<br />

McCafferty legte auf, trat an den Kartentisch. »Wieso jetzt auftauchen?«<br />

Der Navigator schnorrte bei einem Matrosen eine Zigarette.<br />

McCafferty wusste, dass er normalerweise Nichtraucher war. Der<br />

Lieutenant musste husten, bekam von einem Steuermann Zweiter<br />

Klasse einen höhnischen Blick und schaute dann hinüber zum<br />

Kommandanten.<br />

»Sir, hier st<strong>im</strong>mt etwas nicht«, sagte der Lieutenant leise.<br />

»Nur eine Frage«, erwiderte McCafferty. »Warum ist er hier<br />

aufgetaucht?«<br />

»Sonar an Zentrale.« Der Kommandant hob wieder ab. »Sir, der<br />

Boomer scheint seine Tanks Leerzublassen.«<br />

»Sonst noch etwas Ungewöhnliches?«<br />

»Nein, Sir, aber er Muss den größten Teil seiner Pressluftreserven<br />

aufgebraucht haben.«<br />

»Gut, Chief, danke.« McCafferty legte auf und fragte sich, was<br />

das nun wieder zu bedeuten hatte.<br />

»Sir, haben Sie einen solchen Auftrag schon einmal ausgeführt?«<br />

fragte der Navigator.<br />

»Ich habe massenweise russische Boote verfolgt, aber hier drinnen<br />

nie.«<br />

»Das Ziel wird schließlich auftauchen müssen, denn hier an<br />

Terski Bereg entlang ist das Wasser nur sechzig Fuß tief.« Der<br />

Navigator fuhr mit dem Zeigefinger über die Seekarte.<br />

»Und wir müssen dann die Verfolgung aufgeben«, st<strong>im</strong>mte<br />

McCafferty zu. »Aber das ist noch vierzig Meilen hin.«<br />

»Genau.« Der Navigator nickte. »Doch seit fünf Meilen verengt<br />

sich dieser Golf wie ein Trichter, der einem getauchten Boot am<br />

Ende nur noch eine einzige sichere Durchfahrt bietet. Verdammt,<br />

ich weiß auch nicht, was hier los ist.« McCafferty kam nach achtern,<br />

um sich die Karte anzusehen.<br />

»Die ganze Strecke von der Halbinsel Kola aus lief er mit fünfzehn<br />

Knoten. Die nutzbare Tiefe war seit fünf Stunden gleichbleibend<br />

- nahm gerade ein bisschen zu - und scheint sich auch für die<br />

nächsten zwei Stunden nicht zu ändern. Aber er taucht trotzdem<br />

auf«, meinte McCafferty. »Die einzige Veränderung stellt die Breite<br />

150


der Fahrrinne dar, und die liegt noch zwanzig Meilen vor uns -«<br />

McCafferry dachte darüber nach, starrte auf die Karte. Der Sonarraum<br />

meldete sich erneut.<br />

»Zentrale, aye. Was gibt's, Chief?«<br />

»Neuer Kontakt, Sir, Richtung eins-neun-zwo. Ziel als Sierra 5<br />

identifiziert. Überwasserschiff, Doppelschrauben, Dieselantrieb.<br />

Tauchte ganz plötzlich auf, Sir. Klingt nach Natja-Klasse. Leichte<br />

Kursänderung nach Backbord, scheint mit dem Boomer zu konvergieren.<br />

Schraubenumdrehung indiziert, rund zwölf Knoten Fahrt.«<br />

»Was treibt der Boomer?«<br />

»Fahrt und Kurs unverändert, Sir. Abblasen eingestellt. Er läuft<br />

nun an der Oberfläche, Sir, wir hören Stampfen und Durchdrehen<br />

der Schrauben. Moment - gerade hat ein Aktiv-Sonar eingesetzt,<br />

wir empfangen Nachhall, Richtung etwa eins-neun-null, wahrscheinlich<br />

von der Natja. Hochfrequenzsonar jenseits des Hörbereichs,<br />

schätzungsweise zweiundzwanzigtausend Hertz.«<br />

McCafferty hatte plötzlich einen eiskalten Knoten <strong>im</strong> Magen.<br />

»IO, ich übernehme das Ruder.«<br />

»Aye, Sir.«<br />

»Tauchoffizier: Gehen Sie auf sechzig Fuß, gerade hoch genug,<br />

ohne die Oberfläche zu durchbrechen. Observation! Sehrohr ausfahren!«<br />

McCafferty suchte die Meeresoberfläche rasch nach<br />

Schatten ab. »Noch drei Fuß. Okay, <strong>im</strong>mer noch nichts. ESM-<br />

Werte?«<br />

»Inzwischen sieben Aktivradarquellen, Skipper. Positionen mehr<br />

oder weniger unverändert, dazu ein neues Objekt an eins-neuneins,<br />

India-Band. Sieht nach Don-2 aus.«<br />

McCafferty stellte das Periskop auf die zwölffache Vergrößerung.<br />

Das sowjetische Raketen-U-Boot lag extrem hoch <strong>im</strong> Wasser.<br />

»Joe, was sehen Sie?« fragte McCafferty, der eine rasche Gegenbestätigung<br />

haben wollte.<br />

»Eindeutig ein Delta-III. Scheint trocken geblasen zu sein, Sir,<br />

liegt über einen Meter höher als gewöhnlich. Muss eine Unmenge<br />

Pressluft verbraucht haben. Das da vor ihm scheint der Mast der<br />

Natja zu sein, aber genau lässt sich das schwer sagen.«<br />

McCafferty spürte nun, dass Chicago schlingerte. Wellenschläge<br />

gegen das Periskop ließen seine Hände zittern. Die Seen brachen<br />

sich auch am Delta, Wasser strömte in die Flutschlitze in der<br />

Außenhaut entlang der Flanke hinein und wieder heraus.<br />

151


»ESM meldet. Signalstärke nähert sich Ortungswerten«, warnte<br />

der Techniker.<br />

Er hat beide Periskope aufgefahren-, stellte McCafferty fest,<br />

der wusste. dass sein eigenes Sehrohr schon viel zu lange oben<br />

gewesen war. Er verdoppelte die Vergrößerung. Das führte zu<br />

einem Verlust an optischen Details, doch nun erschien der Turm<br />

der Delta <strong>im</strong> Okular. »Brückenposten vollzählig auf dem Turm.<br />

Aber es schaut keiner achteraus. Sehrohr einfahren. Tauchoffizier,<br />

zehn Fuß tiefer gehen. Tiefenrudergänger, gut gemacht. Schauen<br />

wir uns mal das Band an, Joe. Sekunden später erschien auf dem<br />

TV-Monitor das Bild.<br />

Sie lagen zweitausend Meter hinter dem Delta. Rund eine halbe<br />

Seemeile dahinter war der Radardom der Natja sichtbar, die in den<br />

Querseen merklich schlingerte. Zur Aufnahme seiner sechzehn SS-<br />

18-Interkontinentalraketen hatte das russische U-Boot ein buckliges,<br />

abfallendes Achterschiff, das von hinten wie eine Straßenrampe<br />

wirkte. Keine Schönheit, dieses Delta, aber es brauchte nur<br />

lange genug zu überleben, um seine Raketen abzuschießen, und die<br />

Amerikaner bezweifelten nicht, dass diese einwandfrei funktionierten.<br />

»Sehen Sie sich das mal an: Die haben so weit ausgeblasen, dass<br />

die Schrauben halb aus dem Wasser ragen-, kommentierte der IO.<br />

»Navigator, wie weit noch bis zum Flachwasser?"<br />

«In diesem Kanal noch zehn Meilen mit mindestens vierundzwanzig<br />

Faden.-<br />

Warum war das Delta schon so weit draußen aufgetaucht?<br />

McCafferty griff zum Hörer. „Sonar, was treibt Natja?«<br />

„Sir, sie hat ihr Suchradar voll aufgedreht. Nicht auf uns gerichtet,<br />

aber wir empfangen Reflexionen und Nachhall vom<br />

Grund. ­<br />

Die Natja war ein Minensuchboot, das sicherlich auch den Auftrag<br />

hatte, als Sperrbrecher zu fungieren, der U-Boote in sichere<br />

Gebiete hinein- und wieder herauseskortierte. Und ihr Minensuch-<br />

Sonar <strong>im</strong> VHF-Bereich war aktiv ... ,guter Gott!<br />

„Ruder hart Backbord!« schrie McCafferty.<br />

"Ruder hart Backbord, aye!" Wenn er nicht angeschnallt gewesen<br />

wäre, hatte sich der Rudergänger den Kopf an der Decke<br />

angeschlagen.<br />

„Ein Minenfeld! hauchte der Navigator.<br />

152


Überall in der Zentrale drehten sich die Köpfe.<br />

»Durchaus möglich. McCafferty nickte gr<strong>im</strong>mig. »Wie weit<br />

sind wir noch von der Stelle, an der der Boomer mit der Natja<br />

zusammentraf, entfernt?<<br />

Der Navigator schaute aufmerksam auf die Karte. »Rund vierhundert<br />

Meter. Sir.«<br />

„Maschinen stopp! ­<br />

Der Rudergänger bediente den Maschinentelegraphen. »Maschinenraum<br />

meldet Stopp, Sir. Kurs eins-acht-null, Sir."<br />

»Gut. Hier sollten wir einigermaßen sicher sein. Man kann wohl<br />

annehmen, dass sich das Delta einige Meilen vor dem Minenfeld mit<br />

dem Minensucher traf, oder? Glaubt hier jemand, der Iwan würde<br />

einen Boomer riskieren?" Rein rhetorische Frage.<br />

Rundum Seufzer der Erleichterung. Chicago verlor rasch an<br />

Fahrt, ging breitseits zum bisherigen Ziel.<br />

»Ruder mittschiffs.« McCafferty befahl Drittelfahrt und griff<br />

nach dem Telefon zum Sonarraum. »Hat sich das Verhalten des<br />

Boomers geändert?«<br />

»Nein, Sir. Kurs konstant eins-neun-null, Fahrt fünfzehn Knoten.<br />

Wir hören <strong>im</strong>mer noch das Aktivsonar der Natja, Kurs einsacht-sechs.<br />

Fahrt gemäß Schraubenumdrehung ebenfalls fünfzehn<br />

Knoten.«<br />

»Navigator, sehen Sie zu, wie wir hier rauskommen. Gehen wir<br />

den Patrouillenbooten aus dem Weg und melden diese Geschichte<br />

so bald wie möglich weiter.«<br />

»Aye. Drei-fünf-acht sieht <strong>im</strong> Augenblick recht gut aus, Sir.« Der<br />

Navigator hatte den Kurs seit zwei Stunden konstant auf den<br />

neuesten Stand gebracht.<br />

»Sir, falls der Iwan hier tatsächlich ein Minenfeld gelegt hat,<br />

befindet es sich teilweise in internationalen Gewässern«, meldete<br />

der IO an. »Gar nicht dumm.«<br />

»Klar. Da die Russen diese Gewässer aber beanspruchen, ist es<br />

halt nur Pech, wenn jemand auf eine Mine läuft -«<br />

»Und dazu einen internationalen Zwischenfall auslöst?« fragte<br />

Joe.<br />

»Wozu aber das Aktiv-Sonar?« wollte der Fernmeldeoffizier<br />

wissen. »Bei klarer Fahrrinne kann man doch nach Sicht navigieren.«<br />

»Und wenn es gar keine klare Fahrrinne gibt?« gab der IO<br />

153


zurück. »Nehmen wir einmal an, sie haben Grundminen gelegt und<br />

in einer Tiefe von, sagen wir mal, fünfzig Fuß Treibminen verankert.<br />

Die Möglichkeit, dass das Ankertau einer Mine vielleicht<br />

etwas zu lang ist, macht sie wohl so nervös, dass sie auf Nummer<br />

Sicher gehen. Und was bedeutet das Ganze?«<br />

»Dass niemand ihre Boomer verfolgen kann, ohne aufzutauchen Der<br />

Lieutenant verstand nun.<br />

»Und das werden wir auch schön bleiben lassen. Kein Mensch<br />

hat je behauptet, der Iwan sei auf den Kopf gefallen. Sein System<br />

hier ist perfekt, denn er bringt alle seine Raketen-Boote dort unter,<br />

wo wir nicht an sie herankommen«, fuhr McCafferty fort. »Von<br />

unserer Position aus schafft es selbst ein SUBROC nicht bis ins<br />

Weiße Meer. Und schließlich: Wenn die Boote auslaufen sollen,<br />

brauchen sie nicht in einer einzigen Fahrrinne herumzumurksen,<br />

sondern können auftauchen und losrauschen. Gentlemen, das bedeutet,<br />

dass sie nicht jedem Boomer ein Jagd-U-Boot zum Schutz<br />

gegen jemanden wie uns zuzuordnen brauchen. Sie bringen alle ihre<br />

strategischen Boote in einer hübsch sicheren Seefestung unter und<br />

haben damit ihre Jagd-Boote für andere Aufgaben frei. Machen<br />

wir, dass wir hier rauskommen.«<br />

Nordatlantik<br />

»Schiff in Sicht, hier spricht ein Flugzeug der US-Navy Backbord<br />

voraus. Bitte identifizieren. Over.« Kapitän Cherow reichte einem<br />

Major der Roten Armee den Hörer der Schiff-zu-Schiff-Funksprechanlage.<br />

»Navy, hier Doctor Lykes.« Für Cherow, der nur gebrochen<br />

englisch sprach, klang der breite Mississippi-Dialekt des Majors<br />

wie Kurdisch. Das nebelgraue Patrouillenflugzeug, das nun ihr<br />

Schiff umkreiste, konnten sie kaum ausmachen.<br />

»Nähere Angaben, Doctor Lykes«, befahl die St<strong>im</strong>me knapp.<br />

»Wir sind aus New Orleans mit allgemeiner Ladung nach Oslo<br />

unterwegs. Worum geht's denn?«<br />

»Sie befinden sich weit nördlich von einem Kurs nach Norwegen.<br />

Erklärung bitte.«<br />

»Navy, lest ihr denn keine Zeitung? Hier wird's bald mulmig,<br />

und unser oller Kahn ist nicht billig. Wir haben Anweisung vom<br />

154


Boss, uns in der Nähe von Freunden zu halten. Schön, euch zu sehn,<br />

Boys. Wollt ihr uns ein Stückchen begleiten?«<br />

»Roger, verstanden, Doctor Lykes, wir teilen Ihnen mit, dass sich<br />

unseres Wissens nach keine U-Boote in diesem Gebiet befinden.«<br />

»Fein, Navy. Fahren wir eben weiter ein bisschen nach Norden<br />

und lassen uns von euch Luftunterstützung geben.«<br />

»Wir können zu Ihrem Geleit kein Flugzeug abstellen.«<br />

»Klar, aber wenn wir euch brauchen, kommt ihr doch, oder?«<br />

»Roger«, st<strong>im</strong>mte Penguin 8 zu.<br />

»Okay, dann fahren wir weiter unseren Nordkurs und drehen<br />

dann nach Osten zu den Färöern ab. Sagt ihr uns Bescheid, wenn die<br />

Banditen auftauchen?«<br />

»Wenn wir welche finden, Doc, versuchen wir erst mal, sie zu<br />

versenken«, übertrieb der Pilot.<br />

»Waidmannsheil, Boy. Out.«<br />

Penguin 8<br />

»Mann, gibt's denn echte Menschen, die so reden wie der?« fragte<br />

sich der Pilot der Orion laut.<br />

»Noch nie von Lykes Lines gehört?« versetzte sein Kopilot lachend.<br />

»Die nehmen nur Leute mit Südstaaten-Akzent. Alte Tradition.<br />

Der Kahn ist aber auf dem falschen Kurs.«<br />

»Sicher, aber bis Geleitzüge zusammengestellt sind, würde ich<br />

auch versuchen, von einem geschützten Gebiet zum anderen zu<br />

hopsen. Wie auch <strong>im</strong>mer, schließen wir mal die Sichtinspektion<br />

ab.« Der Pilot gab Gas und flog näher heran, sein Kopilot griff nach<br />

dem Kennbuch. »Rumpf ganz in Schwarz, mittschiffs steht >Lykes<br />

Lines


zurück. Die beiden anderen Männer, die mit tragbaren Luftabwehrraketen<br />

vom Typ SAM-7 auf sie zielten, sahen die Flieger<br />

nicht. »Viel Glück, Kumpels. Ihr werdet's brauchen.«<br />

MS Julius Fucik<br />

»Der neue Anstrich wird eine visuelle Identifizierung erschweren,<br />

Genosse General«, sagte der Luftabwehroffizier leise. »Soweit ich<br />

sehen konnte, hatten sie keine Luft-Boden-Raketen.«<br />

»Das wird sich rasch genug ändern. Sobald unsere Flotte ausläuft,<br />

werden die Patrouillenflugzeuge bewaffnet. Außerdem: Wie<br />

weit kommen wir, wenn man uns identifiziert hat und andere<br />

Flugzeuge herbeiruft?« Der General sah dem sich entfernenden<br />

Flugzeug nach. Im Verlauf der Episode hatte ihm das Herz bis zum<br />

Hals geschlagen, doch nun konnte er beruhigt zu Cherow auf die<br />

Brückennock gehen. Khakiuniformen <strong>im</strong> amerikanischen Stil waren<br />

nämlich nur an die Offiziere des Schiffes ausgegeben worden.<br />

»Mein Kompl<strong>im</strong>ent an Ihren Sprachenoffizier. Ich nehme an,<br />

dass das, was er da redete, Englisch war?«<br />

Nun, da die Gefahr vorüber war, konnte Andrejew jovial lachen.<br />

»Das hat man mir jedenfalls gesagt. Die Marine hatte eigens einen<br />

Mann mit Spezialkenntnissen angefordert. Es handelt sich um<br />

einen Gehe<strong>im</strong>dienstoffizier, der in den USA gearbeitet hat.«<br />

»Wie auch <strong>im</strong>mer, er hatte Erfolg. Nun können wir sicher auf<br />

unser Ziel zulaufen«, sagte Cherow, klang aber nicht ganz überzeugt.<br />

»Ich freue mich schon aufs Land, Genosse Kapitän.« Der General<br />

fühlte sich auf diesem großen, ungeschützten Ziel nicht sicher<br />

und sehnte sich nach festem Boden unter den Füßen. Als Infanterist<br />

hatte man wenigstens ein Gewehr, mit dem man sich verteidigen,<br />

gewöhnlich ein Loch, in dem man sich verstecken, und zwei Beine,<br />

auf denen man weglaufen konnte. Auf einem Schiff sah das ganz<br />

anders aus, wie er inzwischen gelernt hatte. Ein Schiff war ein<br />

riesiges Ziel, und dieser Frachter war praktisch wehrlos. Zu seinem<br />

Erstaunen fühlte er sich hier unbehaglicher als in einem Transportflugzeug.<br />

Dort hatte man wenigstens noch einen Fallschirm. Über<br />

seine Fähigkeit, an Land zu schw<strong>im</strong>men, machte er sich keine<br />

Illusionen.<br />

156


Sunnyvale, Kalifornien<br />

»Schon wieder eine«, sagte der Chief Master Sergeant.<br />

Die Sache wurde inzwischen schon langweilig. Der Colonel hatte<br />

noch nie erlebt, dass die Sowjets mehr als sechs Fotoaufklärungssatelliten<br />

<strong>im</strong> Orbit hatten. Nun kreisten dort zehn, dazu zehn elektronische<br />

Datensammler, teils vom Komsodrom Baikonur bei Leninsk<br />

in Kasachstan, teils von Plesetsk in Nordrussland aus gestartet.<br />

»Das ist eine Rakete vom Typ F, Colonel«, sagte der Sergeant<br />

und hob den Blick von der Armbanduhr. »Brenndauer weicht von<br />

der des A-Typs ab.«<br />

Bei diesem russischen Trägersystem handelte es sich um eine<br />

abgewandelte Version der alten Interkontinentalrakete SS-9, und<br />

sie hatte nur zwei Funktionen - Radar-Seeaufklärungssatelliten,<br />

RORSAT genannt, und Anti-Satelliten-Systeme in Umlaufbahnen<br />

zu bringen. Die Amerikaner beobachteten den Start über einen erst<br />

kürzlich in den Orbit gebrachten Aufklärungssatelliten KH-11. Der<br />

Colonel griff nach dem Telefon mit der Standleitung zu NORAD<br />

<strong>im</strong> Cheyenne Mountain.<br />

USS Pharris<br />

Solltest dich hinlegen, auf Vorrat schlafen, dachte Morris, war aber<br />

zu aufgedreht.<br />

USS Pharris fuhr vor der Mündung des Delaware River Achterschleifen.<br />

Dreißig Meilen weiter nördlich wurden die Schiffe der<br />

Marinereserveflotte, die seit Jahren in Bereitschaft gelegen hatten,<br />

seeklar gemacht, mit Panzern, Geschützen und Munition beladen.<br />

Auf dem Suchradar der Pharris erschienen zahlreiche Truppentransportflugzeuge,<br />

die vom Luftstützpunkt Dover starteten. Die<br />

gewaltigen Maschinen konnten Truppen nach Deutschland bringen,<br />

wo ihr Gerät bereits gelagert war, doch wenn die Munition<br />

knapp wurde, musste der Nachschub auf die altmodische Weise<br />

erfolgen, in hässlichen, dicken, langsamen Frachtern - fetten Zielen.<br />

Diese waren inzwischen vielleicht nicht mehr so langsam wie früher<br />

und größer, aber nicht mehr so zahlreich. Im Lauf von Morris'<br />

Karriere in der Navy war die amerikanische Handelsflotte stark<br />

geschrumpft. Nun konnte ein U-Boot ein Schiff versenken und<br />

157


dabei einen so großen Schaden anrichten wie <strong>im</strong> Zweiten Weltkrieg<br />

durch die Vernichtung von vier oder fünf.<br />

Ein weiteres Problem stellten die Besatzungen der Frachter dar,<br />

für die man bei der US-Navy traditionell nichts als Verachtung<br />

übrig hatte. Das Durchschnittsalter der Crews betrug um die fünfzig<br />

Jahre, mehr als das Doppelte als auf jedem Schiff der Marine.<br />

Waren diese Opas den Belastungen des Gefechts gewachsen? fragte<br />

sich Morris. Er musste diesen Gedanken verdrängen. Diese alten<br />

Männer mit studierenden Kindern waren seine Herde. Er war der<br />

Schäfer, und unter der grauen Oberfläche des Atlantiks lauerten<br />

Wölfe.<br />

Keine große Herde. Erst kürzlich hatte er die Zahlen zu sehen<br />

bekommen: 170 in Privatbesitz befindliche Frachter unter amerikanischer<br />

Flagge, Durchschnittsgröße 18 000 BRT. Die Lage katastrophal<br />

zu nennen, war noch eine Untertreibung. Sie konnten es<br />

sich nicht leisten, auch nur ein Schiff zu verlieren.<br />

Morris ging ans Radarsichtgerät der Brücke und sah sich den<br />

Start der Transportflugzeuge vom Stützpunkt Dover an. Jeder<br />

weiße Fleck auf dem Schirm stand für fünfhundert Mann. Was,<br />

wenn ihnen die Munition ausging?<br />

»Noch ein Frachter, Sir.« Der Wachoffizier wies auf einen Punkt<br />

an der K<strong>im</strong>m. »Holländisches Containerschiff. Ich nehme an, es<br />

will Kriegsmaterial laden.«<br />

Morris grunzte. »Wir werden alle Hilfe brauchen, die wir kriegen<br />

können.«<br />

Sunnyvale, Kalifornien<br />

»Eindeutig, Sir«, sagte der Colonel. »Ein sowjetischer Antisat,<br />

dreiundsiebzig Seemeilen hinter einem von unsern Vögeln.«<br />

Der Colonel hatte seinem Satelliten befohlen, die Kameras auf<br />

den neuen Begleiter zu richten. Die Lichtverhältnisse waren ungünstig,<br />

die Umrisse des russischen Killersatelliten aber unverkennbar:<br />

ein fast dreißig Meter langer Zylinder mit einem Raketenmotor an<br />

einem und einer Radarsuchantenne am anderen Ende.<br />

»Was schlagen Sie vor, Colonel?«<br />

»Sir, ich bitte um Genehmigung, meine Vögel nach Belieben zu<br />

manövrieren. Sowie ein Objekt, das einen roten Stern trägt, auf<br />

158


fünfzig Meilen herankommt, werde ich eine Reihe von V-Delta-<br />

Manövern ausführen, um ihre Abfangkoordinaten durcheinanderzubringen.«<br />

»Das wird eine Menge Treibstoff kosten«, warnte der CINC­<br />

NORAD.<br />

»Wir haben es hier mit einem doppelten Problem zu tun, General.«<br />

Der Colonel reagierte wie ein Mathematiker. »Option eins:<br />

Wir manövrieren die Vögel und nehmen den Treibstoffverbrauch<br />

in Kauf. Option zwei: Wir lassen sie auf ihren Bahnen und riskieren<br />

Abschüsse. Ist ein russischer Killer erst einmal bis auf fünfzig Meilen<br />

herangekommen, kann er unseren Satelliten innerhalb von fünf<br />

Minuten abfangen und ausschalten.«<br />

»Gut, aber das muss von Washington genehmigt werden. Ich<br />

werde Ihren Vorschlag mit meiner Empfehlung weiterleiten.«<br />

USS N<strong>im</strong>itz<br />

»Admiral, es kam gerade eine bedenkliche Meldung aus der Barentssee.«<br />

Toland las die Nachricht von CINCLANTFLT vor.<br />

»Wie viele U-Boote können sie jetzt auf uns loslassen?«<br />

»Vielleicht dreißig mehr als bisher, Admiral.«<br />

»Dreißig?« Seit einer Woche hatte Baker nur schlechte Nachrichten<br />

erhalten. Diese fand er ganz besonders übel.<br />

Der Verband der N<strong>im</strong>itz, begleitet von denen der Saratoga und<br />

des französischen Trägers Foch, gab einer amphibischen Einheit<br />

der Marineinfanterie, genannt MAU, die die Bodenverbände auf<br />

Island verstärken sollte, Geleitschutz. Eine Fahrt von drei Tagen.<br />

Sollte der Krieg kurz nach Erfüllung dieses Auftrags ausbrechen,<br />

war ihre nächste Aufgabe die Unterstützung des Verteidigungsplans<br />

für die GIUK-Barriere, die kritisch bedeutsame Sperre der<br />

Durchfahrten zwischen Grönland, Island und Großbritannien.<br />

Trägereinsatzgruppe 21 war stark, aber war sie stark genug? Laut<br />

Doktrin musste eine aus vier Trägern bestehende Gruppe dort oben<br />

in der Lage sein zu kämpfen und zu überleben, doch die Flotte war<br />

noch nicht komplett. Toland erhielt Berichte über verzweifelte<br />

diplomatische Bemühungen, den anscheinend kurz vor dem Ausbruch<br />

stehenden Krieg noch zu verhindern. Wie aber würden die<br />

Sowjets auf vier oder mehr Flugzeugträger in der norwegischen See<br />

159


eagieren? Offenbar wollte das in Washington niemand wissen,<br />

aber Toland hatte das Gefühl, dass es darauf auch nicht mehr<br />

ankam. Island hatte die Verstärkungen, die sie gerade eskortierten,<br />

erst vor zwölf Stunden akzeptiert, und dieser Vorposten der Nato<br />

hatte sie auch besonders nötig.<br />

USS Chicago<br />

McCafferty befand sich dreißig Meilen nördlich der Einfahrt zum<br />

Kola Fjord. Nach einer spannungsgeladenen sechzehnstündigen<br />

Fahrt von Kap Swiatoy war die Besatzung relativ froh, nun hier zu<br />

sein. Obwohl es in der Barentssee vor U-Boot-Jägern nur so w<strong>im</strong>melte,<br />

hatten sie sich sofort nach Abgabe ihrer Meldung von der<br />

Zufahrt zum Weißen Meer zurückgezogen, um keinen ernsten<br />

Zwischenfall heraufzubeschwören. Hier hatten sie hundert Faden<br />

Wasser und genug Raum zum Manövrieren. Fünfzig Meilen von<br />

Chicago entfernt sollte sich ein Paar amerikanischer U-Boote befinden,<br />

dazu ein Engländer und zwei norwegische Diesel-Boote. Von<br />

diesen hörten seine Sonarmänner nichts, wohl aber ein Quartett<br />

von Grischas, die <strong>im</strong> Südosten mit Aktivsonar ein Objekt anpeilten.<br />

Die alliierten U-Boote hier hatten den Auftrag zu beobachten und<br />

zu lauschen. Eine fast ideale Mission für sie, denn sie brauchten nur<br />

dahin zu schleichen und Kontakt mit Überwasserschiffen, die sich<br />

schon auf weite Distanz orten ließen, zu meiden.<br />

Sich zu verstecken, war nun sinnlos. McCafferty dachte nicht<br />

daran, seinen Männern die Bedeutung der gerade beobachteten<br />

Konzentration der russischen strategischen Boote vorzuenthalten:<br />

Es hatte den Anschein, als stünde ein Krieg kurz bevor. Die Politiker<br />

in Washington und die Strategen in Norfolk und anderswo mochten<br />

noch ihre Zweifel hegen, doch hier, an der Spitze der Lanze,<br />

diskutierten die Offiziere und Männer der Chicago die Dislozierung<br />

der sowjetischen Schiffe und gelangten zum selben Schluss. Die<br />

Torpedorohre des Bootes waren mit Torpedos vom Typ M-48 und<br />

Harpoon-Raketen geladen. In den vertikalen Raketenabschußrohren<br />

vor dem Druckkörper steckten zwölf Tomahawks. Drei dieser<br />

Marschflugkörper waren mit Kernsprengköpfen zum Einsatz gegen<br />

Landziele ausgerüstet, bei den restlichen neun handelte es sich<br />

um konventionelle Anti-Schiffs-Raketen. Sowie eine Anlage an<br />

160


Bord auch nur das geringste Anzeichen einer Funktionsstörung<br />

zeigte, wurde sie sofort herausgerissen und von einem Techniker<br />

repariert. McCafferty war von seiner Crew angetan und ein wenig<br />

überrascht. Diese Männer waren noch so jung - Durchschnittsalter<br />

einundzwanzig -, passten sich der Lage aber vorzüglich an.<br />

Er stand <strong>im</strong> Sonarraum in der Nähe eines großen Computersystems,<br />

das einen Strom von Unterwassergeräuschen verarbeitete<br />

und best<strong>im</strong>mte Frequenzbänder, die erfahrungsgemäß die akustische<br />

Signatur eines sowjetischen Schiffes markierten, analysierte.<br />

Die Signale erschienen auf einem »Wasserfall-Display« genannten<br />

Bildschirm in Gestalt eines gelben Vorhangs, dessen hellere Linien<br />

die Richtung eines Geräusches, das von Interesse sein mochte,<br />

anzeigten. Vier Linien wiesen auf die Grischas hin, versetzte Punkte<br />

stellten die Peilsignale ihres Aktiv-Sonars dar. McCafferty fragte<br />

sich, hinter wem die Fregatten her waren, doch nur spekulativ,<br />

denn sein Boot wurde nicht angepeilt. Andererseits gab es bei der<br />

Beobachtung der Arbeitsweise des Gegners <strong>im</strong>mer etwas zu lernen.<br />

Ein Team von Offizieren verfolgte in der Zentrale die Bewegungen<br />

der sowjetischen Patrouillenschiffe, hielt sorgfältig ihre Formationsmuster<br />

und Jagdbewegungen für den späteren Vergleich mit<br />

Nachrichtendienstvoraussagen fest.<br />

Am unteren Ende des Schirms erschien eine neue Reihe von<br />

Punkten. Ein Sonarmann drückte einen Knopf für eine selektivere<br />

Frequenzeinstellung, was eine leichte Veränderung auf dem Schirm<br />

auslöste, und stöpselte dann einen Kopfhörer ein. Das Display war<br />

auf schnelle Bilderzeugung geschaltet, und McCafferty sah, wie aus<br />

den Punkten Linien um Richtung eins-neun-acht wurden - der Kola<br />

Fjord.<br />

»Wirrer Krach, Sir«, meldete der Sonarmann. »Ich höre Alfas<br />

und Charlies herauskommen, gefolgt von einem ganzen Rudel<br />

anderer Boote. Das Schraubengeräusch eines Alfas weist auf dreißig<br />

Knoten Fahrt hin. Und dahinter lärmt es gewaltig, Sir.«<br />

Eine Minute später wurde diese Beobachtung vom visuellen Display<br />

bestätigt. Die Frequenz- oder Tonlinien erschienen in den für<br />

best<strong>im</strong>mte Klassen von U-Booten typischen Bändern, und die Boote<br />

verließen alle mit hoher Geschwindigkeit den Hafen. Die Kontaktkurslinien<br />

zeigten an, dass die Boote fächerförmig getaucht ausschwärmten,<br />

was ungewöhnlich war, da sie normalerweise erst<br />

weit vor der Küste unter Wasser gingen.<br />

161


»Über zwanzig Boote, Sir«, sagte der Sonar-Chief leise. »Das ist<br />

eine Großaktion.«<br />

»Allerdings.« McCafferty ging zurück in die Zentrale. Seine<br />

Männer gaben dem Feuerleitcomputer bereits die Positionen der<br />

Kontakte ein und zeichneten am Kartentisch Kurse auf Papier.<br />

Noch hatte der Krieg nicht begonnen, aber es sah aus, als könnte er<br />

jeden Augenblick ausbrechen. Dennoch hatte McCafferty den Auftrag,<br />

sich von sowjetischen Verbänden fernzuhalten, bis das Stichwort<br />

fiel. Das gefiel ihm nicht - besser gleich zuschlagen -, doch<br />

Washington hatte klargestellt, dass Vorfälle, die eine diplomatische<br />

Lösung verhindern könnten, vermieden werden sollten.<br />

Er entfernte sich von der Küste. Nach einer halben Stunde hatte<br />

sich die Lage beruhigt, und McCafferty ließ eine SLOT-Boje ausstoßen.<br />

Dieser schw<strong>im</strong>mende Sender war so programmiert, dass Chicago<br />

dreißig Minuten Zeit hatte, sich aus dem Gebiet zu entfernen.<br />

Dann übertrug er in Impulsen Informationen über ein UHF-Satelliten-Band.<br />

Im Umkreis von zehn Meilen geriet man auf sowjetischen<br />

Schiffen in Panik, weil man zweifellos glaubte, es handele sich um<br />

ein U-Boot. Aus dem Spiel war plötzlich Ernst geworden.<br />

Die Boje arbeitete über eine Stunde lang, sendete kontinuierlich<br />

ihre Daten an einen Nachrichtensatelliten der Nato. Bei Sonnenuntergang<br />

wurden diese Daten an alle Nato-Verbände auf See gefunkt.<br />

Die Russen kamen.<br />

162


USS N<strong>im</strong>itz<br />

16<br />

Erste Schritte - letzte Schritte<br />

Über Lautsprecher war zwar schon vor zwei Stunden der Sonnenuntergang<br />

verkündet worden, aber Bob Toland hatte noch Arbeit<br />

zu erledigen. Sonnenuntergänge auf See, wo die Sonnenscheibe<br />

hinter einem scharfen Horizont versank, weit von der verschmutzten<br />

Großstadtluft entfernt, genoss er <strong>im</strong>mer sehr, doch was er nun<br />

sah, fand er fast ebenso attraktiv. Er stützte sich auf die Reling,<br />

schaute erst hinab auf den Schaum tief unten am schnittigen Rumpf<br />

des Flugzeugträgers und dann, nach kurzer Vorbereitung, zum<br />

H<strong>im</strong>mel. Toland, in Boston geboren und aufgewachsen, hatte erst<br />

bei der Marine die Milchstraße richtig zu sehen bekommen, und<br />

das breite, helle Sternenband war ihm nach wie vor ein Wunder.<br />

Über ihm standen die Sterne, nach denen er mit Sextant und trigonometrischen<br />

Tabellen navigieren gelernt hatte. Heute wendete die<br />

Marine dieses altväterliche Verfahren kaum noch an, sondern navigierte<br />

mit Hilfe von Computersystemen wie Omega und Loran. Die<br />

Schönheit der Sterne aber fesselte ihn nach wie vor. Arcturus, Wega<br />

und Altair funkelten und waren Bezugspunkte am Nachth<strong>im</strong>mel.<br />

Eine Tür ging auf, und ein Matrose, der das lila Hemd eines<br />

Flugzeugbetankers zu tragen schien, trat neben ihn auf die Laufplanke<br />

des Flugdecks.<br />

»Das Schiff ist verdunkelt. Werfen Sie die Zigarette weg«, sagte<br />

Toland, der sich in seiner Einsamkeit gestört fühlte, scharf.<br />

»Verzeihung, Sir.« Der Mann warf den Stummel über Bord und<br />

schaute dann Toland an. »Kennen Sie die Sterne, Sir?«<br />

»Was soll die Frage?«<br />

»Ich bin in New York aufgewachsen, Sir, und nun zum ersten<br />

Mal auf See. So klar habe ich die Sterne noch nie gesehen - und ich<br />

weiß noch nicht einmal, wie sie alle heißen.«<br />

Toland lachte leise. »Ging mir auf meiner ersten Fahrt auch so.<br />

Hübsch, nicht wahr?«<br />

163


»Ja, Sir. Wie heißt dieser da?» Der Junge klang müde; kein<br />

Wunder nach den vielen Flugoperationen dieses Tages. Der Matrose<br />

wies auf den hellsten Fleck am Osth<strong>im</strong>mel.<br />

Bob musste erst kurz nachdenken. »Das ist Jupiter - ein Planet,<br />

kein Fixstern. Mit dem Fernglas können Sie seine Monde sehen ­<br />

nicht alle, aber vier.» Dann zeigte er dem jungen Mann einige der<br />

Sterne, nach denen man navigierte.<br />

»Und wie geht das, Sir?«<br />

»Man n<strong>im</strong>mt einen Sextanten und best<strong>im</strong>mt ihre Höhe überm<br />

Horizont. Klingt schwieriger, als es ist. Man braucht nur ein bißchen<br />

Übung. Anschließend schlägt man den Winkel in einem Tabellenbuch<br />

nach. So wird schon seit Tausenden von Jahren navigiert.<br />

Wie auch <strong>im</strong>mer, wenn man die genaue Zeit kennt und weiß, wo ein<br />

best<strong>im</strong>mter Stern steht, kann man seine Position recht exakt best<strong>im</strong>men<br />

- bis auf einige hundert Meter, sofern man den Prozess<br />

wirklich beherrscht. Der Standort lässt sich übrigens auch anhand<br />

des Mond- und Sonnenstandes best<strong>im</strong>men. Als erst einmal genau<br />

gehende Uhren erfunden waren, machte die Positionsbest<strong>im</strong>mung<br />

keine Schwierigkeiten mehr.«<br />

»Heutzutage macht man das mit Satelliten, habe ich gehört.«<br />

»Richtig, aber die Sterne sind hübscher.«<br />

»St<strong>im</strong>mt.« Der Matrose setzte sich, legte den Kopf zurück und<br />

schaute auf zu dem Schleier aus weißen Punkten. Hinter ihnen<br />

rauschte das Kielwasser wie eine permanent brechende Welle. Irgendwie<br />

passten der H<strong>im</strong>mel und das Geräusch perfekt zusammen.<br />

»Na, auf jeden Fall hab ich etwas über die Sterne gelernt. Wann<br />

geht's los, Sir?«<br />

Toland schaute auf zum Sternbild Schütze. Dahinter befand sich<br />

das galaktische Zentrum. Manche Astrophysiker vertraten die<br />

Theorie, dort befände sich ein Schwarzes Loch, die destruktivste<br />

aller bekannten Kräfte. Dagegen nahmen sich die Vernichtungsmittel,<br />

die der Mensch beherrscht, kümmerlich aus. Aber zum Töten<br />

genügten sie.<br />

»Bald.«<br />

164


USS Chicago<br />

Das U-Boot fuhr nun weit vor der Küste, fern den dahinjagenden<br />

sowjetischen U-Booten und Überwasserverbänden. Explosionen<br />

waren noch keine vernommen worden, aber lange konnte es nicht<br />

mehr dauern. Das nächste sowjetische Schiff lag dreißig Meilen<br />

entfernt <strong>im</strong> Osten, ein Dutzend andere waren geortet worden. Und<br />

alle peitschten die See mit Aktiv-Sonar.<br />

McCafferty fand seinen Blitz-Einsatzbefehl erstaunlich. Chicago<br />

wurde aus der Barentssee abgezogen und in ein Patrouillengebiet <strong>im</strong><br />

norwegischen Meer verlegt. Auftrag: sowjetische U-Boote auf Südkurs<br />

in den Atlantik behindern. Es war eine politische Entscheidung<br />

getroffen worden: Man wollte den Eindruck, die Nato treibe die<br />

Sowjets in einen Krieg, vermeiden. Mit einer Handbewegung war<br />

der ursprüngliche Plan, die sowjetischen Flotten sozusagen vor der<br />

Tür anzugreifen, vom Tisch gefegt worden. McCafferty fragte sich,<br />

welche weiteren Überraschungen ihm noch bevorstanden. Die Torpedos<br />

und Raketen des U-Bootes waren nun klar zum Abschuss, das<br />

Feuerleitsystem kontinuierlich bemannt, und es waren Wachen unter<br />

Kriegsbedingungen aufgestellt worden. Doch ihr gegenwärtiger<br />

Befehl lautete: Flucht. Der Kommandant verfluchte insgehe<strong>im</strong> die<br />

Leute, die diese Entscheidung getroffen hatten, hoffte aber gleichzeitig,<br />

dass sich der Krieg doch noch irgendwie vermeiden ließ.<br />

Brüssel<br />

»Es muss bald losgehen«, bemerkte der COMAIRCENT, Oberbefehlshaber<br />

der Luftstreitkräfte Europa-Mitte. »Verflucht, so gefechtsbereit<br />

habe ich die Sowjets noch nie erlebt. Sie können nicht<br />

abwarten, bis unsere Reforger-Einheiten voll in Position sind. Sie<br />

müssen zuschlagen, und zwar bald.«<br />

»Ich weiß, worauf Sie hinauswollen, Charlie, aber wir dürfen<br />

nicht den ersten Schlag führen.«<br />

»Was hört man von unseren Gästen?« Der General der Air Force<br />

bezog sich auf Major Tschernjawins Speznas-Kommandoteam.<br />

»Die rühren sich <strong>im</strong>mer noch nicht.« Eine Einheit der bundesdeutschen<br />

GSG-9 observierte das konspirative Haus kontinuierlich;<br />

ein britisches Team lag auf dem Weg zum vermutlichen Ziel<br />

165


Lammersdorf <strong>im</strong> Hinterhalt. Bei den Überwachungsteams befanden<br />

sich Gehe<strong>im</strong>dienstoffiziere aus den meisten Nato-Ländern, die<br />

in direkter Verbindung mit ihren Regierungen standen. »Und wenn<br />

das nur ein Köder ist, der uns dazu verleiten soll, als erste zuzuschlagen?«<br />

»Das können wir nicht, General. Ich warte auf grünes Licht zum<br />

Start von Operation Traumland, aber das bekommen wir erst,<br />

wenn der Ernstfall feststeht.«<br />

Der SACEUR lehnte sich zurück. Er war in seinem unterirdischen<br />

Befehlsstand gefangen und seit zehn Tagen nicht mehr in seiner<br />

Dienstvilla gewesen.<br />

»Wie rasch können Sie auf meinen Befehl reagieren?«<br />

»Alle meine Vögel sind startbereit, die Besatzungen haben ihre<br />

Einsatzbefehle. Wenn ich sie in Alarmbereitschaft versetze, kann<br />

Traumland dreißig Minuten nach Ihrem Signal anlaufen.«<br />

»Gut, Charlie. Ich habe vom Präsidenten die Ermächtigung,<br />

jedem Angriff zu begegnen. Versetzen Sie Ihre Männer in Alarmbereitschaft.«<br />

»Gemacht.«<br />

Das Telefon des SACEUR ging. Er hob ab, lauschte kurz, sah auf.<br />

»Unsere Gäste setzen sich in Bewegung«, sagte er zum COMAIR­<br />

CANT. »Das Kennwort ist Feuerschein.« Alle Nato-Streitkräfte<br />

wurden in höchste Alarmbereitschaft versetzt.<br />

Aachen<br />

Das Speznas-Team verließ das konspirative Haus und fuhr in zwei<br />

kleinen Lieferwagen nach Süden, Richtung Lammersdorf. Da sein<br />

Führer ums Leben gekommen war, waren nun an seinen Stellvertreter,<br />

einen Hauptmann, Kopien der Papiere, derentwegen sein Chef<br />

gestorben war, geschickt worden. Die Männer kannten ihre Aufgabe<br />

genau. Sie waren stumm und angespannt. Der Offizier hatte<br />

sich große Mühe gegeben, seinen Männern zu erklären, dass ihr<br />

Fluchtweg sorgfältig geplant sei, ein weiteres konspiratives Haus<br />

bereitstünde, in dem sie nur fünf Tage lang auf das Eintreffen der<br />

Truppen zu warten brauchten. Sie seien die Elite der Roten Armee,<br />

hatte er ihnen eingeschärft, gründlich für gefährliche Aufträge hinter<br />

den feindlichen Linien ausgebildet und daher dem Staat wert­<br />

166


voll. Jeder Mann hatte in den Bergen von Afghanistan Gefechtserfahrung<br />

gesammelt; sie waren trainiert, bereit.<br />

Die Männer lauschten seiner Ansprache so, wie es Elitetruppen<br />

gewöhnlich tun: schweigend. Vor allem ihrer Intelligenz wegen<br />

ausgewählt, wussten sie wohl, dass ihnen nur Mut gemacht werden<br />

sollte. Die Mission hing vom Glück ab, und das hatte sie bereits<br />

verlassen. Major Tschernjawin fehlte, und viele fragten sich, ob das<br />

Unternehmen bereits enttarnt war. Doch einer nach dem anderen<br />

schob diese Gedanken beiseite. Jeder Mann ging bald noch einmal<br />

seine Rolle bei der Zerstörung von Lammersdorf durch.<br />

Die Fahrer waren vom KGB und speziell für den Einsatz <strong>im</strong><br />

Ausland ausgebildet. Sie blieben dicht beieinander, fuhren defensiv,<br />

achteten auf Verfolger. Beide hörten den Polizeifunk ab und standen<br />

über Funk miteinander in Verbindung. Die Mission war vor<br />

einer Stunde von den KGB-Offizieren besprochen worden. Die<br />

Zentrale in Moskau hatte mitgeteilt, die Nato sei noch nicht in<br />

voller Alarmbereitschaft. Der Lenker des ersten Lieferwagens, dessen<br />

Tarnberuf Taxifahrer war, fragte sich, ob die »volle« Alarmbereitschaft<br />

der Nato eine Parade auf dem Roten Platz bedeutete.<br />

»Jetzt biegen sie ab. Wagen drei, aufholen. Wagen eins, biegen Sie<br />

an der nächsten Kreuzung links ab und setzen Sie sich vor sie.«<br />

Oberst Weber benutzte ein Sprechfunkgerät, wie es auch von FIST-<br />

Trupps (Feuerunterstützungsteams) eingesetzt wurde. Der Hinterhalt<br />

war nun schon seit Tagen bereit gewesen, und als die Objekte<br />

aus dem konspirativen Haus aufgetaucht waren, hatte man die<br />

Blitzmeldung sofort in der ganzen Bundesrepublik verbreitet.<br />

Nato-Verbände wurden in volle Gefechtsbereitschaft versetzt,<br />

denn dies konnte nur der erste Schlag eines heißen Krieges sein. Es<br />

sei denn, gestand Weber sich zu, der Speznas-Trupp begab sich nur<br />

von einem sicheren Platz zum anderen, um weiter abzuwarten. Wie<br />

sich die Dinge entwickeln würden, wusste er nicht, aber irgendwann<br />

musste es losgehen.<br />

Die beiden Transporter fuhren nun über die schmalen Straßen des<br />

Naturparks Nordeifel, um dem Militärverkehr auf den Bundesstraßen<br />

auszuweichen, doch in Mulartshütte entdeckte der Fahrer des<br />

ersten Wagens einen Militärkonvoi mit britischen Panzern auf<br />

Tiefladern - neue Challenger. Nun, so dicht an der belgischen<br />

167


Grenze war mit Leoparden der Bundeswehr nicht zu rechnen gewesen.<br />

Es war schon <strong>im</strong>mer ausgeschlossen gewesen, die Bundesrepublik<br />

an der Mobilmachung zu hindern. Er versuchte sich einzureden,<br />

die restlichen Nato-Länder hätten nicht so rasch gehandelt wie<br />

Westdeutschland. Wenn ihre Mission erfolgreich verlief, war die<br />

Kommunikation der Nato schwer gestört; in diesem Fall trafen die<br />

sowjetischen Panzerspitzen noch rechtzeitig ein, um sie zu retten.<br />

Der Konvoi verlangsamte seine Fahrt. Der Fahrer erwog, ihn zu<br />

überholen, doch seine Anweisung lautete: Verhalten Sie sich unauffällig.<br />

»Alles bereit?« fragte Weber in seinem Verfolgerfahrzeug.<br />

»Bereit.« Verflucht komplizierte Operation, dachte Major Armstrong.<br />

Eine Zusammenarbeit von Panzertruppen, SAS und dem<br />

Bundesgrenzschutz. Der Konvoi hielt an einem Rastplatz. Weber<br />

blieb hundert Meter dahinter stehen. Nun lag alles bei dem englischen<br />

Team.<br />

Um die beiden kleinen Lieferwagen herum blitzten Leuchtbomben<br />

auf.<br />

Der KGB-Fahrer verzog schmerzlich das Gesicht und kniff die<br />

Augen zu. Dann sah er, wie keine fünfzig Meter entfernt das Rohr<br />

einer Panzerkanone sich von seiner Auflage hob und direkt auf<br />

seine Windschutzscheibe richtete.<br />

»Achtung!« rief eine St<strong>im</strong>me auf russisch durch ein Megaphon.<br />

»Achtung, Speznas-Soldaten. Sie sind von motorisierten Einheiten<br />

umstellt. Kommen Sie nacheinander und unbewaffnet aus Ihren<br />

Fahrzeugen. Wenn Sie das Feuer eröffnen, werden Sie binnen Sekunden<br />

getötet.« Nun war eine zweite St<strong>im</strong>me zu vernehmen.<br />

»Genossen, hier spricht Major Tschernjawin. Kommt heraus. Ihr<br />

habt keine Chance.«<br />

Die Männer tauschten entsetzte Blicke. Der Hauptmann <strong>im</strong> ersten<br />

Fahrzeug begann, den Sicherungsstift aus einer Handgranate<br />

zu ziehen. Ein Feldwebel sprang ihn an und umklammerte seine<br />

Hände.<br />

»Wir dürfen nicht in Gefangenschaft geraten! So lautet unser<br />

Befehl!« rief der Hauptmann.<br />

»Und ob!« brüllte der Feldwebel zurück. »Los, steigt einzeln aus,<br />

Genossen - mit erhobenen Händen!«<br />

168


Ein Schütze stieg langsam aus der Hecktür des Transporters.<br />

»Kommen Sie auf mich zu«, sagte Tschernjawin von einem Rollstuhl<br />

aus. Der Major hatte genug verraten, um seine Männer, mit<br />

denen er zwei Jahre lang gearbeitet hatte, zu retten. Es war sinnlos,<br />

sie nun hinschlachten zu lassen. »Man wird Ihnen nichts zuleide<br />

zun. Wenn Sie eine Waffe bei sich haben, werfen Sie sie jetzt weg.<br />

Ich weiß, dass Sie einen Dolch tragen, Schütze Iwanow... gut. Der<br />

nächste.«<br />

Es ging ganz rasch. Ein Team von Männern des SAS und der<br />

GSG-9 sammelte die Sowjets ein, legte ihnen Handschellen an und<br />

führte sie mit verbundenen Augen ab. Bald waren nur noch zwei<br />

übrig. Die Handgranate komplizierte die Situation. Der Hauptmann<br />

hatte inzwischen eingesehen, dass Widerstand sinnlos war,<br />

konnte aber den Sicherungsstift nicht finden. Der Feldwebel rief<br />

Tschernjawin eine Warnung zu, aber der saß <strong>im</strong> Rollstuhl und<br />

konnte nichts unternehmen. Zuletzt kam der Hauptmann heraus.<br />

Am liebsten hätte er mit der Handgranate nach dem Offizier geworfen,<br />

der, wie er glaubte, sein Land verraten hatte, sah aber dann<br />

einen Mann vor sich, der beide Beine in Gips hatte.<br />

»Ich habe eine scharfe Handgranate«, erklärte der Hauptmann<br />

laut. »Ich werfe sie jetzt in diesen Transporter.«<br />

Und ehe ihn jemand daran hindern konnte, tat er das auch. Einen<br />

Moment darauf flog der Lieferwagen in die Luft, und die Karten<br />

und Fluchtpläne des Trupps verbrannten. Zum ersten Mal seit<br />

Wochen grinste Major Tschernjawin breit. »Gut gemacht, Andruschka!«<br />

Zwei andere Speznas-Trupps hatten weniger Glück und wurden in<br />

Sichtweite ihrer Ziele von deutschen Einheiten, die von Tschernjawins<br />

Gefangennahme wussten, abgefangen. Doch es befanden sich<br />

noch weitere zwanzig Gruppen in der Bundesrepublik, und nicht<br />

jede Nato-Einrichtung war rechtzeitig gewarnt worden. Rechts und<br />

links vom Rhein kam es zu erbitterten Feuergefechten. Ein Krieg,<br />

der Millionen in Mitleidenschaft ziehen sollte, begann mit verzweifelten<br />

Nachtkämpfen zwischen Einheiten von Zug- und Kompaniestärke.<br />

169


Deutschland, VR V<br />

17<br />

Die Traumland-Frisbees<br />

Der Ausblick hätte den meisten Piloten Angst eingejagt. Zwölfhundert<br />

Meter über ihm hing eine dichte Wolkendecke. Er flog durch<br />

Schauer, die er in dieser schwarzen Nacht eher hörte als sah, und die<br />

dunklen Silhouetten der Bäume schienen nach seinem dahinjagenden<br />

Kampfflugzeug zu greifen. In einer solchen Nacht flog nur ein<br />

Verrückter so tief - um so besser. Er grinste hinter seiner Sauerstoffmaske.<br />

Colonel Douglas Ellington hielt den Steuerknüppel seines<br />

Kampfflugzeugs F-I9A Ghostrider mit den Fingerspitzen; seine<br />

linke Hand lag auf den parallel angeordneten beiden Schubkontrollhebeln.<br />

Das auf die Windschutzscheibe projizierte Head-up-<br />

Display zeigte 615 Knoten (1 Knoten - 1,852 km) Geschwindigkeit,<br />

hundertsechzig Fuß Höhe und Kurs 013 an. Umgeben waren<br />

die Zahlen von einem monochromen holographischen Bild des vor<br />

ihm liegenden Terrains. Das Bild kam von einer Infrarot-Kamera<br />

<strong>im</strong> Bug des Flugzeugs und wurde von einem unsichtbaren Laserstrahl,<br />

der den Boden achtmal pro Sekunde abtastete, ergänzt. Zur<br />

Erweiterung des Gesichtsfeldes war sein übergroßer Helm mit<br />

einem Nachtsichtgerät ausgerüstet.<br />

»Über uns ist der Teufel los«, meldete sein Kampfbeobachter<br />

vom Rücksitz. Major Don Eisly überwachte nicht nur die Funkund<br />

Radarsignale, sondern auch ihre eigenen Instrumente. »Alle<br />

Systeme weiterhin nominal, Distanz zum Ziel nun neunzig Meilen.«<br />

»St<strong>im</strong>mt", antwortete Douglas »Duke« Ellington, der dem Musiker<br />

sogar ein wenig ähnlich sah.<br />

Ellington mochte diesen Auftrag. Sie flogen gefährlich tief über<br />

die Mittelgebirge Ostdeutschlands, und ihre »Frisbee«, nie höher<br />

als sechzig Meter, hüpfte auf die konstanten Kursänderungen des<br />

Piloten hin auf und ab.<br />

170


Den Namen Ghostrider, »Geisterreiter«, hatte der Maschine die<br />

Herstellerfirma Lockheed verpasst. Die Piloten nannten sie »Frisbee«,<br />

den unter dem Deckmantel der Gehe<strong>im</strong>haltung entwickelten<br />

Stealth-Fighter F-I9A. Das Flugzeug hatte keine scharfen Ecken<br />

und Kanten, die Radarsignale sauber reflektierten. Ihre Düsentriebwerke<br />

mit hohem Nebenstromverhältnis waren auf eine bestenfalls<br />

unscharfe Infrarot-Signatur hin entwickelt worden. Von oben erinnert<br />

der Umriss ihrer Tragflächen an eine Kirchenglocke. Von vorne<br />

gesehen schienen sie sich seltsam Bodenwärts zu krümmen, was ihr<br />

den Spitznamen »Frisbee« eingetragen hatte. Obwohl sie mit modernster<br />

Elektronik voll gestopft war, setzte sie ihre aktiven Systeme<br />

gewöhnlich nicht ein. Radar- und Funkanlagen erzeugen elektronischen<br />

»Lärm«, den ein Feind orten konnte, und die ganze Idee bei<br />

der Entwicklung des Frisbees war ja seine scheinbare Nichtexistenz<br />

<strong>im</strong> Flug gewesen.<br />

Hoch über ihnen blufften Hunderte von Kampfflugzeugen, jagten<br />

über die Grenze, drehten wieder ab; jede Seite versuchte, die<br />

andere zu einem Gefecht zu verleiten. Beide Seiten hatten Radarflugzeuge<br />

zur Steuerung der Luftschlacht starten lassen, um einen<br />

Vorteil in einem Krieg zu gewinnen, von dessen Ausbruch bisher<br />

nur wenige Menschen etwas ahnten.<br />

Und wir landen einen raschen Schlag, dachte Ellington. Endlich<br />

mal was Vernünftiges! In Vietnam hatte er mit Jagdbombern des<br />

Typs F-IIIA über hundert Einsätze geflogen und galt bei der Luftwaffe<br />

als führender Fachmann für gehe<strong>im</strong>e Tiefflugmissionen. Er<br />

fand zwar, dass die Frisbee ansprach wie eine müde Sau, aber das<br />

störte ihn nicht. Besser unsichtbar als agil, fand er und war sich<br />

bewusst, dass er gerade <strong>im</strong> Begriff war, diese Behauptung unter<br />

Beweis zu stellen.<br />

Die Frisbee-Staffel drang nun in den dichtesten Flugabwehrgürtel<br />

der Welt ein.<br />

»Distanz zum Hauptziel nun sechzig Meilen«, berichtete Eisly.<br />

»Alle Bordsysteme weiterhin nominal. Kein Feindradar hat uns<br />

erfasst. Sieht gut aus, Duke.«<br />

»Roger.« Ellington drückte den Knüppel nach vorn, als sie einen<br />

kleinen Berg überflogen hatten, und fing die Maschine fünfundzwanzig<br />

Meter über einem Weizenfeld wieder ab. Der Duke nutzte<br />

seine langjährige Erfahrung und trieb dieses Spiel bis an seine<br />

Grenzen. Ihr Hauptziel war eine sowjetische IL-76 Mainstay, ein<br />

171


AWACS-ähnliches Flugzeug, das in der Nähe von Magdeburg<br />

kreiste, Günstigerweise nur zehn Meilen von ihrem Sekundärziel<br />

entfernt, der Autobahnbrücke über die Elbe bei Hohenwarthe.<br />

Inzwischen wurde der Einsatz haariger. Je näher sie der Mainstay<br />

kamen, desto mehr Radarsignale, deren Intensität <strong>im</strong> Quadrat<br />

zunahm, trafen ihre Maschine. Früher oder später mussten Impulse<br />

zur Mainstay reflektiert werden, die ihre Ortung ermöglichten,<br />

trotz der gekrümmten, in radartransparenter Mischbauweise<br />

hergestellten Tragflächen. Die Stealth-Technologie erschwerte die<br />

Ortung durch Radar nur, machte sie aber nicht gänzlich unmöglich.<br />

Würden sie von der Mainstay entdeckt werden? Und wie<br />

rasch reagierten die Russen dann?<br />

Immer mit der Ruhe, sagte er sich. Fliege so, wie du es trainiert<br />

hast. Sie hatten diesen Einsatz neun Tage lang <strong>im</strong> »Dreamland«<br />

geprobt, einem hochgehe<strong>im</strong>en Übungsgebiet bei dem riesigen<br />

Luftstützpunkt Nellis in Nevada. Selbst eine E-3A Sentry, eine<br />

weitaus bessere Radarplattform als die Mainstay, konnte sie damals<br />

über vierzig Meilen kaum ausmachen.<br />

Es waren fünf Mainstays in der Luft, alle rund hundert Kilometer<br />

östlich der innerdeutschen Grenze. Eine schöne, sichere Distanz,<br />

denn dazwischen befanden sich über dreihundert Kampfflugzeuge.<br />

»Noch zwanzig Meilen, Duke.«<br />

»Gut. Das reicht, Don.«<br />

»Roger. Noch <strong>im</strong>mer weder Feuerleit- noch Suchradar in unsere<br />

Richtung. Viel Geschnatter über Funk, aber vorwiegend von Westen.<br />

Kaum Sprechfunk vom Ziel.«<br />

Ellington senkte die linke Hand, um die vier AIM-9M Luftkampfraketen<br />

Sidewinder unter den Flügeln feuerbereit zu machen.<br />

Die Bordwaffenanzeige blinkte in einem freundlichen, tödlichen<br />

Grün.<br />

»Achtzehn Meilen. Ziel schien normal zu kreisen, keine Ausweichmanöver.«<br />

Zehn Meilen pro Minute, berechnete Ellington, noch eine Minute<br />

und vierzig Sekunden also.<br />

»Sechzehn Meilen.« Eisly las die Werte von der Anzeige eines<br />

Computers ab, der mit einem NAVSTAR-Satelliten-Navigationssystem<br />

in Verbindung stand.<br />

172


Der Mainstay sollte eigentlich keine Chance bleiben, denn die<br />

Frisbee würde erst direkt unterm Ziel in den Steigflug gehen. Vierzehn<br />

Meilen, zwölf, zehn, acht, sechs bis zu dem umgebauten<br />

Transportflugzeug.<br />

»Die Mainstay hat gerade kehrtgemacht - ja, weicht aus. Wir<br />

sind gerade von einem Foxfire überflogen worden«, sagte Eisly<br />

gelassen. Ein Abfangjäger MiG-25 war nun vermutlich auf Anweisung<br />

von IL-76 auf der Suche nach ihnen. Der Foxfire hatte dank<br />

seiner hohen Leistung und Wendigkeit eine gute Chance, sie zu<br />

orten, Stealth-Technologie hin oder her.<br />

»Sind wir erfasst?«<br />

»Nein, noch nicht.« Eislys Blick war auf die Anzeigen des Radarwarnsystems<br />

geheftet. Noch kein Feuerleitradar für Raketen hatte<br />

die Frisbee erfasst. »Wir kommen jetzt unters Ziel.«<br />

»Gut. Gehe in den Steigflug.« Ellington zog den Knüppel leicht<br />

zurück und schaltete die Nachbrenner ein. Die Triebwerke brachten<br />

die Maschine zwar nur auf Mach 1,3, doch gerade jetzt war es<br />

nötig, alle Leistung, die zur Verfügung stand, einzusetzen. Laut<br />

Wetterbericht sollte die Wolkendecke bei zwanzigtausend Fuß enden,<br />

und die IL-76 flog noch fünftausend Fuß höher. Doch nun war<br />

die Frisbee verwundbar. Ihre Triebwerke strahlten die Infrarotsignatur<br />

ihrer vollen Leistung ab - das Stealth-Flugzeug gab seine<br />

Anwesenheit bekannt. Steig schneller, Baby...<br />

»Tallyho!« Ellingtons Jagdruf klang zu laut in der Bordsprechanlage,<br />

als er durch die Wolkendecke brach und ihm die Nachtsichtsysteme<br />

sofort die Mainstay zeigten, die fünf Meilen entfernt<br />

<strong>im</strong> Sturzflug Deckung suchte. Zu spät, denn sie flogen nun mit fast<br />

1600 Stundenkilometern auf ihr Ziel zu. Der Oberst nahm die<br />

Mainstay ins Visier. Mit dem rechten Daumen legte er den Hebel<br />

der Abschussfreigabe um, mit dem Zeigefinger drückte er zwe<strong>im</strong>al<br />

auf den Abzug. Die Sidewinder lösten sich <strong>im</strong> Abstand von einer<br />

halben Sekunde vom Flugzeug. Ihre grellen Abgase blendeten ihn,<br />

doch er ließ sie nicht aus den Augen. Acht Sekunden später hatten<br />

sie ihr Ziel erreicht. In zehn Metern Distanz gingen ihre lasergesteuerten<br />

Annäherungszünder los und erfüllten die Luft mit tödlichen<br />

Splittern. Es ging alles viel zu schnell. Die beiden rechten Triebwerke<br />

der Mainstay explodierten, die Tragfläche löste sich, und die<br />

sowjetische Maschine trudelte rasch ab, verschwand Sekunden<br />

später in den Wolken.<br />

173


Verdammt noch mal, dachte Ellington, als er eine Rolle drehte<br />

und <strong>im</strong> Sturzflug auf die sichere Bodennähe zujagte, das war einfach.<br />

Pr<strong>im</strong>ärziel ausgeschaltet. So, und nun zum schwierigen Teil.<br />

An Bord einer E-3A Sentry, die über Straßburg kreiste, stellten die<br />

Radartechniker mit Befriedigung fest, dass alle fünf sowjetischen<br />

Radarflugzeuge innerhalb von zwei Minuten abgeschossen worden<br />

waren. Sie waren von der Leistung der F-I9A wirklich überrascht.<br />

Der Brigadegeneral, der Operation Traumland befehligte, beugte<br />

sich vor und schaltete sein Mikrophon ein.<br />

»Trompeter, Trompeter, Trompeter«, sagte er und schaltete<br />

dann ab. »Gut, Jungs«, flüsterte er. »Seht zu, dass es sitzt.«<br />

Aus den Wolken taktischer Kampfflugzeuge der Nato, die in<br />

Grenznähe kreisten, lösten sich hundert Tiefflieger, teils F-IIIF<br />

Aardvark, teils Tornado GR.I, schwer beladen mit Treibstoff und<br />

Smart-Bomben, und tauchten ab. Sie folgten der zweiten Frisbee-<br />

Welle, die sich bereits tief in der DDR befand und ausschwärmte,<br />

um Bodenziele anzugreifen. Hinter den Erdkampfflugzeugen begannen<br />

von Sentries überm Rhein gesteuerte Allwetter-Abfangjäger<br />

der Typen Eagle und Phan<strong>tom</strong>, ihre Radargelenkten Luftkampfraketen<br />

auf sowjetische Jäger, die gerade ihren fliegenden Gefechtsstand<br />

verloren hatten, abzufeuern. Und schließlich stieß eine dritte<br />

Gruppe von Nato-Maschinen herab, um Bodenradarstationen, die<br />

als Ersatz für die abgeschossenen Mainstays in Betrieb gesetzt<br />

wurden, anzufliegen.<br />

Hohenwarthe, DDR<br />

Ellington umkreiste sein Ziel in 1000 Fuß Höhe und einer Entfernung<br />

von mehreren Meilen. Es handelte sich um eine Autobahnbrücke<br />

über die Elbe, zwei Bögen, die rund 500 Meter überspannten.<br />

Im Augenblick zeigte ihm die Nachtfernsehkamera seines Zielsuchsystems,<br />

dass auf allen vier Spuren russische Tanks T-8o nach<br />

Westen rollten. Ellington evaluierte das Bild auf seinen TV-Schirm.<br />

Es konnte sich nur um die zweite Angriffswelle handeln, die gegen<br />

die Nato in Marsch gesetzt worden war. Auf Höhe 76 südlich der<br />

Brücke am Ostufer war zu ihrer Verteidigung eine SAM-Batterie<br />

aufgestellt worden, die inzwischen alarmiert sein musste. In seinem<br />

174


Kopfhörer erklang das konstante Piepen des Radarwarngeräts,<br />

denn seine Maschine wurde von zwanzig Luftabwehrstellungen<br />

mit Suchstrahlen bestrichen. Wenn er nur eine gute Reflexion bekam<br />

...<br />

»Was sagt Pave Tack?«<br />

»Nominal«, erwiderte Eisly knapp. Pilot und Kampfbeobachter<br />

standen jetzt unter enormem Stress.<br />

»Anstrahlen», befahl Ellington. Auf dem Rücksitz aktivierte<br />

Eisly den Pave-Tack-Zielortungslaser.<br />

Das komplizierte Pave-Tack-System war in der Nase der Frisbees<br />

eingebaut. Ganz unten befand sich ein drehbarer Turm, der<br />

einen Kohlendioxid-Laser und eine Fernsehkamera enthielt. Mit<br />

einem Joystick richtete der Pilot die Kamera auf die Brücke, gab<br />

dann den Infrarot-Laser frei. Auf der Fahrbahn überm Scheitel des<br />

Nordbogens tauchte ein unsichtbarer Fleck auf, der von einem<br />

Computer dort festgehalten wurde, bis er andere Instruktionen<br />

bekam, ein Videorecorder nahm Erfolg oder Misserfolg des Einsatzes<br />

auf.<br />

»Ziel illuminiert», sagte Eisly. »Uns trifft <strong>im</strong>mer noch kein Feuerleitradar.«<br />

»Nemo, hier Schatten vier. Ziel illuminiert.«<br />

»Roger.«<br />

Fünfzehn Sekunden später fegte kreischend der erste Aardvark<br />

von Süden her übers Wasser heran, stieg kurz auf und warf eine<br />

einzige lasergesteuerte Paveway-Bombe GBU-I5 ab, ehe er hart<br />

nach Osten abdrehte. Ein optisches Computersystem in der Spitze<br />

der Bombe erkannte den reflektierten Infrarot-Strahl und flog ihn<br />

durch Verstellung des Steuerschwanzes an.<br />

Südlich der Brücke war der Kommandeur der Luftabwehrbatterie<br />

bemüht, sich Klarheit zu verschaffen. Auf seinem Suchradar<br />

tauchte die Frisbee nicht auf. Dass mit Feindflugzeugen zu rechnen<br />

sei, hatte man ihm nicht gesagt, denn der sichere Anflugkorridor<br />

befand sich 25 Kilometer weiter nördlich über dem vorgeschobenen<br />

Luftstützpunkt bei Mahlminkel. Vielleicht kommt der Krach<br />

von dort, dachte er. Es war kein Sonderalarm gegeben worden.<br />

Am Nordhorizont flammte es grellgelb auf. Drei Tornados der<br />

Bundesluftwaffe hatten gerade bei einem einzigen Anflug auf Mahlminkel<br />

Hunderte von Streubomben abgeworden. Ein halbes Dutzend<br />

sowjetischer Suchoi-Kampfflugzeuge ging in Flammen auf<br />

175


und ließ einen Feuerball aus brennendem Treibstoff zum Regenh<strong>im</strong>mel<br />

steigen.<br />

Der Batteriekommandeur zögerte nicht und befahl seinen Männern,<br />

mit dem Feuerleitradar die Umgebung »seiner« Brücken abzutasten.<br />

Einen Augenblick später wurde ein stromaufwärts anfliegender<br />

F-III erfaßt.<br />

»Scheiße!« Der Kampfbeobachter des Aardvark ließ sofort eine<br />

Antiradar-Rakete Shrike auf die SAM-Batterie los, und sicherheitshalber<br />

eine zweite auf das Suchradar, warf noch eine Paveway-<br />

Bombe auf die Brücke ab, und dann wurde der F-III heftig nach<br />

links herumgerissen.<br />

Ein für den Raketenabschuss verantwortlicher Offizier wurde<br />

bleich, als er erkannte, was da wie aus dem Nichts auf seinen<br />

Schirmen aufgetaucht war, und antwortete mit einer Salve von<br />

Boden-Luft-Flugkörpern. Die anfliegenden Maschinen mussten<br />

feindlich sein, und er hatte gerade drei kleinere Objekte ausgemacht.<br />

Seine erste Luftabwehrrakete traf die Hochspannungsleitungen,<br />

die gleich südlich der Brücke über den Fluss geführt wurden. Das<br />

ganze Tal wurde wie von einem Stroboskop erhellt, als die Stromleitungen<br />

funken sprühend in den Fluss fielen. Die beiden anderen<br />

SAM hefteten sich an den zweiten F-III.<br />

Die erste Paveway-Bombe traf präzise den Scheitel des Nordbogens.<br />

Sie war mit einem Verzögerungszünder ausgestattet und<br />

bohrte sich erst tief in den dicken Beton, ehe sie knapp vor dem<br />

Panzer eines Bataillonskommandeurs explodierte. Der Nordbogen<br />

war solide konstruiert und stand schon seit über fünfzig Jahren,<br />

doch 430 Kilo Hochbrisanzsprengstoff rissen ihn auseinander. Im<br />

Nu klaffte eine sechs Meter breite Lücke in dem anmutig geschwungenen<br />

Bogen. Die von dem zweiten Aardvark abgeworfene Bombe<br />

schlug dichter be<strong>im</strong> Ufer ein, und die östliche Hälfte des Bogens<br />

brach zusammen, riß acht Panzer mit in die Elbe.<br />

Die Besatzung des zweiten Aardvark erlebte diesen Anblick jedoch<br />

nicht mehr. Eine der heranjagenden SAM traf ihn breitseits<br />

und riss ihn in Stücke - drei Sekunden, nachdem die Shrike-Raketen<br />

zwei russische Radarfahrzeuge zerstört hatten. Zum Trauern blieb<br />

keiner Seite Zeit. Ein weiterer F-III fegte stromaufwärts, als die<br />

SAM-Besatzungen verzweifelt nach Zielen suchten.<br />

Dreißig Sekunden später war der Nordbogen total zerstört und<br />

176


lag nach den Treffern dreier Smart-Bomben auf dem Grund der<br />

Elbe.<br />

Eisly richtete seinen Laser-Designator nun auf den Südbogen.<br />

Auf diesem stauten sich die Panzer vor einem Mannschaftstransporter<br />

BMP-1, der von der Explosion der ersten Bombe von einem<br />

Brückenbogen zum anderen geschleudert und zerfetzt worden war<br />

und nun brennend auf der Brücke lag. Der vierte Aardvark gab zwei<br />

Bomben frei, die sich unbarmherzig ihrem Ziel näherten, diesmal<br />

einem Laserpunkt auf dem Turm eines festsitzenden Panzers. Brennender<br />

Dieseltreibstoff erhellte den H<strong>im</strong>mel, an dem die von in<br />

Panik geratenen Schützen abgefeuerten SAM-7 Streifen zogen.<br />

Beide Paveway-Bomben detonierten in einem Abstand von<br />

knapp drei Metern und ließen den gesamten Bogen mit einer Kompanie<br />

gepanzerter Fahrzeuge in den Fluss stürzen.<br />

Nur noch eine Aufgabe zu erledigen, sagte sich Ellington - dort!<br />

Auf der parallel zum Fluss verlaufenden Nebenstraße hatten die<br />

Sowjets Ausrüstungsgegenstände zum Brückenschlägen gelagert.<br />

Die Pioniere konnten nicht weit sein. Die Frisbee überflog kreischend<br />

die Kolonne Lastwagen, die jeweils eine Brückenkomponente<br />

trugen, und warf eine Reihe von Leuchtbomben ab, ehe sie<br />

auf Baumwipfelhöhe zurück nach Westdeutschland und damit in<br />

die Sicherheit sauste. Die drei überlebenden Aardvark flogen einzeln<br />

an und warfen jeweils zwei Rockeye-Streubomben, von denen<br />

die Brückenteile in Fetzen gerissen wurden. Dann drehten die F-III<br />

nach Westen ab und folgten dem F-19 nach Hause.<br />

Inzwischen war ein zweites Team F-15 Eagle nach Ostdeutschland<br />

geflogen, um vier Korridore für die zurückkehrenden Nato-<br />

Flugzeuge freizumachen. Sie schössen ihre durch Radar und Infrarot<br />

gelenkten Raketen auf die MiGs ab, die auf die zurückkehrenden<br />

Nato-Jagdbomber zuhielten, doch den Sowjets fehlten nun,<br />

worüber die Amerikaner noch verfügten - ihre AWACS-Flugzeuge.<br />

Das Resultat war dementsprechend. Den sowjetischen Jägern war<br />

nach dem Verlust der Mainstays keine Zeit zur Neugruppierung<br />

geblieben, und ihren Formationen wurde übel mitgespielt. Schl<strong>im</strong>mer<br />

noch, die SAM-Batterien, deren Aufgabe die Unterstützung der<br />

MiGs war, erhielten den Befehl, eindringende Flugzeuge anzugreifen,<br />

und die Boden-Luft-Raketen begannen wahllos eigene Maschinen<br />

vom H<strong>im</strong>mel zu holen. Derweil hielten sich die Nato-Jagdbomber<br />

dicht am Boden.<br />

177


Als die letzte Maschine wieder die Grenze nach Westdeutschland<br />

überflogen hatte, war Operation Traumland genau siebenundzwanzig<br />

Minuten gelaufen. Die Mission war kostspielig gewesen,<br />

denn es waren zwei unersetzliche Frisbees und elf Jagdbomber<br />

verloren gegangen. Trotzdem war sie ein Erfolg. Die Kampfflugzeuge<br />

der Nato hatten über 200 sowjetische Allwetterjäger abgeschossen;<br />

vielleicht 100 weitere waren eigenen SAM-Raketen zum<br />

Opfer gefallen. Die Eliteverbände der sowjetischen Luftverteidigung<br />

waren schwer angeschlagen; aus diesem Grund würde der<br />

Nachth<strong>im</strong>mel über Europa vorerst von der Nato beherrscht werden.<br />

Sechsunddreißig wichtige Brücken waren anvisiert gewesen,<br />

dreißig zerstört, der Rest schwer beschädigt. Den ersten Angriff<br />

der sowjetischen Bodentruppen, der in zwei Stunden beginnen<br />

sollte, würde die Unterstützung der zweiten Welle spezieller SAM-<br />

Einheiten und anderer Nachzügler von entscheidender Wichtigkeit,<br />

die frisch von der Ausbildung in der Sowjetunion herangeführt<br />

worden waren, fehlen. Die Luftstreitkräfte der Nato hatten<br />

ihren wichtigsten Auftrag erfüllt, und die gefürchtete Überlegenheit<br />

der sowjetischen Bodentruppen war entscheidend reduziert.<br />

Das Kräfteverhältnis bei der Landschlacht um Europa betrug nun<br />

fast 1:1.<br />

USS Pharris<br />

An der amerikanischen Ostküste war noch Vortag. USS Pharris<br />

führte um 22 Uhr einen aus dreißig Schiffen und einem Dutzend<br />

Begleitfahrzeugen bestehenden Geleitzug aus der Mündung des<br />

Delaware River.<br />

Kommandant, bitte zum Funkraum«, krächzte die Sprechanlage.<br />

Morris begab sich sofort nach achtern zu dem <strong>im</strong>mer verschlossenen<br />

Funkraum.<br />

»Jetzt wird's ernst.« Der Funkoffizier reichte ihm ein gelbes<br />

Nachrichtenformular.<br />

178<br />

VON: SACLANT<br />

Z0357Z15 JUNI<br />

AN: ALLE SCHIFFE SACLANT<br />

TOP SECRET


1. BEGINNEN SIE UNEINGESCHRÄNKTEN SEE-UND LUFTKRIEG<br />

GEGEN STREITKRÄFTE DES WARSCHAUER PAKTES<br />

2. KRIEGSPLAN GOLF TAK -.<br />

3. TAPFERE HERZEN. SACLANT ENDE.<br />

Kriegsoption TAK das bedeutete den Verzicht auf den Einsatz von<br />

Kernwaffen, wie Morris erfreut feststellte. Die Pharris hatte <strong>im</strong><br />

Augenblick ohnehin keine an Bord. Er hatte nun freie Hand, jedes<br />

Kriegs- oder Handelsschiff des Ostblocks ohne Warnung anzugreifen.<br />

Morris steckte das Formular in die Tasche, ging zurück auf die<br />

Brücke und nahm wortlos das Mikrophon.<br />

»Hier spricht der Kommandant. Achtung: Es ist offiziell. Wir<br />

haben Krieg. Von nun an keine Übungen mehr, meine Herren.<br />

Wenn es jetzt Alarm gibt, heißt das, dass da draußen ein Feind<br />

lauert, der scharf schießt. Das wäre alles.« Er schaute den Wachhabenden<br />

an. »Mr. Johnson, ich wünsche Dauerbetrieb für das<br />

Prairie/Masker-System.«<br />

»Aye, Sir.«<br />

Bei Prairie/Masker handelte es sich um ein System, das die<br />

Horchanlagen von U-Booten stören sollte. Zwei Metallbänder umgaben<br />

vor und hinter dem Maschinenraum den Rumpf der Fregatte.<br />

Dies war Masker. Die Bänder nahmen Druckluft auf und<br />

gaben sie in Millionen winziger Bläschen an das Wasser in der<br />

Umgebung des Schiffes ab. Das Prairie-System kaschierte auf ähnliche<br />

Weise die Schraubenflügel. Die Luftblasen erzeugten eine teilweise<br />

undurchlässige Barriere, die vom Schiff erzeugte Geräusche<br />

einschloss und nur einen Bruchteil des Antriebslärms entweichen<br />

ließ. Somit war das Schiff von einem U-Boot aus nur sehr schwer zu<br />

orten.<br />

»Wenn wir das offene Meer erreicht haben, lassen Sie den<br />

Schwanz und die Nixie raus« - das Schleppsonar und den Torpedoköder<br />

-, »und zwar um dreiundzwanzig Uhr fünfundvierzig. Ich<br />

lege mich jetzt mal kurz hin«, sagte Morris zu seinem WO. »Wenn<br />

sich etwas tut, rufen Sie mich.«<br />

»Aye, aye, Sir.«<br />

Vor ihnen suchte ein Trio von Anti-U-Boot-Flugzeugen des Typs<br />

Orion P-3C das Seegebiet ab. Morris hatte Schlaf nötig, denn es<br />

konnte sein, dass in drei Stunden gleich am Kontinentalschelf ein<br />

U-Boot lauerte. Und für diese Eventualität wollte er ausgeruht sein.<br />

179


Sunnyvale, Kalifornien<br />

Wo hakt's in Washington? fragte sich der Colonel. Alles, was er<br />

brauchte, war ein schlichtes Ja oder Nein. Im Augenblick waren<br />

drei Photoaufklärungssatelliten vom Typ KH (Keyhole, Schlüsselloch)<br />

in der Umlaufbahn, dazu neun Vögel, deren Funktion die<br />

elektronische Überwachung war. Das war die Niedrigfliegende<br />

Konstellation«. Um seine Kommunikations- und Nachrichtensatelliten<br />

in höheren Orbits fürchtete er nicht, aber die zwölf erdnahen<br />

Trabanten, insbesondere die KH, waren wertvoll und verwundbar.<br />

Zwei wurden dicht von russischen Killersatelliten begleitet,<br />

und einer seiner Vögel näherte sich gerade sowjetischem Territorium.<br />

Ein zweiter lag vierzig Minuten hinter ihm. Dem dritten<br />

Keyhole war noch kein Killer zugewiesen worden, doch be<strong>im</strong> letzten<br />

Überflug von Leninsk war eine weitere Rakete vom Typ F auf<br />

der Abschussrampe be<strong>im</strong> Auftanken fotografiert worden.<br />

»Sehen wir uns den Verfolger noch mal an«, befahl er.<br />

Ein Techniker gab die entsprechenden Befehle ein, und eine halbe<br />

Welt entfernt starteten die Lageregelungstriebwerke des Satelliten<br />

und drehten ihn <strong>im</strong> Weltraum herum, um seinen Kameras die Suche<br />

nach dem sowjetischen Killer zu ermöglichen. Er hatte fünfzig<br />

Meilen hinter und neun Meilen unter dem Amerikaner gelegen, war<br />

aber nun verschwunden.<br />

»Sie haben das Ding innerhalb der letzten halben Stunde manövriert.«<br />

Er griff zum Telefon, um dem CINC-NORAD mitzuteilen,<br />

dass er nun beabsichtigte, den Satelliten auf eigene Faust zu bewegen.<br />

Zu spät. Als sich der KH erneut drehte, um seine Kameras auf<br />

die Erdoberfläche zu richten, wurde diese teilweise von einer zylindrischen<br />

Masse verdeckt - dann blitzte es, und das TV-Bild verschwand<br />

vom Schirm.<br />

»Chris, haben Sie die Manövrierbefehle eingegeben?«<br />

»Jawohl, Sir«, erwiderte der Captain und starrte noch <strong>im</strong>mer auf<br />

den Bildschirm.<br />

»Führen Sie sie sofort aus!«<br />

Der Captain drückte an der Computerkonsole die ENTER-Taste.<br />

Während die Triebwerke der Satelliten raffinierte Bahnkorrekturen<br />

auslösten, ging das Telefon des Colonels.<br />

»Argus Control«, antwortete der Colonel.<br />

»Hier CINC-NORAD. Was, zum Teufel, ist da passiert?«<br />

180


»Der russische Killersatellit flog heran und explodierte. Wir<br />

empfangen kein Signal mehr von KH-II, Sir. Ich muss annehmen,<br />

dass sie den Vogel ausgeschaltet haben. Die anderen beiden Keyholes<br />

habe ich gerade angewiesen, mit hundert Fuß pro Sekunde die<br />

Delta-V auszuführen. Und Washington können Sie ausrichten, man<br />

habe zu lange gewartet, Sir.«<br />

181


Kiew, Ukraine<br />

18<br />

Nordlicht<br />

Man hatte beschlossen, alle sowjetischen Frontbefehlshaber über<br />

die Entwicklung in Deutschland zu unterrichten. Alexejew und sein<br />

Vorgesetzter kannten den Grund: Wenn jemand von seinem Posten<br />

abgelöst wurde, musste der neue Mann die Lage kennen. Den<br />

Meldungen des Nachrichtendienstes lauschten sie fasziniert. Niemand<br />

hatte erwartet, dass viele Speznas-Operationen erfolgreich<br />

verlaufen würden, doch es hatte den Anschein, dass es bei einigen<br />

geklappt hatte, besonders in den deutschen Häfen. Dann kam das<br />

nachrichtendienstliche Briefing zu den Brücken über die Elbe.<br />

»Warum hatte man uns davor nicht gewarnt?« schnauzte der OB<br />

Südwest.<br />

»Genosse General«, erwiderte der Luftwaffenoffizier, »unseren<br />

Informationen zufolge war dieses Stealth-Flugzeug nur ein Prototyp<br />

und noch nicht in Dienst gestellt. Irgendwie ist es den Amerikanern<br />

gelungen, zumindest eine Staffel dieser Maschinen zu bauen.<br />

Mit ihrer Hilfe haben sie unsere fliegenden Radarleitstände el<strong>im</strong>iniert<br />

und so den Weg für einen massiven Angriff auf unsere Flugplätze<br />

und Nachschubwege freigemacht. Darüber hinaus haben sie<br />

eine gut geplante Luftschlacht gegen unsere Allwetterjäger ermöglicht.<br />

Ihr Unternehmen war erfolgreich, wenn auch nicht entscheidend.«<br />

»Aha, und der Kommandeur der Luftstreitkräfte West wurde<br />

wegen erfolgreicher Abweisung des Angriffs abgelöst?« fauchte<br />

Alexejew. »Wie viele Maschinen haben wir verloren?«<br />

»Ich bin nicht befugt, das bekannt zu geben, Genosse General.«<br />

»Was haben Sie uns dann über die Brücken zu sagen?«<br />

»Die meisten Elbbrücken wurden mehr oder weniger schwer<br />

beschädigt. Außerdem wurden die in ihrer Nähe stationierten<br />

Übergangsmittel zerstört.«<br />

»Dieser verdammte Idiot - hatte sein Brückengerät direkt neben<br />

182


den Pr<strong>im</strong>ärzielen!« Der OB Südwest schaute zur Decke, als erwartete<br />

er einen Luftangriff auf Kiew.<br />

»Dort verlaufen nun mal die Straßen, Genosse General«, sagte<br />

der Nachrichtendienstoffizier leise. Alexejew scheuchte ihn mit<br />

einer Handbewegung aus dem Raum.<br />

»Kein guter Anfang, Pascha.« Einen General hatte man bereits<br />

abgelöst, den Namen seines Nachfolgers aber noch nicht bekanntgegeben.<br />

Alexejew nickte zust<strong>im</strong>mend und schaute dann auf die Armbanduhr.<br />

»In einer halben Stunde rollen unsere Panzer über die Grenze,<br />

und dann haben wir für die andere Seite ein paar Überraschungen<br />

parat. Ihre Verstärkungen sind erst zur Hälfte in Stellung. Den<br />

psychologischen Bereitschaftsgrad unserer Männer haben sie noch<br />

nicht erreicht. Unser erster Schlag wird schmerzhaft sein.«<br />

Keflavik, Island<br />

»Perfektes Wetter«, verkündete First Lieutenant Mike Edwards<br />

und hob den Blick von der Karte neben dem Faxgerät. »In zwanzig<br />

bis vierundzwanzig Stunden trifft eine kräftige Kaltfront aus Kanada<br />

ein und bringt eine Menge Regen mit, aber heute haben wir<br />

klaren H<strong>im</strong>mel und keine Niederschläge. Winde aus West bis Südwest,<br />

fünfzehn bis zwanzig Knoten. Und viel Sonne«, schloss er<br />

grinsend. Die Sonne war vor fünf Wochen zum letzten Mal aufgegangen<br />

und würde auch <strong>im</strong> Lauf der nächsten fünf nicht richtig<br />

untergehen. Hier auf Island waren sie dem Nordpol so nahe, dass<br />

das Zentralgestirn in einem trägen Kreis über den azurblauen H<strong>im</strong>mel<br />

wanderte, am Nordwesthorizont kurz partiell untertauchte,<br />

aber nie wirklich unterging. Daran musste man sich erst gewöhnen.<br />

»Jägerwetter«, st<strong>im</strong>mte Lieutenant Colonel Bill Jeffers zu, der<br />

Kommandeur des 57. Abfangjagdgeschwaders »Black Knights«,<br />

das sich vornehmlich aus Jägern des Typs F-15 Eagle zusammensetzte,<br />

die keine hundert Meter entfernt <strong>im</strong> Freien standen. In den<br />

Maschinen saßen nun schon seit neunzig Minuten die Piloten in<br />

Startbereitschaft. Vor zwei Stunden war die Warnung eingegangen,<br />

eine große Anzahl sowjetischer Flugzeuge sei von taktischen Stützpunkten<br />

auf der Halbinsel Kola aufgestiegen, Ziel unbekannt.<br />

In Keflavik war <strong>im</strong>mer viel Betrieb, aber in der letzten Woche war<br />

183


es hier zugegangen wie <strong>im</strong> Irrenhaus. Der Flughafen war nämlich<br />

nicht nur ein Stützpunkt der Army und der Navy, sondern zugleich<br />

auch ein überlasteter Zivilflughafen, auf dem viele Verkehrsflugzeuge<br />

zwischenlandeten.<br />

Ergänzt wurde dieser Verkehr seit vergangener Woche durch<br />

bedrohlich aussehende taktische Kampfflugzeuge auf dem Weg von<br />

den Vereinigten Staaten und Kanada nach Europa, mit kriegswichtigem<br />

Gerät überladene Frachtmaschinen und Verkehrsflugzeuge,<br />

voll besetzt mit bleichen Touristen und den Angehörigen amerikanischer<br />

Soldaten, die nun an der Front standen. In Keflavik selbst<br />

waren dreitausend Ehefrauen und Kinder evakuiert worden; der<br />

Stützpunkt war nun kampfbereit. Sollte ein sowjetischer Angriffskrieg<br />

ausbrechen wie ein neuer Vulkan, war Keflavik so gut wie<br />

möglich vorbereitet.<br />

»Mit Ihrer Erlaubnis, Colonel, werde ich das noch einmal mit<br />

dem Kontrollturm besprechen. Die Wettervorhersage für die nächsten<br />

vierundzwanzig Stunden klingt recht solide.«<br />

»Und der Jetstream?«<br />

»Befindet sich dort, wo er schon die ganze Woche über war.<br />

Keine Aussicht auf Änderung.«<br />

»Gut, stoßen Sie zu.«<br />

Edwards setzte seine Mütze auf und ging hinaus. Er trug eine<br />

dünne blaue Offiziersjacke über seinem Drillichanzug <strong>im</strong> Stil der<br />

Marineinfanterie und freute sich nach wie vor, dass die Kleidervorschriften<br />

bei der Air Force ziemlich lässig gehandhabt wurden. Sein<br />

Jeep enthielt den Rest seiner Kampfausrüstung: 38er Revolver und<br />

Gürtel, dazu den Parka, der vor drei Tagen zusammen mit der<br />

Tarnausrüstung ausgegeben worden war. Man hatte an alles gedacht,<br />

sann Edwards, als er den Motor des Jeeps anließ. Sogar an<br />

kugelsichere Westen.<br />

Keflavik muss getroffen werden, sagte er sich. Jeder wusste das,<br />

bereitete sich darauf vor und versuchte, nicht daran zu denken.<br />

Dieser Isolierteste Vorposten der Nato an der Westküste Islands<br />

stellte das verriegelte Tor zum Nordatlantik dar. Wenn der Russe<br />

einen Seekrieg führen wollte, musste Island neutralisiert werden.<br />

Von Keflaviks vier Startbahnen operierten achtzehn Eagle-Abfangjäger,<br />

neun P-3C Orion zur U-Boot-Jagd und, tödlichste Waffe von<br />

allen, drei E-3A AWACS, die Augen der Jäger. Zwei waren <strong>im</strong><br />

Augenblick in der Luft; einer kreiste zwanzig Meilen nordöstlich<br />

184


von Kap Fontur, der andere direkt über Ritstain, das 150 Meilen<br />

nördlich von Keflavik lag. Dies war höchst ungewöhnlich. Wenn<br />

nur drei AWACS zur Verfügung standen, war es schon schwer<br />

genug, eine Maschine permanent in der Luft zu halten. Der Befehlshaber<br />

der Streitkräfte auf Island musste das Ganze sehr ernst nehmen.<br />

Edwards zuckte die Achseln. Wenn tatsächlich sowjetische<br />

Backfire-Bomber auf sie zuhielten, konnte er nichts weiter tun. Er<br />

war der neue Meteorologieoffizier des Geschwaders und hatte<br />

gerade seine Vorhersage abgeliefert.<br />

Edwards stellte seinen Jeep auf dem Parkplatz eines Offiziers am<br />

Tower ab und beschloss, den 38er mitzunehmen. Die Anlage war<br />

nicht eingezäunt, und man konnte nie wissen, ob sich nicht jemand<br />

seine Waffe »ausborgte«. Auf dem Stützpunkt w<strong>im</strong>melte es nur so<br />

von Marineinfanteristen und Militärpolizisten der Air Force, die<br />

mit ihren M-16-Gewehren und den Handgranaten am Gürtel sehr<br />

martialisch aussahen. Er trottete die Außentreppe hoch und fand<br />

<strong>im</strong> Kontrollturm nicht wie gewöhnlich fünf, sondern acht Männer<br />

vor.<br />

»Hi, Jerry«, sagte er zum Chef, Lieutenant Jerry S<strong>im</strong>on von der<br />

Navy. Von den zivilen Fluglotsen, die sonst hier arbeiteten, war<br />

keine Spur zu sehen.<br />

»Morgen, Mike«, witzelte S<strong>im</strong>on zurück. Es war 3 Uhr 15 Ortszeit.<br />

Schöner Morgen. Die Sonne war schon aufgegangen und<br />

schien grell durch die Jalousien an den geneigten Fenstern.<br />

»Wie sieht's aus?« fragte Edwards und trat an seine meteorologischen<br />

Instrumente.<br />

»Beschissen!« erklang es <strong>im</strong> Chor.<br />

»Schön, dass wir alle das Gleichgewicht behalten«, merkte Edwards<br />

an. Der kleine, knochige Offizier war sofort nach seiner<br />

Ankunft vor zwei Monaten von allen akzeptiert worden. Er<br />

stammte aus Eastpoint in Maine und hatte die Akademie der Luftwaffe<br />

absolviert, durfte aber als Brillenträger nicht fliegen. Seine<br />

äußere Erscheinung - einsfünfundsechzig groß, 55 Kilo leicht ­<br />

flößte niemandem Respekt ein, doch sein ansteckendes Grinsen,<br />

sein unerschöpflicher Vorrat an Witzen und seine anerkannte Fähigkeit,<br />

den wirren Witterungsverhältnissen überm Nordatlantik<br />

einen Sinn zu entnehmen, bewirkten, dass in Keflavik jeder gerne<br />

mit ihm umging.<br />

»MAC Flug fünf-zwei-null, Roger. Roll man los Dicker, wir<br />

185


auchen Platz«, sagte ein müder Lotse. Einige hundert Meter<br />

entfernt begann ein riesiger Transporter C-5A Galaxy auf Startbahn<br />

eins-acht zu beschleunigen. Edwards sah durch ein Fernglas<br />

zu. Man gewöhnte sich nur schwer daran, dass ein solches Monstrum<br />

tatsächlich flog.<br />

»Irgendwelche Nachrichten?" fragte S<strong>im</strong>on Edwards.<br />

»Seit der Meldung aus Norwegen nichts. Viel Aktivität auf<br />

Kola«, erwiderte Edwards und machte sich wieder ans Kalibrieren<br />

seines Digitalbarometers.<br />

Angefangen hatte es vor sechs Wochen. Die auf einem halben<br />

Dutzend Stützpunkte um Seweromorsk stationierten Marineflugzeuge<br />

und Langstreckenbomber hatten fast kontinuierlich geübt<br />

und Missionen mit Angriffscharakter geflogen. Dann hatte vor<br />

zwei Wochen die Aktivität plötzlich nachgelassen. Das war ein<br />

Unheil verkündender Aspekt: Erst wurden alle Besatzungen bis zur<br />

Perfektion gedrillt, dann folgte eine Wartungs- und Instandsetzungsperiode,<br />

in der sichergestellt wurde, dass alle Instrumente und<br />

Flugzeuge voll einsatzbereit waren. Und was trieben die Russen<br />

nun? Flogen sie einen Angriff gegen Bodo in Norwegen? Oder<br />

vielleicht gegen Island?<br />

Edwards nahm einen Blockhalter und bestätigte mit seiner Unterschrift,<br />

die tägliche Überprüfung der Instrumente <strong>im</strong> Tower<br />

vorgenommen zu haben. Die Aufgabe hätte er auch einem Techniker<br />

überlassen können, doch diese Mannschaftsgrade unterstützten<br />

die Flugzeugmechaniker des Jägergeschwaders, und er konnte es<br />

selbst übernehmen. Zudem hatte er so einen Vorwand, den Kontrollturm<br />

zu betreten, und -<br />

»Mr. S<strong>im</strong>on«, sagte der ranghöchste Fluglotse rasch, »ich habe<br />

gerade eine Blitzmeldung von Sentry eins empfangen: Warnung<br />

Rot. Viele Banditen <strong>im</strong> Anflug, Sir, aus Nordnordost - jetzt meldet<br />

sich Sentry zwei. Die haben sie auch erfasst. Klingt nach vierzig bis<br />

fünfzig Banditen, Sir.« Edwards fiel auf, dass anfliegende Feindmaschinen<br />

hier Banditen und nicht wie üblich Zombies genannt wurden.<br />

»Freunde <strong>im</strong> Anflug?«<br />

»Sir, in zwanzig Minuten trifft eine MAC C-141 ein, gefolgt von<br />

acht weiteren in Fünf-Minuten-Intervallen, alle aus Dover.«<br />

»Sagen Sie denen, sie sollen kehrtmachen, und lassen Sie sich das<br />

bestätigen! Keflavik ist bis auf weiteres geschlossen.« S<strong>im</strong>on<br />

186


wandte sich an seinen Telekommunikations-Mann. »Lassen Sie<br />

SACLANT melden, dass wir angegriffen werden. Ich -«<br />

Überall um sie herum blökten Alarmhörner los. Unter ihnen zog<br />

in den Schatten des frühen Morgens das Bodenpersonal mit roten<br />

Fähnchen markierte Sicherungsstifte aus den bereitstehenden Abfangjägern.<br />

Edwards sah, wie ein Pilot einen Styroporbecher leerte<br />

und sich anzuschnallen begann. Die Anlasserwagen neben den<br />

Jägern spuckten Dieselqualm aus und erzeugten Strom zum Starten<br />

der Triebwerke.<br />

»Tower, hier Jäger-Führer. Alarmstart. Macht die Startbahn frei,<br />

Jungs!«<br />

S<strong>im</strong>on griff nach dem Mikrophon. »Roger, Jäger-Führer, die<br />

Startbahnen gehören euch. Ausschwärmen nach Plan Alpha.<br />

Drauf! Out.«<br />

Unter ihnen wurden Kabinenhauben geschlossen, Keile vor Rädern<br />

weggezogen, und der Chef jedes Bodenpersonalteams grüßte<br />

zackig seinen Piloten. Aus dem Schrillen der Düsentriebwerke<br />

wurde ein Donnern, als die Maschinen schwerfällig aus der Aufstellung<br />

anrollten.<br />

»Wo ist Ihre Gefechtsstation, Mike?« fragte S<strong>im</strong>on.<br />

»Im Met-Gebäude.« Edwards nickte und wandte sich zur Tür.<br />

»Viel Glück, Jungs.«<br />

An Bord von Sentry 2. sahen die Radaroperatoren einen weiten<br />

Halbkreis aus Leuchtpunkten auf sich zukommen. Neben jedem<br />

Leuchtpunkt standen »BGR« und Daten über Kurs, Höhe und<br />

Geschwindigkeit. Jeder Punkt oder »Blip« stellte einen Badger-<br />

Bomber Tu-16 der sowjetischen Marineflieger dar. Insgesamt hielten<br />

vierundzwanzig mit 600 Knoten auf Keflavik zu. Angenähert<br />

hatten sie sich <strong>im</strong> Tiefflug, um unter dem Radarhorizont der E-3A<br />

zu bleiben, doch nun, da man sie entdeckt hatte, gingen sie 2oo<br />

Meilen entfernt rasch in den Steigflug. Dieses Einsatzprofil versetzte<br />

die Radaroperatoren in die Lage, sie augenblicklich als<br />

Feinde zu klassifizieren. Vier Eagle flogen gerade Patrouille, standen<br />

jedoch kurz vor der Ablösung und hatten nicht mehr genug<br />

Treibstoff, um mit Nachbrenner auf die Badger loszugehen. Sie<br />

bekamen die Anweisung, dem russischen Bomberverband mit 600<br />

Knoten entgegen zu fliegen. Das Zielerfassungsradar für ihre Luftkampfraketen<br />

konnte die Badger noch nicht erreichen.<br />

Sentry I bei Kap Fontur meldete noch Ärgeres. Die Leuchtflecke<br />

187


auf den Schirmen dieser Maschine stellten überschallschnelle Tu­<br />

22M Backfire dar, deren langsamer Anflug auf schwere Zusatzbewaffnung<br />

unter den Flügeln hinwies. Auch hier gingen die Eagle auf<br />

Abfangkurs. Hundert Meilen hinter ihnen wurden die über Reykjavik<br />

patrouillierenden F-15 in der Luft betankt und jagten dann mit<br />

1000 Knoten nach Nordosten, während der Rest der Staffel gerade<br />

startete. Die Radarbilder von beiden AWACS kamen über eine<br />

Digitalverbindung zum Jägerleitstand in Keflavik, damit das Bodenpersonal<br />

den Kampf mitverfolgen konnte. Nun, da die Jäger<br />

nacheinander abhoben, arbeiteten die Crews aller anderen Flugzeuge<br />

wie wild, um ihre Vögel startbereit zu machen.<br />

Dies hatten sie <strong>im</strong> Lauf des vergangenen Monats achtmal geübt.<br />

Manche Crews hatten sogar neben ihren Maschinen geschlafen.<br />

Andere wurden aus ihren nur 400 Meter entfernten Unterkünften<br />

gerufen. Maschinen, die gerade vom Patrouillenflug zurückgekehrt<br />

waren, wurden aufgetankt und von Teams des Bodenpersonals<br />

flugklar gemacht. Wachen von Marineinfanterie und Air Force<br />

eilten auf ihre Posten, wenn sie noch nicht dort gewartet hatten.<br />

Edwards war nun wieder in seinem Dienstz<strong>im</strong>mer und trug<br />

Parka, kugelsichere Weste und den neuen Helm der US-Streitkräfte,<br />

der <strong>im</strong> Stil an den Kopfschutz der Wehrmacht erinnerte.<br />

Edwards ging nach unten in den Leitstand.<br />

»Trennung von Bandit Acht, ein - zwei Raketen abgeschossen.<br />

Laut Computer sind es AS-Vier«, meldete ein Controller in der<br />

Sentry. Der ranghöchste Offizier setzte sich sofort über Funk mit<br />

Keflavik in Verbindung.<br />

MS Julius Fucik<br />

Zwanzig Meilen südwestlich von Keflavik ging es auch auf der<br />

Doctor Lykes zu wie in einem Bienenstock. Nachdem die sowjetischen<br />

Bomberstaffeln ihre Luft-Boden-Raketen abgefeuert hatten,<br />

funkte der Führer ein abgest<strong>im</strong>mtes Codewort, das von der Fucik<br />

empfangen wurde. Ihre Zeit war gekommen.<br />

»Ruder hart Backbord«, befahl Kapitän Cherow. »Gehen Sie in<br />

den Wind.«<br />

Ein ganzes Reg<strong>im</strong>ent Luftlandetruppen, viele seekrank nach zwei<br />

Wochen auf dem riesigen Leichtermutterschiff, luden und prüften<br />

188


Waffen. Die verstärkte Besatzung der Fucik entfernte die Kaschierung<br />

von den » Leichtern


»Immerhin keine A<strong>tom</strong>sprengköpfe«, merkte ein Captain an.<br />

»Die lassen hundert Raketen auf uns los - das reicht auch so«,<br />

versetzte ein anderer.<br />

Edwards betrachtete über die Schulter eines Offiziers hinweg das<br />

Radarbild. Große, sich langsam bewegende Leuchtflecke stellten die<br />

Flugzeuge dar, kleine, schnellere, die mit Mach 2 anfliegenden<br />

Raketen.<br />

»Treffer!« johlte der Radaroperator. Der erste Eagle war bis auf<br />

Raketenreichweite an die Badger herangekommen und hatte einen<br />

mit einem Sparrow-Flugkörper abgeschossen, doch zwei Sekunden<br />

zu spät, denn der Russe hatte seine Luft-Boden-Raketen bereits<br />

abgefeuert. Eine zweite Sparrow verfehlte ein separates Ziel, doch<br />

die dritte schien es erfasst zu haben. Der Flügelmann des ersten Eagle-<br />

Piloten griff gerade einen weiteren Russen an. Die Sowjets haben<br />

diesen Angriff gut durchdacht, überlegte Edwards. Sie attackierten<br />

entlang der ganzen Nordküste und wahrten weite Abstände zwischen<br />

den Bombern, so dass ein einzelner Jäger nie mehr als einen<br />

oder zwei angreifen konnte. Es hatte fast den Anschein, als -<br />

»Hat sich mal jemand Gedanken über die Geometrie dieser<br />

Attacke gemacht?« fragte er.<br />

»Was meinen Sie damit?« Der Captain drehte sich um. »Warum<br />

sind Sie nicht auf Ihrem Posten?«<br />

Edwards ignorierte die Frage. »Besteht die Möglichkeit, dass sie<br />

versuchen, unsere Jäger vom Stützpunkt wegzulocken?«<br />

»Teure Köder.« Der Captain tat die Idee ab. »Sie wollen sagen, sie<br />

hätten ihre Raketen auch schon aus größerer Entfernung abschießen<br />

können. Vielleicht ist ihre Reichweite aber nicht so groß, wie wir<br />

annahmen. Entscheidend ist: Die Raketen sind nun auf dem Weg, die<br />

ersten seit zehn Minuten, die letzten mit einer Verzögerung von fünf<br />

oder sieben. Und wir können nichts dagegen machen.«<br />

»Hm.« Edwards nickte. Das Gebäude, in dem sich die Meteorologie<br />

und der Leitstand befanden, bestand aus Holz und vibrierte,<br />

wenn die Windgeschwindigkeit fünfzig Knoten erreichte. Der Lieutenant<br />

holte ein Kaugummi heraus und steckte es in den Mund. In<br />

zehn Minuten mussten hundert Raketen, jede mit einer Tonne<br />

Hochbrisanzsprengstoff oder einem Kernsprengkopf beladen, auf<br />

sie herabzuregnen beginnen. Das Ärgste würden die Männer <strong>im</strong><br />

Freien abbekommen; die Mannschaftsgrade und das Bodenpersonal,<br />

das versuchte, Flugzeuge klar für den Alarmstart zu machen. Er<br />

190


hatte den Auftrag, niemandem <strong>im</strong> Weg zu stehen. Das beschämte<br />

ihn, und die Angst, die er nun zusammen mit dem Pfefferminzkaugummi<br />

schmeckte, beschämte ihn noch mehr.<br />

Alle Eagle waren nun in der Luft und rasten nach Norden. Die<br />

letzten Backfire-Bomber hatten gerade ihre Raketen abgefeuert und<br />

drehten mit voller Leistung nach Nordwesten ab, während die<br />

Eagle mit zwölfhundert Knoten dahinjagten und aufzuholen versuchten.<br />

Drei Abfangjäger schössen Raketen ab, holten zwei Backfire<br />

vom H<strong>im</strong>mel und beschädigten einen dritten. Die gestarteten<br />

»Zulu«-Jäger konnten die Backfire nicht einholen, wie der befehlshabende<br />

Lotse in Sentry 1 feststellte; er verfluchte sich, weil er sie<br />

nicht auf die älteren, langsameren Badger losgelassen hatte. Nun<br />

befahl er ihnen, langsamer zu fliegen, und ließ sie auf die Überschauschnellen<br />

sowjetischen Raketen zuhalten.<br />

Penguin 8, das erste U-Boot-Abwehrflugzeug P-3C Orion, rollte<br />

nun auf Startbahn 2-2 an. Es war erst vor fünf Stunden von einem<br />

Patrouillenflug zurückgekehrt, und die Besatzung der Turboprop-<br />

Maschine rieb sich noch den Schlaf aus den Augen.<br />

»Sie gehen in den Sturzflug«, meldete der Radar-Operator. Die<br />

erste russische Rakete war nun fast über ihnen und begann den<br />

Zielanflug. Die Eagle hatten zwei anfliegende russische Raketen<br />

abgeschossen, doch da Kurs und Höhen ungünstig gewesen waren,<br />

hatten ihre Sparrows die Mach-2-Geschosse verfehlt oder nicht<br />

einholen können. Die F-15 flogen weit von ihrem Stützpunkt entfernt<br />

über Island Kreise, und die Piloten fragten sich, ob sie überhaupt<br />

noch einen Flugplatz vorfinden würden, auf den sie zurückkehren<br />

konnten.<br />

Edwards zuckte zusammen, als die erste Rakete landete - oder<br />

nicht landete. Der Luft-Boden-Flugkörper hatte einen Radarannäherungszünder<br />

und detonierte zwanzig Meter überm Boden. Die<br />

Folgen waren verheerend. Der Sprengkopf explodierte direkt über<br />

der Flughafenstraße und gerade 200 Meter von ihrem Gebäude<br />

entfernt. Splitter fetzten durch mehrere Häuser, das Schl<strong>im</strong>mste<br />

bekam die Feuerwache ab. Edwards stürzte zu Boden, als Fragmente<br />

die Holzwand durchschlugen. Die Druckwelle riss die Tür<br />

aus den Angeln, Staub erfüllte die Luft. Augenblicke später ging an<br />

einer Esso-Anlage ein Tanklaster in die Luft, sandte einen turmhohen<br />

Feuerball zum H<strong>im</strong>mel und versprühte über Blocks hinweg<br />

brennendes Kerosin. Der Strom fiel auf der Stelle aus. Radar- und<br />

191


Funkgeräte verstummten, es wurde dunkel, und die batteriebetriebene<br />

Notbeleuchtung ging nicht wie erwartet an. Einen Moment<br />

lang fragte sich Edwards entsetzt, ob das erste Geschoß einen<br />

Kernsprengkopf getragen hatte. Die Druckwelle hatte ihm den<br />

Atem genommen; er wusste nun nicht, ob er den Riemen seines<br />

Helmes straffen sollte; die Frage kam ihm in diesem Augenblick<br />

enorm wichtig vor.<br />

In einiger Entfernung schlug eine weitere Rakete ein, gefolgt von<br />

anderen, bis das Getöse zu einer Serie unglaublich lauter Donnerschläge<br />

verschmolz. Edwards bekam vor Staub keine Luft. Ihm<br />

war, als wollten ihm die Lungen bersten, und er rannte instinktiv<br />

zur Tür, um frische Luft zu schnappen.<br />

Eine massive Hitzewand schlug ihm entgegen. Die Esso-Anlage<br />

war ein tosendes Flammenmeer, das bereits das angrenzende Fotolaboratorium<br />

und den Supermarkt des Stützpunktes verschlungen<br />

hatte. Mehr Rauch stieg von den Unterkünften der Mannschaftsgrade<br />

<strong>im</strong> Osten auf. Ein halbes Dutzend startklar aufgereihter<br />

Maschinen würde nie wieder fliegen; ein Sprengkopf war direkt<br />

über der Kreuzung zweier Startbahnen detoniert und hatte die<br />

Tragflächen abgeknickt, als wären sie Spielzeuge. Vor seinen Augen<br />

ging eine zerschmetterte E-3 A Sentry in Flammen auf. Er drehte<br />

sich um und stellte fest, dass auch der Kontrollturm Schaden erlitten<br />

hatte; alle Fensterscheiben fehlten. Edwards rannte auf den Tower<br />

zu und vergaß, seinen Jeep zu nehmen.<br />

Zwei Minuten später betrat er atemlos den Tower und fand die<br />

ganze Besatzung tot vor, von Glassplittern zerrissen. Der Kachelboden<br />

war mit Blut bedeckt. Aus den Lautsprechern der Funkgeräte<br />

ertönte noch Lärm, aber einen Sender, der funktionierte, fand<br />

Edwards nicht.<br />

Penguin 8<br />

»Was, zum Teufel, ist denn das?« rief der Pilot der Orion, zog die<br />

Maschine heftig nach links und erhöhte die Leistung. Er hatte zehn<br />

Meilen von Keflavik entfernt Kreise geflogen und mit angesehen,<br />

wie Rauch und Flammen von seinem Stützpunkt aufstiegen, als<br />

plötzlich vier große Objekte unter ihnen durchgefahren waren.<br />

»Das ist eine -« flüsterte der Kopilot. »Wo wollen die hin?«<br />

192


Die vier Lebeds holperten mit vierzig Knoten über die bis zu<br />

anderthalb Meter hohen Wellen. Auf den etwa fünfundzwanzig<br />

Meter langen und zehn Meter breiten Fahrzeugen befanden sich vor<br />

einem hohen, an ein Flugzeug erinnernden Seitenruder, das die<br />

Insignien der sowjetischen Marine - Hammer und Sichel in Rot<br />

über blauem Band - trug, zwei verkleidete Propeller. Sie waren der<br />

Küste schon so nahe, dass die Orion ihre Bordwaffen nicht mehr<br />

einsetzen konnte.<br />

Der Pilot schaute be<strong>im</strong> Anflug ungläubig hin, und seine letzten<br />

Zweifel nahm ihm ein Feuerstoß aus einer 30 mm Flugzeugabwehrkanone.<br />

Die Garbe ging zwar weit daneben, aber der Pilot riss die<br />

Orion scharf nach Westen herum.<br />

»Tacco, richte Anti-U-Boot-Operationen in Keflavik aus, dass<br />

Besuch unterwegs ist. Vier bewaffnete Luftkissenfahrzeuge unbekannten<br />

Typs, aber Russen - müssen Truppen an Bord haben.«<br />

»Keflavik meldet sich nicht«, antwortete der Kampfbeobachter<br />

dreißig Sekunden später. »Unser Operationszentrum existiert nicht<br />

mehr; auch der Tower ist stumm. Ich versuche, mit den Sentries<br />

Verbindung aufzunehmen. Vielleicht bekomme ich auch Kontakt<br />

mit einem oder zwei Jägern.«<br />

»Gut, aber versuchen Sie weiterhin, Keflavik zu erreichen. Und<br />

schalten Sie das Radar an. Vielleicht finden wir heraus, wo die Kerle<br />

herkommen. Und armieren Sie unsere Harpoons.«<br />

Keflavik, Island<br />

Edwards, der gerade durchs Fernglas den Schaden betrachtete,<br />

hörte den eingehenden Funkspruch - und konnte ihn nicht beantworten.<br />

Er schaute sich um und entdeckte etwas Nützliches - ein<br />

Funkgerät Hammer Ace. Er packte das einem überd<strong>im</strong>ensionalen<br />

Rucksack ähnelnde Gerät und hastete die Treppe hinunter. Nun<br />

musste er die Offiziere der Marineinfanterie finden und warnen.<br />

Die Luftkissenfahrzeuge rasten über die Djupivogur-Bucht und<br />

erreichten knapp eine Meile von dem Luftstützpunkt entfernt festes<br />

Land. Mit Erleichterung stellten die Soldaten fest, dass das Holpern<br />

aufgehört hatte, als die Fahrzeuge ausschwärmten und nebeneinander<br />

mit jeweils 100 Meter Abstand über die steinige, mit Stechginster<br />

bewachsene Ebene auf den Nato-Luftstützpunkt zutobten.<br />

193


»Was zum -« rief ein Corporal der Marines. Wie ein Dinosaurier<br />

erschien ein mächtiges Objekt am Horizont und kam offenbar mit<br />

hoher Geschwindigkeit auf sie zu.<br />

»He, ihr da! Marines! Hierher!« schrie Edwards. Ein Jeep mit<br />

drei Mannschaftsgraden hielt an, raste dann auf ihn zu. »Bringen<br />

Sie mich sofort zu Ihrem Kommandeur!«<br />

»Der ist tot«, erwiderte der Sergeant. »Der Befehlsstand bekam<br />

einen Volltreffer. Ich kann über Funk niemanden erreichen.«<br />

»Funktioniert Ihr Gerät? Passen Sie auf: Von See her rücken<br />

Feinde an. Schlagen Sie Alarm.«<br />

»Jawohl, Sir, aber das Gerät ist nicht auf die Frequenz der<br />

Wachtposten eingestellt.«<br />

»Dann stellen Sie es ein, verdammt noch mal!«<br />

»Jawohl.« Der Sergeant stellte eine andere Frequenz ein.<br />

Die Lebeds hielten in zwei Paaren eine Viertelmeile vom Zaun des<br />

Stützpunktes entfernt an. Die Bugtüren öffneten sich, heraus rollten<br />

jeweils zwei BMD-Schützenpanzer, gefolgt von den Bedienungen der<br />

Mörser, die sofort ihre Waffen aufzustellen begannen. Die 73-mm-<br />

Kanonen und Raketenwerfer auf den Minipanzern nahmen sofort die<br />

Verteidigungsstellungen der Marineinfanterie unter Feuer. Gleichzeitig<br />

gingen die verstärkten Kompanien aus jedem Luftkissenfahrzeug<br />

langsam und geschickt vor, nutzten jede Deckung und die<br />

Feuerunterstützung aus. Der Angriffsverband war aus Einheiten mit<br />

Kampferfahrung in Afghanistan ausgewählt worden; jeder Mann<br />

hatte schon einmal unter Feuer gelegen. Die Lebeds machten sofort<br />

wie Krebse kehrt und jagten zurück zum Meer, um weitere Infanteristen<br />

aufzunehmen. Teile zweier Bataillone der Elite-Luftlandetruppen<br />

griffen bereits eine Kompanie der US-Marines an.<br />

Die verzweifelten Rufe über die Funkgeräte der Züge waren nur<br />

zu deutlich. Mit der Stromversorgung des Stützpunkts waren auch<br />

die Hauptfunkanlagen ausgefallen. Die Offiziere der Marines waren<br />

tot; niemand mehr in der Lage, die Verteidigung zu koordinieren.<br />

»Sergeant, wir müssen machen, dass wir hier wegkommen!«<br />

»Wir sollen fliehen?«<br />

»Wir müssen verschwinden und melden, was hier vorgefallen ist,<br />

damit hier keine Flugzeuge mehr zu landen versuchen. Sieht so aus,<br />

als hätten wir den Stützpunkt verloren. Wie kommt man am<br />

schnellsten nach Reykjavik?«<br />

194


»Aber Sir, es sind doch noch Marines -<br />

»Wollen Sie in russische Gefangenschaft? Wir haben verloren!<br />

Ich habe gesagt, dass wir das melden müssen, und Sie werden tun,<br />

was ich sage, verdammt noch mal!«<br />

»Aye, aye, Sir.«<br />

»Wie sieht's mit Waffen aus?«<br />

Ein Schütze rannte zu einem Marine, der bäuchlings am Boden<br />

lag. Um ihn herum verbreitete sich eine rote Lache, Blut aus einer<br />

unsichtbaren, tödlichen Wunde. Mit dem Sturmgewehr M-16 des<br />

Gefallenen, seinem Tornister und dem Patronengürtel kehrte der<br />

Schütze zu Edwards zurück und übergab ihm die Kollektion. »So,<br />

jetzt haben wir alle eins.«<br />

»Dann nichts wie weg.«<br />

Der Sergeant legte den Gang ein, wendete und hielt auf die<br />

zerstörte Satellitenantenne zu.<br />

MS Julius Fucik<br />

»Flugzeuge gesichtet, Backbord voraus!« schrie ein Ausguck. Cherow<br />

setzte das Fernglas an und fluchte leise. Unter den Tragflächen<br />

der viermotorigen Maschine hingen Raketen.<br />

Penguin 8<br />

»Sieh mal einer an«, sagte der Pilot der Orion leise. »Unser alter<br />

Freund, die Doctor Lykes. Sonst noch etwas in der Nähe, Tacco?«<br />

»Nichts«, erwiderte der Kampfbeobachter, »<strong>im</strong> Umkreis von<br />

hundert Meilen kein einziges anderes Überwasserschiff.« Sie hatten<br />

gerade den Horizont rundum mit dem Suchradar abgetastet.<br />

»Und diese Luftkissenfahrzeuge kamen auch nicht aus einem U-<br />

Boot.« Der Pilot nahm eine Kurveränderung vor, um in zwei Meilen<br />

Entfernung mit der Sonne <strong>im</strong> Rücken an dem Schiff vorbeizufliegen.<br />

Sein Kopilot musterte das Schiff durchs Fernglas. TV-<br />

Kameras an Bord, bedient von den Bordwaffenmannschaften, würden<br />

noch bessere Nahaufnahmen liefern. Zwei Hubschrauber ließen<br />

an Deck ihre Triebwerke warmlaufen. Jemand an Bord der<br />

Fucik geriet in Panik und schoss eine tragbare SAM-7 ab. Der<br />

195


Hitzesensor des Flugkörpers erfasste die Orion nicht, sondern ließ<br />

ihn der Tiefstehenden Sonne entgegenfegen.<br />

MS Julius Fucik<br />

»Idiot!« grollte Cherow. Der Rauch aus dem Raketenmotor kam<br />

dem Flugzeug noch nicht einmal nahe. »Jetzt schießt er auf uns!<br />

Äußerste Kraft voraus! Rudergänger, aufgepaßt!«<br />

Penguin 8<br />

»Schön«, sagte der Pilot und drehte von dem Frachter ab. »Tacco,<br />

wir haben ein Ziel für unsere Harpoons. Hat Keflavik sich gemeldet?«<br />

»Nein, aber Sentry eins gibt Nachrichten nach Schottland weiter.<br />

Keflavik ist von einem Raketenangriff getroffen worden und geschlossen,<br />

ob wir nun den Stützpunkt halten können oder nicht.«<br />

Der Pilot stieß eine knappe Verwünschung aus. »Na schön, den<br />

Piraten da sprengen wir aus dem Wasser.«<br />

»Roger«, erwiderte der Kampfbeobachter. »Verdammt - rotes<br />

Licht für die Backbord-Harpoon. Das Ding lässt sich nicht scharf<br />

machen.«<br />

»Dann fummeln Sie dran rum!« rief der Pilot, doch alle Mühe<br />

war vergeblich. Bei den überhasteten Vorbereitungen zum Start<br />

hatte ein übermüdetes Team vom Bodenpersonal es versäumt, die<br />

Steuerkabel des Geschosses richtig anzuschließen.<br />

»Gut, ich habe wenigstens eine, die funktioniert. Bereit!«<br />

»Feuer!«<br />

Der Flugkörper löste sich von der Tragfläche und fiel zehn Meter,<br />

ehe sein Triebwerk zündete. An der Reling des Sturmdecks der<br />

Fucik standen dicht gedrängt die Fallschirmjäger, viele mit tragbaren<br />

SAM-7, und hofften, die anfliegende Rakete abzuschießen.<br />

»Tacco, versuchen Sie mal, einen F-15 zu erreichen. Der könnte<br />

diesen Kahn mit der Bordkanone bepflastern.«<br />

»Versuch ich schon. Zwei Eagle sind auf dem Weg, haben aber<br />

nur noch wenig Treibstoff. Mehr als ein, zwei Anflüge kriegen wir<br />

nicht hin.«<br />

196


In der Kanzel schaute der Pilot durchs Fernglas zu, wie die weiße<br />

Rakete dicht über den Wellenkämmen dahinjagte.<br />

MS Julius Fucik<br />

»Rakete <strong>im</strong> Anflug, Backbord, dicht überm Horizont.« Wenigstens<br />

taugen unsere Ausgucks etwas, dachte Cherow. Er schätzte die<br />

Distanz zum Horizont ab und gab der Rakete eine Geschwindigkeit<br />

von 1000 Stundenkilometern ...<br />

»Ruder hart Steuerbord!« schrie er. Der Rudergänger wirbelte<br />

das Rad bis zum Anschlag herum und hielt es fest.<br />

»Einer Rakete können Sie nicht davonfahren, Cherow«, sagte<br />

der General leise.<br />

»Weiß ich auch. Aber passen Sie mal auf.«<br />

Das Schiff mit dem schwarzen Rumpf drehte stark nach Steuerbord<br />

ab, legte sich dabei schräg wie ein schleuderndes Auto und<br />

hob so künstlich die Wasserlinie an der verwundbaren Backbordseite.<br />

Unternehmungslustige Offiziere schössen Leuchtkugeln in der<br />

Hoffnung, die Rakete abzulenken, doch deren Mikrochip-Gehirn<br />

konzentrierte sich nur auf den riesigen Blip, den das Suchradar in<br />

der Spitze ausgemacht hatte. Es stellte eine leichte Richtungsänderung<br />

des Ziels fest und änderte den Kurs der Rakete entsprechend.<br />

Eine halbe Meile vom Ziel entfernt wurde die Harpoon, die bisher<br />

drei Meter über der Oberfläche geflogen war, wie vorprogrammiert<br />

hochgezogen. Sofort schössen die Soldaten an Bord der Fucik ein<br />

Dutzend SAM-7 ab. Drei erfassten die heißen Abgase der Harpoon,<br />

konnten aber nicht rasch genug abdrehen, um die anfliegende<br />

Rakete zu treffen, und flogen an ihr vorbei. Die Harpoon ging in<br />

den Sturzflug und sauste auf ihr Ziel zu.<br />

Penguin 8<br />

»Recht so...«, flüsterte der Pilot. Nun konnte sie nichts mehr<br />

aufhalten.<br />

Die Rakete traf den Rumpf der Fucik sechs Meter über der<br />

Wasserlinie und knapp achterlich der Brücke. Der Sprengstoff de­<br />

197


tonierte sofort, doch die Rakete selbst bohrte sich weiter in das<br />

Schiff hinein und verbreitete hundert Kilo Treibstoff, der auf dem<br />

untersten Frachtdeck in einem Feuerball explodierte. Im Nu verschwand<br />

das Schiff hinter einer Rauchwolke.<br />

»Tacco, Ihr Vogel hat prächtig getroffen. Sprengstoff detoniert.<br />

Sieht so aus...« Der Pilot schaute angestrengt durchs Fernglas, um<br />

den Schaden abzuschätzen.<br />

MS Julius Fucik<br />

»Aufkommen!« Cherow hatte erwartet, aufs Deck geschleudert zu<br />

werden, doch der Flugkörper war, verglichen mit den 35 000 Tonnen<br />

Masse der Fucik, klein gewesen. Er rannte hinaus auf die<br />

Brückennock, um sich den Schaden anzusehen. Als das Schiff sich<br />

wieder aufrichtete, hob sich das zackige Loch in seiner Flanke zehn<br />

Meter über den Wogen. Aus dem Loch quoll Rauch. Feuer an Bord,<br />

dachte der Kapitän, aber das Schiff ist nicht leckgeschlagen. Nun<br />

drohte nur eine Gefahr. Cherow gab seinen Löschtrupps rasche<br />

Befehle, und der General schickte zur Unterstützung einen seiner<br />

Offiziere mit. Hundert Fallschirmjäger waren <strong>im</strong> Lauf der vergangenen<br />

zehn Tage in Brandbekämpfung auf Schiffen ausgebildet<br />

worden. Nun konnten sie zeigen, was sie gelernt hatten.<br />

Penguin 8<br />

Die Fucik tauchte mit zwanzig Knoten Fahrt aus der Rauchwolke<br />

auf und hatte ein fünf Meter großes Loch in der Seite. Rauch quoll<br />

heraus, doch der Pilot erkannte sofort, dass der Schaden nicht letal<br />

war. Auf dem Oberdeck konnte er viele Männer sehen, die zum Teil<br />

auf Leitern zuliefen, um das Feuer unter Deck zu bekämpfen.<br />

»Wo bleiben die Jäger?« fragte der Pilot. Der Kampfbeobachter<br />

gab keine Antwort, sondern schaltete sein Funkgerät um.<br />

»Penguin Acht, hier Cobra eins. Wir sind zwei Maschinen. Unsere<br />

Raketen haben wir verschossen, aber noch eine volle Ladung<br />

20 Mill<strong>im</strong>eter an Bord. Zwei Anflüge, dann geht's ab nach Schottland.«<br />

»Roger, Cobra Eins. Das Ziel lässt Hubschrauber aufsteigen.<br />

198


Achten Sie auf SAM-Sieben. Die Kerle haben schon mindestens<br />

zwanzig abgeschossen.»<br />

»Roger, Penguin. Meldet sich Keflavik?«<br />

»Sieht so aus, als müssten wir uns bis auf weiteres ein neues Nest<br />

suchen.«<br />

»Roger. Okay, haltet euch klar, wir kommen aus der Sonne und<br />

greifen das Deck an.«<br />

Die Orion flog weiterhin in drei Meilen Abstand Kreise. Ihr Pilot<br />

entdeckte die Eagle erst, als sie das Feuer eröffnete. Die beiden Jäger<br />

flogen dicht nebeneinander und knapp überm Wasser an, und an<br />

ihren Nasen blitzte das Mündungsfeuer ihrer 2o-mm-Bordkanonen<br />

auf.<br />

MS Julius Fucik<br />

An Bord hatte sie niemand kommen gesehen. Einen Augenblick<br />

später schäumte das Wasser an der Flanke der Fucik unter den<br />

ersten Einschlägen auf, dann verschwand das Hauptdeck in einer<br />

Wolke. Ein jäher oranger Feuerball verkündete die Explosion eines<br />

russischen Hubschraubers, und brennendes Kerosin spritzte auf die<br />

Brücke, verfehlte Kapitän und General nur knapp.<br />

»Was war das?« keuchte Cherow.<br />

»Amerikanische Kampfflugzeuge, die ganz tief anflogen. Sie haben<br />

offenbar nur noch ihre Bordwaffen zur Verfügung, denn sonst<br />

hätten sie uns schon längst mit Bomben angegriffen.«<br />

Die Jäger trennten sich, flogen links und rechts am Schiff vorbei,<br />

das mit zwanzig Knoten einen weiten Kreis fuhr. Keine SAM folgte<br />

den Eagle, die drehten, sich wieder formierten und den Bug der<br />

Fucik anflogen. Ihr nächstes Ziel waren die Aufbauten. Einen Augenblick<br />

später wurde die Brücke des Frachters von mehreren<br />

hundert Geschossen durchsiebt. Alle Fenster zersplitterten, der<br />

größte Teil der Brückenbesatzung kam ums Leben, doch das Schiff<br />

blieb nach wie vor seetüchtig.<br />

Cherow sah sich das Gemetzel an. Sein Rudergänger war von<br />

einem halben Dutzend explodierender Geschosse zerrissen worden;<br />

auf der Brücke lebte niemand mehr. Erst nach einigen Sekunden,<br />

nachdem sich der Schock gelegt hatte, spürte er einen lähmenden<br />

Schmerz <strong>im</strong> Bauch und sah, wie sich seine Jacke dunkel verfärbte.<br />

199


»Sie sind getroffen, Käpt'n.« Nur der General hatte die Geistesgegenwart<br />

besessen, hinter etwas Solidem in Deckung zu gehen. Er<br />

sah sich die acht verstümmelten Leichen <strong>im</strong> Ruderhaus an und<br />

wunderte sich über sein Glück.<br />

»Ich muss das Schiff in den Hafen bringen. Gehen Sie nach<br />

achtern, weisen Sie den Ersten Offizier an, mit der Landungsoperation<br />

Fortzufahren. Sie, Genosse General, leiten die Brandbekämpfung<br />

an Deck. Mein Schiff muss unbedingt in den Hafen.«<br />

»Ich schicke Ihnen Hilfe.« Der General rannte hinaus. Cherow<br />

ging ans Steuer.<br />

Keflavik, Island<br />

»Stopp, halten Sie hier an!« schrie Edwards.<br />

»Was gibt's Lieutenant?« fragte der Sergeant und blieb auf dem<br />

Parkplatz stehen.<br />

»Nehmen wir meinen Wagen. Dieser Jeep ist mir zu auffällig.«<br />

Der Lieutenant sprang aus dem Geländewagen und rannte zu seinem<br />

alten Volvo. Die Marineinfanteristen folgten ihm nach kurzem<br />

Zögern. »Los, steigt ein!«<br />

»Sir, was haben wir eigentlich vor?«<br />

»Sergeant, wir müssen aus der Gegend verschwinden. Was, wenn<br />

der Iwan Hubschrauber hat?«<br />

Der Sergeant nickte. »Und was haben wir vor, Sir?«<br />

»Wir fahren bis Hafnarfjördur, lassen den Wagen stehen und<br />

schlagen uns ins Gelände, bis wir einen sicheren Platz finden, von<br />

dem aus wir funken können. Was ich da habe, ist ein Satelliten-<br />

Funkgerät. Washington muss erfahren, was sich hier tut. Wir müssen<br />

daher beobachten, was der Iwan alles anbringt. Unsere Seite<br />

wird zumindest versuchen, diesen Felsen wieder einzunehmen. Sergeant,<br />

unser Auftrag ist zu überleben, Funkverbindung zu halten<br />

und vielleicht zur Rückeroberung beizutragen.« Dieser Gedanke<br />

war Edwards erst vor kurzem gekommen. Würde man überhaupt<br />

versuchen, Island zurückzuerobern? War man in der Lage, es zu<br />

versuchen? Was war ringsum auf der Welt sonst noch schiefgegangen?<br />

Langsam, eins nach dem anderen, sagte er sich. Er für seinen<br />

Teil hatte keine Lust, sich von den Russen gefangen nehmen zu<br />

200


lassen. Wenn es ihnen gelang, Informationen an die Außenwelt zu<br />

funken, mochten sie in der Lage sein, sich für den Angriff auf<br />

Keflavik zu rächen.<br />

Edwards ließ den Motor an und fuhr auf der Staatsstraße 41 nach<br />

Osten. Irgendwo musste er den Volvo abstellen... aber wo? In<br />

Hafnarfjördur gab es ein Einkaufszentrum - und das einzige Kentucky-Fried-Chicken-Restaurant<br />

auf der ganzen Insel. Das war der<br />

ideale Abstellplatz. Der junge Lieutenant musste wider Willen lächeln.<br />

Sie waren noch am Leben und besaßen eine der gefährlichsten<br />

Waffen - ein Funkgerät. Mit den Problemen, nahm er sich vor,<br />

würde er Fertigwerden, wenn sie sich stellten. Sein Auftrag, entschied<br />

er, am Leben zu bleiben und Meldung zu erstatten. Wenn das<br />

erledigt war, konnten sie ihm ruhig andere Befehle geben. Eins nach<br />

dem anderen, redete er sich <strong>im</strong>mer wieder ein. Hoffentlich weiß<br />

überhaupt ein Mensch, was hier gespielt wird.<br />

Penguin 8<br />

»Sieht so aus, als hätten sie das Feuer unter Kontrolle«, stellte der<br />

Pilot fest.<br />

»Wie haben sie das bloß geschafft? Der Kahn hätte eigentlich in<br />

die Luft gehen sollen.« Sie sahen mit an, wie die vier Luftkissenfahrzeuge<br />

eine weitere Ladung Truppen an Land brachten. Es war dem<br />

Piloten nicht eingefallen, die beiden inzwischen auf dem Flug nach<br />

Schottland befindlichen Jäger die Landungsfahrzeuge statt des<br />

Schiffes angreifen zu lassen. Penguin 8 hatte acht Sonarbojen, vier<br />

Torpedos MK-46 zur U-Boot-Bekämpfung und eine Reihe anderer<br />

High-Tech-Waffen an Bord, die aber gegen ein s<strong>im</strong>ples, großes Ziel<br />

wie diesen Frachter nutzlos waren. Es sei denn, er wollte Kamikaze<br />

spielen. Der Pilot schüttelte den Kopf.<br />

»Wenn Sie nach Schottland wollen: Wir haben für dreißig Flugminuten<br />

Treibstoff«, meldete der Bordingenieur.<br />

»Okay, schauen wir uns noch einmal Keflavik an. Ich gehe auf<br />

sechstausend. Da sollten wir außer Reichweite der SAM sein.«<br />

Binnen zwei Minuten waren sie über der Küste. Ein Lebed näherte<br />

sich der SOSUS- und SIGINT-Station gegenüber Hafnir. Sie<br />

konnten gerade noch Bewegung am Boden und eine dünne Rauchfahne<br />

sehen, die aus dem Gebäude wehte. Von SIGINT (Signal<br />

201


Intelligence) verstand der Pilot nicht viel, doch SOSUS, das Sonar­<br />

Überwachungssystem auf dem Meeresboden, war das wichtigste<br />

Mittel zum Aufspüren von Zielen, auf die die Orion dann losgehen<br />

konnte. Die Station unter ihnen deckte die Lücken zwischen Grönland<br />

und Island und zwischen Island und Faröer ab. Die Hauptbarriere<br />

zwischen den russischen U-Booten und den Seewegen des<br />

Nordatlantik war praktisch permanent ausgefallen. Großartig.<br />

Eine Minute später waren sie über Keflavik. Sieben oder acht<br />

Flugzeuge hatten den Start nicht mehr geschafft und brannten. Der<br />

Pilot sah sich durchs Fernglas die Startbahnen an und stellte entsetzt<br />

fest, dass sie weitgehend intakt waren.<br />

»Tacco, stehen Sie in Verbindung mit einer Sentry?«<br />

»Ich kann Ihnen sofort eine geben. Sprechen Sie, Sie haben Sentry<br />

Zwei.«<br />

»Sentry Zwei, hier Penguin Acht. Hören Sie mich? Over.«<br />

»Roger, Penguin Acht, hier spricht der Chefcontroller. Wir orten<br />

Sie über Keflavik. Wie sieht es aus?«<br />

»Acht Vögel brennend am Boden. Die Raketen haben die Startbahnen<br />

nicht beschädigt. Wiederhole: keine Krater in den Startbahnen.«<br />

»Sind Sie ganz sicher, Penguin Acht?«<br />

»Positiv. Schwere Schäden durch Sprengwirkung, aber keine<br />

Löcher <strong>im</strong> Boden. Die nahe gelegenen Treibstofftanks sehen unbeschädigt<br />

aus, und nichts scheint das Tanklager bei Hakotstangar<br />

getroffen zu haben. Wir haben unseren Freunden eine Riesenmenge<br />

Saft und einen intakten Flugplatz hinterlassen. Der Tower steht<br />

noch. Um den Leitstand herum brennt's wie Zunder, aber die<br />

Startbahnen sind eindeutig benutzbar. Over.«<br />

»Und das Schiff, das Sie angegriffen haben?«<br />

»Volltreffer, ich sah den Zielanflug selbst. Zwei F-15 griffen mit<br />

Bordwaffen an, aber das reichte nicht. Vermutlich schafft der Kahn<br />

es in den Hafen. Schätze, dass er versucht, in Reykjavik oder Hafnarfjördur<br />

zu löschen. Muss eine Menge Zeug an Bord haben, ist<br />

rund vierzigtausend Tonnen groß. Noch zwei bis drei Stunden,<br />

dann ist er <strong>im</strong> Hafen, wenn wir ihn nicht versenken können.«<br />

»Verlassen Sie sich nicht darauf. Wie sieht's mit Treibstoff aus?«<br />

»Wir müssen uns sofort auf den Weg nach Stornoway machen.<br />

Meine Kameras haben Aufnahmen von der Umgebung und vom<br />

Schiff gemacht. Mehr können wir jetzt nicht tun.«<br />

202


»Okay, Penguin Acht. Suchen Sie sich einen Landeplatz. Wir<br />

ziehen uns in ein paar Minuten ebenfalls zurück. Viel Glück. Out.«<br />

Hafnarfjördur, Island<br />

Edwards stellte den Volvo an einem Einkaufszentrum ab. Auf der<br />

Fahrt hatte er einige Leute gesehen, die vorwiegend nach Westen in<br />

Richtung Keflavik schauten. Hier schien zum Glück noch niemand<br />

zu sein.<br />

»Wohin jetzt, Lieutenant?« fragte der Sergeant Smith.<br />

»Sergeant, stellen wir mal ein paar Dinge klar. Sie sind der Mann<br />

mit Erdkampferfahrung. Wenn Ihnen etwas einfällt, möchte ich es<br />

erfahren.«<br />

»Nun, Sir, ich würde mich sofort nach Osten absetzen, um<br />

Distanz zwischen uns und den Straßen zu schaffen, und mir dann<br />

einen Platz suchen, an dem Sie am Funkgerät drehen können, und<br />

zwar schnell.«<br />

Edwards schaute sich um. Es war zwar noch niemand auf der<br />

Straße, aber er wollte verhindern, dass sie be<strong>im</strong> Rückzug ins Gelände<br />

beobachtet und verraten wurden. Er nickte, und der Sergeant<br />

ließ einen Schützen vorangehen. Sie nahmen die Helme ab und<br />

hängten sich die Gewehre über, um so harmlos wie möglich auszusehen.<br />

Schöner Kriegsbeginn, dachte Edwards.<br />

MS Julius Fucik<br />

»Gott sei Dank, die Brände sind gelöscht«, verkündete General<br />

Andrejew. »Unsere Ausrüstung hat schweren Schaden erlitten, vorwiegend<br />

durch Löschwasser, aber das Feuer ist aus.« Seine Miene<br />

änderte sich, als er Cherow erblickte.<br />

Der Kapitän war leichenblass. Ein Sanitäter hatte seine Wunde<br />

verbunden, die inneren Blutungen aber nicht ganz stillen können.<br />

Der Mann hielt sich mit Mühe am Kartentisch aufrecht.<br />

»Kurs null-null-drei.«<br />

Der Dritte Offizier stand am Ruder. »Null-null-drei liegt an,<br />

Genosse Kapitän.«<br />

»Sie müssen sich hinlegen«, sagte Andrejew leise.<br />

203


»Erst Muss ich mein Schiff sicher in den Hafen bringen.«<br />

Die Fucik lief fast genau nach Norden und hatte Wind und See<br />

dwars. Wasser leckte in das von der Rakete geschlagene Loch, und<br />

Cherows anfänglicher Opt<strong>im</strong>ismus schwand. Der Einschlag des<br />

Flugkörpers hatte Nähte unter der Wasserlinie aufgerissen, durch<br />

die nun Seewasser ins untere Frachtdeck eindrang, aber bisher<br />

hielten die Lenzpumpen noch mit.<br />

»Käpt'n, Sie müssen ärztlich versorgt werden«, beharrte Andrejew.<br />

»Wenn wir die Landzunge umrundet haben, liegt die beschädigte<br />

Backbordseite in Lee. Dann kann sich jemand um mich kümmern.«<br />

USS Pharris<br />

»Sonarkontakt, möglicherweise U-Boot, an drei-fünf-drei«, verkündete<br />

der Sonarmann.<br />

So geht's los, dachte Morris. Auf der Pharris herrschte Alarmzustand,<br />

seit sie die amerikanische Küste verlassen hatte. Die Fregatte<br />

schleppte eine Batterie passiver Sonar-Sensoren hinter sich her,<br />

befand sich zwanzig Meilen nördlich des Geleitzuges und fuhr nun<br />

gerade über die Kante des Kontinentalschelfs am Lindenkohl-Canyon<br />

in tiefes Wasser. Perfektes Versteck für ein U-Boot.<br />

»Zeigen Sie mal her«, befahl der ASW-Offizier, dessen Funktion<br />

die Leitung der Bekämpfung von Unterseebooten war. Morris hielt<br />

sich zurück und schaute seinen Männern bei der Arbeit zu.<br />

Der Sonarmann wies auf das Wasserfall-Display, das eine Reihe<br />

digitaler Quadrate zeigte, zahlreiche Grünschattierungen auf<br />

schwarzem Hintergrund. Sechs übereinander stehende Quadrate<br />

unterschieden sich von den anderen; ein siebtes kam hinzu. Die<br />

Tatsache, dass sie in einer vertikalen Reihe erschienen, wies darauf<br />

hin, dass das Geräusch von einer konstanten Quelle nordwestlich<br />

des Schiffes erzeugt wurde. Bisher hatten sie nur eine Richtung und<br />

konnten weder die Entfernung abschätzen noch feststellen, ob sie es<br />

mit einem U-Boot zu tun hatten. Das Signal verschwand für eine<br />

Minute, kehrte dann wieder zurück. Dann verklang es ganz.<br />

Morris und sein ASW-Offizier sahen sich die Anzeige des Bathythermographen<br />

an. Alle zwei Stunden warfen sie ein Instrument<br />

204


über Bord, das be<strong>im</strong> Sinken die Wassertemperatur maß und über<br />

Draht zurückmeldete, bis es nach Kappen des Drahtes auf Grund<br />

landete. Die Anzeige stellte eine unregelmäßige Linie dar. Die Wassertemperatur<br />

nahm mit zunehmender Tiefe ab, aber nicht gleichmäßig.<br />

»Könnte wer weiß was sein«, sagte der ASW-Offizier leise.<br />

»Allerdings«, st<strong>im</strong>mte Morris zu und ging zurück ans Sonar-<br />

Display. Der Kontakt war noch da.<br />

Doch wie groß war seine Entfernung? Wasser überträgt Schall<br />

viel besser als Luft, gehorcht aber anderen Gesetzen. Dreißig Meter<br />

unter dem Kiel der Pharris befand sich die »Schicht«, wo sich die<br />

Wassertemperatur abrupt änderte. Einen Teil dieser Schallenergien<br />

konnte zwischen Schichten eingefangen werden und blieb über<br />

enorme Distanzen hinweg intensiv. Die Schallquelle, der sie lauschten,<br />

mochte fünf oder fünfzig Meilen entfernt sein. Nun verschob<br />

sich die Spur auf dem Display etwas nach links, was bedeutete, dass<br />

sie selbst nach Osten abwichen oder dass der Kontakt nach Westen<br />

driftete, beispielsweise ein U-Boot, das he<strong>im</strong>lich hinter seinem Ziel<br />

in Angriffsposition ging.<br />

»Sir«, sagte der ASW-Offizier nach einer Weile, »da sich die<br />

Richtung nicht wahrnehmbar ändert, muss der Kontakt gut fünfzehn<br />

Meilen entfernt sein. Das bedeutet, dass es sich um eine ziemlich<br />

laute Schallquelle handelt, die zu weit entfernt ist, um eine<br />

unmittelbare Bedrohung darzustellen. Sollte es aber doch ein<br />

A<strong>tom</strong>-U-Boot sein, könnten wir nach einem kurzen Spurt eine<br />

Kreuzpeilung vornehmen.«<br />

Morris schaute auf Instrumente am achterlichen Schott. Seine<br />

Fregatte lief mit vier Knoten Fahrt. Er griff zum Telefon.<br />

»Brücke an Gefechtszentrale.«<br />

»Brücke, aye. Hier IO.«<br />

»Joe, gehen wir mal für fünf Minuten auf zwanzig Knoten und<br />

versuchen, eine Kreuzpeilung vorzunehmen.«<br />

»Aye, Sir.«<br />

Eine Minute später spürte Morris eine Veränderung der Bewegungen<br />

seines Schiffes, als die Dampfturbine die Fregatte hart<br />

durch knapp zwei Meter hohe Seen trieb. Er wartete nachdenklich<br />

und wünschte sich eine empfindlichere Sonarbatterie vom Typ 2X,<br />

mit der die Fregatten der Perry-Klasse ausgerüstet wurden.<br />

Nach fünf Minuten wurde die Turbinenleistung verringert, und<br />

205


als das Schiff seine Fahrt verlangsamte, schlug das Muster auf dem<br />

Sonar-Schirm um.<br />

Der Kommandant, sein ASW-Offizier und der Sonar-Operator<br />

beobachteten den Schirm zehn Minuten lang aufmerksam. Die<br />

anomale Schallanzeige tauchte nicht wieder auf. Bei einer Übung zu<br />

Friedenszeiten wären sie zu dem Schluss gekommen, dass es sich um<br />

eine reine Anomalie handelte, vom Wasser erzeugtes Geräusch, das<br />

so plötzlich verschwand, wie es aufgetaucht war, vielleicht ein<br />

kleiner Strudel. Nun trug alles, was sie orteten, potentiell einen<br />

roten Stern und ein Sehrohr.<br />

»Besteht noch Anlass zu der Vermutung, es könnte sich um ein<br />

echtes Ziel handeln?« fragte er den ASW-Offizier.<br />

»Inzwischen nicht mehr, Sir.« Der Offizier fragte sich, ob es<br />

überhaupt richtig gewesen war, den Kommandanten von dem Kontakt<br />

zu unterrichten.<br />

»Gut, das war best<strong>im</strong>mt nicht der letzte blinde Alarm.«<br />

206


19<br />

Wege enden - Wege beginnen<br />

Hafnarfjördur, Island<br />

Sergeant James Smith war Kompanieschreiber und trug als solcher<br />

die Karten seines Chefs bei sich, wie Edwards zu seiner Erleichterung<br />

erfuhr. Weniger erfreut wäre er gewesen, wenn er erfahren<br />

hätte, was Smith von ihrem Unternehmen hielt und wer seiner<br />

Ansicht nach die Gruppe führte. Sie marschierten schweigend nach<br />

Osten, vorbei an einem zwei Kilometer langen Lavafeld, ohne<br />

Ruhepausen einzulegen. Die See hatten sie <strong>im</strong> Rücken, und solange<br />

sie das Wasser sehen konnten, waren sie auch von der Küste aus zu<br />

entdecken. Jede von ihren Stiefeln aufgewirbelte Staubwolke ließ<br />

das Gefühl der Verwundbarkeit intensiver werden, und Schütze<br />

Garcia, der die Nachhut bildete, machte periodisch kehrt und ging<br />

ein paar Meter zurück, um sich zu vergewissern, dass ihnen niemand<br />

folgte. Die anderen schauten voraus, nach links und rechts<br />

und auch nach oben, denn sie waren sicher, dass der Russe einen<br />

oder zwei Hubschrauber mitgebracht hatte.<br />

Die Szenerie erinnerte an eine Mondlandschaft - aus diesem<br />

Grund waren auch die Apollo-Astronauten in Island ausgebildet<br />

worden. Eine leichte Brise strich an den Hängen hoch, die sie<br />

erklommen, und wirbelte Staub auf. Edwards musste niesen.<br />

»Hubschrauber!« rief Garcia.<br />

Der Schütze hatte scharfe Augen. Hören konnten sie die Maschine<br />

noch nicht, aber da hing sie überm Horizont, kam von See<br />

her angeflogen.<br />

»Alles in Deckung. Geben Sie mir das Fernglas, Sergeant.« Smith<br />

warf sich neben ihn und hatte das Fernglas schon angesetzt.<br />

»Ein Hip, Sir. Transporthubschrauber, wahrscheinlich mit<br />

Truppen an Bord.« Er reichte Edwards den Feldstecher.<br />

»Ich glaub's Ihnen«, erwiderte Edwards. Er konnte die ungeschlachte<br />

Maschine gut drei Meilen entfernt auf Hafnarfjördur<br />

zuhalten sehen. »Sieht so aus, als wollten sie zum Hafen. Klar, sie<br />

207


kamen ja mit einem Schiff. Ehe das anlegen kann, muss der Hafen<br />

eingenommen und gesichert werden.«<br />

»Klingt logisch«, st<strong>im</strong>mte Sergeant Smith zu.<br />

Edwards verfolgte den Hubschrauber, bis er hinter einigen Gebäuden<br />

verschwand. Eine Minute später war er wieder in der Luft<br />

und flog zurück nach Nordwesten. Er sah sich den Horizont genauer<br />

an.<br />

»Sieht aus, als käme da ein Schiff.«<br />

MS Julius Fucik<br />

Cherow schleppte sich zum Kartentisch. Die Lenzpumpen wurden<br />

mit dem einströmenden Wasser fast fertig. Der Bug der Fucik lag<br />

einen halben Meter tiefer als normal. Cherow lächelte schwach in<br />

sich hinein. Der General hatte ihn praktisch mit Waffengewalt<br />

gezwungen, sich von einem Sanitäter an einen Plasma-Tropf hängen<br />

und Morphium geben zu lassen. Für letzteres war er dankbar ­<br />

die Schmerzen waren zwar noch da, aber nicht mehr so unerträglich.<br />

Die Plasmaflasche, die der Sanitäter <strong>im</strong> Ruderhaus hinter ihm<br />

hertrug, ging ihm aber auf die Nerven. Doch Cherow wusste, dass sie<br />

notwendig war, wenn er noch ein paar Stunden länger am Leben<br />

bleiben wollte - und wer weiß, dachte er, wenn der Reg<strong>im</strong>entsarzt<br />

sein Handwerk versteht, komme ich vielleicht sogar durch ...<br />

Nun stand Wichtigeres an. Er hatte sich die Karte des Hafens<br />

genau angesehen. Ihm fehlte ein Lotse. Mit Hafenschleppern war<br />

nicht zu rechnen, und die Mini-Schlepper für die Leichter, die sich<br />

in dem gabelförmigen Heck seines Schiffes befanden, waren zum<br />

Anlegen nutzlos.<br />

Nach dem ersten Erkundungsflug umkreiste der Hubschrauber<br />

sein Schiff. Ein Wunder, dass er überhaupt noch fliegt, dachte der<br />

Kapitän, denn die Schwestermaschine war direkt neben ihm von<br />

den Bordwaffen eines amerikanischen Jägers zerstört worden. Es<br />

war den Mechanikern gelungen, das Feuer rasch zu löschen und<br />

den zweiten Hubschrauber mit einem Wasservorhang zu schützen.<br />

Es waren einige kleine Reparaturen notwendig gewesen, da die<br />

Außenhaut Einschüsse aufwies, aber nun war die Maschine wieder<br />

einsatzbereit, schwebte achterlich der Aufbauten und setzte dann<br />

langsam und schwerfällig auf.<br />

208


»Wie geht es Ihnen, Käpt'n?« fragte der General. Am liebsten<br />

hätte er sich den Mann geschnappt und von seinem Arzt versorgen<br />

lassen, aber wer sollte dann das Schiff in den Hafen bringen?<br />

Kapitän Cherow starb vor seinen Augen, das hatte der Sanitäter<br />

deutlich genug gesagt. Cherow litt an inneren Blutungen, gegen die<br />

Plasma und Verbände nichts ausrichten konnten.<br />

»Haben Ihre Männer die Kampfziele erreicht?« fragte Cherow.<br />

»Den Meldungen zufolge wird auf dem Stützpunkt noch <strong>im</strong>mer<br />

gekämpft, doch wir sollten ihn bald gesichert haben. Der erste<br />

Trupp am Hafen stieß auf keinen nennenswerten Widerstand. Dort<br />

ist also alles sicher. Sie sollten sich ausruhen, Käpt'n.«<br />

Cherow schüttelte den Kopf wie ein Betrunkener. »Ruhe krieg<br />

ich bald mehr als genug. Nur noch fünfzehn Kilometer. Wir fahren<br />

ohnehin viel zu schnell. Mag sein, dass die Amerikaner Flugzeuge<br />

losgeschickt haben. Noch vor Mittag müssen wir <strong>im</strong> Hafen sein und<br />

Ihre Ausrüstung gelöscht haben. Ich habe zu viele Besatzungsmitglieder<br />

verloren, um jetzt noch zu versagen.«<br />

Hafnarfjördur, Island<br />

»Das müssen wir melden«, meinte Edwards leise. Er schüttelte<br />

seinen Rucksack ab und öffnete ihn. Er hatte einmal einem Mann<br />

be<strong>im</strong> Testen des Funkgerätes zugesehen und festgestellt, dass an der<br />

Seite des Gehäuses eine Gebrauchsanweisung angebracht war. Die<br />

sechsteilige Antenne ließ sich leicht in den Pistolengriff einschieben.<br />

Dann stöpselte er den Kopfhörer ein und schaltete das Funkgerät<br />

an. Er sollte die Antenne, die einer Blüte ähnlich sah, auf den 30.<br />

Meridian ausrichten, aber es fehlte ihm ein Kompass, der ihm zeigte,<br />

wo dieser Meridian war. Smith entfaltete eine Landkarte und<br />

wählte einen Orientierungspunkt in der ungefähren Richtung. Edwards<br />

richtete die Antenne aus und schwenkte sie langsam, bis er<br />

das Zwitschern der Trägerfrequenz des Satelliten hörte.<br />

»Okay.« Edwards stellte einen vorgewählten Kanal ein und ging<br />

durch Umlegen eines Kippschalters auf Sendung.<br />

»Hier spricht Mike Edwards, First Lieutenant, United States Air<br />

Force, Island. Bitte melden, over.« Es tat sich nichts. Edwards las<br />

die Bedienungsanleitung noch einmal durch, um sicherzugehen,<br />

und setzte den Spruch noch dre<strong>im</strong>al ab.<br />

209


»Bitte identifizieren, over.« Endlich hatte eine St<strong>im</strong>me geantwortet.<br />

»Edwards, Michael D., First Lieutenant, US Air Force, Nr. 328-<br />

61-4030. Ich bin der Meteorologie-Offizier der in Keflavik stationierten<br />

57. Abfangjägerstaffel. Wer spricht? Over.«<br />

»Wenn Sie das nicht wissen, haben Sie in diesem Funkkreis nichts<br />

verloren. Machen Sie den Kanal frei, der wird für dienstlichen<br />

Verkehr gebraucht«, erwiderte die St<strong>im</strong>me kalt. Edwards starrte<br />

das Gerät einige Sekunden lang in sprachlosem Zorn an, ehe er<br />

explodierte.<br />

»Hören Sie mal, Sie Arschloch! Der Mann, der mit diesem verdammten<br />

Gerät umzugehen versteht, ist tot, und außer mir haben<br />

Sie niemanden. Der Stützpunkt Keflavik wurde vor sieben Stunden<br />

von den Russen aus der Luft und vom Boden angegriffen. Hier<br />

w<strong>im</strong>melt es nur so vor Feinden, ein russisches Schiff läuft gerade<br />

nach Hafnarfjördur ein, und Sie treiben hier beschissene Wortspiele.<br />

Reißen Sie sich mal zusammen, Mister! Over.«<br />

»Verstanden. Abwarten. Wir müssen erst feststellen, wer Sie<br />

sind.« Keine Spur von Reue.<br />

»Verdammt noch mal, dieser Kasten ist batteriebetrieben. Sollen<br />

sich die Batterien entladen, während Sie in Aktenschränken kramen?«<br />

Nun meldete sich eine neue St<strong>im</strong>me. »Edwards, hier spricht der<br />

ranghöchste Wachoffizier. Beenden Sie die Sendung. Der Gegner<br />

könnte Sie abhören. Wir melden uns in dreißig Minuten wieder.<br />

Out.« Edwards schaltete das Gerät ab. »Los, machen wir, dass wir<br />

weiterkommen. Ich wusste nicht, dass der Gegner dieses Signal<br />

aufspüren kann.«<br />

»Sergeant, halten wir auf diese Höhe hundertzweiundfünfzig zu.<br />

Von dort aus sollten wir einen guten Überblick haben. Außerdem<br />

gibt es auf dem Weg Wasser.«<br />

»Heißes Wasser, Sir, voller Schwefel.«<br />

»Unser Pech.« Edwards trabte langsam los. Als kleiner Junge<br />

hatte er einmal die Feuerwehr rufen müssen. Damals hatte man ihm<br />

geglaubt. Warum nicht jetzt?<br />

210


MS Julius Fucik<br />

Cherow wusste, dass er nun das Werk der Amerikaner zu Ende<br />

führte. In diesen Hafen mit achtzehn Knoten einzufahren war mehr<br />

als leichtsinnig. Der Meeresboden war felsig, und eine Grundberührung<br />

konnte den Boden des Schiffes aufreißen. Doch noch mehr<br />

fürchtete er einen neuen Luftangriff und war sicher, dass nun ein<br />

Schwärm amerikanischer Jäger zu ihm unterwegs war, beladen mit<br />

Raketen und Bomben, die den wichtigsten Auftrag seines Lebens zu<br />

einem Misserfolg machen würden.<br />

»Aufkommen!« rief er.<br />

Vor einigen Minuten hatte er erfahren, dass sein Erster Offizier<br />

den be<strong>im</strong> ersten Jägerangriff erlittenen Verletzungen erlegen war.<br />

Sein bester Rudergänger war vor seinen Augen schreiend gestorben.<br />

Viele seiner besten Matrosen hatten das gleiche Schicksal<br />

erlitten. Nun gab es nur noch einen Mann an Bord, der die für den<br />

Landfall notwendige Positionsbest<strong>im</strong>mung vornehmen konnte.<br />

Doch der Kai war nun in Sicht, und er verließ sich auf sein Seemannsauge.<br />

»Halbe Kraft voraus«, befahl er. Der Rudergänger gab die Anweisung<br />

über den Maschinentelegraphen weiter.<br />

»Ruder hart Steuerbord.« Der Bug des Schiffes schwang langsam<br />

nach rechts herum. Cherow stand in Brückenmitte und nahm sorgfältig<br />

den Kai ins Visier.<br />

Das Schiff bekam Grundberührung. Cherow wurde zu Boden<br />

geschleudert und fluchte laut vor Zorn und Schmerz. Er hatte sich<br />

verkalkuliert. Die Fucik glitt ruckend über den felsigen Grund.<br />

Keine Zeit mehr, auf die Seekarte zu schauen. Wenn die Tide sich<br />

wendete, würden die starken Strudel <strong>im</strong> Hafen das Anlegemanöver<br />

zu einem Alptraum machen.<br />

»Gegenruder.« Eine Minute später war das Schiff wieder frei.<br />

Der Kapitän ignorierte die Leckalarme, die hinter ihm zu tuten<br />

begannen. Der Rumpf war leckgeschlagen, oder bereits geplatzte<br />

Nähte hatten sich weiter geöffnet. Doch das war jetzt nebensächlich.<br />

Der Hafen mit dem aus grob behauenen Steinen bestehenden<br />

Kai war nur noch tausend Meter entfernt. »Aufkommen. Maschinen<br />

stop.«<br />

Doch das Schiff hatte zuviel Fahrt. Die Soldaten an Land erkannten<br />

das und wichen auf dem Kai zurück, weil sie befürchteten, er<br />

211


könne dem Aufprall des Schiffes nicht standhalten. Cherow grunzte<br />

mit gr<strong>im</strong>miger Befriedigung. Noch achthundert Meter.<br />

»Volle Kraft zurück.«<br />

Sechshundert Meter. Das ganze Schiff erbebte, als die Maschinen<br />

seine Fahrt zu vermindern suchten. Es lief mit nun acht Knoten in<br />

einem Winkel von dreißig Grad auf eine Anlegestelle zu. Cherow<br />

trat ans Sprachrohr zum Maschinenraum.<br />

»Auf mein Kommando hin stellen Sie die Maschinen ab, betätigen<br />

den Sprinklerhebel und verlassen den Maschinenraum.«<br />

»Was haben Sie vor?« fragte der General.<br />

»Wir können am Kai nicht anlegen«, erwiderte Cherow schlicht.<br />

»Ihre Soldaten verstehen sich nicht auf die Handhabung der Leinen,<br />

viele meiner Matrosen sind tot.« Cherow hatte eine Anlegestelle<br />

gewählt, deren Tiefe um genau einen halben Meter geringer<br />

war als der Tiefgang der Fucik. Er ging zurück ans Sprachrohr.<br />

»Jetzt, Genossen!«<br />

Tief unten gab der Chefingenieur Befehle. Sein Erster Maschinist<br />

stellte die Diesel ab und eilte zur Fluchtleiter. Der Ingenieur riss am<br />

Nothebel der Löschanlage und folgte ihm, nachdem er sich davon<br />

überzeugt hatte, dass alle seine Männer den Maschinenraum verlassen<br />

hatten.<br />

»Ruder hart Steuerbord.«<br />

Eine Minute später rammte der Bug der Julius Fucik den Kai mit<br />

fünf Knoten. Der Bug wurde eingedrückt, das Schiff schwang nach<br />

rechts und knallte mit der Flanke Funken sprühend auf die Felsen.<br />

Der Aufprall riß den Rumpf an der Steuerbordbilge auf, die unteren<br />

Decks wurden sofort geflutet, und das Schiff sank rasch auf Grund,<br />

der sich knapp unter seinem platten Kiel befand. Die Julius Fucik<br />

war am Ende ihrer letzten Fahrt angelangt, hatte aber ihr Ziel<br />

erreicht.<br />

Cherow winkte dem General zu. »Meine Männer werden zwei<br />

Leichter aussetzen und zwischen Heck und Kai verankern. Sie<br />

können dann mit Hilfe Ihres Brückengeräts Ihre Fahrzeuge vom<br />

Aufzug auf die Leichter und von dort aus an Land schaffen.«<br />

»Kein Problem. Und Sie, Genosse Kapitän, bringe ich zu meinem<br />

Arzt. Keine Widerrede.« Der General gab seiner Ordonnanz einen<br />

Wink, und die beiden Männer führten den Kapitän unter Deck.<br />

Vielleicht war es noch nicht zu spät.<br />

212


Höhe 152, Island<br />

»Ist Ihnen jetzt endlich klar, wer ich bin?« fragte Edwards gereizt.<br />

Störend wirkte sich auch die Verzögerung von einer Viertelsekunde<br />

aus, die das Signal wegen des Umwegs über den Satelliten hatte.<br />

»Jawohl. Der Haken ist nur: Wie sollen wir wissen, dass Sie es<br />

auch wirklich sind?« Der Offizier hatte ein Fernschreiben in der<br />

Hand, das bestätigte, dass ein gewisser First Lieutenant Michael<br />

D. Edwards, USAF, in der Tat ein Meteorologie-Offizier der 57. AJ-<br />

Staffel gewesen war, doch über diese Information konnten die<br />

Russen schon lange vor der Invasion verfügt haben.<br />

»Hören Sie mal, ich sitze hier auf Höhe 152 östlich von Hafnarfjördur,<br />

klar? Hier fliegt ein russischer Hubschrauber rum, und <strong>im</strong><br />

Hafen hat gerade ein dickes Schiff angelegt. Eine Flagge kann ich<br />

nicht erkennen, weil die Entfernung zu groß ist, aber aus New York<br />

ist der Kahn best<strong>im</strong>mt nicht. Die Russen haben den Stützpunkt<br />

zerbombt und sind hier gelandet. Soldaten überall.«<br />

»Berichten Sie von dem Schiff.«<br />

Edwards setzte das Fernglas an. »Schwarzer Rumpf, weiße Aufbauten.<br />

Große Blockbuchstaben auf der Seite, die ich nicht genau<br />

erkennen kann. Das erste Wort fängt mit L an. Sieht aus wie ein<br />

Leichtermutterschiff.«<br />

»Haben Sie russische Truppen gesehen?«<br />

Edwards machte eine Pause, ehe er antwortete. »Nein, aber ich<br />

hörte die Funkmeldungen der Marineinfanterie. Die Marines wurden<br />

überrannt und haben sich seitdem nicht mehr gemeldet. Ich<br />

sehe Menschen am Hafen, kann Ihnen aber nicht sagen, wer sie<br />

sind.«<br />

»Gut, wir werden das überprüfen. Für den Augenblick schlagen<br />

wir vor, dass Sie sich ein schönes Plätzchen suchen und Funkstille<br />

wahren. Wenn wir Kontakt mit Ihnen aufnehmen wollen, senden<br />

wir alle geraden Stunden zur vollen Stunde. Wenn Sie uns sprechen<br />

wollen, sind wir dann empfangsbereit. Verstanden?«<br />

»Roger. Out.« Edwards schaltete ab. »Das kann doch nicht wahr<br />

sein.«<br />

»Kein Mensch weiß, was hier vorgeht, Lieutenant«, merkte<br />

Smith an. »Wie sollen die Bescheid wissen? Wir blicken ja selbst<br />

nicht durch.«<br />

»Kann man wohl sagen.« Edwards packte das Funkgerät weg.<br />

213


»Warum hören diese Idioten nicht auf mich? In zwei Stunden<br />

könnten ein paar Jagdbomber hier sein und dieses verdammte<br />

Schiff kurz und klein bomben. Mann, ist das ein Riesenkahn. Was<br />

bekommt ihr Marines in so ein Schiff an Gerät hinein?«<br />

»Eine ganze Menge«, antwortete Smith leise.<br />

»Glauben Sie, dass die Russen versuchen werden, noch mehr<br />

Truppen zu landen?«<br />

»Das müssen sie zwangsläufig tun. Den Angriff auf Keflavik<br />

führte höchstens ein Bataillon. Wer diese Rieseninsel halten will,<br />

braucht mehr Truppen.«<br />

Hafnarfjördur, Island<br />

Endlich konnte der General an die Arbeit gehen. Seine erste Tat war<br />

das Besteigen des Hubschraubers, der nun vom Kai aus operierte.<br />

Er ließ eine Schützenkompanie zur Sicherung des Hafens zurück,<br />

schickte eine zweite als Verstärkung zum Flughafen Reykjavik und<br />

stellte die letzte zum Ausladen der Divisionsausrüstung ab. Dann<br />

flog er nach Keflavik, um sich einen Überblick zu verschaffen.<br />

Es brannte noch <strong>im</strong>mer. Das Kerosinlager in der Nähe des Stützpunktes<br />

stand in Flammen, aber das fünf Kilometer entfernte<br />

Haupttanklager sah intakt aus und wurde inzwischen von einigen<br />

Männern mit einem Schützenpanzer bewacht. Auf einer der unbeschädigten<br />

Startbahnen traf er sich mit dem Kommandeur der<br />

Landungstruppen.<br />

»Der Luftstützpunkt Keflavik ist fest in unserer Hand!« erklärte<br />

der Mann.<br />

»Wie ist es gegangen?«<br />

»Ein harter Kampf. Die Amerikaner waren unkoordiniert, weil<br />

eine Rakete ihren Befehlsstand getroffen hatte, gaben aber nicht so<br />

leicht auf. Wir haben neunzehn Tote und dreiundvierzig Verwundete.<br />

Die meisten Marineinfanteristen sind gefallen, die Gefangenen<br />

werden <strong>im</strong> Augenblick noch gezählt.«<br />

»Wie viele Soldaten sind entkommen?«<br />

»Keiner, soviel ich weiß. Genau lässt sich das natürlich noch nicht<br />

sagen, aber viele kamen wohl in den Bränden um.« Der Oberst wies<br />

auf die ausgebrannten Gebäude des Stützpunkts. »Wie sieht es auf<br />

dem Schiff aus? Wie ich hörte, bekam es eine Rakete ab.«<br />

214


»Und es wurde obendrein von amerikanischen Jägern mit Bordwaffen<br />

beschossen. Jetzt liegt es am Kai; unsere Ausrüstung wird<br />

ausgeladen. Können wir diesen Flugplatz benutzen?«<br />

»Der Bericht darüber geht gerade ein.« Der Funker des Obersten<br />

reichte ihm sein Telefon. Der Oberst sprach eine Minute lang mit<br />

dem Chef eines fünfköpfigen Luftwaffenteams, das mit der zweiten<br />

Welle eingetroffen war, um den Stützpunkt zu inspizieren.<br />

»Genosse General, Radar- und Funksysteme des Stützpunktes<br />

sind zerstört. Die Startbahnen sind mit Trümmern bedeckt, ihre<br />

Räumung wird einige Stunden in Anspruch nehmen. Auch die<br />

Treibstoffhauptleitung ist an zwei Stellen unterbrochen. Fürs erste<br />

muss Treibstoff mit Tanklastern transportiert werden. Das Team<br />

empfiehlt, den Lufttransport über Reykjavik zu leiten. Haben wir<br />

diesen Flughafen schon genommen?«<br />

»Leider nicht, Genosse. Die Maschinen wurden von unseren<br />

Raketen schwer beschädigt, und jene, die nicht von selbst in Brand<br />

gerieten, zündete das Bodenpersonal an. Wie ich bereits sagte, man<br />

wehrte sich erbittert.«<br />

»Nun gut. Sobald ich die Dinge <strong>im</strong> Griff habe, schicke ich den Rest<br />

Ihrer beiden Bataillone zum Gerät. Das dritte brauche ich <strong>im</strong> Augenblick<br />

noch <strong>im</strong> Hafen. Ziehen Sie die Gefangenen zusammen und<br />

machen Sie sie für den Abtransport bereit. Sie sollen noch heute<br />

ausgeflogen werden. Und ich wünsche, dass sie korrekt behandelt<br />

werden.«<br />

»Jawohl, Genosse General. Und schicken Sie mir bitte Pioniere zur<br />

Reparatur der Treibstoffleitungen.«<br />

»Gut gemacht, Nikolai Gennadjewitsch!«<br />

Der General eilte zurück zu seinem Hubschrauber. Nur neunzehn<br />

Tote. Er hatte mit höheren Verlusten gerechnet. Die Zerstörung des<br />

Befehlsstands der Marines war ein Glückstreffer gewesen. Als sein<br />

Hip wieder am Kai landete, rollten die Fahrzeuge bereits an Land.<br />

Die Leichter des Frachters hatten breite Ladetüren, durch die die<br />

Fahrzeuge gesteuert werden konnten. Am Kai und auf den benachbarten<br />

freien Flächen begannen sich die Einheiten bereits zu formieren;<br />

wie der General feststellte, hatten seine Stabsoffiziere die Lage<br />

<strong>im</strong> Griff. Soweit war Operation Nordlicht ein voller Erfolg.<br />

Nach der Landung wurde der Hip vom Schiff aus betankt. Der<br />

General ging zu seinem Operationsoffizier.<br />

»Der Flughafen Reykjavik ist ebenfalls in unserer Hand, Genosse<br />

215


General", meldete der Mann. »Und dort steht uns ein komplettes<br />

Tanklager zur Verfügung. Sollen die Maschinen der Luftbrücke<br />

dort landen?«<br />

Darüber musste der General erst einmal nachdenken. Reykjavik<br />

war zwar nur ein kleiner Flughafen, aber er wollte nicht warten, bis<br />

die Verstärkung über den größeren Stützpunkt Keflavik eingeflogen<br />

werden konnte. »Ja. Senden Sie das Codewort ans Hauptquartier.<br />

Die Luftbrücke soll sofort eingerichtet werden.«<br />

Höhe 152, Island<br />

»Panzer!« Garcia hatte das Fernglas. »Ein ganzer Haufen mit roten<br />

Sternen drauf. Fahren auf Landstraße einundvierzig nach Westen.<br />

Das sollte unsere Freunde überzeugen, Sir.«<br />

Edwards griff nach dem Feldstecher. Er konnte Kettenfahrzeuge<br />

sehen, aber keine Sterne. »Was ist das für ein Typ? Wie richtige<br />

Panzer sehen die nicht aus.«<br />

»Das sind Schützenpanzer vom Typ BMO oder BMD. Bieten<br />

Platz für einen Zug Soldaten, Bewaffnung: 73-mm-Kanone. Eindeutig<br />

Russen, Lieutenant. Ich habe elf gezählt, dazu rund zwanzig<br />

Lkw mit Soldaten.«<br />

Edwards setzte wieder das Funkgerät zusammen. Garcia hatte<br />

recht: Diesmal hatte er volle Aufmerksamkeit am anderen Ende.<br />

»Gut, Edwards, wen haben Sie bei sich?«<br />

Edwards rasselte die Namen seiner Marines herunter. »Wir<br />

machten uns dünne, ehe die Russen in den Stützpunkt eindrangen.«<br />

»Wo befinden Sie sich jetzt?«<br />

»Auf der Höhe hundertzweiundfünfzig, vier Kilometer östlich<br />

von Hafnarfjördur. Wir können bis zum Hafen sehen. Russische<br />

Kettenfahrzeuge sind unterwegs nach Keflavik, und Lkws - Typ<br />

unbekannt - rollen auf Landstraße einundvierzig in Richtung<br />

Reykjavik. Jungs, schickt uns ein paar Aardvarks vorbei und bombardiert<br />

das Schiff, ehe es seine Ladung gelöscht hat.«<br />

»Die Aardvarks sind <strong>im</strong> Augenblick leider zu beschäftigt. Nur für<br />

den Fall, dass Ihnen noch keiner Bescheid gesagt hat: Vor zehn<br />

Stunden ist in Deutschland der Dritte Weltkrieg ausgebrochen. Wir<br />

wollen versuchen, Ihnen einen Aufklärer zu schicken, aber das<br />

kann eine Weile dauern. Vorerst sind Sie auf sich allein gestellt.«<br />

216


»Schöne Scheiße«, gab Edwards zurück und schaute seine Männer<br />

an.<br />

»Okay, Edwards, nutzen Sie Ihren Grips, vermeiden Sie Feindkontakte.<br />

Wenn ich die Lage richtig beurteile, sind Sie die einzigen<br />

Freundkräfte, die wir bei Keflavik haben. Wir wollen, dass Sie<br />

laufend Meldung machen. Beobachten Sie, gehen Sie sparsam mit<br />

den Batterien um. Immer mit der Ruhe, Jungs. Es kommt Hilfe,<br />

aber das kann noch ein Weilchen dauern. Gehen Sie wie besprochen<br />

alle zwei Stunden zur vollen Stunde auf Empfang. Geht Ihre Uhr<br />

genau?« Und in der Zwischenzeit, dachte der Fernmeldeoffizier,<br />

finden wir heraus, ob du auch wirklich Edwards bist und keine<br />

russische Pistole an der Schläfe hast.<br />

»Roger, sie ist auf Zulu-Zeit gestellt. Wir melden uns wieder.<br />

Out.«<br />

»Noch mehr Panzer!« rief Smith. »Mann, auf dem Kahn ist<br />

allerhand los!«<br />

Hafnarfjördur, Island<br />

Der General konnte kaum glauben, wie glatt alles ging. Als die<br />

Harpoon angeflogen kam, war er vom Scheitern seiner Mission<br />

überzeugt gewesen. Nun aber war ein Drittel seiner Fahrzeuge<br />

bereits vom Schiff gerollt und auf dem Weg zu den Einsatzgebieten.<br />

Nun sollte der Rest seiner Division eingeflogen werden. Dann<br />

folgten weitere Hubschrauber. Im Augenblick aber war er von<br />

hunderttausend nicht unbedingt freundlich gesinnten Isländern<br />

umgeben. Ein paar Unentwegte beobachteten ihn von der anderen<br />

Seite des Hafens aus; er hatte bereits einen Zug losgeschickt, um sie<br />

zu verscheuchen. Wie viele Isländer aber waren nun am Telefon?<br />

War die Satelliten-Bodenstation noch intakt? Riefen sie vielleicht in<br />

den Staaten an, um zu melden, was sich auf Island tut? Sorgen über<br />

Sorgen.<br />

»Genosse General, die Luftbrücke hat begonnen. Vor zehn Minuten<br />

hob die erste Maschine ab, eskortiert von Jägern. In vier<br />

Stunden sollten die Transporter landen«, meldete sein Fernmeldeoffizier.<br />

»Vier Stunden also.« Der General schaute zum blauen H<strong>im</strong>mel.<br />

Wie lange noch, bis die Amerikaner reagierten und eine Staffel<br />

217


Jagdbomber auf ihn los ließen? Er wies auf seinen Operations-<br />

Offizier.<br />

»Hier stehen zu viele Fahrzeuge am Kai herum. Sowie Sie genug<br />

Fahrzeuge für eine Kompanie zusammen haben, lassen Sie sie in<br />

ihre Einsatzgebiete fahren. Wie sieht's auf dem Flughafen Reykjavik<br />

aus?«<br />

»Dort ist eine Kompanie Infanterie in Stellung, eine weitere nur<br />

zwanzig Minuten entfernt. Kein Widerstand. Zivile Luftlotsen und<br />

Bodenpersonal stehen unter Bewachung. Eine Streife in Reykjavik<br />

meldet Ruhe auf den Straßen. Unsere Botschaft meldet, der isländische<br />

Rundfunk habe die Bevölkerung aufgefordert, in den Häusern<br />

zu bleiben. Dem Appell wird auch weitgehend Folge geleistet.«<br />

»Weisen Sie die Streife an, das Fernsprechamt zu besetzen, Rundfunk<br />

und Fernsehen sollen sie in Ruhe lassen, aber das Telefonsystem<br />

müssen wir unter Kontrolle bekommen.« Er drehte sich um<br />

und sah, wie ein Zug Fallschirmjäger mit Gewehr <strong>im</strong> Anschlag<br />

gegen eine Gruppe Schaulustiger vorging. Ein Mann lief wild gestikulierend<br />

auf die Soldaten zu und wurde niedergeschossen. Die<br />

Menge ergriff die Flucht.<br />

Der General fluchte laut. »Stellen Sie sofort fest, wer da geschossen<br />

hat!«<br />

USS Chicago<br />

McCafferty kehrte in die Angriffszentrale zurück. Die Dinge hatten<br />

begonnen, sich ungünstig zu entwickeln. Wer <strong>im</strong>mer die geniale<br />

Idee gehabt hatte, die amerikanischen U-Boote in der Hoffnung,<br />

einen »Zwischenfall« zu vermeiden, aus der Barentssee abzuziehen,<br />

hatte sie weit vom Schuss platziert. Und ausgerechnet zum Zeitpunkt<br />

des Kriegsausbruchs, murrte McCafferty, vergaß aber, dass ihm die<br />

Idee damals gar nicht so übel vorgekommen war.<br />

Hätten sie sich an den Plan gehalten, so hätte die sowjetische<br />

Marine bereits Verluste erlitten. Statt dessen aber war jemand<br />

wegen der neuen Positionierung der sowjetischen strategischen<br />

U-Boote in Panik geraten - mit dem Resultat, dass sie nichts erreicht<br />

hatten. Die sowjetischen Jagd-U-Boote waren aus dem Kola-Fjord<br />

gestürmt, aber nicht wie erwartet nach Süden ins Norwegische<br />

Meer gefahren. Sein Fernsonar meldete mögliche U-Boot-Geräu-<br />

218


sche weit <strong>im</strong> Norden, die sich nach Westen bewegten und dann<br />

verklangen. Aha, dachte er, schickte der Russe seine Boote durch<br />

die Straße von Dänemark? Die SOSUS-Barriere zwischen Island<br />

und Grönland konnte das zu einem kostspieligen Unternehmen<br />

machen.<br />

USS Chicago fuhr in 500 Fuß Tiefe knapp nördlich des 69.<br />

Breitengrades hundert Meilen westlich von Norwegens felsiger<br />

Küste. Zwischen ihm und dem Land operierten die norwegischen<br />

Dieselboote und schützten ihre Küste. Dafür hatte McCafferty<br />

Verständnis, aber es gefiel ihm trotzdem nicht.<br />

Bisher hatte nichts so richtig geklappt, und das machte McCafferty<br />

nervös. Er hatte ein besser ausgerüstetes Boot als der Gegner,<br />

doch wenn die Russen Glück hatten... Er sah seine Männer an.<br />

Wenn er Mist baute, mussten sie alle sterben. Und er auch - in dem<br />

Bewusstsein, sie <strong>im</strong> Stich gelassen zu haben.<br />

»Auf Sehrohrtiefe gehen«, befahl er. »Zeit, auf neue Befehle zu<br />

horchen und eine ESM-Rundumsuche vorzunehmen.«<br />

Keine einfache Prozedur. Das Boot tauchte vorsichtig auf, fuhr<br />

eine Kurve, um sein Sonar sicherstellen zu lassen, dass kein anderes<br />

Schiff in der Nähe war.<br />

»ESM-Antenne ausfahren.«<br />

»Zahlreiche elektronische Emissionen, Sir. Drei Suchgeräte auf<br />

dem J-Band, eine Menge anderes Zeug. Viel Geschnatter auf VHF<br />

und UHF. Bandgeräte laufen.«<br />

Macht Sinn, dachte McCafferty. Doch die Gefahr, dass hier<br />

jemand hinter ihnen her war, schien gering zu sein. »Sehrohr ausfahren.«<br />

Der Kommandant richtete den Ausblick des Periskops nach<br />

oben, um den H<strong>im</strong>mel nach Flugzeugen abzusuchen, und strich<br />

dann rasch den Horizont ab. Dann fiel ihm etwas Seltsames auf. Er<br />

musste den Ausblick nach unten richten.<br />

Keine zweihundert Meter entfernt stieg der grüne Rauch einer<br />

Markierungsboje auf. McCafferty fuhr zusammen und wirbelte das<br />

Instrument herum. Aus dem Dunst kam eine viermotorige Maschine<br />

direkt auf ihn zu.<br />

McCafferty hob die Hand, drehte am Sehrohrrad, fuhr das Instrument<br />

ein. »Alarmtauchen! Äußerste Kraft voraus! Gehen Sie<br />

auf achthundert Fuß!« Verflucht, wo war die Kiste so plötzlich<br />

hergekommen?<br />

219


Die Maschinen des Bootes explodierten gewissermaßen. Auf<br />

einen Schwall von Befehlen hin drückten die Rudergänger ihre<br />

Bedienungshebel bis zum Anschlag durch.<br />

»Torpedo <strong>im</strong> Wasser, Steuerbord!« schrie ein Sonarmann.<br />

McCafferty reagierte sofort. »Ruder hart Backbord!«<br />

»Hart Backbord liegt an!« Der Fahrtenzeiger stand auf zehn<br />

Knoten; die Geschwindigkeit nahm rasch zu. Sie hatten nun eine<br />

Tiefe von 100 Fuß erreicht und tauchten weiter.<br />

»Torpedo Richtung eins-sieben-fünf relativ. Eilt, hat uns aber<br />

noch nicht erfasst.«<br />

»Störer abfeuern.«<br />

Einundzwanzig Meter hinter der Zentrale wurde ein Zylinder<br />

ausgestoßen, der sofort alle möglichen Geräusche zu erzeugen begann,<br />

um den Torpedo anzulocken.<br />

»Störer frei!«<br />

»Ruder fünfzehn Grad Steuerbord.« McCafferty war nun ruhiger.<br />

Dieses Spiel kannte er. »Neuer Kurs eins-eins-null. Sonar, ich<br />

brauche die exakte Richtung des Torpedos.«<br />

»Aye. Torpedo Richtung zwei-null-sechs, kommt von Backbord<br />

nach Steuerbord.«<br />

Chicago hatte nun 200 Fuß erreicht und fuhr in einem Winkel<br />

von zwanzig Grad tiefer. Die Tiefenrudergänger und die meisten<br />

Techniker waren angeschnallt; Offiziere und andere, die sich in der<br />

Zentrale bewegen mussten, hielten sich an Relings und Stützen fest,<br />

um nicht hinzufallen.<br />

»Sonar an Zentrale. Der Torpedo scheint eine kreisförmige Bahn<br />

zu haben. Kommt jetzt von Steuerbord nach Backbord auf, eilt<br />

<strong>im</strong>mer noch, hat uns aber vermutlich nicht erfasst.«<br />

»Gut, melden Sie weiter.« McCafferty kletterte nach achtern<br />

zum Plott. »Sieht nach miesem Abwurf aus.«<br />

»Kann sein«, st<strong>im</strong>mte der Navigator zu. »Aber wie -«<br />

»Muss uns mit dem Magnetanomalie-Detektor geortet haben.<br />

Lief das Band? Ich sah ihn nicht lange genug, um ihn zu identifizieren.«<br />

Er schaute auf den Plott. Sie waren nun anderthalb Meilen<br />

von der Stelle, an der der Torpedo abgeworfen war, entfernt.<br />

»Sonar, was tut der Fisch?«<br />

»Richtung eins-neun-null, direkt achtern. Kreist noch <strong>im</strong>mer,<br />

scheint etwas tiefer zu gehen. Wahrscheinlich ist er vom Störer<br />

angelockt worden und versucht nun, ihn zu treffen.«<br />

220


»Zwei Drittel voraus.« Zeit, es langsamer angehen zu lassen,<br />

dachte McCafferty. Sie hatten sich vom ersten Bezugspunkt entfernt,<br />

und die Besatzung des Flugzeugs würde nun ein paar Minuten<br />

brauchen, um ihren Angriff zu evaluieren, ehe sie aufs neue zu<br />

suchen begann.<br />

»Aye, zwei Drittel voraus. Pendeln auf achthundert Fuß durch.«<br />

»Jetzt könnt ihr wieder schnaufen, Leute«, sagte McCafferty. Es<br />

klang aber nicht so gelassen, wie er es sich gewünscht hätte. Zum<br />

ersten Mal fielen ihm seine zitternden Hände auf. Wie bei einem<br />

Verkehrsunfall, dachte er. Das Zittern kriegt man erst, wenn die<br />

Gefahr vorbei ist.<br />

»Ruder fünfzehn Grad Backbord, Kurs zwei-acht-null.« Nur für<br />

den Fall, dass das Flugzeug noch einen Torpedo abwarf, war es<br />

sicherer, Schlangenlinien zu fahren. Doch die Gefahr sollte nun<br />

vorüber sein. Die ganze Episode hatte weniger als zehn Minuten<br />

gedauert.<br />

Der Kommandant ging ans vordere Schott, spulte das Videoband<br />

zurück und ließ es dann laufen. Erst sah man, wie das Sehrohr die<br />

Wasseroberfläche durchbrach, dann die kurze Rundumsuche,<br />

dann die Markierungsboje. Und dann tauchte das Flugzeug auf.<br />

McCafferty schaltete auf Standbild um.<br />

Die Maschine sah aus wie eine Lockheed P-3 Orion.<br />

»Das ist ja einer von uns!« stellte der Elektriker vom Dienst fest.<br />

McCafferty ging in den Sonarraum.<br />

»Torpedogeräusch klingt achtern ab, Sir. Jagt wahrscheinlich<br />

<strong>im</strong>mer noch dem Störer hinterher.«<br />

»Wie hört er sich an?«<br />

»Klingt ganz so wie unser Mark-46« - der Sonarmann schüttelte<br />

sich- »täuschend ähnlich!« Er ließ sein Tonband zurücklaufen und<br />

das schrille Geräusch des mit zwei Schrauben ausgerüsteten Torpedos<br />

über Lautsprecher wiedergeben. McCafferty nickte und<br />

wandte sich zurück zur Zentrale.<br />

»Okay, mag eine norwegische P-3 gewesen sein, vielleicht aber<br />

auch eine russische May. Die beiden Typen sehen sich sehr ähnlich<br />

und haben die gleiche Aufgabe. Gut gemacht, Leute. Wir verschwinden<br />

jetzt hier.« McCafferty gratulierte sich zu seiner Leistung.<br />

Er war gerade dem ersten Torpedo des Krieges ausgewichen<br />

- abgeworfen von einer Freund-Maschine.<br />

221


USS Pharris<br />

Der Konvoi lag noch <strong>im</strong>mer fünfundzwanzig Meilen hinter der<br />

Pharris, die als Radar-Vorposten fungierte. Ihre Aufgabe war,<br />

U-Boote, die sich an den Geleitzug heranschleichen wollten, zu<br />

orten und zu vernichten. Hierzu »spurtete« die Fregatte mit voller<br />

Fahrt voraus und ließ sich dann kurz treiben, um ihre Sonargeräte<br />

mit dem bestmöglichsten Wirkungsgrad arbeiten zu lassen. Hätte<br />

der Geleitzug mit zwanzig Knoten einen schnurgeraden Kurs eingehalten,<br />

wäre dies unmöglich gewesen. Die in drei Kolonnen formierten<br />

Frachter fuhren jedoch Zickzack, was allen Beteiligten die<br />

Arbeit erleichterte.<br />

Morris trank einen Schluck Coke.<br />

»Signal von der Talbot, Sir«, meldete der Wachoffizier.<br />

Morris erhob sich und ging mit seinem Fernglas hinaus zur<br />

Steuerbordnock. Er war stolz darauf, das Morsealphabet fast<br />

ebenso schnell lesen zu können wie seine Signalgasten.<br />

ISLAND VON SOWJETISCHEN VERBÄNDEN ANGEGRIFFEN UND<br />

NEUTRALISIERT X MIT NOCH ERNSTEREN LUFTANGRIFFEN UND<br />

U-ATTACKEN IST ZU RECHNEN X.<br />

»Sind ja tolle Nachrichten«, kommentierte der IO.<br />

USS N<strong>im</strong>itz<br />

»Wie haben die das nur fertig gebracht?« fragte Chip sich laut.<br />

»Kommt jetzt nicht mehr darauf an«, versetzte Toland. »Das<br />

Muss der Chef sofort erfahren.« Er telefonierte kurz und begab sich<br />

dann in die Domäne der Flaggoffiziere.<br />

Beinahe hätte er sich verlaufen. N<strong>im</strong>itz hatte über zweitausend<br />

Räume. Der Admiral bewohnte nur einen, und Toland hatte diesen<br />

nur einmal betreten. Vor der Tür fand er einen Wachposten der<br />

Marines vor. Der Kommandant des Flugzeugträgers, Svenson, war<br />

bereits anwesend.<br />

»Sir, es ging gerade eine Blitzmeldung ein. Die Sowjets haben<br />

Island angegriffen und neutralisiert, könnten auch Truppen gelandet<br />

haben.«<br />

»Verfügen sie dort auch über Flugzeuge?« fragte Svenson sofort.<br />

»Lässt sich nicht sagen. Man versucht, ein Aufklärungsflugzeug<br />

222


Hochzuschicken, wahrscheinlich ein britisches, aber mit eindeutigen<br />

Informationen ist erst in sechs Stunden zu rechnen. Der letzte<br />

Überflug eines Satelliten war vor zwei Stunden, und bis zum nächsten<br />

müssen wir neun Stunden warten.»<br />

»Gut, dann geben Sie mir die Informationen, die Sie haben«,<br />

befahl der Admiral.<br />

Toland ging die dürftigen Daten durch, die er aus Norfolk erhalten<br />

hatte. »Soweit wir es beurteilen können, handelte es sich um<br />

einen recht unkonventionellen Plan, der aber anscheinend Erfolg<br />

hatte.«<br />

»Es hat noch niemand behauptet, dass der Iwan auf den Kopf<br />

gefallen ist«, bemerkte Svenson säuerlich. «Unsere Befehle?«<br />

»Sind noch nicht eingegangen.«<br />

»Wie steht es mit der Truppenstärke auf Island?«<br />

»Darüber liegt noch nichts vor. Die Besatzung der P-3 beobachtete,<br />

wie Luftkissenfahrzeuge <strong>im</strong> Pendelverkehr achthundert Mann<br />

an Land brachten, mindestens ein Bataillon, wahrscheinlich eher<br />

ein Reg<strong>im</strong>ent.«<br />

»Damit wird ein MAU nicht fertig«, meinte Svenson. Eine amphibische<br />

Einheit der Marineinfanterie (Marine Amphibious Unit)<br />

bestand aus einem verstärkten Bataillon.<br />

»Trotz Unterstützung durch drei Träger?« schnaubte Admiral<br />

Baker, wurde dann aber nachdenklich. »Da mögen Sie recht haben.<br />

Wie wirkt sich die Besetzung Islands auf die Luftbedrohung gegen<br />

uns aus?«<br />

»Auf Island waren eine Staffel F-15 und zwei AWACS stationiert;<br />

ein guter Schutz für uns, der nun nicht mehr existiert. Die<br />

Fähigkeit dieser Flugzeuge, uns vor Luftangriffen zu warnen, Störangriffe<br />

zu fliegen und angreifende Verbände zu verfolgen, fehlt uns<br />

jetzt.« Das wollte Svenson gar nicht gefallen. »Wir sollten zwar in<br />

der Lage sein, selbst mit den Backfire fertig zu werden, aber Störangriffe<br />

der Eagles hätten uns diese Aufgabe erleichtert.«<br />

Baker trank einen Schluck Kaffee. »Unser Einsatzbefehl steht<br />

unverändert.«<br />

»Was geht sonst noch auf der Welt vor?« fragte Svenson.<br />

»Schwere Angriffe auf Norwegen, aber Einzelheiten liegen noch<br />

nicht vor. Das gleiche in Deutschland. Die Air Force soll den<br />

Sowjets schwere Verluste zugefügt haben, aber auch hier fehlen<br />

Details. Für eine stichhaltige Einschätzung der Lage ist es zu früh.«<br />

223


»Wenn der Iwan in der Lage war, Norwegen niederzuhalten und<br />

Island zu neutralisieren, hat sich die Luftbedrohung gegen diesen<br />

Kampfverband mindestens verdoppelt«, sagte Svenson. »Ich muss<br />

mit meinen Fliegern sprechen.«<br />

Der Kommandant ging. Admiral Baker schwieg mehrere Minuten<br />

lang. Toland, der noch nicht entlassen worden war, musste<br />

sitzen bleiben. »Keflavik ist also gerade angegriffen worden?«<br />

»Jawohl, Sir.«<br />

»Finden Sie heraus, was sich dort sonst noch tut, und melden Sie<br />

sich wieder bei mir.«<br />

»Jawohl, Sir.« Auf dem Rückweg in sein Nachrichtendienst-<br />

Kabäuschen sann Toland über das nach, was er seiner Frau versichert<br />

hatte: Flugzeugträger sind die am besten geschützten Schiffe<br />

der Marine. Doch nun war der Kommandant besorgt...<br />

Höhe 152, Island<br />

Die leicht zu verteidigende Stellung war ihnen schon fast ein He<strong>im</strong><br />

geworden. Niemand kam ungesehen an Höhe 152 heran, und wer<br />

das versuchte, musste erst ein Lavafeld überqueren und dann einen<br />

kahlen, steilen Hang erkl<strong>im</strong>men. Garcia hatte einen Kilometer<br />

weiter einen kleinen, mit Schmelzwasser gefüllten See gefunden.<br />

»Prächtiges Wasser zum Mixen«, hatte Sergeant Smith bemerkt,<br />

»wenn wir bloß den Bourbon dazu hätten -«<br />

Sie waren hungrig, hatten aber noch für vier Tage Verpflegung,<br />

die aus Delikatessen wie Schmalzfleisch und Bohnen aus der Dose<br />

bestand.<br />

»Weiß hier jemand, wie man ein Schaf brät?« fragte Rodgers, der<br />

einige Kilometer weiter südlich eine große Herde entdeckt hatte.<br />

»Womit denn?« fragte Edwards.<br />

»Hm.« Rodgers schaute in die Runde. Kein Holz zu sehen.<br />

»Warum stehen hier eigentlich keine Bäume?«<br />

»Die Winterstürme sind hier so stark, dass sie selbst einen Zweieinhalbtonner<br />

von der Straße blasen, hab ich selbst gesehen. Da hält<br />

sich kein Baum.«<br />

»Flugzeuge!« Garcia hatte das Fernglas, wies nach Norden. »In<br />

Mengen.«<br />

Edwards nahm den Feldstecher. Er sah Punkte, die rasch Form<br />

224


annahmen. »Sechs große, sehen aus wie die C-141... müßten<br />

demnach IL-76 sein. Vielleicht sind auch ein paar Jäger dabei.<br />

Sergeant, die müssen wir zählen.«<br />

Die Operation dauerte vier Stunden. Zuerst landeten die Jäger,<br />

tankten auf und rollten dann zu einer der kürzesten Startbahnen.<br />

Dann landeten die Maschinen <strong>im</strong> Abstand von drei Minuten, und<br />

Edwards war wider Willen beeindruckt. Die IL-76, Nato-Code<br />

»Candid«, war wie ihr amerikanisches Pendant eine grobschlächtige,<br />

häßliche Maschine. Die Piloten landeten, hielten an und steuerten<br />

auf die Rollbahn, als hätten sie das schon seit Monaten geübt.<br />

Am Terminal des Flughafens wurden sie entladen, rollten dann<br />

weiter, um Treibstoff aufzunehmen, und starteten wieder, fein<br />

säuberlich <strong>im</strong> Zeittakt mit den landenden Transportern. Als Edwards<br />

fünfzig Flugzeuge gezählt hatte, baute er sein Funkgerät auf.<br />

»Hier Edwards, Höhe 152. Hören Sie mich? Over.«<br />

»Roger«, kam sofort die Antwort. »Ihr Codename ist ab sofort<br />

Beagle. Wir sind Doghouse. Erstatten Sie Bericht.«<br />

»Roger, Doghouse. Wir beobachten eine sowjetische Luftbrücke<br />

und haben bisher fünfzig Transportflugzeuge gezählt, Typ India-<br />

L<strong>im</strong>a-72. Sie landen in Reykjavik, werden entladen, starten und<br />

fliegen nach Nordosten ab.«<br />

»Beagle, sind Sie ganz sicher?«<br />

»Ganz sicher, Doghouse. Nach dem Start fliegen sie direkt über<br />

uns weg, und wir haben schriftliche Unterlagen. Im Ernst, fünfzig<br />

Maschinen« - Smith hob den Block -, »Korrektur, dreiundfünfzig,<br />

und das Unternehmen läuft weiter. Außerdem stehen am Ende von<br />

Startbahn vier sechs Einsitzer. Ich kann zwar nicht ausmachen, um<br />

welchen Typ es sich handelt, aber sie sehen eindeutig wie Jäger aus.<br />

Verstanden, Doghouse?«<br />

»Dreiundfünfzig Transportflugzeuge und sechs unidentifizierte<br />

Einsitzer, möglicherweise Jäger. Okay, Beagle, diese Information<br />

muss ganz rasch nach oben. Bleiben Sie, wo Sie sind.«<br />

»Verstanden, Doghouse. Wir bleiben an Ort und Stelle. Out.« Er<br />

nahm den Kopfhörer ab. »Sind wir hier einigermaßen sicher, Sergeant?«<br />

»Klar, Lieutenant«, erwiderte Smith. »So sicher hab ich mich seit<br />

Beirut nicht mehr gefühlt.«<br />

225


Hafnarfjördur, Island<br />

»Eine prächtige Operation, Genosse General.« Der Botschafter<br />

strahlte.<br />

»Ihre Unterstützung war sehr wertvoll«, log der General.<br />

Das Personal der sowjetischen Botschaft in Reykjavik hatte vorwiegend<br />

Gehe<strong>im</strong>dienstfunktion und sofort mit der Verhaftung von<br />

isländischen Politikern begonnen, anstatt etwas Nützliches wie die<br />

Besetzung des Fernmeldeamtes zu unternehmen. Unumgänglich,<br />

fand der General, aber die Methoden der KGB-Teams mißfielen<br />

ihm: Ein Mitglied des isländischen Parlaments Althing war bei der<br />

Festnahme getötet worden, zwei andere hatten Schußwunden erlitten.<br />

Wir gehen besser behutsam mit den Einhe<strong>im</strong>ischen um, dachte<br />

der General, schließlich sind wir nicht in Afghanistan. Die Isländer<br />

hatten keine Kriegertradition und mochten sich kooperativer zeigen,<br />

wenn man sie nicht zu hart anpackte. Für diesen Aspekt der<br />

Operation war aber das KGB zuständig; ein entsprechendes Team<br />

war schon vor der Landung in der Botschaft plaziert worden. »Mit<br />

Ihrer Erlaubnis werde ich mich nun verabschieden.«<br />

Der General erklomm die Jakobsleiter zur Julius Fucik. Be<strong>im</strong><br />

Entladen der Luftabwehrraketen war man auf Probleme gestoßen,<br />

denn die Leichter, die dieses Gerät enthielten, waren von dem<br />

Raketentreffer beschädigt worden.<br />

»Schlechte Nachrichten, Genosse General«, meldete der Kommandeur<br />

der SAM-Einheit. »Wir haben gerade drei funktionsfähige<br />

Raketen.«<br />

»Nur drei?«<br />

»Beide Leichter wurden aufgerissen, als die amerikanische Rakete<br />

uns traf. Einige Flugkörper werden be<strong>im</strong> Aufprall beschädigt,<br />

der Rest vom Löschwasser.«<br />

»Das sind doch transportable Raketen«, wandte der General ein.<br />

»Die Entwicklungsingenieure müssen doch vorausgesehen haben,<br />

dass sie auch mal Wasser abbekommen.«<br />

»Aber kein Salzwasser, Genosse. Es handelt sich hier um die<br />

Heeresversion der Rakete, nicht die gegen Salzwasserkorrosion<br />

geschützte der Marine. Freiliegende Lenkdrähte und die Radarsuchköpfe<br />

wurden schwer beschädigt. Meine Elektriker haben alle<br />

Raketen durchgetestet und nur drei für voll einsatzfähig erklärt.<br />

Der Rest ist ruiniert. Wir müssen Ersatz einfliegen lassen.«<br />

226


Der General musste sich beherrschen. Eine Kleinigkeit, an die<br />

niemand gedacht hatte: Auf Schiffen werden Brände mit Seewasser<br />

bekämpft. Es hätte die Marineversion der Raketen angefordert<br />

werden sollen. Der Teufel steckt eben <strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Detail.<br />

»Sonst alles in Ordnung, Oberst?«<br />

»Jawohl, Genosse General. Die Fahrzeuge meines Bataillons sind<br />

bereits zu ihren Stellungen unterwegs und einsatzbereit, sobald die<br />

neuen Raketen eintreffen.«<br />

»Vorzüglich, Genosse Oberst.« Der General kletterte zurück auf<br />

die Brücke und ging seinen Fernmeldeoffizier suchen. Zwei Stunden<br />

später hob bei Murmansk eine mit vierzig SA-11 Boden-Luft-<br />

Raketen beladene Maschine ab und nahm Kurs auf Island.<br />

227


USS N<strong>im</strong>itz<br />

20<br />

Tanz der Vampire<br />

Toland hatte während der vergangenen zwölf Stunden alle Hände<br />

voll zu tun gehabt. Die Daten über Island gingen nur langsam ein<br />

und reichten auch jetzt noch nicht für ein klares Bild. Nach Stunden<br />

der Unschlüssigkeit war der Einsatzbefehl für den Verband verändert<br />

worden. Der Auftrag, Island zu verstärken, hatte sich von<br />

selbst erledigt. Jemand war zu dem Entschluß gelangt, dass sich die<br />

Marines in Deutschland nützlich machen konnten, wenn in Island<br />

schon nichts mehr auszurichten war. Toland hatte damit gerechnet,<br />

dass sie nach Norwegen umgeleitet werden würden, wo bereits eine<br />

amphibische Brigade der Marineinfanterie in Stellung war, doch<br />

der Weg dorthin konnte tückisch sein. Über Nordnorwegen tobte<br />

seit zwanzig Stunden eine heftige Luftschlacht, bei der beide Seiten<br />

Verluste erlitten hatten. Die Norweger waren mit nur knapp hundert<br />

modernen Kampfflugzeugen in den Krieg eingetreten und<br />

schrien um Hilfe, aber bislang stand noch keine zur Verfügung.<br />

»Die Norweger werden glatt aufgerieben«, merkte Toland an,<br />

»und nach Süden gedrängt. Die Russen konzentrieren ihre Angriffe<br />

auf die Stützpunkte <strong>im</strong> Norden und lassen den Norwegern keine<br />

Atempause.«<br />

Chip nickte. »Paßt. Da bekommen ihre Backfire-Bomber freien<br />

Anflug auf uns. Zeit fürs Briefing.«<br />

Toland packte seine Notizen ein und begab sich wieder in die<br />

Domäne der Flaggoffiziere.<br />

»Gut, Commander«, sagte Admiral Baker, »beginnen Sie mit den<br />

Nebenschauplätzen.«<br />

»Im Pazifik scheint sich bislang nicht viel zu tun. Offenbar üben<br />

die Sowjets heftigen Druck auf Japan aus. Dieselbe Geschichte, die<br />

sie der ganzen Welt erzählt haben - das Ganze sei nur eine Verschwörung<br />

der Deutschen.«<br />

»Quatsch«, warf Baker ein.<br />

228


»Sicher, Admiral, aber die Legende klingt so plausibel, dass Griechenland<br />

sich weigert, seinen Bündnisverpflichtungen nachzukommen,<br />

und viele Länder der Dritten Welt kaufen sie den Sowjets voll<br />

ab. Wie auch <strong>im</strong>mer, die Russen deuten an, sie wollten Japan die<br />

Sachalin-Inseln zurückgeben, wenn es mitspielt - oder heftig zuschlagen,<br />

wenn es nicht mitmacht. Endresultat: Japan läßt nicht zu,<br />

dass Stützpunkte auf seinem Territorium für Angriffe gegen die<br />

Sowjetunion benutzt werden. Und was wir in Korea stehen haben,<br />

wird dort gebraucht. Unser einziger Trägerverband <strong>im</strong> Pazifik ist<br />

um die Midway gruppiert. Er ist weit auf See und nicht stark genug,<br />

gegen die Halbinsel Kamtschatka vorzugehen. Luftaktivität <strong>im</strong><br />

südchinesischen Meer westlich der Philippinen, aber bisher noch in<br />

kleinem Maßstab. Offenbar keine sowjetischen Schiffe <strong>im</strong> Marinestützpunkt<br />

Cam Ranh in Vietnam. Im Stillen Ozean ist es also still.<br />

Wie lange, wird sich erweisen.<br />

Im Indischen Ozean wurde Diego Garcia mit Raketen angegriffen,<br />

vermutlich von einem U-Boot. Schäden gering - so gut wie<br />

alles, was dort lag, stach vor fünf Tagen in See.<br />

Keinerlei Aktivitäten an der Südflanke der Nato. Die Türken<br />

werden sich hüten, Rußland auf eigene Faust anzugreifen, und<br />

Griechenland hält sich aus dem »Deutsch-Russischen Disputs wie<br />

man in Athen sagt, heraus. Der Russe hat also an seiner Südflanke<br />

Ruhe. Bisher kämpften die Russen nur in Westeuropa und greifen<br />

anderswo nur best<strong>im</strong>mte amerikanische Einrichtungen an. Der<br />

ganzen Welt versuchen sie weiszumachen, dass sie eigentlich überhaupt<br />

nicht gegen uns kämpfen wollen, und haben amerikanischen<br />

Touristen und Geschäftsleuten in der Sowjetunion Sicherheit garantiert.<br />

In Europa begannen die Operationen mit Attacken von<br />

zwanzig bis dreißig Speznas-Teams in ganz Westdeutschland, die<br />

zum größten Teil vereitelt wurden. Erfolge gab es nur in Hamburg,<br />

wo zwei versenkte Frachter die Hauptfahrrinne und damit den<br />

Hafen blockieren, und in Bremen, wo ein Team die Fahrrinne<br />

teilweise unpassierbar machte und am Container-Terminal drei<br />

Schiffe in Brand setzte. Andere Angriffe galten Kernwaffenlagern,<br />

Fernmeldeeinrichtungen und Tanklagern. Unsere Männer waren<br />

vorbereitet. Wir mussten zwar Verluste hinnehmen, aber die Speznas-Truppen<br />

wurden in den meisten Fällen aufgerieben.<br />

Die sowjetische Armee griff gestern vor Tagesanbruch an. Positiv<br />

ist, dass unsere Air Force ein tolles Ding drehte. Der neue Stealth­<br />

229


Jagdbomber, von dem man bisher nur gerüchteweise hörte, ist in<br />

Staffelstärke <strong>im</strong> Einsatz und hat dafür gesorgt, dass hinter den<br />

russischen Linien die Hölle los war. Die Air Force behauptet, so<br />

etwas wie Luftüberlegenheit zu haben, was bedeutet, dass der Iwan<br />

einen schweren Rückschlag erlitten hat. Wie auch <strong>im</strong>mer, dem<br />

ersten russischen Angriff fehlte die erwartete Wucht. Die russischen<br />

Verbände dringen vor, hatten aber bis Mitternacht nur fünfzehn<br />

Kilometer zurückgelegt und wurden an zwei Stellen glatt<br />

gestoppt. Noch keine Meldungen über den Einsatz von A- oder C-<br />

Waffen. Meldungen zufolge gab es auf beiden Seiten schwere Verluste,<br />

besonders in Norddeutschland, wo die Sowjets am weitesten<br />

vordrangen. Hamburg ist bedroht. Der Nord-Ostsee-Kanal wurde<br />

von Luftlandetruppen angegriffen und ist streckenweise in russischer<br />

Hand. Auch in der Ostsee viel Aktivität. Die Dänen und die<br />

Bundesmarine behaupten, mit ihren Schnellbooten einen Angriff<br />

von Verbänden der Sowjetunion und der DDR praktisch abgeschlagen<br />

zu haben, doch auch hier herrscht ziemliche Konfusion.«<br />

Toland fuhr mit der Beschreibung der Lage in Norwegen fort.<br />

»Eine direkte Bedrohung stellen U-Boote und Flugzeuge dar. Unter<br />

Wasser war der Iwan ziemlich geschäftig. Meldungen zufolge<br />

sind zweiundzwanzig Frachter versenkt worden. Der schwerste<br />

Fall war die Ocean Star, ein Passagierschiff unter panamesischer<br />

Flagge, das auf dem Rückweg von einer Mittelmeerkreuzfahrt<br />

achthundert Meilen nordwestlich von Gibraltar von einer Rakete<br />

getroffen wurde. Typ unbekannt, kam aber wahrscheinlich von<br />

einem U-Boot der Juliet-Klasse. Sie geriet in Brand, viele Tote und<br />

Verletzte. Zwei spanische Fregatten sind auf der Suche nach Überlebenden.<br />

In der Nähe unseres Kurses werden drei U-Boote gemeldet; ein<br />

Echo, ein Tango, ein Foxtrott. Mit Island ging auch die SOSUS-<br />

Barriere zwischen Grönland, Island und Großbritannien verloren,<br />

was dem Iwan die Zufahrt zum Nordatlantik erleichtert. SA­<br />

CLANT hat U-Boote losgeschickt, um die Lücken zu schließen. Sie<br />

werden sich aber sputen müssen: Zahlreiche sowjetische U-Boote<br />

halten auf die Straße von Dänemark zu.«<br />

»Wie viele U-Boote haben wir versenkt?« fragte Svenson.<br />

»Laut Lajes und Brunswick vier. Die P-3 legten gleich kräftig<br />

los. Bedauerlicherweise wird eine Orion vermißt, und eine andere<br />

wurde von einer U-Boot-gestützten Rakete abgeschossen. Die<br />

230


Hauptbedrohung stellen <strong>im</strong> Augenblick aber Flugzeuge, nicht<br />

U-Boote dar. Morgen könnte das allerdings anders aussehen.»<br />

»Nehmen wir die Tage so, wie sie kommen. Äußern Sie sich zu<br />

Island«, befahl Baker.<br />

»Die Meldungen von gestern waren korrekt. Offenbar wurde<br />

eine Einheit in Reg<strong>im</strong>entstärke von See her gelandet, und der Rest<br />

der Division traf über eine Luftbrücke ein, die um 14 Uhr begann.<br />

Wir müssen davon ausgehen, dass inzwischen alle Truppen an Ort<br />

und Stelle sind.«<br />

»Jäger?« fragte Svenson.<br />

»Keine Meldungen, aber möglich. Island hat vier brauchbare<br />

Flugplätze --<br />

»Falsch, Toland, es sind nur drei«, fuhr Baker barsch dazwischen.<br />

»Mit Verlaub, Sir, es sind vier. Der große Stützpunkt Keflavik<br />

hat fünf Startbahnen, zwei davon über dreitausend Meter lang.<br />

Gebaut wurde die Anlage für unsere Langstreckenbomber B-52.<br />

Der Iwan bekam sie praktisch intakt in die Hand, weil er bei seinem<br />

Angriff die Beschädigung der Startbahn bewußt vermied. Zweitens<br />

gibt es auf Island den Zivilflughafen Reykjavik, längste Startbahn<br />

zweitausend Meter, also für Jäger mehr als ausreichend. Da er von<br />

der Stadt umgeben ist, würde ein Luftangriff Opfer unter der Zivilbevölkerung<br />

bedeuten. Im Norden der Insel befindet sich der befestigte<br />

Landestreifen Akureyri. Be<strong>im</strong> vierten, Admiral, handelt es<br />

sich um den alten Flugplatz Keflavik, drei Meilen südöstlich des<br />

Nato-Stützpunkts, auf der Karte als >außer Betrieb< ausgewiesen.<br />

Von einem Bekannten, der zwei Jahre auf Island diente, hörte ich<br />

aber, dass von dort aus Maschinen wie unsere Transporter C-130<br />

und vielleicht Jäger operieren könnten. Und schließlich verfügt jede<br />

Stadt auf dieser Insel über einen gekiesten Landestreifen für Inlandflüge.<br />

Die MiG-23 und andere russische Kampfflugzeuge, die auch<br />

auf unbefestigten Bahnen landen können, sollten diese benutzen<br />

können.«<br />

»Sie haben aber wirklich nichts als Hiobsbotschaften«, bemerkte<br />

der Befehlshaber der Flieger auf der N<strong>im</strong>itz, CAG genannt. »Wie<br />

sieht es auf dem Stützpunkt mit Treibstoff aus?«<br />

»Das Lager direkt auf dem Stützpunkt wurde zerstört, doch das<br />

Hauptlager blieb so wie der neue Terminal bei Hakotstanger unbeschädigt.<br />

Wir haben den Russen Kerosin für Monate dagelassen.«<br />

231


»Und wie verläßlich sind diese Informationen?» wollte Baker<br />

wissen.<br />

»Es liegt ein Augenzeugenbericht von der Besatzung einer P-3<br />

vor, die sofort nach dem Angriff den Schaden begutachtete. Die<br />

Royal Air Force sandte zwei Aufklärungsflugzeuge. Das erste<br />

machte gute Aufnahmen von Keflavik und Umgebung, das zweite<br />

kehrte nicht zurück.«<br />

Toland nickte. »Die Fotos zeigen Fahrzeuge, die auf die Anwesenheit<br />

einer verstärkten sowjetischen Luftlande-Schützendivision<br />

hinweisen. Der isländische Rundfunk und das Fernsehen senden<br />

nicht mehr. Die Briten melden Kontakte mit Funkamateuren an der<br />

isländischen Küste, aber aus dem Südwesten der Insel kommen<br />

überhaupt keine Nachrichten. Dort lebt der Großteil der Bevölkerung,<br />

und das Gebiet scheint völlig unter sowjetischer Kontrolle zu<br />

sein.«<br />

»Kurz gesagt: Wir haben von den Norwegern keine Luftwarnungen<br />

mehr zu erwarten und auch unseren Vorposten Island verloren.<br />

Gibt es überhaupt etwas Positives?« fragte Svenson.<br />

»Offenbar ja. Wie ich höre, könnte uns eine Einrichtung, die den<br />

Codenamen >Realt<strong>im</strong>e< trägt, möglicherweise vor Luftangriffen<br />

warnen. Wenn starke sowjetische Verbände von Kola starten, sollten<br />

wir das eigentlich erfahren.«<br />

»Und was ist Realt<strong>im</strong>e?« fragte der CAG.<br />

»Das hat man mir nicht verraten.«<br />

»Wahrscheinlich ein U-Boot.« Baker lächelte dünn. »Möge Gott<br />

ihm beistehen, wenn es sendet. Tja, gestern hat der Iwan seine<br />

Bomber auf Island losgelassen. Hat sich jemand gefragt, auf wen er<br />

es heute abgesehen hat?«<br />

»Meiner Einschätzung nach auf uns«, sagte Toland.<br />

»Die Meinung des Fachmanns hört man <strong>im</strong>mer gern«, merkte<br />

der CAG beißend an. »Wir sollten auf Nordkurs gehen und den<br />

Russen eins auf den Deckel geben, aber erst müssen wir mit den<br />

Backfire fertigwerden. Wie stark ist die Bedrohung?«<br />

»Ich gehe davon aus, dass Unterstützung durch Einheiten der<br />

Luftwaffe unterbleibt. Die sowjetischen Marineflieger allein verfügen<br />

über sechs Bomberreg<strong>im</strong>enter, drei mit Backfire, drei mit Badger<br />

ausgerüstet. Ein Reg<strong>im</strong>ent Badger mit Radar-Störanlagen. Ein<br />

Reg<strong>im</strong>ent Aufklärungsflugzeuge vom Typ Bear. Hinzu kommen<br />

Tanker. Ein Reg<strong>im</strong>ent hat siebenundzwanzig Maschinen. Zusam­<br />

232


men ergibt das einhundertsechzig Bomber, die ja zwei oder drei<br />

Luft-Boden-Raketen tragen können.«<br />

»Den Badger wird der Weg hierher und zurück, gut viertausend<br />

Meilen, schwerfallen, selbst wenn sie über Norwegen fliegen. Das<br />

sind müde alte Mühlen«, meinte der CAG. »Wie steht es mit den<br />

russischen Satelliten?«<br />

Toland schaute auf die Armbanduhr. »In zweiundfünfzig Minuten<br />

werden wir von einem RORSAT überflogen. Von dem wurden<br />

wir auch vor zwölf Stunden beobachtet.«<br />

»Hoffentlich bekommt die Air Force ihre ASAT bald auf die<br />

Reihe«, sagte Svenson leise. »Wenn die Russen ihre Daten in Echtzeit<br />

über Satellit bekommen, brauchen wir diese verdammten Bears<br />

überhaupt nicht, sondern können unseren Kurs auch so berechnen.<br />

Und die Flugzeit bis hierher beträgt nur vier Stunden.«<br />

»Wie wäre es mit einer Kursänderung während des Satellitendurchlaufs?«<br />

fragte der CAG.<br />

»Hat nicht viel Sinn«, erwiderte Baker. »Wir sind seit zehn<br />

Stunden auf Ostkurs. Das kann ihnen nicht entgangen sein. Mehr<br />

als zwanzig Knoten schaffen wir nicht, was eine Abweichung von<br />

rund achtzig Meilen bedeutet. Wie schnell legt man die in der Luft<br />

zurück - ?«<br />

Höhe 152, Island<br />

Es war Edwards ein kleiner Trost, dass er das Eintreffen der Kaltfront<br />

korrekt vorhergesagt hatte. Dem kalten, stetigen Regen, der<br />

pünktlich um Mitternacht zu fallen begonnen hatte, waren vereinzelte<br />

Schauer gefolgt. Die graue Wolkendecke wurde von einem<br />

Dreißig-Knoten-Wind auf das gebirgige Landesinnere zugetrieben.<br />

»Wo sind die Jäger?« fragte Edwards. Er suchte Reykjavik Airport<br />

mit dem Fernglas ab, konnte aber die am Vorabend gemeldeten<br />

Kampfflugzeuge nicht entdecken. Auch die Transportflugzeuge<br />

waren alle verschwunden. Er sah einen sowjetischen Hubschrauber<br />

und ein paar Panzer. Auf den Straßen, die er überblicken konnte,<br />

herrschte wenig Verkehr. »Hat jemand die Transporter abfliegen<br />

gesehen?«<br />

»Nein, Sir. Bei dem Wetter letzte Nacht hätte die gesamte russische<br />

Luftwaffe ungesehen an- und wieder abfliegen können.« Auch<br />

233


Sergeant Smith ärgerte sich über das Wetter. «Vielleicht stehen die<br />

Maschinen aber auch in den Hangars.«<br />

Vergangene Nacht um 23 Uhr hatten sie einen Lichtstreifen<br />

wahrgenommen, als wäre eine Rakete abgeschossen worden, doch<br />

das Ziel war hinter Regenschleiern verborgen geblieben. Edwards,<br />

der glaubte, es hätte sich auch um einen Blitz handeln können, hatte<br />

die Beobachtung nicht gemeldet.<br />

»Was ist denn das? Best<strong>im</strong>mt kein Panzer. Garcia, schauen Sie<br />

mal hin - fünfhundert Meter westlich vom Terminal.« Der Lieutenant<br />

reichte Garcia das Fernglas.<br />

»Hm, ein Kettenfahrzeug. Hat so etwas wie ein Geschützrohr ­<br />

nein, das sieht eher nach Raketen aus.«<br />

»Flugabwehrraketen«, kommentierte Smith. »Wetten, dass der<br />

Lichtblitz gestern abend ein Abschuß war?«<br />

»Zeit, dass der E. T. wieder mal anruft.« Edwards baute sein<br />

Funkgerät auf.<br />

»Wie viele Abschußfahrzeuge welchen Typs?« fragte Doghouse.<br />

»Wir sehen nur eins, das vermutlich drei Raketen trägt. Möglicherweise<br />

wurde gestern um 23 Uhr Ortszeit eine abgeschossen.«<br />

»Warum haben Sie das nicht gemeldet?«<br />

»Weil ich nicht wusste, was es war!« Edwards schrie fast. »Verdammt<br />

noch mal, wir melden sonst alles, was wir sehen, aber Sie<br />

glauben uns ohnehin nur die Hälfte!«<br />

»Immer mit der Ruhe, Beagle. Wir glauben Ihnen. Hat sich sonst<br />

noch etwas getan?«<br />

»Im Augenblick kaum Aktivitäten, Doghouse.«<br />

»Verstanden. So, Edwards, bitte antworten Sie nun ganz schnell:<br />

Wie lautet der zweite Vorname Ihres Vaters?«<br />

»Er hat keinen«, gab Edwards zurück. »Was soll -«<br />

»Wie heißt sein Boot?«<br />

»Annie Jay. Verdammt noch mal, was soll das?«<br />

»Was ist mit Ihrer Freundin Sandy passiert?«<br />

Das war ein Dolch <strong>im</strong> Gedärm. »Sie können mich mal!«<br />

»Verstanden«, erwiderte die St<strong>im</strong>me. »Bedaure, Lieutenant, aber<br />

diese Prüfung mussten Sie bestehen. Es liegen keine weiteren Befehle<br />

für Sie vor. Um ganz ehrlich zu sein, hier hat noch niemand entschieden,<br />

was wir mit Ihnen anfangen sollen. Bewahren Sie Ruhe,<br />

meiden Sie Kontakt. Sendeplan unverändert. Wenn man Sie ortet<br />

und zwingt, Funkspiele zu treiben, beginnen Sie jeden Ruf mit<br />

234


unserer Kennung und sagen, es sei alles in bester Ordnung. Verstanden?<br />

Alles in bester Ordnung.«<br />

»Roger. Wenn ich das sage, wissen Sie, dass etwas nicht st<strong>im</strong>mt.<br />

Out.«<br />

Keflavik, Island<br />

Der Major der Luftwaffe stand auf dem zertrümmerten Tower und<br />

war zufrieden, obwohl er seit dreißig Stunden nicht mehr geschlafen<br />

hatte. Keflavik war von den Fallschirmjägern so gut wie intakt<br />

erobert worden. Entscheidend war, dass die Amerikaner alle Gerätschaften<br />

zur Wartung und Instandsetzung in über den Stützpunkt<br />

verteilten Schutzräumen gelagert hatten, und diese waren bei dem<br />

Angriff allesamt unversehrt geblieben. Im Augenblick schoben<br />

sechs Räumfahrzeuge die letzten Trümmer von Startbahn 9. Acht<br />

Tanklastwagen standen gefüllt am Flugplatz, und die Reparatur<br />

der Pipeline sollte bis zum Abend abgeschlossen sein. Dann war<br />

Keflavik ein voll einsatzbereiter sowjetischer Luftstützpunkt.<br />

»Wann treffen unsere Kampfflugzeuge ein?«<br />

»In dreißig Minuten, Genosse Major.«<br />

»Lassen Sie das Radar in Betrieb nehmen.«<br />

Ein Leichter auf der Fucik hatte fast alles Gerät für einen vorgeschobenen<br />

Luftstützpunkt enthalten. Westlich der Kreuzung der<br />

Hauptstartbahnen operierte auf einem Lkw ein Fernradar, und von<br />

einem daneben stehenden Kastenwagen aus konnten Controller<br />

elektronische Gegenmaßnahmen gegen anfliegende Ziele ergreifen.<br />

Auf dem Stützpunkt standen drei geschlossene Lkws mit Ersatzteilen<br />

und Luftkampfraketen, am Vortag waren dreihundert Mann<br />

Wartungspersonal eingeflogen worden. Eine komplette Batterie<br />

SAM-11-Raketen schützte die Start- und Landebahnen, ergänzt<br />

durch acht Flakpanzer und einen Zug Soldaten mit tragbaren SAM­<br />

7 gegen tief anfliegende Angreifer. Der Ersatz für die salzwassergeschädigten<br />

Flugkörper war vor wenigen Stunden eingetroffen. Jeder<br />

Nato-Maschine, die über Island auftauchte, stand eine unangenehme<br />

Überraschung bevor, wie in der vergangenen Nacht der Pilot<br />

eines Jaguars der RAF hatte feststellen müssen: Er war vom H<strong>im</strong>mel<br />

geholt worden, ehe er reagieren konnte.<br />

»Startbahn Neun ist klar«, meldete der Funker.<br />

235


»Gut. Jetzt kommt Achtzehn an die Reihe. Bis heute nachmittag<br />

muss jede Bahn einsatzfähig sein.«<br />

Höhe 152, Island<br />

»Was ist das?« Zur Abwechslung war es Edwards, der das Objekt<br />

als erster entdeckte. Die breiten, silbernen Tragflächen eines Badger-Bombers<br />

tauchten zwischen tiefziehenden Wolkenfetzen auf<br />

und verschwanden wieder. Dann kam ein kleineres Flugzeug in<br />

Sicht und wurde wieder von den Wolken verschluckt.<br />

»War das ein Kampfflugzeug?«<br />

»Ich habe nichts gesehen, Sir.« Garcia hatte in die falsche Richtung<br />

geschaut. Über ihnen erklang das typische Geräusch eines mit<br />

geringer Leistung laufenden Turbojets.<br />

Edwards bediente sein Funkgerät inzwischen wie <strong>im</strong> Schlaf.<br />

»Doghouse, hier Beagle. Es sieht mies aus. Verstanden?«<br />

»Roger, Beagle. Was haben Sie zu melden?«<br />

»Überflüge in Richtung Westen, wahrscheinlich nach Keflavik.<br />

Warten Sie.«<br />

»Ich kann sie hören, aber nicht sehen.« Garcia reichte ihm das<br />

Fernglas.<br />

»Ich sah eine zwe<strong>im</strong>otorige Maschine, wahrscheinlich ein Bomber,<br />

und eine kleinere Maschine, die einem Kampfflugzeug ähnelte.<br />

Triebwerkgeräusche über der Wolkendecke. Keine weiteren Beobachtungen.«<br />

»In Richtung Keflavik, sagten Sie?«<br />

»Richtig. Der Bomber war auf Westkurs und <strong>im</strong> Landeanflug.«<br />

»Können Sie nach Keflavik marschieren und sehen, was sich dort<br />

tut?«<br />

Edwards war sprachlos. Konnte dieser Idiot denn keine Karten<br />

lesen?<br />

»Negativ. Wiederhole: negativ, ausgeschlossen. Over.«<br />

»Verstanden, Beagle. Tut mir leid, aber die Anweisung kam von<br />

oben. Melden Sie sich wieder, wenn Sie bessere Übersicht haben.<br />

Ihr leistet gute Arbeit, Jungs. Haltet die Ohren steif. Out.«<br />

»Die wollten wissen, ob wir mal kurz rüber nach Keflavik latschen<br />

könnten«, verkündete Edwards und setzte den Kopfhörer ab.<br />

»Kommt nicht in Frage, hab ich gesagt.«<br />

236


»Da bin ich aber erleichtert, Sir«, meinte Smith und dachte: Zum<br />

Glück ist dieser Luftwaffentyp kein Vollidiot.<br />

Keflavik, Island<br />

Eine Minute später landete die erste MiG-29 Fulcrum, rollte aus<br />

und hielt vor dem Tower an, wo sie von dem Major empfangen<br />

wurde.<br />

"Willkommen in Keflavik!«<br />

»Großartig. Wo ist die nächste Toilette?« antwortete der Oberst.<br />

Der Major ließ ihn in einen der siebzig von den Amerikanern<br />

zurückgelassenen Jeeps steigen und fuhr zum Tower. Dort waren<br />

die amerikansichen Funkgeräte zerstört worden, die sanitären Anlagen<br />

aber unbeschädigt geblieben.<br />

»Wie viele Maschinen?»<br />

»Sechs«, erwiderte der Oberst. »Eine wurde vor Hammerfest<br />

von einem norwegischen F-16 abgeschossen, eine zweite drehte mit<br />

Triebwerkschaden ab, eine dritte musste in Akureyri landen.«<br />

Sie hatten die Tür erreicht. «Zweite Tür rechts.«<br />

»Danke, Genosse Major!« Der Oberst war drei Minuten später<br />

zurück.<br />

»Trinken Sie einen Kaffee. Der Vormieter war sehr großzügig.«<br />

Der Major schraubte eine amerikanische Thermosflasche auf. Der<br />

Oberst genoß den Kaffee und sah zu, wie seine Kampfflugzeuge<br />

landeten. »Wir haben Luftkampfraketen für Sie und können alle<br />

Maschinen auftanken. Wann sind Sie wieder startbereit?«<br />

»Ich möchte meinen Männern mindestens zwei Stunden zum<br />

Essen und Ausruhen gönnen. Außerdem müssen die Maschinen<br />

nach der Treibstoffaufnahme verteilt werden. Sind Sie bereits angegriffen<br />

worden?«<br />

»Bisher erschienen nur zwei Aufklärer, von denen haben wir<br />

einen abgeschossen. Wenn wir Glück haben -«<br />

»Glück ist etwas für Narren. Die Amerikaner schlagen noch<br />

heute zu. Das würde ich an ihrer Stelle jedenfalls tun.«<br />

237


USS N<strong>im</strong>itz<br />

»Wir haben eine neue Nachrichtenquelle auf Island, Codename<br />

Beagle«, meldete Toland. Sie befanden sich nun in der Gefechtszentrale<br />

des Trägers. »Sie meldete, gestern Nacht seien über achtzig<br />

Transportflugzeuge in Reykjavik gelandet, begleitet von mindestens<br />

sechs Jägern. Das langt für eine Division. Doghouse in Schottland<br />

berichtet, es lägen bislang unbestätigte Meldungen über gerade<br />

landende sowjetische Kampfflugzeuge vor.«<br />

»Muss ein Langstreckentyp sein, Foxhound oder Fulcrum«,<br />

meinte der CAG. »Sofern sie die entbehren konnten. Nun, wir<br />

haben ja vorerst nicht vor, Keflavik einen Besuch abzustatten. Der<br />

Einsatz dieser Maschinen zum Schutz von Bomberverbänden<br />

könnte aber ein Problem werden.«<br />

»Bekommen wir E-3-Unterstützung aus Großbritannien?«<br />

fragte Baker Svenson.<br />

»Vermutlich nicht.«<br />

»Toland, wann rechnen Sie mit dem Eintreffen unserer<br />

Freunde?«<br />

»Der RORSAT überfliegt uns in zwanzig Minuten. Dessen Daten<br />

werden sie abwarten, ehe sie starten. Wenn die Backfire unterwegs<br />

in der Luft betankt werden und mit Höchstgeschwindigkeit fliegen,<br />

müssen wir in zwei Stunden mit ihnen rechnen. Das wäre der<br />

schl<strong>im</strong>mste Fall. Wahrscheinlich ist, dass sie erst in vier bis fünf<br />

Stunden auftauchen.«<br />

»CAG, was haben Sie zu melden?«<br />

Der Kommandant der Flieger sah angespannt aus. »Jeder Träger<br />

hat ein Radarflugzeug vom Typ Hummer in der Luft, jeweils begleitet<br />

von zwei F-14 Tomcat. Zwei weitere Tomcat stehen startbereit<br />

auf den Katapulten. Fünfzehn Kampfflugzeuge stehen bewaffnet<br />

und betankt auf dem Flugdeck. Die Besatzungen haben ihre Einsatzbefehle<br />

erhalten. Ein Prowler kreist über dem Verband. Die A-<br />

Sieben haben zusätzliche Treibstofftanks montiert und können die<br />

Jäger in der Luft betanken. Wir sind bereit. Die Maschinen der Foch<br />

können ebenfalls binnen fünfzehn Minuten in der Luft sein - Crusader;<br />

gute Vögel, geringe Reichweite. Wenn es soweit ist, können<br />

sie unseren Maschinen von oben Beistand leisten.«<br />

238


Kirowsk, UdSSR<br />

Der Radar-Seeaufklärungssatellit RORSAT überflog die Formation<br />

um 3 Uhr 10, erfaßte die Schiffe mit Radar und stellte seine<br />

Kamera auf ihr Kielwasser ein. Fünf Minuten später waren die<br />

Daten in Moskau. Fünfzehn Minuten darauf erhielten auf vier<br />

Luftstützpunkten um die Stadt Kirowsk auf der Halbinsel Kola die<br />

Flugzeugbesatzungen ihre letzten Instruktionen.<br />

Zuerst hoben die Badger ab. Die Bomber waren so schwer beladen,<br />

dass sie nur mühsam an Höhe gewannen. Nördlich von Murmansk<br />

formierten sie sich in der Luft, wandten sich dann nach<br />

Westen, umflogen das Nordkap und hielten nach einer weiteren<br />

Linkskurve auf den Nordatlantik zu.<br />

Zwanzig Meilen vor der Küste Nordrußlands schwebte USS<br />

Narwhal unter der schiefergrauen Meeresoberfläche. Das leiseste<br />

U-Boot der US-Flotte war vorwiegend für die Erkundung der Feindlage<br />

best<strong>im</strong>mt und hielt sich länger vor der russischen Küste auf als<br />

manche Schiffe der sowjetischen Marine. Seine drei dünnen ESM-<br />

Antennen waren ausgefahren, ebenso das Suchsehrohr. Techniker<br />

hörten den Sprechfunkverkehr zwischen den Bombern ab. Drei<br />

Nachrichtendienst-Spezialisten und ein Mann von der Nationalen<br />

Sicherheitsbehörde evaluierten die Stärke der Angriffsverbände<br />

und kamen zu dem Schluß, dass das Risiko einer Warnung über<br />

Funk gerechtfertigt war. Ein weiterer Mast wurde ausgefahren,<br />

eine Antenne auf einen vierundzwanzigtausend Meilen entfernten<br />

Satelliten gerichtet. Die Übertragung dauerte weniger als eine Fünfzehntelsekunde.<br />

USS N<strong>im</strong>itz<br />

Die Nachricht ging au<strong>tom</strong>atisch an vier verschiedene Fernmeldestationen<br />

weiter und innerhalb von dreißig Sekunden <strong>im</strong> SA-<br />

CLANT-Hauptquartier ein. Fünf Minuten später hielt Toland das<br />

gelbe Formular in der Hand. Er begab sich sofort zu Admiral Baker<br />

und reichte ihm den Spruch: 0418Z REALTIME MELDET START<br />

BOMBERVERBAND 0400 MIT WESTKURS VON KOLA UND STÄRKE<br />

ÜBER FÜNF REG.<br />

Baker schaute auf die Uhr. »Rasche Arbeit. CAG?«<br />

239


Der Kommandant der Flieger schaute auf das gelbe Blatt und<br />

ging ans Telefon. »Schießen Sie die beiden Plus-Fünf los, rufen Sie<br />

die Patrouillen zurück, bringen Sie noch zwei Tomcat und einen<br />

Hummer Plus-Fünf. Zurückkehrende Maschinen müssen sofort<br />

wieder startbereit gemacht werden. Reservieren Sie einen Startkatapult<br />

für Tanker.« Er kam zurück. »Mit Ihrer Erlaubnis, Sir,<br />

möchte ich in einer Stunde noch ein Paar F-I4 und einen Hummer<br />

aufsteigen und alle Jäger Plus-Fünf setzen lassen. Um 0600 Uhr<br />

starten alle Jäger, zusammen mit Tankflugzeugen. Wir werfen<br />

ihnen rund zweihundert Meilen vor dem Verband alles entgegen,<br />

was wir haben, und schlagen sie.«<br />

»Gut. Irgendwelche Kommentare?«<br />

Stevenson schaute nachdenklich auf den Plott, wo schon Kreise<br />

eingezeichnet wurden, die das weitestmögliche Vordringen der sowjetischen<br />

Bomber markierten.<br />

»Haben die Briten die Warnung ebenfalls erhalten?«<br />

»Jawohl, Sir«, antwortete Toland. »Und die Norweger ebenfalls.<br />

Mit einem bißchen Glück können die einen oder anderen den<br />

Feindverband ein bißchen anknabbern oder sich an ihn hängen.«<br />

»Hübsche Idee, aber verlassen Sie sich nicht darauf. Wenn ich<br />

diesen Angriff leitete, würde ich einen weiten Bogen nach Westen<br />

schlagen, nach Süden abdrehen und direkt über Island anfliegen.«<br />

Svenson sah noch einmal auf die Skizzen.<br />

»Glauben Sie, dass Realt<strong>im</strong>e eine Warnung vor Bear-D gefunkt<br />

hätte?«<br />

»Meinen Informationen nach darf Realt<strong>im</strong>e die Funkstille nur<br />

brechen, wenn es um mehr als drei Reg<strong>im</strong>enter geht. Zehn oder<br />

zwanzig Bear reichen da nicht aus.«<br />

Toland nickte zust<strong>im</strong>mend. Der Kampfverband war ein Kreis<br />

von Schiffen, dessen Radius dreißig Meilen betrug. In der Mitte<br />

fuhren die Träger und Truppentransporter, umgeben von neun mit<br />

Raketen bewaffneten Eskorten und sechs auf die U-Boot-Bekämpfung<br />

spezialisierten Schiffen. Auf allen Wasserfahrzeugen herrschte<br />

Radarsendeverbot. Alle elektronischen Informationen gingen von<br />

zwei kreisenden Luftüberwachungsflugzeugen E-2C Hummer aus,<br />

deren Erfassungsbereich einen Halbmesser von vierhundert Meilen<br />

hatte.<br />

Das Drama, das sich nun zu entfalten begann, war komplexer als<br />

das raffinierteste Brettspiel. Über ein Dutzend variabler Faktoren<br />

240


konnten aufeinander einwirken; die Permutationen gingen in die<br />

Tausende. Der Radarerfassungsbereich hing von der Höhe und<br />

folglich von der Entfernung zum Horizont ab, hinter den weder das<br />

Auge noch Radar reichte. Ein Flugzeug konnte sich der Erfassung<br />

entziehen oder sie zumindest hinauszögern, indem es knapp über<br />

den Wellenkämmen flog, doch diese Methode kostete viel Zeit und<br />

Treibstoff.<br />

Der Feind musste den Trägerverband ausmachen, ohne selbst vorher<br />

erfaßt zu werden. Die Russen wussten zwar, wo sich die Trägergruppe<br />

befand, doch diese konnte <strong>im</strong> Lauf der vierstündigen Anflugzeit<br />

die Position gewechselt haben. Ihre Raketen brauchten präzise<br />

Informationen, wenn sie die Pr<strong>im</strong>ärziele des Angriffs, die beiden<br />

amerikanischen und den französischen Träger, treffen wollten.<br />

Um die Jäger des Trägerverbandes auf Gefechtsstation zu bringen,<br />

mussten Kurs und Geschwindigkeit der anfliegenden Bomberschwärme<br />

einigermaßen genau eingeschätzt werden. Auftrag der<br />

Jäger: die Bomber zu sichten und anzugreifen, ehe sie die Flugzeugträger<br />

finden konnten.<br />

Senden oder Nichtsenden, das war für beide Seiten die entscheidende<br />

Frage. Beide Optionen hatten ihre Vor- und Nachteile; eine<br />

»opt<strong>im</strong>ale« Lösung gab es nicht. Fast jedes amerikanisches Schiff<br />

hatte leistungsfähige Radar-Rundsuchgeräte an Bord, die den Bomberverband<br />

schon in zweihundert Meilen Entfernung zu orten in<br />

der Lage waren. Doch diese Signale konnten aus noch größerer<br />

Entfernung erfaßt werden, was den Sowjets unter Umständen die<br />

Möglichkeit gab, den Trägerverband zu umzingeln und dann aus<br />

allen H<strong>im</strong>melsrichtungen anzugreifen.<br />

Nordatlantik<br />

Die sowjetischen Aufklärer Bear-D, zehn insgesamt, zogen südlich<br />

von Island dahin und deckten eine Front von tausend Meilen ab.<br />

Die gewaltigen Propellerflugzeuge waren vollgestopft mit Elektronik<br />

und bemannt mit Spezialisten, die seit Jahren das Aufspüren<br />

amerikanischer Trägerverbände geübt hatten. An Bug, Schwanz<br />

und Flügelspitzen suchten empfindliche Antennen bereits nach den<br />

Signalen amerikanischer Radarsender. Sollten sie eines empfangen,<br />

würden sie heranfliegen, sorgfältig die Position best<strong>im</strong>men, aber<br />

241


außerhalb des geschätzten Erfassungsradius bleiben. Ihre größte<br />

Furcht war, dass die Amerikaner entweder überhaupt kein Radar<br />

einsetzten oder ihre Sender wahllos in unterschiedlichen Zeitabständen<br />

und Positionen ein- und ausschalteten, so dass die Gefahr<br />

bestand, dass die Bear plötzlich und ohne Warnung bewaffneten<br />

Schiffen und Flugzeugen in die Quere kamen. Der Bomber konnte<br />

zwar zwanzig Stunden lang in der Luft bleiben, doch der Preis dafür<br />

war fast völlige Wehrlosigkeit. Er flog zu langsam, um einem<br />

Abfangjäger zu entkommen, und war auch nicht in der Lage, sich<br />

zum Kampf zu stellen. »Wir haben den feindlichen Schlachtverband<br />

ausgemacht«, ging der bittere Witz der Besatzungen: »Doswidanja,<br />

Rodina! Lebwohl, Vaterland!«<br />

Achthundert Meilen nördlich von Island gingen die Badger auf<br />

Kurs eins-acht-null und flogen mit 500 Knoten nach Süden. Den<br />

noch <strong>im</strong>mer gefährlichen Norwegern waren sie ausgewichen; und<br />

sie hofften, dass der Arm der Briten nicht so weit reichte. Dennoch<br />

schauten die Besatzungen <strong>im</strong>mer wieder nervös aus den Fenstern;<br />

die konstant überwachten Sensoren arbeiteten. Mit einem Jagdbomberangriff<br />

auf Island musste jeden Augenblick gerechnet werden;<br />

die Bomberbesatzungen wussten, dass jeder Nato-Pilot sich<br />

seiner Bomben sofort <strong>im</strong> Notwurf entledigen würde, um die<br />

Chance, ein so hilfloses Ziel wie den zwanzig Jahre alten Badger<br />

anzugreifen, nicht zu verpassen. Die Badger waren am Ende ihrer<br />

Lebensdauer angelangt, ihre Tragflächen wiesen Risse auf, die<br />

Turbinenschaufeln in den Triebwerken waren abgenutzt, verminderten<br />

die Leistung und erhöhten den Treibstoffverbrauch.<br />

Zweihundert Meilen hinter ihnen war die Luftbetankung der<br />

Backfire-Bomber abgeschlossen. Die Tu-22M wandten sich nach<br />

Süden, leicht westlich gegen den Kurs der Badger versetzt. Die<br />

Backfire, die unter den Tragflächen je eine AS-6 Kingfish-Rakete<br />

trugen, waren zwar ebenfalls verwundbar, hatten aber dank hoher<br />

Geschwindigkeit auch gegen Jäger eine gute Überlebenschance.<br />

Ihre Crews waren die Elite der sowjetischen Marineflieger.<br />

USS N<strong>im</strong>itz<br />

Toland ging hinaus, um frische Luft zu schnappen. Es war ein<br />

schöner Morgen; der Sonnenuntergang ließ Wolken wie Wattebäu­<br />

242


sche kurz rosa aufleuchten. Am Horizont waren Saratoga und Foch<br />

sichtbar und wirkten selbst über diese Distanz beeindruckend.<br />

Dichterauf durchschnitt die Ticonderoga die anderthalb Meter<br />

hohen Seen; weiß leuchteten die Flugabwehrraketen auf ihren<br />

Zwillingsstartern. Einige Signallampen tauschten Sprüche. Abgesehen<br />

davon waren die Schiffe graue, stumme, wartende Schemen.<br />

Auf dem Deck der N<strong>im</strong>itz standen dicht an dicht die Maschinen,<br />

F-14 Tomcat-Abfangjäger. Zwei befanden sich bereits auf dem<br />

Doppelstartkatapult mittschiffs; die Besatzungen dösten. Die<br />

Kampfflugzeuge trugen Phoenix-Raketen großer Reichweite. Den<br />

A-7 waren unter den Tragflächen keine Waffen, sondern Treibstofftanks<br />

montiert worden, aus denen sie die Jäger in der Luft<br />

betanken konnten. Deckpersonal huschte herum, überprüfte die<br />

Maschinen. Der Träger begann nach Backbord abzudrehen, ging<br />

mit dem Bug zur Startvorbereitung in den westlichen Wind. Toland<br />

schaute auf die Uhr. 0558. Zeit, sich zurück in die Gefechtszentrale<br />

zu begeben. In zwei Minuten sollte auf dem Träger Generalalarm<br />

ausgelöst werden. Er sog noch einmal frische Seeluft ein und fragte<br />

sich, ob er das wohl zum letzten Mal tat.<br />

Nordatlantik<br />

»Kontakt!« rief der Techniker über die Bordsprechanlage des Bear.<br />

»Signale weisen auf einen amerikanischen fliegenden Radarsender<br />

hin, trägergestützt.«<br />

»Geben Sie mir eine Richtung!« befahl der Pilot.<br />

»Geduld, Genosse Major.« Der Techniker nahm eine Feineinstellung<br />

vor. Seine Funk-Interferometer maßen die Zeitabstände<br />

der über die Antennen eingehenden Signale. »Südosten in eins-dreieins.<br />

Signalstärke Eins. Ziemlich weit entfernt. Richtung bislang<br />

unverändert. Ich empfehle, unseren Kurs fürs erste beizubehalten.«<br />

Pilot und Kopilot tauschten stumm einen Blick. Irgendwo links<br />

von ihnen befand sich eine amerikanische Radarmaschine E-2C<br />

Hawkeye mit einer fünfköpfigen Besatzung: zwei Piloten, einem<br />

Radaroffizier und zwei Operatoren. Dieses Flugzeug konnte in<br />

einer Luftschlacht über hundert feindliche Maschinen lenken, einen<br />

mit Raketen bewaffneten Abfangjäger Sekunden nach der Ortung<br />

auf sie loslassen. Wir korrekt sind meine Informationen über das<br />

243


Hawkeye-Radar? fragte sich der Pilot. War sein Bear bereits erfaßt<br />

worden? Die Antwort kannte er. Seine erste Warnung würde das<br />

Feuerleitradar eines angreifenden amerikanischen F-14 Tomcat<br />

sein. Der Bear hielt Kurs eins-acht-null, der Navigator begann, den<br />

Ausgangspunkt des Radarsignals zu berechnen. In zehn Minuten<br />

konnten sie eine akkurate Positionsbest<strong>im</strong>mung haben - sofern sie<br />

so lange überlebten. Und bis dahin wahrten sie Funkstille.<br />

»Ich hab ihn!« meldete der Navigator. »Geschätzte Entfernung<br />

des Kontakts sechshundertfünzig Kilometer, Position 47 Grad<br />

neun Minuten Nord, 34 Grad 50 Minuten West.«<br />

»Weitergeben«, befahl der Pilot. Im Seitenruder des Bear drehte<br />

sich eine HF-Richtantenne in ihrem Gehäuse und sendete die Information<br />

an den Kommandeur des Angriffsverbandes, dessen Bear<br />

hundert Meilen hinter den Aufklärern lag.<br />

Der Kommandeur verglich diese Daten mit den von RORSAT<br />

gelieferten. Vor drei Stunden hatten sich die Amerikaner sechzig<br />

Meilen südlich der geschätzten Position der Hawkeye befunden.<br />

Vermutlich hatten die Amerikaner zwei in der Luft, nordöstlich<br />

und nordwestlich der Formation. Der Trägerverband musste sich<br />

also - hier befinden. Die Badger hielten genau auf ihn zu und<br />

mussten in zwei Stunden in den Radarerfassungsbereich der Amerikaner<br />

eindringen. Es lief alles genau nach Plan.<br />

USS N<strong>im</strong>itz<br />

Toland betrachtete das Display schweigend. Das Radarbild wurde<br />

von den Hawkeye über eine digitale Funkverbindung zum Träger<br />

übertragen und ermöglichte es dem Befehlshaber des Schlachtverbandes,<br />

alles mitzuverfolgen. Die gleichen Daten gingen an die<br />

Ticonderoga und alle anderen mit dem taktischen Datensystem<br />

ausgerüsteten Schiffe, einschließlich der französischen Einheiten,<br />

die schon vor langer Zeit für eine enge Zusammenarbeit mit der<br />

amerikanischen Marine umgerüstet worden waren. Bisher waren<br />

nur amerikanische Militär- und Zivilflugzeuge zu sehen, die Truppen<br />

und Material nach Europa und Zivilisten zurück in die Staaten<br />

brachten. Diese begannen nun, nach Süden abzudrehen. Die Piloten<br />

der DC-1o und C-5A waren vor einer möglichen Luftschlacht<br />

gewarnt worden und setzten sich vorsorglich ab.<br />

244


Die achtundvierzig Tomcat-Abfangjäger des Verbandes waren<br />

nun fast alle über 300 Meilen auseinandergezogen auf Station.<br />

Jedem der paarweise operierenden Tomcat war ein Tanker zugeordnet.<br />

Die Corsair und Intruder, eigentlich Erdkampfflugzeuge,<br />

trugen überd<strong>im</strong>ensionierte Treibstoffbehälter mit Fangtrichtern an<br />

Schläuchen und hatten schon mit dem Auffüllen der Tomcat begonnen.<br />

Bald kehrten die Corsair zu ihren Trägern zurück, um nachzutanken.<br />

Falls es zu einem Angriff kam, sollten sie sofort von den<br />

Katapulten gestartet werden, um die Feuergefahr, die jedes Flugzeug<br />

darstellte, zu el<strong>im</strong>inieren.<br />

Toland sah dies alles nicht zum ersten Mal, war aber trotzdem<br />

fasziniert. Alles ging so glatt wie be<strong>im</strong> Ballett.<br />

Nordatlantik<br />

Der Kommandeur der Bombergeschwader sammelte rasch Daten<br />

an. Inzwischen waren die Positionen von vier amerikanischen<br />

Hawkeye best<strong>im</strong>mt worden; die Amerikaner hatten ihm unfreiwillig<br />

ein ziemlich genaues Bild vom Standort der Schlachtgruppe<br />

vermittelt. Seine Bear flogen nun einen weiten Halbkreis um die<br />

Amerikaner, und die Badger befanden sich noch dreißig Minuten<br />

Flugzeit vom amerikanischen Radarerfassungsbereich, vierhundert<br />

Meilen von der geschätzten Position der Schiffe entfernt.<br />

»Spruch an Gruppe A: >Feindformation Gitterkoordinaten 456/<br />

810, Geschwindigkeit 20, Kurs eins-null-null. Angriffsplan B um<br />

0615 Zulu-Zeit ausführen.« Gleichlautender Spruch an Gruppe B.<br />

Taktische Kontrolle über Gruppe B geht an den Koordinator Team<br />

Ost über.«<br />

Die Schlacht hatte begonnen.<br />

Die Badger-Crews tauschten erleichterte Blicke. Sie hatten vor<br />

fünfzehn Minuten amerikanische Radarsignale erfaßt und wussten,<br />

dass jeder Kilometer weiter südlich ihre Chance, in einen Schwärm<br />

feindlicher Jäger zu geraten, vergrößerte. In jeder Maschine gaben<br />

Bombenschütze und Navigator den unter den Tragflächen montierten<br />

Kelt-Raketen Angriffsdaten ein.<br />

Achthundert Meilen weiter südwestlich erhöhten die Besatzungen<br />

der Backfire leicht die Triebwerksleistung und legten einen<br />

Kurs auf den vom Kommandeur mitgeteilten Bezugspunkt fest.<br />

245


Nachdem sie den amerikanischen Verband in weitem Bogen umflogen<br />

hatten, standen sie nun unter dem Befehl eines Offiziers an Bord<br />

der ersten Bear, der die Hawkeye mit elektronischen Mitteln erfaßte.<br />

Es lag nun zwar eine verläßliche Position der Nato-Formation<br />

vor, aber sie brauchten genauere Daten, um die Flugzeugträger<br />

orten und angreifen zu können. Erleichtert waren die Besatzungen<br />

nicht, eher erregt. Nun stand ihnen die echte Herausforderung<br />

bevor, der vor einem Jahr formulierte Schlachtplan, der ausschließlich<br />

über Land fünfmal geprobt worden war. Vier Versuche waren<br />

erfolgreich verlaufen.<br />

In achtzig Badger-Bombern schauten die Piloten auf die Uhren<br />

und zählten die Sekunden bis 0614 Zulu-Zeit.<br />

»Feuer!«<br />

Der erste Badger schoß acht Sekunden zu früh ab. Nacheinander<br />

lösten sich die flugzeugförmigen Kelt von ihrer Halterung und<br />

blieben mehrere hundert Fuß <strong>im</strong> freien Fall, bis ihre Turbojet-<br />

Triebwerke ihre volle Leistung erreicht hatten. Auf Autopilot geschaltet,<br />

stiegen die Kelt zurück auf eine Höhe von dreißigtausend<br />

Fuß und flogen mit sechshundert Knoten nach Süden. Die Bomberbesatzungen<br />

sahen ihren Vögeln noch eine Minute lang nach, drehten<br />

dann langsam und elegant ab und flogen in Richtung He<strong>im</strong>at.<br />

Ihr Auftrag war erfüllt. Sechs Badger-J mit starken Störsendern an<br />

Bord flogen sechzig Kilometer hinter den Kelt weiter nach Süden.<br />

Ihre Besatzungen waren nervös, aber zuversichtlich. Amerikanischem<br />

Radar würde das »Durchbrennen« ihrer Störsignale nicht<br />

leichtfallen, und außerdem bekamen die Amerikaner bald genug<br />

Ziele, um die sie sich zu kümmern hatten.<br />

Die Kelts flogen schnurstracks weiter. Sie hatten elektronische<br />

Geräte an Bord, die von einem Sensor <strong>im</strong> Seitenruder au<strong>tom</strong>atisch<br />

in Betrieb gesetzt wurden. Als sie in den theoretischen Radar-<br />

Erfassungsbereich der Hawkeye einflogen, wurden Antwortsender<br />

in ihren Nasen aktiv.<br />

USS N<strong>im</strong>itz<br />

»Radarkontakte! Designiert Überfall r, Richtung drei-vier-neun,<br />

Distanz vier-sechs-null Meilen. Zahlreiche Kontakte, Zählung<br />

eins-vier-null Kontakte, Kurs eins-sieben-fünf, Geschwindigkeit<br />

sechshundert Knoten.«<br />

246


Auf dem Hauptplott wurden die Kontakte elektronisch aufgezeichnet,<br />

zwei Plexiglasscheiben zeigten ein weiteres Bild.<br />

»Aha, da kommen sie«, sagte Baker leise. »Pünktlich wie die Uhr.<br />

Kommentare?«<br />

»Ich -« Mehr brachte Toland nicht heraus.<br />

Das Computer-Display wurde weiß.<br />

»Clipper Base, hier Hawk 3. Wir empfangen Störsignale von sechs,<br />

möglicherweise sieben fliegenden Störsendern, Richtung drei-viernull<br />

bis null-drei-null. Störer vermutlich auf Distanz, nicht als<br />

Geleitschutz. Kontakte vorübergehend verloren. Rechnen mit<br />

Durchbrand in zehn Minuten. Erbitte Waffen und Abfangjäger frei.«<br />

Baker schaute hinüber zu seinem Luftoperationsoffizier. »Dann<br />

mal los.«<br />

Der Mann nickte und griff nach einem Mikrophon. »Hawk 3,<br />

hier Clipper-Base. Waffen frei. Ich wiederhole: Waffen frei. Schießt<br />

mir ein paar Bomber ab. Out.«<br />

Svenson sah sich stirnrunzelnd das Display an. »Admiral, unsere<br />

Decks sind praktisch klar. Ich empfehle, den Verband zusammenzuhalten.«<br />

Zur Antwort bekam er ein Nicken. »Clipper Flotte, hier<br />

Clipper Base. Lassen Sie alle verbliebenen Flugzeuge starten.«<br />

Auf einen einzigen Befehl hin machte der gesamte Verband eine<br />

Wendung um hundertachtzig Grad nach links. Feuerleitradaranlagen<br />

wurden nach Norden gerichtet, aber nur in Bereitschaft gehalten.<br />

Dreißig Kommandanten warteten auf den Befehl, sie zu aktivieren.<br />

Nordatlantik<br />

Sie war sauer. Klar, dachte sie, gut genug bin ich schon. Fluglehrerin<br />

auf dem Eagle, Testpilotin, graduierte Ingenieurin, Projektassistentin<br />

be<strong>im</strong> ASAT-Programm - sogar zur Astronautin würde ich<br />

taugen-, aber läßt man mich Kampfeinsätze fliegen? Pustekuchen.<br />

Es ist Krieg, und ich muss Kisten über den Atlantik kutschieren!<br />

»Scheiße.« Sie hieß Amy Nakamura, war Majorin der US Air<br />

Force und hatte dreitausend Jet-Flugstunden hinter sich, zwei Drittel<br />

davon in F-15- Sie war klein und untersetzt, und als eine Schönheit<br />

hatte nur ihr Vater sie einmal bezeichnet. Außerdem nannte er<br />

sie Bunny, sein kleines Kaninchen. Als ihre Kollegen diesen Kosena­<br />

247


men erfuhren, verkürzten sie ihn zu Buns. Zusammen mit drei<br />

Männern flog sie brandneue Eagle nach Deutschland, wo sie von<br />

anderen Piloten - Männern! - richtig eingesetzt werden sollten. Die<br />

Maschinen trugen Zusatztanks, um die Strecke ohne Zwischenlandung<br />

zurücklegen zu können, und waren zur Selbstverteidigung mit<br />

je einer Sidewinder-Luftkampfrakete und der üblichen Ladung 2omm-Patronen<br />

für die Bordkanone ausgerüstet.<br />

»He, Buns, checken Sie mal an 3 Uhr!« rief ihr Flügelmann.<br />

Nakamura hatte phänomenal gute Augen, wollte aber nicht<br />

glauben, was sie sah. »Butch, das sind TU-16 Badger! Wo bleibt die<br />

Navy?«<br />

»Ganz in der Nähe. Setzen Sie einen Funkspruch ab.«<br />

»Navy-Verband, Navy-Verband, hier Air Force Überführungsflug<br />

Golf-4-9. Wir sind mit vier Foxtrott-1-5 auf Ostkurs und<br />

haben eine russische Bomberformation in Sicht. Position - Mist,<br />

hören Sie mich? Over.«<br />

»Wer ist denn das?« fragte ein Besatzungsmitglied der Hawkeye<br />

laut.<br />

Der Fernmeldetechniker antwortete: »Golf-4-9, wir brauchen<br />

Autorisation. November 4 Whiskey.« Immerhin konnte das ein<br />

Russe sein, der Radiospiele trieb.<br />

Major Nakamura fluchte leise vor sich hin und fuhr mit dem<br />

Zeigefinger an den Kolonnen der Kommunikations-Codes entlang.<br />

Da! »Alpha 6 Hotel.«<br />

»Golf-4-9, hier Navy Hawk-1, geben Sie Ihre Position durch.<br />

Warnung: Wir greifen diese Badger an. Setzen Sie sich lieber ab.<br />

Bitte bestätigen.«<br />

»Von wegen! Navy, ich sehe drei oder mehr Badger auf Nordkurs,<br />

Position neunundvierzig Nord, dreiunddreißig Ost.«<br />

»Auf Nordkurs?« fragte der Offizier in dem AWACS. »Golf, hier<br />

Hawk-1. Bestätigen Sie Ihre Beobachtungen.«<br />

»Hawk-1, hier Golf, es kommen nun von Süden her ein Dutzend<br />

Badger - ich wiederhole: Tango-Uniform-6 Bomber - auf mich zu.<br />

Wir greifen an. Out.«<br />

Major Amelia »Buns« Nakamura langte nach unten, um ihre<br />

Luftkampfrakete scharfzumachen und das Head-up-Display auf<br />

taktischen Modus umzuschalten. Dann nahm sie mit Radar eine<br />

Freund-Feind-Kennung vor. Keine Antwort. Das genügte.<br />

248


»Frank, Sie greifen mit Ihrem Flügelmann von Osten an. Butch,<br />

folgen Sie mir. Achtet auf euren Treibstoff. Los!«<br />

Für den ersten Anflug wählte Buns ihre Bordkanone und jagte<br />

zweihundert Geschosse in die Kanzel eines Badgers. Der zwe<strong>im</strong>otorige<br />

Bomber geriet sofort außer Kontrolle und wälzte sich auf dem<br />

Rücken wie ein toter Wal. Eins. Major Nakamura johlte vor Entzücken,<br />

zog den Eagle in einen Looping, der sie hart in den Sitz<br />

preßte, und stieß dann auf das nächste Ziel hinab. Die Sowjets<br />

waren nun gewarnt, und der zweite Badger versuchte wegzutauchen,<br />

hatte aber nicht die geringste Chance. Nakamura schoß ihre<br />

Sidewinder ab und sah zu, wie die Rakete ihr Ziel, das linke<br />

Triebwerk des Badger, fand und die ganze Tragfläche abriß. Zwei.<br />

Drei Meilen vor ihr lag ein weiterer Badger. Nur Geduld, sagte sie<br />

sich, du bist viel schneller. Fast vergaß sie, dass der Badger eine<br />

Heckkanzel hatte. Ein sowjetischer Heckschütze erinnerte sie<br />

daran, schoß daneben, jagte ihr aber einen gehörigen Schrecken ein.<br />

Sie riß den Eagle in eine Linkskurve und ging auf Parallelkurs, ehe<br />

sie wieder anflog. Der nächste Feuerstoß ließ den Badger in der Luft<br />

explodieren. Nakamura ging in den Sturzflug, um nicht von<br />

Wrackteilen getroffen zu werden. Der ganze Luftkampf hatte neunzig<br />

Sekunden gedauert. Sie war in Schweiß gebadet.<br />

»Butch, wo sind Sie?«<br />

»Ich hab einen erwischt, Buns!« Der andere Eagle setzte sich<br />

neben ihre Maschine.<br />

Nakamura schaute sich um. Plötzlich war der H<strong>im</strong>mel leer. Wo<br />

waren die anderen?<br />

»Navy Hawk-1, hier Golf, hören Sie mich? Over.«<br />

»Roger, Golf.«<br />

»Okay, Navy. Wir haben gerade vier, wiederhole: vier Badger<br />

abgeschossen.«<br />

»Fünf, Buns!« rief der Führer des anderen Jäger-Paars dazwischen.<br />

»Hier st<strong>im</strong>mt etwas nicht, Sir.« Der Radar-Operator <strong>im</strong> Hawk-1<br />

wies auf sein Sichtgerät. »Diese Kerle sind gerade aus dem Nichts<br />

aufgetaucht und behaupten, ein paar Badger abgeschossen zu haben,<br />

etwa drei- oder vierhundert Meilen von hier.«<br />

»Clipper-Base, hier Hawk-1. Wir hatten gerade Kontakt mit<br />

249


einem Überführungsflug der Air Force. Die Piloten behaupten,<br />

mehrere hundert Meilen nördlich von uns fünf Badger auf Nordkurs<br />

heruntergeholt zu haben. Ich wiederhole: auf Nordkurs.«<br />

Toland zog die Brauen hoch.<br />

»Vermutlich einige, die kehrtmachten«, meinte Baker. »Dicht<br />

am Ende ihrer Reichweite, oder?«<br />

»Jawohl, Sir«, erwiderte der Offizier für Luftoperationen. Diese<br />

Tatsache schien ihm keine Freude zu bereiten.<br />

»Wir haben die Ziele wieder erfaßt«, meldete der Radaroperator.<br />

Die sowjetischen Kelt-Flugkörper waren unbeirrt weitergezogen.<br />

Ihre Radar-Antwortsender ließen sie wie dreißig Meter lange Badger<br />

erscheinen. Spezielle Störgeräte, die Rauschen erzeugten und<br />

sendeten, verwischten sie auf den Radarsichtgeräten noch mehr,<br />

und ihre Autopiloten begannen, abrupte Flugmanöver auszuführen<br />

wie eine Maschine, die versucht, einer Rakete auszuweichen.<br />

»Tallyho!« Die erste, aus zwölf Tomcat bestehende US-Staffel<br />

war nun nur noch hundertfünfzig Meilen entfernt. Die Kelt-Flugkörper<br />

erschienen deutlich auf dem Radarschirm, und die Kampfbeobachter<br />

auf den Rücksitzen gaben rasch die Zielkoordinaten<br />

ein. Die Kelt näherten sich der Reichweite der Luftkampfraketen ­<br />

und jeder hielt sie für Bomber.<br />

Die Tomcat schössen aus hundertvierzig Meilen eine Salve von<br />

AIM-54C Phoenix Luftkampfraketen ab, die je eine Million Dollar<br />

gekostet hatten. Die Flugkörper rasten mit Mach 5 auf ihre Ziele<br />

zu. In einer knappen Minute hatten achtundvierzig Raketen neununddreißig<br />

Ziele zerstört. Die erste Staffel drehte ab, die zweite ging<br />

in Abschußstellung.<br />

USS N<strong>im</strong>itz<br />

»Admiral, hier ist etwas faul», sagte Toland leise.<br />

»Und was wäre das?« Baker war mit der Entwicklung zufrieden.<br />

Feindliche Bomber verschwanden von seinem Schirm wie bei einem<br />

Kriegsspiel.<br />

»Die Russen stellen sich bei diesem Angriff dumm an, Sir.«<br />

»Na und?«<br />

»Das haben sie bisher noch nie getan. Admiral, warum fliegen die<br />

250


251


Backfire nicht mit Überschallgeschwindigkeit? Warum in nur<br />

einem Angriffsverband? Und warum nur in eine Richtung?«<br />

»Treibstoffknappheit«, versetzte Baker. »Die Badger sind an der<br />

Grenze ihrer Reichweite und müssen direkt angreifen.«<br />

»Aber doch nicht die Backfire!«<br />

»Der Kurs st<strong>im</strong>mt, die Stärke des Angriffsverbandes st<strong>im</strong>mt.«<br />

Baker schüttelte den Kopf und wandte sich wieder dem taktischen<br />

Display zu.<br />

Die zweite Jägerstaffel hatte gerade ihre Raketen abgeschossen.<br />

Da sie nicht frontal angegriffen hatten, litt die Treffgenauigkeit.<br />

Mit achtundvierzig Raketen schössen sie vierunddreißig Ziele ab.<br />

Insgesamt waren einhundertsiebenundfünfzig Ziele ermittelt worden.<br />

Tomcat-Staffel drei und vier erschienen gleichzeitig und feuerten<br />

als Gruppe. Als sie ihre Phoenix-Raketen verschossen hatten, waren<br />

noch neunzehn Ziele übrig. Die beiden Jägerstaffeln gingen<br />

näher heran, um die restlichen Ziele mit ihren Bordkanonen anzugreifen.<br />

»Clipper Base, hier SAM-Chef. Ein paar werden durchkommen.<br />

Empfehle die Aktivierung des SAM-Radars.«<br />

»Roger, SAM-Chef. Genehmigung erteilt«, erwiderte der taktische<br />

Koordinator der Trägerflotte.<br />

Nordatlantik<br />

»Luftsuchradar in null-drei-sieben«, stellte der ESM-Offizier eines<br />

Bear fest. »Sie haben uns erfaßt. Ich empfehle, dass wir nun ebenfalls<br />

illuminieren.« Das Big-Bulge-Radar des Bear wurde in Betrieb<br />

gesetzt.<br />

USS N<strong>im</strong>itz<br />

»Neuer Radarkontakt. Designiert Überfall 2-«<br />

»Was?« schnappte Baker. Gleich daraufging ein Spruch von den<br />

Jägern ein.<br />

»Clipper Base, hier Slugger-Führer. Ich habe mein Ziel in Sicht.«<br />

Der Staffelführer versuchte, das Ziel mit seiner TV-Kamera zu<br />

252


fixieren. Sein nächster Satz klang gequält. »Warnung, Warnung,<br />

das ist kein Badger, sondern ein Kelt! Wir haben auf Flugkörper<br />

geschossen!«<br />

Ȇberfall 2 besteht aus dreiundsiebzig Maschinen, Richtung<br />

zwei-eins-sieben, Distanz eins-drei-null Meilen. Big-Bulge-Radar<br />

aktiv««, sagte der Sprecher in der Gefechtszentrale.<br />

Toland verzog das Gesicht, als die neuen Kontakte auf dem<br />

Display erschienen. »Admiral, man hat uns überlistet.«<br />

Der Taktik-Offizier des Verbandes war bleich, als er sein Mikrophon<br />

einschaltete. »Luftwarnung Rot. Waffen frei! Bedrohungsphase<br />

zwei-eins-sieben. Alle Schiffe wie erforderlich wenden, um<br />

Batterien freizulegen.«<br />

Alle Tomcat waren fortgelockt worden; der Verband stand praktisch<br />

nackt da. Die einzigen bewaffneten Kampfflugzeuge über ihm<br />

waren die acht Crusader der Foch, ein Modell, das die Amerikaner<br />

schon lange außer Dienst gestellt hatten. Auf einen knappen Befehl<br />

von ihrem Träger schalteten sie die Nachbrenner ein und rasten<br />

nach Südwesten, den Backfire entgegen. Zu spät.<br />

Der Bear hatte bereits ein klares Bild der amerikanischen Formation.<br />

Schiffstypen konnten die Russen zwar nicht best<strong>im</strong>men, wohl<br />

aber große von kleinen Schiffen unterscheiden und den Lenkwaffenkreuzer<br />

Ticonderoga an seinen unverwechselbaren Radaremissionen<br />

erkennen. Die Träger konnten nicht weit sein. Der Bear gab<br />

diese Information an seine Kameraden weiter. Eine Minute später<br />

schössen die Backfire ihre hundertvierzig AS-6 Kingfish-Raketen<br />

ab und wandten sich mit hoher Geschwindigkeit zurück nach Norden.<br />

Mit dem Kelt war die Kingfish nicht zu vergleichen. Sie verfügte<br />

über ein Flüssigstoff-Triebwerk, beschleunigte nun auf neunhundert<br />

Knoten und faßte mit dem Suchradar in der Spitze ein<br />

vorprogrammiertes Zielgebiet von zehn Meilen Breite auf. Jedem<br />

Schiff in der Mitte der Formation waren mehrere Raketen zugewiesen<br />

worden.<br />

»Vampire, Vampire!« rief der Sprecher in der Gefechtszentrale<br />

der Ticonderoga. »Zahlreiche Raketen <strong>im</strong> Anflug. Feuer frei.«<br />

Der Luftabwehroffizier des Trägerverbandes ließ das Aegis-System<br />

des Kreuzers auf Au<strong>tom</strong>atik stellen. Die Ticonderoga war<br />

genau für eine solche Situation gebaut worden. Ihr computerunterstütztes<br />

Radarsystem identifizierte die anfliegenden Raketen sofort<br />

als feindlich und ordnete jeder eine Zerstörungspriorität zu. Der<br />

253


Computer arbeitete völlig unabhängig und konnte auf alles schießen,<br />

was sein Elektronengehirn als bedrohlich erachtete. Zahlen,<br />

Symbole und Vektoren zogen über das taktische Hauptdisplay. Die<br />

doppelten Raketenstarter an Bug und Heck wurden auf die ersten<br />

Ziele gerichtet und warteten auf den Feuerbefehl. Aegis war auf<br />

dem neuesten Stand der Technik, das bislang beste SAM-System,<br />

hatte aber eine entscheidende Schwäche: Die Ticonderoga hatte<br />

nur sechsundneunzig Luftabwehrraketen an Bord; <strong>im</strong> Anflug aber<br />

waren hundertvierzig Kingfish. Für diese Eventualität war der<br />

Computer nicht programmiert.<br />

Auf der N<strong>im</strong>itz konnte Toland spüren, wie der Träger brüsk<br />

abdrehte, auf äußerste Kraft voraus ging und mit über fünfunddreißig<br />

Knoten durch den kalten Nordatlantik rauschte. Virginia und<br />

California, ihre beiden Begleitschiffe, hatten die Kingfish ebenfalls<br />

erfaßt und ihre Raketenstarter auf sie gerichtet.<br />

Die Kingfish flogen in achttausend Fuß Höhe, waren nun noch<br />

hundert Meilen entfernt und legten in vier Sekunden eine Meile<br />

zurück. Jede hatte sich nun ein Ziel gesucht, jeweils das größte in<br />

ihrem Blickfeld. Die massivsten Objekte waren die N<strong>im</strong>itz und ihre<br />

Lenkwaffeneskorte.<br />

Die Ticonderoga schoß ihre ersten vier Raketen ab. Die Flugkörper<br />

jagten in die Luft und zogen einen blaßgrauen Rauchschweif<br />

hinter sich her. Sofort wurden die Starter zum Nachladen, das acht<br />

Sekunden dauerte, senkrecht gestellt. Im Durchschnitt feuerte der<br />

Kreuzer alle zwei Sekunden eine Rakete ab. Zwei Minuten später<br />

waren seine Magazine leer. Das Schiff tauchte aus einer gewaltigen<br />

grauen Rauchwolke auf und konnte sich nun nur noch mit seinen<br />

Geschützen verteidigen.<br />

Die SAM fegten mit über zweitausend Meilen in der Stunde ihren<br />

Zielen, die sie mit Hilfe der Reflexionen des Feuerleitradars ihres<br />

Schiffes identifiziert hatten, entgegen. Hundertfünfzig Meter von<br />

den Zielen entfernt, explodierten die Sprengköpfe. Das Aegis-System<br />

zeigte beachtliche Resultate: Über sechzig Prozent der Ziele<br />

wurden zerstört. Auf insgesamt acht Schiffe hielten nun zweiundachtzig<br />

feindliche Raketen zu.<br />

Andere mit Lenkwaffen ausgerüstete Schiffe traten nun in den<br />

Kampf ein. In mehreren Fällen suchten sich zwei oder drei Raketen<br />

dasselbe Ziel und zerstörten es gewöhnlich. Die Zahl der anfliegenden<br />

Vampire sank auf siebzig, dann auf sechzig, fiel aber nicht<br />

254


schnell genug. Allen war nun klar, welchen Zielen der Angriff galt.<br />

Starke Störsender wurden eingeschaltet, Schiffe begannen radikale<br />

Manöver, die an einen stilisierten Tanz erinnerten, und die Gefahr<br />

einer Kollision war nun die geringste Sorge der Kommandanten.<br />

Als die Kingfish bis auf zwanzig Meilen herangekommen waren,<br />

begann jedes Schiff des Verbandes Düppelraketen abzuschießen,<br />

die die Luft mit Millionen von aluminiumbeschichteten Mylar-<br />

Fragmenten erfüllten und Dutzende neuer Geisterziele für die<br />

Feindraketen erzeugten. Einige Kingfish verloren ihre Ziele und<br />

jagten Mylar-Gespenster. Zwei gerieten in Verwirrung und suchten<br />

sich neue Ziele am anderen Ende des Flottenverbandes.<br />

Das Radarbild auf der N<strong>im</strong>itz wurde plötzlich unscharf. Aus<br />

klaren Leuchtflecken, die die Position der Schiffe dargestellt hatten,<br />

wurden formlose Wolken. Konstant blieben nur die Kingfish: umgekehrte<br />

Vs mit Vektoren, die Richtung und Geschwindigkeit anzeigten.<br />

Die letzte SAM-Salve schoß noch drei ab. Nun waren<br />

einundvierzig Vampire übrig. Toland zählte fünf, die auf die N<strong>im</strong>itz<br />

zuhielten.<br />

Oben an Deck verfolgten nun die Defensivwaffen ihre Ziele. Es<br />

handelte sich um CIWS, radargesteuerte Gatling-Maschinenkanonen<br />

20 Mill<strong>im</strong>eter, die anfliegende Raketen über eine Distanz von<br />

unter zweitausend Meter zerstören konnten. Die beiden vollau<strong>tom</strong>atisch<br />

arbeitenden Lafetten auf dem Achterdeck des Trägers hoben<br />

sich und begannen die ersten beiden anfliegenden Kingfish zu<br />

verfolgen. Die Lafette an Backbord feuerte zuerst. Das Radarsystem<br />

erfaßte das Ziel und die Bahn der Geschosse aus Uran, brachte<br />

beide in Einklang.<br />

Die erste Kingfish explodierte achthundert Meter backbords des<br />

Achterschiffs der N<strong>im</strong>itz. Tausend Kilo Sprengstoff ließen das<br />

Schiff erbeben. Toland spürte die Erschütterung und fragte sich, ob<br />

das Schiff einen Treffer abbekommen hatte. Um ihn herum konzentrierten<br />

sich die Männer in der Gefechtszentrale auf ihre Arbeit. Ein<br />

Ziel verschwand vom Bildschirm. Noch vier.<br />

Die nächste Kingfish flog auf den Bug des Trägers zu und wurde<br />

von einem CIWS in der Luft zur Detonation gebracht, aber zu nahe<br />

am Schiff. Trümmer fetzten über das Deck des Trägers und töteten<br />

ein Dutzend Besatzungsmitglieder.<br />

Nummer drei wurde von einer Düppelwolke abgelenkt und<br />

stürzte eine halbe Meile hinter der N<strong>im</strong>itz ins Meer, ließ eine<br />

255


dreihundert Meter hohe Wassersäule aufsteigen und den Träger<br />

vibrieren.<br />

Raketen vier und fünf flogen keine hundert Meter voneinander<br />

entfernt von achtern an. Das achterliche CIWS erfaßte beide,<br />

konnte sich jedoch nicht entscheiden, welches es zuerst angreifen<br />

sollte, ging auf Nullstellung und traf - überhaupt nichts. Die Raketen<br />

schlugen <strong>im</strong> Abstand von einer Sekunde ein, eine an der Backbordseite<br />

des Flugdecks achtern, die andere am Landefangseil 2.<br />

Toland wurde vier Meter weit durch die Luft und gegen eine<br />

Radarkonsole geschleudert. Er sah eine rose Feuerwand, die über<br />

ihn hinwegfegte. Dann folgte der Lärm. Erst der Donner der Explosion.<br />

Dann die Schreie. Das Achterschott der Gefechtszentrale existierte<br />

nicht mehr; dort loderte nun eine Flammenwand. Er floh zur<br />

Tür, die wie durch ein Wunder aufging, und rannte nach Steuerbord.<br />

Die Löschanlage war bereits in Betrieb und besprühte alles<br />

mit Seewasser, das ihm auf der Haut brannte, als er mit angesengten<br />

Haaren und Kleidern den Catgang des Flugdecks erreichte. Ein<br />

Matrose richtete den Strahl eines Wasserschlauches auf ihn, der ihn<br />

beinahe über Bord schleuderte.<br />

Toland fiel auf die Knie und sah über die Reling. Die Foch hatte<br />

<strong>im</strong> Norden gelegen, wie er sich entsann. Nun stieg dort eine Rauchsäule<br />

auf. Gerade detonierte dreißig Meter über dem Flugdeck der<br />

Saratoga die letzte Kingfish. Der Träger wirkte unbeschädigt. Die<br />

achterlichen Aufbauten der Ticonderoga waren von einem Raketentreffer<br />

zerfetzt und brannten. Am Horizont kündete ein Feuerball<br />

von der Zerstörung eines weiteren Schiffs - mein Gott, dachte<br />

Toland, doch nicht die Saipan? Mit zweitausend Marinesoldaten<br />

an Bord...<br />

»Verschwinden Sie hier!« schrie ein Brandbekämpfer ihn an.<br />

Dann erschien noch ein Mann auf dem Steg.<br />

»Toland, sind Sie verletzt?« Es war Captain Svenson, dessen<br />

Hemd zerfetzt war und der an der Brust aus einem halben Dutzend<br />

Schnittwunden blutete.<br />

»Nein, Sir«, antwortete Bob.<br />

» Gehen Sie auf die Brücke und lassen Sie das Schiff an Steuerbord<br />

quer in den Wind bringen. Los!« Svenson sprang hoch aufs Flugdeck.<br />

Toland folgte seinem Beispiel, rannte los, glitt auf dem Löschschaumteppich<br />

aus, fiel hart hin und erreichte dann endlich die<br />

256


Insel, war in einer knappen Minute <strong>im</strong> Ruderhaus. Das Brückendeck<br />

war mit Glassplittern bedeckt. »Wie geht's dem Kommandanten?«<br />

fragte der Erste Offizier.<br />

»Er lebt noch und überwacht achtern die Brandbekämpfung.«<br />

»Und wer sind Sie?« herrschte der IO.<br />

»Toland, Nachrichtendienst. Ich war in der Gefechtszentrale.«<br />

»Dann haben Sie Glück gehabt. Die zweite Rakete schlug fünfzig<br />

Meter neben Ihnen ein. Kam sonst noch jemand raus?«<br />

»Keine Ahnung. Brennt wie Zunder.«<br />

»Sieht aus, als hätten Sie was abbekommen, Commander.«<br />

Bob hatte das Gefühl, mit einer Glasscherbe rasiert worden zu<br />

sein. Als er seine Augenbrauen berührte, zerfielen sie zu Staub.<br />

»Nicht so tragisch. Was kann ich tun?«<br />

Der IO wies auf Tolands Wasserflügel. »Können Sie das Schiff<br />

steuern? Gut, dann mal los. Ist sowieso nichts übrig, mit dem Sie<br />

kollidieren könnten. Ich kümmere mich achtern um die Brandbekämpfung.<br />

Kommunikations- und Radaranlagen sind ausgefallen,<br />

Maschinen und Rumpf aber unversehrt. Mr. Bice hat das Deck, Mr.<br />

Toland überwacht das Steuern«, verkündete der IO be<strong>im</strong> Hinausgehen.<br />

Toland, der seit über zehn Jahren nichts Größeres als einen<br />

Boston Whaler gesteuert hatte, fand sich plötzlich mit der Verantwortung<br />

für einen beschädigten Flugzeugträger betraut. Er nahm<br />

ein Fernglas und schaute sich nach den anderen Schiffen in der<br />

Nähe um. Was er sah, ließ ihn frösteln.<br />

Die Saratoga sah als einziges Schiff intakt aus, doch auf den<br />

zweiten Blick stand ihr Radarmast schief. Die Foch lag viel zu tief<br />

<strong>im</strong> Wasser und brannte vom Bug bis zum Heck.<br />

»Wo ist die Saipan?«<br />

»Flog in die Luft«, erwiderte Commander Bice. »Mein Gott, sie<br />

hatte zweitausendfünfhundert Mann an Bord. Ticonderoga von<br />

einer Rakete beschädigt, die dicht neben ihr explodierte. Foch<br />

bekam drei Treffer ab; sieht aus, als müßte sie aufgegeben werden.<br />

Zwei Fregatten und ein Zerstörer einfach verschwunden. Wer hat<br />

hier Mist gebaut? Sie waren doch in der CIC, oder? Wer hat hier<br />

Scheiße gebaut?«<br />

Die acht französischen Crusader gerieten gerade in Kontakt mit<br />

den Backfire. Die russischen Bomber hatten die Nachbrenner eingeschaltet<br />

und flogen fast so schnell wie die Jäger. Alle Piloten der<br />

257


Träger hatten mitbekommen, dass ihre Schiffe plötzlich nicht mehr<br />

funkten, und aus den kühlen Profis wurden Racheengel. Nur zehn<br />

Backfire befanden sich in ihrer Reichweite. Sechs erwischten sie mit<br />

ihren Raketen und beschädigten zwei andere, dann mussten sie das<br />

Gefecht wegen Treibstoffmangels abbrechen.<br />

USS Caron, das größte unbeschädigte Schiff, verfolgte die Russen<br />

mit Radar und ersuchte Großbritannien, den Bomberverband auf<br />

dem Rückflug mit Jägern abzufangen. Doch damit hatten die Russen<br />

gerechnet, schlugen einen weiten Bogen um die Britischen Inseln<br />

und trafen sich vierhundert Meilen westlich von Norwegen mit<br />

ihren Tankern.<br />

Inzwischen werteten die Sowjets bereits das Resultat des Angriffs<br />

aus. Die erste große Schlacht zwischen modernen Flugzeugträgern<br />

und mit Raketen bewaffneten Bombern war geschlagen worden.<br />

Der Verlierer stand zweifelsfrei fest.<br />

Der Brand auf der N<strong>im</strong>itz war binnen einer Stunde gelöscht. Da alle<br />

ihre Flugzeuge in der Luft gewesen waren, hatte sich nur wenig<br />

brennbares Material an Bord befunden, und die Brandbekämpfungskapazität<br />

des Trägers entsprach der einer Großstadt. Toland<br />

ging zurück auf Ostkurs. Saratoga nahm Flugzeuge auf, betankte<br />

sie und schickte alle außer den Jägern zu Luftstützpunkten an Land.<br />

Die großen Schiffe nahmen Kurs auf Europa, drei Fregatten und ein<br />

Zerstörer blieben zurück, um nach Überlebenden zu suchen.<br />

»Volle Kraft voraus«, befahl Svenson auf der Brücke. »Toland,<br />

wie geht's Ihnen?«<br />

»Keine Klagen.« Jammern war sinnlos. Das Schiffslazarett war<br />

mit Hunderten von Schwerverletzten überfüllt. Über die Zahl der<br />

Toten bestand noch keine Klarheit.<br />

»Sie hatten recht«, sagte der Captain zornig und depr<strong>im</strong>iert. »Die<br />

Russen machen es uns zu leicht, und wir fallen auf den Trick<br />

herein.«<br />

»Wir bekommen best<strong>im</strong>mt noch einmal eine Chance, Captain.«<br />

»Und ob! Wir laufen Southampton an. Mal sehen, ob die Briten<br />

so einen Koloß reparieren können. So, achtern gibt's <strong>im</strong>mer noch<br />

eine Menge zu tun. Können Sie weiter das Steuern überwachen?«<br />

»Jawohl, Sir.«<br />

Die N<strong>im</strong>itz und ihre a<strong>tom</strong>getriebenen Begleitschiffe gingen auf<br />

volle Fahrt Richtung England, fast vierzig Knoten, und ließen den<br />

258


Verband zurück. Eine leichtsinnige Entscheidung, denn die U-Jäger<br />

konnten dieses Tempo nicht mithalten. Andererseits würde ein<br />

U-Boot sehr rasch reagieren müssen, wenn es sie erwischen wollte.<br />

259


Höhe 152, Island<br />

21<br />

Nordischer Hammer<br />

»Das war ein Jäger, und best<strong>im</strong>mt nicht der einzige«, sagte Edwards.<br />

Im Südwesten lockerte sich die Bewölkung auf, am Horizont<br />

leuchtete es blau. Edwards trug Helm und Poncho, saß am<br />

Boden und starrte in die Ferne.<br />

»Da haben Sie wohl recht, Sir«, gab Smith zurück. Der Sergeant<br />

war nervös. Sie saßen nun schon vierundzwanzig Stunden auf<br />

dieser Höhe. Die günstigste Zeit zum Aufbrechen wäre <strong>im</strong> Regen<br />

gewesen, als die Sichtweite nur wenige hundert Meter betragen<br />

hatte. Im Norden ging ein starker Schauer nieder, der ihnen die<br />

Sicht auf Reykjavik nahm. Auch Hafnarfjördur <strong>im</strong> Westen war<br />

kaum auszumachen, was den Sergeant, der wissen wollte, was der<br />

Russe trieb, besorgte. Was, wenn er Edwards' Satelliten-Funkgerät<br />

ortete? Was, wenn Streifen unterwegs waren?<br />

»Lieutenant, auf der einen Seite haben wir Telefonstrippen, auf<br />

der anderen Starkstromleitungen -«<br />

»Wollen Sie etwa sprengen?« fragte Edwards lächelnd.<br />

»Nein, Sir, aber die Russen werden sie best<strong>im</strong>mt durch Streifen<br />

kontrollieren lassen, und für eine Feindberührung ist dies ein ungünstiger<br />

Platz.«<br />

»Richtig - wir sollen beobachten und melden«, erwiderte Edwards,<br />

klang aber nicht sehr überzeugt.<br />

Edwards sah auf die Uhr: 1955 Zulu-Zeit. Doghouse hatte sich<br />

noch nicht gemeldet. Edwards baute das Funkgerät auf. Um 1959<br />

schaltete er es ein und bewegte die Antenne, bis er das Trägersignal<br />

des Satelliten empfing.<br />

»Doghouse ruft Beagle. Doghouse ruft Beagle. Hören Sie mich?<br />

Over.«<br />

»Sieh mal einer an.« Er ging auf Sendung. »Roger, wir empfangen,<br />

Doghouse.«<br />

»Neue Meldungen?«<br />

260


»Negativ, nur Regen. Sichtverhältnisse schlecht.«<br />

Der Fernmeldeoffizier in Schottland schaute auf die Wetterkarte.<br />

Es regnete also tatsächlich. Bislang war er nicht in der Lage gewesen,<br />

seinen Vorgesetzten zu überzeugen, dass man Beagle trauen<br />

konnte. Edwards hatte alle Fragen, die von der Abwehr zusammengestellt<br />

worden waren, korrekt beantwortet. Bei der letzten, seine<br />

Freundin betreffenden Antwort hatte der Zeiger des Streß-Analyzers<br />

ausgeschlagen. Die Emotionen waren also echt gewesen. Hintergrundinformationen<br />

über seinen Werdegang ergaben ein psychologisches<br />

Profil: kein Krieger. Frage: Wie lange konnte der<br />

Junge durchhalten?<br />

Keflavik, Island<br />

Eine MiG war in der Luft. Die anderen standen in den von den<br />

Amerikanern erst kürzlich fertiggestellten Bunkern am Ende der<br />

Startbahn 11. Der Jäger hatte zwei Aufträge. Zum einen sollte er<br />

patrouillieren und <strong>im</strong> Falle einer feindlichen Attacke eingreifen,<br />

zum anderen wurde er sorgfältig von den Radarcontrollern am<br />

Boden verfolgt: Die Geräte mussten justiert werden. So zog das<br />

Kampfflugzeug über dem Stützpunkt Kreise, während die Radar-<br />

Operatoren festzustellen versuchten, ob ihre Instrumente korrekte<br />

Werte anzeigten.<br />

Die Jäger waren bewaffnet und betankt, in ihrer Nähe ruhten<br />

sich die Piloten auf Feldbetten aus. Im Augenblick füllten Tanklaster<br />

die Badger-Bomber, die die Jäger navigatorisch und elektronisch<br />

unterstützt hatten, auf. Bald sollten sie abfliegen und neun<br />

weitere MiG-29 nach Island begleiten.<br />

Inzwischen waren alle Startbahnen bis auf eine geräumt. Die<br />

Trümmer der amerikanischen Flugzeuge hatten Bulldozer vom<br />

Asphalt geschoben. Die Reparatur der Pipeline sollte in einer<br />

Stunde abgeschlossen sein.<br />

»Ein ereignisreicher Tag«, sagte der Major zum Oberst.<br />

»Er ist aber noch nicht zu Ende. Aufatmen kann ich erst, wenn<br />

der Rest des Reg<strong>im</strong>ents hier ist«, erwiderte der Oberst leise. »Die<br />

Amerikaner hätten schon längst angreifen müssen.«<br />

»Wie denn?«<br />

Der Oberst zuckte die Achseln. »Schwer zu sagen. Wenn sie den<br />

261


Stützpunkt wirklich ausschalten wollen, belegen sie ihn mit einem<br />

Kernsprengkopf.«<br />

Der feindliche Verband war noch eine Stunde Flugzeit entfernt.<br />

Vor zehn Stunden hatten achtzehn Bomber des Typs B-52H Louisiana<br />

verlassen und waren zum Auftanken auf dem Air-Force-<br />

Stützpunkt Sondrestrom in Grönland zwischengelandet. Fünfzig<br />

Meilen voraus flogen ihnen ein Radarstörflugzeug Raven EF-111<br />

und vier F-4 »Wild Weasel«-.<br />

Die Radargeräte waren halbwegs justiert, und nun machte man sich<br />

daran, die Radar-»Schatten« am Zentralgebirge, die von angreifenden<br />

Flugzeugen ausgenutzt werden konnten, kartographisch zu<br />

erfassen. Zu diesem Zweck rollte nun eine zweite Fulcrum an den<br />

Start.<br />

Ein Operator stieß einen Warnruf aus. Starke elektronische Störgeräte<br />

hatten gerade das klare Bild auf seinem Sichtgerät in eine<br />

trübe Soße verwandelt. Das konnte nur eines bedeuten.<br />

In den unterirdischen Hangars am Ende der Startbahn 11 heulten<br />

die Sirenen los. Piloten, die gedöst oder Domino gespielt hatten,<br />

sprangen auf und eilten an ihre Maschinen.<br />

Der Offizier <strong>im</strong> Tower ging ans Telefon, um die Piloten zu<br />

informieren, und rief dann den Kommandeur der Raketenbatterien<br />

an. »Luftangriff!«<br />

Überall auf dem Stützpunkt begann nun hektische Aktivität. Das<br />

Bodenpersonal startete die Triebwerke, Piloten kletterten in die<br />

Cockpits. Such- und Feuerleitradargeräte der SAM-Batterien wurden<br />

eingeschaltet.<br />

Knapp hinterm Radarhorizont hatten achtzehn B-52 gerade ihre<br />

EMC-Störsysteme in Betrieb genommen. Sie flogen in sechs Gruppen<br />

zu je drei Maschinen an. Die erste fegte <strong>im</strong> Tiefflug über den<br />

Gipfel des Snaefells hundert Kilometer nördlich von Keflavik, der<br />

Rest kam von Westen heran und hielt hinter einem Wall elektronischen<br />

Rauschens auf das Ziel zu.<br />

Der gerade gestartete russische Jäger gewann an Höhe, ließ sein<br />

Radargerät außer Betrieb und suchte den H<strong>im</strong>mel visuell ab, wartete<br />

auf Abfangkoordinaten vom Bodenradar. Seine Kameraden<br />

rollten nun zur Startbahn und stiegen auf. Eine Maschine, die<br />

gerade gelandet war, stand neben einem Tanklaster. Der Pilot<br />

gestikulierte und verfluchte das Bodenpersonal, das verzweifelt<br />

262


emüht war, seinen Jäger aufzutanken und dabei Kerosin auf die<br />

Tragfläche verspritzte. Erstaunlicherweise entzündete sich der<br />

Treibstoff nicht. Ein Dutzend Männer kam mit CO2-Löschern<br />

angerannt, um eine Explosion zu verhindern.<br />

Höhe 152, Island<br />

Edwards riß bei dem unverkennbaren Donnern der Düsenjäger den<br />

Kopf hoch, sah von Osten her eine schwarze Rauchfahne herannahen.<br />

Die Silhouetten jagten eine Meile entfernt an ihnen vorbei,<br />

schwer mit Waffen beladen, und die hochgezogenen Tragflächen<br />

machten die Identifizierung leicht.<br />

»F-4!« schrie er. »Unsere Jungs!«<br />

Es waren Phan<strong>tom</strong>s der Nationalgarde New York, als »Wild<br />

Weasel« zur Ausschaltung von SAM-Batterien angeordnet. Während<br />

sich die Russen auf die Bomber konzentrierten, jagten die<br />

Phan<strong>tom</strong>s <strong>im</strong> Tiefflug über Höhen hinweg und durch Täler, nutzten<br />

das zerklüftete Gelände. Der Kampfbeobachter auf dem Rücksitz<br />

zählte die Radaranlagen der SAM-Batterien und wählte die gefährlichsten<br />

Ziele aus. Als sie bis auf zehn Meter herangekommen<br />

waren, zogen sie die Maschinen hoch und feuerten eine Salve<br />

Antiradar-Raketen Standard-ARM ab.<br />

Die Russen wurden überrumpelt. Sie bemühten sich so angestrengt,<br />

die Bomber mit Raketen unter Feuer zu nehmen, dass sie an<br />

eine Möglichkeit des Angriffs überhaupt nicht dachten. Die anfliegenden<br />

Raketen wurden nicht erfaßt. Drei ARM fanden Ziele,<br />

zerstörten zwei Suchradaranlagen und ein FlaRak-Fahrzeug. Ein<br />

Offizier ließ sein Fahrzeug wenden und versuchte, manuell auf die<br />

neue Bedrohung zu zielen. Die Phan<strong>tom</strong>s störten sein Feuerleitradar<br />

und ließen be<strong>im</strong> Anflug in zehn Meter Höhe Wolken aus<br />

Stanniolstreifen hinter sich zurück. Jeder Pilot raste auf das ihm<br />

zugewiesene Ziel zu und schaute sich dabei rasch um. Einer entdeckte<br />

einen unbeschädigten SAM-Starter, flitzte auf ihn zu, warf<br />

Rockeye-Streubomben, die zu früh landeten, aber über hundert<br />

Kleinbomben verstreuten. Hinter ihm explodierte der SAM-II-Starter,<br />

dessen Besatzung nicht einmal wusste, wie ihr geschah. Tausend<br />

Meter weiter stand ein Flakpanzer, der von dem Phan<strong>tom</strong> mit<br />

Bordwaffen beschossen und schwer beschädigt wurde. Dann sauste<br />

263


der Jäger über den Rest der Halbinsel und ließ Düppel und Leuchtbomben<br />

zurück. Es war eine perfekte Weasel-Mission gewesen. Ehe<br />

die sowjetischen SAM-Besatzungen reagieren konnten, waren alle<br />

vier Maschinen schon wieder verschwunden. Die beiden SAM, die<br />

sie hatten starten können, explodierten in Stanniolwolken, ohne<br />

Schaden anzurichten. Die Batterie hatte zwei Drittel ihrer Starterfahrzeuge<br />

und alle ihre Suchradaranlagen verloren. Drei Flakpanzer<br />

waren ebenfalls zerstört oder beschädigt. Die Bomber waren<br />

nun nur noch zwanzig Meilen entfernt und verwirrten das sowjetische<br />

Radar mit ihren leistungsfähigen EMC-Störsystemen.<br />

Dem Radar der Flakpanzer jedoch, das nach einem neuen System<br />

arbeitete, konnten sie nichts anhaben. Andererseits waren die Flakpanzer<br />

für die Bekämpfung kleinerer Kampfflugzeuge ausgelegt.<br />

Die B- 52 jedoch waren so groß, dass der Leitcomputer sie nicht als<br />

Ziele identifizieren konnte. Der Radarstrahl tastete die Bomber<br />

<strong>im</strong>mer wieder au<strong>tom</strong>atisch ab, aber der Feuerbefehl blieb aus. Die<br />

ganze Elektronik war nutzlos. So schalteten die Bedienungen der<br />

Fla-Kanonen fluchend auf manuell um und nahmen die mächtigen<br />

anfliegenden Ziele ins Visier.<br />

Die Bomber gingen nun bis auf dreihundert Meter herunter, und<br />

ihre Piloten hofften, dem Abwehrfeuer ohne Verluste zu entkommen.<br />

Vor der möglichen Präsenz von Jägern hatte man sie nicht<br />

gewarnt. Ihr Auftrag lautete, Keflavik zu zerbomben, ehe Jäger dort<br />

eintreffen konnten.<br />

Nun war das Überraschungsmoment auf Seiten der Sowjets. Die<br />

Fulcrum kamen <strong>im</strong> Sturzflug aus der Sonne und griffen die Bomber<br />

an. Die nach Süden fliegende Dreiergruppe sah sie gar nicht erst;<br />

zwei B-52 wurden von Raketen getroffen und explodierten in der<br />

Luft. Der dritte forderte über Funk Unterstützung durch Jäger an<br />

und flog ein Ausweichmanöver - zu riskant. Der Pilot zog die<br />

Maschine zu spät hoch, und sie zerschellte nördlich von Keflavik in<br />

einem Feuerball, den Edwards noch aus dreißig Meilen Entfernung<br />

sehen konnte.<br />

Für die russischen Kampfpiloten ging ein Traum in Erfüllung.<br />

Alle acht Maschinen hatten individuelle Ziele, denen sie nun nachjagten.<br />

Die Besatzungen der Bomber hielten weiter auf den Stützpunkt<br />

zu. Zur Flucht war es zu spät; nun konnten sie nur noch nach<br />

Jägern rufen.<br />

Auch die Flak eröffnete nun das Feuer. Ein junger Feldwebel traf<br />

264


einen Bomber, der gerade seine Ladung abwarf. Ein Dutzend Geschosse<br />

fuhr in den Bombenschacht, und die Maschine wurde von<br />

einer ohrenbetäubenden Explosion, die auch einen weiteren B-52<br />

beschädigte, zerrissen. Die Mannschaft an einem SAM-Starter<br />

schaltete das Raketenlenksystem auf Infrarot um und feuerte einen<br />

Flugkörper auf einen Bomber ab. Er traf kurz nach dem Abwurf;<br />

die Tragfläche des B-52 ging in Flammen auf, und das Flugzeug<br />

verlor rasch an Höhe, zog einen schwarzen Rauchteppich hinter<br />

sich her.<br />

Sie sahen es auf ihre Höhe zukommen, ein verwundetes Ungeheuer,<br />

von dessen rechtem Flügel brennender Treibstoff floß. Der<br />

Pilot versuchte, die Höhe zu halten, damit die Besatzung abspringen<br />

konnte, doch alle vier rechten Triebwerke waren ausgefallen,<br />

und die brennende Tragfläche zerbrach. Der Bomber schien in der<br />

Luft zu taumeln, schmierte dann ab und bohrte sich in den Westhang<br />

von Höhe 152. Kein Besatzungsmitglied überlebte. Edwards<br />

brauchte keinen Befehl zu geben. Binnen fünf Minuten hatten seine<br />

Männer ihre Tornister gepackt und flohen <strong>im</strong> Laufschritt nach<br />

Osten.<br />

Die restlichen Bomber waren nun über ihren Zielen. Acht warfen<br />

erfolgreich ihre Bombenladung ab und entfernten sich rasch. Inzwischen<br />

waren fünf von sowjetischen Jägern abgeschossen worden,<br />

und die überlebende Besatzung war verzweifelt bemüht, der unerwarteten<br />

Gefahr zu entkommen. Die Russen, die alle ihre Raketen<br />

verschossen hatten, griffen nun mit Bordkanonen an; ein riskantes<br />

Unterfangen, denn die B-52 hatten Heckkanzeln. Ein Fulcrum<br />

wurde von MG-Geschossen beschädigt und musste abdrehen.<br />

Komplett machte die Verwirrung die Rückkehr der amerikanischen<br />

Phan<strong>tom</strong>s. Sie trugen je drei Sparrow-Luftkampfraketen,<br />

und als deren Zielradar aktiviert wurde, gingen in den Fulcrum die<br />

Warnanlagen los. Die russischen Kampfflugzeuge stoben vor den<br />

zwölf anfliegenden Raketen auseinander und gingen in den Sturzflug.<br />

Vier sausten knapp über Edwards' Gruppe und eine östlich<br />

von Hafnarfjördur abgestürzte B-52 hinweg. Als sie wieder zurückkehrten,<br />

war der H<strong>im</strong>mel leer. Die Phan<strong>tom</strong>s konnten wegen Treibstoffmangel<br />

den Kampf nicht fortsetzen und drehten ab, ohne einen<br />

einzigen Abschuß erzielt zu haben. Die überlebenden Bomber befanden<br />

sich nun in der Sicherheit einer Wolke aus Störsignalen. Die<br />

Sowjets formierten sich und flogen zurück nach Keflavik.<br />

265


Das Resultat der ersten Luftschlacht war gemischt. Die Amerikaner<br />

hatten die Hälfte ihrer Bomber verloren, aber drei von fünf<br />

Startbahnen beschädigt. Den Sowjets war der Großteil einer SAM-<br />

Batterie zerschlagen worden, doch den Stützpunkt Keflavik konnten<br />

sie weiter benutzen. Schon eilte das Bodenpersonal los, um mit<br />

von den Amerikanern zurückgelassenem Material die Startbahn zu<br />

reparieren. Schwere Planierraupen würden den Schutt in die Bombenkrater<br />

schieben und dann mit Schotter und Stahlmatten wieder<br />

eine glatte Oberfläche herstellen. Keflavik war zwar beschädigt,<br />

aber seine Startbahnen sollten bis Mitternacht wieder voll einsatzbereit<br />

sein.<br />

USS Pharris<br />

»Diesmal sieht's ernst aus«, sagte der ASW-Offizier leise. Die Reihe<br />

farbiger Quadrate leuchtete nun schon seit sieben Minuten auf dem<br />

Display des Passiv-Sonar. Die Richtung wanderte langsam nach<br />

achtern ab, als hielte der Kontakt auf den Konvoi zu, nicht auf die<br />

Pharris.<br />

Die Fregatte machte zwölf Knoten Fahrt und hatte das Prairie-<br />

Masker-System eingeschaltet. Heute waren die Sonar-Bedingungen<br />

günstiger. Eine harte Thermokline in zweihundert Fuß Tiefe<br />

schränkte den Wirkungsgrad des Oberflächen-Sonars zwar stark<br />

ein, doch die Pharris schleppte ihre Passiv-Sonar-Batterie unter<br />

dieser Schicht, und die dort herrschende niedrige Wassertemperatur<br />

sorgte für einen vorzüglichen Schallkanal. Besser noch, die<br />

Thermokline war in beiden Richtungen undurchlässig, konnte also<br />

von einem U-Boot-Sonar ebensowenig durchdrungen werden wie<br />

von einem Überwasserschiff. Pharris war von einem U-Boot, das<br />

unter der Schicht fuhr, praktisch nicht zu orten.<br />

»Wie sieht's mit der Positionsbest<strong>im</strong>mung aus?« fragte der Taktische<br />

Gefechtsoffizier (TAO).<br />

»Wird genauer«, antwortete der ASW-Mann. »Bleibt noch die<br />

Frage der Distanz. Unter Berücksichtigung der Wasserbedingungen<br />

und unserer Sonarleistung sollte der Kontakt zwischen fünf und<br />

vierzehn Meilen auf direktem Weg entfernt sein, sich in der ersten<br />

Konvergenzzone befinden.« Eine Konvergenzzone ist ein physikalisches<br />

Phänomen. Schall breitet sich <strong>im</strong> Wasser in alle Richtun­<br />

266


gen aus; Lärm aber, der in die Tiefe dringt, wird durch Wassertemperatur<br />

und -druck zu einer Serie von Kurven abgelenkt, die<br />

sich bis zur Oberfläche und anschließend wieder nach unten<br />

krümmen. Die Fregatte selbst konnte das von ihr erzeugte Geräusch<br />

über eine Distanz von vierzehn Seemeilen hören; die Konvergenzzone<br />

hatte die Form eines Kreisringes. Sie begann neunzehn<br />

Meilen entfernt und endete bei einer Distanz von dreihundertzwanzig<br />

Meilen. Der Abstand zum U-Boot war unbekannt,<br />

betrug aber wahrscheinlich weniger als dreiundzwanzig Meilen,<br />

und das war schon zu nahe, denn das Boot konnte sie oder den<br />

Geleitzug, den sie schützten, mit Torpedos oder Schiff-Schiff-Raketen<br />

angreifen.<br />

»Vorschläge, Gentlemen?« fragte Morris. Der TAO sprach als<br />

erster.<br />

»Lassen wir den Hubschrauber starten und den inneren Kreis<br />

abtasten. Eine Orion kann sich mit dem äußeren beschäftigen.«<br />

»Hört sich gut an«, st<strong>im</strong>mte der ASW-Offizier zu.<br />

Fünf Minuten später warf der Hubschrauber der Fregatte fünf<br />

Meilen vor ihr Sonobojen vom Typ Lofar ab. Nach dem Aufprall<br />

auf die Wasseroberfläche stieß diese Miniaturversion eines Passiv-<br />

Sonars in einer einstellbaren Tiefe einen Rundstrahlwandler aus.<br />

In diesem Fall tauchten all diese Geräte unter die Thermokline, um<br />

festzustellen, ob sich das Ziel in der Nähe befand. Die Daten<br />

gingen zurück an die Gefechtszentrale der Pharris: nichts. Das<br />

Display des Passiv-Sonars aber zeigte nach wie vor ein U-Boot an<br />

- oder ein Objekt, das so klang. Der Hubschrauber entfernte sich<br />

weiter und warf dabei Bojen ab.<br />

Dann traf die Orion ein. Die viermotorige Maschine ging über<br />

der von der Fregatte gemeldeten Linie zum Ziel in den Tiefflug.<br />

»Schwaches Signal von sechs, mittelmäßiges von fünf«, meldete<br />

ein Sonar-Operator.<br />

»Roger, bestätigt«, st<strong>im</strong>mte der taktische Koordinator in Bluebird<br />

3 zu. »Wir beginnen jetzt mit der Suche nach magnetischen<br />

Anomalien.«<br />

»Brauchen Sie die Unterstützung unseres Hubschraubers?«<br />

»Ja, aber er soll sich dicht über der Oberfläche halten.«<br />

Sekunden später fegte der SH-2F Sea Sprite der Fregatte nach<br />

Norden und schleppte an einer Trosse den Magnetanomalien-De-<br />

267


tektor hinter sich her. Dieser maß die Störungen <strong>im</strong> Magnetfeld der<br />

Erde, die große Objekte aus Eisen verursachten - wie zum Beispiel<br />

der Stahlrumpf eines U-Bootes.<br />

»Signal von sechs hat nun mittlere Intensität. Signal sieben<br />

gleichbleibend.« Den Männern am Kartentisch bedeutete dies, dass<br />

das U-Boot nach Süden fuhr.<br />

»Ungefähre Entfernung zweiundvierzig- bis fünfundvierzigtausend<br />

Yard, Richtung drei-vier-null bis drei-drei-sechs.« Die Information<br />

wurde sofort an die Orion weitergegeben.<br />

Auf dem Radarschirm sahen sie zu, wie die Orion präzise ein vom<br />

Sonar der Pharris best<strong>im</strong>mtes Quadrat, in dem sich das U-Boot<br />

vermutlich befand, abflog.<br />

»Pharris, hier Bluebird.« Von dieser Tatsache hatte sich Morris<br />

schon vor einer halben Stunde überzeugt.<br />

»Signalstärke sechs n<strong>im</strong>mt zu. Signal fünf nun schwach. Signal<br />

sieben verklingt.« Der Techniker war nun bemüht, gelassen zu<br />

klingen.<br />

»Distanzwerte pendeln sich ein. Geschätzte Geschwindigkeit des<br />

Zieles grob geschätzt acht Knoten. Entfernung dreiundvierzigtausend<br />

Yard.«<br />

»Wanderwelle!« rief der Sonar-Operator des Schiffes. Vom Ziel<br />

war ein metallisches Geräusch ausgegangen: eine zufallende Luke,<br />

ein Werkzeug, die Mündungsklappe eines Torpedorohrs - auf<br />

jeden Fall eindeutig ein von Menschen erzeugter Schall.<br />

»Wanderwelle mechanischen Ursprungs bestätigt, von Bojen<br />

fünf und sechs empfangen«, kam sofort der Spruch vom Flugzeug.<br />

»Bestätigt«, antwortete der TAO der Pharris. »Bekamen wir<br />

auch vom Schleppsonar. Kontakt vermutlich U-Boot.«<br />

»Eindeutig Rotboot-Klassifikation!« tönte es von der Orion zurück.<br />

»Rauchbombe frei! Wir haben einen MAD-Kontakt.« Auf<br />

der Anzeige des Magnetanomalie-Detektors war eine scharfe Spitze<br />

erschienen. Sofort ließ ein Besatzungsmitglied eine Rauchbombe<br />

abwerfen, und die Maschine flog einen engen Kreis, um zur Kontaktstelle<br />

zurückzukehren.<br />

»Position steht fest!« Der taktische Gefechtsoffizier markierte<br />

die Position auf seinem taktischen Display mit einem großen V.<br />

Der Helikopter raste auf den Kontakt zu, über dem die Orion<br />

kreiste, und warf ebenfalls eine Rauchbombe ab.<br />

Die Daten wurden nun an die Bedienungen der Torpedorohre<br />

268


und ASROC-Starter der Fregatte weitergegeben. Beiden Waffen<br />

fehlte die Reichweite, um das Ziel anzugreifen, doch das konnte<br />

sich rasch ändern.<br />

»Nur Geduld«, hauchte Morris auf seinem Sessel in der Gefechtszentrale<br />

und fügte dann lauter hinzu: »Laßt euch Zeit, Leute.<br />

Nageln wir den Kerl erst mal fest, ehe wir schießen.«<br />

Der taktische Koordinator an Bord der Orion st<strong>im</strong>mte zu und<br />

entspannte sich. P-3 und Hubschrauber nahmen <strong>im</strong> Norden eine<br />

weitere MAD-Suche vor. Diesmal bekam die Orion einen Wert.<br />

Noch ein Anflug, und der Kurs des Kontakts war festgestellt.<br />

Anschließend eine Suche von Osten nach Westen - erst erfolglos,<br />

doch nach einer Wiederholung stand fest, dass es sich bei dem<br />

Kontakt um ein U-Boot handelte. Die Leitung der Operation übernahm<br />

nun der taktische Koordinator in der Orion. Die große<br />

Maschine flog in zwei Meilen Entfernung Kreise; der Hubschrauber<br />

ging für seinen letzten Überflug in Position. Der Pilot prüfte<br />

sorgfältig seine taktischen Anzeigen und konzentrierte sich dann<br />

auf den Kreiselkompaß.<br />

Dann begannen Hubschrauber den letzten Anflug, gefolgt von<br />

der Orion. Eine letzte Markierung wurde abgeworfen, eine grüne<br />

schw<strong>im</strong>mende Leuchtbombe. Der Sea Sprite flog eine scharfe<br />

Rechtskurve, um der tief anfliegenden Orion freie Bahn zu geben.<br />

Die Bombenklappen der P-3 öffneten sich, ein Torpedo Mk-46<br />

wurde scharfgemacht.<br />

»Torpedo frei!«<br />

Der Torpedo kam sauber frei. Außerdem warf die Orion eine<br />

weitere Sonoboje ab, diesmal ein DIFAR mit Richtcharakteristik.<br />

»Starkes Signal in eins-sieben-neun.«<br />

Der Torpedo tauchte auf zweihundert Fuß und begann dann mit<br />

Hochfrequenz-Sonar seine kreisförmige Suchfahrt.<br />

Der Besatzung des U-Boots war die Aktivität über der Wasseroberfläche<br />

nicht verborgen geblieben. Das Boot, ein für den Fronteinsatz<br />

zu altes und lautes Foxtrott, lauerte dennoch auf den Geleitzug,<br />

der <strong>im</strong> Süden gemeldet worden war. Sein Sonar hatte einen<br />

Aufschlag an der Oberfläche festgestellt und gemeldet, doch der<br />

Kapitän war mit der Best<strong>im</strong>mung der Position des Geleitzugs, dem<br />

er sich nähern sollte, zu beschäftigt. Das Zielsuchsonar des Torpedos<br />

änderte sich rasch. Auf der Stelle ging das Foxtrott auf äußerste<br />

Fahrt und drehte in einem vorgeplanten Ausweichmanöver hart<br />

269


nach Backbord ab. Die jäh zunehmenden Kavitationsgeräusche<br />

seiner Schrauben wurden von mehreren Sonobojen und dem taktischen<br />

Sonar der Pharris aufgefangen. Der Torpedo war in einem<br />

Such- und Horch-Modus und setzte sowohl aktives als auch passives<br />

Sonar ein, um sein Ziel zu finden. Bei der Vollendung des ersten<br />

Kreises erfaßten die passiven Rezeptoren in der Spitze des Torpedos<br />

das Kavitationsgeräusch und lösten eine Kursänderung aus. Bald<br />

prallten die Impulse vom Heck des U-Boots, das Haken schlug, um<br />

zu entkommen, ab. Der Torpedo schaltete au<strong>tom</strong>atisch auf Dauerpeilen<br />

um, ging auf Höchstgeschwindigkeit und hielt unbarmherzig<br />

wie ein Roboter auf sein Ziel zu.<br />

Die Sonar-Operatoren <strong>im</strong> Flugzeug und auf der Fregatte hatten<br />

die beste Übersicht. Die Kurslinien von U-Boot und Torpedo begannen<br />

zu konvergieren. Das Foxtrott, das mit seinen fünfzehn<br />

Knoten Höchstfahrt dem vierzig Knoten schnellen Torpedo nicht<br />

entkommen konnte, begann eine Reihe von Wendemanövern, doch<br />

der Torpedo ließ sich nicht abschütteln. Be<strong>im</strong> ersten Versuch verfehlte<br />

der Mark-46 sein Opfer um sechs Meter, machte kehrt und<br />

griff erneut an. Und dann beging der Kapitän des U-Bootes einen<br />

Fehler. Anstatt weiter eine Linkskurve zu fahren, ging er auf Gegenkurs,<br />

in der Hoffnung, den Torpedo zu verwirren. Doch er geriet<br />

genau in seine Bahn.<br />

Die Besatzung des Hubschraubers sah das Wasser gleichsam<br />

hochspringen und dann aufschäumen, als die Druckwelle der Explosion<br />

die Oberfläche erreichte.<br />

»Sprengkopf detoniert«, meldete der Pilot. Einen Augenblick<br />

später warf sein System-Operator eine Passiv-Boje ab, die gleich<br />

darauf Geräusche aufnahm.<br />

Das Foxtrott sank. Sie hörten, wie Preßluft in seine Ballasttanks<br />

geblasen wurde, das Surren seiner noch mit voller Kraft laufenden<br />

Elektromotoren, die Schrauben, die sich vergeblich bemühten, das<br />

vollaufende Boot an die Oberfläche zu treiben. Jäh verstummte das<br />

Motorengeräusch. Zwei Minuten später erklang ein metallisches<br />

Kreischen, als die Schotts vom zunehmenden Wasserdruck zerquetscht<br />

wurden.<br />

»Hier Bluebird. Das war eine Versenkung. Können Sie bestätigen?<br />

Over.«<br />

»Roger, Bluebird«, antwortete der ASW-Offizier. »Wir hörten<br />

Preßluft und berstendes Metall. Versenkung bestätigt.«<br />

270


Auf der Brücke überall breites Grinsen. Bald würde der Bootsmannsmaat<br />

die Silhouette eines halben roten U-Bootes neben die<br />

Tür malen. Noch war ihnen nicht aufgegangen, dass mit ihrer Hilfe<br />

gerade hundert junge Männer, die sich kaum von ihnen unterschieden,<br />

vom Wasserdruck in den Tiefen des Nordatlantik zerdrückt<br />

worden waren.<br />

»Was war das?« rief ein Ausguck. »Explosion an Steuerbord<br />

querab!«<br />

Morris schnappte sein Fernglas und eilte durch die offene Tür.<br />

In der Richtung des Geleitzuges stieg eine schwarze Rauchwolke<br />

gen H<strong>im</strong>mel. Es hatte wohl noch jemand seine erste Versenkung zu<br />

verzeichnen.<br />

USS N<strong>im</strong>itz<br />

So viele Schweißgeräte hatte Toland noch nie in Betrieb gesehen.<br />

Unter Leitung des Ersten Offiziers und dreier Sachverständiger<br />

schnitten Besatzungsmitglieder mit Schweißbrennern die beschädigten<br />

Teile des Flugdecks der N<strong>im</strong>itz und seiner Eisenstützen weg.<br />

Was schon schl<strong>im</strong>m ausgesehen hatte, entpuppte sich bei näherer<br />

Inspektion als Katastrophe. Sechs der gewaltigen Stützrahmen unter<br />

dem Flugdeck waren ruiniert, und die Explosion hatte noch zwei<br />

Decks tiefer ihre Wirkung gehabt. Ein Drittel des Hangardecks war<br />

ausgebrannt, der größte Teil der Flugzeugtreibstoffleitungen und<br />

alle Munitionsaufzüge mussten instand gesetzt werden. Die Gefechtszentrale<br />

mit allen Computern und Fernmeldeeinrichtungen<br />

existierte nicht mehr. Alle Landefangseile mussten ausgetauscht<br />

werden. Das Hauptsuchradar war zerstört. Und so ging die Liste<br />

weiter.<br />

Schlepper bugsierten den verwundeten Flugzeugträger in den<br />

Hafen von Southampton. Vor dem schnittigen Rumpf strömte<br />

Wasser in Kaskaden ins Hafenbecken. Experten der Royal Navy<br />

und der Reparaturwerft waren bereits an Bord, inspizierten die<br />

Schäden unter Deck und erstellten einen Katalog der Materialien,<br />

die gebraucht wurden, um das Schiff wieder einsatzfähig zu machen.<br />

Captain Svenson sah zu, wie die Anholtaue an Land geschossen<br />

wurden, wo Männer das Schiff dann festmachten. Inzwischen<br />

stand fest, dass fünfhundert Männer tot und dreihundert verwundet<br />

271


waren, und das war längst noch nicht die endgültige Zahl der<br />

Opfer. Am schl<strong>im</strong>msten waren die Crews auf dem Flugdeck betroffen,<br />

deren Unterstände von den beiden sowjetischen Raketen vernichtet<br />

worden waren. Auch diese mussten ersetzt werden, ehe die<br />

N<strong>im</strong>itz wieder in See gehen und kämpfen konnte.<br />

»Toland, Sie kommen nach Schottland. Unsere Flieger werden<br />

aufgeteilt«, sagte Svenson. »Die Jäger und Hawkeye werden nach<br />

Norden verlegt, wo der Iwan britische Radaranlagen behämmert.<br />

Ich möchte, dass Sie mit den Besatzungen der Jäger zusammenarbeiten<br />

und herauszufinden versuchen, was Iwan mit seinem Badger<br />

vorhat. Die Jagdbomber kommen fürs erste zur taktischen<br />

Luftreserve der Nato.«<br />

»Wann fahre ich ab?« Toland fiel ein, dass er nichts zu packen<br />

hatte. Auch dafür hatten die Kingfish gesorgt. Seine erste Handlung<br />

war dann ein Telegramm an seine Familie: Mir ist nichts passiert.<br />

Island<br />

»Doghouse, hier Beagle. Was, zum Teufel, ist hier gerade passiert?<br />

Over.«<br />

»Beagle, ich bin ermächtigt, Ihnen mitzuteilen, dass Keflavik<br />

gerade angegriffen worden ist.«<br />

»Kann man wohl sagen. Eben stürzte ein B-52. auf unseren Hügel.<br />

Ich hatte doch Jäger gemeldet. Geben Sie das denn nicht weiter?«<br />

»Ihre Information wurde als unbestätigt behandelt und nicht<br />

weitergegeben, Beagle. Ich war damit nicht einverstanden. Bitte<br />

fahren Sie fort.«<br />

»Ich sah vier, wiederhole: vier sowjetische Einsitzer mit zwei<br />

Seitenrudern. Verstanden?«<br />

»Zwei Seitenruder, verstanden. Gab es bei dem von Ihnen beobachteten<br />

Absturz Überlebende?«<br />

»Negativ. Keine Fallschirme in der Luft, und den Aufprall kann<br />

niemand überlebt haben. Ich sah einen Feuerball am Horizont,<br />

konnte aber nicht beurteilen, was das war. Wie haben sich die<br />

Weasel gehalten?«<br />

»Darf ich nicht sagen, Beagle, aber vielen Dank für den Hinweis<br />

auf die SAM-Batterien.«<br />

272


»Haben Sie Anweisungen für mich?«<br />

»Ihr Status wird <strong>im</strong> Augenblick überprüft. Wir melden uns zur<br />

vollen Stunde wieder.«<br />

»Lieber in zwei Stunden. Wir müssen zusehen, dass wir verschwinden,<br />

ehe der Iwan eine Streife losschickt. Out.«<br />

Sie hatten bereits einen Kilometer zurückgelegt und hielten auf<br />

das unbesiedelte Ödland <strong>im</strong> Osten zu. Links von ihnen war ein<br />

See, an dessen Westufer viele Häuser standen. Hier mussten sie<br />

vorsichtig sein. Im Laufschritt passierten sie eine Hochspannungsleitung<br />

und bogen nach Süden ab, um einen Hügelkamm zwischen<br />

sich und die Ansiedlung zu bringen. Eine Stunde später waren sie<br />

auf dem Lavafeld Holmshraun, einem unglaublichen Felsenmeer<br />

über der Landstraße 1, auf der in beiden Richtungen viel Verkehr<br />

herrschte.<br />

»Und was nun?« fragte Smith spitz.<br />

»Tja, Sergeant, hier sind wir gut getarnt. Ich finde, wir sollten<br />

abwarten, bis es ein bißchen dunkler wird, und dann die Straße<br />

überqueren. Laut Karte ist die Landschaft <strong>im</strong> Norden dünner besiedelt.«<br />

»Was werden unsere Freunde von Doghouse davon halten?«<br />

»Das stellen wir am besten gleich fest.« Edwards schaute auf die<br />

Uhr. Seine Meldung war schon fast zwei Stunden überfällig. Doghouse<br />

war ungehalten.<br />

»Warum haben Sie sich nicht gemeldet?«<br />

»Wir sind gerade acht Kilometer marschiert. Oder sollten wir<br />

vielleicht sitzenbleiben und zusehen, wie die Russen an dem<br />

Wrack herumpulen?«<br />

»Verstanden, Beagle. Wir haben eine Anweisung für Sie. Verfügen<br />

Sie über eine Karte?«<br />

»Ja, 1 : 15 000«<br />

»Gut, dann marschieren Sie nach Grafarholt. Dort gibt es einen<br />

Hügel. Suchen Sie sich in der Nähe einen sicheren Platz und warten<br />

Sie weitere Instruktionen ab.«<br />

»Moment, Doghouse, was wird, wenn der Iwan uns anhand<br />

unserer Funksignale ortet?«<br />

»Ah, es war auch an der Zeit, dass Sie sich danach erkundigen.<br />

Ihr Funkgerät sendet auf UHF, Seitenfrequenz und verschlüsselt,<br />

verfügt also über Tausende von Kanälen. Unwahrscheinlich, dass<br />

jemand per Zufall den richtigen erwischt. Wenn Sie die Richtan­<br />

273


tenne benutzen, brauchen Sie zudem nur einen Hügel zwischen<br />

sich und den Russen zu haben. Zufrieden?«<br />

»Einigermaßen.»<br />

»Sonst noch irgendwelche Meldungen?«<br />

»Aktivität auf der Landstraße unter uns. Mehrere grüne Lkw,<br />

sowjetisches Heer. Zahlreiche kleine Flugzeuge. Keine Panzer.«<br />

»Gut. Nehmen Sie sich Zeit, gehen Sie auf Nummer Sicher. Ihr<br />

Auftrag ist, Feindkontakt zu meiden und Meldung zu erstatten.<br />

Wir sind da, wenn Sie uns brauchen. Out.«<br />

In Station »Doghouse«, die sich in Nordschottland befand,<br />

lehnte sich der Fernmeldeoffizier auf seinem Drehsessel zurück.<br />

»Der Junge klingt ein bißchen nervös«, merkte ein Offizier vom<br />

Nachrichtendienst an und griff nach seiner Teetasse.<br />

»Wohl kaum Material für die SAS, was?« kommentierte ein<br />

anderer.<br />

»Urteilen wir nicht überhastet«, meinte ein Dritter. »Er ist intelligent,<br />

sportlich und war geistesgegenwärtig genug, sich zu verziehen,<br />

als Flucht angesagt war. Scheint etwas nervös zu sein, aber in<br />

seiner Lage ist das verständlich.«<br />

Der Erste wies auf die Karte. »Zwölf Stunden für diese kurze<br />

Distanz?«<br />

»Durch hügeliges, offenes Terrain, auf dem eine ganze Division<br />

Fallschirmjäger mit Lkw und Schützenpanzern herumwuselt. Zudem<br />

geht die Sonne nie unter. Was erwarten Sie da von gerade mal<br />

vier Männern?« fragte ein Vierter, der Zivil trug. Er war be<strong>im</strong> 22.<br />

SAS-Reg<strong>im</strong>ent gewesen und <strong>im</strong> Einsatz schwer verwundet worden.<br />

»Wäre der Junge vernünftig, hätte er es schon gestern gesteckt<br />

und sich ergeben. Interessantes Charakterprofil. Wenn er es<br />

schafft, die Höhe rechtzeitig zu erreichen, wird er uns sehr nützlich<br />

sein.«<br />

USS Pharris<br />

Der Geleitzug hatte sich zerstreut. Morris sah auf dem Radar-<br />

Display einen sich vergrößernden Kreis von Schiffen, die nun nach<br />

Osten abzudrehen begannen, um sich wieder zu formieren. Ein<br />

Frachter war versenkt worden, ein anderer kroch schwer beschädigt<br />

zurück nach Westen. Drei Fregatten versuchten, das schuldige<br />

274


U-Boot zu finden. Gallery hatte einen möglichen Kontakt gehabt<br />

und mit einem Torpedo angegriffen, aber erfolglos. Vier Hubschrauber<br />

warfen Sonobojen, in der Hoffnung, ihn wieder zu erfassen,<br />

und ein halbes Dutzend Sonargeräte pingte drauflos, aber <strong>im</strong><br />

Augenblick sah es so aus, als sei das U-Boot der Eskorte entkommen.<br />

»Das hat er geschickt gemacht«, gestand der TAO zu. »Sein<br />

einziger Schnitzer war, dass er das Ende des Konvois angriff.«<br />

»Seine Feuerleitung war nicht gerade sensationell«, meinte Morris.<br />

»Wie ich höre, wurden fünf Fische mit Sonar erfaßt. Gehen wir<br />

von drei Zielen aus. Zwei Treffer für eine Versenkung. Schaden an<br />

einem anderen Schiff. Am dritten muss er glatt vorbeigeschossen<br />

haben. Und was treibt er jetzt wohl?«<br />

»Wetten, dass es ein altes A<strong>tom</strong>-U-Boot ist?« sagte der TAO.<br />

» Sein Feuerleitsystem ist nicht auf dem neuesten Stand, und es kann<br />

nicht schnell fahren und zugleich unentdeckt bleiben. Es holte den<br />

Geleitzug mit Mühe und Not ein und knabberte zwei Schiffe ab. Als<br />

der Konvoi auseinanderstob, war es nicht in der Lage, die Verfolgung<br />

aufzunehmen, ohne sich durch Lärm zu verraten.«<br />

»Und was tat es dann?« fragte der ASW-Offizier.<br />

»Verkroch sich mitten <strong>im</strong> Geleitzug und tauchte dann weg, ging<br />

sozusagen <strong>im</strong> Lärm der trampelnden Herde unter...«<br />

»Es verzog sich also nach Norden.« Morris beugte sich über das<br />

Display. »Die meisten Frachter gingen auf Nordostkurs, als der<br />

Befehl zum Zerstreuen kam. Unser Freund aber fuhr vermutlich<br />

nach Norden, um sich an ein anderes Ziel zu hängen. Mit welchem<br />

Typ haben wir es da zu tun?«<br />

»Laut Nachrichtendienst sind drei Foxtrott, ein November und<br />

vielleicht noch ein weiteres A<strong>tom</strong>-U-Boot in diesem Gebiet. Das<br />

Boot, das wir versenkten, war wahrscheinlich ein Foxtrott; zu<br />

langsam, um dem Geleitzug folgen zu können.« Der ASW-Offizier<br />

schaute auf. »Ein November hätte das aber geschafft. Mit einem<br />

neueren Boot haben wir es also nicht zu tun. Das würde weiterschießen.<br />

Sagen wir: ein November.«<br />

»Gut, nehmen wir an, es fuhr mit sechs oder sieben Knoten nach<br />

Norden und drehte dann nach Osten ab, in der Hoffnung, uns<br />

morgen noch einmal zu erwischen. Wo müßte es sich dann befinden<br />

?«<br />

»Im Augenblick? Hier, Sir.« Der ASW-Offizier wies auf einen<br />

275


Punkt achtzehn Meilen hinter der Fregatte. »Leider können wir<br />

nicht umkehren, um es zu jagen.«<br />

»Nein, aber wir können horchen für den Fall, dass es aufzuholen<br />

versucht.« Morris dachte angestrengt nach. Der Geleitzug sollte in<br />

einer Stunde auf Kurs eins-zwei-null gehen, um sich weiter südlich<br />

der unvermittelt größeren Bedrohung durch sowjetische Langstrekkenbomber<br />

zu entziehen. Bis der Konvoi sich wieder formiert hatte<br />

und alle Schiffe auf Station waren, würde Zeit vergehen - die das<br />

November best<strong>im</strong>mt nutzte, um sich seinem Ziel zu nähern. Und da<br />

die Frachter <strong>im</strong> Zickzack liefen, kamen sie nur mit sechzehn Knoten<br />

voran. Ein November mochte versuchen, sie einzuholen. »Die Operatoren<br />

sollen diesem Sektor ganz besondere Aufmerksamkeit<br />

schenken. Mag sein, dass es wieder auftaucht.«<br />

»Rufen wir eine P-3?« fragte der TAO.<br />

Morris schüttelte den Kopf. »Die werden vorne gebraucht, wo<br />

die Hauptbedrohung ist. Wir haben uns um Verfolger zu kümmern.<br />

Wetten, dass dieser Kerl sich bald an uns hängt?«<br />

Kiew, Ukraine<br />

»Gute Nachrichten«, meldete der Marineoffizier. »Unsere Bomber<br />

melden die Versenkung von drei Flugzeugträgern, zwei Kreuzern<br />

und zwei Zerstörern.«<br />

Alexejew und sein Vorgesetzter tauschten einen Blick: Die Arroganz<br />

der Kameraden in Blau würde nun unerträglich werden.<br />

»Wie verläßlich sind diese Informationen?« frage der OB Südwest.<br />

»Vor dem Angriff wurden vier flugzeugträgerähnliche Schiffe<br />

fotografiert. Be<strong>im</strong> nächsten Satellitendurchlauf acht Stunden später<br />

war nur noch eines zu sehen. Es fehlten auch zwei Kreuzer und zwei<br />

Zerstörer. Und nachrichtendienstlichen Meldungen zufolge<br />

landete eine große Zahl trägergestützter Flugzeuge auf einem französischen<br />

Luftstützpunkt in der Bretagne. Unsere U-Boote waren<br />

nicht in der Lage, Kontakt mit dem Verband zu bekommen - es hat<br />

den Anschein, als wäre eines versenkt worden -, aber unsere erste<br />

See/Luftschlacht war ein durchschlagender Erfolg. Wir sperren<br />

ihnen den Atlantik, Genossen«, prophezeite der Kapitän zur See.<br />

»Das wird auch nötig sein«, meinte Alexejew.<br />

276


Sein Chef brummte zust<strong>im</strong>mend. Die Entwicklungen in Deutschland<br />

sahen ungünstig aus. Die Luftwaffe war schwerer angeschlagen,<br />

als man befürchtet hatte, und das Resultat war eine Verzögerung<br />

der Landoffensive. Am zweiten Kriegstag waren die Angriffsziele<br />

des ersten nur an einem Frontabschnitt erreicht worden, und<br />

dort hatte der Feind zwanzig Kilometer östlich von Hamburg einen<br />

heftigen Gegenangriff gestartet. Die Panzerverluste waren fünfzig<br />

Prozent höher als erwartet, und viele Einheiten meldeten schwere<br />

Luftangriffe. Bisher war nur die Hälfte der Elbbrücken durch Pontonbrücken<br />

ersetzt worden, die jedoch eine verminderte Tragfähigkeit<br />

hatten. Die Nato-Armeen hatten ihre volle Kampfstärke noch<br />

nicht erreicht. Noch <strong>im</strong>mer trafen amerikanische Verstärkungen<br />

auf dem Luftweg ein und stießen zu ihrer bereitstehenden Ausrüstung.<br />

Die erste sowjetische Angriffswelle musste bluten, die zweite<br />

saß zum größten Teil noch hinter der Elbe fest.<br />

Island<br />

»Dunkler, als es jetzt ist, wird es nicht mehr«, sagte Edwards. Es<br />

herrschte »nautisches Zwielicht«, wie Meteorologen und Seeleute<br />

sagen. Die Sichtweite betrug nur noch wenige hundert Meter; die<br />

Sonne stand knapp unterm Nordwesthorizont. Der Lieutenant<br />

nahm das Funkgerät auf den Rücken und stand auf. Seine Marines<br />

folgten seinem Beispiel und legten so viel Begeisterung an den Tag<br />

wie Kinder auf dem Weg zur Schule.<br />

Sie gingen über leicht abfallendes Gelände auf den Fluß Sudura<br />

zu, der, wie Edwards fand, eher ein mittelgroßer Bach war. Das<br />

Lavafeld bot gute Deckung. Der Boden war mit Felsen übersät,<br />

manche bis zu einem Meter hoch; hier blieb Bewegung dem oberflächlichen<br />

Beobachter verborgen. Edwards konnte nur hoffen, dass<br />

keine Späher in der Nähe waren. Sie hatten eine Anzahl sowjetischer<br />

Streifen beobachtet, vorwiegend auf Militär-Lkws, die alle<br />

dreißig Minuten vorbeikamen. Feste Positionen machten sie nicht<br />

aus. Mit Sicherheit musste das Wasserkraftwerk bei Burfell besetzt<br />

worden sein. Diese Einrichtung war bislang noch nicht bombardiert<br />

worden, denn in den Häusern unter ihnen brannte noch<br />

elektrisches Licht.<br />

Die Felsen wurden kleiner, das Gelände ging in eine Wiese über.<br />

277


Dem Geruch und der Kürze des Grases nach zu urteilen, hatten hier<br />

vor kurzem Schafe geweidet. Die Männer duckten sich instinktiv<br />

und marschierten auf eine geschotterte Straße zu. Hier standen<br />

Häuser und Scheunen weit und unregelmäßig zerstreut. Sie wählten<br />

eine Stelle, an der die Lücke zwischen zwei Gebäuden rund fünfhundert<br />

Meter breit war, und hofften, dank ihrer Tarnanzüge und<br />

des schwachen Lichts unentdeckt zu bleiben. Im Freien war kein<br />

Mensch zu sehen. Edwards ließ seine Gruppe anhalten und sah sich<br />

die nächststehenden Häuser durchs Fernglas genau an. In einigen<br />

brannte Licht, aber es waren nirgends Leute zu sehen. Hatten die<br />

Russen etwa eine Ausgangssperre verhängt? Das bedeutete, dass<br />

jeder, der <strong>im</strong> Freien angetroffen wurde, sofort erschossen werden<br />

konnte. Angenehme Vorstellung, dachte Edwards.<br />

Das Flußufer war steil und mit glatten Steinen bedeckt. Smith<br />

ging als erster hinunter; die anderen lagen mit schußbereiten Waffen<br />

am Südufer. Der Sergeant bewegte sich anfangs nur langsam<br />

und prüfte die Wassertiefe, ehe er mit erhobenem Gewehr ans<br />

andere Ufer eilte. Von dort aus winkte er: Alles klar. Edwards<br />

merkte bald, warum der Sergeant den Fluß so hastig durchwatet<br />

hatte. Das hüfttiefe Wasser war eiskalt, es kam wie die meisten<br />

Gewässer in Island von einem schmelzenden Gletscher. Er stöhnte<br />

und watete mit Gewehr und Funkgerät hoch überm Kopf so rasch<br />

wie möglich hinüber. Eine Minute später stand er am anderen Ufer.<br />

Smith lachte in sich hinein. »Das hat uns wohl alle aufgeweckt.«<br />

»Da friert man sich ja den Arsch ab«, murrte Rodgers.<br />

»Die Luft scheint rein zu sein«, erklärte Edwards. »Hinter dieser<br />

Wiese noch ein Bach, danach müssen wir zwei Straßen kreuzen und<br />

erreichen dann über ein Lavafeld eine Anhöhe. Auf geht's, Männer.«<br />

»Recht so, Lieutenant.« Smith stand auf und marschierte los. Die<br />

anderen folgten ihm in Abständen von fünf Metern. Der Kerl hat's<br />

aber eilig, dachte der Sergeant.<br />

Hier war das Gelände angenehm eben, und das Gras reichte<br />

ihnen bis an die Stiefelschäfte. Sie schritten rasch aus, die Gewehre<br />

schußbereit vor der Brust, und wichen leicht nach Osten ab, um das<br />

Dorf Holmur zu meiden. Der nächste Fluß war seichter als der<br />

Sudura, aber nicht weniger kalt. Nach seiner Durchquerung hielten<br />

sie an und waren nun nur noch zweihundert Meter von der Landstraße<br />

entfernt. Wieder ging Smith als erster voran - diesmal tief<br />

278


geduckt und in kurzen Spurts gefolgt von Pausen, in denen er sich<br />

hinkniete und das Gelände absuchte. Die Männer hinter ihm folgten<br />

seinem Beispiel. Nun sammelte sich die Gruppe fünfzig Meter<br />

von der Straße entfernt <strong>im</strong> hohen Gras.<br />

»So weit, so gut «, meinte Smith. »Wir überqueren die Straße<br />

einzeln <strong>im</strong> Abstand von einer Minute. Ich gehe wieder voran und<br />

warte fünfzig Meter weiter bei diesen Felsblöcken da drüben. Haltet<br />

euch auf der Straße nicht auf - Kopf runter und durch. Wer<br />

etwas kommen sieht, wirft sich so weit wie möglich von der Straße<br />

entfernt auf den Boden. Wenn ihr still liegen bleibt, kann euch<br />

niemand sehen. Seid vorsichtig. Verstanden?« Alle, Edwards eingeschlossen,<br />

nickten zust<strong>im</strong>mend.<br />

Der Sergeant hielt Wort. Nachdem er sich ein letztes Mal umgesehen<br />

hatte, hastete er über die Straße. Eine Minute später folgte<br />

Garcia. Dann kam Rodgers. Edwards zählte bis sechzig und jagte<br />

los. Er stellte mit Erstaunen fest, wie anstrengend das war. Sein<br />

Herz hämmerte vor Angst, als er die Fahrbahn erreicht hatte, und er<br />

blieb mitten auf der Straße wie erstarrt stehen. Aus dem Norden<br />

näherten sich Autoscheinwerfer. Edwards aber stand wie angewurzelt<br />

da und sah mit Entsetzen, wie sie <strong>im</strong>mer näher kamen...<br />

»Los, Lieutenant!« zischte der Sergeant ihm zu.<br />

Edwards schüttelte heftig den Kopf und rannte auf den Sergeant<br />

zu.<br />

»Da kommt was!« stieß er hervor.<br />

»St<strong>im</strong>mt. Immer mit der Ruhe, Sir. Verteilen wir uns. Sucht euch<br />

eine gute Deckung und rührt euch nicht. Und seht zu, dass die<br />

Waffen gesichert sind! Sie bleiben bei mir, Sir.«<br />

Die beiden Soldaten schlugen sich links und rechts ins hohe Kraut<br />

und wurden unsichtbar, als sie sich nicht mehr bewegten. Edwards<br />

legte sich neben Sergeant Smith. »Ob die mich wohl gesehen haben?«<br />

fragte er.<br />

Es war so dunkel, dass er Smiths' wütendes Gesicht nicht sehen<br />

konnte. Der Sergeant erwiderte: »Wahrscheinlich nicht. Aber machen<br />

Sie so was nicht noch einmal, Sir.«<br />

»Das kommt nicht wieder vor. Vergessen Sie nicht, Sergeant, dass<br />

ich kein Marineinfanterist bin.«<br />

»Halten Sie die Ohren offen und tun Sie, was wir sagen, klar?«<br />

flüsterte Smith. »Wir sind Marines und passen schon auf Sie auf.«<br />

Das Scheinwerferpaar näherte sich langsam auf der abschüssigen<br />

279


Straße. Der Fahrer traute wohl dem losen Schotter nicht. Hier<br />

gabelte sich die Straße. Ein Militärfahrzeug, wie sie sahen, denn<br />

seine Scheinwerfer waren bis auf zwei schmale Schlitze mit Klebeband<br />

abgedeckt.<br />

Edwards rührte sich nicht, packte aber den Kunststoffschaft<br />

seines Gewehrs fester. Was, wenn ihn jemand auf der Straße gesehen<br />

und die Russen verständigt hatte? Smith streckte die Hand aus<br />

und drückte Edwards' Gewehrlauf hinunter. »Vorsicht mit dem<br />

Ding, Lieutenant«, flüsterte er.<br />

Zehn Männer sprangen von dem Lkw und verteilten sich keine<br />

fünfzig Meter entfernt auf der Wiese. Wie auf ein Kommando hin<br />

knöpften sie die Hosen auf und erleichterten sich. Edwards musste<br />

sich beherrschen, um nicht laut loszulachen. Als sie fertig waren,<br />

stiegen sie wieder auf den Laster, der sich geräuschvoll entfernte.<br />

Die Marines sammelten sich wieder, als seine Rücklichter unterm<br />

Horizont verschwanden.<br />

»Schade«, merkte Rodgers grinsend an, »dem einen hätt' ich<br />

glatt den P<strong>im</strong>mel abschießen können!«<br />

»Gut gemacht, Leute«, sagte Smith. »Weiter, Lieutenant?«<br />

Edwards, beschämt über seinen Schnitzer, ließ Smith vorangehen.<br />

Sie überquerten die Schotterstraße und hatten hundert Meter<br />

weiter wieder ein Lavafeld erreicht. Sie kletterten über Felsblöcke<br />

ins Ödland. Die nassen Hosen ihrer Kampfanzüge klebten und<br />

trockneten <strong>im</strong> kühlen Westwind nur langsam.<br />

USS Pharris<br />

»Unserem November fehlt die echofreie Beschichtung«, sagte der<br />

ASW-Offizier leise und wies auf das Display. »Das ist er, nehme ich<br />

an, er versucht, den Geleitzug einzuholen.«<br />

»Entfernung rund sechsundvierzigtausend Yard«, erklärte der<br />

TAO.<br />

Fünf Minuten später flog der Hubschrauber der Pharris mit<br />

Volleistung nach Südwesten, und Bluebird 7, eine weitere PC-3<br />

Orion, hielt von Osten her auf den Bezugspunkt zu. Beide Maschinen<br />

flogen tief und hofften, das U-Boot, das zwei ihrer Schutzbefohlenen<br />

versenkt und einen weiteren schwer beschädigt hatte, zu<br />

überraschen. Der Russe hatte seine Geschwindigkeit gesteigert und<br />

280


damit vermutlich einen Fehler begangen. Möglicherweise lautete<br />

sein Befehl, den Geleitzug zu verfolgen und über Funk Positionsmeldungen<br />

zu geben, die andere U-Boote nutzen konnten. Vielleicht<br />

wollte er aber auch nur aufholen, um noch einmal anzugreifen.<br />

Wie auch <strong>im</strong>mer, die Reaktorpumpen seines Bootes liefen und<br />

erzeugten einen Lärm, den der Rumpf nicht dämmen konnte. Er<br />

hatte das Sehrohr ausfahren lassen, und das gab den Maschinen<br />

eine Chance, ihn von oben zu orten.<br />

»Okay, Bluebird, wir sind nur noch drei Meilen vom Bezugspunkt<br />

entfernt. Geben Sie Ihre Position durch.«<br />

»Wir sind zwei Meilen hinter Ihnen, Papa 126. Illuminieren!«<br />

Der System-Operator hob die Abdeckung vom Radarschalter<br />

und legte ihn um. Augenblicklich begann der unterm Bug des<br />

Hubschraubers angebrachte Radarsender Energie auszustrahlen.<br />

»Kontakt! Radarkontakt in eins-sechs-fünf, Distanz elfhundert<br />

Yard!«<br />

»MAD frei!« Der Pilot erhöhte die Triebwerksleistung und raste<br />

auf den Kontakt zu.<br />

»Wir haben ihn auch!« rief der taktische Koordinator zurück.<br />

Neben ihm machte ein Unteroffizier den Torpedo scharf und stellte<br />

eine vorläufige Suchtiefe von hundert Fuß ein.<br />

Die Kollisionswarnleuchten des Hubschraubers flammten in der<br />

Dunkelheit rot auf. Weiteres Versteckspielen war nun sinnlos; das<br />

U-Boot musste die Radarsignale empfangen haben und nun zu<br />

tauchen versuchen. Doch dazu blieb ihm nicht genug Zeit.<br />

»Rauchbombe frei!« rief der System-Operator.<br />

Der Rauch war in der Nacht zwar unsichtbar, doch die kleine<br />

grüne Flamme wirkte in der Finsternis wie ein Leuchtfeuer. Der<br />

Hubschrauber drehte nach links ab und machte der Orion, die nun<br />

nur noch fünfhundert Yard hinter ihm lag, den Weg frei.<br />

Die starken Suchscheinwerfer der P-3C flammten auf und ließen<br />

die verräterische Schaumspur des Sehrohrs sichtbar werden. Die<br />

Bombenklappen der Orion öffneten sich, ein Torpedo und eine<br />

Sonoboje stürzten dem schwarzen Wasser entgegen.<br />

»Positiver Sonarkontakt, eindeutig U-Boot!« verkündete ein<br />

Operator über die Bordsprechanlage. »Torpedo nähert sich rasch<br />

dem Ziel... Sieht gut aus, TAO, <strong>im</strong>mer näher ... Treffer!« Die<br />

Schallspur des Torpedos verschmolz mit der des U-Bootes, und auf<br />

dem Wasserfall-Display erschien ein greller Fleck. An Bord der<br />

281


Orion schaltete ein Operator die Sonoboje von Aktiv- auf Passivmodus<br />

um und zeichnete das nachhallende Grollen der Explosion des<br />

Torpedosprengkopfes auf. Die Schraubengeräusche des Bootes waren<br />

nicht mehr zu vernehmen, und er hörte noch einmal Preßluft<br />

zischen, als es seine letzte Tauchfahrt begann.<br />

»Versenkt!« rief der TAO mit Begeisterung.<br />

«Bestätigt«, sagte Morris über Funk. »Saubere Arbeit, Bluebird.«<br />

» Roger, Pharris. Besten Dank, Sir! Vielleicht bleiben wir noch eine<br />

Weile in der Gegend, Sir. Sieht so aus, als liefe die Aktion nur bei<br />

Ihnen. Out.«<br />

Der TAO war weniger begeistert. »Erwischt haben wir ein lautes<br />

Foxtrott und ein November, dessen Kommandant sich dumm anstellte.<br />

Was, wenn er wirklich nur den Auftrag hatte, dem Geleitzug<br />

zu folgen und Meldung zu erstatten?«<br />

»Kann sein.« Morris nickte. »Wenn der Iwan seine Skipper zu<br />

solchem Unsinn zwingt, wird ihn das eine Menge Boote kosten.<br />

Diese Lektion haben wir auch schon einmal gelernt.«<br />

USS Chicago<br />

McCafferty hatte seinen eigenen Kontakt, den sie nun schon seit<br />

einer Stunde verfolgten. Die Sonar-Operatoren bemühten sich, auf<br />

ihren Schirmen die bewegliche Schallquelle von Hintergrundgeräuschen<br />

zu unterscheiden, und gaben ihre Daten an den Feuerleittrupp<br />

weiter, vier Männer, die sich in einer Ecke der Angriffszentrale<br />

über einen Kartentisch beugten.<br />

Der Kommandant trat zu ihnen. »Was tut sich?«<br />

»Nicht viel, was die Richtung angeht. Er muss weit entfernt sein,<br />

Sir, vielleicht in der dritten Konvergenzzone. Achtzig Meilen also.<br />

Er läuft aber nicht auf uns zu, denn sonst hätten wir das Signal<br />

verloren, als er die Zone verließ.« Dem Ersten Offizier sah man die<br />

Belastung der vergangenen Woche an. »Sir, ich vermute, dass wir<br />

ein A<strong>tom</strong>-U-Boot verfolgen, wahrscheinlich ein lautes. Die akustischen<br />

Verhältnisse sind so gut, dass wir mit drei Konvergenzzonen<br />

herumspielen können. Und ich nehme an, dass es so wie wir ein<br />

best<strong>im</strong>mtes Gebiet patrouilliert. Es könnte sogar hin und her fahren<br />

wie wir. Damit wären die min<strong>im</strong>alen Richtungsänderungen erklärt.«<br />

282


McCafferty runzelte die Stirn. Dies war sein erster echter Kontakt<br />

seit Kriegsausbruch. Er befand sich dicht an der Nordgrenze<br />

des ihm zugewiesenen Gebiets; das Ziel war vermutlich auf der<br />

anderen Seite. Wenn es nun angriff, blieb der größte Teil seines<br />

Sektors ungeschützt.<br />

»Gehen wir auf ihn los«, befahl McCafferty. »Ruder zehn Grad<br />

Backbord, neuer Kurs drei-fünf-eins. Zwei Drittel voraus.«<br />

Chicago ging rasch auf Nordkurs und beschleunigte auf fünfzehn<br />

Knoten, seine »leise« Höchstgeschwindigkeit. Bei diesem Tempo<br />

erzeugte das Boot nur wenig Geräusche und war nur schwer zu<br />

orten, da sein Sonar auch unter diesen Bedingungen noch fünf bis<br />

zehn Meilen weit reichte. Die vier Torpedorohre waren mit einem<br />

Paar Mk-48-Torpedos und zwei Antischiff-Raketen Harpoon geladen.<br />

Ganz gleich, ob es sich bei dem Ziel um ein Überwasserschiff<br />

oder ein U-Boot handelte, Chicago konnte mit ihm fertigwerden.<br />

Grafarholt, Island<br />

»Sie melden sich früher als vereinbart, Beagle«, erwidert Doghouse.<br />

Edwards saß zwischen zwei Felsblöcken gegen einen dritten gelehnt<br />

und hatte das Funkgerät auf dem Schoß. Er hoffte nur, dass er<br />

es in eine sichere Richtung ausgerichtet hatte; die Russen, vermutete<br />

er, saßen vorwiegend an dem Küstenstreifen zwischen Keflavik<br />

und Reykjavik, also weit westlich von der Position des Satelliten.<br />

Unter ihm aber lagen Häuser und Fabriken, und wenn es dort einen<br />

Horchposten gab...<br />

»Wir mussten die Höhe erreichen, ehe es zu hell wurde«, erklärte<br />

der Lieutenant. Die letzten Kilometer hatten sie mit der aufgehenden<br />

Sonne <strong>im</strong> Rücken <strong>im</strong> Laufschritt zurückgelegt. Die Tatsache,<br />

dass die Marines noch heftiger schnaufen mussten als er, war Edwards<br />

nur ein kleiner Trost gewesen.<br />

»Wie sicher ist Ihre Position?«<br />

»Auf der Landstraße unter uns ist Verkehr, aber die Distanz<br />

beträgt gut eine Meile.«<br />

»Okay. Können Sie <strong>im</strong> Süden das Umspannwerk sehen?«<br />

Edwards griff mit einer Hand nach dem Fernglas. Laut Landkarte<br />

hieß die Anlage Artun. »Ja.«<br />

»Wie sieht's bei Ihnen aus, Beagle?«<br />

283


Beinahe hätte Edwards erwidert, es liefe alles bestens, doch dann<br />

sagte er: »Miserabel, ausgesprochen miserabel.«<br />

»Roger, Beagle. Behalten Sie das Umspannwerk <strong>im</strong> Auge. Tut<br />

sich dort etwas?«<br />

»Moment.« Edwards stellte die Antenne ab und sah die Anlage<br />

genauer an. »Ein gepanzertes Fahrzeug, vier bewaffnete Männer.<br />

Sonst nichts.«<br />

»Sehr gut, Beagle. Achten Sie auf die Anlage und machen Sie<br />

Meldung, wenn Boden-Luft-Raketen auftauchen. Wir brauchen<br />

auch Daten für den Fall, dass Sie Kampfflugzeuge sehen. Zählen Sie<br />

Truppen und Fahrzeuge, schreiben Sie alles auf, verstanden?«<br />

»Roger. Wir schreiben alles auf und melden uns.«<br />

» Sie halten sich gut, Beagle. Vergessen Sie nicht, Ihr Auftrag heißt<br />

Beobachten und Melden. Vermeiden Sie Kontakte. Wenn sich<br />

feindliche Truppen auf Sie zubewegen, setzen Sie sich ab. Sie brauchen<br />

dann nicht sofort Meldung zu machen; sehen Sie erst zu, dass<br />

Sie verschwinden. Melden können Sie sich später. So, und jetzt<br />

wahren Sie für eine Weile Funkstille.«<br />

»Roger. Out.« Edwards packte das Funkgerät ein. Das konnte er<br />

inzwischen mit geschlossenen Augen.<br />

»Was gibt's, Lieutenant?« fragte Smith.<br />

Edwards grunzte. »Wir bleiben hier sitzen und behalten das<br />

Umspannwerk da drüben <strong>im</strong> Auge.«<br />

»Erwartet man von uns, dass wir den Strom abschalten?«<br />

»Dafür ist die Anlage zu scharf bewacht, Sergeant«, antwortete<br />

Edwards, streckte sich und schraubte sein Feldflasche auf. Garcia<br />

hielt auf der Anhöhe über ihm Wache, Rodgers schlief. »Was gibt's<br />

zum Frühstück?«<br />

»Ich tausche meine Pfirsiche gegen Erdnußbutter mit Keksen.«<br />

Edwards riß seine Gefechtsration auf und inspizierte den Inhalt.<br />

»Abgemacht.«<br />

284


USS Chicago<br />

22<br />

Nachstöße<br />

Das Boot verlangsamte die Fahrt, um sein Ziel wieder zu erfassen.<br />

Seit einer Stunde war es in großer Tiefe mit fünfzehn Knoten<br />

gefahren und ging nun auf fünfhundert Fuß hoch, mitten in einen<br />

tiefen Schallkanal hinein. McCafferty befahl einen Ostkurs, um<br />

sein Schleppsonar auf das <strong>im</strong> Norden vermutete Ziel zu richten.<br />

Erst nach einigen Minuten war diese Batterie von Sensoren so<br />

ausgerichtet, dass die Sonar-Operation ernsthaft mit der Arbeit<br />

beginnen konnte. Langsam tauchten auf ihrem Display die Daten<br />

auf, aber außer zufälligen Schallmustern war zwanzig Minuten<br />

lang nichts Genaues zu erkennen.<br />

»Gehen Sie auf Antennentiefe. Mal sehen, was sich da oben tut.«<br />

McCafferty trat ans Sehrohr. Die augenblicklich gespannte Atmosphäre<br />

<strong>im</strong> Raum entging ihm nicht. Be<strong>im</strong> letzten Auftauchen waren<br />

sie beinahe versenkt worden. Das Boot wurde in sechzig Fuß Tiefe<br />

eingependelt. Der ESM-Mast durchbrach die Oberfläche, der Elektroniker<br />

meldete nur schwache Signale. Dann wurde das Suchsehrohr<br />

ausgefahren. McCafferty suchte rasch den Horizont ab ­<br />

nichts in der Luft, nichts auf dem Wasser.<br />

»Gewitter <strong>im</strong> Norden, Linienböen«, sagte er. »Rohr einfahren.«<br />

Der Erste Offizier stieß eine unverständliche Verwünschung aus.<br />

Der Lärm des Gewitters machte die Ortung eines mit E-Motoren<br />

laufenden konventionellen U-Bootes praktisch unmöglich. Er<br />

schaute den Kommandanten an und wartete auf eine Entscheidung.<br />

»Alarmzustand beendet«, meinte McCafferty. »IO, gehen Sie<br />

mit zehn Knoten zurück auf Station. Ich lege mich jetzt mal hin.<br />

Wecken Sie mich in zwei Stunden.«<br />

McCafferty ging die paar Schritte zu seiner Kajüte, wo die ungemachte<br />

Koje heruntergeklappt war. Tochterinstrumente zeigten<br />

Kurs und Fahrt an; auf einem Bildschirm konnte er sich einen<br />

Videofilm ansehen oder das, was man durchs Periskop entdecken<br />

285


mochte. McCafferty, der nun schon seit zwanzig Stunden wach war,<br />

zog die Schuhe aus und legte sich hin, konnte aber nicht einschlafen.<br />

Keflavik, Island<br />

Der Oberst fuhr mit der Hand über die aufgemalte Silhouette eines<br />

Bombers an der Flanke seines Jägers. Sein erster Luftsieg, aufgezeichnet<br />

von den Bordkameras. Zum ersten Mal seit den Gefechten<br />

über Nordvietnam hatte der Pilot der sowjetischen Luftwaffe einen<br />

solchen Sieg errungen, und sein Opfer war ein Bomber gewesen, der<br />

A<strong>tom</strong>bomben aufs Vaterland hätte werfen können.<br />

Auf Island waren nun fünfundzwanzig MiG-29 stationiert. Jeweils<br />

vier waren permanent in der Luft, um den Stützpunkt zu<br />

schützen.<br />

Der Angriff der B-52 hatte ihnen schmerzliche Verluste zugefügt.<br />

Das Hauptradar war leicht beschädigt, aber eine moderne, mobile<br />

Anlage, die zwe<strong>im</strong>al am Tag den Standort wechseln sollte, wurde<br />

noch heute eingeflogen. Er wünschte sich einen fliegenden Radarleitstand,<br />

doch deren Verfügbarkeit war nach den Verlusten über<br />

Deutschland stark eingeschränkt. Was man von der Luftfront<br />

hörte, war depr<strong>im</strong>ierend, aber die beiden Staffeln MiG-29 hielten<br />

sich gut. Der Oberst schaute auf die Uhr. In zwei Stunden sollte er<br />

eine Staffel anführen, die einen kleinen Verband Backfire, der nach<br />

einem Geleitzug suchte, eskortierte.<br />

Grafarholt, Island<br />

»Okay, Doghouse, ich sehe auf den Startbahnen in Reykjavik sechs<br />

Kampfflugzeuge mit roten Sternen. Sie haben zwei Seitenleitwerke<br />

und scheinen mit Luftkampfraketen bewaffnet zu sein. Außerdem<br />

zwei SAM-Starter und eine Art Kanone - Typ Gatling - auf einem<br />

Kettenfahrzeug.«<br />

»Das wäre ein Zulu-Sierra-Uniform 30, Beagle. Unangenehm.<br />

Über diese Dinger müssen wir genau Bescheid wissen. Wie viele<br />

sehen Sie?«<br />

»Nur eins, das auf einem Rasendreieck westlich des Terminals<br />

steht.«<br />

286


»Stehen die Kampfflugzeuge verteilt?«<br />

»Ja, auf jeder Startbahn zwei. Neben jedem Paar sehe ich einen<br />

kleinen Kastenwagen und fünf oder sechs Soldaten. Insgesamt sind<br />

dort schätzungsweise hundert Männer mit zwei gepanzerten Fahrzeugen<br />

und neun Lkw. Sie gehen am Flugplatzzaun Streife und<br />

haben mehrere MG-Stellungen eingerichtet. Die Russen setzten<br />

auch isländische Kurzstreckenflugzeuge als Truppentransporter<br />

ein, heute bereits viermal. Einen russischen Hubschrauber haben<br />

wir seit gestern nicht mehr gesehen.«<br />

»Wie sieht's in Reykjavik aus?« fragte Doghouse.<br />

»Wir haben nur in wenige Straßen Einblick. An einer Kreuzung<br />

steht ein Panzerfahrzeug. Viele Soldaten, kaum Zivilverkehr. Auf<br />

den Straßen nach Osten und Westen viel Aktivität. Es wird viel hin<br />

und her gefahren; sieht nach Streifen aus. Noch etwas: Wir haben<br />

Russen in Zivilfahrzeugen gesehen, aber noch keinen russischen<br />

Geländewagen. Offenbar haben sie die hier weitverbreiteten Fahrzeuge<br />

mit Allradantrieb beschlagnahmt.«<br />

»Weitere Transportflugzeuge?«<br />

»Fünf sind eingetroffen. Der H<strong>im</strong>mel ist klar, und wir können sie<br />

be<strong>im</strong> Landeanflug auf Keflavik beobachten. Vier IL-76 und eine<br />

Maschine, die einer C-I3O ähnlich sah.«<br />

»Kampfflugzeuge in der Luft?«<br />

»Vor zwei Stunden sahen wir eines starten, vermutlich zu einem<br />

Patrouillenflug. Ich würde auch sagen, die Maschinen scheinen <strong>im</strong><br />

Alarmzustand zu sein.«<br />

»Verstanden, Beagle. Ihre Lage?«<br />

»Wir sind gut getarnt, und der Sergeant hat zwei Fluchtwege<br />

erkunden lassen. Bisher haben die Russen noch nicht auf den Busch<br />

geklopft. Wenn sie in unsere Richtung kommen, setzen wir uns ab.«<br />

»Sehr gut, Beagle. Sie werden diese Höhe ohnehin bald verlassen.<br />

Gute Arbeit. Halten Sie die Ohren steif. Out.«<br />

Schottland<br />

»Gut macht der Junge das«, meinte der Major, ein amerikanischer<br />

Offizier in der vom britischen Nachrichtendienst betriebenen Fernmeldeeinrichtung.<br />

»Er hält sich großartig«, bestätigte der ranghöchste Brite nik­<br />

287


kend. »Achten Sie darauf, wie streng er zwischen seinen Beobachtungen<br />

und seiner persönlichen Meinung unterscheidet.«<br />

»Ausgerechnet ein Wetterfritze««, schnaubte ein anderer. «Wird<br />

Zeit, dass wir da oben Profis einsetzen.«<br />

»Vielleicht geht das schon morgen. Die Marine will Kommandos<br />

von einem U-Boot absetzen lassen. Truppen brauchen wir dort<br />

vorerst noch nicht zu landen. Reduzieren wir erst einmal ihre<br />

Luftkapazität und machen ihnen das Leben so sauer wie möglich.«<br />

»Damit beginnen wir heute nacht«, erklärte der Major. »Wenn<br />

in Island die Sonne untergeht, setzt Phase 2 von Nordischer Hammer<br />

ein.«<br />

»Hoffentlich klappt die besser als Phase 1.«<br />

Stornoway, Schottland<br />

»Nun, wie sieht's dort oben aus?« fragte Toland seinen Kollegen<br />

von der Royal Air Force. Vor dem Besteigen der Maschine hatte er<br />

ein Telegramm an seine Frau aufgegeben: BIN UNVERSEHRT UND<br />

FÜR EINE WEILE AN LAND. Hoffendich beruhigte sie das; die Zeitungen<br />

hatten best<strong>im</strong>mt über die Schlacht berichtet.<br />

»Könnte besser sein. Bei der Unterstützung der Norweger haben<br />

wir acht Tornados verloren. Zur Verteidigung ist gerade noch das<br />

Min<strong>im</strong>um an Maschinen übrig; darüber hinaus hat der Iwan begonnen,<br />

unsere nördlichen Radarinstallationen anzugreifen. Das<br />

mit Ihrem Flugzeugträger ist bedauerlich, aber wir sind froh, Sie für<br />

eine Weile zu Gast zu haben.«<br />

Die Abfangjäger und Radarflugzeuge der N<strong>im</strong>itz waren auf drei<br />

RAF-Stützpunkte verteilt worden. Die Wartungsmannschaften trafen<br />

mit Transportflugzeugen ein, und bei der Verlegung der Raketen<br />

hatte es Schwierigkeiten gegeben, aber die F-14 trugen ihre volle<br />

Waffenladung und konnten später mit Sparrow-Luftkampfraketen<br />

der RAF versorgt werden. Da die Jäger nun von Land aus operierten,<br />

war ihre Zuladung an Waffen und Treibstoff höher und damit<br />

ihre Schlagkraft größer als be<strong>im</strong> Start von einem Schiff. Bei den<br />

Piloten herrschte eine miese St<strong>im</strong>mung. Sie hatten ihre Maschinen<br />

und kostbaren Raketen gegen Drohnen eingesetzt und dann bei<br />

der Rückkehr zu ihrem Flottenverband erkannt, welch gräßliche<br />

Folgen ihre Fehlkalkulation gezeitigt hatte. Die Gesamtverluste<br />

288


standen noch nicht fest, doch von der Saipan waren kaum zweihundert,<br />

von der Foch nur tausend Mann mit dem Leben davongekommen;<br />

die blutigste Niederlage in der Geschichte der amerikanischen<br />

Marine. Tausende von Männern tot, und kein einziger Abschuß.<br />

Nur die Franzosen hatten mit ihren zwanzig Jahre alten Crusader<br />

gegen die Backfire Erfolg gehabt, wo die vielgepriesenen Tomcats<br />

versagt hatten.<br />

Toland wohnte dem ersten Briefing bei, das die RAF abhielt. Bei<br />

den Jägerpiloten herrschte Schweigen. Keine Witze, keine geflüsterten<br />

Bemerkungen. Kein Lächeln. Sie wussten zwar, dass sie an dem<br />

Desaster unschuldig waren, aber das schien unwichtig zu sein. Das<br />

Schicksal ihres Schiffes hatte sie erschüttert.<br />

Wie Toland auch. Immer wieder musste er an das zwölf Zent<strong>im</strong>eter<br />

starke Flugdeck denken, zerfetzt und hochgebogen wie Zellophan,<br />

darunter die geschwärzte Höhle, in der einmal Flugzeuge<br />

gestanden hatten. Und an die langen Reihen der Leichensäcke ­<br />

Seeleute, die an Bord des mächtigsten Kriegsschiffes der Welt gestorben<br />

waren.<br />

»Commander Toland?« Ein Flieger tippte ihm auf die Schulter.<br />

»Würden Sie bitte mitkommen?« Die beiden Männer betraten den<br />

Leitstand, wo die Koordinaten eines feindlichen Bombenverbandes<br />

eingetragen wurde. Ein Flight Lieutenant winkte Toland zu<br />

sich.<br />

»Eine Staffel, vielleicht auch weniger. Eine unserer EP-3 schnüffelte<br />

dort oben herum und hörte ihren Funkverkehr be<strong>im</strong> Auftanken<br />

nördlich von Island ab. Sie haben es best<strong>im</strong>mt auf einen dieser<br />

Geleitzüge abgesehen.«<br />

»Sollen die Tomcats sie auf dem Rückflug abfangen? Die Wahl<br />

des richtigen Zeitpunktes wäre trickreich.«<br />

»Genau. Und noch eine Komplikation: Sie werden Island als<br />

Sammelpunkt benutzen. Inzwischen liegt die Nachricht vor, dass<br />

der Iwan auf zwei isländischen Flugplätzen Jäger stationiert hat.«<br />

»Heißt die Nachrichtenquelle Beagle?«<br />

»Ja.«<br />

»Jäger welchen Typs?«<br />

»Maschinen mit zwei Seitenleitwerken. Könnten MiG-25, -29<br />

oder -31 sein.«<br />

»Best<strong>im</strong>mt Fulcrum«, meinte Toland. »Die anderen sind Abfangjäger.<br />

Bekamen die Besatzungen der B-52. sie zu sehen?«<br />

289


»Nicht genau, und auf den ersten Blick sehen sich diese Typen<br />

sehr ähnlich. Ich bin ebenfalls der Meinung, dass es sich um Fulcrum<br />

handelt, die der Iwan vernünftigerweise einsetzen wird, um seinen<br />

Bombern einen sicheren Flugkorridor freizuhalten.«<br />

»Mag sein, dass sie auf dem Rückflug in der Luft auftanken<br />

müssen. Sollen wir die Tanker angreifen?"<br />

»Daran hatten wir auch schon gedacht. Aber den Russen steht<br />

eine Million Quadratmeilen Ozean zur Verfügung. Fast unmöglich,<br />

da den richtigen Zeitpunkt zu erwischen. Im Augenblick ist unsere<br />

Hauptaufgabe die Verteidigung. Später mag der Iwan eine Landung<br />

in Norwegen versuchen. Und wenn seine Überwasserflotte<br />

ausläuft, ist es unsere Aufgabe, sie zu zerschlagen.«<br />

USS Pharris<br />

»Luftwarnung, Sir«, sagte der Erste Offizier. »Rund fünfundzwanzig<br />

Backfire auf Südkurs, Ziel unbekannt.«<br />

»Auf den Trägerverband haben sie es best<strong>im</strong>mt nicht abgesehen.<br />

Der hat inzwischen Schutz von Nato-Kampfflugzeugen. Wo sind<br />

die Russen <strong>im</strong> Augenblick?«<br />

»Vermutlich über Island, drei bis fünf Stunden Flugzeit von uns<br />

entfernt. Wir sind zwar nicht der größte Geleitzug in ihrer Reichweite,<br />

aber der exponierteste.«<br />

»Und wir transportieren Kriegsmaterial und haben nur fünf mit<br />

SAM bestückte Schiffe -« Ein abschußreifes Ziel.<br />

Grafarholt, Island<br />

»Kondensstreifen, Doghouse, zwanzig oder so, direkt über uns.«<br />

»Können Sie identifizieren?«<br />

»Negativ. Große Maschinen, Triebwerke nicht sichtbar, sehr<br />

hoch und auf Südkurs. Geschwindigkeit ebenfalls unklar. Wenn sie<br />

schneller als Mach eins flögen, hätten wir inzwischen den Überschallknall<br />

gehört.«<br />

»Wiederholen Sie die Anzahl.«<br />

»Zweiundzwanzig Kondensstreifen, Kurs etwa eins-acht-null.<br />

Alle Jäger stiegen eine halbe Stunde vor dem Überflug von Reykja­<br />

290


vik auf und flogen nach Norden. Zurück sind sie noch nicht, und<br />

wir wissen auch nicht, wo sie sind. Die Bomber scheinen keine<br />

Eskorten zu haben. Ansonsten nichts Neues.«<br />

»Roger, Beagle. Sagen Sie Bescheid, wenn die Jäger landen. Wäre<br />

schön, wenn wir etwas mehr über den Zyklus erführen. Out.» Der<br />

Major wandte sich an seinen Sergeant. »Geben Sie das sofort<br />

heraus. Backfire-Verband über Reykjavik auf Südkurs, Kurs vermutlich<br />

eins-acht-null. Wahrscheinlich von Jägern begleitet -«<br />

USS Pharris<br />

Ein guter Tag für Kondensstreifen, stellte Morris fest. In großer<br />

Höhe war die Luft klar und feucht genug, um die Kondensation des<br />

Wasserdampfes in den heißen Flugzeugabgasen auszulösen. Das<br />

sonst auf der Brückennock montierte große Fernglas mit zwanzigfacher<br />

Vergrößerung befand sich nun auf dem Peildeck über den<br />

vorderen Aufbauten, und Ausgucks benutzten es zum Identifizieren<br />

von Flugzeugen. Sie hielten hauptsächlich nach Bears Ausschau, die<br />

Ziele für Backfire-Bomber suchten.<br />

Alle waren angespannt. Die Bedrohung durch U-Boote war an<br />

sich schon schl<strong>im</strong>m genug, doch seit dem schweren Angriff auf die<br />

Trägerflotte war der Geleitzug Luftangriffen praktisch ungeschützt<br />

ausgesetzt. Die Luftabwehrsysteme der Pharris waren so rud<strong>im</strong>entär,<br />

dass das Schiff kaum in der Lage war, sich selbst zu verteidigen.<br />

Mit Boden-Luftraketen bestückte Schiffe lagen nun in einer Linie<br />

nördlich des Geleitzugs und zwanzig Meilen südlich der Fregatte,<br />

die ihre Suche nach U-Booten fortsetzte. Auf der Pharris konnte<br />

man nur die Radarwarninstrumente überwachen und etwaige Daten<br />

über Funk weitergeben. Es war so gut wie sicher, dass der Russe<br />

mit seinem Suchradar »Big Bulge« an Bord der Bears Ziele orten<br />

und klassifizieren würde. Der Kommandant des Geleitzuges plante,<br />

die SAM-Schiffe als zusätzliche, wie Frachter formierte Ziele einzusetzen.<br />

Mit einem bißchen Glück konnte ein besonders neugieriger<br />

Bear sie für unbewaffnete Schiffe halten und sich zu dicht an sie<br />

heranwagen. Nur eine vage Hoffnung, aber die einzige Karte, die<br />

sie ausspielen konnten.<br />

»Kontakt! Big-Bulge-Radar in null-null-neun, Signal schwach.«<br />

Der Bear flog auf Südkurs auf den Geleitzug zu und schaltete sein<br />

291


Radar nur alle zehn Minuten für hundertzwanzig Sekunden ein.<br />

Bald wurde <strong>im</strong> Westen ein weiterer geortet. Nachdem die Positionen<br />

feststellt worden waren, ging über Satellit ein Funkspruch mit<br />

der dringenden Bitte um Unterstützung an den CINC-LANTFLT in<br />

Norfolk. Zehn Minuten später traf die Antwort ein: Keine Kräfte<br />

zu Ihrer Unterstützung verfügbar.<br />

Die Lafette der Pharris wurde bemannt, Abwehrraketensysteme<br />

und das Radar der Gatling-Kanone achtern in Bereitschaft versetzt.<br />

Andere Radaranlagen blieben abgeschaltet. Die Radaroperatoren<br />

in der Gefechtszentrale saßen nervös auf ihren Plätzen, spielten an<br />

den Schaltern und lauschten den ESM-Meldungen.<br />

»Inzwischen haben sie uns wohl beide erfaßt.«<br />

Morris nickte. »Und dann kommen die Backfire.«<br />

Der Kommandant dachte an die Schlachten, die er an der Marineakademie<br />

studiert hatte - zu Beginn des Zweiten Weltkriegs, als<br />

die Japaner noch Luftüberlegenheit hatten, als die Deutschen mit<br />

Langstreckenflugzeugen vom Typ Kondor Geleitzüge ausmachten<br />

und ihre Position weitermeldeten, ohne dass die Alliierten etwas<br />

dagegen unternehmen konnten. Er hatte nie erwartet, sich in einer<br />

ähnlichen Zwangslage zu finden. Wie konnte sich eine solche taktische<br />

Situation vierzig Jahre später wiederholen? Absurd, sagte sich<br />

Morris. Absurd und furchteinflößend.<br />

»Bear in Sicht, knapp über Horizont in zwei-acht-null«, meldete<br />

der Sprecher.<br />

Der TAO schaute hinüber zu Morris. »Vielleicht kommt er in<br />

Schußweite.«<br />

»So dumm ist der nicht.«<br />

»Lassen wir die Radaranlagen aus. Vielleicht gerät er doch in<br />

Raketenreichweite.«<br />

»Er wird versuchen, sich ein Bild von der Verteidigungskapazität<br />

des Konvois zu machen«, meinte Morris leise. »Vorerst sieht er nur<br />

dunkle Flecken, die Kielwasser nach sich ziehen. Warten wir mal<br />

ab, wie neugierig dieser Bursche ist.«<br />

»Das Flugzeug hat gerade den Kurs geändert«, meldete der Sprecher.<br />

»Dreht nach Osten ab, hält auf uns zu.«<br />

»Luftangriff Steuerbord! Volle Kraft voraus! Neuer Kurs einsacht-null!«<br />

befahl Morris sofort. Er ging auf Südkurs, um den Bear<br />

näher an die SAM-Schiffe heranzulocken. »Ziel illuminieren! Feuer<br />

frei! Angreifen, wenn er in Reichweite ist.«<br />

292


Pharris drehte hart nach links ab. Das Fünf-Zoll-Geschütz auf<br />

dem Vorschiff drehte sich <strong>im</strong> Uhrzeigersinn, das Feuerleitradar<br />

lieferte Zielkoordinaten, und das lange Geschütz ging auf eine<br />

Elevation von dreißig Grad, erfaßte das Ziel. Der Raketensender<br />

achtern verhielt sich ähnlich.<br />

»Zielhöhe dreitausend Fuß, Entfernung fünfzehn Meilen.«<br />

Noch hatte der Kommandant des Geleitzuges die Raketen nicht<br />

zum Start freigegeben. Der Russe sollte seine Geschosse erst abfeuern,<br />

ehe er wusste, was wirklich auf seinem Weg lag. Die Daten von<br />

der Schlacht der Träger waren bereits an die Flotte gegangen. Die<br />

russischen Luft-Boden-Raketen waren verhältnismäßig leicht zu<br />

treffen, da sie geradewegs auf ihre Ziele zuflogen, aber man musste<br />

blitzartig reagieren, denn sie waren sehr schnell. Er sagte sich, dass<br />

der Bear wohl noch die Ziele evaluierte und sich über die Kampfkraft<br />

der Eskorten noch nicht <strong>im</strong> klaren war. Je länger er <strong>im</strong><br />

Ungewissen blieb, desto besser, denn die Backfire waren weit von<br />

ihren Stützpunkten entfernt und hatten nicht genug Treibstoff, um<br />

sich lange über ihren Zielen aufzuhalten.<br />

»Feuer!« rief der TAO.<br />

Das Geschütz der Pharris schoß nun alle zwei Sekunden eine<br />

Granate ab. Der Bear war knapp in Reichweite, und die Chance<br />

eines Treffers war nur gering, aber es war an der Zeit, ihm eine<br />

Warnung zu geben.<br />

Die ersten fünf Geschosse kamen nicht heran und explodierten<br />

eine Meile vor dem Bomber. Doch die nächsten drei detonierten<br />

schon näher, eines sogar nur zweihundert Meter von seiner linken<br />

Tragfläche entfernt. Der sowjetische Pilot wich instinktiv nach<br />

links aus. Das war ein Fehler. Er konnte nämlich nicht wissen, dass<br />

die nächste Linie von Frachtern Raketen trug.<br />

Sekunden später wurden zwei Lenkkörper gestartet, und der<br />

Bear wich <strong>im</strong> Tiefflug aus, streute Stanniolstreifen und jagte auf die<br />

Pharris zu. Bei seinem Anflug schoß die Fregatte zwanzig weitere<br />

Granaten ab. Zwei mochten ihn beschädigt haben, doch Resultate<br />

waren nicht sichtbar. Gleich darauf heulten die Raketen los, winzige<br />

weiße Pfeile, die graue Raschwolken hinter sich herzogen. Eine<br />

verfehlte ihr Ziel und explodierte in einer Düppelwolke, aber die<br />

zweite detonierte nur hundert Meter von dem Bomber entfernt. Der<br />

Sprengkopf expandierte wie eine Uhrfeder, löste sich in Tausende<br />

von Fragmenten auf, und einige fuhren in die linke Tragfläche des<br />

293


Bombers. Ein Triebwerk des mächtigen Turboprop-Flugzeugs fiel<br />

aus, die Tragfläche wurde schwer beschädigt, aber es gelang dem<br />

Piloten, die Maschine knapp außerhalb der Reichweite des Geschützes<br />

der Pharris abzufangen. Er flog nach Norden und zog eine<br />

schwarze Rauchwolke hinter sich her.<br />

Der andere Bear blieb auf Distanz. Der erste Pilot hatte gerade<br />

eine Lektion verpaßt bekommen, die er an den Nachrichtendienstoffizier<br />

seines Verbandes weitergeben würde.<br />

»Weitere Radarsignale!» warnte der ESM-Techniker. »Zehn ­<br />

vierzehn - achtzehn!« rief der Operator des Suchradars.<br />

»Radarkontakte in null-drei-vier, Entfernung 180 Meilen. Vier,<br />

nun sechs Ziele. Kurs zwei-eins-null, Geschwindigkeit sechshundert<br />

Knoten.«<br />

»Das sind die Backfire.«<br />

»Radarkontakt! Vampire, Vampire! Raketen <strong>im</strong> Anflug!«<br />

Morris bekam eine Gänsehaut. Die Eskorten aktivierten ihre<br />

Radaranlagen. Raketen wurden auf die anfliegenden Ziele gerichtet.<br />

Die Pharris aber ging auf äußerste Kraft und Nordkurs, um sich<br />

aus dem vermutlichen Zielgebiet der Raketen zu entfernen.<br />

»Die Backfire machen kehrt, der Bear hält seine Position. Wir<br />

empfangen Sprechfunkverkehr. Nun dreiundzwanzig Raketen <strong>im</strong><br />

Anflug. Alle Kontakte ändern die Richtung und halten auf den<br />

Geleitzug zu«, sagte der TAO. »Sieht aus, als hätten wir's geschafft.«<br />

In der Gefechtszentrale wurde hörbar ausgeatmet. Morris sah<br />

aufs Radardisplay und empfand nur geringe Erleichterung. Die<br />

Raketen kamen aus Nordosten; SAM stiegen auf und flogen ihnen<br />

entgegen. Wieder erhielt der Geleitzug den Befehl, sich zu zerstreuen.<br />

Neun der dreiundzwanzig sowjetischen Rakten durchbrachen<br />

den SAM-Sperrgürtel und gingen auf den Konvoi nieder.<br />

Sieben Frachter wurden getroffen.<br />

Alle sieben gingen verloren. Einige zerbrachen auf der Stelle<br />

unter dem Hammerschlag der Tausend-Kilo-Sprengköpfe. Der<br />

Rest blieb gerade noch so lange schw<strong>im</strong>mfähig, dass die Besatzungen<br />

sich retten konnten. Der Geleitzug war mit dreißig Schiffen aus<br />

dem Delaware gekommen. Nun waren es nur noch zwanzig. Und<br />

vor ihnen lagen noch knapp fünfzehnhundert Meilen auf offener<br />

See.<br />

294


Grafarholt, Island<br />

Zwei Backfire mussten wegen Treibstoffmangels in Keflavik landen.<br />

Hinter ihnen lag der beschädigte Bear, umkreiste den Stützpunkt,<br />

bis die Backfire die Landebahn freigemacht hatte. Edwards<br />

meldete ihn als Propellermaschine mit einem beschädigten Triebwerk.<br />

Die Sonne stand tief überm Nordwesthorizont und ließ den<br />

Bomber vor dem kobaltblauen H<strong>im</strong>mel gelblich aufleuchten.<br />

»Bleiben Sie auf Sendung, Beagle«, befahl Doghouse. Drei Minuten<br />

später wurde Edwards der Grund für diese Anweisung klar.<br />

Diesmal wurden die Sowjets nicht durch Störversuche aus der<br />

Distanz gewarnt. Acht FB-III kamen vom Zentralmassiv der Insel<br />

über die Felsen herangefegt, donnerten <strong>im</strong> Tiefflug über die Sohle<br />

des Selja-Tales und waren dank ihrer grüngrauen Camouflage für<br />

die höher kreisenden sowjetischen Jäger fast unsichtbar. Das erste<br />

Paar drehte nach Westen ab; <strong>im</strong> Abstand von einer Meile folgte ein<br />

zweites. Die restlichen vier umflogen den Südhang des Hus.<br />

Smith entdeckte die Doppelleitwerke als erster. Als auch Edwards<br />

sie ausmachte, ging das erste Flugzeug in den Steilflug und<br />

warf zwei TV-gelenkte Bomben ab. Der Flügelmann tat das gleiche;<br />

dann drehten beide Angreifer nach Norden ab. Die vier Bomben<br />

trafen das Umspannwerk, und ringsum gingen die Lichter aus, als<br />

sei ein einziger Schalter umgelegt worden. Das zweite Aardvark-<br />

Paar kam über die Landstraße 1, sauste <strong>im</strong> Zielanflug über die<br />

Dächer von Reykjavik. Der Pilot gab seine beiden Smart-Bomben<br />

frei; sein Flügelmann hielt auf das Tanklager am Hafen zu. Augenblicke<br />

später flogen die Tower und ein Hangar in die Luft, und<br />

Rockeye-Streubomben brachten die Treibstofftanks zur Explosion.<br />

Die überrumpelten russischen Flak- und Flarak-Bedienungen feuerten<br />

zu spät.<br />

Auch die Truppen auf dem Stützpunkt Keflavik wurden überrascht,<br />

erst vom plötzlichen Stromausfall, dann von den Bombern,<br />

die eine Minute später eintrafen. Auch hier waren der Kontrollturm<br />

und die Hangars Pr<strong>im</strong>ärziele und wurden von Tausend-Kilo-Bomben<br />

zerschmettert. Das zweite Team wählte als Ziel für seine Rockeye-Bomben<br />

zwei abgestellte Backfire und einen Flarak-Panzer,<br />

belegte dann die Start- und Rollbahnen mit medizinballgroßen<br />

Minibomben. Anschließend schalteten die FB-III die Nachbrenner<br />

ein und flogen nach Westen, verfolgt von Abwehrfeuer, Raketen ­<br />

295


und Jägern. Sechs Fulcrum stießen auf die hinter einem schützenden<br />

Vorhang aus elektronischen Störgeräuschen abfliegenden Aardvark<br />

herab.<br />

Von der Last ihrer Waffen befreit flitzten die amerikanischen<br />

Bomber mit siebenhundert Knoten knapp über den Wellenkämmen<br />

dahin, doch die Fulcrum hatten eine etwas höhere Höchstgeschwindigkeit<br />

und holten langsam auf. Hundert Meilen vor der Küste<br />

durchbrannte ihr Raketen-Radar die amerikanische Störbarriere.<br />

Zwei Jäger feuerten sofort ihre Luftkampfraketen ab; die amerikanischen<br />

Piloten rissen ihre Maschinen hoch und gingen dann sofort<br />

wieder in den Sturzflug, um sie abzuschütteln. Ein FB-III wurde<br />

getroffen und trudelte ins Meer, und die Sowjets wollten gerade eine<br />

zweite Salve abschießen, als ihre Warngeräte ansprachen.<br />

Vier amerikanische Phan<strong>tom</strong>s lauerten <strong>im</strong> Hinterhalt. Im Nu<br />

hielten acht Sparrow-Raketen auf die Fulcrum zu. Nun mussten die<br />

Sowjets fliehen. Sie machten kehrt und jagten mit Nachbrenner<br />

zurück nach Island. Eine MiG-29 wurde abgeschossen, eine zweite<br />

beschädigt. Der ganze Luftkampf hatte nur fünf Minuten gedauert.<br />

»Doghouse, hier Beagle. Das Umspannwerk ist weg, von den<br />

Aardvark einfach plattgewalzt. Ein Riesenbrand am Südwestrand<br />

des Flughafens. Vom Tower steht nur noch die Hälfe. Zwei Hangars<br />

sehen beschädigt aus. Zwei, vielleicht auch drei Zivilmaschinen<br />

brennen. Die Jäger starteten vor einer halben Stunde.« Auf den<br />

Straßen unter Edwards' Position rasten Fahrzeuge hin und her. Zwei<br />

hielten einen Kilometer von ihm entfernt an und ließen Truppen<br />

absitzen. »Doghouse, es ist an der Zeit, dass wir von diesem Hügel<br />

verschwinden.«<br />

»Roger, Beagle. Begeben Sie sich nach Nordwesten zu Höhe 482<br />

und melden Sie sich in zehn Stunden wieder. Und jetzt nichts wie los!<br />

Out.«<br />

Keflavik, Island<br />

Die MiG landeten auf der noch intakten Startbahn 18, der längsten<br />

des Stützpunkts. Kaum waren sie ausgerollt, da begann das Bodenpersonal<br />

auch schon, sie für weitere Kampfeinsätze bereitzumachen.<br />

Der Oberst war überrascht, den Stützpunktkommandeur<br />

noch lebend vorzufinden.<br />

296


»Wie viele haben Sie erwischt, Genosse Oberst?«<br />

»Nur einen, und ich habe eine Maschine verloren. Hatten Sie<br />

denn nichts auf dem Radar?« fragte der Oberst erbost.<br />

»Keine Spur. Sie flogen in zwei Gruppen von Norden an und<br />

nahmen sich erst Reykjavik vor. Die Kerle müssen zwischen den<br />

Felsblöcken durchgeflogen sein«, fauchte der Major und wies auf<br />

das große Radarfahrzeug zwischen zwei Startbahnen. »Erstaunlich,<br />

das haben sie völlig übersehen.«<br />

»Wir müssen es an eine hohe Stelle verlegen. Mit einem fliegenden<br />

Radarleitstand können wir nicht rechnen, und diese Tiefflugangriffe<br />

zermürben uns. Wie schwer sind die Schäden?«<br />

»Die kleinen Bomben haben viele Löcher in die Startbahnen<br />

gerissen, aber das läßt sich binnen zwei Stunden reparieren. Der<br />

Verlust des Kontrollturms schränkt unsere Fähigkeit ein, eine große<br />

Anzahl von Flugzeugen operieren zu lassen. Mit dem Strom fielen<br />

auch die Treibstoffpumpen der Pipeline und best<strong>im</strong>mt auch die<br />

Telefonzentrale aus.«<br />

Er zuckte die Achseln. »Wir können uns umstellen, aber das<br />

Ganze bringt große Unannehmlichkeiten. Wir müssen die Jäger<br />

verteilen und Alternativen für die Treibstoffversorgung finden. Die<br />

nächsten Ziele sind best<strong>im</strong>mt die Tanklager.«<br />

»Hatten Sie sich das denn so leicht vorgestellt, Genosse?« Der<br />

Oberst warf einen Blick auf zwei heftig brennende Tu-22M Backfire.<br />

Der beschädigte Bear setzte gerade auf. »Die Amerikaner<br />

wählten genau den richtigen Zeitpunkt und erwischten uns, als die<br />

Hälfte meiner Jäger vor der Nordküste einen Bomberverband eskortierte.<br />

Vielleicht war das nur Glück, aber an so etwas glaube ich<br />

nicht. Ich wünsche, dass die Umgebung der Flugplätze nach feindlichen<br />

Infiltranten abgesucht wird. Was, zum Teufel, ist das?«<br />

Keine sechs Meter von ihm entfernt lag eine Minibombe auf dem<br />

Beton. Der Major nahm eine Kunststoffflagge aus dem Jeep und<br />

stellte sie neben der Bombe auf.<br />

»Diese Dinger sind zum Teil mit Verzögerungszündern ausgestattet.<br />

Meine Männer sind bereits auf der Suche nach ihnen. Keine<br />

Sorge, Genosse, Ihre Jäger sind sicher gelandet, Ihre Abstellplätze<br />

geräumt.«<br />

Der Oberst wich ein paar Schritte zurück. »Und was fangen Sie<br />

mit diesen Dingern an?«<br />

»Das haben wir bereits geübt. Sie werden von einem speziell<br />

297


ausgerüsteten Bulldozer von der Rollbahn geschoben. Manche explodieren<br />

dabei, manche nicht. Was nicht von selbst losgeht, bringt<br />

ein Scharfschütze zur Detonation.«<br />

Der Oberst warf noch einen Blick auf die Minibombe und ging<br />

zurück zu seiner Maschine. Er hatte den Major unterschätzt.<br />

USS Pharris<br />

Am Westhorizont brannte noch ein Frachter, der schon vor zwei<br />

Stunden aufgegeben worden war. Noch mehr Tote, dachte Morris.<br />

Nur die Hälfte der Frachterbesatzungen war gerettet worden, und<br />

für eine gründlichere Suchaktion fehlte die Zeit. Der Geleitzug war<br />

ohne ein spezielles Seerettungsschiff ausgelaufen, und die Hubschrauber,<br />

obgleich sie viele aus dem Wasser geholt hatten, wurden<br />

für die U-Boot-Bekämpfung gebraucht. Er hielt eine Meldung in der<br />

Hand, derzufolge in Lajes stationierte Orion-Maschinen ein strategisches<br />

U-Boot der Echo-Klasse verfolgt und wahrscheinlich zur<br />

Strecke gebracht hatten.<br />

Der Verlust Islands jedoch war eine Katastrophe, deren D<strong>im</strong>ensionen<br />

erst jetzt sichtbar wurden. Die sowjetischen Bomber hatten<br />

freien Flug für Angriffe auf die Handelsschiffahrtswege. Schon<br />

jagten ihre U-Boote durchs Kattegatt, während die Marinen der<br />

Nato-Länder versuchten, durch Umgruppierung ihrer U-Boote die<br />

verlorene Barriere zu ersetzen - jene Barriere, von der das Schicksal<br />

der Geleitzüge abhing. Bis Island neutralisiert oder, besser noch,<br />

zurückerobert war, hing der Ausgang der dritten Atlantikschlacht<br />

bestenfalls in der Schwebe.<br />

298


USS Pharris<br />

23<br />

Resultate<br />

Die Lage hatte sich wieder beruhigt. Ein relativer Begriff: Noch<br />

<strong>im</strong>mer stießen Backfire durch die Lücke über Island, doch an diesem<br />

Nachmittag griffen sie einen anderen Geleitzug an und versenkten<br />

elf Frachter. Alle nach Osten fahrenden Konvois wichen<br />

nach Süden aus und nahmen eine längere Reise nach Europa in<br />

Kauf, um die Bedrohung aus der Luft zu reduzieren. Die Verluste<br />

waren schwer gewesen - fast sechzig Schiffe versenkt -, aber eine<br />

Route weiter südlich bedeutete wenigstens, dass die sowjetischen<br />

Bomber nur je eine Rakete tragen konnten anstatt zwei.<br />

Bei der Mannschaft begann sich die Belastung bemerkbar zu<br />

machen. Die Männer, denen es an Schlaf und ordentlichen Mahlzeiten<br />

mangelte, wurden angespannt und reizbar, stolperten über<br />

Türschwellen, ein typisches Zeichen der Erschöpfung. Ernstere<br />

Fehler mussten zwangsläufig folgen.<br />

»Brücke, hier Gefechtszentrale. Sonarkontakt, möglicherweise<br />

U-Boot, in null-null-neun.«<br />

»Da geht's schon wieder los«, sagte der Offizier, der das Steuern<br />

überwachte. Zum vierundzwanzigsten Mal auf dieser Fahrt hasteten<br />

die Männer der Pharris auf ihre Gefechtsstationen.<br />

Diesmal dauerte es drei Stunden. Da keine Orion zur Verfügung<br />

standen, stellten die anderen Eskorten Morris und seiner Crew ihre<br />

Hubschrauber zur Verfügung. Dieser U-Boot-Fahrer aber verstand<br />

sein Geschäft. Be<strong>im</strong> ersten Verdacht, dass er geortet worden war ­<br />

möglicherweise hatte sein Sonar einen Hubschrauber erfaßt oder<br />

das Platschen einer fallenden Sonoboje -, tauchte er tief und begann,<br />

auf verwirrende Weise zu spurten und sich dann wieder<br />

treiben zu lassen, die Thermokline zu durchbrechen und wieder<br />

unter sie einzutauchen wie ein springender Tümmler - in Richtung<br />

Konvoi. Der Kommandant dieses Bootes dachte nicht an Flucht.<br />

Sein Boot tauchte auf dem taktischen Display auf und verschwand<br />

299


wieder, näherte sich, verwischte seine Position aber so geschickt,<br />

dass kein Torpedoschuß möglich war.<br />

»Und weg ist er«, meinte ein ASW-Offizier nachdenklich. Eine<br />

vor zehn Minuten abgeworfene Sonoboje hatte ein schwaches Signal<br />

empfangen, zwei Minuten lang gehalten und dann wieder<br />

verloren. »Der Typ ist Klasse.«<br />

»Und viel zu nahe«, bemerkte Morris. Wenn das U-Boot seinen<br />

Südkurs beibehielt, musste es nun in Reichweite des Aktiv-Sonars<br />

der Fregatte kommen. Bislang hatte die Pharris ihre Anwesenheit<br />

nicht verraten. Angesichts der Hubschrauber musste der Kommandant<br />

des U-Bootes wissen, dass Überwasserschiffe zur Stelle waren,<br />

doch mit einer nur zehn Meilen von seiner Position entfernten<br />

Fregatte rechnete er wohl kaum.<br />

Morris warf dem ASW-Offizier einen Blick zu. »Bringen wir<br />

unser Temperaturprofil auf den neuesten Stand.«<br />

Dreißig Sekunden später wurde eine bathythermographische<br />

Sonde über Bord geworfen. Das Instrument maß die Wassertemperatur<br />

und ließ die Werte auf einem Display <strong>im</strong> Sonar-Raum erscheinen.<br />

Die Wassertemperatur war der wichtigste, die Sonarleistung<br />

beeinflussende Umweltfaktor. Überwasserschiffe maßen sie periodisch,<br />

Unterseeboote aber kontinuierlich - wieder ein Vorteil für<br />

den Feind unter Wasser.<br />

»Na bitte!« Morris wies aufs Display. »Die Gradiente ist nun viel<br />

steiler. Dieser Kerl nutzt sie aus, bleibt dem tiefen Kanal fern und<br />

spurtet wahrscheinlich über der Schicht, wo wir nicht mit ihm<br />

rechnen. Fein...«<br />

Weitere von den Hubschraubern abgeworfene Sonobojen meldeten<br />

ein Ziel, das sich nach Süden bewegte, auf die Pharris zu. Morris<br />

beschloß, zehn Minuten zu warten.<br />

»Brücke, hier GZ. Neuer Kurs null-eins-eins«, befahl er dann<br />

und ließ sein Schiff auf die vermutete Position des U-Boots zuhalten.<br />

Die Pharris glitt mit nur fünf Knoten leise durch die ruhige See.<br />

Das taktische Display war nutzlos. Verwirrt von zahlreichen<br />

kurzen, wahrscheinlich auch teils falschen Meldungen der Sonobojen,<br />

stellte der Computer ein Ziel dar, das hundert Quadratmeilen<br />

groß war. Morris ging hinüber an den Kartentisch. »Kommentare?«<br />

»Fährt er vielleicht in geringer Tiefe? Das widerspräche der<br />

sowjetischen Doktrin.«<br />

300


»Stellen wir das einmal fest. Yankee-Suche.«<br />

Der ASW-Offizier gab den Befehl sofort weiter. Yankee-Suche<br />

bedeutete den Einsatz des Aktiv-Sonars. Morris ließ sich auf ein<br />

Risiko ein. Befand sich das U-Boot näher, als er vermutete, verriet<br />

er die Position seines Schiffes und provozierte einen Angriff, dem er<br />

wenig entgegenzusetzen hatte. Der Sonar-Operator schaute aufmerksam<br />

auf seinen Bildschirm. Die ersten fünf Impulse blieben<br />

ohne Echo. Nach dem sechsten erschien ein heller Fleck auf dem<br />

Schirm.<br />

»Kontakt - positiver Sonar-Kontakt, als U-Boot evaluiert.«<br />

»Drauf!« befahl Morris.<br />

Der Feststofftreibsatz eines ADROC zündete und jagte das Projektil<br />

gen H<strong>im</strong>mel. Drei Minuten später war Brennschluß; die<br />

Rakete folgte nun einer ballistischen Bahn, bis sich dreihundert<br />

Meter über Wasser der Torpedo löste und an einem Fallschirm<br />

niederging.<br />

»Er hat den Kurs geändert«, warnte der Sonar-Operator. »Ziel<br />

dreht ab und macht größere Fahrt. Ah, Torpedo ist nun <strong>im</strong> Wasser<br />

und pingt. Schlug nahe be<strong>im</strong> Ziel ein.«<br />

Der TAO ignorierte diese Meldung. Drei Hubschrauber hielten<br />

nun auf den Bezugspunkt zu, um den Kontakt festzunageln, falls<br />

der Torpedo das Ziel verfehlte. Er ließ hart nach Steuerbord abdrehen,<br />

um das Passiv-Sonar auf das U-Boot zu richten, das nun mit<br />

großer Geschwindigkeit versuchte, dem Torpedo auszuweichen,<br />

und dabei viel Lärm machte. Der erste Hubschrauber war zur Stelle<br />

und warf eine Boje ab.<br />

»Doppelschrauben und Kavitationslärm. Klingt wie ein Charlie<br />

mit AK«, meldete der Deckoffizier. »Der Torpedo hat es wahrscheinlich<br />

erfaßt.«<br />

Der Torpedo schaltete vom Aktiv-Passiv-Modus auf ein kontinuierliches<br />

Peilsignal um und stieß in die Tiefe. Die Waffe verlor kurz<br />

die Spur des U-Bootes, als es die Thermokline durchbrach, erfaßte<br />

es aber wieder, als auch sie in das kältere Wasser der Tiefe eindrang.<br />

Das U-Boot stieß ein Lärminstrument ab, das aber versagte. Ein<br />

zweites wurde nachgeladen, doch zu spät. Der Torpedo traf die<br />

Backbordschraube des U-Bootes und explodierte.<br />

»Treffer!« rief ein Mann des Sonar-Temas. »Sprengkopf detoniert.«<br />

»Treffer, Detonation«, bestätigte die Crew eines Hubschraubers.<br />

301


»Achtung, Maschinen des Ziels noch nicht zum Stillstand gekommen<br />

... zusätzliche Antriebsgeräusche ... Rasseln. Preßluftgeräusche,<br />

er bläst an. Ziel taucht auf. Luftblasen an der Oberfläche.<br />

Verdammt, da ist er!«<br />

Der Bug des Charlie durchbrach sechs Meilen von der Fregatte<br />

entfernt die Oberfläche. Drei Hubschrauber umkreisten das verwundete<br />

Boot wie Wölfe; die Pharris ging auf Nordkurs, hielt auf<br />

ihr Ziel zu und richtete den Fünfzöller darauf. Das war überflüssig.<br />

Vorn ging ein Luk auf, Männer begannen hastig herauszuklettern.<br />

Andere erschienen auf dem Turm und sprangen ins Wasser, als der<br />

Maschinenraum des Bootes vollzulaufen begann. Zehn kamen frei,<br />

ehe das U-Boot über das Heck versank. Wenige Sekunden später<br />

kam ein weiterer Mann an die Oberfläche, aber das war auch alles.<br />

Die Hubschrauber warfen Schw<strong>im</strong>mwesten ab, zwei Überlebende<br />

wurden mit der Rettungswinde an Bord gehievt. Morris<br />

überwachte die Operation von der Brücke aus. Rasch wurde das<br />

Rettungsboot zu Wasser gelassen. Die russischen Seeleute waren<br />

benommen und leisteten keinen Widerstand. Bald hing das Boot<br />

wieder an den Davits und wurde hochgehievt.<br />

Mit dieser Möglichkeit hatte niemand ernsthaft gerechnet. Ein<br />

Torpedovolltreffer sollte zur sofortigen Versenkung eines U-Bootes<br />

führen. Was fange ich mit Gefangenen an? dachte Morris. Er musste<br />

entscheiden, wo er sie unterbringen, wie er sie behandeln sollte.<br />

Und war jemand an Bord, der das Russische beherrschte, um sie zu<br />

vernehmen? Morris übergab an seinen Ersten Offizier und eilte<br />

nach achtern.<br />

Dort standen bereits Matrosen, die ungeschickt ihre Gewehre M­<br />

14 hielten und das Rettungsboot neugierig anstarrten. Besonders<br />

beeindruckend sahen die Sowjets nicht aus. Morris zählte drei<br />

Offiziere. Einer war vermutlich der Kommandant. Er flüsterte<br />

Bootsmann Clarke einen Befehl zu. Clarke holte die Pfeife aus der<br />

Tasche und grüßte den sowjetischen Kommandanten wie einen<br />

Würdenträger.<br />

Morris trat vor und half dem erstaunten Russen aus dem Rettungsboot.<br />

»Willkommen an Bord, Captain. Ich bin Commander Morris,<br />

US-Navy.«<br />

Morris schaute sich rasch nach den verblüfften Gesichtern seiner<br />

Mannschaft um. Doch sein Trick wirkte nicht. Der Russe verstand<br />

302


entweder kein Englisch oder hatte die Geistesgegenwart, so zu tun.<br />

Er sagte etwas in seiner Muttersprache, und Morris, der erkannte,<br />

dass ein anderer die Vernehmung würde durchführen müssen, ließ<br />

seinen Bootsmann abtreten. Die Russen kamen unter Deck ins<br />

Lazarett.<br />

Morris kehrte zurück auf die Brücke und ließ Entwarnung geben.<br />

Dann rief er den Kommandanten des Geleitzugs an und meldete,<br />

dass er Gefangene gemacht hatte.<br />

»Pharris«, erwiderte der Commodore, »malen Sie ein goldenes<br />

U-Boot auf Ihren ASROC-Starter. Ausgezeichnet, Ed. Richten Sie<br />

das der ganzen Mannschaft aus. Was die Gefangenen betrifft,<br />

melde ich mich wieder. Out.«<br />

Kiew, Ukraine<br />

Alexejew schaute sich die nachrichtendienstlichen Meldungen auf<br />

seinem Schreibtisch an. Sein Chef war zu einer Lagebesprechung<br />

nach Moskau gefahren.<br />

»Geht es in Deutschland denn nicht gut voran?« fragte Hauptmann<br />

Sergetow.<br />

»Nein. Den Stadtrand von Hamburg hätten wir sechsunddreißig<br />

Stunden nach Beginn der Offensive erreichen sollen. Wir stehen<br />

aber noch längst nicht dort, und Nato-Flugzeuge haben der dritten<br />

Stoßarmee mörderische Verluste zugefügt.« Er machte eine Pause<br />

und starrte auf die Landkarte. »Wenn ich der Befehlshaber der<br />

Nato wäre, würde ich hier noch einen Gegenangriff starten.«<br />

»Vielleicht sind sie dazu nicht in der Lage. Ihr erster Gegenangriff<br />

wurde zurückgeschlagen.«<br />

»Gewiß, aber um den Preis einer dez<strong>im</strong>ierten Division und sechzig<br />

Flugzeugen. Auf solche Siege können wir verzichten. Im Süden<br />

sieht es kaum besser aus. Die Nato tauscht geschickt Gelände gegen<br />

Zeit und kämpft dort, wo sie seit dreißig Jahren geübt hat. Unsere<br />

Verluste sind fast doppelt so hoch wie erwartet. Auf die Dauer<br />

halten wir das nicht durch.« Alexejew lehnte sich depr<strong>im</strong>iert zurück<br />

und wünschte sich, seine Truppen selber führen zu können.<br />

»Und die Verluste der Nato?«<br />

»Sind vermutlich schwer, und man geht erstaunlich verschwenderisch<br />

mit den Waffen um. Die Deutschen haben zu viel in die<br />

303


Verteidigung von Hamburg investiert und teuer dafür bezahlen<br />

müssen. Wenn ich an ihrer Stelle nicht die Kraft zu einem Gegenangriff<br />

hätte, würde ich mich zurückziehen. Eine Stadt ist die Störung<br />

des Gleichgewichts einer Front nicht wert. Das haben wir <strong>im</strong> Fall<br />

von Kiew gelernt -«<br />

»Und Stalingrad, Genosse General?«<br />

»Dieser Fall lag anders, Hauptmann. Dennoch ist es erstaunlich,<br />

wie die Geschichte sich wiederholen kann«, murmelte Alexejew<br />

und musterte die Wandkarte. Dann schüttelte er den Kopf. Dieser<br />

Plan konnte keinen Erfolg haben, weil Westdeutschlands Straßennetz<br />

zu dicht war. »Das KGB meldet, die Nato habe nur noch für<br />

zwei, höchstens drei Wochen Munition. Das wird der entscheidende<br />

Faktor sein.«<br />

»Und wie sieht es bei uns in punkto Nachschub und Treibstoff<br />

aus?« fragte der junge Hauptmann. Zur Antwort erhielt er einen<br />

finsteren Blick.<br />

Island<br />

Zum Glück gab es Wasser. Tausendjährige Gletscher schmolzen<br />

und füllten die Bäche mit kristallklarem, köstlichem Wasser. Leider<br />

war das Wasser eiskalt und Furten nur schwer zu finden.<br />

»Nur noch Verpflegung für einen Tag, Lieutenant«, merkte<br />

Smith am Ende der Mahlzeit an.<br />

»Tja, über dieses Problem werden wir nachdenken müssen.«<br />

Edwards sammelte seinen Abfall ein. Garcia sollte ihn vergraben,<br />

was nicht einfach war. Edwards hörte be<strong>im</strong> Aufbauen seines Funkgeräts<br />

spanische Flüche und das Scharren eines Klappspatens <strong>im</strong><br />

losen Geröll von Höhe 482.<br />

»Doghouse, hier Beagle, uns gehen die Rationen aus. Over.«<br />

»Bedauerlich, Beagle. Vielleicht schicken wir euch ein paar Pizzen<br />

vorbei.«<br />

»Witzbold«, meinte Edwards, ohne die Sprechtaste betätigt zu<br />

haben. »Was wollen Sie jetzt von uns?«<br />

»Was sehen Sie <strong>im</strong> Augenblick?«<br />

»In zwei Meilen Entfernung einen unbefestigten Weg, der bergab<br />

nach Norden führt. Dann vielleicht einen Bauernhof - gepflügte<br />

Felder, aber ich kann nicht erkennen, was da wächst. Westlich von<br />

304


uns eine Schaffarm, die wir auf dem Weg hierher passiert haben.<br />

Massenweise Schafe. Vor zehn Minuten fuhr ein Laster über die<br />

Straße nach Westen. In der Luft haben wir heute noch nichts<br />

beobachtet, aber das wird sich wohl ändern. Zivilisten bleiben auf<br />

ihren Höfen, kein Zivilverkehr auf den Straßen. Das wäre alles.<br />

Den Aardvark-Piloten können Sie ausrichten, das Umspannwerk<br />

sei total <strong>im</strong> E<strong>im</strong>er. Seit dem Angriff haben wir kein elektrisches<br />

Licht mehr gesehen.«<br />

»Verstanden, Beagle. Marschieren Sie nun nach Norden in Richtung<br />

Hvammsfjördur, umgehen Sie die Buchten. In zehn, zwölf<br />

Tagen sollten Sie dort sein. Lassen Sie sich Zeit, melden Sie alles,<br />

was Ihnen interessant vorkommt. Bitte bestätigen.«<br />

»Roger, Doghouse, wir sollen bis Ende nächster Woche am<br />

Hvammsfjördur sein und uns in der Zwischenzeit wie üblich melden.<br />

Sonst noch etwas?«<br />

»Seien Sie vorsichtig. Out.«<br />

»Hvammsfjördur?« fragte Smith. »Das sind ja einhundert Meilen<br />

Luftlinie!«<br />

»Wir sollen Umwege nach Osten machen, um Kontakte zu vermeiden.«<br />

»Zweihundert Meilen also ... in diesem Dreck.« Smith zog eine<br />

finstere Miene. »Wie lange brauchen wir da? Eine Woche? Zehn<br />

oder elf Tage?«<br />

Edwards nickte versonnen. Erst jetzt wurde ihm klar, wie weit<br />

Hvammsfjördur entfernt war.<br />

»Das wird hart, Mr. Edwards.« Der Sergeant schlug eine Landkarte<br />

auf. »Sehen Sie, ich habe noch nicht einmal Karten vom<br />

ganzen Küstenabschnitt. Und hier, an dieser Stelle, gehen die Höhenzüge<br />

und Täler von diesem Berg aus wie die Speichen eines<br />

Rades. Das bedeutet, wir müssen viel klettern. Und die Straßen, die<br />

flacherem Gelände folgen, können wir nicht benutzen.«<br />

Edwards rang sich ein Grinsen ab. »Ist das zuviel verlangt? Man<br />

hört doch <strong>im</strong>mer, wie fit die Marines sind.«<br />

Smith, der jeden Morgen fünf Meilen joggte, hatte den kleinen<br />

Schwächling von der Air Force noch nie trainieren sehen. »Okay,<br />

Mr. Edwards. Es ist ja noch keiner <strong>im</strong> Schweiß ersoffen, wie es<br />

heißt. Auf die Beine, Männer, man hat uns eine kleine Wanderung<br />

befohlen.« Rodgers und Garcia tauschten Blicke. Wer einen Offizier<br />

mit »Mister« anredete, meinte das nicht als Kompl<strong>im</strong>ent. Smith<br />

305


aber sagte sich, dass er der Insubordination nur schuldig war, wenn<br />

der fragliche Offizier auch wusste, dass er beleidigt worden war.<br />

Keflavik, Island<br />

Bei der Zusammenstellung der Hubschrauber gab es Verzögerungen.<br />

Die schweren AN-22 Transportflugzeuge hatten zwei Mi-24<br />

Kampfhubschrauber gebracht, selbst für dieses viermotorige Monstrum<br />

eine gewaltige Ladung, aber zuwenig. Mit einer IL-76 waren<br />

Techniker und Besatzungen eingetroffen. Der General zuckte vielsagend<br />

die Achseln. Kein Plan war perfekt. Man würde eben mehr<br />

Helikopter einfliegen müssen, dazu Radarfahrzeuge und SAM-<br />

Starter. Die Amerikaner schienen entschlossen zu sein, ihm den<br />

Aufenthalt auf Island so unangenehm wie möglich zu machen, und<br />

er brauchte mehr Gerät, um ihnen entgegenzutreten.<br />

Und dann diese Scheißer vom KGB, die behaupteten, die Insel<br />

befrieden zu müssen. Island war doch friedfertig genug. Bisher war<br />

es nirgends zu bewaffnetem Widerstand gekommen. Aber das war<br />

dem KGB nicht genug. Jetzt Muss eine ganze Kompanie meiner<br />

Fallschirmjäger die armen, harmlosen Teufel bewachen! dachte er<br />

wütend.<br />

Das Heulen eines Triebwerks riß ihn aus seinen Gedanken. Der<br />

Rotor eines MI-24 Hind begann sich zu drehen. Ein Offizier lief auf<br />

ihn zu.<br />

»Genosse General, mit Ihrer Erlaubnis werden wir nun einen<br />

unbewaffneten Testflug durchführen. Waffen nehmen wir nach der<br />

Rückkehr an Bord.«<br />

»Gut, Genosse Hauptmann, aber sehen Sie sich die Höhen um<br />

Keflavik und Reykjavik an. Wann ist die zweite Maschine startklar?«<br />

»In zwei Stunden.«<br />

»Gut gemacht, Genosse Hauptmann.«<br />

Eine Minute später hob der schwere Kampfhubschrauber ab.<br />

»Deckung! Keine Bewegung!« schrie Garcia. Das Ungeheuer kam<br />

ihnen zwar nicht besonders nahe, aber sein Anblick genügte schon.<br />

»Was ist das?«<br />

»Ein Hind, Kampfhubschrauber, ähnelt unserem Cobra. Unan­<br />

306


genehm, Lieutenant. Hat acht Soldaten an Bord und einen ganzen<br />

Haufen Raketen und Kanonen. Praktisch ein fliegender Panzer, so<br />

gut wie unverwundbar.«<br />

Der Mi-24 umflog den Hügel, den sie gerade überquert hatten,<br />

und verschwand dann nach Süden.<br />

»Hat uns wohl nicht gesehen«, meinte Edwards.<br />

»Sorgen wir dafür, dass es so bleibt. Und lassen Sie Ihr Funkgerät<br />

erst mal in Ruhe. Melden wir diesen Vogel erst, wenn wir ein Stück<br />

weiter sind, klar?«<br />

Edwards nickte zust<strong>im</strong>mend.<br />

Bitburg<br />

Colonel Ellington wachte um achtzehn Uhr auf, rasierte sich und<br />

ging nach draußen, wo die Sonne noch hoch am Abendh<strong>im</strong>mel<br />

stand. Er neigte nicht zur Schwarzseherei, aber es fiel ihm schwer,<br />

den Verlust eines Viertels seiner Männer innerhalb einer einzigen<br />

Woche zu verkraften. Vietnam lag zu weit zurück; er hatte schlicht<br />

vergessen, wie gräßlich Verluste sein konnten.<br />

Doch ihr Einsatz zeigte Wirkung. Jede Nacht hoben die schwarzgrünen<br />

Frisbees ab, um ausgewählte Ziele anzugreifen, und den<br />

Russen war <strong>im</strong>mer noch keine Gegenmaßnahme eingefallen.<br />

Das Briefing dauerte eine Stunde. Heute nacht sollten zehn Maschinen<br />

in Paaren fünf Ziele attackieren. Der schwierigste Auftrag<br />

fiel Ellington als Führer zu. Aufklärungen hatten Hinweise auf ein<br />

Treibstofflager westlich von Wittenberg gegeben, das den russischen<br />

Vorstoß auf Hamburg unterstützte, und die Deutschen wollten<br />

es ausgeschaltet sehen. Sein Flügelmann sollte mit Durandal-<br />

Bomben anfliegen, er würde mit Rockeyes folgen.<br />

Er sah sich die topographische Karte genau an. Das Gelände<br />

war eben. Kaum Berge oder Hügel, hinter denen man sich verstekken<br />

konnte, aber wenn er auf Baumwipfelhöhe flog, fiel er kaum<br />

auf. Er wollte das Ziel von hinten, also von Osten, anfliegen. Es<br />

wehte ein kräftiger Westwind, und wenn er sich aus Lee näherte,<br />

hörten ihn die Verteidiger vermutlich erst, wenn seine Bomben<br />

schon frei waren. Nach dem Einsatz wollte er sich nach Südwesten<br />

entfernen. Gesamtdauer des Einsatzes: fünfundsiebzig Minuten. Er<br />

berechnete die erforderliche Treibstoffladung und vergaß wie <strong>im</strong>­<br />

307


mer nicht, den Luftwiderstand der flügelmontierten Bomben mit<br />

einzukalkulieren. Dem Min<strong>im</strong>albedarf fügte er noch genug Treibstoff<br />

für fünf Minuten Flug mit Nachbrenner hinzu - sollte es zu<br />

einem Luftkampf kommen - und zehn Minuten für die Warteschleife<br />

über Bitburg. Als er zufrieden war, ging er frühstücken. Bei<br />

jedem Bissen Toast ließ er den Einsatz vor sich ablaufen wie einen<br />

Film. Er stellte sich jeden Vorfall, jedes Hindernis, jede FlaRak-<br />

Batterie vor, die es zu meiden galt. Dann kalkulierte er aufs Geratewohl<br />

Unsicherheitsfaktoren ein. Welchen Effekt würde ein<br />

Schwärm Kampfflugzeuge überm Ziel haben? Wie sah das Ziel<br />

be<strong>im</strong> Anflug aus? Aus welcher Richtung würde er anfliegen, falls<br />

ein zweiter Angriff erforderlich war? Major Eisly saß schweigend<br />

neben seinem Kommandanten, wusste, was hinter dessen ausdruckslosem<br />

Gesicht vorging, und nahm <strong>im</strong> Geist ebenfalls Berechnungen<br />

vor.<br />

Sie flogen fünfzig Meilen weit nach Ostdeutschland hinein und<br />

drehten dann bei Rathenow nach Norden ab. Weit hinter der<br />

Grenze waren zwei sowjetische Mainstay in der Luft, geschützt von<br />

wenigen Flanker-Abfangjägern. Die beiden Frisbees hielten sich aus<br />

dem Radarbereich der fliegenden Leitstände, und wenn sie <strong>im</strong><br />

Tiefflug über Straßen hinwegjagten, taten sie das in einer Richtung,<br />

die von ihrem Ziel wegführte. Städte und feindliche Depots, wo es<br />

SAM-Batterien geben konnte, mieden sie.<br />

Auf einem Kartendisplay am Armaturenbrett des Piloten zeigten<br />

die Trägheitsnavigationssysteme ihr Vorankommen an. Die Entfernung<br />

zum Ziel schrumpfte rasch, als das Flugzeug in eine weite<br />

Kurve nach Westen ging.<br />

Mit fünfhundert Knoten flitzten sie über Wittenberg. Die Infrarotkameras<br />

erfaßten Tanklastwagen, die sich auf verschiedenen<br />

Straßen aufs Ziel zubewegten. Da! Zwischen den Bäumen standen<br />

mindestens zwanzig Tanklaster, die aus dem unterirdischen Treibstofflager<br />

gefüllt wurden.<br />

»Ziel in Sicht. Angriff nach Plan.«<br />

»Roger«, bestätigte Schatten 2.. »Ich habe sie in Sicht.«<br />

Der Duke zog seine Maschine nach links und machte seinem<br />

Flügelmann den Weg für den ersten Anflug frei. Schatten 2 war<br />

inzwischen die einzige verbliebene Maschine, die mit den Aufhängungen<br />

für die schweren Bomben ausgerüstet war.<br />

308


»Verdammt!« Das Display des Duke zeigte einen SA-II-Starter<br />

genau <strong>im</strong> Flugpfad seiner Maschine. Die Raketen zielten nach<br />

Nordwesten. Der Oberst riß seine Maschine hart nach rechts<br />

herum und fragte sich, wo die anderen Fahrzeuge der Raketenbatterie<br />

standen.<br />

Schatten 2 sauste übers Ziel. Der Pilot warf seine vier Bomben<br />

und flog weiter nach Westen. Hinter ihm vereinzelte Feuerstöße,<br />

aber zu spät.<br />

Die französischen Durandal-Bomben, für den Einsatz gegen betonierte<br />

Startbahnen gedacht, wurden <strong>im</strong> Sturzflug von Raketenmotoren<br />

noch beschleunigt und waren für unterirdische Treibstofflager<br />

ideal. Sie explodierten nicht be<strong>im</strong> Aufprall, sondern bohrten<br />

sich über einen Meter in den Boden und detonierten erst dann. Drei<br />

fanden unterirdische Tanks. Die Sprengwirkung der Durandal war<br />

nach oben gerichtet und riß einen Krater auf, durch den brennender<br />

Treibstoff an die Luft gelangen konnte.<br />

Was nun kam, war fast so spektakulär wie eine Kernexplosion.<br />

Drei weiße Flammensäulen schössen in die Luft und ließen <strong>im</strong><br />

Umkreis von Hunderten von Metern brennenden Treibstoff niederregnen.<br />

Alle Fahrzeuge wurden in Flammen gehüllt, und nur die<br />

Soldaten in der Nähe des Zaunes kamen mit dem Leben davon.<br />

Sekunden später flogen Treibstoffbehälter aus Gummi in die Luft,<br />

brennender Dieseltreibstoff und Benzin verbreiteten sich <strong>im</strong> Wald<br />

und lösten weitere Explosionen aus. Druckwellen zerrten heftig an<br />

Ellingtons Maschine.<br />

»Donnerwetter«, sagte er leise. Laut Plan sollte er mit seinen<br />

Streubomben entzünden, was die Durandals aufgerissen hatten.<br />

»Die Rockeyes sind wohl überflüssig, Duke«, meinte Eisly.<br />

Ellington, von der heftigen Explosion fast geblendet, zwinkerte<br />

und flog so tief wie möglich. Dann stellte er fest, dass er einer Straße<br />

folgte.<br />

Der sowjetische Oberbefehlshaber der Westfront war bereits wütend,<br />

und was er <strong>im</strong> Osten sah, verbesserte seine Laune nicht. Er<br />

hatte gerade in Zarrentin mit dem Kommandeur der 3. Stoßarmee<br />

gesprochen und erfahren, dass sich der Angriff auf Hamburg in<br />

Sichtweite der Stadt erneut festgefahren hatte. Erbost, weil seine<br />

stärkste Panzerformation ihr Angriffsziel nicht erreichen konnte,<br />

hatte er den Kommandeur auf der Stelle abgelöst und war auf dem<br />

309


Rückweg zu seinem Gefechtsstand. Was er nun sah, konnte nur<br />

eines seiner großen Treibstofflager sein, das in die Luft flog. Der<br />

General fluchte, stand auf und öffnete die Dachluke seines gepanzerten<br />

Gefechtswagens. Am unteren Ende des Feuerballs tauchte<br />

ein schwarzer Schemen auf.<br />

Und was haben wir da? fragte Ellington. Sein TV-Display zeigte<br />

vier gepanzerte Fahrzeuge, darunter einen Flarak-Panzer! Er warf<br />

seine vier Rockeye-Bomben ab und wandte sich dann nach Süden.<br />

Die Kameras <strong>im</strong> Heck nahmen das Resultat auf. Die Rockeyes<br />

platzten auf und verteilten ihre Minibomben über die Straße. Sie<br />

detonierten be<strong>im</strong> Aufprall.<br />

Der OB West starb den Soldatentod. Als letzte Tat packte er ein<br />

Maschinengewehr und schoß auf das Flugzeug. Wenige Meter von<br />

seinem Fahrzeug entfernt gingen vier Minibomben nieder. Ihre<br />

Splitter fetzten durch die dünne Panzerung und töteten alle Insas-<br />

USS Chicago<br />

Das U-Boot kam langsam an die Oberfläche und fuhr dabei Spiralen,<br />

um mit Sonar die ganze Umgebung abzutasten, ehe es wieder<br />

auf Sehrohrtiefe ging. Erst wurde der ESM-Mast ausgefahren und<br />

schnüffelte nach feindlichen elektronischen Signalen, dann folgte<br />

das Suchperiskop. Der Kommandant suchte rasch rundum H<strong>im</strong>mel<br />

und Meer ab, sein Erster Offizier beobachtete über den TV-Monitor<br />

mit. Alles schien in Ordnung zu sein. Seegang mäßig, Dünung<br />

einsfünfzig hoch, Schönwetterwolken am klaren blauen H<strong>im</strong>mel.<br />

Ein wunderschöner Tag - wäre nicht Krieg gewesen.<br />

»Okay, senden«, befahl McCafferty, ohne das Auge vom Sehrohr<br />

zu nehmen. Nachdem ein Maat die UHF-Antenne ausgefahren<br />

hatte, verkündete <strong>im</strong> Funkraum hinter der Angriffszentrale ein<br />

Licht »Sendung frei«.<br />

Sie waren mit ihrer Kennung QZB über ELF (Ultralangwelle) an<br />

die Oberfläche befohlen worden. Der Funker schaltete seinen Sender<br />

an, stellte das UHF-Satellitenband ein und tippte QZB. Keine<br />

Antwort. Er warf seinem Nachbarn einen Blick zu und wiederholte<br />

310


die Prozedur. Wieder verpaßte der Satellit das Signal. Der Funker<br />

holte tief Luft und versuchte es ein drittes Mal. Zwei Sekunden<br />

später druckte der »heiße« Printer in der Ecke eine verschlüsselte<br />

Antwort aus. Der Fernmeldeoffizier gab den Befehl in eine Chiffriermaschine<br />

ein, und aus einem anderen Drucker kam der Klartext:<br />

TOP SECRET<br />

VON: COMSUBLANT<br />

AN: USS CHICAGO<br />

I. II50ZI9 JUNI AUSLAUF KOLA GR AMPH VERBAND ROTE­<br />

FLOTTE GEMELDET. ZUSAMMENSTZG IO PLUS AMPHIB FZ UND<br />

15 PLUS. KAMPFSCHIFFE INCL KIROW, KIEW. STARKE ASW­<br />

LUFTUNTERSTÜTZUNG. U-UNTERSTÜTZUNG ZU ERWARTEN.<br />

WESTKURS, GROSSE FAHRT.<br />

2. ANGRIFFSZIEL DES VERB WAHRSCH BOD0.<br />

3. FAHREN SIE SCHNELLSTENS NACH 7ON 16W.<br />

4. ANGREIFEN UND VERNICHTEN. KONTAKT NACH MÖGLICH­<br />

KEIT VOR ANGRIFF MELDEN. ANDERE U-BOOTE NATO IN DIE­<br />

SEM GEBIET. LUFTUNTERSTÜTZUNG MÖGLICH ABER IM AUGEN­<br />

BLICK UNWAHRSCHEINLICH.<br />

5. NÄHERE ANGABEN ZUR POSITION DES VERB FOLGEN.<br />

McCafferty las die Nachricht kommentarlos durch und reichte sie<br />

dann dem Navigator. »Wie lange brauchen wir, wenn wir fünfzehn<br />

Knoten laufen?«<br />

» Rund elf Stunden.« Der Navigator griff nach seinem Stechzirkel<br />

und maß die Entfernung auf der Karte. »Wenn die Russen nicht<br />

fliegen, sind wir lange vor ihnen da.«<br />

»Joe?« McCafferty warf seinem IO einen Blick zu.<br />

»Gefällt mir. Direkt an der Hundert-Faden-Kurve, das Wasser ist<br />

dort ein bißchen quirlig, einmal wegen des Golfstroms, zum ändern<br />

wegen Süßwasser aus den Fjorden. In Küstennähe werden den<br />

Russen die norwegischen Diesel-U-Boote gefährlich, weiter draußen<br />

die Nato-Boote mit Nuklearantrieb. Ich möchte wetten, dass sie<br />

uns genau vor die Rohre laufen.«<br />

» Gut, gehen Sie auf neunhundert Fuß und Ostkurs. Entwarnung.<br />

Die Männer sollen sich ausruhen und etwas essen.«<br />

Zehn Minuten später lief Chicago mit fünfzehn Knoten in Rich­<br />

311


tung null-acht-eins durch tiefes, aber vom Golfstrom erwärmtes<br />

Wasser, das die Ortung durch ein Überwasserschiff praktisch unmöglich<br />

machte. Die Maschinen konnten das Boot bei dieser geringen<br />

Geschwindigkeit mit abgeschalteter Reaktorpumpe antreiben.<br />

Das Kühlwasser <strong>im</strong> Reaktor zirkulierte also nur mittels natürlicher<br />

Konvektion, und die Hauptgeräuschquelle war el<strong>im</strong>iniert. Chicago<br />

war in seinem Element, ein lautloser Schatten, der durchs schwarze<br />

Wasser glitt.<br />

Die St<strong>im</strong>mung der Mannschaft hatte sich leicht gebessert. Nun<br />

hatte man endlich einen Auftrag, einen gefährlichen zwar, aber<br />

einen, für den man ausgebildet worden war. Befehle wurden ruhig<br />

und präzise ausgeführt. In der Messe spielten Offiziere Ortungs- und<br />

Angriffsprozeduren durch, die sie schon längst auswendig kannten,<br />

und mit Hilfe des Computers wurden zwei Übungen s<strong>im</strong>uliert.<br />

Man suchte die Seekarten nach Stellen ab, an denen besonders<br />

ungünstige Wasserverhältnisse ein gutes Versteck boten. Im Torpedoraum<br />

zwei Decks unter der Angriffszentrale testeten Seeleute die<br />

Elektronik der grünen Torpedos Mark 48 und der Harpoon-Flugkörper.<br />

Eine Waffe hatte einen elektronischen Defekt; zwei Torpedogasten<br />

nahmen sofort eine Schutzplatte ab, um eine Komponente<br />

zu ersetzen. Auf ähnliche Weise prüfte man die Tomahawk-Marschflugkörper<br />

in ihren vertikalen Abschußrohren <strong>im</strong> Bug. Schließlich<br />

s<strong>im</strong>ulierte das Waffenleit-Team mit dem Computer Mk-117 einen<br />

Angriff, um sicherzustellen, dass alle Bordsysteme funktionsfähig<br />

waren. Die Mannschaft tauschte opt<strong>im</strong>istische Blicke. Immerhin<br />

war es ja nicht ihre Schuld, dass der Russe so dumm gewesen war,<br />

ihnen in die Nähe zu kommen. Und vor ein paar Tagen war es ihnen<br />

gelungen, in Rußland praktisch an Land zu gehen - unentdeckt! Der<br />

Alte war ein echter Profi.<br />

USS Pharris<br />

Be<strong>im</strong> Abendessen ging es, gelinde gesagt, peinlich zu. Die drei<br />

russischen Offiziere saßen am Ende des Tisches, waren sich der<br />

beiden bewaffneten Wächter und des Smutje, der in der Kombüse<br />

auffällig mit einem langen Messer hantierte, durchaus bewußt. Ihr<br />

Essen wurde den Russen von einem finster blickenden siebzehnjährigen<br />

Matrosen serviert.<br />

312


»Nun«, meinte Morris umgänglich, »spricht jemand englisch?«<br />

»Ich«, meldete sich einer. »Mein Kommandant hat mich angewiesen,<br />

Ihnen für die Rettung unserer Männer zu danken.«<br />

»Sagen Sie ihm, er hätte großes Geschick bewiesen.« Morris goß<br />

Salatsoße auf und wartete auf die Übersetzung. Seine Offiziere<br />

behielten die Gäste scharf <strong>im</strong> Auge. Ed Morris wandte mit Bedacht<br />

den Blick ab und stellte fest, dass seine Bemerkung die gewünschte<br />

Wirkung zeigte. Am anderen Ende des Tisches kam es zu einem<br />

raschen Wortwechsel.<br />

»Mein Kommandant möchte wissen, wie Sie uns gefunden haben.<br />

Den Hubschraubern sind wir doch entkommen, oder?«<br />

»St<strong>im</strong>mt«, erwiderte Morris. »Wir verstanden das System nicht,<br />

nach dem Sie operierten.«<br />

»Wie haben Sie uns dann geortet?«<br />

»Ich wusste, dass Sie zuvor von der Orion angegriffen worden<br />

waren und mit hoher Geschwindigkeit fuhren, um uns einzuholen.<br />

Der Angriffswinkel war vorhersehbar.«<br />

Der Russe schüttelte den Kopf. »Was für ein Angriff? Wer hat<br />

uns angegriffen?« Er wandte sich an seinen Kommandanten und<br />

sprach etwa dreißig Sekunden lang.<br />

Es muss da draußen noch ein Charlie sein, dachte Morris, es sei<br />

denn, er lügt uns an. Jemand, der Russisch kann, sollte unten mit<br />

den Mannschaftsgraden sprechen. Verflucht, warum habe ich niemanden<br />

an Bord, der diese Sprache beherrscht?<br />

»Mein Kommandant sagt, Sie irren sich. Unser erster Kontakt<br />

war ein Hubschrauber. Mit einem Schiff haben wir nicht gerechnet.<br />

Ist das eine neue Taktik?«<br />

»Nein, das üben wir schon seit Jahren.«<br />

»Und wie haben Sie uns gefunden?«<br />

»Wissen Sie, was ein Schleppsonar ist? Damit haben wir Sie<br />

erfaßt - drei Stunden vor dem Torpedoschuß.«<br />

Der Russe machte große Augen. »So gut ist Ihr Sonar?«<br />

»Manchmal.« Auf die Übersetzung hin gab der russische Kommandant<br />

einen knappen Befehl, und die Konversation fand ein<br />

Ende. Morris fragte sich, ob sein Funktechniker bereits ein Mikrophon<br />

ins Quartier der Russen eingebaut hatte. Ihre Gespräche<br />

konnten wichtige Hinweise für den Nachrichtendienst der Flotte<br />

enthalten. Zunächst aber wollte er dafür sorgen, dass seine Gäste es<br />

bequem hatten. »Wie ist das Essen auf einem russischen U-Boot?«<br />

313


»Nicht so wie hier«, erwiderte der Navigator nach Absprache<br />

mit seinem Vorgesetzten. »Gut, aber anders. Wir bekommen mehr<br />

Fisch und weniger Fleisch. Und trinken Tee, keinen Kaffee.«<br />

Ed Morris stellte fest, dass seine Gäste mit kaum verhohlenem<br />

Gusto zulangten. Auch auf unseren U-Booten gibt es nicht genug<br />

frisches Gemüse, sagte sich Morris. Sein Funktechniker betrat die<br />

Messe und blieb an der Tür stehen. Morris winkte ihn zu sich.<br />

Der Mann reichte seinem Kommandanten ein Formular, auf dem<br />

in Druckschrift SONDERAUFTRAG AUSGEFÜHRT stand. Die Quartiere<br />

der Russen waren nun alle verwanzt. Morris ließ den Techniker<br />

abtreten und steckte das Papier ein. Sein Bootsmann hatte<br />

wundersamerweise zwei Flaschen Schnaps aufgetrieben - wo,<br />

wollte Morris erst gar nicht wissen -, die heute abend zu den<br />

Russen gelangen sollten. Er hoffte, dass der Alkohol ihnen die<br />

Zungen lösen würde.<br />

314


USS Pharris<br />

24<br />

Vergewaltigung<br />

Morris hätte den Maschinen am liebsten zugewinkt. Das Patrouillenflugzeug<br />

der französischen Marine signalisierte, dass sie sich <strong>im</strong><br />

Schutz eines Luftstützpunktes an Land befanden. Ein russischer U-<br />

Boot-Kommandant musste schon viel Mut haben, um hier, wo<br />

französische Dieselboote den Geleitzug abschirmten und mehrere<br />

ASW-Flugzeuge ihn beschützten, irgendwelche Spiele zu treiben.<br />

Die Franzosen hatten auch einen Hubschrauber losgeschickt, der<br />

die russischen Gefangenen abholte. Sie kamen nach Brest, um dort<br />

von Angehörigen der Nato-Nachrichtendienste verhört zu werden.<br />

Darum beneidete Morris sie nicht. Festgehalten wurden sie dann<br />

nämlich von den Franzosen, die nach dem Verlust eines Trägers<br />

üble Laune hatten.<br />

Die Pharris war <strong>im</strong> Begriff, ihren Geleitzug an britische und<br />

französische Eskorten zu übergeben und einen vierzig Frachter<br />

starken Konvoi nach Amerika zu übernehmen. Ihre ASW-Taktik<br />

hatte bislang recht gut funktioniert. Mit der Pharris als Sonar-<br />

Vorposten und starker Unterstützung durch die Orion hatten sie bis<br />

auf eines alle angreifenden sowjetischen U-Boote abgefangen.<br />

Aber auf dem Rückweg musste das noch besser klappen, denn die<br />

Bedingungen waren härter. Auf der ersten Fahrt hatten die Russen<br />

nur einen Bruchteil ihrer U-Boote gegen sie einsetzen können. Der<br />

Rest brach nun durchs Kattegatt. Den U-Boot-Kräften der Nato,<br />

die die Durchfahrt zu sperren versuchten, fehlten nun die Abfangvektoren<br />

von der SOSUS-Barriere und auch die Orion, die auf für<br />

U-Boote unerreichbare Ziele hinabstoßen konnten. Gut, die Pharris<br />

und die anderen Eskorten würden Versenkungen erzielen, aber<br />

genug? Wieviel größer würde diese Woche die Bedrohung sein?<br />

Ein Drittel des Geleitzugs war Luftangriffen zum Opfer gefallen.<br />

Waren diese Verluste erträglich? Er fragte sich, wie die Besatzungen<br />

der Frachter dies aushielten. Am Horizont kam der Konvoi in Sicht.<br />

315


USS Chicago<br />

»Da sind sie also.«<br />

Eine breite weiße Speiche auf dem Schirm stellte Breitbandrauschen<br />

in drei-zwei-neun dar. Das konnte nur der sowjetische Verband<br />

sein, der auf Bodo zuhielt.<br />

»Wie weit entfernt? fragte McCafferty.<br />

»Mindestens zwei Konvergenzzonen, Sir, vielleicht auch drei.<br />

Die Signalstärke nahm erst vor vier Minuten zu.«<br />

»Lassen sich Schraubenumdrehungszahlen identifizieren?«<br />

»Nein, Sir.« Der Sonarmann schüttelte den Kopf. »Im Augenblick<br />

hören wir nur undifferenziertes Geräusch. Wir haben versucht,<br />

Einzelfrequenzen herauszuisolieren, aber auch hier nur<br />

Chaos. Im Augenblick hören wir nur eine trampelnde Herde.«<br />

McCafferty nickte. Die dritte Konvergenzzone war gut hundert<br />

Meilen entfernt. Über solche Distanzen verloren akustische<br />

Signale an Schärfe, so dass sich ihre Richtung nur grob best<strong>im</strong>men<br />

ließ.<br />

»Westkurs, zwanzig Knoten«, befahl McCafferty. Als das Boot<br />

dahinjagte, behielt McCafferty die Anzeige des Bathythermographen<br />

<strong>im</strong> Auge. Solange die Wassertemperatur unverändert blieb,<br />

konnte er den guten Schallkanal nutzen. Doch die Werte begannen<br />

zu variieren. Das Boot verlangsamte rasch seine Fahrt, und McCafferty<br />

ging zurück in den Sonarraum.<br />

»So, und wo sind sie jetzt?«<br />

»Wir haben sie! Genau dort in drei-drei-zwo.«<br />

»IO, tragen Sie die Position ein und setzen Sie eine Kontaktmeldung<br />

auf.«<br />

Zehn Minuten später ging die Meldung über Satellit ab. In der<br />

Antwort wurde Chicago der Angriff befohlen: AUF DIE DICKEN<br />

KONZENTRIEREN.<br />

Island<br />

Der Hof war drei Meilen entfernt. Durch den Feldstecher sah<br />

Edwards ein Fachwerkhaus, Scheunen und Hunderte von Schafen<br />

auf der Weide am Bach. »Ende der Fahnenstange«, meinte er nach<br />

einem Blick auf die Karte. »Wird auch Zeit, dass wir was zu essen<br />

316


ekommen. Wir folgen der Senke nach rechts und halten die Böschung<br />

zwischen uns und der Farm, bis wir auf eine halbe Meile<br />

herangekommen sind.«<br />

»Okay, Sir«, st<strong>im</strong>mte Sergeant Smith zu. Die vier Männer setzten<br />

sich mühsam auf und hängten sich ihr Gerät um. Sie waren seit<br />

zweieinhalb Tagen fast ununterbrochen marschiert und befanden<br />

sich nun rund fünfunddreißig Meilen nordöstlich von Reykjavik.<br />

Auf ebenen Straßen war dieses Marschtempo moderat, <strong>im</strong> Gelände<br />

aber strapaziös - insbesondere, da sie auf Hubschrauber achten<br />

mussten, die inzwischen das Gelände abflogen. Vor sechs Stunden<br />

hatten sie ihre letzten eisernen Rationen verzehrt. Die körperliche<br />

Anstrengung und die niedrigen Temperaturen zehrten an ihrer<br />

Energie. Immer wieder hatten sie sechshundert Meter hohe Ausläufer<br />

des Gebirges zu überwinden.<br />

Doch sie schleppten sich weiter, angetrieben von mehreren<br />

ingen. Zum einen fürchteten sie, von Soldaten der sowjetischen<br />

Division, deren Eintreffen sie beobachtet hatten, geschnappt zu<br />

werden. Keiner von ihnen hatte Lust auf eine Kriegsgefangenschaft<br />

in Rußland. Zum anderen hatten sie Angst zu versagen ­<br />

sie hatten einen Auftrag, und kein Zuchtmeister ist strenger als<br />

der eigene Stolz. Edwards hatte den anderen Männern ein Beispiel<br />

geboten, und die Marines konnten sich kaum von einem<br />

Meteorologen der Luftwaffe etwas vormachen lassen. So kam es,<br />

dass sich die vier Männer fast zu Tode marschierten - angetrieben<br />

von ihrem Ego.<br />

»Dann haben wir wenigstens bessere Deckung«, meinte Edwards.<br />

»Warten wir ab, bis es anfängt. Verdammt, ich wusste<br />

ja nicht, wie unangenehm dieses permanente Tageslicht ist. Ist<br />

irgendwie pervers, dass die Sonne einfach nicht untergehen<br />

will.«<br />

»Allerdings. Und ich hab noch nicht mal 'ne Zigarette«, grollte<br />

Smith.<br />

»Schon wieder Regen?« fragte Garcia.<br />

»Gewöhnen Sie sich dran«, versetzte Edwards. »Im Durchschnitt<br />

hat der Juni siebzehn Regentage. Die Niederschläge waren in diesem<br />

Jahr besonders ausgiebig. Warum steht das Gras wohl so<br />

hoch?«<br />

»Gefällt es Ihnen hier etwa?« fragte Garcia verdutzt. Mit Puerto<br />

Rico hatte Island sehr wenig gemeinsam.<br />

317


»Mein Vater ist Hummerfischer in Maine. Als Kind fuhr ich mit<br />

ihm hinaus, wann <strong>im</strong>mer ich konnte, und das Wetter war <strong>im</strong>mer so<br />

wie hier.«<br />

»Was machen wir, wenn wir das Haus dort unten erreichen,<br />

Sir?« Smith brachte sie zurück zum aktuellen Thema.<br />

»Wie bitten um Lebensmittel -«<br />

»Bitten?« fragte Garcia überrascht.<br />

»Allerdings. Was wir bekommen, bezahlen wir - und bedanken<br />

uns schön«, sagte Edwards. »Benehmt euch anständig, Männer.<br />

Wir wollen doch vermeiden, dass der Mann später den Iwan anruft.«<br />

Er sah seinen Männern ins Gesicht. Dieser Gedanke hatte sie<br />

alle ernüchtert.<br />

Es begann zu tröpfeln. Zwei Minuten später fiel dichter Regen,<br />

der die Sichtweite auf wenige hundert Meter reduzierte. Edwards<br />

raffte sich mühsam auf, zwang die Marines, seiHallom Beispiel zu<br />

folgen. Sie marschierten bergab, als die Sonne <strong>im</strong> Nordwesten<br />

hinter einen Hügel glitt. Dieser Hügel - morgen würden sie ihn<br />

wahrscheinlich überwinden müssen - kam Edwards wie ein Berg<br />

vor. Einen Namen hatte er auch, aber keiner konnte ihn aussprechen.<br />

Als sie das Bauernhaus fast erreicht hatten, war es so gut wie<br />

dunkel, und <strong>im</strong> Regen betrug die Sichtweite nun nur noch achtzig<br />

Meter. Kurz vor dem Hof entdeckte Smith ein Licht.<br />

»Auto!« rief er. Alle warfen sich zu Boden und zielten instinktiv<br />

mit ihren Gewehren auf die beiden hellen Punkte am Horizont.<br />

»Immer mit der Ruhe, Jungs. Dieser Weg hier zweigt von der<br />

Landstraße ab, und - verfluchte Scheiße!« Die Lichter waren nicht<br />

der Biegung der Küstenstraße gefolgt, sondern kamen nun auf den<br />

Hof zu. War das ein Wagen oder ein Kettenfahrzeug? »Verteilt<br />

euch!«<br />

Edwards lag auf dem Bauch, stützte sich auf die Ellbogen und<br />

schaute durchs Fernglas. Das Tarnmuster ihrer Kampfanzüge<br />

machte sie bei Tag fast unsichtbar, solange sie sich nicht bewegten,<br />

und bei Nacht glichen sie durchsichtigen Schatten.<br />

»Sieht aus wie ein Kleinlaster mit Allradantrieb«, meinte Edwards.<br />

Die Lichter kamen langsam auf das Bauernhaus zu, vier Männer<br />

stiegen aus, und einer blieb kurz vor den Scheinwerfern stehen, ehe<br />

sie ausgeschaltet wurden.<br />

»Mist!« zischte Smith.<br />

318


»Hm, sieht aus wie vier oder fünf Russen. Holen Sie Garcia und<br />

Rodgers, Sergeant.« Edwards hielt das Fernglas aufs Haus gerichtet.<br />

Drinnen war nur schwaches Licht. Die Russen - er zählte fünf ­<br />

gingen um das Haus herum. Wie Einbrecher, dachte er. Suchen sie<br />

nach uns? Wohl kaum, dann hätten sie wohl mehr aufgeboten als<br />

nur fünf Mann in einem Geländewagen. Interessant. Wollten sie<br />

plündern?<br />

»Was gibt's, Sir?« fragte Smith.<br />

»Fünf Russen, die in die Fenster gucken - Spanner? He, einer hat<br />

gerade die Tür eingetreten. Leute, das gefällt mir nicht. Ich -«<br />

Ein Schrei bestätigte ihn - der schrille Schrei einer Frau. Die<br />

Männer, die ohnehin schon froren, bekamen eine Gänsehaut.<br />

»Gehn wir mal ein bißchen näher ran«, sagte Edwards. »Bleibt<br />

zusammen und wachsam.«<br />

»Warum ausgerechnet jetzt, Sir?« fragte Smith scharf.<br />

»Weil ich es so will«, versetzte Edwards und steckte das Fernglas<br />

ins Futteral. »Folgen Sie mir.«<br />

Im Haus ging ein zweites Licht an und schien herumgetragen zu<br />

werden. Edwards lief so tief geduckt, dass ihm der Rücken<br />

schmerzte. Zwei Minuten später war er nur noch wenige Minuten<br />

von dem Fahrzeug und kaum zwanzig Meter von der Haustür<br />

entfernt.<br />

»Sir, Sie werden leichtsinnig«, warnte Smith.<br />

»Mag sein, aber die Russen auch. Wetten, dass -«<br />

Glas splitterte, ein Schuß hallte durchs Halbdunkel, gefolgt von<br />

einem schrecklichen schrillen Schrei und zwei weiteren Schüssen.<br />

Es wurde wieder geschrien.<br />

»Was geht hier vor?« fragte Garcia heiser.<br />

Eine rauhe Männerst<strong>im</strong>me brüllte etwas auf russisch. Die Haustür<br />

ging auf, vier Männer kamen heraus, besprachen sich kurz und<br />

gingen dann paarweise an die Fenster links und rechts, schauten<br />

hinein. Wieder ein Schrei, und nun war allen klar, was hier vorging.<br />

»Diese Schweine«, bemerkte Smith.<br />

»Allerdings. Zeit, dass wir etwas unternehmen«, meinte Edwards.<br />

»Einwände?« Smith nickte nur. »Gut. Smith, Sie kommen mit mir;<br />

wir übernehmen die linke Seite. Garcia und Rodgers schlagen einen<br />

Bogen und schleichen sich von rechts ans Haus an. In genau zehn<br />

Minuten greifen wir an. Wenn ihr sie lebendig erwischt, soll's mir<br />

recht sein. Wenn nicht, besorgt's ihnen.«<br />

319


Wieder ein Schrei, dann Stille. Edwards und Smith machten einen<br />

langen Umweg, krochen um einen Traktor und andere landwirtschaftliche<br />

Geräte herum. Als sie ins Freie kamen, stand nur ein<br />

Russe vorm Haus. Wo ist der andere? fragte sich der Lieutenant.<br />

Was nun? Du musst dich an den Plan halten. Alles hängt von dir ab.<br />

»Ich gehe los«, flüsterte Edwards, legte sein M-16 hin und zog<br />

sein Messer.<br />

Der russische Soldat machte es ihm leicht, denn er stand auf<br />

Zehenspitzen und verfolgte die Vorgänge <strong>im</strong> Haus. Drei Meter<br />

hinter ihm richtete sich Edwards auf und schlich Schritt für Schritt<br />

auf ihn zu. Erst jetzt wurde ihm klar, dass der Mann einen Kopf<br />

größer war als er.<br />

Drinnen musste es eine Unterbrechung gegeben haben. Der Soldat<br />

nahm eine Zigarettenpackung aus der Tasche, drehte sich halb<br />

um und riß ein Streichholz an, bekam dabei Edwards aus dem<br />

Augenwinkel zu sehen. Der Lieutenant sprang los und bohrte dem<br />

massiven Mann das Messer in die Kehle. Der Russe wollte aufschreien,<br />

doch Edwards rang ihn zu Boden und hielt ihm die Hand<br />

auf den Mund, stach ein zweites Mal zu. Das Opfer wurde schlaff.<br />

Edwards wischte das Messer am Hosenbein ab und schaute<br />

durchs Fenster. Bei dem Anblick, der sich ihm bot, stockte ihm der<br />

Atem.<br />

»He da!« wisperte Garcia. Zwei russische Soldaten fuhren<br />

herum und schauten in die Mündungen zweier M-16. Ihre eigenen<br />

Gewehre hatten sie <strong>im</strong> Auto gelassen. Garcia machte eine Geste<br />

zum Boden, und die beiden legten sich gehorsam auf den Bauch.<br />

Rodgers suchte sie nach Waffen ab und ging dann ums Haus<br />

herum, um Meldung zu machen.<br />

»Wir haben sie beide lebendig erwischt, Sir.« Er stellte überrascht<br />

fest, dass der Lieutenant Blut an den Händen hatte.<br />

»Ich gehe rein«, sagte Edwards zu Smith. Der Sergeant nickte.<br />

»Ich gebe Ihnen von hier aus Feuerschutz. Rodgers, Sie folgen<br />

ihm.«<br />

Der Lieutenant trat durch die halboffene Tür. Das Wohnz<strong>im</strong>mer<br />

war leer und dunkel. Aus dem Nebenz<strong>im</strong>mer drang schweres Atmen<br />

und ein schwaches Licht. Edwards ging darauf zu - und stand<br />

einem Russen gegenüber, der sich gerade die Hosen zuknöpfte.<br />

Keine Zeit zum Überlegen. Edwards rammte dem Mann das<br />

Messer unter die Rippen, zog es heraus und stach noch einmal zu.<br />

320


Der Fallschirmjäger wollte ihn abwehren, wurde aber von seinen<br />

Kräften verlassen und brach zusammen. Ein Schatten bewegte sich.<br />

Edwards hob den Kopf und sah einen Mann mit einer Pistole auf<br />

sich zustolpern - und dann zerrissen Schüsse die Stille. Drei Geschosse<br />

aus Rodgers' M-16 bewirkten, dass der Russe die Pistole<br />

fallen ließ. »Alles klar, Skipper?« So nannten sie ihn zum ersten<br />

Mal.<br />

»Ja.« Edwards kam auf die Beine und ließ Rodgers den Russen in<br />

Schach halten, hob die Pistole auf und betrachtete den Mann, den er<br />

erstochen hatte. Das sympathische slawische Gesicht war vor Überraschung<br />

und Schmerz verzerrt, die Feldbluse blutgetränkt.<br />

»Sind Sie verletzt?« fragte Rodgers und drehte sich zu der Frau<br />

um.<br />

Edwards sah sie nun zum zweiten Mal: ein hübsches Mädchen<br />

am Boden. Das zerrissene wollene Nachthemd bedeckte nur knapp<br />

eine Brust; der Rest ihres Körpers, an dem schon Blutergüsse sichtbar<br />

wurden, war nackt. Hinten in der Küche sah Edwards eine<br />

zweite, ältere Frau reglos am Boden liegen. Er ging hinein und<br />

entdeckte einen Mann und einen Hund, ebenfalls tot - Herzschuß.<br />

Rodgers stieß den Russen zu Boden und plazierte die Bajonettspitze<br />

in seinen Lenden.<br />

Edwards kam zurück in die Wohnstube und kniete sich neben die<br />

blonde junge Frau. Ihr Gesicht war von Schlägen angeschwollen,<br />

und sie atmete stoßweise. Sie konnte kaum älter als zwanzig sein.<br />

Edwards stand auf, sah sich um, nahm ein Tischtuch und deckte sie<br />

zu. »Schon gut. Sie leben ja noch. Jetzt sind Sie sicher. Keine<br />

Angst.« Er strich ihr sanft über die Wange und half ihr auf.<br />

»Oben alles klar, Sir.« Smith kam mit einem Bademantel von<br />

einer Inspektion zurück. »Geben Sie das der Frau zum Anziehen.<br />

Haben die Kerle sonst noch etwas gemacht?«<br />

»Ihre Eltern und den Hund erschossen. Sergeant, durchsuchen<br />

Sie die Russen, besorgen Sie Lebensmittel und was sonst nützlich<br />

sein könnte. Wir müssen uns beeilen. Haben Sie Verbandszeug?«<br />

»Klar, Skipper.« Smith warf ihm ein Päckchen mit Binden und<br />

Desinfektionsmittel zu und ging dann hinaus, um nach Garcia zu<br />

sehen.<br />

»So, und wir machen Sie jetzt oben ein bißchen sauber«, sagte<br />

Edwards zu der jungen Frau, legte ihr den Arm um die Schultern<br />

und half ihr die enge Holztreppe hinauf. Sie war nur eine Handbreit<br />

321


kleiner als er, hatte porzellanblaue Augen und eine blasse, fast<br />

durchsichtige Haut. Ihr Bauch wölbte sich leicht.<br />

Oben in einem kleinen Z<strong>im</strong>mer setzte sie sich aufs Bett.<br />

»Wer sind Sie?« stammelte sie auf englisch.<br />

»Amerikaner. Wir konnten be<strong>im</strong> Angriff auf Keflavik entkommen.<br />

Wie heißen Sie?«<br />

»Vigdis Agustdottir.« Vigdis, Tochter des Agust, der nun tot in<br />

der Küche lag.<br />

Er stellte die Petroleumlampe auf den Nachttisch und versorgte<br />

das Mädchen. Vigdis musste sich heftig gewehrt haben, mindestens<br />

ein Dutzend Schläge eingesteckt haben. »Sie können nicht hierbleiben«,<br />

sagte er dann. »Wir müssen weiter. Und Sie kommen am<br />

besten mit.«<br />

»Aber -«<br />

»Tut mir leid. Be<strong>im</strong> Angriff der Russen habe ich auch Freunde<br />

verloren. Zwar nicht meine Eltern -« Er ergriff ihre Hand. »Kommen<br />

Sie, wir nehmen Sie mit. Haben Sie irgendwo Familie? Wenn<br />

Sie hierbleiben, werden Sie umgebracht. Haben Sie mich verstanden?«<br />

Sie nickte heftig.<br />

»Ja. Aber lassen Sie mich jetzt bitte einen Augenblick allein.«<br />

»Gut. Wenn Sie etwas brauchen, rufen Sie uns.« Edwards ging<br />

zurück ins Erdgeschoß, wo Smith das Kommando übernommen<br />

hatte. Auf dem Boden knieten mit verbundenen Augen drei gefesselte<br />

und geknebelte Männer. Garcia bewachte sie. Rodgers war in<br />

der Küche, Smith sortierte auf dem Tisch Gegenstände aus.<br />

»Okay, was haben wir hier?«<br />

Smith musterte seinen Offizier fast liebevoll. »Nun, Sir, einen<br />

russischen Leutnant, einen toten Feldwebel, einen toten Schützen<br />

und zwei lebendige. Das da hatte der Leutnant bei sich.«<br />

Edwards nahm die Landkarte entgegen und entfaltete sie.<br />

»Großartig!« Die Karte war mit handschriftlichen Anmerkungen<br />

versehen.<br />

»Wir haben ein zweites Fernglas und ein paar Rationen. Sehen<br />

aus wie Dreck, sind aber besser als nichts. Nicht übel, Skipper. Fünf<br />

Russen erwischt, nur drei Patronen verschossen.«<br />

»Was nehmen wir mit, J<strong>im</strong>?«<br />

»Nur etwas zu essen, Sir. Natürlich könnten wir zwei Gewehre<br />

mitgehen lassen, aber wir haben auch so schon genug zu schleppen.<br />

Kommt die Frau mit?«<br />

322


»Es bleibt uns nichts anderes übrig.«<br />

»St<strong>im</strong>mt.« Smith nickte. »Hoffentlich ist sie gut zu Fuß. Sieht<br />

einigermaßen fit aus, abgesehen von der Tatsache, dass sie schwanger<br />

ist. Im vierten Monat, würde ich sagen.«<br />

»Schwanger?« fuhr Garcia herum. »Das Schwein hat eine<br />

Schwangere vergewaltigt?« Er murmelte eine spanische Verwünschung<br />

vor sich hin.<br />

»Hat einer etwas gesagt?« fragte Edwards.<br />

»Keinen Ton«, erwiderte Garcia.<br />

»Smith, gehen Sie das Mädchen holen. Sie heißt Vigdis.«<br />

»Wird gemacht, Sir.«<br />

»Das also ist das Schwein.« Auf Garcias Nicken hin trat Edwards<br />

vor den Mann und nahm ihm Augenbinde und Knebel ab. Er war in<br />

seinem Alter und schwitzte. »Sprechen Sie Englisch?«<br />

Der Mann schüttelte den Kopf. »Nur Deutsch.«<br />

Edwards hatte diese Sprache zwar zwei Jahre lang in der High<br />

School gelernt, verspürte aber plötzlich keine Lust mehr, mit dem<br />

Mann zu reden. Er hatte beschlossen, ihn zu töten, und wollte keine<br />

Beziehung herstellen, die nachher sein Gewissen belastete.<br />

Smith führte Vigdis die Treppen hinunter. »Sie hat ordentliche<br />

Sachen, Skipper, gut eingelaufene Schuhe. Wir können ihr best<strong>im</strong>mt<br />

eine Feldflasche, einen Parka und einen Tornister besorgen.<br />

Eine Haarbürste und Kosmetikkram hat sie auch dabei. Ich besorge<br />

uns jetzt noch Seife und einen Rasierer.«<br />

»Gut, Sergeant.« Edwards wandte sich an Vigdis. »Wir brechen<br />

bald auf.« Dann drehte er sich wieder zu dem Russen um.<br />

»Warum?« fragte er, nur ihr zuliebe.<br />

Der Leutnant wusste, was ihm bevorstand, und zuckte die Achseln.<br />

»Afghanistan.«<br />

»Skipper, das sind Kriegsgefangene«, platzte Rodgers heraus.<br />

»Sie können sie doch nicht einfach -«<br />

»Gentlemen, ich klage Sie unter Kriegsrecht der Vergewaltigung<br />

und des zweifachen Mordes an. Haben Sie etwas zu Ihrer Verteidigung<br />

vorzubringen? Nein? Sie sind hiermit schuldig gesprochen<br />

und zum Tode verurteilt.« Mit der linken Hand stieß Edwards den<br />

Kopf des Leutnants zurück, seine Rechte holte aus und schlug dem<br />

Mann den Knauf des Messers gegen die Luftröhre. Der Todeskampf<br />

dauerte mehrere Minuten. Alle sahen zu, niemand ließ sich<br />

Mitleid anmerken.<br />

323


»Bedaure, dass es nicht schneller ging, Vigdis, aber dieses Ungeheuer<br />

tut keinem mehr was.« Das Mädchen ging wieder nach oben,<br />

vermutlich, um sich zu waschen. Edwards wandte sich den beiden<br />

anderen Russen zu. Er konnte sich nicht mit Gefangenen belasten,<br />

und was die Gruppe getrieben hatte, lieferte ihm einen leidlichen<br />

Vorwand. Andererseits hatten diese zwei dem Mädchen nichts<br />

angetan, und -<br />

»Darum kümmere ich mich, Sir«, sagte Garcia, der hinter den<br />

knienden Gefangenen stand, leise. Sie hatten keine Chance. Garcia<br />

stieß erst dem einen, dann dem anderen seitlich das Messer durch<br />

den Hals. Beide fielen um und starben rasch.<br />

Garcia und Edwards gingen in die Küche, um sich die Hände zu<br />

waschen.<br />

»Okay, laden wir sie in ihren Geländewagen, fahren sie zurück<br />

zur Landstraße und täuschen einen Unfall vor«, meinte Edwards<br />

anschließend. »Besorgen Sie mir ein paar Schnapsflaschen. Es soll<br />

so aussehen, als hätten die Kerle getrunken.«<br />

»Kein Problem.« Rodgers hielt eine Flasche Wodka hoch.<br />

Edwards warf einen sehnsüchtigen Blick auf die Flasche, verdrängte<br />

den Gedanken aber sofort wieder. »Typisch«, meinte er.<br />

»Wenn ich mich nicht irre, war das eine Streife oder die Wache an<br />

einer Straßenkreuzung. Wenn wir Glück haben, finden ihre Bosse<br />

nie heraus, dass wir etwas mit der Sache zu tun hatten.«<br />

»Lieutenant«, gab Smith zu bedenken, »dann müssen wir<br />

aber –«<br />

»Richtig. Sie und Rodgers bleiben hier und bereiten alles vor.<br />

Wenn Sie etwas Brauchbares finden, packen Sie es ein. Wenn ich<br />

zurück bin, müssen wir uns sputen.«<br />

Edwards und Garcia warfen die Leichen auf die Ladefläche und<br />

fuhren dann rasch zur Landstraße. Wo diese an einer Steilküste<br />

entlangführte, hielten sie an und schafften die Leichen auf die Sitze.<br />

Nachdem Garcia einen Kanister Benzin in das Fahrzeug entleert<br />

hatte, schoben sie es an den Abgrund und warfen eine russische<br />

Granate hinein, als es zu rollen begann. Sie rannten zurück zum<br />

Hof, wo alles bereit war.<br />

»Miss Vigdis, wir müssen das Haus anzünden«, erklärte Smith<br />

gerade. »Sonst merken die Russen nämlich, was hier vorgefallen ist.<br />

Ihre Eltern sind tot, aber Sie wollen doch best<strong>im</strong>mt am Leben<br />

bleiben, oder?«<br />

324


Vigdis stand noch so unter Schockeinwirkung, dass sie kaum<br />

Widerstand leistete.<br />

»Los geht's, Leute«, befahl Edwards. Bald musste jemand auf das<br />

brennende Fahrzeug aufmerksam werden, und wenn man einen<br />

Hubschrauber schickte... »Garcia, Sie kümmern sich um die Frau.<br />

Smith bildet die Nachhut. Rodgers, Sie gehen voran. In den nächsten<br />

zwei Stunden müssen wir sechs Meilen schaffen.«<br />

Smith wartete zehn Minuten und warf dann eine Handgranate<br />

ins Haus. Das Petroleum, das er <strong>im</strong> Erdgeschoß verteilt hatte,<br />

entzündete sich sofort.<br />

USS Chicago<br />

Der Kontakt war inzwischen sehr viel besser. Ein Schiff hatten sie<br />

als Lenkwaffenzerstörer der Kaschin-Klasse identifiziert, der seinen<br />

Schraubengeräuschen nach zu schließen etwa einundzwanzig Knoten<br />

Fahrt machte. Die führenden Einheiten der sowjetischen Formation<br />

waren nun siebenunddreißig Meilen entfernt. Es schienen<br />

zwei Gruppen zu sein - eine, die aufgefächert die zweite abschirmte.<br />

McCafferty ließ den ESM-Mast ausfahren. Es wurde<br />

reger Funkverkehr empfangen, aber damit hatte er gerechnet.<br />

»Sehrohr ausfahren.« McCafferty nahm eine kurze Rundumsuche<br />

vor und klappte dann die Griffe hoch. »Heute gibt's Betrieb«,<br />

meinte er. »Ich habe zwei Bear-F gesehen, einen <strong>im</strong> Norden, den<br />

anderen <strong>im</strong> Westen. Beide waren zwar noch weit entfernt, aber ich<br />

wette, dass sie Sonobojen abwerfen. IO, gehen Sie auf fünfhundert<br />

Fuß, Fahrt fünf Knoten. Lassen wir sie mal an uns herankommen.«<br />

»Sonar an Zentrale.«<br />

»Zentrale, aye«, erwiderte McCafferty.<br />

»Aktive Sonobojen <strong>im</strong> Westen, insgesamt sechs, sehr schwach.«<br />

Der Sonar-Chief gab die Richtungen der Signalquellen durch.<br />

»Noch <strong>im</strong>mer kein Aktiv-Sonar vom Zielverband, Sir.«<br />

»Danke.« Chicago tauchte in einem Winkel von fünfzehn Grad<br />

ab. McCafferty behielt die Anzeige des Thermobathygraphen <strong>im</strong><br />

Auge. In zweihundert Fuß Tiefe begann die Wassertemperatur<br />

rapide zu sinken - innerhalb eines Bereiches von siebzig Fuß um<br />

zwölf Grad. Eine kräftige Schicht, unter der sie sich gut verstecken<br />

konnten, und kaltes Wasser, das für gute Sensorleistungen sorgte.<br />

325


Vor zwei Stunden hatte er einen Torpedo aus einem Rohr entfernen<br />

und durch zwei Harpoon-Flugkörper ersetzen lassen. Nun<br />

blieb ihm zwar nur noch ein Torpedo zum sofortigen Einsatz gegen<br />

ein Unterwasserziel, aber er konnte nun eine Salve von drei Raketen<br />

und seine Tomahawk-Marschflugkörper auf Überwasserschiffe<br />

loslassen. Eigentlich hätte er schon jetzt feuern und treffen können,<br />

aber McCafferty wollte keine Rakete an ein kleines Patrouillenfahrzeug<br />

verschwenden, wenn weiter draußen ein Flugzeugträger<br />

und ein Schlachtkreuzer auf ihn warteten. Individuelle Ziele waren<br />

nicht leicht zu identifizieren, aber für einfache Aufgaben waren<br />

Boote der Klasse 688 auch nicht gedacht. Er ging in den Sonarraum.<br />

Der Chief entdeckte ihn aus dem Augenwinkel. »Sir, mag sein,<br />

dass ich die Kirow habe. Sechs Impulse von einem Niederfrequenz-<br />

Sonar. Ich glaube, das ist sie, in null-drei-neun. Versuche nun, ihre<br />

Maschinensignatur zu isolieren. Und wenn - ah, rechts werden<br />

weitere Sonobojen abgeworfen.« Auf dem Display tauchten neue<br />

Lichtflecke weit rechts der ersten Kette auf.<br />

»Wirft er sie in Winkeln, Chief?« fragte McCafferty. Zur Antwort<br />

bekam er ein Lächeln und ein Nicken. Wenn die Sowjets ihre<br />

Sonobojen in Pfeilform links und rechts der Formation auslegten,<br />

konnte das nur bedeuten, dass sie direkt auf Chicago zuhielten. Das<br />

Boot brauchte also nicht zu manövrieren, sondern nur still zu<br />

bleiben wie ein Grab.<br />

»Sie scheinen sie abwechselnd über und unter der Thermoklinen<br />

zu positionieren, Sir, und in recht großem Abstand.« Der Chief<br />

steckte sich eine Zigarette an, ohne den Blick vom Bildschirm zu<br />

wenden. Sein Aschenbecher quoll über.<br />

»Gut gemacht, Barney.« Der Kommandant klopfte seinem Sonar-Chief<br />

auf die Schulter und ging zurück in die Gefechtszentrale,<br />

wo der Feuerleittrupp bereits die neuen Kontakte auf eine Karte<br />

eintrug. Der Abstand zwischen den Sonobojen schien gut zwei<br />

Meilen zu betragen. Und wenn die Sowjets sie über und unter der<br />

Schicht deponierten, konnte Chicago die Chance haben, zwischen<br />

einem Paar hindurchzuschleichen. Ein weiteres Problem war die<br />

Präsenz passiver Bojen, die man nicht orten konnte.<br />

»Gehen Sie auf zweihundert Fuß; horchen wir mal kurz über der<br />

Schicht.« Das Manöver zahlte sich sofort aus.<br />

»Direktlinie zum Ziel«, verkündete der Sonar-Chief. Nun konnten<br />

sie von sowjetischen Schiffen ausgestrahlte Schallenergie direkt<br />

326


erfassen, ohne sich auf die wechselhaften Konvergenzen verlassen<br />

zu müssen.<br />

»Sir, uns steht ein neuer Sonobojen-Abwurf bevor. Bisher betrugen<br />

die Zeitabstände fünfzehn Minuten, diesmal dürften die Dinger<br />

näher niedergehen.«<br />

»Wieder das Niederfrequenz-Sonar«, warnte ein Operator.<br />

»Diesmal in drei-zwei-null. Signal schwach. Kontakt als Kreuzer<br />

Kirow klassifiziert. Moment, noch einer. Aktiv-Sonar <strong>im</strong> mittleren<br />

Frequenzbereich in drei-drei-eins, wandert von Backbord nach<br />

Steuerbord. Klassifiziert als ASW-Kreuzer der Kresta-II-Klasse.«<br />

McCafferty ließ sein Boot so dicht über der Thermokline, dass<br />

es, falls notwendig, binnen Sekunden daruntertauchen konnte.<br />

Auf dem taktischen Display begannen die Dinge sich nun zu entwickeln.<br />

Die Richtung der Kirow war mit einer annähernden Genauigkeit<br />

best<strong>im</strong>mt, die fast einen Schuß möglich gemacht hätte,<br />

doch es fehlten noch Daten zur Distanz.<br />

Chicago begann, einen Zickzackkurs zu fahren, was auch eine<br />

Änderung der Richtungen seiner Sonarkontakte zur Folge hatte.<br />

Mit Hilfe der Kursabweichung des Bootes wurde eine Basislinie<br />

zur Best<strong>im</strong>mung der Distanz zu den verschiedenen Kontakten erstellt<br />

- <strong>im</strong> Grunde eine s<strong>im</strong>ple Trigonometrieaufgabe, die aber<br />

dennoch Zeit in Anspruch nahm, weil Geschwindigkeit und Kurs<br />

der beweglichen Ziele geschätzt werden mussten. Selbst Computerunterstützung<br />

vermochte den Prozeß nur geringfügig zu beschleunigen,<br />

und ein Steuermannsmaat war ganz besonders stolz<br />

auf seine Fähigkeit, den Computer mit dem Rechenschieber zu<br />

schlagen.<br />

Die Spannung nahm zu, pendelte sich dann ein. Jahre der Ausbildung<br />

zahlten sich jetzt aus. Daten wurden in Sekundenschnelle<br />

verarbeitet, eingezeichnet und in Aktion umgesetzt. Die Mannschaft<br />

schien mit dem Gerät eins zu werden und ihre Emotionen<br />

zu verdrängen; nur der Schweiß auf ihren Stirnen verriet, dass sie<br />

Menschen und keine Maschinen waren. Sie hingen nun ganz von<br />

den Sonar-Operatoren ab. Schallenergie war ihre einzige Orientierungshilfe,<br />

und jede neue Peilung löste fieberhafte Aktivität aus.<br />

Fest stand, dass ihre Ziele <strong>im</strong> Zickzack liefen, was die Entfernungsbest<strong>im</strong>mungen<br />

noch weiter komplizierte.<br />

»Sonar an Zentrale! Aktive Sonarboje dicht an Backbord, vermutlich<br />

unter der Thermokline.«<br />

327


»Ruder hart Backbord, zwei Drittel voraus», befahl der Erste<br />

Offizier sofort.<br />

McCafferty betrat den Sonarraum und setzte sich Kopfhörer auf.<br />

Die Peilsignale waren laut, klangen aber irgendwie verzerrt. Falls<br />

sich die Boje unter der Schicht befand, konnten die nach oben<br />

ausgestrahlten Signale sein Boot kaum erfassen. »Signalstärke?«<br />

fragte er.<br />

»Intensiv«, versetzte der Sonar-Chief. »Möglich, dass sie uns<br />

erfaßt haben. Noch fünfhundert Yard weiter, und wir entwischen<br />

ihnen.«<br />

»Gut, aber die können nicht alle Bojen zugleich überwachen.«<br />

Der IO ließ Chicago um tausend Yard ausweichen und dann<br />

wieder auf den ursprünglichen Kurs zurückkehren. Über ihnen<br />

kreiste ein Bear-F mit zielsuchenden Torpedos und einer Besatzung,<br />

deren Aufgabe es war, auf die Signale der Sonobojen zu horchen.<br />

Wie gut waren die Bojen und die Männer? Drei angespannte Minuten<br />

verstrichen ereignislos.<br />

»Ein Drittel voraus, Kurs drei-zwei-eins«, befahl der Erste Offizier.<br />

Die erste Bojenlinie hatten sie nun durchbrochen; drei weitere<br />

lagen zwischen ihnen und dem Ziel. Die Distanzen zu drei Eskorten<br />

standen praktisch fest, aber die Entfernung zur Kirow war noch<br />

unklar.<br />

»Okay, Leute, die Bear haben wir hinter uns. Eine Sorge weniger.<br />

Distanz zum nächsten Schiff?« fragte McCafferty einen Offizier.<br />

»Sechsundzwanzigtausend Yard. Vermutlich ein Sowremenny.<br />

Fünftausend Yard östlich von ihr liegt die Kresta und peilt mit<br />

Rumpf- und VDS-Sonar.« McCafferty nickte. Das VD-Sonar (variable<br />

Tiefe) befand sich best<strong>im</strong>mt unter der Thermokline, und<br />

seine Chance, sie zu orten, war gering.<br />

»Sonar an Zentrale! Torpedos <strong>im</strong> Wasser in drei-zwo-null, Richtung<br />

ändert sich - Achtung, zahlreiche Aktivsonar-Signale. Zunehmendes<br />

Schraubengeräusch von allen Kontakten.« McCafferty war<br />

schon vor Ende der Meldung <strong>im</strong> Sonarraum.<br />

»Ändern die Torpedos die Richtung?«<br />

»Ja! Wandern von links nach rechts - verdammt, jemand greift<br />

die Russen an. Treffer!« Der Chief wies auf das Display. Von dem<br />

Leuchtfleck, der die Kirow darstellte, gingen nun drei grelle Speichen<br />

aus. Das Display zeigte jäh ein Chaos. In den Segmenten für<br />

hohe und mittlere Frequenzen erschienen Aktiv-Sonar-Linien, die<br />

328


an Helligkeit zunahmen, als die Schiffe mehr Fahrt machten und zu<br />

manövrieren begannen.<br />

»Sekundärexplosion am Kontakt -Mann! Zahlreiche Explosionen<br />

<strong>im</strong> Wasser. Vielleicht Wasserbomben. Koch ein Torpedo, wandert<br />

von rechts nach links.«<br />

Das Display war nun so komplex, dass McCafferty nicht mehr<br />

folgen konnte. Der Chief erweiterte die Zeitskala, um ihm die<br />

Interpretation zu vereinfachen, doch nur er und seine erfahrenen<br />

Operatoren verstanden diese Abläufe.<br />

»Sir, es sieht so aus, als wäre jemand in den Verband eingedrungen<br />

und habe drei Volltreffer auf der Kirow erzielt. Diese beiden<br />

Schiffe hier scheinen auf etwas zuzulaufen; das ist best<strong>im</strong>mt der<br />

Angreifer. H<strong>im</strong>mel, sehen Sie sich bloß die Explosionen an!«<br />

McCafferty begab sich nach achtern. »Sehrohrtiefe!« befahl er.<br />

Chicago fuhr steil aufwärts und lag nach einer Minute dicht unter<br />

der Oberfläche.<br />

Am Horizont sah er etwas, das einem Mast ähnelte, und in dreizwo-null<br />

eine schwarze Rauchsäule. Es waren über zwanzig Radarund<br />

zahlreiche Sprechfunkgeräte in Betrieb.<br />

»Sehrohr einfahren! Haben wir Zielkoordinaten?«<br />

»Nein, Sir«, antwortete der IO. »Als die Ziele zu manövrieren<br />

begannen, gingen alle unsere Daten zum Teufel.«<br />

»Distanz zur nächsten Sonobojen-Linie?«<br />

»Zwei Meilen. Wir sind so positioniert, dass wir durch eine Lücke<br />

stoßen können.«<br />

»Gehen Sie auf achthundert Fuß. Äußerste Kraft voraus.«<br />

Chicago wurde von seinen Maschinen auf dreißig Knoten beschleunigt.<br />

Der IO tauchte auf achthundert Fuß ab und unter einer<br />

auf oberflächennahe Suche eingestellten Sonoboje hindurch.<br />

McCafferty sah am Kartentisch zu, wie sich sein Boot dem feindlichen<br />

Verband <strong>im</strong>mer mehr näherte. Die hohe Geschwindigkeit<br />

reduzierte die Sonar-Leistung auf praktisch null, aber bald drang<br />

der Schall explodierender Munition durch die Rumpfhaut. So jagte<br />

Chicago zwanzig Minuten lang <strong>im</strong> leichten Zickzackkurs dahin,<br />

um russischen Sonobojen auszuweichen. Inzwischen brachte der<br />

Feuerleittrupp die Zielkoordinaten kontinuierlich auf den neuesten<br />

Stand.<br />

»Gut, ein Drittel voraus, zurück auf Sehrohrtiefe. Klar zum<br />

Angriff.«<br />

329


Das Sonar-Bild wurde rasch klarer. Die Sowjets versuchten nach<br />

wie vor verzweifelt, das Boot zu finden, das auf ihr Flaggschiff<br />

gefeuert hatte. Die Leuchtspur eines Schiffes war ganz verschwunden<br />

- mindestens ein Ziel war also versenkt oder kampfunfähig<br />

geschossen worden. Die Explosionen und das schrille Heulen angreifender<br />

Torpedos klangen nun bedenklich nahe.<br />

»Sehrohr ausfahren!« McCafferty suchte den Horizont ab. »Ich<br />

- Teufel noch mal!« Der TV-Monitor zeigte einen Bear, der nur<br />

eine halbe Meile entfernt auf den Verband zuhielt. Er sah sieben<br />

Schiffe, vorwiegend Mastspitzen, aber ein Zerstörer der Sowremenny-Klasse<br />

lag tief <strong>im</strong> Wasser. Die Rauchsäule war nun verschwunden.<br />

»Radarantenne ausfahren, Gerät in Bereitschaft.«<br />

Ein Maat schaltete die Stromversorgung des Oberflächen-Suchradars<br />

ein und hielt es in Bereitschaft.<br />

»Aktivieren, zwe<strong>im</strong>al Rundumsuche«, befahl McCafferty. Nun<br />

drohte echte Gefahr, denn die Sowjets würden mit Sicherheit das<br />

Radarsignal des U-Bootes orten und angreifen.<br />

Das Gerät blieb insgesamt zwölf Sekunden lang aktiv und zeichnete<br />

sechsundzwanzig Ziele auf den Schirm; zwei davon dicht<br />

beieinander in der vermuteten Position der Kirow.<br />

Der Radar-Operator las Entfernungen und Richtungen ab, die in<br />

den Mk-117 Feuerleitcomputer eingegeben wurden, der dann die<br />

Harpoon-Flugkörper mit Zielkoordinaten versorgte. Der Waffenoffizier<br />

prüfte seine Statusanzeige und wählte dann die beiden<br />

vielversprechendsten Ziele für die Raketen aus.<br />

»Eingestellt!«<br />

»Rohre fluten.« McCafferty sah zu, wie der Operator an der<br />

Bordwaffenkonsole die Startsequenz durchging. »Mündungsklappen<br />

offen.«<br />

»Zielkoordinaten geprüft und gültig«, sagte der Waffenoffizier<br />

ruhig. »Feuerfolge: zwei, eins, drei.«<br />

»Feuer!« befahl McCafferty.<br />

»Feuer zwei.« Das Boot erbebte, als Preßluft das Geschoß aus<br />

dem Rohr trieb. Wasser rauschte in den Hohlraum. »Feuer eins ...<br />

Feuer drei. Zwei, eins und drei los, Sir. Klappen geschlossen, Rohre<br />

werden zum Nachladen ausgepumpt.«<br />

»Mark-48 nachholen. Tomahawks zum Abschuß klarmachen!«<br />

befahl McCafferty.<br />

330


»Sehrohr ausfahren!« Der Obersteuermann wirbelte das Rad<br />

herum. McCafferty sah die Rauchspur der letzten Harpoon. Er<br />

klappte die Griffe hoch und trat zurück.<br />

»Hubschrauber <strong>im</strong> Anflug! Alarmtauchen, AK voraus!« Das U-<br />

Boot jagte in die Tiefe. Ein sowjetischer ASW-Hubschrauber hatte<br />

den Raketenabschuß entdeckt und raste auf sie zu.<br />

»Hart Backbord.«<br />

»Hart Backbord, aye!«<br />

»Tiefe hundert Fuß, Fahrt fünfzehn Knoten«, meldete der IO.<br />

»Und da ist er schon«, sagte McCafferty. Die Peilsignale vom<br />

Aktiv-Sonar des Hubschraubers hallten durch den Rumpf. »Gegensteuern,<br />

Lärminstrument ausstoßen.« Der Kommandant beorderte<br />

sein Boot zurück auf Ostkurs und ließ be<strong>im</strong> Durchbrechen der<br />

Thermokline die Geschwindigkeit herabsetzen. Mit einem bißchen<br />

Glück würden die Sowjets die Signale des Lärminstruments für<br />

Kavitationsgeräusche eines U-Bootes halten und angreifen, während<br />

Chicago sich unbehelligt entfernte.<br />

»Sonar an Zentrale, Zerstörer nähert sich aus drei-drei-neun.<br />

Hört sich an wie ein Sowremenny - achtern ein Torpedo <strong>im</strong> Wasser.<br />

Torpedo entfernt sich in achterlicher Richtung, wird schwächer.«<br />

»Sehr gut.« McCafferty nickte. »Der Hubschrauber hat das<br />

Lärminstrument angegriffen. Eine Sorge weniger. Ein Drittel voraus,<br />

gehen Sie auf tausend Fuß.«<br />

Der Sowremenny machte ihm nur wenig Kummer, aber die<br />

neuen sowjetischen Zerstörer der Udaloy-Klasse waren mit einem<br />

Niederfrequenz-Sonar ausgerüstet, das unter best<strong>im</strong>mten Bedingungen<br />

die Thermokline durchdringen konnte. Außerdem hatten<br />

sie zwei Hubschrauber und weitreichende, dem amerikanischen<br />

ASROC-System überlegene Raketentorpedos an Bord. Ba-wah!<br />

Niederfrequenz-Sonar. Sie waren be<strong>im</strong> ersten Peilversuch erfaßt<br />

worden. Würde das Gerät Chicagos Position an den Udaloy weitermelden?<br />

Oder hatte die neue Gummibeschichtung des U-Bootes die<br />

Ortung verhindert?<br />

»Ziel in drei-fünf-eins. Schraubengeräusche lassen auf verminderte<br />

Fahrt schließen - zehn Knoten«, meldete Sonar.<br />

»Aha, er läuft langsamer und sucht nach uns. Sonar, wie stark<br />

war dieser Impuls?«<br />

»An der Grenze des Ortungsbereiches, Sir. Empfing wahrschein­<br />

331


lieh kein Echo von uns. Kontakt manövriert, liegt jetzt in drei-fünfdrei.<br />

Peilt weiter, sucht aber in Osten und Westen. Ein zweiter<br />

Hubschrauber in null-neun-acht aktiv. Seine Boje ist unter der<br />

Schicht, sendet aber nur schwach.«<br />

»IO, gehen Sie auf Westkurs. Wir wollen versuchen, seewärts<br />

einen Haken um sie zu schlagen und uns von Westen her an die<br />

Landungsschiffe heranzuschleichen.« McCafferty ging zurück in<br />

den Sonarraum. Er war versucht, den Udaloy anzugreifen, konnte<br />

aber in dieser Tiefe keinen Torpedo abfeuern, ohne einen gefährlich<br />

hohen Anteil seiner Preßluftreserven aufzubrauchen. Zudem hatte<br />

er den Auftrag, Großschiffe anzugreifen und nicht Eskorten. Dennoch<br />

gab sein Feuerleittrupp Zielkoordinaten ein für den Fall, dass<br />

der russische Zerstörer versenkt werden musste.<br />

»Was für ein Salat«, schnaufte der Chief. »Das Wasserbombardement<br />

<strong>im</strong> Norden hat etwas nachgelassen; Peilung auf diese Kontakte<br />

pendelt sich ein. Entweder sind sie wieder auf ihrem ursprünglichen<br />

Kurs, oder sie entfernen sich. Au, hier kommen wieder<br />

Sonobojen.«<br />

McCafferty steckte den Kopf in die Zentrale. »Gehen Sie auf<br />

Südkurs. Zwei Drittel voraus.«<br />

Die nächste Sonoboje traf direkt über ihnen die Oberfläche. Ihr<br />

Wandler wurde an einem Kabel bis unter die Thermokline hinabgelassen<br />

und begann sofort au<strong>tom</strong>atisch zu peilen.<br />

»Diesmal kriegen sie uns best<strong>im</strong>mt, Sir!«<br />

McCafferty befahl eine Kursänderung nach Westen und volle<br />

Kraft voraus. Drei Minuten später fiel ein Torpedo ins Wasser, der<br />

entweder von dem Flugzeug oder dem Udaloy stammte, aus einer<br />

Entfernung von einer Meile nach ihnen zu suchen begann und dann<br />

abdrehte. Wieder waren sie von der echofreien Gummibeschichtung<br />

gerettet worden. Vor sich orteten sie das Tauchsonar eines<br />

Hubschraubers. McCafferty wich ihm nach Süden aus, wusste, dass<br />

er von der sowjetischen Flotte abgedrängt wurde, ohne <strong>im</strong> Augenblick<br />

etwas dagegen unternehmen zu können. Nun waren zwei<br />

Hubschrauber hinter ihm her, und für ein U-Boot war es keine<br />

leichte Aufgabe, gleich zwei Tauchsonargeräte zu schlagen. Offenbar<br />

hatten sie den Auftrag, ihn zu vertreiben. Er aber konnte nicht<br />

rasch genug manövrieren, um an ihnen vorbeizukommen. Nachdem<br />

er sich zwei Stunden lang abgemüht hatte, gab er die Verfolgung<br />

endgültig auf. Inzwischen war der sowjetische Verband außer<br />

332


Sonarreichweite und nahm letzten Meldungen zufolge Kurs auf<br />

Andoya.<br />

Trotzdem fluchte McCafferty. Er hatte zwar alles richtig gemacht,<br />

den äußeren Verteidigungsring der Sowjets durchbrochen<br />

und wusste auch mit dem Zerstörerschirm fertigzuwerden. Aber es<br />

war ihm jemand zuvorgekommen, hatte die Kirow angegriffen ­<br />

sein Ziel! - und ihm alles vermasselt. Seine drei Harpoons hatten<br />

vermutlich Ziele gefunden, sofern sie nicht vom Russen abgeschossen<br />

worden waren - doch er war nicht in der Lage gewesen, die<br />

Treffer zu beobachten. Sofern es überhaupt welche gegeben hatte.<br />

Der Kommandant von Chicago verfaßte seine Kontaktmeldung an<br />

COMSUBLANT und fragte sich, weshalb einfach nichts klappen<br />

wollte.<br />

Stornoway, Schottland<br />

»Da haben sie aber noch einen schönen Weg vor sich«, meinte der<br />

Jägerpilot.<br />

»Allerdings«, st<strong>im</strong>mte Toland zu. »Unserer letzten Meldung zufolge<br />

musste der Verband nach Südosten abdrehen, um einem<br />

U-Boot-Angriff auszuweichen. Inzwischen ist er vermutlich wieder<br />

auf Südkurs, doch wo er sich genau befindet, wissen wir nicht. Die<br />

Norweger schickten ihre letzte RF-5 los, doch die verschwand. Wir<br />

müssen die Russen angreifen, ehe sie Bod0 erreichen. Aber dazu<br />

müssen wir erst einmal herausfinden, wo sie sind.«<br />

»Keine Informationen von Spähsatelliten?«<br />

»Nein.«<br />

»Okay. Ich fliege sie mit einer Aufklärungsgondel an, das dauert<br />

hin und zurück vier Stunden. Nach rund dreihundert Meilen brauche<br />

ich ein Tankflugzeug. Geht das klar?«<br />

»Kein Problem«, meinte der Group Captain der RAF. »Aber<br />

seien Sie vorsichtig; morgen benötigen wir alle Tomcats als Eskorten<br />

für den Angriffsverband.«<br />

»In einer Stunde bin ich soweit.« Der Pilot entfernte sich.<br />

»Viel Glück«, sagte der Group Captain leise. Dies war nun schon<br />

der dritte Versuch, die sowjetische Landungsflotte aus der Luft zu<br />

orten. Nach dem Verschwinden der norwegischen Aufklärungsmaschine<br />

hatten es die Briten mit einem Jaguar versucht, doch auch der<br />

333


lieb verschollen. Die offenkundigste Lösung wäre die Entsendung<br />

einer Hawkeye mit dem Angriffsverband gewesen, doch die Briten<br />

ließen nicht zu, dass sich die E -2 zu weit von ihrer Küste entfernten.<br />

Großbritanniens Radareinrichtungen waren schwer angeschlagen;<br />

man brauchte die Hawkeye für die Verteidigung der Inseln.<br />

»So schwer hätte es doch eigentlich nicht sein sollen«, bemerkte<br />

Toland. Hier bot sich die goldene Gelegenheit, der sowjetischen<br />

Flotte einen schweren Schlag zu versetzen. War die Position des<br />

Verbandes erst einmal ermittelt, konnte er bei Tagesanbruch angegriffen<br />

werden. Die Aufgabe der Aufklärung wäre eigentlich den<br />

Norwegern zugefallen, doch mit der praktischen Vernichtung der<br />

norwegischen Luftwaffe in der ersten Kriegswoche hatte man bei der<br />

Nato nicht gerechnet. Ihre einzigen taktischen Erfolge hatten die<br />

Sowjets auf See erzielt. Während sich der Landkrieg in Deutschland<br />

auf eine Hi-Tech-Pattsituation zubewegte, waren die vielgepriesenen<br />

Marinen der Nato bisher von ihren sowjetischen Gegenspielern<br />

ausmanövriert und deklassiert worden. Die Einnahme Islands war<br />

ein Meisterstück gewesen. Noch <strong>im</strong>mer war die Nato verzweifelt<br />

bemüht, die Grönland-Island-England-Barriere mit U-Booten, denen<br />

eigentlich andere Aufträge zufallen sollten, wieder zu errichten.<br />

Die russischen Backfire reichten weit in den Atlantik hinein und<br />

griffen täglich einen Geleitzug an, und die Hauptmacht ihrer U-<br />

Boote war noch nicht einmal dort eingetroffen. Die Kombination<br />

dieser beiden Faktoren konnte zur Blockade des Atlantiks führen,<br />

und dann mussten die Armeen der Nato trotz ihrer bisher brillanten<br />

Leistungen unterliegen.<br />

Die Sowjets mussten an der Einnahme von Bod0 in Norwegen<br />

gehindert werden. Waren dort erst einmal russische Flugzeuge in<br />

Stellung, konnten sie Schottland angreifen, Ressourcen von der<br />

Front in Deutschland abziehen und Versuche, Bomberverbände auf<br />

dem Weg zum Atlantik abzufangen, verhindern. Toland schüttelte<br />

den Kopf. War die russische Flotte erst einmal ausgemacht, konnten<br />

ihr schwere Schläge versetzt werden. Dazu hatte die Nato die<br />

richtigen Waffen; sie konnte ihre Raketen außerhalb der SAM-<br />

Reichweite abfeuern, so wie die Russen es bei ihren Angriffen auf die<br />

Geleitzüge taten. Es war höchste Zeit, dass sich das Blatt wendete.<br />

Erst hob das Tankflugzeug ab; eine Stunde später folgte der<br />

Tomcat. Toland und sein britischer Kollege hielten in der Nachrichtendienstzentrale<br />

ein Nickerchen, als ein Wachoffizier eintraf.<br />

334


»Ihr Tomcat ist <strong>im</strong> Landeanflug, Commander.« Der RAF-Sergeant<br />

reichte Bob eine Tasse Tee.<br />

»Danke, Sergeant.« Toland fuhr sich über sein unrasiertes Gesicht<br />

und beschloß, auf eine Rasur zu verzichten.<br />

Der F-14 schwebte ein. Sein Pilot rollte in einen gehärteten<br />

Hangar und stieg rasch aus. Techniker nahmen bereits die Filmkassette<br />

aus der Kameragondel.<br />

»Keine Spur von dem Flottenverband!« sagte er sofort. Hinter<br />

ihm kletterte der Kampfbeobachter aus der Maschine.<br />

»Jäger in Massen!« meinte der Mann vom Rücksitz.<br />

»Einen habe ich erwischt«, fügte der Pilot hinzu. »Aber kein<br />

Hinweis auf die Flotte, weder visuell noch auf Infrarot oder Radar ­<br />

nur jede Menge Jäger. Sieben Schwärme, überwiegend MiG-23,<br />

glaube ich. Keine Sichtungen, aber zahlreiche Signale von High-<br />

Lark-Radar. Einer kam uns etwas zu nahe, den musste ich mit einer<br />

Sparrow belegen. Die Explosion haben wir gesehen; ein klarer<br />

Abschuß. Wie auch <strong>im</strong>mer, nach Bod0 fahren unsere Freunde<br />

nicht.«<br />

»Und bei Skagen haben Sie kehrtgemacht?«<br />

»Uns ging der Film aus, Treibstoff wurde knapp. Ernsthaft begann<br />

die Opposition durch Jäger erst nördlich von Bodo. Ich finde,<br />

wir sollten uns einmal bei And0ya umsehen - aber dazu brauchte<br />

man eine SR-17 mit der entsprechenden Reichweite.«<br />

»Unwichtig«, meinte der Group Commander. »Für einen massierten<br />

Einsatz dort oben brauchten unsere Maschinen Tankflugzeuge,<br />

und die sind zum größten Teil anderswo <strong>im</strong> Einsatz.«<br />

335


Island<br />

25<br />

Trecks<br />

Nachdem sie die Wiese hinter sich gelassen hatten, ging es wieder<br />

durch Gelände, das die Landkarte als Ödland bezeichnete, und bald<br />

begann der Anstieg zum 210 Meter hohen Glymsbrekkur. Der<br />

Regen hatte nicht nachgelassen, und das Zwielicht zwang ihnen<br />

eine langsame Gangart auf. Viele große Steine, auf die sie treten<br />

wollten, waren lose. Man verlor leicht das Gleichgewicht; ein Sturz<br />

konnte tödlich sein. Immer wieder knickten ihre Knöchel auf dem<br />

unebenen Grund um; selbst die fest geschnürten Stiefel schienen<br />

nicht mehr zu helfen.<br />

Nach sechs Tagen <strong>im</strong> Hinterland begannen Edwards und seine<br />

Marines zu verstehen, was körperliche Erschöpfung bedeutete. Bei<br />

jedem Schritt beugte sich das Knie ein wenig zu weit - mit dem<br />

Ergebnis, dass der nächste viel anstrengender war. Die Tragriemen<br />

ihrer Tornister schnitten schmerzhaft ein. Ihre Arme schmerzten ­<br />

vom Tragen der Waffe und dem <strong>im</strong>mer wieder notwendigen Zurechtrücken<br />

ihrer Ausrüstung. Sie ließen die Köpfe hängen. Nur mit<br />

Mühe schauten sie auf und in die Runde. Es bestand <strong>im</strong>mer die<br />

Möglichkeit, dass sie in einen Hinterhalt gerieten.<br />

Der Feuerschein des brennenden Hauses verschwand hinter<br />

einem Bergkamm. Bislang hatten weder Hubschrauber noch Fahrzeuge<br />

den Brand inspiziert. Doch wie bald würde man die Streife<br />

vermissen? fragten sich alle.<br />

Alle - außer Vigdis. Edwards ging hinter ihr, lauschte ihrem<br />

Atem, hörte sie hin und wieder schluchzen, wusste aber nicht, was er<br />

ihr sagen sollte. Hatte er das Richtige getan? Hatte er einen Mord<br />

begangen, oder war die Tat ein Notbehelf gewesen oder ein Akt der<br />

Gerechtigkeit? Er verdrängte die vielen Fragen. Nun kam es nur<br />

aufs Überleben an.<br />

»Zehn Minuten Rast!« rief er.<br />

Sergeant Smith schaute sich nach den anderen um und setzte sich<br />

336


dann neben seinen Lieutenant. »Wir sind gut vorangekommen, Sir,<br />

vier oder fünf Meilen in zwei Stunden, und könnten jetzt ein bißchen<br />

langsamer gehen.«<br />

Edwards lächelte schwach. »Bleiben wir doch einfach hier und<br />

bauen uns ein Haus.«<br />

»War mir auch recht, Skipper«, erwiderte Smith lachend.<br />

Der Lieutenant schaute kurz auf die Karte und verglich sie mit<br />

dem sichtbaren Gelände. »Umgehen wir dieses Moor links? Laut<br />

Karte ist dort ein Wasserfall, der Skulafoss. Die Klamm scheint<br />

recht tief zu sein. Wenn wir Glück haben, finden wir dort eine<br />

Höhle. Wenn nicht, sind wir in den tiefen Schatten der Klamm<br />

wenigstens vor Hubschraubern sicher. Wie weit wäre das? Fünf<br />

Stunden?«<br />

»So ungefähr«, meinte Smith nickend. »Wären Straßen zu überqueren?«<br />

»Nein, es sind nur Fußwege eingezeichnet.«<br />

»Klingt gut.« Smith drehte sich zu dem Mädchen um, das sich<br />

gegen einen Felsen lehnte und ihnen stumm zuhörte. »Wie fühlen<br />

Sie sich?« fragte er sanft.<br />

»Müde.« Ihr Tonfall sagte aber mehr, fand Edwards; sie klang<br />

ton- und emotionslos. War das gut oder schlecht? fragte er sich.<br />

Ihre Eltern waren vor ihren Augen ermordet worden, sie selbst<br />

hatte man brutal vergewaltigt. Was gingen einem da für Gedanken<br />

durch den Kopf? Er beschloß, sie abzulenken.<br />

»Kennen Sie sich in der Gegend gut aus?« fragte er.<br />

»Vater ging hier angeln und nahm mich oft mit.« Sie neigte das<br />

Gesicht in den Schatten. Ihre St<strong>im</strong>me brach, und sie begann leise zu<br />

schluchzen.<br />

Edwards hätte sie am liebsten in den Arm genommen und ihr<br />

gesagt, jetzt sei alles in Ordnung, befürchtete aber, das Ganze nur<br />

noch schl<strong>im</strong>mer zu machen. Und wer nahm ihm wohl ab, dass alles<br />

in Ordnung war?<br />

»Wie steht es mit der Verpflegung, Sergeant?«<br />

»Konserven für vier Tage, Sir. Ich habe das Haus gründlich<br />

abgesucht«, flüsterte Smith. »Ich fand auch zwei Angelruten und<br />

ein paar Köder. Wenn wir uns Zeit nehmen, können wir uns selbst<br />

versorgen. Die Gewässer hier sind fischreich, eine Menge Forellen<br />

und Lachse. Angeln macht Spaß, hab ich gehört. Aber ich konnte<br />

mir das nie leisten. Sagten Sie nicht, Ihr Vater sei Fischer?«<br />

337


»Hummerfischer. Was konnten Sie sich nicht leisten?«<br />

»Lieutenant, wer hier oben angeln will, muss zweihundert Dollar<br />

hinlegen«, erklärte Smith, »und das ist bei meinem Sold nicht drin.<br />

Aber wenn der Angelschein so teuer ist, muss es doch eine Menge<br />

Fische geben, oder?«<br />

»Denkbar«, st<strong>im</strong>mte Edwards zu. »So, brechen wir wieder auf.<br />

Wenn wir den Berg da drüben erreicht haben, legen wir uns aufs<br />

Ohr und ruhen uns aus.«<br />

»Soll mir recht sein, Skipper. Aber vielleicht kommen wir dann<br />

nicht rechtzeitig nach -«<br />

»Zum Teufel, dann verspäten wir uns eben! Ab jetzt wird nach<br />

anderen Regeln gespielt. Es kann sein, dass der Iwan nach uns sucht.<br />

Also machen wir langsam. Und wenn das unseren Freunden am<br />

Radio nicht gefällt, haben sie Pech gehabt. Vielleicht kommen wir<br />

mit Verzögerung ans Ziel, aber wir schaffen es.«<br />

»Genau, Skipper. Garcia! Sie gehen voran. Rodgers, Sie bilden<br />

die Nachhut. Fünf Stunden noch, Marines, dann können wir pennen.«<br />

USS Pharris<br />

Gischt peitschte Morris ins Gesicht, aber er genoß das Gefühl. Der<br />

Geleitzug mit Ballast beladener Frachter lief einem mit vierzig<br />

Knoten heranfegenden Sturm entgegen. Die See hatte einen häßlichen,<br />

schaumigen Grünton. Seine Fregatte erklomm die steilen<br />

Flanken endloser Wellenberge und stürzte dann wieder von ihnen<br />

herunter. Das ging nun schon seit sechs Stunden so. Die Bewegungen<br />

des Schiffes waren brutal. Jedesmal, wenn sich der Bug ins<br />

Wasser bohrte, hatte man das Gefühl, jemand sei voll auf die<br />

Bremse gestiegen. Die Männer hielten sich an Stützen fest und<br />

glichen breitbeinig das Schlingern aus. Wer an Deck stand, wie<br />

Morris, trug Schw<strong>im</strong>mweste und Jacke mit Kapuze. Ein Gutteil der<br />

Crew schlief.<br />

Gefechte waren bei solchem Wetter praktisch unmöglich. U-<br />

Boote orteten ihre Ziele vorwiegend mit Sonar, und der Lärm der<br />

aufgewühlten See übertönte jegliche Schiffsgeräusche. Ein ganz<br />

besonders aggressiver U-Boot-Kommandant konnte versuchen, auf<br />

Sehrohrtiefe zu fahren und sein Suchradar einzusetzen, doch damit<br />

338


iskierte er, dass sein Boot die Oberfläche durchbrach und vorübergehend<br />

außer Kontrolle geriet. Wollte ein U-Boot ein Schiff orten,<br />

musste es praktisch auf Tuchfühlung gehen. Auch Luftangriffe<br />

machten ihnen <strong>im</strong> Augenblick keine Sorgen; die zahllosen hohen<br />

Wellenkämme mussten die Suchköpfe feindlicher Raketen verwirren.<br />

Was sie selbst anging, war das Bugsonar praktisch nutzlos, da es<br />

sich in einem Bogen von zwanzig Grad auf und ab bewegte und hin<br />

und wieder ganz aus dem Wasser auftauchte. Das Schleppsonar<br />

befand sich in einigen hundert Fuß Tiefe in stillem Wasser und<br />

funktionierte daher in der Theorie recht gut, doch in der Praxis<br />

musste ein U-Boot große Fahrt machen, um sich von dem heftigen<br />

Hintergrundgeräusch abzuheben. Der Hubschrauber der Pharris<br />

konnte unter diesen Bedingungen zwar starten, aber nicht wieder<br />

landen. Gefahr drohte einem U-Boot von der Fregatte nur, wenn es<br />

sich in Reichweite der Raketentorpedos ASROC (fünf Meilen)<br />

befand. Zwei P-3 Orion operierten über dem Konvoi, aber Morris<br />

beneidete ihre Besatzungen, die in knapp tausend Fuß Höhe von<br />

den Turbulenzen durchgeschüttelt wurden, kein bißchen.<br />

Der Sturm bedeutete für alle eine Atempause in der Schlacht. Die<br />

Russen mussten es besser haben. Ihre Langstreckenflugzeuge wurden<br />

vermutlich am Boden gewartet, und die Sonar-Crews ihrer U-<br />

Boote konnten in vierhundert Fuß Tiefe gemütlich arbeiten.<br />

»Kaffee, Sir?« Chief Clarke kam mit einer Tasse aus dem Ruderhaus.<br />

»Danke.« Morris nahm die Tasse und leerte sie halb. »Wie hält<br />

sich die Mannschaft?«<br />

»Die Jungs sind so müde, dass sie noch nicht mal mehr kotzen.«<br />

Clarke lachte. »Pennen wie die Murmeltiere. Wann hört das<br />

schlechte Wetter endlich auf?«<br />

»Aufklaren soll es erst in zwölf Stunden. Diesem Tief folgt ein<br />

Hoch.« Die Wettervorhersage war gerade aus Norfolk eingegangen.<br />

Das Sturmtief zog nach Norden. Anschließend war mit zwei<br />

Wochen überwiegend klarem Wetter zu rechnen. Großartig.<br />

Der Chief lehnte sich nach Backbord, um zu sehen, ob die Fittings<br />

auf dem Vordeck noch sicher waren. Bei jeder dritten oder vierten<br />

See bohrte sich der Bug der Pharris tief in eine Wellenflanke, und sie<br />

nahm grünes Wasser über. Es war Aufgabe des Chiefs, dafür zu<br />

sorgen, dass alles, was an Deck verzurrt war, auch fest saß. Die<br />

339


Pharris war bei der letzten Überholung mit einem höheren Bugkorb<br />

ausgerüstet worden, der dieses Problem zwar reduzierte, aber nicht<br />

ganz ausschalten konnte. Seeleute wissen schon seit Urzeiten, dass<br />

die See tödlich ist, wenn man ihr nicht den nötigen Respekt zollt.<br />

Clarkes geübtes Auge nahm hundert Einzelheiten wahr. Dann<br />

drehte er sich wieder um. »Sie scheint das gut abzuwettern.«<br />

»Meinetwegen kann die See den ganzen Weg lang so toben«,<br />

meinte Morris, nachdem er seine Tasse geleert hatte. »Wenn sich<br />

der Sturm verzogen hat, müssen wir eine Menge verstreuter Frachter<br />

einsammeln.«<br />

Clarke nickte. Position halten war in diesem schweren Wetter<br />

nicht einfach. »So weit, so gut, Sir. Bislang hat sich noch nichts<br />

gelockert.«<br />

»Wie sieht's auf dem Achterdeck aus?«<br />

»Kein Problem, Sir. Ich habe einen Mann aufgestellt, der die<br />

Dinge <strong>im</strong> Auge behält. Solange wir keine größere Fahrt machen<br />

müssen, sollte alles halten.« Beide wussten, dass das ausgeschlossen<br />

war. Sie liefen zehn Knoten; viel schneller kam die Fregatte in dieser<br />

groben See ohnehin nicht voran. »So, ich sehe jetzt achtern nach<br />

dem Rechten.«<br />

»Okay.« Morris schaute nach oben, um sich davon zu überzeugen,<br />

dass seine Ausgucks noch auf Position waren. Wahrscheinlich<br />

oder nicht, hier draußen drohten Gefahren - alle möglichen.<br />

Stornoway, Schottland<br />

»Ah, Andoya. Sie waren also doch nicht nach Bodo unterwegs«,<br />

meinte Toland, der gerade eine Satellitenaufnahme von Norwegen<br />

studierte.<br />

»Kennen Sie die Stärke der gelandeten Truppen?«<br />

»Mindestens eine Brigade, Group Captain, vielleicht sogar eine<br />

Division. Viele Kettenfahrzeuge und SAM-Starter. Auf dem Flugplatz<br />

sind bereits Jäger stationiert; Bomber werden folgen. Diese<br />

Bilder sind eine Stunde alt.« Die russische Flotte war schon wieder<br />

auf dem Rückweg zum Kola Fjord; der Brückenkopf konnte nun<br />

auf dem Luftweg verstärkt werden. Toland fragte sich, was aus dem<br />

norwegischen Reg<strong>im</strong>ent geworden war, das dort gestanden hatte.<br />

»Von dort aus können sie uns mit ihren Blinder-Bombern errei­<br />

340


chen. Die Dinger fliegen mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit an<br />

und sind teuflisch schwer abzufangen.« Die Russen hatten begonnen,<br />

Radaranlagen der RAF entlang der schottischen Küste systematisch<br />

anzugreifen - mit Luft-Boden-Raketen, von U-Booten gestarteten<br />

Cruise-Missiles und Kampfbombern. Letztere waren von<br />

Tornados der RAF zur Hälfte abgeschossen worden, größtenteils<br />

auf dem Rückflug. Die zwe<strong>im</strong>otorigen Blinder-Bomber konnten<br />

ihre schwere Bombenladung nach schnellem, tiefem Anflug abwerfen.<br />

Deshalb hat es der Russe auf Andoya abgesehen, dachte Toland:<br />

der perfekte vorgeschobene Luftstützpunkt, leicht von Basen<br />

in Nordrußland zu versorgen, und von in Schottland stationierten<br />

Jagdbombern nur zu erreichen, wenn sie in der Luft betankt wurden.<br />

»Hin kommen wir schon«, meinte Toland. »Aber dann müßte<br />

die Hälfte unserer Kampfflugzeuge Treibstofftanks statt Waffen<br />

tragen.«<br />

»Ausgeschlossen, die werden nie aus der Reserve freigegeben.«<br />

Der Group Captain schüttelte den Kopf.<br />

»Dann werden wir starke Patrouillen über den Faröern fliegen<br />

müssen, was uns von Island ablenkt.« Toland schaute vom Tisch<br />

auf in die Runde. »Wie entreißen wir den Kerlen die Initiative? Wir<br />

reagieren doch nur auf ihre Aktionen und kommen nicht zur Ausführung<br />

unserer eigenen Pläne. So verliert man Kriege, meine Herren.<br />

Wegen dieses Tiefs über dem Atlantik läßt der Iwan seine<br />

Backfire am Boden. Morgen fliegt er dann wieder Angriffe gegen<br />

unsere Geleitzüge. Andoya können wir nicht angreifen, auf Island<br />

nicht viel ausrichten - sollen wir denn einfach hier sitzen und uns<br />

Gedanken über die Verteidigung von Schottland machen?«<br />

»Wenn wir dem Iwan die Luftherrschaft überlassen -«<br />

»Wenn der Iwan unsere Geleitzüge versenkt, verlieren wir den<br />

Krieg, Group Captain!« betonte Toland.<br />

»Korrekt, Bob. Die Frage ist nur: Wie kommen wir an die Backfire<br />

heran? Die scheinen direkt über Island anzufliegen. Ihre Routen<br />

kennen wir zwar, aber die sind best<strong>im</strong>mt von MiGs geschützt.«<br />

»Gut, dann versuchen wir es auf indirekte Weise und gehen auf<br />

ihre Tankflugzeuge los.«<br />

Zwei Jägerpiloten hatten bislang schweigend zugehört.<br />

»Und wie sollen wir die finden?« fragte nun einer.<br />

»Ohne Sprechfunkverkehr lassen sich über dreißig Bomber nicht<br />

341


etanken«, sagte Toland. »Ich habe russische Luftbetankungsoperationen<br />

über Satellit abgehört und weiß, dass gequatscht wird.<br />

Schicken wir doch einen Elektronik-Aufklärer nach Norden und<br />

stellen fest, wie aufgetankt wird. Und lassen wir ein paar Tomcats<br />

den Tankern auf dem Rückflug auflauern.«<br />

»Erst zuschlagen, wenn der Bombenverband schon betankt ist?«<br />

meinte ein Pilot nachdenklich.<br />

»Damit verhindern wir den Angriff von heute nicht, bereiten den<br />

Russen aber morgen Kopfschmerzen. Wenn wir nur einmal Erfolg<br />

haben, werden sie vielleicht ihre Operationsweise ändern und reagieren<br />

dann zur Abwechslung einmal auf uns.«<br />

Island<br />

Wie schwer das Gelände war, konnte die Landkarte nicht vermitteln.<br />

Der Skula-Fluß stürzte durch eine Reihe von Schluchten, und<br />

die Wasserfälle erzeugten einen feinen Nebel, in dem sich in der<br />

Morgensonne ein Regenbogen wölbte. Edwards, der Regenbögen<br />

<strong>im</strong>mer gemocht hatte, fand das depr<strong>im</strong>ierend, denn es bedeutete<br />

den Abstieg an einer feuchten, glitschigen Felswand.<br />

»Haben Sie sich schon einmal als Bergsteiger versucht, Lieutenant?«<br />

fragte Smith.<br />

»Nein, in so einer Wand war ich noch nie. Und Sie?«<br />

»Gewiß, be<strong>im</strong> Training, aber den Abstieg übten wir nur selten.<br />

Sie brauchen keine Angst vorm Abrutschen zu haben; unsere Stiefelsohlen<br />

halten gut. Sorgen Sie nur dafür, dass Sie auf festen Grund<br />

treten. Und machen Sie langsam. Garcia steigt als erster ab. Das<br />

gefällt mir hier. Sehen Sie das Becken da unten? Da gibt es Fische,<br />

und in diesem Loch entdeckt man uns best<strong>im</strong>mt nicht.«<br />

»Gut. Sie helfen der Frau.«<br />

»Okay. Garcia, Sie gehen voran. Rodgers, Sie bilden die Nachhut.«<br />

Smith hängte sich das Gewehr über und ging zu Vigdis.<br />

»Schaffen Sie das?« fragte er und hielt ihr die Hand hin.<br />

»Ich war schon einmal hier«, erwiderte sie und lächelte fast ­<br />

aber dann fiel ihr ein, wer ihr diese Stelle gezeigt hatte. Sie ergriff die<br />

ausgestreckte Hand nicht,<br />

»Sehr gut, Miss Vigdis. Vielleicht machen Sie uns noch etwas vor.<br />

So, und jetzt aufgepaßt!«<br />

342


Die fünfundzwanzig Kilo schweren Tornister machten den Abstieg<br />

beschwerlich. Es war nicht leicht, unter dieser Last das Gleichgewicht<br />

zu halten, und wer die Marines aus einiger Entfernung<br />

beobachtete, musste sie für alte Omas halten, die eine vereiste Straße<br />

überquerten. Stellenweise war die Steilwand fast vertikal. Hin und<br />

wieder gab es schmale Pfade, die das Rotwild getrampelt hatte.<br />

Zum ersten Mal wirkte sich die Erschöpfung zu ihrem Vorteil aus.<br />

Wären sie frischer gewesen, hätten sie best<strong>im</strong>mt versucht, rascher<br />

voranzukommen. Nun aber war jeder Mann am Ende seiner Kraft<br />

und fürchtete seine eigene Schwäche mehr als den Fels. Sie brauchten<br />

eine Stunde, schafften es aber zum Boden der Schlucht, ohne<br />

Ernsthafteres als Abschürfungen an den Händen und blaue Flecken<br />

davonzutragen.<br />

Einen Lagerplatz fanden sie auf einem Felsvorsprung drei Meter<br />

überm Wasser und dicht bei dem höheren östlichen Steilufer. Edwards<br />

schaute auf die Uhr. Seit über sechsundfünfzig Stunden<br />

waren sie nun auf den Beinen.<br />

Zuerst aßen sie. Edwards schlang den Inhalt einer Dose hinunter,<br />

ohne erst nachgesehen zu haben, was er da zu sich nahm. Dann<br />

stieß ihm Fisch auf. Smith ließ die beiden Marines zuerst schlafen<br />

und gab Vigdis seinen Schlafsack. Zum Glück schlief sie fast so<br />

schnell ein wie die beiden Soldaten. Der Sergeant erkundete kurz<br />

die Umgebung. Edwards schaute ihm verblüfft zu: Wie konnte der<br />

Mann noch Energie haben?<br />

»Das ist ein guter Platz, Skipper«, verkündete der Sergeant<br />

schließlich und ließ sich neben seinem Offizier zu Boden fallen.<br />

»Zigarette?«<br />

»Danke, ich bin Nichtraucher. Sagten Sie nicht, Sie hätten keine<br />

mehr?«<br />

»Richtig, aber Vigdis' Vater war Raucher, und ich fand ein paar<br />

Packungen.« Smith steckte sich mit einem Zippo, der die Insignien<br />

der Marineinfanterie trug, eine filterlose Zigarette an. »Ah, das tut<br />

gut!« seufzte er nach dem ersten Zug.<br />

»Ich schlage vor, dass wir uns hier einen Tag lang ausruhen.«<br />

»Klingt gut.« Smith lehnte sich zurück. »Sie haben sich gut<br />

gehalten, Lieutenant.«<br />

»Ich war als Kadett Langstreckenläufer - zehntausend Meter, ab<br />

und zu ein Marathonlauf.«<br />

Smith bedachte ihn mit einem giftigen Seitenblick. »Soll das<br />

343


edeuten, dass ich versucht habe, es einem Marathonläufer zu<br />

zeigen?«<br />

»Und es ist Ihnen auch gelungen.« Edwards massierte sich die<br />

Schultern und fragte sich, ob der Schmerz an den Stellen, wo die<br />

Tornisterriemen eingeschnitten hatten, jemals wieder abklingen<br />

würde. Dann fiel ihm etwas ein. »Sollte nicht jemand Wache stehen?«<br />

»Hatte ich mir auch überlegt«, erwiderte Smith, der sich den<br />

Helm über die Augen gezogen hatte. »Hier können wir uns das<br />

sparen. Entdecken kann uns nur ein Hubschrauber, der direkt über<br />

uns schwebt. Die nächste Straße ist zehn Meilen entfernt.«<br />

Edwards war schon eingeschlafen.<br />

Kiew, Ukraine<br />

»Iwan Michailowitsch, sind Ihre Sachen gepackt?« fragte Alexejew.<br />

»Jawohl, Genosse General.«<br />

»Der OB West wird vermißt, verschwand auf dem Weg von der<br />

dritten Stoßarmee zu einem vorgeschobenen Hauptquartier. Vermutlich<br />

kam er bei einem Luftangriff um. Wir übernehmen das<br />

Kommando.«<br />

»Einfach so?«<br />

»Von wegen!« versetzte Alexejew zornig. »Man brauchte sechsunddreißig<br />

Stunden, um zu dem Schluß zu gelangen, dass er wahrscheinlich<br />

tot ist. Der Idiot hatte gerade den Kommandeur der<br />

dritten Stoßarmee abgelöst, verschwand dann, und sein Stellvertreter<br />

wusste nicht, was er anfangen sollte. Ein geplanter Angriff fand<br />

nicht statt, und während unsere Leute auf Befehle warteten, starteten<br />

die Deutschen einen Gegenangriff!« Alexejew schüttelte wütend<br />

den Kopf und fuhr ruhiger fort: »Na, jetzt wird der Feldzug<br />

wenigstens von Soldaten geführt und nicht von politisch zuverlässigen<br />

Hurenböcken.«<br />

Wieder einmal fiel Sergetow der puritanische Zug seines Vorgesetzten<br />

auf. »Wie lautet unser Auftrag?«<br />

»Der General übern<strong>im</strong>mt <strong>im</strong> Befehlsstand das Kommando, und<br />

wir besuchen in der Zwischenzeit die Divisionen an der Front und<br />

informieren uns über die Lage. In zwei Stunden fliegen wir los.«<br />

344


»Am Tag?« fragte Hauptmann Sergetow überrascht.<br />

»Tagsüber scheint es sicherer zu sein. Die Nato behauptet, den<br />

Nachth<strong>im</strong>mel zu beherrschen. Unsere Leute sagen zwar das Gegenteil,<br />

fliegen uns aber am Tag. Ziehen Sie Ihre eigenen Schlußfolgerungen,<br />

Genosse Hauptmann.«<br />

Luftstützpunkt Dover, Delaware, USA<br />

Eine Transportmaschine vom Typ C-5A stand wartend vor ihrem<br />

Hangar. In ihrem riesigen Laderaum arbeiteten vierzig Männer ­<br />

teils Marineoffiziere in Uniform, teils Zivilpersonen, die Overalls<br />

mit dem Emblem von General Dynamics trugen - an Tomahawk-<br />

Marschflugkörpern. Eine Gruppe nahm die schweren Anti-Schiff-<br />

Sprengkörper heraus und ersetzten sie durch etwas anderes; die<br />

andere hatte die schwierige Aufgabe, die Lenksysteme auszutauschen.<br />

Anstelle der auf Schiffe ausgerichteten Zielsuchelektronik<br />

wurden nun Terrainfolgesysteme eingebaut, welche man nur in mit<br />

Kernsprengköpfen ausgerüsteten Flugkörpern zum Einsatz gegen<br />

Landziele benutzte. Die Geräte, fabrikneu und originalverpackt,<br />

mussten geprüft und justiert werden. Die Aktion war streng gehe<strong>im</strong>.<br />

Empfindliche elektronische Instrumente gaben dem Lenksystem<br />

vorprogrammierte Informationen ein; andere Testgeräte prüften<br />

die von den Bordcomputern generierten Befehle. Es war nur genügend<br />

Personal für die Prüfung von jeweils drei Raketen vorhanden;<br />

jeder Test nahm eine Stunde in Anspruch. Hin und wieder schaute<br />

ein Mann hinüber zu der noch <strong>im</strong>mer wartenden riesigen C-5<br />

Galaxy, deren Besatzung ungeduldig auf und ab ging. Flugkörper,<br />

die die Prüfung bestanden hatten, wurden mit Fettstift markiert<br />

und behutsam in ihre Abschußrohre geladen. Fast ein Drittel der<br />

Lenksysteme mussten ersetzt werden. Manche hatten völlig versagt,<br />

andere hatten kleine Fehler, die aber doch ernst genug waren, um<br />

Austausch anstelle von Nachstellung zu rechtfertigen. Welches Ziel<br />

verlangte solche Präzision? fragten sich die Techniker von General<br />

Dynamics. Insgesamt nahm die Arbeit siebenundzwanzig Stunden<br />

in Anspruch, sechs mehr als erwartet. Rund die Hälfte der Männer<br />

bestieg das Flugzeug, das zwanzig Minuten später nach Europa<br />

startete. Sie schliefen in ihren Sitzen und waren zu erschöpft, um<br />

über die Gefahren, die ihrer harrten, nachzudenken.<br />

345


Skulafoss, Island<br />

Edwards fuhr aus dem Schlaf hoch. Die Marines waren noch<br />

schneller auf den Beinen und hasteten mit ihren Waffen in Dekkung,<br />

suchten den Rand ihrer kleinen Klamm ab. Vigdis schrie.<br />

Edwards stellte seine Waffe ab und ging zu ihr.<br />

»Ist ja gut, Vigdis, ist ja gut.«<br />

»Meine Eltern«, sagte sie schweratmend, »sie haben meine Eltern<br />

umgebracht. Und dann - die Soldaten -«<br />

»Die tun Ihnen nichts mehr.« Er schaute ihr ins Gesicht und<br />

wusste nicht, was er von ihrem Ausdruck halten sollte.<br />

»Sie kommen wieder«, sagte sie, »best<strong>im</strong>mt.«<br />

»Keine Angst, die sind alle tot. Und jetzt tut Ihnen niemand mehr<br />

etwas.«<br />

Sie nickte ruckartig. »Bleiben Sie bei mir. Ich habe Angst, allein<br />

zu sein.«<br />

»Was gibt's?« rief Smith.<br />

»Sie hatte einen bösen Traum«, erwiderte Edwards, erhob sich<br />

und sagte zu Vigdis: »Versuchen Sie jetzt zu schlafen. Wir sind bei<br />

Ihnen. Sie brauchen uns nur zu rufen.«<br />

Fünf Minuten später waren ihre Augen geschlossen, und ihr<br />

Atem ging regelmäßig. Edwards versuchte sie nicht anzusehen. Was<br />

sollte sie von ihm denken, wenn sie plötzlich aufwachte und<br />

merkte, dass er sie anstarrte? Wenn sie empört war, hatte sie Grund<br />

dazu, gestand sich Edwards. Wäre er ihr vor zwei Wochen in der<br />

Offiziersmesse begegnet... er, ein junger, ungebundener Mann, sie<br />

eine junge, offenbar ungebundene Frau. Nach dem zweiten Glas<br />

wäre es sein Hauptziel gewesen, sie in sein Quartier abzuschleppen.<br />

Leise Musik... Wie hübsch würde sie ausgesehen haben, wenn sie<br />

ein bißchen schamhaft aus ihren modischen Kleidern schlüpfte.<br />

Statt dessen war sie bei ihrer ersten Begegnung nackt gewesen und<br />

von Kratzern und Blutergüssen entstellt. Seltsam, dachte Edwards<br />

nun, wenn ein anderer auch nur versucht, sie anzurühren, bringe<br />

ich ihn ohne Zögern um. Andererseits konnte er sich nicht vorstellen,<br />

mit ihr zu schlafen - was sein einziger Gedanke gewesen wäre,<br />

hätten sie sich unter anderen Umständen getroffen. Was wäre aus<br />

ihr geworden, wenn ich das Haus hätte links liegen gelassen? fragte<br />

er sich. Tot wäre sie, wie ihre Eltern. In ein paar Tagen würde<br />

jemand sie gefunden haben... so wie man Sandy entdeckt hatte.<br />

346


Und das war der Grund, aus dem Edwards den russischen Leutnant<br />

getötet und seinen langsamen Todeskampf genossen hatte. Schade<br />

nur, dass keiner der anderen -<br />

Smith winkte ihm zu. Edwards erhob sich leise und ging zu ihm<br />

hinüber.<br />

»Garcia hat Wache. Wenn das ein echter Alarm gewesen wäre,<br />

lebten wir jetzt alle nicht mehr. Zeit, dass wir uns wieder wie<br />

Marines benehmen.«<br />

»Wir sind zu erschöpft, um gleich wieder aufzubrechen.«<br />

»St<strong>im</strong>mt, Sir. Geht es der Frau besser?«<br />

»Sie hat Schl<strong>im</strong>mes hinter sich. Hoffentlich bekommt sie keinen<br />

Nervenzusammenbruch, wenn sie aufwacht.«<br />

Smith steckte sich eine Zigarette an. »Sie ist jung und faßt sich<br />

vielleicht wieder, wenn wir ihr eine Chance geben.«<br />

»Sie meinen, wir sollen ihr etwas zu tun geben?«<br />

»Ja, Skipper. Geht uns doch genauso: Wer beschäftigt ist, hat<br />

keine Zeit zum Grübeln.«<br />

Edwards schaute auf die Uhr. Ganze sechs Stunden Schlaf hatte<br />

er abbekommen. Er hatte steife Beine, fühlte sich ansonsten aber<br />

besser als erwartet. Das war natürlich eine Illusion. Er brauchte<br />

weitere vier Stunden Schlaf und eine ordentliche Mahlzeit, ehe er<br />

weitermarschieren konnte. »Wir brechen erst um elf auf. Ruhen wir<br />

uns noch etwas aus, essen wir etwas Anständiges.«<br />

»Klingt vernünftig. Wann nehmen Sie Kontakt mit Doghouse<br />

auf?«<br />

»Das hätte ich schon vor Stunden tun sollen, aber ich hatte keine<br />

Lust, die Felswand hochzuklettern.«<br />

»Lieutenant, ich bin zwar nur ein Stoppelhopser, aber warum<br />

gehen Sie nicht einfach eine halbe Meile stromabwärts? Dort müßten<br />

Sie Ihre Satelliten anpeilen können.«<br />

Edwards drehte sich um und schaute nach Norden. In der Tat,<br />

der Mann hatte recht. Er schüttelte ärgerlich den Kopf, stellte fest,<br />

dass der Sergeant pfiffig grinste, nahm das Funkgerät auf den Rükken<br />

und zog los.<br />

»Sie sind sehr spät dran, Beagle«, sagte Doghouse sofort. »Wie<br />

ist Ihr Status?«<br />

»Miserabel. Wir hatten einen Zusammenstoß mit einer russischen<br />

Streife.« Edwards berichtete zwei Minuten lang eingehend<br />

von dem Vorfall.<br />

347


»Beagle, sind Sie von allen guten Geistern verlassen? Sie haben<br />

den ausdrücklichen Befehl, Feindkontakte zu vermeiden. Wie können<br />

Sie jetzt sicher sein, dass niemand von Ihrer Existenz weiß?<br />

Over.«<br />

»Sie sind alle tot. Wir haben ihr Fahrzeug in den Abgrund geschoben<br />

und angezündet, um einen Unfall vorzutäuschen. Erledigt,<br />

Doghouse. Wir sind jetzt zehn Kilometer von der Stelle entfernt,<br />

ruhen uns heute aus und brechen morgen wieder auf. Dieser<br />

Marsch kann länger dauern, als wir erwarten. Das Gelände ist<br />

teuflisch, aber wir tun, was wir können. Sonst keine Meldungen.«<br />

»Gut. Ihr Befehl ist unverändert. Und spielen Sie bitte nicht noch<br />

einmal den edlen Ritter. Bestätigen.«<br />

»Roger. Out.« Be<strong>im</strong> Einpacken des Funkgerätes lächelte Edwards<br />

vor sich hin. Als er wieder zu den anderen stieß, sah er, dass<br />

Vigdis sich <strong>im</strong> Schlaf rührte. Er legte sich neben sie, wahrte aber mit<br />

Bedacht Distanz.<br />

Schottland<br />

»Spielt sich auf wie John Wayne, der die weißen Siedler vor den<br />

Indianern rettet!«<br />

»Wir waren nicht dabei«, gab ein anderer zu bedenken. »Über<br />

eine Distanz von tausend Meilen sollte man kein Urteil fällen. Der<br />

Mann war vor Ort und sah, was sich abspielte. Außerdem: Welche<br />

wichtige Information über Iwans Truppen hat er uns da geliefert?«<br />

»Nun, es ist bekannt, dass die Sowjets Zivilisten nicht gerade mit<br />

Samthandschuhen anfassen«, erklärte der Erste.<br />

»Andererseits aber sind sowjetische Luftlandetruppen für ihre<br />

strenge Disziplin bekannt. Solches Verhalten deutet aber nicht auf<br />

eine Elitetruppe hin«, meinte ein ehemaliger Major der SAS. »Das<br />

mag sich später als wichtig erweisen. Wie ich schon früher sagte,<br />

macht sich dieser Edwards gut«, setzte er ohne eine Spur von<br />

Selbstgefälligkeit hinzu.<br />

348


Stendal, DDR<br />

26<br />

Impressionen<br />

Der Hinflug war schon unangenehm genug gewesen. Je vier Stabsoffiziere<br />

waren in leichten Bombern <strong>im</strong> Tiefflug zu einem Militärflugplatz<br />

östlich von Berlin gebracht worden und alle heil angekommen,<br />

doch Alexejew fragte sich, zu welchem Grad das vom<br />

Geschick der Piloten oder vom Glück abhing. Nato-Flugzeuge<br />

hatten dem Flugplatz ganz eindeutig kürzlich einen Besuch abgestattet,<br />

und der General bezweifelte bereits die Behauptung seiner<br />

Kollegen von der Luftwaffe, man beherrsche zumindest am Tag den<br />

H<strong>im</strong>mel. Ein Hubschrauber brachte seine Gruppe von Berlin zum<br />

vorgeschobenen Befehlsstand des OB West bei Stendal: Alexejew<br />

war der erste hohe Offizier, der den Bunkerkomplex besuchte, und<br />

war von dem, was er vorfand, nicht besonders angetan. Die Stabsoffiziere<br />

waren zu sehr mit den Aktivitäten der Nato-Kräfte beschäftigt<br />

und kümmerten sich nicht genug um die der Roten Armee.<br />

Noch hatte man die Initiative nicht verloren, doch Alexejews erster<br />

Eindruck war der einer echten Gefahr. Er ließ sich den Operationsoffizier<br />

kommen und begann Informationen über den Verlauf des<br />

Feldzugs zu sammeln. Eine halbe Stunde später traf sein Vorgesetzter<br />

ein und nahm Alexejew sofort mit in sein Dienstz<strong>im</strong>mer.<br />

»Nun, Pascha?«<br />

»Ich muss mir umgehend die Front ansehen. Im Augenblick laufen<br />

drei Vorstöße, und ich muss wissen, wie sie sich entwickeln. Bei<br />

Hamburg wurde erneut ein deutscher Gegenangriff zurückgeschlagen,<br />

aber diesmal fehlen uns die Kräfte, um den Erfolg auszunutzen.<br />

Am nördlichen Frontabschnitt besteht <strong>im</strong> Augenblick eine Pattsituation.<br />

Weiter als hundert Kilometer sind wir bisher nicht vorgedrungen.<br />

Unser Zeitplan ist völlig durcheinandergeraten, die Verluste<br />

sind viel höher als erwartet - auf beiden Seiten, aber schl<strong>im</strong>mer<br />

bei uns. Wir haben die Wirksamkeit der Panzerabwehrwaffen der<br />

Nato stark unterschätzt. Unsere Artillerie war nicht in der Lage, sie<br />

349


niederzuhalten und unseren Verbänden einen Durchbruch zu ermöglichen.<br />

Die Luftstreitkräfte der Nato machen uns schwer zu<br />

schaffen, besonders nachts. Verstärkungen kommen nicht so zügig<br />

wie erwartet an die Front. An den meisten Abschnitten haben wir<br />

noch die Initiative, aber das kann sich innerhalb weniger Tage<br />

ändern, wenn uns der Durchbruch nicht gelingt. Wir müssen eine<br />

Schwachstelle in den feindlichen Linien finden und bald einen<br />

koordinierten Großangriff starten.«<br />

»Wie ist die Lage bei der Nato?«<br />

Alexejew zuckte die Achseln. »Sie hat alle verfügbaren Kräfte <strong>im</strong><br />

Feld. Verstärkungen treffen aus Amerika ein, doch nicht so reibungslos<br />

wie erwartet. Ich habe den Eindruck, dass für sie die Lage<br />

an mehreren, von uns jedoch bisher nicht identifizierten Stellen sehr<br />

gespannt ist. Wenn wir eine solche Stelle finden und ausnützen,<br />

sollte ein Durchbruch mit mehreren Divisionen möglich sein. Die<br />

deutsche Forderung nach Vorneverteidigung zwingt die Nato-<br />

Kräfte zu dem Versuch, uns überall aufzuhalten. Wir machten 1941<br />

diesen Fehler auch und mussten teuer bezahlen.«<br />

»Wann wollen Sie die Front besichtigen?«<br />

»So bald wie möglich. Ich nehme Hauptmann Sergetow mit -«<br />

»Den Sohn des Manns vom Politbüro? Pascha, wenn ihm etwas<br />

passiert...«<br />

»Er ist ein Offizier der Roten Armee, ganz gleich, wer sein Vater<br />

ist. Ich brauche ihn.«<br />

»Meinetwegen. Halten Sie mich über Ihren Standort auf dem<br />

laufenden und schicken Sie mir Ihre Leute. Zeit, dass in diesem<br />

Saftladen aufgeräumt wird.«<br />

Alexejew orderte einen neuen Kampfhubschrauber Mi-24. Hoch<br />

oben deckte ein Schwarm Mig-21 den Hubschrauber des Generals,<br />

der knapp über den Baumwipfeln flog. Alexejew lehnte einen Sitzplatz<br />

ab und hockte sich lieber an die Tür, um ungehindert hinausschauen<br />

zu können. Auf das, was er sah, war er nicht vorbereitet.<br />

Auf den Straßen standen ausgebrannte Panzer und Laster. Die<br />

wichtigsten Straßenkreuzungen hatten die Nato-Flugzeuge besonders<br />

gründlich zerstört. Eine Panzerkompanie, die hinter einer zerbombten<br />

Brücke auf Reparatur gewartet hatte, war el<strong>im</strong>iniert worden.<br />

Die verkohlten Überreste von Flugzeugen, Fahrzeugen und<br />

Männern hatten die schöne deutsche Landschaft in einen Schrottplatz<br />

für High-Tech-Waffen verwandelt. Als sie die Grenze nach<br />

350


Westdeutschland überflogen, wurde es noch schl<strong>im</strong>mer. Jede<br />

Straße war umkämpft worden, jedes Dorf. Vor einem Dorf zählte er<br />

zwölf abgeschossene Panzer. Den Ort selbst hatten Artillerieeinschläge<br />

und Brände fast völlig zerstört. Fünf Kilometer westlich die<br />

gleiche Szene, und Alexejew erkannte, dass be<strong>im</strong> Vorstoß über zehn<br />

Kilometer auf einer einzigen Straße ein ganzes Panzerreg<strong>im</strong>ent<br />

verlorengegangen war. Nun sah er Nato-Gerät - einen deutschen<br />

Kampfhubschrauber, nur noch an seinem aus einem Aschenkreis<br />

aufragenden Heckrotor zu erkennen, ein paar Panzer und Mannschaftstransportwagen.<br />

Die von beiden Seiten unter Einsatz aller<br />

Mittel und allen Könnens hergestellten stolzen Fahrzeuge lagen<br />

über die Landschaft verstreut wie aus Autofenstern geworfener<br />

Abfall. Der General wusste, dass die Sowjets mehr Gerät opfern<br />

konnten, aber wieviel mehr?<br />

Der Hubschrauber landete an einem Waldrand. Zwischen den<br />

Bäumen versteckte Flaks verfolgten ihn bis zum Aufsetzen. Er und<br />

Sergetow sprangen aus der Maschine, liefen geduckt unter dem<br />

noch laufenden Hauptrotor in den Wald. Dort fanden sie einen<br />

Gefechtsstand.<br />

»Willkommen, Genosse General«, grüßte ein Oberst, dessen<br />

Gesicht schmutzig war.<br />

»Wo ist der Divisionskommandeur?«<br />

»Ich musste den Befehl übernehmen. Der General fiel vorgestern<br />

unter feindlichem Artilleriefeuer. Wir müssen den Befehlsstand<br />

zwe<strong>im</strong>al am Tag verlegen, weil der Feind ihn mit <strong>im</strong>mer größerem<br />

Geschick aufspürt.«<br />

»Ihre Lage?« fragte Alexejew knapp.<br />

»Die Männer sind erschöpft, aber noch kampfbereit. Wir erhalten<br />

nicht genug Luftunterstützung, und nachts lassen uns die Jäger<br />

der Nato nicht zur Ruhe kommen. Die Kampfkraft der Division ist<br />

auf die Hälfte reduziert; unsere Artillerie liegt bei einem Drittel der<br />

Sollstärke. Inzwischen haben die Amerikaner ihre Taktik geändert<br />

und greifen nicht die Panzerspitzen, sondern erst aus der Luft<br />

unsere Artillerie an. Letzte Nacht erlitten wir schwere Verluste.<br />

Gerade, als ein Reg<strong>im</strong>ent zum Angriff antrat, vernichteten vier<br />

Erdkampfflugzeuge fast ein ganzes Bataillon Artillerie auf Selbstfahrlafetten.<br />

Der Angriff schlug fehl.«<br />

»Wie war's mit Tarnung?« schnauzte Alexejew.<br />

»Des Teufels Großmutter mag wissen, warum das nicht funktio­<br />

351


niert«, versetzte der Oberst. »Die feindlichen Radarflugzeuge sind<br />

offenbar in der Lage, unsere Fahrzeuge zu orten - wir haben alles<br />

probiert, Stören, Köder. Manchmal klappt das, manchmal nicht.<br />

Der Gefechtsstand der Division ist zwe<strong>im</strong>al angegriffen worden.<br />

Majore befehligen meine Reg<strong>im</strong>enter, Hauptleute die Bataillone.<br />

Die Nato konzentriert sich bei ihren Angriffen auf die Kommandeure,<br />

und diese Taktik wirkt. Jedesmal, wenn wir auf ein Dorf<br />

treffen, müssen sich meine Panzer durch einen Schwärm von Raketen<br />

kämpfen. Wir haben versucht, das Panzerabwehrfeuer mit Raketenwerfern<br />

und Artillerie zu unterdrücken, aber wenn wir uns die<br />

Zeit nehmen, jedes Gebäude, das in Sicht kommt, in die Luft zu<br />

jagen, kommen wir nie voran.«<br />

»Was fehlt Ihnen?«<br />

»Massive Luftunterstützung. Wenn Sie mir helfen, die uns gegenüberstehenden<br />

Verbände zu zerschlagen, bekommen Sie Ihren<br />

Durchbruch!« Zehn Kilometer hinter der Front wartete eine Panzerdivision<br />

darauf, dass eben diese Einheit eine Bresche in feindliche<br />

Linien schlug -doch wie sollte sie einen Durchbruch ausnutzen, der<br />

nie erzielt wurde?<br />

»Wie steht es mit der Logistik?«<br />

»Könnte besser sein, aber wir bekommen genug Nachschub für<br />

das, was von der Division übrig ist. Für eine intakte Division würde<br />

es aber nicht reichen.«<br />

»Was tun Sie <strong>im</strong> Augenblick?«<br />

»In zwei Stunden greifen wir mit zwei Reg<strong>im</strong>entern ein Dorf<br />

namens Bieben an. Wir schätzen die Feindstärke auf zwei dez<strong>im</strong>ierte<br />

Infanteriebataillone, unterstützt von Panzern und Artillerie.<br />

Bieben beherrscht eine Straßenkreuzung, die wir einnehmen müssen.<br />

Das versuchten wir vergangene Nacht. Heute soll es klappen.<br />

Wollen Sie die Aktion beobachten?«<br />

»Ja.«<br />

»Dann lasse ich Sie nach vorne bringen. Den Hubschrauber<br />

vergessen wir, es sei denn, Sie sind lebensmüde. Außerdem« - der<br />

Oberst lächelte - »kann ich ihn gut zur Unterstützung des Angriffs<br />

brauchen. Sie können in einem Schützenpanzer an die Front fahren.<br />

Dort ist es aber gefährlich, Genosse General«, warnte der Oberst.<br />

»Macht nichts. Sie beschützen uns ja. Wann geht es los?«<br />

352


USS Pharris<br />

Die ruhige See ermöglichte der Pharris wieder Zickzackkurs. Die<br />

Hälfte der Mannschaft tat Dienst, das Passiv-Sonar wurde geschleppt,<br />

der Hubschrauber stand startbereit auf der Landeplattform.<br />

Seine Besatzung lag <strong>im</strong> Hangar und döste. Auch Morris war<br />

in seinem Ledersessel auf der Brücke eingeschlafen und schnarchte<br />

zur Erheiterung der Männer vernehmlich.<br />

»Sir, Spruch von CINCLANTFLT.«<br />

Morris sah benommen zu dem Verwaltungsunteroffizier auf und<br />

zeichnete das Formular ab. Ein hundertfünfzig Meilen nördlich von<br />

ihnen nach Osten laufender Geleitzug wurde angegriffen. Er ging<br />

an den Kartentisch, um sich die Distanzen anzusehen. Die U-Boote<br />

dort stellten für ihn keine Bedrohung dar. Noch vierzig Stunden bis<br />

Norfolk, wo sie bunkern, verschossene Munition ersetzen und<br />

binnen vierundzwanzig Stunden wieder auslaufen würden.<br />

»Was ist das?« rief ein Matrose laut und deutete auf eine niedrige<br />

weiße Rauchfahne.<br />

»Eine Rakete!« antwortete der Wachhabende. »Alarm! Alle<br />

Mann auf Gefechtsstation! Sir, uns hat eine Meile voraus ein Cruise<br />

Missile auf Südkurs passiert.«<br />

Morris fuhr hoch und blinzelte. » Signal auf den Geleitzug, Radar<br />

aktivieren, Düppel abfeuern.« Er rannte auf die Leiter zur Gefechtszentrale<br />

zu. Ehe er dort eintraf, ging der durchdringende Alarm <strong>im</strong><br />

Schiff los. Achtern jagten zwei Super-RBOC-Raketen gen H<strong>im</strong>mel<br />

und umgaben die Fregatte mit einer Wolke von Stanniolstreifen.<br />

»Fünf <strong>im</strong> Anflug«, sagte ein Radar-Operator. »Eine Rakete hält<br />

auf uns zu. Richtung null-null-acht, Distanz sieben Meilen, Geschwindigkeit<br />

fünfhundert Knoten.«<br />

»Brücke, hart Backbord auf null-null-acht«, befahl der TAO.<br />

»Zum Abschießen von Düppel klarmachen. Luftabwehrfeuer frei.«<br />

Das Fünf-Zoll-Geschütz drehte sich leicht und schoß mehrere<br />

Granaten ab, die der anfliegenden Rakete jedoch nicht nahe kamen.<br />

»Distanz nun zwei Meilen«, meldete der Radarmann.<br />

»Noch vier Super-RBOC abschießen.«<br />

Morris hörte die Raketen starten. Auf dem Radar erschienen die<br />

Stanniolstreifen als undurchsichtige Wolke,die das Schiff einhüllte.<br />

»Rakete in Sicht!« rief ein Ausguck. »An Steuerbord voraus,<br />

verfehlt uns wahrscheinlich - ja, passiert uns achtern.«<br />

353


Die Aluminiumwolke hatte das Geschoß verwirrt. Wäre sein<br />

Gehirn des Denkens fähig gewesen, hätte es sich gewundert, weshalb<br />

es nichts traf. So aber suchte sich sein Radarkopf, als plötzlich nur<br />

noch klarer H<strong>im</strong>mel vor ihm lag,'ein neues Ziel in fünfzehn Meilen<br />

Entfernung.<br />

»Sonar«, befahl Morris. »Suchen Sie in null-null-acht. Dort liegt<br />

ein mit Raketen bewaffnetes U-Boot.«<br />

»Wir peilen, Sir. Nichts in dieser Richtung.«<br />

»Es schoß eine Rakete ab, die mit fünfhundert Knoten dicht über<br />

der Oberfläche flog. Das war ein Charlie, vielleicht dreißig Meilen<br />

entfernt«, sagte Morris. »Lassen Sie den Hubschrauber aufsteigen.<br />

Ich komme hoch.«<br />

Morris betrat die Brücke gerade rechtzeitig, um die Explosion am<br />

Horizont mitzuerleben. Das war kein Frachter; ein Feuerball dieser<br />

Größe konnte nur bedeuten, dass die Magazine eines Kriegsschiffes<br />

von einer Rakete zur Detonation gebracht worden waren, vielleicht<br />

von jenem Flugkörper, der sie gerade verfehlt hatte. Drei weitere<br />

Explosionen folgten; der Schall erreichte die Pharris langsam unter<br />

Wasser und klang wie eine riesige Baßtrommel.<br />

Der Hubschrauber der Fregatte hob gerade ab und raste nach<br />

Norden, in der Hoffnung, das U-Boot in Oberflächennähe zu erwischen.<br />

Morris ließ die Fahrt auf fünf Knoten reduzieren, um die<br />

Sonarleistung zu verbessern. Noch <strong>im</strong>mer nichts. Er kehrte zurück<br />

in die Gefechtszentrale.<br />

Der Hubschrauber warf ein Dutzend Sonobojen ab. Zwei meldeten<br />

schwache Signale, doch der Kontakt verlor sich. Bald erschien<br />

eine Orion und setzte die Suche fort, doch das U-Boot war entkommen,<br />

nachdem es einen Zerstörer und zwei Frachter versenkt hatte.<br />

Stornoway, Schottland<br />

»Wieder mal Luftwarnung«, sagte der Group Captain.<br />

»Von Realt<strong>im</strong>e?« fragte Toland.<br />

»Nein, von einer Quelle in Norwegen. Kondensstreifen in südwestlicher<br />

Richtung, Flugzeuge unbekannten Typs. Im Augenblick<br />

fliegt eine N<strong>im</strong>rod nördlich von Island Patrouille. Sollte es sich um<br />

Backfire handeln, die sich mit einer Tankerflotte treffen, erwischen<br />

wir vielleicht etwas. Mal sehen, ob Ihre Idee richtig ist, Bob.«<br />

354


Vier Tomcat-Abfangjäger, zwei mir Luftkampfraketen, zwei mit<br />

Treibstoffbehältern zur Luftbetankung bestückt, waren startbereit.<br />

Für einen erfolgreichen Angriff hatten sie insgesamt zweitausend<br />

Meilen zurückzulegen, was bedeutete, dass nur zwei Maschinen,<br />

von den beiden anderen unterwegs mit Treibstoff versorgt, so weit<br />

fliegen konnten.<br />

Die N<strong>im</strong>rod zog hundert Meilen östlich von Jan Mayen Kreise.<br />

Bei mehreren sowjetischen Luftangriffen auf diese norwegische<br />

Insel war die Radareinrichtung zerschlagen worden, doch die erwartete<br />

Landung der Russen war bislang ausgeblieben. Das britische<br />

Aufklärungsflugzeug starrte vor Antennen, war aber unbewaffnet<br />

und konnte, sollte der sowjetische Bomber-Tanker-Verband<br />

von Jägern eskortiert werden, nur die Flucht ergreifen. Ein<br />

Team hörte das Band ab, auf dem die russischen Flugzeuge sich verständigten,<br />

ein anderes überwachte die Radarfrequenzen.<br />

Es war eine lange, angespannte Wartezeit. Zwei Stunden nach<br />

der Luftwarnung wurde ein verzerrter Spruch aufgenommen und<br />

als Warnung an einen Backfire-Piloten interpretiert, der sich einem<br />

Tanker näherte. Die Richtung wurde ermittelt, und die N<strong>im</strong>rod<br />

drehte nach Osten ab in der Hoffnung, be<strong>im</strong> nächsten Funkspruch<br />

eine Kreuzpeilung vornehmen zu können. Das Signal blieb jedoch<br />

aus. Ohne feste Positionsangabe war die Chance der Jäger, den<br />

Verband abzufangen, nur gering. So ließ man sie am Boden und<br />

beschloß, be<strong>im</strong> nächsten Mal zwei elektronische Aufklärer »Prowler«<br />

zu schicken.<br />

USS Chicago<br />

Der QZB-Spruch traf kurz nach dem Mittagessen ein. McCafferty<br />

ging auf Antennentiefe und erhielt den Befehl, den britischen U-<br />

Boot-Stützpunkt Faslane in Schottland anzulaufen. Seit sie den<br />

Kontakt mit dem russischen Überwasserverband verloren hatten,<br />

war ihnen kein einziger Kontakt mehr begegnet. Alle Vorkriegsprojektionen<br />

hatten ein »an Zielen reiches« Umfeld versprochen.<br />

Reich waren sie bisher nur an Frustration. Der Erste Offizier ließ<br />

das Boot auf Marschtiefe gehen. McCafferty begann, seine Meldung<br />

abzufassen.<br />

355


Bieben, BRD<br />

»Sie sind hier ziemlich exponiert«, bemerkte der Captain, der sich<br />

hinter dem Turm duckte.<br />

»Wohl wahr«, st<strong>im</strong>mte Sergeant Mackall zu. Sein Panzer M-1<br />

Abrams war am Rückhang eines Hügels eingegraben, und sein<br />

Geschützrohr ragte hinter einer Reihe von Büschen nur knapp über<br />

den Boden. Mackall schaute über ein flaches Tal hinweg auf einen<br />

fünfzehnhundert Meter entfernten Waldrand. Dort saßen die Russen<br />

und beobachteten die Anhöhen. Er konnte nur hoffen, dass sie<br />

das kompakte, bedrohlich wirkende Profil des Panzers nicht ausmachen<br />

konnten. Der Kampfwagen stand in einer von drei vorbereiteten<br />

Feuerpositionen, die Pioniere mit Bulldozern, in den letzten<br />

Tagen von Bauern aus der Gegend unterstützt, gegraben hatten. Ein<br />

Nachteil war, dass die nächste Linie nur über fünfhundert Meter<br />

offene Felder erreicht werden konnte.<br />

»Übers Wetter muss sich der Iwan freuen«, sagte Mackall. Die<br />

Wolkendecke hing knappe fünfhundert Meter tief, was bedeutete,<br />

dass Piloten, die ihnen Luftunterstützung gaben, gerade fünf Sekunden<br />

zum Erfassen und Angreifen der Ziele blieben. »Was können<br />

Sie uns bieten, Sir?«<br />

»Vier A-10, vielleicht ein paar deutsche Maschinen«, erwiderte<br />

der Captain der Air Force. Er sah das Terrain aus einer anderen<br />

Perspektive. Wie brachte man Erdkampfflugzeuge am besten an<br />

Ort und Stelle und heil wieder zurück? Der erste russische Angriff<br />

auf diese Stellung war zwar zurückgeschlagen worden, aber er<br />

konnte die Überreste zweier Flugzeuge der Nato sehen, die dabei<br />

abgeschossen worden waren. »Es sollten auch drei Hubschrauber<br />

verfügbar sein.«<br />

Das überraschte und besorgte Mackall. Mit was für einem Angriff<br />

wurde hier gerechnet?<br />

»Okay.« Der Captain stand auf und machte zu seinem Gefechtswagen<br />

kehrt. »Wenn Sie >Zulu, Zulu, Zulu< hören, ist Luftunterstützung<br />

in fünf Minuten da. Sollten Sie SAM-Fahrzeuge oder Fla-<br />

Kanonen sehen, schalten Sie sie um H<strong>im</strong>mels willen aus. Die Warthogs<br />

haben bös was abbekommen, Sergeant.«<br />

»Wir langen schon hin, Captain.«<br />

Mackall hatte inzwischen gelernt, wie wichtig die Funktionen<br />

eines Luftwaffenoffiziers war, der an der Front die Luftunterstüt­<br />

356


zung koordinierte, und dieser Captain hatte die Kompanie des<br />

Sergeants vor drei Tagen aus einer argen Klemme befreit. Er sah zu,<br />

wie der Offizier zu seinem mit laufendem Motor wartenden Fahrzeug<br />

sprintete, das dann <strong>im</strong> Zickzack den Hang hinunter und über<br />

das gepflügte Feld auf den Gefechtsstand zuraste.<br />

Die 2. Kompanie des 1. Bataillons des 2. Panzer-Kavalleriereg<strong>im</strong>ents<br />

hatte einmal vierzehn Panzer gehabt. Fünf waren zerstört,<br />

nur zwei ersetzt worden. Alle anderen waren mehr oder weniger<br />

beschädigt. Sein Zugführer war am zweiten Kriegstag gefallen, so<br />

dass nun Mackall die drei Panzer des Zuges und einen fast kilometerbreiten<br />

Frontabschnitt befehligte. Zwischen seinen Panzern hatten<br />

sich deutsche Infanteristen eingegraben. Auch sie hatten<br />

schwere Verluste hinnehmen müssen. Trotz aller Vorkriegswarnungen<br />

war die Gewalt der russischen Artillerie ein Schock gewe-<br />

»Übers Wetter muss sich der Ami freuen.« Der Oberst wies zur rief<br />

hängenden Wolkendecke. »Sie fliegen zu tief an, um von unserem<br />

Radar erfaßt zu werden, und wir bekommen sie nicht zu sehen,<br />

bevor sie das Feuer eröffnen.«<br />

»Wie schwer haben sie Ihnen zugesetzt?«<br />

»Überzeugen Sie sich selbst.« Der Oberst wies auf das Schlachtfeld,<br />

auf dem fünfzehn ausgebrannte Panzer lagen. »Das haben<br />

amerikanische Tiefflieger angerichtet - Thunderbolt.«<br />

»Gestern haben Sie aber zwei abgeschossen«, wandte Sergetow<br />

ein.<br />

»Sicher, aber von unseren vier Flakpanzern überlebte nur einer.<br />

Ein Fahrzeug erwischte beide Flugzeuge - Hauptfeldwebel Lupenko.<br />

Ich werde das Rote Banner für ihn beantragen, leider posthum,<br />

denn die zweite Maschine stürzte direkt auf sein Fahrzeug. Er<br />

war mein bester Schütze«, fügte der Oberst bitter hinzu. Ein Feldwebel<br />

reichte ihm den Kopfhörer eines Funkgeräts. Der Offizier<br />

lauschte eine halbe Minute, gab dann eine knappe Antwort und<br />

nickte.<br />

»Fünf Minuten, Genossen. Meine Männer stehen bereit. Würden<br />

Sie mir bitte folgen?«<br />

Der Befehlsbunker war hastig aus Erde und Stämmen errichtet<br />

worden und hatte eine meterdicke Decke. Drinnen drängten sich<br />

zwanzig Mann, das Fernmeldepersonal der beiden angreifenden<br />

357


Reg<strong>im</strong>enter. Das dritte Reg<strong>im</strong>ent der Division stand bereit, um den<br />

Durchbruch zu nutzen und der Panzerdivision den Weg in den<br />

Rücken des Feindes zu ebnen.<br />

Vom Feind waren natürlich weder Truppen noch Fahrzeuge zu<br />

sehen; die hatten sich <strong>im</strong> Wald hinter dem Kamm tief eingegraben.<br />

Der Divisionschef nickte seinem Artillerieroffizier zu, der nach<br />

einem Feldtelefon griff und befahl: »Feuer!«<br />

Es dauerte mehrere Sekunden, bis der Schall sie erreichte. Jedes<br />

verfügbare Geschütz der Division, unterstützt von einer Batterie<br />

der Panzerdivision, brüllte mit einem gewaltigen Donnern los. Die<br />

Granaten schlugen zunächst vor dem Kamm ein, dann wanderte die<br />

Feuerwalze höher. Was eben noch ein sanfter, mit üppigem Gras<br />

bewachsener Hügel gewesen war, verwandelte sich in nackte Erde.<br />

»Die meinen das ernst, Sergeant«, sagte der Ladeschütze und<br />

schloß seine Luke.<br />

Mackall zog Helm und Mikrofon zurecht und spähte durch die<br />

Sehschlitze <strong>im</strong> Turm. Die dicke Panzerung dämpfte den Schall,<br />

doch die Schockwellen <strong>im</strong> Boden kamen durch Ketten und Federung<br />

und rüttelten das Gefährt durch. Jedes Mitglied der Besatzung<br />

sann über die Wucht nach, die erforderlich war, um einen sechzig<br />

Tonnen schweren Panzer zu bewegen. So war der Lieutenant gefallen<br />

- ein Geschoß aus einem schweren Geschütz war direkt auf<br />

seinem Turm gelandet, hatte die dünne Panzerung dort durchschlagen<br />

und das Fahrzeug zur Explosion gebracht.<br />

»Guter Feuerplan, Genosse Oberst«, sagte Alexejew leise. Etwas<br />

heulte über sie hinweg. »Da kommt Ihre Luftunterstützung.«<br />

Vier russische Erdkampfflugzeuge gingen oben auf Parallelkurs<br />

zum Kamm und warfen Napalmbomben ab. Als sie in Richtung der<br />

russischen Linien abdrehten, explodierte eines in der Luft.<br />

»Was war das?«<br />

«Wahrscheinlich eine Roland«, antwortete der Oberst. »Die<br />

deutsche Version unserer Luftabwehrrakete SA-8. Achtung, noch<br />

eine Minute.«<br />

Fünf Kilometer hinter dem Befehlsbunker feuerten zwei Batterien<br />

Raketenwerfer in einem kontinuierlichen Flammenteppich<br />

ihre Geschosse ab, teils mit Sprengköpfen, teils mit Nebelbomben<br />

bestückt.<br />

358


Dreißig Raketen landeten in Mackalls Abschnitt, dreißig <strong>im</strong> Tal<br />

unter ihm. Der Einschlag der Sprengköpfe schüttelte seinen Panzer<br />

heftig durch, und er konnte das Ping von Splittern hören, die von<br />

der Panzerung abprallten. Angst aber machte ihm der Rauch, denn<br />

dieser kündigte den Russen an. An dreißig verschiedenen Stellen<br />

quoll grauweißer Nebel auf und bildete eine künstliche Wolke, die<br />

alles sichtbare Gelände einhüllte. Mackall und sein Richtschütze<br />

schalteten ihre Infrarot-Sichtgeräte ein.<br />

»Buffalo, hier sechs!« rief der Kompaniechef über Funk. »Bitte<br />

melden.«<br />

Mackall lauschte aufmerksam. Alle elf Fahrzeuge waren noch<br />

intakt, geschützt von ihren tiefen Löchern. Wieder pries er die<br />

Pioniere und die deutschen Bauern. Weitere Befehle kamen nicht.<br />

Sie wären auch überflüssig gewesen.<br />

»Feind in Sicht«, meldete der Richtschütze.<br />

Das Infrarot-Zielgerät maß Temperaturunterschiede und konnte<br />

den Großteil des anderthalb Kilometer tiefen Nebelvorhangs<br />

durchdringen. Auch der Wind war auf ihrer Seite und trieb die<br />

Wolke zurück nach Osten. Sergeant First Class Terry Mackall holte<br />

tief Luft und ging an die Arbeit.<br />

»Ziel, ein Uhr! Wuchtmunition! Feuer!«<br />

Der Richtschütze drehte den Turm nach links und nahm den<br />

nächsten sowjetischen Kampfpanzer ins Fadenkreuz. Mit dem<br />

Daumen betätigte er das Laserzielgerät, und ein dünner Lichtstrahl<br />

traf das Ziel. Im Visier erschien das Entfernungs-Display: 1310<br />

Meter. Der Feuerleitcomputer berechnete Entfernung und Geschwindigkeit<br />

des Zieles und stellte die Elevation der Kanone ein,<br />

maß Windgeschwindigkeit und -richtung, Luftdichte und -feuchtigkeit,<br />

die Temperatur der Luft und der Munition des Panzers, und<br />

dann brauchte der Richtschütze das Ziel nur noch ins Visier zu<br />

nehmen. Das Ganze dauerte keine zwei Sekunden, dann drückte<br />

der Schütze ab.<br />

Der Rückstoß trieb das Rohr des 1o5-mm-Geschützes zurück, es<br />

warf die Aluminiumkartusche aus. Die Granate explodierte in der<br />

Luft und gab einen 40 mm starken Pfeil aus Tungsten und Uran frei,<br />

der mit rund 1500 Metern pro Sekunde durch die Luft sauste.<br />

Eine Sekunde später traf das Projektil den Panzer unterm Turm.<br />

Drinnen wollte ein russischer Ladeschütze gerade ein Geschoß<br />

einlegen, doch da durchbrannte der Urankern den schützenden<br />

359


Stahl. Der russische Panzer explodierte, sein Turm flog zehn Meter<br />

hoch in die Luft.<br />

»Treffer!« rief Mackall. »Ziel, zwölf Uhr. Wuchtmunition!<br />

Feuer!«<br />

Der russische und der amerikanische Tank schössen gleichzeitig,<br />

doch das Geschoß des Russen sauste einen Meter über den M-1 in<br />

seiner verdeckten Stellung hinweg. Mackall hatte mehr Glück.<br />

»Stellungswechsel!« verkündete er. »Zurück in Ausweichstellung<br />

eins.«<br />

Der Fahrer hatte bereits den Rückwärtsgang eingelegt und drehte<br />

fest am Gashebel. Sein Panzer beschleunigte rückwärts, fuhr aus<br />

dem Graben in eine scharfe Rechtskurve und hielt auf eine andere,<br />

fünfzig Meter entfernte vorbereitete Stellung zu.<br />

»Verdammter Nebel!« fluchte Sergetow. Sie konnten nicht mehr<br />

sehen, was vorging, da der Wind ihnen den künstlichen Qualm ins<br />

Gesicht blies. Nun war die Schlacht in den Händen von Hauptleuten,<br />

Leutnants und Feldwebeln. Auszumachen waren nur die orangen<br />

Feuerbälle explodierender Fahrzeuge. Der befehlsführende<br />

Oberst trug einen Kopfhörer und bellte seinen Unterführern über<br />

Funk Befehle zu.<br />

Mackall hatte seine erste Ausweichstellung in weniger als einer<br />

Minute erreicht. Diese war parallel zum Kamm gegraben worden.<br />

Er schwenkte den massiven Turm nach links. Inzwischen war russische<br />

Infanterie in Sicht gekommen, die zwischen ihren Schützenpanzern<br />

herlief. Deutsche und amerikanische Artillerie fetzte in ihre<br />

Reihen, doch nicht rasch genug...<br />

»Ziel - Tank mit Antenne, kommt gerade aus dem Wald.«<br />

»Hab ihn!« antwortete der Richtschütze. Er sah einen russischen<br />

Standardpanzer T-8o mit einer langen Funkantenne am Turm. Das<br />

musste ein Kompanie- oder Bataillonschef sein. Er schoß.<br />

In diesem Augenblick schlug der russische Tank einen Haken.<br />

Mackall sah, wie das Leuchtspurgeschoß den Motorraum <strong>im</strong><br />

Heck knapp verfehlte.<br />

»HEAT-Munition!« rief der Richtschütze über die Bordsprechanlage.<br />

»Bereit!«<br />

Der russische Panzer wurde von einem erfahrenen Feldwebel<br />

360


gesteuert, der <strong>im</strong> Zickzack über die Talsohle fuhr. Alle fünf Sekunden<br />

wurde das Steuer herumgerissen.<br />

Der Richtschütze drückte ab. Der Panzer machte be<strong>im</strong> Rückstoß<br />

einen Satz, die leere Kartusche prallte mit metallischem Klang<br />

von der Rückwand des Turmes ab. In dem engen Kampffahrzeug<br />

stank es schon nach der auf Ammoniak basierenden Treibladung.<br />

»Treffer! Sauberer Schuß, Woody!«<br />

Die Granate traf den Russen zwischen die beiden hintersten<br />

Räder und zerstörte den Dieselmotor. Gleich darauf stieg die Besatzung<br />

aus, entkam ins Freie, wo die Luft voller Granatsplitter<br />

war.<br />

Mackall ließ seinen Fahrer einen Stellungswechsel vornehmen.<br />

Als sie die nächste Defilade erreicht hatten, waren die Russen nur<br />

noch fünfhundert Meter entfernt. Der Abrams M-1 gab noch zwei<br />

Schüsse ab, zerstörte einen Mannschaftstransportwagen, schoß<br />

einem Panzer die Kette weg.<br />

»Buffalo, hier sechs. Zurückziehen auf Linie Bravo.«<br />

Als Zugführer fuhr Mackall als erster weg. Er sah, wie seine<br />

beiden anderen Panzer den freien Rückhang des Hügels hinunterrollten.<br />

Auch die Infanterie war auf dem Rückzug entweder in<br />

Mannschaftstransportwagen oder schnell zu Fuß. Freundartillerie<br />

deckte den Kamm mit Spreng- und Nebelgranaten ein, um ihren<br />

Rückzug zu kaschieren. Der Panzer fuhr mit einem Ruck an, beschleunigte<br />

auf 50 Kilometer und raste auf die nächste Verteidigungslinie<br />

zu, ehe die Russen den eben preisgegebenen Kamm<br />

besetzen konnten. Um sie herum schlugen Granaten ein, ließen<br />

zwei deutsche Mannschaftstransportwagen explodieren.<br />

»Beschaffen Sie mir ein Fahrzeug!« befahl Alexejew.<br />

»Das kann ich nicht zulassen. Es darf doch kein General -«<br />

»Verflucht noch mal, schaffen Sie ein Fahrzeug herbei! Ich muss<br />

das beobachten«, wiederholte Alexejew.<br />

Eine Minute später stieg er mit Sergetow und dem Oberst in ein<br />

Gefechtsstandfahrzeug BMP, das zur Position raste, die eben noch<br />

von Nato-Truppen gehalten worden war. Sie fanden ein Loch, das<br />

zwei Männern Schutz geboten hatte, bis einen Meter daneben eine<br />

Rakete eingeschlagen war.<br />

Sergetow drehte sich um. »Verdammt, wir haben hier zwanzig<br />

Panzer verloren!«<br />

361


»Deckung!» Der Oberst stielß die beiden in das blutige Loch. Ein<br />

Hagel von Nato-Granaten ging auf den Kamm nieder.<br />

»Eine Gatling-Kanone!« rief der Richtschütze. Auf dem Kamm<br />

tauchte eine selbstfahrende Fla-Kanone auf, die einen Augenblick<br />

später von einem HEAT-Geschoß zerrissen wurde wie ein Plastikspielzeug.<br />

Das nächste Ziel war ein russischer Panzer, der den<br />

Hügel, den sie gerade verlassen hatten, hinunterfuhr.<br />

»Kopf hoch, Luftunterstützung kommt!« Mackall zog eine Gr<strong>im</strong>asse<br />

und hoffte nur, dass der Pilot die Böcke von den Schafen<br />

trennen konnte.<br />

Alexejew sah das zwe<strong>im</strong>otorige Kampfflugzeug in das Tal hinabstoßen.<br />

Seine Nase verschwand hinter Flammenbündeln, als der<br />

Pilot die Panzerabwehrkanone abfeuerte. Vor den Augen des Generals<br />

explodierten vier Panzer. Der Thunderbolt schien in der Luft zu<br />

taumeln und drehte dann nach Westen ab, verfolgt von einer Rakete.<br />

Doch die SA-7 erreichte ihn nicht.<br />

»Das Teufelskreuz?« fragte er. Der Oberst nickte kurz, und nun<br />

verstand Alexejew, woher die Maschine ihren Namen hatte. Aus<br />

einem best<strong>im</strong>mten Winkel gesehen glich das amerikanische Kampfflugzeug<br />

einem stilisierten russisch-orthodoxen Kruzifix.<br />

»Ich habe gerade das Reservereg<strong>im</strong>ent einsetzen lassen. Mag sein,<br />

dass wir sie in die Flucht geschlagen haben«, meinte der Oberst.<br />

Und das, sagte sich Sergetow ungläubig, soll ein erfolgreicher<br />

Angriff sein?<br />

Mackall sah zwei Panzerabwehrraketen auf die russischen Linien<br />

zufliegen. Ein Fehlschuß, ein Treffer. Von beiden Seiten drang mehr<br />

Nebel, als sich die Nato-Truppen um weitere fünfhundert Meter<br />

zurückzogen. Das Dorf, das sie verteidigten, geriet nun in Sicht.<br />

Sergeant Mackall hatte bisher fünf Panzer abgeschossen, ohne<br />

einen Treffer einstecken zu müssen, aber dieses Glück konnte nicht<br />

<strong>im</strong>mer währen. Inzwischen hatte die eigene Artillerie in den Kampf<br />

eingegriffen. Die russische Infanterie war auf die Hälfte ihrer ursprünglichen<br />

Stärke reduziert, und ihre Kettenfahrzeuge hielten<br />

sich zurück, versuchten, die Nato-Positionen mit Raketen anzugreifen.<br />

Insgesamt sah es nicht übel aus, doch dann erschien das<br />

dritte Reg<strong>im</strong>ent.<br />

362


Vor ihm tauchten fünfzig Tanks auf dem Hügel auf. Ein A-1o<br />

sauste über die Linie und schoß zwei ab, wurde dann aber von einer<br />

SAM vom H<strong>im</strong>mel geholt. Die brennenden Trümmer landeten<br />

dreihundert Meter vor Mackalls Panzer.<br />

»Ziel, ein Uhr. Feuer!« Wieder erbebte der Abrams unter dem<br />

Rückstoß. »Treffer!« Ein russischer Panzer weniger.<br />

»Warnung, Warnung!« rief der Kompaniechef. »Feindhubschrauber<br />

aus Norden!«<br />

Zehn Mi-24 Hind erschienen mit Verspätung, machten das aber<br />

mit dem Abschuß zweier Panzer in weniger als einer Minute wett.<br />

Dann tauchten deutsche Phan<strong>tom</strong>s auf, griffen sie mit Luftkampfraketen<br />

und Bordwaffen in einem wilden Durcheinander an, in dem<br />

plötzlich auch Luft-Boden-Raketen eingesetzt wurden. Rauchfahnen<br />

kreuzten den H<strong>im</strong>mel, und plötzlich war kein Flugzeug mehr zu<br />

sehen.<br />

» Der Angriff bleibt stecken «, meinte Alexejew. Er hatte gerade eine<br />

wichtige Lektion gelernt: Gegen feindliche Jäger haben Kampfhubschrauber<br />

keine Chance. Gerade als er geglaubt hatte, die Mi-24<br />

würden die Entscheidung bringen, waren sie von den deutschen<br />

Kampfflugzeugen abgedrängt worden. Die Artillerieunterstützung<br />

ließ nach. Die Schützen der Nato bekämpften die sowjetischen<br />

Kanonen geschickt und wurden von Erdkampfflugzeugen unterstützt.<br />

Kein Zweifel, bessere Luftunterstützung an der Front war<br />

vonnöten.<br />

»Das da oben auf dem Kamm sieht wie ein Gefechtswagen aus.<br />

Können Sie ihn erreichen?«<br />

»Hm, weit entfernt, ich...«<br />

Peng! Eine Granate streifte den Turm.<br />

»Panzer, drei Uhr, angreifen ...«<br />

Der Richtschütze drehte an der Gabel, aber es tat sich nichts.<br />

Sofort langte er nach der manuellen Schwenkeinrichtung. Mackall<br />

griff das Ziel mit dem MG an, dessen Geschosse von dem heranfahrenden<br />

T-8o, der aus dem Nichts aufgetaucht zu sein schien, abprallten.<br />

Der Richtschütze drehte verzweifelt an der Kurbel; eine<br />

zweite Granate krachte gegen ihre Panzerung. Der Fahrer half ihm<br />

durch ein Wendemanöver und hoffte nur, dass sie in der Lage sein<br />

würden, das Feuer zu erwidern.<br />

363


Der Druck des ersten Treffers harten den Computer ausfallen<br />

lassen. Der T-8o war keine tausend Meter mehr entfernt, als der<br />

Richtschütze ihn ins Visier bekam und ein HEAT-Geschoß abfeuerte,<br />

das danebenging. Der Ladeschütze warf ein neues in den<br />

Verschluß. Wieder Feuer: Treffer!<br />

»Hinter dem kommen noch mehr«, warnte der Richtschütze.<br />

»Buffalo sechs, hier 31, Feind in unserer Flanke. Wir brauchen<br />

Hilfe«, gab Mackall durch und wandte sich dann an den Fahrer:<br />

»Scharf links und zurück, aber schnell.«<br />

Das ließ sich der Mann nicht zwe<strong>im</strong>al sagen. Er zog eine Gr<strong>im</strong>asse,<br />

schaute durch sein winziges Prisma und zog den Gashebel<br />

bis zum Anschlag zurück. Der Panzer raste rückwärts und nach<br />

links; derweil versuchte der Richtschütze, ein anderes Ziel zu erfassen<br />

- doch auch die au<strong>tom</strong>atische Stabilisierung war ausgefallen.<br />

Nun konnten sie nur <strong>im</strong> Stillstand akkurat feuern, und Stillstand<br />

war tödlich.<br />

Wieder kam ein Thunderbolt <strong>im</strong> Tiefflug und warf Streubomben<br />

auf die russische Formation. Zwei weitere sowjetische Tanks blieben<br />

liegen, doch als sich das Kampfflugzeug entfernte, zog es eine<br />

Rauchwolke hinter sich her. Nun griff auch die Artillerie ein, um<br />

das sowjetische Manöver zu stoppen.<br />

»Bleiben Sie doch endlich mal stehen, dass ich einen von den<br />

Kerlen abknallen kann!« schrie der Richtschütze. Der Panzer hielt<br />

sofort an. Er feuerte und traf die Kette eines T-72. »Nachladen!«<br />

Ein zweiter Panzer gesellte sich zweihundert Meter links zu Makkalls.<br />

Dann erschien wieder ein sowjetischer Hubschrauber und<br />

brachte den Panzer des Kompaniechefs mit einer Rakete zur Explosion.<br />

Die deutsche Infanterie war bei der Umgruppierung und<br />

schoß den Hubschrauber mit einer Stinger-Rakete ab. Mackall sah<br />

zwei HOT-Panzerabwehrraketen links und rechts an seinem Turm<br />

vorbeifliegen und bei den herannahenden Sowjets Ziele finden.<br />

»Panzer mit Antenne, direkt vor uns.«<br />

»Schon entdeckt! Wuchtmunition!« Der Richtschütze kurbelte<br />

den Turm zurück nach rechts, korrigierte die Elevarion des Rohrs<br />

und feuerte.<br />

»Hauptmann Alexandrow!« brüllte der Divisionskommandeur ins<br />

Mikrofon. Die Sendung des Bataillonskommandeurs war mitten <strong>im</strong><br />

Wort abgebrochen. Der Oberst benutzte sein Funkgerät zu häufig.<br />

364


Sechzehn Kilometer weiter erfaßte eine deutsche Batterie Panzerhaubitzen<br />

155 mm M 109 G die Funksignale und gab rasch zwanzig<br />

Schulß ab.<br />

Alexejew hörte die Granaten heranheulen und sprang in ein<br />

deutsches Schützenloch, zerrte Sergetow mit sich. Fünf Sekunden<br />

später erfüllten Qualm und Lärm die Luft.<br />

Der General steckte den Kopf aus dem Loch und sah, dass der<br />

Oberst noch auf den Beinen war und Befehle ins Mikrofon schrie.<br />

Hinter ihm stand der Gefechtswagen mit den Funkgeräten in Flammen.<br />

Fünf Männer waren tot.<br />

Mackall schoß noch einen Panzer ab, aber aufgehalten wurde der<br />

Angriff von den Deutschen mit ihren letzten HOT-Raketen. Der<br />

russische Kommandeur verlor die Nerven, als über die Hälfte der<br />

Panzer seines Bataillons getroffen wurden. Der Rest nebelte sich ein<br />

und zog sich nach Süden hinter den Hügel zurück, verfolgt von<br />

Artilleriegeschossen.<br />

»Mackall, wie sieht's bei Ihnen aus?« erkundigte sich der stellvertretende<br />

Kommandeur.<br />

»Wo ist sechs?«<br />

»Links von euch.« Mackall wandte den Kopf und sah den brennenden<br />

Panzer des Kompaniechefs.<br />

»Außer uns niemand, Sir. Wie viele sind übrig?«<br />

»Ich zähle vier.«<br />

Mein Gott, dachte der Sergeant.<br />

»Wenn Sie mir ein Reg<strong>im</strong>ent von der Panzerdivision geben, schaffe<br />

ich es!« beharrte der Oberst. »Der Feind hat uns nichts mehr<br />

entgegenzusetzen!« Er blutete aus einer oberflächlichen Gesichtswunde.<br />

»Darum kümmere ich mich. Wann können Sie den Angriff fortsetzen<br />

?«<br />

»In zwei Stunden. So lange brauche ich zum Neugruppieren.«<br />

»Gut. Ich muss zurück in mein Hauptquartier. Der Feind hat<br />

heftigeren Widerstand geleistet, als Sie erwarteten, Genosse Oberst.<br />

Abgesehen davon haben sich Ihre Leute gut gehalten. Die Feindlage<br />

muss besser erkundet werden. Ziehen Sie Ihre Gefangenen zusammen<br />

und verhören Sie sie rigoros!«<br />

Alexejew entfernte sich, gefolgt von Sergetow.<br />

365


»Schl<strong>im</strong>mer, als ich erwartet hatte«, bemerkte der Hauptmann,<br />

als sie in ihrem Fahrzeug saßen.<br />

»Sie müssen uns mindestens ein Reg<strong>im</strong>ent entgegengestellt haben.«<br />

Alexejew zuckte die Achseln. »Solche Fehler dürfen wir uns<br />

nicht oft leisten, wenn wir Erfolg haben wollen. Wir sind in zwei<br />

Stunden vier Kilometer vorgedrungen, doch die Verluste waren<br />

mörderisch. Und diese Ärsche von der Luftwaffe! Denen werde ich<br />

was erzählen, wenn ich zurück bin!«<br />

»Damit sind Sie der stellvertretende Kommandeur«, sagte der Lieutenant.<br />

Wie sich herausgestellt hatte, waren noch fünf Panzer übrig.<br />

Bei einem waren beide Funkgeräte ausgefallen. »Sie haben sich<br />

großartig gehalten.«<br />

»Wie sieht's bei den Deutschen aus?« fragte Mackall seinen<br />

neuen Vorgesetzten.<br />

»Fünfzig Prozent Verluste, und der Iwan hat uns vier Kilometer<br />

zurückgeworfen. Viel mehr überstehen wir nicht. In einer Stunde<br />

können wir mit Verstärkung rechnen. Ich habe das Reg<strong>im</strong>ent nun<br />

davon überzeugt, dass der Iwan es auf diesen Abschnitt abgesehen<br />

hat. Wir bekommen also Hilfe. Und die Deutschen auch; ihnen ist<br />

ein weiteres Bataillon bis zum Abend, vielleicht noch eins bis morgen<br />

vor Sonnenaufgang versprochen worden. Fahren Sie jetzt Tanken<br />

und Nachladen. Kann sein, dass unsere Freunde bald wieder<br />

kommen. Und noch etwas. Der Colonel sagt, dass Sie ab sofort<br />

Offizier sind.«<br />

Mackalls Panzer brauchte zehn Minuten zu den Verteilerpunkten<br />

Munition und Betriebsstoff. Das Auftanken dauerte zehn Minuten;<br />

in der Zwischenzeit lud die erschöpfte Besatzung neue Munition<br />

ein. Seltsam fand der Sergeant, dass er mit fünf Schuß weniger<br />

als gewöhnlich zurück an die Front musste.<br />

»Sie sind verletzt, Pascha.« Der jüngere Mann schüttelte den Kopf.<br />

»Ach was, ich habe mir nur be<strong>im</strong> Aussteigen aus dem Hubschrauber<br />

den Handrücken aufgekratzt.« Alexejew saß dem Kommandeur<br />

gegenüber und leerte eine Feldflasche Wasser.<br />

»Wie ging der Angriff?«<br />

»Der Widerstand war erbittert. Man sagte uns, wir hätten mit<br />

zwei Bataillonen Infanterie und Panzern zu rechnen, ich aber<br />

glaube, dass wir es eher mit dem dez<strong>im</strong>ierten Reg<strong>im</strong>ent zu tun<br />

366


hatten, das aus gut vorbereiteten Positionen heraus verteidigte.<br />

Dennoch gelang uns der Durchbruch fast. Der kommandierende<br />

Oberst hatte einen guten Plan, und seine Manner schlugen sich<br />

tapfer. Wir warfen den Feind bis in Sichtweite des Angriffsziels<br />

zurück. Für die nächste Attacke möchte ich ein Reg<strong>im</strong>ent von der<br />

OMG abziehen."<br />

„Das ist uns nicht gestattet. "<br />

"Wie bitte?" fragte Alexejew verdutzt.<br />

„Die Operativen Mobilen Gruppen müssen intakt bleiben, bis<br />

der Durchbruch erzielt ist. Befehl aus Moskau. "<br />

„Nur ein Reg<strong>im</strong>ent mehr wird die Entscheidung bringen. Das<br />

Ziel ist in Sicht! Wir haben eine Mot-Schützendivision aufreiben<br />

lassen, um so weit zu kommen, und die Hälfte einer weiteren<br />

verloren. Diese Schlacht kann gewonnen, die Front der Nato entscheidend<br />

durchbrochen werden, wenn wir handeln, und zwar<br />

jetzt!«<br />

"Sind Sie sicher?«<br />

«Ja, aber wir müssen sofort zuschlagen. Das führende Reg<strong>im</strong>ent<br />

der 3o. Garde-Panzerdivision ist nur eine Stunde von der Front<br />

entfernt. Wenn wir es binnen einer halben Stunde m Marsch setzen,<br />

kann es am nächsten Angriff teilnehmen. Im Grunde sollten wir die<br />

ganze Division heranführen."<br />

„Gut, ich will STAWKA um Erlaubnis bitten.«<br />

Alexejew lehnte sich zurück und schloß die Augen. Typisch für<br />

die sowjetische Befehlsstruktur: Selbst der Befehlshaber eines Operationsgebietes<br />

musste um Erlaubnis fragen, wenn er vom Plan<br />

abweichen wollte. Die Genies vom Generalstab in Moskau brüteten<br />

eine Stunde lang über ihren Karten; dann wurde das erste<br />

Reg<strong>im</strong>ent der 3o.Garde-Panzerdivision freigestellt und erhielt den<br />

Befehl, zusammen mit der Mot-Schützendivision am nächsten Angriff<br />

teilzunehmen. Es traf jedoch mit Verspätung ein, und die<br />

Attacke musste um neunzig Minuten verschoben werden.<br />

Second Lieutenant Terry Mackall - er war viel zu müde, sich wegen<br />

der Beförderung Gedanken zu machen - fragte sich, wie ernst man<br />

diese kleine Panzerschlacht an der Spitze nahm. Zwei Bataillone der<br />

Bundeswehr trafen mit Kettenfahrzeugen ein und lösten die erschöpfte<br />

deutsche Infanterie ab, um in dem Dorf und seiner Umgebung<br />

Verteidungsstellungen vorzubereiten. Eine Kompanie mit Leo­<br />

367


pard-Panzern und zwei Züge mit Abrams M-1 verstärkten die<br />

Position. Den Oberbefehl hatte ein deutscher Oberst, der mit dem<br />

Hubschrauber eintraf und alle Verteidigungsstellungen inspizierte.<br />

Zäher kleiner Kerl, dachte Mackall, Heftpflaster <strong>im</strong> Gesicht,<br />

schmaler, verkniffener Mund. Wenn der Russe hier durchbrach,<br />

konnte er in der Lage sein, jene deutschen und britischen Verbände,<br />

die den tiefsten russischen Vorstoß in den Vororten von Hannover<br />

gestoppt hatten, in der Flanke anzugreifen. Aus diesem Grund war<br />

der Kampf um Bieben für die Deutschen so wichtig.<br />

Die deutschen Leoparden lösten die Amerikaner an der Front ab,<br />

und die Kompanie hatte nun wieder ihre volle Stärke von vierzehn<br />

Fahrzeugen erreicht. Mackall befehligte die südliche Gruppe, fand<br />

die letzte Linie vorbereiteter Stellungen südöstlich des Dorfes,<br />

schritt seinen Abschnitt ab und besprach sich mit jedem Panzerkommandanten.<br />

Die Deutschen hatten gründliche Arbeit geleistet.<br />

Stellungen, vor denen nichts wuchs, waren mit verpflanztem Buschwerk<br />

getarnt. Fast alle Dorfbewohner hatte man evakuiert, doch<br />

eine Handvoll Menschen war nicht bereit, ihre Häuser <strong>im</strong> Stich zu<br />

lassen. Einer von diesen brachten den Panzerbesatzungen eine<br />

warme Mahlzeit, doch Mackalls Leute hatten keine Gelegenheit,<br />

sie zu essen. Der Richtschütze reparierte zwei lose Klemmen und<br />

stellte den widerspenstigen Feuerleitrechner neu ein. Ladeschütze<br />

und Fahrer arbeiteten an einer losen Kette. Noch ehe sie fertig<br />

waren, begannen um sie herum Artilleriegranaten einzuschlagen.<br />

Alexejew wollte dabeisein. Er hatte eine Telefonverbindung zur<br />

Division und hörte den Führungskreis der Division ab. Der Oberst<br />

- Alexejew beabsichtigte, ihm zum General zu machen, wenn der<br />

Angriff Erfolg hatte - beschwerte sich, er habe zu lange warten<br />

müssen. Auf sein Ersuchen hin hatten die Aufklärer die feindlichen<br />

Linien überflogen. Eine der Maschinen war verschwunden, der<br />

Pilot der anderen meldete Truppenbewegungen, konnte aber keine<br />

exakten Angaben über die Stärke machen; er war voll damit beschäftigt<br />

gewesen, Luftabwehrraketen auszuweichen. Der Oberst<br />

befürchtete eine Verstärkung der feindlichen Kräfte, konnte aber<br />

mangels eindeutiger Informationen weder eine Verzögerung noch<br />

weitere Verstärkungen rechtfertigen.<br />

368


Auch Mackall machte aus der Distanz seine Beobachtungen.<br />

Zwanzig Minuten, nachdem ein starker russischer Vormarsch gemeldet<br />

worden war, stellte er Bewegung fest. Deutsche Mannschaftstransportwagen<br />

strömten den Hang hinunter auf das Dorf<br />

zu. Im Norden erschienen einige sowjetische Hubschrauber, wurden<br />

diesmal aber von einer <strong>im</strong> Dorf versteckten Roland-Batterie<br />

angegriffen. Drei explodierten, der Rest zog sich zurück. Dann<br />

kamen die deutschen Leoparden. Mackall zählte und stellte fest,<br />

daß drei fehlten. Nato-Artillerie nahm die Hügel unter Dauerbeschuß,<br />

und sowjetische Granaten schlugen in die Felder rund um<br />

die amerikanischen Panzer ein. Dann erschienen die Russen.<br />

»Buffalo, Feuerverbot für alle Einheiten!« befahl der Kompaniechef<br />

über Funk. »Wiederhole: generelles Feuerverbot.«<br />

Mackall sah, dass die Deutschen sich durchs Dorf zurückzogen,<br />

und erkannte nun den Plan des Bundeswehr-Obersten. Astrein,<br />

dachte er.<br />

»Sie sind auf der Flucht!« teilte der Oberst Alexejew über den<br />

Führungskreis mit. Auf dem Kartentisch vor dem General wurden<br />

Symbole bewegt und mit Fettstift Positionen eingetragen. Nun<br />

zeichnete man in Rot eine Lücke in den deutschen Linien ein. Die<br />

sowjetische Panzerspitze war jetzt noch fünfhundert Meter von<br />

Bieben entfernt und raste durch die zwei Kilometer breite Lücke<br />

zwischen den Panzern der 2. Kompanie. Der deutsche Oberst gab<br />

dem amerikanischen Kompaniechef einen Befehl.<br />

»Buffalo, hier sechs. Drauf!« Augenblicklich feuerten zwölf Panzer<br />

und trafen neun Ziele.<br />

»Woody, achten Sie auf Antennen«, befahl Mackall seinem<br />

Richtschützen. Der Richtschütze schwenkte den Turm nach rechts<br />

und suchte die hinteren sowjetischen Reihen ab.<br />

»Da ist einer! HEAT-Munition! Zielabstand zweitausendsechshundert<br />

-« Der Panzer schlingerte, der Richtschütze verfolgte die<br />

Leuchtspur des Geschosses. »Treffer!«<br />

Die zweite Salve der M-1 setzte acht Panzer außer Gefecht, dann<br />

trafen auch noch aus dem Dorf abgeschossene Panzerabwehrraketen.<br />

Die Russen hatten Tanks in verdeckten Stellungen in den<br />

Flanken und vor sich ein Dorf, das vor Panzerabwehrraketen nur so<br />

starrte: Der Oberst der Bundeswehr hatte einen mobilen Hinterhalt<br />

eingerichtet, in den die Russen bei der Verfolgung getappt waren.<br />

369


Schon stürmten die Leoparden links und rechts hinterm Dorf hervor,<br />

um die Russen in offenem Gelände anzugreifen. Wieder ließ der<br />

Fliegerleitoffizier seine Jagdbomber auf die Stellungen der sowjetischen<br />

Artillerie niederstoßen. Sowjetische Jäger stellten sich ihnen<br />

entgegen, konnten aber nicht gleichzeitig in den Kampf am Boden<br />

eingreifen, und nun flogen mit Raketen bewaffnete deutsche Kampfhubschrauber<br />

vom Typ Gazelle aufs Schlachtfeld. Die russischen<br />

Panzer nebelten sich ein und versuchten verzweifelt, den Feind<br />

anzugreifen, doch die Amerikaner hatten sich tief eingegraben, und<br />

die deutschen Raketenschützen <strong>im</strong> Dorf wechselten nach jedem<br />

Schuß geschickt die Stellung.<br />

Mackall verlegte einen Zug nach rechts, den anderen nach links.<br />

Erst schoß sein Richtschütze noch einmal den Tank eines Kommandeurs<br />

ab, dann umschlosssen die Deutschen den russischen Verband<br />

<strong>im</strong> Norden und <strong>im</strong> Süden. Die Deutschen, obgleich zahlenmäßig<br />

unterlegen, überraschten die Russen und bestrichen die Panzersäule<br />

mit ihren schweren 12o-mm-Gechützen. Der sowjetische Kommendeur<br />

forderte noch einmal Hubschrauber an. Diese überraschten<br />

und zerstörten drei deutsche Panzer, doch dann begannen vom<br />

H<strong>im</strong>mel aufs neue Raketen auf sie herabzuregnen. Und jetzt wurde<br />

es zuviel. Der sowjetische Verband machte kehrt und zog sich zu den<br />

Hügeln zurück, von den Deutschen verfolgt. Der Gegenangriff<br />

wurde überaus energisch durchgeführt, und Mackall wusste, dass<br />

niemand das besser brachte als die »Krauts«. Als er den Befehl<br />

erhielt, sich in Bewegung zu setzen, war die ursprüngliche Verteidigungsstellung<br />

wieder in alliierter Hand. Die Schlacht hatte eine gute<br />

Stunde gedauert. Auf der Straße nach Bieben waren zwei sowjetische<br />

Mot-Schützendivisionen stark dez<strong>im</strong>iert worden.<br />

Die Besatzung öffnete die Luken, um frische Luft in den stickigen<br />

Turm zu lassen. Auf dem Boden klapperten fünfzehn leere Kartuschen<br />

herum. Der Feuerleitrechner war wieder einmal ausgefallen,<br />

aber Woody hatte vier Panzer abgeschossen, zwei sogar mit sowjetischen<br />

Offizieren. Der Kompaniechef kam <strong>im</strong> Jeep angefahren.<br />

»Drei Panzer beschädigt«, meldete Mackall. »Müssen geborgen<br />

und repariert werden.« Sein Gesicht verzog sich zu einem breiten<br />

Grinsen. »Dieses Dorf nehmen sie uns nie ab!«<br />

»Die Bundeswehreinheiten haben die Entscheidung gebracht.«<br />

Der Lieutenant nickte. »Okay, zurück zum Versorgungspunkt Munition.«<br />

370


»Ach ja, be<strong>im</strong> letzten Mal bekamen wir fünf Schuß zuwenig.«<br />

»Die Munitionszuweisung ist gekürzt worden, weil der Nachschub<br />

nicht so rasch wie erwartet über den Atlantik kommt.«<br />

»Dann soll jemand diesen Ärschen von der Navy ausrichten, wir<br />

könnten die Russen zurück über die Grenze werfen, wenn die<br />

Marine nur ihren Part richtig spielen würde.«<br />

USS Pharris<br />

Noch nie hatte Morris auf der Reede Hampton Roads so viele<br />

Schiffe gesehen. Mindestens sechzig Frachter schwojten vor Anker,<br />

und eine verstärkte Eskorte war <strong>im</strong> Begriff, sie hinaus auf See zu<br />

geleiten. Auch die Saratoga lag hier; an Land wurde Ersatz für ihren<br />

Hauptmast gefertigt. Zahlreiche Flugzeuge kreisten, und mehrere<br />

Schiffe hatten ihr Suchradar aktiviert für den Fall, dass sich ein<br />

sowjetisches U-Boot an die Küste heranschlich und Cruise Missiles<br />

auf die dicht liegenden Schiffe abfeuerte.<br />

Die Pharris bunkerte und nahm Treibstoff für ihren Hubschrauber<br />

an Bord. Der ASROC und die sechs Düppelraketen, die sie<br />

verschossen hatten, waren bereits ersetzt worden. Ansonsten<br />

musste nur noch Verpflegung an Bord genommen werden. In zwölf<br />

Stunden sollten sie wieder auslaufen: ein Zwanzig-Knoten-Geleitzug,<br />

der schweres Gerät und Munition in die französischen Häfen<br />

Le Havre und Brest bringen sollte.<br />

Morris hatte eine Lagemeldung des Nachrichtendienstes der<br />

Flotte zu sehen bekommen. Das Gesamtbild war inzwischen noch<br />

düsterer. Zwanzig U-Boote der Nato besetzten nun die Lücken<br />

zwischen Grönland, Island und Großbritannien, um den Verlust<br />

der SOSUS-Barriere einigermaßen wettzumachen. Sie hatten eine<br />

beträchtliche Anzahl sowjetischer U-Boote versenkt, meldeten aber<br />

auch, dass ihnen einige durchs Netz geschlüpft waren, und Morris<br />

wusste, dass auf jeden gemeldeten Durchbruch vier oder fünf unbekannte<br />

kamen. Der erste Geleitzug hatte die Überfahrt so gut wie<br />

unbelästigt hinter sich gebracht, denn die wenigen sowjetischen U--<br />

Boote, die sich damals <strong>im</strong> Atlantik befunden hatten, waren gezwungen<br />

gewesen, ihre Ziele mit großer Fahrt lärmend anzulaufen.<br />

Inzwischen sah das anders aus. Nun lauerten <strong>im</strong> Atlantik um die<br />

sechzig Boote, mindestens die Hälfte mit Nuklearantrieb.<br />

371


Dann die Backfire. Der Geleitzug sollte eine südliche Route<br />

nehmen, die die Überfahrt um zwei volle Tage verlängerte, aber<br />

die sowjetischen Bomber zwang, an der äußersten Grenze ihrer<br />

Reichweite zu operieren. Dreißig Minuten vor jedem Satellitendurchlauf<br />

sollte der Geleitzug auf Westkurs gehen in der Hoffnung,<br />

dass die Sowjets ihre Bomber und U-Boote dann an die<br />

falsche Stelle beorderten. Zwei Trägerverbände waren auf See und<br />

sollten nach Möglichkeit Unterstützung bieten. Ihre Aufgabe war<br />

es, die Backfire in eine Falle zu locken. Zu diesem Zweck fuhren<br />

sie auf Umwegen und versuchten, sich der Erfassung durch Satelliten<br />

zu entziehen. Morris wusste, dass das möglich, nur eine komplizierte<br />

Geometrieaufgabe war, die Bewegungsfreiheit der Träger<br />

aber stark einschränkte. Zudem würden die Träger wertvolle U-<br />

Jagd-Flugzeuge vom Geleitzug abziehen. Morris, der das Rauchen<br />

schon vor Jahren aufgegeben hatte, steckte sich eine filterlose<br />

Zollfreie an und sagte sich, die zusätzliche Gefährdung seiner Gesundheit<br />

sei derzeit nur Nebensache. Inzwischen waren neun Zerstörer<br />

und Fregatten versenkt worden, zwei mit der gesamten Besatzung.<br />

Island<br />

Edwards hatte die rostroten Höhenlinien auf der Karte hassen<br />

gelernt. Jede bedeutete einen Höhenunterschied von zwanzig Metern.<br />

Stellenweise waren diese Linien drei Mill<strong>im</strong>eter voneinander<br />

entfernt. Anderswo aber lagen sie so dicht beieinander, dass der<br />

Lieutenant halb damit rechnete, auf eine senkrechte Felswand zu<br />

stoßen. Er war einmal mit seinem Vater in Washington gewesen<br />

und erinnerte sich noch, mit welcher Verachtung sie an den Schlangen<br />

vor den Aufzügen zum Washington Monument vorbeigegangen<br />

waren. Sie hatten das einhundertfünfzig Meter hohe Bauwerk<br />

über die Wendeltreppe erklommen und waren erschöpft, aber stolz<br />

auf der Aussichtsplattform angekommen. Eine vergleichbare Höhe<br />

musste er nun alle neunzig Minuten überwinden - aber es gab keine<br />

glatten, regelmäßigen Stufen, keinen Aufzug nach unten und auch<br />

kein Taxi zum Hotel.<br />

Drei Stunden nach dem Aufbruch überwanden sie zehn Höhenlinien<br />

(oder zweihundert Meter) und überschritten laut Karte die<br />

372


Grenze zwischen den Kreisen Skorradalshreppur und Lundarreykjadashreppur.<br />

Kein Schild verkündete diesen Sachverhalt. Hier waren<br />

nur Einhe<strong>im</strong>ische unterwegs, und die kannten sich sowieso aus.<br />

Zwei Kilometer weiter wurden sie mit einem verhältnismäßig ebenen<br />

Geländestrich zwischen zwei Mooren belohnt. Der Boden war<br />

mit Geröll und Asche von einem vier Kilometer entfernten erloschenen<br />

Vulkan bedeckt.<br />

»Pause!« rief Edwards und setzte sich neben einen meterhohen<br />

Felsblock, der ihm als Rücklehne dienen sollte. Zu seiner Überraschung<br />

kam Vigdis zu ihm und setzte sich ihm gegenüber.<br />

»Wie geht's heute?« fragte er. Ihr Blick war nicht mehr so leblos,<br />

stellte er fest. War die schreckliche Erinnerung verblaßt? Nein,<br />

schloß er, dieses Grauen würde sie nie vergessen. Aber das Leben<br />

ging weiter, und die Zeit heilte viele Wunden.<br />

»Ich habe Ihnen noch nicht gedankt. Sie haben mir das Leben<br />

gerettet.«<br />

»Ich konnte nicht zulassen, dass man Sie umbrachte«, erwiderte<br />

er und fragte sich, ob er das auch ehrlich meinte. Hätte er die<br />

Russen auch angegriffen, wenn die drei Hausbewohner schon tot<br />

gewesen wären? Oder hätte er abgewartet und das Haus erst ausgeplündert,<br />

als sie wieder fort waren? Zeit, sich der Wahrheit zu<br />

stellen.<br />

»Ich tat das nicht nur Ihretwegen.«<br />

»Das verstehe ich nicht.«<br />

Edwards holte seine Brieftasche hervor und zeigte ihr ein fünf<br />

Jahre altes Foto. »Das ist Sandy, Sandra Miller. Wir wuchsen in<br />

einer Straße auf und gingen zusammen zur Schule. Vielleicht hätten<br />

wir eines Tages geheiratet«, sagte er leise. Vielleicht auch nicht,<br />

fügte er insgehe<strong>im</strong> hinzu; Menschen ändern sich. »Ich ging auf die<br />

Luftwaffenakademie, sie zur University of Connecticut in Hartford.<br />

Zwei Jahre später verschwand sie. Eine Woche später fand<br />

man sie <strong>im</strong> Straßengraben. Sie war vergewaltigt und ermordet<br />

worden. Man konnte dem Verdächtigen nichts nachweisen, aber da<br />

er zwei andere junge Frauen vergewaltigt hatte, kam er in eine<br />

Nervenheilanstalt. Es hieß, er sei geistig gestört und daher nicht<br />

schuldfähig gewesen. Eines Tages wird er also als geheilt entlassen.<br />

Aber Sandy ist und bleibt tot.« Edwards starrte zu Boden. »Ich<br />

konnte nichts machen, war ja kein Polizist. Außerdem war ich<br />

zweitausend Meilen entfernt. Diesmal aber war ich an Ort und<br />

373


Stelle.« Seine St<strong>im</strong>me verriet keine Emotionen. »Diesmal war die<br />

Lage anders.«<br />

»Lieben Sie Sandy noch?«, fragte Vigdis.<br />

Was sage ich jetzt? fragte sich Mike. Liebe empfand er jetzt, fünf<br />

Jahre später, wohl nicht mehr. Außerdem hatte er ja nicht gerade<br />

keusch gelebt. Er sah sich das Bild an, das drei Tage vor ihrem Tod<br />

aufgenommen worden war. Dunkles, schulterlanges Haar, der<br />

Kopf ein wenig geneigt, das schelmische Lächeln, das mit einem<br />

ansteckenden Lachen einhergegangen war... alles vergangen.<br />

»Ja«, antwortete er schließlich, und nun schwang Gefühl mit.<br />

»Sie haben es also für Ihre Sandy getan?«<br />

»Ja«, log Edwards und dachte: Ich habe es um meiner selbst<br />

willen getan.<br />

»Ich weiß noch nicht einmal, wie Sie heißen.«<br />

»Mike. Michael Edwards.«<br />

»Sie haben es für mich getan, Michael. Ich habe Ihnen mein<br />

Leben zu verdanken.« Der Hauch eines Lächelns. Sie legte ihre<br />

Hand auf seine. Sie war weich und warm.<br />

374


Keflavik, Island<br />

27<br />

Verluste<br />

»Anfangs dachten wir, sie wären nur von der Küstenstraße abgekommen.<br />

Das fanden wir <strong>im</strong> Fahrzeug.« Der Major der Militärpolizei<br />

hielt eine zerbrochene Wodkaflasche hoch. »Dann aber entdeckte<br />

ein Sanitäter an einer der Leichen eine Stichwunde.«<br />

»Und Sie haben die Isländer als lammfromm bezeichnet, Genosse<br />

General«, bemerkte der KGB-Oberst trocken.<br />

»Der Fall läßt sich nur schwer rekonstruieren«, fuhr der Major<br />

fort. »Nicht weit von der Unfallstelle brannte ein Bauernhaus nieder.<br />

In den Trümmern fanden wir zwei Leichen. Todesursache in<br />

beiden Fällen: Erschießen.«<br />

»Und wer war das?« fragte General Andrejew.<br />

»Eine Identifizierung ist unmöglich. Die Todesursache stellten<br />

wir anhand von Einschüssen ins Brustbein fest. Ein Arzt meint, es<br />

habe sich um einen Mann und eine Frau mittleren Alters gehandelt.<br />

Ein isländischer Beamter erklärt, der Hof sei von einem Ehepaar<br />

und seiner Tochter bewohnt worden. Die Tochter ist bisher verschollen.«<br />

»Wohin war die Streife unterwegs?«<br />

»Nach Süden, auf der Küstenstraße.«<br />

»Und niemand entdeckte die Brände?«<br />

»Es regnete stark. Das brennende Fahrzeug und der Hof befanden<br />

sich außer Sichtweite der benachbarten Streifen. Wie Sie wissen,<br />

zieht der Straßenzustand unseren Streifenplan in Mitleidenschaft,<br />

und das gebirgige Gelände beeinträchtigt den Funkverkehr.<br />

So löste das Ausbleiben der Streife keine Besorgnis aus. Von der<br />

Straße aus war das Fahrzeug nicht zu sehen. Es wurde erst von einer<br />

Hubschrauberbesatzung entdeckt.«<br />

»Wie kamen die anderen ums Leben?« fragte der General.<br />

»Das brennende Fahrzeug brachte die Handgranaten zur Explosion.<br />

Das Resultat können Sie sich vorstellen. Einwandfrei ist die<br />

375


Todesursache nur bei dem Feldwebel, der hinausgeschleudert<br />

wurde, festzustellen. Soweit wir es beurteilen können, wurden<br />

keine Waffen gestohlen. Einige Gegenstände fehlen, darunter eine<br />

Kartentasche. Diese könnte bei der Explosion ins Meer geflogen<br />

sein, aber ich bezweifle das.«<br />

»Schlußfolgerung?«<br />

»Genosse General, wir haben nur wenige Ausgangspunkte, aber<br />

ich vermute, dass die Streife den Hof besuchte, diese Flasche Wodka<br />

>requirierte< die beiden Leute dort erschoß und dann das Haus<br />

anzündete. Die Tochter ist verschollen. Wir suchen das Gebiet nach<br />

ihrer Leiche ab. Und wenn man die anderen Spuren und Hinweise<br />

untersucht, könnte man folgern: Kurz nach diesem Vorfall wurde<br />

die Streife von einer bewaffneten Gruppe überrascht und getötet,<br />

die dann versuchte, einen Verkehrsunfall vorzutäuschen. Wir müssen<br />

also davon ausgehen, dass mindestens eine Gruppe von Widerstandskämpfern<br />

operiert.«<br />

»Da bin ich anderer Auffassung«, erklärte der KGB-Oberst.<br />

»Nicht alle feindlichen Soldaten wurden tot aufgefunden oder gefangengenommen.<br />

Bei unseren >Widerstandskämpfern< handelt es<br />

sich um Nato-Truppen, die bei unserem Angriff auf Keflavik entkommen<br />

sind. Sie lockten unsere Männer in einen Hinterhalt und<br />

ermordeten dann die Bauern, um die Einhe<strong>im</strong>ischen gegen uns<br />

aufzuhetzen.«<br />

General Andrejew tauschte he<strong>im</strong>lich einen Blick mit seinem Major<br />

der Militärpolizei. Führer der Streife war ein KGB-Leutnant<br />

gewesen - darauf hatten die Tschekisti bestanden. Hat mir gerade<br />

noch gefehlt, dachte der General. Schl<strong>im</strong>m genug, dass seine Fallschirmjäger,<br />

eine Elitetruppe, Garnisonsdienst schieben mussten ­<br />

was der Moral und Disziplin nie förderlich ist -, aber nun wurden<br />

sie obendrein als Kerkermeister eingesetzt. Der arrogante junge<br />

KGB-Offizier (einen bescheidenen hatte er noch nie erlebt) hatte<br />

sich also einen Spaß gemacht. Wo war die Tochter? Ein merkwürdiges<br />

Rätsel, aber keine Frage, die <strong>im</strong> Augenblick dringlich war.<br />

»Wir sollten die Bewohner der Umgebung verhören«, meinte der<br />

KGB-Oberst.<br />

»Die gibt es nicht, Genosse«, erwiderte der Major. »Sehen Sie<br />

sich einmal die Karte an. Die Farm ist abgelegen. Die nächsten<br />

Nachbarn sind sieben Kilometer entfernt.«<br />

»Aber...«<br />

376


»Wer diese armen Menschen umgebracht hat und warum, ist<br />

nebensächlich. Da draußen laufen bewaffnete Feinde herum«,<br />

sagte Andrejew. »Das geht das Militär an, nicht unsere Kollegen<br />

vom KGB. Ich werde einen Hubschrauber die Umgebung des Hofes<br />

absuchen lassen. Und bis auf weiteres wird KGB-Personal, das<br />

unsere Streifen begleitet, als Beobachter und nicht als Führer füngieren.<br />

Wir möchten Ihre Männer nicht in gefährliche Situationen<br />

bringen, für die sie nicht ausreichend ausgebildet sind. Gut, dass Sie<br />

mir den Vorfall zur Kenntnis gebracht haben, Genossen. Abtreten.«<br />

Eine Stunde später hob der Kampfhubschrauber Mi-24 ab, um<br />

die Umgebung des abgebrannten Hofes abzusuchen.<br />

Stornoway, Schottland<br />

»Schon wieder?« fragte Toland.<br />

»Keine Atempause, Commander«, erwiderte der Group Captain.<br />

»Zwei Reg<strong>im</strong>enter Backfire sind vor zwanzig Minuten von<br />

ihrem Stützpunkt gestartet. Wenn wir ihre Tanker erwischen wollen,<br />

müssen wir rasch handeln.«<br />

Binnen Minuten stiegen zwei fürs Orten und Stören von Radarund<br />

Funksignalen gebaute EA-6B Prowler auf und gingen auf<br />

Nordwestkurs. Auffallendstes Kennzeichen der Maschinen waren<br />

die zum Schutz der empfindlichen Bordinstrumente gegen elektromagnetische<br />

Impulse mit Gold beschichteten Kabinenhauben.<br />

Schon <strong>im</strong> Steigflug machten sich die Piloten und Elektronikoffiziere<br />

in ihren goldenen Käfigen an die Arbeit.<br />

Zwei Stunden später entdeckten sie ihre Beute, funkten die Positionen<br />

zurück - und in Stornoway rollten vier Tomcats an den Start.<br />

Norwegisches Meer<br />

Die Tomcats flogen in sechsunddreißigtausend Fuß Höhe Ovale<br />

nördlich und südlich des vorhergesagten Kurses der sowjetischen<br />

Tanker. Ihre leistungsfähigen Such- und Raketenlenk-Radaranlagen<br />

waren ausgeschaltet. Den H<strong>im</strong>mel suchten sie mit Fernsehkameras<br />

ab, die andere Flugzeuge bis über vierzig Meilen identifizie­<br />

377


en konnten. Das Wetter war ideal: klarer H<strong>im</strong>mel mit vereinzelten<br />

hohen Cirruswolken; die Jäger zogen keine Kondensstreifen hinter<br />

sich her, die andere Flugzeuge warnen konnten. Die Piloten zogen<br />

ihre Kurven, schauten <strong>im</strong> Zehnsekundenabstand zum Horizont<br />

und dann auf die Triebwerksinstrumente.<br />

»Sieh mal einer an«, sagte der Staffelführer zu seinem Kampfbeobachter.<br />

Der Offizier auf dem Rücksitz des Tomcat richtete die<br />

TV-Kamera auf das Flugzeug.<br />

»Kommt mir wie ein Badger vor.«<br />

»Der ist best<strong>im</strong>mt nicht allein. Warten wir mal ab.«<br />

Der Bomber war über vierzig Meilen entfernt. Bald erschienen<br />

zwei weitere, begleitet von einer kleineren Maschine.<br />

»Das ist ein Jäger. Ah, insgesamt... sechs Ziele.« Der Kampfbeobachter<br />

zog seine Schultergurte stramm und aktivierte dann die<br />

Raketen. »Alle Waffen scharf und bereit. Nehmen wir uns erst die<br />

Jäger vor?«<br />

»Klar, anstrahlen«, st<strong>im</strong>mte der Pilot zu und schaltete sein Funkgerät<br />

ein. »Zwei, hier Führer, wir haben vier Tanker und Jäger auf<br />

Kurs null-acht-fünf, rund vierzig Meilen westlich unserer Position.<br />

Wir greifen an. Folgen Sie. Over.«<br />

»Roger. Sind schon unterwegs. Out.« Der Pilot der zweiten<br />

Maschine betätigte die Schubkontrollhebel bis zum Anschlag und<br />

flog eine enge Kurve.<br />

Der Führer aktivierte sein Radar. Sie hatten nun zwei Jäger und<br />

vier Tanker identifiziert. Die beiden ersten Phoenix-Luftkampfraketen<br />

würden den Jägern gelten.<br />

»Feuer!«<br />

Zwei Flugkörper lösten sich von ihren Aufhängungen und zündeten,<br />

jagten auf die Ziele zu.<br />

Die russischen Tanker hatten das AWG-9-Radar der Tomcats<br />

ausgemacht und bereits mit Ausweichmanövern begonnen. Die sie<br />

begleitenden Jäger gingen auf vollen Schub und stellten ihr eigenes<br />

Raketenleitradar an, nur um feststellen zu müssen, dass die angreifenden<br />

Jäger noch außerhalb ihrer Reichweite waren. Beide schalteten<br />

ihre Störeinrichtungen ein und zogen ihre Maschinen ruckartig<br />

nach oben, bemüht, dichter heranzukommen und ihre Raketen<br />

abzuschießen. Fliehen konnten wie wegen Treibstoffmangels nicht,<br />

und es war auch ihre Aufgabe, die Jäger von den Tankern fernzuhalten.<br />

378


Die Phoenix-Raketen bohren sich mit Mach 5 durch die Luft und<br />

hatten ihre Ziele in einer knappen Minute erreicht. Ein sowjetischer<br />

Pilot sah den Flugkörper überhaupt nicht und verschwand in einem<br />

rotschwarzen Feuerball. Der andere riß kurz vor der Explosion des<br />

Sprengkopfes den Steuerknüppel nach rechts und wäre beinahe<br />

entkommen, aber Splitter fetzten durch seine rechte Tragfläche. Die<br />

Maschine verlor rasch an Höhe.<br />

Hinter den Jägern trennten sich die Tankflugzeuge. Zwei flogen<br />

nach Norden, das andere Paar nach Süden. Der erste Tomcat nahm<br />

sich das nördliche Paar vor, schoß beide Flugzeuge mit seinen<br />

verbliebenen Phoenix ab. Sein Flügelmann jagte nach Süden. Seine<br />

erste Rakete traf, die zweite wurde von elektronischen Gegenmaßnahmen<br />

des Badger abgelenkt. Der Tomcat flog jedoch weiter an,<br />

hatte das Ziel inzwischen in Sichtweite und feuerte ein weiteres<br />

Lenkgeschoß ab. Die AIM-54 explodierte nur drei Meter hinter<br />

dem Schwanz des Badger. Heiße Splitter bohrten sich in den umgebauten<br />

Bomber und entzündeten Treibstoffdämpfe in den leeren<br />

Tanks. Der sowjetische Bomber verschwand in einem orangenen<br />

Blitz.<br />

Die Jäger suchten mit Radar den H<strong>im</strong>mel ab in der Hoffnung,<br />

weitere Ziele für ihre restlichen Raketen zu finden. Sechs weitere<br />

Badger flogen in hundert Meilen Entfernung, doch diese waren<br />

bereits gewarnt worden und hatten nach Norden abgedreht. Zur<br />

Verfolgung fehlte den Tomcats der Treibstoff. Eine Stunde später<br />

landeten sie mit fast leeren Tanks in Stornoway.<br />

»Fünf abgeschossen, einer beschädigt«, sagte der Staffelführer zu<br />

Toland. »Es hat geklappt.«<br />

»Diesmal ja.« Dennoch war Toland zufrieden. Die US-Navy<br />

hatte gerade ihre erste Offensivoperation abgeschlossen. Nun zur<br />

nächsten. Gerade war ein Backfire-Verband gemeldet worden, der<br />

nach einem Angriff auf einen Geleitzug bei den Azoren auf dem<br />

Rückflug war. Zweihundert Meilen südlich von Island lauerten<br />

ihm zwei Tomcats auf.<br />

Stendal, DDR<br />

»Unsere Verluste waren mörderisch«, sagte der General der sowjetischen<br />

Heeresflieger an der Front.<br />

379


»Ich werde unseren Mot-Schützen erzählen, wie ernst Ihre Verluste<br />

waren«, versetzte Alexejew kalt.<br />

»Sie waren fast doppelt so hoch wie erwartet.«<br />

»Unsere auch! Aber unsere Truppen kämpfen wenigstens. Ich<br />

beobachtete einen Angriff. Sie schickten gerade vier Kampfflugzeuge.<br />

Vier!«<br />

»Ich weiß Bescheid. Den Bodentruppen war ein ganzes Reg<strong>im</strong>ent<br />

zugewiesen worden, über zwanzig Flugzeuge, dazu Ihre eigenen<br />

Kampfhubschrauber. Die Jäger der Nato greifen uns schon zehn<br />

Kilometer hinter der Front an. Unsere Piloten müssen um ihr Leben<br />

kämpfen, nur um zu Ihren Panzern zu gelangen. Und dann werden<br />

sie viel zu häufig von unseren eigenen Boden-Luft-Raketen angegriffen!«<br />

»Erklären Sie das näher!« befahl Alexejews Vorgesetzter.<br />

»Genosse General, die Radarüberwachungsflugzeuge der Nato<br />

sind gut geschützt und geben schwierige Ziele ab. Die fliegenden<br />

Radarleitstände können feindliche Jäger auf unsere ansetzen und es<br />

ihnen ermöglichen, Raketen von jenseits des Sichtbereiches abzuschießen.<br />

Wenn unsere Piloten merken, dass sie angegriffen werden,<br />

müssen sie ausweichen, oder? Ihre Panzer halten ja auch nicht still.<br />

Das bedeutet oft, dass unsere Piloten ihre Bombenladung abwerfen<br />

müssen, um Manövrierfähigkeit zu erlangen. Und schließlich,<br />

wenn es ihnen gelungen ist, die Kampfzone zu erreichen, werden sie<br />

häufig von unseren Raketenbatterien beschossen, deren Bedienungen<br />

sich nicht die Zeit nehmen, zwischen Freund und Feind zu<br />

unterscheiden.« Eine alte Geschichte und ein Problem, das nicht<br />

nur die Sowjets plagte.<br />

»Wollen Sie damit sagen, dass die Nato die Luftherrschaft hat?«<br />

fragte Alexejew.<br />

»Nein, über die verfügt keine Seite. Unsere SAM verwehren<br />

ihnen die Kontrolle des Luftraums über der Kampfzone, und ihre<br />

Jäger - unterstützt von ihren und unseren SAM - verweigern sie<br />

uns. Der H<strong>im</strong>mel über dem Schlachtfeld gehört niemandem.«<br />

Alexejew dachte an Bieben und fragte sich, wie korrekt die<br />

Darstellung des Mannes war.<br />

»Wir müssen bessere Resultate erzielen«, sagte der OB des Operationsgebiets.<br />

»Unser nächster Großangriff wird richtige Luftunterstützung<br />

haben, und wenn wir dazu jeder Einheit an der Front<br />

die Kampfflugzeuge abnehmen müssen.«<br />

380


»Wir versuchen bereits, mit Hilfe von Täuschungsmanövern<br />

mehr Flugzeuge nach vorne zu schaffen. Gestern hatten wir vor, die<br />

Nato-Jäger an den falschen Ort zu locken. Das wäre uns beinahe<br />

gelungen, wenn wir nicht einen Fehler gemacht hätten. Doch dieser<br />

Fehler ist inzwischen identifiziert worden.«<br />

»Morgen um 0600 Uhr greifen wir südlich von Hannover an. Ich<br />

verlange, dass zweihundert Flugzeuge meine Divisionen an der<br />

Front unterstützen.«<br />

»Sie werden sie bekommen«, st<strong>im</strong>mte der Luftwaffengeneral zu<br />

und ging. Alexejew sah ihm nachdenklich nach.<br />

»Nun, Pascha?«<br />

»Wenigstens ein Anfang - vorausgesetzt, die zweihundert Maschinen<br />

tauchen auch auf.«<br />

»Immerhin haben wir ja noch unsere Hubschrauber.«<br />

»Was Hubschraubern unter Raketenbeschuß passiert, habe ich<br />

selbst miterlebt. Der Mut der Piloten ist bemerkenswert, aber mit<br />

Mut allein ist es nicht getan. Wir haben die Feuerkraft der Nato<br />

unterschätzt - oder, besser, unsere eigenen Fähigkeiten, sie zu<br />

neutralisieren, überschätzt.«<br />

»Seit Beginn des Krieges greifen wir vorbereitete Stellungen an.<br />

Wenn uns der Durchbruch in offenes Gelände gelungen ist -«<br />

»Genau. Ein Bewegungskrieg wird unsere Verluste reduzieren.<br />

Der Durchbruch muss gelingen.« Alexejew senkte den Blick auf die<br />

Karte. Kurz nach Sonnenaufgang sollte sich morgen früh eine ganze<br />

Armee - vier Mot-Schützendivisionen, unterstützt von einer Panzerdivision<br />

-gegen die Linien der Nato werfen. »Und zwar hier. Ich<br />

will wieder vorne sein.«<br />

Island<br />

Sie stiegen einen mit Felsblöcken übersäten Hang hinab, als <strong>im</strong><br />

Westen der Hubschrauber auftauchte. Er flog tief, kaum hundert<br />

Meter über einem Kamm, und langsam auf sie zu. Die Marines<br />

warfen sich sofort zu Boden und robbten in Deckung. Edwards<br />

machte ein paar Schritte auf Vigdis zu und zog auch sie hinunter. Sie<br />

trug einen auffällig weißgemusterten Pullover. Der Lieutenant zog<br />

seinen Parka aus und legte ihn ihr um die Schulter, ließ ihr blondes<br />

Haar unter der Kapuze verschwinden.<br />

381


»Keine Bewegung. Die suchen uns.« Edwards hob kurz den<br />

Kopf, um zu sehen, wo seine Männer waren. Smith winkte ihn<br />

zurück in Deckung. Edwards tauchte wieder ab, hielt aber die<br />

Augen offen, damit er den Hubschrauber sehen konnte. Wieder ein<br />

Hind. An den Sturmflügeln hingen Raketen. Hinter den beiden<br />

offenen Seitentüren konnte er Infanteristen mit schußbereiten Waffen<br />

erkennen. »Au, Scheiße!«<br />

Der Lärm der Triebwerke nahm zu, als der Hind näher kam, und<br />

der riesige fünfblättrige Hauptmotor wirbelte den vulkanischen<br />

Staub auf, der das Hochplateau, das sie gerade verlassen hatten,<br />

bedeckte. Edwards' Hand schloß sich fester um den Pistolengriff<br />

des M-16; er entsicherte die Waffe. Der Hubschrauber flog nun fast<br />

seitlich an, und seine Raketen zielten auf das ebene Gelände hinter<br />

den Marines. Edwards konnte die Maschinengewehre in der Nase<br />

des Hind ausmachen.<br />

»Dreh ab!« zischte Edwards.<br />

»Was macht er?« fragte Vigdis.<br />

»Ruhe, nicht bewegen.«<br />

»Da, in sieben Uhr!« rief der Schütze auf dem Vordersitz des<br />

Hubschraubers.<br />

»Also doch keine Zeitverschwendung«, erwiderte der Pilot.<br />

»Drauf!«<br />

Der Schütze nahm sein Ziel ins Visier, entsicherte das MG und<br />

stellte einen kurzen Feuerstoß ein. Sein Ziel hielt angenehm still, als<br />

er abdrückte.<br />

»Hat gesessen!«<br />

Edwards fuhr bei den Schüssen zusammen. Vigdis rührte sich überhaupt<br />

nicht. Der Lieutenant zielte mit seinem Gewehr auf den<br />

Hubschrauber, der nach Süden flog und hinter dem Kamm verschwand.<br />

Drei Köpfe tauchten auf. Worauf war geschossen worden?<br />

Das Triebwerkgeräusch änderte sich, als der Helikopter nicht<br />

weit entfernt landete.<br />

Der Bock war von drei Kugeln getroffen worden. An dem vierzig<br />

Kilo schweren Tier war gerade genug Fleisch für die Hubschrauberbesatzung<br />

und den Zug Infanterie. Der Feldwebel der Fallschirmjäger<br />

schnitt dem Rotwild die Gurgel durch und machte sich dann ans<br />

382


Ausweiden. Der Kadaver wurde in den Hind geladen, der abhob,<br />

auf Marschhöhe ging und zurück nach Keflavik flog.<br />

Sie schauten der Maschine verdutzt nach, bis das Klatschen der<br />

Rotoren verklungen war.<br />

»Was hatte das zu bedeuten?« fragte Edwards seinen Sergeant.<br />

»Keine Ahnung, Skipper. Sehen wir zu, dass wir uns dünnemachen.<br />

Wetten, dass der auf der Suche nach uns war? Gehen wir lieber<br />

durch Gelände, das Deckung bietet.«<br />

»Gut, J<strong>im</strong>. Sie gehen voran.« Edwards begab sich zurück zu<br />

Vigdis. »Alles klar, sie sind weg. Behalten Sie die Jacke ruhig an, da<br />

sind Sie besser getarnt.«<br />

Der Parka, schon Edwards zwei Nummern zu groß, hing wie ein<br />

Zelt an Vigdis' zierlicher Figur. Sie streckte die Arme aus, um ihre<br />

Hände aus den Ärmeln zu befreien, und lächelte zum ersten Mal.<br />

USS Pharris<br />

»Ein Drittel voraus«, befahl der Erste Offizier. Gleich darauf zeigte<br />

der Maschinentelegraph an, dass die Pharris nach einem Spurt mit<br />

fünfundzwanzig Knoten langsamere Fahrt zu machen begann, um<br />

mit ihrem Schleppsonar auf feindliche Unterseeboote zu lauschen.<br />

Morris saß in seinem Sessel auf der Brücke und sah Nachrichten<br />

von Land durch. Er rieb sich die Augen und zündete sich eine neue<br />

Pall Mall an.<br />

»Brücke!« rief ein Ausguck erregt, »Periskopspur an Backbord<br />

voraus. Auf halben Weg zur K<strong>im</strong>m, Backbord voraus!« Morris riß<br />

das Fernglas aus dem Halter, setzte es an, sah aber nichts.<br />

»Alle Mann auf Gefechtsstation!« befahl der IO. Eine Sekunde<br />

später ging der Alarm los; erschöpfte Männer rannten wieder einmal<br />

auf ihre Posten. Morris hängte sich das Fernglas um den Hals<br />

und eilte die Leiter hinunter auf seine Station.<br />

Das Sonar sandte eine Reihe von Impulsen nach Backbord ab.<br />

Nichts. Der Hubschrauber startete; die Fregatte drehte nach Norden<br />

ab, um ihr Schleppsonar auf den möglichen Kontakt zu richten.<br />

»Passivsonar-Kontakt, möglicherweise U-Boot, in null-einsdrei«,<br />

verkündete der für das Schleppsonar verantwortliche Operator.<br />

»Dampfzischen, klingt wie ein Boot mit Nuklearantrieb.«<br />

383


»Kein Echo in dieser Richtung«, sagte der Aktivsonar-Operator.<br />

Morris und sein ASW-Offizier schauten sich die Wasserzustandsanzeige<br />

an. In zweihundert Fuß gab es eine Thermokline.<br />

Das Passiv-Sonar befand sich darunter und war durchaus in der<br />

Lage, ein U-Boot zu hören, das die Aktiv-Peilsignale nicht erreichten.<br />

Der Ausguck konnte die Fontäne eines Wals gesehen haben ­<br />

es war gerade die Paarungszeit der Blauwale -, eine Schaumkrone,<br />

oder eben das Kielwasser eines Sehrohres. In letzterem Fall konnte<br />

das U-Boot sich unter der Thermokline in Sicherheit gebracht haben.<br />

Das Ziel war zu nahe, um mit Hilfe vom Grund reflektierter<br />

Schallwellen erfaßt zu werden, und zu weit entfernt, um dem Sonar<br />

das direkte Durchbrechen der Schicht zu ermöglichen.<br />

»Weniger als fünf Meilen«, meinte der ASW-Offizier. »Eher<br />

zwei. Wenn das ein U-Boot ist, haben wir es mit einem guten zu<br />

tun.«<br />

»Lassen Sie sofort den Hubschrauber drauflos!« Morris schaute<br />

aufs Display. Das U-Boot konnte die Fregatte bei ihrem Spurt<br />

gehört haben, doch nun, bei reduzierter Fahrt und mit dem Prairie-Masker-System<br />

in Betrieb, war die Pharris nur sehr schwer zu<br />

orten. Eine dringende Kontaktmeldung ging an den Kommandanten<br />

der Geleitschiffe.<br />

Der Sea Sprite warf eine Reihe von Sonobojen. Minuten vergingen.<br />

»Schwaches Signal von Sieben, mittleres von Vier«, meldete der<br />

Maat am Sonargerät. Morris beobachtete weiter das Display.<br />

Demnach war der Kontakt keine drei Meilen entfernt.<br />

»Aktivbojen abwerfen«, befahl er. Hinter ihm ließ der Waffenoffizier<br />

ASROC-Starter und Torpedoablaufbühne klarmachen.<br />

Drei Meilen weiter machte der Hubschrauber kehrt, schwebte<br />

dann über dem Zielgebiet und warf drei CASS-Bojen ab, die<br />

Schall<strong>im</strong>pulse abgaben.<br />

»Kontakt, starker Kontakt von Boje Neun. Wahrscheinlich U-<br />

Boot.«<br />

»Ich hab ihn in null-eins-fünf-eindeutig ein U-Boot«, sagte der<br />

Mann, der die Anzeige des Schleppsonars überwachte. »Hat gerade<br />

die Geschwindigkeit erhöht. Kavitationsgeräusche. Eine<br />

Schraube, vermutlich Victor-Klasse, wandert rasch von links nach<br />

rechts.«<br />

Das Aktiv-Sonar hatte den Kontakt noch <strong>im</strong>mer nicht erfaßt,<br />

384


obwohl es mit Höchstleistung Signale in die korrekte Richtung<br />

sandte. Das U-Boot befand sich eindeutig unter der Schicht.<br />

Morris erwog ein Manöver, verwarf die Idee aber dann. Radikales<br />

Abdrehen würde das Schleppsonar in eine Kurve ziehen und für<br />

mehrere Minuten wirkungslos machen. Dann konnte er sich nur<br />

auf die Sonarbojen verlassen, denen er weniger traute als seinem<br />

Schleppsonar.<br />

»Kontakt nun stetig in null-eins-fünf... Geräuschpegel etwas<br />

niedriger.« Der Operator wies auf seinen Bildschirm. Morris war<br />

überrascht. Warum lag der Kontakt, der sich eben noch rasch<br />

bewegt hatte, auf einmal still?<br />

Ein weiterer Überflug des Hubschraubers. Eine neue Sonoboje<br />

nahm den Kontakt auf, doch der Magnetanomalie-Detektor<br />

konnte die Anwesenheit eines U-Boots nicht bestätigen, und der<br />

Kontakt verklang. Der Geräuschpegel fiel weiter. Morris sah, wie<br />

die relative Position des Kontaktes sie achtern passierte. Was trieb<br />

dieser Kerl?<br />

»Periskop an Steuerbord voraus!« meldete der Sprecher.<br />

»Am falschen Platz, Sir... es sei denn, wir gucken uns einen<br />

Störer an«, meinte der Operator.<br />

Der ASW-Offizier ermittelte sofort die Werte. »Kontakt in dreivier-fünf,<br />

Distanz fünfzehnhundert Yards!« Auf dem Sonar-Sichtgerät<br />

erschien ein heller Leuchtfleck.<br />

»Äußerste Kraft voraus!« schrie Morris. Irgendwie hatte sich das<br />

U-Boot der Ortung durch das Schleppsonar entzogen, war über der<br />

Thermokline erschienen und hatte sein Sehrohr ausgefahren. Das<br />

konnte nur eines bedeuten. »Ruder hart Backbord.«<br />

»Hydrophon-Effekte - Torpedos in drei-fünf-sechs!«<br />

Der Waffenoffizier ließ sofort einen Torpedo in diese Richtung<br />

abschießen, um das angreifende U-Boot zu stören. Wenn die Torpedos<br />

des Russen drahtgelenkt waren, würde er den Draht kappen<br />

müssen, um sein Boot aus dem Bereich des amerikanischen Gegenschusses<br />

zu manövrieren.<br />

Morris hastete hoch zur Brücke. Es war dem U-Boot gelungen, in<br />

eine Feuerposition zu gehen. Die Fregatte änderte Kurs und Geschwindigkeit,<br />

um dem Russen die Zielkoordinaten zu ruinieren.<br />

»Ich sehe einen!« rief der IO und wies über den Bug. Der sowjetische<br />

Torpedo zog eine weiße Schaumspur hinter sich her. Die<br />

Fregatte drehte hart ab.<br />

385


»Brücke, zwei Torpedos in drei-fünf-null konstant, Distanz<br />

schrumpft«, rief der TAO hastig. »Beide peilen uns an. Die Nixie ist<br />

aktiv.«<br />

Morris griff nach einem Telefon. »Melden Sie die Lage dem<br />

Geleitzugkommandanten.«<br />

»Schon erledigt, Sir. Zwei Helikopter sind unterwegs.«<br />

Die Pharris lief nun zwanzig Knoten, beschleunigte und bot dem<br />

Torpedo jetzt das Achterschiff dar. Ihr Hubschrauber war nun<br />

achterlich querab und machte verzweifelte Anflüge mit dem Magnetanomalie-Detektor,<br />

in dem Versuch, das sowjetische U-Boot<br />

zu orten.<br />

Das Kielwasser des Torpedos kreuzte nun den Bug der Fregatte.<br />

Achtern gab es eine Explosion. Weißes Wasser schoß dreißig Meter<br />

in die Luft, als der erste russische »Hai« mit dem Torpedoköder<br />

»Nixie« kollidierte. Es war jedoch nur ein Lärminstrument ausgeworfen<br />

worden, und draußen lief ein zweiter Torpedo.<br />

»Ruder hart Steuerbord!« befahl Morris dem Steuermann. »GZ,<br />

was macht der Kontakt?« Die Fregatte lief jetzt fünfundzwanzig<br />

Knoten.<br />

»Läßt sich nicht genau sagen, Sir. Die Sonobojen haben unseren<br />

Torpedo, aber sonst nichts.«<br />

»Wir kriegen einen Treffer ab«, sagte der IO und wies auf eine<br />

weiße, keine zweihundert Yard entfernte Schaumspur. Der Torpedo<br />

musste be<strong>im</strong> ersten Versuch die Fregatte verfehlt und es noch<br />

einmal versucht haben. Zielsuchende Torpedos gaben erst auf,<br />

wenn ihnen der Treibstoff ausging.<br />

Nun war Morris machtlos. Der Torpedo lief auf den Backbordbug<br />

zu. Wenn er nun nach Backbord abdrehte, bot er ihm nur ein<br />

größeres Ziel. Unter der Brücke schwang der ASROC-Starter nach<br />

links und zielte auf die vermeintliche Position des U-Boots, doch der<br />

Operator hatte keinen Feuerbefehl. Die weiße Schaumspur kam<br />

näher. Morris lehnte sich über die Reling und starrte in stummer<br />

Wut auf den Finger, der sich nach seinem Schiff ausstreckte. Jetzt<br />

konnte der Hai die Pharris nicht mehr verfehlen.<br />

»Kopf runter, Sir.« Bootsmann Clarke packte Morris an der<br />

Schulter und riß ihn auf Deck. Er wollte auch noch den Ersten<br />

Offizier schnappen, als der Torpedo traf.<br />

Der Einschlag schleuderte Morris dreißig Zent<strong>im</strong>eter vom Stahldeck.<br />

Die Explosion hörte er nicht, doch als er ein zweites Mal auf<br />

386


den Stahl prallte, fuhr eine weiße Woge über ihn hinweg und<br />

schwemmte ihn gegen eine Stütze. Sein erster Gedanke war: Ich bin<br />

über Bord geschleudert worden. Er raffte sich auf und sah seinen<br />

Ersten Offizier - ohne Kopf, an der Tür zum Ruderhaus zusammengesunken.<br />

Die Brückennock war auseinandergerissen, die starken<br />

Metallplatten des Schanzkleids von Splittern durchschlagen.<br />

Die Fenster des Ruderhauses waren verschwunden. Doch was er<br />

dann sah, war noch schl<strong>im</strong>mer.<br />

Der Torpedo hatte die Fregatte knapp achtern des Bugsonars<br />

getroffen, den Kiel geknickt und den Bug einbrechen lassen. Das<br />

Vorschiff nahm bereits Wasser über, und ein gräßliches Reißen<br />

verriet ihm, dass der Bug <strong>im</strong> Begriff war, sich vom Schiff zu lösen.<br />

Morris taumelte ins Ruderhaus und riß den Hebel des Maschinentelegraphen<br />

auf Stop, ohne zu merken, dass die Ingenieure die<br />

Maschinen bereits gestoppt hatten. Das Schiff wurde von seinem<br />

Schwung vorangetrieben. Der Bug bog sich um zehn Grad nach<br />

Steuerbord, und die vorderen Geschütze, deren Bedienungen sich<br />

nach achtern in Sicherheit zu bringen versuchten, wurden überschwemmt.<br />

Unter den Geschützen befanden sich weitere Männer.<br />

Morris wusste, dass sie nicht mehr lebten, und hoffte nur, dass sie auf<br />

der Stelle gestorben waren und nicht in einem langsam sinkenden<br />

Stahlkäfig ertrinken mussten. Seine Männer. Wie viele hatten ihre<br />

Gefechtsstationen vor dem ASROC-Starter gehabt?<br />

Dann brach der Bug; dreißig Meter des Schiffes trennten sich mit<br />

dem Kreischen reißenden Metalls ab. Das Vorderschiff drehte sich<br />

<strong>im</strong> Wasser wie ein Eisberg und kollidierte mit dem Heck. Morris<br />

sah Bewegung an einer wasserdichten Tür. Ein Mann kam frei,<br />

schwamm von dem schlingernden Bug weg.<br />

Die Brückenbesatzung war vollständig, hatte Schnittwunden von<br />

zerplatzendem Glas erlitten, stand aber auf den Posten. Chief<br />

Clarke sah sich kurz auf der Brücke um und eilte dann nach unten,<br />

um Lösch- und Notreparaturarbeiten zu überwachen. Schon rasten<br />

Trupps mit Schläuchen und Schweißgeräten nach vorne. In der<br />

Leckwehrzentrale lasen Männer an Anzeigetafeln das Ausmaß des<br />

Wassereinbruchs ab. Morris griff nach dem Hörer der Bordsprechanlage<br />

und rief diesen Raum.<br />

»Meldung!«<br />

»Wassereinbruch bis Spant 36, aber sie wird schw<strong>im</strong>men - zumindest<br />

eine Weile. Keine Brände. Erwarten jetzt Meldungen.«<br />

387


Als nächstes setzte Morris sich mit der Gefechtszentrale in Verbindung<br />

und befahl, den Kommandanten des Geleitzugs zu verständigen<br />

und um Hilfe zu bitten.<br />

»Bereits geschehen, Sir. Gallery ist unterwegs. Sieht so aus, als<br />

sei das U-Boot entwischt. Es wird <strong>im</strong>mer noch nach ihm gesucht.<br />

Wir haben einige Schäden durch Explosionsdruck. Alle Radaranlagen,<br />

Bugsonar, ASROC ausgefallen. Schleppsonar und Mark-<br />

32,-Lafetten funktionieren noch. Moment mal - der Kommandant<br />

schickt uns einen Schlepper.«<br />

»Okay, Sie übernehmen das Ruder. Ich gehe nach unten und<br />

sehe mir den Schaden an.« Wie steuert man ein Schiff, das keine<br />

Fahrt macht? dachte Morris. Eine Minute später sah er zu, wie<br />

Männer ein Schott mit Holz abzustützen versuchten.<br />

»Dieses hier hält einigermaßen, aber das davor leckt wie ein<br />

Sieb. Als der Bug losbrach, Muss sich alles verwunden haben. Wir<br />

müssen Bleche und Verstrebungen einschweißen. In zehn Minuten<br />

kann ich Ihnen sagen, ob sie schw<strong>im</strong>mt oder nicht.«<br />

Clarke erschien und atmete schwer. »Ich war gerade unten.<br />

Starkes Leck am Schott über den Bunkern. Müssen uns beeilen,<br />

wenn wir das abdichten wollen.«<br />

Die Schweißer wurden sofort nach unten geschickt. Zwei Männer<br />

erschienen mit einer tragbaren Pumpe. Morris jagte sie hinterher.<br />

»Wie viele Männer werden vermißt?« fragte Morris Chief<br />

Clarke, der den Arm verkrampft hielt.<br />

»Die Geschützbedienungen vorne sind alle davongekommen,<br />

aber von unter Deck habe ich bisher niemanden gesehen. Verflucht,<br />

ich hab mir selbst was gebrochen.« Clarke sah seinen rechten<br />

Arm an und schüttelte zornig den Kopf. »Aus dem Bug haben<br />

es wahrscheinlich nur wenige geschafft, Sir.«<br />

»Lassen Sie sich den Arm versorgen«, befahl Morris.<br />

»Scheiß auf den Arm, Sir! Ich werde gebraucht.« Der Mann<br />

hat recht, dachte Morris und ging vor Clarke zurück nach<br />

oben.<br />

Auf der Brücke wählte Morris den Maschinenraum an. Der<br />

Lärm am Telefon beantwortete seine erste Frage.<br />

Der Ingenieur machte sich durch das Zischen entweichenden<br />

Dampfes verständlich. »Schäden durch Explosionsdruck, Sir.<br />

Geplatzte Dampfleitungen an Kessel 1, Kessel 2. wird wohl noch<br />

388


funktionieren, aber ich habe vorsichtshalber an beiden die Sicherheitsventile<br />

geöffnet. Die Dieselgeneratoren sind am Netz. Ich habe<br />

hier Verletzte und schicke sie jetzt hinauf. Ich - schon gut, schon<br />

gut. Wir haben Kessel 2. überprüft und nur kleine Undichtigkeiten<br />

gefunden, die sich rasch reparieren lassen. In zehn Minuten bekommen<br />

wir wieder Druck.«<br />

»Brauchen wir auch.« Morris legte auf.<br />

Die Pharris lag antriebslos <strong>im</strong> Wasser. Dampf strömte aus den<br />

Sicherheitsventilen und entwich durch den Schornstein, erzeugte<br />

ein gräßliches, krächzendes Geräusch, das klang, als stieße das<br />

Schiff einen Schmerzensschrei aus. Anstelle des schnittigen Clipperbugs<br />

hatte die Fregatte nur eine klobige Front aus zerfetztem Metall<br />

und herunterhängenden Kabeln. Öl aus aufgerissenen Bunkern<br />

verschmutzte rundum das Wasser. Zum ersten Mal fiel Morris auf,<br />

dass das Heck der Fregatte zu tief lag. Er musste auf weitere Meldungen<br />

warten. Wie bei einem Unfallopfer hingen die Überlebensaussichten<br />

vom Geschick der Chirurgen ab, und die durfte man weder<br />

stören noch zur Eile antreiben. Er rief die Gefechtszentrale an.<br />

»Was macht der U-Boot-Kontakt?«<br />

»Der Hubschrauber der Gallery warf einen Torpedo ab, dem<br />

aber der Treibstoff ausging, ehe er etwas traf. Sieht so aus, als sei<br />

das Boot nach Norden geflohen, aber wir haben seit fünf Minuten<br />

nichts mehr gehört. Inzwischen ist eine Orion <strong>im</strong> Gebiet.«<br />

»Die soll zwischen uns und dem Geleitzug suchen. Dieser Kerl<br />

läuft nicht weg. Richten Sie das auch dem Kommandanten aus.«<br />

»Aye, Captain.«<br />

Gleich darauf erhielt er die Meldung, das Schiff sei schw<strong>im</strong>mfähig.<br />

»Ganz dicht ist es nicht, aber die Pumpen schaffen es. Wenn<br />

weiter nichts versagt, bringen wir sie he<strong>im</strong>. Schickt man uns einen<br />

Schlepper?«<br />

»Ja.«<br />

»Dann lassen wir uns besser mit dem Achterschiff voraus in<br />

Schlepptau nehmen. Mit diesem Vorderschiff gegen schwere See<br />

laufen, daran will ich erst gar nicht denken.«<br />

»Gut.« Morris sah Clarke an. »Lassen Sie <strong>im</strong> Achterschiff<br />

Schleppgeschirr aufriggen. Das Rettungsboot soll nach Überlebenden<br />

suchen. Ich habe mindestens einen Mann <strong>im</strong> Wasser gesehen.<br />

Und sehen Sie zu, dass Ihr Arm in eine Schlinge kommt.«<br />

»Aye, Sir.« Clarke begab sich nach achtern.<br />

389


Morris fand in der Gefechtszentrale ein Funkgerät, das noch<br />

arbeitete, und rief den Kommandanten. »X-Ray Alfa, hier Pharris.«<br />

»Wie sieht es bei Ihnen aus?«<br />

»Wir wurden am Vorderschiff getroffen. Der Bug ist bis zum<br />

ASROC-Starter abgerissen. Wir sind manövrierunfähig, aber ich<br />

kann sie über Wasser halten, sofern wir nicht in schlechtes Wetter<br />

geraten. Beide Kessel augenblicklich außer Betrieb, in knapp zehn<br />

Minuten ist jedoch mit Druck zu rechnen. Einen genauen Überblick<br />

über die Verluste habe ich noch nicht. Commodore, wir wurden<br />

von einem Boot mit Nuklearantrieb getroffen; wahrscheinlich war<br />

es ein Victor. Und wenn ich mich nicht irre, hält es auf Sie zu.<br />

Achten Sie aufs Zentrum des Geleitzuges, Sir. Dieser Kerl kam auf<br />

Nahkampfdistanz heran und legte uns elegant rein. Der ist zu gut,<br />

um einfach so wegzulaufen.«<br />

Darüber dachte der Commodore kurz nach. »Gut, will ich mir<br />

merken. Gallery ist auf dem Weg zu Ihnen. Brauchen Sie sonst noch<br />

weitere Unterstützung?«<br />

»Gallery ist für Sie wichtiger als für uns. Der Schlepper genügt«,<br />

erwiderte Morris. Er wusste, dass das U-Boot nicht zurückkommen<br />

würde, um ihnen den Gnadenstoß zu versetzen, sondern sich eher<br />

die Frachter vornahm.<br />

»Roger. Sagen Sie Bescheid, falls Sie sonst noch etwas brauchen<br />

sollten. Viel Glück, Ed.«<br />

Morris ließ seinen Hubschrauber einen doppelten Ring aus Sonobojen<br />

um sein Schiff legen. Dann fischte der Sea Sprite drei<br />

Männer aus dem Wasser, einen davon tot.<br />

Unter Deck standen die Schweißer bis zur Taille <strong>im</strong> Salzwasser<br />

und waren bemüht, die Risse in den wasserdichten Schotten des<br />

Schiffes zu verschließen. Nach neunstündiger Arbeit begannen die<br />

Pumpen die gefluteten Räume zu lenzen.<br />

Der Schlepper Papago ging längsseits des eckigen Achterschiffs<br />

der Fregatte, und unter Aufsicht von Chief Clarke wurde eine<br />

Trosse übergeworfen. Eine Stunde später wurde die Fregatte mit<br />

vier Knoten rückwärts nach Osten geschleppt, um das beschädigte<br />

Vorschiff zu schonen. Morris ließ sein Schleppsonar hinter dem<br />

Bug herziehen, um wenigstens eine min<strong>im</strong>ale Defensivkapazität zu<br />

haben. Zusätzliche Ausgucks wurden aufgestellt, um auf Sehrohre<br />

zu achten. USS Pharris stand eine langsame und gefährliche He<strong>im</strong>reise<br />

bevor.<br />

390


Stendal, DDR<br />

28<br />

Durchbrüche<br />

»Seien Sie vorsichtig, Pascha.«<br />

»Wie <strong>im</strong>mer, Genosse General.« Alexejew lächelte. »Kommen<br />

Sie, Genosse Hauptmann.«<br />

Sergetow folgte seinem Vorgesetzten. Anders als bei ihren bisherigen<br />

Frontbesuchen trugen die beiden nun kugelsichere Westen.<br />

Der General hatte außer seiner Kartentasche nur eine Pistole dabei,<br />

doch der Hauptmann, der nun auch als Leibwächter füngierte, trug<br />

eine kleine tschechische Maschinenpistole über der Schulter. Ein<br />

Oberst der Luftwaffe stieg mit ihnen in den Hubschrauber. Der Mi­<br />

24 startete in die Nacht, von oben gedeckt durch einen Jäger.<br />

Lammersdorf, BRD<br />

Nur wenige Leute erkannten, wie wichtig eine Videokamera war.<br />

Bequem zwar für den He<strong>im</strong>gebrauch, doch erst nachdem ein<br />

Hauptmann der niederländischen Luftwaffe vor zwei Jahren eine<br />

brillante Idee demonstriert hatte, war der militärische Nutzen des<br />

Gerätes bei gehe<strong>im</strong>en Übungen in Deutschland und den westlichen<br />

USA demonstriert worden.<br />

Die Radarüberwachungsflugzeuge der Nato hielten ihre üblichen<br />

Positionen überm Rhein. Die E-3A Sentry, besser bekannt als<br />

AWACS, und kleinere TR-1 flogen weit hinter der Front Kreise<br />

oder Linien. Die beiden Typen hatten ähnliche, aber doch unterschiedliche<br />

Funktionen. AWACS konzentrierte sich vorwiegend<br />

auf den Flugverkehr. Die TR-1, eine verbesserte Version der guten<br />

alten U-2, suchte nach Fahrzeugen am Boden. Anfangs hatte die<br />

TR-1 als Fehlschlag gegolten. Da sie zu viele Ziele erfaßte, darunter<br />

viele von den Sowjets aufgestellte Radarreflektoren, wurde die<br />

Nato-Führung von einem Wirrwarr von Informationen über­<br />

391


schwemmt- bis zum Eintreffen des VCR. Der holländische Hauptmann<br />

brachte sein Gerät mit in den Dienst und demonstrierte, wie<br />

man mit Hilfe der Suchlauftasten nicht zur zeigen konnte, wohin<br />

sich Objekte bewegen, sondern auch, woher sie gekommen waren.<br />

Computer erleichterten die Aufgabe, indem sie Reflexionen von<br />

Objekten, die sich innerhalb von zwei Stunden nur einmal bewegten,<br />

el<strong>im</strong>inierten - und schon war ein neues Hilfsmittel zur Einschätzung<br />

der Feindlage fertig.<br />

Von jedem Band wurden mehrere Kopien gezogen, und über<br />

hundert Luftlotsen und Nachrichtendienstexperten werteten die<br />

Daten rund um die Uhr aus, teils unter taktischen Gesichtspunkten,<br />

teils unter strategischen. Eine große Anzahl von Lkw, die nachts zu<br />

Fronteinheiten und wieder zurück fuhren, hatten ihren Ausgangspunkt<br />

wohl an Munitions- und Treibstofflagern. Eine Anzahl von<br />

Fahrzeugen, die sich von einer Divisionskolonne lösten und parallel<br />

zur Front Aufstellung nahmen, bedeutete Artillerie, die sich auf<br />

einen Angriff vorbereitete. Entscheidend war nur, diese Daten den<br />

Befehlshabern an der Front so rasch zukommen zu lassen, dass<br />

rechtzeitig Gebrauch von ihnen gemacht werden konnte.<br />

In Lammersdorf hatte ein belgischer Leutnant gerade die Auswertung<br />

eines sechs Stunden alten Bandes abgeschlossen, und sein<br />

Bericht ging nun über Erdkabel an die Front. Auf der E 7 waren<br />

mindestens drei Divisionen nach Norden und Süden bewegt worden;<br />

ein massierter sowjetischer Angriff auf Bad Salzdetfurth<br />

musste also früher als erwartet erfolgen. Sofort wurden belgische,<br />

deutsche und amerikanische Reserveeinheiten nach vorne geworfen<br />

und alliierte Fliegerverbände alarmiert. Die Kämpfe auf diesem<br />

Abschnitt waren schon erbittert genug gewesen. Deutsche Kräfte,<br />

die das Gebiet südlich von Hannover deckten, hatten nur fünfzig<br />

Prozent ihrer Sollstärke, und noch vor der Schlacht begann ein<br />

Wettlauf, denn jede Seite versuchte, vor der anderen Verstärkungen<br />

zum Angriffspunkt zu bringen.<br />

Holle, BRD<br />

»Noch dreißig Minuten«, sagte Alexejew zu Sergetow. Auf einer<br />

knapp zwanzig Kilometer breiten Front standen vier Mot-Schützendivisionen<br />

bereit. Hinter ihnen wartete eine Panzerdivision, um<br />

392


den ersten Bruch der deutschen Linien auszunützen. Angriffsziel<br />

war Alfeld an der Leine. Die Stadt beherrschte zwei Straßen, auf<br />

denen die Nato Nachschub nach Norden und Süden transportierte,<br />

und ihre Eroberung würde eine Bresche in die Nato-Linien reißen,<br />

durch die die sowjetischen Operativen Mobilen Gruppen stoßen<br />

konnten, um die feindliche Front von hinten aufzurollen.<br />

'»Genosse General, wie schätzen Sie die Lage ein?« fragte der<br />

Hauptmann leise.<br />

»Fragen Sie mich in ein paar Stunden noch einmal«, erwiderte<br />

der General. Das Flußtal hinter ihm war ein weiterer Friedhof für<br />

Männer und Waffen. Sie standen nur dreißig Kilometer hinter der<br />

Grenze - dabei hatte man erwartet, dass die Panzer der Roten<br />

Armee Holle binnen zwei Tagen erreichen würden. Alexejew zog<br />

die Stirn kraus und fragte sich, welches Genie vom Stab sich diesen<br />

Zeitplan hatte einfallen lassen. Wieder einmal war der menschliche<br />

Faktor übersehen worden. Moral und Kampfgeist der Deutschen<br />

waren unglaublich; er entsann sich der Kriegsgeschichten seines<br />

Vaters, die er nie so recht hatte glauben wollen. Inzwischen sah er<br />

das anders. Die Deutschen kämpften um jeden Klumpen Erde wie<br />

Wölfe, die ihre Jungen verteidigten, wichen nur zurück, wenn es<br />

sich nicht vermeiden ließ, nutzten jede Gelegenheit zum Gegenangriff,<br />

bluteten die angreifenden russischen Einheiten aus.<br />

Die sowjetische Doktrin hatte schwere Verluste prophezeit. Zum<br />

Bewegungskrieg kam man nur durch kostspielige Frontalangriffe,<br />

die ein Loch in die Linien rissen - doch das hatten die Armeen der<br />

Nato bisher verhindert. Ihre aus vorbereiteten sicheren Stellungen<br />

abgefeuerten modernen Waffen dez<strong>im</strong>ierten jede Angriffswelle.<br />

Luftangriffe auf Ziele hinter der sowjetischen Front schwächten<br />

Einheiten, ehe sie entscheidend eingesetzt werden konnten, und<br />

machten die Artillerieunterstützung trotz aller Tarnmaßnahmen<br />

zur Farce.<br />

Die Rote Armee ist auf dem Vormarsch, sagte sich Alexejew, und<br />

auch bei der Nato sind die Reserven dünn gesät. Die Deutschen<br />

nutzten ihre Mobilität nicht so, wie Alexejew es getan hätte, verteidigten<br />

verbissen Orte, anstatt die sowjetischen Einheiten <strong>im</strong> Bewegungskrieg<br />

zu bekämpfen. Andererseits hatten sie auch nur wenig<br />

Terrain, das sie gegen Zeit tauschen konnten. Der General schaute<br />

auf die Uhr.<br />

Unter ihm stieg eine Feuerwand aus dem Wald auf, als das<br />

393


Vorbereitungsfeuer der russischen Artillerie begann. Dann heulten<br />

die Raketenwerfer, und Feuerspuren erhellten den Morgenh<strong>im</strong>mel.<br />

Alexejew richtete das Fernglas auf die feindlichen Positionen und<br />

sah die weißlich-orangen Einschläge. Über ihm ein Donnern: Die<br />

erste Wolke der Erdkampfflugzeuge jagte auf die Front zu.<br />

»Danke, Genosse General«, hauchte Alexejew. Er zählte mindestens<br />

dreißig Jagdbomber Suchoi und MiG <strong>im</strong> Tiefflug und ging mit<br />

entschlossenem Lächeln zu seinem Befehlsbunker zurück.<br />

»Die Spitzen haben sich in Bewegung gesetzt«, verkündete ein<br />

Oberst. Auf einem Tisch, der aus ungehobelten Brettern auf Sägeböcken<br />

bestand, trug man mit Fettstift Positionen ein. Rote Pfeile<br />

begannen, sich auf blaue Linien zuzubewegen. Am Tisch standen<br />

Leutnants, die in Funkverbindung mit dem Hauptquartier jeweils<br />

eines Reg<strong>im</strong>ents standen. Offiziere, denen Reserveeinheiten zugeteilt<br />

worden waren, hielten sich <strong>im</strong> Hintergrund, rauchten und<br />

beobachteten den Vormarsch der Pfeile. Der Befehlshaber der 8.<br />

Gardearmee stand schweigend dabei und sah zu, wie sein Angriffsplan<br />

sich entfaltete.<br />

»Stoßen auf mäßigen Widerstand: Feuer von feindlicher Artillerie<br />

und Panzern«, sagte ein Leutnant.<br />

Explosionen erschütterten den Befehlsbunker. Zwei Kilometer<br />

weiter war gerade ein Schwärm deutscher Phan<strong>tom</strong>s in ein motorisiertes<br />

Artilleriebataillon gefetzt.<br />

»Feindliche Kampfflugzeuge über uns«, meldete der Luftabwehroffizier<br />

etwas verspätet. Einige hoben ängstlich die Blicke zu<br />

der aus Baumstämmen bestehenden Decke des Befehlsbunkers.<br />

Alexejew gehörte nicht zu ihnen. Eine Smart-Bombe konnte sie alle<br />

auf der Stelle töten. Obwohl er seine Funktion als stellvertretender<br />

Befehlshaber des Operationsgebietes genoß, hätte er lieber seine<br />

eigene Division kommandiert. Hier war er nicht mehr als ein Beobachter.<br />

»Die Artillerie meldet schweres Gegenfeuer und Luftangriffe.<br />

Unsere Raketen greifen feindliche Flugzeuge <strong>im</strong> rückwärtigen Gebiet<br />

der 57. Mot-Schützendivision an«, fuhr der Luftabwehroffizier<br />

fort. »In der Luft starke Aktivität über der Front.«<br />

»Unsere Kampfflugzeuge greifen die Nato-Maschinen an«, meldete<br />

der Offizier der Heeresflieger und schaute zornig auf. »Unsere<br />

Flieger werden von unseren eigenen SAM-Batterien abgeschossen!«<br />

394


»Richten Sie Ihren Einheiten aus, sie sollen ihre Ziele ordentlich<br />

identifizieren!« schrie Alexejew den Luftabwehroffizier an.<br />

»Wir haben fünfzig Maschinen über der Front und werden mit<br />

den Nato-Flugzeugen allein fertig«, beharrte der Heeresflieger.<br />

»Alle SAM-Batterien haben Feuerverbot auf Ziele über tausend<br />

Meter«, befahl Alexejew, der diese Frage am Vorabend mit seinem<br />

Kommandeur der Heeresflieger eingehend besprochen hatte. Die<br />

MiG-Piloten sollten nach ihren Attacken in größere Höhe zurückkehren<br />

und den Flugabwehrraketen und -kanonen freies Schußfeld<br />

auf nur jene Maschinen der Nato lassen, die eine unmittelbare<br />

Bedrohung für Bodentruppen darstellten. Warum also wurden<br />

seine Flugzeuge getroffen?<br />

Dreißigtausend Fuß überm Rhein kämpften zwei E-3A Sentry ums<br />

Überleben. Ein entschlossener sowjetischer Angriff hatte begonnen:<br />

Zwei Reg<strong>im</strong>enter Abfangjäger MiG-23 raste auf sie zu. Die<br />

Controller an Bord riefen um Hilfe, was sie von elektronischen<br />

Maßnahmen gegen den Angriff ablenkte und Kampfflugzeuge von<br />

anderen Missionen abzog. Um ihre eigene Sicherheit unbekümmert,<br />

kamen die Russen mit weit über 1600 Stundenkilometern<br />

nach Westen gejagt, unterstützt von starken Störmaßnahmen.<br />

Amerikanische F-15 Eagle und französische Mirage hielten auf die<br />

Bedrohung zu und füllten den H<strong>im</strong>mel mit Raketen, aber es war<br />

nicht genug. Als die MiG bis auf sechzig Meilen an die AWACS<br />

herangekommen waren, schalteten diese ihre Radaranlagen aus<br />

und ergriffen <strong>im</strong> Sturzflug die Flucht. Die Nato-Kampfflugzeuge<br />

über Bad Salzdetfurth waren auf sich allein gestellt. Zum ersten<br />

Mal hatten die Sowjets die Luftüberlegenheit errungen.<br />

»Das 143. Garde-Schützenreg<strong>im</strong>ent meldet den Durchbruch«,<br />

sagte ein Leutnant und verlängerte den Pfeil, für den er verantwortlich<br />

war. »Feindkräfte ziehen sich in Auflösung zurück.«<br />

»145. Garde-Schützenreg<strong>im</strong>ent meldet den Zusammenbruch der<br />

vordersten deutschen Verteidigungslinie«, erklärte der Offizier neben<br />

ihm. »Die Einheit dringt entlang der Bahnlinie nach Süden vor.<br />

Feindliche Einheiten haben die Flucht ergriffen, versuchen nicht,<br />

sich umzugruppieren oder Raum zu behaupten.«<br />

Der General der 8. Gardearmee warf Alexejew einen triumphierenden<br />

Blick zu. »Setzt die Panzerdivision in Marsch!«<br />

395


Zwei geschwächte deutsche Brigaden hatten zu viel gelitten, zu<br />

viele Angriffe aufhalten müssen. Ihren Männern, erschöpft und<br />

knapp an Munition, blieb nichts anderes als die Flucht und die<br />

Hoffnung, <strong>im</strong> Wald hinter der B 143 eine neue Linie bilden zu<br />

können. Vier Kilometer weiter setzte sich bei Hackenstedt die 20.<br />

Garde-Panzerdivision in Bewegung. Ihre dreihundert Kampfpanzer<br />

T-8o, unterstützt von Hunderten von Schützenpanzern und Mannschaftstransportern,<br />

rückte links und rechts der Straße in Angriffskolonnen<br />

vor. Diese Einheit war die Operative Mobile Gruppe der<br />

8. Gardearmee. Seit Kriegsbeginn hatte die Sowjetunion versucht,<br />

der Nato mit einem dieser starken Verbände in den Rücken zu<br />

fallen.<br />

»Gut gemacht, Genosse General, meinte Alexejew. Die Karte<br />

zeigte nun einen allgemeinen Durchbruch. Drei der vier angreifenden<br />

Mot-Schützendivisionen hatten die deutschen Linien durchstoßen.<br />

Den MiG gelang der Abschuß eines AWACS und dreier Eagle,<br />

doch bei der heftigen, fünfzehnminütigen Luftschlacht verloren sie<br />

neunzehn Kampfflugzeuge. Das überlebende AWACS war nun<br />

wieder auf Diensthöhe, wenngleich hundertdreißig Kilometer hinter<br />

dem Rhein, und die Operatoren an Bord bemühten sich, die<br />

Luftschlacht über Deutschland wieder unter Kontrolle zu bringen.<br />

Die MiG, die für einen mörderischen Preis ihren Auftrag erfüllt<br />

hatten, flogen durch einen Hagel von Boden-Luft-Raketen zurück<br />

nach Osten.<br />

Doch dies war erst der Anfang. Nun, da der erste Angriff Erfolg<br />

gehabt hatte, begann der schwierigste Teil der Schlacht. Die kommandierenden<br />

Generale und Obersten mussten ihre Einheiten hinter<br />

einer südwärts rollenden Feuerwalze der Artillerie rasch und in<br />

intakten Formationen nach vorne bringen. Höchste Priorität hatte<br />

die Panzerdivision, die die nächsten deutschen Linien nur Minuten<br />

nach den Mot-Schützendivisionen angreifen musste, wenn Alfeld<br />

vor Einbruch der Nacht erreicht werden sollte. Die Militärpolizei<br />

richtete vorgeplante Verkehrsregelungspunkte ein und dirigierte<br />

Einheiten über Straßen, an denen die Wegweiser von den Deutschen<br />

entfernt worden waren. Das Ganze ging nicht so einfach, wie<br />

man erwartet hatte. Einheiten waren nicht intakt. Einige Führer<br />

waren gefallen, Fahrzeuge liegengeblieben, und Straßenschäden<br />

erschwerten das Vorankommen.<br />

396


Unterdessen waren die Deutschen bemüht, sich zu reorganisieren.<br />

Einheiten der Nachhut warteten hinter jeder Straßenbiegung,<br />

um ihre Panzerabwehrraketen auf die entschlossen angreifende<br />

sowjetische Vorhut abzuschießen. Auch die alliierten Flugzeuge<br />

reorganisierten sich; Erdkampfflugzeuge begannen, die sowjetischen<br />

Einheiten <strong>im</strong> offenen Gelände zu attackieren.<br />

Hinter der aufgerissenen Front rollte eine deutsche Panzerbrigade<br />

nach Alfeld hinein, dicht gefolgt von einem motorisierten<br />

belgischen Reg<strong>im</strong>ent. Die Deutschen fuhren auf der Hauptstraße<br />

nach Nordosten, angestarrt von Bürgern, denen man gerade befohlen<br />

hatte, ihre Häuser zu verlassen.<br />

Faslane, Schottland<br />

»Kein Glück, was?« fragte Todd S<strong>im</strong>ms, Kommandant der USS<br />

Boston.<br />

»Nein«, bestätigte McCafferty. Selbst auf der Rückfahrt nach<br />

Faslane hatten sie Pech gehabt. HMS Osiris, ein britisches Diesel-<br />

U-Boot, das die minenfreie Fahrrinne bewachte, war in Angriffsposition<br />

gegangen, ohne von der Besatzung der USS Chicago bemerkt<br />

worden zu sein. »Wir hatten eine großartige Chance gegen<br />

diesen großen amphibischen Verband. Alles lief perfekt. Die Russen<br />

hatten Sonobojen ausgelegt, aber an denen stahlen wir uns<br />

vorbei. Gerade, als wir unsere Flugkörper starten wollten - ich<br />

hatte vor, später mit Torpedos nachzustoßen -«<br />

»Hört sich gut an«, meinte S<strong>im</strong>ms.<br />

»Da schießt ein anderer Torpedos ab und versaut uns alles. Wir<br />

brachten zwar drei Harpoons in die Luft, wurden aber von einem<br />

Hubschrauber dabei beobachtet, und - zack! - hatten wir die ganze<br />

Bande auf dem Hals.« McCafferty öffnete die Tür zur Offiziersmesse.<br />

»Ich brauch was zu trinken.«<br />

»Gute Idee!« S<strong>im</strong>ms lachte. »Nach ein paar Bierchen sieht alles<br />

besser aus. Kopf hoch.« S<strong>im</strong>ms ging an die Theke. »Zwei Ale.«<br />

»Kommt sofort, Commander.« Ein Steward in Weiß zapfte.<br />

S<strong>im</strong>ms zahlte und führte seinen Freund zu einer Nische in der Ecke.<br />

Am anderen Ende der Messe feierte eine kleinere Gruppe.<br />

»Danny, nehmen Sie's nicht so tragisch. Es ist doch nicht Ihre<br />

Schuld, dass der Iwan Ihnen kein Ziel geboten hat.«<br />

397


McCafferty trank einen herzhaften Schluck. Unterdessen nahm<br />

Chicago Proviant auf und sollte noch zwei Tage <strong>im</strong> Hafen bleiben.<br />

Boston und ein zweites Boot der 688-Klasse lagen am selben Kai.<br />

Zwei weitere Boote wurden später erwartet. Diese sollten für<br />

einen Sondereinsatz, dessen Natur noch unbekannt war, umgerüstet<br />

werden. Die Offiziere und Matrosen nutzten das bißchen Freizeit,<br />

frische Luft zu schnappen und sich zu entspannen. »Todd, Sie<br />

haben wie <strong>im</strong>mer recht.«<br />

»Klar. Hier, essen Sie eine Brezel. Da drüben scheint ja allerhand<br />

los zu sein. Gehen wir mal rüber?« S<strong>im</strong>ms nahm sein Glas<br />

und ging zum anderen Ende des Raums.<br />

Dort hatte sich eine Gruppe von U-Boot-Offizieren versammelt,<br />

und ihre Aufmerksamkeit galt einem norwegischen Kommandanten,<br />

der ganz offensichtlich schon seit mehreren Stunden getrunken<br />

hatte. Sobald er ein Glas geleert hatte, reichte ihm ein Commander<br />

der Royal Navy ein frisches Bier.<br />

»Ich muss einfach den Mann finden, der uns gerettet hat!« rief<br />

der Norweger laut und angetrunken.<br />

»Was gibt's hier?« fragte S<strong>im</strong>ms. Man stellte sich vor.<br />

»Das ist der Bursche, der die Kirow versenkt hat«, erklärte ein<br />

Offizier der Royal Navy, der HMS Oberon befehligte. »Er erzählt<br />

die Geschichte alle zehn Minuten. Zeit, dass er wieder mal anfängt.«<br />

»Scheiße«, grunzte McCafferty. Das war also der Mann, der<br />

ihm sein Ziel vor der Nase versenkt hatte!<br />

Der Norweger begann wieder mit seiner Geschichte. » ...die<br />

Kirow ist nun ganz nahe«, schloß er, »Sehrohr hoch! Vier Torpedos<br />

los! Nachladen und abtauchen!«<br />

»Sie haben mir die Annäherung ruiniert!« schrie McCafferty.<br />

Einen Augenblick lang wirkte der Norweger fast nüchtern.<br />

»Wer sind Sie? Waren Sie denn dort?«<br />

»Ja, ich war dort. Dan McCafferty, USS Chicago.«<br />

»Und haben Sie Raketen abgefeuert?«<br />

»Ja.«<br />

»Sie sind ein Held!« Der norwegische U-Boot-Fahrer rannte auf<br />

McCafferty zu und umarmte ihn stürmisch. »Sie haben mein Boot,<br />

meine Männer gerettet!«<br />

»Worum geht es hier eigentlich?« fragte S<strong>im</strong>ms.<br />

»Darf ich die Herren miteinander bekannt machen?« sagte ein<br />

398


Offizier der Royal Navy. » Kapitän Björn Johannsen, Kommandant<br />

des Bootes Kobben. Captain Daniel McCafferty, USS Chicago.«<br />

»Nachdem wir die Kirow versenkt hatten, gingen die Russen mit<br />

einem Kreuzer und zwei Zerstörern wie die Wölfe auf uns los«, fuhr<br />

Johannsen nüchterner fort. »Und dann schossen Sie mit Raketen?«<br />

Seine Augen funkelten.<br />

»Ja, drei Harpoons. Ein Hubschrauber sah die Abschüsse und<br />

griff uns an. Wir mussten tauchen und konnten nicht feststellen, ob<br />

wir etwas getroffen hatten.«<br />

»Und ob! Wir waren getaucht, schon vier Torpedos ausgewichen,<br />

Batterien leer, das Boot beschädigt - das war das Ende. Sie<br />

hatten uns mit Sonar erfaßt, der Zerstörer warf Wasserbomben.<br />

Aber dann - Bumm! Bumm! Bumm! Der Zerstörer explodierte, der<br />

andere war getroffen. Und wir entkamen.« Johannsen nahm<br />

McCafferty noch einmal so heftig in die Arme, dass beide Männer<br />

ihr Bier verschütteten.<br />

»Nur wegen Ihnen, Chicago, ist meine Besatzung noch am Leben.<br />

Ich schmeiße eine Runde für Ihre Männer!«<br />

»Wir haben also wirklich einen Zerstörer versenkt...«, meinte<br />

McCafferty nachdenklich. Nicht so gut wie ein a<strong>tom</strong>getriebener<br />

Schlachtkreuzer, aber besser als nichts.<br />

»Nicht übel, Dan«, bemerkte S<strong>im</strong>ms.<br />

»Tja, manche Leute haben eben <strong>im</strong>mer Schwein«, ließ sich der<br />

Kommandant von HMS Oberon vernehmen.<br />

»Also ehrlich, Todd«, sagte der Kommandant von USS Chicago,<br />

»das Bier ist vorzüglich.«<br />

USS Pharris<br />

Es waren nur zwei Leichen zu bestatten. Vierzehn Männer waren<br />

vermißt und wahrscheinlich tot, aber Morris fand dennoch, dass sie<br />

mit einem blauen Auge davongekommen waren. Zwanzig Matrosen<br />

hatten mehr oder weniger schwere Verletzungen davongetragen.<br />

Morris las leidenschaftslos aus dem Gebetsbuch vor, und dann<br />

stellten Matrosen die Messetische schräg. Die in Plastiksäcke eingehüllten<br />

und mit Stahl beschwerten Leichen glitten unter den Flaggen<br />

hervor und fielen ins Wasser. Hier war der Atlantik zehntau­<br />

399


send Fuß tief; eine lange tiefe Reise für seinen Ersten Offizier und<br />

einen Geschützmaat aus Detroit. Dann wurde Salut geschossen,<br />

aber kein Zapfenstreich geblasen: Niemand an Bord verstand sich<br />

auf die Trompete, und das Tonbandgerät war defekt. Morris<br />

klappte das Buch zu. Die Flaggen wurden gefaltet und zurück in<br />

ihren Schrank gelegt. Man trug die Tische zurück in die Messe und<br />

verschraubte die Stützen wieder mit dem Deck. Und seine Pharris,<br />

das wusste Morris, war nur noch ein Wrack.<br />

Der Schlepper Papago zog die Fregatte Heck voran und mit nur<br />

vier Knoten. Noch drei Tage bis zum Land. Sie liefen auf den<br />

nächsten Hafen zu, Boston, der aber keinen Marinestützpunkt<br />

hatte. Der Grund war klar: Die Reparatur würde mehr als ein Jahr<br />

dauern, und die Navy wollte ihre Werft freihalten. Schiffe, die bald<br />

wieder einsatzbereit gemacht werden konnten, hatten Vorrang.<br />

Und das Kommando auf dem Schiff hatte er nur noch der Form<br />

halber. Der Schlepper hatte eine Reservemannschaft, die sich aus<br />

Bergungsexperten zusammensetzte. Drei dieser Männer waren nun<br />

an Bord, um die Trosse <strong>im</strong> Auge zu behalten und Morris zu »beraten«.<br />

Im Grunde genommen waren ihre Ratschläge Befehle - aber<br />

sie wurden wenigstens höflich gegeben.<br />

Seine Mannschaft hatte mehr als genug zu tun. Die Schotten <strong>im</strong><br />

Vorschiff mussten dauernd überwacht werden. Im Maschinenraum<br />

war man mit Reparaturarbeiten beschäftigt. Ein Kessel hatte wieder<br />

Druck und trieb den Turbogenerator, der Strom lieferte. Am<br />

zweiten Kessel wurde noch gearbeitet. Das Hauptsuchradar sollte,<br />

wie er erfuhr, in vier Stunden wieder einsatzbereit sein. Gerade war<br />

die Satellitenantenne wieder in Betrieb genommen worden. Falls sie<br />

den Hafen erreichten, waren alle Systeme an Bord repariert. Angesichts<br />

des Ausmaßes der Schäden war das zwar unerheblich, aber<br />

eine beschäftigte Mannschaft ist, wie man bei der Navy sagt, eine<br />

gutgelaunte Mannschaft. Anders als ihr Kommandant hatte die Besatzung<br />

keine Zeit, nachzudenken, welche Fehler gemacht worden<br />

waren, wie viele Leben sie gekostet hatten, und wer die Schuld trug.<br />

Morris ging in die Gefechtszentrale. Seine Taktik-Crew ging die<br />

Bänder und schriftlichen Aufzeichnungen der Begegnung mit dem<br />

Victor noch einmal durch und versuchte herauszufinden, was geschehen<br />

war.<br />

»Ach, ich weiß nicht.« Der Sonar-Operator hob die Schultern.<br />

»Vielleicht waren es zwei U-Boote. Zum Beispiel: Zu diesem Zeit­<br />

400


punkt ist es hier. Diese helle Spur - aber ein paar Minuten später<br />

erfaßt ihn das Aktiv-Sonar dort.«<br />

»Es war nur ein Boot", sagte Morris. »Bei fünfundzwanzig Knoten<br />

läßt sich die Strecke zwischen den beiden Punkten in vier<br />

\Iinuten zurücklegen.»<br />

»Wir hörten das Boot aber nicht, und es erschien auch nicht auf<br />

dem Schirm. Außerdem fuhr es in die entgegengesetzte Richtung,<br />

als wir den Kontakt verloren.« Der Sonarmann spulte das Band<br />

zurück, um es noch einmal ablaufen zu lassen.<br />

»So, so.« Morris ging zurück auf die Brücke und dachte das<br />

Ganze noch einmal durch. Inzwischen wusste er den Ablauf auswendig.<br />

Er trat hinaus in die Nock. Das Schanzkleid war noch<br />

durchlöchert, und ein blasser Blutfleck zeigte, wo der Erste Offizier<br />

gestorben war. Chief Clarke, der viele Trupps <strong>im</strong> Einsatz hatte,<br />

würde ihn noch heute überstreichen lassen. Morris steckte sich eine<br />

Zigarette an und starrte zum Horizont.<br />

Reydarvatb, Island<br />

Der Hubschrauber war eine letzte Warnung gewesen. Edwards und<br />

seine Leute marschierten durch ein Gebiet mit kleinen Seen nach<br />

Nordosten, überquerten eine unbefestigte Straße, nachdem sie eine<br />

Stunde gewartet hatten, um sicherzustellen, dass dort kein Verkehr<br />

herrschte, und drangen dann in ein Sumpfgebiet ein. Edwards fand<br />

das Gelände verwirrend. Angesichts des Durcheinanders von nacktem<br />

Fels, Wiesen, Lavafeldern und einem Moor fragte er sich, ob<br />

Gott alles, was nach der Schöpfung übriggeblieben war, auf Island<br />

abgeladen hatte. Bäume schien er jedenfalls genug geschaffen zu<br />

haben, denn diese fehlten hier völlig. Ihre beste Deckung war<br />

kniehohes Gras, das <strong>im</strong> Wasser wuchs und sehr zäh sein musste,<br />

denn das Moor war bis vor kurzem vereist gewesen. Das Wasser<br />

war noch so kalt, dass ihnen die Beine schmerzten - aber sie ertrugen<br />

das. Die Alternativroute hätte sie über offenes, leicht ansteigendes<br />

Gelände geführt, angesichts der feindlichen Hubschrauber zu<br />

riskant.<br />

Vigdis überraschte alle mit ihrer Zähigkeit, denn sie hielt klaglos<br />

mit. Eben ein Mädchen vom Land, dachte Edwards. »Okay, Leute,<br />

kurze Rast!« rief er. Sofort suchte sich jeder eine trockene Stelle, an<br />

401


der er umfallen konnte. Garcia behielt durch das erbeutete russische<br />

Fernglas die Umgebung <strong>im</strong> Auge. Edwards drehte sich um und<br />

stellte fest, dass Vigdis sich neben ihm niederließ. »Wie geht's?«<br />

fragte er.<br />

»Sehr müde«, meinte sie und lächelte schwach, »aber nicht ganz<br />

so müde wie Sie.«<br />

»Wirklich?« Edwards lachte. »Dann sollten wir einen Zahn<br />

zulegen.«<br />

»Wo wollen wir hin?«<br />

»Nach Hvammsfjördur. Warum, hat man mir nicht gesagt. Wird<br />

noch vier oder fünf Tage dauern, weil wir uns nach Möglichkeit<br />

von Straßen fernhalten sollen.«<br />

»Bin ich denn keine Belastung für Sie?«<br />

»Ganz und gar nicht. Wir sind sogar froh, ein hübsches Mädchen<br />

bei uns zu haben.«<br />

Sie schaute ihn zweifelnd an. »Sie finden mich hübsch, nach dem -«<br />

»Vigdis, Sie sind eine Schönheit. Daran kann kein Mann etwas<br />

ändern. Es trifft Sie keine Schuld an dem, was passiert ist. Außerdem<br />

weiß ich, dass jemand Sie mag.«<br />

»Weil ich schwanger bin? Irrtum. Der hat sich eine andere gesucht.<br />

Macht nichts, alle meine Freundinnen haben Kinder.«<br />

Was für ein Idiot, dachte Edwards und entsann sich dann, dass<br />

eine uneheliche Geburt auf Island nichts Ungewöhnliches war.<br />

Nachnamen gab es nicht. Unverheiratete junge Frauen bekamen<br />

Kinder, versorgten sie ordentlich, und das war's. Aber wer würde<br />

dieses Mädchen verlassen?<br />

»Ehrlich, Vigdis, Sie sind das hübscheste Mädchen, dem ich je<br />

begegnet bin.«<br />

»Wirklich?«<br />

Edwards strich ihr über die Wange. »Jeder Mann, der das Gegenteil<br />

behauptet, ist nicht bei Trost.« Er drehte sich um und sah<br />

Sergeant Smith herannahen.<br />

»Zeit zum Aufbruch, wenn Sie keine steifen Beine kriegen wollen,<br />

Lieutenant.«<br />

402


Bodenburg, BRD<br />

Der Weg an die Front war beschwerlich gewesen. Der vorgeschobene<br />

Gefechtsstand war so dicht wie möglich hinter die Angriffsspitzen<br />

der 8. Gardearmee verlegt worden, weil der Befehlshaber<br />

Wert darauf legte, seine Augen und Ohren an der Front zu haben.<br />

Die Fahrt mit gepanzerten Mannschaftstransportern, in deren Verlauf<br />

Alexejew zwei schwere Luftangriffe auf russische Kolonnen<br />

beobachtete, dauerte vierzig Minuten. Mit dem Hubschrauber<br />

wäre es viel zu gefährlich gewesen.<br />

Inzwischen hatten deutsche und belgische Verstärkungen ins<br />

Gefecht eingegriffen, und abgehörten Funksprüchen war zu entnehmen,<br />

dass auch amerikanische und britische Einheiten unterwegs<br />

waren. Auch Alexejew sorgte für Verstärkung. Was als relativ<br />

s<strong>im</strong>pler Vorstoß einer mechanisierten Armee begonnen hatte, entwickelte<br />

sich nun zu einer wichtigen Schlacht. Das fand er günstig.<br />

Die Nato würde keine Verstärkungen heranführen, wenn sie die<br />

Lage nicht für ernst hielt. Aufgabe der Russen war es nun, das<br />

gewünschte Resultat zu erzielen, ehe Verstärkungen kamen.<br />

Der die 2o. Garde-Panzerdivision kommandierende General befand<br />

sich <strong>im</strong> Befehlsstand, der bis zur Fertigstellung eines unterirdischen<br />

Bunkers in einer neuen Oberschule eingerichtet worden war.<br />

Schwierigkeiten bei der Verkehrsregelung und Gegenwehr der<br />

Deutschen hatten den Vormarsch verlangsamt.<br />

»Immer diese Straße entlang bis Sack«, sagte der Chef der 8. Gardearmee<br />

zum Panzergeneral. »Meine Mot-Schützen sollten den Ort<br />

bis zu Ihrem Eintreffen besetzt haben.«<br />

»Und dann noch vier Kilometer bis Alfeld. Gut, aber sorgen Sie<br />

für Unterstützung, wenn wir die Leine überqueren.« Der Panzergeneral<br />

setzte sich den Helm auf und ging zur Tür. Es klappt, dachte<br />

Alexejew. Dieser Mann hatte großartige Arbeit geleistet und seine<br />

Einheit in fast perfekter Ordnung an die Front gebracht.<br />

Als nächstes hörte er eine Explosion. Fenster zersplitterten, Dekkenputz<br />

fiel herab. Wieder einmal war das Teufelskreuz zurückgekehrt.<br />

Alexejew hastete nach draußen und erblickte ein Dutzend<br />

brennender gepanzerter Fahrzeuge. Unter seinen Augen kletterte<br />

die Besatzung aus einem fabrikneuen T-8o, der einen Augenblick<br />

später explodierte: Feuer erreichte die Munition, und eine Flammensäule<br />

stieg zum H<strong>im</strong>mel wie aus einem kleinen Vulkan.<br />

403


»Der General ist tot - der General ist tot!« schrie ein Feldwebel<br />

und wies auf einen BMD-Mannschaftstransporter, aus dem niemand<br />

lebendig entkommen war. Der Befehlshaber der 8. Gardearmee<br />

erschien fluchend an Alexejews Seite. »Der stellvertretende<br />

Kommandeur dieser Division ist ein frischgebackener Oberst.«<br />

Pawel Leonidowitsch kam zu einem raschen und praktischen<br />

Entschluß. »Wie war's mit mir. Genosse General?«<br />

Der Mann starrte ihn verdutzt an, entsann sich dann aber seines<br />

Rufes als Panzerkommandeur und fällte seinerseits eine schnelle<br />

Entscheidung. »Gut, die Division gehört Ihnen. Den Auftrag kennen<br />

Sie ja.«<br />

Ein Schützenpanzer kam angerollt, Alexejew und Sergetow stiegen<br />

ein, und der Fahrer raste los zum Divisionsgefechtsstand, den<br />

sie eine halbe Stunde später erreichten. Im Wald standen Reihen<br />

von Panzern. Ganz in der Nähe schlugen Granaten ein, aber Alexejew<br />

schenkte ihnen keine Beachtung. Als er eintrat, steckten seine<br />

Reg<strong>im</strong>entskommandeure die Köpfe zusammen. Er gab ihnen<br />

knappe Befehle hinsichtlich Angriffsziel und -zeit. Es sprach für den<br />

vor einer Stunde gefallenen General, dass hier jeder seine Aufgabe<br />

kannte. Die Division war gut organisiert. Alexejew erkannte sofort,<br />

dass er einen guten Stab hatte, schickte seine Truppenführer zu<br />

ihren Einheiten und erkundigte sich nach der Lage.<br />

»Ein deutsches Panzerbataillon ist auf dieser Straße östlich von<br />

Sack zum Gegenangriff angetreten, doch den werden wir binden<br />

können. Zudem fallen unsere Panzer dem Feind bereits von Südwesten<br />

her in den Rücken. Die ersten Mot-Schützen-Einheiten haben<br />

den Stadtrand bereits erreicht und melden nur schwachen Widerstand.<br />

Unsere Panzerspitzen sind nun in Bewegung und sollten<br />

binnen einer Stunde dort sein.«<br />

»Die Luftlage?«<br />

»SAM-Starter und Flakpanzer sind kurz hinter den ersten Angriffswellen.<br />

Zwei Reg<strong>im</strong>enter MiG-21 stehen zur Luftunterstützung<br />

bereit, aber Erdkampfflugzeuge hat man uns noch nicht zugewiesen,<br />

weil denen heute vormittag übel mitgespielt wurde - aber<br />

auch der anderen Seite. Wir haben zwölf Nato-Maschinen abgeschossen.«<br />

Alexejew nickte und teilte diese Zahl durch drei, wie er es gelernt<br />

hatte.<br />

»Genosse General, ich bin Oberst Popow, Ihr Politoffizier.«<br />

404


»Sehr gut, Genosse Oberst. Mein Mitgliedsbeitrag für die Partei<br />

ist bis zum Jahresende bezahlt, und wenn ich Glück habe, entrichte<br />

ich ihn auch fürs nächste Jahr. Wenn Sie etwas Wichtiges zu melden<br />

haben, fassen Sie sich bitte kurz!«<br />

»Wenn wir Alfeld eingenommen haben -


Alfeld, BRD<br />

Es war ein zusammengewürfeltes Team. Amerikanische motorisierte<br />

Infanterie und die Panzerspitze einer anrückenden britischen<br />

Brigade verstärkten die Überreste der deutschen und belgischen<br />

Einheiten, die an diesem Tag von fünf sowjetischen Divisionen<br />

zerschlagen worden waren. Es war nur wenig Zeit. Kampfpioniere<br />

gruben mit gepanzerten Räumschaufeln rasch Stellungen für die<br />

Panzer, Infanteristen hoben Löcher für ihre Panzerabwehrwaffen<br />

aus. Eine Staubwolke am Horizont; mehr Warnung brauchten sie<br />

nicht. Dem Vernehmen nach rollte eine Panzerdivision auf sie zu.<br />

Die Stadt hinter ihnen war noch nicht ganz evakuiert. Zwanzig<br />

Meilen hinter ihnen kreiste eine Staffel Erdkampfflugzeuge, bereit,<br />

auf Anforderung herabzustoßen.<br />

»Feind in Sicht!« funkte ein Ausguck von einem Kirchturm.<br />

Sekunden darauf begannen Artilleriegeschosse auf die sowjetische<br />

Panzerspitze herabzuregnen. Die Bedienungen der Panzerabwehrwaffen<br />

nahmen die Abdeckungen von ihren Zielfernrohren und<br />

luden. Die Challenger-Panzer des 3rd Royal Tank Reg<strong>im</strong>ent fuhren<br />

in ihre Löcher. Luken wurden geschlossen, die Richtschützen nahmen<br />

entfernte Ziele ins Fadenkreuz. Es herrschte Konfusion; für die<br />

Bildung einer Befehlsstruktur war nicht genug Zeit gewesen. Ein<br />

Amerikaner feuerte als erster. Das TOW-2-Geschoß zog seine<br />

Lenkdrähte hinter sich her wie Spinnenfäden, raste auf einen vier<br />

Kilometer entfernten T-8o zu.<br />

»Unsere Spitzen sind unter Raketenfeuer«, meldete ein Leutnant.<br />

»Beschießen Sie die Stellungen!« befahl Alexejew dem Kommandeur<br />

seiner Artillerie. Innerhalb einer Minute erfüllten die Mehrfachraketenwerfer<br />

der Division den H<strong>im</strong>mel mit Feuerspuren.<br />

Rohrartillerie trug noch zu dem Gemetzel bei. Dann griff die Artillerie<br />

der Nato ernsthaft ein.<br />

»Unsere Spitzen erleiden Verluste.«<br />

Alexejew betrachtete schweigend die Karte. Hier war weder Zeit<br />

noch Raum für Täuschungsmanöver. Seine Männer mussten so<br />

rasch wie möglich durch die feindlichen Linien stürmen, um die<br />

Leinebrücken in ihren Besitz zu bringen. Das bedeutete schwere<br />

Verluste bei seinen Panzerspitzen, die aber hingenommen werden<br />

mussten.<br />

406


Zwölf belgische F-16 kamen <strong>im</strong> Tiefflug über die Front gejagt,<br />

warfen tonnenweise Streubomben auf das erste sowjetische Reg<strong>im</strong>ent<br />

und zerstörten knapp einen Kilometer vor den alliierten Linien<br />

fast dreißig Panzer und zwanzig Infanterietransporter. Ein<br />

Schwärm Raketen stieg auf, und die einmotorigen Jäger wandten<br />

sich dicht überm Boden nach Westen, versuchten auszuweichen.<br />

Drei wurden abgeschossen und stürzten auf die Nato-Truppen ab.<br />

Der Kommandeur der britischen Panzer erkannte, dass er nicht<br />

genug Feuerkraft hatte, um den sowjetischen Angriff zu stoppen,<br />

und beschloß, sich zurückzuziehen, solange sein Bataillon noch<br />

kampffähig war. Er bereitete seine Kompanie darauf vor und versuchte<br />

auch, die benachbarten Einheiten zu verständigen, doch die<br />

Truppen vor Alfeld kamen von vier verschiedenen Armeen, sprachen<br />

verschiedene Sprachen und sendeten auf verschiedenen Frequenzen.<br />

Es war so wenig Zeit gewesen, dass noch nicht einmal<br />

feststand, wer überhaupt den Oberbefehl führte. Die Deutschen<br />

wollten bleiben, bis ihre Landsleute aus Alfeld sicher am anderen<br />

Ufer der Leine waren. Die Amerikaner und Belgier traten auf Befehl<br />

des britischen Colonel den Rückzug an, die Deutschen aber rührten<br />

sich nicht von der Stelle. Das Resultat war ein Chaos.<br />

»Vorgeschobene Beobachter melden feindliche Kräfte auf dem<br />

Rückzug. Feindliche Verbände scheinen sich nördlich der Stadt<br />

abzusetzen.«<br />

»Verlegen Sie das zweite Reg<strong>im</strong>ent nach Norden, lassen Sie es<br />

einen Bogen schlagen und so schnell wie möglich auf die Brücken<br />

zuhalten, ohne Rücksicht auf Verluste! Weiterhin Druck auf alle<br />

feindlichen Einheiten. Ich will sie nach Möglichkeit diesseits des<br />

Flusses einschließen und aufreiben«, befahl Alexejew. »Sergetow,<br />

kommen Sie mit zur Front.«<br />

Der Angriff hatte seinem ersten Reg<strong>im</strong>ent das Herz herausgerissen,<br />

doch der Erfolg war den Preis wert. Die Einheiten der Nato<br />

mussten durch die zerschlagene Stadt, um die Brücke zu erreichen,<br />

und dass sie <strong>im</strong> Norden mit der Ablösung begonnen hatten, war ein<br />

Geschenk des H<strong>im</strong>mels. Nun war Alexejew in der Lage, sie mit<br />

einem frischen Reg<strong>im</strong>ent zu überrennen und, wenn er viel Glück<br />

hatte, die Brücken intakt zu erobern. Diese Operation wollte er<br />

persönlich überwachen. Zusammen mit Sergetow bestieg er ein<br />

Kettenfahrzeug, das nach Süden fuhr, um das schon <strong>im</strong> Vormarsch<br />

407


efindliche Reg<strong>im</strong>ent abzufangen. Hinter ihnen begannen die Stabsoffiziere,<br />

über den Funkkreis der Division neue Befehle zu geben.<br />

Fünf Kilometer entfernt und jenseits des Flusses hatte eine deutsche<br />

Batterie von 155-mm-Geschützen nur auf diese Gelegenheit<br />

gewartet. Funker hörten die Mitteilung ab und ermittelten den<br />

genauen Standort des Divisonshauptquartiers. Geschützbedienungen<br />

gaben die Zieldaten in die Feuerleitrechner ein und luden. Jedes<br />

Geschütz der Batterie richtete sich auf denselben Az<strong>im</strong>ut. Als sie in<br />

rascher Folge zu feuern begannen, bebte der Boden.<br />

In weniger als zwei Minuten gingen über hundert Granaten auf<br />

das Hauptquartier und seine Umgebung nieder. Die Hälfte des<br />

Stabes kam auf der Stelle ums Leben, der Rest wurde verwundet.<br />

Alexejew starrte seinen Kopfhörer an. Zum dritten Mal war er<br />

dem Tod nur knapp entkommen. Meine Schuld, dachte er, ich hätte<br />

mich um den Standort des Senders kümmern sollen. Diesen Fehler<br />

durfte er nicht noch einmal machen.<br />

Zivilfahrzeuge verstopften Alfelds Straßen. Die amerikanischen<br />

Bradley-Schützenpanzer mieden die Stadt ganz, eilten am rechten<br />

Ufer der Leine entlang und überquerten sie geordnet. Drüben nahmen<br />

sie auf Hügeln Aufstellung und gaben den anderen alliierten<br />

Truppen be<strong>im</strong> Übergang Deckung. Nun waren die Belgier an der<br />

Reihe. Das verbliebene Drittel ihrer Panzer deckte die Südflanke am<br />

anderen Ufer des Flusses und versuchte, die Russen aufzuhalten, ehe<br />

es sich über die Brücken zurückzog. Deutsche Polizei hatte den<br />

Zivilverkehr zurückgehalten und die gepanzerten Fahrzeuge vorbeigelassen,<br />

doch als die ersten russischen Granaten in Ufernähe in der<br />

Luft zu zerplatzen begannen, entstand Chaos. Zivilisten, die dem<br />

Befehl zur Räumung ihrer Häuser nur mit Verspätung Folge geleistet<br />

hatten, mussten nun für ihr Versäumnis büßen. Die Artilleriegeschosse<br />

konnten den Kampffahrzeugen kaum etwas anhaben, zerstörten<br />

zivile Pkw und Laster aber gründlich. Binnen Minuten<br />

verstopften liegengebliebene und brennende Fahrzeuge die Straßen<br />

von Alfeld. Die überlebenden Insassen sprangen heraus und flohen<br />

durchs Feuer zu den Brücken, versperrten Panzern, die zum Fluß<br />

durchzukommen versuchten, den Weg. Deren Fahrer weigerten sich<br />

selbst unter Befehlsdruck, unschuldige Zivilisten plattzuwalzen.<br />

Richtschützen drehten die Türme nach hinten und beschossen russische<br />

Panzer, die nun in die Stadt eindrangen. Der Rauch brennender<br />

408


Gebäude nahm allen die Sicht. Kanonen feuerten auf nur flüchtig zu<br />

erkennende Ziele, Granaten trafen wahllos, und aus den Straßen<br />

von Alfeld wurde ein Schlachthaus für Soldaten und Nichtkombattanten.<br />

»Da sind sie!« rief Sergetow. Drei Straßenbrücken überspannten<br />

die Leine. Alexejew begann Befehle zu geben, aber das war überflüssig,<br />

denn der Reg<strong>im</strong>entskommandeur wies bereits über Funk<br />

ein Panzerbataillon mit Infanterieunterstützung an, am Westufer<br />

vorzugehen, auf der noch relativ freien Route, die die Amerikaner<br />

genommen hatten.<br />

Die leichten amerikanischen Panzer am anderen Ufer eröffneten<br />

mit Raketen und Schnellfeuerkanonen das Feuer und schössen ein<br />

halbes Dutzend russische Panzer ab. Der Rest des Reg<strong>im</strong>ents nahm<br />

sie unter Beschuß, und Alexejew forderte persönlich Artillerieunterstützung<br />

an.<br />

In Alfeld war der russische Angriff blutig steckengeblieben.<br />

Deutsche und britische Panzer waren auf Straßenkreuzungen in<br />

Stellung gegangen, halb verdeckt von zerschossenen Autos und<br />

Lastwagen, und zogen sich nur langsam zum Fluß zurück, um den<br />

Zivilisten die Flucht zu ermöglichen. Russische Infanteristen versuchten,<br />

sie mit Panzerabwehrraketen anzugreifen, aber deren<br />

Lenkdrähte wurden zu oft von den Trümmern auf der Straße<br />

zerrissen. Die Folge war, dass sich die Flugkörper nicht mehr steuern<br />

ließen und explodierten, ohne Schaden anzurichten. Russische<br />

und alliierte Artilleriegeschosse verwandelten die Stadt in ein<br />

Trümmerfeld.<br />

Alexejew sah seine Truppen auf die erste Brücke zuhalten. Südlich<br />

von ihm verfluchte der Kommandeur der Panzerspitze seine<br />

Verluste. Über die Hälfte seiner Panzer und Schützenpanzer waren<br />

zerstört. Der Sieg lag greifbar nahe, aber ausgerechnet jetzt waren<br />

seine Truppen wieder von mörderischem Feuer und unpassierbaren<br />

Straßen aufgehalten worden. Er sah, dass die Nato-Panzer sich<br />

zurückzogen, und forderte Artilleriefeuer an, um sie nicht entkommen<br />

zu lassen.<br />

Alexejew war überrascht, als das Artilleriefeuer von der Stadtmitte<br />

hin zum Flußufer verlagert wurde. Aus Überraschung wurde Entsetzen,<br />

als er erkannte, dass nicht Granaten, sondern Raketen ge­<br />

409


schössen wurden. Entlang des Flußufers kam es aufs Geratewohl zu<br />

Detonationen; dann explodierten die Geschosse <strong>im</strong> Wasser. Immer<br />

mehr Raketenwerfer wurden auf das Ziel gerichtet, und nun konnte<br />

Alexejew nichts mehr tun. Die Brücke stromabwärts wurde von<br />

drei Raketen gleichzeitig getroffen und brach zusammen. Alexejew<br />

musste entsetzt mit ansehen, wie die Trümmer über hundert Zivilisten<br />

in das aufgewühlte Wasser rissen. Er hatte die Brücke gebraucht!<br />

Zwei Geschosse landeten auf der mittleren Brücke, brachten<br />

sie zwar nicht zum Einsturz, beschädigten sie aber schwer und<br />

machte sie für Panzer unpassierbar. Alexejew fuhr wütend zu Sergetow<br />

herum.<br />

»Setzen Sie sich mit den Pionieren in Verbindung und lassen Sie<br />

Pontonbrücken und Sturmboote an die Front schaffen. Dann brauche<br />

ich jede verfügbare SAM- und Flakbatterie. Wer sie aufhält,<br />

wird erschossen. Sorgen Sie dafür, dass die Verkehrsoffiziere Bescheid<br />

wissen. Los!«<br />

Sowjetische Panzer und Infanterie hatten die letzte verbliebene<br />

Brücke erreicht. Drei Schützenpanzer jagten zum anderen Ufer, wo<br />

sie bei dem Versuch, in Deckung zu gehen, von Belgiern und Amerikanern<br />

unter Feuer genommen wurden. Ein Kampfpanzer rasselte<br />

hinterher, schaffte es bis nach drüben und wurde dann von einer<br />

Rakete zur Explosion gebracht. Ein zweiter folgte, dann ein dritter.<br />

Beide erreichten das Westufer. Dann tauchte ein britischer Chieftain<br />

hinter einem Gebäude auf und fuhr den sowjetischen Panzern<br />

hinterher. Alexejew sah verblüfft mit an, wie er unerkannt zwischen<br />

zwei russischen Kampffahrzeugen dahinrollte. Knapp hinter<br />

ihm fuhr eine amerikanische Rakete in den Boden. Zwei weitere<br />

Chieftain tauchten auf dem Brückenkopf auf. Einer wurde aus<br />

nächster Nähe von einem T-8o abgeschossen, der zweite feuerte<br />

zurück und zerstörte den russischen Tank.<br />

Der General setzte seinen Kopfhörer auf und rief das Hauptquartier<br />

der 8. Gardearmee. »Hier Alexejew. Eine Kompanie hat die<br />

Leine überquert. Ich brauche Unterstützung. Wir sind durchgebrochen.<br />

Wiederhole: Die deutsche Front ist durchbrochen! Ich brauche<br />

Luftunterstützung und Hubschrauber für den Angriff auf<br />

Nato-Einheiten nördlich und südlich der Brücke 439, außerdem<br />

zwei Reg<strong>im</strong>enter Infanterie zur Sicherung der Übergangsstelle.<br />

Wenn ich Unterstützung bekomme, schaffe ich meine Division bis<br />

Mitternacht über den Fluß.«<br />

410


»Alles, was ich habe, steht Ihnen zur Verfügung. Meine Pioniere<br />

sind schon unterwegs.«<br />

Alexejew lehnte sich an seinen BMP, nahm die Feldflasche vom<br />

Koppel und trank einen tiefen Schluck. Vor ihm erstürmte seine<br />

Infanterie unter Feuer die Anhöhen. Inzwischen waren zwei komplette<br />

Kompanien überm Fluß. Die alliierte Infanterie konzentrierte<br />

sich auf die Zerstörung der letzten Brücke, über die er noch mindestens<br />

ein volles Bataillon schaffen musste, wenn er diesen Brückenkopf<br />

länger als nur ein paar Stunden halten wollte.<br />

»Sturmboote und Brücken sind unterwegs, Genosse General«,<br />

meldete Sergetow. »Zwei SAM-Batterien sind zu uns aufgebrochen,<br />

und drei Kilometer entfernt habe ich drei Flakpanzer gefunden,<br />

die in fünfzehn Minuten hier sein können.«<br />

»Gut.« Alexejew richtete sein Fernglas aufs gegenüberliegende<br />

Ufer.<br />

»Genosse General, unsere Mannschaftstransporter sind amphibisch.<br />

Warum lassen wir sie nicht hinüberschw<strong>im</strong>men?«<br />

»Sehen Sie sich mal das Flußufer an, Wanja.« Der General reichte<br />

Sergetow seinen Feldstecher. So weit der Blick reichte, war das<br />

andere Ufer mit einer steilen Böschung befestigt, die kein Fahrzeug<br />

erkl<strong>im</strong>men konnte. »So etwas würde ich ohnehin nur in Reg<strong>im</strong>entsstärke<br />

wagen. Vorerst bleibt uns nur die Brücke, und die kann nicht<br />

lange halten. Selbst mit Glück wird es noch Stunden dauern, bis<br />

eine Pontonbrücke geschlagen ist. Auch der Gegner auf der anderen<br />

Seite muss so lange ohne Verstärkung auskommen. Wir schaffen so<br />

viele Truppen und Fahrzeuge wie möglich hinüber und bringen<br />

dann Verstärkung, sobald die Sturmboote eingetroffen sind. Eigentlich<br />

sollte eine solche Operation <strong>im</strong> Schutz von Nebel oder<br />

Dunkelheit durchgeführt werden, aber ich will nicht auf die Nacht<br />

warten. Setzen wir uns über die Vorschriften hinweg, Wanja. Sie<br />

haben sich ordentlich gehalten, Iwan Michailowitsch. Sie sind ab<br />

sofort Major. Nein, bedanken Sie sich nicht bei mir - das haben Sie<br />

sich verdient.«<br />

Stornoway, Schottland<br />

»Verpaßt haben wir sie nur knapp. Fünf Minuten früher, und wir<br />

hätten ein paar erwischt.« Der Tomcat-Pilot zuckte die Achseln.<br />

411


Toland nickte. Die Jäger hatten Anweisung, sich außerhalb des<br />

sowjetischen Radar-Erfassungsbereiches zu halten.<br />

»War schon komisch. Drei flogen in einer schön engen Formation<br />

- ich hatte sie aus fünfzig Meilen auf dem Schirm - und sie<br />

hatten von unserer Anwesenheit keine Ahnung. Mit größerer<br />

Reichweite hätten wir sie bis zu ihren Stützpunkten verfolgen und<br />

dann ein paar Bomben werfen können wie weiland die Deutschen.«<br />

»Wie sollen wir ihre Freund/Feind-Kennungssysteme überlisten?«<br />

wandte Toland ein.<br />

»Gewiß, aber wir wissen bis auf zehn Minuten genau, wann sie<br />

zurückkommen. Irgend jemand müßte mit dieser Information doch<br />

etwas anfangen können.«<br />

Commander Toland stellte seine Tasse ab. »Da haben Sie recht.«<br />

Er beschloß, den Hinweis an den Oberbefehlshaber Ostatlantik<br />

weiterzuleiten.<br />

Lammersdorf, BRD<br />

Kein Zweifel: Die Linien der Nato waren südlich von Hannover<br />

entscheidend durchbrochen worden. Von der gefährlich schwachen<br />

Bodenreserve zog man zwei Brigaden ab und schickte sie nach<br />

Alfeld. Wenn diese Lücke nicht geschlossen wurde, war Hannover<br />

verloren, und mit ihm ganz Westdeutschland östlich der Weser.<br />

412


Alfeld, BRD<br />

29<br />

Abhilfen<br />

Wie prophezeit, hielt die Brücke nur eine Stunde. In dieser Zeit<br />

hatte Alexejew ein volles Bataillon mechanisierter Infanterie über<br />

den Fluß geschafft, und von seinen Panzern am Ostufer waren zwei<br />

heftige Gegenangriffe auf den Brückenkopf mit direktem Feuer<br />

zerschlagen worden. Nun machte die Nato eine Verschnaufpause<br />

und sammelte Artillerie. Schwere Geschütze belegten den Brückenkopf<br />

und die Panzer auf der sowjetischen Seite des Flusses, und,<br />

schl<strong>im</strong>mer noch, die Sturmboote waren in Staus zwischen Sack und<br />

Alfeld steckengeblieben. Deutsche schwere Geschütze übersäten<br />

die Straße und das Gelände links und rechts von ihr mit Minen, die<br />

stark genug waren, um einem Panzer die Kette oder einem Laster<br />

die Räder abzureißen. Pioniere waren zwar ständig am Räumen<br />

und brachten die Minen mit schweren Maschinengewehren zur<br />

Explosion, doch das brauchte alles Zeit, und es wurden auch nicht<br />

alle ausgemacht, ehe sie unter einem schwerbeladenen Fahrzeug<br />

detonierten. Der Verlust der einzelnen Panzer und Lastwagen war<br />

an sich schon unangenehm genug; schl<strong>im</strong>mer aber wirkten sich die<br />

Staus aus, die jedes liegengebliebene Fahrzeug verursachte.<br />

Alexejews Hauptquartier befand sich in einem Fotogeschäft<br />

oberhalb des Flusses. Die Schaufensterscheibe war schon lange<br />

eingedrückt worden; ihre Splitter knirschten unter seinen Sohlen.<br />

Er betrachtete durchs Fernglas das andere Ufer und litt mit seinen<br />

Männern, die eine von Infanterie und Panzern gehaltene Anhöhe zu<br />

erstürmen versuchten. Einige Kilometer weiter hastete jedes selbstfahrende<br />

Geschütz der 8. Gardearmee nach vorne, um seiner Panzerarmee<br />

Feuerschutz zu geben, und er und Sergetow gaben den<br />

Befehl, die Artillerie der Nato zu beschießen.<br />

»Feindflugzeuge!« rief ein Leutnant.<br />

Alexejew verdrehte den Hals und sah am Horizont einen schwarzen<br />

Punkt, aus dem rasch ein deutscher F-1O4 wurde. Gelbe<br />

413


Leuchtspurgeschosse jagten von russischen Fla-Kanonen zum H<strong>im</strong>mel<br />

und zerstörten ihn, ehe er abwerfen konnte, doch es tauchte<br />

sofort ein zweiter auf, der den Fla-Panzer mit seinen Bordkanonen<br />

abschoß. Alexejew fluchte, als der einmotorige Starfighter anflog,<br />

am anderen Flußufer zwei Bomben warf und dann wegflitzte. Die<br />

Bomben hingen an kleinen Fallschirmen und fielen langsam, bis sie<br />

zwanzig Meter über dem Boden die Luft mit einem Nebel zu<br />

erfüllen schienen - Alexejew warf sich <strong>im</strong> Laden auf den Boden, als<br />

die explosiven Dämpfe der Treibstoff-Luft-Bombe detonierten. Die<br />

Druckwelle war so gewaltig, dass über seinem Kopf eine Vitrine<br />

zersplitterte und ihn mit Glas übersäte.<br />

»Was, zum Teufel, war das?» brüllte Sergetow und schaute auf.<br />

»Sie sind verletzt, Genosse General!«<br />

Alexejew fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Sie wurde rot.<br />

Seine Augen brannten, und er wusch sich mit dem Inhalt seiner<br />

Feldflasche das Blut vom Gesicht. Major Sergetow klebte seinem<br />

General einen Verband auf die Stirn, benutzte dabei aber, wie<br />

Alexejew auffiel, nur eine Hand.<br />

»Was ist Ihnen passiert?«<br />

»Nichts, bin nur auf Glas gefallen. Halten Sie still, Genosse<br />

General, Sie bluten wie ein Schwein.« Ein Generalleutnant erschien.<br />

Alexejew erkannte Wiktor Beregowoy, stellvertretender<br />

Kommandeur der 8. Gardearmee.<br />

»Genosse General, Sie haben Befehl, ins Hauptquartier zurückzukehren.<br />

Ich bin hier, um Sie abzulösen.«<br />

»Kommt nicht in Frage!« brüllte Alexejew.<br />

»Der Befehl stammt vom OB West, Genosse. Ich bin Panzergeneral<br />

und kann hier weitermachen. Wenn ich mir die Bemerkung<br />

erlauben darf: Sie haben Großartiges geleistet. Aber nun werden Sie<br />

anderswo gebraucht.«<br />

»Erst wenn ich hier fertig bin!«<br />

»Genosse General, wenn diese Flußüberquerung Erfolg haben<br />

soll, brauchen wir mehr Unterstützung. Und wer kann die besser<br />

organisieren, Sie oder ich?«<br />

Alexejew schnaubte zornig. Der Mann hatte recht.<br />

»Jetzt ist nicht die Zeit für Diskussionen«, sagte Beregowoy. »Sie<br />

haben Ihre Aufgabe, ich meine.«<br />

»Sind Sie mit der Lage vertraut?«<br />

»Ja. Hinten wartet ein Fahrzeug auf Sie.«<br />

414


Luftstützpunkt Langley, Virginia<br />

Nichts macht einen Piloten so froh wie ein Distinguished Flying<br />

Cross, und Major Amelia Nakamura fragte sich, ob sie diese Auszeichnung<br />

als erste Frau in der Luftwaffe bekommen würde. Und<br />

wenn nicht? Auch kein Beinbruch, dachte sie, <strong>im</strong>merhin habe ich<br />

meine drei Badger-Abschüsse auf Videoband.<br />

Alle F-15, die nach Europa verlegt werden konnten, waren bereits<br />

auf der anderen Seite des Atlantik, und sie hatte nun eine neue<br />

Aufgabe. Nur vier Maschinen des 48. Abfangjägergeschwaders waren<br />

noch in Langley. Der Rest war entlang der Ostküste verstreut,<br />

einschließlich der beiden Piloten, die für ASAT-Antisatelliten-Raketen<br />

qualifiziert waren. Buns Nakamura hatte davon Wind bekommen,<br />

sich sofort mit Space Command in Verbindung gesetzt<br />

und erklärt, sie habe das ASAT-Flugprofil ausgearbeitet und könne<br />

den Auftrag übernehmen. Warum einen Kampfpiloten von der<br />

Front abziehen?<br />

Sie überzeugte sich davon, dass das häßliche Geschoß sicher<br />

unterm Rumpf befestigt war. Es war entmottet und von einem<br />

Expertenteam noch einmal durchgecheckt worden. Buns schüttelte<br />

den Kopf. Das System war nur einem einzigen richtigen Test unterzogen<br />

worden, dann hatte ein Moratorium dem Programm ein<br />

vorläufiges Ende gesetzt. Wenigstens war der Test erfolgreich verlaufen.<br />

Major Nakamura beendete gemächlich ihren Rundgang - kein<br />

Grund zur Eile, denn ihr Ziel befand sich noch überm Indischen<br />

Ozean -, schnallte sich dann in ihren Eagle, ließ Blick und Hände<br />

über Instrumente und Hebel gleiten, verstellte den Sitz und gab<br />

schließlich die auf die Hangarwand gemalten Ziffern in das Trägheitsnavigationssystem<br />

ein, damit die Maschine auch wusste, wo sie<br />

war. Dann ließ sie die Triebwerke Warmlaufen. Ihr Helm schützte<br />

sie vor dem Lärm. Die Instrumentenzeiger kreisten in die richtige<br />

Position. Der Chef des Bodenpersonals betrachtete das Kampfflugzeug<br />

noch einmal aufmerksam und gab ihr dann mit einem Wink zu<br />

verstehen, sie könne ins Freie rollen.<br />

»Eagle 104, klar zum Rollen«, meldete sie dem Tower.<br />

»Roger, 104. Rollbahn frei«, erwiderte der Controller. »Wind<br />

aus zwei-fünf-drei, zwölf Knoten.«<br />

»Roger, 104 rollt.«<br />

415


Buns schloß das Kabinendach, rollte zur Startbahn und war eine<br />

Minute später in der Luft, genoß das seidige Gefühl purer Kraft, als<br />

sie ihren Eagle gen H<strong>im</strong>mel steuerte.<br />

Kosmos 1801 überflog die Magellanstraße und hielt nach Norden<br />

auf den Atlantik zu; bei diesem Durchgang würde er <strong>im</strong> Orbit bis<br />

auf zweihundert Meilen an die amerikanische Küste herankommen.<br />

In der Bodenstation bereiteten Techniker die Aktivierung des<br />

leistungsfähigen Seeüberwachungsradars vor. Sie waren sicher,<br />

dass<br />

sich ein amerikanischer Trägerverband auf See befand, hatten ihn<br />

bislang aber nicht finden können. Drei Reg<strong>im</strong>enter Backfire warteten<br />

nur darauf, das Meisterstück, das ihnen am zweiten Tag des<br />

Krieges gelungen war, zu wiederholen.<br />

Nakamura zog ihre Maschine behutsam unters Heck des vor ihr<br />

fliegenden Tankers, und das Trichtermundstück wurde geschickt in<br />

das Gegenmundstück am Eagle eingekuppelt. Binnen weniger Minuten<br />

wurden fünftausend Liter Treibstoff in ihre Tanks gepumpt,<br />

und als sich der Schlauch wieder löste, entwich eine Kerosinwolke.<br />

»Gulliver, hier 104, over«, rief sie über Funk.<br />

»104, hier Gulliver«, antwortete ein Oberst in der Passagierkabine<br />

eines Learjet, der in vierzigtausend Fuß Höhe dahinzog.<br />

»Betankt und bereit. Alle Bordsysteme grün. Kreise an Punkt<br />

Sierra. Bereit zum Steigflug.«<br />

»Roger, 104.«<br />

Major Nakamura flog einen engen Kreis, wollte vor dem Steigflug<br />

keinen Tropfen Treibstoff vergeuden. Sie rutschte ein wenig<br />

auf ihrem Sitz herum, für ihre Begriffe ein Ausdruck heftiger Gemütsbewegung<br />

be<strong>im</strong> Fliegen, und konzentrierte sich auf ihre Maschine.<br />

Ruhig atmen, sagte sie sich, als ihr Blick über die Instrumente<br />

glitt.<br />

Bei Space Command erfaßte Radar den sowjetischen Satelliten<br />

über Südamerika. Computer verglichen seinen Kurs und seine Geschwindigkeit<br />

mit bekannten Daten und der Position von Nakamuras<br />

F-I5. Kurz darauf spuckte ein Rechner Befehle aus, die an den<br />

Learjet gingen.<br />

»104, gehen Sie auf Kurs zwei-vier-fünf.«<br />

»Drehe ab.« Major Nakamura flog eine enge Kurve. »Bin nun<br />

auf zwei-vier-fünf.«<br />

416


»Achtung... los!«<br />

»Roger.« Buns drückte die Leistungshebel bis zum Anschlag<br />

durch und schaltete die Nachbrenner ein. Der Eagle setzte los wie<br />

ein Pferd, dem man die Sporen gegeben hat, und kam binnen<br />

Sekunden auf Mach 1. Anschließend nahm sie den Knüppel ein<br />

wenig zurück, zog den Eagle in einen Steigflug von fünfundvierzig<br />

Grad, beschleunigte weiter in den dunkler werdenden H<strong>im</strong>mel. Sie<br />

schaute nicht hinaus, sondern konzentrierte sich auf die Instrumente:<br />

Für die nächsten zwei Minuten musste ihre Maschine ein<br />

spezifisches Flugprofil wahren. Der Zeiger des Höhenmessers wirbelte<br />

herum - fünfzigtausend Fuß, sechzigtausend... neunzigtausend.<br />

Am fast schwarzen H<strong>im</strong>mel waren nun die Sterne sichtbar,<br />

aber Nakamura nahm sie nicht wahr.<br />

Unter der Maschine wurde der Suchkopf der ASAT-Rakete aktiv,<br />

tastete den H<strong>im</strong>mel nach der Infrarotsignatur des sowjetischen<br />

Satelliten ab. An Buns' Instrumententafel flammte eine Leuchte auf.<br />

»Ziel geortet! Au<strong>tom</strong>atische Startsequenz hat begonnen. Höhe<br />

vierundneunzigtausendsiebenhundert Fuß- Rakete frei!« Der F-I5<br />

schlingerte, als die schwere Rakete sich löste; Nakamura verringerte<br />

sofort die Leistung und zog ihre Maschine in einen Looping.<br />

Dann prüfte sie ihre Treibstoffsituation. Der Steigflug mit Nachbrenner<br />

hatte ihre Tanks fast geleert, aber für den Rückflug nach<br />

Langley reichte es noch. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie die Rakete<br />

überhaupt nicht zu Gesicht bekommen hatte.<br />

An Bord des Learjet verfolgte eine Kamera die Rakete. Der<br />

Festtreibstoff brannte dreißig Sekunden lang, dann löste sich der<br />

Kopf. Das Miniature Homing Vehicle, in dessen platten Kopf ein<br />

Infrarotsensor eingebettet war, hatte das Ziel schon vor langer Zeit<br />

erfaßt. Der Reaktor des sowjetischen Satelliten strahlte Abwärme<br />

ins All, und die resultierende Infrarotsignatur war fast so stark wie<br />

die der Sonne. Das Mikrochip-Gehirn des MHV berechnete den<br />

Abfangkurs, nahm winzige Kursänderungen vor, und die Distanz<br />

zum Satelliten schrumpfte rapide. Der Satellit zog mit knapp<br />

30000 Stundenkilometern nach Norden, das MHV kam ihm mit<br />

rund siebzehntausend entgegen, und dann -<br />

»H<strong>im</strong>mel noch mal!« rief der Colonel an Bord des Learjet,<br />

blinzelte und wandte sich vom Fernsehschirm ab. Mehrere hundert<br />

Kilo Stahl und Keramik waren gerade verdampft. »Ein klarer Abschuß!«<br />

417


Das TV-Bild wurde an Space Command übertragen und mit<br />

einem Radarbild bestätigt. Aus dem massiven Satelliten war eine<br />

sich ausbreitende Trümmerwolke in der Umlaufbahn geworden.<br />

»Ziel ausgeschaltet«, verkündete eine gelassene St<strong>im</strong>me.<br />

Leninsk, UdSSR<br />

Der Signalverlust von Kosmos 1801 wurde wenige Sekunden nach<br />

seiner Vernichtung festgestellt. Überrascht waren die russischen<br />

Experten nicht, denn 1801 hatte den Treibstoff seiner Steuertriebwerke<br />

schon vor mehreren Tagen aufgebraucht und daher ein<br />

leichtes Ziel dargestellt. Auf dem Kosmodrom Baikonur stand eine<br />

weitere Raumrakete von Typ F-1M auf der Startrampe. In zwei<br />

Stunden sollte ein verkürzter Countdown beginnen -, doch von<br />

nun an war die Fähigkeit der sowjetischen Marine, Geleitzüge und<br />

Verbände von Kriegsschiffen auszumachen, deutlich eingeschränkt.<br />

Luftstützpunkt Langley, Virginia<br />

»Und?« fragte Buns und sprang von ihrem Jet.<br />

»Abschuß ist auf Band«, erwiderte ein anderer Major. »Es hat<br />

geklappt.«<br />

»Wie bald, glauben Sie, werden die Russen einen Ersatzsatelliten<br />

starten?« Buns brauchte noch einen Abschuß, dann war sie ein As.<br />

»Wir vermuten, dass er schon auf der Rampe steht. Zwölf bis<br />

vierundzwanzig Stunden, dann ist er oben. Kein Mensch weiß, wie<br />

viele sie noch in petto haben.«<br />

Nakamura nickte. Insgesamt verfügte die Air Force noch über<br />

sechs ASAT-Raketen. Vielleicht reichte das, vielleicht auch nicht ­<br />

ein erfolgreicher Einsatz machte noch keine zuverlässige Waffe. Sie<br />

ging ins Hauptquartier, um sich Kaffee und Donuts zu genehmigen.<br />

418


Stendal, DDR<br />

»Verflucht noch mal, Pascha!« fluchte der OB West. »Ich hab doch<br />

keinen Stellvertreter mit vier Sternen, damit er als Divisionskommandeur<br />

herumfuhrwerkt. Sehen Sie sich das bloß mal an!«<br />

»Der Durchbruch war dringend nötig. Der Chef der Panzerdivision<br />

fiel, und ein Stellvertreter war noch zu jung. Ich habe den<br />

Durchbruch geschafft.«<br />

»Wo ist Hauptmann Sergetow?«<br />

»Major Sergetow«, korrigierte Alexejew. »Er bewährte sich als<br />

mein Adjutant, wurde an der Hand verletzt und läßt sich <strong>im</strong> Augenblick<br />

verbinden. So, und welche Verstärkungen sind zur 8. Gardearmee<br />

unterwegs?«<br />

Beide Generale traten an eine große Karte. »Diese beiden Panzerdivisionen<br />

rollen schon und sollten in zehn bis zwölf Stunden an<br />

Ort und Stelle sein. Wie gefestigt ist Ihr Brückenkopf?«<br />

»Könnte günstiger aussehen«, gestand Alexejew. »Dort gab es<br />

drei Brücken, aber irgendein Irrer beschoß die Stadt mit Raketen<br />

und zerschlug zwei. Blieb also eine, über die wir ein mechanisiertes<br />

Bataillon und einige Panzer schafften, ehe sie von den Deutschen<br />

zerstört wurde. Die Deutschen haben starke Artillerieunterstützung,<br />

und als ich abfuhr, trafen gerade Sturmboote und Pontonbrücken<br />

ein. Der Mann, der mich ablöste, wird für Verstärkung<br />

sorgen, sobald er starke Kräfte über den Fluß gebracht hat.«<br />

»Gegenwehr?«<br />

»Schwach, aber das Terrain ist für den Feind günstig. Schätze,<br />

dass wir es mit einem Reg<strong>im</strong>ent oder so zu tun haben, den Überresten<br />

anderer Nato-Einheiten. Ein paar Panzer, aber sonst vorwiegend<br />

mechanisierte Infanterie mit starker Artillerieunterstützung.<br />

Als ich abfuhr, war das Kräfteverhältnis ungefähr ausgeglichen.<br />

Unsere Feuerkraft ist größer, aber unsere Artillerie sitzt an unserem<br />

Ufer der Leine fest. Jetzt geht es darum, wer als erster Verstärkung<br />

heranführen kann.«<br />

»Nach Ihrer Abfahrt warf die Nato Kampfflugzeuge ins Gefecht.<br />

Unsere Leute versuchen, sie zurückzuhalten, aber in der Luft<br />

scheint die Nato vorne zu liegen.«<br />

»Bis zur Nacht dürfen wir nicht warten. Die Kerle beherrschen<br />

den Nachth<strong>im</strong>mel.«<br />

»Gleich angreifen?«<br />

419


Alexejew nickte und dachte daran, welche Opfer er »seiner«<br />

Division damit zumutete. »Sobald wir die Sturmboote bereit haben,<br />

erweitern wir den Brückenkopf um zwei Kilometer und schlagen<br />

dann Brücken. Was führt die Nato heran?«<br />

»Abgehörtem Funkverkehr zufolge sind zwei Brigaden unterwegs,<br />

eine britische und eine belgische.«<br />

»Das ist best<strong>im</strong>mt nicht alles. Sie müssen doch genau wissen,<br />

wozu wir fähig sind, wenn wir diese Gelegenheit nutzen. Wir haben<br />

die 1. Garde-Panzerarmee in Reserve...«<br />

»Sollen wir denn dort die Hälfte unserer Reserven einsetzen?«<br />

»Ich könnte mir keinen besseren Ort denken.« Alexejew wies auf<br />

die Karte. Der Vorstoß gegen Hannover war in Sichtweite der Stadt<br />

zum Stehen gebracht worden. Die nördlichen Armeegruppen hatten<br />

die Vororte von Hamburg erreicht und dabei den Großteil der<br />

Panzerverbände der 3. Stoßarmee verloren. »Mit Glück können wir<br />

die ganze Erste dem Feind in den Rücken schicken. Damit gewinnen<br />

wir die Weser - oder erreichen vielleicht sogar den Rhein.«<br />

»Ein Vabanquespiel, Pascha«, sagte der OB West leise. Doch hier<br />

nahmen sich ihre Chancen besser aus als anderswo. Wenn die Lage<br />

bei der Nato wirklich so gespannt war, wie der Nachrichtendienst<br />

behauptete, musste ihre Front irgendwo zusammenbrechen. Vielleicht<br />

hier?<br />

»Gut, geben Sie die Befehle aus.«<br />

Faslane, Schottland<br />

»Wir stark sind ihre U-Jagd-Verbände?« fragte der Kommandant<br />

von USS Pittsburgh.<br />

»Nicht zu verachten. Unserer Einschätzung nach verfügt der<br />

Iwan über zwei große ASW-Gruppen. Eine hat die Kiew zum<br />

Schwerpunkt, die andere einen Kreuzer der Kresta-Klasse. Außerdem<br />

gibt es vier kleinere Gruppen, die jeweils aus einer Fregatte der<br />

Kriwak-Klasse und vier bis sechs Fregatten der Typen Grischa und<br />

Mirka bestehen. Fügen Sie dem eine große Zahl von ASW-Flugzeugen<br />

und rund zwanzig U-Boote hinzu, teils mit nuklearem, teils mit<br />

konventionellem Antrieb«, antwortete der Offizier be<strong>im</strong> Briefing.<br />

»Warum überlassen wir ihnen eigentlich nicht die Barentssee?«<br />

brummte Todd S<strong>im</strong>ms von USS Boston.<br />

420


Keine üble Idee, st<strong>im</strong>mte Dan McCafferty insgehe<strong>im</strong> zu.<br />

»Und sieben Tage für die Anfahrt?« fragte der Skipper von USS<br />

Pittsburgh.<br />

»Jawohl, so können wir uns in Ruhe aussuchen, auf welchem<br />

Weg wir in das Gebiet eindringen. Captain Little?«<br />

Der Kommandant von HMS Torbay trat aufs Podium. »Wir<br />

haben eine Kampagne namens Keypunch geführt, deren Zweck die<br />

Einschätzung der russischen ASW-Kräfte in der Barentssee war ­<br />

und natürlich auch die Erledigung von Russen, die uns in den Weg<br />

gerieten.« Er lächelte. Torbay hatte vier Versenkungen zu verzeichnen.<br />

»Der Iwan hat zwischen der Bäreninsel und der norwegischen<br />

Küste eine Barriere errichtet. Die unmittelbare Umgebung der Bäreninsel<br />

ist ein einziges Minenfeld. Südlich davon besteht unseren<br />

Informationen nach die Sperre aus einigen kleinen Minenfeldern<br />

und Dieselbooten der Tango-Klasse, unterstützt von mobilen<br />

ASW-Gruppen und nukleargetriebenen U-Booten der Victor-III-<br />

Klasse. Ihre Aufgabe scheint weniger Versenken als Vertreiben zu<br />

sein. Jedesmal, wenn eins unserer U-Boote einen Angriff gegen diese<br />

Barriere fuhr, gab es eine energische Reaktion.<br />

Und in der Barentssee selbst sieht es ähnlich aus. Diese kleinen<br />

Subkiller-Gruppen können teuflisch gefährlich werden. Ich hatte<br />

persönlich eine Begegnung mit einer Krivak und vier Grischas. Von<br />

Land aus werden diese Gruppen von Hubschraubern und Flugzeugen<br />

direkt unterstützt, und die Erfahrung war höchst unangenehm.<br />

Außerdem fanden wir eine Anzahl neuer Minenfelder, die von den<br />

Sowjets anscheinend aufs Geratewohl und in Tiefen bis zu hundert<br />

Fuß gelegt werden. Zudem scheinen sie eine Reihe von Fallen<br />

gestellt zu haben; eine kostete uns Trafalgar. Man legte ein kleines<br />

Minenfeld und plazierte in seine Mitte ein Lärminstrument, das wie<br />

ein schnorchelndes Tango klang. Soweit wir wissen, fuhr Trafalgar<br />

heran, um das Tango auszuschalten, und lief auf eine Mine. Das<br />

sollten wir nicht vergessen, Gentlemen.« Little legte eine Pause ein,<br />

um diese Nachricht wirken zu lassen.<br />

»So, und nun haben wir mit Ihnen folgendes <strong>im</strong> Sinn: Sie fahren<br />

nach Nordnordwesten zum Rand des grönländischen Packeises,<br />

und dann an seinem Rand entlang nach Osten zum Swiatjana-<br />

Anna-Graben. In fünf Tagen werden drei unserer U-Boote an der<br />

Barriere gewaltig auf den Putz hauen, wenn möglich mit Unterstützung<br />

von ASW-Flugzeugen und Jägern. Das sollte den Iwan auf­<br />

421


merksam machen und bewegen, mobile Kräfte nach Westen zu<br />

schicken. In der Zwischenzeit müßten Sie in der Lage sein, Ihr Ziel<br />

<strong>im</strong> Süden unbehelligt zu erreichen. Es ist zwar eine lange, verschlungene<br />

Route, aber Sie können fast die ganze Zeit über das Schleppsonar<br />

benutzen und relativ schnell am Rand des Packeises entlangfahren,<br />

ohne geortet zu werden.«<br />

Darüber dachte McCafferty nach. Am Rand des Packeises, wo<br />

Milliarden von Tonnen Eis in permanenter Bewegung waren,<br />

herrschte viel Lärm.<br />

»HMS Sceptre und Superb haben die Route erkundet und stießen<br />

nur auf schwache Patrouillentätigkeit. Zwei Tango wurden entdeckt,<br />

aber unsere Männer hatten Befehl, sie nicht anzugreifen.«<br />

Nun wurde den Amerikanern klar, wie wichtig dieser Auftrag war.<br />

»Und wie kommen wir wieder weg?« fragte Todd S<strong>im</strong>ms.<br />

»So rasch wie möglich. Bis zu diesem Zeitpunkt sollte mindestens<br />

ein weiteres U-Boot zu Ihrer Unterstützung dort sein. Wenn Sie<br />

Ihren Auftrag erfüllt haben, wird der Iwan seine ASW-Gruppen auf<br />

Sie loslassen. Wir wollen zwar versuchen, südlich der Bäreninsel<br />

Druck zu machen und feindliche Kräfte zu binden, aber in diesem<br />

Fall ist Tempo Ihre beste Verteidigung.«<br />

Der Kommandant von USS Boston nickte. Er konnte schneller<br />

fahren als die Russen.<br />

»Weitere Fragen?« meinte der Oberbefehlshaber der U-Boote <strong>im</strong><br />

Ostatlantik. »Na, dann viel Glück. Wir werden Sie nach Kräften<br />

unterstützen.«<br />

McCafferty blätterte seine Papiere noch einmal durch, sah sich<br />

den Einsatzbefehl an, steckte dann die Unterlagen zu Unternehmen<br />

Doolittle in die Hüfttasche. Zusammen mit S<strong>im</strong>ms fuhr er zurück<br />

zum Hafen. Die zwölf vertikalen Abschußrohre in Chicagos Bug<br />

vor dem Druckkörper wurden gerade mit Tomahawk-Marschflugkörpern<br />

geladen. Auf Boston, einem älteren Boot, musste erst durch<br />

Löschen von Torpedos Platz geschaffen werden. Kein U-Boot-<br />

Kommandant sieht es gerne, wenn sein Torpedovorrat reduziert<br />

wird.<br />

»Keine Sorge, ich unterstütze Sie«, meinte McCafferty.<br />

» Gut, tun Sie das. Sieht so aus, als wäre man fast fertig. Jetzt hätte<br />

ich nichts gegen ein Bier.« S<strong>im</strong>ms lachte. »Wenn wir wieder zurück<br />

sind.«<br />

422


USS Pharris<br />

Der Sikorsky Sea King paßte kaum auf die Hubschrauberplattform<br />

der Fregatte, doch wenn es um Verwundete ging, ließ man fünf<br />

gerade sein. Die zehn schwersten Fälle - Verbrennungen und Knochenbrüche<br />

- wurden in den Hubschrauber geladen, der sie dann<br />

an Land brachte. Der Kommandant der Überreste der USS Pharris<br />

setzte die Mütze wieder auf und steckte sich eine Zigarette an. Wie<br />

hatte es der Kommandant des Victor nur fertiggebracht, an zwei<br />

Stellen zugleich zu sein? Das verstand Morris <strong>im</strong>mer noch nicht.<br />

»Immerhin haben wir drei versenkt.« Chief Clarke erschien an<br />

Morris' Seite. »Dieser eine hatte vielleicht nur Glück.«<br />

»Lesen Sie Gedanken, Chief?«<br />

»Verzeihung, Sir. ich wollte nur ein paar Meldungen machen.<br />

Inzwischen ist so gut wie alles gelenzt. An der unteren Steuerborddecke<br />

nehmen wir rund fünfzig Liter pro Stunde über, kaum erwähnenswert.<br />

Das Schott hält und wird überwacht. Beide Kessel sind<br />

repariert, Nummer 2 ist wieder am Netz. Der Prairie Masker arbeitet.<br />

Sea Sparrow operativ für den Fall, dass wir sie brauchen, aber<br />

das Radar funktioniert <strong>im</strong>mer noch nicht.«<br />

Morris nickte. »Gut. Wie sieht's bei den Männern aus?«<br />

»Sie sind sehr beschäftigt, still und stinkwütend.«<br />

Da geht es ihnen besser als mir, dachte Morris. Sie haben wenigstens<br />

etwas zu tun.<br />

»Sie sehen todmüde aus, Skipper.«<br />

»Bald bekommen wir alle mehr als genug Gelegenheit, uns auszuruhen.«<br />

Sunnyvale, Kalifornien<br />

»Es hebt ein Vogel ab«, meldete der Wachoffizier NORAD. »Startete<br />

vom Kosmodrom Baikonur in Richtung eins-fünf-fünf, was auf<br />

eine um fünfundsechzig Grad geneigte Umlaufbahn hinweist. Laut<br />

Signatur handelt es sich entweder um eine Interkontinentalrakete<br />

SS-11 oder um eine Raumrakete vom Typ F-1.«<br />

»Nur eine?«<br />

»Korrekt, nur ein Vogel.«<br />

Zahlreiche Offiziere der US-Luftwaffe waren plötzlich sehr ange­<br />

423


spannt. Die Rakete war auf einem Kurs, der sie in vierzig bis fünfzig<br />

Minuten mitten über die Vereinigten Staaten tragen würde, und um<br />

welches Trägersystem es sich handelte, stand noch nicht fest. Die<br />

russische SS-9 war technisch überholt und wurde nur als Satelliten-<br />

Trägerrakete benutzt. Anders als ihre amerikanischen Pendants<br />

war sie aber ursprünglich als fraktionell orbitales Bombensystem<br />

entwickelt worden: FOBS, eine Rakete, die einen Fünfundzwanzig-<br />

Megatonnen-Kernsprengkopf in eine Flugbahn bringen konnte, die<br />

der eines harmlosen Satelliten glich.<br />

»Erste Stufe hat Brennschluß - okay, wir sehen Abtrennung und<br />

Zündung der zweiten Stufe«, sagte der Colonel am Telefon. »Flugbahn<br />

unverändert.«<br />

NORAD hatte bereits eine Warnung nach Washington geschickt.<br />

Falls dies ein nuklearer Schlag sein sollte, war man vorbereitet.<br />

Zahlreiche gegenwärtige Szenarien begannen mit der Explosion<br />

eines großen Sprengkopfes hoch über dem Zielland und weitreichenden<br />

Schäden am Fernmeldenetz durch elektromagnetischen<br />

Impuls. Für eine solche Aufgabe war das FOBS-System SS-9 genau<br />

zugeschnitten.<br />

»Zweite Stufe abgetrennt... und da zündet die dritte. NORAD,<br />

haben Sie unsere Positionsmeldung erhalten?«<br />

»Roger«, bestätigte der General <strong>im</strong> Cheyenne Mountain. Das<br />

Signal des Frühwarnsatelliten ging an NORAD, wo eine dreißigköpfige<br />

Wachmannschaft atemlos den Kurs der Trägerrakete auf<br />

der Weltkarte an der Wand verfolgte.<br />

Bodenradar in Australien erfaßte nun das Raumfahrzeug. Die<br />

dritte Stufe stieg weiter, die ausgebrannte zweite stürzte in den<br />

Indischen Ozean. Auch diese Informationen wurden über Satellit<br />

an Sunnyvale und NORAD weitergegeben.<br />

»Sieht nach Fairing-Abwurf aus«, meinte der Mann in Sunnyvale.<br />

Das Radarbild stellte vier neue Objekte dar, die sich flatternd<br />

von der dritten Stufe entfernten. Wahrscheinlich die be<strong>im</strong> Flug in<br />

der A<strong>tom</strong>sphäre erforderliche schützende Aluminiumnase, <strong>im</strong><br />

Raum nur überflüssiger Ballast. Man begann, wieder regelmäßiger<br />

zu atmen. Zum Wiedereintritt in die Atmosphäre brauchte eine<br />

Bombe Fairings. Dieses Objekt war wohl ein Satellit.<br />

Auf dem Luftstützpunkt Tinker in Oklahoma startete gerade<br />

eine RC-135 der Air Force und ging mit Vollschub auf Gipfelhöhe.<br />

In die Decke der umgebauten Boeing 707 war eine Teleskopkamera<br />

424


eingebaut, mit der sowjetische Raumfahrzeuge inspiziert wurden.<br />

Techniker aktivierten die komplexen Ortungssysteme, die die Kamera<br />

auf ihr fernes Ziel richteten.<br />

»Brennschluß«, verkündete Sunnyvale. »Das Objekt hat Kreisbahngeschwindigkeit<br />

erreicht. Apogäum nach ersten Berechnungen<br />

hundertsechsundfünfzig Meilen, Perigäum hundertachtundvierzig.«<br />

»Ihre Einschätzung?« fragte NORAD.<br />

»Alle Daten konsistent mit dem Start eines Radar-Seeaufklärungssatelliten.«<br />

Dreißig Minuten später war man ganz sicher. Die Besatzung der<br />

RC-135 hatte scharfe Aufnahmen von dem neuen sowjetischen<br />

Satelliten gemacht. Schon nach Vollendung der ersten Umlaufs war<br />

er als RORSAT klassifiziert worden, ein Problem für die US-Navy,<br />

aber nicht das Ende der Welt. In Sunnyvale und <strong>im</strong> Cheyenne<br />

Mountain blieb man weiterhin wachsam<br />

Island<br />

Sie folgten einem Fußpfad um den Berg herum. Vigdis sprach von<br />

einem beliebten Ausflugsziel. Ein kleiner Gletscher am Nordhang<br />

des Berges speiste ein halbes Dutzend Bäche, die sich in einem Tal<br />

mit vielen Gehöften zu einem Fluß vereinigten. Von ihrem Standpunkt<br />

aus konnten sie alles übersehen, mehrere Straßen eingeschlossen.<br />

Edwards war unschlüssig, ob er quer durch das Tal auf<br />

sein Ziel zumarschieren oder <strong>im</strong> rauhen Gelände <strong>im</strong> Osten bleiben<br />

sollte.<br />

»Was ist das wohl für ein Sender?« fragte Smith. Gut zehn<br />

Kilometer westlich von ihnen ragte ein Antennenmast auf.<br />

Mike schaute Vigdis an und bekam ein Achselzucken zur Antwort.<br />

»Läßt sich von hier aus schwer beurteilen«, meinte Edwards.<br />

»Aber dort gibt es best<strong>im</strong>mt Russen.« Er entfaltete seine Karte. In<br />

diesem Teil der Insel war das Straßennetz dicht, bestand aber zum<br />

größten Teil aus unbefestigten »Schönwetterwegen«. Die sowjetischen<br />

Soldaten benutzten kleine Geländewagen und nicht die<br />

Mannschaftstransporter auf Ketten, die sie am Tag der Invasion<br />

beobachtet hatten. Mit einem Allrader kam ein guter Fahrer prak­<br />

425


tisch überall hin. Wie gut waren die Russen in diesem zerklüfteten<br />

Gelände? Wieder ein Problem mehr, dachte Edwards.<br />

»Sergeant, was meinen Sie?«<br />

Smith schnitt eine Gr<strong>im</strong>asse. Sie hatten die Wahl zwischen akuter<br />

Gefahr und körperlicher Erschöpfung. Schöne Entscheidung,<br />

dachte er. Haben wir für so was nicht Offiziere?<br />

»Ich würde dort unten Streifen einsetzen, Lieutenant. Viele Straßen;<br />

da würde ich Kontrollpunkte einrichten, um die Einhe<strong>im</strong>ischen<br />

<strong>im</strong> Auge zu behalten. Der Antennenmast ist best<strong>im</strong>mt bewacht.<br />

Was produzieren diese Höfe, Miss Vigdis?«<br />

»Milch, Kartoffeln, Schafe«, antwortete sie.<br />

»Dann werden die Russen herumziehen, wenn sie dienstfrei haben,<br />

und sich frische Lebensmittel besorgen. Täten wir doch auch.<br />

Das gefällt mir nicht, Lieutenant.«<br />

Edwards nickte zust<strong>im</strong>mend. »Gut, wenden wir uns nach Osten.<br />

Unser Proviant ist praktisch alle.«<br />

»Wir können ja angeln.«<br />

Faslane, Schottland<br />

Chicago führte die Prozession an. Ein Schlepper der Royal Navy<br />

hatte das Boot vom Kai bugsiert, und nun fuhr es mit sechs Knoten<br />

hinaus aufs offene Meer. Sie machten sich ein »Fenster« in der<br />

sowjetischen Radarüberwachung zunutze; der nächste Durchlauf<br />

eines russischen Spähsatelliten stand erst in sechs Stunden bevor.<br />

Hinter McCafferty kamen <strong>im</strong> Abstand von zwei Meilen Boston,<br />

Pittsburgh, Providence, Key West und Groton.<br />

»Tiefe?« fragte McCafferty über die Bordsprechanlage.<br />

»Fünfhundertsiebzig Fuß.«<br />

Es war Zeit. McCafferty beorderte die Ausgucks nach unten.<br />

Schiffe waren nur achteraus sichtbar. Boston war deutlich auszumachen;<br />

der schwarze Turm und die beiden Tiefenruder glitten<br />

übers Wasser und erinnerten an einen Todesengel. Angemessener<br />

Vergleich, dachte McCafferty, sah sich noch ein letztes Mal auf der<br />

Kommandobrücke auf dem Turm um, kletterte dann nach unten<br />

und zog das Luk hinter sich zu. Sieben Meter tiefer, und er stand in<br />

der Angriffszentrale, wo er ein weiteres Luk schloß.<br />

»Brücke tauchklar!« leitete der Erste Offizier die Litanei ein.<br />

426


Checklisten hatten U-Boot-Fahrer schon lange vor den Fliegern<br />

entwickelt. McCafferty sah sich die Armaturen selbst an - und<br />

andere Crewmitglieder folgten he<strong>im</strong>lich seinem Beispiel. Alles war<br />

so, wie es sein sollte.<br />

»Tauchen. Auf zweihundert Fuß gehen«, befahl McCafferty.<br />

Der Lärm entweichender Luft und einströmenden Wassers erfüllte<br />

den Rumpf, als das elegante schwarze Boot in die Tiefe glitt.<br />

McCafferty führte sich die Seekarte vor Augen. Vierundsiebzig<br />

Stunden bis zum Packeis, dann nach Osten abdrehen. Dreiundvierzig<br />

Stunden bis Swiatjana und nach Süden. Dann wurde es<br />

knifflig.<br />

Stendal, DDR<br />

Die Schlacht um Alfeld entwickelte sich zu einem Ungeheuer, das<br />

Männer und Panzer verschlang. Alexejew fand es unerträglich,<br />

zweihundert Kilometer von der Panzerdivision, die er nun als seine<br />

betrachtete, entfernt zu sein. Und die Tatsache, dass er über seine<br />

Ablösung nicht klagen konnte, machte alles nur noch schl<strong>im</strong>mer.<br />

Der neue Kommandeur hatte einen erfolgreichen Angriff über den<br />

Fluß geführt und zwei weitere mechanisierte Infanteriereg<strong>im</strong>enter<br />

ans andere Ufer gebracht. Im Augenblick versuchte man, trotz<br />

mörderischen Artilleriefeuers von der Nato drei Pontonbrücken<br />

über die Leine zu schlagen.<br />

»Wir haben einen Zusammenprall provoziert, Pascha«, sagte der<br />

OB West und starrte auf die Karte.<br />

Alexejew nickte zust<strong>im</strong>mend. Was als begrenzte Attacke begonnen<br />

hatte, war nun zum Brennpunkt der gesamten Front geworden.<br />

Inzwischen befanden sich zwei weitere sowjetische Panzerdivisionen<br />

in der Nähe des Kampfgebietes und eilten zur Leine. Bekannt<br />

war, dass auch drei Nato-Brigaden mit Artillerie auf diese Stelle<br />

zuhielten. Beide Seiten zogen Kampfflugzeuge von anderen Sektoren<br />

ab, die eine, um den Brückenkopf zu zerschlagen, die andere,<br />

um ihn zu decken. Das Terrain an der Front gab den SAM-Bedienungen<br />

nicht genug Zeit für die Freund-Feind-Kennung. Da die<br />

Russen über wesentlich mehr Boden-Luft-Raketen verfügten, war<br />

bei Alfeld eine Feuer-Frei-Zone eingerichtet worden. Alles, was<br />

flog, stellte au<strong>tom</strong>atisch ein Ziel für die russischen Raketen dar,<br />

427


während sich die sowjetischen Maschinen fernhielten und Artillerie<br />

und Verstärkungen der Nato angriffen.<br />

Alexejew fuhr über seinen Stirnverband. Sein Kopf schmerzte<br />

mörderisch; der Arzt hatte ihn mit zwölf Stichen genäht und gewarnt,<br />

es würde eine Narbe zurückbleiben. Auch sein Vater hatte<br />

solche Narben gehabt und mit Stolz getragen. Für diese Verwundung<br />

würde er eine Auszeichnung entgegennehmen.<br />

»Wir haben die Amerikaner von der Höhe nördlich der Stadt<br />

geworfen!« meldete der Kommandeur der 2o. Panzerdivision über<br />

Funk.<br />

Alexejew griff nach dem Hörer. »Wann sind die Brücken soweit?«<br />

»Die erste in einer halben Stunde. Der feindliche Artilleriebeschuß<br />

läßt nach. Eine Brückeneinheit wurde zerschlagen, aber diese<br />

wird nun fertig. Ein Bataillon Panzer habe ich schon bereitstehen.<br />

Die SAM leisten gute Arbeit. Von hier aus kann ich fünf Flugzeugwracks<br />

sehen. Ich sehe auch -« Ein Donnerschlag unterbrach den<br />

General.<br />

Alexejew konnte nur den Hörer anstarren und umklammern.<br />

»Verzeihung, aber das war knapp. Im Augenblick wird der letzte<br />

Brückenabschnitt herangeschafft. Die Pioniere haben schreckliche<br />

Verluste erlitten, Genosse General, und bedürfen besonderer Aufmerksamkeit.<br />

Ihr Major steht jetzt seit drei Stunden <strong>im</strong> Feuer. Für<br />

ihn will ich den Goldenen Stern.«<br />

»Den soll er bekommen.«<br />

»Ah, ausgezeichnet - der Brückenabschnitt ist abgeladen und <strong>im</strong><br />

Wasser. Wenn man uns jetzt nur zehn Minuten Zeit läßt, um ihn<br />

auf der anderen Seite zu verankern, schaffe ich Ihnen die Panzer<br />

hinüber. Wann kommen meine Verstärkungen?«<br />

»Die ersten Einheiten treffen kurz nach Sonnenuntergang ein.«<br />

»Gut! Ich Muss nun Schluß machen und melde mich wieder, wenn<br />

wir die Panzer rollen lassen.«<br />

Alexejew gab den Hörer an einen jungen Offizier zurück.<br />

»Was ist unser nächstes Ziel, Pascha?«<br />

»Hameln, und von dort aus geht's weiter. Es mag uns gelingen,<br />

die nördlichen Heeresgruppen der Nato abzuschneiden. Sobald<br />

ihre Verbände bei Hamburg sich abzusetzen beginnen, gehen wir<br />

zum Generalangriff über und jagen sie bis zum Ärmelkanal! Es hat<br />

den Anschein, als wäre die erhoffte Situation endlich da.«<br />

428


Brüssel<br />

Im Hauptquartier der Nato betrachteten Stabsoffiziere die gleichen<br />

Karten und gelangten zu denselben Schlüssen, wenngleich mit geringerem<br />

Enthusiasmus. Die Reserven waren gefährlich schwach ­<br />

aber es gab keine andere Wahl. Männer und Waffen strömten in<br />

<strong>im</strong>mer größerer Zahl nach Alfeld.<br />

Panama<br />

Es war der seit Jahren größte Schiffstransit der US-Navy. Die<br />

grauen Schiffe benutzten beide Seiten jeder Schleuse, die für den<br />

Verkehr nach Westen gesperrt waren. Man hatte es eilig. Hubschrauber<br />

brachten die Kanallotsen auf die Schiffe; trotz der Erosionsprobleme<br />

am Gaillard Cut hielt man sich nicht an Geschwindigkeitsbeschränkungen.<br />

Schiffe, die bunkern mussten, taten das<br />

gleich hinter den Gatun-Schleusen am Ausgang des Kanals und<br />

bildeten dann vor der L<strong>im</strong>on Bay eine U-Boot-Sperre. Der Transit<br />

vom Pazifik in den Atlantik nahm zwölf Stunden in Anspruch.<br />

Dann lief die Flotte mit zweiundzwanzig Knoten nach Norden, um<br />

bei Nacht durch die Windward Passage zu fahren.<br />

429


Boston, Massachusetts<br />

30<br />

Annäherungen<br />

Seeluft nennt man es, dachte Morris, aber in Wirklichkeit kommt<br />

der Geruch vom Land - vom Watt und aus Sümpfen. Seeleute<br />

lieben diesen Geruch, weil er bedeutet, dass Land, Hafen und Familie<br />

nahe sind. Ansonsten geht man solche Düfte am besten mit<br />

Desinfektionsmittel an.<br />

Der Schlepper Papago verkürzte die Trosse, um seinen Schutzbefohlenen<br />

in den engen Gewässern besser kontrollieren zu können.<br />

Drei Hafenschlepper kamen längsseits und warfen den Matrosen<br />

der Fregatte Anholtaue zu. Als diese festgemacht waren, warf Papago<br />

die Trosse los und fuhr stromaufwärts, um Treibstoff zu<br />

bunkern. »Guten Tag, Sir.« Mit einem Schlepper war der Hafenlotse<br />

gekommen, der aussah, als täte er diese Arbeit schon seit<br />

Jahren. »Wie ich sehe, haben Sie drei russische U-Boote versenkt.«<br />

»Nur eines ganz allein. Bei den beiden anderen halfen wir nur<br />

mit.«<br />

»Ihr Tiefgang am Bug?«<br />

»Knapp fünfundzwanzig Fuß - Moment«, musste Morris sich<br />

verbessern. Der Sonardom lag inzwischen auf dem Grund des<br />

Atlantiks.<br />

»Wenigstens haben Sie Ihr Schiff zurückgebracht, Sir«, meinte<br />

der Lotse. »Unsere Blechdose hat's damals nicht geschafft. USS<br />

Callaghan, Nummer 792.. Zwölf japanische Maschinen schössen<br />

wir ab, aber um Mitternacht kam der dreizehnte Kamikaze durch.<br />

Siebenundvierzig Tote. Na ja.« Der Lotse holte sein Sprechfunkgerät<br />

aus der Tasche und begann, den Schleppern Anweisungen zu<br />

geben. Die Pharris wurde seitlich auf eine Pier zubewegt und sicher<br />

vertäut. Hinter Matrosen <strong>im</strong> Ausgehanzug, die eine Sperrkette<br />

bildeten, warteten drei Kamerateams vom Fernsehen. Sowie die<br />

Laufplanke geriggt war, eilte ein Offizier an Bord und kam sofort<br />

auf die Brücke.<br />

430


»Sir, ich bin Lieutenant Commander Anders und soll Ihnen<br />

dies übergeben.« Er überreichte einen amtlich aussehenden Umschlag.<br />

Morris riß ihn auf und fand auf einem Standardformular der<br />

Navy den knappen Befehl, er möge sich auf schnellstem Weg nach<br />

Norfolk begeben.<br />

"Und mein Schiff?«<br />

»Darum werde ich mich kümmern, Sir.«<br />

Einfach so, dachte Morris, nickte und ging unter Deck, um seine<br />

Sachen zu holen. Zehn Minuten später schritt er wortlos an den<br />

Fernsehkameras vorbei und wurde zum Logan International Airport<br />

gebracht.<br />

Stornoway, Schottland<br />

Toland ging die Satellitenfotos von Islands vier Flugplätzen durch.<br />

Seltsamerweise machten die Russen keinen Gebrauch von dem<br />

alten Flugfeld bei Keflavik, sondern stationierten ihre Jäger in<br />

Reykjavik und auf dem neuen Nato-Stützpunkt. Hin und wieder<br />

landeten ein, zwei Backfire in Keflavik, Bomber mit technischen<br />

Problemen oder knappem Treibstoff, aber das war auch alles.<br />

Inzwischen zeigten die Angriffe der Jäger ihre Wirkung - die Russen<br />

nahmen ihre Lufttankmanöver inzwischen weiter <strong>im</strong> Norden<br />

und Osten vor, was eine geringfügig negative Auswirkung auf die<br />

Reichweite der Backfire hatte: Laut Expertenmeinung blieben<br />

ihnen nun zwanzig Minuten weniger für die Suche nach Geleitzügen.<br />

Trotz der Sucharbeit der Bear und der Satellitenaufklärung<br />

flogen nur zwei Drittel der Verbände tatsächlich Angriffe. Den<br />

Grund hierfür kannte Toland nicht. Hatten die Sowjets Probleme<br />

mit der Kommunikation? Und ließen sich diese womöglich ausnutzen?<br />

Die Backfire setzten den Konvois nach wie vor böse zu. Auf<br />

energischen Druck der Navy hin hatte die Luftwaffe begonnen, in<br />

Neufundland und auf Bermuda und den Azoren Kampfflugzeuge<br />

zu stationieren, die mit Hilfe von Lufttankern versuchten, über<br />

Geleitzügen in ihrer Reichweite Patrouille zu fliegen. Hoffnung auf<br />

die Zerschlagung eines Backfire-Verbandes bestand zwar nicht,<br />

aber man konnte mit dem Ausdünnen der Bear beginnen. Die<br />

431


Sowjets verfügten nur über rund dreißig der weitreichenden Aufklärer<br />

Bear-D. Ungefähr zehn dieser Maschinen waren täglich in<br />

der Luft und wiesen Bombern und U-Booten mit Hilfe ihres leistungsfähigen<br />

Big-Bulge-Radars den Weg zu den Konvois. Aufgrund<br />

ihrer elektronischen Emissionen waren sie von einem<br />

Kampfflugzeug, sollte ein solches verfügbar sein, relativ leicht aufzuspüren.<br />

Nach langem Exper<strong>im</strong>entieren führten die Russen ihre<br />

Luftoperationen nach einem voraussehbaren Muster durch, und<br />

das sollte sie teuer zu stehen kommen, denn ab morgen flog die Air<br />

Force über sechs Geleitzügen mit jeweils zwei Maschinen Patrouille.<br />

Auch die Stationierung russischer Flugzeuge auf Island<br />

würde bald ihren Preis haben.<br />

«Ich schätze sie auf ein Reg<strong>im</strong>ent, vierundzwanzig bis siebenundzwanzig<br />

Flugzeuge, alles MiG-29 Fulcrum«, sagte Toland. »Am<br />

Boden scheinen wir nie mehr als einundzwanzig auszumachen, was<br />

auf eine ziemlich regelmäßige Kampfpatrouillentätigkeit hinweist,<br />

sagen wir, vier Vögel sind praktisch rund um die Uhr in der Luft. Es<br />

sieht auch so aus, als verfügten sie über drei Bodenradaranlagen,<br />

die häufig umpositioniert werden. Wäre das Stören dieser Anlagen<br />

ein Problem?«<br />

Ein Jägerpilot schüttelte den Kopf. »Nein, mit der richtigen<br />

Unterstützung nicht.«<br />

»Also brauchen wir nur die MiG vom Boden zu scheuchen und<br />

ein paar abzuschießen.« Die Kommandeure beider Tomcat-Geschwader<br />

standen neben Toland und schauten auf die Karten.<br />

»Von diesem SAM sollten wir uns aber fernhalten. Unsere Jungs in<br />

Deutschland halten die SAM-11 für sehr unangenehm.«<br />

Der erste Versuch der US Air Force, Keflavik mit B-52 zu zerstören,<br />

war ein Desaster gewesen. Weitere Anstrengungen mit kleineren,<br />

schnelleren FB-111 hatten die Russen zwar gestört, den Stützpunkt<br />

aber nicht ausschalten können. Das Strategische Luftkommando<br />

SAC war nicht bereit, seine schnellsten strategischen Bomber<br />

hierfür freizustellen. Noch <strong>im</strong>mer war kein erfolgreicher Einsatz<br />

gegen das Haupttanklager gelungen.<br />

»Versuchen wir, die Air Force zu einem weiteren Einsatz mit B­<br />

52 zu bewegen«, schlug ein Kampfpilot vor. »Anfliegen können sie<br />

wie gehabt, abgesehen...« Er gab einen kurzen Überblick über<br />

mögliche Änderungen des Angriffsprofils. »Inzwischen haben wir<br />

ja die Prowler, da könnte das hinhauen.«<br />

432


»Niederhalten kann ich das SAM-Radar schon«, erklärte der<br />

Pilot der vierzig Millionen Dollar teuren Prowler, »aber vergessen<br />

Sie nicht, dass die SA-11 über ein Infrarot-Notsystem verfügt. Jede<br />

Tomcat, die sich diesen Startern auf zehn Meilen nähert, läuft<br />

Gefahr, vom H<strong>im</strong>mel geholt zu werden.« Wirklich häßlich an der<br />

SA-11 war die Tatsache, dass sie keinen Rauch hinter sich herzogen;<br />

einer Rakete, die unsichtbar ist, kann man nur schwer ausweichen.<br />

»Von den SAM halten wir uns fern. Zum ersten Mal, Gentlemen,<br />

haben wir die besseren Chancen.« Die Kampfpiloten begannen,<br />

einen Plan auszuarbeiten. Inzwischen lagen solide Informationen<br />

über die Operationsweise der russischen Jäger <strong>im</strong> Gefecht vor. Die<br />

sowjetische Taktik war gut, aber berechenbar. Wenn die Amerikaner<br />

eine Situation herstellten, für die die Russen ausgebildet waren,<br />

wussten sie, wie sie reagieren würden.<br />

Stendal, DDR<br />

Alexejew hatte sich die Aufgabe zwar nicht leicht vorgestellt, andererseits<br />

aber auch nicht erwartet, dass die Nato-Luftwaffen den<br />

Nachth<strong>im</strong>mel beherrschten. Vier Minuten nach Mitternacht war<br />

der Sender des Hauptquartiers des OB West von einer Maschine,<br />

die noch nicht einmal auf den Radarschirmen aufgetaucht war,<br />

zerstört worden. Bislang hatten sie über drei Ausweichsender verfügt,<br />

alle über zehn Kilometer von dem unterirdischen Bunkerkomplex<br />

entfernt. Nun war nur noch einer übrig, abgesehen von einem<br />

mobilen Sender, der schon beschädigt war. Die unterirdischen Telefonkabel<br />

wurden zwar noch benutzt, doch der Vormarsch in feindliches<br />

Territorium hatte zu unzuverlässigen Nachrichtenverbindungen<br />

geführt. Zu oft kam es vor, dass von Fernmeldetruppen<br />

gezogene Freileitungen von Luftangriffen zerstört wurden. Man<br />

war also auf die Funkverbindungen angewiesen, und gerade diese<br />

schaltete die Nato systematisch aus. Es war sogar ein Angriff auf<br />

den Bunkerkomplex versucht worden - acht Jagdbomber hatten<br />

eine Scheinanlage zwischen zwei Sendern ausgiebig mit Napalm,<br />

Streubomben und Sprengladungen mit Zeitzünder belegt. Nach<br />

Auffassung der Sprengstoffexperten hätte es bei dem Angriff auf<br />

den echten Komplex Opfer gegeben. Soweit das Geschick unserer<br />

Pioniere, dachte Alexejew. Eigentlich sollten die Bunker nämlich<br />

433


auch die Druckwelle eines in der Nähe detonierenden Kernsprengkopfes<br />

überstehen.<br />

Alexejew hatte eine Division in voller Kampfstärke über die<br />

Leine geschafft - oder eher den Teil einer Division, korrigierte er<br />

sich. Die beiden verstärkenden Divisionen versuchten nun überzusetzen,<br />

doch diese Verbände waren über Nacht ebenso wie die<br />

Schw<strong>im</strong>mbrücken bombardiert worden. Langsam begannen die<br />

Verstärkungen der Nato einzutreffen - auch sie hatten be<strong>im</strong> Vormarsch<br />

über die Straßen unter Luftangriffen zu leiden gehabt, doch<br />

die Verluste der sowjetischen Jagdbomber waren erschreckend gewesen.<br />

Der Schlüssel zum Erfolg lag in seiner Fähigkeit, die Brücken<br />

über die Leine intakt zu halten und den Verkehr flüssig nach Alfeld<br />

zu leiten. Die Verkehrsregelung war schon zwe<strong>im</strong>al zusammengebrochen,<br />

ehe Alexejew sie von einem Team von Obersten überwachen<br />

ließ.<br />

»Wir hätten uns einen besseren Platz aussuchen sollen», murmelte<br />

Alexejew.<br />

»Wie bitte, Genosse General?«<br />

»Es führt nur eine gute Straße nach Alfeld.« Der General lächelte<br />

ironisch. »Wir hätten unseren Durchbruch bei einer Stadt mit<br />

mindestens drei erzielen sollen.«<br />

Sie sahen zu, wie hölzerne Symbole auf der Karte entlangkrochen.<br />

Jedes stellte ein Bataillon dar. Flak- und Flarak-Einheiten<br />

säumten diesen Korridor nördlich und südlich der Straße, die unablässig<br />

von Minen geräumt werden musste, die die Nato erstmals in<br />

großer Anzahl abwarf.<br />

»Die 20. Panzerdivision hat ernsthafte Verluste erlitten«, sagte<br />

der General leise. Seine Division. Der Durchbruch hätte rasch<br />

vonstatten gehen können - wären da nicht die Nato-Flugzeuge<br />

gewesen.<br />

»Mit dem Eintreffen der beiden verstärkenden Divisionen ist das<br />

Manöver komplett«, prophezeite Sergetow zuversichtlich.<br />

Alexejew teilte diese Ansicht. Es sei denn, es ging etwas schief.<br />

Norfolk, Virginia<br />

Morris saß dem COMNAVSURFLANT gegenüber, dem Oberbefehlshaber<br />

der Überwasserflotte der US-Navy <strong>im</strong> Atlantik. »Der<br />

434


Iwan hat seine Taktik geändert, und zwar sehr viel rascher, als wir<br />

es ihm zugetraut haben. Er konzentriert sich nun auf die Eskorten.<br />

Der Angriff auf Ihre Fregatte war kein Zufall: Ihnen wurde vermutlich<br />

aufgelauert.«<br />

»Es wird also versucht, die Geleitzüge zurückzuwerfen, Sir?«<br />

»Ja, und zwar bevorzugt Schiffe mit Schleppsonar. Wir haben<br />

der sowjetischen U-Boot-Flotte Verluste zugefügt. Unsere mit<br />

Schleppsonar ausgerüsteten Außenposten haben sich sehr gut bewährt.<br />

Dies ist dem Iwan nicht verborgen geblieben, und aus diesem<br />

Grunde versucht er, sie auszuschalten. Er hält auch nach den<br />

SURTASS-Schiffen Ausschau, aber das ist schon eine kniffligere<br />

Sache. Drei U-Boote, die versuchten, sich anzuschleichen, haben<br />

wir versenkt.«<br />

Morris nickte. SURTASS waren umgebaute Thunfischkutter, die<br />

gewaltige Passivsonar-Batterien schleppten. Man hatte zwar nur<br />

genug für die Hälfte der Geleitzugrouten, doch diese lieferten gute<br />

Daten an das ASW-Hauptquartier in Norfolk. »Warum läßt man<br />

die Schiffe nicht von Backfire angreifen?«<br />

»Diese Frage haben wir uns auch schon gestellt. Offenbar ist das<br />

den Russen nicht die Mühe wert. Zudem sind die elektronischen<br />

Fähigkeiten der SURTASS-Einheiten größer, als jeder erwartet<br />

hatte. Mit Radar lassen sie sich nicht so leicht orten.« Der Admiral<br />

machte eine Pause und sagte dann: »Ich werde Sie für eine Auszeichnung<br />

vorschlagen, Ed. Sie haben gute Arbeit geleistet. Besser<br />

als Sie waren nur drei Kommandanten, und von denen ist einer<br />

gestern ausgefallen. Wie schwer ist Ihr Schaden?«<br />

»Vermutlich total. Wir wurden vom Torpedo eines Victor am<br />

Bug getroffen. Der Kiel brach, und der Bug löste sich vom Schiff,<br />

Sir.« Der Admiral nickte. Auch er hatte die Schadensmeldung<br />

gesehen.<br />

»Sie haben das Schiff gerettet, Ed. Gratuliere. Die Pharris<br />

braucht Sie <strong>im</strong> Augenblick nicht. Ich möchte Sie hier bei meinem<br />

Stab haben. Auch wir müssen unsere Taktik ändern. Sehen Sie sich<br />

an, was über Feindlage und Gefechtserfahrungen vorliegt, und<br />

liefern Sie mir ein paar Ideen.«<br />

»Vielleicht schieben wir als erstes mal diesen verdammten Backfire<br />

einen Riegel vor.«<br />

»Daran wird schon gearbeitet.« In der Antwort schwangen Zuversicht<br />

und zugleich Skepsis mit.<br />

435


Windward Passage<br />

Im Osten lag Hispaniola, <strong>im</strong> Westen Kuba. Die Schiffe liefen verdunkelt<br />

in Gefechtsformation, begleitet von Zerstörern und Fregatten,<br />

die Radargeräte in Bereitschaft. Raketen lagen auf den Startern<br />

und waren nach Backbord gerichtet. Ihre Bedienungen schwitzten<br />

auf ihren kl<strong>im</strong>atisierten Gefechtsstationen.<br />

Mit Ärger rechnete man nicht. Castro hatte der amerikanischen<br />

Regierung zu verstehen gegeben, er habe mit dieser Angelegenheit<br />

nichts zu tun und sei vielmehr erbost, weil man ihn nicht informiert<br />

hatte. Unter diplomatischen Gesichtspunkten war es allerdings<br />

wichtig, dass die amerikanische Flotte die Passage in der Nacht<br />

durchfuhr, damit die Kubaner wahrheitsgemäß behaupten konnten,<br />

nichts gesehen zu haben. Zum Zeichen seines guten Willens<br />

hatte Castro die Amerikaner sogar auf ein sowjetisches U-Boot in<br />

der Straße von Florida aufmerksam gemacht.<br />

Die Marine wusste nur, dass mit ernsthafter Gegenwehr nicht zu<br />

rechnen war. Ihre Hubschrauber hatten eine Kette aus Sonobojen<br />

ausgelegt, ihre ESM-Empfänger lauschten auf das pulsierende Signal<br />

sowjetischer Radargeräte. Auf den Masten suchten Ausgucks<br />

mit Nachtsichtgeräten den H<strong>im</strong>mel nach Flugzeugen ab.<br />

Ein Fregattenkapitän saß in der Gefechtszentrale seines Schiffes<br />

und hatte links von sich den Kartentisch und rechts die taktische<br />

Anzeige, an der ein junger Offizier stand. Bekannt war, dass die<br />

Kubaner entlang ihrer Küste Boden-Boden-Raketenbatterien aufgestellt<br />

hatten. Auf dem Vorschiff waren Raketenstarter, Dreizöller<br />

und das DISW geladen und ausgerichtet. Der Kaffee war ein Fehler<br />

gewesen, sagte sich der Captain, aber er musste hellwach bleiben.<br />

Das Resultat war ein stechender Magenschmerz. Er erwog, mit dem<br />

Sanitäter zu sprechen, verwarf den Gedanken aber. Dazu war keine<br />

Zeit.<br />

Es geschah nach der dritten Tasse Kaffee. Der Schmerz kam so<br />

jäh wie ein Messerstich. Der Captain krümmte sich und erbrach<br />

sich auf das Fliesendeck der Zentrale. Ein Matrose wischte alles<br />

sofort auf; in der Dunkelheit sah niemand das Blut. Der Captain<br />

konnte seine Station trotz der Schmerzen und des Schüttelfrostes<br />

nach dem Blutverlust nicht verlassen. Er nahm sich vor, für die<br />

nächsten paar Stunden auf Kaffee zu verzichten und später den<br />

Sanitäter aufzusuchen.<br />

436


Virginia Beach, Virginia<br />

Morris fand sein Haus verlassen vor. Auf seinen Vorschlag hin war<br />

seine Frau mit den Kindern nach Kansas zu ihren Eltern gefahren.<br />

Nun bedauerte er das. Morris brauchte Gesellschaft und eine Umarmung,<br />

und er wollte seine Kinder sehen. Gleich, nachdem er das<br />

Haus betreten hatte, ging er ans Telefon. Seine Frau wusste bereits,<br />

was mit dem Schiff passiert war, hatte den Kindern aber noch nichts<br />

davon gesagt. Es dauerte eine Weile, bis er sie davon überzeugt<br />

hatte, dass er unversehrt und zu Hause war. Dann kamen die Kinder<br />

an den Apparat, und am Ende stellte sich heraus, dass seine Familie<br />

keinen Flug nach Hause buchen konnte. Alle Passagiermaschinen<br />

transportierten entweder Soldaten oder Nachschub ins Ausland<br />

oder waren bis Mitte August ausgebucht. Es hatte keinen Sinn,<br />

entschied Ed Morris, seiner Familie die lange Fahrt von Salinas<br />

nach Kansas City zuzumuten, nur für den Fall, dass Sitze frei wurden.<br />

Der Abschied am Telefon fiel ihm schwer.<br />

Aber die nächste Aufgabe war noch schwerer. Commander Edward<br />

Morris zog seine weiße Ausgehuniform an und nahm die Liste<br />

der Familien, die benachrichtigt werden mussten, aus der Brieftasche.<br />

Sie waren zwar bereits offiziell verständigt worden, aber es<br />

gehörte zu den Pflichten eines Kommandanten, die Hinterbliebenen<br />

persönlich aufzusuchen. Die Witwe seines Ersten Offiziers<br />

wohnte ganz in der Nähe. Wie oft hatte er dort sonntags <strong>im</strong> Garten<br />

gesessen und zugesehen, wie die Steaks auf dem Grill brutzelten?<br />

Was sollte er der Frau nun sagen? Und den anderen Witwen? Und<br />

erst den Kindern?<br />

Morris ging zu seinem Wagen. Das Kennzeichen FF-1094 kam<br />

ihm nun wie der blanke Hohn vor. Nicht jeder musste sein Versagen<br />

so an die große Glocke hängen. Als er den Motor anließ, fragte er<br />

sich, ob ihn dieser schreckliche Augenblick auf der Brücke für den<br />

Rest seines Lebens <strong>im</strong> Traum verfolgen würde.<br />

Island<br />

Zum ersten Mal war Edwards dem Sergeant in einer Überlebenstechnik<br />

über. Trotz seiner angeblichen Angelkünste kam Smith<br />

nach einer Stunde mit leeren Händen zurück und reichte Mike<br />

437


angewidert die Rute. Zehn Minuten später zog Edwards eine vierpfündige<br />

Forelle an Land.<br />

»Nicht zu glauben«, grollte Smith.<br />

Für die letzten zehn Kilometer hatten sie elf Stunden gebraucht.<br />

Auf der einzigen Straße, die sie überqueren mussten, hatte viel<br />

Verkehr geherrscht. Alle paar Minuten war ein Fahrzeug nach<br />

Norden oder Süden gerollt. Für die Russen war diese Schotterstraße<br />

die Hauptverbindung zur Nordküste. Edwards und seine Gruppe<br />

hatten sechs Stunden lang in einem Lavafeld ausharren müssen, bis<br />

sie die Straße sicher überqueren konnten. Zwe<strong>im</strong>al hatten sie Hubschrauber<br />

Mi-24 Streife fliegen sehen, aber keiner war ihnen nahe<br />

gekommen. Auch Patrouillen zu Fuß schien es keine zu geben, und<br />

Edwards gelangte zu dem Schluß, dass die Sowjets zahlenmäßig<br />

nicht stark genug waren, um die große Insel in ihrer Gesamtheit zu<br />

kontrollieren. Auf diese Erkenntnis hin holte er seine russische<br />

Landkarte hervor und versuchte, die kyrillischen Buchstaben zu<br />

entziffern. Die sowjetischen Truppen waren in einem Halbkreis um<br />

die Halbinsel Reykjavik konzentriert. Das gab er über Funk nach<br />

Schottland durch und erklärte zehn Minuten lang die Bedeutung<br />

der Symbole auf der Karte.<br />

Als es zu dämmern begann, ließ der Verkehr nach, so dass sie die<br />

Straße <strong>im</strong> Laufschritt überqueren konnten. Nun lag ein Gebiet mit<br />

Seen und Bächen vor ihnen, und der Proviant war ihnen ausgegangen.<br />

Genug ist genug, entschied Edwards. Sie mussten wieder einen<br />

Ruhetag einlegen und angeln, damit sie etwas zu essen bekamen.<br />

Die nächste Etappe führte durch unbewohntes Gebiet.<br />

Sein Gewehr und seine Ausrüstung lagen abgedeckt von seiner<br />

Camouflage-Jacke neben einem Felsbrocken. Vigdis, die den ganzen<br />

Tag kaum von ihm gewichen war, stand neben ihm. Die vier<br />

Mannes hatten sich Plätze zum Ausruhen gesucht und überließen<br />

das Fischen ihrem Lieutenant. Sein Pullover hielt ihm die Schnaken<br />

vom Leib, aber sein Gesicht bekam seinen Teil ab. Unzählige<br />

schwebten über dem Bach, und die Forellen machten auf sie Jagd.<br />

Jedesmal, wenn die Oberfläche sich kräuselte, warf er den gefiederten<br />

Köder aus. Und die Rute bog sich wieder.<br />

»Das ist ein Dicker!« Er drehte sich um und sah Vigdis lachen.<br />

Eine Minute später zog sie den Fisch aus dem Wasser.<br />

»Drei Kilo!« Sie hob die Forelle hoch.<br />

Der Hubschrauber tauchte ohne Warnung auf. »Keine Bewe­<br />

438


gung!« brüllte Smith. Die Marines hatten gute Deckung, aber Mike<br />

und Vigdis standen exponiert.<br />

»Mein Gott«, hauchte Edwards und holte den Rest der Angelschnur<br />

ein. »Nehmen Sie den Fisch vom Haken, aber ganz entspannt.«<br />

Sie hielt dem herannahenden Hubschrauber den Rücken zugekehrt<br />

und holte dem zappelnden Fisch mit zitternden Fingern den<br />

Haken aus dem Maul.<br />

»Wird schon gut, Vigdis.« Er schlang ihr den Arm um die Taille<br />

und entfernte sich langsam vom Bach. Sie griff nach ihm und zog<br />

ihn an sich.<br />

Der Hubschrauber war nun knapp fünfhundert Meter von ihnen<br />

entfernt, hielt mit gesenkter Nase direkt auf sie zu. Sein mehrläufiges<br />

Maschinengewehr war auf sie gerichtet.<br />

Langsam griff Vigdis nach Edwards' Hand und legte sie auf ihre<br />

linke Brust. Dann hielt sie den Fisch hoch. Mike ließ die Angelrute<br />

fallen und bückte sich nach der anderen Forelle. Vigdis folgte seinen<br />

Bewegungen und sorgte dafür, dass seine Hand an Ort und Stelle<br />

blieb. Nun zeigte auch Mike seinen Fisch der Besatzung des fünfzig<br />

Meter vor ihnen schwebenden Helikopters.<br />

Er bleckte die Zähne zu einem Grinsen und zischte: »Verpiß<br />

dich!«<br />

»Mein Vater angelt auch gerne«, sagte der Oberleutnant am Steuerknüppel.<br />

»Scheiß auf den Fisch«, versetzte der Schütze. »Gucken Sie mal,<br />

wo der Saukerl seine Hand hat!«<br />

Der Pilot warf einen Blick auf die Treibstoffanzeigen. »Die zwei<br />

sehen harmlos aus. Und wir haben gerade noch genug Sprit für<br />

dreißig Minuten. Zeit, zurückzufliegen.«<br />

Das Heck des Hubschraubers senkte sich, und einen gräßlichen<br />

Augenblick glaubte Edwards, er wolle landen. Doch dann machte<br />

die Maschine in der Luft einen Schwenk und flog nach Südwesten.<br />

Ein Soldat winkte ihnen aus der Seitentür zu. Vigdis winkte zurück.<br />

Sie blieben stehen; Vigdis hielt ihn mit dem linken Arm fest umschlungen.<br />

Edwards hatte nicht gewußt, dass sie keinen Büstenhalter<br />

trug. Er hatte nun Angst, seine Hand zu bewegen, um nicht den<br />

Eindruck zu erwecken, er wolle die Situation ausnutzen. Vigdis<br />

439


wandte sich zu ihm um, und seine Hand glitt weg, als sie den Kopf<br />

an seine Schulter legte. Idiotisch, da halte ich in einer Hand das<br />

schönste Mädchen, dem ich je begegnet bin, dachte Edwards, und<br />

in der anderen ausgerechnet einen Fisch. Er ließ den Fisch fallen,<br />

umschlang sie mit beiden Armen und drückte sie fest an sich.<br />

»Alles in Ordnung?«<br />

Sie schaute zu ihm auf. "Ich glaube schon.«<br />

Was er für sie empfand, war nur mit einem Wort zu beschreiben.<br />

Edwards aber wusste, dass Worte von Liebe hier fehl am Platz<br />

waren. Er küßte sie sanft auf die Wange und bekam einen Blick zur<br />

Antwort, der ihm mehr bedeutete als alle sexuellen Beziehungen in<br />

seinem Leben.<br />

Sergeant Smith räusperte sich in einiger Entfernung.<br />

Edwards löste sich von dem Mädchen. »Ja, marschieren wir<br />

weiter, ehe die es sich anders überlegen und zurückkommen.«<br />

US S Chicago<br />

Es klappte wie am Schnürchen. Amerikanische P-3C Orion und<br />

britische N<strong>im</strong>rod klärten über der Route zum Packeis auf. Die U-<br />

Boote waren gezwungen gewesen, einen Bogen um ein vermutetes<br />

russisches Boot zu fahren, aber das war auch alles gewesen. Offenbar<br />

hatte der Russe in dem Glauben, er habe <strong>im</strong> Norden alles unter<br />

Kontrolle, den Großteil seiner Boote nach Süden gesandt. Noch<br />

sechs Stunden bis zum Packeis.<br />

Chicago hatte seinen Turnus an der Spitze des »Güterzugs« aus<br />

U-Booten hinter sich und ließ sich treiben. Sein Sonar suchte das<br />

schwarze Wasser nach dem charakteristischen Geräusch eines russischen<br />

U-Bootes ab, doch außer dem fernen Grollen des Packeises<br />

war nichts zu vernehmen.<br />

Ein Ortungsteam ermittelte die Positionen der anderen amerikanischen<br />

Boote. McCafferty stellte mit Genugtuung fest, dass ihnen<br />

das nur unter Schwierigkeiten gelang, obwohl ihnen Amerikas<br />

bestes Sonargerät zur Verfügung stand. Wenn seine Leute Probleme<br />

bei der Ortung hatten, konnte es den Russen nicht besser ergehen.<br />

»Das war Boston, Sir«, sagte der IO. »Jetzt sind wir der Dienstwagen.«<br />

McCafferty schaute sich aufmerksam die Karte an, denn so viele<br />

440


Boote auf einem Kurs bedeuteten Kollisionsgefahr. Ein Steuermannsmaat<br />

las die Liste der Schwesterboote vor, die Chicago passiert<br />

hatten. Nun war der Kommandant zufrieden.<br />

»Zwei Drittel voraus-, befahl er. Der Rudergänger bestätigte<br />

den Befehl und drehte am Maschinentelegraphen.<br />

Chicago beschleunigte auf fünfzehn Knoten und ging am Ende<br />

des Güterzugs zur Arktis auf Station.<br />

441


Virginia Beach, Virginia<br />

31<br />

Dämonen<br />

»Ruder hart Steuerbord!« schrie Morris und wies auf die Blasenspur<br />

des Torpedos.<br />

»Ruder hart Steuerbord, aye«, erwiderte der Rudergänger.<br />

Morris stand an Backbord in der Brückennock. Das Meer war<br />

glatt, und das Kielwasser des Torpedos, der jeder Wendung der<br />

Fregatte folgte, deutlich zu erkennen. Morris versuchte sogar, rückwärts<br />

zu fahren, aber auch das nutzte nichts - der Torpedo schien<br />

sich seitwärts zu bewegen. Endlich kam der Fisch an die Oberfläche.<br />

Morris sah, dass er weiß war und einen roten Stern auf der Nase<br />

hatte... und Augen, wie alle zielsuchenden Torpedos. Er befahl<br />

äußerste Kraft voraus, doch der Torpedo blieb nun an der Oberfläche,<br />

jagte praktisch über sie hinweg wie ein fliegender Fisch.<br />

Langsam glitt er der manövrierenden Fregatte näher. Noch fünfzehn<br />

Meter, zehn, fünf...<br />

»Wo ist mein Papi?« klagte das kleine Mädchen. »Der Papi soll<br />

kommen.«<br />

»Wo hängt's, Sir?« fragte der IO. Seltsam, er hatte keinen Kopf<br />

mehr.<br />

Der Schweiß troff Morris vom Gesicht, als er mit jagendem<br />

Herzen <strong>im</strong> Bett hochfuhr. Die Digitaluhr zeigte 4 : 54 an. Ed Morris<br />

ging zitternd ins Bad und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht.<br />

Wieder einer dieser Alpträume, dachte er und fragte sich, ob er <strong>im</strong><br />

Schlaf geschrien hatte.<br />

Du hast getan, was du konntest, sagte er zu dem Gesicht <strong>im</strong><br />

Spiegel. Es war nicht deine Schuld.<br />

Nach dem fünften Angehörigenbesuch hatte er aufgeben müssen.<br />

Ehefrauen und Eltern hatten Verständnis; <strong>im</strong>merhin kannten sie<br />

das Risiko, das ihre Männer oder Söhne bei der Kriegsmarine<br />

eingegangen waren. Aber die vierjährige Tochter des Maats Jeff<br />

Evans hatte nicht verstehen können, warum ihr Vater nun nie mehr<br />

442


nach Hause kommen würde. Ein Maat verdiente nicht viel, wie<br />

Morris wusste. Evans musste sein kleines, aber tadelloses Haus<br />

selbst renoviert haben. Der Mann hatte geschickte Hände gehabt.<br />

Alle Wände waren frisch gestrichen, Fenster- und Türrahmen größtenteils<br />

ersetzt worden. Morris fragte sich, woher Evans die Zeit für<br />

die ganze Arbeit genommen hatte, denn die Familie wohnte erst seit<br />

sieben Monaten hier. Alles in Eigenarbeit gemacht... Handwerker<br />

hatte er sich best<strong>im</strong>mt nicht leisten können. Das Z<strong>im</strong>mer des kleinen<br />

Mädchens zeugte von der Liebe ihres Vaters. Auf selbstgefertigten<br />

Regalen standen Puppen aus aller Welt. Nachdem Morris dieses<br />

Z<strong>im</strong>mer gesehen hatte, musste er sich hastig verabschieden, denn er<br />

hatte das Gefühl, kurz vor einem Nervenzusammenbruch zu stehen.<br />

Absurde Verhaltensregeln ließen nicht zu, dass er sich vor<br />

Fremden so blamierte. So hatte er die Liste zurück in die Brieftasche<br />

gesteckt und war nach Hause gefahren. Er war zu Tode erschöpft<br />

und hoffte, nun endlich Schlaf zu finden.<br />

Aber nun stand er vor dem Spiegel und starrte einen hohläugigen<br />

Mann an, der sich nach seiner Frau sehnte.<br />

Morris ging in die Küche seines Bungalows und machte mechanisch<br />

Kaffee. Vor der Tür lag die Morgenzeitung, und er ertappte<br />

sich be<strong>im</strong> Lesen von überholten Kriegsberichten. Es entwickelte<br />

sich alles so rasch, dass die Reporter nicht mehr mitkamen. Ein<br />

Hintergrundartikel legte dar, Überwasserschiffe seien überholt und<br />

könnten entschlossenen Raketenangriffen nicht standhalten; außerdem<br />

wurde die Frage aufgeworfen, wo eigentlich die vielgespriesenen<br />

Flugzeugträger der Flotte seien. Gute Frage, dachte Morris.<br />

Er trank seinen Kaffee aus, duschte und beschloß, zur Arbeit zu<br />

gehen.<br />

Vierzig Minuten später befand er sich in einem der Lageräume,<br />

wo die Positionen der Geleitzüge und Stellen, an denen man feindliche<br />

U-Boote vermutete, dargestellt waren. An der Wand gegenüber<br />

zeigte eine Tafel die geschätzte russische Flottenstärke sowie Anzahl<br />

und Typ der bisher versenkten Schiffe an. Eine andere Schautafel<br />

stellte die eigenen Verluste dar. Wenn der Nachrichtendienst<br />

recht hatte, stand der Seekrieg unentschieden - und ein Unentschieden<br />

war für die Sowjets ein Sieg.<br />

»Guten Morgen, Commander«, sagte der COMNAVSUR­<br />

FLANT. »Sie sehen ein bißchen besser aus. Und zur Abwechslung<br />

habe ich einmal gute Nachrichten.«<br />

443


Nordatlantik<br />

Die Besatzungen der B-52. waren trotz des starken Jägerschutzes<br />

nervös. Fünftausend Fuß über ihnen sorgte ein Geschwader F-14<br />

Tomcat für Deckung. Das zweite Geschwader wurde <strong>im</strong> Augenblick<br />

von KC-I35 in der Luft betankt. Die Sonne lugte über den<br />

Horizont, das Meer lag noch schwarz da. Es war drei Uhr früh, die<br />

Tageszeit, um die der Mensch am langsamsten reagiert.<br />

Keflavik,, Island<br />

Der Alarm scheuchte die schlafenden russischen Piloten von den<br />

Feldbetten. Das Bodenpersonal machte in weniger als zehn Sekunden<br />

die Maschinen startklar, die Flieger kletterten über Stahlleitern<br />

in ihre Cockpits und schlossen die Funkgeräte in ihren Helmen an,<br />

um zu erfahren, was anlag.<br />

»Starke feindliche Störtätigkeit <strong>im</strong> Westen«, verkündete der Reg<strong>im</strong>entskommandeur.<br />

»Plan drei. Wiederhole: Plan drei.«<br />

Im Leitstand, der sich in einem Anhänger befand, hatte weißes<br />

Fl<strong>im</strong>mern auf den Sichtgeräten gerade ein Chaos angerichtet. Ein<br />

amerikanischer Angriffsverband war <strong>im</strong> Anflug - vermutlich B-52..<br />

Bald kamen die amerikanischen Flugzeuge so nahe heran, dass das<br />

Bodenradar ihren Störvorhang »durchbrennen« konnte. Bis zu<br />

diesem Zeitpunkt planten die Piloten der Abfangjäger, sich dem<br />

Feind so weit draußen wie möglich entgegenzustellen, um die Anzahl<br />

der Bomber zu verringern.<br />

Die sowjetischen Piloten hatten auf Island fleißig geübt. Binnen<br />

zwei Minuten rollte das erste Paar MiG-29 an den Start, innerhalb<br />

von neun waren alle in der Luft. Der sowjetische Plan sah vor, dass<br />

ein Drittel der Maschinen über Keflavik blieb, während der Rest<br />

mit aktiviertem Zielsuchradar nach Westen auf die Störquelle zuraste.<br />

Nach zehn Minuten hörte das Stören auf. Ein MiG bekam kurz<br />

Radarkontakt mit einem sich zurückziehenden Störflugzeug und<br />

verständigte Keflavik, erfuhr aber von den Controllern am Boden,<br />

<strong>im</strong> Umkreis von dreihundert Kilometern befände sich nichts auf<br />

den Schirmen.<br />

Eine Minute später setzte das Stören erneut ein, diesmal von<br />

Süden und Osten. Die MiG waren diesmal vorsichtiger und flogen<br />

444


mit abgeschaltetem Radar nach Süden, doch als sie es hundert<br />

Meilen vor der Küste aktivierten, fanden sie nichts. Wer da störte,<br />

tat das aus großer Entfernung. Die Controller meldeten, an dem<br />

ersten Zwischenfall seien drei Störer, am zweiten vier beteiligt<br />

gewesen. Eine ganze Menge, dachte der Reg<strong>im</strong>entskommandeur.<br />

Man versucht, uns in die Irre zu führen und Treibstoff vergeuden zu<br />

lassen.<br />

Er befahl seine Flugzeuge nach Osten.<br />

Nun waren die Besatzungen der B-52. richtig nervös. Eine der<br />

eskortierenden Prowler hatte <strong>im</strong> Südwesten einen kurzen Luftabwehrradar<strong>im</strong>puls<br />

ausgemacht, eine zweite Funkbefehle von den<br />

MiG abgehört. Die Jäger nahmen eine leichte Kurskorrektur nach<br />

Süden vor und befanden sich nun hundertfünfzig Meilen von Keflavik<br />

über der isländischen Küste. Der Kommandeur des Unternehmens<br />

schätzte die Lage ein und befahl seinen Bombern, leicht nach<br />

Osten abzudrehen.<br />

Die B-52 hatten keine Bomben an Bord, sondern nur starke<br />

Radarstörsender, deren Zweck es war, anderen Bombern das Eindringen<br />

in die Sowjetunion zu ermöglichen. Unter ihnen stieß das<br />

zweite Tomcat-Geschwader auf den Osthang des Vatna-Gletschers<br />

hinab. Begleitet wurden sie von vier Prowlern, um zusätzlichen<br />

Schutz gegen Luftkampfraketen zu bieten, nur für den Fall, dass die<br />

MiG zu nahe kamen.<br />

»Empfangen nun Flugzeugradar aus zwei-fünf-acht. Scheint sich<br />

zu nähern«, meldete ein Prowler. Nachdem eine zweite das Signal<br />

ebenfalls empfangen hatte, berechnete man eine Distanz von fünfzig<br />

Meilen. Nahe genug.<br />

»Amber Moon. Wiederhole: Amber Moon!« rief der Kommandeur<br />

in seinen Prowler.<br />

Die B-52. drehten zurück nach Osten ab und warfen tonnenweise<br />

Aluminiumstreifen, die kein Radarsignal durchdringen konnte.<br />

Daraufhin entledigten sich alle amerikanischen Kampfflugzeuge<br />

ihrer Zusatztanks, und die Prowler scherten aus dem Bombenverband<br />

aus, um westlich der Düppelwolken Kreise zu fliegen. Nun<br />

kam der kniffligste Teil der Operation. Die Jäger beider Seiten<br />

rasten mit einer addierten Begegnungsgeschwindigkeit von über<br />

1650 Stundenkilometern aufeinander zu.<br />

»Queer check!« rief der Kommandeur.<br />

445


»Blackie check«, bestätigte der Skipper von VF-84. Alle waren in<br />

Position.<br />

Die vier Prowler aktivierten ihre Raketenabwehr-Störsender.<br />

Zwölf Tomcats der »Jolly Rogers« flogen in dreißigtausend Fuß<br />

wie aufgereiht und schalteten auf einen Befehl hin ihr Zielsuchradar<br />

an.<br />

»Amerikanische Jäger!« riefen mehrere russische Piloten. Ihre<br />

Warnanlagen verkündeten sofort, dass sie von jägerspezifischem<br />

Radar erfaßt worden waren.<br />

Das überraschte den Kommandeur der sowjetischen Kampfflugzeuge<br />

nicht. Es war wohl kaum zu erwarten, dass die Amerikaner<br />

ihre schweren Bomber noch einmal uneskortiert aufs Spiel setzten.<br />

Er beschloß, die Jäger zu ignorieren und sich auf die B-52 zu<br />

stürzen. Das Radar der MiG war durch die starke Störeinwirkung<br />

in seiner Reichweite um fünfzig Prozent reduziert und daher nicht<br />

in der Lage, irgendwelche Ziele aufzufassen. Er befahl seinen Piloten,<br />

auf anfliegende Raketen zu achten, und ließ sie die Leistung<br />

ihrer Triebwerke erhöhen. Dann wies er außer seiner Reserve von<br />

zwei Maschinen alle an, Keflavik zu verlassen und ostwärts zu<br />

fliegen, um sie zu unterstützen.<br />

Zur Erfassung der Ziele brauchten die Amerikaner nur Sekunden.<br />

Jeder Tomcat trug vier Sparrow und vier Sidewinder. Zuerst flogen<br />

die Sparrow los. In der Luft befanden sich sechzehn MiG. Auf die<br />

meisten waren zwei Raketen angesetzt worden, doch die Sparrow<br />

waren radargesteuert, was bedeutete, dass jeder amerikanische Jäger<br />

auf sein Ziel zuhalten musste, bis die Rakete getroffen hatte.<br />

Dies barg die Gefahr, in Reichweite der sowjetischen Raketen zu<br />

geraten, und die Tomcats waren nicht mit schützenden Störsendern<br />

ausgerüstet.<br />

Die Amerikaner hatten sich mit der Sonne <strong>im</strong> Rücken formiert. Just<br />

als das sowjetische Radar den amerikanischen Störvorhang zu<br />

durchbrennen begann, trafen die Sparrow ein. Die erste kam direkt<br />

aus der Sonne, brachte eine MiG zur Explosion und warnte den<br />

Rest des Schwarmes. Die sowjetischen Piloten flogen radikale Ausweichmanöver,<br />

rissen ihre Maschinen heftig herum, als sie die<br />

achtzehn Zent<strong>im</strong>eter dicken Raketen heranjagen sahen, doch vier<br />

446


fanden Ziele und führten zu drei eindeutigen Abschüssen und einer<br />

schwer beschädigten Maschine, die abdrehte und den Stützpunkt<br />

zu erreichen versuchte.<br />

Die »Jolly Rogers« machten kehrt, nachdem sie ihre Raketen<br />

verschossen hatten, und flogen, verfolgt von den Sowjets, nach<br />

Nordosten. Der russische Kommandeur fand die schwache Leistung<br />

der amerikanischen Raketen zwar erleichternd, war aber<br />

über den Verlust von fünf Maschinen erbost. Seine verbliebenen<br />

Flugzeuge jagten mit Nachbrennern heran, und ihr Zielsuchradar<br />

begann nun, das amerikanische Stören zu überwinden. Die amerikanische<br />

Jägereskorte hatte ihr Pulver verschossen; nun war der<br />

Russe an der Reihe. Der Schwärm fegte nach Nordosten; die behelmten<br />

Piloten schauten abwechselnd in die Sonne und auf die<br />

Radarschirme. Nach unten sah niemand. Endlich machte der führende<br />

MiG ein Ziel aus und feuerte zwei Raketen ab.<br />

Zwanzigtausend Fuß unter ihnen und von zwei Bergen gegen Bodenradar<br />

abgeschirmt, schalteten zwölf Tomcats der »Black Aces«<br />

die Nachbrenner ein und gingen ohne Radareinsatz in den Steigflug.<br />

Binnen neunzig Sekunden vernahmen die Piloten der zwe<strong>im</strong>otorigen<br />

Maschinen ein knurrendes Signal, das verkündete, dass die<br />

Infrarot-Suchköpfe ihrer Sidewinder-Raketen Ziele erfaßten. Sekunden<br />

später wurden aus einer Entfernung von zwei Meilen sechzehn<br />

Raketen abgefeuert.<br />

Sechs russische Kampfflieger wussten nicht, wie ihnen geschah.<br />

Innerhalb weniger Sekunden wurden acht von elf MiG getroffen.<br />

Dem Kommandeur blieb das Glück noch kurz treu; er riß seine<br />

Maschine herum und ließ eine Sidewinder ihr Ziel verlieren und in<br />

die Sonne fliegen, doch was konnte er nun tun? Zwei Tomcats<br />

entfernten sich in südlicher Richtung vom Rest seiner Jäger. Für<br />

einen organisierten Angriff war es zu spät - sein Flügelmann war<br />

abgeschossen worden, die einzige andere russische Maschine, die er<br />

sehen konnte, befand sich <strong>im</strong> Norden. So riß der Oberst seinen MiG<br />

in eine Acht-g-Kurve und stürzte sich auf die Amerikaner, ohne sich<br />

um das drängende Summen seiner Radarwarnanlage zu kümmern.<br />

Zwei von den Black Aces abgeschossene Sparrow trafen die Tragfläche<br />

seines MiG und rissen sie in Fetzen.<br />

447


Den Amerikanern blieb keine Zeit zum Triumphieren. Ihr Kommandeur<br />

meldete eine zweite Gruppe MiG <strong>im</strong> Anflug, und die<br />

Amerikaner gingen in Formation, bildeten einen massiven Wall aus<br />

vierundzwanzig Flugzeugen, ließen ihre Radargeräte für zwei Minuten<br />

abgeschaltet und die MiG in einen Störvorhang hineinrasen.<br />

Der stellvertetende Kommandeur der Russen beging einen schwerwiegenden<br />

Fehler: Er hatte erkannt, dass seine Kameraden in Gefahr<br />

waren, und eilte ihnen zu Hilfe. Die Tomcats schössen ihre<br />

verbliebenen Sparrow- und Sidewinder-Raketen ab. Insgesamt<br />

achtunddreißig Flugkörper hielten auf acht sowjetische Flugzeuge<br />

zu, deren Piloten keine Ahnung hatten, in was sie hineingerieten.<br />

Vier MiG wurden abgeschossen, drei beschädigt.<br />

Die Tomcat-Piloten wollten ganz aufräumen, wurden aber zurückbeordert,<br />

da sie gerade noch genug Treibstoff für den siebenhundert<br />

Meilen langen Rückflug nach Stornoway hatten. So wandten<br />

sie sich nach Osten und verschwanden hinter den von den B-52.<br />

zurückgelassenen Düppelwolken. Die Amerikaner hatten siebenunddreißig<br />

Abschüsse erzielt; angesichts der Tatsache, dass man<br />

nur siebenundzwanzig russische Flugzeuge erwartet hatte, eine erstaunliche<br />

Beute. Nur fünf MiG waren unbeschädigt geblieben. Der<br />

Kommandeur des Stützpunktes setzte sofort eine Rettungsaktion in<br />

Gang. Bald flogen Kampfhubschrauber der Fallschirmjägerdivision<br />

nach Osten, um nach abgeschossenen Piloten zu suchen.<br />

Stendal, DDR<br />

Dreißig Kilometer von Alfeld nach Hameln, dachte Alexejew, mit<br />

dem Panzer eine Stunde. Teile von drei Divisionen waren nun auf<br />

diesem Weg, hatten aber seit der erfolgreichen Flußüberquerung<br />

nur achtzehn Kilometer geschafft. Diesmal lag es an den Engländern:<br />

Panzer des Royal Tank Reg<strong>im</strong>ent und der 21 st Lancers hatten<br />

seine Spitzen auf halbem Weg nach Hameln zum Stillstand gebracht<br />

und sich seit achtzehn Stunden nicht von der Stelle gerührt.<br />

Hier drohte eine echte Gefahr. Für einen motorisierten Verband<br />

lag die Sicherheit in der Bewegung. Die Sowjets sandten zwar<br />

Einheiten in die Lücke, die Nato aber setzte ihre Luftmacht voll ein.<br />

Kaum waren die Brücken über die Leine repariert, da wurden sie<br />

448


auch schon wieder zerstört. Die Pioniere hatten Übergangsstellen<br />

gebaut, von denen aus die Mannschaftstransporter den Fluß<br />

schw<strong>im</strong>mend überqueren konnten, doch alle Versuche, die Panzer<br />

unter Wasser zur anderen Seite fahren zu lassen - eine Fähigkeit,<br />

über die sie angeblich verfügten -, waren fehlgeschlagen. Zu viele<br />

Einheiten waren zum Schutz der Bresche in den Nato-Linien erforderlich<br />

gewesen, zu wenige waren in der Lage, sie auszunutzen.<br />

Alexejew hatte einen Durchbruch wie aus dem Lehrbuch erzielt,<br />

nur um erkennen zu müssen, dass auch das Textbuch des Gegners<br />

Mittel und Wege zur Zerschlagung enthielt. Dem Operationsgebiet<br />

West standen insgesamt sechs Reservedivisionen der Kategorie I<br />

zur Verfügung. Waren diese verschlissen, mussten Reserveeinheiten<br />

der Kategorie II, die aus älteren Männern mit älterem Gerät bestanden,<br />

eingesetzt werden. Diese waren zwar zahlenmäßig stark, aber<br />

nicht so leistungsfähig wie Divisionen, die sich aus jüngeren Soldaten<br />

zusammensetzten. Dem General war die Notwendigkeit zuwider,<br />

Einheiten in die Schlacht zu schicken, die mit Sicherheit<br />

höhere Verluste als normal erleiden mussten, doch er hatte keine<br />

andere Wahl: Die politische Führung wollte es so.<br />

»Ich Muss wieder nach vorn«, sagte er zu seinem Vorgesetzten.<br />

»Gut, aber nicht näher als fünf Kilometer an die Front heran,<br />

Pascha«, erwiderte der OB West. »Ich kann es mir nicht leisten, Sie<br />

zu verlieren.«<br />

Brüssel<br />

Der Oberkommandierende der Alliierten Streitkräfte in Europa sah<br />

sich ebenfalls seine Kontrolliste an. Fast alle seine Reserven waren<br />

inzwischen <strong>im</strong> Kampfeinsatz, und die Russen schienen einen nicht<br />

enden wollenden Strom von Männern und Fahrzeugen nach vorne<br />

zu bringen. Seinen Einheiten blieb keine Zeit zum Reorganisieren<br />

und Umgruppieren. Für die Nato wurde der Alptraum aller Armeen<br />

Wirklichkeit: Sie konnte auf die Schachzüge des Gegners nur reagieren.<br />

Bislang hielt die Front noch, aber nur einigermaßen. Laut<br />

Karte stand südwestlich von Hameln eine britische Brigade, in<br />

Wirklichkeit aber kaum mehr als ein verstärktes Reg<strong>im</strong>ent, das aus<br />

erschöpften Männern und beschädigtem Gerät bestand. Ein Kollaps<br />

ließ sich nur mit Hilfe von Artillerie und Flugzeugen vermei­<br />

449


den und selbst diese Maßnahmen reichten nicht aus, wenn seine<br />

Einheiten nicht sehr viel mehr Ersatzausrüstung bekamen. Der<br />

Munitionsvorrat der Nato reichte zudem nur noch für zwei Wochen,<br />

und der Nachschub aus Amerika wurde durch die Angriffe<br />

auf die Geleitzüge stark behindert. Was sollte er seinen Männern<br />

sagen? »Verschießt weniger Munition« - ausgerechnet jetzt, wo die<br />

Russen nur mit verschwenderischem Waffeneinsatz aufgehalten<br />

werden konnten?<br />

Die morgendliche Lagebesprechung begann. Der ranghöchste<br />

Nachrichtendienstoffizier der Nato war ein deutscher General,<br />

begleitet von einem holländischen Major mit einer Videokassette.<br />

In einem so wichtigen Fall wollte der SACEUR die Rohdaten sehen<br />

und nicht nur eine Analyse vorgetragen bekommen. Der niederländische<br />

Offizier schloß den VCR an.<br />

Auf dem Bildschirm wurde eine computererzeugte Landkarte<br />

sichtbar, auf der dann Einheiten erschienen. Das Band lief zwei<br />

Minuten lang und zeigte Daten, die über einen Zeitraum von fünf.<br />

Stunden gesammelt worden waren. Der Holländer spielte es mehrmals<br />

ab, damit die Offiziere ein Bewegungsschema erkennen konnten.<br />

»General, unserer Schätzung nach haben die Sowjets sechs volle<br />

Divisionen nach Alfeld in Bewegung gesetzt. Das Bewegungsbild<br />

hier auf der Autobahn bei Braunschweig stellt die erste dar. Die<br />

anderen stammen aus den Reserven dieser Armeegruppe, und diese<br />

beiden Divisionen auf dem Weg nach Süden kommen von der<br />

Armeegruppe Nord.«<br />

»Sie glauben also, dass man hier massiert angreifen wird?« fragte<br />

der SACEUR.<br />

»Jawohl.« Der deutsche General nickte. »Der Schwerpunkt liegt<br />

hier.«<br />

Der SACEUR runzelte die Stirn. Eine vernünftige Entscheidung<br />

wäre nun der Rückzug hinter die Weser gewesen, um die Front zu<br />

verkürzen und die Kräfte zu reorganisieren, doch das hätte die<br />

Preisgabe von Hannover bedeutet - etwas, das die Deutschen niemals<br />

hinnehmen würden. Die deutsche Strategie, jedes Haus und<br />

jedes Feld zu verteidigen, war die Russen teuer zu stehen gekommen<br />

und hatte die Lage bei der Nato bis zum Zerreißen angespannt. Ein<br />

solcher strategischer Rückzug war für die Deutschen unakzeptabel.<br />

Eine Stunde später hatte sich die Hälfte der verfügbaren Nato­<br />

450


Reserven von Osnabrück nach Hameln in Bewegung gesetzt. Die<br />

Entscheidung der Schlacht um Deutschland sollte am östlichen Ufer<br />

der Weser fallen.<br />

Stornoway, Schottland<br />

Die zurückkehrenden Tomcats wurden sofort wieder betankt und<br />

bewaffnet. Inzwischen waren die Russen bei ihren Angriffen auf<br />

nordenglische Flugplätze vorsichtiger geworden. Amerikanische<br />

Radarflugzeuge, die die britischen N<strong>im</strong>rod und Shackleton unterstützten,<br />

machten den aus Andoya in Norwegen operierenden<br />

zwe<strong>im</strong>otorigen Blinder-Bombern das Leben schwer. Zweihundert<br />

Meilen vor der Küste flogen Tornado der Royal Air Force Patrouille,<br />

während die amerikanischen Piloten ausruhten. Das Bodenpersonal<br />

malte rote Sterne unters Cockpit, und Nachrichtendienstoffiziere<br />

werteten Videobänder der Luftkämpfe und Aufzeichnungen<br />

sowjetischen Zielradars aus.<br />

»Sieht so aus, als hätten wir ihnen einen schweren Schlag versetzt«,<br />

schloß Toland.<br />

»Und ob!« gab der Kommandeur der »Jolly Rogers« zurück. Der<br />

Kommandeur der US Navy hatte eine Zigarre zwischen den Zähnen.<br />

Er beanspruchte persönlich zwei abgeschossene MiG. »Die<br />

Frage ist nur: Werden sie verstärken? Einmal hat es geklappt, aber<br />

ein zweites Mal fallen sie auf diesen Trick nicht herein. Toland,<br />

können die Russen ersetzen, was wir zerstört haben?«<br />

»Das möchte ich bezweifeln. Der MiG-29 ist der einzige Jäger,<br />

den sie so weit draußen einsetzen können. Die restlichen Maschinen<br />

dieses Typs sind in Deutschland und auch dort stark dez<strong>im</strong>iert<br />

worden. Die Russen mögen zwar einige MiG-31 einsetzen, aber ich<br />

kann mir nicht vorstellen, dass sie ihr bestes Mehrzweckkampfflugzeug<br />

für diese Art von Einsatz freigeben.«<br />

Der Skipper der »Jolly Rogers« nickte zust<strong>im</strong>mend. »Gut. Nächster<br />

Schritt: Wir fliegen dicht vor Island Patrouille und fangen an,<br />

den Backfire-Verbänden mal ernsthaft zuzusetzen.«<br />

»Kann auch sein, dass sie uns hier einen Besuch abstatten«,<br />

warnte Toland. »Inzwischen müssen sie wissen, was wir da fabriziert<br />

haben und woher die Maschinen kamen.« Der Kommandeur<br />

von VF-4I sah aus dem Fenster. Einer seiner Tomcats stand eine<br />

451


halbe Meile entfernt zwischen Wällen aus Sandsäcken. Unter den<br />

Flügeln waren vier Raketen sichtbar. Er wandte sich zurück zu<br />

Toland.<br />

»Meinetwegen. Wenn sie sich hier auf unserem Gebiet und unter<br />

unserem Radarschirm mit uns einlassen wollen, soll mir das recht<br />

sein.«<br />

Alfeld, BRD<br />

Alexejew ließ seinen Hubschrauber am Stadtrand stehen und stieg<br />

in einen Schützenpanzer. Zwei Pontonbrücken waren in Betrieb.<br />

Überreste von mindestens fünf anderen lagen zusammen mit zahllosen<br />

ausgebrannten Panzern und Lkw am Flußufer. Der Chef der<br />

20. Panzerdivision fuhr mit ihnen.<br />

»Die feindlichen Luftangriffe sind mörderisch«, meinte General<br />

Beregowoy. »So etwas habe ich noch nie erlebt. Trotz unserer SAM<br />

fliegen sie an. Wir schießen zwar einige ab, aber nicht genug, und je<br />

näher man der Front kommt, desto schl<strong>im</strong>mer wird es.«<br />

»Welche Fortschritte haben Sie heute erzielt?«<br />

»Unser Hauptgegner ist <strong>im</strong> Augenblick eine englische Panzerbrigade;<br />

die haben wir seit Tagesanbruch um zwei Kilometer zurückgeworfen.«<br />

»Es soll auch noch ein belgischer Verband <strong>im</strong> Einsatz sein«,<br />

erinnerte Sergetow.<br />

»Der ist spurlos verschwunden - auch das macht mir Sorgen.<br />

Zum Schutz vor Gegenangriffen habe ich eine der neuen Divisionen<br />

an unsere linke Flanke verlegt. Die andere wird heute nachtmittag<br />

zusammen mit der 20. den Angriff wiederaufnehmen.«<br />

»Stärke?« fragte Alexejew.<br />

»Die 20. hat nur noch knapp neunzig einsatzfähige Panzer«,<br />

erklärte Beregowoy. »Und diese Zahl ist vier Stunden alt. Unserer<br />

Infanterie ist es besser ergangen, aber die Division hat nun weniger<br />

als fünfzig Prozent ihrer Sollstärke.«<br />

Ihr Fahrzeug fuhr nun die steile Böschung hinunter auf die Pontonbrücke.<br />

Der BMP tanzte auf den beweglich miteinander verbundenen<br />

Brückenteilen auf und ab wie ein kleines Boot in der Brandung.<br />

Alle drei Offiziere nahmen sich zusammen, aber die Vorstellung,<br />

in einem Stahlkasten überm Wasser zu sitzen, war ihnen<br />

452


unangenehm. Der Schützenpanzer war zwar theoretisch amphibisch,<br />

doch viele waren mit ihren Besatzungen gesunken. In der<br />

Ferne hörten sie Alliiertenfeuer. Nach einer guten Minute hatten sie<br />

den Fluß überquert.<br />

»Falls es Sie interessiert: Diese Brücke hält den bisherigen Dauerrekord.«<br />

Beregowoy sah auf die Uhr. »Sieben Stunden.«<br />

»Was macht der Major, den Sie für den Goldenen Stern vorschlugen?«<br />

fragte Alexejew.<br />

»Er wurde bei einem Luftangriff verletzt, aber nicht lebensgefährlich.«<br />

»Vielleicht wird das seine Genesung beschleunigen.« Alexejew<br />

griff in die Tasche und holte einen fünfzackigen goldenen Stern am<br />

blutroten Band heraus. Der Pioniermajor war nun Held der Sowjetunion<br />

USS Chicago<br />

Be<strong>im</strong> Erreichen des Packeises verlangsamten alle Boote die Fahrt.<br />

McCafferty sah es sich durchs Periskop an - eine dünne weiße<br />

Linie, kaum zwei Meilen entfernt. Sonst war nichts zu sehen. Nur<br />

wenige Schiffe wagten sich so dicht ans Eis heran; von Flugzeugen<br />

keine Spur. Sonar meldete einen zufriedenstellenden Lärmpegel.<br />

Der zackige Rand des Packeises setzte sich aus Tausenden von<br />

meterdicken Schollen zusammen, die <strong>im</strong> kurzen arktischen Sommer<br />

frei trieben, mit Mahlen und Knirschen in das Ächzen und Knacken<br />

der Polareiskappe einst<strong>im</strong>mten.<br />

»Was ist das?« McCafferty stellte das Sehrohr scharf und auf<br />

zwölffache Vergrößerung. Was er einen flüchtigen Augenblick lang<br />

für ein Periskop gehalten hatte, entpuppte sich nun als die schwertförmige<br />

Rückenfinne eines Killerwals.<br />

»Sonar, haben Sie etwas in eins-drei-neun?«<br />

»Zwölf Killerwale in dieser Richtung, drei Männchen, sechs<br />

Weibchen, drei Jungtiere.« Der Sonar-Chief klang beleidigt.<br />

»Biologisches« war nur auf besondere Anweisung hin zu melden.<br />

»Danke.« McCafferty musste wider Willen grinsen.<br />

Die anderen an Unternehmen Doolittle teilnehmenden U-Boote<br />

tauchten eines nach dem anderen unters Packeis. Eine Stunde später<br />

fuhr der »Güterzug« nach Osten.<br />

453


Island<br />

»Hab schon den ganzen Tag keinen Hubschrauber gesehen«,<br />

merkte Sergeant Smith an.<br />

Konversation lenkte auf angenehme Weise von der Tatsache ab,<br />

dass sie rohen Fisch aßen. Edwards schaute auf die Uhr. Zeit für<br />

einen Funkspruch. Inzwischen konnte er die Antenne bereits <strong>im</strong><br />

Schlaf aufbauen.<br />

»Doghouse, hier Beagle. Es könnte uns bessergehen. Over.«<br />

»Roger, Beagle. Wo sind Sie nun?«<br />

»Rund fünfundvierzig Kilometer vorm Ziel«, erwiderte Edwards<br />

und nannte die Koordination des Planquadrats. Laut Karte hatten<br />

sie nur noch eine Straße und einen Bergkamm zu überqueren. »Es<br />

gibt nicht viel zu melden, wir haben heute weder einen Hubschrauber<br />

noch andere Flugzeuge gesehen.« Edwards schaute auf zum<br />

klaren H<strong>im</strong>mel. Gewöhnlich sahen sie ein- oder zwe<strong>im</strong>al am Tag<br />

Jäger der Patrouille.<br />

»Roger, Beagle. Die Navy schickte bei Tagesanbruch Kampfflugzeuge<br />

hoch und heizte den Russen mächtig ein.«<br />

»Gut so! Wir ernähren uns inzwischen von selbstgefangenem<br />

Fisch.«<br />

»Was macht Ihre Freundin?«<br />

Darüber musste Edwards lächeln. »Sie hält uns nicht auf, falls Sie<br />

das meinen. Sonst noch etwas?«<br />

»Negativ.«<br />

»Gut, wir melden uns wieder, wenn es etwas zu berichten gibt.<br />

Out.« Edwards schaltete das Funkgerät ab.<br />

»Was wollen wir in Hvammsfjördur?« fragte Vigdis.<br />

»Jemand will wissen, was sich da tut«, erwiderte Edwards und<br />

entfaltete die Generalstabskarte. Die Zufahrt zum Fjord schien von<br />

Felsblöcken versperrt zu sein. Erst nach einer Weile erkannte er,<br />

dass Höhen in Metern, die Wassertiefen aber in Faden angegeben<br />

wurden (1 Faden = 182,88 cm).<br />

Keflavik, Island<br />

»Wie viele?«<br />

Der Kommandeur des Jägerreg<strong>im</strong>ents wurde behutsam aus dem<br />

454


Hubschrauber gehoben. Er hatte sich aus seinem auseinanderbrechenden<br />

Jäger katapultiert und dabei den Arm ausgekugelt; anschließend<br />

war er auf einem Berghang gelandet und hatte sich dabei<br />

einen verstauchten Knöchel und mehrere Platzwunden <strong>im</strong> Gesicht<br />

zugezogen. Gefunden worden war er erst nach elf Stunden. Insgesamt<br />

schätzte sich der Oberst noch glücklich - für einen Narren, der<br />

sich von einem zahlenmäßig überlegenen Feind in einen Hinterhalt<br />

hatte locken lassen.<br />

»Fünf Maschinen sind einsatzbereit«, bekam er zu hören. »Von<br />

den beschädigten sind zwei reparabel.«<br />

Der Oberst stand zwar unter Morphiumeinfluß, wurde aber<br />

trotzdem wütend und fluchte laut. »Und meine Männer?«<br />

»Außer Ihnen haben wir fünf gefunden. Zwei sind unverletzt, der<br />

Rest liegt <strong>im</strong> Lazarett.«<br />

In der Nähe landete ein zweiter Hubschrauber, dem der Fallschirmjägergeneral<br />

entstieg. »Gut, dass Sie noch am Leben sind«,<br />

sagte er.<br />

»Danke, Genosse General. Geht die Suchaktion weiter?«<br />

»Ja, ich habe zwei Hubschrauber abgestellt. Was ist passiert?«<br />

»Die Amerikaner griffen mit schweren Bombern an, die wir zwar<br />

nie zu sehen bekamen, aber anhand ihrer Störmaßnahmen identifizierten.<br />

Die Bomber ergriffen bei unserem Herannahen die Flucht,<br />

hatten aber Jagdschutz.« Der Luftwaffenoberst war bemüht, gute<br />

Miene zum bösen Spiel zu machen, und der General verzichtete auf<br />

Druck. Auf einem vorgeschobenen Posten war mit solchen Vorfällen<br />

zu rechnen. Die MiG konnten den amerikanischen Luftangriff<br />

auch kaum ignoriert haben. Es war sinnlos, diesen Mann zu bestrafen.<br />

Der General hatte bereits über Funk neue Jäger angefordert,<br />

rechnete aber nicht mit Ersatz. Laut Plan waren sie nicht erforderlich,<br />

aber <strong>im</strong> Plan hatte auch gestanden, er brauche die Insel nur<br />

zwei Wochen lang ohne Unterstützung zu halten. Bis zu diesem<br />

Zeitpunkt sollte Deutschland völlig geschlagen, der Landkrieg in<br />

Europa so gut wie vorüber sein. Die Meldungen von der Front<br />

waren reine Ausschmückungen der Nachrichten von Radio Moskau.<br />

Die Rote Armee stieß zum Rhein vor - hatte sie das nicht schon<br />

seit dem ersten Kriegstag getan? Die Namen der täglich eroberten<br />

Städte wurden seltsamerweise ausgelassen. Sein Nachrichtendienstoffizier<br />

setzte sein Leben aufs Spiel und hörte täglich West­<br />

455


sender ab - dem KGB galt das als Verrat -, um sich ein Bild vom<br />

Verlauf der Kampfhandlungen zu machen. Wenn die westlichen<br />

Meldungen st<strong>im</strong>mten - auch ihnen traute er nicht ganz -, war der<br />

Feldzug in Deutschland ein Chaos. Und bis man das bereinigt hatte,<br />

war dieser Feldzug gefährdet.<br />

Erwog die Nato eine Invasion? Es hieß, das sei unmöglich, dazu<br />

müßten die Amerikaner erst einmal die von Kirowsk aus operierenden<br />

Langstreckenbomber zerstören, und Island war ja besetzt worden,<br />

um die amerikanischen Flugzeugträger an eben dieser Maßnahme<br />

zu hindern. Auf dem Papier brauchte der General also nur<br />

mit zunehmenden Luftangriffen zu rechnen, gegen die er sich mit<br />

Boden-Luft-Raketen verteidigen konnte.<br />

Nordatlantik<br />

»Zum Teufel, was ist passiert?« Der Captain schlug die Augen auf<br />

und sah, dass er eine Nadel mit Schlauch <strong>im</strong> Arm hatte. Er konnte<br />

sich noch erinnern, zuletzt auf der Brücke gestanden zu haben.<br />

»Sie sind umgekippt, Sir«, sagte der Schiffsarzt. »Nicht -«<br />

Der Captain versuchte, sich zu erheben, sank aber gleich wieder<br />

zurück.<br />

»Sir, Sie haben innere Blutungen und müssen sich ausruhen.<br />

Gestern abend haben Sie Blut erbrochen. Ich vermute ein durchgebrochenes<br />

Magengeschwür. Warum sind Sie nicht früher zu mir<br />

gekommen? Sie haben nicht bloß Bauchweh, sondern müssen<br />

wahrscheinlich operiert werden. Es ist ein Hubschrauber unterwegs,<br />

der Sie an Land bringen soll.«<br />

»Ich kann das Schiff nicht <strong>im</strong> Stich lassen, ich -«<br />

»Bedaure, Sir, ärztliche Anweisung. Wenn Sie mir hier sterben,<br />

schadet das meinem Ruf. Tut mir leid, Sir, aber Sie kommen an<br />

Land.«<br />

456


Norfolk, Virginia<br />

32<br />

Neue Namen, neue Gesichter<br />

»Guten Morgen, Ed.« Der COMNAVSURFLANT saß hinter<br />

seinem Schreibtisch, auf dem sich in säuberlichen Stößen die Meldungen<br />

stapelten. Es war eine halbe Stunde nach Mitternacht.<br />

»Guten Morgen, Sir. Was kann ich für Sie tun?« Morris wollte<br />

sich nicht setzen.<br />

»Wollen Sie wieder raus?" fragte der COMNAVSURFLANT<br />

rundheraus.<br />

»Womit?«<br />

»Der Kommandant der Reuben James hatte einen Magengeschwürdurchbruch<br />

und wurde heute an Land geflogen. Das Schiff<br />

lauft heute zusammen mit den Landungsschiffen der Pazifikflotte<br />

ein. Ich habe es einem großen Geleitzug zugewiesen, der in New<br />

York zusammengestellt wird. Achtzig große, schnelle Schiffe mit<br />

schwerem Gerät für Deutschland. Auslaufen soll er in vier Tagen<br />

mit starkem Geleitschutz von uns und der Royal Navy, zusätzlich<br />

unterstützt von Trägern. Die Reuben James soll nur lange genug <strong>im</strong><br />

Hafen bleiben, um Treibstoff zu bunkern und Proviant an Bord zu<br />

nehmen. Heute abend läuft sie zusammen mit HMS Battleaxe nach<br />

New York aus. Wenn Sie sich dazu in der Lage fühlen, gehört sie<br />

Ihnen.« Der Vizeadmiral sah Morris scharf an. «»Nun?«<br />

»Meine Sachen sind noch auf der Pharris. « Morris spielte auf<br />

Zeit. Wollte er wirklich wieder auf See?<br />

»Längst gepackt und unterwegs, Ed.«<br />

»Gut, Sir, wenn Sie mich haben wollen, nehme ich sie.«<br />

Fölziehausen, BRD<br />

Am Nordhorizont blitzte Artilleriefeuer auf und machte die Baumsilhouetten<br />

sichtbar. Es donnerte unablässig. Von Alfeld waren es<br />

457


nur fünfzehn Kilometer zum Divisionshauptquartier. Drei heftige<br />

Luftangriffe und zwanzig verschiedene Sperrfeuer hatten aus der<br />

Vormittagsfahrt einen Alptraum gemacht, der erst nach der Abenddämmerung<br />

ein Ende fand.<br />

Das vorgeschobene Hauptquartier der 20. Panzerdivision war<br />

nun der Befehlsstand für den gesamten Vorstoß auf Hameln. Generalleutnant<br />

Beregowoy, der Alexejew abgelöst hatte, befehligte die<br />

20. Panzerdivision und die Operative Mobile Gruppe. In der Vorkriegszeit<br />

war das OMG-Konzept eine Lieblingsidee der Sowjets<br />

gewesen. Der »kühne Stoß« sollte einen Korridor in den Rücken des<br />

Feindes öffnen, woraufhin die OMG diesen Angriffserfolg ausnutzte<br />

und Ziele von besonderer wirtschaftlicher oder politischer Bedeutung<br />

eroberte. Alexejew lehnte sich an ein Panzerfahrzeug und<br />

schaute die blitzende Silhouette des Waldes an. Wieder einmal<br />

etwas, das nicht nach Plan lief, dachte er. Hätten wir denn erwarten<br />

sollen, dass die Nato bei unseren Plänen mitspielt?<br />

Über ihm ein gelber Blitz. Alexejew blinzelte, bis er wieder klar<br />

sehen konnte, und schaute zu, wie die Feuerkugel sich in einen<br />

abstürzenden Kometen verwandelte.<br />

Fünfhundert Meter weiter stand <strong>im</strong> Wald ein Feldlazarett. Der<br />

Wind trug die Schreie der Verwundeten hinüber zum Befehlsstand.<br />

Dies war nun ganz anders als in den Filmen, die er als Kind gesehen<br />

hatte und sich jetzt noch gerne anschaute. Die Verwundeten hatten<br />

stumm, entschlossen und vor allem würdevoll zu leiden, an von<br />

gütigen, schwerbeschäftigten Sanitätern angebotenen Zigaretten zu<br />

ziehen und abzuwarten, bis die mutigen, schwerbeschäftigten Ärzte<br />

und die hübschen, hingebungsvollen Krankenschwestern sich ihrer<br />

annahmen. Alles erstunken und erlogen, dachte er. Wir schicken<br />

picklige Jünglinge in eine von Stahl beregnete und mit Blut bewässerte<br />

Landschaft. Am schl<strong>im</strong>msten waren die Verbrennungen. Panzersoldaten,<br />

die mit brennenden Kleidern aus ihren abgeschossenen<br />

Fahrzeugen entkommen waren, wollten nicht zu schreien aufhören.<br />

An die Stelle jener, die dem Schock oder dem Gnadenschuß aus der<br />

Pistole eines Offiziers zum Opfer fielen, traten <strong>im</strong>mer wieder neue.<br />

Wer das Glück hatte, zu einem Hauptverbandsplatz gebracht zu<br />

werden, fand Sanitäter vor, die zu beschäftigt waren, um Zigaretten<br />

anzubieten, und Ärzte, die vor Erschöpfung fast umfielen.<br />

Alexejews brillanter taktischer Erfolg bei Alfeld hatte bislang<br />

noch keine konkreten Ergebnisse gehabt. Zweifel, Pascha? fragte er<br />

458


sich. »Nichts ist so schrecklich wie eine gewonnene Schlacht ­<br />

abgesehen von einer verlorenen.« Alexejew entsann sich, diesen<br />

Kommentar Wellingtons zur Schlacht von Waterloo in der Bibliothek<br />

der Frunse-Akademie gelesen zu haben. Der russische General<br />

hätte das nicht schreiben können oder dürfen. Er pinkelte an einen<br />

Baum und ging zurück in den Befehlsstand.<br />

Dort beugte sich Beregowoy über die Karte. »Genosse, diese<br />

belgische Brigade ist wieder aufgetaucht und greift unsere linke<br />

Flanke an. Dabei überraschte sie zwei Reg<strong>im</strong>enter, die gerade in<br />

neue Positionen gehen wollten. Das ist ein Problem.«<br />

Alexejew trat an Beregowoys Seite und sah sich die verfügbaren<br />

Einheiten an. Der Angriff war an der Schnittstelle zwischen zwei<br />

Divisionen erfolgt, eine erschöpft, die andere noch kampfunerfahren.<br />

Ein Leutnant verschob Symbole. Die sowjetischen Reg<strong>im</strong>enter<br />

zogen sich zurück.<br />

»Lassen Sie das Reservereg<strong>im</strong>ent an Ort und Stelle«, befahl<br />

Alexejew. »Und verlegen Sie dieses hier nach Nordwesten. Wir<br />

wollen versuchen, die Belgier vor dieser Straßenkreuzung in der<br />

Flanke zu fassen.«<br />

Island<br />

»Na endlich, da wären wir.« Edwards reichte Sergeant Smith das<br />

Fernglas. Der Hvammsfjördur, den sie nun von der Kuppe eines<br />

sechshundert Meter hohen Berges erblickten, war noch Meilen<br />

entfernt. Unter ihnen schlängelte sich ein glitzernder Fluß in den<br />

Fjord. Alle blieben geduckt, um sich vor der tiefstehenden Sonne<br />

nicht gegen den H<strong>im</strong>mel abzuheben. Edwards packte das Funkgerät<br />

aus.<br />

»Doghouse, hier Beagle. Das Marschziel ist in Sicht.« Was für ein<br />

dummer Spruch, dachte Edwards. Der Hvammsfjördur war knapp<br />

fünfzig Kilometer lang und bis zu sechzehn Kilometer breit.<br />

Der Mann in Schottland war beeindruckt. Edwards' Trupp hatte<br />

<strong>im</strong> Lauf der vergangenen zehn Stunden fünfzehn Kilometer zurückgelegt.<br />

»In welcher Verfassung sind Sie?«<br />

»Wenn Sie verlangen, dass wir noch weiter marschieren, kriegt<br />

das Funkgerät eine Funktionsstörung.«<br />

459


»Roger.« Der Major verkniff sich das Lachen. »Wo genau sind<br />

Sie?«<br />

»Rund fünf Meilen östlich von Höhe 578. Dürfen wir jetzt<br />

vielleicht erfahren, was wir hier sollen?«<br />

»Sie sollen jede russische Aktivität sofort melden. Wenn nur ein<br />

Mann an einen Felsen pißt, wollen wir das wissen. Verstanden?«<br />

»Roger, Sie kriegen die Schwanzlänge in Zoll. Bislang sind noch<br />

keine Russen zu sehen. Links von uns ein paar Ruinen, ein Stück<br />

flußabwärts ein Gehöft. Nirgends rührt sich etwas. Wollen Sie uns<br />

an einem best<strong>im</strong>mten Punkt haben?«<br />

»Mit dieser Frage befassen wir uns noch. Bleiben Sie vorerst, wo<br />

Sie sind. Wie sieht es mit der Verpflegung aus?«<br />

»Für heute haben wir noch genug Fisch, und ich sehe auch einen<br />

See, wo es noch mehr gibt. Sie wollten uns doch Pizza schicken,<br />

Doghouse. Einmal mit Peperoni und Zwiebeln, bitte.«<br />

»Fisch ist gesund, Beagle. Ihr Signal wird schwächer, schonen Sie<br />

die Batterien. Sonst noch etwas zu melden?«<br />

»Negativ. Wir melden uns wieder, wenn etwas anliegt. Out.«<br />

Edwards schlug auf den Schalter. »Leute, wir sind zu Hause!«<br />

Smith lachte trocken. »Und wo ist das, wenn ich fragen darf?«<br />

»Hinter diesem Berg liegt Budhardalur«, erklärte Vigdis. »Dort<br />

wohnt mein Onkel Helgi.«<br />

Spränge da eine ordentliche Mahlzeit heraus? fragte sich Edwards.<br />

Hammelfleisch vielleicht, ein paar Biere und ein Schnaps,<br />

ein Bett... ein weiches Bett mit Laken und Steppdecken. Ein Bad,<br />

heißes Wasser zum Rasieren, Zahnpasta. Edwards konnte sich<br />

kaum noch riechen. Sie versuchten zwar, sich in den Bächen zu<br />

waschen, aber das war meist zu gefährlich. Ich stinke wie ein<br />

Ziegenbock, dachte Edwards. Aber sie waren nicht so weit marschiert,<br />

um jetzt ein Risiko einzugehen.<br />

»Wir bleiben lieber hier«, erklärte er.<br />

»Gute Idee, Skipper«, erwiderte Smith. »Rodgers, Sie legen sich<br />

schlafen. Garcia, Sie übernehmen mit mir die erste Wache - vier<br />

Stunden. Postieren Sie sich auf der kleinen Kuppe dort drüben. Ich<br />

stelle mich rechts auf.« Smith stand auf und schaute auf Edwards<br />

hinab. »Vernünftige Entscheidung, Skipper. Ruhen wir uns aus,<br />

solange wir die Gelegenheit dazu haben.«<br />

»Genau. Wecken Sie mich, wenn Sie etwas Wichtiges sehen.«<br />

Smith nickte und ging auf seinen Wachposten.<br />

460


Rodgers benutzte seine zusammengefaltete Jacke als Kopfkissen<br />

und war schon fast eingeschlafen. Das Gewehr lag auf seiner Brust.<br />

»Bleiben wir denn hier?» fragte Vigdis erstaunt.<br />

»Ich würde Ihren Onkel gerne besuchen, aber in dieser Ansiedlung<br />

könnten Russen sein. Wie fühlen Sie sich?«<br />

»Ich bin müde.«<br />

»So müde wie wir?« fragte er und grinste.<br />

»Ja«, gestand sie und legte sich dann neben Edwards. Sie starrte<br />

vor Dreck. Ihr Pullover war an mehreren Stellen zerrissen, und ihre<br />

Stiefel konnte man nur noch wegwerfen. »Und was geschieht jetzt<br />

mit uns?«<br />

»Das weiß ich nicht. Aber fest steht, dass man uns aus gutem<br />

Grund hier einsetzt.«<br />

»Aber den Grund verrät man Ihnen nicht«, wandte sie ein.<br />

Intelligente Bemerkung, dachte Edwards.<br />

»Oder wissen Sie Bescheid, sagen uns aber nichts?« fragte Vigdis.<br />

»Nein, ich tappe genauso <strong>im</strong> dunkeln wie Sie.«<br />

»Michael, was wollen die Russen eigentlich hier?«<br />

»Das weiß ich auch nicht.«<br />

»Als Offizier müssen Sie das aber wissen.« Vigdis stütze sich auf<br />

die Ellbogen und schien echt erstaunt zu sein. Edwards lächelte. Er<br />

konnte ihr ihre Verwirrung nicht verdenken. Island hatte keine<br />

Streitkräfte, sondern nur Polizei. Es war ein friedfertiges Land.<br />

Island, das weder ein Heer noch eine Marine hatte, war seit Tausenden<br />

von Jahren nicht angegriffen worden. Und nun hatte man es<br />

nur überfallen, weil es zufällig <strong>im</strong> Weg lag. Hätte die Invasion<br />

stattgefunden, wenn die Nato den Stützpunkt Keflavik nicht gebaut<br />

hätte? fragte sich Edwards. Aber doch! sann er weiter. Man sieht ja,<br />

was für liebenswürdige Menschen die Russen sind. Nato-Basis hin<br />

oder her, Island lag ihnen <strong>im</strong> Weg. Aber wie hatte der ganze Zauber<br />

überhaupt angefangen?<br />

»Vigdis, ich bin Meteorologe.«<br />

»Also kein Soldat? Keine Marine?«<br />

Mike schüttelte den Kopf. »Dem Rang nach bin ich Offizier der<br />

U. S. Air Force, aber ein Soldat wie Sergeant Smith bin ich nicht.«<br />

»Aber Sie haben mir das Leben gerettet. Sie sind also ein Soldat.«<br />

»Kann sein - aber nur aus Zufall.«<br />

»Was haben Sie vor, wenn der Krieg vorbei ist?« Sie sah ihn mit<br />

großem Interesse an.<br />

461


»Eins nach dem anderen.« Er dachte <strong>im</strong> Augenblick in Stunden,<br />

nicht in Tagen oder Wochen. Was wird, wenn wir diesen Schlamassel<br />

überleben? fragte er sich insgehe<strong>im</strong>. Quatsch, vergessen wir das.<br />

Erst mal überleben. Wer über die »Nachkriegszeit« nachdenkt,<br />

erlebt sie nicht. »Ach, ich bin zu müde, um mir darüber den Kopf zu<br />

zerbrechen. Legen wir uns aufs Ohr und schlafen.«<br />

Sie begehrte auf. Edwards wusste, dass sie Fragen stellen wollte,<br />

über die er noch nicht ernsthaft nachgedacht hatte, aber sie war<br />

erschöpfter, als sie eingestehen wollte, und war zehn Minuten<br />

später eingeschlafen. Und schnarchte. Das war Michael bisher noch<br />

nicht aufgefallen. Vigdis war kein Zuckerpüppchen. Sie hatte ihre<br />

Stärken und Schwächen, ihre guten und weniger attraktiven Seiten.<br />

Sie hatte das Gesicht eines Engels, hatte sich aber schwängern<br />

lassen - na und? dachte Edwards. Ihre Tapferkeit ist größer als ihre<br />

Schönheit. Sie rettete mir das Leben, als der Hubschrauber kam.<br />

Man konnte eine schlechtere Wahl treffen.<br />

Edwards legte sich widerwillig schlafen. Jetzt war nicht die Zeit,<br />

um über eine mögliche Beziehung nachzudenken. Überleben hatte<br />

Vorrang.<br />

Schottland<br />

»Wann, wenn die Stelle okay ist?« fragte der Major. Er hatte nicht<br />

damit gerechnet, dass Edwards und sein Trupp es so weit schaffen<br />

würden. Jedesmal, wenn er daran dachte, wie diese kleine Gruppe<br />

auf dem von achttausend sowjetischen Soldaten besetzten Island<br />

über kahlen, felsigen Boden marschierte, von Hubschraubern umkreist,<br />

hatte er eine Gänsehaut bekommen.<br />

»Um Mitternacht«, meinte der Mann von Special Operations.<br />

»Dieser Mann hat eine Auszeichnung verdient. Ich habe einen<br />

ähnlichen Einsatz hinter mir. Sie können sich nicht vorstellen, was<br />

diese Leute geleistet haben. Und hatten keinen Hind direkt überm<br />

Kopf! Aber ich sagte ja schon <strong>im</strong>mer: Die Kleinen, Stillen, die<br />

haben's in sich.«<br />

»Wie auch <strong>im</strong>mer, es ist an der Zeit, dass wir sie von Profis<br />

unterstützen lassen«, erklärte der Captain der Royal Marines.<br />

»Sorgen Sie dafür, dass die Leute etwas zu beißen bekommen«,<br />

schlug der Major der US-Luftwaffe vor.<br />

462


Luftstützpunkt Langley, Virginia<br />

»Und wo hängt's jetzt?« fragte Nakamura.<br />

»Unregelmäßigkeiten in den Ummantelungen einiger Raketenmotoren»,<br />

erklärte der Ingenieur.<br />

»Unregelmäßigkeiten', das heißt wohl, dass sie auseinanderfliegen.«<br />

»Nicht ausgeschlossen«, räumte der Ingenieur ein.<br />

»Ist ja geil. Ich soll mit dem Ding siebzehn Meilen hoch fliegen<br />

und dann abwarten, wer in die Umlaufbahn kommt, das Ding oder<br />

ich!« spottete Major Nakamura.<br />

»Wenn der Raketentyp explodiert, tut sich nicht viel. Er zerbricht<br />

nur in zwei Teile, die von allein ausbrennen.«<br />

»Aus siebzehn Meilen Entfernung sieht das best<strong>im</strong>mt harmlos<br />

aus - was aber, wenn die Gurke zehn Meter von meinem F-15<br />

zündet?«<br />

»Bedaure, Major, aber dieser Raketenmotor ist über zehn Jahre<br />

alt. Niemand hat die Lagerungsvorschriften überprüft, als er zum<br />

Träger für ASAT ausgewählt wurde. Wir haben ihn mit Röntgenstrahlen<br />

und Ultraschall gecheckt. Meiner Ansicht nach ist er in<br />

Ordnung, aber ich kann mich natürlich irren«, sagte der Mann von<br />

Lockheed. Drei der sechs verbliebenen ASAT-Raketen waren wegen<br />

Rissen <strong>im</strong> Festtreibstoff ausgesondert worden; die anderen<br />

hatte man mit Fragezeichen versehen. »Wollen Sie die Wahrheit<br />

hören?«<br />

»Sie müssen damit fliegen, Major«, sagte der stellvertretende<br />

Kommandeur des Tactical Air Command. »Die Entscheidung liegt<br />

bei Ihnen.«<br />

»Läßt es sich so einrichten, dass der Vogel erst zündet, wenn ich in<br />

sicherer Entfernung bin?«<br />

»Wie lange brauchen Sie?« fragte der Ingenieur. Buns dachte<br />

über ihre Geschwindigkeit und Manövrierfähigkeit in dieser Höhe<br />

nach.<br />

»Sagen wir, zehn bis fünfzehn Sekunden.«<br />

»Da müßte ich die Software umprogrammieren, aber das wäre<br />

kein Problem. Wir müssen aber sicherstellen, dass die Rakete eine<br />

für die Startstellung ausreichende Vorwärtsgeschwindigkeit beibehält.<br />

Sind Sie sicher, dass Ihnen zehn bis fünfzehn Sekunden reichen<br />

?"<br />

463


»Nein, das müssen wir auf dem S<strong>im</strong>ulator überprüfen. Wie lange<br />

haben wir Zeit?«<br />

»Mindestens zwei, höchstens sechs Tage. Kommt auf die Navy<br />

an«, sagte der General vom Tactical Air Command.<br />

»Ist ja toll.«<br />

Stornoway, Schottland<br />

»Gute Nachrichten«, verkündete Toland. »Ein F-15 Eagle flog<br />

nördlich der Azoren über einem schnellen Konvoi. Zwei Bear<br />

tauchten auf, vermutlich auf der Suche nach den Schiffen, und<br />

wurden von dem Eagle erwischt. Das wären nun drei Abschüsse in<br />

den letzten vier Tagen. Der Backfire-Angriff scheint abgebrochen<br />

worden zu sein.«<br />

»Wie ist die Position des Verbandes?« fragte der Group Captain.<br />

Toland fuhr über die Karte und verglich Länge und Breite mit den<br />

Werten auf der Meldung. »Ungefähr hier, und die Information ist<br />

zwanzig Minuten alt.«<br />

»Dann müßten sie in knapp zwei Stunden über Island sein.«<br />

»Stehen uns Tankflugzeuge zur Verfügung?« fragte der Chef der<br />

US-Marineflieger.<br />

»Nicht auf Abruf.«<br />

»Das schaffen wir mit zwei Jägern, unterstützt von zwei anderen,<br />

die sie in der Luft betanken, aber in diesem Fall beträgt die verfügbare<br />

Zeit <strong>im</strong> Zielgebiet zwanzig Minuten.« Der Flieger pfiff durch<br />

die Zähne. »Knapp, viel zu knapp. Da müssen wir passen.«<br />

Ein Telefon schrillte. Der britische Stützpunktkommandeur griff<br />

hastig nach dem Hörer. »Group Captain Mallory. Ja... gut,<br />

Alarmstart.« Er legte auf. Im Bereitschaftsraum heulten die Sirenen<br />

los; Piloten eilten zu ihren Maschinen. »Der Iwan hat uns die<br />

Entscheidung abgenommen, Commander. Ihre Radarmaschinen<br />

melden starke Störtätigkeit von Norden her.«<br />

Norfolk, Virginia<br />

Die Fahrt vom Hauptquartier des SACLANT dauerte zehn Minuten.<br />

Marinesoldaten prüften am Haupttor alles und jeden genau,<br />

464


sogar einen Chevy mit Drei-Sterne-Stander. Durch fieberhafte Aktivität<br />

fuhren sie zum Kai. Züge rollten über in die Straßen eingelassene<br />

Schienen, Reparaturwerkstätten und Prüflabors arbeiteten<br />

rund um die Uhr, und selbst bei McDonald's in der Straße direkt am<br />

Stützpunkt wurde unablässig gebraten. Im Hafen bog der Wagen<br />

rechts ab, passierte die U-Boot-Piers und hielt auf die Liegeplätze<br />

der Zerstörer zu.<br />

»Sie ist erst seit einem Monat <strong>im</strong> Dienst, also gerade lang genug<br />

für die Justierung der Elektronik», sagte der Admiral. »Captain<br />

Wilkens ließ auf der Fahrt von San Diego unablässig Übungen<br />

durchführen, aber einen Hubschrauber hat sie noch nicht. Die<br />

Pazifikflotte hat ihre behalten, und ich kann Ihnen nur eine Variante<br />

des Seahawk-F bieten, einen Prototyp.«<br />

»Die Maschine mit Tauchsonar?« fragte Ed Morris. »Damit<br />

kann ich leben. Haben wir auch jemanden, der damit umgehen<br />

kann?«<br />

»Lieutenant O'Malley, den wir von einem Ausbilderposten abberufen<br />

haben.«<br />

»Der Name ist mir ein Begriff. O'Malley führte auf der Moosbrugger<br />

Systemprüfungen durch, als ich TAO auf der John Rodgers<br />

war. Der Mann weiß, was er tut.«<br />

«Ich muss Sie nun hier absetzen. In einer halben Stunde, wenn ich<br />

mir die Überreste der Kidd angesehen habe, komme ich wieder<br />

zurück.«<br />

Reuben James. Ihr überhängender Klipperbug dräute überm Kai<br />

wie eine Guillotine. Morris vergaß seine Müdigkeit, stieg aus dem<br />

Chevy und betrachtete die Fregatte Nr. 57 mit der stummen Begeisterung<br />

eines Mannes, der zum ersten Mal sein neugeborenes Kind<br />

sieht.<br />

Fregatten der Klasse FFG-7 hatte er zwar schon gesehen, an Bord<br />

war er aber noch nie gewesen. Die strengen Linien ihres Rumpfes<br />

erinnerten ihn an eine Rennjacht. Sechs fünf Zoll starke Taue<br />

hielten sie am Kai fest, doch das elegante Schiff schien sie bereits zu<br />

spannen. Die Reuben James war mit ihren 3900 Tonnen kein<br />

großes, aber eindeutig ein sehr schnelles Kampfschiff.<br />

Ihre Aufbauten hatten die Anmut einer Großgarage und waren<br />

von Antennen und Radarmasten gekrönt, die aussahen, als stammten<br />

sie aus einem Metallbaukasten, aber Morris erkannte die funktionelle<br />

Schlichtheit des Designs. Vierzig Raketen ruhten auf dem<br />

465


Vorschiff in runden Gestellen. In dem kastenartigen Achteraufbau<br />

war Raum für zwei ASW-Hubschrauber. Der Rumpf war elegant,<br />

weil die Geschwindigkeit es erforderte. Die Aufbauten wirkten<br />

kantig, weil sie einfach so sein mussten. Dies war ein Kriegsschiff,<br />

und irgendwelche Schönheit an der Reuben James war rein zufällig.<br />

Matrosen in blauen Hemden und Jeans hasteten über drei Gangways<br />

und brachten Vorräte an Bord, denn das Schiff sollte bald<br />

auslaufen. Morris marschierte rasch zur achterlichen Gangway.<br />

Ein Marinesoldat salutierte, und an Deck der Fregatte ordnete ein<br />

Offizier hastig Vorbereitungen an für den Empfang des neuen<br />

Kommandanten. Die Schiffsglocke schlug viermal, und Commander<br />

Ed Morris nahm seine neue Identität an, grüßte erst die Flagge,<br />

dann den Offizier an Deck.<br />

»Sir, wir hatten Sie erst « platzte der Lieutenant heraus.<br />

»Wie geht es mit der Arbeit voran?« fuhr Morris dazwischen.<br />

»Höchstens zwei Stunden, dann sind wir klar zum Auslaufen,<br />

Sir.«<br />

»Fein.« Morris lächelte. »Um den Kleinkram kümmern wir uns<br />

später. Zurück an die Arbeit, Mister -«<br />

»Lyles, Sir. Schiffskontrolloffizier.«<br />

Und was, zum Kuckuck, ist das? fragte sich Morris. »Gut, Mr.<br />

Lyles. Wo ist der IO?«<br />

»Hier, Sir.« Der Erste Offizier hatte Schmieröl am Hemd und<br />

einen Flecken <strong>im</strong> Gesicht. »Ich war <strong>im</strong> Generatorraum. Entschuldigen<br />

Sie meinen Aufzug.«<br />

»Ich heiße Ed Morris.« Kommandant und Erster Offizier gaben<br />

sich die Hand.<br />

»Frank Ernst. Ich bin zum ersten Mal bei der Atlantikflotte.« Der<br />

Lieutenant Commander grinste schief. »Hab mir eine tolle Zeit<br />

dafür ausgesucht. Es ist aber alles gut in Schuß, Skipper. Unser<br />

Hubschrauberpilot ist oben in der Gefechtszentrale bei den Männern<br />

vom taktischen Team. Die Crew ist ziemlich jung, aber bereit.<br />

In höchstens zwei, drei Stunden können wir auslaufen. Wo sind<br />

Ihre Sachen, Sir?«<br />

»Sollten in einer halben Stunde hier sein. Was war unter Deck<br />

los?«<br />

»Kein Problem. Am Dieselgenerator drei war eine Ölleitung<br />

undicht. Schlamperei in der Werft, unsaubere Schweißnaht. Schon<br />

repariert. Über den Maschinenraum werden Sie sich freuen, Sir.<br />

466


Bei den ersten Probefahrten haben wir in einsfünfzig hohen Seen<br />

31,5 Knoten geschafft.« Ernst zog die Augenbrauen hoch.<br />

»Schnell genug?«<br />

»Und die Stabilisatoren?« erkundigte sich Morris.<br />

»Funktionieren einwandfrei, Sir.«<br />

»Und das ASW-Team?«<br />

»Sehen wir es uns einmal an.«<br />

Morris folgte seinem IO in die Aufbauten, zwischen den Hubschrauberhangars<br />

hindurch und dann eine Leiter hinauf. Die Gefechtszentrale<br />

befand sich eine Ebene unter und gleich achterlich<br />

der Brücke, sie grenzte an die Kapitänskammer. Der Raum war<br />

finster wie eine Höhle, größer und moderner als auf der Pharris,<br />

aber nicht weniger eng. Über zwanzig Männer waren mit einer<br />

S<strong>im</strong>ulation beschäftigt.<br />

»Scheiße!« brüllte eine laute St<strong>im</strong>me. »Schneller reagieren,<br />

Mann! Das ist ein Victor, das wartet nicht, bis Sie ausgepennt<br />

haben!«<br />

»Achtung! Kommandant in der GZ!« rief Ernst.<br />

»Weitermachen«, rief Morris. »Wer brüllt hier so rum?«<br />

Aus den Schatten tauchte ein Mann mit einem mächtigen Brustkasten<br />

auf. Fältchen um seine Augen verrieten, dass er zu oft und<br />

zu lange in die tiefstehende Sonne geschaut hatte. Dies also war<br />

Jerry »The Hammer« O'Malley. Bislang hatte er nur seine verzerrte<br />

St<strong>im</strong>me über UKW und seinen Ruf als U-Jäger gekannt, dem<br />

seine Arbeit wichtiger war als eine Beförderung.<br />

»Damit bin wohl ich gemeint, Captain. Ich bin O'Malley und<br />

soll Ihren Seahawk-Foxtrott fliegen.«<br />

»Mit dem Victor hatten Sie recht. So ein Teufelsding hat mir<br />

mein erstes Schiff fast auseinandergerissen.«<br />

»Tut mir leid, das zu hören, aber auf die Victor kommen be<strong>im</strong><br />

Iwan nur die besten Skipper. Kein anderes russisches Boot läßt<br />

sich so gut handhaben, und da zahlt sich ein geschickter Fahrer<br />

aus. Sie hatten es also mit der Spitzenklasse zu tun. Kam er von<br />

draußen?«<br />

Morris schüttelte den Kopf. »Wir orteten ihn mit Verzögerung,<br />

weil wir gerade gesprintet hatten und die akustischen Verhältnisse<br />

auch nicht zu günstig waren, aber geortet hatten wir ihn: Er<br />

konnte keine fünf Meilen entfernt gewesen sein. Der Hubschrauber<br />

war hinter ihm her, hatte ihn schon fast festgenagelt, aber da<br />

467


verschwand er ganz locker und tauchte ganz plötzlich innen auf,<br />

zwischen uns und dem Geleitzug.«<br />

»Tja, ein Victor kann das. Pumpentrick, sage ich dazu. Erst fährt<br />

er in eine Richtung, macht dann scharf kehrt und läßt eine Wirbelzone<br />

<strong>im</strong> Wasser und mittendrin wahrscheinlich noch ein Lärminstrument<br />

zurück. Dann taucht er unter die Thermokline und dreht<br />

auf. Die Russen feilen seit Jahren an dieser Taktik, zu der uns bisher<br />

noch keine zuverlässigen Gegenmaßnahmen eingefallen sind. Man<br />

braucht eine helle Hubschraubercrew und gute Teamarbeit mit den<br />

Burschen hier.«<br />

»Entweder haben Sie meine Meldung gelesen, oder meine Gedanken«,<br />

bemerkte Morris.<br />

»Sir, in den meisten Köpfen, in die ich gucke, wird russisch<br />

gedacht. Der Pumpentrick ist die Stärke des Victor. Da muss man<br />

aufpassen, weil er so schnell beschleunigen und abdrehen kann. Ich<br />

habe versucht, den Leuten beizubringen, dass es in Wirklichkeit<br />

nach Steuerbord fährt, wenn es so aussieht, als drehte es nach<br />

Backbord ab. Dann segelt man so zweitausend Yard rüber, wartet<br />

ein, zwei Minuten, behämmert den Burschen mit Sonar und läßt die<br />

Haie los, ehe er reagieren kann.«<br />

»Und wenn Sie sich irren?«<br />

»Dann hab ich mich eben geirrt, Sir. Meistens ist der Iwan aber<br />

berechenbar, wenn man sich in seine taktische Lage versetzt. An der<br />

Flucht kann man ihn zwar nicht hindern, aber sein Auftrag lautet,<br />

dicht ans Ziel heranzufahren, und wenn er das tut, kann man ihm<br />

das Leben ganz schön sauer machen.«<br />

Morris sah O'Malley scharf an. Dass er den Verlust seines ersten<br />

Schiffes so glatt analysiert bekam, mißfiel ihm. Andererseits war<br />

O'Malley ein Profi und vielleicht der Mann, der mit einem Victor<br />

fertig wurde. »Ist bei Ihnen alles klar?«<br />

»Der Hubschrauber steht auf dem Flugplatz. Wir stoßen zu<br />

Ihnen, wenn Sie die Kaps hinter sich haben. Solange noch Zeit war,<br />

wollte ich mit dem ASW-Team einige Dinge durchsprechen. Sollen<br />

wir ASW-Vorposten spielen?«<br />

»Da wir ein Schleppsonar haben, ist das wahrscheinlich. Und es<br />

kann sein, dass wir bei der Überfahrt mit einem Briten zusammenarbeiten.«<br />

»Soll mir recht sein. Wenn Sie meine Meinung hören wollen: Das<br />

hier ist ein recht ordentliches ASW-Team. Wir werden dem Iwan<br />

468


die Hölle heiß machen. Waren Sie nicht früher mal auf der Rodgers?«<br />

»Ja, als Sie auf der Moose fuhren. Zwe<strong>im</strong>al haben wir zusammengearbeitet,<br />

sind uns aber nie begegnet. Ich war >X-Ray Mike


den Pumpentrick. Sie werden bemerken, dass der Kontakt erst<br />

schwächer, dann heller wird. Das ist das Lärminstrument in der<br />

Wirbelzone. An diesem Punkt tauchte er unter die Schicht und<br />

sprintete hinter den Geleitschutzschirm. Hätte sogar den Träger<br />

getroffen, denn er wurde erst zehn Minuten später geortet. Hier« - er<br />

zeigte aufs Display - » darauf müssen Sie achten. Das zeigt Ihnen, dass<br />

Sie es mit einem Fahrer zu tun haben, der sein Handwerk versteht<br />

und es auf Sie abgesehen hat.« Morris betrachtete sich den Schirm<br />

genau und erkannte das Muster. Er sah es nicht zum ersten Mal.<br />

»Gut, IO, sehen wir uns weiter um. O'Malley, wir treffen uns vor<br />

den Kaps.«<br />

»Der Hubschrauber ist schon jetzt startbereit, Sir. Wenn Sie uns<br />

brauchen, kommen wir.«<br />

Morris nickte und ging nach vorne. Die Leiter zur Brücke war<br />

gerade einen Meter von der Tür der Gefechtszentrale und seiner<br />

eigenen entfernt. Er versuchte, sie rasch zu erkl<strong>im</strong>men, aber seine<br />

Beine waren vor Erschöpfung wie Gummi.<br />

»Kommandant auf der Brücke!« verkündete ein Maat.<br />

Morris war alles andere als beeindruckt und sogar entsetzt, als er<br />

sah, dass das Ruder des Schiffes kaum größer war als die Wählscheibe<br />

eines Telefons. Der Rudergänger hatte tatsächlich einen Sitz und<br />

rechts neben sich in einem Plexiglaskasten die Leistungshebel für die<br />

Jet-Turbinen.<br />

»Haben Sie schon auf diesem Typ gedient, Sir?« fragte der IO.<br />

»Nein, ich bin zum ersten Mal an Bord einer solchen Fregatte«,<br />

antwortete Morris. Den vier Männern der Brückenwache standen<br />

die Haare zu Berge. »Ich kenne aber die Waffensysteme, da ich vor<br />

einigen Jahren bei NAVSEA zum Entwicklungsteam gehörte, und<br />

ich habe auch eine Ahnung, wie sie sich fährt.«<br />

»Wie ein Sportwagen, Sir«, versicherte Ernst. »Was Ihnen besonders<br />

gefallen wird: Wir können die Maschinen abstellen, lautlos<br />

treiben und dann innerhalb von zwei Minuten wieder auf dreißig<br />

Knoten kommen.«<br />

»Wie bald können wir losfahren?«<br />

»Zehn Minuten nach Ihrem Befehl, Sir. Das Maschinenöl ist<br />

schon vorgewärmt. Ein Hafenschlepper liegt bereit, um uns vom Kai<br />

zu bugsieren.«<br />

»NAVSURFLANT kommt an Bord!« tönte es aus der Sprechanlage.<br />

Zwei Minuten später erschien der Admiral <strong>im</strong> Ruderhaus.<br />

470


»Ich lasse Ihre Sachen an Bord bringen. Was halten Sie von Ihrem<br />

neuen Schiff?«<br />

»IO, bitte lassen Sie uns etwas kommen«, sagte Morris zu Ernst<br />

und wandte sich an den Admiral. »Unterhalten wir uns in meiner<br />

Kammer?«<br />

Unten wurden sie von einem Steward mit Kaffee und Broten<br />

erwartet. Morris schenkte zwei Tassen ein und ignorierte das Essen.<br />

»Sir, ich habe keine Erfahrung mit diesen Schiffen. Ich kenne die<br />

Maschinen nicht - «<br />

»Sie haben einen erstklassigen Chefingenieur, und sie fährt sich<br />

wie ein Traum. Das Ruder können Sie Ihren Offizieren überlassen.<br />

Sie sind Spezialist für Waffen und Taktik, Ed. Ihr Platz ist in der<br />

Gefechtszentrale. Sie werden gebraucht.«<br />

»Akzeptiert, Sir.«<br />

»IO, legen Sie ab«, befahl Morris zwei Stunden später und beobachtete<br />

verlegen jeden Handgriff, den Ernst tat.<br />

Das Manöver ging erstaunlich glatt. Der Wind wehte vom Land,<br />

drückte gegen die hohen Aufbauten der Fregatte. Als die Leinen<br />

losgeworfen wurden, trieben der Wind und Hilfsschrauben am<br />

Rumpf direkt unter der Brücke den Bug der Reuben James frei, und<br />

dann liefen die Gasturbinen an.<br />

Ed Morris sah seiner neuen Crew bei der Arbeit zu. Er hatte<br />

allerhand Geschichten über die kalifornische Navy gehört - alles<br />

ganz locker vom Hocker -, doch die Steuermannsmaate am Kartentisch<br />

brachten die Position souverän auf den neuesten Stand, obwohl<br />

ihnen der Hafen nicht vertraut war. Lautlos glitten sie an den<br />

Piers des Kriegshafens vorbei. Morris sah Schiffe, deren schnittige<br />

graue Rümpfe von Löchern und verbogenem Stahl entstellt waren.<br />

Auch die Kidd lag dort; eine russische Rakete hatte ihr vielschichtiges<br />

Verteidigungssystem durchbrochen und ihre Vorderaufbauten<br />

zerstört. Auch einer seiner Matrosen schaute in diese Richtung, ein<br />

Teenager, der an seiner Zigarette zog und dann den Stummel über<br />

Bord warf. Morris wollte ihn fragen, was er dachte, war aber selbst<br />

kaum in der Lage, seine Gedanken zu formulieren.<br />

Bei den leeren Liegeplätzen der Flugzeugträger wandten sie sich<br />

nach Osten, glitten an dem überfüllten Becken der Landungsschiffe<br />

vorbei, und dann winkte unterm bewölkten H<strong>im</strong>mel grau und<br />

drohend die See.<br />

471


Dort wartete bereits HMS Battleaxe mit der britischen Kriegsflagge<br />

am Mast. Eine Signallampe blinkte sie an.<br />

WAS, ZUM TEUFEL, IST EIN REUBEN JAMES? wollte Battleaxe<br />

wissen.<br />

»Wie soll ich das beantworten, Sir?« fragte ein Signalgast.<br />

Der Bann war gebrochen. Morris lachte. »Signalisieren Sie: -Wenigstens<br />

taufen wir unsere Kriegsschiffe nicht nach unserer bösen<br />

Schwiegermutter.-«<br />

»Jawohl, Sir!« rief der Mann begeistert.<br />

Stornoway, Schottland<br />

»Angeblich kann der Blinder keine Raketen tragen«, sagte Toland,<br />

aber was er sah, strafte diese nachrichtendienstliche Erkenntnis<br />

Lügen. Sechs Raketen hatten den Sperrgürtel der Jäger durchbrochen<br />

und den RAF-Stützpunkt getroffen. Eine halbe Meile von ihm<br />

entfernt brannten zwei Flugzeuge, und eine Radaranlage war ruiniert.<br />

»Wir wissen nun wenigstens, warum sie während der letzten<br />

paar Tage nicht so aktiv waren«, meinte Group Captain Mallory<br />

und besah sich die Schäden. »Sie rüsteten ihre Bomber um, die mit<br />

der neuen Bedrohung durch unsere Kampfflugzeuge fertig werden<br />

sollen. Aktion, Reaktion. Wir lernen, sie lernen.«<br />

Die Jäger kehrten zurück. Toland zählte mit und stellte fest, dass<br />

zwei Tornado und ein Tomcat fehlten. Sofort nach der Landung<br />

rollten die Maschinen in ihre Bunker. Die RAF hatte aber nicht<br />

genug, so dass drei amerikanische Jäger mit Splitterschutz aus Sandsäcken<br />

vorlieb nehmen mussten. Dort wurden sie vom Bodenpersonal<br />

sofort aufgetankt und bewaffnet. Die Besatzungen kletterten<br />

hinunter zu wartenden Jeeps und wurden zur Nachbesprechung<br />

gefahren.«<br />

»Die Kerle haben uns mit unserem eigenen Trick reingelegt!« rief<br />

ein Tomcat-Pilot aus.<br />

»Gut, worauf sind Sie gestoßen?«<br />

»Sie kamen in zwei Gruppen, rund zehn Meilen voneinander<br />

entfernt. Die erste bestand aus MiG-23 Flogger, die zweite aus<br />

Blinder. Die MiG schössen vor uns ab und brachten unser Radar<br />

ziemlich durcheinander. Einige sind mit einem neuen Störsender<br />

472


ausgerüstet, der uns bisher noch nicht untergekommen ist. Ihr<br />

Treibstoff Muss knapp gewesen sein, denn sie wichen einem Gefecht<br />

aus. Offenbar wollten sie uns nur von den Bombern fernhalten, bis<br />

die ihre Raketen abgeschossen hatten. Hätte beinahe geklappt. Ein<br />

Schwärm Tornado kam von links und holte vier Blinder runter. Wir<br />

erwischten zwei MiG - keinen Blinder -, und der Boss ließ den Rest<br />

der Tomcats auf die Raketen los. Ich schaltete zwei aus. Wie auch<br />

<strong>im</strong>mer, der Iwan hat eine neue Taktik angewandt. Einen Tomcat<br />

haben wir verloren, aber ich weiß nicht, wie.«<br />

»Be<strong>im</strong> nächsten Mal starten wir mit ein paar Raketen, die auf die<br />

Störsender programmiert sind«, meinte ein anderer Pilot. »Dafür<br />

hatten wir diesmal nicht genug Zeit. Wenn die Störer erst einmal<br />

ausgeschaltet sind, werden wir leichter mit den Jägern fertig.«<br />

Und dann ändern die Russen ihre Taktik wieder, dachte Toland.<br />

Aber wenigstens reagieren sie zur Abwechslung mal auf uns.<br />

Fölziehausen, BRD<br />

Nach acht Stunden erbitterter Kämpfe, in deren Verlauf der vorgeschobene<br />

Befehlsstand von Artilleriefeuer getroffen wurde, brachten<br />

Beregowoy und Alexejew den belgischen Gegenangriff zum<br />

Stehen. Doch das allein genügte nicht. Sie waren sechs Kilometer<br />

vorangekommen und dann auf eine massive Wand aus Panzern und<br />

Raketen gestoßen. Die belgische Artillerie belegte die Straße, über<br />

die der Nachschub für den russischen Vorstoß auf Hameln rollte,<br />

<strong>im</strong>mer wieder mit Feuer. Alexejew wusste, dass der Gegner einen<br />

weiteren Gegenangriff plante. Wir müssen als erste zuschlagen,<br />

dachte er, aber womit? Seine drei Divisionen brauchte er für den<br />

Vorstoß gegen die vor Hameln stehenden britischen Kräfte.<br />

»Jedesmal, wenn wir durchbrechen«, bemerkte Major Sergetow<br />

leise, »halten sie uns auf und starten einen Gegenangriff. So etwas<br />

sollte nicht vorkommen.«<br />

»Welch tiefschürfende Erkenntnis!« fauchte Alexejew und faßte<br />

sich dann wieder. »Wir gingen von der Annahme aus, dass ein<br />

Durchbruch die gleiche Wirkung zeigen würde wie be<strong>im</strong> letzten<br />

Krieg gegen die Deutschen. Der Haken sind aber diese leichten<br />

Panzerabwehrraketen. Drei Mann mit einem Jeep« - er benutzte<br />

den amerikanischen Ausdruck - »sausen die Straße entlang, stellen<br />

473


sich auf, schießen ein oder zwei Raketen ab und sind schon verschwunden,<br />

ehe wir reagieren können. Dann wiederholen sie den<br />

Prozeß ein paar hundert Meter weiter. Noch nie war die Feuerkraft<br />

der Verteidigung so stark, und wir erkannten offenbar nicht,<br />

wie effektvoll eine entschlossene Nachhut eine vorrückende Panzerkolonne<br />

verlangsamen kann. Unsere Sicherheit liegt in der Mobilität;<br />

wir dürfen den Schwung nicht verlieren. Ein s<strong>im</strong>pler<br />

Durchbruch genügt nicht! Erst wenn wir eine massive Lücke in<br />

ihre Front gerissen und dann mindestens zwanzig Kilometer zügig<br />

zurückgelegt haben, sind wir diese beweglichen Raketenbedienungen<br />

los. Erst dann können wir zu unserer mobilen Taktik übergehen.«<br />

»Meinen Sie, dass wir nicht siegen können?« Sergetow hatte<br />

selbst schon seine Zweifel, war aber überrascht, sie von seinem<br />

Vorgesetzten zu hören.<br />

»Ich kann nur wiederholen, was ich schon vor vier Monaten<br />

gesagt habe: Dieser Feldzug ist zu einem Abnutzungskrieg geworden.<br />

Für den Augenblick hat die Technik auf beiden Seiten die<br />

Kriegskunst besiegt. Nun geht es nur noch darum, wem als erstem<br />

die Soldaten und Waffen ausgehen.«<br />

»Und da stehen wir besser da«, meinte Sergetow.<br />

»Gewiß, Iwan Michailowitsch. Ich habe mehr junge Männer zu<br />

opfern.« Im Feldlazarett trafen <strong>im</strong>mer mehr Verwundete ein. Die<br />

Kolonnen der Sanitätsfahrzeuge waren endlos.<br />

»Genosse, mein Vater hat sich nach den Fortschritten an der<br />

Front erkundigt. Was soll ich ihm sagen?«<br />

Alexejew entfernte sich kurz von seinem Adjutanten, um über<br />

diese Frage nachzudenken.<br />

»Iwan Michailowitsch, richten Sie dem Minister aus, der Widerstand<br />

der Nato sei viel heftiger als erwartet. Der Schlüssel ist<br />

nun die Logistik. Wir brauchen die besten verfügbaren Informationen<br />

über die Versorgungslage der Nato, und es müssen entschlossene<br />

Anstrengungen zu ihrer Verschlechterung gemacht<br />

werden. Wir wissen nicht, mit welchem Erfolg die Marine die<br />

feindlichen Geleitzüge angreift. Das muss ich aber erfahren, um<br />

das Durchhaltevermögen der Nato abschätzen zu können. Und<br />

aus Moskau brauche ich keine Analysen, sondern Rohdaten.«<br />

»Sind Sie mit dem, was wir aus Moskau erfahren, nicht zufrieden?«<br />

474


»Uns wurde gesagt, die Nato sei politisch zerstritten und militärisch<br />

unkoordiniert. Was halten Sie inzwischen von dieser Einschätzung,<br />

Genosse Major?« fragte Alexejew scharf. »Den Dienstweg<br />

kann ich mit einer solchen Bitte nicht begehen. Fahren Sie nach<br />

Moskau. In sechsunddreißig Stunden erwarte ich Sie zurück. Wir<br />

sitzen dann best<strong>im</strong>mt noch hier.«<br />

Island<br />

»In einer halben Stunde sollten sie da sein.«<br />

»Roger, Doghouse«, erwiderte Edwards. »Wie ich bereits sagte,<br />

sind keine Russen zu sehen, auch keine Flugzeuge. Vor sechs Stunden<br />

Verkehr auf der Straße westlich von uns; vier Geländefahrzeuge,<br />

unterwegs nach Süden. Was sie enthielten, ließ sich wegen<br />

der Entfernung nicht beurteilen. Die Luft ist rein. Over.«<br />

»Gut, sagen Sie uns Bescheid, wenn sie angekommen sind.«<br />

»Wird gemacht. Out.« Edwards schaltete das Funkgerät aus.<br />

»Leute, wir kriegen Besuch von Freunden.«<br />

»Wann und wo, Skipper?« fragte Smith sofort.<br />

»Hat man mir nicht verraten, aber in einer halben Stunde sollen<br />

sie da sein. Springen wohl ab.«<br />

«Werden wir rausgeholt?« fragte Vigdis.<br />

»Nein, hier kann kein Flugzeug landen. Sergeant, was halten Sie<br />

davon?«<br />

»Was auch Sie meinen, Skipper.«<br />

Die Maschine erschien früher als erwartet und wurde zur Abwechslung<br />

einmal von Edwards entdeckt. Das Transportflugzeug 0130<br />

Hercules kam <strong>im</strong> Tiefflug aus Nordwesten, nur wenige hundert Fuß<br />

über dem Osthang des Bergzuges, auf dem sie sich befanden. Von<br />

Osten wehte eine streife Brise, als vier kleine Gestalten aus der<br />

hinteren Frachttür fielen und die Hercules scharf nach Norden<br />

abdrehte. Edwards konzentrierte sich auf die hinabschwebenden<br />

Fallschirme. Anstatt ins Tal unter ihnen zu sinken, trieben sie auf<br />

einen mit Felsbrocken übersäten Hang zu.<br />

»Scheiße, er hat den Wind falsch eingeschätzt! Los.«<br />

Als sie den Hang hinunterrannten, glitten die Fallschirme an<br />

ihnen vorbei, sanken <strong>im</strong> Halbdunkel in sich zusammen, als die<br />

475


Männer landeten. Edwards und seine Männer merkten sich die<br />

Stellen.<br />

»Halt! Wer da?«<br />

»Schon gut, wir sind das Empfangskomitee«, sagte Edwards.<br />

»Identifizieren Sie sich!« Der Mann hatte einen englischen Akzent.<br />

»Codename Beagle.«<br />

»Wirklicher Name?«<br />

»First Lieutenant Edwards, US Air Force.«<br />

Edwards ging allein nach vorn. Nach einer Weile sah er einen<br />

hinter einem Felsblock halb verborgenen Schemen, der eine Maschinenpistole<br />

hielt.<br />

»Wer sind Sie?«<br />

»Sergeant Nichols, Royal Marines. Einen miserablen Platz haben<br />

Sie sich da zu unserer Begrüßung ausgesucht, Lieutenant.«<br />

»War nicht meine Idee!« antwortete Edwards. »Man hat uns erst<br />

vor einer Stunde gesagt, dass Sie kommen.«<br />

»Ist mal wieder Scheiße gebaut worden.« Der Mann stand auf<br />

und kam stark hinkend auf Edwards zu. Eine weitere Gestalt<br />

tauchte auf.<br />

»Wir haben den Lieutenant gefunden - tot, glaube ich!«<br />

Edwards stellte bald fest, dass der Trupp, der zu ihrer Rettung<br />

gekommen war - oder wie sein Auftrag sonst lauten mochte ­<br />

tatsächlich eine katastrophale Landung gehabt hatte. Der Lieutenant<br />

war auf einen Felsblock niedergegangen und rückwärts auf<br />

einen zweiten gefallen. Sein Kopf hing schlaff am Rest seines Körpers.<br />

Nichols hatte sich den Knöchel verstaucht; die anderen beiden<br />

waren unverletzt, aber ziemlich erschüttert. Es dauerte über eine<br />

Stunde, bis ihre Ausrüstung eingesammelt war. Der Lieutenant<br />

wurde mit seinem Fallschirm zugedeckt; darauf türmte man Steine.<br />

Edwards führte den Rest des Trupps hinauf auf die Kuppe. Wenigstens<br />

hatte man ihm eine frische Batterie für sein Funkgerät mitgeschickt.<br />

»Doghouse, hier Beagle. Es sieht beschissen aus.«<br />

»Warum hat das so lange gedauert?«<br />

»Richten Sie dem Piloten aus, er soll sich eine neue Brille kaufen.<br />

Der Lieutenant Ihrer Marines ist tot, und der Sergeant hat einen<br />

kaputten Knöchel.«<br />

»Hat man sie entdeckt?«<br />

476


»Negativ. Sie gingen zwischen Felsblöcken nieder. Ein Wunder,<br />

dass sie dabei nicht alle umkamen. Wir sind wieder auf dem Berg<br />

und haben unsere Spuren verwischt.«<br />

Sergeant Nichols war wie Smith Raucher. Die beiden suchten<br />

sich eine geschützte Stelle zum Qualmen.<br />

»Ihr Lieutenant klingt ziemlich nervös.«<br />

»Ist zwar nur ein Wetterfrosch, aber in Ordnung. Was macht der<br />

Fuß?«<br />

»Muss drauf laufen, ob ich will oder nicht. Weiß er, was er tut?«<br />

»Der Skipper? Ich hab selbst mit angesehen, wie er drei Russen<br />

mit dem Messer kaltgemacht hat. Reicht das?«<br />

»Donnerwetter...«<br />

477


USS Reuben James<br />

33<br />

Kontakt<br />

»Sir?« Morris fuhr zusammen, als sich eine Hand auf seine Schulter<br />

legte. Er hatte sich nach Nachtlandeübungen mit dem Hubschrauber<br />

nur kurz in seiner Kammer hinlegen wollen. Er schaute auf die<br />

Uhr, nach Mitternacht. Er sah zu seinem Ersten Offizier auf.<br />

»Was gibt's, IO?«<br />

»Wir sollen etwas überprüfen. Wahrscheinlich blinder Alarm,<br />

aber - na; sehen Sie es sich mal selbst an.«<br />

Morris nahm die Nachricht mit in seinen Waschraum, steckte sie<br />

in die Tasche und wusch sich dann rasch das Gesicht.<br />

»Unüblicher Kontakt, Ortungsversuche erfolglos? « Was, zum<br />

Kuckuck, soll das heißen?« fragte er be<strong>im</strong> Abtrocknen.<br />

»Keine Ahnung, Sir. Man nennt uns eine ungefähre Position,<br />

kann den Kontakt aber nicht identifizieren. Ich lasse gerade die<br />

Karte heraussuchen.«<br />

Morris fuhr sich durch die Haare »Gut, sehen wir uns das mal in<br />

der Zentrale an.«<br />

Der TAO hatte die Seekarte auf den Tisch neben dem Sessel des<br />

Kommandanten gelegt. Morris sah sich das taktische Hauptdisplay<br />

an. Im Einklang mit ihrem Auftrag, die Hundert-Faden-Kurve zu<br />

überprüfen, befanden sie sich noch weit vor der Küste.<br />

»Das ist ein schönes Stück weg«, bemerkte Morris sofort. Irgend<br />

etwas kam ihm hier bekannt vor. Der Commander beugte sich über<br />

die Karte.<br />

»Jawohl, Sir, ungefähr sechzig Meilen«, st<strong>im</strong>mte Ernst zu. »Und<br />

in seichtem Wasser. Das Schleppsonar können wir da nicht einsetzen.«<br />

»Ach, jetzt weiß ich, was das ist! Dort sank die Andrea Doria.<br />

Wahrscheinlich hatte jemand einen Magnetanomaliekontakt und<br />

machte sich nicht die Mühe, auf der Seekarte nachzusehen.«<br />

478


»Möchte ich bezweifeln.« O'Malley tauchte aus den Schatten<br />

auf. »Zuerst bekam eine Fregatte einen seltsamen Passivsonar-<br />

Kontakt. Eine Zielbewegungsanalyse ergab die vorliegende Position.<br />

Ihr Hubschrauber machte ein paar Überflüge, sein Magnetanomalie-Detektor<br />

sprach über der Doria an, und das war's.«<br />

»Woher wissen Sie das?«<br />

O'Malley reichte ihm ein Formular. »Traf ein, als der IO Sie<br />

holen ging. Man ließ das von einer Orion überprüfen. Dieselbe<br />

Leier: Man hörte etwas Komisches, das dann verschwand.«<br />

Morris zog die Stirn kraus. Best<strong>im</strong>mt wieder viel Lärm um nichts,<br />

aber da der Befehl aus Norfolk kam, musste er handeln.<br />

»Ist der Hubschrauber bereit?«<br />

»Kann in zehn Minuten oben sein. Ein Torpedo, ein Zusatztank.<br />

Alle Systeme arbeiten einwandfrei.«<br />

»Die Brücke soll uns mit fünfundzwanzig Knoten hinbringen.<br />

Weiß Battleaxe Bescheid?« Zur Antwort bekam er ein Nicken.<br />

»Gut. Signalisieren Sie unsere Absichten. Holen Sie den Schwanz<br />

ein, der nutzt uns am Ziel nichts. O'Malley, wir fahren bis auf<br />

fünfzehn Meilen an den Kontakt heran und lassen Sie dann suchen.<br />

Falls Sie mich brauchen, finden Sie mich in der Messe.« Gleich<br />

darauf stellte Morris fest, dass auch O'Malley in diese Richtung<br />

unterwegs war.<br />

»Komische Kähne sind das«, meinte der Flieger.<br />

Morris grinste zust<strong>im</strong>mend. Der Hauptlaufgang zwischen Vorund<br />

Achterschiff befand sich zum Beispiel an Backbord und nicht in<br />

der Mitte. Bei den Fregatten der Perry-Klasse hatte man mit vielen<br />

Traditionen der Schiffsarchitektur gebrochen.<br />

O'Malley kletterte als erster die Leiter hinunter und hielt dem<br />

Kommandanten die Tür zur Offiziersmesse auf. Drinnen saßen<br />

zwei junge Offiziere vor dem Fernseher und betrachteten sich einen<br />

Videofilm. Thema: schnelle Autos und nackte Frauen. Morris hatte<br />

bereits erfahren, dass der Videorecorder in der Kammer des Chiefs<br />

stand. Diese Tatsache hatte unter anderem zur Folge, dass Szenen<br />

mit attraktiven Mädchen zurückgespult und für alle Mann an Bord<br />

in Zeitlupe abgespielt wurden.<br />

Die Ration nach der ersten Hälfte der Wache bestand aus Brot<br />

und einer Wurstplatte. Morris goß sich eine Tasse Kaffee ein und<br />

stellte sich ein Sandwich zusammen. O'Malley entschied sich für<br />

Fruchtsaft aus dem Kühlschrank am achterlichen Schott.<br />

479


»Nanu, kein Kaffee?« fragte Morris. O'Malley schüttelte den<br />

Kopf.<br />

»Macht mich zu zittrig. Wer nachts einen Hubschrauber landen<br />

will, braucht ruhige Hände.« Er lächelte. »Ich fühle mich langsam<br />

zu alt für diesen Zirkus.«<br />

»Haben Sie Kinder?«<br />

»Drei Jungs, aber wenn ich meinen Willen bekomme, geht keiner<br />

zur See. Und Sie?«<br />

»Ein Junge und ein Mädchen. Sie sind mit ihrer Mutter dahe<strong>im</strong> in<br />

Kansas.« Morris machte sich über sein Sandwich her. Das Brot war<br />

nicht gerade frisch und der Aufschnitt zu warm, aber weil er Hunger<br />

hatte, langte er zu. O'Malley schob ihm eine Schüssel Kartoffelchips<br />

hinüber.<br />

»Sie brauchen viel Kohlehydrate, Sir.«<br />

»Dieser greuliche Saft bringt Sie noch um.«<br />

»Keine Angst, ich bin nicht so leicht kleinzukriegen. Ich war zwei<br />

Jahre lang in Vietnam als Pilot <strong>im</strong> Einsatz, flog vorwiegend Rettungshubschrauber.<br />

Wurde zwe<strong>im</strong>al abgeschossen, bekam aber<br />

keinen Kratzer ab. Nur Schiß hatte ich.«<br />

Ist er denn schon so alt? fragte sich Morris. Er musste bei Beförderungen<br />

mehrmals übergangen worden sein. Er nahm sich vor, einen<br />

Blick in O'Malleys Personalakte zu werfen.<br />

»Warum waren Sie eigentlich in der Zentrale?« fragte Morris.<br />

»Ich war nicht müde und wollte mal nachsehen, wie das Schleppsonar<br />

funktioniert.«<br />

Das überraschte Morris. Im allgemeinen interessierten sich die<br />

Flieger nur selten für die Ausrüstung des Schiffes.<br />

»Man hört, Sie hätten sich mit der Pharris tapfer geschlagen.«<br />

»Leider reichte das nicht.«<br />

»So was kommt vor.« O'Malley musterte seinen Kommandanten<br />

scharf. Als einziger Mann an Bord mit Gefechtserfahrung entdeckte<br />

er etwas an Morris, das er seit Vietnam nicht mehr gesehen<br />

hatte. Er zuckte die Achseln. Nicht mein Problem, dachte er und<br />

holte eine Packung Zigaretten aus seiner Kombination. »Darf ich?«<br />

»Ich habe selbst gerade wieder angefangen.«<br />

»Gott sei Dank!« rief O'Malley. »Unter diesen grünen Tugendbolden<br />

in der Messe kommt man sich ja vor wie ein alter Junkie!«<br />

Die beiden anwesenden jungen Lieutenants lächelten, ohne die<br />

Augen vom Bildschirm zu wenden.<br />

480


»Haben Sie Erfahrung mit Fregatten?«<br />

»Nicht viel, Sir; ich war meist auf Trägern. In den letzten vierzehn<br />

Monaten habe ich in Jax den Fluglehrer gespielt. Ich habe<br />

meist Seahawk geflogen, in allen möglichen Einsätzen. Mein Vogel<br />

wird Ihnen gefallen. Er hat das beste Tauchsonar, das ich je benutzt<br />

habe.«<br />

»Was halten Sie von dieser Kontaktmeldung?«<br />

O'Malley lehnte sich zurück, zog an seiner Zigarette und starrte<br />

ins Leere. »Interessant. Ich habe mal <strong>im</strong> Fernsehen etwas über die<br />

Doria gesehen. Sie liegt auf der Steuerbordseite und in nur sechzig<br />

Metern Tiefe. Sporttaucher kommen also gerade noch an sie heran,<br />

und zwar in Massen. Und sie ist mit einer Unmenge Trossen drapiert.«<br />

»Wie das? «<br />

»Von Schleppnetzen. Die Gegend wird stark befischt, und die<br />

Schleppnetze bleiben an dem Wrack hängen. Die Andrea Doria<br />

sieht aus wie der gefesselte Gulliver.«<br />

»St<strong>im</strong>mt! Jetzt entsinne ich mich auch!« sagte Morris. »Damit<br />

wäre auch der Lärm erklärt, den das Wrack macht. Die Tide oder<br />

Strömungen pfeifen in den Trossen.«<br />

O'Malley nickte. »Ja, aber ich will trotzdem mal nachsehen.«<br />

»Und warum?«<br />

»Alles, was aus New York kommt, fährt über die Stelle hinweg.<br />

Der Iwan weiß, dass wir in New York einen großen Geleitzug<br />

zusammenstellen. Wäre das nicht ein vorzüglicher Parkplatz für ein<br />

U-Boot, das sich an den Konvoi hängen will? Denken Sie doch mal<br />

nach. Wer dort einen MAD-Kontakt bekommt, tut ihn doch gleich<br />

ab. Der Schall eines Reaktors ist bei niedriger Leistung wohl kaum<br />

lauter als die Strömungsgeräusche am Wrack. Kann mir gut vorstellen,<br />

dass sich ein U-Boot-Kommandant mit Nerv an dieser Stelle<br />

versteckt.«<br />

»Sie denken tatsächlich wie die Russen«, bemerkte Morris.<br />

»Gut, überlegen wir mal, wie wir das anfangen...«<br />

0230 Uhr. Morris beobachtete vom Kontrollraum aus den Start<br />

und ging dann nach vorne in die Gefechtszentrale. Alle auf der<br />

Fregatte, die acht Knoten lief und das Prairie-Masker-System aktiviert<br />

hatte, waren auf Gefechtsstation. Wenn da draußen in zehn<br />

oder fünfzehn Meilen Entfernung tatsächlich ein russisches U-Boot<br />

481


lauerte, konnte seine Besatzung nicht ahnen, dass eine Fregatte in<br />

der Nähe war. Der Radarschirm in der GZ zeigte, dass der Hubschrauber<br />

in Position ging.<br />

»Romeo, hier Hammer. Testsendung. Over«, sagte O'Malley.<br />

Der Bordcomputer des Hubschraubers sendete nun Daten an die<br />

Fregatte. Ein Maat an der Hubschrauber-Datenkonsole überprüfte<br />

sie und grunzte befriedigt. Wie hieß der Ausdruck noch mal? Klar,<br />

sie »hingen satt an Mamis Teilchen«. Er grinste.<br />

Zwei Meilen vom Grab der Andrea Doria begann der Hubschrauber<br />

mit seiner Suche. O'Malley schwebte fünfzehn Meter<br />

über der rollenden See.<br />

»Dom ab, Willy."<br />

Hinten <strong>im</strong> Hubschrauber schloß der Maat die Bedienungsinstrumente<br />

der Winde auf und senkte den Sonar-Wandler durch ein<br />

Loch <strong>im</strong> Boden der Maschine ab. Der Seahawk hatte über dreihundert<br />

Meter Kabel, also genug, um bis unter die tiefste Thermokline<br />

zu reichen. Da hier das Wasser aber nur sechzig Meter tief war,<br />

musste man vorsichtig sein, um Schäden am Wandler durch Grundberührung<br />

zu vermeiden. Der Maat hielt die Winde an, als der<br />

Wandler dreißig Meter unter der Oberfläche angelangt war. Wie<br />

auf Überwasserschiffen lieferte der Wandler visuelle und akustische<br />

Signale. Auf einem Bildschirm begannen Frequenzlinien zu erscheinen,<br />

und der Seemann hörte über Kopfhörer mit.<br />

Jetzt wird's knifflig, sagte sich O'Malley. Einen Hubschrauber<br />

unter diesen Windbedingungen stationär in der Schwebe zu halten,<br />

erforderte konstante Aufmerksamkeit - einen Autopiloten gab es<br />

nicht -, und die U-Jagd war <strong>im</strong>mer ein Geduldsspiel. Das Passivsonar<br />

lieferte erst nach mehreren Minuten verwertbare Daten, die<br />

Aktivsysteme konnten nicht eingesetzt werden, da ihre Impulse den<br />

Feind warnten.<br />

Nach fünf Minuten hatten sie nichts als Hintergrundgeräusche<br />

aufgefangen. Sie zogen das Sonar ein und flogen nach Osten. Auch<br />

hier nichts. Geduld, sagte sich der Pilot. Fluch der Geduld. Weiter<br />

nach Osten, weiter warten.<br />

»Ich hab etwas in null-vier-acht. Weiß nicht genau was, eine Art<br />

Pfeifen <strong>im</strong> Hochfrequenzbereich.« Sie warteten zwei Minuten ab,<br />

um sicherzustellen, dass es kein falsches Signal war.<br />

»Dom hoch.« O'Malley ließ den Hubschrauber aufsteigen und<br />

flog dreitausend Yard nach Nordosten. Drei Minuten später wurde<br />

482


das Sonar wieder abgesenkt. Diesmal ohne Resultat. O'Malley<br />

wechselte erneut die Position. Warten, warten. Dann aber kamen<br />

gleich zwei Signale.<br />

»Sehr interessant-, bemerkte der ASW-Offizier auf der Reuben<br />

James. »Wie dicht liegt das be<strong>im</strong> Wrack?«<br />

»Sehr dicht«, antwortete Morris.<br />

»Könnte Strömungsgeräusch sein«, sagte Willy zu O'Malley. »Sehr<br />

schwach, wie be<strong>im</strong> letzten Mal.«<br />

Der Pilot schaltete das Signal auf seinen Kopfhörer um. »Könnten<br />

auch Dampfgeräusche sein. Klarmachen zum Einziehen des<br />

Doms. Ich fliege nach Osten und trianguliere.«<br />

Zwei Minuten später wurde der Sonarwandler zum sechsten Mal<br />

ins Wasser gelassen. Der Kontakt erschien nun auf dem taktischen<br />

Display zwischen Pilot und Kopilot.<br />

»Das sind zwei Signale«, meinte Ralsont, der Kopilot. »Rund<br />

sechshundert Yard voneinander entfernt.«<br />

»Kommt mir auch so vor. Sehen wir uns mal den nächsten an.<br />

Willy -«<br />

»Kabel klar zum Einholen, Skipper.«<br />

»Dom hoch. Romeo, hier Hammer. Empfangen Sie, was ich<br />

habe?«<br />

»Affirmativ, Hammer«, antwortete Morris. »Prüfen Sie das Signal<br />

<strong>im</strong> Süden.«<br />

»Tun wir gerade. Bitte warten.« O'Malley behielt seine Instrumente<br />

scharf <strong>im</strong> Auge, als er an den näheren Kontakt heranflog und<br />

die Maschine wieder in der Luft anhielt. »Dom ab.«<br />

»Kontakt!« rief der Maat eine Minute später, verglich die Tonlinien<br />

auf dem Bildschirm mit Daten, die er über russische U-Boote<br />

<strong>im</strong> Kopf hatte. »Signal als Dampf- und Reaktorgeräusch eines<br />

A<strong>tom</strong>-U-Bootes evaluiert, Richtung zwo-sechs-zwo.«<br />

O'Malley lauschte dreißig Sekunden lang und lächelte dann<br />

schwach. »Allerdings! Romeo, hier Hammer. Wir haben vermutlich<br />

ein U-Boot in zwo-sechs-zwo und wechseln nun zur näheren<br />

Best<strong>im</strong>mung die Position.«<br />

Zehn Minuten später war der Kontakt genau erfaßt. O'Malley<br />

hielt direkt auf ihn zu und senkte das Sonar ab.<br />

,Victor-Klasse«, sagte der Sonarmann auf der Fregatte. »Sehen Sie<br />

diese Frequenzlinie? Ein Victor, dessen Reaktor mit Min<strong>im</strong>alleistung<br />

läuft.«<br />

483


»Hammer«, rief Morris, »hier Romeo. Irgendwelche Vorschläge?«<br />

O'Malley hatte eine Rauchboje zur Markierung zurückgelassen und<br />

entfernte sich nun von dem Kontakt. Entweder hatte das U-Boot sie<br />

wegen der Verhältnisse an der Oberfläche nicht gehört, oder sein<br />

Kommandant fand es am sichersten, auf dem Grund liegenzubleiben.<br />

Die Amerikaner verfügten nur über zielsuchende Torpedos, die<br />

ein auf Grund liegendes U-Boot nicht ausmachen konnten. Einmal<br />

abgeschossen, fuhren sie entweder Kreise, bis ihnen der Treibstoff<br />

ausging, oder sie bohrten sich in den Meeresboden. Er erwog, das U-<br />

Boot mit Aktivsonar vom Grund hochzuscheuchen, doch Aktivsonar<br />

war in seichtem Wasser nicht sonderlich effektiv, und was, wenn<br />

der Russe sich einfach nicht rührte? Der Seahawk hatte nur noch für<br />

eine Flugstunde Treibstoff. O'Malley kam zu einem Entschluß.<br />

»Battleaxe, hier Hammer. Hören Sie mich? Over.«<br />

»Wird auch Zeit, dass Sie sich melden, Hammer«, erwiderte<br />

Captain Perrin sofort. Auf der britischen Fregatte wurde die Suche<br />

aufmerksam verfolgt.<br />

»Haben Sie Mark-11 an Bord?«<br />

»Können wir in zehn Minuten geladen haben.«<br />

»Wir warten. Romeo, genehmigen Sie VECTAC?«<br />

»Affirmativ.« Eine Vektor-Attacke war dieser Situation perfekt<br />

angemessen, und Morris empfand solche Erregung, dass es ihn noch<br />

nicht einmal ärgerte, von O'Malley übergangen worden zu sein.<br />

»Waffen frei.«<br />

O'Malley flog wartend in tausend Fuß Höhe Schleifen. Sein<br />

Sonar-Operator achtete am Sonar-Display aufmerksam auf Veränderungen,<br />

hatte aber bisher keine feststellen können: keine Leistungssteigerung,<br />

keine mechanischen Geräusche. Nur das Zischen<br />

eines Reaktors bei Min<strong>im</strong>alleistung, das in mehr als zwei Meilen<br />

Entfernung schon nicht mehr zu erfassen war. Kein Wunder, dass<br />

mehrere andere gesucht und nichts gefunden hatten. Er musste die<br />

Kaltblütigkeit des russischen Kommandanten bewundern.<br />

»Hammer, hier Hatchet«, meldete sich der Hubschrauber der<br />

Battleaxe.<br />

484


»Roger, Hatchet. Wo sind Sie?«<br />

»Zehn Meilen südlich von Ihnen. Wir haben zwei Wasserbomben<br />

an Bord.«<br />

O'Malley schaltete seine Beleuchtung wieder an. »Gut, halten<br />

Sie sich bereit. Romeo, geben Sie Hatchet einen Radarleitstrahl zu<br />

unserer Sonoboje, dann ermitteln wir mit unserem Sonar die<br />

Kreuzpeilung für den Abwurf. Einverstanden?«<br />

»Roger, einverstanden«, antwortete Morris.<br />

»Torpedos scharfmachen«, befahl O'Malley seinem Kopiloten.<br />

»Warum?«<br />

»Wenn die Wasserbomben danebengehen, schießt er vom<br />

Grund hoch wie ein Lachs zur Laichzeit.« O'Malley zog seinen<br />

Hubschrauber herum und erblickte die blinkenden Kollisionswarnlichter<br />

des britischen Lynx-Helikopters. »Hatchet, ich habe<br />

Sie nun in neun Uhr. Bitte halten Sie Ihre Position. Willy, Veränderungen<br />

am Kontakt?«<br />

»Nein, Sir. Der Kerl hat Nerven wie Drahtseile.«<br />

Armer Held, dachte O'Malley. Die Rauchboje über dem Kontakt<br />

war nun fast abgebrannt. Er warf eine zweite ab. Nachdem er<br />

sich noch einmal das taktische Display betrachtet hatte, ging er in<br />

eine Position tausend Yard östlich des Kontaktes, schwebte fünfzehn<br />

Meter über der Wasseroberfläche und setzte das Tauchsonar<br />

ein.<br />

»Da ist er«, meldete der Maat. »Richtung zwei-sechs-acht.«<br />

»Hatchet, hier Hammer. Bereit für VECTAC. Lassen Sie sich<br />

von Romeo steuern.«<br />

Der Kurs des britischen Hubschraubers wurde nun vom Radar<br />

der Reuben James best<strong>im</strong>mt.<br />

»Werfen Sie auf mein Kommando einzeln ab!« rief O'Malley.<br />

»Klarhalten, Hatchet.«<br />

»Sind klar.« Der britische Pilot machte seine Wasserbomben<br />

scharf und hielt mit neunzig Knoten aufs Ziel zu. O'Malley<br />

brachte die Blinklichter und den Rauch der Boje in eine Linie.<br />

»Bombe eins - los! Bombe zwei - los! Und nichts wie weg!«<br />

Das brauchte man dem Lynx-Piloten nicht zwe<strong>im</strong>al zu sagen.<br />

Kaum war die zweite Wasserbombe gefallen, da schoß der Helikopter<br />

auch schon in die Höhe und nach Nordosten. Zur selben<br />

Zeit riß O'Malley den Steuerknüppel zurück, um den empfindlichen<br />

Sonarwandler aus dem Wasser zu holen.<br />

485


Ein sonderbarer Lichtblitz auf dem Grund, dann noch einer. Die<br />

Meeresoberfläche wurde zu Schaum, der zum Sternenh<strong>im</strong>mel stieg.<br />

O'Malley flog heran und schaltete die Landescheinwerfer ein. An<br />

der Oberfläche erschienen aufgewühlter Schlick und ... Öl? Wie <strong>im</strong><br />

Kino, dachte er und warf noch eine Sonoboje ab.<br />

Über Grund hallte das Grollen der Wasserbombe wider, doch<br />

das System filterte es heraus und konzentrierte sich auf Schall in<br />

höheren Frequenzbereichen. Sie hörten Luft entweichen und Wasser<br />

rauschen. Jemand an Bord des U-Bootes hatte wahrscheinlich in<br />

dem vergeblichen Bemühen, an die Oberfläche zu kommen, die<br />

Ballasttanks angeblasen. Dann ein anderes Geräusch, das klang, als<br />

tropfte Wasser auf eine heiße Kochplatte. O'Malley konnte es nicht<br />

sofort interpretieren.<br />

»So was hab ich noch nie gehört«, sagte Willy über die Sprechanlage.<br />

»Was ist das, Sir?«<br />

»Der Reaktorbehälter ist gerissen. Was Sie da hören, ist ein<br />

durchgehender Kernreaktor.« Was für eine Schweinerei so dicht<br />

vor der Küste, dachte er. Mit dem Tauchen zur Doria war es für die<br />

nächsten Jahre Essig... O'Malley schaltete aufs Funkgerät um.<br />

»Hatchet, hier Hammer. Eindeutig eine Versenkung. Wollen Sie sie<br />

in Anspruch nehmen?«<br />

»Ja, Hammer. Vielen Dank fürs Hinsteuern.«<br />

O'Malley lachte. »Roger, Hatchet. Und Sie dürfen dann auch das<br />

Formular an die Umweltbehörde ausfüllen. Out.«<br />

In dem Lynx schauten sich Pilot und Kopilot verständnislos an.<br />

»Was soll das bedeuten?«<br />

Moskau<br />

Michail Sergetow hieß seinen Sohn mit einer typisch russischen<br />

Umarmung willkommen, nahm ihn am Arm und führte ihn zu dem<br />

Sil mit Chauffeur, der sie nach Moskau bringen sollte.<br />

»Wanja, du bist verwundet.«<br />

»Hab mich nur an einem Glassplitter geschnitten«, meinte Iwan<br />

wegwerfend. Sein Vater bot ihm einen kleinen Schluck Wodka an.<br />

»Danke, ich hab seit zwei Wochen keinen Tropfen mehr getrunken.«<br />

»Wirklich?«<br />

486


»Der General läßt <strong>im</strong> Befehlsstand keinen Alkohol zu«, erklärte<br />

Iwan.<br />

»Ist er der gute Offizier, für den ich ihn hielt?«<br />

»Vielleicht sogar ein noch besserer. Ich habe ihn an der Front<br />

erlebt. Er ist ein begabter Führer.«<br />

»Wie kommt es dann, dass wir Deutschland noch nicht erobert<br />

haben?«<br />

»Der Bereitschaftsgrad der Nato war höher als erwartet, Vater.<br />

Man war gerüstet, und der erste Schlag, den sie führte - noch ehe<br />

wir die Grenze richtig überschritten hatten -, kam als schwerer<br />

Schock.« Iwan beschrieb die Auswirkungen von Unternehmen<br />

Traumland.<br />

»Dass es so schl<strong>im</strong>m war, erfuhren wir hier nicht. Bist du da auch<br />

ganz sicher?«<br />

»Ich habe die Brücken selbst gesehen. Diese Flugzeuge griffen<br />

auch einen Gefechtsstand bei Stendal an. Ehe wir uns versahen,<br />

fielen die Bomben. Wenn der Gegner besser aufgeklärt hätte,<br />

stünde ich jetzt nicht hier.«<br />

»Es liegt also an seiner Luftmacht?«<br />

»Zum größten Teil. Ich musste mit ansehen, wie seine Erdkampfflugzeuge<br />

wie eine Sense durch Panzersäulen fuhren. Es war gräßlich.«<br />

»Und unsere Luftabwehrraketen?«<br />

»Unsere Raketentruppen üben zwe<strong>im</strong>al <strong>im</strong> Jahr, schießen auf<br />

unbemannte Zielflugzeuge, die langsam und schnurgerade dahinfliegen.<br />

Die Nato-Piloten fliegen zwischen den Bäumen durch.<br />

Wenn die Luftabwehrraketen beider Seiten so gut funktionierten<br />

wie von den Herstellerfirmen behauptet, wären alle Flugzeuge der<br />

Welt inzwischen zwe<strong>im</strong>al abgeschossen worden. Am schl<strong>im</strong>msten<br />

aber sind die feindlichen Panzerabwehrraketen.« Der junge Mann<br />

machte eine Geste. »Drei Mann in einem Fahrzeug. Einer steuert,<br />

einer lädt, einer schießt. Sie verstecken sich an einer Biegung hinter<br />

einem Baum und warten. Unsere Säule kommt in Sicht, sie eröffnen<br />

über eine Distanz von, sagen wir, zwei Kilometern das Feuer. Man<br />

hat ihnen eingeschärft, auf die Panzer der Truppenführer zu halten<br />

- die mit der Antenne am Turm. Meist kommt die erste Warnung in<br />

Form eines Treffers. Sie feuern eine zweite Rakete ab, zerstören<br />

noch einen Tank und rasen dann weg, ehe wir Artilleriefeuer auf sie<br />

lenken können. Fünf Minuten später wiederholt sich das Ganze an<br />

487


einer anderen Stelle. Und das frißt uns auf«, sagte der junge Mann<br />

und benutzte die Worte seines Vorgesetzten.<br />

»Willst du damit sagen, dass wir verlieren?«<br />

»Nein, ich will sagen, dass wir nicht gewinnen«, versetzte Iwan.<br />

»Aber für uns kommt das aufs gleiche raus.« Er gab jetzt weiter,<br />

was ihm sein Vorgesetzter aufgetragen hatte, und stellte fest, dass<br />

sein Vater auf dem Ledersitz des Wagens tiefer rutschte.<br />

»Hab ich's doch gewußt! Ich habe diese Idioten gewarnt,<br />

Wanja!« Iwan machte eine Kopfbewegung zum Chauffeur hin. Sein<br />

Vater lächelte mit einer wegwerfenden Geste. Witali diente Sergetow<br />

nun schon fünf Jahre. »Der Ölverbrauch liegt fünfundzwanzig<br />

Prozent über meiner Projektion, vierzig Prozent über der des Verteidigungsministeriums.<br />

Niemandem war eingefallen, dass die Flugzeuge<br />

der Nato unsere versteckten Treibstofflager finden könnten.<br />

Meine Leute sind <strong>im</strong>mer noch dabei, die nationalen Reserven einzuschätzen.<br />

Den vorläufigen Bericht soll ich heute nachmittag erhalten,<br />

wenn er rechtzeitig fertig wird. Schau dich um, Wanja, sieh<br />

selbst.«<br />

Es waren kaum Fahrzeuge auf der Straße, noch nicht einmal<br />

Laster. Moskau, nie eine besonders lebendige Stadt, wirkte nun<br />

selbst auf Russen düster. Menschen durcheilten halbleere Straßen,<br />

ohne sich umzudrehen, ohne die Köpfe zu heben. Viele Männer<br />

waren fort. Und so viele würden nie zurückkehren. Sein Vater las<br />

wie üblich seine Gedanken.<br />

»Wie schwer sind die Verluste?«<br />

»Fürchterlich, viel höher als erwartet. Genaue Zahlen kenne ich<br />

nicht, aber die Situation ist depr<strong>im</strong>ierend.«<br />

»Wanja, das Ganze war ein schrecklicher Fehler«, meinte der<br />

Minister leise. Aber hatte die Partei nicht <strong>im</strong>mer recht? Wie viele<br />

Jahre hatte er das geglaubt?<br />

»Daran läßt sich jetzt nichts mehr ändern, Vater. Wir brauchen<br />

Informationen über den Nachschub der Nato. Daten, die uns an der<br />

Front erreichen, sind - sagen wir einmal, zu vorgekaut.«<br />

An der Front, dachte Michail und war stolz auf seinen Sohn. Oft<br />

hatte er befürchtet, aus ihm könnte ein junger »Adliger« der Nomenklatura<br />

werden. Aber nun hatte er sich zu einem Mann entwikkelt.<br />

Schade nur, dass es dazu eines Krieges bedurft hatte.<br />

»Ich will sehen, was sich machen läßt.«<br />

488


USS Chicago<br />

Der Swiatjana-Anna-Graben war das letzte Tiefwassergebiet, das<br />

sie durchführen. Der aus schnellen Jagd-U-Booten bestehende Güterzug<br />

kam fast zum Stehen, als er sich dem Rand des Packeises<br />

näherte. Man erwartete hier zwei Freund-U-Boote, doch die Bezeichnung<br />

»Freund- wollte nicht zu Kriegsoperationen passen. Auf<br />

allen amerikanischen U-Booten war man auf Gefechtsstation.<br />

McCafferty prüfte Zeit und Position. Bislang war alles nach Plan<br />

verlaufen. Erstaunlich, dachte er.<br />

Er fuhr nur ungern vorneweg. Wenn nun ein Russe am Rand des<br />

Packeises patrouillierte? Wer schoß dann wohl als erster?<br />

»Hier Sonar. Ich empfange schwache Maschinengeräusche aus<br />

eins-neun-eins.«<br />

» Richtungsänderung?«<br />

»Im Augenblick keine, Sir.«<br />

McCafferty langte an dem Elektrikermaat vom Dienst vorbei<br />

und schaltete die Gertrude ein, ein ebenso effektvolles wie archaisches<br />

Sonartelefon. Anfangs hörte er nur das Ächzen und Zischen<br />

des Packeises. Hinter ihm ließ der IO den Feuerleittrupp Zielkoordinaten<br />

für eine Torpedoattacke auf den neuen Kontakt ausarbeiten.<br />

Aus dem Lautsprecher drangen verzerrte Silben.<br />

McCafferty nahm den Hörer der Gertrude ab und drückte auf<br />

den Sprechknopf.<br />

»Zulu X-Ray.« Nach einer Pause von mehreren Sekunden kam<br />

kratzig die Antwort.<br />

»Hotel Bravo!« rief HMS Sceptre.<br />

»Ein Drittel voraus«, befahl McCafferty. Zehn Minuten später<br />

waren sie in Reichweite der Gertrude.<br />

»Willkommen <strong>im</strong> Hinterhof der Sowjets. Leichte Änderung des<br />

Plans. Keyboard« - der Codename für HMS Superb - »liegt zwonull<br />

Meilen südlich und klärt die weitere Route auf. Im Lauf der<br />

vergangenen dreißig Stunden keine Feindaktivität. Die Luft ist rein.<br />

Waidmannsheil.«<br />

»Danke, Keylock. Die Bande ist vollzählig da. Out.« McCafferty<br />

legte auf. »Gentlemen, das Unternehmen läuft. Zwei Drittel voraus!«<br />

Das a<strong>tom</strong>getriebene Jagd-U-Boot beschleunigte auf zwölf Kno­<br />

489


ten. HMS Sceptre zählte die vorbeifahrenden amerikanischen<br />

Boote und ging dann am Rand des Packeises wieder auf Station.<br />

»Viel Glück, Jungs«, flüsterte der Kommandant.<br />

»Sie sollten sicher reinkommen.«<br />

»Darüber mache ich mir keinen Kummer, J<strong>im</strong>my«, erwiderte der<br />

Kommandant und benutzte die traditionelle Anrede für einen britischen<br />

Ersten Offizier. »Wieder rauskommen, das wird kitzlig.«<br />

Stornoway, Schottland<br />

»Telex für Sie, Commander.« Ein RAF-Sergeant reichte Toland<br />

den Bogen.<br />

»Verlassen Sie uns?« fragte Group Captain Mallory.<br />

»Ich soll nach Northwood fliegen. Das liegt doch bei London,<br />

nicht wahr?«<br />

Mallory nickte. »Kein Problem.«<br />

»Vorzüglich. Hier steht nämlich >sofort


erlebt. Toland wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass er mit<br />

einem routinemäßigen Fernschreiben, das er vor einer Woche abgesandt<br />

hatte, das Leben dieser Männer zum zweiten Male in diesem<br />

Jahr direkt beeinflussen würde.<br />

Zehn Minuten später setzte die Boeing 737 auf. Es waren nur<br />

zwanzig Passagiere an Bord, fast alle in Uniform. Toland wurde<br />

von einem Wagen abgeholt, der ihn rasch nach Northwood<br />

brachte.<br />

»Commander Toland?» fragte ein Lieutenant der Royal Navy.<br />

»Bitte kommen Sie mit, Sir. Der COMEASTLANT will Sie sprechen.«<br />

Admiral Sir Charles Beattie kaute vor einer riesigen Karte des<br />

Nord- und Ostatlantik auf einer kalten Pfeife.<br />

»Commander Toland, Sir.«<br />

»Danke«, sagte der Admiral, ohne sich umzudrehen. »Tee und<br />

Kaffee stehen in der Ecke, Commander.«<br />

Toland schenkte sich Tee ein, den er nur in England trank.<br />

»Ihre Tomcats haben gute Arbeit geleistet«, sagte Beattie.<br />

»Entscheidend war das Flugzeugradar, Sir. Über die Hälfte der<br />

Abschüsse wurden von der RAF erzielt.«<br />

»Vergangene Woche teilten Sie uns mit, Ihre Tomcats könnten<br />

Backfire über große Entfernungen visuell ausmachen.«<br />

Es dauerte einige Sekunden, bis Toland sich entsann. »Ah, Sie<br />

meinen das System mit der Videokamera, das für die Ortung von<br />

Kampfflugzeugen über dreißig Meilen angelegt ist. Ein Objekt von<br />

der Größe eines Backfire erfaßt es bei gutem Wetter aber schon über<br />

fünfzig Meilen.«<br />

»Ohne dass die Backfire etwas davon merken?«<br />

»Wahrscheinlich, Sir.«<br />

»Wie weit könnte man einem Backfire folgen?«<br />

»Diese Frage sollte man einem Piloten stellen. Ein Tomcat kann,<br />

wenn er in der Luft aufgetankt wird, vier Stunden lang in der Luft<br />

bleiben. Zwei Stunden hin, zwei Stunden zurück; damit wären sie<br />

praktisch zu Hause.«<br />

Beattie drehte sich nun zum ersten Mal zu Toland um. Sir<br />

Charles, ehemals selbst Flieger, hatte die Ark Royal befehligt,<br />

Großbritanniens letzten richtigen Flugzeugträger. »Wissen Sie genau,<br />

von welchen Stützpunkten der Iwan seine Backfire starten<br />

läßt?«<br />

491


»Ja, es sind vier Flugplätze bei Kirowsk. Ich nehme an, dass Ihnen<br />

Satellitenbilder vorliegen, Sir.«<br />

»Hier.« Beattie reichte ihm einen Hefter. Das Ganze kam Toland<br />

unwirklich vor. Vier-Sterne-Admirale berieten sich normalerweise<br />

nicht so lässig mit einem frischgebackenen Commander - es sei<br />

denn, sie hatten nichts Besseres zu tun. Und Beattie war ein vielbeschäftigter<br />

Mann. Bob schlug die Akte auf.<br />

»Ah.« Er sah einen Satz Bilder von Umbosero, dem Flugfeld<br />

östlich von Kirowsk, das während des Satellitendurchgangs von<br />

den Russen eingenebelt worden war. Leuchtfeuer stifteten <strong>im</strong> Infrarotbereich<br />

zusätzliche Verwirrung. »Nun, da hätten wir Bunker<br />

und drei Maschinen. Wurde die Aufnahme gemacht, als die Backfire<br />

<strong>im</strong> Einsatz waren?«<br />

»Korrekt. Der Verband startete drei Stunden vor dem Satellitendurchgang.«<br />

»Und Tanklaster. Werden die Maschinen sofort nach der Landung<br />

aufgetankt?«<br />

»Offenbar, und ehe sie in die Bunker kommen.«<br />

Toland nickte. »Wäre eine vorzügliche Gelegenheit, sie am Boden<br />

zu erwischen - aber uns fehlen Maschinen mit der entsprechenden<br />

Reichweite. B-52 schafften das, doch die würden massakriert.<br />

Diese Lektion haben wir über Island gelernt.«<br />

»Ein Tomcat könnte die Russen aber praktisch bis nach Hause<br />

verfolgen und genau feststellen, wann sie landen?« hakte Sir<br />

Charles nach.<br />

Toland sah sich die Karte an. Die Backfire kehrten dreißig Minuten<br />

vor der Landung auf ihrem Stützpunkt wieder in den russischen<br />

Jägerschutzbereich zurück. »Das ließe sich bis auf plusminus fünfzehn<br />

Minuten sagen. Fragt sich nur, wie lange es dauert, einen<br />

Backfire in der Luft aufzutanken.«<br />

»Commander, ich werde Sie über eine bisher noch gehe<strong>im</strong>e Operation<br />

namens Doolittle informieren lassen. Kommen Sie in einer<br />

Stunde zurück. Ich will sehen, ob Sie Vorschläge zur Verbesserung<br />

des operativen Grundkonzepts haben.«<br />

492


USS Reuben James<br />

Sie lagen <strong>im</strong> Hafen von New York. O'Malley arbeitete in der Messe<br />

an seiner Meldung über die Versenkung des sowjetischen U-Bootes,<br />

als das Unterwassertelefon ging. Er schaute in die Runde und stellte<br />

fest, dass er der einzige anwesende Offizier war. Also musste er an<br />

den Apparat gehen.<br />

"Messe, Lieutenant Commander O'Malley.«<br />

"Hier Battleaxe. Kann ich Ihren Kommandanten sprechen?«<br />

»Er schläft gerade. Kann ich Ihnen behilflich sein, oder ist die<br />

Sache zu wichtig?«<br />

»Unser Kommandant möchte ihn gerne zum Abendessen einladen,<br />

falls er nicht zu beschäftigt ist-in einer halben Stunde. Ihr Erster<br />

Offizier und Ihr Hubschrauberpilot sind ebenfalls willkommen.«<br />

O'Malley lachte. »Der IO hat Landurlaub, aber der Pilot - das<br />

bin ich - wäre verfügbar, vorausgesetzt, dass auf den Schiffen Ihrer<br />

Majestät noch Alkohol ausgeschenkt wird.«<br />

"Keine Sorge, Commander.«<br />

»Gut, dann gehe ich den Kommandanten wecken und melde<br />

mich in fünfzehn Minuten wieder.« O'Malley legte auf und ging zur<br />

Tür, wo er mit Willy zusammenstieß.<br />

»Verzeihung, Sir. Die Ladeübung an den Torpedorohren?«<br />

»Schon recht, ich bin sowieso gerade unterwegs zum Kommandanten.«<br />

Willy hatte geklagt, bei der letzten Übung sei es zu langsam<br />

gegangen. Er gab dem Deckoffizier seinen Bericht. »Bitte lassen<br />

Sie das <strong>im</strong> Büro abtippen.«<br />

Die Tür zu Morris' Kammer war geschlossen, aber die Leuchte<br />

»Nicht stören« brannte nicht. Er klopfte an und trat ein.<br />

»Seht ihr ihn denn nicht?!« stieß Morris hervor. Er lag auf dem<br />

Rücken und hatte die Fäuste geballt. Sein Gesicht war schweißbedeckt,<br />

und er atmete schwer.<br />

»Mein Gott!« O'Malley zögerte. Er kannte den Mann ja kaum.<br />

»Paßt auf!" rief Morris nun so laut, dass O'Malley befürchtete,<br />

man könnte ihn draußen <strong>im</strong> Durchgang hören und glauben, der<br />

Kommandant sei nicht ganz bei Trost - er musste etwas tun.<br />

»Wachen Sie auf, Sir!« O'Malley packte Morris an der Schulter<br />

und zog ihn hoch.<br />

»Seht ihr ihn denn nicht?« schrie Morris <strong>im</strong> Halbschlaf.<br />

»Immer mit der Ruhe. Wir liegen <strong>im</strong> Hafen von New York. Sie<br />

493


sind in Sicherheit, und dem Schiff kann nichts passieren. Wachen<br />

Sie auf, Sir. Es ist alles in Ordnung.« Morris blinzelte und erkannte<br />

dann O'Malleys Gesicht.<br />

»Was haben Sie hier verloren?«<br />

»Gut, dass ich kam. Alles in Ordnung?« Der Pilot zündete eine<br />

Zigarette an und gab sie dem Kommandanten.<br />

Morris lehnte ab und stand auf, ging ans Waschbecken und holte<br />

ein Glas Wasser. "Ach, nur ein dummer Traum. Was wollen Sie?«<br />

»Wir sind nebenan zum Abendessen eingeladen worden - in<br />

einer halben Stunde. Ist wohl unsere Belohnung, weil wir ihnen das<br />

Victor serviert haben. Außerdem wollte ich Sie bitten, die Deckbesatzung<br />

Torpedoladen üben zu lassen.«<br />

»Wann soll die Übung beginnen?«<br />

»Sobald es dunkel ist. Es ist besser, wenn sie unter ungünstigen<br />

Bedingungen lernen.«<br />

»Gut. Abendessen in einer halben Stunde?«<br />

»Jawohl, Sir. Angenehm, dass es zur Abwechslung mal was Alkoholisches<br />

gibt.«<br />

Morris lächelte, schien aber wenig begeistert zu sein. »Na ja...<br />

So, ich wasche mich jetzt. Treffen wir uns in der Messe. Ist das eine<br />

formelle Angelegenheit?«<br />

»Davon haben sie nichts gesagt. Ich wollte mich eigentlich nicht<br />

umziehen, wenn Sie das nicht stört, Sir.« O'Malley trug seine<br />

Fliegerkombination. Ohne die vielen Taschen kam er offenbar<br />

nicht aus.<br />

»In zwanzig Minuten dann.«<br />

O'Malley ging in seine Kajüte und fuhr mit einem Lappen über<br />

seine Stiefel. Seine Kombination war neu, und er fand, dass er in ihr<br />

fein genug aussah. Morris machte ihm Sorgen. Hoffentlich brach er<br />

nicht zusammen - schl<strong>im</strong>m, wenn so etwas dem Kommandanten<br />

passierte. Andererseits, dachte O'Malley, ist Morris ein guter, ruhiger<br />

Mann.<br />

Als sie sich trafen, sah der Kommandant besser aus. Die Dusche<br />

hatte Wunder gewirkt. Sein Haar war zurückgekämmt, seine Khakiuniform<br />

gebügelt. Die beiden Offiziere traten hinaus aufs Hubschrauberdeck<br />

und gingen dann an Land.<br />

HMS Battleaxe wirkte größer als die amerikanische Fregatte. In<br />

Wirklichkeit war sie knapp vier Meter kürzer, aber auch siebenhundert<br />

Tonnen schwerer. Die Battleaxe war unbestreitbar an­<br />

494


sehnlicher als ihr amerikanisches Gegenstück. Die nicht gerade<br />

aufregenden Linien ihres Rumpfes wurden von Aufbauten, die<br />

aussahen, als gehörten sie auf ein Schiff und nicht auf einen Parkplatz,<br />

mehr als ausgeglichen.<br />

Zu Morris' Erleichterung war der Abend nicht formell. Ein sehr<br />

junger Midshipman empfing sie an der Gangway und führte sie an<br />

Bord. Der Kommandant sei gerade am Funkgerät, erklärte er. Nachdem<br />

der Flaggoffizier und der Diensthabende salutiert hatten, wie es<br />

sich gehörte, führte der Midshipman sie in die kl<strong>im</strong>atisierte Messe.<br />

»Sieh mal einer an! Ein Klavier!« rief O'Malley aus. Ein etwas<br />

mitgenommen wirkendes Instrument war mit zwei starken Leinen<br />

ans Backbordschott gezurrt. Mehrere Offiziere erhoben sich und<br />

stellten sich vor.<br />

»Drinks, Gentlemen?« fragte ein Steward. O'Malley holte sich<br />

eine Dose Bier, setzte sich ans Klavier und hämmerte Ragt<strong>im</strong>es von<br />

Scott Joplin herunter. Eine Tür ging auf.<br />

»Jerry!« rief ein Mann mit vier Streifen auf den Schulternstükken.<br />

»Doug!« O'Malley sprang auf und gab dem Offizier die Hand.<br />

»Na, wie geht's?«<br />

»Hab ich's doch gewußt - das war Ihre St<strong>im</strong>me über Funk. Klar,<br />

der >Hammer


führte sie nach achtern und ließ sich ein Glas geben. »Großartige<br />

Leistung, die Versenkung des Victor gestern! Wie ich hörte, leisteten<br />

Sie auch auf Ihrem alten Schiff gute Arbeit.«<br />

»Wir versenkten ein Charlie und trugen zur Versenkung zweier<br />

weiterer bei.«<br />

»Wir stießen mit unserem letzten Geleitzug zufällig auf ein Echo.<br />

Altes Boot, aber es wurde kompetent gesteuert. Dauerte sechs<br />

Stunden, bis wir es erwischten. Inzwischen brachen zwei alte Dieselboote,<br />

Tangos vermutlich, durch und versenkten fünf Schiffe<br />

und eine Eskorte. Mag sein, dass Diomede eins erwischt hat.«<br />

»Hatte das Echo es auf Sie abgesehen?« fragte Morris.<br />

»Gut möglich«, erwiderte Perrin. »Offenbar n<strong>im</strong>mt sich der<br />

Iwan mit Bedacht Eskorten als Ziel. Bei dem letzten Backfire-<br />

Angriff wurden zwei Raketen auf uns abgeschossen. Eine wurde<br />

von Düppelwolken abgelenkt und detonierte in unserem Kielwasser,<br />

die andere schoß unser Sea Wolf ab. Zu allem Pech riß uns die<br />

Explosion hinter uns das Schleppsonar ab. Nun sind wir nur auf das<br />

System 2016 angewiesen.«<br />

»Und deshalb sollen Sie uns Schützenhilfe geben.«<br />

»So sieht es aus.«<br />

Die Kommandanten begannen zu fachs<strong>im</strong>peln, und das war auch<br />

der Zweck der Einladung gewesen. Während die Tische gedeckt<br />

wurden, unterhielt sich O'Malley mit dem britischen Hubschrauberpiloten<br />

und kl<strong>im</strong>perte dabei. Bei der Royal Navy musste es eine<br />

Direktive geben, die ungefähr so lautete: Wer mit amerikanischen<br />

Marineoffizieren zu tun hat, lädt sie früh ein, füllt sie gut ab und<br />

kommt erst dann zum Geschäft.<br />

Das Essen war erstklassig. O'Malley hörte genau zu, als sein<br />

Kommandant den Verlust der Pharris, die Taktik der Russen und<br />

seine eigenen Fehler bei den Gegenmaßnahmen beschrieb. Es klang,<br />

als spräche jemand vom Tod seines Kindes.<br />

»Unter diesen Umständen hatten Sie wohl keine andere Wahl«,<br />

kommentierte Perrin mitfühlend. »Ein Victor ist ein fähiger Gegner,<br />

und sein Kommandant muss Sie am Ende Ihres Spurts exakt<br />

abgepaßt haben.«<br />

Morris schüttelte den Kopf. »Nein, unser Spurt endete weit von<br />

ihm entfernt, und damit flogen seine Zielkoordinaten aus dem<br />

Fenster. Wenn ich keine Fehler gemacht hätte, lebten meine Männer<br />

noch. Ich war der Kommandant. Es war meine Schuld.«<br />

496


"Wie Sie wissen, war ich selbst U-Boot-Fahrer. Der Kommandant<br />

des Victor war <strong>im</strong> Vorteil, weil er Sie schon eine ganze Weile<br />

erfaßt und verfolgt hatte.« Perrin warf O'Malley einen Blick zu.<br />

Das Essen endete um acht. Die Kommandanten der Eskorten<br />

sollten sich am nächsten Nachmittag treffen. Der Geleitzug lief<br />

dann bei Sonnenuntergang aus. O'Malley und Morris verabschiedeten<br />

sich und schickten sich an, von Bord zu gehen, aber an der<br />

Laufplanke blieb der Pilot stehen. »Wie dumm, ich hab meine<br />

Mütze vergessen. Bin gleich wieder da.«<br />

Er eilte zurück in die Messe und ging zu Captain Perrin. »Doug,<br />

was halten Sie von Morris?«<br />

»In seiner derzeitigen Verfassung gehört er nicht auf See. Tut mir<br />

leid, aber so sehe ich das.«<br />

»Sie haben recht. Aber einen Versuch will ich noch machen.«<br />

O'Malley erstand etwas und kehrte zwei Minuten später zu Morris<br />

zurück.<br />

»Sir, müssen Sie sofort wieder zurück aufs Schiff?« fragte er<br />

leise. »Ich muss etwas mit Ihnen besprechen, aber lieber nicht an<br />

Bord. Eine persönliche Angelegenheit.« Der Flieger sah sehr verlegen<br />

aus.<br />

»Gut, gehen wir ein Stück spazieren«, st<strong>im</strong>mte Morris zu. Die<br />

beiden Offiziere schlenderten nach Osten. O'Malley schaute sich<br />

um und entdeckte eine Hafenkneipe, in die er Morris steuerte.<br />

Von der Barfrau verlangte er nur zwei Gläser. Dann öffnete er<br />

den Reißverschluß der Beintasche seiner Kombination und zog eine<br />

Flasche irischen Whisky heraus.<br />

»Was hier getrunken wird, kommt von uns«, wandte die Barfrau<br />

ein. O'Malley brachte sie mit zwei Zwanzigern zum Schweigen.<br />

»Zwei Gläser und Eis«, sagte er in einem Ton, der verriet, dass er<br />

keine Widerrede duldete. »Und lassen Sie uns in Frieden.« Der<br />

Service war flott.<br />

»Ich habe heute nachmittag einmal in mein Logbuch geschaut«,<br />

begann O'Malley nach einem kräftigen Schluck. »Viertausenddreihundertsechzig<br />

Stunden am Steuerknüppel. Dreihundertelf Stunden<br />

<strong>im</strong> Gefecht.«<br />

»St<strong>im</strong>mt, Sie waren in Vietnam.« Morris trank langsam.<br />

»Am letzten Tag meiner letzten Dienstzeit flog ich einen Rettungseinsatz.<br />

Zwanzig Meilen südlich von Haiphong war der Pilot<br />

eines A-7 abgeschossen worden.« Diese Geschichte hatte er noch<br />

497


nicht einmal seiner Frau erzählt. »Sah etwas aufblitzen, machte<br />

einen Fehler und ignorierte es. Glaubte, dass sich die Sonne in einem<br />

Fenster oder Bach spiegelte, und flog weiter. Wie sich herausstellte,<br />

war es wohl ein Geschützvisier oder ein Fernglas. Eine Minute<br />

später geht um uns herum l00-mm-Flak los, und unser Hubschrauber<br />

fliegt buchstäblich auseinander. Er brennt, ich versuche zu<br />

landen. Blick nach links: mein Kopilot zerrissen, ich habe sein Hirn<br />

<strong>im</strong> Schoß. Hinten saß Ricky, mein Chief. Ich drehe mich um: beide<br />

Beine abgerissen. Er lebte wahrscheinlich noch, aber ich konnte<br />

ihm nicht helfen. Wir setzen auf-und da kommen drei Männer auf<br />

uns zu. Ich haue ab, schlage mich in die Büsche. Ob sie mich gesehen<br />

haben, weiß ich nicht. Wie auch <strong>im</strong>mer, zwölf Stunden später holt<br />

mich ein anderer Hubschrauber raus.« Er goß sich noch einen<br />

Whisky ein und füllte Morris' Glas auf. »Lassen Sie mich doch nicht<br />

allein saufen.«<br />

»Mir reicht's.«<br />

»Unsinn. Und ich bin auch noch nicht voll. Passen Sie auf, über<br />

dieses Erlebnis kam ich erst nach einem Jahr hinweg. Sie aber haben<br />

kein Jahr, sondern nur diesen Abend. Sie müssen über die Sache<br />

reden, Sir. Ich weiß Bescheid. Fühlen Sie sich jetzt miserabel? Warten<br />

Sie nur ab, es wird noch schl<strong>im</strong>mer.«<br />

Er trank noch einen Schluck. Anständiges Gesöff, sagte sich<br />

O'Malley. Dann sah er fünf Minuten lang zu, wie Morris ihm<br />

gegenüber in kleinen Schlucken trank und erwog, zurück auf sein<br />

Schiff zu gehen. Der stolze Kapitän, wie alle Kapitäne zur Einsamkeit<br />

verdammt. Er befürchtet, dass ich recht habe, sann O'Malley.<br />

Er hat Angst, dass es tatsächlich schl<strong>im</strong>mer wird. Du armer Teufel,<br />

wenn du wüßtest...<br />

»Gehen Sie es noch einmal durch, Schritt für Schritt«, riet der<br />

Pilot leise.<br />

»Das haben Sie doch schon getan.«<br />

»Sie müssen das für sich selbst tun. Besser jetzt als <strong>im</strong>mer wieder<br />

<strong>im</strong> Traum.«<br />

Und Morris begann langsam zu reden. O'Malley half ihm, den<br />

Ablauf zu rekonstruieren: Wetter, Kurs und Fahrt des Schiffes,<br />

aktive Sensoren. Eine Stunde später hatten sie drei Viertel der<br />

Flasche getrunken. Endlich kamen sie zu den Torpedos. Morris'<br />

St<strong>im</strong>me begann brüchig zu klingen.<br />

»Und dann konnte ich einfach nichts mehr machen! Das ver­<br />

498


fluchte Ding hielt weiter auf uns zu. Der eine Köder, den wir<br />

draußen hatten, war vom ersten Fisch zerstört worden. Ich versuchte<br />

zu manövrieren, aber -«<br />

»Sie harten es mit einem Torpedo zu tun, der sein Ziel erfaßt<br />

hatte. So einem Fisch kann man nicht davonfahren, und man kann<br />

ihm auch nicht ausweichen.«<br />

»Ich darf aber nicht zulassen, dass -«<br />

»Quatsch!« Der Pilot füllte die Gläser. »Sie sind doch nicht der<br />

erste, der ein Schiff verloren hat. Das ist wie be<strong>im</strong> Sport, Ed. Zwei<br />

Mannschaften, und beide wollen gewinnen. Was sollte der russische<br />

Kommandant denn tun? Da unten in seinem Boot sitzen und<br />

sagen: >Bitte versenken Sie mich?. Was für ein Unsinn.«<br />

»Aber meine Männer -«<br />

»Einige sind tot, der Rest lebt noch. Die Opfer tun mir leid.<br />

Ricky tat mir auch leid. Der Junge war keine neunzehn, als es ihn<br />

erwischte. Ich war an seinem Tod nicht schuld. Sie haben Ihr<br />

Schiff gerettet, es mit dem Großteil der Mannschaft zurückgebracht.«<br />

Morris leerte sein Glas mit einem Zug. Jerry füllte es wieder.<br />

»Ich war, bin verantwortlich. Als ich wieder in Norfolk war,<br />

musste ich die Familien besuchen. Immerhin bin ich der Kommandant.<br />

Ich begegnete einem kleinen Mädchen ... mein Gott, O'Malley,<br />

ich wusste nicht, was ich der Kleinen sagen sollte.« O'Malley sah,<br />

dass Morris nun schluchzte, den Tränen nahe war. Gut, dachte er.<br />

»Ein süßes kleines Mädchen. Was soll man den Kindern sagen?«<br />

Nun, nach zwei Stunden, flössen die Tränen.<br />

»Man sagt dem kleinen Mädchen, sein Vater sei ein tapferer<br />

Mann gewesen und habe sein Bestes getan - genau wie Sie. Mehr<br />

können wir nicht tun, Ed. Sie haben alles richtig gemacht, aber<br />

darauf kommt es jetzt nicht mehr an.« Es kam nicht zum ersten Mal<br />

vor, dass sich ein Mann an O'Malleys Schulter ausweinte. Er selbst<br />

hatte das auch einmal getan.<br />

Morris hatte sich ein paar Minuten später wieder gefaßt, und als<br />

die Flasche leer war, waren die beiden stockbetrunken. O'Malley<br />

half seinem Kommandanten auf und führte ihn zur Tür.<br />

»Was ist denn mit dem los? Verträgt er nichts?« fragte ein<br />

Matrose der Handelsmarine, der allein an der Theke stand. Das<br />

war ein Fehler.<br />

Die lose Fliegerkombination kaschierte O'Malleys kräftigen<br />

499


Körperbau. Den linken Arm hatte er um Morris geschlungen. Mit<br />

der rechten Hand packte er den Matrosen an der Kehle und zerrte<br />

ihn von der Theke. »Hast du sonst noch was über meinen Freund zu<br />

sagen, du Arsch?« O'Malley drückte fester zu.<br />

Die Antwort war ein Flüstern: »Ich hab ja nur gesagt, dass er<br />

nicht viel verträgt.«<br />

Der Flieger ließ ihn los. »Hau ab!«<br />

Es war nicht einfach, Ed Morris zum Schiff zu lotsen - zum einen,<br />

weil O'Malley selbst betrunken war, zum anderen, weil Morris das<br />

Bewußtsein zu verlieren drohte. Vom Kai gesehen sah die Gangway<br />

sehr steil aus.<br />

»Haben Sie Schwierigkeiten?«<br />

»Guten Abend, Master Chief.«<br />

»Guten Abend, Commander. Ist der Kommandant bei Ihnen?«<br />

»Allerdings. Packen Sie mal mit an?«<br />

Gemeinsam schafften sie den Kommandanten an Bord. Das<br />

größte Hindernis war die Leiter zu Morris' Kammer. Für diese<br />

Operation wurde ein weiterer Matrose zur Hilfe gerufen.<br />

»Donnerwetter«, meinte der junge Mann. »Der Alte hat ja ganz<br />

schön einen in der Krone.«<br />

»So kann sich nur ein echter Seebär besaufen«, st<strong>im</strong>mte der<br />

Master Chief zu. Zu dritt bugsierten sie Morris die Leiter hoch, und<br />

oben legte O'Malley ihn in seine Koje. Der Kommandant schlief<br />

fest. O'Malley konnte nur hoffen, dass er von nun an von seinen<br />

bösen Träumen verschont blieb.<br />

Northwood, England<br />

»Nun, Commander?«<br />

»Jawohl, Sir, ich glaube, das klappt. Wie ich sehe, sind unsere<br />

Einheiten praktisch an Ort und Stelle.«<br />

»Die Erfolgschancen des ursprünglichen Plans waren geringer.<br />

Er würde sie zwar aufgeschreckt haben, aber mit Hilfe dieser Methode<br />

könnte es uns gelingen, ihren Bombern schwere Verluste<br />

zuzufügen.«<br />

Toland schaute hoch auf die Karte. »Der richtige Zeitpunkt ist<br />

noch eine trickreiche Angelegenheit, aber auch nicht kniffliger als<br />

bei dem Angriff auf die Tanker. Mir gefällt der Plan, Sir. Er würde<br />

500


in der Tat einige Probleme lösen. Wie sieht es bei den Geleitzügen<br />

aus?»<br />

»In New York sind achtzig Schiffe versammelt, die in vierundzwanzig<br />

Stunden auslauten sollen. Starker Geleitschutz, Träger zur<br />

Unterstützung, sogar ein neuer Aegis-Kreuzer. Und der nächste<br />

Schritt wäre natürlich - Beattie sprach weiter.<br />

»Jawohl, Sir. Und Doolittle ist der Schlüssel dazu.«<br />

»Genau. Fliegen Sie zurück nach Stornoway. Wir halten Sie über<br />

alle Entwicklungen auf dem laufenden. Vergessen Sie nicht, dass<br />

diese Informationen nur für direkt Beteiligte best<strong>im</strong>mt sind.«<br />

501


USS Reuben James<br />

34<br />

Fühler<br />

Der Wecker ging um sieben Uhr, viel zu früh für Jerry O'Malley. Er<br />

hatte die untere Koje in dieser Zweierkammer - sein Kopilot schlief<br />

oben - und seine erste bewusste Handlung war, drei Aspirin zu<br />

nehmen und sich dann wieder hinzulegen. Sein Schädel brummte.<br />

Als die Tabletten zu wirken begannen, ging er duschen, erst kalt<br />

und dann warm. Nun hatte er einen einigermaßen klaren Kopf.<br />

Die Messe war voll, aber still. Die Offiziere saßen in Altersgruppen<br />

beinander und unterhielten sich flüsternd. Die Jüngeren hatten<br />

noch keine Gefechtserfahrung, und ihr anfängliches Draufgängertum<br />

war einer nüchternen Einschätzung ihrer Aufgabe gewichen.<br />

Schiffe waren versenkt worden. Kameraden lebten nicht mehr. Für<br />

diese jungen Männer war die Furcht eine Unbekannte und viel<br />

bedrohlicher als die technischen Aspekte des Gefechts. Er sah Fragen<br />

in ihren Gesichtern, die nur die Zeit beantworten konnte. Sie<br />

mussten lernen, die Ungewißheit zu ertragen. O'Malley war gefechtserfahren.<br />

Diese jungen Kerls würden Angst haben und versuchen,<br />

sie zu überwinden, so gut sie konnten. Sinnlos, sich jetzt<br />

darüber zu verbreiten.<br />

»Guten Morgen, IO!«<br />

»Morgen, Jerry. Ich wollte gerade zum Kommandanten.«<br />

»Der hat Schlaf nötig.« Der Pilot hatte Morris' Wecker abgestellt.<br />

Frank Ernst verstand O'Malleys Wink. »Na gut, vor elf brauchen<br />

wir ihn ja nicht.«<br />

»Ich wusste ja, dass Sie ein guter Erster sind, Frank.«<br />

»Ich habe gestern abend die Übung an den Torpedos überwacht.<br />

Die Männer unterboten den Rekord um eine Minute - <strong>im</strong> dunkeln.«<br />

»Nicht übel«, lobte O'Malley. »Wann ist die Einsatzbesprechung?«<br />

502


»Um vierzehn Uhr. Es nehmen Befehlshabende, Erste Offiziere<br />

und ausgewähltes anderes Personal teil. Und Sie best<strong>im</strong>mt auch.«<br />

»Richtig.«<br />

Ernst senkte die St<strong>im</strong>me. »Ist der Kommandant auch best<strong>im</strong>mt<br />

gesund?« Auf einem Schiff gibt es keine Gehe<strong>im</strong>nisse.<br />

»Seit dieser Zirkus losging, war er <strong>im</strong> Gefechtsdienst. Er musste<br />

sich mal richtig einen ansaufen - das ist eine uralte seemännische<br />

Tradition«, erwiderte O'Malley und fuhr lauter fort: »Ein Jammer<br />

nur, dass diese Knaben hier zu grün zum Mitmachen sind. Hat<br />

vielleicht jemand eine Zeitung besorgt? Die Mannschaften der<br />

Football-Liga gehen ins Trainingslager, und es ist keine Zeitung an<br />

Bord? Saustall!«<br />

»Echt, so einen Dinosaurier hab ich noch nie erlebt«, merkte ein<br />

junger Ingenieur sotto voce an.<br />

»Sie werden sich an ihn gewöhnen«, tröstete Ensign Ralston.<br />

Island<br />

Zwei Tage Rast konnten sie alle gebrauchen. Sergeant Nichols<br />

konnte wieder fast normal auftreten, und die Amerikaner, die<br />

keinen Fisch mehr sehen mochten, stopften sich mit von den Royal<br />

Marines mitgebrachten Extrarationen voll.<br />

Edwards suchte erneut den Horizont ab. Es war schwer, ja<br />

unmöglich, nicht hinzuschauen. Und der Gipfel war, dass Vigdis das<br />

noch komisch fand. Die englischen Soldaten hatten unter anderem<br />

Seife mitgebracht, und ein rund eine Meile von ihrem Berglager<br />

entfernter winziger See war zum Badeplatz erklärt worden. Da sich<br />

<strong>im</strong> feindlichen Land niemand allein so weit von den anderen entfernte,<br />

war es selbstverständlich dem Lieutnant zugefallen, auf<br />

Vigdis aufzupassen. Sie mit geladenem Gewehr be<strong>im</strong> Baden zu<br />

bewachen, kam ihm aber absurd vor. Wie er feststellte, waren ihre<br />

Blutergüsse fast verheilt.<br />

»Fertig, Michael.« Handtücher gab es keine, aber man roch<br />

wenigstens wieder menschlich. Sie kam mit feuchtem Haar auf ihn<br />

zu und lächelte schalkhaft. »War das peinlich? Tut mir leid.«<br />

»Dafür können Sie nichts.«<br />

»Ich werde dick.« Edwards konnte kaum etwas sehen, aber es<br />

war schließlich nicht seine Figur, die sich veränderte.<br />

503


»Ich finde, dass Sie gut aussehen. Verzeihung, ich hätte nicht<br />

gucken dürfen.«<br />

»Was ist da so schl<strong>im</strong>m?«<br />

Edwards rang um Worte. »Tja, nach dem, was Ihnen passiert ist,<br />

wollen Sie wohl kaum von Fremden angestarrt werden, wenn Sie,<br />

na ja, nichts anhaben.«<br />

»Michael, Sie sind anders als dieser Mann. Sie würden mir niemals<br />

etwas tun. Selbst nach dem, was er mit mir gemacht hat,<br />

finden Sie mich noch hübsch - obwohl ich dick werde.«<br />

»Vigdis, ob schwanger oder nicht, für mich sind Sie das hübscheste<br />

Mädchen, das ich je gesehen habe. Sie sind stark und tapfer.«<br />

Außerdem glaube ich, dass ich dich liebe, dachte er, traute sich aber<br />

nicht, das zu sagen. »Wir sind uns eben nur unter ungünstigen<br />

Umständen begegnet.«<br />

»Für mich war unsere Begegnung ein Glück. Sie haben mir das<br />

Leben gerettet.« Sie griff nach seiner Hand und lächelte. »Und<br />

Sergeant Smith hat mir verraten, dass Sie eigentlich den Befehl<br />

hatten, sich von Russen fernzuhalten. Sie haben also nur meinetwegen<br />

eingegriffen, obwohl Sie mich überhaupt nicht kannten.«<br />

»Ich tat, was ich tun musste.« Nun hatte er ihre beiden Hände<br />

ergriffen. Was soll ich jetzt sagen? fragte er sich. Plötzlich fühlte<br />

sich Edwards wieder so unbeholfen und linkisch wie als Sechzehnjähriger.<br />

»Vigdis, ich weiß nicht, wie ich das sagen soll - ach, reden<br />

kann ich überhaupt nicht gut. Ich beschäftige mich mit Wetterkarten<br />

und spiele mit Computern. Gewöhnlich habe ich erst nach ein<br />

paar Bier den Mut -«<br />

»Ich weiß, dass du mich liebhast, Michael.« Ihre Augen funkelten,<br />

als sie das Gehe<strong>im</strong>nis verriet.<br />

»Hm, st<strong>im</strong>mt.«<br />

Sie reichte ihm die Seife. »So, jetzt bist du dran. Und ich will<br />

versuchen, nicht zu oft hinzugucken.«<br />

Fölziehausen, BRD<br />

Major Sergetow händigte seine Unterlagen aus. Die Leine war an<br />

einer zweiten Stelle überquert worden - bei Gronau, fünfzehn<br />

Kilometer nördlich von Alfeld-, und nun nahmen sechs Divisionen<br />

an dem Vorstoß auf Hameln teil. Weitere versuchten, die Lücke zu<br />

verbreitern. Dennoch wollte die Offensive nicht so recht vorankommen.<br />

Auf den wenigen Vormarschstraßen in diesem Teil<br />

504


Deutschlands hatten die Verstärkungskolonnen schwer unter Artillerie-<br />

und Luftangriffen zu leiden, ehe sie in der Kampfzone eingesetzt<br />

werden konnten.<br />

Was mit dem Versuch dreier Mot-Schützendivisionen, eine Bresche<br />

für eine Panzerdivision zu schlagen, begonnen hatte, war nun<br />

zum operativen Schwerpunkt für zwei komplette sowjetische Armeen<br />

geworden. Ursprünglich war man gegen zwei dez<strong>im</strong>ierte<br />

deutsche Brigaden vorgegangen; jetzt hatte man es mit einem Sammelsurium<br />

von Einheiten aus praktisch allen Mitgliedstaaten der<br />

Nato zu tun. Alexejew grämte sich um vertane Chancen. Wenn<br />

seine Raketenwerfer die Leinebrücke nun nicht zerstört hätten?<br />

Hätte er dann die Weser, wie er damals glaubte, in einem Tag<br />

erreichen können? Vergangen, vorbei, dachte Pascha und sah sich<br />

die Informationen über die Verfügbarkeit von Treibstoff an.<br />

»Nur für einen Monat?«<br />

»Be<strong>im</strong> gegenwärtigen Tempo der Operationen, ja«, erwiderte<br />

Sergetow gr<strong>im</strong>mig. »Und selbst hierzu mussten wir schon praktisch<br />

die ganze Wirtschaft lahmlegen. Mein Vater läßt fragen, ob wir den<br />

Treibstoffverbrauch an der Front reduzieren könnten -«<br />

»Aber sicher!« explodierte der General. »Wir können den Krieg<br />

verlieren, bloß damit er seinen kostbaren Sprit spart!«<br />

»Genosse General, Sie haben mich um akkurate Informationen<br />

gebeten. Die habe ich mitgebracht. Mein Vater konnte mir auch<br />

dies hier geben.« Der jüngere Mann nahm einen zehnseitigen Lagebericht<br />

des KGB aus der Tasche, der laut Aufdruck nur für das<br />

Politbüro best<strong>im</strong>mt war. »Hochinteressante Lektüre. Mein Vater<br />

möchte auf das Risiko hinweisen, das er mit der Weitergabe an Sie<br />

eingeht.«<br />

Der General war ein schneller Leser und neigte <strong>im</strong> allgemeinen<br />

nicht zu Gefühlsausbrüchen. Die Bundesregierung hatte direkten<br />

Kontakt mit der Sowjetunion über die Botschaften, die beide Länder<br />

in Indien unterhielten, aufgenommen und die Möglichkeit von<br />

Friedensverhandlungen sondiert. Laut Einschätzung des KGB reflektierte<br />

das Ersuchen die politische Zersplitterung der Nato, möglicherweise<br />

sogar ernste Versorgungsschwierigkeiten jenseits der<br />

Kampflinie. Es folgten zwei Seiten mit graphischen Darstellungen<br />

und Auflistungen der Verluste, die der Nato angeblich zugefügt<br />

505


worden waren. Das KGB berechnete den Munitionsvorrat der<br />

Nato trotz allen Nachschubs über den Atlantik auf nur noch zwei<br />

Wochen. Es war keiner Seite gelungen, ihre Streitkräfte mit genug<br />

Munition und Treibstoff zu versorgen.<br />

»Die Information über die Deutschen hält mein Vater für besonders<br />

signifikant.«<br />

»Potentiell schon-, erwiderte Alexejew vorsichtig. »Solange ihre<br />

politische Führung sich um eine akzeptable Lösung bemüht, werden<br />

sie weiterkämpfen, doch wenn wir ihnen ein annehmbares<br />

Angebot machen und die Deutschen somit aus der Nato herausbrechen,<br />

haben wir unser Ziel erreicht und können dann in Ruhe den<br />

Persischen Golf erobern. Welches Angebot haben wir den Deutschen<br />

gemacht?«<br />

»Es ist noch keine Entscheidung getroffen worden. Vorgeschlagen<br />

wurde ein Rückzug auf die Vorkriegsstellungen und anschließende<br />

Friedensverhandlungen unter internationaler Aufsicht. Der<br />

Austritt der Deutschen aus der Nato hängt von den Bedingungen<br />

des endgültigen Friedensvertrages ab.«<br />

»Unakzeptabel. Davon haben wir nichts. Ich frage mich, weshalb<br />

sie überhaupt verhandeln.«<br />

»In der Bundesregierung herrscht offenbar Aufruhr wegen der<br />

Auswirkungen des Krieges auf Zivilisten und Wirtschaft.«<br />

»Aha.« An der bundesdeutschen Wirtschaft war Alexejew nicht<br />

<strong>im</strong> geringsten interessiert, die deutsche Regierung aber sah mit an,<br />

wie die Arbeit zweier Generationen von den Sowjets zerstört<br />

wurde. »Aber warum haben wir davon nichts erfahren?«<br />

»Das Politbüro meint, die Nachricht von möglichen Friedensverhandlungen<br />

könnte uns davon abhalten, weiterhin Druck auf die<br />

Deutschen auszuüben.«<br />

»Schwachköpfe! So etwas zeigt uns doch nur, wo wir angreifen<br />

müssen!«<br />

»Das sagt mein Vater auch. Er möchte Ihre Meinung zu diesem<br />

Komplex hören.«<br />

»Sagen Sie dem Minister, ich sähe nicht den geringsten Hinweis<br />

auf eine Minderung der Kampfentschlossenheit der Nato. Besonders<br />

bei den Deutschen ist die Moral noch sehr gut. Sie leisten<br />

überall Widerstand.«<br />

»Mag sein, dass die Bundesregierung das Verhandlungsangebot<br />

ohne Wissen der militärischen Führung unterbreitet hat. Wenn sie<br />

506


schon ihre Alliierten hinters Licht führt, warum dann nicht auch ihr<br />

Oberkommando?« gab Sergetow zu bedenken. Schließlich hielt<br />

man das in der Sowjetunion auch so.<br />

»Nur eine Möglichkeit, Iwan Michailowitsch. Es gibt noch eine<br />

andere.« Alexejew wandte sich wieder den Unterlagen zu. »Das<br />

Ganze hier ist ein Schwindel.«<br />

New York<br />

Das Briefing wurde von einem Captain abgehalten. Während er<br />

sprach, blätterten die Kapitäne des Geleits und ihre hohen Offiziere<br />

brav wie Schüler in ihren Unterlagen.<br />

»Hier werden entlang der Bedrohungsachse Sonar-Vorposten<br />

stationiert.« Der Captain fuhr mit dem Zeigestock über die graphische<br />

Darstellung. Die Fregatten Reuben James und Battleaxc<br />

sollten rund dreißig Meilen vom Rest des Konvois fahren,<br />

also außerhalb des SAM-Schutzes von anderen Schiffen. Sie waren<br />

zwar mit Boden-Luft-Raketen ausgerüstet, aber ganz auf sich<br />

allein gestellt.<br />

»Für den größten Teil der Überfahrt können wir mit SURTASS-<br />

Unterstützung rechnen. Diese Schiffe gruppieren sich <strong>im</strong> Augenblick<br />

um. Wir haben sowjetische U-Boot- und Luftangriffe zu erwarten.<br />

Zur Abwehr der Bedrohung aus der Luft unterstützen die<br />

Träger Independence und America den Geleitzug. Es fährt auch,<br />

wie Ihnen wohl aufgefallen ist, der neue Aegis-Kreuzer Bunker Hill<br />

mit. Darüber hinaus wird die Air Force morgen um zwölf Uhr Zulu-<br />

Zeit den russischen Seeüberwachungssatelliten ausschalten.«<br />

»Ausgezeichnet!« bemerkte ein Zerstörerkommandant.<br />

»Gentlemen, wir liefern zwei Millionen Tonnen Ausrüstung und<br />

eine komplette Panzerdivision aus Reserve- und Nationalgardeeinheiten<br />

ab. Das reicht aus, um die Nato für drei Wochen in Aktion zu<br />

halten. Dieser Geleitzug wird durchkommen. Hat noch jemand<br />

Fragen? Nein? Dann viel Glück.«<br />

Der Raum leerte sich. Die Offiziere gingen an den bewaffneten<br />

Wachtposten vorbei hinaus auf die sonnenhelle Straße.<br />

»Jerry?« sagte Morris leise.<br />

»Ja, Sir?« O'Malley setzte seine Sonnenbrille auf.<br />

»Was gestern abend betrifft -«<br />

507


»Sir, wir tranken beide einen über den Durst, und ich kann mich<br />

kaum an etwas erinnern. Haben Sie gut geschlafen?«<br />

»Ja, fast zwölf Stunden. Mein Wecker ging nicht.«<br />

»Vielleicht sollten Sie sich einen neuen kaufen.« Sie schlenderten<br />

an der Bar vorbei, die sie am Vorabend besucht hatten. Der Kommandant<br />

und der Flieger tauschten einen Blick und lachten laut los.<br />

»Noch einmal in die Bresche, teure Freunde!« Doug Perrin gesellte<br />

sich zu ihnen. »Halten Sie uns bloß den Iwan vom Leib,<br />

Jerry.«<br />

»Allerdings«, merkte Morris an. »Es wird sich weisen, ob er nur<br />

große Reden schwingen kann.«<br />

»Was für ein fieser Verein«, versetzte O'Malley zornig. »Verdammt,<br />

ich fliege ganz allein da oben rum, serviere Doug ein<br />

U-Boot auf dem silbernen Tablett, und was ist der Dank?«<br />

»Sehen Sie, das ist das Problem mit den Fliegern. Wenn man<br />

ihnen nicht alle fünf Minuten sagt, was sie für Kanonen sind,<br />

schmollen sie«, meinte Morris und lachte. Gestern noch war er<br />

be<strong>im</strong> Abendessen einsilbig und depr<strong>im</strong>iert gewesen. Heute war er<br />

ein neuer Mann. »Brauchen Sie etwas von uns, Doug?«<br />

»Wir könnten ja Proviant tauschen.«<br />

»Kein Problem. Schicken Sie Ihren Proviantmeister rüber.« Morris<br />

schaute auf die Uhr. »Wir laufen erst in drei Stunden aus. Setzen<br />

wir uns zusammen und besprechen ein paar Dinge. Mir ist eingefallen,<br />

wie man die Backfire austricksen könnte. Das sollten wir<br />

einmal versuchen.«<br />

Drei Stunden später bugsierten zwei Hafenschlepper die Fregatten<br />

vom Kai. Die Reuben James wurde von ihren Turbinen mit sechs<br />

Knoten durchs verschmutzte Wasser getrieben. O'Malley hielt vom<br />

rechten Sitz seines Hubschraubers Ausschau für den Fall, dass ein<br />

russisches U-Boot vorm Hafen lauerte, obwohl das Gebiet von vier<br />

Orion energisch gesäubert wurde. Das von ihnen vor zwei Tagen<br />

versenkte Victor hatte vermutlich den Auftrag gehabt, den Geleitzug<br />

zu verfolgen und Meldung zu machen; einmal, um einen Backnre-Angriff<br />

einzuweisen, zum anderen, um dann selbst Angriffe zu<br />

fahren. Der Verfolger war nun erledigt, aber das bedeutete noch<br />

nicht, dass der Konvoi ein Gehe<strong>im</strong>nis war. Best<strong>im</strong>mt stand in der<br />

Millionenstadt New York jemand mit dem Fernglas am Fenster<br />

und hielt Schiffstypen und -nummern fest. Nur ein diskreter Anruf,<br />

508


und wenige Stunden später waren die Daten in Moskau. Andere<br />

U-Boote würden nun auf den vermuteten Kurs des Geleitzugs zuhalten,<br />

und sobald er den Bereich der landgestützten Luftdeckung<br />

verlassen hatte, würden sowjetische Aufklärer nach ihm suchen,<br />

gefolgt von mit Raketen bewaffneten Backfire-Bombern.<br />

Eine Menge Schiffe, dachte O'Malley. Sie glitten an einer Reihe<br />

von Ro-Ro-Schiffen zum Transport von Panzern, anderen Kampffahrzeugen<br />

und den Männern einer ganzen Division vorbei. Auf<br />

anderen stapelten sich Container, die sofort auf Lkw verladen und<br />

an die Front gebracht werden konnten. Ihr Inhalt war in Computern<br />

gespeichert, damit sichergestellt war, dass sie rasch den richtigen<br />

Best<strong>im</strong>mungsort erreichten. O'Malley dachte an die Nachrichten<br />

und Filme von den Kämpfen in Deutschland. Darum ging es<br />

hier: Die Navy hatte den Auftrag, die Seewege freizuhalten und<br />

abzuliefern, was die Truppen in Deutschland brauchten.<br />

»Wie fährt sie?« fragte Calloway.<br />

»Nicht übel«, antwortete Morris dem Reporter. »Sie ist mit<br />

Stabilisatoren ausgerüstet und schlingert daher kaum. Wenn Sie<br />

seekrank werden, lassen Sie sich vom Arzt etwas geben.«<br />

»Ich will versuchen, Ihnen nicht <strong>im</strong> Wege zu sein.«<br />

Morris nickte dem Mann von Reuter freundlich zu.<br />

»Ihr Admiral meinte, Sie seien einer seiner besten Kommandanten.«<br />

»Das wird sich zeigen«, meinte Morris.<br />

509


USS Reuben James<br />

25<br />

Im Visier: die Zeit<br />

Während der beiden ersten Tage ging es glatt. Zuerst liefen die<br />

Eskorten aus und suchten die seichten Küstengewässer mit Aktivsonar<br />

nach U-Booten ab. Dann folgten die Frachter, formierten sich<br />

langsam zu acht Zehnerkolonnen. Der mit zwölf Knoten fahrende<br />

Konvoi hatte es eilig. Unter dem massiven Schutz landgestützter<br />

Jäger lief er während der ersten achtundvierzig Stunden auf dem<br />

Weg an Neuengland, Ostkanada, Säble Island und den Grand<br />

Banks entlang ziemlich gradlinig. Diese leichte Etappe lag nun<br />

hinter ihnen. Sie verließen das Küstengewässer und fuhren in den<br />

Atlantik ein: unbekanntes Territorium.<br />

»Und meine Berichte...«, sagte Calloway zu Morris.<br />

»Sie können zwe<strong>im</strong>al am Tag meinen Satellitensender benutzen,<br />

solange Sie dabei den dienstlichen Funkverkehr nicht stören. Ist<br />

Ihnen klar, dass Ihre Meldungen in Norfolk notfalls auf sensitive<br />

Informationen hin geprüft werden?«<br />

»Gewiß, Sir, und es ist auch nicht meine Absicht, etwas zu<br />

veröffentlichen, das Ihr Schiff gefährden könnte. Ich hatte dieses<br />

Jahr in Moskau schon Aufregung genug.«<br />

»Wie bitte?« Morris setzte das Fernglas ab und drehte sich um.<br />

- Calloway berichtete, was er <strong>im</strong> Frühjahr erlebt hatte.<br />

»Patrick Flynn, mein Kollege vom AP, fährt auf Battleaxe mit«,<br />

schloß er.<br />

»Sie waren also vor Ort, als sich die Krise zusammenbraute.<br />

Haben Sie eine Ahnung, warum der Krieg eigentlich angezettelt<br />

wurde?«<br />

Calloway schüttelte den Kopf. »Wenn ich das wüßte, Sir, hätte<br />

ich die Story schon längst veröffentlicht.«<br />

Auf der Brücke erschien ein Bote mit Meldungen. Morris las sie<br />

und zeichnete sie ab.<br />

510


»Etwas Dramatisches?« fragte Calloway hoffnungsvoll.<br />

»Die neuesten Wettervorhersagen und etwas über einen russischen<br />

Spähsatelliten, der uns in drei Stunden überfliegen soll. Die<br />

Air Force will versuchen, ihn vorher abzuschießen. Nichts Weltbewegendes.<br />

Fühlen Sie sich wohl an Bord? Irgendwelche Probleme?«<br />

»Nein, Sir. Nichts ist angenehmer als eine Seefahrt.«<br />

»Wohl wahr.« Morris steckte den Kopf ins Ruderhaus und rief:<br />

»Luftalarm!« Dann führte er den Reporter in die Gefechtszentrale<br />

und erklärte, mit der Übung solle sichergestellt werden, dass die<br />

Männer auch <strong>im</strong> Dunkeln jeden Griff beherrschen.<br />

»Enthielt eine dieser Meldungen eine Warnung?«<br />

»Nein, aber in sechs Stunden verlassen wir den Schutzschirm der<br />

landgestützen Jäger. Das bedeutet, dass der Iwan anfängt, nach uns<br />

zu suchen.« Morris ließ seine Männer eine Stunde lang üben. Die<br />

Crew der Gefechtszentrale s<strong>im</strong>ulierte am Computer zwei Angriffe.<br />

Be<strong>im</strong> zweiten durchbrach eine feindliche Rakete den Verteidigungsgürtel.<br />

Luftstützpunkt Langley, Virginia<br />

Der F-15 kam vor den Hangars zum Stehen. Schon auf der Leiter<br />

inspizierte Major Nakamura das angesengte Heck ihrer Maschine.<br />

»Nicht so schl<strong>im</strong>m, Major«, versicherte der Sergeant vom Bodenpersonal.<br />

Ein Fragment der explodierenden Rakete hatte ein<br />

Loch von der Größe einer Bierdose in die linke Tragfläche gerissen<br />

und einen Treibstofftank nur knapp verfehlt. »Das krieg ich in zwei<br />

Stunden hin.«<br />

»Sind Sie verletzt?« fragte der Ingenieur von Lockheed.<br />

»Das Ding ging fünfzehn Meter von mir entfernt los, und zwar<br />

tierisch. Sie lagen übrigens schief - die Explosion war ziemlich<br />

spektakulär. Überall Fetzen. Mein Glück, dass ich nur einen abbekam.«<br />

Die Pilotin hatte einen Heidenschrecken bekommen, aber<br />

inzwischen eine Stunde Zeit gehabt, sich von ihm zu erholen. Jetzt<br />

war sie nur noch stinksauer.<br />

»Das tut mir leid, Major.«<br />

»Wir müssen es eben noch mal versuchen«, meinte Buns und<br />

schaute zum H<strong>im</strong>mel. »Wann ist das nächste Fenster?«<br />

»In elf Stunden und sechzehn Minuten.«<br />

511


»Gut.« Sie ging in das Gebäude und in den Aufenthaltsraum für<br />

die Piloten.<br />

Kirowsk, UdSSR<br />

Ungestört zog der Seeaufklärungssatellit weiter seine Bahn und<br />

schaute be<strong>im</strong> nächsten Überflug des Nordatlantiks auf eine Ansammlung<br />

von fast hundert Schiffen in gleichmäßigen Kolonnen<br />

hinab. Die russischen Analytiker kamen zu dem Schluß, dass es sich<br />

hier um den vom Nachrichtendienst gemeldeten Geleitzug handeln<br />

musste.<br />

Neunzig Minuten später hoben zwei Geschwader mit Raketen<br />

bewaffneter Backfire-Bomber, denen Aufklärer vom Typ Bear-D<br />

voranflogen, von vier Flugplätzen um Kirowsk ab, füllten zwischendurch<br />

ihre Tanks auf und hielten auf die Radarlücke über<br />

Island zu.<br />

USS Reuben James<br />

»Ah, das ist also die Überraschung, die Sie für die parat haben«,<br />

meinte Calloway, der Berichterstatter von Reuter, und klopfte auf<br />

Symbole auf dem taktischen Hauptdisplay.<br />

Morris nickte nachdenklich. »Bislang fuhren unsere Geleitzüge<br />

unter EMCON - das heißt Emmissionskontrolle - mit ausgeschalteten<br />

Radargeräten über den Atlantik, um die Auffindung zu erschweren.<br />

Diesmal wollen wir das ein wenig anders halten. Hier<br />

haben wir das Display des Radar SPS-49 -«<br />

»Das schwarze Monstrum auf dem Ruderhaus?«<br />

»Genau. Diese Symbole stehen für Tomcat und Träger America.<br />

Hier haben wir einen Tanker KC-135, dort eine E-2C Radarmaschine,<br />

deren Systeme nicht aktiv sind. Falls der Iwan also auftaucht,<br />

wird er dicht herankommen und nachsehen müssen.«<br />

»Aber er weiß doch schon Bescheid«, wandte Calloway ein.<br />

»Er weiß lediglich, dass hier irgendwo ein Konvoi fährt. Für einen<br />

Raketenabschuß reicht das nicht. Fest steht für ihn nur, dass ein<br />

Radar SPS-49 operiert. Wenn er wissen will, was sonst auf dem<br />

Wasser herumfährt, muss er sein eigenes Radar in Betrieb nehmen.<br />

512


Und sobald Mr. Bear das tut, orten wir ihn und rücken ihm mit<br />

Jägern auf den Pelz.«<br />

»Und wenn die Backfire heute ausbleiben?«<br />

»Dann erwischen wir sie eben ein andermal. Die Bear stehen mit<br />

U-Booten in Verbindung, Mr. Calloway. Es ist nützlich, sie abzuschießen.«<br />

Island<br />

Zum ersten Mal verspürten Edwards und sein Trupp so etwas wie<br />

Langeweile. Sie saßen nun seit vier Tagen am selben Fleck und<br />

hatten <strong>im</strong>mer noch keinen Marschbefehl bekommen. Zwar beobachteten<br />

und meldeten sie harmlose russische Aktivitäten, aber die<br />

Zeit zog sich dahin.<br />

»Lieutenant.« Garcia wies nach oben. »Flugzeug auf Südkurs.«<br />

Edwards nahm sein Fernglas heraus. Weiße, wattige Wölkchen<br />

übersäten den H<strong>im</strong>mel. Heute waren keine Kondensstreifen zu<br />

sehen, doch - da! Er sah etwas aufblitzen.<br />

»Nichols, was meinen Sie?« Er reichte dem Engländer das Glas.<br />

»Das ist eine Backfire«, sagte Nichols schlicht.<br />

»Sind Sie sicher?«<br />

»Klar, Lieutenant. Die habe ich oft gesehen.«<br />

»Zählen Sie.« Edwards packte sein Funkgerät aus. »Beagle ruft<br />

Doghouse, over.« Doghouse meldet sich heute erst nach dem dritten<br />

Ruf. »Doghouse, hier Beagle. Wir beobachten Bomber vom Typ<br />

Backfire auf Südkurs.«<br />

»Woher wollen Sie wissen, dass das Backfire sind?« fragte Doghouse.<br />

»Weil Sergeant Nichols von den Royal Marines das behauptet.<br />

Vier« - Nichols hielt nun fünf Finger hoch - »Moment, fünf<br />

Maschinen auf Südkurs.«<br />

»Roger, vielen Dank, Doghouse. Tut sich sonst noch etwas?«<br />

»Negativ. Wie lange sollen wir noch auf diesem Berg hocken<br />

bleiben?«<br />

»Wir sagen Bescheid. Geduld, Beagle, Sie sind nicht vergessen.<br />

Out.«<br />

513


Nordatlantik<br />

Die Bear flogen in schräger Formation an. Ihre Besatzungen suchten<br />

den Luftraum und die Funk- und Radarfrequenzen ab. Endlich<br />

empfing der voranfliegende Bear die Emissionen einer einzigen<br />

amerikanischen Radaranlage, die innerhalb einer Minute als SPS­<br />

49 einer Lenkwaffenfregatte der Perry-Klasse identifiziert wurde.<br />

Die Techniker an Bord maßen die Signalstärke, berechneten die<br />

ungefähre Position und kamen zu dem Schluß, dass sie sich weit<br />

außerhalb des Erfassungsbereichs der Anlage befanden.<br />

Der Kommandeur des Verbandes <strong>im</strong> dritten Bear erhielt die<br />

Information und verglich sie mit den ihm vorliegenden nachrichtendienstlichen<br />

Daten über den Geleitzug. Die Position befand sich<br />

genau in der Mitte eines Kreises, den er auf seine Karte gezeichnet<br />

hatte. So exakte Dinge st<strong>im</strong>mten ihn mißtrauisch. Fuhr der Konvoi<br />

denn auf Direktkurs nach Europa? Die meisten schlugen einen<br />

weiten Umweg ein, um die Backfire bis an die Grenze ihrer Reichweite<br />

zu zwingen - die deshalb nur eine Rakete anstatt zwei tragen<br />

konnten. Irgend etwas st<strong>im</strong>mte hier nicht. Auf seine Anweisung hin<br />

gruppierten sich die Aufklärer in Nord-Süd-Richtung um und gingen<br />

tiefer, um unter dem amerikanischen Radarhorizont zu bleiben.<br />

USS Reuben James<br />

»Wie weit können Sie sehen?« fragte Calloway.<br />

»Das hängt von Höhe und Größe des Ziels und den atmosphärischen<br />

Bedingungen ab«, antwortete Morris, der von seinem Sessel<br />

auf die elektronischen Displays hinabstarrte. Zwei Tomcats der<br />

Navy waren kampfbereit. »In dreißigtausend Fuß Höhe können<br />

wir den Bear schon über zweihundertfünfzig Meilen ausmachen,<br />

aber je tiefer er fliegt, desto näher kommt er an uns heran. Radar<br />

reicht nicht unter die K<strong>im</strong>m.«<br />

»Wenn er tief fliegt, steigt aber auch sein Treibstoffverbrauch.«<br />

Morris sah auf den Reporter hinab. »Diese verdammten Dinger<br />

können den ganzen Tag in der Luft bleiben«, übertrieb er.<br />

»Spruch von LANTLFT, Sir.« Der Fernmeldeoffizier reichte ihm<br />

das Blatt: BACKFIRE-VERBAND MÖGLICHERWEISE AUF SÜDKURS<br />

514


ÜBER ISLAND 1017Z. Morris gab die Meldung an seinen TAO<br />

weiter, der sofort auf die Karte sah.<br />

»Gute Nachrichten?« fragte Calloway.<br />

»Mag sein, dass wir in gut zwei Stunden Backfire-Bomber zu<br />

sehen bekommen.«<br />

»Die auf den Konvoi schießen?«<br />

»Nein, vermutlich erst auf uns. Sie haben gut vier Tage Zeit, um<br />

auf den Geleitzug einzuhämmern, und wenn die Eskorten ausgeschaltet<br />

sind, ist das sehr viel einfacher.«<br />

»Sind Sie besorgt?«<br />

Morris lächelte dünn. »Ich bin <strong>im</strong>mer besorgt, Mr. Calloway.«<br />

Der Kommandant betrachtete nachdenklich die verschiedenen<br />

Anzeigen. Alle seine Waffen- und Sensorsysteme waren voll einsatzbereit.<br />

Dieses verfluchte Warten, dachte Morris und starrte<br />

stumm auf die Displays. Leuchtpunkte, die für eigene Flugzeuge<br />

standen, kreisten langsam. Auch die Piloten warteten.<br />

Ein Offizier meldete das Auftauchen weiterer Kampfpatrouillen.<br />

Auch America, der Flugzeugträger, der in zweihundert Meilen<br />

Entfernung auf Westkurs in Richtung Norfolk lief, hatte die Luftwarnung<br />

erhalten; ebenso die von den Azoren zurückkehrende<br />

Independence. Die Träger waren seit Kriegsbeginn auf See und<br />

kreuzten hin und her, um nicht von den sowjetischen Seeaufklärungssatelliten<br />

erfaßt zu werden. Sie waren zwar in der Lage gewesen,<br />

unter beträchtlichen Risiken eine Reihe von Geleitzügen vor<br />

U-Booten zu schützen, hatten aber ihre eigentliche Rolle als Offensivwaffen<br />

bisher nicht spielen können. Das Schicksal der N<strong>im</strong>itz-<br />

Gruppe war eine bittere Lektion gewesen. Morris steckte sich eine<br />

neue Zigarette an und erkannte nun, weshalb er das Rauchen<br />

aufgegeben hatte. Der Qualm brannte <strong>im</strong> Hals, ruinierte seinen<br />

Geschmackssinn und ließ seine Augen tränen. Andererseits aber<br />

vertrieb ihm das Rauchen be<strong>im</strong> Warten die Zeit.<br />

Nordatlantik<br />

Die Bear flogen nun in einer präzisen Nord-Süd-Linie auf das<br />

Radarsignal der Fregatte zu. Der Kommandeur befahl eine Kursänderung<br />

nach Westen und geringere Höhe. Da zwei Maschinen den<br />

Befehl nicht bestätigten, musste er ihn wiederholen.<br />

515


Zweihundert Meilen westlich von ihnen hob an Bord einer kreisenden<br />

E-2C Hawkeye ein Techniker den Kopf. Er hatte gerade<br />

jemanden russisch sprechen hören.<br />

Binnen Minuten hatten alle Eskorten die Information erhalten,<br />

und man kam zu dem Schluß, dass die Backfire noch nicht da sein<br />

konnten. Hier hatte man es mit Bear zu tun. Auf dem Träger<br />

America begann der Start der Jäger und zusätzlicher Radarmaschinen.<br />

Immerhin konnten die Russen auf der Suche nach ihm<br />

sein.<br />

USS Reuben James<br />

»Der muss genau auf uns zufliegen«, sagte der TAO.<br />

»So war das auch geplant«, st<strong>im</strong>mte Morris zu.<br />

»Wie weit ist er noch?« fragte Calloway.<br />

»Läßt sich noch nicht beurteilen. Die Hawkeye hat Sprechfunkverkehr<br />

abgehört. Vermutlich aus der Nähe, aber bei außergewöhnlichen<br />

atmosphärischen Bedingungen kann man so etwas<br />

rund um die halbe Welt hören. Mr. Lenner, gehen wir auf Gefechtsstation.«<br />

Fünf Minuten später war die Fregatte bereit.<br />

Nordatlantik<br />

»Guten Morgen, Mr. Bear.« Der Pilot des Tomcat überprüfte<br />

seinen Bildschirm. Vierzig Meilen weiter glitzerten die mächtigen<br />

Propeller der russischen Maschine in der Sonne. Der Flieger beschloß,<br />

sein Radar vorerst noch nicht zu benutzen, ging auf 80<br />

Prozent der Leistung und aktivierte die Raketenbedienung. Die<br />

beiden Maschinen flogen mit über 1600 Stundenkilometern aufeinander<br />

zu.<br />

Dann schaltete der Mann auf dem Rücksitz das AWG-9-Radar<br />

ein.<br />

»Wir haben ihn«, meldete er einen Augenblick später.<br />

»Feuer!« Zwei Raketen lösten sich und beschleunigten auf über<br />

5000 Stundenkilometer.<br />

Ein sowjetischer Elektroniker an Bord des Bear war bemüht, die<br />

516


Signatur des Suchradars der Fregatte zu isolieren, als eine andere<br />

Warnanlage piepte. Er drehte sich um und wurde blaß.<br />

»Angriff!« schrie er über die Bordsprechanlage.<br />

Der Pilot reagierte sofort, zog die Maschine nach links in eine<br />

Rolle und ließ sie der Meeresoberfläche entgegenstürzen. Hinter<br />

ihm aktivierte der Elektroniker die schützenden Störsysteme. Das<br />

Flugmanöver jedoch bewirkte, dass die Störkapseln den anfliegenden<br />

Raketen abgewandt waren.<br />

»Was ist los?« rief der Kommandeur über die Bordsprechanlage.<br />

»Wir sind vom Radar eines Abfangjägers erfaßt«, erwiderte der<br />

Techniker trotz seiner Angst kühl. »Störkapseln aktiviert.«<br />

Der Kommandeur wandte sich an seinen Funker. »Geben Sie die<br />

Warnung heraus: Feindflugzeuge in dieser Position aktiv.«<br />

Doch die Zeit war zu knapp. Die Phoenix legten die Entfernung<br />

in weniger als zwanzig Sekunden zurück. Die erste flog vorbei, doch<br />

die andere erfaßte den abtauchenden Bomber und riß ihm den<br />

Schwanz weg. Der Bear trudelte ins Meer.<br />

USS Reuben James<br />

Auf dem Radarschirm sahen sie, wie der Tomcat zwei Raketen<br />

abfeuerte, die sofort verschwanden, und dann abdrehte.<br />

»Das, meine Herren, war ein Abschuß«, erklärte Morris. »Ein<br />

Bear weniger.«<br />

»Woher wissen Sie das?« fragte Calloway.<br />

»Der Pilot hätte doch nicht abgedreht, wenn die Raketen danebengegangen<br />

wären. Und wenn es etwas anderes als ein Bear gewesen<br />

wäre, hätte er die Funkstille gebrochen. ESM, empfangen wir<br />

Funkverkehr aus null-acht-null?«<br />

Der Maat in der rechten vorderen Ecke des Raumes sah nicht auf.<br />

»Nein, Sir, keinen Pieps.«<br />

»Donnerwetter«, meinte Morris. »Es funktioniert.«<br />

»Und wenn der Kerl keinen Funkspruch mehr absetzen konnte<br />

-« Calloway verstand.<br />

»Dann sind wir die einzigen, die Bescheid wissen. Vielleicht<br />

können wir den ganzen Angriffsverband in den Hinterhalt locken.«<br />

Morris trat ans Hauptdisplay. Alle Jäger der America waren nun<br />

siebzig Meilen südlich des Geleitzugs in der Luft. Er schaute auf die<br />

517


Uhr am Schott: noch vierzig Minuten bis zum Eintreffen der Backfire.<br />

Er griff nach einem Telefonhörer: »GZ an Brücke. Signalisiejen<br />

Sie Battleaxe heran.«<br />

Innerhalb kurzer Zeit drehte Battleaxe hart nach Steuerbord ab<br />

und hielt auf die Reuben James zu. Ein neuer Trick hat bereits<br />

funktioniert, dachte Morris. Warum also nicht ein zweiter?<br />

»Hubschrauber klar zum Start», befahl er.<br />

O'Malley saß in seinem Cockpit und las ein Herrenmagazin. Auf<br />

die Durchsage hin trennte er sich von Miss Julis Reizen. Ensign<br />

Ralston begann die Prozedur des Startens des Triebwerks; O'Malley<br />

überflog die Instrumente für den Fall, dass es technische Probleme<br />

gab, und schaute dann hinaus, um sich davon zu überzeugen,<br />

dass das Bodenpersonal zurückgetreten war.<br />

»Und was sollen wir machen, Commander?« fragte der Systemoperator.<br />

»Den Raketenköder spielen, Willy«, versetzte O'Malley liebenswürdig<br />

und hob ab.<br />

Nordatlantik<br />

Der südlichste Bear war nur noch sechzig Meilen von dem Geleitzug<br />

entfernt, wusste das aber ebensowenig wie die Amerikaner, da<br />

er sich unter dem Radarhorizont der Reuben James befand. Klar<br />

war dem Piloten des Bear allerdings, dass er nun in den Steigflug<br />

gehen und seine Suchradaranlage einschalten musste. Doch der<br />

Kommandant hatte den entsprechenden Befehl noch nicht gegeben.<br />

Obwohl es keine Hinweise auf Probleme gab, machte der Pilot sich<br />

Sorgen, denn sein Instinkt sagte ihm, dass etwas nicht st<strong>im</strong>mte.<br />

Einer der Bear, die vergangene Woche verschwunden waren, hatte<br />

den Empfang des Radarsignals einer einzigen amerikanischen Fregatte<br />

gemeldet - mehr nicht. Genau wie jetzt. Der Kommandant<br />

hatte den Angriff aus Angst vor feindlichen Jägern abgebrochen<br />

und war prompt wegen angeblicher Feigheit getadelt worden. Wie<br />

Wort <strong>im</strong> Kampf waren die einzig verfügbaren Daten negativ. Fest<br />

Wand, dass vier Bear nicht zurückgekehrt waren. Er wusste, dass der<br />

Kommandant den erwarteten Befehl nicht gegeben hatte.<br />

»Geschätzte Distanz zur amerikanischen Fregatte?« fragte er<br />

die Bordsprechanlage.<br />

518


»Hundertdreißig Kilometer«, antwortete der Navigator.<br />

Funkstille wahren, sagte sich der Pilot. So lautete der Befehl.<br />

»Scheiß auf den Befehl!- sagte er laut, langte nach unten und<br />

schaltete sein Funkgerät an. »Möwe zwei an Möwe eins, bitte<br />

kommen." Nichts. Er wiederholte den Spruch noch zwe<strong>im</strong>al.<br />

Das wurde von zahlreichen Empfängern gehört, und in einer<br />

knappen Minute stand die Position des Bear fest - vierzig Meilen<br />

südöstlich vom Geleitzug. Ein Tomcat stieß auf den Kontakt hinab.<br />

Der Kommandant antwortete nicht. Sehr seltsam. Inzwischen<br />

mussten die Backfire nur noch knapp zweihundert Kilometer entfernt<br />

sein. In was führen wir sie da hinein? fragte sich der Pilot.<br />

»Radar aktivieren!« befahl er.<br />

Alle Eskorten fingen die unverwechselbaren Emissionen des Big-<br />

Bulge-Radar auf. Das nächste mit SAM ausgerüstete Schiff, die<br />

Fregatte Groves, schaltete sofort das Raketenradar ein und feuerte<br />

ein Boden-Luft-Lenkgeschoß auf den anfliegenden Bear ab. Doch<br />

der Tomcat, der ebenfalls auf den Bear zujagte, war ihm schon zu<br />

nahe gekommen. Das Leitradar der Fregatte wurde abgeschaltet,<br />

die SM1-Rakete verlor ihr Ziel und zerstörte sich au<strong>tom</strong>atisch<br />

selbst.<br />

An Bord der Bear kamen die Warnungen hageldicht - erst SAM-<br />

Alarm, dann Luftabwehrradar. Dann machte der Radaroperator<br />

den Geleitzug aus.<br />

»Zahlreiche Schiffe in Nordwest.« Der Mann gab die Information<br />

an den Navigator, der eine Positionsmeldung für die Backfire<br />

ausarbeitete. Der Pilot schaltete das Radar des Bear ab und ging in<br />

den Sturzflug, während der Fernmeldeoffizier die Sichtmeldung<br />

über Funk absetzte. Und dann leuchteten alle Radarschirme auf.<br />

USS Reuben James<br />

»Da kommen die Backfire«, sagte der TAO, als die Symbole auf<br />

dem Sichtgerät auftauchten. »Richtung null-vier-eins, Distanz hundertachtzig<br />

Meilen.«<br />

Nervöser als jetzt konnte der Erste Offizier auf der Brücke kaum<br />

werden. Abgesehen von der Bedrohung durch den anfliegenden<br />

519


Backfire-Verband, musste er sein Schiff nun exakt fünfzehn Meter<br />

neben HMS Battleaxe halten. Die Schiffe fuhren so dicht nebeneinander,<br />

dass sie auf einem Radarsichtgerät wie ein einziges Ziel<br />

wirkten. Fünf Meilen weiter flogen O'Malley und der Hubschrauber<br />

der Battleaxe ebenfalls in enger Formation mit zwanzig Knoten<br />

übers Wasser. Beide hatten Transponder an Bord, die bewirkten,<br />

dass die Hubschrauber auf den Radarschirmen des Gegners wie ein<br />

Schiff aussahen - ein Ziel also, das einen Raketenangriff wert war.<br />

Nordatlantik<br />

Per Luftkampf hatte nun die Eleganz einer Wirtshausschlägerei.<br />

Die in der Nähe des Konvois patrouillierenden Tomcats flogen auf<br />

die drei Bear zu. An den ersten Aufklärer fegte bereits eine Rakete<br />

heran; die beiden anderen hatten den Geleitzug noch nicht entdeckt<br />

und lieber nach Osten die Flucht ergriffen. Der Versuch war müßig.<br />

Propellerflugzeuge können Überschalljägern nicht entkommen.<br />

Möwe 2 wurde zuerst vom Schicksal ereilt. Der Pilot bekam noch<br />

seine Kontaktmeldung heraus und bestätigt, ehe in seiner Nähe<br />

zwei Sparrows explodierten und seine Tragfläche in Brand setzten.<br />

Er ließ seine Männer aussteigen, blieb dabei am Steuerknüppel, um<br />

die Maschine geradezuhalten, kämpfte sich dann eine Minute später<br />

selbst aus dem Sitz und sprang durch eine Fluchtluke <strong>im</strong> Boden.<br />

Fünf Sekunden nachdem sich sein Fallschirm geöffnet hatte, explodierte<br />

der Bear und stürzte ins Meer.<br />

... Über ihm hielt eine Staffel Tomcats auf die Backfire zu, und bei<br />

diesem Rennen ging es darum, wer als erster in eine Raketenabftchußposition<br />

kam. Die sowjetischen Bomber waren mit Nachbrennern<br />

in den Steigflug gegangen und hatten ihre Look-Down-<br />

Radargeräte aktiviert, um Ziele für ihre Raketen zu finden. Sie<br />

hatten den Auftrag, Eskorten auszumachen und zu versenken, und<br />

dreißig Meilen von der Hauptmasse des Geleitzuges fanden sie,<br />

Wonach sie suchten: zwei Leuchtpunkte auf dem Radarschirm. Auf<br />

wen größeren feuerten sie sechs Raketen ab, auf den kleineren zwei.<br />

520


Stornoway, Schottland.<br />

»In 45° Nord, 49° West greift gerade ein Backfire-Verband an..<br />

Toland hatte das Telex mit dem Dringlichkeitsgrad »Red Rocket«<br />

in der Hand.<br />

»Was sagt der COMEASTLAND dazu?«<br />

»Best<strong>im</strong>mt befaßt er sich <strong>im</strong> Augenblick mit der Angelegenheit.<br />

Sind Sie bereit?« fragte Toland den Kampfpiloten.<br />

»Und ob!«<br />

Der Teleprinter in der Ecke begann zu klappern: OPERATION<br />

DOOLITTLE AUSLÖSEN.<br />

USS Reuben James<br />

»Vampire, Vampire! Raketen <strong>im</strong> Anflug.«<br />

Jetzt geht's wieder los, dachte Morris. Das taktische Display war<br />

moderner als auf der Pharris - jede anfliegende Rakete war mit<br />

einem Vektor markiert, der Geschwindigkeit und Richtung anzeigte.<br />

Sie kamen <strong>im</strong> Tiefflug heran.<br />

Morris griff nach dem Telefon. »Brücke, hier GZ. Trennungsmanöver<br />

ausführen.«<br />

»Brücke, aye. Trennung erfolgt jetzt«, sagte Ernst. »Stop! Äußerste<br />

Kraft zurück!«<br />

Der Rudergänger riß den Leistungshebel zurück und kehrte dann<br />

abrupt die Anstellung der Schraubenflügel herum, brachte das<br />

Schiff von volle Kraft voraus auf volle Kraft zurück. Reuben James<br />

verzögerte so rapide, dass die Männer sich abstützen mussten. Battleaxe<br />

rauschte weiter und beschleunigte auf fünfundzwanzig Knoten.<br />

Sowie sie in sicherer Distanz war, drehte die britische Fregatte<br />

hart nach Backbord ab, und Reuben James machte eine scharfe<br />

Wendung nach Steuerbord.<br />

Die anfliegenden AS-4-Raketen hatten ein einziges Radarecho<br />

zum Ziel gehabt. Nun waren da zwei Ziele, die sich rasch voneinander<br />

entfernten. Die sechs Raketen verteilten ihre Aufmerksamkeit<br />

gleichmäßig.<br />

Morris betrachtete angespannt das Display. Die Distanz zwischen<br />

seinem Schiff und der begleitenden Fregatte wuchs rapide.<br />

»Sind von Raketenradar erfaßt!« rief der ESM-Operator laut.<br />

»Mehrere Raketen <strong>im</strong> Zielanflug.«<br />

521


»Ruder hart Backbord, auf Gegenkurs gehen. Düppelraketen abfeuern.<br />

Alle in der Gefechtszentrale fuhren zusammen, als die vier Geschosse<br />

direkt über dem Schiff explodierten, die Luft mit Streifen<br />

aus Alufolie erfüllten und für die Raketen ein Ziel erzeugten. Inzwischen<br />

ging die Fregatte be<strong>im</strong> Abdrehen in Schräglage, und der<br />

Raketenstarter auf dem Vorderschiff machte die Wendung mit.<br />

Einer SAM war die erste anfliegende russische Rakete bereits zugewiesen<br />

worden. Die Fregatte richtete sich auf Nordkurs und drei<br />

Meilen hinter Battleaxe wieder auf.<br />

»Und los geht's«, sagte der Waffenoffizier. An der Feuerleitkonsole<br />

flammte eine Leuchte auf: »Zielkoordination ermittelt.«<br />

Die erste SM1 schoß gen H<strong>im</strong>mel. Kaum hatte sie den Starter<br />

verlassen, da bewegte sich dieser auch schon in zwei D<strong>im</strong>ensionen,<br />

nahm aus dem runden Magazin einen neuen Flugkörper auf, zielte<br />

und feuerte sieben Sekunden nach dem Start der ersten Rakete und<br />

wiederholte diesen Zyklus noch zwe<strong>im</strong>al.<br />

»Das war's!« rief O'Malley, als er die erste Rauchschleppe sah. Er<br />

drückte auf den Ausknopf des Signalverstärkers, der auf den russisehen<br />

Schirmen den ein Schiff vortäuschenden Leuchtfleck erzeugte.<br />

»Hatchet, schalten Sie Ihren Emitter aus und drehen Sie<br />

nach links ab!« Beide Hubschrauber gingen auf volle Leistung und<br />

ergriffen die Flucht. Vier Raketen hatten auf einmal keine Ziele<br />

mehr, suchten weiter <strong>im</strong> Westen neue, konnten aber keine finden.<br />

»Mehr Düppel«, befahl Morris und sah zu, wie die Bahnen eigener<br />

und feindlicher Raketen aufeinander zuliefen. Wieder erzitterte die<br />

Gefechtszentrale, als eine neue Aluminiumwolke in die Luft gesprengt<br />

und vom Wind auf die anfliegenden Raketen zugetragen<br />

wurde.<br />

»Wir sind noch <strong>im</strong>mer von Raketen erfaßt!«<br />

»Treffer!« rief der Waffenoffizier. Die erste Rakete, in sechzehn<br />

Meilen Entfernung abgefangen, verschwand vom Schirm, doch die<br />

zweite flog weiter. Die erste auf sie angesetzte SAM verfehlte sie<br />

und explodierte hinter dem Schiff, ohne Schaden anzurichten, und<br />

auch die zweite flog vorbei. Eine weitere SAM wurde abgeschossen.<br />

Die Distanz betrug nun nur noch sechs Meilen. Fünf. Vier. Drei.<br />

»Treffer! Nur noch eine Rakete übrig. Dreht ab, hält auf Düppel<br />

zu! Fliegt achtern vorbei!«<br />

522


Der Flugkörper schlug eine gute Meile von der Reuben James ins<br />

Wasser und verursachte auch über diese Distanz noch einen beeindruckenden<br />

Krach. Dann folgte totale Stille in der GZ. Die Männer<br />

starrten auf die Instrumente, suchten nach weiteren Raketen und<br />

akzeptierten erst nach mehreren Sekunden, dass keine mehr kamen.<br />

Die Seeleute schauten ihre Kameraden an und konnten wieder<br />

atmen.<br />

»Was dem modernen Kampf an Menschlichkeit fehlt, gleicht er<br />

durch Spannung aus«, merkte Calloway an.<br />

Morris lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Könnte man sagen.<br />

Was macht Battleaxe;«<br />

»Ist noch auf dem Radarschirm, Sir«, erwiderte der TAO. Morris<br />

hob das Funktelefon ab.<br />

»Bravo, hier Romeo. Hören Sie mich? Over.«<br />

»Sieht so aus, als wären wir noch am Leben.« Commander Perrin<br />

musterte versonnen sein taktisches Display.<br />

»Schäden?«<br />

»Keine. Hatchet meldet sich gerade. Ist ebenfalls unversehrt.<br />

Erstaunlich«, meinte Perrin. »Fliegt sonst noch etwas an? Wir<br />

haben nichts auf den Schirmen.«<br />

»Negativ. Die Tomcats haben die Backfire aus dem Radarbereich<br />

verscheucht. Formieren wir uns wieder.«<br />

»Roger, Romeo.«<br />

Morris legte auf und schaute sich in der GZ um. »Gut gemacht,<br />

Leute.«<br />

Die Seeleute tauschten Blicke und begannen zu grinsen. Doch die<br />

Freude sollte nicht lange währen.<br />

Der TAO schaute auf. »Zu Ihrer Information, Sir, der Iwan hat<br />

ein Viertel seiner Raketen auf uns abgeschossen. Soweit ich es<br />

beurteilen kann, erwischten die Tomcats sechs und die Bunker Hill<br />

fast alle anderen. Aber eine Fregatte und drei Frachter wurden<br />

getroffen. Die Jäger kehren zurück.« Er bemühte sich um einen<br />

neutralen Tonfall. »Sie melden, es sei kein Backfire abgeschossen<br />

worden.«<br />

»Verdammt!« stieß Morris hervor. Die Falle hatte nicht funktioniert<br />

- und er wusste nicht, warum.<br />

Er hatte auch keine Ahnung, dass Stornoway das Gefecht als<br />

Erfolg ansah.<br />

523


Stornoway, Schottland<br />

Der Schlüssel zur Operation war wie <strong>im</strong>mer bei militärischen Unternehmen<br />

die Kommunikation, und für diese war für Tolands<br />

Geschmack nicht genug Zeit gewesen. Die Radarflugzeuge der<br />

America verfolgten die Backfire, bis sie vom Schirm verschwanden,<br />

und die Daten gingen erst dann an den Träger und von dort aus<br />

über Norfolk und Satellit nach Northwood. Seine Daten erhielt er<br />

über Landkabel vom Hauptquartier der Royal Navy. Die wichtigste<br />

Nato-Mission dieses Krieges hing also mehr von Transistoren<br />

und Telefondrähten ab als von den Waffen, die eingesetzt werden<br />

sollten.<br />

»Gut, ihr letzter Kurs war null-zwo-neun, Geschwindigkeit<br />

sechshundertzehn Knoten.«<br />

»Dann müssen sie in zwei Stunden und siebzehn Minuten über<br />

der Nordküste von Island sein. Wie lange sind sie mit Nachbrenner<br />

geflogen?« fragte Commander Winters.<br />

»Laut America fünf Minuten.« Toland runzelte die Stirn. Eine<br />

sehr dünne Information.<br />

»Wie auch <strong>im</strong>mer, besonders üppig können ihre Treibstoffvorräte<br />

nicht sein. Okay. Drei Maschinen, achtzig Meilen Abstand<br />

voneinander.« Er schaute sich das neueste Bild vom Wettersatelliten<br />

an. »Sichtverhältnisse gut. Wir machen sie aus. Wer sie entdeckt,<br />

verfolgt sie - der Rest fliegt he<strong>im</strong>.«<br />

»Viel Glück, Commander.«<br />

Nordatlantik<br />

Die drei Tomcats gingen auf Nordwestkurs von Stornoway langsam<br />

auf fünfunddreißigtausend Fuß und trafen sich mit ihren Tankern.<br />

Die Backfire waren mehrere hundert Meilen entfernt ähnlich<br />

beschäftigt: Die Anwesenheit einer großen Zahl amerikanischer<br />

Jäger über dem Geleitzug war ein böser Schock für die Besatzungen<br />

gewesen, aber da sich Zeit und Distanz zu ihren Gunsten ausgehatten,<br />

waren sie diesmal ohne Verluste davongekommen.<br />

Die Crews entspannten sich nach der gefährlichen Mission und<br />

diskutierten die Zahl der Versenkungen, die sie bei der Rückkehr in<br />

Anspruch nehmen würden. Berechnet wurden die Treffer nach<br />

524


einer s<strong>im</strong>plen Formel: Man ging davon aus, dass eine von drei<br />

Raketen ihr Ziel traf, ungeachtet feindlichen SAM-Feuers. Die<br />

Crews kamen überein, sechzehn Versenkungen zu beanspruchen,<br />

einschließlich der beiden Sonar-Vorposten, die ihren Kameraden in<br />

den U-Booten solche Probleme bereiteten. Man trank Tee aus<br />

Thermosflaschen und dachte über den nächsten Angriff auf den<br />

Achtzig-Schiffe-Konvoi nach.<br />

Als die Berge von Island in Sicht kamen, trennten sich die Tomcats.<br />

Es wurden keine Funksignale, sondern nur Handzeichen ausgetauscht.<br />

Vor russischem Radar waren sie nun sicher. Commander<br />

Winters schaute auf die Uhr. In dreißig Minuten sollten die Backfire<br />

da sein.<br />

»Was für eine schöne Insel«, sagte der Pilot des Backfire zu seinem<br />

Kopiloten.<br />

»Mag ja schön aussehen, aber wie sich's dort lebt, ist eine andere<br />

Frage. Ob die Frauen wirklich so hübsch sind, wie man hört?<br />

Irgendwann müssen wir mal wegen technischer Schwierigkeiten<br />

dort landen.«<br />

»Zeit, dass du heiratest, Wolodja.«<br />

Der Kopilot lachte. »Was da für Tränen vergossen würden! Wie<br />

kann ich mich den Frauen dieser Welt verweigern?«<br />

Der Pilot schaltete das Funkgerät ein. »Keflavik, hier Seeadler<br />

26, bitte Lagemeldung.«<br />

»Seeadler, außer Ihrer Gruppe keine Kontakte. Zahl korrekt, IFF<br />

Transponder normal.«<br />

»Verstanden. Ende.« Der Pilot schaltete ab. »Na also, Wolodja,<br />

unsere Freunde sind noch da. Muss einsam sein.«<br />

»Wo es Frauen gibt, braucht man nie einsam zu sein.«<br />

»Stopft vielleicht mal jemand diesem geilen Bock das Maul?«<br />

fuhr der Navigator über die Bordsprechanlage dazwischen. »Wollen<br />

Sie vielleicht Politoffizier werden?« versetzte der Kopilot. »Wie<br />

lange noch, bis wir dahe<strong>im</strong> sind?«<br />

»Zwei Stunden und fünfundzwanzig Minuten.«<br />

Der Backfire flog mit sechshundert Knoten über die Insel und<br />

weiter nach Nordosten.<br />

525


»Tallyho!« sagte der Pilot leise. »In ein Uhr und tief.« Das<br />

TV-System zeigten den unverwechselbaren Umriß des russischen<br />

Bombers. Eines Muss man den Russen lassen, dachte Winters, sie bauen<br />

hübsche Flugzeuge.<br />

Als er abdrehte, verlor die <strong>im</strong> Bug montierte TV-Kamera das<br />

Ziel, doch der Offizier auf dem Rücksitz richtete das Fernglas auf<br />

den Backfire und entdeckte zwei weitere, die in loser Formation<br />

flogen. Wie erwartet waren sie auf Nordostkurs und in rund dreißigtausend<br />

Fuß Höhe. Winters suchte sich eine große Wolke, in der<br />

er sich versteckte. Die Sichtweite fiel auf wenige Meter. Der Pilot<br />

hoffte nur, dass es in der Nähe nicht noch einen weiteren Backfire<br />

gab, dessen Pilot gerne in Wolken Zuflucht nahm, denn das konnte<br />

das Unternehmen ruinieren.<br />

Eine Minute später hatte er die Wolke durchflogen, zog die<br />

Maschine scharf herum und tauchte wieder hinein, berechnete Zeit<br />

und Distanz. So, nun sollten alle Backfire vorbei sein. Er zog den<br />

Knüppel zurück und schoß oben aus der Wolke heraus.<br />

»Da sind sie!« rief sein Kampfbeobachter. »Achtung, in drei Uhr<br />

sehe ich noch mehr.«<br />

Der Pilot verschwand für weitere zehn Minuten in der Wolke.<br />

Endlich: »Im Süden nichts mehr. Sie sollten alle vorbei sein.«<br />

»Gut, dann schauen wir mal nach.«<br />

Eine bange Minute später fragte sich Winters, ob er den Backfire<br />

vielleicht zu viel Vorsprung gelassen hatte, denn sein TV-System<br />

suchte den H<strong>im</strong>mel ab und fand nichts. Geduld, sagte er sich und<br />

beschleunigte auf sechshundertneunzig Knoten. Fünf Minuten später<br />

erschien ein Punkt auf dem Bildschirm, wuchs und löste sich in<br />

drei Flecken auf. Winters schätzte, dass er vierzig Meilen hinter den<br />

Backfire lag; da er die Sonne <strong>im</strong> Rücken hatte, war es ausgeschlossen,<br />

dass sie ihn entdeckten. Der Mann auf dem Rücksitz prüfte<br />

dre<strong>im</strong>al pro Minute das Radarwarngerät und den Luftraum hinter<br />

ihnen auf andere Flugzeuge.<br />

Der Pilot sah die Zahlen an seinem Trägheitsnavigationssystem<br />

dahinklicken, behielt die Treibstoffanzeige <strong>im</strong> Auge und achtete auf<br />

Veränderungen in der russischen Bomberformation vor ihm. Das<br />

war aufregend und langweilig zugleich. Er kannte die Bedeutung<br />

seines Auftrags, aber die Ausführung bot keinen größeren Nervenkitzel<br />

als das Steuern einer 747 von New York nach Los Angeles.<br />

Sie flogen über eine Stunde lang dahin und legten dabei die sieben­<br />

526


hundert Meilen zwischen Island und der norwegischen Küste zurück.<br />

»Jetzt wird's interessant", meinte der Kampfbeobachter. »Luftsuchradar<br />

voraus, sieht aus wie Andoya. Noch über hundert Meilen<br />

entfernt. In zwei, drei Minuten haben sie uns.«<br />

»Ist ja toll.« Wo es Radar diesen Typs gab, operierten auch Jäger.<br />

»Haben Sie ihre Position ermittelt?«<br />

»Ja-«<br />

»Dann senden Sie.« Winters drehte und flog zurück übers offene<br />

Meer.<br />

Zweihundert Meilen weiter empfing eine kreisende britische<br />

N<strong>im</strong>rod das Signal und gab es über einen Fernmeldesatelliten weiter.<br />

Northwood, England<br />

Admiral Beattie versuchte ruhig zu bleiben, aber das fiel dem<br />

Mann, dessen Nerven seit Kriegsbeginn von einer Krise nach der<br />

anderen strapaziert worden waren, nicht leicht. Operation Doolittle<br />

war sein Kind. Seit zwei Stunden wartete er nun auf Nachricht<br />

von den Tomcats. Zwei waren zurückgekehrt, ohne die Russen<br />

gesichtet zu haben. Einer fehlte noch. Verfolgte er sie wie geplant ­<br />

oder war er ins Meer gestürzt?<br />

Der Drucker in der Ecke begann zu rattern: AUGAPFEL MELDET<br />

HASEN 69/ZON, I5/43E UM I543Z KURS 021 GESCHW 580 KGS<br />

HOEHE 30.<br />

Beattie riß das Blatt heraus und reichte es seinem für die Luftoperationen<br />

zuständigen Offizier. »Dann sind sie in siebenunddreißig<br />

Minuten am Boden. Wenn wir davon ausgehen, dass dies die letzte<br />

Gruppe ist und in Fünfzehn-Minuten-Abständen fliegt, müßten die<br />

ersten Bomber in zweiundzwanzig Minuten landen.«<br />

»Also dann in fünfzehn Minuten?«<br />

»Jawohl, Admiral.«<br />

»Geben Sie den Befehl heraus!«<br />

Binnen dreißig Sekunden ging die Nachricht über ein halbes<br />

Dutzend Satellitenkanäle.<br />

527


USS Chicago<br />

Die amerikanischen U-Boote hatten eine scheinbare Ewigkeit vor<br />

der russischen Küste am Grund der Barentssee gelegen, als endlich<br />

der Befehl einging, sich nach Süden in Bewegung zu setzen. McCafferty<br />

lächelte erleichtert. Drei britische U-Boote, darunter HMS<br />

Torbay, hatten ihre Aufgabe bereits erfüllt und sich vor der norwegischen<br />

Küsten an eine Fregatte und vier Patrouillenboote herangeschlichen,<br />

um sie mit Torpedos anzugreifen. Nun mussten die<br />

Russen annehmen, es sollte ihre Barriere durchbrochen werden,<br />

und <strong>im</strong> Gegenzug hatten sie ihre U-Jagd-Patrouillen nach Westen<br />

beordert.<br />

Damit hatten Chicago und ihre Begleiter freie Bahn. Zumindest<br />

hoffte McCafferty das.<br />

Als sie sich ihrem Zielgebiet näherten, überprüften seine Elektroniker<br />

<strong>im</strong>mer wieder ihre Koordinaten. Be<strong>im</strong> Abschuß der Flugkörper<br />

musste das Boot genau an der richtigen Stelle sein.<br />

»Wann schießen sie?« fragte der IO.<br />

»Werden wir noch erfahren«, erwiderte McCafferty.<br />

Und dann ging aus Northwood der Befehl ein: Abschuß 1602<br />

Zulu-Zeit.<br />

»Sehrohr ausfahren.« McCafferty ließ das Instrument rasch kreisen.<br />

Oben trieb eine Regenbö hohe Wellen vor sich her.<br />

»Sieht klar aus«, sagte der IA am TV-Display.<br />

Der Kommandant klappte die Griffe des Periskops hoch, das<br />

dann in seinem Schacht verschwand. »ESM?«<br />

»Viele Radarsignale, Sir«, antwortete der Techniker. »Es sind<br />

zehn verschiedene Sender in Betrieb.«<br />

McCafferty inspizierte die an Steuerbord in der Angriffszentrale<br />

angebrachten Statusanzeigen für die Tomahawk. Die Torpedorohre<br />

waren mit zwei Torpedos Mark-48 und zwei Harpoon­<br />

Raketen geladen. Die Uhr tickte auf 16o2 zu.<br />

»Startsequenz beginnen.«<br />

Kippschalter wurden umgelegt, an den Statusanzeigen für die<br />

Waffen leuchtete es rot auf. Kommandant und Waffenoffizier steckten<br />

gleichzeitig ihre Schlüssel in die Konsole und drehten sie um; der<br />

Maat an der Instrumententafel für die Waffensysteme legte den<br />

Feuerhebel nach links um, und der Prozeß des Scharfmachens war<br />

beendet. Im Bug des U-Bootes wurden die Lenksysteme von zwölf<br />

528


Cruise Missile des Typs Tomahawk aktiviert. Bordcomputer bekamen<br />

den Startpunkt eingegeben. Das Ziel kannten sie bereits.<br />

»Start einleiten«, befahl McCafferty.<br />

Ametist gehörte nicht zur regulären sowjetischen Marine, sondern<br />

erfüllte der Staatssicherheit dienende Funktionen und hatte eine<br />

KGB-Besatzung. Während der letzten zwölf Stunden war die Fregatte<br />

der Grischa-Klasse abwechselnd gespurtet und mit Tauchsonar<br />

lauschend dahingetrieben. Mit abgeschalteten Dieseln erzeugte<br />

sie überhaupt kein Geräusch, und ihr kurzes Profil war nur schwer<br />

auszumachen. Sie hatte das Herannahen der amerikanischen<br />

U-Boote nicht gehört.<br />

Um 16:01:58 durchbrach der erste Marschflugkörper nur zweitausend<br />

Yard von der Fregatte entfernt die Oberfläche. Der Ausguck<br />

brauchte ein, zwei Sekunden, um zu reagieren. Als er sah, wie<br />

das zylindrische Geschoß, von der Feststoffstufe getrieben, aufstieg<br />

und <strong>im</strong> Bogen nach Südwesten flog, krampfte sich sein Magen<br />

zusammen.<br />

»Raketenabschuß an Steuerbord!«<br />

Der Kommandant hastete auf die Brückennock und sah verblüfft<br />

ein zweites Cruise Missile aus dem Wasser auftauchen. Dann<br />

sprang er zurück ins Ruderhaus.<br />

»Auf Gefechtsstation! Funker, rufen Sie das Marine-HQ und<br />

melden Sie den Abschuß feindlicher Raketen von Planquadrat 451/<br />

679! Volle Kraft voraus! Hart Steuerbord!«<br />

Die Diesel der Fregatte sprangen donnernd an.<br />

»Zum Kuckuck, was ist das?« fragte der Sonar-Chief. Alle vier<br />

Sekunden erschütterten die Raketenstarts sein Boot. »Hier Sonar,<br />

wir haben einen Kontakt in null-neun-acht. Diesel-Überwasserschiff,<br />

klingt wie eine Grischa und ist sehr nahe, Sir!«<br />

»Sehrohr ausfahren!« McCafferty wirbelte das Periskop herum<br />

und stellte Max<strong>im</strong>alvergrößerung ein. Er sah, dass die russische<br />

Fregatte hart abdrehte. »Schnellschuß! Oberflächenziel Richtung<br />

null-neun-sieben, Distanz« - er drehte am Entfernungsanzeiger -<br />

»sechzehnhundert, Kurs. Scheiße! Er dreht ab. Sagen wir nullneun-null,<br />

Fahrt 20.« Zu dicht für eine Rakete; sie mussten mit<br />

Torpedos angreifen. »Sehrohr einfahren!«<br />

Der Feuerleitoffizier gab dem Computer die Werte ein. Nach elf<br />

529


Sekunden hatte der Rechner die Information verarbeitet. »Eingestellt!<br />

Rohr eins und drei klar!«<br />

»Fluten Rohr eins und drei, Mündungsklappen offen - klar! •« rief<br />

der I0<br />

»Errechnete Koordinaten anpassen - und Feuer!«<br />

»Feuer eins, Feuer drei.« Der Erste Offizier bekam seine Gefühle<br />

unter Kontrolle. Von wo war diese Grischa so plötzlich aufgetaucht?<br />

»Mark-48 nachladen!«<br />

»Letzter Vogel frei«, verkündete der Raketentechniker. »Startsequenz<br />

beendet.«<br />

»Ruder hart Backbord!«<br />

Auf der Ametist bekam niemand den Torpedoabschuß hinter dem<br />

Schiff mit, denn die Männer hasteten auf ihre Stationen, während<br />

der Kommandant volle Kraft befahl und der Waffenoffizier in<br />

Unterhosen an Deck eilte, um die Raketenstarter zu bedienen.<br />

Sonar brauchte man in diesem Fall nicht; man sah zu deutlich, wo<br />

das U-Boot lag und Raketen abschoß.<br />

»Feuer frei!« rief der Kapitän.<br />

Der Leutnant drückte auf den Knopf. Zwölf Raketen starteten<br />

fauchend. »Ametist«, quäkte das Funkgerät. »Wiederholen Sie den<br />

Spruch - was für Raketen? Raketen welchen Typs?«<br />

USS Providence schoß den letzten Marschflugkörper gerade in<br />

jenem Augenblick ab, in dem die Fregatte feuerte. Als die Raketen<br />

schon auf sein Boot jagten, befahl der Kommandant äußerste Kraft<br />

voraus und eine radikale Wendung. Zwei Sprengköpfe explodierten<br />

nur hundert Yard vom Boot entfernt, richteten aber keinen<br />

Schaden an. Die letzte Rakete traf direkt über dem Turm des<br />

U-Bootes aufs Wasser. Eine Sekunde später detonierten dreiundzwanzig<br />

Kilo Sprengstoff.<br />

Der Kapitän der Ametist kümmerte sich nicht ums Funkgerät,<br />

sondern um den Effekt seiner ersten Salve. Die letzte Rakete war<br />

rascher explodiert als die anderen. Er wollte gerade einen erneuten<br />

Feuerbefehl geben, als der Sonaroffizier zwei Objekte von achtern<br />

meldete. Er gab dem Rudergänger Befehle. Im Hintergrund<br />

kreischte unbeachtet das Funkgerät.<br />

530


»Beide Fische haben das Ziel erfaßt!«<br />

»Sehrohr ausfahren!


dem Meer aufsteigenden Tomahawk erfaßt worden waren,<br />

hatte man eine Blitzwarnung vor einem Angriff mit ballistischen<br />

Raketen nach Moskau gesandt. Auch die Sichtung der Flugkörper<br />

durch die Ametist war rasch zum Marinehauptquartier in Sewerosk<br />

gelangt; von dort ging ein mit dem Codewort DONNERgekennzeichneter<br />

Alarm ans Verteidigungsministerium. Sowurde<br />

die Ermächtigung zum Start der um Moskau herum<br />

stationierten Antiraketen-Raketen an die Batteriekommandeure<br />

übertragen, und obwohl Radaroffiziere nach mehreren Minuten zu<br />

Moskaus Befriedigung bestätigen konnten, dass die Flugkörper von<br />

den Schirmen verschwunden waren und sich nicht auf ballistischen<br />

Bahnen befanden, blieben die Luftabwehreinheiten <strong>im</strong> Alarmzustand,<br />

und in ganz Nordrußland stiegen Abfangjäger auf.<br />

Unberührt von dem Aufruhr, den sie ausgelöst hatten, zogen die<br />

Cruise Missiles ihre Bahn, überflogen die an dieser Stelle aus felsigen<br />

Landvorsprüngen und Kliffs bestehende Küste und erreichten<br />

die Tundra - ideales Terrain für die Marschflugkörper, die mit<br />

fünfhundert Knoten kaum einen Meter hoch über das Sumpfgras<br />

jagten. Alle flogen über den Babosero-See, den ersten Bezugspunkt,<br />

trennten sich dann.<br />

Nach dem Alarmstart hatten die Piloten der sowjetischen Jäger<br />

wenig Ahnung, hinter was sie eigentlich her waren. Es lagen zwar<br />

Radarinformationen über Kurs und Geschwindigkeit der Objekte vor,<br />

aber wenn es sich um Cruise Missiles handelte, konnten sie bis<br />

zum Schwarzen Meer fliegen oder gar über Umwege Moskau ansteuern.Auf<br />

einen Befehl vom Boden hin formierten sich die Abfangjäger<br />

südlich des Weißen Meeres und hielten mit Look-Down-<br />

Radarnach den Eindringlingen Ausschau.<br />

Diese aber waren nicht nach Moskau unterwegs. Die Marsch-<br />

Flugkörper wichen hin und wieder einer Bodenerhöhung aus und<br />

blieben auf Kurs zwei-eins-drei, bis sie den Krüppelkieferwald erreichten.<br />

Dort drehten sie nacheinander nach rechts ab und gingen<br />

auf Kurs zwei-neun-null. Ein Cruise Missiles geriet außer Kontrolle<br />

und Stürzte ab, ein zweites vollführte die Wendung nicht und flog<br />

schnurstracks weiter. Der Rest hielt auf die Ziele zu.<br />

532


Seeadler<br />

Der letzte Backfire-Bomber kreiste über Umbosero-Süd und wartete<br />

auf Landeerlaubnis. Der Pilot schaute auf die Treibstoffanzeige.<br />

Genug für dreißig Minuten, also kein Grund zur Eile. Aus<br />

Sicherheitsgründen waren die drei Reg<strong>im</strong>enter auf vier südlich der<br />

Bergarbeiterstadt Kirowsk gelegene Flugplätze verteilt. Leistungsfähige<br />

Radaranlagen und mobile SAM-Batterien boten auf den<br />

hohen Bergen um die Stadt Schutz vor Luftangriffen der Nato. Wie<br />

der Pilot sah, waren die meisten Hochöfen noch in Betrieb; aus<br />

vielen hohen Schornsteinen stieg Rauch.<br />

»Seeadler 26, Landung frei«, sagte endlich der Tower.<br />

»Welche ist heute an der Reihe, Wolodja?«<br />

»Landeklappen zwanzig Grad, Fahrt zweihundert, Fahrwerk<br />

ausgefahren. Irina Petrowna, glaube ich. Die große Dürre von der<br />

Vermittlung.«<br />

»Was ist das«, rief der Pilot überrascht. Vor ihm war über der<br />

Landebahn ein kleines weißes Objekt erschienen.<br />

Das erste der für Umbosero-Süd best<strong>im</strong>mten zwölf Cruise Missiles<br />

flog schräg über die Landebahn, dann sprang die stumpfe Nasenverkleidung<br />

ab, und Hunderte kleiner Bomben verteilten sich<br />

über die Gegend. Siebzehn Backfire waren bereits gelandet. Zehn<br />

wurden <strong>im</strong> Freien aus Lastern aufgetankt, die anderen standen<br />

bewaffnet und einsatzbereit in Betonunterständen. Jede Bombe<br />

hatte die Sprengwirkung einer Mörsergranate. Das Tomahawk<br />

warf seine Ladung ab, stieg dann steil auf, überzog und stürzte<br />

zurück zum Boden, wo es mit dem Rest seines Treibstoffes noch<br />

weiter zu der Verwüstung beitrug. Zuerst ging ein startbereiter<br />

Backfire hoch. Zwei Minibomben fielen auf seinen Flügel, und ein<br />

Feuerball stieg zum H<strong>im</strong>mel.<br />

Der Pilot von Seeadler 26 erhöhte die Leistung, brach den Landeanflug<br />

ab und sah entsetzt mit an, wie zehn Bomber explodierten.<br />

Qualmwolken über anderen wiesen auf Beschädigungen hin. Nach<br />

zwei Minuten war alles vorbei. Feuerwehren sausten wie Spielzeugautos<br />

über den Beton, Männer richteten Schläuche auf brennende<br />

Tanklaster und Flugzeuge. Der Pilot flog zu seinem Ausweichflugplatz<br />

<strong>im</strong> Norden und sah auch dort Rauch aufsteigen.<br />

»Der Treibstoff reicht noch für fünfzehn Minunten. Wird Zeit,<br />

dass wir runterkommen«, warnte Wolodja. Sie bogen ab nach links<br />

533


in Richtung Kirowsk-Süd, doch dort bot sich ihnen das gleiche Bild:<br />

Alle vier Flugplätze waren gleichzeitig angegriffen worden.<br />

»Afrikanda, hier Seeadler 26. Unser Treibstoff ist knapp, wir<br />

müssen sofort landen. Haben Sie Platz für uns?»<br />

»Ja, 26. Landebahn frei. Wind aus zwei-sechs-fünf, zwanzig<br />

Knoten.«<br />

»Gut, wir kommen runter. Ende.« Der Pilot wandte sich an<br />

Wolodja. »Verdammt, was war das?«<br />

USS Chicago<br />

»Fernmeldeeinrichtungen, Löschanlagen ausgefallen, Tiefenruder<br />

defekt. Lecks abgedichtet. Maschinen betriebsbereit. Wir können<br />

also fahren«, erklärte der Kommandant von USS Providence über<br />

die Gertrude.<br />

»Gut, warten Sie.« Auch Boston lag längsseits. »Todd, hier<br />

Danny. Was meinen Sie?«<br />

»Allein schafft Providence das nicht. Ich schlage vor, dass wir die<br />

anderen vorfahren lassen und sie zusammen eskortieren.«<br />

»Einverstanden. Sehen wir zu, dass wir so schnell wie möglich aus<br />

dem Gebiet verschwinden.«<br />

»Viel Glück, Danny.« Boston fuhr die Funkantenne aus und<br />

sendete kurz. Eine Minute später empfing Chicagos Sonar den<br />

Lärm der anderen Boote, die sich rasch nach Norden absetzten.<br />

»Providence, gehen Sie auf Kurs null-ein-fünf und fahren Sie so<br />

schnell wie möglich. Wir decken Ihren Rückzug. Boston stößt<br />

später zu uns, und wir begleiten Sie dann zum Packeis.«<br />

»Das dürfen Sie nicht riskieren. Wir können -«<br />

»Verdammt noch mal, fahren Sie los!« brüllte McCafferty ins<br />

Mikrophon. Schließlich tauchte das verwundete U-Boot und fuhr<br />

mit fünfzehn Knoten nach Norden. Sein beschädigter Turm klang<br />

in der Strömung wie ein Schrottlaster, aber daran ließ sich nichts<br />

ändern. Wenn die U-Boote überhaupt eine Überlebenschance haben<br />

wollten, mussten sie die größtmögliche Distanz zwischen sich<br />

und den Abschußpunkt bringen.<br />

534


Moskau<br />

Michail Sergetow sah sich <strong>im</strong> Kreis der Männer um, die vorn<br />

Schreck über das Mögliche noch blaß waren.<br />

»Genosse Verteidigungsminister«, sagte der Generalsekretär,<br />

»können Sie uns mitteilen, was geschehen ist?«<br />

»Offenbar haben U-Boote eine Reihe unserer Flugplätze <strong>im</strong> Norden<br />

mit Marschflugkörpern beschossen, in der Absicht, einen Teil<br />

unserer Backfire zu zerstören. Welchen Erfolg sie hatten, kann ich<br />

noch nicht sagen.«<br />

»Von wo wurden die Geschosse abgefeuert?« fragte Pjotr Bromkowski.<br />

»Östlich von Murmansk und keine dreißig Kilometer von unserer<br />

Küste entfernt. Eine Fregatte sah und meldete den Abschuß,<br />

verstummte dann aber. Es sind nun Suchflugzeuge unterwegs.«<br />

»Wie kamen die Amerikaner dorthin?« fragte Bromkowski<br />

scharf. »Und wieviel Zeit wäre uns geblieben, wenn sie ballistische<br />

Raketen abgeschossen hätten?«<br />

»Sechs bis sieben Minuten.«<br />

»Ist ja großartig! So schnell können wir nicht reagieren. Warum<br />

haben Sie sie so nahe herangelassen?«<br />

»Raus kommen sie nicht, Petja, das kann ich Ihnen versprechen«,<br />

versetzte der Verteidigungsminister hitzig.<br />

Der Generalsekretär beugte sich vor. »Sehen Sie zu, dass so etwas<br />

nie wieder passiert!«<br />

Sergetow meldete sich zu Wort. »Könnte uns der Genosse Verteidigungsminister<br />

einen Überblick über die neuesten Entwicklungen<br />

an der deutschen Front geben?«<br />

»Die Kräfte der Nato sind bis zum Zerreißen angespannt. Wie<br />

wir vom KGB erfahren, ist ihre Versorgungslage kritisch, und<br />

angesichts der diplomatischen Entwicklung der letzten Tage können<br />

wir ruhig davon ausgehen, dass die Nato am Rande des politischen<br />

Zusammenbruchs steht. Wenn wir nur weiter Druck ausüben,<br />

löst sie sich auf.«<br />

»Geht nicht auch uns der Treibstoff aus?« fragte Bromkowski.<br />

»Die Deutschen haben uns ein vernünftiges Angebot gemacht.«<br />

»Nein.« Der Außenminister schüttelte entschieden den Kopf.<br />

»Das bringt uns nichts.«<br />

»Es bringt uns den Frieden, Genosse«, meinte Bromkowski leise.<br />

535


Wenn wir weiterkämpfen - vergessen wir nicht, Genosse, was wir<br />

vor ein paar Stunden dachten, als die Raketenwarnung kam.«<br />

zum ersten Mal hatte der Alte ein Argument gebracht, dem alle<br />

st<strong>im</strong>mten. Nach Wochen und Monaten der Versprechungen,<br />

Pläne und Versicherungen, man habe alles unter Kontrolle, waren<br />

sie von diesem einen blinden Alarm zum Blick in den Abgrund<br />

gezwungen worden. Auch die großen Töne des Verteidigungsministers<br />

konnten sie jene zehn Minuten der Angst nicht vergessen<br />

lassen.<br />

Nach kurzem Überlegen sprach der Generalsekretär. »In wenigen<br />

Stunden treffen sich unsere Emissäre mit den Deutschen. Morgen<br />

wird uns der Außenminister über die Substanz des neuen Angebots<br />

informieren.«<br />

Und damit endete die Sitzung. Sergetow legte seine Notizen in<br />

den Aktenkoffer, verließ allein den Raum und ging hinunter zu<br />

feinern Dienstwagen. Als ihm ein junger Berater den Schlag aufhielt,<br />

erklang eine St<strong>im</strong>me.<br />

»Michail Eduardowitsch, darf ich mitfahren? Mein Wagen hat<br />

eine Panne.« Es war Boris Kosow, der Vorsitzende des KGB<br />

536


Moskau<br />

36<br />

Schlacht bei 31° West<br />

»Fahren wir ein Stückchen spazieren und unterhalten uns, Michail<br />

Eduardowitsch.« Sergetow fröstelte, ließ sich aber nichts anmerken.<br />

Brachte es der Chef des KGB überhaupt fertig, nicht finister<br />

auszusehen? Kosow, der wie Sergetow aus Leningrad stammte, war<br />

ein kleiner, rundlicher Mann, der erst die ominöse »Allgemeine<br />

Abteilung« des ZK geleitet und dann das KGB übernommen hatte.<br />

Wenn er wollte, konnte er herzlich lachen, sich aber auch geben wie<br />

Großväterchen Frost.<br />

»Aber gerne, Boris Georgijewitsch«, meinte Sergetow und wies<br />

auf seinen Fahrer. »Sie können frei sprechen. Witali ist ein guter<br />

Mann.«<br />

»Ich weiß«, versetzte Kosow. »Er arbeitet seit zehn Jahren für<br />

uns.« Sergetow brauchte sich nur das Genick seines Chauffeurs<br />

anzuschauen, um zu erkennen, dass Kosow die Wahrheit sprach.<br />

»Und worüber sollen wir reden?«<br />

Der Chef des KGB griff in seine Aktentasche und nahm ein Gerät<br />

von der Größe eines Taschenbuchs heraus. Als er einen Schalter<br />

umlegte, ertönte ein unangenehmes Summen.<br />

»Eine raffinierte Neuigkeit aus Holland«, erklärte er. »Sie gibt<br />

ein Geräusch von sich, das die meisten Mikrophone nutzlos<br />

macht.« Dann veränderte sich seine Art abrupt. »Michail Eduardowitsch,<br />

wissen Sie eigentlich, was der amerikanische Angriff auf<br />

unsere Flugplätze bedeutet?«<br />

»Gewiß eine unangenehme Entwicklung, aber -«<br />

»Es sieht ernster aus. Derzeit sind mehrere Geleitzüge der Nato<br />

auf See. Ein ganz besonders großer mit zwei Millionen Tonnen<br />

Kriegsmaterial und einer kompletten amerikanischen Division an<br />

Bord lief vor einigen Tagen von New York nach Europa aus. Durch<br />

die Zerstörung einer Anzahl unserer Bomber hat die Nato unsere<br />

Fähigkeit, mit den Geleitzügen fertigzuwerden, beträchtlich redu­<br />

537


ziert. Außerdem hat sie direkten Angriffen auf sowjetischen Boden<br />

den Weg geebnet.«<br />

»Aber Island -«<br />

»Ist neutralisiert.« Kosow berichtete, was den sowjetischen Jägern<br />

von Keflavik zugestoßen war.<br />

»Sie sagen also, dass der Krieg schlecht steht. Warum macht uns<br />

Deutschland dann Friedensangebote?«<br />

»Eine vorzügliche Frage.«<br />

»Wenn Sie einen Verdacht haben, Genosse, sollten Sie ihn nicht<br />

zu mir tragen.«<br />

»Ich will Ihnen eine Geschichte erzählen. Im Januar, als ich meine<br />

Bypass-Operation hatte, übernahm der Erste Stellvertretende Vorsitzende<br />

die Tagesgeschäfte des KGB. Kennen Sie Josef Larionow?«<br />

»Nein, er nahm bei den Sitzungen des Politbüros nie Ihren Platz<br />

ein - <strong>im</strong> Verteidigungsrat etwa auch nicht?« Sergetow fuhr herum.<br />

»Dann hat man Sie also nicht konsultiert? Sie waren damals Rekonvaleszent.«<br />

»Eine Übertreibung. Zwei Wochen lang ging es mir sehr schlecht,<br />

eine Tatsache, die natürlich gehe<strong>im</strong>gehalten wurde. Voll arbeitsfähig<br />

war ich erst nach einem weiteren Monat. Da mich die Mitglieder<br />

des Verteidigungsrats nicht belasten wollten, ließen sie sich von<br />

dem jungen, ehrgeizigen Josef die Einschätzung des KGB vortragen.<br />

Wie Sie sich vielleicht denken können, gibt es be<strong>im</strong> Nachrichtendienst<br />

viele Meinungsrichtungen. Wir müssen versuchen, in die<br />

Köpfe von Männern zu schauen, die oftmals selbst nicht genau<br />

wissen, was sie von einer Sache zu halten haben. Manchmal frage<br />

ich mich, ob wir nicht besser Wahrsagerinnen hinzuziehen sollten.<br />

Aber ich schweife ab. Das KGB erstellt täglich eine strategische<br />

Lagebeurteilung, eine Einschätzung der politischen und militärisehen<br />

Stärke unserer Gegenspieler. Wegen der Natur unserer Arbeit<br />

und schweren Fehlern der Vergangenheit erarbeiten drei Teams<br />

drei Versionen: bester Fall, schl<strong>im</strong>mster Fall, mittlerer Fall. Dem<br />

Politbüro präsentieren wir meist den letzten, aus offenkundigen<br />

Gründen mit Daten aus den anderen beiden angereichert.«<br />

»Und als Ihr Stellvertreter gebeten wurde, dem Politbüro seine<br />

Auffassung vorzutragen - «<br />

»Genau. Dieser junge Streber, der auf meinen Posten scharf ist,<br />

war so gerissen, alle drei Szenarien mitzubringen. Und als er<br />

merkte, was sie wollten, gab er ihnen das, was sie wollten.«<br />

538


»Und warum korrigierten Sie nach Ihrer Rückkehr den Fehler<br />

nicht?«<br />

Kosow lächelte ironisch. »Mischa, Mischa, manchmal sind Sie<br />

rührend naiv. Umbringen hätte ich den Dreckskerl sollen, aber das<br />

ging nicht. Es steht nicht gut um Josefs Gesundheit, nur weiß er das<br />

noch nicht. Aber die Zeit wird kommen«, meinte Kosow, als redete<br />

er von seinem Urlaub. »Das KGB ist augenblicklich in mehrere<br />

Fraktionen aufgesplittert. Josef kontrolliert eine, ich eine andere.<br />

Meine ist größer, hat aber keine entscheidende Mehrheit. Er hat das<br />

Ohr des Generalsekretärs und des Verteidigungsministers. Ich bin<br />

alt und krank. Nur der Krieg hat meine Ablösung verhindert.«<br />

»Hat er denn das Politbüro angelogen?« Sergetow schrie fast.<br />

»Nein. Glauben Sie denn, Josef sei auf den Kopf gefallen? Er<br />

lieferte eine unter meinem Vorsitz von meinen Abteilungsleitern<br />

erstellte nachrichtendienstliche Analyse ab.«<br />

Warum erzählt er mir das alles? fragte sich Sergetow. Er hat<br />

Angst um seinen Posten und sucht die Unterstützung anderer Mitglieder<br />

des Politbüros. Aber ist das alles?<br />

»Sie wollen sagen, das Ganze sei ein Versehen.«<br />

»Genau«, erwiderte Kosow. »Pech und schlechtes Management<br />

in unserer Ölindustrie - selbstverständlich nicht Ihre Schuld. Hinzu<br />

kommen Ängste <strong>im</strong> Kern der Parteihierarchie, der Ehrgeiz eines<br />

meiner Untergebenen, die Wichtigtuerei des Verteidigungsministers<br />

und hanebüchene Dummheit <strong>im</strong> Westen - und so sind wir<br />

dort, wo wir heute stehen.«<br />

»Und was sollen wir Ihrer Meinung nach tun?« fragte Sergetow<br />

argwöhnisch.<br />

»Nichts. Vergessen Sie aber bitte nicht, dass die nächste Woche<br />

wahrscheinlich die Entscheidung des Krieges bringen wird. Ah!«<br />

rief er aus. »Mein Wagen ist repariert. Witali, fahren Sie hier rechts<br />

heran. Vielen Dank fürs Mitnehmen, Mischa. Angenehmen Tag<br />

noch.« Kosow steckte sein Störgerät ein und stieg aus.<br />

Michail Eduardowitsch Sergetow sah der KGB-L<strong>im</strong>ousine nach.<br />

An Machtkämpfe war er gewöhnt; bei seinem Aufstieg hatten<br />

Männer <strong>im</strong> Weg gestanden und mussten ausgeschaltet werden.<br />

Aussichtsreiche Karrieren waren zerstört worden, damit er in seinem<br />

Sil sitzen und auf die Macht hoffen konnte. Doch noch nie war<br />

dieses Spiel so gefährlich gewesen. Er kannte weder die Regeln noch<br />

Kosows Absichten. St<strong>im</strong>mte seine Geschichte überhaupt? Wollte er<br />

539


Nur seine eigenen Fehler vertuschen und die ganze Schuld Josef<br />

Larinow zuschieben? Sergetow konnte sich nicht entsinnen, dem<br />

ersten Stellvertretenden Vorsitzenden jemals begegnet zu sein.<br />

»Zurück zum Büro, Witali«, befahl Sergetow, zu tief in Gedanken<br />

versunken, um sich Sorgen über die Nebenbeschäftigung seines<br />

Chauffeurs zu machen.<br />

Northwood, England<br />

Toland musterte mit großem Interesse die Satellitenfotos. Der Späher<br />

KH-11 war vier Stunden nach dem Tomahawk-Angriff über<br />

Kirowsk geflogen und hatte jeden Backfire-Stützpunkt dre<strong>im</strong>al<br />

aufgenommen. Toland griff nach seinem Block, begann zu zählen und<br />

zwang sich, nur solche Flugzeuge als zerstört gelten zu lassen, an denen<br />

große Stücke fehlten.<br />

»Wir gingen von einer Gesamtstärke von fünfundachtzig Maschinen<br />

aus. Es hat den Anschein, als seien einundzwanzig total<br />

zerstört und rund dreißig beschädigt worden. Die Stützpunkte<br />

wurden arg mitgenommen. Nun möchte ich nur noch wissen, wie<br />

schwer das Personal betroffen ist. Wenn auch viele Besatzungen<br />

umkamen, haben wir die Backfire für mindestens eine Woche außer<br />

Gefecht gesetzt. Gut, sie haben noch die Badger, aber die sind dank<br />

ihrer geringeren Reichweite leichter abzuschießen. Admiral, wir<br />

stehen vor einer ganz neuen Lage.«<br />

Admiral Sir Charles Beattie lächelte. So hätte sich sein<br />

Nachrichtendienstmann auch ausgedrückt.<br />

Luftstützpunkt Langley, Virginia<br />

der Abfänger F-15 flitzte in hundert Fuß Höhe über die Landebahn.<br />

Als Major Nakamura den Tower passierte, zog sie ihren<br />

Fighter eine langsame Rolle und machte dann kehrt. Sie war ein As!<br />

Drei Badger-Bomber und zwei Satelliten! Das erste weibliche As in<br />

der Geschichte der US Air Force. Das erste Weltraum-As.<br />

Sie kam zum Stehen, sprang von der Leiter und rannte auf das<br />

Empfangskomitee zu. Der stellvertretende Kommandeur des Tactical<br />

Air Commander war zornrot.<br />

540


»Major, wenn Sie sich noch mal so etwas leisten, fliegen Sie<br />

raus!«<br />

»Jawohl, Sir. Tut mir leid, Sir.« Sie grinste. Diesen Tag konnte ihr<br />

nichts verderben. »Kommt nicht wieder vor, Sir. As wird man nur<br />

einmal, Sir.«<br />

»Wie ich höre, hat der Iwan noch einen RORSAT einsatzbereit<br />

und wird sich wahrscheinlich ein paar Gedanken machen, ehe er<br />

ihn startet«, meinte der General und beruhigte sich etwas.<br />

»Sind inzwischen weitere ASAT zusammengesetzt worden?«<br />

fragte Buns.<br />

»An zweien wird gearbeitet; die könnten bis Ende der Woche zur<br />

Verfügung stehen. Ihr nächstes Ziel wäre dann der Echtzeit-Fotosatellit.<br />

Bis dahin haben die RORSAT höchste Priorität.« Der General<br />

lächelte flüchtig. »Vergessen Sie nicht, den fünften Stern auf Ihre<br />

Maschine zu pinseln, Major.«<br />

Norfolk, Virginia<br />

Ausgelaufen wären sie auf jeden Fall, aber die Zerstörung des<br />

sowjetischen RORSAT machte die Fahrt sicherer. Erst kamen die<br />

Zerstörer und Fregatten, schwärmten fächerförmig aus, suchten<br />

unter einem Schutzschirm von Patrouillenflugzeugen nach U-Booten.<br />

Dann die Kreuzer und Flugzeugträger. Zuletzt die Landungsschiffe<br />

aus dem Little Creek: Tarawa, Guam, Nassau, Inchon und<br />

zwanzig andere. Ingesamt über sechzig Schiffe formierten sich zu<br />

drei Gruppen und fuhren mit zwanzig Knoten nach Nordosten. Die<br />

Passage sollte sechs Tage dauern.<br />

USNS Prevail<br />

Selbst mit drei Knoten lief sie nicht richtig. Das Schiff war gerade<br />

über sechzig Meter lang und scheute vor jeder Welle wie ein Pferd<br />

vorm Hindernis. Die Besatzung war gemischt: Zivilisten bedienten<br />

das Schiff, Leute von der Marine die elektronischen Geräte. Erstaunlich<br />

war nur, wie alle fanden, dass man noch lebte.<br />

Prevail war ein umgebauter Hochsee-Fischkutter, der anstelle<br />

eines Netzes eine Sonar-Batterie am Ende einer achtzehnhundert<br />

541


Meter langen Trosse schleppte. Die aufgefangenen Signale wurden<br />

von Bordcomputern vorverarbeitet und dann mit einem Tempo<br />

von 32000 Bits pro Sekunde über Satellit nach Norfolk<br />

übertragen.<br />

Das Schiff war mit leisen Elektromotoren und mit dem<br />

Prairie-Masker-System ausgerüstet, das seine schwachen<br />

Antriebsgeräusche el<strong>im</strong>inierte. Die Aufbauten bestanden aus<br />

Fiberglas, um die Radarsignatur zu schwächen. Prevail war <strong>im</strong><br />

wahrsten Sinn des Wortes eines der ersten Stealth-Schiffe und<br />

trotz der Tatsache, dass sie unbewaffnet war, wohl die<br />

gefährlichste Anti-U-Boot-Plattform. Zusammen mit drei<br />

Schwesterschiffen fuhr sie auf dem Nordatlantik zwischen<br />

Neufundland und Irland einige Kreise und horchte auf das<br />

verräterische Geräusch eines durchfahrenden U-Boots. Zwei<br />

der von Orion-Maschinen begleiteten Schiffe hatten<br />

bereits Versenkungen erzielt, aber das war nicht ihre Aufgabe:<br />

Sie sollten nur andere warnen.<br />

In Prevails Operationszentrale mittschiffs starrte ein Team von<br />

Ozeanographen auf eine Reihe von Bildschirmen, während andere<br />

die Kurse von Objekten verfolgten, die nahe genug waren, um eine<br />

mögliche Bedrohung darzustellen.<br />

Ein Maat fuhr mit dem Zeigefinger eine unscharfe Linie auf dem<br />

Display entlang. »Das muss der Geleitzug aus New York sein.«<br />

»Ja«, meinte der Techniker neben ihm. »Und hier haben wir die<br />

Kerle, die auf ihn warten.«<br />

Wenigstens wird's nicht einsam«, bemerkte O'Malley.<br />

USS Reuben James<br />

Ist Ihre Haltung <strong>im</strong>mer so positiv?« fragte Frank Ernst.<br />

»Unsere russischen Freunde müssen über vorzügliche Informationen<br />

verfügen. Immerhin hat Ihre Luftwaffe ihren Satelliten abgeschossen.«<br />

Commander Perrin, der mit dem Hubschrauber von<br />

Battleaxe gekommen war, stellte seine Kaffeetasse ab. Die fünf<br />

Offiziere konferierten in Morris Kammer.<br />

»Sie kennen also unsere Zusammensetzung«, sagte Morris, »und<br />

wollen diesen Verein etwas zurückschneiden.«<br />

Aus Norfolk hatten sie erfahren, dass mindestens sechs sowjetische<br />

U-Boote auf den Konvoi zuliefen. Vier wurden <strong>im</strong> Norden<br />

erwartet, dem Gebiet, für das sie verantwortlich waren.<br />

542


»Der Schwanz sollte uns jeden Augenblick Daten liefern«,<br />

meinte Morris. »Jerry, sind Sie für drei Tage Dauereinsatz in<br />

Form?«<br />

O'Malley lachte. »Macht's denn einen Unterschied, wenn ich<br />

Nein sage?«<br />

»Wir sollten dicht beisammenbleiben, finde ich«, sagte Perrin.<br />

»Höchstabstand fünf Meilen. Schwierig wird nur die Wahl des<br />

richtigen Zeitpunkts für unsere Sprints. Der Konvoi will doch nach<br />

Möglichkeit den Direktkurs nehmen, oder?«<br />

»Allerdings.« Morris nickte. »Kann man dem Commodore aber<br />

kaum vorwerfen. Dieser ganze Verein auf Zickzackkurs, das<br />

brächte fast so viel Konfusion wie ein Angriff.«<br />

»Günstig ist aber, dass wir eine Zeitlang Ruhe vor den Backfire<br />

haben«, erinnerte O'Malley. »Die Bedrohung ist wieder eind<strong>im</strong>ensional.«<br />

Die Schiffsbewegungen änderten sich, als die Leistung reduziert<br />

wurde. Die Fregatte beendete einen Achtundzwanzig-Knoten-<br />

Sprint und sollte sich nun mehrere Minuten lang treiben lassen, um<br />

ihrem Passivsonar eine Chance zum Funktionieren zu geben.<br />

USS Chicago<br />

»Sonarkontakt in drei-vier-sechs.«<br />

Noch siebenhundert Meilen bis zum Packeis, dachte McCafferty<br />

auf dem Weg nach vorne. Mit fünf Knoten.<br />

Sie befanden sich in tiefem Wasser. Es war ein kalkuliertes Risiko<br />

gewesen, trotz der lärmenden Providence mit fünfzehn Knoten von<br />

der Küste zu fliehen. Vier Stunden hatten sie bis zur Hundert-<br />

Faden-Kurve gebraucht, eine Zeit konstanter Anspannung und<br />

Sorge um die Reaktion der Russen auf den Tomahawk-Angriff.<br />

Zuerst hatten die Russen Bear geschickt und Sonobojen abwerfen<br />

lassen, doch diesen hatte man sich entziehen können. Die Sonarsysteme<br />

von Providence funktionierten zum größten Teil noch; das<br />

Boot konnte sich zwar nicht mehr verteidigen, aber die Gefahr<br />

wenigstens herannahen hören.<br />

Während der vierstündigen Fahrt hatte das verwundete Boot<br />

geklungen wie eine Wagenladung Röhren, und McCafferty wollte<br />

gar nicht erst daran denken, wie es sich mit dem schlapp hängenden<br />

543


Tiefenruder steuern ließ. Nun aber waren sie in siebenhundert<br />

Meter tiefem Wasser und hatten durch ihr Schleppsonar eine zusätzliche<br />

Warnung vor herannahender Gefahr. Boston und Chicago<br />

liefen drei Meilen links und rechts ihrer verwundeten Schwester.<br />

Siebenhundert Meilen mit fünf Knoten, dachte McCafferty,<br />

das dauert ja fast sechs Tage...<br />

»Na, was haben wir da, Chief?«<br />

»Tauchte langsam auf, Sir, also vermutlich auf direktem Weg.<br />

Wandert langsam ab. Meiner ersten Schätzung nach ein Dieselboot,<br />

das mit Batterien läuft, und zwar in der Nähe.« Der Sonar-<br />

Chief ließ sich keine Emotion anmerken.<br />

McCafferty beugte sich in die Gefechtszentrale. »Kurs null-zwofünf.«<br />

Der Rudergänger brachte das Boot behutsam auf einen Nordostkurs.<br />

Bei fünf Knoten war Chicago ein »Loch <strong>im</strong> Wasser«, das<br />

überhaupt kein Geräusch verursachte, doch der Kontakt war fast<br />

genauso leise. McCafferty sah zu, wie die Linie auf dem Schirm <strong>im</strong><br />

Lauf mehrerer Minuten ganz leicht die Form änderte.<br />

»Ah, Kontakt hat die Richtung geändert, ist jetzt in drei-viereins.«<br />

»Joe?« McCafferty sah seinen Ersten Offizier fragend an.<br />

»Ich schätze die Distanz auf plusminus achttausend Yard. Er ist<br />

auf Gegenkurs, Fahrt rund vier Knoten.«<br />

Viel zu nahe, dachte McCafferty. Hört uns aber vermutlich noch<br />

nicht.<br />

»Drauf.«<br />

Der Mark-48-Torpedo wurde auf Mindestgeschwindigkeit eingestellt,<br />

machte nach Verlassen des Rohres eine Wendung um<br />

vierzig Grad und hielt dann auf den Kontakt zu, schleppte die mit<br />

dem U-Boot verbundenen Lenkdrähte hinter sich her. Die Sonarleute<br />

steuerten den Fisch auf sein Ziel ein, während Chicago sich<br />

langsam vom Abschußpunkt entfernte. Plötzlich hob der Sonar-<br />

Chief ruckartig den Kopf.<br />

»Er hat's gehört und die Maschinen angeworfen! Laut Schraubengeräusch<br />

will er auf fünfzehn Knoten gehen - das ist ein Foxtrott.<br />

Achtung, er hat gerade die Rohre geflutet.«<br />

Der Torpedo beschleunigte und aktivierte sein Zielsuchsonar.<br />

Der Kommandant des Foxtrott hatte gemerkt, dass er geortet worden<br />

war, und reagierte au<strong>tom</strong>atisch, steigerte die Geschwindigkeit,<br />

544


efahl eine scharfe Wendung nach Steuerbord und schoß einen<br />

Torpedo auf den Angreifer ab. Endlich tauchte er tief in der Hoffnung,<br />

den näher kommenden Fisch abzuschütteln.<br />

Die scharfe Wendung hinterließ eine Turbulenzzone <strong>im</strong> Wasser,<br />

von der der Mark-48 kurz verwirrt wurde. Doch der Torpedo fuhr<br />

direkt durch sie hindurch und erfaßte, nachdem er wieder ruhiges<br />

Wasser erreicht hatte, sein Ziel. Die grüne Waffe tauchte hinter<br />

dem Foxtrott her und erwischte es in vierhundert Fuß.<br />

» Richtung des feindlichen Torpedos ändert sich rasch«, sagte der<br />

Sonar-Chief. »Er wird uns achtern passieren - Treffer, wir haben<br />

das Ziel getroffen.« Der Lärm hallte durch den Stahlrumpf wie<br />

ferner Donner. McCafferty stöpselte Kopfhörer ein und vernahm<br />

gerade noch die verzweifelten Versuche des Foxtrott, durch Anblasen<br />

an die Oberfläche zu gelangen, und das Reißen des Schotts. Die<br />

letzte Handlung des Kommandanten bekam er nicht mit: Der Russe<br />

gab die hinten am Turm befestigte Rettungsboje frei. Diese trieb an<br />

die Oberfläche und sendete dort kontinuierlich. Die Besatzung des<br />

Foxtrott lebte schon nicht mehr, doch die Rettungsboje verriet dem<br />

Hauptquartier, wo sie gestorben war - und mehrere U-Boote und<br />

Überwasserschiffe liefen sofort auf diesen Punkt zu.<br />

USS Reuben James<br />

O'Malley zog an der Steuersäule und ging auf fünfhundert Fuß. Aus<br />

dieser Höhe konnte er <strong>im</strong> Südwesten den Nordrand des Geleitzuges<br />

ausmachen. Es waren mehrere Hubschrauber in der Luft - jemand<br />

hatte eine gute Idee gehabt. Viele Handelsschiffe trugen Hubschrauber<br />

als Deckfracht, und mit diesen stiegen die Besatzungen<br />

auf und suchten die Umgebung des Konvois nach Sehrohren ab.<br />

Auf allen Schiffen hielten Soldaten Ausschau und hatten Befehl,<br />

alles, aber auch alles, was sie sahen, zu melden; eine Prozedur, die<br />

zwar zu vielen Fehlsichtungen führte, aber die Männer wenigstens<br />

beschäftigt hielt. Und es war ja auch möglich, dass jemand irgendwann<br />

ein echtes Periskop erspähte. Der Seahawk flog zwanzig<br />

Meilen und begann dann zu kreisen, um nach dem möglichen U-<br />

Boot zu suchen, das vom Passivsonar der Fregatte entdeckt worden<br />

»Okay, Willy. LOFAR abwerfen. «<br />

545


Der Maat drückte auf einen Knopf, worauf aus der Seite der<br />

Maschine eine Sonoboje ausgestoßen wurde. Der Hubschrauber<br />

flog weiter, warf <strong>im</strong> Abstand von zwei Meilen vier weitere Bojen ab<br />

und errichtete so eine zehn Meilen lange Barriere. Dann hielt<br />

O´M alley die Maschine in einem weiten Kreis und spähte die See<br />

ab,während der Maat das Sonar-Display überwachte.<br />

»Sir, ich hab ein schwaches Signal von Nummer Vier.«<br />

O'Malley zog die Maschine nach Nordwesten.<br />

»Vier hat inzwischen mittlere Signalstärke, Sir, und an Fünf rührt<br />

sich etwas.«<br />

»Romeo, hier Hammer. Ich glaube, wir haben hier etwas. Werfen<br />

zwischen Vier und Fünf ein weiteres LOFAR ab, Designation<br />

sechs.«<br />

»Hammer, hier Romeo!«, rief der Controller von der Fregatte.<br />

»Von uns aus gesehen scheint sich der Kontakt nördlich der Linie<br />

zu befinden.«<br />

»Roger, sieht hier auch so aus. In einer Minute sollten wir mehr<br />

wissen.«<br />

»Sir«, rief Willy, »mittelstarkes Signal von Sechs!«<br />

»Romeo, hier Hammer. Wir checken das jetzt mal mit dem<br />

Tauchsonar.«<br />

Auf Reuben James wurde die Position des Hubschraubers zusammen<br />

mit der Sonobojen-Linie eingetragen.<br />

O'Malley ging tiefer, bis der Helikopter fünfzehn Meter über<br />

dem Wasser schwebte. Willy machte das Tauchsonar frei und<br />

senkte es auf zweihundert Fuß ab.<br />

»Sonarkontakt, Sir. Wahrscheinlich U-Boot, Richtung drei-fünfsechs.«<br />

»Dom hoch!« befahl O'Malley.<br />

Der Seahawk stieg auf, raste eine Meile nach Norden und ließ das<br />

Sonar ein zweites Mal eintauchen.<br />

»Kontakt in eins-sieben-fünf! Doppelschraube, klingt nach zehn<br />

Knoten.«<br />

„Den haben wir in der Zange«, sagte der Pilot. »Rechnen wir das<br />

mal aus.« Ralston gab die Werte in den taktischen Computer ein.<br />

„Er scheint nach Backbord abzudrehen - ja«, bestätigte Willy<br />

Dreht ab nach Backbord.«<br />

Hat er uns gehört?« fragte Ralston.<br />

„Vielleicht hat er den Geleitzug geortet und kehrtgemacht, um<br />

546


ihn anzupeilen. Willy, Dom hoch«, befahl O'Malley. »Romeo, hier<br />

Hammer. Wir haben ein manövrierendes Ziel, wahrscheinlich<br />

U-Boot. Bitten um Freigabe der Waffen."<br />

»Roger, Hammer, Waffen frei.«<br />

Der Pilot flog tausend Yards nach Südosten und senkte erneut<br />

das Sonar ab.<br />

"Ich hab ihn wieder, Sir!« rief Willy aufgeregt. «Richtung dreifünf-fünf,<br />

wandert leicht nach links aus.«<br />

»Kommt direkt an uns vorbei«, meinte Ralston und schaute aufs<br />

TACNAV.<br />

»Romeo, hier Hammer. Kontakt ist eindeutig ein U-Boot, und<br />

wir greifen es an.« O'Malley ließ die Maschine schweben. »Angriffssequenz.«<br />

»Gesamtsystem scharf.« Ralston ließ die Finger über die Knöpfe<br />

gleiten. »Torpedowähler: Position eins.«<br />

»Anfangssuchtiefe 250; Kursmodus: Schlange.« Ralston nahm<br />

die entsprechenden Einstellungen vor.<br />

»Eingestellt.«<br />

»Okay, Willy, klar zur Yankee-Suche.« O'Malley befahl so den<br />

Einsatz des Aktivsonar.<br />

»Klar, Sir. Kontakt nun in zwo-null-null, wandert rasch von<br />

rechts nach links.«<br />

»Drauf!« O'Malley schaltete die Sonarsignale auf seinen Kopfhörer<br />

um.<br />

Willy drückte auf den Knopf, und der Sonar-Wandler stieß eine<br />

Serie von Schall<strong>im</strong>pulsen aus, die vom Rumpf des U-Boots zurückgeworfen<br />

wurden. Jäh erhöhte der Kontakt die Leistung seiner<br />

Maschinen.<br />

»Eindeutiger Kontakt in eins-acht-acht, Distanz achthundert<br />

Yard.«<br />

Ralston gab die letzten Werte in das Feuerleitsystem ein. »Eingestellt!«<br />

Der Pilot drückte auf einen Knopf rechts der Steuersäule. Der<br />

Torpedo Mark-46 löste sich von seiner Aufhängung und stürzte ins<br />

Meer. »Torpedo los.«<br />

»Willy, Yankee-Suche einstellen.« O'Malley knipste das Funkgerät<br />

an. »Romeo, wir haben gerade auf ein tauchendes Doppelschrauben-Boot<br />

abgeworfen; Distanz von uns rund achthundert<br />

Yard in eins-acht-acht. Torpedo <strong>im</strong> Wasser. Bitte warten.«<br />

547


Der Mark-46 lief wie eingestellt in Schlangenlinien nach Süden.<br />

Das U-Boot, vom Aktiv-Sonar des Helikopters alarmiert, fuhr mit<br />

äußerster Kraft und versuchte, dem Torpedo auszuweichen.<br />

»Hammer, hier Romeo. Hatchet ist unterwegs für den Fall, dass<br />

Ihr Torpedo sein Ziel verfehlt. Over.«<br />

»Roger«, bestätigte O'Malley.<br />

»Er hat ihn!« rief Willy erregt. Der Torpedo war nun bei der<br />

Annäherung ans Ziel auf au<strong>tom</strong>atische Sonarsuche gegangen. Zwar<br />

versuchte der Kommandant eine radikale Wendung nach rechts,<br />

doch der Hai war zu nahe, um sich noch abschütteln zu lassen.<br />

»Treffer!« schrie Willy und klang fast so laut wie der Lärm der<br />

Explosion. Direkt vor ihnen schien die Oberfläche einen Satz zu<br />

machen, aber es stieg kein Schaum auf - dazu war der Torpedo in zu<br />

großer Tiefe detoniert.<br />

»Tja«, meinte O'Malley, der zum ersten Mal einen scharfen<br />

Torpedo auf ein echtes U-Boot abgefeuert hatte. Die Geräusche des<br />

sterbenden Bootes klangen bedrückend. An der Oberfläche tauchten<br />

Ölblasen auf. »Romeo, das war eine Versenkung. Richten Sie dem<br />

Bootsmann aus, er soll den Pinsel holen. Wir suchen jetzt nach<br />

Wrackteilen und Überlebenden.« Am Vortag hatte eine andere<br />

Fregatte die ganze Crew eines abgeschossenen russischen Bear gerettet.<br />

Doch hier war niemand davongekommen. O'Malley flog noch<br />

zehn Minuten lang Kreise und wandte sich dann zurück zur Fregatte.<br />

Island<br />

»Beagle, sind Sie satt und ausgeruht?« fragte Doghouse.<br />

»Könnte man sagen.« Edwards hatte mit dieser Frage gerechnet,<br />

aber nun klang sie ihm unheilverkündend.<br />

»Erkunden Sie die Südküste des Hvammsfjördur und melden Sie<br />

etwaige Aktivitäten der Russen. Ganz besonders interessiert uns die<br />

kleine Hafenstadt Stykkisholmur rund vierzig Meilen westlich von<br />

Ihnen. Ihr Befehl ist unverändert: Feindkontakte vermeiden, beobachten,<br />

melden. Verstanden?«<br />

»Roger. Wieviel Zeit haben wir?«<br />

»Das weiß ich leider selbst nicht, Beagle. Sie müssen aber sofort<br />

aufbrechen.«<br />

»Okay, wir ziehen in zehn Minuten los. Out.« Edwards zerlegte<br />

548


die Antenne und verstaute das Funkgerät <strong>im</strong> Rucksack. »Leute, es<br />

ist Zeit, unser Versteck zu verlassen. Sergeant Nichols?«<br />

Ja, Sir?« Nichols und Smith kamen herüber.<br />

»Hat man Sie über unseren Auftrag informiert?«<br />

»Nein, Sir. Wir bekamen den Befehl, Ihren Trupp abzulösen und<br />

weitere Anweisungen abzuwarten.« Edwards hatte sich bereits den<br />

Inhalt von Nichols' Kartentasche angesehen. Die Blätter deckten<br />

die gesamte Westküste Islands ab und waren bis auf die Karte der<br />

Absprungzone druckfrisch. Der Zweck ihres Marsches entlang der<br />

Westküste lag wohl auf der Hand. Der Lieutenant nahm eine Karte<br />

heraus und zeichnete ihre Marschroute nach Westen ein.<br />

»Gut, wir teilen uns in drei Gruppen auf. Sergeant Smith, Sie<br />

gehen mit einem unserer neuen Freunde voran. Nichols, Sie bilden<br />

mit Rodgers die Nachhut. Sie haben beide ein Funkgerät, ich nehme<br />

das dritte und führe den Rest des Trupps. Alle drei Gruppen bleiben<br />

in Sichtweite. Die nächste befestigte Straße, die wir überqueren<br />

müssen, ist zehn Meilen entfernt. Wer etwas sieht, geht in Deckung<br />

und meldet sich über Funk bei mir. Jeglicher Feindkontak; ist zu<br />

vermeiden. Es soll bloß niemand den Helden spielen. Klar? In zehn<br />

Minuten brechen wir auf.« Edwards sammelte seine Ausrüstung<br />

ein.<br />

»Wohin geht's, Michael?« fragte Vigdis.<br />

»Nach Stykkisholmur«, erwiderte er. »Schaffen Sie das?«<br />

»Mit Ihnen zusammen schon.« Sie setzte sich neben ihn. »Und<br />

was machen wir in Stykkisholmur?«<br />

Mike lächelte. »Das hat man mir nicht gesagt.«<br />

»Warum sagt man Ihnen eigentlich nie etwas?«<br />

»Eine reine Sicherheitsvorkehrung. Je weniger wir wissen, desto<br />

besser für uns.«<br />

»Das finde ich blöd«, versetzte sie. Edwards hätte ihr gerne<br />

erklärt, warum sie recht und unrecht zugleich hatte, aber ihm<br />

fehlten die Worte.<br />

»Wenn wir dort sind, können wir vielleicht langsam anfangen,<br />

wieder an ein normales Leben zu denken.«<br />

Ihr Ausdruck veränderte sich. »Michael, was ist für Sie ein normales<br />

Leben?«<br />

Gute Frage, dachte Edwards, aber ich habe <strong>im</strong> Augenblick zuviel<br />

um die Ohren, um mir darüber den Kopf zu zerbrechen. »Wir<br />

werden sehen.«<br />

549


Stendal, DDR<br />

Aus der Schlacht um Hameln und der Schlacht um Hannover war<br />

inzwischen praktisch eine einzige Aktion geworden. Vor zwei Stunden<br />

hatten sich die Nato-Kräfte südlich der Stadt nach Westen<br />

zurückgezogen, ihre Linien verkürzt und ihre Stellungen konsolidiert.<br />

Sowjetische Einheiten drangen nur behutsam vor, wähnten<br />

eine neue Falle der Deutschen. Alexejew brütete mit dem OB West<br />

über Karten und versuchte, die Konsequenzen des Rückzugs der<br />

Nato zu analysieren.<br />

»Das versetzt sie in die Lage, eine oder sogar zwei Brigaden in<br />

Reserve zu halten«, meinte Alexejew. »Über die B 217 können sie<br />

rasch Truppen von einem Sektor zum anderen verlegen.«<br />

»Wie oft haben die Deutschen freiwillig Boden autgegeben?«<br />

fragte sein Vorgesetzter. »Ihre Front war zu lang, ihre Einheiten<br />

dez<strong>im</strong>iert.«<br />

»Das trifft für unsere ebenfalls zu. Die Verluste der nun eingesetzten<br />

Einheiten der Kategorie II sind um fast ein Drittel höher als<br />

die der I-Einheiten, die sie abgelöst haben. Unsere Geländegewinne<br />

kommen uns inzwischen teuer zu stehen.«<br />

»Wir haben bereits einen hohen Preis bezahlt! Wenn wir jetzt<br />

versagen, war alles umsonst. Pascha, wir müssen massiert angreifen.<br />

Dieser ganze Frontabschnitt steht kurz vorm Zusammenbruch.«<br />

»Genosse General, diesen Eindruck habe ich nicht. Der Widerstand<br />

ist beherzt, die Kampfmoral der Deutschen trotz ihrer Verluste<br />

hoch. Sie haben uns schwere Verluste zugefügt und wissen das<br />

auch.« Alexejew war erst vor drei Stunden von dem vorgeschobenen<br />

Befehlsstand Fölziehausen zurückgekehrt.<br />

»Frontbeobachtungen sind zwar sehr nützlich, Pascha, verstellen<br />

aber den Blick auf das Gesamtbild.«<br />

Alexejew runzelte die Stirn. Das »Gesamtbild« war häufig eine<br />

Illusion.<br />

»Ich möchte, dass Sie entlang dieser ganzen Front einen Angriff<br />

organisieren. Die Nato hat Versorgungsschwierigkeiten und massive<br />

Verluste erlitten. Ein energisch vorgetriebener Angriff wird<br />

ihre Linien auf einer Front von fünfzig Kilometern aufreißen.«<br />

»Für eine Attacke in diesem Maßstab fehlen uns die Einheiten der<br />

Kategorie I«, wandte Alexejew ein.<br />

550


»Die sollen in Reserve bleiben und dann den Durchbruch ausnutzen.<br />

Den Angriff starten wir mit unseren besten Reservedivisionen,<br />

und zwar von Hannover <strong>im</strong> Norden bis Bodenwerder <strong>im</strong><br />

Süden.»<br />

»Dazu haben wir weder die Truppenstärke noch den Treibstoff«,<br />

warnte Alexejew. »Wenn wir angreifen müssen, empfehle ich einen<br />

Zwei-Divisionen-Abschnitt südlich von Hameln. Die Einheiten<br />

sind an Ort und Stelle. Ihren Plan finde ich zu ehrgeizig.«<br />

»Jetzt ist nicht die Zeit für halbe Maßnahmen, Pascha!« brüllte<br />

der OB West, der bisher bei Alexejew noch nie die St<strong>im</strong>me erhoben<br />

hatte. Der jüngere Mann fragte sich, welcher Druck auf seinen<br />

Vorgesetzten, der sich nun beruhigte, ausgeübt wurde.<br />

»Ein Angriff entlang einer einzigen Achse läßt einen Gegenangriff<br />

entlang einer einzigen Achse zu «, fuhr er fort. »Auf diese Weise<br />

könnten wir dem Feind seine Aufgabe sehr erschweren. Er kann<br />

nicht überall stark sein. Wir finden eine Schwachstelle, brechen<br />

durch und lassen unsere verbliebenen Einheiten der Kategorie I zum<br />

Rhein rollen.«<br />

USS Reuben James<br />

»Abwerfen!« schrie O'Malley. Die achte Sonarboje wurde von dem<br />

Seahawk ausgestoßen. Der Pilot zog die Maschine herum und flog<br />

zurück nach Osten.<br />

O'Malley war nun schon seit drei langen, zermürbenden Stunden<br />

in der Luft und hatte so gut wie nichts vorzuweisen. Anhalten,<br />

Eintauchen, Horchen; Anhalten, Eintauchen, Horchen. Er wusste<br />

genau, dass dort unten ein U-Boot war, doch jedesmal, wenn er<br />

glaubte, ihm langsam auf die Schliche zu kommen, witschte das<br />

verdammte Ding weg! Was war das für ein neuer Trick?<br />

Hatchet hatte ein ähnliches Problem: Sein U-Boot hatte plötzlich<br />

kehrtgemacht und beinahe einen Treffer auf Battleaxe gelandet.<br />

Zum Glück war der Torpedo <strong>im</strong> turbulenten Kielwasser der Fregatte<br />

detoniert, aber das Ganze war viel zu knapp gewesen. Er ließ<br />

den Hubschrauber schweben.<br />

»Dom ab!« Sie blieben eine Minute lang <strong>im</strong> Schwebeflug. Nichts.<br />

Es ging wieder los. »Romeo, hier Hammer. Haben Sie etwas?<br />

Over.«<br />

551


»Hammer, er ist gerade vor einem Augenblick verklungen. Unsere<br />

letzte Peilung war drei-vier-eins.«<br />

»Raffiniert. Dieser Kerl wartet, bis Sie zu sprinten aufhören, und<br />

n<strong>im</strong>mt dann die Leistung zurück.«<br />

»Akzeptable Mutmaßung, Hammer«, sagte Morris.<br />

»Gut, ich habe <strong>im</strong> Westen eine Barriere, falls er in diese Richtung<br />

fahrt. Ich glaube aber, dass er auf Südkurs geht, und suche jetzt mit<br />

dem Tauchsonar nach ihm. Out.« O'Malley stellte auf die Bordsprechanlage<br />

um. »Willy, haben Sie was?«<br />

»Nein, Sir.«<br />

Eine Minute später stieg der Hubschrauber wieder auf. Im Lauf<br />

der nächsten zwanzig Minuten tauchten sie das Sonar sechsmal<br />

ohne Ergebnis ein.<br />

»Noch einmal, Willy. Dom absenken, diesmal auf achthundert<br />

Fuß.«<br />

»Bereit, Sir.«<br />

»Dom absenken.« O'Malley wand sich auf seinem Sitz. Die<br />

Außentemperatur war mäßig, aber die Sonne verwandelte die Kanzel<br />

in ein Treibhaus.<br />

»Suche auf achthundert Fuß«, meldete der Maat. »Sir, da ist<br />

etwas... möglicher Kontakt in eins-acht-fünf.«<br />

»Dom hoch! Romeo, hier Hammer. Haben einen möglichen<br />

Kontakt südlich von uns und sehen jetzt nach.«<br />

»Hammer, wir orten nichts in Ihrer Nähe. Bravo und Hatchet<br />

bearbeiten einen Kontakt und haben zwei Torpedos abgeschossen,<br />

ohne Treffer zu erzielen.«<br />

Hat ja auch keiner behauptet, das wäre ein Kinderspiel, dachte<br />

O'Malley, flog dreitausend Yard weiter und senkte wieder den<br />

Dom ab.<br />

»Kontakt, diesmal ein echter. Maschinenanlage Typ zwei in einsacht-drei.«<br />

O'Malley sah auf die Treibstoffanzeige. Genug für vierzig Minuten.<br />

Nun musste er rasch zuschlagen. Er ließ den Dom hochholen<br />

und flog nach Süden. Seine Schultern spannten sich unter den<br />

Gurten.<br />

»Da ist er wieder, Sir, nördlich von uns in null-eins-drei. Richtung<br />

ändert sich: nun null-eins-fünf.«<br />

»Einstellen!« Noch Treibstoff für dreißig Minuten. Nun arbeitete<br />

die Zeit gegen sie. Ralston machte den Torpedo scharf.<br />

552


»Willy: Yankee-Suche!« Das Aktiv-Sonar sandte fünf Impulse<br />

zur Entfernungsbest<strong>im</strong>mung aus.<br />

»Null-eins-neun, Distanz neunhundert.»<br />

Ralston stellte Suchtiefe und -modus ein. O'Malley warf durch<br />

Knopfdruck den Torpedo ab.<br />

Das U-Boot ging auf AK und drehte von dem Hubschrauber ab.<br />

Inzwischen sank der Torpedo auf achthundert Fuß und begann<br />

dann seine Suche. O'Malley lauschte <strong>im</strong> Kopfhörer dem Surren<br />

der Torpedoschrauben und dem tiefen Trommeln der mächtigen<br />

Doppelschrauben des Charlie. Das A<strong>tom</strong>-U-Boot manövrierte verzweifelt<br />

und versuchte, sich hinter den verfolgenden Torpedo zu<br />

setzen.<br />

»Richtung nun identisch«, meldete Willy. »Ich glaube, der Fisch<br />

hat ihn - jawoll, Treffer!«<br />

Doch das Charlie starb nicht. Sie hörten Preßluft zischen, dann<br />

wurde es wieder still. Eine wilde Kakophonie von Geräuschen<br />

folgte, als der Kontakt sich nach Norden absetzte. Für eine Verfolgung<br />

hatte O'Malley nicht genug Treibstoff. Er flog einen Bogen<br />

nach Westen und hielt auf die Reuben James zu.<br />

»Hammer, hier Romeo. Was ist passiert?«<br />

»Wir haben ihn getroffen, aber nicht versenkt. Achtung, Romeo,<br />

unser Treibstoff ist knapp. Kommen in fünf Minuten rein.«<br />

»Roger, wir sind bereit. Wir setzen einen anderen Hubschrauber<br />

auf das Charly an. Sie operieren dann zusammen mit Hatchet.«<br />

»Wieso haben wir ihn nicht versenkt?« fragte Ralston.<br />

»Fast alle russischen Boote haben Doppelrümpfe, die der mickrige<br />

Sprengkopf des Mark-46 oft nicht knacken kann. Aus diesem<br />

Grund greift man in der Regel von hinten an, aber das ging<br />

diesmal aus Zeitgründen nicht. Bei einem Hecktreffer werden<br />

die Wellenlager zerstört, und dann läuft der Maschinenraum<br />

voll. Das übersteht kein Boot. Hat man Ihnen bei der Ausbildung<br />

denn nicht eingeschärft, nach Möglichkeit Hecktreffer zu landen?«<br />

»Eigentlich nicht.«<br />

»Typisch«, grollte O'Malley.<br />

Nach vier Stunden tat der Anblick der Reuben James gut. Angenehmer<br />

noch wäre ein Gang zur Toilette gewesen, fand O'Malley.<br />

Er steuerte den Hubschrauber über die Backbordkante des Hecks<br />

553


der Fregatte und hielt mit dem Schiff Schritt. Hinter ihm öffnete<br />

Willy die Schiebetür und warf ein Anholtau nach unten. Die Deckbesatzung<br />

der Fregatte befestigte es an einem Treibstoffschlauch,<br />

den Willy dann hochzog und am Tankstutzen verschraubte. Während<br />

O'Malley sich bemühte, den Hubschrauber in der turbulenten<br />

Luft hinter dem Schiff ruhig zu halten, strömte Treibstoff für weitere<br />

vier Stunden Flugzeit in die Tanks. O'Malley steuerte, Ralston<br />

behielt die Treibstoffanzeigen <strong>im</strong> Auge.<br />

»Genug, Willy, voll.«<br />

Der Maat senkte den Schlauch ab und holte sein Tau ein. Er war<br />

froh, die Tür schließen und sich wieder in seinen Sessel schnallen zu<br />

können. Offiziere, dachte er, sind sich für so was zu fein.<br />

»Bravo, hier Hammer. Wo werden wir gebraucht?«<br />

»Hammer, hier Bravo. Gehen Sie auf eins-drei-null und treffen<br />

Sie sich acht Meilen vor Bravo mit Hatchet.«<br />

»Schon unterwegs.« O'Malley zog eine Schleife um die Reuben<br />

James und wandte sich dann nach Südosten.<br />

»Hammer, hier Romeo. Ein Sea Sprite von der S<strong>im</strong>s hat Ihrem<br />

Charlie gerade den Rest gegeben. Der Commodore hat uns für die<br />

Verfolgung belobigt. Over.«<br />

»Gern geschehen. Bravo, hier Hammer. Womit haben wir es zu<br />

tun?«<br />

»Erst hielten wir es für ein Doppelschraubenboot, sind inzwischen<br />

aber nicht mehr so sicher«, erwiderte Perrin auf der Battleaxe.<br />

»Wir haben nun drei Torpedos auf dieses Ziel abgeschossen,<br />

ohne es zu treffen. Er ließ einen Fisch auf uns los, der aber vorzeitig<br />

in unserem Kielwasser explodierte.«<br />

»Wie weit von Ihnen entfernt?«<br />

»Fünfzig Yard.«<br />

Autsch! dachte der Pilot.<br />

»Okay, ich habe Hatchet in Sicht. Bravo, das ist Ihre Schau. Wo<br />

brauchen Sie mich?«<br />

Morris hatte die Fregatte während der Jagd auf das nun versenkte<br />

Charlie weit zurückfallen lassen. Auf sein Kommando ging die<br />

Fregatte auf Höchstfahrt und holte den Vorsprung der Battleaxe<br />

mit fünfundzwanzig Knoten auf. Als Reaktion auf die Bedrohung<br />

durch zahlreiche U-Boote drehte der Konvoi leicht nach Süden ab.<br />

554


O'Malleys Seahawk schwebte sieben Meilen von der Battleaxe<br />

entfernt überm Wasser, während Hatchet zurückflog, um Treibstoff<br />

und Sonobojen an Bord zu nehmen. Dann begann die Suche<br />

mit dem Tauchsonar aufs neue.<br />

»Nichts«, meldete Willy.<br />

»Bravo, hier Hammer. Können Sie mir sagen, was dieses Ziel<br />

bisher getrieben hat?«<br />

»Zwe<strong>im</strong>al hätten wir den Burschen beinahe über der Schicht<br />

erwischt. Er läuft nach Süden.«<br />

»Klingt wie ein Raketen-U-Boot.«<br />

»Finden wir auch«, erwiderte Perrin. »Unser letzter Bezugspunkt<br />

befand sich tausend Yard von Ihrer augenblicklichen Position.<br />

Im Augenblick haben wir nichts.«<br />

O'Malley musterte die von der Battleaxe übertragenen Daten.<br />

»Bravo, Sie haben Erfahrung mit U-Booten. Was meinen Sie?«<br />

»Hammer, bemerkenswert ist seine extrem hohe Geschwindigkeit.«<br />

O'Malley besah sich sein Display genauer.<br />

»Sie haben recht, Bravo.« O'Malley sann nach. Vielleicht ein<br />

Papa? Doppelschraube, Cruise Missiles an Bord, flink wie ein<br />

Dieb.<br />

»Hammer, hier Bravo. Wenn wir von der Annahme ausgehen,<br />

dass er sehr schnell ist, sollten Sie nach Osten fliegen und warten,<br />

bis Romeo ihren Sprint beendet hat und eine Peilung geben kann.«<br />

»Einverstanden, Bravo. Geben Sie mir einen Vektor.« Auf den<br />

Befehl von der Battleaxe hin flog der Seahawk zwanzig Meilen<br />

nach Osten und begann sein Tauchsonar einzusetzen. Es dauerte<br />

fünfzehn Minuten, bis Hatchet mit Treibstoff, Sonobojen und<br />

zwei Stingray-Torpedos beladen war.<br />

»Was haben wir da auf dem Kieker, Sir?« fragte Ralston.<br />

»Wie war's mit einem Papa?«<br />

»Von dieser Klasse haben die Russen doch nur ein Boot«,<br />

wandte der Kopilot ein.<br />

»Das bedeutet noch lange nicht, dass sie es fürs Museum aufheben,<br />

Mister.«<br />

Reuben James beendete ihren Sprint und ging auf Südkurs, um ihr<br />

Schleppsonar auf den Kontakt zu richten.<br />

»Kontakt, möglicherweise U-Boot, in null-acht-eins, wandert<br />

langsam von Nord nach Süd.« Diese Daten gingen sofort an<br />

555


Battleaxe und den Commodore. Ein weiterer Hubschrauber nahm<br />

nun an der Jagd teil.<br />

»Dom ab!« Zum siebenunddreißigsten Mal an diesem Tag, wie<br />

O'Malley feststellte. »Mein Arsch ist eingeschlafen.«<br />

»Angenehme Ruhe«, versetzte Ralston freudlos. Wieder kein<br />

Signal.<br />

»Dom hoch!« O'Malley drückte auf die Sprechtaste. »Bravo,<br />

hier Hammer. Ich habe eine Idee.«<br />

»Hammer, wir hören.«<br />

»Lassen Sie Hatchet südlich von uns eine Kette von Bojen auslegen,<br />

und eine zweite <strong>im</strong> Westen. Dann fange ich an, mit Aktiv-Sonar<br />

zu suchen. Mag sein, dass der Kerl dann etwas tut. Der Bursche hat<br />

Nerven; er weiß genau, dass wir ihm auf die Spur gekommen sind,<br />

rührte sich aber nicht und bildet sich ein, er könnte uns schlagen.«<br />

»Gut, Hammer, warten Sie, wir organisieren das.«<br />

»Der Kerl führt uns jetzt schon seit vier Stunden an der Nase<br />

herum, Boß«, merkte Willy an.<br />

»Wissen Sie, worauf es be<strong>im</strong> Glücksspiel ankommt? Man muss<br />

wissen, wann es Zeit zum Aufhören ist.« O'Malley flog in großer<br />

Höhe Kreise und schaltete zum ersten Mal an diesem Tag sein<br />

Suchradar ein. Dies eignete sich zwar nicht sonderlich zur Ortung<br />

eines Sehrohrs, konnte aber vielleicht ein in Oberflächennähe fahrendes<br />

U-Boot unter die Thermokline jagen. Vor der tiefstehenden<br />

Sonne zeichneten sich die beiden anderen Hubschrauber ab, die<br />

zwei Ketten passiver Sonobojen legten, je acht Meilen lang <strong>im</strong><br />

rechten Winkel zueinander.<br />

»Hammer, alles fertig!« rief Perrin von der Battleaxe. »Sie können<br />

anfangen.«<br />

Sechshundert Fuß unter dem Hubschrauber peitschten die Hochfrequenz<strong>im</strong>pulse<br />

des Sonarwandlers das Wasser. O'Malley ließ den<br />

Dom nach einer Minute einholen und flog nach Südosten. Nach<br />

einer halben Stunde begann sich die Beinmuskulatur des Piloten zu<br />

verkrampfen.<br />

»Übernehmen Sie mal für ein paar Minuten.« O'Malley nahm<br />

die Füße von den Pedalen und bewegte sich, um die Blutzirkulation<br />

wieder in Gang zu bringen.<br />

»Hammer, hier Bravo. Wir haben einen Kontakt. Boje Sechs,<br />

Kette Echo.« Echo war die von Osten nach Westen verlaufende<br />

Linie, Boje 6 war die dritte vom westlichen Ende, wo die von<br />

556


Norden nach Süden verlaufende Linie November begann. »Signal<br />

noch schwach.«<br />

O'Malley übernahm wieder das Steuer und flog nach Westen.<br />

Die beiden anderen Helikopter kreisten hinter ihren jeweiligen<br />

Bojenketten.<br />

»Sachte, sachte«, murmelte er über die Bordsprechanlage. »Machen<br />

wir ihn nicht zu verrückt.« Er wählte seinen Kurs sorgfältig,<br />

hielt nie direkt auf den Kontakt zu, flog aber auch nie weit von ihm<br />

weg. Eine weitere halbe Stunde zog sich zäh dahin. Endlich hatten<br />

sie den Kontakt so weit, dass er mit rund zehn Knoten tief unter der<br />

Schicht nach Osten fuhr.<br />

»Jetzt haben ihn drei Bojen erfaßt«, berichtete Perrin. »Hatchet<br />

geht in Position.«<br />

O'Malley sah in drei Meilen Entfernung die roten Blinklichter.<br />

Hatchet warf zwei DIFAR-Bojen mit Richtcharakteristik ab und<br />

wartete. Auf O'Malleys Schirm erschien das Display: Der Kontakt<br />

fuhr genau zwischen den beiden DIFAR hindurch.<br />

»Torpedo los!« rief Hatchet. Der schwarze Stingray fiel eine<br />

halbe Meile vor dem herankommenden U-Boot ungesehen ins Wasser.<br />

O'Malley flog näher heran und warf ebenfalls eine Boje ab, um<br />

<strong>im</strong> Schwebeflug mitzuhören.<br />

Der Stingray wurde wie der amerikanische Mark-48 nicht von<br />

konventionellen Schrauben angetrieben und war daher sowohl von<br />

O'Malley als auch von dem U-Boot mit Sonar nur schwer zu orten.<br />

Plötzlich vernahmen sie Kavitationsgeräusche von Schrauben, als<br />

das Boot auf volle Kraft ging und abdrehte. Dann erklang Rumpfknistern,<br />

als der Kontakt in dem Versuch, den Fisch abzuschütteln,<br />

abrupt die Tiefe änderte. Das nutzte nichts. Als nächstes kam das<br />

metallische Krachen des explodierenden Sprengkopfes.<br />

»Treffer!« rief Hatchet.<br />

»Dom ab!«<br />

Willy senkte den Sonarwandler ein letztes Mal ab. Das U-Boot<br />

war auf dem Weg zur Oberfläche. »Distanz vierhundert, Richtung<br />

eins-sechs-drei. Dopplereffekt: Ziel taucht auf.«<br />

»Angreifen! Kreiskurs, Anfangssuchtiefe einhundert.«<br />

»Eingestellt«, erwiderte Ralston.<br />

O'Malley warf den Torpedo sofort ab. »Dom hoch! Bravo, das<br />

Ziel wurde von dem Treffer nicht versenkt. Wir haben gerade einen<br />

zweiten Torpedo abgeworfen.«<br />

557


»Vielleicht raucht er nur auf, um die Mannschaft zu retten«,<br />

meinte Ralston.<br />

»Oder um seine Raketen abzufeuern. Pech, er hätte fliehen sollen,<br />

als noch Gelegenheit dazu war. Ich hätte das an seiner Stelle<br />

getan.«<br />

Der zweite Treffer gab dem U-Boot den Rest. O'Malley flog<br />

sofort zurück zur Reuben James und ließ Ralston den Hubschrauber<br />

landen. Sowie die Keile vor den Rädern lagen und die Maschine<br />

festgezurrt war, stieg er aus. Im Durchgang zwischen den Hubschrauberhangars<br />

wartete Morris auf ihn.<br />

»Großartig, Jerry.«<br />

»Danke, Sir.« O'Malley hatte seinen Helm in der Maschine<br />

gelassen. Das Haar klebte ihm am Schädel, in seinen Augen brannte<br />

der Schweiß.<br />

»Ich wollte einiges mit Ihnen durchgehen.«<br />

»Kann ich mich dabei duschen und umziehen, Sir?« O'Malley<br />

ging durch die Offiziersmesse in seine Kammer, zog sich aus und<br />

stellte sich unter die Dusche.<br />

»Wie viele Pfunde schwitzen Sie sich an solchen Tagen runter?«<br />

fragte Morris.<br />

»Eine Menge.« O'Malley drückte auf den Duschknopf, schloß<br />

die Augen und ließ sich vom kalten Wasser berieseln. »Ich predige<br />

schon seit zehn Jahren, dass der Mark-46 einen stärkeren Sprengkopf<br />

braucht. Hoffentlich hört man jetzt auf mich!«<br />

»Was war das zweite Ziel für ein Typ?«<br />

»Ich würde auf ein Papa setzen. Ihre Sonarleute haben erstklassige<br />

Arbeit geleistet.« O'Malley drückte ein zweites Mal auf den<br />

Duschknopf. Eine Minute später fühlte er sich wieder menschlich<br />

und sah auch so aus.<br />

In der Messe führten die beiden ihr Gespräch fort. »Sie haben ein<br />

Dieselboot und zwei Raketen-U-Boote erwischt. Wie haben sie<br />

operiert? Fiel Ihnen etwas Ungewöhnliches auf?« fragte Morris.<br />

»Sie verhielten sich sehr aggressiv. Das Papa hätte sich zurückziehen<br />

sollen. Der Kommandant der Charlie war schlau, ging aber<br />

ebenfalls zu hart ran.« O'Malley dachte be<strong>im</strong> Leeren seines ersten<br />

Glases Orangensaft darüber nach. »Sie haben recht. Die Russen<br />

machen gewaltig Druck.«<br />

»Genau, und mehr, als ich erwartet hatte. Sie gehen Risiken ein,<br />

die sie normalerweise meiden würden. Was sagt uns das?«<br />

558


»Dass uns zwei ereignisreiche Tage bevorstehen, nehme ich an.<br />

Tut mir leid, Sir, aber für tiefschürfende Gedanken bin ich <strong>im</strong><br />

Augenblick zu kaputt.«<br />

»Gut, legen Sie sich hin.«<br />

559


37<br />

Das Rennen der Krüppel<br />

Stendal, DDR<br />

Zwei Uhr früh. Trotz aller seiner Einwände sollte der Angriff in vier<br />

Stunden beginnen. Alexejew starrte auf die Karte mit den Symbolen,<br />

die die eigenen Einheiten und die vermuteten feindlichen Verbände<br />

darstellten.<br />

»Kopf hoch, Pascha!« sagte der OB West. »Ich weiß, dass wir<br />

ihrer Meinung nach zuviel Treibstoff verbrauchen. Aber der Angriff<br />

wird auch die restlichen Kriegsvorräte des Feindes aufbrauchen.«<br />

»Er kann ebensogut wie wir Nachschub heranführen.«<br />

»Unsinn. Wie wir von unserem Nachrichtendienst erfahren, haben<br />

seine Geleitzüge schwere Verluste erlitten. Im Augenblick ist<br />

ein riesiger Konvoi unterwegs, aber unsere Marine wirft ihm alles<br />

Verfügbare entgegen. Und es wird ohnehin zu spät eintreffen.«<br />

Der Chef hat recht, sagte sich Alexejew. Immerhin hat er sich<br />

seinen Rang ehrlich verdient. Trotzdem...<br />

»Wo werde ich gebraucht?«<br />

»Im Befehlsstand der OMG. Und keinen Schritt näher an der<br />

Front.«<br />

Bei der OMG, dachte Pawel ironisch. Erst hatte die 20. Garde-<br />

Panzerdivision eine Operative Mobile Gruppe sein sollen, dann<br />

eine aus zwei und schließlich eine aus drei Divisionen bestehende<br />

Formation. Jedesmal aber war das Durchbruchsmanöver vereitelt<br />

worden, bis selbst der Begriff »Operative Mobile Gruppe« wie ein<br />

absurder Witz klang. Sein Pess<strong>im</strong>ismus kehrte zurück. Die für die<br />

Ausnutzung des Angriffserfolges zurückgehaltenen Reserveformationen<br />

standen weit hinter der Front, um sich sofort zum vielversprechendsten<br />

Einbruch in die Nato-Linien in Bewegung setzen zu<br />

können. Die Nato hatte die bemerkenswerte Fähigkeit bewiesen,<br />

für jähe Durchbrüche Kompensation zu schaffen. Wie so viele<br />

andere Gedanken verwarf Alexejew auch diesen, verließ den Be­<br />

560


fehlsstand, holte Sergetow und ließ sich aufs neue mit dem Hubschrauber<br />

nach Westen bringen, wie üblich mit Jägerschutz.<br />

Eine Jägereskorte für einen einzigen Hubschrauber war den<br />

Luftüberwachungsoffizieren der Nato nicht zum ersten Mal aufgefallen,<br />

aber es hatten bisher nur die Mittel gefehlt, etwas zu<br />

unternehmen. Diesmal war das anders. Ein AWACS überm Rhein<br />

beobachtete den Start des von drei MiG bewachten Hubschraubers.<br />

Der Abschnittcontroller leitete zwei von einer Mission südlich<br />

von Berlin zurückkehrende F4 Phan<strong>tom</strong> nach Norden um.<br />

Die Jäger flogen in Baumwipfelhöhe mit abgeschaltetem Radar<br />

auf einer Flugschneise, die die Russen für die eigenen Bewegungen<br />

freihielten.<br />

Alexejew und Sergetow saßen allein hinten in dem Kampfhubschrauber<br />

Mi-Z4. Da der Raum Platz für acht Infanteristen mit<br />

Kampfausrüstung bot, konnten sich beide ausstrecken, und Sergetow<br />

nutzte die Gelegenheit zu einem Nickerchen. Über ihnen kreisten<br />

die MiG und hielten nach tieffliegenden Nato-Maschinen<br />

Ausschau.<br />

»Noch sechs Meilen«, kam der Spruch vom AWACS.<br />

Ein Phan<strong>tom</strong> ging in den Steigflug, illuminierte zwei MiG mit<br />

seinem Radar und schoß zwei Sparrow-Luftkampfraketen ab. Der<br />

zweite ließ zwei Sidewinder auf den Hubschrauber los.<br />

Die Piloten der MiG schauten in die falsche Richtung, als ihre<br />

Warngeräte reagierten. Einer ging in den Sturzflug und entkam.<br />

Die Maschine des anderen explodierte in der Luft. Sein Flügelmann<br />

funkte eine Warnung. Alexejew blinzelte verblüfft in den<br />

jähen Lichtblitz von oben und klammerte sich dann an den Gurt,<br />

als der Hubschrauber hart nach links abdrehte und wie ein Stein<br />

abstürzte. Er hatte schon fast die Bäume erreicht, als die Sidewinder<br />

den Heckrotor abriß. Sergetow erwachte und schrie vor Überraschung<br />

und Entsetzen auf. Der Mi-24 wirbelte herum und kollidierte<br />

mit den Bäumen. Der Hauptrotor wurde zerfetzt, seine<br />

Fragmente flogen in alle Richtungen, die linke Seitentür platzte<br />

weg. Alexejew sprang sofort hinaus und zerrte Sergetow mit sich.<br />

Wieder hatte ihm sein Instinkt das Leben gerettet. Die beiden<br />

Offiziere waren gerade zwanzig Meter entfernt, als die Treibstoff­<br />

561


tanks explodierten. Die Phan<strong>tom</strong>, die nach Westen und in Sicherheit<br />

flog, hörten und sahen sie nicht.<br />

»Sind Sie verletzt, Wanja?« fragte der General.<br />

«Hab mir noch nicht mal die Hosen naßgemacht. Bin wohl<br />

wirklich ein kampfgehärteter Veteran.« Die St<strong>im</strong>me des jungen<br />

Mannes zitterte wie seine Hände. »Wo sind wir?«<br />

»Gute Frage.» Alexejew schaute sich um. Er hatte gehofft, Lichter<br />

zu sehen, aber das ganze Land war verdunkelt, und bittere<br />

Erfahrungen hatten die Sowjets gelehrt, ohne Licht zu fahren. »Erst<br />

müssen wir eine Straße finden. Marschieren wir nach Süden, bis wir<br />

auf eine stoßen.»<br />

»Und wo ist Süden?«<br />

»Gegenüber von Norden. Und das ist dort.« Der General wies<br />

auf einen Stern, drehte sich dann um und suchte einen anderen.<br />

»Dieser wird uns nach Süden führen.«<br />

Seweromorsk, UdSSR<br />

Admiral Juri Nowikow verfolgte den Verlauf der Schlacht von<br />

seinem unterirdischen Hauptquartier in der Nähe des Marinestützpunktes<br />

aus. Der Verlust seiner wichtigsten Langstreckenwaffe ­<br />

der Backfire-Bomber - schmerzte, aber ein noch heftigerer Schock<br />

war die Reaktion des Politbüros auf die Attacke mit Marschflugkörpern<br />

gewesen. Irgendwie waren die Politiker zu dem Schluß<br />

gelangt, nun sei auch ein Angriff mit ballistischen Raketen vom<br />

selben Gebiet aus möglich, und kein Gegenargument konnte sie<br />

zum Umdenken bewegen. Als ob die Amerikaner ihre kostbaren<br />

strategischen Boote in diesen engen Gewässern riskieren würden!<br />

grollte der Admiral. Er hatte es mit schnellen Jagd-U-Booten zu tun<br />

und war gezwungen worden, sie mit der Hälfte seiner verfügbaren<br />

Kräfte am Entkommen zu hindern. Und nun wurde es an allen<br />

Ecken und Enden knapp.<br />

Für den Oberbefehlshaber der sowjetischen Nordflotte war der<br />

Krieg bislang günstig verlaufen. Die Eroberung Islands hatte fast<br />

perfekt geklappt - das bisher kühnste sowjetische Unternehmen!<br />

Gleich am nächsten Tag hatte er einen Trägerverband zerschlagen,<br />

ein Sieg von beachtlichen D<strong>im</strong>ensionen. Sein Plan, eine Kombination<br />

von mit Raketen bewaffneten Bombern und U-Booten gegen<br />

562


die Geleitzüge einzusetzen, hatte Erfolg gehabt, besonders nach<br />

seiner Entscheidung, zuerst die Eskorten von Bombern ausschalten<br />

zu lassen. Die U-Boote hatten zwar schwere Verluste erlitten, aber<br />

damit war gerechnet worden.<br />

Nun aber änderte sich die Situation. Der jähe Verlust der Backfire,<br />

die erst in fünf Tagen wieder eingesetzt werden konnten,<br />

zwang ihn, seine eigentlich für die Trägerbekämpfung best<strong>im</strong>mten<br />

U-Boote gegen die Geleitzüge zu schicken, was das Kreuzen des U-<br />

Sperrgürtels der Nato und damit hohe Verluste bedeutete. Seine<br />

Bear-Aufklärungsverbände waren angeschlagen. Dieser verfluchte<br />

Krieg sollte doch eigentlich schon längst vorbei sein, dachte Nowikow<br />

wütend. Ein starker Überwasserverband stand bereit, um<br />

weitere Truppen nach Island zu eskortieren, doch diesen konnte er<br />

erst in Bewegung setzen, wenn eine Entscheidung des Feldzugs in<br />

Deutschland in Sicht war. Es überlebt eben kein Schlachtplan den<br />

ersten Kontakt mit dem Feind, sagte er sich.<br />

»Genosse Admiral, die Satellitenfotos sind da.« Sein Adjutant<br />

reichte ihm eine lederne Kuriertasche. Der höchste Nachrichtendienstoffizier<br />

der Flotte traf wenige Minuten später ein und brachte<br />

einen auf die Interpretation von Satellitenaufnahmen spezialisierten<br />

Mann mit. Die Bilder wurden auf einem Tisch ausgebreitet.<br />

»Ah, da haben wir ein Problem«, meinte der Experte.<br />

Für diese Erkenntnis brauchte Nowikow keinen Fachmann. Der<br />

Hafen Little Creek in Virginia war verlassen; der amerikanische<br />

amphibische Verband war mit einer kompletten Divison Marineinfanteristen<br />

ausgelaufen. Nowikow hatte die Verlegung von Einheiten<br />

der Pazifikflotte nach Norfolk mit großem Interesse verfolgt,<br />

doch dann waren seine beiden Seeaufklärungssatelliten abgeschossen<br />

worden, und mit der Starterlaubnis für den letzten verbleibenden<br />

hielt man sich noch zurück. Das nächste Bild zeigte die Liegeplätze<br />

der Flugzeugträger - ebenfalls verlassen.<br />

»Die N<strong>im</strong>itz liegt noch in Southampton«, erklärte der Mann vom<br />

Nachrichtendienst, »und ist vorerst nicht einsatzfähig. Den Amerikanern<br />

bleiben also drei Träger: Coral Sea, America und Independence.<br />

Saratoga ist zum Schutz der Geleitzüge abgestellt. Die restlichen<br />

Träger ihrer Atlantikflotte sind <strong>im</strong> Indischen Ozean.«<br />

Nowikow grunzte. Pech für die Einheiten <strong>im</strong> Indischen Ozean,<br />

aber um die kümmerte sich die sowjetische Pazifikflotte, sie gingen<br />

ihn nichts an. Er hatte auch so schon Probleme genug und zum<br />

563


ersten Mal mit einem Dilemma zu kämpfen, mit dem er bisher die<br />

Marineverbände der Nato konfrontiert hatte: mehr Aufgaben, als<br />

Schiffe zur Verfügung standen. Und die Tatsache, dass er die Hälfte<br />

seiner ASW-Kräfte hinter schon zurückweichenden U-Booten herschicken<br />

musste, war auch nicht gerade hilfreich.<br />

Northwood, England<br />

»Guten Tag, Admiral«, sagte Toland.<br />

Beattie sah viel besser aus. Die blauen Augen funkelten wie<br />

Kristalle, und der Admiral stand mit verschränkten Armen kerzengerade<br />

vor der riesigen Wandkarte.<br />

»Wie sieht es in Schottland aus, Commander?«<br />

»Gut, Sir. Die beiden letzten Angriffsverbände wurden aufgerieben.<br />

Darf ich fragen, welchen Erfolg Operation Doolittle hatte?<br />

Eines der Boote befehligt ein Freund von mir.«<br />

Beattie drehte sich um. »Welches?«<br />

»Chicago, Sir. Dan McCafferty.«<br />

»Oh. Es hat den Anschein, als sei ein Boot beschädigt worden.<br />

Chicago eskortiert es zusammen mit einem anderen hinaus. Die<br />

Gruppe hat übrigens in der östlichen Barentssee einen ziemlichen<br />

Aufruhr verursacht; die Sowjets schicken beträchtliche Kräfte hinter<br />

ihr her. Wie auch <strong>im</strong>mer, Sie kommen zurück zu Ihrer Trägerflotte<br />

und werden sich dann zuerst mit meinen Leuten vom Nachrichtendienst<br />

besprechen, damit Sie Ihre Kollegen auf den neuesten<br />

Stand bringen können. Ich wollte mich persönlich für Ihren Vorschlag<br />

bedanken, die Backfire bis zu ihrem Stützpunkt zu verfolgen.<br />

Eine nützliche Idee. Warum ließ Ihre Marine sie eigentlich gehen?«<br />

»Weil ich meinen Zerstörer auf eine Sandbank setzte.«<br />

»Nun, diesen Fehler haben Sie wieder wettgemacht, Commander.«<br />

Beattie streckte ihm die Hand hin.<br />

Wackersieben, DDR<br />

»Anhalten, verdammt noch mal!« brüllte Alexejew und stellte sich<br />

dem Laster in den Weg. Als das Fahrzeug stehenblieb, rannte er<br />

zum Führerhaus.<br />

564


»Und wer sind Sie?« fragte der Gefreite hinter dem Steuer.<br />

»Ich bin Generaloberst Alexejew«, kam die erstaunlich umgängliche<br />

Antwort. »Und wie heißen Sie, Genosse?«<br />

»Gefreiter Wlad<strong>im</strong>ir Iwanowitsch Marjachin«, brachte der<br />

Mann heraus und starrte auf die Schulterklappen des Generals.<br />

»Da ich anscheinend den höheren Rang habe, Gefreiter, werden<br />

Sie mich und meinen Adjutanten zum nächsten Verkehrsregelungspunkt<br />

bringen, so schnell dieser Laster fährt. Los!«<br />

Alexejew und Sergetow kletterten auf die Ladefläche. »Drei<br />

Stunden vergeudet!« Der General fluchte.<br />

»Hätte schl<strong>im</strong>mer sein können.«<br />

Brüssel<br />

»Ein Großangriff, Sir, offenbar auf einer achtzig Kilometer breiten<br />

Front.«<br />

Der SACEUR schaute leidenschaftslos auf die Karte. Überraschend<br />

kam diese Entwicklung nicht; sie war schon vor zwölf<br />

Stunden anhand sowjetischer Fahrzeugbewegungen vorhergesagt<br />

worden. Ihm standen für diesen Sektor genau vier Reservebrigaden<br />

zur Verfügung. Nun war er froh, die Deutschen zu der Frontbegradigung<br />

bei Hannover überredet zu haben - die Hälfte seiner Reserven<br />

waren von dort eingetroffen, und keinen Tag zu spät.<br />

»Hauptachse des Angriffs?« fragte der General seinen Operationsoffizier.<br />

»Im Augenblick noch nicht ersichtlich. Sieht aus wie ein Generalangriff<br />

-«<br />

»Starker Druck, nur um eine Schwachstelle ausfindig zu machen«,<br />

schloß der SACEUR. »Welche Reserven hat der Gegner?«<br />

»Sir, wir haben südlich von Fölziehausen Elemente von drei<br />

Divisionen identifiziert; offenbar Einheiten der Kategorie I. Der<br />

gegenwärtige Angriff wird vorwiegend von II-Formationen geführt.«<br />

»Haben wir ihnen denn so zugesetzt?« war die rhetorische Frage<br />

des SACEUR. Seine Nachrichtendienstoffiziere arbeiteten hart an<br />

der Einschätzung der feindlichen Verluste und legten ihm jeden<br />

Abend einen Bericht vor. Seltsamerweise waren vor fünf Tagen die<br />

ersten Einheiten der Kategorie II an der Front aufgetaucht. Der<br />

565


SACEUR wusste, dass die Sowjets in der südlichen Ukraine mindestens<br />

sechs Einheiten der Kategorie I in Reserve hatten, doch nichts<br />

wies darauf hin, dass diese sich in Bewegung setzten. Warum setzte<br />

man diese Verbände nicht an der deutschen Front ein und schickte<br />

statt dessen Reservisten nach vorn?<br />

»Wo ist eine günstige Stelle für einen Gegenangriff?«<br />

»Sir, bei Springe stehen zwei deutsche Panzerbrigaden. Ihnen<br />

gegenüber greifen zwei sowjetische Mot-Schützendivisionen der<br />

Reserve an. Die deutschen Einheiten haben eine zweitägige Kampfpause<br />

hinter sich. Als ausgeruht würde ich sie zwar nicht bezeichnen,<br />

aber -«<br />

»Ja, ja.« Der Saceur neigte dazu, seinen Offizieren das Wort<br />

abzuschneiden. »Setzen Sie sie in Bewegung.«<br />

USS Reuben James<br />

O'Malley umkreiste nach einer langen, vergeblichen Suchaktion<br />

die Fregatte. Im Lauf der vergangenen drei Stunden waren drei<br />

Frachter versenkt worden, zwei von Raketen, die den Sperrgürtel<br />

des Geleitzuges durchbrochen hatten, und einer von einem Torpedo.<br />

Beide U-Boote waren verfolgt worden; Gallerys Hubschrauber<br />

hatte eines mitten <strong>im</strong> Konvoi versenkt. Diese Schlacht haben<br />

wir gewonnen, dachte O'Malley. Der Geleitzug kam mit akzeptablen<br />

Verlusten durch. Noch sechsunddreißig Stunden bis zum Best<strong>im</strong>mungsort.<br />

Die Landung war Routinesache, und anschließend ging O'Malley<br />

in die Offiziersmesse, wo er von Calloway erwartet wurde.<br />

»Ist eine Hubschrauberlandung auf diesem Spielzeugschiff wirklich<br />

so gefährlich, wie sie aussieht?«<br />

»Na ja, auf einem Träger ist schon mehr Platz. Sie schreiben doch<br />

nicht etwa über mich?«<br />

»Warum nicht? Immerhin haben Sie gestern drei U-Boote versenkt.«<br />

O'Malley schüttelte den Kopf. »Nicht ganz. Beteiligt waren zwei<br />

Schiffe und zwei Hubschrauber; dazu hatten wir Unterstützung<br />

vom Rest der Eskorte. Ich fliege einfach, wohin man mich schickt.<br />

Die U-Jagd ist komplex. Alle Elemente müssen zusammenarbeiten,<br />

sonst gewinnt der Feind.«<br />

566


»Wie vergangene Nacht?«<br />

»Manchmal macht auch der Feind etwas richtig. Vier Stunden<br />

lang habe ich erfolglos gesucht. Vielleicht war es ein U-Boot; vielleicht<br />

auch nicht. Aber gestern hatten wir rundum Glück.«<br />

»So eine Versenkung - belastet Sie das?«<br />

»Ich diene jetzt seit siebzehn Jahren in der Navy und bin noch<br />

keinem begegnet, der Spaß am Töten hat. Wir versenken Schiffe<br />

und tun so, als wären es nur Schiffe - Gegenstände ohne Menschen<br />

drin. Ist zwar Augenwischerei, aber so geht's eben. Verflucht, ich tu<br />

zum ersten Mal das, wofür ich ausgebildet worden bin: U-Boote<br />

versenken. Und was das eigentlich bedeutet, darüber habe ich noch<br />

gar nicht richtig nachgedacht.« Er machte eine Pause. »Das Geräusch<br />

ist grauenhaft. Luft zischt. Wenn in großer Tiefe der Rumpf<br />

ein Leck bekommt, führt die plötzliche Druckänderung angeblich<br />

zur Selbstentzündung der Luft, und alle <strong>im</strong> Boot verbrennen. Wie<br />

auch <strong>im</strong>mer, erst hört man das Zischen, dann ein Kreischen, klingt<br />

wie Reifenquietschen. Das sind brechende Schotts. Dann ein dumpfes,<br />

hallendes Donnern: Der Rumpf wird zerquetscht. Und das<br />

war's: hundert Tote. Also, gefallen tut mir das nicht.«<br />

»Aber aufregend ist es schon«, fuhr O'Malley fort. »Es ist eine<br />

extrem schwierige Aufgabe, die Konzentration, Übung und viel<br />

abstraktes Denken erfordert. Einerseits muss man sich in den Gegner<br />

hineinversetzen, andererseits aber <strong>im</strong> Auftrag nur die Vernichtung<br />

eines leblosen Gegenstandes sehen. Klingt widersprüchlich,<br />

nicht wahr?«<br />

»Meinen Sie, dass wir den Krieg gewinnen?«<br />

»Das hängt von den Burschen an Land ab. Wir unterstützen sie ja<br />

nur. Und dieser Konvoi kommt durch, das steht fest.«<br />

Fölziehausen, BRD<br />

»Ich hatte gehört, Sie seien tot«, meinte Beregowoy.<br />

»Diesmal habe ich noch nicht einmal einen Kratzer abbekommen.<br />

Nur Wanja wurde unsanft geweckt. Wie läuft die Offensive?«<br />

»Die ersten Anzeichen sind postiv. Hier haben wir fast sechs<br />

Kilometer gewonnen, und dort, bei Springe, fast genausoviel. Möglich,<br />

dass wir Hannover bis morgen eingeschlossen haben.«<br />

Alexejew fragte sich, ob sein Vorgesetzter nicht doch recht ge­<br />

567


habt hatte. Waren die Linien der Nato nun so schwach, dass sie<br />

Gelände aufgeben musste?<br />

»Genosse General«, sagte ein Nachrichtendienstoffizier. »Mir<br />

sind aus Eldagsen deutsche Panzer gemeldet worden. Die Funkverbindung<br />

brach plötzlich ab.«<br />

»Wo, zum Kuckuck, liegt Eldagsen?« Beregowoy spähte auf die<br />

Karte. »Das ist ja zehn Kilometer hinter der Front! Lassen Sie diese<br />

Meldung bestätigen!«<br />

Unter ihnen bebte der Boden. Dann das Getöse von Triebwerken<br />

und startenden Raketen.<br />

»Unsere Sender sind gerade getroffen worden«, meldete der<br />

Fernmeldeoffizier.<br />

»Auf Ausweichsender gehen!« brüllte Alexejew.<br />

»Das war schon der Ausweichsender. Die Hauptanlage wurde<br />

letzte Nacht zerstört«, erwiderte Beregowoy. »Im Augenblick wird<br />

eine Ersatzanlage aufgebaut. Vorerst begnügen wir uns mit dem,<br />

was uns hier zur Verfügung steht.«<br />

»Kommt nicht in Frage«, meinte Alexejew. »Tun wir das be<strong>im</strong><br />

Vormarsch.«<br />

»Unterwegs kann ich nicht gut koordinieren!«<br />

»Als Leiche koordinieren Sie überhaupt nicht mehr.«<br />

USS Chicago<br />

Nun brach die Hölle los. Über ihnen kreisten mindestens drei Bear-<br />

F Patrouillenflugzeuge und warfen Sonobojen ab, was das Zeug<br />

hielt; das Sonar zeigte zwei Fregatten der Kriwak-Klasse und sechs<br />

Grischa-Patrouillenboote an, und obendrein hatte ein U-Boot vom<br />

Typ Victor III beschlossen, an den Festivitäten teilzunehmen.<br />

Chicago hatte die Gegner etwas angeknabbert und so seine<br />

Chancen verbessert. Mit Geschick waren <strong>im</strong> Lauf der letzten Stunden<br />

das Victor und eine Grischa versenkt und eine Kriwak beschädigt<br />

worden, aber die Lage verschlechterte sich. Die Russen griffen<br />

in Massen an, lange konnte er sie nicht mehr auf Distanz halten.<br />

Während der Zeit, die er zur Ortung und Versenkung des Victor<br />

gebraucht hatte, war die Überwassergruppe bis auf fünf Meilen an<br />

ihn herangekommen.<br />

Am liebsten hätte sich McCafferty mit Todd S<strong>im</strong>ms auf der<br />

568


Boston in Verbindung gesetzt, um ihre Aktivitäten zu koordinieren,<br />

aber das ging nicht, denn das Unterwassertelefon reichte nicht weit<br />

genug und machte zu viel Lärm. Und wenn sie sich über Funk<br />

verständigen wollten, musste Boston mit ausgefahrener Antenne in<br />

Oberflächennähe sein. Er war sicher, dass Todd so tief wie möglich<br />

getaucht war. Die amerikanische U-Boot-Doktrin sah vor, dass<br />

jedes Boot für sich allein operierte; bei den Sowjets wurde eine<br />

kooperative Taktik angewandt. Nun war McCafferty um einige<br />

gute Ideen verlegen. Die »Lehrbuchlösung« des anstehenden taktischen<br />

Problems wäre Manövrieren gewesen, Suchen nach Öffnungen,<br />

aber Chicago war an eine feste Position gebunden und durfte<br />

sich nicht zu weit von ihren Schwestern entfernen. Sobald die<br />

Russen erkannten, dass dort draußen ein Krüppel lag, würden sie<br />

wie eine Hundemeute über Providence herfallen und ihm den Rest<br />

geben. Für ein 688 gab der Russe gern ein paar kleine Schiffe hin.<br />

»Irgendwelche Ideen, IO?« fragte McCafferty.<br />

»Von unseren Freunden halten wir die Russen fern, indem wir sie<br />

auf uns aufmerksam machen.«<br />

»Also nach Osten laufen und den Verband von der Seite angreifen?«<br />

»Riskant«, gestand der Erste zu. »Aber riskant ist <strong>im</strong> Augenblick<br />

alles.«<br />

»Sie halten auf Kurs. Zwei Drittel voraus, und bleiben Sie dicht<br />

überm Grund.«<br />

Chicago ging auf Südwestkurs und achtzehn Knoten Fahrt.<br />

Prächtige Gelegenheit, herauszufinden, wie akurat unsere Seekarten<br />

sind, dachte McCafferty. Hatte der Iwan hier Minenfelder<br />

gelegt? Der Erste Offizier hielt das Boot fünfzehn Meter über jener<br />

Tiefe, in der sich laut Karte der Grund befand - mehr noch, er ließ<br />

Vorsicht walten und blieb fünfzehn Meter über der höchsten Erhebung<br />

<strong>im</strong> Umkreis einer Meile. McCafferty entsann sich seiner ersten<br />

Fahrt in der Barentssee. Irgendwo in der Nähe lagen die<br />

Wracks der Zerstörer, die als Ziele versenkt worden waren. Wenn<br />

er eines mit achtzehn Knoten rammte.,. Die Fahrt dauerte vierzig<br />

Minuten.<br />

»Ein Drittel voraus!« befahl McCafferty, als er die Spannung<br />

nicht länger ertragen konnte. Chicago verlangsamte auf fünf Knoten.<br />

Zum Tauchoffizier: »Auf Sehrohrtiefe gehen.«<br />

Maate bedienten die Tiefenruder. Leises Rumpfknistern, als der<br />

569


Wasserdruck nachließ. Auf McCaffertys Befehl wurde zuerst der<br />

ESM-Mast ausgefahren. Dann kam das Suchsehrohr.<br />

Eine Störungsfront zog heran, <strong>im</strong> Westen ging Regen nieder.<br />

Großartig, dachte McCafferty. Zehn Prozent weniger Sonarleistung.<br />

»Mast in zwo-sechs-vier - was ist das?"<br />

»Kein Radarsignal aus dieser Richtung«, sagte ein Techniker.<br />

»Mast gebrochen - das ist die Kriwak. Geben wir ihr den Rest.<br />

Ich-«- Ein Schatten wischte über die Linse. McCafferty richtete das<br />

Instrument nach oben und sah die gepfeilten Flügel und Propeller<br />

eines Bear.<br />

»Hier Sonar- achteraus zahlreiche Sonobojen!«<br />

McCafferty klappte die Griffe hoch und ließ das Periskop einfahren.<br />

»Tauchen! Tiefe vierhundert Fuß, Ruder hart Backbord, äußerste<br />

Kraft voraus.«<br />

Keine zweihundert Yard vom Boot entfernt landete eine Sonoboje<br />

<strong>im</strong> Wasser. Der messingscharfe Klang ihres Peilsignals hallte<br />

durch den Rumpf.<br />

Wie lange, bis die Bear kehrtmacht und einen Torpedo abwirft?<br />

Auf McCaffertys Befehl wurde ein Störer ausgestoßen. Da er versagte,<br />

ließ man einen zweiten los. Eine Minute verging. Der Bear<br />

nahm wohl erst eine Magnetpeilung vor.<br />

»Band zurückspulen.« Der Elektriker vom Dienst war froh, etwas<br />

zu tun zu haben. Die fünf Sekunden lange Aufzeichnung zeigte<br />

etwas, das wie die Überreste des Decks einer Kriwak aussah.<br />

»Nun dreihundert Fuß. Fahrt zwanzig, n<strong>im</strong>mt zu.«<br />

»Dicht überm Grund, Joe«, sagte McCafferty.<br />

»Torpedo <strong>im</strong> Wasser, Backbord achteraus! Torpedo in null-einsfünf.«<br />

»Ruder fünfzehn Grad Steuerbord! AK voraus! Neuer Kurs einssieben-fünf.«<br />

McCafferty kehrte dem Torpedo das Heck zu und<br />

vergegenwärtigte sich au<strong>tom</strong>atisch die taktische Lage: russischer<br />

ASW-Torpedo, Durchmesser vierzig Zent<strong>im</strong>eter, Geschwindigkeit<br />

rund sechsunddreißig Knoten, Reichweite vier Meilen, läuft ungefähr<br />

neun Minuten lang. Wir machen fünfundzwanzig Knoten, der<br />

Fisch liegt eine Meile hinter uns... sieben Minuten, bis er uns<br />

eingeholt hat. Kriegt er uns? Wir beschleunigen pro Minute um<br />

zehn Knoten... nein, er kriegt uns nicht.<br />

»Hochfrequenz<strong>im</strong>pulse achteraus! Klingt wie Torpedo-Sonar.«<br />

570


»Ruhe, Leute, der erwischt uns nicht.« Andererseits werden wir<br />

von russischen Schiffen in der Nachbarschaft gehört, sagte sich<br />

McCafferty.<br />

»Vierhundert Fuß, pendeln nun aus.«<br />

»Torpedo kommt näher, Sir«, meldete der Sonar-Chief. "Die<br />

Impulse klingen aber komisch, wie...« Eine mächtige Explosion<br />

erschütterte das Boot.<br />

»Zwei Drittel voraus, neuer Kurs zwei-sechs-fünf. Das eben war<br />

der russische Torpedo, der den Grund traf. Sonar, Daten bitte.«<br />

Die Russen hatten nördlich von Chicago eine neue Kette von<br />

Sonarbojen ausgelegt, aber wohl in zu großer Distanz. Die Peilungen<br />

der nächsten sowjetischen Schiffe pendelten sich ein: Alles hielt<br />

auf Chicago zu.<br />

»So, jetzt haben unsere Freunde eine Weile Ruhe.«<br />

»Großartig.«<br />

»Fahren wir weiter nach Süden und sehen zu, ob sie uns passieren.<br />

Dann zeigen wir ihnen, mit wem sie es zu tun haben.«<br />

Island<br />

Wenn ich hier heil rauskomme, dachte Edwards, zieh ich nach<br />

Nebraska. Dieser Staat, den er schon oft überflogen hatte, war<br />

nämlich so angenehm platt. Ganz anders als Island. Inzwischen war<br />

wenigstens das Vorankommen leichter. Edwards hielt sich mit<br />

seiner Gruppe auf einer Höhe von hundertfünfzig Metern, mindestens<br />

zwei Meilen von der geschotterten Küstenstraße entfernt, mit<br />

Bergen <strong>im</strong> Rücken und einem schönen weiten Blick. Außer Routineaktivität<br />

hatten sie bislang nichts beobachtet.<br />

»Wohltuende Ruhe, Sergeant?« Edwards und seine Gruppe holten<br />

Smith ein. Eine halbe Meile vor ihnen lag eine Straße, die erste,<br />

die sie seit zwei Tagen zu Gesicht bekamen.<br />

»Sehen Sie diesen Gipfel da? Auf dem ist vor zwanzig Minuten<br />

ein Hubschrauber gelandet«, sagte Smith.<br />

Edwards entfaltete seine Karte und setzte sich. »Höhe 1063,<br />

1067 Meter hoch.«<br />

»Guter Platz für einen Beobachtungsstand. Glauben Sie, dass<br />

man uns von dort sehen kann?«<br />

»Hm, sind zehn oder elf Meilen. Kommt drauf an, Skipper.<br />

571


Vermutlich überwachen sie von dort das Wasser links und rechts.<br />

Und wenn sie Grips haben, behalten sie auch die Felsen <strong>im</strong> Auge.«<br />

»In welcher Stärke sitzen die da oben?«<br />

»Schwer zu sagen. Niemand, ein Zug, eine Kompanie? Wenn<br />

dort jemand ist, wird er ein gutes Fernglas und ein Funkgerät<br />

haben.«<br />

»Und wie kommen wir an dem Posten vorbei?« fragte Edwards.<br />

Das Gelände war offen, nur mit wenigen Büschen bestanden.<br />

»Gute Frage, Skipper. Sorgfältig die Route auswählen, in Dekkung<br />

bleiben, Senken ausnutzen. Auf der Karte ist allerdings eine<br />

kleine Bucht, die so weit ins Landesinnere reicht, dass sie dem<br />

Posten auf vier Meilen nahekommt. Die können wir nicht umgehen,<br />

ohne auf die Landstraße zu stoßen - und das geht nicht.«<br />

»Was gibt's?« Sergeant Nichols traf ein. Smith gab einen Lagebericht,<br />

Edwards ging ans Funkgerät.<br />

»Sie wissen also nur, dass Russen auf dem Berg sind. Stärke und<br />

Bewaffnung sind Ihnen unbekannt?« fragte Doghouse.<br />

»Korrekt.«<br />

»Mist. Wir wollten sie auf dieser Höhe postieren.«<br />

»Ausgeschlossen. Selbstmord können wir auch auf elegantere<br />

Art begehen. Ich überlege mir das einmal und melde mich dann<br />

wieder. Gut so?«<br />

»Gut. Wir warten. Out.«<br />

Edwards sah sich mit seinen Sergeants die Karten an.<br />

»Kommt eigentlich nur darauf an, wie viele Männer sie da oben<br />

haben und wie clever sie sind«, fand Nichols. »Wenn sie in Kompaniestärke<br />

dort sitzen, müssen wir mit Streifen rechnen.«<br />

»Wie viele Männer würden Sie dort stationieren?« fragte Edwards.<br />

»Der Iwan hat eine ganze Fallschirmjägerdivision plus andere<br />

Einheiten hier auf Island - sagen wir insgesamt über zehntausend<br />

Mann. Da er nicht die ganze Insel besetzen und kontrollieren<br />

kann, setzt er eine Kompanie Schützen auf den Berg oder nur ein<br />

Beobachterteam. Die halten nach Ihrer Landungsflotte Ausschau,<br />

und von dort kann man mit einem ordentlichen Fernglas die ganze<br />

Bucht <strong>im</strong> Norden und auf der anderen Seite das Gelände bis Keflavik<br />

übersehen. Man wird auch die Augen nach Flugzeugen offenhalten.«<br />

»Wollen Sie uns etwa Mut machen?« erkundigte sich Smith.<br />

572


» Meiner Ansicht nach ist es relativ sicher, wenn wir uns dem Berg<br />

nähern, bis zum Einbruch der Dunkelheit warten und uns dann<br />

unter ihnen vorbeischleichen. Dann haben sie nämlich die Sonne in<br />

den Augen.«<br />

»Machen Sie so etwas zum ersten Mal?« fragte Edwards.<br />

Nichols schüttelte den Kopf. »Nein, wir wurden drei Wochen<br />

vor der Invasion auf den Falklands abgesetzt, um einiges auszukundschaften.<br />

Genau wie jetzt.«<br />

»Von einer Invasion sagte Doghouse aber nichts.«<br />

»Lieutenant, Ihre Marines sollen hier landen. Das hat mir zwar<br />

niemand gesagt, aber ich bin doch wohl kaum hier, um nach<br />

Fußballplätzen zu suchen, oder?«<br />

Nichols war Mitte dreißig und hatte eine fast zwanzigjährige<br />

Dienstzeit hinter sich. Er war das bei weitem älteste Mitglied der<br />

Gruppe, und es war ihm nicht leichtgefallen, den Befehlen eines<br />

blutigen Amateurs zu folgen. Eines aber gefiel ihm an dem jungen<br />

Meteorologen - er konnte zuhören.<br />

»Gut, wir sollen also von diesem Hügel aus observieren. Wie<br />

wäre es mit der kleineren Anhöhe <strong>im</strong> Westen?«<br />

»Der Umweg wäre zu weit, wenn wir sie ungesehen erreichen<br />

wollen, aber es wäre möglich, dort einen Posten einzurichten. Nur<br />

dürfen die Russen nicht zu wachsam sein.«<br />

»Gut, wenn wir die Straße überquert haben, sammeln wir uns<br />

und marschieren in einer Gruppe. Sie gehen voran, Sergeant Nichols.<br />

Ich würde aber vorschlagen, dass wir uns erst einmal ausruhen.<br />

Die nächste Etappe kommt mir lang vor.«<br />

»Acht Meilen bis zum Fuß des Hügels. Bei Sonnenuntergang<br />

sollten wir dort sein.«<br />

Edwards schaute auf die Uhr. »Gut, brechen wir in einer Stunde<br />

auf.« Dann ging er hinüber zu Vigdis.<br />

»Michael, was machen wir jetzt?« Er erklärte ihr ausführlich die<br />

Lage.<br />

»Da kommen wir den Russen gefährlich nahe.«<br />

»Michael, wollen Sie mich nicht dabeihaben?«<br />

Sage ich ja, kränke ich sie, dachte Edwards. Sage ich nein...<br />

Mist!<br />

»Ich will nicht, dass Ihnen noch einmal etwas zustößt.«<br />

»Ich bleibe bei Ihnen, Michael. Bei Ihnen bin ich sicher.«<br />

573


Southampton<br />

Es dauerte mehrere Stunden, bis das eingedrungene Wasser, das ihr<br />

Schlagseite gegeben hatte, gelenzt war. Die starken Schlepper Catacombe<br />

und Vecta zogen sie langsam in den Solent. Zweitausend<br />

Arbeiter der Vosper-Werft hatten das Flugdeck repariert; neue<br />

Fangleinen und elektronische Anlagen, die längst nicht an die Leistung<br />

der von den Russen zerstörten heranreichten, waren aus<br />

Amerika eingeflogen worden. Vor Portsmouth warteten Eskorten,<br />

und dann nahm die kleine Formation Kurs auf den Ärmelkanal.<br />

Die Flugoperationen begannen sofort. Erst kamen die Jagdbomber<br />

Corsair, dann die schweren Intruder und die Viking zur U-Jagd.<br />

USS N<strong>im</strong>itz war wieder <strong>im</strong> Einsatz.<br />

USS Chicago<br />

»- und Feuer!« Drei Stunden qualvoller Arbeit gipfelten in einer<br />

halben Sekunde. Das Boot erbebte; Preßluft trieb zwei Torpedos ins<br />

schwarze Wasser der Barentssee.<br />

Der sowjetische Kommandant hatte übereifrig versucht, die Versenkung<br />

von Chicago zu verifizieren, und seine Fregatte knapp<br />

hinter die verbliebenen beiden Grischa gesetzt. Alle drei Schiffe<br />

suchten mit Aktiv-Sonar den Grund nach dem Wrack des U-Bootes<br />

ab. McCafferty aber hatte einen weiten Bogen um die Fregatte<br />

geschlagen, sich am Rand des Erfassungsbereichs ihres Sonars gehalten<br />

und war dann von hinten bis auf zweitausend Yard an sie<br />

herangefahren. Ein Torpedo für die Kriwak und einer, der auf das<br />

nächste Patrouillenboot zulief.<br />

»Kurs und Fahrt der Ziele unverändert, Sir.« Der Torpedo jagte<br />

hinter der sowjetischen Fregatte her. »Sie peilen <strong>im</strong>mer noch in die<br />

andere Richtung, Sir.«<br />

Das Wasserfall-Display leuchtete auf. Gleichzeitig hallte die donnernde<br />

Explosion durch den Rumpf.<br />

»Sehrohr ausfahren!« McCafferty schaute schon auf Deckhöhe<br />

ins Objektiv und folgte ihm langsam nach oben. »Eindeutig Versenkung.<br />

Wir haben ihr das Rückgrat gebrochen. Gut-« Er drehte das<br />

Periskop in die Richtung der nächsten Grischa. »Okay, Ziel Zwei<br />

dreht ab, erhöht die Geschwindigkeit.«<br />

574


»Skipper, Lenkdraht an Torpedo zwei gerissen.«<br />

»Wie lange hat er noch zu laufen?«<br />

»Vier Minuten, Sir.« Wenn die Grischa vier Minuten lang mit<br />

Höchstfahrt lief, hatte sie sich aus dem Erfassungsbereich des Torpedos<br />

entfernt.<br />

»Verflucht, der geht vorbei. Sehrohr einfahren. Verschwinden<br />

wir, diesmal nach Osten. Tiefe vierhundert Fuß, zwei Drittel voraus.<br />

Kurs null-fünf-fünf.«<br />

»Muss die Druckwelle der Explosion gewesen sein, Sir. Eine<br />

halbe Sekunde später rissen die Lenkdrähte von Fisch Zwei.«<br />

McCafferty und sein Waffenoffizier sahen sich das Display an.<br />

»St<strong>im</strong>mt, da habe ich zu knapp kalkuliert. Okay.« McCafferty<br />

trat an den Kartentisch. »Was meinen Sie, wo unsere Freunde<br />

sind?«<br />

»Ungefähr hier, Sir, zwanzig bis fünfundzwanzig Meilen weg.«<br />

»Na, denen wird die kalte Dusche fürs erste reichen. Mal sehen,<br />

ob wir wieder nach vorne kommen, solange der Iwan noch rauszukriegen<br />

versucht, was eigentlich gespielt wird.«<br />

»Wir haben Schwein gehabt, Sir«, bemerkte der IO.<br />

»Allerdings. Ich muss wissen, wo ihre U-Boote sind. Dieses Victor<br />

eben fuhr uns glatt vors Fadenkreuz. Wo stecken die anderen?«<br />

Bislang war die Beute nicht übel gewesen. Drei Patrouillenboote,<br />

eine Fregatte und ein U-Boot. Noch aber war es nicht vorbei. Erst<br />

musste Providence sicher zum Packeis gebracht werden.<br />

575


Island<br />

38<br />

Verdeckte Operationen<br />

Die erste Etappe war an sich nur eine dreizehn Kilometer lange<br />

gerade Strecke, die sich aber durch Umwege auf der Suche nach<br />

Deckung fast verdoppelte. Zum ersten Mal fühlte Edwards sich<br />

beobachtet. Was, wenn ein russischer Feldwebel mit einem Fernglas<br />

ihre Gewehre und Tornister entdeckt, zum Sprechfunkgerät<br />

gegriffen und einen bewaffneten Hubschrauber gerufen hatte? Der<br />

anstrengende Marsch und die Furcht ließen ihre Herzen schneller<br />

schlagen, ermüdeten sie rascher.<br />

Sergeant Nichols erwies sich als fähiger und anspruchsvoller<br />

Führer. Er war der Älteste, aber sein Durchhaltevermögen - trotz<br />

des verletzten Knöchels - verblüffte Edwards. Alle waren still,<br />

niemand wollte ein Geräusch machen, und Nichols konnte jene, die<br />

nicht mitkamen, nicht anschnauzen. Aber seine verächtlichen<br />

Blicke sagten genug. Er ist zehn Jahre älter als ich, dachte Edwards,<br />

ich bin Leichtathlet und kann trotzdem nicht mithalten.<br />

Nichols hielt die Gruppe außer Sichtweite der Küstenstraße, aber<br />

an einem Punkt folgte die Straße einer kleinen Bucht und kam ihrem<br />

Pfad bis auf eine Meile nahe. Nun standen sie vor einer schweren<br />

Entscheidung: Sie konnten entweder von der Straße aus, auf der<br />

überwiegend russischer Verkehr herrschte, oder vom Berggipfel aus<br />

entdeckt werden. Sie entschieden sich für die Straße, marschierten<br />

langsam und behutsam und beobachteten die Fahrzeuge, die alle<br />

fünfzehn Minuten vorbeikamen. Die Sonne stand schon tief am<br />

Nordwesth<strong>im</strong>mel, als sie durch eine Klamm kletterten und sich<br />

einen Platz für eine kurze Rast vor dem Anstieg zu ihrem Beobachtungsposten<br />

suchten.<br />

»Na, war das kein hübscher Spaziergang?« fragte Nichols von<br />

den Royal Marines, der noch nicht einmal ins Schwitzen geraten<br />

war.<br />

»Wollen Sie uns etwas vormachen, Sergeant?« fragte Edwards.<br />

576


»Verzeihung, Lieutenant, aber ich hörte, Sie seien einigermaßen<br />

fit.«<br />

»Zusammengebrochen bin ich jedenfalls noch nicht«, versetzte<br />

Edwards. »Was nun?«<br />

»Ich schlage vor, dass wir noch eine Stunde warten, bis die Sonne<br />

tiefer steht, und dann weitermarschieren. Es sind nur noch neun<br />

Meilen. Sehen wir zu, dass wir so rasch wie möglich vorankommen.«<br />

Edwards fand die Aussicht auf weitere Strapazen entsetzlich, ließ<br />

sich aber nichts anmerken. »Sind Sie auch sicher, dass man uns nicht<br />

entdecken wird?«<br />

»Sicher? Nein. Aber <strong>im</strong> Zwielicht sieht man am schlechtesten,<br />

weil sich das Auge nicht auf den Kontrast zwischen hellem H<strong>im</strong>mel<br />

und dunklem Boden einstellen kann.«<br />

»Gut, Sie haben uns sicher bis hierher gebracht. Ich sehe jetzt<br />

nach, wie es der Frau geht.«<br />

Nichols schaute ihm nach. »Hm, nach einer Frau würde ich jetzt<br />

auch gerne sehen.«<br />

»Unkluge Bemerkung, Nick«, sagte Smith leise.<br />

»Aber hören Sie mal, ich weiß genau, was er -«<br />

»Nick, bitte keine respektlosen Reden«, warnte Smith. »Sie hat<br />

allerhand hinter sich. Und der Skipper ist ein Gentleman, verstanden?<br />

Zuerst hielt ich ihn auch für einen Schwächling, aber das war<br />

ein Irrtum. Fest steht, dass Miss Vigdis eine patente Frau ist.«<br />

Mike fand sie zusammengerollt neben einem Felsblock liegen.<br />

Rodgers entfernte sich, als er den Lieutenant kommen sah.<br />

»Wie geht's?« fragte Mike. Sie wandte leicht den Kopf.<br />

»Ich bin todmüde, Michael.«<br />

»Geht mir genauso.« Mike setzte sich neben sie und streckte die<br />

Beine aus. Er hatte gerade noch genug Kraft, um ihr übers Haar zu<br />

streichen. Es war von Schweiß verklebt, aber Mike nahm das nicht<br />

mehr wahr. »Nur noch ein kurzes Stück, dann sind wir da. Es war<br />

schließlich Ihre Idee, mit uns zu kommen.«<br />

»Wie dumm von mir!« sagte sie halb <strong>im</strong> Scherz. Mike erinnerte<br />

sich an eine Weisheit seines Vaters: Wer noch Witze reißen kann, ist<br />

noch nicht geschlagen.<br />

»So, und jetzt strecken Sie mal die Beine aus, damit sie nicht steif<br />

werden. Drehen Sie sich um.« Edwards massierte ihr kurz die<br />

Waden. »Bananen brauchten wir jetzt.«<br />

577


Sie hob den Kopf. »Warum ausgerechnet Bananen?«<br />

»Weil sie viel Kalium enthalten, das Muskelkrämpfe verhindert.<br />

« Oder brauchten Schwangere eher Kalzium? fragte er sich.<br />

Was machen wir, wenn wir auf unserem neuen Berg sind?«<br />

»Wir warten auf Verstärkung.«<br />

»Kommt die denn auch?« Ihr Ton veränderte sich ein wenig.<br />

»Ja, ich glaube schon.«<br />

»Und Sie? Müssen Sie dann fort?« Mike schwieg für einen kurzen<br />

Augenblick. Sollte er nun kühn oder weiter schüchtern sein?<br />

»Ohne Sie will ich nicht fort.« Er zögerte wieder. »Vorausgesetzt<br />

natürlich, dass Sie-«<br />

»Ja, Michael.«<br />

Er legte Sich neben sie und stellte verdutzt fest, dass er sie begehrte.<br />

Inzwischen war sie für ihn nicht mehr das Opfer einer<br />

Vergewaltigung, das das Kind eines anderen Mannes trug, und sie<br />

war auch keine Ausländerin mehr. Er bewunderte ihre innere Kraft.<br />

»Du hast recht. Ich liebe dich.« H<strong>im</strong>mel noch mal! Nun war es<br />

heraus. Er ergriff ihre Hand, und sie ruhten sich vor der letzten<br />

Etappe aus.<br />

578


USS Chicago<br />

»Da ist einer, Sir. Wahrscheinlich Providence. Ich höre seltsame<br />

mechanische Geräusche, als schlügen Bleche gegeneinander.«<br />

Sie verfolgten das Ziel nun schon seit zwei Stunden, fuhren<br />

vorsichtig näher heran, als aus der vermuteten Schallquelle eine<br />

wahrscheinliche wurde. Der Sturm an der Oberfläche verminderte; ihre<br />

Sonar-Leistung erheblich, und die He<strong>im</strong>lichkeit des Ziels verhinderte<br />

über einen quälend langen Zeitraum hinweg die Erstellung<br />

einer Signatur. War das ein russisches U-Boot, das sich an ein Ziel<br />

anschlich? Endlich verriet sich Providence durch das Rattern seines<br />

beschädigten Turms. McCafferty ließ sein Boot mit acht Knoten an<br />

das Ziel heranfahren.<br />

Hatten die Männer der Providence das Sonar reparieren können?<br />

"Versucht hatten sie es best<strong>im</strong>mt, vermutete McCafferty, und auf<br />

wen würden sie tippen, wenn sie nun den Schall eines U-Bootes<br />

hörten, das sich von hinten anschlich? Auf ihren alten Freund<br />

Chicago oder auf ein zweites Victor-III? Anders herum: Konnte<br />

579


man denn sicher sein, dass es sich bei dem Ziel überhaupt um<br />

Providence handelte?<br />

Die sowjetischen Überwasserkräfte hatten sie hinter sich gelassen,<br />

getäuscht von McCaffertys Taktik des Zuschlagens und<br />

Flüchtens, und ehe der Lärm verklang, hatten sie einer eifrigen<br />

Jagd mit Flugzeugen und Überwasserschiffen gelauscht. Eine günstige<br />

Entwicklung, doch das Fehlen von Überwasserschiffen in<br />

diesem Gebiet bereitete McCafferty Unbehagen. Er befand sich<br />

nun womöglich in einem Operationsgebiet, das U-Booten vorbehalten<br />

war, und diese stellten viel gefährlichere Gegner dar. Sein<br />

Erfolg gegen das Victor war ein reiner Glücksfall gewesen; der<br />

sowjetische Kommandant hatte vor lauter Jagdeifer nicht auf seine<br />

Flanken geachtet. Es war nicht damit zu rechnen, dass dieser Fehler<br />

wiederholt wurde.<br />

»Distanz?« fragte McCafferty.<br />

»Rund zwei Meilen, Sir.«<br />

Gerade noch in Reichweite der Gertrude, aber McCafferty<br />

wollte viel näher heran. Zwanzig Minuten später waren sie bis auf<br />

tausend Yard an Providence herangekommen. McCafferty griff<br />

nach dem Hörer des Unterwassertelefons.<br />

»Chicago an Providence, over.«<br />

»Wird langsam Zeit, Danny.«<br />

»Wo ist Todd?«<br />

»Fuhr vor zwei Stunden nach Westen, um etwas auszukundschaften,<br />

und seitdem haben wir nichts mehr von ihm gehört.«<br />

»Wie sieht es bei Ihnen aus?«<br />

»Schwanz funktioniert, Rest des Sonars <strong>im</strong> E<strong>im</strong>er. Wir sind in<br />

der Lage, Torpedos abzufeuern. Im Torpedosteuerraum regnet es<br />

zwar, doch damit können wir leben, solange wir nicht tiefer als<br />

dreihundert Fuß tauchen.«<br />

»Können Sie mehr Fahrt machen?«<br />

»Wir haben acht Knoten versucht, stellten aber fest, dass sich das<br />

nicht durchhalten läßt. Der Turm bricht auseinander, Krach wird<br />

<strong>im</strong>mer schl<strong>im</strong>mer. Mehr als sechs schaffen wir nicht.«<br />

»Na gut. Wenn Ihr Schleppsonar funktioniert, setzen wir uns<br />

rund fünf Meilen vor Sie.«<br />

»Danke, Danny.«<br />

McCafferty hängte ein. »Sonar, haben Sie etwas?«<br />

»Nein, <strong>im</strong> Augenblick ist alles klar.«<br />

Zwei Drittel voraus.« Und wo, zum Kuckuck, ist Boston, fragte<br />

sich McCafferty.<br />

580


Komisch, wie ruhig es auf einmal ist«, bemerkte der IO.<br />

»Bloß nichts beschreien.« McCafferty lachte. »Gut, wir sprinten<br />

«nd driften jetzt nach Norden, wechseln den Modus alle fünfzehn<br />

Minuten, bis wir fünf Meilen vor Providence liegen. Dann fahren wir<br />

mit sechs Knoten weiter. Ich lege mich jetzt schlafen. Wecken Sie<br />

mich in zwei Stunden. Sprechen Sie mit Offizieren und Chiefs, sorgen<br />

Sie dafür, dass die Männer sich ausruhen.« McCafferty schnappte<br />

sich auf dem Weg nach vorn ein halbes belegtes Brot, das er schon<br />

verschlungen hatte, als er die Tür zu seiner Kammer erreichte.<br />

»Kommandant in die Zentrale!« Er hatte das Gefühl, gerade erst die<br />

Augen zugemacht zu haben, als der Lautsprecher über seinem Kopf<br />

losblökte. McCafferty schaute be<strong>im</strong> Hinausgehen auf die Uhr. Er<br />

hatte neunzig Minuten geschlafen. Musste reichen.<br />

»Was gibt's?« fragte er den Ersten.<br />

»Möglicher U-Boot-Kontakt an Backbord voraus. Noch keine<br />

Signatur.«<br />

»Boston!«<br />

»Kann sein.«<br />

Chicago lief lautlos mit sechs Knoten. Uns hört niemand, dachte<br />

der Kommandant auf dem Weg in den Sonarraum. Oder...?<br />

»Wie geht's, Chief?«<br />

»Einigermaßen, Sir. Der Bursche da ist raffiniert. Schauen Sie, wie<br />

er auftaucht und dann wieder verschwindet. Fast unmöglich, ihn<br />

festzunageln. Könnte Boston auf dem Rückweg sein. Oder ein<br />

Tango, das mit Batterien fährt. Schwer zu sagen, Sir.« Der Chief rieb<br />

sich die geröteten Augen und seufzte tief.<br />

»Wann haben Sie zuletzt geschlafen?«<br />

»Weiß ich nicht mehr, Sir.«<br />

»Wenn wir mit dieser Sache fertig sind, legen Sie sich in die Falle,<br />

Chief.«<br />

»Aye«, erwiderte der Chief und rief dann: »Was ist denn das? Ein<br />

zweiter Sonarkontakt hinter dem ersten in zwo-fünf-drei. Folgt dem<br />

anderen!«<br />

»Bitte identifizieren, Chief.«<br />

»Dazu habe ich nicht genug Daten, Sir. Beide bewegen sich mit<br />

Schleichfahrt.«<br />

581


Ist einer der beiden Kontakte Boston, fragte sich McCafferty.<br />

Und wenn, dann welcher? Soll ich Todd warnen, wenn er der<br />

vordere ist, und damit unsere Position verraten? Oder das Feuer<br />

eröffnen und womöglich den Falschen treffen? Oder einfach gar<br />

nichts tun?<br />

McCafferry trat ans Display. »Wie weit ist dieser Kontakt von<br />

Providence entfernt?«<br />

»Etwa viertausend Meter, nähert sich von Backbord.«<br />

»Dann hat er Providence erfaßt«, dachte McCafferty laut.<br />

»Torpedo in zwei-vier-neun!« rief der Sonar-Chief.<br />

»Ruder fünfzehn Grad Steuerbord, zwei Drittel voraus!« befahl<br />

McCafferty.<br />

»Hier Sonar, lauteres Maschinengeräusch von Kontakt Sierra<br />

Eins. Achtung, der vordere Kontakt ist ein Doppelschraubenboot,<br />

Fahrt zehn Knoten, beschleunigt weiter. Etwas Kavitation. Ziel<br />

Sierra eins manövriert. Klassifiziert als Tango-Klasse.«<br />

»Boston liegt also hinter ihm. Ein Drittel voraus.« McCafferty<br />

ließ die Fahrt herabsetzen. »Los, Todd, drauf!«<br />

Fünfzehn Sekunden später eine Explosion. S<strong>im</strong>ms hatte die gleiche<br />

Taktik angewandt wie sein Freund von der Chicago: Bis auf ein<br />

paar tausend Meter an das Ziel herangehen, ihm keine Chance<br />

geben, sich freizumanövrieren. Fünfzehn Minuten später gesellte<br />

sich Boston zum unversehrten Schwesterboot.<br />

»Verdammt, das waren vier harte Stunden. Dieses Tango war<br />

gut!« rief S<strong>im</strong>ms über die Gertrude. »Bei euch alles klar?«<br />

»Ja, wir bilden die Vorhut. Wollt ihr für eine Weile die Nachhut<br />

übernehmen?«<br />

»Wird gemacht, Danny. Bis bald.«<br />

Island<br />

»Gehen Sie voran, Sergeant Nichols.«<br />

Der russische Vorposten lag drei Meilen südlich und tausend<br />

Meter über ihnen. Sie erklommen die Wand der Klamm und erreichten<br />

relativ offenes Terrain. Nun befanden sie sich zwischen der<br />

Sonne und dem Vorposten. Edwards fand zwar überzeugend, was<br />

Nichols über die Lichtverhältnisse gesagt hatte, kam sich aber<br />

trotzdem sehr exponiert vor. Sie hatten sich die Gesichter ge­<br />

582


schwärzt, und ihre Uniformen ließen sie gut mit Farbe und Struktur<br />

des Geländes verschmelzen. Aber das menschliche Auge achtet auf<br />

Bewegung, dachte Edwards. Und wir bewegen uns. Was tu ich<br />

eigentlich hier?<br />

Ein Schritt nach dem anderen. Langsam, entspannt gehen, keinen<br />

Staub aufwirbeln. Schau an, ich bin unsichtbar.<br />

Edwards zwang sich, nicht zu dem Berg aufzuschauen, riskierte<br />

aber doch hin und wieder einen verstohlenen Blick. Der Berg ragte<br />

direkt über ihnen auf und wurde zum Gipfel hin steiler. Ein<br />

Vulkan? spekulierte Edwards. Kein Lebenszeichen auf dem Gipfel.<br />

Saßen dort vielleicht überhaupt keine Russen? Recht so, tut uns<br />

einen Gefallen, dachte Edwards, pennt, eßt oder haltet nach Flugzeugen<br />

Ausschau. Er konnte den Blick nur mit Mühe abwenden.<br />

Die Felsblöcke, die er überstieg oder umging, lagen <strong>im</strong>mer dichter<br />

beieinander. Jedes Gruppenmitglied ging für sich allein. Niemand<br />

sagte etwas. Alle Mienen waren ausdruckslos und verbargen<br />

entweder stille Entschlossenheit oder Erschöpfung. Das Terrain<br />

verlangte Konzentration.<br />

Das ist das Ende, dachte Edwards. Der letzte Marsch, der letzte<br />

Anstieg. Wenn das vorüber ist, hole ich selbst die Morgenzeitung<br />

mit dem Auto. Und wenn ich kein eingeschossiges Haus finde, lasse<br />

ich mir einen Aufzug einbauen. Den Rasen können die Kinder<br />

mähen. Ich setze mich auf die Terrasse und gucke zu.<br />

Endlich lag der Gipfel hinter ihnen. Seine verstohlenen Blicke<br />

musste er nun über die Schulter werfen. Der Hubschrauber voller<br />

sowjetischer Fallschirmjäger, mit dem er gerechnet hatte, blieb aus.<br />

Und da sie nun in relativer Sicherheit waren, schritt Nichols flotter<br />

aus.<br />

Vier Stunden später war der Vulkan hinter einem messerscharfen<br />

Kamm verschwunden. Nichols ließ Rast machen. Sie waren sieben<br />

Stunden unterwegs gewesen. »So, das Gröbste haben wir hinter<br />

uns. Nun brauchen wir nur noch diesen kleinen Hügel zu besteigen«,<br />

meinte er.<br />

»Vielleicht sollten wir erst Wasser holen«, schlug Smith vor und<br />

wies auf einen nahen Bach.<br />

»Gute Idee. Ich finde, wir sollten den Hügel dann so rasch wie<br />

möglich erkl<strong>im</strong>men.«<br />

»Einverstanden. Das ist der letzte Berg, auf den ich je kraxle!«<br />

schnaufte Edwards.<br />

583


Nichols lachte in sich hinein. »Das hab ich auch schon ein- oder<br />

zwe<strong>im</strong>al gesagt, Sir.«<br />

»Das nehme ich Ihnen nicht ab.«<br />

USS Independence<br />

»Willkommen an Bord, Toland!« Konteradmiral Scott Jacobson,<br />

Flieger und ranghöchster Trägergruppen-Befehlshaber der Navy,<br />

war an die Stelle des gefallenen Admirals Baker getreten. »Einen<br />

erstaunlichen Empfehlungsbrief hat Admiral Beattie Ihnen da geschrieben.«<br />

»Ach, ich hab nur eine Idee weitergegeben, die von jemand<br />

anderem stammte.«<br />

»Na schön. Sie waren auf der N<strong>im</strong>itz, als der Verband angegriffen<br />

wurde?«<br />

»Jawohl, Sir, ich war in der Gefechtszentrale.«<br />

»Aus der außer Ihnen nur Sonny Svenson entkam?«<br />

»Captain Svenson, jawohl, Sir.«<br />

Jacobson griff nach dem Telefon und gab drei Ziffern ein. »Bitten<br />

Sie Captain Spaulding zu mir. Danke. Toland, Sie, ich und mein<br />

Operationsoffizier werden diesen Vorfall noch einmal ablaufen<br />

lassen. Ich will sehen, ob man bei unserem Briefing etwas ausgelassen<br />

hat. In meinen Träger werden die Russen nämlich keine Löcher<br />

schießen.«<br />

»Man sollte sie nicht unterschätzen, Sir.«<br />

»Tu ich auch nicht, Toland. Deshalb habe ich Sie hier. Ihr Verband<br />

wurde damals zu hoch <strong>im</strong> Norden erwischt. Die Eroberung<br />

Islands war ein brillanter Schachzug der Russen, der unsere Pläne<br />

so ziemlich über den Haufen warf. Aber das bringen wir jetzt in<br />

Ordnung, Commander.«<br />

USS Reuben James<br />

»Was für ein schöner Anblick!« meinte O'Malley, warf seine Zigarette<br />

über Bord, verschränkte die Arme und schaute zu dem riesigen<br />

Träger am Horizont. Das Schiff war nur ein trüber grauer Schemen,<br />

auf dessen Deck Flugzeuge landeten.<br />

584


»Eigentlich sollte ich über den Geleitzug schreiben«, murrte<br />

Calloway.<br />

»Tja, <strong>im</strong> Augenblick wird nach Backbord abgedreht, und das<br />

wäre das Ende Ihrer Story.« Der Pilot drehte sich breit grinsend um.<br />

»He, Sie haben mich berühmt gemacht, st<strong>im</strong>mt's?«<br />

»Ihr Flieger seid doch alle gleich!« bellte der Reuter-Korrespondent<br />

böse zurück. »Und der Kommandant verrät mir noch nicht<br />

mal, wo es hingeht.«<br />

»Wissen Sie das denn nicht?« fragte O'Malley überrascht.<br />

»Und wohin fahren wir dann?«<br />

»Nach Norden.«<br />

Le Havre, Frankreich<br />

Der Hafen war für den Geleitzug freigemacht worden. Man bugsierte<br />

die Frachter an den Wracks mehrerer Schiffe vorbei, die<br />

sowjetischen Minen, teils vor dem Krieg gelegt, teils von Flugzeugen<br />

abgeworfen, zum Opfer gefallen waren. Die Anlagen waren<br />

auch mehrere Male von Langstreckenbombern angegriffen worden.<br />

Zuerst liefen die großen Ro/Ro-Containerschiffe ein. Acht trugen<br />

eine komplette Panzerdivision, und sie kamen rasch ins Bassin<br />

Theophile Ducrocq. Nacheinander wurden die gekrümmten Heckrampen<br />

auf den Kai abgesenkt, und die Panzer begannen an Land<br />

zu rollen. Wie Taxis standen in langer Reihe Tieflader bereit, um je<br />

einen Kampf- oder Schützenpanzer an die Front zu transportieren.<br />

Wenn sie beladen waren, fuhren sie nacheinander zum Sammelpunkt,<br />

den Renault-Anlagen am Hafen. Obwohl das Entladen der<br />

Division Stunden in Anspruch nehmen würde, hatte man beschlossen,<br />

alles auf einmal an die knapp fünfhundert Kilometer entfernte<br />

Front zu schaffen.<br />

Nach der scheinbar endlosen Überfahrt war die Ankunft für die<br />

amerikanischen Truppen, vorwiegend Männer der Nationalgarde,<br />

die nur selten ins Ausland reisten, ein Kulturschock. Die Hafenarbeiter<br />

und Verkehrspolizisten waren nach Wochen hektischer Arbeit<br />

zu erschöpft, um Gefühle zu zeigen, aber Zivilisten, die trotz<br />

strenger Gehe<strong>im</strong>haltung erfahren hatten, dass Verstärkung eingetroffen<br />

war, kamen erst in kleinen, dann größeren Gruppen, um<br />

585


sich die Neuankömmlinge zu betrachten. Die amerikanischen<br />

Truppen hatten Befehl, bei ihren Kompanien zu bleiben. Nach<br />

<strong>im</strong>provisierten Verhandlungen ließ man kleine Delegationen von<br />

Zivilisten zu den Soldaten. Das Sicherheitsrisiko war min<strong>im</strong>al,<br />

denn alle Telefonleitungen, die Nato-Häfen mit dem Rest Europas<br />

verbanden, wurden abgehört. Wie ihre Väter und Großväter erkannten<br />

die frisch eingetroffenen Truppen, dass Europa ihren Einsatz<br />

wert war. Diese Menschen, die von den Staaten aus gesehen<br />

hauptsächlich amerikanische Arbeitsplätze gefährdeten, hatten<br />

Hoffnungen und Träume wie jeder andere auch, und ihr Leben war<br />

in Gefahr. Und die Amerikaner kamen nicht, um für ein Prinzip,<br />

eine politische Entscheidung oder eines Paktes wegen zu kämpfen.<br />

Sie waren zum Schutz dieser Menschen gekommen, die sich nicht<br />

von ihren Nachbarn dahe<strong>im</strong> unterschieden.<br />

Das Ganze dauerte zwei Stunden länger als erwartet. Manche<br />

Fahrzeuge waren defekt, doch Hafenverwaltung und Polizei hatten<br />

die Sammelpunkte geschickt organisiert. Am frühen Nachmittag<br />

setzte sich die Division auf allen Fahrspuren einer eigens gesperrten<br />

Autobahn in Bewegung. Alle paar Meter stand jemand, um den<br />

Soldaten, die zum letzten Mal ihre Ausrüstung überprüften, zum<br />

Abschied zuzuwinken. Der einfache Teil der Reise stand kurz vor<br />

dem Abschluß.<br />

Island<br />

Um vier Uhr früh erreichten sie die Anhöhe und mussten feststellen,<br />

dass dieser Berg mehrere Gipfel hatte. Den höchsten, der drei Meilen<br />

entfernt war, nahmen die Russen ein. Edwards' Gruppe hatte<br />

die Wahl zwischen zwei kleineren. Sie wählten den nördlichen über<br />

dem kleinen Fischerhafen Stykkisholmur und der großen, mit Felsblöcken<br />

übersäten Bucht, die laut Landkarte Hvammsfjördur hieß.<br />

»Guter Beobachtungspunkt, Lieutenant Edwards«, fand Nichols.<br />

»Vorzüglich, Sergeant. Ich tu nämlich keinen Schritt mehr.«<br />

Edwards hatte sein Fernglas schon auf die Bergspitze <strong>im</strong> Osten<br />

gerichtet. »Da rührt sich nichts.«<br />

»Keine Angst, sie sind da«, meinte Nichols.<br />

»Allerdings«, st<strong>im</strong>mte Smith zu.<br />

586


Edwards packte sein Funkgerät aus. »Doghouse, hier Beagle.<br />

Wir sind am Ziel. Over.«<br />

»Geben Sie mir Ihre exakte Position.«<br />

Edwards schlug die Karte auf und las die Koordinaten ab. »Wir<br />

vermuten, dass sich auf dem nächsten Gipfel ein sowjetischer Beobachtungsposten<br />

befindet. Der Karte nach ist er rund fünf Kilometer<br />

entfernt. Wir sind hier gut getarnt und haben für fünf Tage Verpflegung<br />

und Wasser. Die Straßen nach Stykkisholmur sind zu übersehen.<br />

Mehr noch, es ist so klar, dass man bis nach Keflavik schauen<br />

kann. Wir können die Halbinsel ausmachen, aber keine Einzelheiten.«<br />

»Gut. Schauen Sie nach Norden."<br />

Edwards gab die Antenne an Smith weiter und richtete dann sein<br />

Fernglas auf die Stadt.<br />

»Also, das Land ist recht flach, wie ein Plateau überm Wasser.<br />

Die Stadt sieht klein aus, hat vielleicht acht Häuserblöcke. Ein paar<br />

kleine Fischerboote <strong>im</strong> Hafen... ich zähle neun. Nördlich und<br />

östlich des Hafens meilenweit Felsenküste. Keine Panzerfahrzeuge,<br />

keine auffälligen Hinweise auf russische Truppen. Augenblick: Da<br />

stehen zwei Allrader auf der Straße, aber Menschen sind keine zu<br />

sehen. Die Sonne steht noch tief, die Schatten sind lang. Auf den<br />

Straßen rührt sich nichts. Das wäre wohl alles.«<br />

»Gut gemacht, Beagle. Sagen Sie Bescheid, wenn Sie auch nur<br />

einen russischen Soldaten sehen, und bleiben Sie, wo Sie sind.«<br />

»Kommt uns jemand rausholen?«<br />

»Keine Ahnung, wovon Sie reden, Beagle.«<br />

USS Independence<br />

Toland stand in der Gefechtszentrale und beobachtete die Displays.<br />

Seine Hauptaufmerksamkeit galt den U-Booten. Acht alliierte<br />

Boote bildeten westlich von Island eine Barriere. Unterstützt wurden<br />

sie von Orion der Navy, die erst jetzt, da die Anzahl der<br />

russischen Jäger in Keflavik reduziert worden war, von Sondrestrom<br />

auf Grönland aus operieren konnten. Damit war ein möglicher<br />

Zugang zum Angriffsverband Atlantik verriegelt. Andere U-<br />

Boote bildeten parallel zum Kurs der Flotte eine Linie, und diese<br />

bekamen Unterstützung von den trägergestützten S-3 A Viking.<br />

587


Das Pentagon hatte an die Presse durchsickern lassen, diese<br />

Division der Marineinfanterie sei auf dem Weg nach Deutschland,<br />

wo die Schlacht in der Schwebe hing. In Wirklichkeit waren die in<br />

enger Formation laufenden Landungsschiffe nur zwanzig Meilen<br />

von Independence auf Kurs null-drei-neun und noch vierhundert<br />

Meilen von ihrem tatsächlichen Ziel entfernt.<br />

USS Reuben James<br />

»Wir fahren ja gar nicht mehr nach Norden«, sagte Calloway. In<br />

der Offiziersmesse wurde gerade das Abendessen serviert. Die<br />

Männer verschlangen den letzten frischen Salat an Bord.<br />

»Da haben Sie wohl recht«, bemerkte O'Malley. »Sieht so aus,<br />

als ginge es jetzt nach Westen.«<br />

»Sie können mir ruhig verraten, was wir vorhaben. Man hat mir<br />

nämlich den Zugang zum Satellitensender gesperrt.«<br />

»Wir schirmen den N<strong>im</strong>itz-Verband ab, was nicht so einfach ist,<br />

wenn man mit fünfundzwanzig Knoten durch die Wellen pflügt.«<br />

O'Malley mißfiel das Risiko.<br />

»Die Eskorten sind überwiegend Briten, nicht wahr?«<br />

»St<strong>im</strong>mt. Na und?«<br />

»Darüber könnte ich zum Beispiel berichten. Die Menschen dahe<strong>im</strong><br />

sollen erfahren, wie wichtig -«<br />

»Augenblick mal, Mr. Calloway, nehmen wir mal an, Ihre Geschichte<br />

käme in die Zeitungen. Dann liest sie ein sowjetischer<br />

Agent, der sie weitermeldet -«<br />

»Aber wie denn? Die Regierung kontrolliert doch best<strong>im</strong>mt sehr<br />

streng alle Kommunikationsmittel.«<br />

»Der Iwan hat genau wie wir eine Menge Fernmeldesatelliten.<br />

Wir verfügen auf unserem Fregättchen über zwei Satellitensender.<br />

Sie haben ja gesehen, wie billig die wirken. Die kann man sich doch<br />

glatt in den Garten stellen, in einen Busch vielleicht. Außerdem<br />

operiert der ganze Verband unter Funkstille. EMCON total. Im<br />

Augenblick sendet niemand etwas.«<br />

Morris erschien und nahm seinen Platz am Kopfende des Tisches<br />

ein.<br />

»Sir, wohin geht die Fahrt?« fragte Calloway.<br />

»Das habe ich gerade erst erfahren, aber leider darf ich Ihnen<br />

588


nichts sagen. Battleaxe und wir bilden weiterhin die Nachhut für<br />

die N<strong>im</strong>itz-Gruppe und heißen jetzt »Mike Force«.«<br />

»Kommt noch mehr Hilfe?« fragte O'Malley.<br />

»Die Bunker Hill ist zu uns unterwegs; musste ihre Magazine<br />

nachladen und zu HMS Illustrious stoßen. Beide Schiffe werden<br />

dicht be<strong>im</strong> Verband operieren, wenn sie eintreffen; wir spielen<br />

wieder Vorposten. In vier Stunden geht es ernsthaft mit der ASW-<br />

Arbeit los. Trotzdem ein tierischer Job, mit dem Träger Schritt zu<br />

halten."<br />

USS Chicago<br />

Binnen zehn Minuten waren drei Kontakte aufgetaucht. Zwei lagen<br />

vor Chicago und links und rechts voraus. Der dritte befand sich an<br />

Backbord querab. Offenbar war den Russen nicht entgangen, dass<br />

U-Boote versenkt worden waren. Musste an Funkbojen oder so<br />

etwas liegen, da war McCafferty sicher. Seine taktischen Erfolge<br />

hatten also nur bewirkt, dass dem Trio amerikanischer U-Boote<br />

noch größere Gefahren drohten.<br />

»Sonar an Zentrale. Einige Sonobojen-Signale in zwei-sechssechs.<br />

Insgeamt drei - Moment, vier Bojen.«<br />

Wieder Bear? dachte McCafferty. Eine gemeinschaftliche Jagd?<br />

Er ging nach vorne und stellte fest, dass auf dem Wasserfall-Display<br />

auf einmal einiges los war.<br />

»Sir, hier entstehen gerade drei Linien von Sonobojen. Da oben<br />

müssen mindestens drei Flugzeuge sein. Eine ist ziemlich nahe und<br />

erstreckt sich achtern von uns, erfaßt vielleicht sogar unsere<br />

Freunde.«<br />

McCafferty sah zu, wie die neuen Signale <strong>im</strong> Abstand von einer<br />

Minute erschienen. Jedes kam von einer russischen Sonoboje. Eine<br />

Linie verlängerte sich nach Osten, zwei andere wuchsen auf anderen<br />

Az<strong>im</strong>uten.<br />

»Man will uns einkreisen, Chief.«<br />

»Sieht so aus, Sir.«<br />

Bei jeder Versenkung eines U-Bootes haben wir den Russen einen<br />

Positionshinweis gegeben, dachte McCafferty, und sie so in die<br />

Lage versetzt, mehrmals unseren Kurs und unsere Geschwindigkeit<br />

zu best<strong>im</strong>men. McCafferty hatte sein Boot inzwischen zurück in<br />

589


den Swjatja-Anna-Graben gebracht und einen Weg zum Packeis<br />

vor sich, der hundert Meilen breit und dreihundert Faden tief war.<br />

Doch wie viele russische U-Boote lauerten dort?<br />

»Ich glaube, das ist Providence, Sir. Hat gerade die Geschwindigkeit<br />

erhöht. Die Boje muss direkt in seiner Nähe sein. Boston kann<br />

ich nach wie vor nicht finden.«<br />

Die Richtungspeilungen zu den beiden vorderen U-Kontakten<br />

waren nun konstant. Entfernungen ließen sich nur best<strong>im</strong>men,<br />

wenn manövriert wurde. Wenn er jetzt nach links abdrehte, näherte<br />

er sich einem dritten Kontakt, und das war womöglich keine sehr<br />

gute Idee. Wandte er sich aber nach rechts, floh er vor einem<br />

U-Boot, das dann Providence angreifen konnte. Wenn er nichts tat,<br />

erreichte er auch nichts. McCafferty war unschlüssig.<br />

»Schon wieder eine Boje, Sir.« Die neue war zwischen zwei<br />

Kontakten erschienen. Man versuchte, Providence zu orten.<br />

»Dort ist Boston, fährt an einer Boje vorbei.« Unvermittelt<br />

tauchte eine helle, neue Kontaktlinie auf. Todd hat gerade die<br />

Leistung erhöht und läßt sich erfassen, dachte McCafferty. Und<br />

dann taucht er tief und schüttelt die Verfolger ab.<br />

»Torpedo <strong>im</strong> Wasser in eins-neun-drei!«<br />

Ein russischer Bear hatte ihn auf Boston abgeworfen. McCafferty<br />

verfolgte auf dem Sonar-Display, wie S<strong>im</strong>ms abtauchte, verfolgt<br />

von dem Torpedo. Die helle Linie eines Störers erschien, blieb<br />

konstant, während Boston weiterhin manövrierte. Der Torpedo<br />

jagte hinter dem Lärminstrument her und lief noch drei Minuten,<br />

bis ihm der Treibstoff ausging.<br />

Was treiben die da? Was ist ihr Plan? fragte sich McCafferty. Es<br />

musste sich um Tango handeln, die ihre E-Motoren so weit zurückgefahren<br />

hatten, dass sie gerade noch Steuerfahrt machten, und aus<br />

diesem Grund waren sie von den Schirmen verschwunden. Sie<br />

kamen praktisch zum Stillstand, als die Flugzeuge Providence und<br />

Boston geortet hatten. Also kooperierten sie mit den Bear! Das<br />

bedeutete, dass sie sich in geringer Tiefe befanden und wegen der<br />

Oberflächennähe weniger Sonarleistung zur Verfügung hatten.<br />

»Chief, gehen wir einmal davon aus, dass diese beiden Kontakte<br />

Tangos waren, die zwölf Knoten liefen. Welcher Ortungsbereich<br />

ergibt sich aufgrund der vorliegenden Daten?«<br />

»Unter den herrschenden Wasserverhältnissen zehn bis zwölf<br />

Meilen - vorsichtig geschätzt, Sir.«<br />

590


Nördlich von Chicago erschienen die Linien weiterer Sonobojen.<br />

McCafferty ging in die Zentrale und sah sich ihre Positionen auf<br />

dem taktischen Display an. Wenn man von einem Zwe<strong>im</strong>eilenabstand<br />

zwischen Bojenlinien ausging, ließen sich Distanzen ermitteln.<br />

»Nicht gerade raffiniert«, bemerkte der IO.<br />

»Ist doch auch nicht notwendig. Mal sehen, ob wir uns zwischen<br />

den Bojen hindurchschleichen können.«<br />

»Was treiben unsere Freunde?«<br />

»Die verziehen sich jetzt auch besser nach Norden. Ich wage gar<br />

nicht, mir vorzustellen, was die Russen noch alles auf uns loslassen.<br />

Fahren wir an dieser Stelle durch.«<br />

Der Erste gab die Befehle; Chicago setzte sich wieder in Bewegung.<br />

Nun würde sich erweisen, ob die Gummibeschichtung des<br />

Rumpfes Schallwellen absorbierte oder nicht. Das U-Boot tauchte<br />

tief ab und hielt exakt auf den Mittelpunkt zwischen zwei aktiven<br />

Bojen zu.<br />

Wieder ein Torpedo achtern, und McCafferty ließ rasch ein<br />

Ausweichmanöver fahren, nur um festzustellen, dass der Fisch nicht<br />

auf ihn angesetzt worden war. Sie hörten ihn mehrere Minuten lang<br />

laufen, dann verklang das Geräusch. Die perfekte Methode, einem<br />

die Konzentration zu rauben, dachte McCafferty und brachte sein<br />

Boot zurück auf Nordkurs.<br />

Als sie näher kamen, änderten sich die Richtungen der Sonobojen.<br />

Sie lagen fast genau zwei Meilen voneinander entfernt, als<br />

Chicago dicht überm Grund mit Schleichfahrt die erste Linie überquerte,<br />

und waren auf eine Frequenz innerhalb des Hörbereichs<br />

eingestellt und <strong>im</strong> Boot deutlich zu hören. Wie <strong>im</strong> Film, dachte der<br />

Kommandant. Chicago fuhr ein wenig nach links und auf eine<br />

Lücke in der nächsten, drei Meilen entfernten Linie zu.<br />

Die Geschwindigkeit war nun auf vier Knoten herabgesetzt worden.<br />

Sonar warnte vor einem möglichen Kontakt <strong>im</strong> Norden, der<br />

aber sofort verklang. Vielleicht ein Tango, vielleicht auch nichts.<br />

Dennoch wurde er aufs Display gebracht. Das U-Boot brauchte fast<br />

eine Stunde, bis es die zweite Linie aktiver Bojen erreicht hatte.<br />

»Torpedo an Steuerbord!« rief Sonar.<br />

»Ruder hart Steuerbord, AK voraus!«<br />

Die Schraube wühlte das Wasser auf, erzeugte eine Menge Lärm<br />

für das russische Flugzeug, das den Fisch auf einen möglichen<br />

591


Kontakt abgeworfen hatte. Sie liefen drei Minuten lang weiter,<br />

warteten auf zusätzliche Daten über den Torpedo.<br />

»Wo ist der Fisch?«<br />

»Er peilt, Sir - aber in die andere Richtung, wird schwächer.»<br />

»Zwei Drittel voraus«, befahl McCafferty.<br />

»Noch ein Torpedo - in null-vier-sechs.«<br />

»Ruder hart Steuerbord, AK voraus«, musste McCafferty erneut<br />

befehlen. Er wandte sich an den IO. »Verflucht, die haben den<br />

Fisch eben nur abgeworfen, um uns aufzuscheuchen. Da oben sitzt<br />

ein ausgezeichneter Taktiker, der genau weiß, dass wir es uns nicht<br />

leisten können, einen Torpedo zu ignorieren.«<br />

»Woher wusste er, wo wir sind?«<br />

»Mag sein, dass er es nur <strong>im</strong> Gefühl hatte, mag sein, dass man<br />

einen Pieps von uns empfing. Auf jeden Fall haben sie jetzt einen<br />

Kontakt.«<br />

»Torpedo in null-vier-eins, peilt uns an, ich kann noch nicht<br />

sagen, ob er uns erfaßt hat, Sir. Neuer Kontakt in null-neun-fünf.<br />

Klingt nach Maschinengeräuschen... möglicherweise ein U-<br />

Boot.«<br />

»Was nun?« flüsterte McCafferty. Er kehrte dem russischen<br />

Torpedo das Heck zu und blieb knapp überm Grund. Die Sonarleistung<br />

fiel auf null, als Chicago auf über zwanzig Knoten beschleunigte.<br />

Doch die Instrumente empfingen weiter die Ultraschallsignale<br />

des Torpedos, und McCafferty manövrierte, um die<br />

auf ihn hinabtauchende Waffe hinter sich zu halten.<br />

»Auf hundert Fuß gehen! Störer ausstoßen.«<br />

»Tiefenruder voll anstellen!« Der Tauchoffizier ließ für dieses<br />

Manöver die vorderen Tr<strong>im</strong>mtanks kurz anblasen, eine Maßnahme,<br />

die zusammen mit dem Störer <strong>im</strong> Wasser eine gewaltige<br />

Turbulenz erzeugte. Der Torpedo jagte in diese Zone hinein und<br />

verfehlte Chicago. Ein gutes, aber verzweifeltes Manöver. Das U-<br />

Boot stieg rasch auf, sein elastischer Rumpf knisterte, als der Wasserdruck<br />

auf den Stahl nachließ. Draußen lauerte ein feindliches<br />

Boot, das nun allen möglichen Lärm von Chicago hören musste.<br />

Nun blieb McCafferty nur noch die Flucht. Er ließ die Fahrt auf<br />

fünf Knoten verlangsamen und drehte ab, als dem Torpedo unter<br />

ihm der Treibstoff ausging. Nächstes Problem: ein sowjetisches U-<br />

Boot ganz in der Nähe.<br />

»Jetzt muss er wissen, wo wir sind, Skipper.«<br />

592


»Allerdings. Sonar: Yankee-Suche!« Auch er konnte ungewöhnliche<br />

Taktiken anwenden. »Feuerleittrupp, klar für Schnellschuß.«<br />

Das leistungsfähige, aber nur selten benutzte Aktivsonar <strong>im</strong> Bug<br />

von Chicago peitschte das Wasser mit Niederfrequenz-Peilsignalen.<br />

»Kontakt in null-acht-sechs, Distanz viertausendsechshundert.«<br />

»Einstellen!«<br />

Drei Sekunden später hallten sowjetische Sonarwellen durch den<br />

Stahlrumpf.<br />

»Eingestellt! Rohr drei und zwei klar!«<br />

»Feuer!« Die Torpedos liefen in Sekundenabständen los.<br />

»Drähte kappen! Auf tausend Fuß gehen, AK voraus, Ruder hart<br />

Backbord, neuer Kurs zwei-sechs-fünf!« Das U-Boot machte praktisch<br />

auf der Stelle kehrt und raste nach Westen, als seine Torpedos<br />

auf ihr Ziel zujagten.<br />

»Torpedos achtern - null-acht-fünf.«<br />

»Geduld«, sagte McCafferty. Damit hatte der Russe offenbar<br />

nicht gerechnet. »Gut gemacht, Feuerleittrupp. Wir haben eine<br />

Minute vor dem Gegner gefeuert. Fahrt?«<br />

»Vierundzwanzig Knoten, n<strong>im</strong>mt zu, Sir«, erwiderte der Rudergänger.<br />

»Tiefe nun vierhundert Fuß, Sir.«<br />

»Sonar, wie viele Fische sind hinter uns her?«<br />

»Mindestens drei, Sir. Unsere peilen. Ich vermute, dass sie das<br />

Ziel erfaßt haben.«<br />

»IO, in ein paar Sekunden drehen wir ab und gehen höher. In<br />

diesem Augenblick stoßen Sie in Abständen von fünfzehn Sekunden<br />

vier Lärminstrumente aus.«<br />

»Aye, Sir.«<br />

McCafferty stellte sich hinter den Rudergänger, der gestern erst<br />

zwanzig geworden war. Der Ruderlagenanzeiger stand auf geradeaus,<br />

die Tiefenruder waren auf zehn Grad abwärts gestellt, und das<br />

Boot jagte auf fünfhundert Fuß weiter in die Tiefe. Die Fahrt betrug<br />

nun dreißig Knoten, doch die Beschleunigung ließ nach, da sich<br />

Chicago seiner Höchstgeschwindigkeit näherte. Er klopfte dem<br />

Jungen auf die Schulter.<br />

»So, zehn Grand aufwärts, Ruder zwanzig Grad Steuerbord.«<br />

Eine Explosion donnerte durch den Rumpf- ihr Fisch hatte sein<br />

Ziel gefunden. Chicagos radikales Manöver hatte eine gewaltige<br />

Turbulenzzone <strong>im</strong> Wasser hinterlassen, in die der Erste Offizier nun<br />

593


vier Störer setzte. Die kleinen Gasbehälter füllten die Zone mit<br />

Blasen, die vorzügliche Sonarziele darstellten. Unterdessen eilte<br />

Chicago nach Norden und direkt unter einer Sonoboje hindurch,<br />

aber die Russen konnten keinen weiteren Torpedo abwerten, um<br />

die bereits laufenden nicht zu irritieren.<br />

»Richtungsänderungen an allen Kontakten, Sir«, meldete Sonar.<br />

McCafferty konnte wieder frei atmen. »Ein Drittel voraus.«<br />

Der Rudergänger drehte am Maschinentelegraphen. Die Maschinisten<br />

reagierten sofort, und Chicago verlangsamte die Fahrt.<br />

»Versuchen wir, uns unsichtbar zu machen. Vermutlich wissen<br />

sie noch nicht, wer hier wen versenkt hat. Mittlerweile gehen wir<br />

zurück über Grund und schleichen nach Nordosten. Gut gemacht,<br />

Leute, das war ganz schön haarig.«<br />

Noch hundertfünfzig Meilen zum Packeis.<br />

594


Hunzen, BRD<br />

39<br />

Die Küste von Stykkisholmur<br />

Endlich hatten sie den Gegenangriff zerschlagen. Nein, sagte sich<br />

Alexejew, wir haben ihn nur zurückgeschlagen. Die Deutschen<br />

hatten dem russischen Angriff die Hälfte seines Schwungs genommen<br />

und sich dann freiwillig zurückgezogen. Nur <strong>im</strong> Besitz des<br />

Schlachtfeldes zu sein, war noch kein Sieg.<br />

Es wurde <strong>im</strong>mer schwerer. Beregowoy hatte recht gehabt mit<br />

seiner Bemerkung, eine große Schlacht ließe sich in der Bewegung<br />

viel schwerer koordinieren als von einem festen Gefechtsstand aus.<br />

Allein die Anstrengung, in einem engen Kommandowagen die richtige<br />

Karte aufzuschlagen, war ein Kampf gegen Raum und Zeit,<br />

und für eine achtzig Kilometer breite Front brauchte man eine<br />

Menge Karten. Der Gegenangriff hatte die Generäle gezwungen,<br />

eine ihrer kostbaren Formationen der Kategorie I nach Norden zu<br />

verlegen - gerade rechtzeitig, um mit ansehen zu müssen, wie sich<br />

die Deutschen zurückzogen, nachdem sie drei Mot-Schützendivisionen<br />

der Kategorie II <strong>im</strong> Rücken angegriffen und böse zugerichtet<br />

und bei Tausenden von Reservisten, die mit alter Ausrüstung klarzukommen<br />

versuchten und sich kaum noch an die Ausbildung<br />

erinnern konnten, Panik ausgelöst hatten.<br />

»Warum haben sie sich zurückgezogen?« fragte Sergetow seinen<br />

General.<br />

Alexejew antwortete nicht. Das war eine gute Frage, die er sich<br />

selbst bereits ein halbes dutzendmal gestellt hatte. Vermutlich aus<br />

zwei Gründen, grübelte er. Erstens, weil dem Feind die Kraft fehlte,<br />

zweitens, weil die Hauptsache unseres Angriffs schon fast die Weser<br />

erreicht hat und man sich mit dieser Krise befassen muss. Der<br />

Nachrichtendienstoffizier der Armeegruppe näherte sich.<br />

»Genosse General, eines unserer Aufklärungsflugzeuge hat eine<br />

beunruhigende Meldung gemacht.« Der Offizier gab den knappen<br />

Funkspruch des tieffliegenden Aufklärers wieder. Die Luftherr­<br />

595


schaft der Nato hatte diesen hochwichtigen Einheiten ganz besonders<br />

gr<strong>im</strong>mige Verluste zugefügt. Der Pilot dieses MiG-21 hatte auf<br />

der E 8 südlich von Osnabrück eine starke alliierte Panzerkolonne<br />

gemeldet und war seitdem verschollen. Der General griff sofort<br />

zum Funktelefon und rief Stendal an.<br />

»Warum wurden wir nicht sofort über diese Meldung informiert?«<br />

fragte er vorwurfsvoll seinen Vorgesetzten.<br />

»Es ist eine unbestätigte Meldung«, erwiderte der OB West.<br />

»Verdammt, wir wissen doch genau, dass die Amerikaner in Le<br />

Havre Verstärkungen gelandet haben!«<br />

»Die erst morgen an der Front sein können. Wie schnell haben Sie<br />

einen Brückenkopf an der Weser?«<br />

»Im Augenblick sind Einheiten bei Rühle am Fluß -«<br />

»Dann schaffen Sie Ihre Brückeneinheiten dorthin und bringen<br />

Sie die Leute rüber!«<br />

»Genosse, an meiner rechten Flanke herrscht noch Unordnung,<br />

und nun kommt diese Meldung, derzufolge sich dort möglicherweise<br />

eine feindliche Division formiert!«<br />

»Kümmern Sie sich um den Weserübergang und überlassen Sie<br />

diese Phan<strong>tom</strong>division mir. Das ist ein Befehl, Pawel Leonidowitsch!«<br />

Alexejew legte auf. Er hat einen besseren Überblick als ich,<br />

dachte er. Ist die Weser erst einmal überbrückt, liegt für fast hundert<br />

Kilometer kein ernsthaftes Hindernis mehr vor uns. Von der<br />

Weser aus können wir ins Ruhrgebiet vorstoßen. Wenn wir das<br />

zerstören oder auch nur bedrohen, werden die Deutschen womöglich<br />

eine politische Lösung anbieten, und dann ist der Krieg vorbei.<br />

Will der Chef mir das sagen?<br />

Der General schaute sich seine Karten an. Bald würde das führende<br />

Reg<strong>im</strong>ent den Angriff über die Weser beginnen. Ein Pionierreg<strong>im</strong>ent<br />

mit Pontonbrücken war bereits unterwegs. Und er hatte<br />

seine Befehle.<br />

»Setzen Sie die OMG-Einheiten in Bewegung.«<br />

»Und was wird aus unserer rechten Flanke?« protestierte Beregowoy.<br />

»Die muss auf sich selbst aufpassen.«<br />

596


Brüssel<br />

Der Nachschub bereitete dem SACEUR noch <strong>im</strong>mer Sorgen. Er war<br />

auch zu einem großen Risiko gezwungen worden, indem er der<br />

Panzerdivision, die nun auf Springe zurollte, auf den Straßen den<br />

absoluten Vorrang gab. Munition, Ersatzteile und Millionen anderer<br />

wichtiger Versorgungsgegenstände von den Containerschiffen<br />

wurden erst jetzt an die Front geschickt. Seine größte Reserveformation,<br />

die Panzer, waren <strong>im</strong> Begriff, sich mit zwei deutschen<br />

Brigaden und den Überresten des 1. Panzer-Kavallerie-Reg<strong>im</strong>entes<br />

zu vereinigen.<br />

Die Nachschublage war noch <strong>im</strong>mer gespannt. Viele seiner<br />

Fronteinheiten hatten nur noch Reserven für vier Tage, und selbst<br />

wenn alles perfekt klappte, würde das Auffüllen zwei Tage dauern.<br />

Bei einer Übung zu Friedenszeiten mochte diese Marge noch gereicht<br />

haben, doch nun, da Menschenleben und ganze Länder auf<br />

dem Spiel standen, sah das anders aus. Aber er hatte keine Wahl.<br />

»General, es liegt eine Meldung über einen Angriff in Reg<strong>im</strong>entsstärke<br />

auf die Weser vor. Sieht so aus, als wollte der Iwan Truppen<br />

ans linke Ufer bringen.«<br />

»Was haben wir dort?«<br />

»Ein angeschlagenes Bataillon. Zwei Kompanien Panzer sind<br />

unterwegs und sollten in einer guten Stunde an Ort und Stelle sein.<br />

Ersten Hinweisen zufolge stoßen sowjetische Verstärkungen in<br />

diese Richtung vor. Das kann die Hauptangriffsrichtung sein.«<br />

Der SACEUR lehnte sich in seinem Sessel zurück und sah zum<br />

Kartendisplay. Ein Reservereg<strong>im</strong>ent war drei Fahrstunden von<br />

Rühle entfernt. Der General spielte für sein Leben gern Poker und<br />

gewann gewöhnlich auch. Wenn er nun von Springe aus nach<br />

Süden angriff und erfolglos blieb, dann setzten die Russen zwei<br />

oder drei Divisionen über die Weser, denen er nur ein Reservereg<strong>im</strong>ent<br />

entgegenzustellen hatte. Verlegte er seine neue Panzerdivision<br />

dorthin - vorausgesetzt, sie kam wie durch ein Wunder rechtzeitig<br />

dort an -, vertat er seine beste Chance für einen Gegenangriff,<br />

indem er einmal wieder auf einen sowjetischen Schachzug reagierte.<br />

Nein, das musste jetzt ein Ende haben. Er wies auf Springe. »Wann<br />

sind die marschbereit?«<br />

»Die ganze Division? Bestenfalls in sechs Stunden. Einheiten, die<br />

noch unterwegs sind, können wir nach Süden umleiten -«<br />

597


»Kommt nicht in Frage.«<br />

»Stoßen wir dann mit den verfügbaren Kräften von Springe aus<br />

nach Süden vor?«<br />

»Nein.« Der SACEUR schüttelte den Kopf und legte seinen Plan<br />

dar...<br />

Island<br />

»Ich sehe einen!« rief Garcia. Edwards und Nichols waren <strong>im</strong> Nu<br />

an seiner Seite.<br />

»Hallo, Iwan«, meinte Nichols leise.<br />

Edwards sah eine winzige Gestalt am Kamm des Gipfels entlangmarschieren.<br />

Der Mann trug ein Gewehr und eine Mütze, keinen<br />

Helm. Nun blieb er stehen und hob die Hände ans Gesicht, hatte<br />

offenbar ein Fernglas. Er schaute nach Norden, leicht nach unten,<br />

nach links und rechts. Dann drehte er sich um und spähte in<br />

Richtung Keflavik.<br />

Ein weiterer Mann erschien, näherte sich dem ersten, der nach<br />

Süden wies.<br />

»Worum es da wohl geht?« fragte Edwards.<br />

»Die reden übers Wetter, von Mädchen, Sport oder Essen, wer<br />

weiß?« erwiderte Nichols. »Da ist noch einer!«<br />

Der dritte Mann musste ein Offizier sein, schloß Edwards. Er<br />

sagte etwas, und daraufhin entfernten sich die beiden anderen<br />

rasch. Welchen Befehl hatte er da gerade gegeben?<br />

Schließlich erschien eine Gruppe von Männern, mindestens zehn,<br />

die Hälfte davon bewaffnet. Man marschierte bergab nach Westen.<br />

»Ein guter Soldat«, kommentierte Nichols. »Schickt eine Streife<br />

los, um sicherzustellen, dass das Gebiet sicher ist.«<br />

»Und was unternehmen wir nun?« fragte Edwards.<br />

»Was schlagen Sie vor, Lieutenant?«<br />

»Wir haben den Befehl, uns nicht vom Fleck zu rühren. Tun wir<br />

das, und hoffen wir, dass sie uns nicht entdecken.«<br />

»Wäre auch unwahrscheinlich. Es ist kaum anzunehmen, dass sie<br />

von ihrem Berg steigen, sich durch die Felsblöcke da unten quälen<br />

und dann hier hochklettern nur für den Fall, dass hier Amerikaner<br />

sitzen. Dass sie überhaupt hier sind, wissen wir ja nur, weil wir ihren<br />

Hubschrauber beobachtet haben.«<br />

598


Andernfalls wären wir ihnen glatt vor die Füße gelaufen, sagte<br />

sich Edwards, und das wäre das Ende gewesen. Sicher kann ich<br />

mich erst fühlen, wenn ich wieder in Maine bin. »Kommen da noch<br />

mehr Russen?« fragte er laut.<br />

»Da drüben muss etwa eine Kompanie sein. Ziemlich clever von<br />

unseren Freunden, nicht wahr?«<br />

Edwards baute das Funkgerät auf, um Doghouse diese Entwicklung<br />

zu melden. Inzwischen behielten die Marines die Russen <strong>im</strong><br />

Auge.<br />

»Eine Kompanie, sagen Sie?«<br />

»Das ist Sergeant Nichols' Schätzung. Nicht so einfach, über drei<br />

Meilen Köpfe zu zählen.«<br />

»Gut, wir geben das weiter. Tut sich etwas in der Luft?«<br />

»Seit gestern haben wir kein Flugzeug gesehen.«<br />

»Und Stykkisholmur?«<br />

»Zu weit entfernt, um etwas zu erkennen. Die Allradfahrzeuge<br />

stehen <strong>im</strong>mer noch auf der Straße, aber es sind keine Panzer zu<br />

sehen. Die Fischerboote bleiben <strong>im</strong> Hafen.«<br />

Gut gemacht, Beagle. Bleiben Sie am Ball.« Der Major schaltete<br />

das Funkgerät ab und wandte sich an seinen Nachbarn an der<br />

Konsole. »Eine Schande, sie so <strong>im</strong> dunkeln tappen zu lassen.«<br />

Der SOE-Mann trank einen Schluck Tee. »Schl<strong>im</strong>mer noch,<br />

wenn die ganze Operation aufflöge.«<br />

Edwards zerlegte das Funkgerät nicht, sondern lehnte es an einen<br />

Felsblock. Vigdis lag noch <strong>im</strong>mer schlafend auf einem Felsrand<br />

knapp unterm Gipfel. Schlafen war die angenehmste Beschäftigung,<br />

die Edwards sich <strong>im</strong> Augenblick vorstellen konnte.<br />

»Die kommen auf uns zu«, sagte Garcia und gab Edwards das<br />

Fernglas. Smith und Nichols standen in der Nähe und besprachen<br />

sich.<br />

Mike richtete das Glas auf die Russen und sagte sich, es ist<br />

unwahrscheinlich, dass sie direkt auf diese Position zuhalten. Rede<br />

dir das ruhig weiter ein, dachte er und nahm sich den russischen<br />

Beobachtungsposten vor.<br />

»Da ist es schon wieder«, sagte der Feldwebel seinem Leutnant.<br />

»Was denn?«<br />

599


»Auf diesem Gipfel hat etwas geblitzt, als spiegelt sich die Sonne<br />

in etwas.«<br />

»Ein Gl<strong>im</strong>merstein«, schnaubte der Leutnant und schaute noch<br />

nicht einmal hin. »Genosse Leutnant!« Der Leutnant fuhr bei dem<br />

scharfen Ton herum und sah einen Stein auf sich zufliegen. Er fing<br />

ihn auf. »Sieht das vielleicht aus wie Gl<strong>im</strong>mer?«<br />

»Dann ist's eine Konservendose. Wir haben doch genug Abfall<br />

von Touristen und Bergsteigern gefunden.«<br />

»Warum blitzt das dann auf und verschwindet wieder?«<br />

Endlich geriet der Leutnant sichtlich in Rage. »Feldwebel, ich<br />

weiß, dass Sie ein Jahr Afghanistan-Erfahrung haben. Ich weiß<br />

auch, dass ich ein frischgebackener Offizier bin. Aber ich bin <strong>im</strong>mer<br />

noch der Offizier und Sie nur ein Feldwebel!«<br />

Die Wunder der klassenlosen Gesellschaft, dachte der Feldwebel<br />

und schaute den Offizier unverwandt an. Nur wenige Offiziere<br />

konnten seinem Blick standhalten.<br />

»Na schön, dann bringen Sie es ihnen bei.« Der Leutnant wies<br />

aufs Funkgerät.<br />

»Marchowski, sehen Sie sich den Gipfel zu Ihrer Rechten an, ehe<br />

Sie zurückkommen.«<br />

»Aber der ist doch zweihundert Meter hoch!« versetzte der Zugführer.<br />

»Genau. Eine Kleinigkeit«, meinte der Feldwebel tröstend.<br />

USS Independent<br />

Toland bediente den Projektor. »So, diese Satellitenbilder sind<br />

keine drei Stunden alt. Der Iwan hat drei mobile Radaranlagen, die<br />

Sie hier erkennen können, und er verlegt sie täglich. In Keflavik<br />

stehen fünf Startfahrzeuge für SA-11, vier Raketen pro Fahrzeug.<br />

Diese SAM sind böse Nachrichten. Über ihre Fähigkeiten sind Sie ja<br />

informiert. Außerdem müssen Sie sich auf ein paar hundert tragbare<br />

SAM gefaßt machen. Das Bild zeigt sechs Flakpanzer. Feste<br />

Flakstellungen sieht man nicht, meine Herren, weil sie getarnt sind.<br />

Dazu fünf bis zehn Abfangjäger MiG-29. Hier war einmal ein<br />

Reg<strong>im</strong>ent stationiert, bis die Jungs von der N<strong>im</strong>itz aufräumten.<br />

Vergessen Sie nicht, dass die übrigen Piloten zwei Geschwader<br />

Tomcats überlebt haben. Soviel also zum Gegner in Keflavik.«<br />

600


Fünfzehn Minuten später hob sich der Vorhang. Zuerst starteten<br />

die E-2C-Hawkeye. Von Jägern begleitet, flogen sie bis auf achtzig<br />

Meilen an die isländische Küste heran und dehnten ihren Radarerfassungsbereich<br />

über die ganze Formation aus. Weitere Hawkeye<br />

spähten nach Norden, um den Angriffsverband vor möglichen luftoder<br />

U-Boot-gestützten Raketen zu warnen.<br />

Keflavik, Island<br />

Sowjetisches Bodenradar erfaßte die Hawkeye schon, bevor noch<br />

ihre leistungsfähigen Systeme aktiviert wurden. Zwei der langsamen<br />

Propellerflugzeuge schwebten außerhalb der SAM-Reichweite,<br />

jeweils begleitet von anderen Maschinen, deren weite Achter-Flugbahnen<br />

sie als Tomcat-Abfangjäger auswiesen. Es wurde<br />

Alarm gegeben. Flak- und Raketenbedienungsmannschaften hasteten<br />

auf ihre Posten.<br />

Die russischen Jäger wurden von einem Major befehligt, der sich<br />

dreier Abschüsse rühmen konnte, aber auch die bittere Erfahrung<br />

gemacht hatte, dass Vorsicht sich auszahlt. Einmal war er bereits<br />

abgeschossen worden, einmal mit seinem Reg<strong>im</strong>ent in eine Falle der<br />

Amerikaner geraten. Wie sollte er nun wissen, ob dies ein Angriff<br />

war oder nur eine List, um die verbliebenen Jäger von Island<br />

wegzulocken? Er fällte seine Entscheidung. Auf seinen Befehl hin<br />

starteten die Jäger, stiegen auf zwanzigtausend Fuß, kreisten über<br />

der Halbinsel, sparten Treibstoff und blieben über Land und <strong>im</strong><br />

Schutz der SAM-Batterien. Als sie die befohlene Höhe erreicht<br />

hatten, zeigten ihre Radarwarngeräte weitere Hawkeye <strong>im</strong> Osten<br />

und Westen an.<br />

Zuerst griffen die Intruder an, kamen knapp über den Wellenkämmen<br />

mit Standard-ARM-Raketen unter den Tragflächen von Süden<br />

herangejagt. Ihnen folgten in größerer Höhe Tomcat-Jäger. Nachdem<br />

die Jäger die Radarflugzeuge passiert hatten, illuminierten sie<br />

die kreisenden MiG mit Radar und begannen, Phoenix-Raketen<br />

abzuschießen.<br />

Das konnten die MiG nicht ignorieren. Die sowjetischen Jäger<br />

verteilten sich paarweise.<br />

Die Intruder gingen knapp außerhalb der dreißig Meilen betra­<br />

601


genden Reichweite der SAM in den Steigflug und feuerten je vier<br />

Standard-ARM-Raketen ab, die auf die russischen Suchradaranlagen<br />

zuhielten. Die russischen Radar-Operatoren sahen sich vor eine<br />

grausame Wahl gestellt: entweder die Geräte eingeschaltet lassen<br />

und ihre fast sichere Zerstörung in Kauf nehmen oder sie abstellen<br />

und völlig den Überblick über die Luftschlacht verlieren. Sie wählten<br />

einen Mittelweg. Der sowjetische SAM-Kommandeur ließ die<br />

Sender in unregelmäßigen Abständen ein- und ausschalten, um die<br />

Raketen zu verwirren und die anfliegenden Feindverbände dennoch<br />

einigermaßen <strong>im</strong> Auge zu behalten.<br />

Als erste trafen die Phoenix ein. Die Piloten der MiG verloren<br />

plötzlich die Steuerung vom Boden, manövrierten aber weiter. Eine<br />

Maschine, auf die vier Raketen angesetzt worden waren, wich<br />

zweien aus und geriet einer dritten in die Bahn.<br />

Dann kamen die Standard-ARM. Die Russen verfügten über drei<br />

Suchradaranlagen und drei weitere zum Erfassen von Raketen. Alle<br />

waren nach dem ersten Alarm aktiviert und nach der Ortung von<br />

Raketen in der Luft wieder ausgeschaltet worden. Die Standard<br />

ließen sich nur geringfügig verwirren. Ihre Lenksysteme waren so<br />

ausgelegt, dass sie die Position einer Radaranlage nur für den Fall<br />

aufzeichneten, dass sie plötzlich zu senden aufhörte, und diese<br />

Positionen flogen sie jetzt an. Die Raketen zerstörten zwei Radaranlagen<br />

völlig und beschädigten zwei weitere.<br />

Der amerikanische Kommandeur war wütend, denn die russischen<br />

Jäger reagierten nicht wie erwartet. Selbst auf das Aufsteigen<br />

der Intruder hin hatten sie sich nicht gestellt - für diesen Fall waren<br />

tieffliegende amerikanische Jäger in Bereitschaft gewesen. Immerhin<br />

war das sowjetische Bodenradar ausgeschaltet. Er gab den<br />

nächsten Befehl. Drei Geschwader F/A-18 Hornet kamen <strong>im</strong> Tiefflug<br />

von Norden heran.<br />

Der Kommandeur der russischen Luftabwehr ließ sein Radar<br />

wieder anstellen, sah, dass keine Raketen mehr <strong>im</strong> Anflug waren,<br />

und erfaßte bald die niedrig fliegenden Hornet. Dann machte auch<br />

der Kommandeur der MiG die amerikanischen Kampfflugzeuge<br />

aus und erkannte seine Chance. Der MiG-29 war praktisch ein<br />

Zwilling der neuen amerikanischen Maschine.<br />

Die Hornet begannen ihre Lenkgeschosse auf die russischen<br />

SAM-Starter abzuschießen. Flugkörper schrieben Kreuzmuster an<br />

den H<strong>im</strong>mel. Zwei Hornet fielen Raketen zum Opfer, zwei andere<br />

602


der Flak; die restlichen belegten Bodenanlagen mit Bomben und<br />

dem Feuer ihrer Bordkanonen. Dann erschienen die MiG.<br />

Die amerikanischen Piloten wurden zwar gewarnt, befanden sich<br />

aber zu dicht vor ihren Zielen, um sofort reagieren zu können. Von<br />

ihrer Bombenlast befreit, hatten sie wieder die Fähigkeit von Jägern<br />

und stiegen auf - die MiG fürchteten sie mehr als Flugabwehrraketen.<br />

Die nun folgende Luftschlacht entwickelte sich äußerst konfus.<br />

Schon nebeneinander am Boden stehend, hätte man die beiden<br />

Flugzeugtypen kaum voneinander unterscheiden können, doch <strong>im</strong><br />

Gefecht und bei sechshundert Knoten war das noch viel schwieriger.<br />

So kam es, dass die Amerikaner, die in der Überzahl waren, erst<br />

feuern konnten, wenn sie sich ihrer Ziele sicher waren. Die Russen<br />

wussten zwar, was sie angriffen, zögerten aber, einfach ein Ziel<br />

anzugreifen, das einem eigenen Flugzeug derart ähnelte. Das Resultat<br />

war ein anachronistisches Duell mit Bordwaffen, unterstützt<br />

allerdings von Boden-Luft-Raketen der beiden überlebenden russischen<br />

Starter. Die Controller in den amerikanischen Radarflugzeugen<br />

und bei den russischen Bodenstationen bekamen keine Gelegenheit,<br />

steuernd in das Geschehen einzugreifen. Die Jäger gingen<br />

auf Nachbrenner und zogen Kurven, bei denen die Schwerkraft die<br />

Piloten mit dem Mehrfachen ihres Körpergewichts in die Sitze<br />

preßte, Köpfe wurden verdreht, zugekniffene Augen starrten auf<br />

vertraute Umrisse; die Flieger versuchten, Freund oder Feind anhand<br />

des Anstriches der Maschinen zu identifizieren. Die amerikanischen<br />

Hörnet waren dunstgrau und schwerer auszumachen. Zuerst<br />

wurden zwei Hornet abgeschossen, dann ein MiG. Ein weiterer<br />

MiG fiel Bordwaffenfeuer zum Opfer, eine Hornet einer Rakete.<br />

Eine SAM ließ eine MiG und eine Hornet zusammen explodieren.<br />

Der sowjetische Major sah das und befahl den SAM-Bedienungen<br />

brüllend, das Feuer einzustellen; dann schoß er mit seiner<br />

Kanone auf eine Hornet, der vor ihm vorbeifegte, verfehlte ihn,<br />

machte kehrt, um die Verfolgung aufzunehmen. Ein Amerikaner<br />

flog an eine MiG heran und beschädigte mit einem Schuß das<br />

Triebwerk. Der Major wusste nun nicht mehr, wie viele von seinen<br />

Maschinen übrig waren. Darauf kam es auch nicht mehr an, nun<br />

ging es nur noch ums nackte Leben. Er ließ alle Vorsicht fahren,<br />

schaltete den Nachbrenner ein und ignorierte das Warnlicht der<br />

Treibstoffanzeige. Sein Ziel wandte sich nach Norden übers Meer.<br />

603


Der Major feuerte seine letzte Rakete ab und sah, wie sie sich ins<br />

rechte Triebwerk des Hornet bohrte. Im selben Augenblick setzten<br />

seine eigenen Triebwerke aus. Das Leitwerk des Hörnet wurde in<br />

Fetzen gerissen, und der Major schrie vor Begeisterung, als er und<br />

der amerikanische Pilot nur wenige hundert Meter voneinander<br />

entfernt mit dem Schleudersitz ausstiegen. Vier Abschüsse, dachte<br />

der Major. Wenigstens habe ich meine Pflicht getan. Dreißig Sekunden<br />

später lag er <strong>im</strong> Wasser.<br />

Commander Davis kletterte trotz eines gebrochenen Handgelenks<br />

ins Schlauchboot, fluchte über sein Pech und freute sich andererseits<br />

über sein Glück. Als erste bewusste Handlung schaltete er sein<br />

Notfunkgerät ein. Dann schaute er sich um und entdeckte in der<br />

Nähe ein zweites gelbes Schlauchboot. Es war nicht leicht, mit<br />

einem Arm zu paddeln, aber der andere Mann hielt auf ihn zu.<br />

»Ergeben Sie sich!« Der Mann richtete seine Pistole auf ihn.<br />

Davis' Revolver lag auf dem Meeresgrund.<br />

»Und wer, zum Teufel, sind Sie?«<br />

»Major Alexander Georgijewitsch Tschapajew - Sowjetische<br />

Luftwaffe.«<br />

»Tag. Ich bin Commander GUS Davis, U.S. Navy. Wer hat Sie<br />

erwischt?«<br />

»Niemand! Mir ist der Treibstoff ausgegangen!« Er fuchtelte mit<br />

der Waffe. »Und Sie sind mein Gefangener.«<br />

»Quatsch.«<br />

Major Tschapajew, vom Streß des Gefechts und dem knappen<br />

Entkommen noch benommen, schüttelte den Kopf.<br />

»Halten Sie aber die Pistole fest, Major. Ich weiß nicht, ob es hier<br />

Haie gibt.«<br />

»Haie?«<br />

Davis musste angestrengt nachdenken. Wie lautete der Codename<br />

für das neue russische U-Boot noch einmal? »Akula! Akula<br />

<strong>im</strong> Wasser.«<br />

Tschapajew wurde blaß. »Akula?»<br />

Davis zog den Reißverschluß seiner Kombination auf und schob<br />

den verletzten Arm hinein. »Tja, Major, ich liege jetzt schon zum<br />

dritten Mal <strong>im</strong> Bach. Be<strong>im</strong> letzten Mal hab ich zwölf Stunden <strong>im</strong><br />

Schlauchboot gehockt und zwei Haie gesehen. Haben Sie ein Abwehrmittel<br />

dabei?« Davis entleerte einen Kunststoffbeutel ins Was­<br />

604


ser. »Vertäuen wir Ihr Schlauchboot mit meinem, das ist sicherer.<br />

Dieses Zeug soll die akula fernhalten.«<br />

Davis versuchte vergeblich, die Schlauchboote mit einer Hand zu<br />

verbinden. Tschapajew legte die Waffe weg und half. Dann schaute<br />

er sich zum ersten Mal um und stellte fest, dass kein Land in Sicht<br />

war. Als er nach seinem Notfunkgerät griff, merkte er, dass er<br />

Fleischwunden am Bein hatte - die Tasche mit dem Gerät war be<strong>im</strong><br />

Aussteigen weggerissen worden. »Was sind wir doch für arme<br />

Schweine«, sagte er in Russisch.<br />

»Wie bitte?«<br />

»Wo ist Land?« Das Meer war ihm noch nie so riesig vorgekommen.<br />

»Da drüben, etwa fünfundzwanzig Meilen entfernt. Ihr Bein<br />

sieht übel aus, Major.« Davis lachte kalt. »Wir müssen den gleichen<br />

Schleudersitz benutzt haben. Verflucht! Tut der Arm weh!«<br />

»He, was ist denn da los?« fragte sich Edwards laut. Sie waren zwar<br />

zu weit entfernt, um etwas zu hören, konnten aber nicht übersehen,<br />

dass von Keflavik Rauch aufstieg.<br />

Eine dringlichere Frage warfen in diesem Augenblick aber die<br />

Russen auf, die sich nun am Fuß des Gipfels befanden. Nichols,<br />

Smith und die vier Soldaten hatten sich um Edwards zu einer<br />

hundert Meter breiten Linie gruppiert und mit geschwärzten Gesichtern<br />

hinter Felsen Deckung genommen.<br />

»Doghouse, hier Beagle. Hier gibt's Probleme. Over.« Erst nach<br />

dem dritten Ruf kam eine Antwort.<br />

»Was ist los, Beagle?«<br />

»Fünf oder sechs Russen kommen zu uns herauf. Im Augenblick<br />

sind sie etwa noch eine halbe Meile entfernt. Und was ist eigentlich<br />

in Keflavik los?«<br />

»Soviel ich weiß, greifen wir gerade den Stützpunkt an. Halten<br />

Sie uns auf dem laufenden, Beagle. Will sehen, ob ich Ihnen Hilfe<br />

schicken kann.«<br />

»Danke. Out.«<br />

»Ich könnte schwören, da oben eine Bewegung gesehen zu haben«,<br />

sagte der Feldwebel.<br />

»Mal sehen.« Der Leutnant richtete sein starkes Fernglas auf den<br />

Gipfel. »Nichts, überhaupt nichts. War vielleicht ein Vogel.«<br />

605


»Mag sein«, räumte der Feldwebel ein und bedauerte nun, Marchowski<br />

dort hinaufgejagt zu haben.<br />

»Schwerer Luftangriff auf den Stützpunkt.«<br />

»Haben Sie versucht, Funkverbindung aufzunehmen?«<br />

»Ja, aber ich bekomme keine Antwort.« Der Leutnant klang<br />

besorgt. »Warnen Sie Marchowski.«<br />

Edwards sah einen Russen stehenbleiben und mit seinem Sprechfunkgerät<br />

hantieren. Vigdis war aufgewacht.<br />

»Kopf runter, Kleine.«<br />

»Was ist, Michael?«<br />

»Es kommen Leute den Berg hoch.«<br />

»Was für Leute?«<br />

»Rate mal.«<br />

»Skipper, die sind eindeutig auf dem Weg zu uns«, warnte Smith<br />

über Funk.<br />

»Ja, sehe ich auch. Sind alle in Deckung?«<br />

»Lieutenant, ich empfehle, das Feuer erst zu eröffnen, wenn sie<br />

ganz nahe herangekommen sind!« rief Nichols.<br />

»Machen wir, Skipper«, st<strong>im</strong>mte Smith zu.<br />

»Gut. Falls Sie Vorschläge haben, möchte ich sie sofort hören.<br />

Ich habe übrigens Hilfe angefordert. Vielleicht bekommen wir<br />

Luftunterstützung.«<br />

Mike zog den Spannschieber seines Gewehrs zurück, um sicherzustellen,<br />

dass eine Patrone in der Kammer war, sicherte das M-16<br />

und stellte es ab.<br />

Die Fallschirmjäger drangen weiter vor, hielten in einer Hand ihr<br />

Gewehr, suchten mit der anderen Halt oder stützten sich an Felsen<br />

ab. Mike bekam wirklich Angst. Diese Russen waren Elitesoldaten.<br />

Seine Marines zwar auch, er aber nicht. Am liebsten wäre er weggerannt.<br />

Aber was dann? Und Vigdis - konnte er sie <strong>im</strong> Stich lassen?<br />

»Ruhig bleiben«, murmelte er vor sich hin.<br />

»Was?« fragte Vigdis. Sie hatte schon bei seinem Anblick Angst<br />

bekommen.<br />

»Nichts.« Er rang sich mit einigem Erfolg ein Lächeln ab. Die<br />

Russen waren noch fünfhundert Meter entfernt und rückten nun<br />

vorsichtiger vor. Insgesamt waren es sechs, die sich paarweise<br />

bewegten, ausschwärmten und nun nicht mehr den einfachsten<br />

Weg zum Gipfel zu nehmen schienen.<br />

606


»Skipper, die wissen, dass wir hier sind! « rief Smith über Funk.<br />

»Nichols, was meinen Sie dazu?«<br />

»Wir warten ab, bis sie auf hundert Meter heran sind, und ziehen<br />

solange die Köpfe ein. Wenn Sie Unterstützung bekommen können.<br />

Lieutenant, dann fordern Sie sie jetzt an.«<br />

Edwards ging ans andere Funkgerät. »Doghouse, hier Beagle. Wir<br />

brauchen Hilfe.«<br />

»Wir sorgen gerade dafür, dass Freunde diese Frequenz abhören.<br />

Aber das geht nicht so schnell, Lieutenant.«<br />

»In spätestens fünf Minuten wird hier geschossen.«<br />

»Bleiben Sie auf Empfang.«<br />

Was sollen das für Freunde sein? fragte sich Edwards. Und wo sind<br />

sie? Die Felsen, die ihnen sooft Deckung geboten hatten, nahmen<br />

ihnen nun die Sicht. Er war der Offizier, er führte das Kommando, er<br />

hatte den besten Aussichtspunkt und musste jetzt nachsehen, was vor<br />

sich ging. Edwards bewegte sich ein wenig und schaute nach unten.<br />

»Da ist jemand!« rief der Feldwebel und griff nach dem Funkgerät.<br />

»Marchowski, Sie laufen in eine Falle. Ich sehe einen Mann mit Helm<br />

auf dem Gipfel.«<br />

»Sie haben recht«, meinte der Leutnant und drehte sich um.<br />

»Stellen Sie den Mörser auf.« Dann rannte er zu dem großen UKW-<br />

Funkgerät und versuchte Keflavik zu erreichen. Aber Keflavik meldete<br />

sich noch <strong>im</strong>mer nicht.<br />

Edwands sah, wie ein Russe aufstand, sich aber auf einen Warnruf<br />

hin wieder fallen ließ. Als sein Umriß wieder auftauchte, hielt er ein<br />

Gewehr. Edwards hörte ein pfeifendes Geräusch, dann gab es fünfzig<br />

Meter weiter eine Explosion.<br />

»Scheiße!« Edwards warf sich auf den Bauch und drückte sich an<br />

seinen Felsblock. Er sah zu Vigdis, die unversehrt zu sein schien, und<br />

dann hinüber zum Gipfel, an dessen Hang Männer hinabeilten.<br />

Rechts von ihm landete eine weitere Mörsergranate, dann ratterten<br />

au<strong>tom</strong>atische Waffen. Er griff nach seinem Satellitenfunkgerät.<br />

»Doghouse, hier Beagle. Wir werden angegriffen.«<br />

»Beagle, wir haben Kontakt mit einem Träger der Navy. Bitte<br />

warten.« Wieder erzitterte der Boden. Eine Granate explodierte<br />

keine zehn Meter vor seiner Stellung, doch er war gut gedeckt.<br />

»Beagle, der Träger empfängt nun auf Ihrer Frequenz. Bitte senden<br />

Sie. Seine Kennung ist Starbase.«<br />

607


»Starbase, hier Beagle. Over.«<br />

»Roger, Beagle. Ihre Position ist fünf Kilometer westlich von<br />

Höhe 1064. Bitte berichten Sie.«<br />

»Starbase, wir werden von russischer Infanterie angegriffen. Von<br />

dem Beobachtungsposten auf 1064 aus beschießt uns ein Mörser.<br />

Wir brauchen Hilfe, und zwar schnell.«<br />

»Roger, verstanden, Beagle. Warten Sie... Beagle, wir schicken<br />

Ihnen Hilfe. Können Sie Ihre Position markieren?«<br />

»Negativ. Dazu fehlen uns die Mittel.«<br />

»Roger. Nicht aufgeben, Beagle. Wir melden uns wieder. Out.«<br />

Edwards hörte von links einen Schrei, hob den Kopf und sah, dass<br />

in Nichols' Nähe Mörsergranaten einschlugen - und keine hundert<br />

Meter vor ihm waren die Russen. Mike schnappte sein Gewehr,<br />

legte es auf einen sich bewegenden Schemen an, doch der tauchte<br />

weg. Mit der freien Hand griff er nach seinem Sprechfunkgerät.<br />

»Nichols, Smith. Hier Edwards. Bitte melden.«<br />

»Hier Nichols. Wer diesen Mörser bedient, versteht sein Geschäft.<br />

Ich habe hier zwei Verwendete.«<br />

»Wir sind noch okay, Skipper.« Das war Smith. »Zwei Russen<br />

außer Gefecht. Ich schicke Garcia rüber, damit er Ihnen Deckung<br />

gibt.«<br />

»Gut, Jungs, Luftunterstützung ist unterwegs. Ich -« Wieder<br />

tauchte der Schemen auf. Edwards ließ das Funkgerät fallen, zielte<br />

und gab drei Schüsse ab, verfehlte den Angreifer aber. Zurück ans<br />

Radio. »Nichols, brauchen Sie Hilfe?«<br />

»Zwei von uns können noch schießen. Rodgers ist leider tot. Da<br />

-« Das Gerät verstummte für einen Augenblick. »Schon gut, wir<br />

haben einen erschossen, und der andere zieht sich zurück. Aufgepaßt,<br />

Lieutenant, da sind zwei fünfzig Meter links von Ihnen.«<br />

Mike lugte um seinen Felsen herum und wurde sofort beschossen.<br />

Er feuerte zurück, ohne etwas zu treffen.<br />

»Hallo, Skipper!« Garcia fiel neben ihn.<br />

»Zwei Feinde, da drüben.« Der Schütze nickte, ging links hinterm<br />

Gipfel in Deckung. Er hatte zehn Meter zurückgelegt, als vier<br />

Schritte hinter ihm eine Mörsergranate explodierte. Garcia stürzte<br />

schwer und rührte sich nicht.<br />

»Smith, Garcia ist getroffen. Kommen Sie zurück. Nichols, zu<br />

mir, schnell!« Er ging ans andere Funkgerät. »Starbase, hier Beagle.<br />

Richten Sie Ihren Fliegern aus, sie sollen sich beeilen.«<br />

608


»In zwanzig Minuten treffen vier A-7 ein, Beagle. Es ist noch<br />

weitere Hilfe unterwegs, aber die Maschinen kommen zuerst.«<br />

Edwards nahm sein Gewehr und schlich zu Garcia. Der Schütze<br />

atmete noch, aber sein Rücken und seine Beine waren von Granatsplittern<br />

durchsiebt. Der Lieutenant kroch zum Kamm und sah in<br />

zehn Metern Entfernung einen geduckten Russen. Er zielte und gab<br />

zwei Feuerstöße ab. Der Russe stürzte und gab <strong>im</strong> Fallen Schüsse<br />

ab, die Edwards um einen knappen Meter verfehlten. Wo war der<br />

andere? Edwards hob den Kopf und sah einen Gegenstand von der<br />

Größe eines Baseballs durch die Luft fliegen. Er warf sich hastig<br />

rückwärts in Deckung; die Granare ging drei Meter von der Stelle,<br />

an der er sich eben noch befunden hatte, los. Mike rollte sich nach<br />

rechts und kroch wieder bergauf.<br />

Der Russe war wieder verschwunden, doch Edwards sah, dass die<br />

anderen den Fuß seiner Anhöhe <strong>im</strong> Laufschritt erreicht hatten und<br />

nun zu klettern begannen. Der andere - da! Er eilte den Hang<br />

hinab, zog einen Verwundeten hinter sich her. Knapp hinter ihm<br />

fielen Mörsergranaten, deckten seinen Rückzug.<br />

»Okay, Lieutenant?« Das war Smith, der am Arm verwundet<br />

war. »An diesem Mörser sitzt wohl 'n russischer Davy Crockett!«<br />

Drei Minuten später traf Nichols ein. Er war unverletzt, aber der<br />

Soldat der Royal Marines, den er bei sich hatte, blutete aus einer<br />

Bauchverletzung. Edwards schaute auf die Uhr.<br />

»In zehn Minuten kommt Luftunterstützung. Wenn wir hier<br />

oben dicht beieinander bleiben, können die Flugzeuge die ganze<br />

Umgebung bombardieren.«<br />

Die Männer gingen fünfzehn Meter von Edwards entfernt in<br />

Stellung. Mike schnappte Vigdis am Arm und setzte sie zwischen<br />

zwei Felsblöcke.<br />

»Michael, ich hab -«<br />

»Ich auch. Bleib da sitzen, ganz gleich, was auch passiert. Du<br />

kannst -« Wieder das Pfeifen, und diesmal ganz nahe. Mike stolperte<br />

und fiel auf Vigdis. Eine heiße Nadel schien sich durch seinen<br />

Unterschenkel zu bohren.<br />

»Mist!« Die Wunde war knapp überm Stiefel. Er wollte sich<br />

erheben, konnte das Bein aber nicht belasten. Er schaute sich nach<br />

dem Funkgerät um und humpelte fluchend hin. »Starbase, hier<br />

Beagle, over.«<br />

»Noch neun Minuten, Beagle«, sagte die St<strong>im</strong>me geduldig.<br />

609


»Starbase, wir sitzen alle auf dem Gipfel, klar?« Er hob den Kopf.<br />

»Fünfzehn Feinde kommen auf uns zu, sind vielleicht noch siebenhundert<br />

Meter entfernt. Den ersten Angriff haben wir abgeschlagen,<br />

sind aber jetzt nur noch - vier, schätze ich, drei davon verwundet.<br />

Um H<strong>im</strong>mels willen, schalten Sie diesen Mörser aus, der bringt<br />

uns um.«<br />

»Roger. Durchhalten, Hilfe kommt.«<br />

»Sie sind verwundet, Lieutenant«, sagte Nichols.<br />

»Ist mir auch schon aufgefallen. Die Flugzeuge kommen in acht<br />

oder neun Minuten. Ich habe gebeten, dass sie erst den Mörser<br />

ausschalten.«<br />

»Gut. Der Iwan liebt diese Scheißdinger innig.« Nichols schnitt<br />

das Hosenbein auf und verband die Wunde. »Mit dem Tanzen hat<br />

sich's fürs erste.«<br />

»Wie können wir sie hinhalten?«<br />

»Wir eröffnen das Feuer, wenn sie bis auf fünfhundert Meter<br />

herangekommen sind. Das wird sie vorsichtiger machen. Hoffe ich<br />

jedenfalls.« Nichols packte ihn am Arm und zog ihn in eine Dekkung<br />

auf dem Gipfel.<br />

Die Russen gingen überaus geschickt vor, spurteten kurz, nahmen<br />

dann Deckung. Der Mörser schwieg <strong>im</strong> Augenblick, doch dar<br />

würde sich ändern, wenn die Fallschirmjäger nahe genug für einen<br />

Sturmangriff herangekommen waren. Als die Distanz nur noch<br />

fünfhundert Meter betrug, zielte Sergeant Nichols sorgfältig und<br />

drückte ab. Er schoß daneben, aber alle Russen am Hang ließen sich<br />

fallen.<br />

»Wissen Sie, was Sie da gerade getan haben?« fragte Edwards.<br />

»Ja, ich habe weitere Mörsergranaten heraufbeschworen.«<br />

»Hier, Michael, das brauchst du.« Vigdis warf sich neben ihn.<br />

»Hab ich nicht gesagt, du sollst -«<br />

»Da ist dein Funkgerät. Ich gehe wieder -«<br />

»Runter!« Mike zerrte sie neben sich zu Boden, als die Mörsergranate<br />

zehn Meter weiter niederging, gefolgt von vier weiteren<br />

rund um ihre Stellung.<br />

»Sie kommen!« schrie Smith.<br />

Die Marines eröffneten das Feuer, und die Russen schössen<br />

zurück, huschten von Deckung zu Deckung und gingen in zwei<br />

Gruppen vor, die den Gipfel einzuschließen drohten. Mike ging<br />

wieder ans Funkgerät.<br />

610


»Starbase, hier Beagle, over.«<br />

»Roger, Beagle.«<br />

»Sie greifen jetzt an.«<br />

»Beagle, Sie sind in Sichtweite unserer A-7. Ich möchte genau<br />

wissen, wo Sie mit Ihren Männern sind - ganz genau.«<br />

»Starbase, der Berg hat zwei kleinere Gipfel, rund drei Meilen<br />

westlich von Höhe 1064. Wir sind auf dem nördlichen, wiederhole:<br />

dem nördlichen. Alles, was sich bewegt, ist der Feind. Wir sitzen<br />

alle still. Der Mörser steht auf Höhe 1064 und muss so rasch wie<br />

möglich ausgeschaltet werden.«<br />

Eine lange Pause. »Gut, Beagle, ziehen Sie die Köpfe ein, die<br />

Maschinen fliegen in einer Minute von Süden an. Viel Glück.«<br />

»Zweihundert Meter«, sagte Nichols. Edwards kroch neben ihn<br />

und legte das M-16 an. Drei Russen erhoben sich gleichzeitig, beide<br />

Amerikaner schossen, aber Edwards konnte nicht beurteilen, ob er<br />

getroffen hatte oder nicht. Dicht bei ihnen warfen Kugeln Erde und<br />

Steinsplitter auf, und wieder näherten sich pfeifend Mörsergranaten.<br />

Fünf landeten auf dem Gipfel; <strong>im</strong> gleichen Augenblick sah<br />

Edwards rechts von sich den dunstgrauen Umriß eines Jagdbombers.<br />

Der gedrungene A-7E Corsair warf über Höhe 1064 vier Streubomben<br />

ab, die in der Luft zerplatzten. Eine Kaskade von Minibomben<br />

regnete auf den russischen Beobachtungsposten herab.<br />

Über die Entfernung von drei Meilen hinweg klang es wie Feuerwerk,<br />

als der Gipfel in eine Wolke aus Staub und Feuer gehüllt<br />

wurde. Zwanzig Sekunden später wiederholte eine zweite Maschine<br />

das Manöver. Dort oben konnte niemand mehr am Leben<br />

sein.<br />

Die angreifenden Russen blieben wie angewurzelt stehen und<br />

drehten sich zu ihrer Basis um. Dann sahen sie, dass keine zwei<br />

Kilometer entfernt weitere Flugzeuge kreisten. Wenn sie nun noch<br />

fünf Minuten länger leben wollten, mussten sie so nahe wie möglich<br />

an die Amerikaner heran. Wie ein Mann erhoben sich die Russen,<br />

feuerten und stürmten bergan. Zwei Corsair drehten hart ab und<br />

griffen <strong>im</strong> Sturzflug an, kamen knapp dreißig Meter über dem Hang<br />

angefegt und warfen zwei Streubomben. Edwards hörte trotz des<br />

Explosionsdonners Schreie, konnte aber wegen der Staubwolke,<br />

die vor ihnen aufstieg, nichts sehen.<br />

»Verdammt, viel dichter können sie wirklich nicht abwerfen.«<br />

611


»St<strong>im</strong>mt-, antwortete Nichols und wischte sich Blut vom Gesicht.<br />

Doch <strong>im</strong> Staub erklangen noch <strong>im</strong>mer Schüsse. Der Wind verwehte<br />

ihn. und mindestens fünf Russen waren noch <strong>im</strong>mer auf den<br />

Beinen und stürmten auf sie zu. Die Corsair der Navy machten<br />

einen neuen Anflug. mussten ihn aber abbrechen; so dicht bei<br />

Freund-Truppen konnten sie nicht abwerfen. Sie kurvten binnen<br />

Sekunden zurück und feuerten ihre Bordkanonen ab. Die Geschosse<br />

landeten wahllos, einige explodierten sogar ein paar Meter<br />

vor Edwards.<br />

»Wo sind sie hin?<br />

»Nach links, glaube ich-, erwiderte Nichols. -Können Sie nicht<br />

direkt mit den Piloten reden?"<br />

Edwards schüttelte den Kopf. »Mit diesem Funkgerät nicht.<br />

Sergeant.-<br />

Die A-7 kreisten über ihnen, die Piloten hielten nach Bewegung<br />

am Boden Ausschau. Edwards versuchte, ihnen zuzuwinken,<br />

konnte aber nicht beurteilen, ob die Geste erkannt worden war.<br />

Eine Maschine tauchte nach links ab und jagte einen Feuerstoß in<br />

die Felsen. Edwards hörte einen Schrei, sah aber nichts.<br />

Edwards drehte sich um und warf einen Blick auf sein Satellitenfunkgerat.<br />

Bei der letzten Mörsersalve war der Rucksack von einem<br />

Splitter durchbohrt worden.<br />

"Runter!« Nichols packte den Lieutenant, als eine Granate <strong>im</strong><br />

hohen Bogen angeflogen kam und dicht bei ihnen explodierte. "Sie<br />

kommen wieder.«<br />

Edwards wandte sich ab und schob ein neues Magazin in sein<br />

Gewehr. In fünfzehn Meter Entfernung sah er zwei Russen, auf die<br />

er einen langen Feuerstoß abgab. Einer fiel aufs Gesicht. Der andere<br />

schoß zurück und warf sich nach links. Er spürte ein Gewicht auf<br />

den Beinen; Nichols war mit drei roten Löchern in der Schulter auf<br />

den Rücken gefallen. Edwards legte das letzte Magazin ein und<br />

humpelte ungeschickt am Hang nach links.<br />

»Michael...«<br />

»Verzieh dich in die andere Richtung-, versetzte Edwards. "Und<br />

paß auf!-<br />

Er sah ein Gesicht, ein Gewehr - und einen Blitz. Edwards warf<br />

sich nach rechts, aber zu spät: Er wurde in die Brust getroffen. Nur<br />

der Schock verhinderte, dass der Schmerz unerträglich wurde. Er<br />

612


shoß in die Luft, um den Mann in seiner Deckung festzunageln,<br />

sich mit den Beinen nach rückwärts ab. Rechts von ihm<br />

Gewehrfeuer. Warum half ihm niemand? Die A-7 zogen donnernd<br />

Kreise, ohne eingreifen zu können. Sein verwundetes Bein<br />

schmerzte bei der Anstrengung, sein linker Arm hing schlaff herab.<br />

Edwards hielt das Gewehr wie eine überd<strong>im</strong>ensionale Faustfeuerwaffe<br />

und wartete auf den Russen. Er wurde an den Schultern<br />

gepackt und rückwärts geschleift.<br />

»Vigdis, laß mich fallen und lauf weg!"<br />

Sie sagte nichts, sondern schleppte ihn schweratmend über den<br />

Fels. Er begann wegen des Blutverlusts das Bewußtsein zu verlieren,<br />

schaute nach oben und sah die A-7 abfliegen. Dann war da ein<br />

neues Geräusch. Ein jäher Wind wirbelte um ihn herum Staub auf,<br />

ein langer Feuerstoß ratterte, und über ihm tauchte ein großer,<br />

grünschwarzer Umriß auf. Männer sprangen heraus. Er schloß die<br />

Augen, es war vorbei. Der russische Kommandant hatte Keflavik<br />

erreicht, und nun war ein Mi-24 zur Verstärkung gekommen...<br />

Edwards war zu erschöpft, um reagieren zu können. Gewehrfeuer,<br />

dann Stille, als der Hubschrauber wegflog.<br />

»Sind Sie Beagle?«<br />

Er sah einen Schwarzen vor sich.<br />

»Wer sind Sie?«<br />

»Lieutenant Sam Potter. Sie sind Beagle, st<strong>im</strong>mt's?« Er drehte<br />

sich um. »Sanitäter!«<br />

»Meine Leute sind alle verwundet.«<br />

»Darum kümmern wir uns bereits. In fünf Minuten sind Sie hier<br />

raus. Moment noch, Beagle, wir haben zu tun. Okay, Jungs!« rief er<br />

laut, »sehen wir nach den Russen.«<br />

»Michael?« Edwards war <strong>im</strong>mer noch verwirrt. Ihr Gesicht war<br />

über seinem, als er das Bewußtsein verlor.<br />

»Wer ist das eigentlich?« fragte Potter fünf Minuten später.<br />

»Nur ein Wetterfrosch, aber er hat sich prächtig gehalten«, sagte<br />

Smith mit schmerzverzerrtem Gesicht.<br />

»Wie kommen Sie überhaupt hierher?« Potter winkte seinem<br />

Funker.<br />

»Zu Fuß, aus Keflavik.«<br />

»Ganz schöner Weg«, meinte Potter beeindruckt und gab über<br />

Funk einen knappen Befehl. »Hubschrauber ist unterwegs. Die<br />

Dame kommt wohl auch mit.«<br />

613


»Jawohl, Sir. Willkommen auf Island, Sir. Wir haben auf Sie<br />

gewartet.«<br />

»Schauen Sie mal, Sergeant.« Potter wies nach Westen. Eine<br />

Reihe grauer Punkte am Horizont hielt auf Stykkisholmur zu.<br />

USS Chicago<br />

Irgendwo lauerten sie noch <strong>im</strong>mer, das wusste McCafferty mit<br />

Sicherheit - aber wo? Nach der Versenkung des letzten Tango<br />

waren die beiden anderen russischen U-Boote nicht wieder geortet<br />

worden. Seine Ausweichmanöver wurden mit acht relativ friedlichen<br />

Stunden belohnt. Über ihnen kreisten noch <strong>im</strong>mer die russischen<br />

ASW-Flugzeuge und warfen Sonobojen ab, doch in sicherer<br />

Entfernung. Keine unmittelbare Bedrohung also; er konnte sich<br />

und seiner Mannschaft etwas Ruhe gönnen.<br />

Chicago lief rund fünf Meilen vor ihren Schwesterbooten. Stündlich<br />

ging McCafferty auf Ostkurs und peilte sie mit seinem Schleppsonar<br />

präzise an, was nicht einfach war: Selbst über diese Distanz<br />

waren Boston und Providence nur schwer zu orten.<br />

McCafferty fragte sich, was die Russen dachten. Der massierte<br />

Angriff der Grischa-Kriwak-Teams war fehlgeschlagen. Ihre Abhängigkeit<br />

von aktiven Sonobojen hatte die Wirksamkeit ihrer<br />

ASW-Flugzeuge reduziert, und auch der einzige Trick, der fast<br />

geklappt hätte - ein Dieselboot zwischen zwei Sonobojen-Linien zu<br />

plazieren und dann das Ziel durch einen aufs Geratewohl abgeworfenen<br />

Torpedo aufzuscheuchen -, war ohne Erfolg geblieben. Die<br />

Boote der Tango-Klasse waren ernst zu nehmende Gegner, leise<br />

und schwer zu orten, aber die Russen mussten noch <strong>im</strong>mer für ihr<br />

technisch überholtes Sonar zahlen. Insgesamt war McCafferty nun<br />

recht zuversichtlich.<br />

»Nun?« fragte er den Offizier am Kartentisch.<br />

»Es sieht so aus, als liefen sie weiter rund zehntausend Yard<br />

hinter uns. Dieses Boot hier muss Boston sein. Es manövriert viel.<br />

Und Providence hier tuckert auf ziemlich gerader Linie dahin. Wir<br />

haben seine Position genau best<strong>im</strong>mt.«<br />

»Ruder zehn Grad links, neuer Kurs drei-fünf-fünf«, befahl<br />

McCafferty. Der Befehl wurde bestätigt. »Gut.« McCafferty trank<br />

einen Schluck Kakao. Chicago wandte sich langsam nach Norden.<br />

614


Achtern <strong>im</strong> Maschinenraum behielten die Ingenieure des U-Boots<br />

die Anzeigen <strong>im</strong> Auge. Der Reaktor gab gleichmäßig zehn Prozent<br />

Leistung ab.<br />

Unangenehm war nur der Sturm an der Oberfläche. Die Sonar-<br />

Crew schätzte für den arktischen Sommer ungewöhnliche Werte:<br />

Wellenhöhe 4,5 Meter, Windgeschwindigkeit 40 Knoten. Das reduzierte<br />

ihre Sonarleistung zwar um zehn bis zwanzig Prozent,<br />

würde aber am Rand des Packeises ideale Zustände schaffen: Der<br />

Lärm, der entstand, wenn hektargroße Schollen vom Seegang zermahlen<br />

wurden, erschwerte die Ortung von U-Booten außerordentlich.<br />

Noch sechzehn Stunden, dachte McCafferty. In sechzehn<br />

Stunden haben wir es geschafft.<br />

»Sonar an Zentrale, Kontakt in drei-vier-null. Daten reichen zur<br />

Klassifizierung noch nicht aus.«<br />

McCafferty ging in den Sonarraum. »Zeigen Sie mir das mal.«<br />

»Hier, Sir.« Der Sonar-Chief klopfte aufs Display. »Auch die<br />

Schraubenumdrehungen kann ich noch nicht abschätzen. Riecht<br />

aber nach einem A<strong>tom</strong>-U-Boot«, räumte er ein.<br />

»Bringen Sie Ihr Modell auf den Schirm.«<br />

Auf einen Knopfdruck hin zeigte ein zweiter Schirm den vermutlichen<br />

Sonar-Abstand, vom Computer unter Berücksichtigung der<br />

örtlichen Wasserverhältnisse errechnet. Die Distanz auf direktem<br />

Weg betrug rund dreißigtausend Yard. Für Konvergenzzonen war<br />

das Wasser noch nicht tief genug, und sie begannen <strong>im</strong> Niederfrequenzbereich<br />

Hintergrundgeräusche vom Eis zu empfangen, das<br />

ihre Fähigkeit, Sonarkontakte zu isolieren, ähnlich beeinträchtigen<br />

würde wie helles Sonnenlicht, das die Strahlkraft einer elektrischen<br />

Lampe scheinbar reduziert.<br />

»Kontakt wandert langsam von links nach rechts, nun in dreivier-zwei...<br />

wird etwas schwächer. Was ist das?« Der Chief sah auf<br />

eine neue, unscharfe Linie unten auf dem Display. »Möglicher<br />

neuer Kontakt in null-null-vier.« Die Linie verblaßte und blieb zwei<br />

Minuten lang verschwunden, kehrte dann aber in null-null-sechs<br />

zurück.<br />

»Pendelt sich ein. Wir haben nun zwei mögliche U-Kontakte in<br />

drei-vier-null und null-null-vier.«<br />

McCafferty ging zurück in die Zentrale und befahl einen Ostkurs,<br />

der es ihm erlaubte, die neuen Ziele mit dem Schleppsonar<br />

abzutasten und mittels Kreuzpeilungen die Distanzen zu errechnen.<br />

615


»Boston fährt nach Westen, Sir. Ich kann in dieser Richtung<br />

nichts ausmachen, aber sie fährt eindeutig nach Westen.«<br />

»Alle Mann auf Gefechtsstation«, befahl McCafferty. Zurück an<br />

die Arbeit. Er stand am Kartentisch und schätzte die taktische Lage<br />

ab. Zwei möglicherweise feindliche U-Boote verstellten ihm den<br />

Weg zum Packeis. Wenn Boston manövrierte, war S<strong>im</strong>ms vermutlich<br />

ebenfalls auf etwas gestoßen.<br />

»Auf Sehrohrtiefe gehen.« Langsam stieg Chicago von seiner<br />

Marschtiefe von siebenhundert Fuß auf. Fünf Minuten später war<br />

es an der Oberfläche. »ESM ausfahren.«<br />

Der schlanke Mast stieg hydraulisch getrieben auf und sandte<br />

Informationen zu dem für die elektronische Kriegsführung zuständigen<br />

Techniker.<br />

»Skipper, drei Flugzeugradar, J-Band.« Der Mann las die Richtungen<br />

ab. Bear oder May, dachte McCafferty.<br />

»Sehen wir uns mal um. Periskop ausfahren. Okay, da ist ein<br />

May tief überm Horizont auf Westkurs - wirft Bojen ab! Sehrohr<br />

einfahren. Sonar, haben Sie etwas <strong>im</strong> Süden?«<br />

»Nur die beiden Freundkontakte, Sir. Boston wird schwächer.«<br />

»Zurück auf sechshundert.« Sobald sie die befohlene Tiefe erreicht<br />

hatten, ließ er das Boot auf Nordkurs gehen und die Fahrt auf<br />

fünf Knoten reduzieren. Die Russen suchten nun also mit Passivsonar,<br />

eine technisch sehr anspruchsvolle Prozedur; selbst die hochmodernen<br />

Signalverarbeitungsanlagen der Marinen des Westens<br />

meldeten dabei oft Phan<strong>tom</strong>kontakte. Andererseits haben wir unseren<br />

Kurs hinausposaunt, sann McCafferty. Der Gegner kann das<br />

Gebiet saturieren. Warum haben wir es nicht anders versucht? Aber<br />

wie? Die einzige Passage <strong>im</strong> Norden war noch enger als diese. Die<br />

westliche Route zwischen der Bäreninsel und dem Nordkap war<br />

breiter, aber dort lag die halbe sowjetische Nordflotte wie eine<br />

Barriere. Er fragte sich, ob Pittsburgh und die anderen entkommen<br />

waren. Vermutlich ja. Sie sollten in der Lage gewesen sein, dem<br />

Iwan davonzufahren. Anders als wir.<br />

Genauso jagen wir Russen, sinnierte McCafferty weiter. Da sie<br />

unsere Passivbojen nicht hören können, wissen sie nie, ob sie erfaßt<br />

worden sind oder nicht. Der Kommandant stützte sich auf die<br />

Periskopreling. Günstig ist, sagte er sich, dass wir sehr leise sind.<br />

Vielleicht ahnt der Iwan etwas, vielleicht auch nicht. Vermutlich<br />

nicht, denn sonst wäre schon längst ein Torpedo zu uns unterwegs.<br />

616


»Der Kurs der beiden vorderen Kontakte läßt sich nun genauer<br />

best<strong>im</strong>men.«<br />

In offener See konnten sie sich unter Schichten ducken, aber hier<br />

ging das nicht, denn das Meer war nicht sehr rief, und der Sturm<br />

erzeugte viel Oberflächenlärm. Günstig und ungünstig zugleich,<br />

dachte McCafferty.<br />

»Sonar an Zentrale, neuer Kontakt in zwei-acht-sechs, vermutlich<br />

U-Boot. Versuchen nun, Schraubenumdrehungen zu ermitteln.«<br />

McCafferty befahl eine Kursänderung nach Steuerbord und ließ<br />

Chicago auf tausend Fuß gehen. Je weiter er sich von der Oberfläche<br />

entfernte, desto besser die Bedingungen fürs Sonar. Wenn die<br />

Russen in Oberflächennähe fuhren, um Verbindung mit ihren Flugzeugen<br />

zu halten, musste ihre Sonarleistung entsprechend leiden. Er<br />

wollte jede Karte ausspielen, ehe er sich auf ein Gefecht einließ. Was<br />

aber, wenn...?<br />

Es bestand die Möglichkeit, dass es sich bei einem oder mehreren<br />

Kontakten um Freunde handelte. Was, wenn Sceptre und Superb<br />

wegen des Schadens, den Providence erlitten hatte, neue Befehle<br />

erteilt worden waren? Auch der neue Kontakt in zwei-acht-sechs<br />

konnte ein Freund sein.<br />

Nun blieb ihm nur übrig, Distanz und Identität seiner drei Kontakte<br />

festzustellen.<br />

»Alle drei haben nur eine Schraube«, meldete der Sonar-Chief<br />

nach zehn Minuten.<br />

McCafferty zog eine Gr<strong>im</strong>asse. Diese Auskunft schloß nur Möglichkeiten<br />

aus, ohne ihm etwas Positives zu sagen. Alle britischen<br />

U-Boote zum Beispiel waren mit nur einer Schraube ausgerüstet.<br />

Ebenso die russischen Victor und Alfa.<br />

»Maschinensignatur?«<br />

»Alle laufen mit sehr geringer Leistung, Sir; für eine Klassifizierung<br />

reicht das nicht aus. Dampfgeräusche von allen dreien weisen<br />

auf A<strong>tom</strong>antrieb hin. Bedaure, mehr kann ich nicht sagen.«<br />

Je weiter wir nach Osten fahren, sagte sich McCafferty, desto<br />

mehr n<strong>im</strong>mt die Signalstärke ab. Er ließ auf Gegenkurs gehen.<br />

Wenigstens standen inzwischen die Distanzen fest. Die Ziele <strong>im</strong><br />

Norden waren elf und dreizehn Meilen entfernt, der dritte Kontakt<br />

lag neun Meilen <strong>im</strong> Westen. Alle befanden sich in Reichweite seiner<br />

Torpedos.<br />

617


»Zentrale, hier Sonar. Explosion in eins-neun-acht... noch etwas,<br />

möglicherweise Torpedo in zwei-null-fünf, sehr schwach.<br />

Vielleicht Bruchgeräusche in eins-neun-acht. Leider sind die Signale<br />

sehr schwach. Eindeutig war nur die Explosion.« McCafferty betrat<br />

einmal wieder den Sonarraum.<br />

»Schon gut, Chief. Wenn das ein Kinderspiel wäre, brauchte ich<br />

Sie nicht." McCafferty schaute auf den Bildschirm. Der Torpedo<br />

lief noch, änderte leicht die Richtung. Für Chicago stellte er keine<br />

Gefahr dar. »Konzentrieren Sie sich auf die drei U-Boot-Kontakte.«<br />

»Aye, Sir.«<br />

Chicago fuhr weiter nach Südwesten. McCafferty schlich sich<br />

nun an das westliche Ziel heran, an dem er die Wahrscheinlichkeit,<br />

dass es sich um einen Freund handelte, für am geringsten hielt. Der<br />

Abstand schmolz auf acht, dann sieben Meilen.<br />

»Sir, Kontakt in zwei-acht-null als Alfa klassifiziert!«<br />

»Sind Sie auch sicher?«<br />

»Jawohl, Sir. Maschinen- und Reaktorgeräusche weisen eindeutig<br />

auf ein Alfa hin.«<br />

»Wir lassen einen Torpedo tief unter ihm langsam einen Haken<br />

schlagen und dann mit Tempo gegen ihn aufsteigen.«<br />

Sein Feuerleittrupp wurde von Tag zu Tag besser. Fast hatte es<br />

den Anschein, als arbeitete er schneller als der Computer.<br />

»Sir, wenn wir in dieser Tiefe schießen, verbrauchen wir eine<br />

Menge unserer Preßluftreserven«, warnte der IO.<br />

»Sie haben recht. Auf hundert Fuß gehen.« McCafferty verzog<br />

das Gesicht. Wie konnte er so etwas vergessen?<br />

»Vorne an fünfzehn!«<br />

»Zielkoordinaten eingestellt, Sir.«<br />

»Bereithalten.« Der Kommandant behielt den Zeiger des Tiefenmessers<br />

<strong>im</strong> Auge.<br />

»Hundert Fuß, Sir.«<br />

»Feuer!«<br />

»Zwei laufen, Sir.«<br />

Das Alfa mochte den Preßluftlärm gehört haben. Der Torpedo<br />

entfernte sich mit vierzig Knoten in Richtung drei-fünf-null, also<br />

nicht in die des Zieles. Nach dreitausend Yard wurde ihm über die<br />

Lenkdrähte der Befehl erteilt, abzudrehen und abzutauchen.<br />

McCafferty ging bei diesem Schuß vorsichtiger vor, als ihm lieb<br />

gewesen war. Wenn das Alfa den anlaufenden Fisch ortete, kam er<br />

618


aus einer Richtung, in der sich Chicago nicht befand - ein Gegenschuß<br />

würde also nicht auf sie zukommen. Der Nachteil dieser<br />

Prozedur war das erhöhte Risiko eines Fehlschusses wegen gerissener<br />

Lenkdrähte. Der Torpedo lief in großer Tiefe, weil der dort<br />

herrschende Wasserdruck Kavitationsgeräusche und damit die Distanz<br />

verringerte, aus der er von dem Alfa geortet werden konnte.<br />

Man musste hier besondere Vorsicht walten lassen, weil das Alfa<br />

mit seiner Höchstgeschwindigkeit von vierzig Knoten fast so<br />

schnell wie der Torpedo war. Chicago fuhr weiter nach Südwesten,<br />

um die größtmögliche Distanz zwischen sich und dem Torpedo zu<br />

schaffen.<br />

»Torpedo läuft weiterhin normal«, meldete Sonar.<br />

»Distanz zum Ziel?- fragte McCafferty.<br />

»Rund sechstausend Meter, Sir. Empfehle, bei viertausend hoch<br />

und auf Max<strong>im</strong>algeschwindigkeit zu gehen«, meinte der Waffenoffizier.<br />

»Gut.«<br />

»Hier Sonar. Ziel hat gerade die Leistung erhöht.«<br />

»Er hat's gehört. Fisch mit Höchstfahrt hoch, Sonar aktivieren.«<br />

»Rumpfknistern, Sir. Das Alfa wechselt die Tiefe!« rief der Sonar-Chief<br />

erregt. »Ich habe das Torpedo-Sonar auf dem Schirm.<br />

Unser Fisch peilt, das Ziel ebenfalls.«<br />

»Sir, die Drähte sind gerissen.«<br />

»Sollte jetzt nicht mehr darauf ankommen. Sonar, Schraubenumdrehungen<br />

des Alfa?«<br />

»Geht auf zweiundvierzig Knoten, viel Kavitationslärm. Scheint<br />

abzudrehen und gerade ein Lärminstrument ausgestoßen zu haben.«<br />

»Hat eigentlich jemand schon mal auf ein Alfa geschossen?«<br />

fragte der Erste Offizier.<br />

»Nicht, dass ich wüßte.«<br />

»Fehlschuß!« meldete Sonar. »Der Torpedo ist achtern am Ziel<br />

vorbeigelaufen. Ziel scheint nach Osten zu fahren. Torpedo läuft<br />

noch - nein, dreht jetzt ab, peilt <strong>im</strong>mer noch, Sir. Ich befürchte, dass<br />

er das Lärminstrument jagt.«<br />

»Verflucht, ich dachte, der hätte das Ziel erfaßt«, grollte der<br />

Waffenoffizier.<br />

»Wie weit sind wir von der Abschußstelle?«<br />

»Rund siebentausend Meter, Sir.«<br />

619


»Richtung des Alfa?«<br />

»Drei-vier-acht, bewegt sich nach Westen, Maschinengeräusch<br />

hat nachgelassen, Fahrt nun rund zwanzig Knoten.«<br />

»Er wird weiter versuchen, Distanz zwischen sich und dem Torpedo<br />

zu schaffen«, meinte McCafferty. »Was tun die beiden anderen<br />

Kontakte?«<br />

»Scheinen ihre Positionen mehr oder weniger zu halten.«<br />

»Es sind also Russen.« McCafferty schaute auf die Karte. Als<br />

Briten hätten sie manövriert und selbst Torpedos auf das Alfa, das<br />

<strong>im</strong> Umkreis von zwanzig Meilen hörbar gewesen sein musste, abgeschossen.<br />

Drei gegen einen, und nun sind sie gewarnt, dachte McCafferty<br />

und zuckte die Achseln. Sonar meldete einen weiteren Kontakt <strong>im</strong><br />

Süden. Müßte Boston sein, dachte McCafferty und beorderte Chicago<br />

nach Süden. Wenn er es mit drei U-Booten aufnehmen sollte,<br />

brauchte er Hilfe. Eine Stunde später traf er sich mit Boston.<br />

»Ich habe eine Alfa gehört.«<br />

»Wir haben vorbeigeschossen. Was haben Sie erwischt?«<br />

»Etwas mit zwei Schrauben«, antwortete S<strong>im</strong>ms. Ihre Unterwassertelefone<br />

arbeiteten mit sehr geringer Leistung.<br />

»Drei Boote rund vierzehn Meilen vor uns, eines davon ein Alfa.«<br />

McCafferty legte rasch seinen Plan dar. Die U-Boote sollten zehn<br />

Meilen voneinander entfernt nach Norden fahren und versuchen,<br />

die Ziele in den Flanken anzugreifen. Selbst wenn sie danebenschossen,<br />

sollte Providence durchkommen, sobald die Russen zur<br />

Verfolgung ausschwärmten. S<strong>im</strong>ms st<strong>im</strong>mte zu, und die beiden<br />

Boote trennten sich wieder.<br />

McCafferty stellte fest, dass er noch <strong>im</strong>mer sechzehn Stunden<br />

vom Packeis entfernt war. Über ihm kreisten best<strong>im</strong>mt noch <strong>im</strong>mer<br />

sowjetische Patrouillenflugzeuge. Er hatte einen Torpedo vergeudet<br />

- nein, sagte er sich, das war ein gutgeplanter Angriff gewesen,<br />

der einfach nicht funktioniert hatte. So etwas kam manchmal vor.<br />

Im Nordosten erschien eine Reihe von Sonobojen, aktive diesmal.<br />

Chicago fuhr nach Nordwesten. Dabei wanderten alle ihre<br />

Sonarkontakte nach rechts ab. Das Alfa war noch <strong>im</strong>mer da; sein<br />

Maschinengeräusch klang auf und wieder ab. Theoretisch konnte<br />

er zwar auf den Gegner schießen, aber er hatte gerade feststellen<br />

müssen, dass das Boot mit seinem Tempo und seiner Manövrierfähigkeit<br />

einen Torpedo vom Typ Mark-48 schlug.<br />

620


Der Nordwestkurs verringerte die Distanz zu einem der Kontakte<br />

merklich. Das Alfa und der andere Unbekannte bewegten sich<br />

nach Osten und wahrten so den Abstand von gut zehn Meilen ­<br />

unwisssentlich, wie McCafferty glaubte. Er stand vor der Karte.<br />

Die Zielkoordinaten für den nächsten Kontakt waren bereits errechnet.<br />

McCafferty betrat erneut den Sonarraum.<br />

»Was können Sie mir zu diesem Kontakt sagen?"<br />

»Sieht langsam aus wie ein Reaktor vom Typ Zwei, neuer Version.<br />

Mag ein Victor-III sein. Lassen Sie mir noch fünf Minuten<br />

Zeit, dann weiß ich das sicher, Sir.«<br />

»Leistungsabgabe?«<br />

»Ziemlich gering, Sir. Macht gerade Steuerfahrt.«<br />

McCafferty lehnte sich gegen die Wand, hinter der sich der<br />

riesige Signalprozessor befand. Die Linien auf dem Wasserfall-<br />

Display, die das unverwechselbare Frequenzmuster der Maschinerie<br />

eines Victor-III darstellen sollten, waren noch unscharf, verengten<br />

sich aber. Drei Minuten später hatten sie sich in einen ziemlich<br />

scharfen vertikalen Lichtstreifen verwandelt.<br />

»Sir, ich kann nur Ziel Sierra Zwei als Victor-III identifizieren.«<br />

McCafferty ging zurück in die Zentrale. »Distanz zu Sierra<br />

Zwei?«<br />

»Vierzehntausendfünfhundert Meter, Sir.«<br />

»Zielgleichung eingeben«, meldete der Waffenoffizier. »Rohr<br />

Eins klar, geflutet. Mündungsklappe geschlossen.«<br />

»Ruder zehn Grad Steuerbord«, befahl McCafferty. Chicago<br />

ging in Feuerposition. Er sah auf den Tiefenmesser: zweihundert<br />

Fuß. Nach dem Abfeuern wollte er rasch nach Osten fahren und auf<br />

tausend Fuß abtauchen.<br />

»Mündungsklappe öffnen!« Der Maat an der Torpedokonsole<br />

drückte auf den Knopf und wartete auf die Leuchtanzeige.<br />

»Mündungsklappe ist offen, Sir.«<br />

»Feuer!« Die siebentausend Tonnen große Chicago erbebte.<br />

McCafferty befahl eine Kurs- und Tiefenänderung und ließ die<br />

Fahrt auf zehn Knoten erhöhen.<br />

Wieder ein Geduldspiel. Wie lange wird es dauern, bis er den<br />

Fisch hört? Dieser lief in geringer Tiefe; McCafferty hoffte, dass sich<br />

sein Antriebsgeräusch <strong>im</strong> Oberflächenlärm verlieren würde. Blieb<br />

die Frage nach der Qualität des Sonars bei der anderen Seite.<br />

621


»Eine Minute.« Der Waffenoffizier hatte eine Stoppuhr in der<br />

Hand. Bei dieser Geschwindigkeitseinstellung lief der Mark-48<br />

dreizehnhundert Meter pro Minute. Noch zehn Minuten. Wie be<strong>im</strong><br />

Fußball kurz vorm Ende der regulären Spielzeit, dachte McCafferty,<br />

nur dass es hier nicht um Punkte geht, sondern um Leben und<br />

Tod. »Drei Minuten.«<br />

Chicago wurde in tausend Fuß Tiefe ausgependelt, und McCafferty<br />

ließ die Fahrt auf sechs Knoten reduzieren. Schon waren die<br />

Koordinaten für die beiden anderen Ziele eingestellt.<br />

»Noch fünf Minuten.«<br />

»Ziel Sierra Zwei hat gerade die Leistung gesteigert«, meldete<br />

Sonar. »Kavitationslärm, Schraubenumdrehungen weisen auf<br />

zwanzig Knoten und weitere Beschleunigung hin.«<br />

»Torpedo auf Höchstgeschwindigkeit«, befahl McCafferty. Der<br />

Mark-48 beschleunigte auf achtundvierzig Knoten, sechzehnhundert<br />

Meter pro Minute.<br />

»Ziel dreht nach Osten ab, Fahrt nun einunddreißig Knoten. Ein<br />

merkwürdiges Signal knapp achtern des Ziels. Ziel nun in dreifünf-acht;<br />

neues Signal in drei-fünf-sechs.«<br />

»Ein Störer?«<br />

»Hört sich nicht so an. Klingt eher wie... eine Nixe vielleicht.<br />

Ziel dreht weiter, Richtung nun drei-fünf-sieben. Sieht aus, als<br />

ginge er auf Gegenkurs.«<br />

»Auf zweihundert Fuß gehen«, sagte der Kommandant.<br />

»Sir, das neue Signal maskiert das Ziel«, verkündete Sonar.<br />

»Sir, der Torpedo peilt.«<br />

»Wenn er einen Köder ausgestoßen hat, befindet sich dieser<br />

zwischen ihm und dem Fisch«, meinte McCafferty leise. »Feuerleitung,<br />

noch einen Torpedo auf Ziel Sierra Zwei. Und arbeiten Sie die<br />

Koordinaten für Ziel Sierra Eins auf.« Das U-Boot war nun in<br />

dreihundert Fuß Tiefe.<br />

McCafferty gab leise den Feuerbefehl und ließ dann das Boot<br />

wieder tiefer tauchen.<br />

»Sir, Explosion in drei-fünf-vier«, meldete Sonar. »Kontakt zu<br />

Ziel Sierra Zwei verloren. Ob der Fisch getroffen hat oder nicht,<br />

kann ich nicht sagen. Die beiden anderen Torpedos scheinen normal<br />

zu laufen.«<br />

»Geduld«, hauchte McCafferty.<br />

»Hier Sonar. Sonobojenabwurf achteraus.«<br />

622


»Eines der anderen Boote hat sich mit seinen Freunden in Verbindung<br />

gesetzt«, vermutete der IO.<br />

»Gut möglich. Diese kooperative Taktik ist unschlagbar, wenn<br />

sie ihren Akt erst mal auf der Reihe haben.'«<br />

»Sierra Zwei ist wieder aufgetaucht, Sir. Maschinensignatur Typ<br />

zwei in drei-vier-neun, Rumpfknistern. Sierra Zwei ändert Tiefe."<br />

Der Waffenoffizier ließ einen der laufenden Torpedos um einige<br />

Grad nach Backbord abdrehen. McCafferty begann, auf einem Stift<br />

zu kauen.<br />

»Wetten, dass er versucht, eine Antenne auszufahren und seinen<br />

Freunden zu verraten, von wo aus wir gefeuert haben? Zwei Drittel<br />

voraus.«<br />

»Torpedo in zwo-acht-sechs!«<br />

»Auf zwölfhundert Fuß gehen!« befahl McCafferty sofort. »Ruder<br />

hart Steuerbord, neuer Kurs eins-sechs-fünf. Freund Victor ist<br />

zu den Fliegern durchgekommen.«<br />

»Sir, Lenkdrähte beider Fische gerissen«, meldete der Waffenoffizier.<br />

»Geschätzte Distanz zu Sierra Zwei?«<br />

»Der Fisch hat rund sechstausend Yard zurückgelegt und ist so<br />

programmiert, dass er in einer Minute zu peilen beginnt.«<br />

»Diesmal hat Mr. Victor einen Fehler gemacht. Er hätte erst mal<br />

seinen Rücken decken sollen, ehe er nach oben ging, um mit den<br />

Flugzeugen Verbindung aufzunehmen. Sonar, Position des Torpedos<br />

achtern?«<br />

»Richtung ändert sich - Sir, Sonarleistung läßt wegen Strömungsgeräuschen<br />

nach. Letzte exakte Peilung war zwei-siebenacht.«<br />

»Ein Drittel voraus!« McCafferty brachte sein Boot zurück auf<br />

langsame, leise Fahrt. Zwei Minuten später erkannte er, dass der<br />

aus der Luft auf sie abgeworfene Torpedo ihnen nichts anhaben<br />

konnte und dass ihr zweiter Schuß auf das Victor sich seinem Ziel<br />

näherte.<br />

Inzwischen herrschte auf dem Sonar-Display die totale Konfusion.<br />

Ziel Sierra Zwei hatte den anlaufenden Fisch zu spät geortet,<br />

jagte aber nun mit Höchstfahrt vor ihm davon. Der auf das andere<br />

Victor abgeschossene Torpedo lief noch, aber dieses Ziel manövrierte,<br />

um einem Torpedo von Boston auszuweichen. Das Alfa<br />

raste mit äußerster Kraft nach Norden, verfolgt von einem Mark­<br />

623


48. Im Osten waren zwei weitere russische Torpedos <strong>im</strong> Wasser,<br />

vermutlich hinter Boston her, das aber nicht auf Chicagos Sonar-<br />

Display erschien. Es jagten also fünf U-Boote umher, vier davon<br />

verfolgt von zielsuchenden Waffen.<br />

»Sir, Sierra Eins und Zwei haben Köder ausgestoßen. Unser<br />

Fisch hat Sierra Zwei erfaßt. Ein Fisch anderen Ursprungs peilt<br />

Sierra Eins an, und einer der russischen Torpedos peilt in nulldrei-fünf<br />

- Sir, Explosion in drei-drei-neun.«<br />

Hätte auf meinen Vater hören und Buchhalter werden sollen,<br />

dachte McCafferty. Dann stiege ich hier wenigstens durch. Er ging<br />

hinüber an den Kartentisch.<br />

Auch dort war das Bild nicht klarer. Die Kurslinien der Sonarkontakte<br />

und laufenden Torpedos sahen aus wie Kabelsalat.<br />

»Sir, lautes Maschinengeräusch in drei-drei-neun. Klingt, als<br />

wäre etwas kaputt, viel metallischer Lärm. Druckluftzischen, er<br />

bläst an.<br />

»Ruder hart Backbord, neuer Kurs null-eins-null.«<br />

»Haben wir das Victor nicht versenkt?«<br />

»Mir reicht es schon, wenn es außer Gefecht gesetzt ist. Was<br />

treiben die beiden anderen?«<br />

»Der auf Sierra Eins angesetzte Fisch peilt, und der Torpedo<br />

von Boston auch - ich nehme jedenfalls an, dass er von Boston<br />

kommt.«<br />

Die Konfusion ließ für zehn Minuten etwas nach. Das zweite<br />

Ziel kehrte beiden Torpedos das Heck zu und lief nach Nordwesten.<br />

Auf Chicagos Bahn erschienen die Linien weiterer Sonobojen.<br />

Im Westen wurde noch ein aus der Luft abgeworfener Torpedo<br />

ausgemacht, aber man wusste nicht, wem er galt - nur, dass<br />

er zu weit entfernt war, um Anlaß zur Sorge zu geben. Der Torpedo,<br />

den Chicago auf das zweite Unterseeboot der Victor-Klasse<br />

abgeschossen hatte, war bemüht, ein Ziel einzuholen, das sich mit<br />

äußerster Kraft entfernte. Möglicherweise hatte Boston auch auf<br />

das Alfa geschossen, aber dieses Boot lief fast so schnell wie der<br />

Torpedo. McCafferty bekam wieder Sonarkontakt mit Providence<br />

und fuhr weiter nach Norden. Er machte sich die Tatsache, dass<br />

das Chaos für ihn arbeitete, zunutze und hoffte nur, dass Boston<br />

den Torpedos ausweichen konnte.<br />

»Zwei Explosionen in null-null-drei, Sir.« Dort war das zweite<br />

Victor zuletzt geortet worden, aber Sonar empfing nun nichts wei­<br />

624


ter. Hatten die Fische das U-Boot zerstört, den Köder oder sich<br />

womöglich gegenseitig ausgeschaltet?<br />

Chicago hielt weiter nach Norden, erhöhte die Fahrt auf zehn<br />

Knoten und fuhr <strong>im</strong> Zickzack durch die Sonobojen-Kette, um eine<br />

größere Distanz zwischen sich und die beschädigte Providence zu<br />

legen. McCafferty schickte seine Männer paarweise zum Essen und<br />

ließ sich ein Schinkenbrot bringen, das er am Periskop mit geschlossenen<br />

Augen verspeiste. Eine Stunde später ließ er die Mannschaft<br />

die Gefechtsstationen verlassen. Die Hälfte der Crew legte sich<br />

schlafen.<br />

Auf dem Sonarschirm tauchte Boston als gespenstischer Schatten<br />

<strong>im</strong> Osten auf. Providence lief noch mit sechs Knoten hinter ihnen<br />

und machte viel zuviel Lärm. Nun verging die Zeit rascher. McCafferty<br />

blieb sitzen, vergaß seine Würde und dachte an nichts.<br />

Er hob mit einem Ruck den Kopf, schaute auf die Uhr und stellte<br />

fest, dass er eine halbe Stunde lang gedöst hatte. Noch fünf Stunden<br />

bis zum Packeis.<br />

Was war aus dem Alfa geworden? Zehn Sekunden, nachdem er<br />

sich diese Frage gestellt hatte, war McCafferty <strong>im</strong> Sonarraum.<br />

»Was war Ihre letzte Peilung des Alfa?«<br />

»Sir, wir verloren den Kontakt vor drei Stunden. Zuletzt fuhr es<br />

mit äußerster Kraft nach Nordosten und verklang.«<br />

»Besteht die Möglichkeit, dass es uns unterm Eis auflauert?«<br />

»Dann erfassen wir ihn, ehe er uns ortet, Sir. Wenn er in Bewegung<br />

ist, erzeugt sein Antrieb eine Menge Lärm <strong>im</strong> Hoch- und<br />

Mittelfrequenzbereich«, erklärte der Sonar-Chief. »Der Niederfrequenzlärm<br />

des Eises hindert ihn, uns frühzeitig zu erkennen.« Der<br />

Kommandant nickte und ging nach achtern.<br />

»IO, wo wären Sie, wenn Sie dieses Alfa befehligten?«<br />

»Zu Hause!« Der Erste lächelte. »Er muss wissen, dass er es mit<br />

mindestens zwei Booten zu tun hat. Seine Chancen stehen nicht<br />

gerade gut. Ein Victor haben wir außer Gefecht gesetzt, und das<br />

andere wurde von Boston wahrscheinlich versenkt. Was soll er nun<br />

denken? Der Iwan ist tapfer, aber nicht verrückt. Wenn er seine fünf<br />

Sinne beisammen hat, meldet er einen verlorenen Kontakt und läßt<br />

es dabei bewenden.«<br />

»Das nehme ich Ihnen nicht ab. Er hat einen Fisch von uns und<br />

wahrscheinlich auch einen von Boston geschlagen«, meinte der<br />

Kommandant leise.<br />

625


«Da mögen Sie recht haben, Sir, aber er ist nicht auf dem Sonarschirm.«<br />

Dies musste McCafferty zugestehen. «Wir werden uns auf jeden<br />

Fall dem Eis sehr vorsichtig nähern.«<br />

Boston lag fünfzehn Meilen <strong>im</strong> Osten, Providence acht Meilen<br />

<strong>im</strong> Südosten. Noch drei Stunden zum Packeis. Noch achtzehn<br />

Seemeilen, vielleicht sogar weniger, dann waren sie in Sicherheit.<br />

McCafferty döste wieder ein.<br />

»Hier Sonar!" McCafferty fuhr hoch.<br />

»Providence hat die Fahrt etwas erhöht, Sir. Schätzung zehn<br />

Knoten.«<br />

»Wie lange habe ich geschlafen ?« fragte McCafferty den Ersten<br />

Offizier.<br />

«Rund anderthalb Stunden. Kein Problem, bis auf unsere<br />

Freunde ist der Schirm leer.«<br />

McCafferty stand auf und streckte sich. »Entfernung zum Eis?«<br />

»Etwa zwölfhundert Meter.«<br />

McCafferty schaute auf die Karte. Providence hatte inzwischen<br />

aufgeholt. Das gefiel ihm nicht.<br />

»Gehen Sie auf zwölf Knoten und Kurs null-vier-fünf. Er hat es<br />

zu eilig.«<br />

»St<strong>im</strong>mt«, meinte der IO. »Aber wer kann ihm da einen Vorwurf<br />

machen?«<br />

»Ich. Kommt es jetzt noch auf ein paar Minuten an?«<br />

»Hier Sonar. Möglicher Kontakt in null-sechs-drei. Klingt wie<br />

sehr schwaches Maschinengeräusch, verschwindet nun, wird von<br />

Strömungsgeräusch überdeckt.«<br />

»Fahrt verringern?« fragte der IO. Der Kommandant schüttelte<br />

den Kopf.<br />

»Zwei Drittel voraus.« Chicago beschleunigte auf achtzehn<br />

Knoten. McCafferty starrte auf die Karte. Irgend etwas Wichtiges<br />

entging ihm hier. Das Boot lag noch tief, auf tausend Fuß. Providences<br />

Schleppsonar funktionierte noch, aber da das Boot in Oberflächennähe<br />

lief, war seine Sonarleistung beeinträchtigt. Fuhr auch<br />

Boston in geringerer Tiefe? Als Chicago praktisch mit Providence<br />

gleichauf lag, ließ McCafferty die Fahrt auf sechs Knoten reduzieren.<br />

Dann ließ das Strömungsgeräusch nach, und seine Sonaranlagen<br />

brachten wieder ihre volle Leistung.<br />

»Sonarkontakt in null-neun-fünf!«<br />

626


Auf der Karte wurde eine Linie eingetragen, die sich mit der<br />

letzten Peilung schnitt, und zwar fast genau zwischen Boston und<br />

Providence! McCafferty beugte sich vor und las die Tiefe an dieser<br />

Stelle ab - neunzehnhundert Fuß. Tiefer, als ein Boot der 688­<br />

Klasse tauchen konnte, doch nicht zu tief für ein Alfa ...<br />

»Verfluchte Scheiße!«<br />

Er konnte nicht auf den Kontakt schießen, weil er zu dicht bei<br />

Providence lag. Wenn die Lenkdrähte rissen, schaltete der Fisch<br />

auf au<strong>tom</strong>atische Suche und konnte Freund nicht von Feind unterscheiden.<br />

»Sonar, Aktivsuche auf Kontakt in null-neun-fünf!«<br />

Es dauerte einen Augenblick, bis das System betriebsbereit war.<br />

Dann ließ das tiefe Bah-Wah den Ozean erzittern. McCafferty<br />

hatte seinen Kameraden warnen wollen. Dass er damit auch das<br />

Alfa aufscheuchte, ließ sich nicht vermeiden.<br />

»Rumpfknistern und lautes Maschinengeräusch in null-neunfünf.<br />

Noch kein Ziel auf dem Display.«<br />

»Los, Todd!« drängte McCafferty.<br />

»Providence erhöht die Leistung, Boston auch, Sir«, meldete<br />

Sonar. »Torpedos in null-neun-fünf!«<br />

»AK voraus!« McCafferty sah auf die Karte. Das Alfa lag gefährlich<br />

dicht hinter den beiden Booten, und Providence konnte<br />

weder fliehen noch wegtauchen. Der Feuerleittrupp machte zwei<br />

Torpedos bereit. Das Alfa hatte vier Fische abgeschossen, je zwei<br />

auf die amerikanischen Boote. Boston und Providence drehten<br />

nach Westen ab. McCafferty und der Erste gingen in den Sonarraum.<br />

Kontaktlinien wischten nach links und rechts über den Schirm;<br />

dicke stellten U-Boote dar, dünnere, hellere die vier Torpedos.<br />

Zwei hielten rasch auf Providence zu. Das beschädigte Boot lief<br />

nun zwanzig Knoten und klang wie ein wildgewordener Kieslaster,<br />

doch sein Schicksal war besiegelt. Drei Störer erschienen auf<br />

dem Schirm, wurden aber von den Torpedos ignoriert. Die Linien<br />

trafen sich an einem Punkt, der hell auf dem Schirm aufleuchtete.<br />

»Er hat Providence erwischt, Sir«, sagte der Sonar-Chief leise.<br />

Boston hatte eine bessere Chance. S<strong>im</strong>ms fuhr nun mit Höchstgeschwindigkeit,<br />

die Torpedos lagen knapp tausend Yard hinter<br />

ihm. Auch er ließ Lärminstrumente ausstoßen und radikal Kurs<br />

und Tiefe ändern. Ein Torpedo ging vorbei, tauchte hinter einem<br />

627


Lärminstrument her und explodierte auf dem Grund. Der andere<br />

erfaßte Boston und holte langsam auf. Ein zweiter heller Fleck<br />

erschien, und das war alles.<br />

»Yankee-Sucher auf das Alfa!« befahl McCafferty erbittert. Die<br />

starken Sonar-Impulse ließen das Boot vibrieren.<br />

»Richtung eins-null-neun, Distanz dreizehntausend.«<br />

»Feuer!«<br />

Das Alfa horchte erst gar nicht auf das Geräusch der anlaufenden<br />

Torpedos. Sein Skipper wusste, dass noch ein drittes Boot lauerte,<br />

dass er angepeilt worden war. Das sowjetische U-Boot ging auf<br />

Höchstfahrt und drehte nach Osten ab. Der Waffenoffizier von<br />

Chicago versuchte, die beiden Torpedos auf Zielkurs zu bringen,<br />

doch diese liefen nur kümmerliche fünf Knoten schneller als das<br />

Alfa, und die Gleichung war klar: Zweitausend Meter hinter dem<br />

Ziel würde ihnen der Treibstoff ausgehen.<br />

»Gut, versuchen wir es noch einmal.« Sie waren nun noch drei<br />

Meilen vom Packeis entfernt, Chicago lief leise. Das Alfa wandte<br />

sich nach Westen. Offenbar rechnete sein Kommandant damit, dass<br />

McCafferty sich unters Packeis flüchtete.<br />

»Neuer Kontakt in null-null-drei«, meldete Sonar.<br />

Eine russische Falle?<br />

»Ich brauche Informationen!«<br />

»Sehr schwach, aber ich habe eine deutliche Richtungspeilung,<br />

jetzt null-null-vier. Abstand Muss weniger als zehntausend Meter<br />

betragen.«<br />

»Torpedo <strong>im</strong> Wasser, null-null-fünf!«<br />

»Ruder hart Backbord, AK voraus!«<br />

»Richtungsänderung! Der Torpedo nun in null-null-fünf!«<br />

»Befehl widerrufen!« schrie McCafferty. Der neue Kontakt<br />

schoß auf das Alfa.<br />

»H<strong>im</strong>mel, was ist das?« fragte der Sonar-Chief.<br />

Das Alfa bemerkte den neuen Torpedo und ging auf Gegenkurs.<br />

Wieder hörten und sahen sie den Donner seiner Maschinen, doch<br />

der Torpedo holte diesmal rasch auf.<br />

»Muss ein Engländer sein. Das ist einer ihrer neuen Spearfish.«<br />

»Wie schnell laufen die?« fragte der Sonar-Chief.<br />

»Sechzig oder siebzig Knoten.«<br />

Das Alfa fuhr drei Meilen geradeaus, wandte sich dann nach<br />

Norden und dem Eis zu, schaffte es aber nicht. Der Torpedo schnitt<br />

628


ab, die Linien auf dem Display trafen sich, und ein greller Fleck<br />

erschien.<br />

McCafferty befahl einen Nordkurs und achtzehn Knoten. »Ich<br />

will sicherstellen, dass der Engländer weiß, wer wir sind«, sagte er<br />

zum Ersten Offizier.<br />

»Wir sind HMS Torbay. Wer sind Sie?«<br />

»Chicago.«<br />

»Wir haben den Aufruhr mitbekommen. Sind Sie allein?« fragte<br />

Captain James Linie.<br />

»Ja. Das Alfa lag <strong>im</strong> Hinterhalt. Wir sind allein.«<br />

»Wir begleiten Sie.«<br />

»Verstanden. War Operation Doolittle ein Erfolg?«<br />

»Ja.«<br />

629


Stykkisholmur, Island<br />

40<br />

Killing Fields<br />

Es gab viel zu tun, und die Zeit war knapp. Lieutenant Potter und<br />

die Männer seiner Vorausabteilung stießen in Stykkisholmur auf<br />

acht Russen. Diese versuchten, über die einzige Straße nach Süden<br />

zu fliehen, liefen aber in einen Hinterhalt. Es gab ein Feuergefecht,<br />

bei dem fünf Russen fielen oder verwundet wurden. Nun war<br />

niemand mehr da, der Keflavik vor den Schiffen am Horizont<br />

warnen konnte.<br />

Die ersten Truppen kamen per Hubschrauber und besetzten in<br />

Zug- oder Kompaniestärke jede Anhöhe überm Hafen. Man war<br />

besonders bemüht, die Maschinen unter Keflaviks Radarhorizont<br />

zu halten, da dort trotz aller Anstrengungen noch ein russischer<br />

Sender operierte. Ein Hubschrauber CH-53 Super Stallion brachte<br />

eine mobile Radaranlage auf einen Berg an der Nordwestküse der<br />

Insel, und ein Team von Technikern begann sofort, sie einsatzbereit<br />

zu machen. Als die Schiffe in den mit Felsblöcken übersäten Hafen<br />

von Stykkisholmur einfuhren, waren schon fünftausend Soldaten<br />

beiderseits der wenigen Straßen, die in die Stadt führten, in Stellung<br />

gegangen.<br />

Hubschrauber, die nicht mehr für den Truppentransport gebraucht<br />

wurden, markierten die Untiefen und Hindernisse mit<br />

Radarreflektoren und Leuchtbaken, und dann wanden sich die<br />

Landungsschiffe LST mit halsbrecherischer Geschwindigkeit durch<br />

das tödliche Labyrinth; eine Operation, die nur wenig sicherer war<br />

als das Überqueren einer Autobahn mit verbundenen Augen.<br />

Lieutenant Potter und seine Kommandos gingen von Haus zu<br />

Haus und machten die Kapitäne und Maate der Fischerboote ausfindig;<br />

diese wurden dann hinausgeflogen, um die großen grauen<br />

LST mit den Panzern an Bord durch die engsten Passagen zu lotsen.<br />

Um die Mittagszeit hatte das erste LST die Laderampe an Land, und<br />

die Panzer der Marineinfanterie rollten auf die Insel. Nach ihnen<br />

630


kamen Lkw, die perforierte Stahlplatten zu einer ebenen Stelle<br />

brachten, wo ein Landeplatz für Hubschrauber und Harrier-Senkrechtstarter<br />

gebaut werden sollte.<br />

Nachdem die Hubschrauber die Felsen und Untiefen markiert<br />

hatten, transportierten sie weitere Soldaten unter dem Schutz von<br />

Sea-Cobra-Kampfhubschraubern und Harrier. Bald war der Brükkenkopf<br />

bis zu den Höhen überm Fluß Hvita ausgedehnt, und die<br />

ersten Zusammenstöße mit russischen Truppen begannen.<br />

Keflavik, Island<br />

»Da sieht man mal wieder, was unser Nachrichtendienst taugt«,<br />

murmelte General Andrejew. Von seinem Hauptquartier aus sah er<br />

mächtige Schemen ins Blickfeld gleiten: die Schlachtkreuzer lowa<br />

und New Jersey, zum Schutz gegen Luftangriffe von Raketenkreuzern<br />

begleitet.<br />

»Wir können jetzt angreifen«, sagte der Chef der Artillerie.<br />

»Dann tun Sie das«, versetzte Andrejew und wandte sich an<br />

seinen Fernmeldeoffizier. »Ist Severomorsk verständigt worden?«<br />

»Ja. Die Flugzeuge der Nordflotte werden heute Angriffe fliegen,<br />

und es sind auch U-Boote unterwegs.«<br />

»Gut. Richten Sie aus. Hauptziele sind die amerikanischen Landungsschiffe<br />

bei Stykkisholmur.«<br />

»Wir sind doch gar nicht sicher, ob dort welche sind. Der Hafen<br />

ist viel zu gefährlich -«<br />

»Wo sollten sie denn sonst sein?« herrschte Andrejew. »Unser<br />

Beobachtungsposten bei Stykkisholmur antwortet nicht, und Meldungen<br />

zufolge bewegen sich feindliche Hubschrauber von dort aus<br />

nach Süden und Osten. Denken Sie doch mal nach, Mann!«<br />

»Genosse General, die Marine wird sich auf den feindlichen<br />

Trägerverband konzentrieren.«<br />

»Dann machen Sie unseren Kameraden in Blau klar, dass die<br />

Träger uns Island nicht abnehmen können, die amerikanische Marineinfanterie<br />

aber sehr wohl!«<br />

Andrejew sah Rauch von einer seiner schweren Batterien aufsteigen.<br />

Ein paar Sekunden später folgte der Donner. Die erste russische<br />

Salve landete tausend Meter vorm Ziel.<br />

Das Schlachtschiff lowa hatte seit dem Koreakrieg kein echtes<br />

631


Ziel mehr beschossen, doch nun drehten sich die mächtigen Geschütztürme<br />

langsam nach Steuerbord. In der Feuerleitzentrale<br />

steuerte ein Techniker an einem Joystick ein unbemanntes Flugzeug<br />

vom Typ Mastiff. Die kleine Drohne, vor einigen Jahren von Israel<br />

erworben, kreiste achttausend Fuß über den russischen Batterien<br />

und richtete ihre eingebaute Fernsehkamera von einer Stellung auf<br />

die andere.<br />

»Ich zähle sechs Geschütze, 155 Mill<strong>im</strong>eter oder so.«<br />

Die exakte Position der russischen Batterie wurde best<strong>im</strong>mt und<br />

eingetragen. Dann ermittelte der Computer unter Berücksichtigung<br />

von Luftdichte, Luftdruck, relativer Luftfeuchtigkeit, Windrichtung<br />

und -geschwindigkeit sowie einem Dutzend anderer Faktoren<br />

die Zielkoordinaten. An der Statuskonsole des Geschützoffiziers<br />

flammte eine Leuchte auf.<br />

»Feuer.«<br />

Das mittlere Geschütz von Turm zwei schoß eine Granate ab. Ein<br />

Mill<strong>im</strong>eterband-Radar verfolgte sie und verglich ihre Flugbahn mit<br />

der vom Feuerleitcomputer errechneten; nicht erstaunlich war, dass<br />

Abweichungen bei der Windgeschwindigkeit auftraten. Der Computer<br />

der Radaranlage gab die neuen, empirisch gewonnenen Daten<br />

an das Hauptsystem weiter, und die restlichen acht Geschütze<br />

der Hauptbatterie änderten leicht die Position. Noch ehe die erste<br />

Granate gelandet war, feuerten sie.<br />

»H<strong>im</strong>mel noch mal!« flüsterte Andrejew. Der orangene Mündungsblitz<br />

ließ das Schiff kurz verschwinden. Links von ihm brüllte<br />

jemand, der vielleicht glaubte, eine russische Granate habe getroffen.<br />

Andrejew indes hegte keine Illusionen. Seine Geschützbedienungen<br />

waren aus der Übung und hatten sich noch nicht auf ihr Ziel<br />

eingeschossen. Er richtete das Fernglas auf seine vier Kilometer<br />

entfernte Batterie.<br />

Die erste Granate landete fünfzehnhundert Meter südöstlich, die<br />

nachten acht nur zweihundert Meter hinter der Geschützstellung.<br />

»Batterie sofort verlegen!«<br />

»Zweihundert ab und Feuer!«<br />

Schon wurden die Geschütze der Iowa au<strong>tom</strong>atisch nachgeladen.<br />

Edelgas trieb die Fetzen der seidenen Treibladungssäcke aus den<br />

Mündungen, dann öffneten sich die Verschlüsse, und die Laderampen<br />

klappten hoch. Nachdem die Bohrung auf gefährliche Rückstände<br />

geprüft worden war, hielten Munitionsaufzüge an der hinte­<br />

632


en Kante der Rampen, und in die breiten Geschützrohre wurden<br />

Granaten gerammt. Dann kamen die schweren Pulversäcke, die<br />

Rampe hob sich, der Verschluß ging hydraulisch zu, die Geschütze<br />

kehrten zurück auf die eingestellte Elevation. Die Bedienungen<br />

traten aus dem Laderaum und hielten die Hände über die Ohrenschützer.<br />

In der Feuerleitzentrale wurden Knöpfe gedrückt, und<br />

die Verschlüsse glitten aufs neue zurück. Der Zyklus begann wieder;<br />

die jungen Matrosen erfüllten die gleichen Funktionen wie<br />

ihre Großväter vor vierzig Jahren.<br />

Andrejew ging nach draußen und sah ebenso entsetzt wie fasziniert<br />

zu. Er hörte das Geräusch zerreißenden Leinens, als das riesige<br />

Projektil über ihn hinwegflog, und drehte sich dann nach<br />

seiner Batterie um. Lastwagen stießen zu den Geschützen zurück,<br />

deren Bedienungen die letzten Schüsse abfeuerten und hastig die<br />

Verlegung vorbereiteten. Die Batterie verfügte über sechs Geschütze<br />

125 mm und zahlreiche Lkw für Bedienungen und Munition.<br />

Ein Vorhang aus Erde und Steinen stieg auf, gefolgt von drei<br />

Sekundärexplosionen und vier weiteren Salven, denn auch die<br />

New Jersey nahm nun an dem Bombardement teil.<br />

»Was ist das?« Ein Leutnant wies auf einen Punkt am H<strong>im</strong>mel.<br />

Der Artilleriekommandant wandte den Blick von den Überresten<br />

eines Drittels seiner Geschütze und identifizierte das ferngelenkte<br />

Flugzeug. »Ich kann es abschießen lassen.«<br />

»Nein!« brüllte Andrejew. »Wollen Sie denn verraten, wo unsere<br />

letzten SAM-Starter stehen?« Der General hatte in Afghanistan<br />

nur Mörser- und Raketenfeuer erlebt und machte nun zum<br />

ersten Mal die Erfahrung eines Beschüsses durch schwere Geschütze.<br />

»Meine anderen Batterien sind alle getarnt.«<br />

»Lassen Sie für jedes Geschütz mindestens drei neue Ausweichstellungen<br />

bauen, alle voll getarnt.« Der General ging zurück ins<br />

Gebäude, zuversichtlich, dass die Amerikaner die Stadt Keflavik<br />

vorerst nicht beschießen würden. An der Wand hing eine große<br />

Karte der Westküste Islands. Stabsoffiziere markierten bereits mir<br />

Fähnchen die vermuteten Positionen amerikanischer Einheiten.<br />

»Was haben wir auf der Hvita?« fragte er seinen Operationsoffizier.<br />

»Ein Bataillon. Zehn Schützenpanzer, ansonsten Lkw und requirierte<br />

Fahrzeuge. Ausgerüstet mit Mörser, Panzerabwehrrake­<br />

633


ten und SAM-Sieben. Die Einheit ist an der Straßenbrücke über<br />

Bogarnes in Stellung.«<br />

»Die Amerikaner sitzen bereits auf dieser Höhe hier und<br />

schauen auf sie hinab. Welche Flugzeugtypen sind gesehen worden?«<br />

»Wir sind in Reichweite mehrerer amerikanischer Flugzeugträger.<br />

Jeder Träger verfügt über vierundzwanzig Jäger und vierunddreißig<br />

Bomber. Wenn eine volle Division Marineinfanterie an<br />

Land gebracht worden ist, haben wir es auch mit einer beträchtlichen<br />

Anzahl von Hubschraubern und Senkrechtstartern vom Typ<br />

Harrier zu tun. Diese können von Schiffen oder Behelfsflugplätzen<br />

an Land, die sich mit dem richtigen Material binnen sechs Stunden<br />

einrichten lassen, operieren. Eine Division der Marineinfanterie ist<br />

doppelt so stark wie eine vergleichbare Einheit bei uns, verfügt<br />

über ein starkes Panzerbataillon, hat mehr Artillerie, aber weniger<br />

Mörser. Was mir Kummer bereitet, ist ihre Beweglichkeit. Sie können<br />

nämlich quasi um uns herumtanzen, mit Hubschraubern und<br />

Landungsfahrzeugen Truppen nach Belieben plazieren -«<br />

»Genau wie wir bei unserer Landung«, st<strong>im</strong>mte der General<br />

nüchtern zu. »Wie gut sind sie?«<br />

»Die amerikanischen Marines verstehen sich als Elitetruppe,<br />

genau wie wir. Einige ihrer Offiziere und Unteroffiziere haben<br />

Gefechtserfahrung, die meisten Kompanieoffiziere und Feldwebel<br />

aber nicht.«<br />

»Wie ernst ist die Lage?« Der KGB-Offizier war eingetreten.<br />

»Ausgerechnet Sie! Sagten Sie nicht, die amerikanische Division<br />

sei auf dem Weg nach Europa? Während wir hier reden, sterben<br />

meine Männer.« Ferner Donner unterstrich Andrejews Worte. Die<br />

Schlachtschiffe beschossen nun ein Versorgungslager, in dem zum<br />

Glück nicht mehr viel war.<br />

»Genosse General, ich -«<br />

»Verschwinden Sie! Ich habe zu tun.« Schon fragte sich Andrejew,<br />

ob seine Lage hoffnungslos war. Er verfügte über zehn Kampfhubschrauber,<br />

die nach dem Angriff auf Keflavik allesamt verteilt<br />

und versteckt worden waren. »Wie können wir es bewerkstelligen,<br />

dass sich jemand diesen Hafen einmal ansieht?«<br />

»Wir werden permanent von amerikanischen Radarflugzeugen<br />

überwacht. Um nach Stykkisholmur zu gelangen, müßte ein Hubschrauber<br />

feindliche Stellungen überfliegen. Die Amerikaner verfü­<br />

634


gen über bewaffnete Hubschrauber und Düsenjäger-das wäre also<br />

ein H<strong>im</strong>melfahrtskommando, und es stünde auch gar nicht fest,<br />

dass unser Mann überhaupt nahe genug herankäme.«<br />

»Dann sehen Sie zu, dass wir vom Festland eine Aufklärungsmaschine<br />

oder Satellitendaten bekommen. Ich muss wissen, welche<br />

Kräfte uns gegenüberstehen. Wenn es uns gelingt, ihren Brückenkopf<br />

zu zerschlagen, haben wir eine gute Chance, ihre Bodentruppen<br />

zu besiegen, und zur Hölle mit den Marinefliegern!«<br />

Das Ganze war kompliziert, doch eine Blitzanforderung vom OB<br />

der Nordflotte räumte die bürokratischen Hindernisse beiseite.<br />

Einer der beiden sowjetischen Satelliten verbrannte ein Drittel seines<br />

Treibstoffs zum Manövrieren, um die Umlaufbahn zu ändern<br />

und zwei Stunden später in geringer Höhe Island zu überfliegen.<br />

Minuten später wurde vom Kosmodrom Baikonur der letzte ROR­<br />

SAT gestartet. Schon be<strong>im</strong> ersten Umlauf kam Island in seine<br />

Radarreichweite. Vier Stunden nach Andrejews Spruch hatten die<br />

Russen ein klares Bild von dem Aufmarsch vor und auf Island.<br />

Brüssel<br />

»Sind sie bereit?« fragte der SACEUR.<br />

»Zwölf Stunden mehr wäre besser, aber sie sind bereit.« Der<br />

Operationsoffizier schaute auf die Armbanduhr. »In zehn Minuten<br />

fahren sie los.« Die Zeit bis zur Plazierung der neuen Division war<br />

gewinnbringend genutzt worden. Aus mehreren zusätzlichen Brigaden<br />

hatte man zwei nach Nationalitäten gemischte Divisionen gebildet.<br />

Dabei war die Front fast ganz ihrer Reserven beraubt worden.<br />

Im Zuge eines hastig ausgedachten Täuschungs- und Ablenkungsplans<br />

wurden entlang der ganzen Front Funkeinheiten tätig<br />

und s<strong>im</strong>ulierten die Anwesenheit der verlegten Formationen. Die<br />

Nato hatte bis zu diesem Augenblick ihre »Maskirowka« absichtlich<br />

eingeschränkt, um dem SACEUR Gelegenheit zu geben, mit<br />

einer Reihe von Assen in der Hand um ganz Westeuropa zu wetten.<br />

635


Hunzen, BRD<br />

Es war ein aufregendes Manöver. Alexejew ließ seine Kräfte der<br />

Kategorie I vorrücken, während eine angeschlagene Mot-Schützendivision<br />

bei der Erzwingung eines Übergangs über die Weser bluten<br />

musste. In der Zwischenzeit wartete der General nervös auf Nachrichten<br />

von seiner wackligen rechten Flanke, doch es kam nichts.<br />

Der OB West hielt Wort und startete einen Scheinangriff auf Hamburg,<br />

um Nato-Kräfte von dem neuesten sowjetischen Durchbruch<br />

abzuziehen.<br />

Dies war alles andere als ein s<strong>im</strong>ples Manöver. Von anderen<br />

Abschnitten waren Fla- und Flarak-Einheiten abgezogen worden.<br />

Sobald die Nato erkannte, was bevorstand, sollten diese Einheiten<br />

jeden Versuch, die Sowjets am Vorstoß auf die Ruhr zu hindern,<br />

zerschlagen. Bisher war der Widerstand nur schwach gewesen.<br />

Vielleicht war dem Gegner nicht klar, was geschah, sagte sich<br />

Alexejew, oder er war tatsächlich am Ende.<br />

Die erste Einheit der Kategorie I war die 120. Mot-Schützendivision,<br />

die berühmte Rogatschew-Garde, deren Spitzen gerade bei<br />

Rühle über den Fluß gingen, gefolgt von der 8. Garde-Panzerdivision.<br />

Zwei weitere Panzerdivisionen steckten auf den Straßen nach<br />

Rühle fest. Ein Pionierreg<strong>im</strong>ent quälte sich mit der Errichtung von<br />

sieben Brücken ab. Laut Einschätzung des Nachrichtendienstes<br />

standen ihnen zwei, vielleicht drei Nato-Brigaden gegenüber. Nicht<br />

genug, dachte Alexejew, diesmal reicht es nicht. Selbst die Luftmacht<br />

des Feindes war geschwunden. Seine Heeresflieger meldeten<br />

bei Rühle nur geringen Widerstand. Vielleicht hatte der OB doch<br />

recht gehabt.<br />

»Starke Feindaktivität bei Salzhemmendorf«, meldete ein Fernmeldeoffizier<br />

der Luftwaffe.<br />

Dort stand die 40. Panzerdivision, eine Einheit der Kategorie II,<br />

die von dem deutschen Gegenstoß stark dez<strong>im</strong>iert worden war.<br />

»Die vierzigste Panzerdivision meldet einen feindlichen Großangriff<br />

auf ihre Front.«<br />

»Was soll das heißen, >Großangriff


»In Brigadestärke?«<br />

»Feindangriff bei Dunsen.«<br />

»Dunsen? Das liegt dicht bei Gronau. Teufel, wie kommen die<br />

dorthin?« fauchte Alexejew. »Lassen Sie diese Meldung bestätigen!<br />

Handelt es sich um einen Boden- oder Luftangriff?«<br />

»Die hundertzwanzigste Mot-Schützendivision hat ein volles Reg<strong>im</strong>ent<br />

über die Weser geschafft, das nun auf Brökeln vorstößt. Die<br />

Spitzen der achten Panzerdivision haben die Weser in Sicht. SAM-<br />

Einheiten gehen zum Schutz des Übergangs in Stellung.«<br />

Es war, als würden Alexejew gleichzeitig verschiedene Artikel<br />

einer Zeitung vorgelesen. General Beregowoy war an der Front,<br />

koordinierte die Verkehrsregelung und legte die Manöver nach<br />

dem Übergang fest. Die Artillerie aller vorrückenden Einheiten war<br />

weit vorne in Stellung gegangen, um den Übergang vor Gegenangriffen<br />

zu schützen.<br />

»General, der Angriff bei Dunsen wird von feindlichen Panzerund<br />

motorisierten Truppen mit starker taktischer Luftunterstützung<br />

geführt. Der Reg<strong>im</strong>entskommandeur schätzt Brigadestärke.«<br />

Eine Brigade bei Dunsen, eine bei Salzhemmendorf ? Dort stehen<br />

Einheiten der Kategorie II, befehligt von unerfahrenen, ungeübten<br />

Offizieren.<br />

»Feindliche Bodentruppen bei Bremke, Stärke unbekannt.«<br />

Nur fünfzehn Kilometer von hier! dachte Alexejew und zog<br />

Karten heran. Da es in dem Kommandowagen zu eng war, stieg er<br />

aus und breitete sie auf dem Boden aus.<br />

»Was, zum Teufel, geht hier vor?« fragte er seinen Nachrichtenoffizier.<br />

»Das ist ein Angriff auf einer Zwanzig-Kilometer-Front.«<br />

»Die neue feindliche Division soll noch nicht an Ort und Stelle<br />

sein.


Vier Jagdbomber machten die Stadtmitte mit den Sendern dem<br />

Erdboden gleich.<br />

»Ausweichsender Eins einschalten«, befahl Alexejew.<br />

Weitere Maschinen fegten über sie hinweg nach Südwesten und<br />

auf die B 240 zu, über die Alexejews I-Einheiten nach Rühle rollten.<br />

Der General fand ein funktionstaugliches Funkgerät und setzte sich<br />

mit dem OB West in Stendal in Verbindung.<br />

»Feindlicher Großangriff von Springe her, Stärke meiner Schätzung<br />

nach mindestens zwei Divisionen.«<br />

»Ausgeschlossen, Pascha - der Feind hat keine zwei Divisionen<br />

in Reserve!«<br />

»Mir wurden feindliche Bodentruppen bei Bremke, Salzhemmendorf<br />

und Dunsen gemeldet. Meiner Meinung nach ist die rechte<br />

Flanke gefährdet, und ich muss meine Kräfte umgruppieren, um<br />

dieser Gefahr zu begegnen. Ich bitte daher um Erlaubnis, den<br />

Angriff von Rühle aus abzubrechen und mich dieser Bedrohung<br />

zuzuwenden.«<br />

»Abgelehnt.«<br />

»Genosse General, ich bin vor Ort. Die Lage ist kontrollierbar,<br />

wenn ich ermächtigt werde, die entsprechenden Maßnahmen zu<br />

ergreifen.«<br />

»General Alexejew, Ihr Angriffsziel ist die Ruhr. Wenn Sie nicht<br />

in der Lage sind, es zu erreichen, werde ich einen Kommandeur<br />

finden müssen, der das schafft.«<br />

Alexejew starrte ungläubig den Hörer an. Er hatte zwei Jahre<br />

lang für diesen Mann gearbeitet, ihn für einen Freund gehalten.<br />

»Sie befehlen mir also, den Angriff ungeachtet feindlicher Aktivitäten<br />

weiterzuführen?«<br />

»Pascha, das ist nur ein Angriff, der uns ablenken soll. Schaffen<br />

Sie die vier Divisonen über die Weser«, sagte der OB West sanfter.<br />

»Ende.«<br />

»Major Sergetow!« rief Alexejew. Einen Augenblick später erschien<br />

der junge Offizier. »Besorgen Sie sich ein Fahrzeug und<br />

sehen Sie nach, was sich bei Dunsen tut. Aber seien Sie vorsichtig,<br />

Iwan Michailowitsch. In weniger als zwei Stunden will ich Ihre<br />

Meldung hören. Und nun los.«<br />

»Und sonst wollen Sie nichts unternehmen?« fragte der Nachrichtendienstoffizier.<br />

Pascha sah Sergetow in einen Kleinlaster steigen und konnte dem<br />

638


Offizier nicht in die Augen schauen. »Ich habe meine Befehle. Der<br />

Übergang über die Weser geht weiter. Bei Holle steht ein Panzerabwehr-Bataillon.<br />

Das soll sich in Bewegung setzen und auf der Straße<br />

von Bremke auf feindliche Kräfte gefaßt sein. General Beregowoy<br />

weiß, was er zu tun hat.«<br />

Und wenn ich ihn warne, disponiert er um, dachte Alexejew.<br />

Dann kommt Beregowoy wegen Befehlsmißachtung dran. Kommt<br />

nicht in Frage - wenn ich nicht in der Lage bin, einen Befehl<br />

zurückzuweisen, darf ich den Schwarzen Peter keinem anderen<br />

zuschieben.<br />

Alexejew schaute auf. »Die Befehle bleiben unverändert.«<br />

»Jawohl, Genosse General.«<br />

»Die Meldung über feindliche Panzer bei Bremke war falsch.«<br />

Ein junger Offizier trat zu ihnen. »Der Beobachter sah unsere<br />

Tanks auf dem Weg nach Süden und identifizierte sie nicht richtig!«<br />

»Und das halten Sie für positiv?« herrschte Alexejew.<br />

»Aber gewiß, Genosse General«, erwiderte der Hauptmann zaghaft.<br />

»Ist Ihnen vielleicht eingefallen, sich zu erkundigen, warum unsere<br />

Panzer nach Süden fahren? Verdammt, muss ich denn hier für<br />

alle denken?«<br />

Sie hatten den Auftrag, weil sie über die größte Gefechtserfahrung<br />

verfügten. Dass sie <strong>im</strong> Vorrücken unerfahren waren, war niemandem<br />

aufgefallen. Vorgerückt waren Nato-Einheiten nur bei lokalisierten<br />

Gegenangriffen, und Lieutenant Mackall - er dachte noch<br />

<strong>im</strong>mer wie ein Sergeant - wusste, dass sie sich für diese Rolle am<br />

besten eigneten. Der Panzer M-1 war mit einem Drehzahlbegrenzer<br />

ausgerüstet, der nur eine Höchstgeschwindigkeit von 65 km zuließ<br />

und aus diesem Grund von den Besatzungen als erstes ausgebaut<br />

wurde.<br />

Sein M-1 brauste mit 92. km/h nach Süden. Dabei wurden ihm die<br />

Knochen durchgerüttelt, doch er empfand eine unglaubliche Erregung,<br />

ein Gemisch aus Kühnheit und Wahnsinn. Kampfhubschrauber<br />

flogen voraus, erkundeten die Route und erklärten sie bis Alfeld<br />

für frei. Es handelte sich nicht um eine Straße, sondern die Trasse<br />

einer Erdgasleitung, eine dreißig Meter breite, grasbewachsene<br />

schnurgerade Schneise, durch die der Panzer, Erdbrocken aufwerfend,<br />

nach Süden raste.<br />

639


Der Fahrer setzte vor einer weiten Biegung die Geschwindigkeit<br />

herab, Mackall hielt nach feindlichen Fahrzeugen Ausschau, die<br />

vielleicht von den Hubschrauberbesatzungen übersehen worden<br />

waren. Es brauchte noch nicht einmal ein Fahrzeug zu sein - drei<br />

Mann mit einem Raketenstarter reichten schon, und dann bekam<br />

Mrs. Mackall ein Telegramm, in dem ihr mit Bedauern mitgeteilt<br />

wurde, ihr Sohn sei...<br />

Dreißig Kilometer! dachte er. Verdammt! Vor einer halben<br />

Stunde erst hatten die Deutschen die russische Front durchbrochen,<br />

und schon stieß die Black Horse Cavalry nach. Irre - aber es war<br />

auch irre, nach dem ersten Gefecht eine Stunde nach Kriegsbeginn<br />

noch am Leben zu sein. Noch zehn Kilometer.<br />

»Sehen Sie sich das an!« fauchte Sergetow seinen Fahrer an. »Schon<br />

wieder Panzer von uns auf dem Weg nach Süden. Was geht hier<br />

vor?«<br />

»Sind das wirklich unsere Panzer?« fragte der Fahrer.<br />

Der junge Major schaute genauer hin und schüttelte den Kopf.<br />

Erneut kam ein Panzer aus dem Wald - sein Turm war oben<br />

abgeflacht, nicht kuppeiförmig wie bei sowjetischen Kampfwagen.<br />

Darüber erschien ein Hubschrauber und machte in der Luft eine<br />

Wendung. Der Fahrer riß das Steuer nach rechts, noch ehe die <strong>im</strong><br />

Bug der Maschine montierte Maschinenkanone aufflammte. Sergetow<br />

sprang aus dem Fahrzeug, als die Leuchtspurgeschosse nach<br />

ihm zu greifen drohten, landete auf dem Rücken und rollte auf den<br />

Waldrand zu. Obwohl er den Kopf nach unten hielt, spürte er die<br />

Hitzewelle, als die Leuchtspurgeschosse die Ersatzkanister auf der<br />

Ladefläche des Kleinlasters zur Explosion brachten. Der junge<br />

Offizier hastete in den Wald und spähte hinter dem Stamm einer<br />

hohen Kiefer hervor. Der amerikanische Hubschrauber flog bis auf<br />

hundert Meter an das Fahrzeug heran, um sicherzustellen, dass es<br />

zerstört war, wirbelte dann herum und knatterte nach Süden. Sergetows<br />

Funkgerät lag in dem umgestürzten, brennenden Fahrzeug.<br />

»Buffalo Einunddreißig, hier Comanche, over.«<br />

»Comanche, hier Einunddreißig. Bitte Meldung, over.«<br />

»Haben gerade einen russischen Lkw abgeschossen. Ansonsten<br />

scheint die Luft rein zu sein. Los mit der Herde, Cowboy!« feuerte<br />

der Hubschrauberpilot an.<br />

640


Darüber musste Mackall lachen und sich klarmachen, dass dies<br />

eigentlich kein Spaß war. Früher waren viele Panzerfahrer in<br />

Schwulitäten geraten, weil sie in der deutschen Landschaft zu<br />

heftig draufgetreten hatten, und jetzt bekamen sie den Befehl loszubrettern!<br />

Zwei Minuten, in deren Verlauf er drei Kilometer zurücklegte.<br />

»Buffalo Einunddreißig, drei russische Fahrzeuge auf der Anhöhe,<br />

sehen aus wie Bravo-Tango-Romeo. Auf der Brücke nur<br />

Lkw. Der Instandsetzungspunkt ist nördlich der Stadt am Ostufer.«<br />

Vor der letzten Biegung verlangsamte der Panzer die Fahrt, rollte<br />

ins Gras und kroch schwerfällig um eine Baumgruppe herum.<br />

»Ziel BTR, elf Uhr, zweitausendsiebenhundert! Feuer, Woody!«<br />

Das erste achträdrige Fahrzeug explodierte, ehe die Besatzungen<br />

merkten, dass ein Panzer in der Nähe war. Vierzig Kilometer hinter<br />

der Front hielt man nach Flugzeugen Ausschau, nicht nach feindlichen<br />

Tanks. Die beiden nächsten BTR erwischte es binnen einer<br />

Minute, und dann stürmte Mackalls aus vier Panzern bestehender<br />

Zug los.<br />

Die Anhöhe erreichten sie drei Minuten später. Einer nach dem<br />

anderen rollten die mächtigen Abrams über den Kamm. Unter<br />

ihnen lagen die Überreste einer Stadt. Zahlreiche Lkw stauten sich<br />

vor vier Pontonbrücken.<br />

Zuerst griffen die Panzer alles an, das auch nur vage gefährlich<br />

aussah, bestrichen die Laster mit MG-Feuer, beschossen mit der<br />

Kanone den Instandsetzungspunkt für Tanks nördlich der Stadt.<br />

Inzwischen waren zwei Kompanien zur Stelle; Schützenpanzer nahmen<br />

die Lkw unter Feuer. Binnen fünfzehn Minuten standen über<br />

hundert Lkw mit Versorgungsmaterial, das eine ganze russische<br />

Division einen ganzen Tag <strong>im</strong> Feld halten konnte, in Flammen. Der<br />

Rest der Bataillons holte die Vorausabteilung ein und besetzte<br />

diesen russischen Verbindungsposten. Die Deutschen hatten bereits<br />

Gronau eingenommen, und den russischen Kräften östlich der<br />

Leine war nun der Nachschub abgeschnitten. Zwei russische Brükken<br />

waren intakt und frei, und über diese jagten nun M-2 Bradley,<br />

um am Ostrand der Stadt in Stellung zu gehen.<br />

Iwan Sergetow robbte an den Rand der grasbewachsenen<br />

Schneise und bekam ein eisiges Gefühl in der Magengrube, als er die<br />

Einheiten vorbeifahren sah: Amerikaner, mindestens in Bataillonstärke,<br />

wie er schätzte, ohne den üblichen Lkw-Troß. Er brachte<br />

641


noch die Geistesgegenwart auf, die mit einer unglaublichen Geschwindigkeit<br />

vorbeirasenden Panzer, Schützenpanzer und Mannschaftstransporter<br />

zu zählen. Am meisten beeindruckte ihn das<br />

Geräusch: Die turbinengetriebenen M-1 röhrten nicht wie Panzer<br />

mit Dieselmotoren, sondern waren erst zu vernehmen, wenn sie<br />

schon auf wenige hundert Meter herangekommen waren. Und<br />

dieser Verband hielt auf Alfeld zu!<br />

Ich muss das melden, dachte er. Aber wie? Sergetows Funkgerät<br />

war verbrannt, und er musste erst einmal versuchen, sich zu orientieren<br />

... zwei Kilometer von der Leine entfernt, die hinter der<br />

bewaldeten Anhöhe flöß. Nun stand er vor einer schwierigen Wahl.<br />

Die Rückkehr zum Gefechtsstand bedeutete einen Zwanzig-Kilometer-Marsch.<br />

Wenn er nach hinten floh, konnte er viel früher auf<br />

eigene Einheiten stoßen. Aber in diese Richtung laufen war doch<br />

feige?<br />

Feigheit hin oder her, er musste nach Osten. Sergetow hatte das<br />

gräßliche Gefühl, dass noch kein Alarm gegeben worden war. Er<br />

trat an den Waldrand und wartete auf eine Lücke in der amerikanischen<br />

Kolonne. Nur dreißig Meter bis zur anderen Seite, sagte er<br />

sich.<br />

Wieder rauschte ein M-1 an ihm vorbei. Er schaute nach links<br />

und sah, dass der nächste noch dreihundert Meter entfernt war.<br />

Sergetow holte tief Luft und rannte los.<br />

Der Panzerkommandant sah ihn, kam aber nicht rasch genug ans<br />

Maschinengewehr. Außerdem war ein Unbewaffneter zu Fuß das<br />

Anhalten nicht wert. Er meldete die Beobachtung über Funk und<br />

fuhr weiter.<br />

Sergetow rannte, bis er hundert Meter tief <strong>im</strong> Wald war, setzte<br />

sich an einen Baum, um zu verschnaufen. Erst nach einigen Minuten<br />

war er in der Lage, den steilen Hang zu erkl<strong>im</strong>men, und dann lag<br />

vor ihm wieder die Leine.<br />

Der Anblick der amerikanischen Panzer war schon ein Schock<br />

gewesen, doch was er nun sah, war schl<strong>im</strong>mer. Der Panzer-Instandsetzungspunkt<br />

war eine qualmende Ruine. Überall brannten Lastwagen.<br />

Er rannte den Abhang hinunter, schnallte sich rasch den<br />

Pistolengürtel ab und sprang in die schnelle Strömung des Flusses.<br />

»Was ist denn das? He, da schw<strong>im</strong>mt ja ein Russe!« Ein MG-<br />

Schütze schwang den Lauf der 50-mm-Waffe herum. Der Kommandant<br />

des Fahrzeugs gebot ihm Einhalt.<br />

642


»Sparen Sie sich Ihre Munition für die MiG!«<br />

Am Ostufer kletterte Sergetow die Böschung hoch und drehte<br />

sich dann um. Die amerikanischen Fahrzeuge gruben sich ein. Er<br />

rannte in Deckung und zählte. Dann machte er sich <strong>im</strong> Laufschritt<br />

auf zu einem Verkehrsknotenpunkt bei Sack.<br />

Nach einer Stunde beruhigte sich die Lage etwas. Lieutenant Makkall<br />

kletterte aus dem Panzer, um die Stellungen seines Zuges zu<br />

inspizieren. Einer der wenigen Munitionstransporter, die die Einheit<br />

begleitet hatten, hielt kurz bei jedem Panzer an, und die Mannschaft<br />

warf jeweils fünfzehn Granaten heraus: Zwar nicht genug,<br />

um das zu ersetzen, was verschossen worden war, aber es reichte.<br />

Nun musste mit Luftangriffen gerechnet werden. Die Panzerbesatzungen<br />

fällten Bäume und hackten Büsche ab, um sich zu tarnen.<br />

Bei der Infanterie gingen bereits die Stinger-Crews in Stellung, und<br />

über Alfeld kreisten Jäger der Air Force. Nachrichtendienstmeldungen<br />

zufolge standen acht russische Divisionen westlich der Weser.<br />

Und Mackall blockierte ihren Nachschubweg. Das machte diesen<br />

Flecken Erde sehr wertvoll.<br />

USS Independence<br />

Im Gegensatz zum letzten Mal wurden Nägel mit Köpfen gemacht,<br />

dachte Toland. Die Air Force ließ von Sondrestrom aus zum Schutz<br />

der Flotte eine E-3 Sentry operieren, und es waren auch vier E-2C<br />

Hawkeye der Marine in der Luft. Auf Island nahm sogar eine<br />

Bodenradarstation der Army den Betrieb auf. Zwei Aegis-Kreuzer<br />

begleiteten die Träger, ein dritter die Landungsflotte.<br />

»Wen greifen sie zuerst an, die Landungsschiffe oder uns?« fragte<br />

Admiral Jacobson.<br />

»Schwer zu sagen, Admiral«, erwiderte Toland. »Kommt darauf<br />

an, wer die Befehle gibt. Die russische Marine wird erst uns ausschalten<br />

wollen. Das Heer hat es eher auf die Landungsflotte abgesehen.«<br />

Jacobson verschränkte die Arme und schaute sich das Kartendisplay<br />

an. »Sie können aus jeder beliebigen Richtung kommen.«<br />

Sie rechneten mit höchstens fünfzig Backfire, aber der Feind<br />

verfügte noch über eine Menge älterer Badger, und die Flotte war nur<br />

643


fünfzehnhundert Meilen von den sowjetischen Bomberstützpunkten<br />

entfernt: Man konnte also mit Max<strong>im</strong>alladung anfliegen. Um<br />

die Russen aufzuhalten, hatte die Navy fast hundertvierzig Kampfflugzeuge,<br />

Tomcats und Hornet, aufgeboten. Vierundzwanzig waren<br />

nun von Tankflugzeugen unterstützt in der Luft, während die<br />

Erdkampfflugzeuge pausenlos die russischen Stellungen angriffen.<br />

Die Schlachtschiffe hatten ihren ersten Besuch vor Keflavik beendet<br />

und gaben jetzt aus dem Hvalfjördur den Marines nördlich von<br />

Bogarnes Feuerunterstützung. Bei der Planung des Unternehmens<br />

war mit einem russischen Raketenangriff gerechnet worden. Wann<br />

die Vampire kamen, war nur noch eine Frage der Zeit.<br />

Der Verlust Nordnorwegens hatte Echtzeit überflüssig gemacht.<br />

Das U-Boot war zwar noch <strong>im</strong>mer auf Station und hörte Signale ab,<br />

doch die Aufgabe, sowjetische Bomberverbände auszumachen, fiel<br />

von Schottland aus operierenden norwegischen Patrouillenflugzeugen<br />

zu. Der Pilot einer dieser Maschinen entdeckte drei Badger auf<br />

Südwestkurs und funkte eine Warnung. Die russischen Flugzeuge<br />

waren noch siebzig Minuten von der Flotte entfernt.<br />

Tolands Station, die Gefechtszentrale, befand sich unmittelbar unterm<br />

Flugdeck, und er konnte das Röhren der Triebwerke hören,<br />

wenn die Jäger vom Katapult gestartet wurden. Er war nervös.<br />

Zwar wusste er, dass sich die heutige taktische Situation stark von<br />

der des zweiten Kriegstages unterschied, konnte aber nicht vergessen,<br />

dass er einer der beiden Männer war, die aus der GZ der N<strong>im</strong>itz<br />

lebend entkommen waren. Eine Flut von Informationen erreichte<br />

den Raum; landgestütztes Radar, die E-3 der Air Force und die E-2.<br />

der Navy gaben allesamt ihre Daten an die Träger weiter. Das<br />

Display zeigte Jäger, die zu ihren Stationen flogen. Die Tomcats<br />

reichten bis über Islands Nordküste, flogen träge Schleifen und<br />

warteten auf die russischen Bomber.<br />

»Ideen, Toland, ich brauche Ideen!« sagte der Admiral leise.<br />

»Wenn sie es auf uns abgesehen haben, kommen sie von Osten.<br />

Geht es um die Landungsflotte, fliegen sie auf direktem Weg an.<br />

Täuschungsmanöver sind überflüssig, wenn Stykkisholmur das<br />

Ziel ist.«<br />

Jacobson nickte. »Ja, so sehe ich das auch.«<br />

Oben auf dem Flugdeck rumste es weiter; Erdkampfflugzeuge<br />

644


landeten, um neue Bomben an Bord zu nehmen. Abgesehen von<br />

der unmittelbaren Wirkung hatten ihre Einsätze den Zweck, die<br />

sowjetischen Fallschirmjäger durch kontinuierliche Luftangriffe<br />

zu demoralisieren. Auch Harrier der Marines und Hubschrauber<br />

waren <strong>im</strong> Einsatz. Man kam besser als erwartet voran, denn die<br />

russischen Truppen waren nicht so weit verteilt wie angenommen,<br />

und auf ihre bekannten Stellungen ging ein Hurrikan von Bomben<br />

und Raketen nieder.<br />

»Starbase, hier Hawk-Blue-Drei. Ich empfange Störsignale aus<br />

null-zwei-vier... werden stärker.« Die Daten gingen direkt von<br />

der Radarmaschine an den Träger und erschienen als dicke gelbe<br />

Blitze auf dem elektronischen Display. Kurz darauf meldeten auch<br />

die anderen Hawkeyes Störtätigkeit.<br />

Der für die Luftoperationen der Flotte zuständige Offizier lächelte<br />

schwach und griff zum Telefon. Da alle seine Einheiten an<br />

Ort und Stelle waren, hatte er mehrere Optionen.<br />

»Plan Delta.«<br />

Die russischen Störflugzeuge, umgebaute Badgers, kamen in<br />

breiter Front mit fünfhundert Knoten an, deckten die mit Raketen<br />

bewaffneten Bomber und waren nun noch dreihundert Meilen von<br />

den Radarflugzeugen entfernt. Die Tomcats jagten ihnen mit fünfhundert<br />

Knoten entgegen.<br />

Zwanzig Störflugzeuge waren identifiziert worden. Achtzehn<br />

Jäger hielten auf sie zu; jedem Ziel galten mindestens zwei Raketen.<br />

»Delta - ausführen!«<br />

Die Tomcats schossen auf diesen Befehl hin vierzig Meilen von<br />

ihren Zielen entfernt ab. Wieder fegten Phoenix-Raketen durch<br />

die Luft. Die Flugzeit betrug nun sechsundfünfzig Sekunden. Sechzehn<br />

Badger verstummten, die restlichen vier schalteten die Sender<br />

ab, als sie die Rauchspuren der Raketen sahen, und gingen in den<br />

Sturzflug, von Tomcats verfolgt.<br />

»Zahlreiche Radarkontakte. Verband Eins besteht aus fünfzig<br />

Maschinen in drei-sechs-null, Geschwindigkeit sechshundert Knoten,<br />

Höhe dreißigtausend. Verband Zwei -« Der Sprecher fuhr<br />

fort, die feindlichen Flugzeuge erschienen auf dem Display.<br />

»Der Hauptverband greift wahrscheinlich die Landungsflotte<br />

an, setzt sich aus Badger zusammen. Dieser zweite hier, das sind<br />

645


Backfire, die vermutlich aus großer Distanz Raketen auf uns abfeuern<br />

wollen«, sagte Toland.<br />

Jacobson besprach sich kurz mit seinem Operationsoffizier.<br />

Hawk-Green-1 sollte die Verteidigung der Landungsflotte steuern,<br />

Hawk-Blue-4 die des Trägerverbandes koordinieren. Die Jäger verteilten<br />

sich laut Plan und gingen an die Arbeit. Toland fiel auf, dass<br />

Jacobson die Leitung des Luftgefechts den Offizieren in den Radarflugzeugen<br />

überließ. Alle Lenkwaffenschiffe wurden von der USS<br />

Yorktown kommandiert.<br />

»Hoffen wir nur, dass die Russen nicht wieder ein Täuschungsmanöver<br />

versuchen«, murmelte Jacobson.<br />

»Gut, das hat einmal geklappt«, st<strong>im</strong>mte Toland zu. »Aber sie<br />

waren noch nie so weit von ihren Stützpunkten entfernt wie jetzt.«<br />

Die Tomcats teilten sich in Gruppen zu je vier Maschinen auf.<br />

Ihre Piloten waren ebenfalls über den Raketentrick informiert worden,<br />

auf den die N<strong>im</strong>itz hereingefallen war, und ließen die Radargeräte<br />

abgeschaltet, bis sie auf fünfzig Meilen an ihre Ziele herangekommen<br />

waren.<br />

»Hawk-Blue-Vier!« rief einer. »Tallyho, ich sichte einen Backfire.<br />

Greife jetzt an. Out.«<br />

Die Russen waren bei ihrem Angriffsplan von der Annahme<br />

ausgegangen, die amerikanischen Jäger würden versuchen, den<br />

Störvorhang <strong>im</strong> Norden zu durchbrechen, um dann vom Auftauchen<br />

der Backfire <strong>im</strong> Osten überrascht zu werden. Doch die Störflugzeuge<br />

waren ausgeschaltet worden, und die Backfire hatten den<br />

amerikanischen Trägerverband noch nicht auf dem Radarschirm.<br />

Nur aufgrund einer mehrere Stunden alten Satellitenaufnahme<br />

konnten sie ihre Raketen nicht abschießen; Flucht kam auch nicht<br />

in Frage. Die überschallschnellen russischen Bomber schalteten die<br />

Nachbrenner und Radaranlagen ein und begannen ein Rennen<br />

gegen Zeit, Distanz und die amerikanischen Abfangjäger.<br />

Wieder schien auf dem Display ein Videospiel abzulaufen. Die<br />

Symbole für die Backfire änderten sich, als die Maschinen zum<br />

Schutz ihre Störgeräte einschalteten. Das Stören verminderte die<br />

Treffsicherheit der Phoenix-Raketen, aber die Verluste der Russen<br />

waren bereits ernst. Die Backfire waren noch dreihundert Meilen<br />

entfernt. Ihr Radar reichte nur halb so weit, und schon schwärmten<br />

Jäger über ihrer Formation. Triumphierende Rufe der Tomcat-<br />

Piloten erklangen über Funk, und die Symbole begannen, von den<br />

646


Radarschirmen zu verschwinden. Die Backfire jagten mit Mach 2<br />

dahin und suchten mit Radar verzweifelt nach der amerikanischen<br />

Flotte.<br />

»Ein paar werden durchkommen«, meinte Toland.<br />

»Sechs bis acht«, st<strong>im</strong>mte Jacobson zu.<br />

Inzwischen hatten die Tomcats alle ihre Raketen verschossen<br />

und zogen sich zurück, um den Hornet mit ihren Raketen vom Typ<br />

Sparrow und Sidewinder das Feld zu überlassen. Den Kampfflugzeugen<br />

fiel es nicht leicht, mit ihren Zielen Schritt zu halten, sie erzielten<br />

aber Treffer, die kein Stör- oder Ausweichmanöver verhindern<br />

konnte. Endlich bekam eine russische Maschine die Flotte auf den<br />

Radarschirm und gab über Funk die Position durch. Die übriggebliebenen<br />

sieben Backfire schossen ihre Raketen ab und flohen mit<br />

Mach 2. nach Norden. Drei weitere fielen Luftkampfraketen zum<br />

Opfer, ehe die Hornet wegen Treibstoffmangel abdrehen mussten.<br />

Wieder erging die Vampir-Warnung. Toland verzog schmerzlich<br />

das Gesicht. Zwanzig anfliegende Raketen wurden erfaßt. Die<br />

Flotte aktivierte Störsender und SAM-Systeme; zwei Aegis-Kreuzer<br />

lagen auf der Bedrohungsachse. Binnen Sekunden hatten sie zu<br />

feuern begonnen, und auch die anderen mit SM-2 ausgerüsteten<br />

Schiffe warfen ihre Raketen in den »Korb«, ließen sie von den<br />

Aegis-Computern steuern. Auf die zwanzig anfliegenden Raketen<br />

waren neunzig SM-2 angesetzt. Nur drei schafften es durch die<br />

Wolke von Abwehrraketen, und nur eine hielt auf einen Flugzeugträger<br />

zu. Die au<strong>tom</strong>atischen Abwehrkanonen von America erfaßten<br />

und zerstörten die AS-6 dreihundert Meter vor dem Schiff. Die<br />

beiden anderen Raketen fanden und trafen den Kreuzer Wainwright<br />

und brachten ihn nur vier Meilen von der Independence<br />

entfernt zur Explosion.<br />

»Verdammt.« Jacobsons Züge verhärteten sich. »Verdammt,<br />

damit hatte ich nicht gerechnet. Holen wir die Flugzeuge rein. Da<br />

oben sind welche, die kaum noch etwas <strong>im</strong> Tank haben.«<br />

Nun galt alle Aufmerksamkeit den Badger, die gerade in Reichweite<br />

der Tomcat-Gruppen <strong>im</strong> Norden kamen. Die Badger-Crews<br />

hatten erwartet, hinter Störflugzeugen anzufliegen und erkannten<br />

zum Teil zu spät, dass es keine elektronische Mauer mehr gab,<br />

hinter der sie sich verstecken konnten. Fünf Minuten Flugzeit von<br />

ihren Abschußpunkten entfernt, machten sie angreifende Jäger<br />

aus. Die Badger blieben auf Kurs und gingen auf Höchstgeschwin­<br />

647


digkeit, um die Zeit der Verwundbarkeit auf ein Min<strong>im</strong>um zu<br />

beschränken. Ihre Besatzungen hielten ängstlich nach Raketen Ausschau.<br />

»Tallyho! Badger in zwölf Uhr!« Der erste Tomcat ließ aus<br />

vierzig Meilen Entfernung das erste Raketenpaar los.<br />

Anders als den Backfire war den Badger die Position der Ziele<br />

bekannt, was sie in die Lage versetzte, ihre Raketen SA-4 aus der<br />

Max<strong>im</strong>aldistanz abzuschießen. Eine nach der anderen drehten die<br />

zwanzig Jahre alten Maschinen so scharf ab, wie ihre Piloten es<br />

wagten, und ergriffen die Flucht. Dank dieses Manövers überlebte<br />

die Hälfte, da die Kampfflugzeuge der Navy sie nicht verfolgen<br />

konnten, Raketen waren <strong>im</strong> Anflug auf Stykkisholmur, aber in den<br />

Radarflugzeugen rechnete man bereits die Abschüsse zusammen.<br />

Die sowjetischen Marineflieger hatten schwere Verluste erlitten.<br />

USS Nassau<br />

Edwards dämmerte noch in den Nachwirkungen der Narkose, als<br />

er den elektronischen Gong des Generalalarms hörte. Er wusste nur<br />

vage, wo er war. An den Hubschrauberflug konnte er sich noch<br />

erinnern; irgendwann war er dann einmal in einer Koje aufgewacht<br />

und hatte festgestellt, dass er vor Nadeln und Schläuchen nur so<br />

starrte. Mühsam hob er den Kopf. Vigdis saß auf einem Stuhl an<br />

seinem Bett und hielt seine rechte Hand. Er drückte sie, ohne zu<br />

merken, dass sie schlief. Einen Augenblick später fiel auch er wieder<br />

in den Schlaf.<br />

Fünf Decks höher stand der Kommandant der Nassau in der<br />

Brückennock. Eigentlich war seine Gefechtsstation in der GZ, doch<br />

da sich das Schiff nicht bewegte, konnte er auch genausogut von<br />

hier aus das Geschehen beobachten. Aus dem Nordosten waren<br />

über hundert Raketen <strong>im</strong> Anflug. Auf die vor einer Stunde ergangene<br />

Luftwarnung hin hatten seine Bootsbesatzungen auf den Felsen<br />

in diesem sogenannten Hafen Rauchbomben entzündet. Das<br />

soll meine beste Verteidigung sein, sagte er sich ungläubig. Die<br />

au<strong>tom</strong>atischen Abwehrkanonen an den Ecken des Flugdecks waren<br />

bereit. Die Läufe der CIWS, wegen ihrer an den kleinen Roboter aus<br />

»Krieg der Sterne« erinnernden Form auch R2D2 genannt, waren<br />

um zwanzig Grad eleviert und auf die Bedrohungsachse ausgerich­<br />

648


tet. Mehr konnte er nicht tun. Luftabwehrexperten waren zu dem<br />

Schluß gekommen, dass selbst Doppelraketen mehr schaden als<br />

nutzen würden. Der Kommandant zuckte mit den Achseln. In fünf<br />

Minuten würde sich erweisen, ob sie recht gehabt hatten.<br />

Im Osten fuhr der Aegis-Kreuzer Vincennes langsam Kreise.<br />

Plötzlich fauchte es, an seinen Raketenstartern erschienen vier<br />

Rauchschleppen, und der Abschußzyklus begann. Bald verhängte<br />

dicker grauer Rauch den Nordh<strong>im</strong>mel. Durchs Fernglas machte er<br />

die ersten Abschüsse aus, jähe schwarze Explosionswolken. Sie<br />

kamen näher, und die Raketen auch: Der Aegis-Kreuzer konnte sie<br />

nicht alle ausschalten. Die Vincennes leerte ihre Magazine innerhalb<br />

von vier Minuten und raste dann mit voller Kraft zwischen<br />

zwei Felseninseln. Der Kommandant wollte seinen Augen nicht<br />

trauen: Da steuerte doch tatsächlich jemand ein Milliarden-Dollar-<br />

Schiff mit fünfundzwanzig Knoten in den Steingarten. Selbst der<br />

Guadalcanal...<br />

Eine Explosion erschütterte die vier Meilen entfernte Insel<br />

Hrappsey. Dann knallte es auf Seley. Es funktionierte!<br />

In zehn Meilen Höhe gingen die Radarsuchknöpfe der russischen<br />

Raketen an und fanden ihren Zielbereich mit Blips übervölkert.<br />

Überlastet suchten sie nach dem Objekt, das die stärkste Hitze<br />

ausstrahlte, und wählten sich be<strong>im</strong> letzten Sturzflug mit Mach 3 das<br />

größte aus. Dass sie Vulkangestein angriffen, wussten sie nicht.<br />

Dreißig Raketen durchbrachen den SAM-Abwehrgürtel, aber nur<br />

fünf davon hielten auf Schiffe zu.<br />

Zwei R2D2 der Nassau drehten sich gleichzeitig und feuerten auf<br />

eine Rakete, die so schnell flog, dass das Auge sie nicht mehr<br />

verfolgen konnte. Der Kommandant schaute in die Zielrichtung der<br />

Läufe und sah einen weißen Blitz dreihundert Meter über sich. Der<br />

folgende Knall raubte ihm fast das Gehör, und Splitter, die geräuschvoll<br />

vom Ruderhaus abprallten, zeigten, wie unverantwortlich<br />

exponiert er war. Zwei weitere Raketen landeten westlich von<br />

ihm auf Stykkisholmur. Dann klärte sich der H<strong>im</strong>mel wieder auf.<br />

Ein Feuerball <strong>im</strong> Westen: Ein Schiff war getroffen.<br />

Er griff zum Telefon und rief die GZ. »Hier Brücke. Zwei Raketen<br />

haben Stykkisholmur getroffen. Schicken wir einen Hubschrauber<br />

rüber, es muss Verwundete gegeben haben.«<br />

649


Die Bandaufnahmen des Gefechts wurden <strong>im</strong> schnellen Vorlaut<br />

abgespielt; ein Computer zählte die Abschüsse.<br />

»Sieht besser aus als be<strong>im</strong> letzten Mal, was?« merkte Jacobson<br />

an. »Spaulding, wie sieht es bei der Landungsflotte aus?«<br />

»Die Meldung geht gerade ein, Sir. Die Charleston wurde getroffen<br />

und brach auseinander. Leichte Schäden auf Guam und Ponce ­<br />

das wäre alles, Admiral.«<br />

»Und die Wainwright.« Jacobson holte tief Luft. Zwei wertvolle<br />

Schiffe und fünfzehnhundert Mann einfach weg, und doch musste<br />

er das Ganze als Erfolg werten.<br />

Keflavik, Island<br />

»Der Angriff sollte inzwischen vorüber sein.«<br />

Mit Informationen rechnete Andrejew so bald nicht. Es war den<br />

Amerikanern schließlich gelungen, sein letztes Radar zu beschädigen,<br />

so dass er keine Möglichkeit hatte, die Luftschlacht mitzuverfolgen.<br />

Seine Fernmeldetrupps hatten zahlreiche Sprechfunksendungen<br />

abgehört, die aber zu schwach und zu schnell gewesen<br />

waren, um einen anderen Schluß zuzulassen als den, dass eine<br />

Schlacht stattgefunden hatte.<br />

»Als wir das letzte Mal einen Trägerverband der Nato erwischten,<br />

zerschlugen wir ihn«, meinte der Operationsoffizier opt<strong>im</strong>istisch.<br />

»Unsere Truppen über Bogarnes liegen noch <strong>im</strong>mer unter schwerem<br />

Feuer«, meldete ein anderer. Die amerikanischen Schlachtschiffe<br />

beschossen sie nun schon seit über einer Stunde. »Sie erleiden<br />

ernste Verluste.«<br />

»Genosse General, ich empfange. Moment, hören Sie lieber<br />

selbst hin, es kommt über unseren Führungskreis.«<br />

Der Spruch wurde viermal wiederholt: »An den Befehlshaber der<br />

sowjetischen Streitkräfte Island - hier spricht der Befehlshaber des<br />

Kampfverbandes Atlantik. Wenn Sie diesen Spruch nicht empfangen,<br />

bekommen Sie ihn von anderer Seite zugestellt. Richten Sie<br />

Ihren Bombern aus, sie brauchen be<strong>im</strong> nächsten Mal mehr Glück.<br />

Wir sehen uns bald. Ende.«<br />

650


Sack, BRD<br />

Sergetow taumelte zum Verkehrsknotenpunkt und sah ein Panzerbataillon<br />

in Richtung Alteid rollen.<br />

»Weisen Sie sich aus!« befahl ein KGB-Leutnant. Inzwischen<br />

hatte das KGB die Verkehrsregelung übernommen.<br />

«Major Sergetow. Ich muss sofort den Gebietskommandeur sprechen.«<br />

»Ihre Einheit, Sergetow?«<br />

Iwan richtete sich auf. Diese Anrede paßte ihm nicht. »Ich bin<br />

Adjutant von General Alexejew, dem Stellvertreter des OB West.<br />

Und jetzt bringen Sie mich gefälligst zu Ihrem Kommandeur!«<br />

»Ihre Papiere.« Der Leutnant streckte mit einem kalten, arroganten<br />

Lächeln die Hand aus.<br />

Sergetow griff in die Tasche und händigte eine Karte aus, die ihm<br />

sein Vater noch vor der Mobilisierung besorgt hatte.<br />

»Und wie kommen Sie zu einem Passierschein der Klasse Eins?«<br />

Der Leutnant war nun vorsichtig geworden.<br />

»Und was geht Sie das an? Entweder bringen Sie mich jetzt auf<br />

der Stelle zu Ihrem Kommandeur, oder ich melde Sie!«<br />

Der Tschekist wurde <strong>im</strong> Handumdrehen klein und führte ihn zu<br />

einem Major.<br />

»Ich brauche Zugang zum Führungskreis der Armeegruppe«,<br />

sagte Sergetow barsch.<br />

»Ich habe nur Funkgeräte auf Reg<strong>im</strong>ents- und Divisionsebene«,<br />

erwiderte der Major.<br />

»Wo ist das nächste Divisionshauptquartier?«<br />

«Vierzigste Panzerdivision in -«<br />

»Ist zerstört. Verdammt noch mal, ich brauche ein Fahrzeug, und<br />

zwar sofort! Die Amerikaner stehen bei Alfeld.«<br />

»Wir haben gerade ein Bataillon in Marsch gesetzt -«<br />

»Weiß ich. Beordern Sie es zurück.«<br />

»Dazu bin ich nicht befugt.«<br />

»Sie Idiot, es fährt in eine Falle! Setzen Sie sich sofort mit der<br />

Einheit in Verbindung!«<br />

»Dazu bin ich nicht be-«<br />

»Was sind Sie? Ein deutscher Agent vielleicht? Wissen Sie denn<br />

nicht, was dort los ist?«<br />

»Ich habe etwas von einem Luftangriff gehört.«<br />

651


»Amerikanische Panzer sind in Alfeld, Sie Narr! Wir müssen<br />

einen Gegenangriff starten, aber ein Bataillon reicht nicht. Wir -«<br />

Sechs Kilometer entfernt donnerten Explosionen. »Major, Sie haben<br />

die Wahl. Entweder stellen Sie mir sofort ein Fahrzeug zur<br />

Verfügung, oder Sie geben mir Ihren Namen und Ihre Dienstnummer,<br />

damit ich Sie melden kann.« Die beiden KGB-Offiziere schauten<br />

sich ungläubig an. So wagte niemand mit ihnen zu reden, aber<br />

wer sich das herausnahm, musste Beziehungen haben. Sergetow<br />

bekam sein Fahrzeug und raste los. Eine halbe Stunde später kam er<br />

<strong>im</strong> Nachschublager Holle an ein Funkgerät.<br />

»Wo stecken Sie?« herrschte der General.<br />

»In Holle. Die Amerikaner haben unsere Linien durchbrochen<br />

und stehen mit mindestens einem Panzerbataillon in Alfeld.«<br />

»Was?« Für einen Augenblick herrschte Schweigen. »Sind Sie<br />

auch ganz sicher?«<br />

»Genosse, ich musste den Fluß durchschw<strong>im</strong>men, um hierherzukommen.<br />

Nördlich der Stadt sah ich fünfundzwanzig gepanzerte<br />

Fahrzeuge, die den Instandsetzungspunkt zerschossen und eine<br />

Kolonne Lkw massakriert haben. General, ich wiederhole: In Alfeld<br />

steht ein amerikanischer Verband von mindestens Bataillonstärke.«<br />

»Fahren Sie nach Stendal und erstatten Sie persönlich dem OB<br />

West Meldung.«<br />

USS Independence<br />

»Guten Abend, Major Tschapajew, was macht das Bein?« fragte<br />

Toland und ließ sich neben der Lazarettkoje nieder. »Sind Sie mit<br />

der Behandlung zufrieden?«<br />

»Ich kann nicht klagen. Ihr Russisch ist - annehmbar.«<br />

»Ich bekommen nur selten Gelegenheit, es mit einem Sowjetbürger<br />

zu üben. Vielleicht können Sie mir ein wenig helfen.« Major<br />

Alexander Georgijewitsch Tschapajew, 30, hatte auf einem Computerausdruck<br />

gestanden. Zweiter Sohn des Generals Georgi Konstantinowitsch<br />

T., Kommandeur des Luftschutzbezirks Moskau.<br />

Ehefrau: jüngste Tochter des ZK-Mitglieds Ilja Nikolajewitsch<br />

Goworow. Also ein junger Mann mit Zugang zu vielen vertraulichen<br />

Informationen.<br />

652


»Mit Ihrer Grammatik vielleicht?« schnaubte Tschapajew.<br />

»Sie führten die MiG, nicht wahr?«<br />

»Jawohl, ich war der ranghöchste Fliegeroffizier.«<br />

»Man hat mich angewiesen. Sie zu beglückwünschen. Ich bin<br />

zwar selbst kein Flieger, hörte aber. Ihre Taktik über Keflavik sei<br />

brillant gewesen. Sie haben fünf MiG, aber wir verloren gestern<br />

insgesamt sieben Maschinen - drei durch MiG, zwei durch Raketen,<br />

zwei durch Abwehrfeuer vom Boden. Angesichts des Kräfteverhältnisses<br />

war das für uns eine unangenehme Überraschung.«<br />

»Ich tat meine Pflicht.«<br />

»Da, das tun wir alle«, st<strong>im</strong>mte Toland zu. »Keine Sorge, wir<br />

werden Sie gut behandeln. Ich weiß nicht, worauf man Sie vorbereitet<br />

hat, aber es ist Ihnen best<strong>im</strong>mt hin und wieder aufgefallen, dass<br />

nicht alles, was die Partei sagt, st<strong>im</strong>mt. Aus Ihren Papieren ersehe<br />

ich, dass Sie verheiratet sind und zwei Kinder haben. Auch ich habe<br />

Familie. Wir werden unsere Lieben Wiedersehen, Major - höchstwahrscheinlich.«<br />

»Und wenn unsere Bomber Sie angreifen?«<br />

»Das taten sie vor drei Stunden.«<br />

»Na ja, be<strong>im</strong> ersten Mal -«<br />

»Ich war auf der N<strong>im</strong>itz. Wir bekamen zwei Treffer ab.« Toland<br />

beschrieb kurz den Angriff. »Aber diesmal war der Ausgang anders.<br />

Wir führen gerade eine Rettungsaktion durch, aber ich weiß<br />

nicht, wann die Überlebenden eintreffen. Ihre Luftwaffe stellt für<br />

uns keine Bedrohung mehr dar. Aus diesem Grund wäre es überflüssig,<br />

einen Luftwaffenoffizier zu verhören. Und dies ist eigentlich<br />

auch kein Verhör.«<br />

»Warum sind Sie dann hier?«<br />

»Ich möchte Ihnen später ein paar Fragen stellen. Im Augenblick<br />

wollte ich Ihnen nur guten Tag sagen und mich nach Ihrem Befinden<br />

erkundigen. Brauchen Sie irgend etwas?«<br />

Tschapajew wusste nicht, was er davon halten sollte. Abgesehen<br />

von der Möglichkeit, dass die Amerikaner ihn auf der Stelle erschossen,<br />

wusste er nicht, womit er hätte rechnen sollen. Man hatte ihm<br />

zwar eingeschärft, nach Möglichkeit zu fliehen, aber das kam auf<br />

einem Schiff wohl kaum in Frage.<br />

»Ich glaube Ihnen nicht«, erklärte er schließlich.<br />

»Genosse Major, es wäre sinnlos, Sie über die Mig-29 zu befragen;<br />

auf Island gibt es nämlich keine mehr. Nur Ihre Unterseeboote<br />

653


stellen noch eine Bedrohung für uns dar, und was verstehen Sie<br />

schon davon? Major, denken Sie doch einmal nach. Immerhin sind<br />

Sie ein gebildeter Mensch. Verfügen Sie über Informationen, die wir<br />

brauchen? Das möchte ich bezweifeln. Sie werden bald gegen andere<br />

Gefangene ausgetauscht. Und bis dahin behandeln wir Sie<br />

anständig.« Toland legte eine Pause ein. Jetzt sprich doch mal.<br />

Major, dachte er...<br />

»Ich habe Hunger«, meinte Tschapajew nach einem Augenblick.<br />

»In einer halben Stunde gibt es Abendessen.«<br />

»Sie wollen mich nach Hause schicken, obwohl -«<br />

»Wir haben keine Arbeitslager und töten auch keine Gefangenen.<br />

Hat Ihnen unser Arzt nicht das Bein genäht und Schmerzmittel<br />

verschrieben?«<br />

»Wo sind meine Fotos?«<br />

»Die hätte ich fast vergessen.« Toland reichte dem Russen seine<br />

Brieftasche. »Ist es nicht vorschriftswidrig, so etwas mit in die Luft<br />

zu nehmen?«<br />

»Sie sind mein Talisman«, erwiderte Tschapajew und nahm das<br />

Schwarzweißbild seiner Familie heraus.<br />

Bob lachte in sich hinein. »Er hat gewirkt, Genosse Major. Hier,<br />

das sind meine.«<br />

»An Ihrer Frau ist nicht genug dran, aber auch Sie sind ein<br />

glücklicher Mann.« Tschapajew, dessen Augen feucht wurden,<br />

legte eine Pause ein, blinzelte dann und sprach weiter: »Ich hätte<br />

Lust auf einen Schnaps.«<br />

»Ich auch. Ist auf unseren Schiffen aber leider verboten.« Er<br />

schaute sich die Fotos an. »Ihre Töchter sind bildhübsch, Major.<br />

Eine Schande, sie alleinlassen zu müssen.«<br />

»Wir haben unsere Pflicht«, sagte Tschapajew. Toland machte<br />

eine zornige Geste.<br />

»Daran sind nur die verdammten Politiker schuld. Die sagen uns,<br />

was wir zu tun haben, und wir folgen - wie die Idioten! Verdammt,<br />

wir wissen noch nicht einmal, wie dieser verfluchte Krieg überhaupt<br />

angefangen hat!«<br />

»Wirklich nicht?«<br />

Volltreffer! Mitgefühl und Codein... Das Tonbandgerät in Tolands<br />

Tasche lief bereits.<br />

654


Hunzen, BRD<br />

»Wenn ich den Angriff fortsetze, werden wir hier vernichtet«,<br />

protestierte Alexejew. »Ich habe zwei Divisionen in der Flanke, und<br />

aus Alfeld werden amerikanische Panzer gemeldet.«<br />

»Ausgeschlossen!« versetzte der OB West zornig.<br />

»Major Sergetow hat sie mit eigenen Augen gesehen. Ich habe ihn<br />

nach Stendal befohlen, um Ihnen persönlich Meldung zu machen.«<br />

»Die sechsundzwanzigste Mot-Schützendivision ist auf dem Weg<br />

nach Alfeld und wird mit den Amerikanern schon fertigwerden ­<br />

falls es dort überhaupt welche gibt.«<br />

Das ist eine Einheit der Kategorie III, dachte Alexejew. Reservisten<br />

mit veralteter Ausbildung, unzulänglich ausgerüstet.<br />

»Welche Fortschritte haben Sie be<strong>im</strong> Flußübergang gemacht?«<br />

»Zwei Reg<strong>im</strong>enter sind am anderen Ufer, eines setzt gerade über.<br />

Der Feind hat seine Aktivität in der Luft verstärkt - verdammt! Ich<br />

habe feindliche Verbände <strong>im</strong> Rücken!«<br />

»Fahren Sie zurück nach Stendal, Pascha, ich brauche Sie dort.<br />

Für Hunzen ist Beregowoy verantwortlich.«<br />

Ich bin abgelöst! dachte Alexejew ungläubig.<br />

»Verstanden, Genosse General«, erwiderte er und schaltete das<br />

Funkgerät aus. Kann ich meine Truppen so verwundbar zurücklassen?<br />

fragte er sich. Darf ich es versäumen, meine Truppenführer<br />

ungewarnt zu lassen? Alexejew hieb auf den Tisch. »Geben Sie mir<br />

General Beregowoy!«<br />

Alfeld, BRD<br />

Für Artillerieunterstützung waren sie zu weit von den Nato-Linien<br />

entfernt und zudem gezwungen gewesen, ihre eigenen Geschütze<br />

zurückzulassen. Mackall sah durch die Zieloptik die russischen<br />

Verbände <strong>im</strong> Dunst vorgehen. Er schätzte ihre Stärke auf zwei<br />

Reg<strong>im</strong>enter. Seltsam, keine SAM-Starter. Der befehlshabende<br />

Oberst begann, über Funk seine Anweisungen zu geben. Nato-<br />

Flugzeuge erschienen.<br />

Direkt hinter ihren Stellungen tauchten Apache-Kampfhubschrauber<br />

auf, flogen nach Süden, um die angreifenden russischen<br />

Fahrzeuge in der Flanke zu fassen, feuerten ihre Hellfire-Raketen<br />

auf die Panzerspitze ab. Die Piloten hielten nach SAM-Startfahr-<br />

655


zeugen Ausschau, entdeckten aber keine. Dann kam die A-10,<br />

flogen <strong>im</strong> Tiefflug an, zur Abwechslung einmal nicht von SAM<br />

bedroht. Mit Maschinenkanonen und Streubomben führten sie<br />

weiter, was die Apache begonnen hatten.<br />

»Was für ein schwachsinniger Angriff, Boss«, kommentierte der<br />

Richtschütze.<br />

"Die sind vielleicht grün, Woody.«<br />

»Soll mir recht sein.«<br />

Als nächstes griffen die Bradley am Ostrand der Stadt mit ihren<br />

Raketen an. Die erste sowjetische Welle wurde übel zugerichtet, ehe<br />

sie überhaupt in Reichweite der Panzer am anderen Flußufer kam.<br />

Die Attacke begann, an Schwung zu verlieren. Nun blieben die<br />

russischen Panzer stehen, machten Nebel und begannen, in seinem<br />

Schutz ziellos zu feuern. Ein paar Granaten landeten in der Nähe<br />

von Mackalls Stellung, richteten aber keinen Schaden an. Der<br />

Angriff wurde zwei Kilometer vor der Stadt zum Stehen gebracht.<br />

»Nach Norden«, befahl Alexejew.<br />

»Genosse General, wenn wir nach Norden fliegen -«, setzte der<br />

Pilot an.<br />

»Nach Norden, hab ich gesagt! Bleiben Sie tief«, fügte er hinzu.<br />

Der schwerbewaffnete Mi-24 ging abrupt tiefer. Alexejew stieg<br />

der Magen in den Hals, als sich der Pilot für den dummen und<br />

gefährlichen Befehl rächte. Er saß hinten, klammerte sich an den<br />

Gurt und lehnte sich aus der linken Tür, versuchte, etwas zu sehen.<br />

Der Hubschrauber wurde heftig nach links und rechts, oben und<br />

unten gerissen. Der Pilot kannte die Gefahren hier.<br />

»Da!« rief Alexejew über die Bordsprechanlange. «In zehn Uhr.<br />

Sind das amerikanische oder deutsche Panzer?«<br />

»Ich sehe auch ein paar Flarakpanzer, Genosse General. Wollen<br />

Sie sich die auch aus der Nähe ansehen?« fragte der Pilot sarkastisch<br />

und tauchte über einer Waldstraße ab.<br />

»Das war mindestens ein Bataillon«, meinte der General.<br />

»Mehr, würde ich sagen«, erwiderte der Pilot. Er flog nun mit<br />

voller Leistung und suchte den H<strong>im</strong>mel voraus nach Feindflugzeugen<br />

ab.<br />

Der General kämpfte mit seiner Karte. Am Ende musste er sich<br />

hinsetzen und anschnallen, um sie mit beiden Händen festhalten zu<br />

können. »Verdammt, so weit <strong>im</strong> Süden?«<br />

656


»Hab ich's nicht gesagt«, antwortete der Pilot über die Bordsprechanlage.<br />

»Der Feind hat einen Druchbruch erzwungen.«<br />

»Wie dicht können Sie an Alfeld heran?«<br />

»Hängt vom Überlebenswillen des Genossen General ab.« Alexejew<br />

hörte Zorn und Angst in den Worten und musste sich ins<br />

Gedächtnis rufen, dass der Hauptmann, der diesen Hubschrauber<br />

flog, wegen seiner Kühnheit überm Schlachtfeld schon zwe<strong>im</strong>al<br />

zum Helden der Sowjetunion gemacht worden war.<br />

»So dicht, wie Sie es verantworten können, Genosse Hauptmann.<br />

Ich will mit eigenen Augen sehen, was der Feind treibt.«<br />

»Verstanden. Festhalten, jetzt geht's rund.« Der Mi-24 machte<br />

einen Satz über eine Hochspannungsleitung, sackte dann wieder<br />

weg wie ein Stein, wurde so dicht über dem Boden abgefangen, dass<br />

Alexejew eine schmerzliche Gr<strong>im</strong>asse zog. »Feindflugzeuge über<br />

uns... vier auf Westkurs.«<br />

Sie überflogen einen grasbewachsenen Streifen mit Kettenfahrzeugen<br />

darauf. Das Gras war aufgewühlt. Er schaute auf die Karte.<br />

Diese Schneise führte nach Alfeld.<br />

»Ich überfliege die Leine und nähere mich Alfeld von Osten her.<br />

So sind wir wenigstens über eigenen Truppen, wenn was passiert«,<br />

verkündete der Pilot. Gleich darauf vollführte die Maschine wieder<br />

Sprünge. Im Vorbeijagen bekam Alexejew Panzer auf der Hügelkuppe<br />

zu sehen, viele Panzer. Ein paar Leuchtspurgeschosse jagten<br />

dem Hubschrauber entgegen, erreichten ihn aber nicht. »Ganz<br />

schön viele Panzer hier, Genosse General; ein Reg<strong>im</strong>ent, taxiere ich.<br />

Der Panzer-Instandsetzungspunkt ist <strong>im</strong> Süden - oder seine Überreste.<br />

Achtung! Feindliche Hubschrauber <strong>im</strong> Süden!«<br />

Die Maschine hielt an und drehte sich um die eigene Achse.<br />

Fauchend löste sich eine Luftkampfrakete von der Flügelspitze, dann<br />

flog der Mi-z4 weiter. Über sich sah der General eine Rauchspur.<br />

»Das war knapp.«<br />

»Haben Sie getroffen?«<br />

»Wünscht der General, dass ich anhalte und nachschaue? Moment<br />

mal, das war doch vorhin noch nicht da.«<br />

Der Hubschrauber verharrte kurz <strong>im</strong> Schwebeflug. Alexejew sah<br />

brennende Fahrzeuge und fliehende Männer. Die Tanks waren alte<br />

T-55. Das also war der Gegenangriff, von dem er gehört hatte!<br />

Zerschlagen. Eine Minute später sah er, wie sich die Fahrzeuge für<br />

eine neue Attacke sammelten.<br />

657


«Ich habe genug gesehen. Zurück nach Stendal, so schnell Sie<br />

können.« Der General lehnte sich mit seinen Karten zurück und<br />

versuchte, sich ein klares Bild von der Lage zu machen. Eine halbe<br />

Stunde später landete der Hubschrauber.<br />

Sie hatten recht, Pascha«, sagte der OB zur Begrüßung und hielt<br />

ihm drei Aufklärungsfotos hin.<br />

»Der erste Angriff der sechsundzwanzigsten Mot-Schützendivision<br />

wurde zwei Kilometer vor den feindlichen Linien zerschlagen.<br />

Als ich die Einheit überflog, gruppierten sie sich für eine neue<br />

Attacke. Das ist ein Fehler«, sagte Alexejew eindringlich und leise.<br />

»Wenn wir die Stellung zurückerobern wollen, muss der Angriff<br />

wohlgeplant sein.«<br />

»Wir müssen den Brückenkopf so rasch wie möglich wieder in<br />

die Hand bekommen.«<br />

»Gut. Dann sagen Sie Beregowoy, er soll zwei seiner Einheiten<br />

abkommandieren und zurück nach Osten fahren lassen.«<br />

»Wir können den Weserübergang nicht aufgeben!«<br />

»Genosse General, entweder ziehen wir diese Einheit zurück,<br />

oder wir lassen sie von der Nato an Ort und Stelle vernichten. Eine<br />

andere Wahl haben wir <strong>im</strong> Augenblick nicht.«<br />

»Nein, aber wenn wir Alfeld zurückerobert haben, können wir<br />

verstärken. Dann fallen wir dem feindlichen Gegenangriff in die<br />

Flanke und setzen den Vormarsch fort.«<br />

»Was haben wir gegen Alfeld einzusetzen?«<br />

»Es sind drei Divisionen unterwegs -«<br />

Alexejew sah sich die Bezeichnungen auf der Karte an. »Das sind<br />

ja alles Einheiten der Kategorie III!«<br />

»St<strong>im</strong>mt, die meisten Zweier musste ich nach Norden verlegen,<br />

weil die Nato auch bei Hamburg einen Gegenangriff gestartet<br />

hatte. Kopf hoch, Pascha, es kommen viele Dreier an die Front.«<br />

Ist ja toll, dachte Alexejew. Alte, fettleibige, ungeübte Reservisten<br />

marschieren an eine von kampferprobten Truppen gehaltene<br />

Front.<br />

»Warten wir, bis alle drei Divisionen in Stellung sind. Bringen<br />

wir Artillerie nach vorne und lassen die Nato-Stellungen beschießen.<br />

Wie sieht es bei Gronau aus?«<br />

»Die Deutschen sind über die Leine gegangen, aber wir haben sie<br />

gebunden. Auch dort treten zwei Divisionen zum Angriff an.«<br />

Alexejew ging hinüber an die Hauptkarte und suchte nach Ver­<br />

658


änderungen der taktischen Lage seit seinem letzten Besuch. Im<br />

Norden hatten sich die Linien nicht merklich verschoben, und der<br />

Gegenangriff der Nato auf die Frontausbuchtung bei Alfeld und<br />

Rühle wurde gerade erst eingezeichnet. Bei Alfeld und Gronau<br />

steckten blaue Fähnchen. Vor Hamburg griff der Feind an.<br />

Wir haben die Initiative verloren, dachte Alexejew. Wie gewinnen<br />

wir sie zurück?<br />

Begonnen hatte die Sowjetunion den Krieg mit zwanzig in Ostdeutschland<br />

stationierten Divisionen der Kategorie I, unterstützt<br />

von zehn weiteren und Verstärkungen, die in der Folge herangezogen<br />

worden waren. Alle waren nun <strong>im</strong> Kampf eingesetzt, viele hatte<br />

man wegen hoher Verluste von der Front abziehen müssen. Die<br />

letzte Reserve von Formationen in Sollstärke stand bei Rühle und<br />

lief nun Gefahr, eingeschlossen zu werden.<br />

»Wir müssen den Angriff abbrechen«, erklärte Beregowoy.<br />

»Die Offensive ist eine politische und militärische Notwendigkeit«,<br />

erwiderte der OB West. »Wenn wir vorstoßen, muss die Nato<br />

einen Teil ihrer Angriffsverbände für die Verteidigung der Ruhr<br />

abziehen. Dann haben wir sie am Schlafittchen.«<br />

Alexejew machte keine Einwände mehr. Der Gedanke kam wie<br />

ein Eishauch: Haben wir verloren?<br />

USS Independence<br />

»Admiral, ich muss einen Offizier der Landungstruppen sprechen.«<br />

»Wen?«<br />

»Chuck Lowe, er ist Reg<strong>im</strong>entskommandeur und arbeitete früher<br />

be<strong>im</strong> CINCLANT mit mir zusammen.«<br />

»Ist die Information denn so heiß?«<br />

»Davon bin ich überzeugt, aber ich brauche noch ein Gegengutachten.<br />

Chuck ist der beste Experte, den wir zur Hand haben.«<br />

Jacobson griff zum Telefon. »Verbinden Sie mich sofort mit<br />

General Emerson ... Billy? Hier Scott. Gibt's bei Ihnen einen Colonel<br />

Chuck Lowe? Wo? Okay, einer meiner Leute muss ihn sofort<br />

sprechen... ja, es ist wichtig, Billy. Meinetwegen, er macht sich<br />

sofort auf den Weg.« Der Admiral legte auf. »Haben Sie diese<br />

Kassette kopiert?«<br />

»Jawohl, Sir, das Original liegt <strong>im</strong> Safe.«<br />

659


»Ein Hubschrauber steht für Sie bereit.«<br />

Der Flug nach Stykkisholmur dauerte eine Stunde. Von dort<br />

brachte ein Helikopter der Marines ihn nach Südwesten. Er traf<br />

Chuck Lowe in seinem Zelt be<strong>im</strong> Kartenstudium an.<br />

»Sie kommen ja ganz schön rum. Von der N<strong>im</strong>itz hab ich gehört.<br />

Gut, dass Sie da lebend rausgekommen sind. Was liegt an?«<br />

»Hören Sie sich doch bitte mal diese Kassette an. Dauert nur<br />

zwanzig Minuten.« Toland erklärte Lowe, wer der Russe war.<br />

Dann gingen die beiden Offiziere aus dem Zelt und an einen verhältnismäßig<br />

ruhigen Platz. Lowe spulte das Band zwe<strong>im</strong>al zurück,<br />

um sich eine Stelle noch einmal anzuhören.<br />

»Verdammt noch mal!« sagte er leise, als das Band abgelaufen<br />

war.<br />

»Er dachte, wir wüßten das schon.«<br />

Colonel Lowe bückte sich, hob einen Stein auf, wog ihn kurz in<br />

der Hand und warf ihn dann, so weit er konnte. »Warum auch<br />

nicht? Wir halten das KGB schließlich auch für kompetent. Die<br />

Information lag bei uns die ganze Zeit vor..., und wir haben das<br />

verpennt!« sagte er ärgerlich. »Macht uns der Mann auch nichts<br />

vor?«<br />

»Als wir ihn aus dem Wasser zogen, hatte er eine häßliche<br />

Beinverletzung. Der Doc nähte ihn zusammen und gab ihm ein<br />

Schmerzmittel. Ich bekam den Mann geschwächt vom Blutverlust<br />

und ziemlich berauscht vom Codein in die Finger. Chuck, ich will<br />

Ihre Meinung hören.«<br />

»Wollen Sie mich zurück zum Nachrichtendienst locken?« Lowe<br />

lächelte kurz. »Bob, diese Geschichte macht Sinn und sollte so rasch<br />

wie möglich nach oben gehen.«<br />

»Ich finde, das müßte der SACEUR erfahren.«<br />

»Bei dem kriegst du nicht so einfach einen Termin, Bob.«<br />

»Ich kann es über den COMEASTLANT versuchen. Das Original<br />

geht nach Washington. Die CIA wird das Band mit einem Stress<br />

Analyzer prüfen wollen. Aber ich habe dem Mann in die Augen<br />

geschaut, Chuck.«<br />

»Einverstanden, Bob. Das muss so schnell wie möglich nach<br />

oben, und der SACEUR kann es sich am schnellsten zunutze machen.«<br />

»Danke, Colonel. Wie rufe ich den Hubschrauber?«<br />

660


»Das erledige ich. Ach ja, herzlich willkommen auf Island.«<br />

»Wie läuft's?«<br />

»Der Feind hat gute Truppen, aber eine ungünstige Verteidigungslage.<br />

Wir verfügen über alle Feuerkraft, die wir brauchen.<br />

Kein Problem, die Lage haben wir <strong>im</strong> Griff.«<br />

Zwei Stunden später saß Toland in einer Maschine nach London.<br />

Moskau<br />

Marschall Fjodr Borissowitsch Bucharin leitete die Lagebesprechung.<br />

Die Marschälle Schawyrin und Roschkow waren am Vortag<br />

verhaftet worden, eine Entwicklung, die Minister Sergetow mehr<br />

sagte, als bei dieser Besprechung herauskommen konnte.<br />

»Der Angriff nach Westen von Alfeld aus ist wegen schlechter<br />

Planung und Ausführung durch den OB West steckengeblieben.<br />

Wir müssen die Initiative zurückgewinnen. Zum Glück stehen uns<br />

die erforderlichen Truppen zur Verfügung, und nichts kann die<br />

Tatsache ändern, dass die Nato schwerste Verluste erlitten hat. Ich<br />

schlage vor, den Stab des Oberkommandos West auszutauschen<br />

und -«<br />

»Moment, dazu möchte ich etwas anmerken«, unterbrach Sergetow.<br />

»Lassen Sie uns Ihre Meinung hören, Michail Eduardowitsch«,<br />

sagte der Verteidigungsminister sichtlich gereizt.<br />

»Marschall Bucharin, Sie wollen den gesamten Stab ablösen?«<br />

Die praktischen Konsequenzen für die Betroffenen sind ja wohl<br />

klar, dachte Sergetow.<br />

»Mein Sohn gehört dem Stab des Stellvertretenden OB West,<br />

General Alexejew, an«, fuhr Sergetow fort. »Diesem Mann gelangen<br />

die Durchbrüche bei Alfeld und Rühle. Er wurde zwe<strong>im</strong>al<br />

verwundet; feindliche Jäger schössen seinen Hubschrauber ab - er<br />

entkam, requirierte ein Fahrzeug, raste an die Front und leitete<br />

einen weiteren erfolgreichen Angriff. Diesen General, den besten,<br />

den wir meines Wissens haben, wollen Sie durch jemanden ersetzen,<br />

der mit der Lage nicht vertraut ist. Das ist doch der helle<br />

Wahnsinn!« rief er zornig.<br />

Der Innenminister beugte sich vor. »Nur weil Ihr Sohn zu seinem<br />

Stab gehört -«<br />

661


Sergetow wurde dunkelrot. »Nur meines Sohnes wegen? Mein<br />

Sohn kämpft an der Front, dient dem Staat. Er wurde verwundet<br />

und entkam bei dem Hubschrauberabschuß an der Seite seines<br />

Generals knapp dem Tode. Wer sonst in dieser Runde kann das von<br />

sich behaupten? Wo sind Ihre Söhne?" Er hieb auf den Tisch.<br />

Sergetow schloß in milderem Tonfall und traf seine Kollegen an der<br />

verletzlichsten Stelle: »Wo sind hier die Kommunisten?«<br />

Ein kurzes, aber tödliches Schweigen. Sergetow wusste, dass er<br />

seine politische Karriere nun entweder ruiniert oder sehr weit vorangebracht<br />

hatte. Wer als nächster das Wort ergriff, würde über<br />

sein Schicksal entscheiden.<br />

»Im Großen Vaterländischen Krieg«, ließ sich Pjotr Bromkowski<br />

würdevoll vernehmen, »lebten die Mitglieder des Politbüros an der<br />

Front. Viele verloren Söhne. Selbst Genosse Stalin gab seine Söhne<br />

dem Staat, und sie dienten Seite an Seite mit den Söhnen gewöhnlicher<br />

Arbeiter und Bauern. Michail Eduardowitsch hat wohl gesprochen.<br />

Genosse Marschall, darf ich Sie um eine Beurteilung des<br />

Generals Alexejew bitten? Ist Genosse Sergetows Einschätzung<br />

korrekt?«<br />

Bucharin sah unbehaglich drein. »Alexejew ist ein junger, intelligenter<br />

Offizier. Jawohl, auf seinem gegenwärtigen Posten hat er<br />

Gutes geleistet.«<br />

»Warum wollen Sie ihn dann ablösen?«<br />

»Vielleicht war der Entschluß zu übereilt«, gestand der Verteidigungsminister<br />

zu und stellte fest, dass die St<strong>im</strong>mung am Tisch<br />

dramatisch umschlug. Das zahle ich dir he<strong>im</strong>, Michail Eduardowitsch,<br />

dachte er. Schlägst dich auf die Seite des ältesten Mitglieds ­<br />

na schön, der alte Pjotr lebt nicht ewig. Und du auch nicht.<br />

»Gut, das wäre dann beschlossen«, meinte der Generalsekretär.<br />

»Nun, Bucharin, wie ist die Lage auf Island?«<br />

»Meldungen zufolge landete der Feind Truppenteile, aber wir<br />

griffen die Nato-Flotte sofort an und erwarten nun die Beurteilung<br />

der Verluste, die wir ihr zugefügt haben.« Bislang kannte Bucharin<br />

nur die sowjetischen Verluste und wollte diese erst bekanntgeben,<br />

wenn er gleichzeitig günstige Resultate des Luftangriffs zu melden<br />

hatte.<br />

662


Stendal, DDR<br />

Kurz nach Einbruch der Dunkelheit kamen sie, KGB-Offiziere <strong>im</strong><br />

Kampfanzug. Alexejew arbeitete an der Aufstellung der neu eingetroffenen<br />

Divisionen der Kategorie III und sah sie nicht. Fünf<br />

Minuten später wurde er herbeizitiert.<br />

»Genosse General, Sie sind ab sofort Oberbefehlshaber des Operationsgebietes<br />

West«, sagte sein Vorgesetzter schlicht, »Viel<br />

Glück.«<br />

Be<strong>im</strong> Tonfall des Generals sträubten sich Alexejew die Nackenhaare.<br />

Links und rechts von dem Mann standen Oberste des KGB<br />

<strong>im</strong> Kampfanzug.<br />

Was soll ich sagen, was kann ich tun? dachte er. Dieser Mann ist<br />

mein Freund.<br />

Der ehemalige OB West nahm ihm das ab. »Leben Sie wohl,<br />

Pascha.«<br />

Sie führten den General ab. Alexejew schaute ihm nach, sah ihn<br />

an der Tür stehenbleiben. Sein Blick war resigniert, sein Pistolenhalfter<br />

leer. Alexejew wandte sich ab und sah auf dem Schreibtisch<br />

ein Fernschreiben, das ihn in seiner neuen Funktion bestätigte und<br />

ihm versicherte, er habe das volle Vertrauen der Partei, der Politbüros<br />

und des Volkes. Er knüllte den Fetzen zusammen und warf ihn<br />

an die Wand.<br />

Wieviel Zeit habe ich? dachte Alexejew und rief seinen Fernmeldeoffizier.<br />

»Geben Sie mir General Beregowoy!«<br />

Brüssel<br />

Der SACEUR gönnte sich eine Mahlzeit. Seit Kriegsausbruch hatte<br />

er sich von Kaffee und belegten Broten ernährt und dabei fünf Kilo<br />

abgenommen. Alexander der Große war noch keine dreißig gewesen,<br />

als er seine Armeen von Sieg zu Sieg führte, dachte der General.<br />

Und jung genug, das durchzuhalten.<br />

Sein Plan klappte. Amerikanische Panzer standen in Alfeld. Die<br />

Deutschen hatten Gronau und Brüggen fest in der Hand, und wenn<br />

der Russe nicht schnell reagierte, stand seinen Divisionen an der<br />

Weser eine unangenehme Überraschung bevor. Die Tür ging auf,<br />

663


sein deutscher Nachrichtendienstoffizier kam herein, begleitet von<br />

einem Marineoffizier.<br />

»Verzeihung, Herr General, ich habe hier einen Marineoffizier,<br />

der Ihnen etwas vortragen möchte.«<br />

Der SACEUR starrte mürrisch auf seinen Teller. »Raus damit.«<br />

»General, ich bin Commander Bob Toland. Bis vor kurzem war<br />

ich bei der Kampfflotte Atlantik -«<br />

»Wie sieht es auf Island aus?«<br />

»Die sowjetischen Luftangriffe wurden abgeschlagen, Sir. Die U-<br />

Boote sind <strong>im</strong>mer noch ein Problem, aber die Marines befinden sich<br />

auf dem Vormarsch. Dort werden sie gewinnen, General.«<br />

»Je mehr U-Boote sie auf die Träger loslassen, desto weniger<br />

stören meine Geleitzüge«, knurrte der SACEUR.<br />

So kann man es auch sehen, dachte Toland. »Admiral, wir haben<br />

einen russischen Kampfflieger gefangengenommen, der aus einer<br />

einflußreichen Familie stammt. Ich habe ihn vernommen; hier ist<br />

das Band. Ich glaube, dass wir nun wissen, aus welchem Grund die<br />

Sowjetunion den Krieg anfing.«<br />

Der SACEUR machte schmale Augen. »Raus damit, Sohn.«<br />

»Erdöl -«<br />

664


Brüssel<br />

41<br />

Gelegenheitsziele<br />

Von der Kassette wurden drei Kopien gezogen. Eine ging zum<br />

Aufklärungsstab des SACEUR, wo eine neue Übersetzung angefertigt<br />

und mit Tolands verglichen wurde. Eine zweite kam zur elektronischen<br />

Analyse an den französischen Gehe<strong>im</strong>dienst. Die dritte<br />

erhielt ein belgischer Psychiater, der das Russische fließend beherrschte.<br />

Inzwischen brachte die Hälfte aller Nachrichtendienstoffiziere<br />

<strong>im</strong> Nato-Hauptquartier alle Informationen über den bisherigen<br />

Treibstoffverbrauch der Sowjets auf den neuesten Stand. CIA<br />

und andere Gehe<strong>im</strong>dienste kümmerten sich sofort um die sowjetische<br />

Erdölproduktion. Toland konnte das Ergebnis schon vorhersagen,<br />

ehe es vorlag: unzureichende Daten. Die denkbaren Schlußfolgerungen<br />

reichten von »Treibstoff für mehrere Monate« bis »die<br />

Russen haben keinen Tropfen mehr«.<br />

Ernst genommen wurde die Sache zuerst bei der Air Force. Dort<br />

wusste man bereits, dass die feindlichen Treibstofflager kleiner als<br />

erwartet waren. Nach der Zerstörung des großen Lagers bei Wittenberg<br />

waren die Russen zu kleineren übergegangen. Die Nato<br />

hatte sich bei ihren Angriffen weit hinter den feindlichen Linien auf<br />

Flugplätze, Munitionslager, Nachschublinien und Panzerkolonnen<br />

auf dem Weg an die Front konzentriert, lukrativere Ziele als die<br />

kleinen Treibstofflager, die obendrein noch schwer auszumachen<br />

waren.<br />

Nach einer fünfzehnminütigen Besprechung mit dem Chef seiner<br />

Flieger setzte der SACEUR eine neue Priorität.<br />

Stendal, DDR<br />

»Entweder das eine oder das andere«, flüsterte Alexejew vor sich<br />

hin. Seit zwölf Stunden hatte er sich erfolglos um eine Lösung<br />

665


emüht. Er hatte nun den Befehl, war nicht länger der aggressive<br />

Untergebene; aber ein Erfolg war sein Erfolg; ein Versagen sein<br />

Versagen. Sein Befehl war unmöglich auszuführen: Die Frontausbuchtung<br />

halten und weiter vordringen. Er verfügte über die Kräfte<br />

für das eine oder das andere, aber nicht für beides. »Von der Weser<br />

aus nach Nordwesten vorstoßen, die feindlichen Kräfte an der<br />

rechten Flanke abschneiden und den entscheidenden Stoß ins Ruhrtal<br />

vorbereiten.« Wer diesen Befehl erteilt hatte, war entweder<br />

ignorant oder realitätsblind.<br />

Doch bei der Nato wusste man Bescheid. Ihre Luftmacht hatte die<br />

Kolonnen auf jeder Straße zwischen Rühle und Alfeld zerschlagen.<br />

Die beiden Panzerdivisionen, die Beregowoys Nordflanke deckten,<br />

waren überrascht und in die Flucht geschlagen worden. Kräfte von<br />

Bataillonsstärke hielten die wichtigsten Kreuzungen; in der Zwischenzeit<br />

wurde das Reg<strong>im</strong>ent bei Alfeld verstärkt. In den Wäldern<br />

nördlich von Rühle lauerten vermutlich zwei Panzerdivisionen,<br />

hatten Beregowoy aber bisher noch nicht angegriffen. Durch ihre<br />

Inaktivität luden sie ihn ein, über die Weser zu gehen und <strong>im</strong><br />

Norden einen Gegenangriff zu starten.<br />

Alexejew entsann sich einer wichtigen Lektion, die er an der<br />

Frunse-Akademie gelernt hatte: die Charkow-Offensive 1942. Die<br />

Deutschen hatten die angreifende Rote Armee weit vordringen<br />

lassen - und sie dann abgeschnitten und aufgerieben. Das Oberkommando<br />

(also Stalin) hatte die Realitäten der Lage ignoriert und<br />

sein Augenmerk auf einen Scheinerfolg gerichtet. Der General<br />

fragte sich, ob zukünftige Generationen von Hauptleuten und Majoren<br />

an der Frunse-Akademie die bevorstehende Schlacht analysieren<br />

und darlegen würden, was für ein Esel der Generaloberst Pavel<br />

Leonidowitsch Alexejew gewesen war!<br />

Er konnte auch seine Truppen zurückziehen, die Niederlage<br />

eingestehen und dann womöglich als Verräter erschossen werden.<br />

»Major Sergetow, fahren Sie nach Moskau und sagen Sie den<br />

Leuten dort persönlich, welche Optionen ich hier habe. Ich werde<br />

eine Division von Beregowoy abziehen und sie nach Osten vorstoßen<br />

lassen, damit der Weg nach Alfeld wieder frei wird. Die Attacke<br />

auf Alfeld erfolgt aus zwei Richtungen, und wenn sie Erfolg gehabt<br />

hat, können wir den Übergang über die Weser fortsetzen, ohne<br />

befürchten zu müssen, dass unsere Spitzen abgeschnitten werden.«<br />

»Ein geschickter Kompromiß«, meinte der Major hoffnungsvoll.<br />

666


So ein Spruch hat mir gerade noch gefehlt, dachte Alexejew.<br />

Bitburg, BRD<br />

Zwölf Frisbees waren übrig. Zwe<strong>im</strong>al waren sie kurz aus dem<br />

Einsatz genommen worden, weil man neue Taktiken zur Verminderung<br />

des Risikos finden wollte - mit einigem Erfolg, wie sich<br />

Colonel Ellington sagte. Es hatte sich herausgestellt, dass einige<br />

sowjetische Luftabwehrsysteme unbekannte Fähigkeiten hatten,<br />

aber die Hälfte der Verluste war unerklärlich. Handelte es sich um<br />

Unfälle, wie sie mit dem Einsatz schwerbeladener Maschinen <strong>im</strong><br />

extremen Tiefflug einhergingen, oder kamen nun nur die Gesetze<br />

der Wahrscheinlichkeit zum Tragen? Ein Pilot mochte ein einprozentiges<br />

Risiko, bei einem Einsatz abgeschossen zu werden, noch<br />

akzeptabel finden; aber dann würde er erkennen, dass dieser Wert<br />

nach fünfzig Einsätzen auf vierzig Prozent stieg.<br />

Er startete allein nach Osten. Heute hatte er außer Sidewinder<br />

und Antiradarraketen zur Selbstverteidigung keine Waffen an<br />

Bord; die Maschine war statt mit Bomben mit Zusatztreibstofftanks<br />

beladen. Er ging für den Anfang auf dreitausend Fuß und<br />

überprüfte seine Instrumente, veränderte die Tr<strong>im</strong>mung leicht und<br />

begann dann einen langsamen Sinkflug, bis er auf fünfhundert Fuß<br />

war. In dieser Höhe überflog er die Weser.<br />

»Aktivität am Boden, Duke«, meldete Eisly. »Sieht aus wie eine<br />

Kolonne von Panzern und Lastern, die auf der B 64 nach Nordosten<br />

rollt.«<br />

»Geben Sie das weiter.« Alles, was sich in diesem Sektor bewegte,<br />

stellte ein Ziel dar. Eine Minute später überflogen sie nördlich von<br />

Alfeld die Leine. In der Ferne blitzte Artilleriefeuer; Ellington zog<br />

die Maschine hart nach links, um auszuweichen.<br />

Sie flogen weiter nach Osten, parallel zu einer Nebenstraße, die<br />

Eisly über die <strong>im</strong> Bug eingebaute Fernsehkamera überwachte.<br />

SAM-Batterien, die den H<strong>im</strong>mel nach Eindringlingen absuchten,<br />

ließen die Radarwarnanlage ansprechen.<br />

»Panzer«, sagte Eisly leise. »Eine ganze Menge.«<br />

»In Bewegung?«<br />

»Glaube ich nicht. Sieht eher so aus, als stünden sie neben der<br />

Straße am Waldrand. »Moment- Raketenstart! SAM in drei Uhr!«<br />

667


Ellington drückte den Knüppel nach vorne links. Binnen Sekunden<br />

musste er in eine Richtung abdrehen und gleichzeitig den Kopf<br />

in die andere nach der anfliegenden Rakete wenden, dann wieder<br />

zurückschauen, um sicherzustellen, dass er mit seinem fünfzig Millionen<br />

Dollar teuren Flugzeug keine Furche in den Acker pflügte.<br />

Von der SAM sah er nur eine gelblichweiße Stichflamme, die sich<br />

auf ihn zubewegte. Kaum flog die Maschine wieder geradeaus, da<br />

riß er sie scharf nach rechts. Hinter ihm behielt Eisly die Rakete <strong>im</strong><br />

Auge.<br />

»Dreht ab, Duke - hui!« Die Rakete ging hinter dem F-19 über<br />

den Baumwipfeln in den Horizontalflug, tauchte dann ab und<br />

explodierte <strong>im</strong> Wald. »Laut Instrument war das eine SA-Sechs. Das<br />

Suchradar der Batterie ist in ein Uhr und ganz nahe.«<br />

»Gut«, meinte Ellington, aktivierte eine Sidearm-Antiradarrakete<br />

und feuerte sie aus einer Entfernung von vier Meilen auf den<br />

Sender ab. Die Russen entdeckten sie zu spät. »Steck das ein«,<br />

grunzte Ellington befriedigt.<br />

»Ich glaube, Sie hatten recht mit Ihrer Vermutung, auf welche<br />

Weise die uns erwischen, Duke.«<br />

»Sieht wohl so aus.« Das Frisbee war für von oben kommende<br />

Radarstrahlen praktisch unsichtbar, aber von unten ziemlich leicht<br />

zu erfassen. Diese Schwäche ließ sich durch extremen Tiefflug<br />

ausgleichen, aber dann hatte der Pilot nicht genug Übersicht. Ellington<br />

drehte sich noch einmal nach den Panzern um. »Wie viele?«<br />

»Ein ganzer Haufen, über hundert.«<br />

»Geben Sie das durch.« Ellington ging wieder auf Nordkurs,<br />

während Major Eisly Meldung machte. In wenigen Minuten würden<br />

Phan<strong>tom</strong> der Bundesluftwaffe dem Panzersammelpunkt einen<br />

Besuch abstatten. Wo so viele Panzer standen, befand sich wahrscheinlich<br />

auch ein Treibstoffverteiler. Entweder waren die Tanklaster<br />

schon an Ort und Stelle oder noch unterwegs. Diese stellten<br />

nun sein Hauptziel dar, eine überraschende Abwechslung nach<br />

Wochen der Angriffe und Versorgungspunkte und Kolonnen.<br />

»Lkw direkt voraus!« Der Duke betrachtete das vom Computer<br />

verstärkte Bild auf dem Head-Up-Display. Eine lange Kolonne von<br />

Tanklastern, die dicht aufgeschlossen und ohne Licht schnell dahinrollte.<br />

Anhand der runden Tanks ließen sich die Fahrzeuge leicht<br />

identifizieren. Er flog eine Schleife. Auf Eislys Infrarotbild leuchteten<br />

die Motoren und Auspuffrohre hell auf.<br />

668


»Ich zähle rund fünfzig, Duke, und sie fahren auf diese Ansammlung<br />

von Panzern zu.«<br />

Rund zwanzigtausend Liter pro Fahrzeug dachte Ellington, insgesamt<br />

also eine Million Liter Dieseltreibstoff, genug, um alle<br />

Panzer zweier sowjetischer Divisionen zu füllen. Eisly meldete auch<br />

diese Kolonne.<br />

»Shade drei«, funkte der Controller aus dem AWACS zurück.<br />

»Acht Vögel sind unterwegs, Ankunft vier Minuten. Bitte kreisen<br />

und beobachten.«<br />

Ellington bestätigte nicht, sondern flog mehrere Minuten lang in<br />

Baumwipfelhöhe und fragte sich, wie viele russische Soldaten mit<br />

tragbaren SA-7 unter ihm lauerten.<br />

Von Osten her kamen die Tornado der Royal Air Force herangefegt.<br />

Die erste Maschine warf vor der Kolonne eine Streubombe ab,<br />

der Rest stieß <strong>im</strong> spitzen Winkel auf die Straße nieder und ließ<br />

Minibomben auf die Tanklastwagen hinabregnen. Fahrzeuge explodierten,<br />

brennender Treibstoff stieg hoch gen H<strong>im</strong>mel. Dieselöl<br />

verbreitete sich links und rechts der Straße; unbeschädigte Laster<br />

hielten an, wendeten, versuchten, der Feuersbrunst zu entkommen.<br />

Manche wurden von ihren Fahrern verlassen, andere ließen die<br />

Flammen hinter sich und versuchten, weiter nach Süden zu fahren.<br />

Wenigen gelang das. Die meisten schwerbeladenen Tanker blieben<br />

<strong>im</strong> weichen Boden stecken.<br />

»Geben Sie durch, sie hätten die Hälfte erwischt. Nicht übel.«<br />

Eine Minute später bekam das Frisbee den Befehl, wieder nach<br />

Nordosten zu fliegen.<br />

In Brüssel wurde mit Hilfe der vom Radarüberwachungsflugzeug<br />

gefunkten Daten der Weg der Kolonne ermittelt. Inzwischen war<br />

ein Computer auf die Funktion des Videorecorders programmiert<br />

worden, und dieser verfolgte nun den Weg der Kolonne bis zum<br />

Ausgangspunkt zurück. Acht Kampfflugzeuge hielten auf diese<br />

Waldung zu. Das Frisbee traf zuerst ein.<br />

»Ich empfange SAM-Radar, Duke«, sagte Eisly. »Sagen wir, eine<br />

Batterie SA-Sechs und eine Batterie SA-Elf. Der Platz muss ihnen<br />

wichtig sein.«<br />

»Und dazu hundert kleine Scheißer mit tragbaren SAM« fügte<br />

Ellington hinzu. »Wann sollen die Maschinen eintreffen?«<br />

669


»In vier Minuten.«<br />

Zwei SAM-Batterien, dachte Ellington. Übel für unsere Jungs in<br />

den Maschinen. »Räumen wir erst mal ein bißchen auf.«<br />

Eisly isolierte das Such- und Ortungsradar der SA-11. Ellington<br />

flog mit vierhundert Knoten auf die Anlage zu, flog dabei über einer<br />

Straße und blieb unter den Baumwipfeln, bis er auf zwei Meilen<br />

herangekommen war. Eine weitere Sidearm löste sich von der<br />

Tragfläche und fauchte auf den Radarsender zu. Im selben Augenblick<br />

flogen zwei Raketen auf sie an. Duke ging auf Max<strong>im</strong>alschub<br />

und drehte hart nach Osten ab, warf dabei Düppel und Magnesiumbomben.<br />

Eine Rakete griff die Aluminiumstreifen an und<br />

explodierte, ohne Schaden anzurichten. Die zweite erfaßte das<br />

unscharfe Radarecho des Frisbee und wollte nicht lockerlassen.<br />

Ellington riß die Maschine hoch und in eine enge Kurve in der<br />

Hoffnung, die Rakete auszumanövrieren. Aber die SA-11 war zu<br />

schnell, detonierte knapp hinter dem Frisbee. Gleich darauf retteten<br />

sich die beiden Piloten mit dem Schleudersitz aus dem auseinanderbrechenden<br />

Flugzeug; gerade hundert Meter überm Boden öffneten<br />

sich ihre Fallschirme.<br />

Ellington landete am Rand einer kleinen Lichtung, hakte rasch<br />

den Fallschirm ab und aktivierte sein Rettungsfunkgerät, ehe er den<br />

Revolver zog. Dann sah er Eislys Fallschirm von einem Baum<br />

hängen und rannte in diese Richtung.<br />

»Scheiß-Bäume!« rief Eisly. Seine Füße baumelten überm Boden.<br />

Ellington kletterte hoch und schnitt ihn ab. Der Major hatte Blut <strong>im</strong><br />

Gesicht.<br />

Explosionsdonner <strong>im</strong> Norden.<br />

»Sie haben's erwischt!« sagte Ellington.<br />

»Aber wer hat uns erwischt?« stöhnte Eisly. »Verdammt, ich hab<br />

was <strong>im</strong> Rücken.«<br />

»Können Sie laufen, Don?«<br />

»Ja.«<br />

Stendal, DDR<br />

Die Verteilung der Treibstoffreserven auf kleinere Depots hatte die<br />

Nato-Angriffe praktisch auf Null reduziert. Die Sowjets hatten<br />

sich daraufhin fast einen Monat sicher gefühlt. Die Attacken auf<br />

670


Panzerkolonnen und Munitionslager waren ernst, doch für beides<br />

gab es genug Ersatz. Be<strong>im</strong> Treibstoff sah das anders aus.<br />

»Genosse General, die Nato hat das Schema ihrer Luftangriffe<br />

geändert.«<br />

Alexejew wandte den Blick von der Karte. Fünf Minuten später<br />

kam sein Versorgungsoffizier herein.<br />

»Wie schl<strong>im</strong>m ist es?«<br />

»Insgesamt vielleicht zehn Prozent unserer vorgeschobenen Bestände.<br />

Im Sektor Alfeld sogar über dreißig Prozent.«<br />

Dann ging das Telefon: der General, dessen Divisionen in fünf<br />

Stunden Alfeld angreifen sollten.<br />

»Mein Treibstoff ist weg! Zwanzig Kilometer von hier wurde die<br />

Kolonne angegriffen und zerstört.«<br />

»Können Sie mit dem angreifen, was Sie haben?« fragte Alexejew.<br />

»Schon, aber manövrieren können meine Einheiten dann nicht!«<br />

»Sie müssen mit dem Verfügbaren angreifen.«<br />

»Aber -«<br />

»Vier Divisionen sowjetischer Soldaten müssen sterben, wenn sie<br />

nicht von Ihnen ersetzt werden. Der Angriff findet wie geplant<br />

statt!« Alexejew legte auf. Auch Beregowoy war mit dem Treibstoff<br />

knapp dran. Ein Panzer hatte genug <strong>im</strong> Tank, um dreihundert<br />

Kilometer geradeaus zu fahren, doch geradeaus fuhr man so gut wie<br />

nie, und die Besatzungen ließen die Motoren auch befehlswidrig<br />

laufen, wenn die Fahrzeuge stillstanden - die Zeit, die das Anlassen<br />

der Diesel erforderte, konnte <strong>im</strong> Falle eines Luftangriffes den Tod<br />

bedeuten. Beregowoy war gezwungen gewesen, seine Treibstoffreserven<br />

seinen nach Osten vorstoßenden Panzern zu überlassen,<br />

damit diese <strong>im</strong> Zusammenspiel mit den von Westen her Alfeld<br />

angreifenden Dreier-Divisionen operieren konnten. Die beiden Divisionen<br />

am linken Ufer der Weser waren praktisch bewegungsunfähig.<br />

Alexejew setzte bei dieser Offensive auf seine Fähigkeit, die<br />

Versorgungsrouten wieder zu öffnen. Er wies den Versorgungsoffizier<br />

an, mehr Treibstoff heranzuschaffen. Wenn der Angriff Erfolg<br />

haben sollte, würde er noch sehr viel mehr brauchen.<br />

671


Moskau<br />

Der Kontrast war grotesk - in knapp zwei Stunden mit dem Flugzeug<br />

von Stendal nach Moskau, aus dem Krieg in den Frieden<br />

Witali, der Chauffeur seines Vaters, holte ihn vom Militärflughafen<br />

ab und brachte ihn sofort zur Dienst-Datscha des Ministers in den<br />

Birkenwäldern nahe der Hauptstadt. Als er das Wohnz<strong>im</strong>mer betrat,<br />

fand er seinen Vater mit einem Fremden vor.<br />

»Das ist also der berühmte Iwan Michailowitsch Sergetow, Major<br />

der Roten Armee.«<br />

»Verzeihung, Genosse, aber ich glaube nicht, dass wir uns schon<br />

einmal begegnet sind.«<br />

»Wanja, das ist Boris Kosow.«<br />

Der junge Offizier ließ sich nur eine winzige Gefühlsregung<br />

anmerken, als er dem Direktor des KGB vorgestellt wurde. Er<br />

lehnte sich in seinem Sessel zurück und musterte den Mann, der den<br />

Bombenanschlag <strong>im</strong> Kreml befohlen und dafür gesorgt hatte, dass<br />

zum Zeitpunkt der Explosion Kinder anwesend waren. Es war zwei<br />

Uhr früh. Draußen patrouillierten KGB-Truppen und schirmten<br />

das Gehe<strong>im</strong>treffen ab.<br />

»Iwan Michailowitsch«, begann Kosow jovial, »wie schätzen Sie<br />

die Lage an der Front ein?«<br />

Der junge Offizier unterdrückte das Bedürfnis, sich mit einem<br />

Blick bei seinem Vater Rat zu holen. »Erfolg oder Mißerfolg der<br />

Operation hängen in der Schwebe - bitte vergessen Sie nicht, dass<br />

ich nur ein junger Offizier und für eine verläßliche Einschätzung der<br />

Situation nicht qualifiziert bin. Der Nato fehlen die Truppen, aber<br />

sie hat eine jähe Nachschub-Transfusion bekommen.«<br />

»Die rund zwei Wochen reichen wird.«<br />

»Wahrscheinlich weniger«, meinte Sergetow. »An der Front haben<br />

wir gelernt, dass der Nachschub viel rascher als erwartet verbraucht<br />

wird. Treibstoff, Munition, alles scheint sich fast in Luft<br />

aufzulösen. Unsere Kameraden von der Marine müssen also weiter<br />

auf die Geleitzüge einschlagen.«<br />

»Diese Fähigkeit ist nun ernsthaft eingeschränkt«, sagte Kosow.<br />

»Ich rechne nicht damit. Die Wahrheit ist: Unsere Marine ist geschlagen.<br />

Die Rückeroberung Islands durch die Nato steht bevor.<br />

»Davon hat Bucharin kein Wort gesagt!« wandte Sergetow Senior<br />

ein.<br />

672


Er hat uns auch nicht verraten, dass die Langstreckenbomber<br />

Nordflotte so gut wie ausradiert sind. Die Narren meinen, sie<br />

könnten mich hinters Licht führen! Die Amerikaner haben inzwischen<br />

eine ganze Division auf Island gelandet, die von ihrer Flotte<br />

massiv unterstützt wird. Wenn unsere U-Boote diese Konzentration<br />

von Schiffen nicht zerstören können - und solange sie das versuchen,<br />

können sie die Geleitzüge nicht angreifen -, geht Island<br />

binnen einer Woche verloren. Damit fiele unsere Strategie zur<br />

Isolierung Europas flach. Und was wird, wenn die Nato nach<br />

Belieben Nachschub heranschaffen kann?«<br />

Iwan Sergetow rutschte unbehaglich hin und her. Er merkte nun,<br />

worauf das Gespräch hinauslief. »Dann haben wir also unter Umständen<br />

verloren?«<br />

»Unter Umständen?« schnaubte Kosow. »Dann sind wir erledigt.<br />

Dann haben wir gegen die Nato verloren, haben keine neuen<br />

Energiequellen erobert, und unsere Streitkräfte sind nur noch ein<br />

Schatten ihrer selbst. Was soll das Politbüro dann unternehmen?«<br />

»Aber wenn die Offensive bei Alfeld Erfolg hat -« Beide Mitglieder<br />

des Politbüros ignorierten diese Bemerkung.<br />

.»Wie entwickeln sich die Gehe<strong>im</strong>verhandlungen mit den Deutschen<br />

in Indien?« fragte Minister Sergetow.<br />

»Ah, ist Ihnen aufgefallen, wie der Außenminister da beschönigt<br />

hat?« Kosow lächelte sanft. »Die Deutschen sind von ihrer Verhandlungsposition<br />

nicht abgewichen. Bestenfalls war das Angebot<br />

eine Rückversicherung für den Fall des Zusammenbruchs der Nato.<br />

Vielleicht war es auch von Anfang an nur ein Trick. Genau können<br />

wir das nicht sagen.« Der KGB-Chef goß sich ein Glas Mineralwasser<br />

ein. »Das Politbüro tritt in acht Stunden zusammen. Ich werde<br />

der Sitzung nicht beiwohnen; meine Angina pectoris meldet sich<br />

wieder einmal.«<br />

»Also wird Larionow an Ihrer Stelle vortragen?«<br />

»Jawohl.« Kosow grinste. »Armer Josef, er ist jetzt der Gefangene<br />

seiner eigenen Lagebeurteilung und wird berichten, dass nicht<br />

alles nach Plan läuft, aber trotzdem gut klappt. Er wird sagen, die<br />

gegenwärtige Offensive der Nato sei nur ein verzweifelter Versuch,<br />

unseren Vorstoß zu verhindern, und die Verhandlungen mit den<br />

Deutschen seien noch vielversprechend. Genosse Major, ich muss Sie<br />

warnen: Einer seiner Männer ist in Ihrem Stab. Ich kenne zwar seinen<br />

Namen, habe seine Berichte aber nicht zu Gesicht bekom­<br />

673


men. Es waren vermutlich seine Informationen, die zur Ablösung<br />

und Verhaftung des bisherigen OB West führten.«<br />

»Was soll nun aus ihm werden?« fragte der Offizier.<br />

»Das geht Sie nichts an«, erwiderte Kosow kalt. Im Lauf der<br />

vergangenen sechsunddreißig Stunden waren sieben hohe Offiziere<br />

verhaftet worden. Alle saßen jetzt <strong>im</strong> Lefortowo-Gefängnis, und<br />

Kosow hätte nichts an ihrem Schicksal ändern können, selbst wenn<br />

er es gewollt hätte.<br />

»Vater ich muss wissen, wie es mit dem Treibstoff aussieht.«<br />

»Wir sind bei den Min<strong>im</strong>alreserven angelangt - ihr bekommt<br />

Treibstoff für zwei Wochen, die für den Vorstoß an den Persischen<br />

Golf ausersehenen Armeen genug für eine Woche.«<br />

»Sie können also Ihrem Vorgesetzten ausrichten, dass er zwei<br />

Wochen Zeit hat, den Krieg zu gewinnen«, ließ sich Kosow vernehmen.<br />

»Wenn er versagt, rollt sein Kopf, denn Larionow wird der<br />

Armee die Schuld für seine Fehleinschätzung zuschieben. Auch<br />

Ihnen droht dann Gefahr, junger Mann.«<br />

»Wer ist der KGB-Mann in unserem Stab?«<br />

»Der Operationsoffizier. Da sein Führungsoffizier zur Larionow-Fraktion<br />

gehört, weiß ich nicht genau, was er meldet.«<br />

»General Alexejew mißachtet praktisch seinen Befehl, indem er<br />

eine Einheit von der Weser abzieht und zur Unterstützung von<br />

Alfeld nach Osten schickt.«<br />

»Dann ist er bereits in Gefahr, und ich kann ihm auch nicht<br />

helfen.«<br />

»Wanja, du solltest jetzt zurückfahren. Genosse Kosow und ich<br />

haben noch andere Themen zu besprechen.« Sergetow umarmte<br />

seinen Sohn und brachte ihn an die Tür.<br />

»Ich benutze meinen Sohn nur ungern auf diese Weise«, sagte er,<br />

als er wieder bei Kosow saß.<br />

»Wem wollen Sie sonst vertrauen, Michail Eduardowitsch? Das<br />

Vaterland ist von der Vernichtung bedroht, die Parteiführung ist<br />

verrückt geworden, und ich habe das KGB nicht mehr voll in der<br />

Hand. Verstehen Sie doch: Wir haben verloren! Nun müssen wir<br />

retten, was zu retten ist.«<br />

»Noch <strong>im</strong>mer halten wir feindliches Gebiet -«<br />

»Was gestern oder heute war, ist unwesentlich. Wichtig ist, wie<br />

sich die Lage in einer Woche darstellt. Was tut unser Verteidigungsminister,<br />

wenn selbst ihm klar wird, dass wir verloren haben? Was<br />

674


wird, wenn Männer, die sich in einer verzweifelten Lage befinden,<br />

die Verfügungsgewalt über A<strong>tom</strong>waffen haben?«<br />

In der Tat, was dann? dachte Sergetow und fügte zwei Fragen<br />

hinzu: Was soll ich tun? Was sollen wir tun?<br />

Alfeld, BRD<br />

Mackall stellte zu seiner Überraschung fest, dass die Russen nicht<br />

besonders schnell reagierten. In der Nacht hatte es Luftangriffe und<br />

heftigen Artilleriebeschuß gegeben, doch der erwartete Angriff der<br />

Bodentruppen war ausgeblieben; ein entscheidender Fehler der<br />

Russen. Es war Munition eingetroffen, so dass sie zum ersten Mal<br />

seit Wochen voll versorgt waren. Besser noch, eine Brigade deutscher<br />

Panzergrenadiere hatte die dez<strong>im</strong>ierte 1. Panzer-Kavalleriedivision<br />

verstärkt, und auf diese Männer vertraute Mackall ebenso<br />

wie auf die Verbundpanzerung seines M-1. Im Osten und Westen<br />

hatten ihre Kräfte Verteidigungsstellungen in der Tiefe eingenommen.<br />

Vom Norden her vorstoßende gepanzerte Verbände konnten<br />

nun Alfeld mit weitreichenden Geschützen unterstützen. Pioniere<br />

hatten die russischen Brücken über die Leine repariert, und Mackall<br />

war <strong>im</strong> Begriff, mit seinen Panzern nach Osten zu fahren, um die<br />

mechanisierten Truppen, die die Trümmer von Alfeld hielten, zu<br />

verstärken.<br />

Ein seltsames Gefühl, über die sowjetische Pontonbrücke zu<br />

fahren - komisch überhaupt, sich ostwärts zu bewegen! Mackalls<br />

Fahrer steuerte den Panzer nervös mit acht Stundenkilometer über<br />

die schmale, zerbrechlich wirkende Brücke. Drüben fuhren sie in<br />

nördlicher Richtung am Flußufer entlang, umrundeten die Stadt. Es<br />

war neblig, aus tiefhängenden Wolken fiel ein leichter Regen, typisches<br />

mitteleuropäisches Sommerwetter, das die Sichtweite auf<br />

knapp einen Kilometer reduzierte. Soldaten, die den Panzern vorbereitete<br />

Verteidigungsstellungen zuwiesen, empfingen sie. Zur Abwechslung<br />

hatten die Sowjets ihnen einmal geholfen: In ihrem<br />

permanenten Bemühen, die Straßen von Schutt zu befreien, hatten<br />

sie ordentliche, zwei Meter hohe Steinhaufen zurückgelassen, hinter<br />

denen sich Panzer vorzüglich verstecken konnten. Der Lieutenant<br />

stieg ab, um die Positionen seiner vier Panzer zu überprüfen,<br />

und besprach sich dann mit dem Chef der Kompanie Infanterie, die<br />

675


er unterstützen sollte. Am Rand von Alteid hatten sich zwei Bataillone<br />

Infanterie tief eingegraben. Über sich hörte er das Jaulen von<br />

Granaten des neuen Typs, die Minen auf das nebelverhangene<br />

Schlachtfeld vor ihm warfen. Als er auf seinen Panzer kletterte,<br />

änderte sich das Geräusch: Die Geschosse waren <strong>im</strong> Anflug.<br />

Stendal, DDR<br />

»Hat viel zu lange gedauert, sie in Marsch zu setzen«, grollte<br />

Alexejew.<br />

»Immerhin waren es drei Divisionen. Jetzt rollen sie«, erwiderte<br />

sein Operationsoffizier.<br />

»Aber welche Verstärkungen sind eingetroffen?«<br />

Der Offizier hatte Alexejew vor seinem Zangenangriff gewarnt,<br />

aber der General war nicht von seinem Plan abgewichen. Beregowoys<br />

Einser-Einheiten standen nun bereit, um von Westen aus<br />

vorzustoßen, und die drei Divisionen der Kategorie III schlugen von<br />

Osten aus zu. Den Panzerverbänden fehlte die Artillerie - dazu war<br />

der Vormarsch zu hastig gewesen -, aber dreihundert Panzer und<br />

sechshundert Mannschaftstransporter stellten an sich schon eine<br />

nicht zu verachtende Macht dar, dachte der General. Doch wogegen<br />

traten sie an, und wie viele Fahrzeuge waren auf dem Vormarsch<br />

bei Luftangriffen zerstört oder beschädigt worden?<br />

Sergetow erschien.<br />

»Wie war's in Moskau?« fragte Alexejew.<br />

»Finster, Genosse General. Wie verlief der Angriff?«<br />

»Er beginnt gerade eben.«<br />

»So?« Der Major war von den Verzögerungen überrascht und<br />

warf dem Operationsoffizier am Kartentisch einen scharfen Blick<br />

zu.<br />

»Ich habe eine Nachricht vom Oberkommando für Sie, Genosse<br />

General.« Sergetow reichte ihm ein amtlich aussehendes Schreiben.<br />

Alexejew überflog es - und hörte zu lesen auf, verkrampfte kurz die<br />

Finger, ehe er die Selbstbeherrschung zurückgewann.<br />

»Kommen Sie mit in mein Z<strong>im</strong>mer.« Der General sagte kein<br />

Wort, bis sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte. »Sind Sie ganz<br />

sicher?«<br />

»Ich habe es von Direktor Kosow persönlich gehört.«<br />

676


Alexejew saß auf der Schreibtischkante. Er riß ein Streichholz an<br />

und verbrannte das Schreiben, sah zu, wie die Flammen das Papier<br />

verzehrten, bis sie fast seine Finger erreicht hatten.<br />

»Dieser verfluchte Dreckskerl. Stukatsch!« Ein Spitzel bei seinem<br />

Stab! »Was noch?«<br />

Sergetow gab wieder, was er erfahren hatte. Der General schwieg<br />

eine Minute und rechnete den Treibstoffbedarf gegen die Treibstoffreserven<br />

auf.<br />

»Wenn der heutige Angriff mißlingt, haben wir -« Er wandte<br />

sich ab, unfähig, es laut auszusprechen. Habe ich ihnen nicht geraten,<br />

sofort anzugreifen? dachte er verbittert. Habe ich nicht gewarnt,<br />

der strategische Überraschungseffekt ginge verloren, wenn<br />

wir zu lange abwarten? Habe ich nicht die Abriegelung des Atlantiks<br />

verlangt, um der Nato die Nachschubwege abzuschneiden? Na<br />

bitte: Nichts ist erreicht, mein Freund sitzt <strong>im</strong> Gefängnis, und ich<br />

schwebe selbst in Gefahr, weil mir wahrscheinlich nicht gelingt,<br />

was ich von Anfang an für unmöglich gehalten habe.<br />

Der Operationsoffizier schaute herein. »Die Divisionen rollen.«<br />

»Danke, Jewgeni Iljitsch«, antwortete Alexejew liebenswürdig<br />

und erhob sich. »So, Major, jetzt wollen wir mal sehen, wie rasch<br />

wir die Linien der Nato durchstoßen!«<br />

Alfeld, BRD<br />

»Jetzt geht die Post ab«, meinte Woody.<br />

»Sieht so aus«, st<strong>im</strong>mte Mackall zu.<br />

Ihnen war gesagt worden, sie hätten mit zwei oder drei sowjetischen<br />

Reservedivisionen zu rechnen. Die schlechten Sichtverhältnisse<br />

wirkten sich für beide Seiten negativ aus. Die russische Artillerie<br />

hatte Schwierigkeiten bei der Feuerleitung, die Nato-Truppen<br />

bekamen nur min<strong>im</strong>ale Luftunterstützung. Wie üblich waren be<strong>im</strong><br />

einleitenden Bombardement die wie Hagel fallenden Geschosse der<br />

Raketenwerfer am schl<strong>im</strong>msten. Männer fielen, Fahrzeuge explodierten,<br />

aber die Verteidiger waren gut vorbereitet und die Verluste<br />

leicht.<br />

Woody schaltete sein Infrarot-Sichtgerät an, das seine Sichtweite<br />

auf tausend Meter verdoppelte. Links vom Turm saß nervös der<br />

Ladeschütze und hatte den Fuß leicht auf dem Pedal, mit dem er die<br />

677


Klappe des Munitionsbehälters bediente. Der Fahrer in seinem<br />

Raum unter der Kanone trommelte auf den Steuerknüppel.<br />

»Panzer, zwölf Uhr», sagte Woody und drückte ab.<br />

Die leere Karrusche wurde ausgeworfen. Der Ladeschütze trat<br />

aufs Pedal, die Klappe glitt auf, und er zog eine neue Sabot-Granate<br />

heraus, knallte sie in den Verschluß.<br />

»Bereit!«<br />

Woody hatte schon ein neues Ziel gefunden. Er handelte größtenteils<br />

aus eigener Initiative, denn Mackall musste sich um die<br />

gesamte Front des Zuges kümmern. Der Kompaniechef forderte<br />

Artillerieunterstützung an. Direkt hinter der ersten Panzerreihe<br />

sahen sie abgesessene Infanteristen rennen. An dem Angriff nahmen<br />

auch achträdrige Mannschaftstransportwagen teil. Die Bradleys<br />

nahmen sie mit ihren 25-mm Kanonen unter Feuer; sechs<br />

Meter überm Boden explodierten Granaten mit Annäherungszünder<br />

und ließen Splitter auf die Soldaten herabregnen.<br />

Die russischen Panzer, alte T-55 mit überholten l00-mm-Geschützen,<br />

rollten dichter geschlossen als gewöhnlich vor und konzentrierten<br />

sich auf eine schmale Front. Woody schoß drei ab, ehe<br />

sie die Nato-Positionen überhaupt zu sehen bekamen. Eine Granate<br />

landete auf dem Trümmerhaufen vor ihrem Panzer und ließ eine<br />

Wolke von Stahlfragmenten und Steinsplittern auf das Fahrzeug<br />

niedergehen. Den Kommando-Panzer erledigte Woody mit einer<br />

HEAT-Granate. Rauchgranaten begannen zu fallen; sie nutzten<br />

den Russen aber nichts, denn die Sichtgeräte an den Nato-Fahrzeugen<br />

durchdrangen den Nebel. Nun, da die Russen besser sehen<br />

konnten, kamen die amerikanischen Stellungen unter Artilleriebeschuß,<br />

der ein Artillerieduell auslöste, da sich die Geschütze der<br />

Nato auf die russischen Batterien einschossen.<br />

»Panzer mit Antenne! Wuchtmunition!« Der Richtschütze nahm<br />

den T-55 ins Visier, drückte ab und schoß daneben. Der zweite<br />

Schuß sprengte den Turm des feindlichen Kampffahrzeugs in die<br />

Luft. Das Infrarot-Sichtgerät zeigte helle Flecke, Panzerabwehrraketen,<br />

die dem Gegner entgegen jagten, und die fontänengleichen<br />

Explosionen der Fahrzeuge, die sie trafen. Auf einmal machten die<br />

Russen halt. Die meisten Fahrzeuge wurden <strong>im</strong> Stillstand zerstört,<br />

aber einige drehten ab und ergriffen die Flucht.<br />

»Feuer einstellen!« befahl Mackall seinem Zug. »Bitte Meldung.«<br />

678


»Uns ist eine Kette abgerissen worden«, meldete ein Panzer. Die<br />

anderen waren hinter ihren schützenden Steinwällen unversehrt<br />

geblieben.<br />

»Neun Granaten verschossen, Boss«, sagte Woody. Mackall<br />

und der Ladeschütze öffneten die Luken, um dem beißenden Gestank<br />

der Treibladungen aus dem Turm zu lassen. Der Richtschütze<br />

nahm den Lederhelm ab und schüttelte den Kopf. Sein<br />

sandfarbenes Haar starrte vor Dreck. »Wißt ihr, eins fehlt an<br />

diesem Panzer.«<br />

»Was wäre das, Woody?«<br />

»'ne Luke zum Rauspissen.«<br />

Mackall musste lachen. Zum ersten Mal hatten sie den Russen<br />

gestoppt, ohne sich zurückziehen zu müssen. Und wie reagierte die<br />

Besatzung? Mit Witzen!<br />

USS Reuben James<br />

O'Malley startete wieder. Im Augenblick leistete er durchschnittlich<br />

zehn Flugstunden am Tag. Drei Schiffe waren in den letzten vier<br />

Tagen torpediert, zwei von U-Boot-gestützten Raketen getroffen<br />

worden, aber diese Erfolge hatten die Russen teuer bezahlen müssen.<br />

Rund zwanzig U-Boote hatten sie in die isländischen Gewässer<br />

geschickt. Acht waren bei dem Versuch, den aus U-Booten bestehenden<br />

äußeren Verteidigungsring der Flotte zu durchbrechen,<br />

versenkt worden. Weitere waren den mit Schleppsonar ausgerüsteten<br />

Schiffen zum Opfer gefallen, zu deren Hubschraubern inzwischen<br />

noch die Maschinen von HMS Illustrious gestoßen waren.<br />

Einem kühnen russischen Kommandanten war es tatsächlich gelungen,<br />

in eine der Trägergruppen einzudringen und America mit<br />

einem Torpedo eins auf den dicken Pelz zu brennen. Aber sofort<br />

war er von dem Zerstörer Caron versenkt worden. Der Träger<br />

schaffte nun nur noch fünfundzwanzig Knoten, gerade genug für<br />

Flugoperationen, blieb aber <strong>im</strong> Einsatz.<br />

Die aus Reuben James, Battleaxe und Illustrious bestehende<br />

»Mike Force« eskortierte eine Gruppe von Landungsschiffen zur<br />

Küste. Noch war die Gefahr nicht gebannt, noch konnte der Russe<br />

die Landungsschiffe angreifen. Aus tausend Fuß Höhe konnte<br />

O'Malley die Nassau und drei andere Schiffe <strong>im</strong> Norden sehen.<br />

Von Keflavik stieg Rauch auf. Man ließ den russischen Truppen dort<br />

keine Ruhe.<br />

679


»Wird ihnen nicht leichtfallen, uns zu erfassen«, dachte Ralston<br />

laut.<br />

»Haben die russischen Truppen Funkgeräte?- fragte O'Malley.<br />

»Sicher,"<br />

»Und wenn sie auf diesen Bergen sitzen und ihre Beobachtungen<br />

an ein U-Boot weitermelden?«<br />

»An diese Möglichkeit hatte ich nicht gedacht«, räumte der<br />

Ensign ein.<br />

»Macht nichts. Der Iwan hat sie nicht vergessen.« O'Malley<br />

schaute wieder nach Norden. Auf diesen Schiffen waren dreitausend<br />

Marines. Und Marineinfanteristen hatten ihm in Vietnam mehr als<br />

einmal das Leben gerettet.<br />

Reuben James und O'Malley schützten die dem Land zugewandte<br />

Seite des kleinen Konvois, die Briten und ihre Hubschrauber gaben<br />

von See her Deckung. Da das Wasser verhältnismäßig seicht war,<br />

mussten sie das Schleppsonar einziehen.<br />

»Willy, Boje abwerfen!« Die erste aktive Sonoboje stürzte ins<br />

Wasser, <strong>im</strong> Lauf der nächsten fünf Minuten von fünf weiteren<br />

gefolgt. Mit den passiven, <strong>im</strong> freien Ozean verwandten Bojen war<br />

hier nicht viel anzufangen; besser, die Russen zu verjagen, als<br />

Finessen anzuwenden.<br />

Noch drei Stunden.<br />

»Hammer, hier Romeo!« rief Morris. »Bravo und India haben<br />

seewärts einen möglichen Kontakt, Distanz neunundzwanzig Meilen,<br />

Richtung zwei-vier-sieben.«<br />

»Roger, Romeo«, bestätigte O'Malley. Zu Ralston sagte er dann:<br />

»Verdammt, die Marines sind in Reichweite seiner Raketen.«<br />

»Kontakt! Boje Vier hat möglichen Kontakt«, sagte Willy und<br />

behielt das Sonar-Display <strong>im</strong> Auge. »Signal schwach.«<br />

O'Malley zog seinen Hubschrauber herum und flog zurück.<br />

Keflavik, Island<br />

»Wo sie wohl sind?« fragte Andrejew den Verbindungsoffizier der<br />

Marine. Die Position der Flotte war aufgrund der Meldungen von<br />

Beobachtungsposten auf der Karte eingetragen worden.<br />

680


Der Mann hob die Schultern. »Auf der Suche nach Zielen.«<br />

General Andrejew hatte seine Divisionen so aufgestellt, dass sie<br />

die Amerikaner so lange wie möglich vom Gebiet Reykjavik-Keflavik<br />

fernhielten. Sein ursprünglicher Befehl, die Nato an der Benutzung<br />

des Luftstützpunktes Keflavik zu hindern, galt noch, und ihn<br />

konnte er auch ausführen, wenngleich um den Preis der Aufreibung<br />

seiner Truppen. Sein Problem war, dass Reykjavik dem Feind<br />

ebenso nützlich sein würde. Eine leichte Division war nicht genug,<br />

um beide Anlagen zu halten.<br />

Wenn die Landungsschiffe erst einmal auf ihren Positionen waren,<br />

konnte sie <strong>im</strong> Schutz der relativen Dunkelheit die bereits gelandeten<br />

Truppen verstärken. Wie sollte er dieser Bedrohung entgegentreten?<br />

Seine Radaranlagen waren zerstört, er hatte nur noch<br />

einen SAM-Starter übrig, und die Schlachtschiffe hatten den Großteil<br />

seiner Artillerie systematisch zerschlagen.<br />

»Wie viele U-Boote haben wir da draußen?«<br />

»Kann ich nicht sagen, Genosse General.«<br />

Morris betrachtete das Sonar-Display. Der von der Sonarboje erfaßte<br />

Kontakt war nach einigen Minuten verklungen - es konnte<br />

auch ein Schwärm Heringe gewesen sein. Sein eigenes Sonar war<br />

praktisch nutzlos, da die Reuben James nur mühsam mit den Landungsschiffen<br />

Schritt hielt. Ein mögliches U-Boot seewärts - jeder<br />

U-Kontakt konnte ein mit Cruise Missiles bestücktes Boot sein ­<br />

war ein ausreichender Grund, auf Höchstfahrt zu gehen.<br />

Nun tauchte O'Malley sein Sonar ein und versuchte, den verlorenen<br />

Kontakt wieder zu erfassen.<br />

»Romeo, hier Bravo. Wir spüren einem unter Umständen mit<br />

Raketen bewaffneten U-Boot nach." Doug Perrin musste mit dem<br />

Schl<strong>im</strong>msten rechnen.<br />

»Roger, Bravo.« Laut Display unterstützten drei Hubschrauber<br />

die Battleaxe, die sich zwischen den Kontakt und die Landungsschiffe<br />

gesetzt hatte.<br />

»Kontakt!« rief Willy. »Aktivsonar-Kontakt in drei-null-drei, Distanz<br />

zweitausenddreihundert.«<br />

681


O'Malley brauchte gar nicht erst aufs taktische Display zu<br />

schauen. Das U-Boot befand sich eindeutig zwischen ihm und den<br />

Landungsschiffen.<br />

»Dom hoch!« Der Hubschrauber verharrte <strong>im</strong> Schwebeflug, bis<br />

der Sonarwandler eingeholt worden war. Nun war der Kontakt<br />

alarmiert. Das machte die Aufgabe schwerer. »Romeo, hier Hammer.<br />

Wir haben einen möglichen Kontakt.«<br />

»Roger, verstanden.« Morris warf einen Blick aufs Display und<br />

ließ die Fregatte mit voller Kraft auf den Punkt zulaufen. Keine sehr<br />

elegante Taktik, doch er musste auf den Kontakt losgehen, ehe die<br />

Landungsschiffe in Gefahr gerieten. »Signalisieren Sie Nassau, dass<br />

wir einen möglichen Kontakt haben.«<br />

»Dom ab!« befahl O'Malley. »Auf vierhundert absenken und peilen!«<br />

Sobald die richtige Tiefe erreicht war, aktivierte Willy das Sonar.<br />

Der Wandler schwebte so dicht überm Grund, dass fast zwanzig<br />

Felsnadeln sichtbar wurden. Eine rasche Tide bewirkte, dass Strömungsgeräusche<br />

an den Felsen zu Fehlanzeigen auf dem Passiv-<br />

Display führten.<br />

»Nichts und wieder nichts, Sir.«<br />

»Ich kann den Kerl spüren, Willy. Als wir das letzte Mal peilten,<br />

war er best<strong>im</strong>mt auf Periskoptiefe und tauchte dann ab.«<br />

»Sir, da bewegt sich was.«<br />

O'Malley bat Morris über Funk um Feuererlaubnis. Ralston<br />

stellte eine kreisförmige Suchbahn ein und ließ den Torpedo dann<br />

ins Meer stürzen. Der Pilot stellte das Sonar-Signal auf Kopfhörer<br />

um, hörte das Heulen der Schrauben des Torpedos, dann das<br />

Hochfrequenzsignal des Sonar-Suchkopfes. Der Torpedo kreiste<br />

fünf Minuten lang, schaltete dann auf kontinuierliches Peilen um ­<br />

und explodierte.<br />

»Die Detonation klang komisch, Sir«, meinte Willy.<br />

»Hammer, hier Romeo - bitte Meldung.«<br />

»Romeo, hier Hammer. Ich glaube, wir haben gerade einen<br />

Felsen versenkt.« O'Malley machte eine Pause. »Romeo, da ist ein<br />

U-Boot, aber ich kann noch nichts beweisen.«<br />

»Wie kommen Sie darauf, Hammer?«<br />

»Weil das hier ein vorzügliches Versteck ist, Romeo.«<br />

»Einverstanden.« Morris hatte gelernt, O'Malleys Instinkt zu<br />

682


vertrauen. Er setzte sich mit der Nassau in Verbindung. »November,<br />

hier Romeo, wir haben einen möglichen Kontakt und empfehlen,<br />

dass Sie sich nach Norden absetzen, während wir ihn verfolgen.«<br />

»Negativ, Romeo. India befaßt sich mit einem wahrscheinlichen<br />

Kontakt, der sich wie ein Raketen-U-Boot verhält. Wir halten mit<br />

Höchstfahrt auf unser Angriffsziel zu. Sehen Sie zu, dass Sie ihn<br />

erwischen, Romeo.«<br />

»Roger, out.« Morris legte den Hörer des Funktelefons auf.<br />

»Fahren wir weiter auf den Bezugspunkt zu.«<br />

»Ist es nicht gefährlich, einem U-Boot-Kontakt so einfach hinterherzujagen?«<br />

fragte Calloway. »Haben Sie denn nicht Ihren Hubschrauber,<br />

der Ihnen so etwas auf Distanz hält?«<br />

»Sie lernen rasch, Mr. Calloway. Jawohl, gefährlich ist es, aber<br />

die Sicherheit der Landungsschiffe geht vor.«<br />

Beide Turbinen der Fregatte liefen mit Höchstdrehzahl, ihr messerscharfer<br />

Bug durchschnitt mit über dreißig Knoten das Wasser.<br />

Die Drehkraft der einen Schraube gab dem Schiff vier Grad Schlagseite<br />

nach Backbord, als es auf den Kontakt zuraste.<br />

»Jetzt wird's unangenehm.« O'Malley konnte den Kreuzmast der<br />

Fregatte nun deutlich überm Horizont sehen. »Was gibt's, Willy?«<br />

»Eine Menge Grundechos, Sir. Sieht aus wie eine Stadt da unten.<br />

Aller möglicher Kram ragt hoch. Wirbel, Strudel, Strömungen. Die<br />

Sonarbedingungen sind beschissen, Sir!«<br />

»Auf Passivmodus gehen.« Der Pilot betätigte einen Schalter und<br />

hörte mit. Willy hatte recht - zu viel Strömungsgeräusch.<br />

»Romeo, hier Hammer. Können Sie dafür sorgen, dass sich die<br />

Landungsschiffe von hier fernhalten? Over.«<br />

»Negativ, Hammer. Die fliehen schon vor einem wahrscheinlichen<br />

Kontakt seewärts.«<br />

»Ist ja toll!« grollte O'Malley über die Bordsprechanlage. »Dom<br />

hoch, Willy.« Eine Minute später flogen sie nach Westen.<br />

»Dieser U-Boot-Fahrer hat Mumm«, meinte der Pilot. »Und<br />

Grips -« O'Malley rief die Reuben James. » Romeo, hier Hammer.<br />

Bringen Sie Novembers Kurs auf Ihr taktisches Display und übertragen<br />

Sie zu mir.«<br />

Das nahm eine Minute in Anspruch. O'Malley dankte dem Ingenieur,<br />

der diese Einrichtung in den taktischen Computer des Sea­<br />

683


hawk eingebaut harte. Der Pilot zog eine <strong>im</strong>aginäre Linie von ihrem<br />

Kontakt zum Kurs der Nassau. Nehmen wir einmal an, dass das U-<br />

Boot zwanzig bis fünfundzwanzig Knoten fährt. .. Der Pilot wies<br />

mit dem Zeigefinger auf den Bildschirm.<br />

»Da ist der Kerl!«<br />

»Woher wissen Sie das?« fragte Ralston.<br />

»Weil ich an seiner Stelle auch dort wäre! Willy, be<strong>im</strong> nächsten<br />

Eintauchen halten Sie den Dom in genau hundert Fuß Tiefe.«<br />

O'Malley kreiste über der bezeichneten Stelle und ging in den<br />

Schwebeflug.<br />

»Dom ab, Willy, nur passive Suche.«<br />

»Hundert Fuß. Ich horche, Skipper.« Sekunden zogen sich zu<br />

Minuten hin, während der Pilot den Hubschrauber stationär hielt.<br />

»Möglicher Kontakt in eins-sechs-zwei.«<br />

»Auf Aktivmodus gehen?« fragte Ralston.<br />

»Nein, noch nicht.«<br />

»Kontakt wandert langsam aus, nun in eins-fünf-neun.«<br />

»Romeo, hier Hammer. Haben einen möglichen U-Boot-Kontakt.«<br />

Die Daten wurden vom Bordhubschrauber des Seahawk zur<br />

Reuben James übertragen. Morris ließ den Kurs ändern und fuhr<br />

auf den Kontakt zu. O'Malley holte den Dom ein, warf zur Markierung<br />

der Stelle eine Sonoboje ab und wechselte die Position. Die<br />

Fregatte war nun vier Meilen von seinem Hubschrauber entfernt.<br />

»Dom ab!« Wieder eine Minute Warten.<br />

»Kontakt in eins-neun-sieben. Boje Sechs hat Kontakt in einsvier-zwei.«<br />

»Hab ich dich! Dom hoch!«<br />

Ralston bediente das Angriffssystem, O'Malley flog nach Süden,<br />

um sich direkt hinter das Ziel zu setzen. Der Kopilot stellte den<br />

letzten Torpedo auf eine Suchtiefe von zweihundert Fuß und<br />

Schlangenkurs ein.<br />

»Dom ab!«<br />

»Kontakt in zwei-neun-acht!«<br />

»Aktivpeilung!«<br />

Willy schaltete das Aktivsonar an. »Eindeutiger Kontakt in zweineun-acht,<br />

Distanz sechshundert.«<br />

»Eingestellt!« sagte Ralston sofort, und O'Malley drückte auf<br />

den roten Abwurfknopf. Der grüne Torpedo fiel ins Wasser.<br />

Und nichts geschah.<br />

684


»Skipper, Torpedo ist ein Blindgänger.«<br />

Zum Fluchen war keine Zeit. »Romeo, hier Hammer. Haben<br />

gerade auf einen passiven Kontakt abgeworfen, aber der Torpedo<br />

funktionierte nicht.«<br />

Morris krampfte die Finger um den Hörer des Funktelefons und<br />

befahl eine Kursänderung. »Hammer, können Sie das Ziel weiter<br />

verfolgen?«<br />

»Ja. Ziel fährt schnell auf Kurs zwei-zwei-null - Moment, dreht<br />

nach Norden ab. Scheint jetzt Fahrt zu verlangsamen.«<br />

Die Reuben James war nun sechstausend Yard vom U-Boot<br />

entfernt. Die beiden Wasserfahrzeuge liefen aufeinander zu, jedes <strong>im</strong><br />

Feuerbereich des anderen.<br />

»Volle Kraft zurück!« Binnen Sekunden vibrierte das ganze Schiff,<br />

als die Turbinen ihre volle Leistung abgaben. Nach einer Minute war<br />

das Tempo der Fregatte auf fünf Knoten gefallen, also knapp<br />

Steuerfahrt. »Prairie/Masker?«<br />

»In Betrieb, Sir«, bestätigte der Schiffskontrolloffizier.<br />

Calloway hatte sich stumm <strong>im</strong> Hintergrund gehalten, aber das<br />

war nun zuviel. »Sir, sind wir jetzt eine leichte Beute?«<br />

»Allerdings.« Morris nickte. »Aber wir können rascher verzögern<br />

als er. Inzwischen sollte sein Sonar wieder arbeiten - und wir sind zu<br />

leise, um von ihm gehört zu werden. Die Sonarbedingungen sind für<br />

alle ungünstig. Ein Glücksspiel ist es aber schon«, gestand der<br />

Kommandant zu. Dann forderte er über Funk einen weiteren Hubschrauber<br />

an. Illustrious versprach, ihm innerhalb von fünfzehn<br />

Minuten einen zur Verfügung zu stellen.<br />

Morris beobachtete O'Malleys Hubschrauber auf dem Radarschirm.<br />

Das russische U-Boot hatte die Fahrt verlangsamt und war<br />

abgetaucht.<br />

»Vampire, Vampire!« rief der Radartechniker. »Zwei Raketen in<br />

der Luft.«<br />

»Bravo meldet, ihr Hubschrauber hat gerade einen Torpedo auf<br />

ein Raketen-U-Boot abgeworfen!«<br />

»Jetzt wird's kompliziert«, merkte Morris kühl an. »Waffen frei.«<br />

»Bravo hat eine Rakete abgeschossen, Sir! Die andere fliegt auf<br />

India zu!«<br />

Morris konzentrierte sich aufs Hauptdisplay. Ein Symbol wanderte<br />

rasch auf HMS Illustrious zu.<br />

685


»Vampir als SSN-I9 evaluiert. Bravo evaluiert ihren Kontakt als<br />

Oscar, meldet einen Treffer, Sir.« Vier Hubschrauber umschwärmten<br />

nun den Kontakt.<br />

»Romeo, hier Hammer. Der Kerl sitzt genau unter uns - ist<br />

gerade auf Gegenkurs gegangen.-«<br />

»Sonar, Yankee-Suche eins-eins-drei!« Morris griff zum Funktelefon.<br />

»November, drehen Sie jetzt nach Norden ab«, wies er die<br />

Nassau an.<br />

»India ist eingetroffen, Sir. Moment... Indias Helikopter meldet<br />

einen weiteren Abwurf auf den Kontakt.«<br />

Illustrious Muss nun selbst auf sich aufpassen, dachte Morris.<br />

»Sonarkontakt in eins-eins-acht, Distanz fünfzehnhundert.« Die<br />

Daten gingen in den Feuerleitcomputer.<br />

»Feuer!« Morris machte eine kurze Pause. »Brücke: AK voraus!<br />

Kurs null-eins-null.«<br />

An der Steuerbordseite der Fregatte wurde ein Drillingsrohr<br />

ausgeschwenkt, das einen Torpedo ausstieß. Unter Deck lauschten<br />

die Ingenieure dem Lauf der Turbinen, die von Leerlauf auf Vollast<br />

gingen. Das Heck der Fregatte tauchte tiefer ein, als die Schraube<br />

das Wasser aufschäumen ließ. Die starken Turbinen verliehen dem<br />

Schiff eine Beschleunigung, die fast an ein Auto erinnerte.<br />

»Romeo, hier Hammer. Achtung, das Ziel hat gerade einen<br />

Torpedo auf Sie abgefeuert!«<br />

»Nixie?« fragte Morris. Das Schiff lief so schnell, dass sein eigenes<br />

Sonar nicht funktionierte.<br />

»Eine <strong>im</strong> Wasser, eine zweite klar zum Abwerfen, Sir«, antwortete<br />

ein Maat.<br />

»Das war's dann wohl.« Morris griff nach einer Zigarette,<br />

schaute sie an und warf dann die ganze Packung in den Papierkorb.<br />

»Romeo, hier Hammer. Kontakt hat Antriebssystem Typ Zwei.<br />

Evaluiert als Victor-Klasse. Läuft nun mit voller Kraft, dreht nach<br />

Norden ab. Ihr Torpedo peilt das Ziel an. Den Fisch, den es auf Sie<br />

abgeschossen hat, habe ich verloren.«<br />

»Roger. Bleiben Sie dran.«<br />

»Der Kerl hat die Ruhe weg!« sagte O'Malley in die Bordsprechanlage.<br />

Von HMS Illustrious konnte er Rauch aufsteigen sehen.<br />

»Skipper, Torpedo peilt nun kontinuierlich, scheint aufs Ziel<br />

zuzuhalten. Rumpfknistern, das U-Boot taucht auf.«<br />

686


O'Malley sah Turbulenz <strong>im</strong> Wasser. Plötzlich brach der gewölbte<br />

Bug des Victor durch die Oberfläche. Das U-Boot hatte bei<br />

dem Versuch, dem Torpedo auszuweichen, die Tiefenkontrolle<br />

verloren. Gleich darauf erfolgte die erste Sprengkopfexplosion, die<br />

O'Malley je zu Gesicht bekommen hatte. Das U-Boot glitt zurück in<br />

die Tiefe, als dreißig Meter von der Stelle, an der der Bug erschienen<br />

war, eine Wassersäule aufstieg.<br />

»Romeo, hier Hammer. Das war ein Treffer! Ich hab den Kerl<br />

sogar gesehen!«<br />

Commander Perrin war fassungslos. Das Oscar hatte inzwischen<br />

drei Torpedotreffer eingesteckt, brach aber noch <strong>im</strong>mer nicht auseinander.<br />

Doch seine Maschinen waren verstummt, und er hatte<br />

es mit Aktiv-Sonar erfaßt. Battleaxe hielt mit fünfzehn Knoten auf<br />

die Stelle zu, als aus zahllosen Luftblasen an der Oberfläche ein<br />

schwarzer Schemen auftauchte. Der Commander rannte auf die<br />

Brücke und richtete sein Fernglas auf das russische Boot. Es war nur<br />

eine knappe Meile entfernt. Auf seinem Turm erschien ein Mann<br />

und winkte heftig.<br />

Der Rumpf des Oscar wies an der Oberseite zwei mächtige Risse<br />

auf, und leckgeschlagene Ballasttanks gaben dem Boot dreißig<br />

Grad Schlagseite. Männer kletterten hastig auf den Turm und aus<br />

der vorderen Luke.<br />

»Bravo, hier Romeo. Haben gerade ein Victor versenkt. Bitte<br />

informieren Sie uns über Ihre Situation. Over.«<br />

Perrin griff zum Hörer. »Romeo, wir haben ein beschädigtes<br />

Oscar an der Oberfläche, das von der Besatzung aufgegeben wird.<br />

Das Boot feuerte zwei Raketen ab. Unsere Sea Wolf schalteten eine<br />

aus, die andere traf den Bug der India. Bereiten Rettungsaktion vor.<br />

Richten Sie November aus, sie könne ihre Spazierfahrt fortsetzen.<br />

Over.«<br />

»Gut gemacht, Bravo! Out.« Er schaltete auf einen anderen<br />

Kanal um. »November, hier Romeo. Haben Sie Bravos letzten<br />

Spruch mitgehört? Over.«<br />

»Affirmativ, Romeo. Sehen wir zu, dass dieser Verein festen<br />

Boden unter die Füße bekommt.«<br />

General Andrejew nahm die Meldung vom Beobachtungsposten<br />

selbst entgegen und gab erst dann seinem Operationsoffizier den<br />

687


Hörer. Die amerikanischen Landungsschiffe waren nun noch fünf<br />

Kilometer von dem Leuchtturm bei Akranes entfernt. Er vermutete<br />

dass sie zu der verlassenen Walfängerstation <strong>im</strong> Hvalfjördur fuhren,<br />

um dort ihre Chance abzuwarten.<br />

»Wir werden bis zum letzten Blutstropfen kämpfen«, tönte der<br />

KGB-Oberst, »und ihnen zeigen, woraus der sowjetische Soldat<br />

gemacht ist!»<br />

»Ihr Kampfgeist ist bewundernswert, Genosse Oberst«, meinte<br />

Andrejew, ging in eine Ecke und nahm ein Gewehr. »Hier, das<br />

dürfen Sie mit an die Front nehmen.«<br />

»Aber -«<br />

»Leutnant Gasparenko, besorgen Sie dem Oberst einen Fahrer.<br />

Er will an die Front, um den Amerikanern zu zeigen, wie sowjetische<br />

Soldaten kämpfen.« Andrejew empfand gr<strong>im</strong>mige Befriedigung.<br />

Nun konnte der Tschekist keinen Rückzieher machen. Als<br />

der Mann gegangen war, ließ Andrejew den Fernmeldeoffizier der<br />

Division kommen. Alle weitreichenden Sender bis auf zwei waren<br />

zu zerstören. Noch konnte er nicht kapitulieren, vorher hatten seine<br />

Soldaten eine Rechnung zu bezahlen, in Blut. Doch er wusste, dass<br />

der Augenblick, in dem weiterer Widerstand nutzlos war, kommen<br />

würde.<br />

Alfeld, BRD<br />

Für eine Weile herrschte Ruhe. Bei der zweiten Attacke hätten die<br />

Russen es fast geschafft, dachte Mackall. Ihre Panzer waren mit<br />

Höchstgeschwindigkeit bis auf fünfzig Meter an die amerikanischen<br />

Stellungen herangefahren und hatten mit ihren alten Geschützen<br />

die Hälfte der Panzer der Kompanie zerstört. Doch dieser<br />

Angriff war kurz vorm Erfolg zusammengebrochen, und der dritte,<br />

eine halbherzige, von erschöpften Männern vorgetragene Sache,<br />

hatte bei Einbruch der Dunkelheit die Todeszone noch nicht einmal<br />

erreicht. Von Westen her dröhnte Geschützdonner: Nun wurden<br />

die Deutschen westlich der Stadt angegriffen.<br />

688


Stendal DDR<br />

"General Beregowoy meldet einen schweren Gegenangriff aus dem<br />

Norden - Stoßrichtung Alfeld.«<br />

Alexejew nahm die Nachricht gleichmütig auf. Er hatte alles<br />

riskiert und verloren. Was nun?<br />

Im Kartenz<strong>im</strong>mer war es totenstill. Der General stand neben<br />

seinem Operationsoffizier.<br />

»Jewgeni Iljitsch, ich bitte um Ihre Vorschläge.«<br />

Der Mann zuckte die Achseln. »Wir müssen weitermachen. Unsere<br />

Männer sind erschöpft, aber die des Gegners ebenfalls.«<br />

»Wie werfen unerfahrene Truppen kampfgehärteten Veteranen<br />

entgegen. Das muss anders werden. Wir werden Offiziere und Unteroffiziere<br />

von Einheiten der Kategorie I abziehen und mit ihnen<br />

die gerade eintreffenden Dreier-Verbände verstärken. Die Reihen<br />

dieser Reservisten müssen mit kampferfahrenen Soldaten durchsetzt<br />

werden. Anschließend stellen wir die Offensivoperationen<br />

vorübergehend ein -«<br />

»Genosse General, wenn wir das tun -«<br />

»Wir sind stark genug für einen letzten Vorstoß. Zeit und Ort<br />

dieses Schlages best<strong>im</strong>me ich, und es wird eine perfekt vorbereitete<br />

Attacke sein. Beregowoy werde ich empfehlen, sich abzusetzen ­<br />

diesen Befehl kann ich nicht über Funk geben. Jewgeni Iljitsch, Sie<br />

fliegen heute abend zu Beregowoys Hauptquartier und stehen ihm<br />

zur Seite.» Auf diese Weise schaffte er sich den KGB-Spitzel vom<br />

Hals. Nachdem der Mann sich entfernt hatte, nahm Alexejew<br />

Sergetow mit in sein Büro.<br />

»Sie fahren zurück nach Moskau.«<br />

689


Brüssel<br />

42<br />

Die Lösung des Konflikts<br />

»Erstaunlich, was zwei Fünfer bewirken -«<br />

»Wie bitte, Herr General?« fragte der für den Nachrichtendienst<br />

verantwortliche Bundeswehrgeneral. Der SACEUR schüttelte nur<br />

den Kopf und schaute zur Abwechslung einmal zuversichtlich auf<br />

die Karte. Alfeld gehalten; den Deutschen war zwar westlich davon<br />

mörderisch zugesetzt worden, aber ihre Front hatte nur nachgegeben,<br />

zusammengebrochen war sie nicht. Nun war zu ihrer Verstärkung<br />

eine Panzerbrigade unterwegs. Die frisch eingetroffene Panzerdivision<br />

drang nach Süden vor, um eine russische Division von<br />

jenen an der Weser abzuschneiden. Die am weitesten vorgedrungenen<br />

sowjetischen Divisionen hatten alle ihre Boden-Luft-Raketen<br />

verschossen und wurden von der Nato mit entschlossener Regelmäßigkeit<br />

aus der Luft angegriffen.<br />

Die Luftaufklärung stellte das offene Gelände östlich von Alfeld<br />

als einen Friedhof von ausgebrannten Tanks dar. Auch in diese<br />

Richtung waren Verstärkungen unterwegs. Mit den Russen musste<br />

zwar bald wieder gerechnet werden, aber der H<strong>im</strong>mel war frei. Nun<br />

kam die volle Macht der Nato-Luftwaffen ins Spiel.<br />

»Joach<strong>im</strong>, ich glaube, wir haben sie zum Stehen gebracht.«<br />

»Jawohl, Herr General! Und jetzt treiben wir sie zurück!«<br />

Moskau<br />

»Vater, General Alexejew hat mir aufgetragen, dir auszurichten,<br />

dass es uns seiner Ansicht nach unmöglich ist, die Nato zu schlagen.«<br />

Major Sergetow nahm <strong>im</strong> Z<strong>im</strong>mer des Ministers Platz. »Die<br />

strategische Überraschung ist uns mißlungen. Wir haben die Luftmacht<br />

der Nato unterschätzt und ihr den Nachschub nicht abschneiden<br />

können. Wäre diese letzte Gegenoffensive nicht gewe­<br />

690


sen, hätte es vielleicht klappen können. Doch wir haben noch eine<br />

Chance. Der General setzt die Offensivoperationen aus, um einen<br />

letzten Angriff vorzubereiten. Und dazu -«<br />

»Ich dachte, alles sei verloren?«<br />

»Wenn wir die Nato so weit schwächen, dass sie zu einer großen<br />

Gegenoffensive nicht <strong>im</strong>stande ist, können wir die eroberten Gebiete<br />

halten und damit euch - das Politbüro - in die Lage versetzen,<br />

aus einer Position der Stärke zu verhandeln. Sicher ist auch diese<br />

Option nicht, aber der General hält sie für die beste. Er bittet dich,<br />

dem Politbüro die Notwendigkeit einer raschen diplomatischen<br />

Lösung zu unterbreiten, ehe die Nato sich so weit erholt, dass sie zur<br />

Offensive übergehen kann.«<br />

Der Minister nickte, drehte sich um und schaute aus dem Fenster.<br />

»Vorher wird man Alexejew verhaften«, meinte er schließlich. »Du<br />

weißt wohl, was aus den anderen Festgenommenen geworden ist.«<br />

Sein Sohn begriff nicht sofort.<br />

»Das kann doch nicht wahr sein!«<br />

»Gestern abend wurden alle sieben hingerichtet, einschließlich<br />

des früheren OB West.«<br />

»Aber er war doch ein tüchtiger Offizier -«<br />

»Er hatte keinen Erfolg, Wanja«, sagte Sergetow leise. »Der Staat<br />

toleriert keine Fehlschläge, und ich habe mich um deinetwillen mit<br />

Alexejew verbündet.« Seine St<strong>im</strong>me verklang. Nun bleibt mir keine<br />

andere Wahl, dachte er. Ich muss mit Kosow zusammenarbeiten,<br />

ungeachtet der Tatsache, dass er ein Verbrecher ist, ungeachtet aller<br />

Konsequenzen. Und ich muss dein Leben aufs Spiel setzen, Wanja.<br />

»Witali bringt dich zur Datscha. Dort ziehst du dir Zivilkleider an<br />

und wartest auf mich. Verlasse das Haus nicht, niemand darf dich<br />

sehen.«<br />

»Du wirst doch best<strong>im</strong>mt überwacht.«<br />

»Aber sicher.« Sein Vater lächelte kurz. »Von zwei KGB-Offizieren<br />

aus Kosows persönlichem Stab.«<br />

»Und wenn er dich zum Narren hält?«<br />

»Dann bin ich ein toter Mann, Wanja, und du ebenfalls. Vergib<br />

mir, ich hätte so etwas nie für möglich gehalten. Du hast mich in<br />

den letzten Wochen sehr stolz gemacht.« Er erhob sich und umarmte<br />

seinen Sohn. »Geh jetzt, und vertraue mir.«<br />

Als sein Sohn gegangen war, rief Sergetow die KGB-Zentrale an.<br />

Direktor Kosow war nicht <strong>im</strong> Hause; der Minister ließ ausrichten,<br />

691


die von Kosow angeforderten Daten über die Ölförderung <strong>im</strong> Persischen<br />

Golf lägen nun vor.<br />

Das Treffen, um das der Minister mir dem Codesatz gebeten<br />

hatte, fand bald nach Sonnenuntergang statt. Um Mitternacht saß<br />

Iwan Michailowitsch wieder in einer Maschine nach Deutschland.<br />

Stendal, DDR<br />

„Ihre Methode, sich des Verräters zu entledigen, fand Direktor<br />

Kosows Beifall. Ihn zu töten, meinte er, selbst bei einem vorgetäuschten<br />

Unfall, hätte Verdacht geweckt. Nun aber, da er sicher hinter den<br />

feindlichen Linien ist, wird er keinen Argwohn erwecken.«<br />

»Richten Sie dem Dreckskerl meinen Dank aus, wenn Sie ihn<br />

sehen.«<br />

»Ihr Freund wurde vor sechsunddreißig Stunden erschossen«,<br />

fuhr Sergetow fort. Der General zuckte zusammen.<br />

»Der frühere OB West, Marschall Schawyrin, Roschkow und<br />

andere wurden erschossen.«<br />

»Und dieses Schwein Kosow gratuliert mir - «<br />

»Er sagt, er härte es nicht verhindern können, und spricht Ihnen<br />

sein Beileid aus.«<br />

Aha, das Beileid des Komitees für Staatssicherheit, dachte Alexejew.<br />

Warte nur, Genosse Kosow, wenn die Zeit reif ist. . .<br />

»Ich bin natürlich als nächster dran.«<br />

»Ihr Vorschlag, mich erst einmal bei meinem Vater vorfühlen zu<br />

lassen, war gut. Er und Kosow sind nämlich der Meinung, dass Sie<br />

sofort verhaftet würden, wenn Sie STAWKA Ihre Pläne unterbreiteten.<br />

Das Politbüro hält nach wie vor einen Sieg für möglich. Wenn<br />

es diese Überzeugung verliert, ist alles denkbar.«<br />

Alexejew wusste genau, was damit gemeint war. »Weiter.«<br />

»Ihre Idee, den anrückenden Dreier-Divisionen erfahrene Soldaten<br />

beizugeben, ist vernünftig - das Muss jedem einleuchten. Eine<br />

Reihe solcher Divisionen radeln täglich durch Moskau.«<br />

Sergetow hielt inne, um dem General Zeit für eigene Rückschlüsse<br />

zu geben.<br />

Alexejew schien am ganzen Leib zu erbeben. »Wanja, das ist<br />

Hochverrat.«<br />

692


»Es geht um die Existenz des Vaterlandes -«<br />

»Verwechseln Sie Ihre eigene Haut nicht mit dem Vaterland! Sie<br />

sind Soldat, Iwan Michailowitsch. Genau wie ich. Wir sind entbehrlich<br />

-<br />

»Für die politische Führung?« höhnte Sergetow. »Ihr Respekt<br />

vor der Partei kommt reichlich spät. Genosse General."<br />

»Ich hatte gehofft. Ihr Vater könnte das Politbüro zu einer gemäßigteren<br />

Handlungsweise überreden. Einen Aufstand wollte ich<br />

nicht anzetteln.«<br />

»Die Zeit für Mäßigung ist längst vorbei«, sagte Sergetow.<br />

»Mein Vater sprach sich mit anderen gegen den Krieg aus-vergeblich.<br />

Wenn Sie nun eine diplomatische Lösung vorschlagen, werden<br />

Sie verhaftet und erschossen - erstens wegen Versagens, zweitens<br />

für die Unverfrorenheit, der Parteihierarchie die Politik diktieren zu<br />

wollen. Und wer träte an Ihre Stelle, was wäre das Ergebnis? Mein<br />

Vater befürchtet, das Politbüro könne zu einer nuklearen Lösung<br />

des Konflikts neigen. Genosse General, die Partei und die Revolution<br />

sind verraten worden. Wenn wir sie nicht retten, sind wir beide<br />

verloren. Mein Vater sagt, Sie müßten sich entscheiden, wem Sie<br />

wie dienen.«<br />

»Und wenn ich die falsche Entscheidung treffe?«<br />

»Dann müssen wir alle sterben, und Sie haben nichts gerettet.«<br />

Er hat in allen Punkten recht, dachte der General. Die Revolution<br />

ist verraten worden. Man hat die Idee der Partei verraten, aber -<br />

»Sie versuchen, mich zu manipulieren. Ich bin doch kein Kind!<br />

Ihr Vater sagte Ihnen best<strong>im</strong>mt, ich nähme nur teil, wenn Sie mich<br />

überzeugen können, dass die Sache idealistisch und« - Alexejew<br />

hielt inne, suchte nach dem richtigen Wort- »und rechtmäßig ist.«<br />

»Mein Vater sagte, Sie seien <strong>im</strong> Sinne des wissenschaftlichen<br />

Marxismus konditioniert. Ihr Leben lang hat man Ihnen eingeredet,<br />

die Armee habe der Partei zu dienen und sei der Hüter des<br />

Staates. Ich soll Sie erinnern, dass Sie ein Mann der Partei sind. Es sei<br />

an der Zeit, dass das Volk die Kontrolle über die Partei zurückgewinnt.«<br />

»Ah, und deshalb steckt er mit dem Direktor des KGB unter einer<br />

Decke!«<br />

»Sollen wir uns lieber bärtige Popen der orthodoxen Kirche oder<br />

jüdische Dissidenten aus dem Gulag holen, damit die Reinheit der<br />

Revolution garantiert ist? Wir müssen mit dem kämpfen, was uns<br />

693


zur Verfügung steht.« Es war für Sergetow ein starkes Stück, so zu<br />

einem Mann zu sprechen, unter dessen Befehl er <strong>im</strong> Feuer gelegen<br />

hatte, aber er wusste, dass sein Vater recht hatte. Zwe<strong>im</strong>al in einem<br />

halben Jahrhundert hatte die Partei die Streitkräfte nach ihrem<br />

Willen radikal umgebildet. Trotz ihres Stolzes und ihrer Macht<br />

hatten die Generäle der Sowjetunion den rebellischen Instinkt eines<br />

Schoßhündchens. Doch ist die Entscheidung erst einmal gefallen,<br />

hatte sein Vater gesagt... »Das Vaterland ruft um Hilfe. Es muss<br />

gerettet werden, Genosse General.«<br />

»Reden Sie mir nicht von der rodina! Ich bin kein Bonapartist!«<br />

Er erinnerte sich an den tausendfach wiederholten Spruch: »Die<br />

Partei ist die Seele des Volkes.«<br />

»Denken Sie an die Kinder von Pskow!«<br />

»Dafür war das KGB verantwortlich!«<br />

»Wem geben Sie die Schuld - dem Schwert oder der Hand, die es<br />

führt?« forderte Sergetow.<br />

Alexejew schwankte. »Ein Staatsstreich ist keine Kleinigkeit,<br />

Iwan Michailowitsch.«<br />

»Genosse General, ist es Ihre Pflicht, Befehle auszuführen, die<br />

zwangsläufig die Vernichtung des Staates herbeiführen müssen?<br />

Wir wollen den Staat nicht zerschlagen, sondern wiederaufbauen«,<br />

fügte Sergetow milde hinzu.<br />

»Es wird uns wahrscheinlich nicht gelingen.« Alexejew weidete<br />

sich auf masochistische Art an seinem Pess<strong>im</strong>ismus. Er setzte sich<br />

an seinen Schreibtisch. »Aber wenn ich schon sterben muss, dann<br />

wie ein Soldat.« Der General nahm einen Block und formulierte<br />

einen Plan, der den Erfolg garantierte und sicherstellte, dass er vor<br />

seinem Tod noch eine Tat vollbringen konnte.<br />

Höhe 914 Island<br />

Dort oben saß eine Elitetruppe, das wusste Colonel Lowe. Fast die<br />

gesamte Artillerie der Division beschoß den Hügel, von den unablässigen<br />

Luftangriffen und dem Feuer der Fünfzöller auf den<br />

Schlachtschiffen ganz zu schweigen. Er sah zu, wie seine Männer<br />

unter dem Feuer der verbliebenen Russen den steilen Hang erklommen.<br />

Die Schlachtschiffe lagen dicht vor der Küste und schössen<br />

Granaten mit Annäherungszünder, die rund fünf Meter überm<br />

694


Boden explodierten und Splitter über den Hügel fetzen ließen. Die<br />

schweren Geschütze der Marine wühlten die Kuppe auf. Alle vier<br />

Minuten stellte die Artillerie das Feuer ein, um den Flugzeugen<br />

Gelegenheit zu geben, mit Napalm- und Streubomben herabzustoßen.<br />

Doch die Russen wehrten sich weiter.<br />

»Hubschrauber los!« befahl Lowe.<br />

Zehn Minuten später hörte er Rotoren; fünfzehn Helikopter<br />

flogen an seinem Befehlsstand vorbei nach Osten, umrundeten die<br />

Rückseite des Hügels. Sein Feuerleitoffizier ließ den Beschüß kurz<br />

einstellen, als zwei Kompanien am südlichen Fuß des Hügels abgesetzt<br />

wurden. Die Männer, unterstützt von Cobra-Kampfhubschraubern,<br />

gingen <strong>im</strong> Laufschritt gegen die russischen Stellungen<br />

auf der Nordseite der Anhöhe vor.<br />

Der russische Kommandeur war verwundet worden, und sein<br />

Stellvertreter erkannte zu spät, dass er den Feind <strong>im</strong> Rücken hatte.<br />

Aus seiner hoffnungslosen Lage wurde eine verzweifelte. Die Nachricht<br />

verbreitete sich nur langsam. Viele russische Funkgeräte waren<br />

zerstört worden. Manche Soldaten erfuhren also nichts und mussten<br />

in ihren Schützenlöchern sterben. Doch das waren die Ausnahmen.<br />

Die meisten hörten, dass das Feuer schwächer wurde, und sahen<br />

erhobene Hände. Beschämt und erleichtert zugleich entluden sie ihre<br />

Waffen und warteten auf die Gefangennahme. Der Kampf um den<br />

Hügel hatte vier Stunden gedauert.<br />

»Höhe 914 antwortet nicht, Genosse General«, sagte der Fernmeldeoffizier.<br />

»Es ist hoffnungslos«, murmelte Andrejew. Seine Artillerie, seine<br />

SAM waren zerstört. Man hatte ihm befohlen, die Insel nur wenige<br />

Wochen lang zu halten, hatte ihm Verstärkung von See her versprochen<br />

und gesagt, der Krieg in Europa würde nur zwei, höchstens vier<br />

Wochen dauern. Nun hatte er viel länger ausgehalten. Eines seiner<br />

Reg<strong>im</strong>enter war nördlich von Reykjavik vernichtet worden, und<br />

jetzt hatten die Amerikaner Höhe 914 eingenommen; von dort aus<br />

konnten sie die Hauptstadt überblicken. Von seinen Soldaten waren<br />

zweitausend tot oder vermißt, tausend verwundet. Es war genug.<br />

»Versuchen Sie, über Funk Verbindung mit dem amerikanischen<br />

Kommandeur aufzunehmen. Sagen Sie, ich schlüge einen Waffenstillstand<br />

vor und sei bereit, mich an einem Ort seiner Wahl mit ihm<br />

zu treffen.«<br />

695


USS Nassau<br />

»Sie sind also Beagle?«<br />

»Jawohl, General.« Edwards versuchte, sich trotz des Gipsbeins<br />

<strong>im</strong> Bett aufzusetzen. Das Lazarett des Landungsschiffs war voller<br />

Verwundeter.<br />

»Und das muss Miss Vigdis sein. Man hat mir erzählt, wie hübsch<br />

Sie sind. Ich habe eine Tochter in Ihrem Alter.«<br />

Sanitäter hatten ihr Kleider besorgt, die einigermaßen paßten.<br />

Ein Arzt hatte sie untersucht und bestätigt, dass ihre Schwangerschaft<br />

weiter normal verlief.<br />

»Ich habe Michael mein Leben zu verdanken.«<br />

»Das hat man mir berichtet. Haben Sie noch irgendwelche Wünsche?«<br />

Sie schaute auf Edwards hinab, und damit war die Frage beantwortet.<br />

»Für einen Wetterfrosch haben Sie sich prächtig gehalten, Lieutenant.«<br />

»Wir haben uns ja nur versteckt, Sir.«<br />

»Nein, Sie haben uns gemeldet, was der Iwan auf dieser Insel<br />

hatte und wo er saß... nun, wenigstens, wo er nicht saß. Sie haben<br />

uns sehr geholfen.« Der General nahm ein Etui aus der Tasche.<br />

»Gut gemacht, Marine!«<br />

»Sir, ich gehöre zur Air Force.«<br />

»So? Nun, hier steht, dass Sie bei der Marineinfanterie sind.« Der<br />

General steckte ein Navy Cross ans Kopfkissen. Ein Major kam auf<br />

den General zu und reichte ihm eine Meldung. Der General steckte<br />

den Bogen ein und schaute versonnen an der langen Reihe der<br />

Betten entlang.<br />

»Wurde auch Zeit«, hauchte er. »Miss Vigdis, würden Sie sich<br />

bitte um diesen Mann kümmern?«<br />

Swerdlowsk, UdSSR<br />

Noch zwei Tage, dann ging es an die Front. Die 77. Mot-Schützendivision<br />

war eine Einheit der Kategorie III, setzte sich aus Reservisten<br />

in den Dreißigern zusammen und verfügte über ein gutes<br />

Drittel der normalen Ausrüstung. Seit der Mobilmachung war<br />

696


unablässig geübt worden; ältere Männer hatten ihre militärischen<br />

Erfahrungen an die frisch eingezogenen Wehrpflichtigen weitergegeben.<br />

Es war eine seltsame Kombination. Die Neuankömmlinge<br />

waren körperlich fit, aber in militärischen Dingen unerfahren. Die<br />

älteren Männer hatten noch manches aus ihrer Wehrdienstzeit<br />

behalten, waren aber <strong>im</strong> Lauf der Jahre weich geworden. Die<br />

jungen Männer waren mit dem Eifer der Jugend bereit, ihr Land bis<br />

zum Letzten auf dem Schlachtfeld zu verteidigen; die Familienväter<br />

hatten mehr zu verlieren. Dann kam die Nachricht: Es ging nach<br />

Deutschland. In Moskau sollten kampferprobte Offiziere und Unteroffiziere<br />

zu ihnen stoßen. Eine Woche noch, dann sollte die<br />

77. Mot-Schützendivision <strong>im</strong> Gefecht eingesetzt werden. An diesem<br />

Abend war es still <strong>im</strong> Lager. Männer standen vor den ungeheizten<br />

Kasernenblocks und schauten auf die Nadelwälder an den<br />

Osthängen des Urals.<br />

Moskau<br />

»Warum greifen wir nicht an?« forderte der Generalsekretär.<br />

»General Alexejew hat mir mitgeteilt, dass er eine Großoffensive<br />

vorbereitet«, erwiderte Bucharin.<br />

»Richten Sie dem Genossen Alexejew aus«, fuhr der Verteidigungsminister<br />

dazwischen, »dass uns an Taten gelegen ist, nicht an<br />

Worten.«<br />

»Genossen«, sagte Sergetow, »aus meiner Militärzeit weiß ich<br />

noch, dass man erst angreifen soll, wenn man mit Männern und<br />

Waffen entscheidend in der Überzahl ist. Alexejews Angriff ist zum<br />

Scheitern verurteilt, wenn er überhastet erfolgt. Geben wir dem<br />

Mann Zeit.«<br />

»Sind Sie auf einmal Verteidigungsexperte?« höhnte der Verteidigungsminister.<br />

»Wenn Sie auf Ihrem eigenen Gebiet so beschlagen<br />

wären, säßen wir jetzt nicht in der Klemme.«<br />

»Genosse Minister, Ihre Einschätzung des Treibstoffverbrauchs<br />

an der Front war viel zu opt<strong>im</strong>istisch. Sie rechneten mit einem<br />

Feldzug von zwei, höchstens vier Wochen, nicht wahr?« Sergetow<br />

schaute in die Runde. »Sachkenntnis dieses Kalibers hat uns in die<br />

Katastrophe geführt!«<br />

»Wir werden den Westen besiegen!«<br />

697


»Genossen!« Kosow betrat den Raum. »Entschuldigen Sie meine<br />

Verspätung, aber ich habe erfahren, dass unsere Streitkräfte auf<br />

Island kapitulieren. Als Gründe führt der kommandierende General<br />

Verluste in Höhe von dreißig Prozent und eine hoffnungslose<br />

taktische Situation an.«<br />

»Lassen Sie ihn sofort verhaften!« brüllte der Verteidigungsminister.<br />

»Und die Familie des Verräters auch!«<br />

»Das Verhaften unserer eigenen Leute scheint dem Genossen<br />

Verteidigungsminister viel leichter von der Hand zu gehen als das<br />

Schlagen unserer Feinde«, merkte Sergetow trocken an.<br />

»Sie junger Schnösel!« Der Verteidigungsminister wurde blaß<br />

vor Zorn.<br />

»Ich will nicht behaupten, dass wir geschlagen sind, aber gesiegt<br />

haben wir eindeutig nicht. Es ist an der Zeit, dass wir eine politische<br />

Lösung suchen.«<br />

»Wir könnten die Vorschläge der deutschen Bundesregierung<br />

akzeptieren«, meinte der Außenminister hoffnungsvoll.<br />

»Das ist leider nicht möglich«, erwiderte Kosow. »Ich habe<br />

Grund zu der Annahme, dass sie nur eine deutsche maskirowka<br />

waren.«<br />

»Ihr Stellvertreter sagte aber erst gestern -«<br />

»Ich sagte ihm und Ihnen, dass ich meine Zweifel habe. Le Monde<br />

meldet heute, die Deutschen hätten das sowjetische Angebot, nach<br />

dem Krieg eine politische Lösung auszuhandeln, abgelehnt. Zeit<br />

und Ort des Treffens wurden korrekt wiedergegeben - die Informationen<br />

können also nur aus offiziellen deutschen Quellen kommen.<br />

Für mich steht fest, dass das Ganze von Anfang an nur den Zweck<br />

hatte, unser strategisches Denken zu beeinflussen. Man gibt uns<br />

einen Wink, Genossen: Der Gegner ist bereit, den Krieg bis zum<br />

bitteren Ende zu führen.«<br />

»Marschall Bucharin, wie stark ist die Nato?« fragte der Generalsekretär.<br />

»Sie hat massive Verluste an Menschen und Material erlitten.<br />

Ihre Armeen sind erschöpft. Das muss so sein, denn sonst hätte sie<br />

schon einen starken Gegenangriff geführt.«<br />

»Es bedarf also nur noch einer letzten Offensive«, sagte der<br />

Verteidigungsminister und suchte am Kopfende des Tisches Unterstützung.<br />

»Mag sein, dass Alexejew recht hat. Wir müssen ihre<br />

Linien mit einem wohlvorbereiteten Schlag zertrümmern.«<br />

698


Jetzt greift er nach fremden Strohhalmen, dachte Sergetow.<br />

»Der Verteidigungsminister wird dies erörtern«, erklärte der<br />

Generalsekretär.<br />

»Nein!« wandte Sergetow ein. »Dies ist nun eine politische<br />

Frage, die das gesamte Politbüro angeht. Über das Schicksal des<br />

Landes dürfen nicht nur fünf Männer entscheiden!«<br />

»Einwände stehen Ihnen nicht zu, Michail Eduardowitsch. Sie<br />

sind an diesem Tisch nicht st<strong>im</strong>mberechtigt.« Sergetow war wie vor<br />

den Kopf geschlagen, denn diese Worte kamen von Kosow.<br />

»Vielleicht sollte man ihm dieses Recht geben«, meinte Bromkowski.<br />

»Keine Frage, über die jetzt entschieden werden sollte«, verkündete<br />

der Generalsekretär.<br />

Sergetow schaute in die Runde am Eichentisch. Jetzt brachte<br />

niemand den Mut auf, offen seine Meinung zu sagen. Beinahe hätte<br />

er das Gleichgewicht der Macht <strong>im</strong> Politbüro verändert, doch bis<br />

sich die stärkere Fraktion herauskristallisiert hatte, galten die alten<br />

Regeln. Die Runde wurde vertagt. Die Mitglieder gingen bis auf die<br />

fünf Männer des Verteidigungsrates und Bucharin hinaus.<br />

Draußen blieb der Kandidat stehen, suchte nach Verbündeten.<br />

Seine Kollegen gingen einer nach dem anderen an ihm vorbei.<br />

Mehrere schauten ihm in die Augen, sahen dann aber weg.<br />

Dann sprach ihn der Landwirtschaftsminister an. »Michail Eduardowitsch,<br />

wie sieht es mit dem Treibstoff für die Lebensmittelverteilung<br />

aus?«<br />

»Wie ist die Versorgungslage?«<br />

»Besser als Sie glauben. Wir haben die privaten Anbauflächen in<br />

der ganzen russischen SSR verdreifacht.«<br />

»Was?«<br />

»Ja, die alten Leute auf den Kolchosen bauen viel Gemüse an ­<br />

zumindest genug fürs erste. Nur die Verteilung ist noch problematisch.«<br />

»Davon hat mir kein Mensch etwas gesagt.« Ist das eine positive<br />

Entwicklung? fragte sich Sergetow.<br />

»Wissen Sie, wie oft ich das vorgeschlagen habe? Nein, natürlich<br />

nicht, Sie waren <strong>im</strong> letzten Juli ja noch nicht hier. Seit Jahren<br />

predige ich, mit dieser Maßnahme ließen sich viele Probleme lösen<br />

- und endlich hört man auf mich! Lebensmittel haben wir genug,<br />

Michail Eduardowitsch - ich hoffe nur, dass wir auch die Bevölke­<br />

699


ung haben werden, sie zu essen. Ich brauche Treibstoff, um Lebensmittel<br />

in die Städte zu transportieren. Bekomme ich ihn?«<br />

»Ich will sehen, was ich machen kann, Filip Moisejewitsch.«<br />

»Gut gesprochen, Genosse. Hoffentlich hört man auf Sie.«<br />

»Danke.«<br />

»Geht es Ihrem Sohn gut?«<br />

»Als ich zuletzt von ihm hörte, war alles in Ordnung.«<br />

»Es beschämt mich, dass mein Sohn nicht dabei ist.« Der Landwirtschaftsminister<br />

machte eine Pause. »Wir müssen - nun, dafür<br />

haben wir jetzt keine Zeit. Schicken Sie mir die Treibstoffdaten so<br />

rasch wie möglich.«<br />

Ein Bekehrter? Oder ein Agent provocateur?<br />

Stendal, DDR<br />

Alexejew hielt die Nachricht in der Hand: Er wurde sofort zu<br />

Beratungen nach Moskau befohlen. War das sein Todesurteil? Der<br />

General ließ seinen Stellvertreter rufen.<br />

»Nichts Neues. Einige Vorausangriffe bei Hamburg und anscheinend<br />

Vorbereitungen für eine Attacke nördlich von Hannover, aber<br />

damit werden wir schon fertig.«<br />

»Ich muss nach Moskau.« Alexejew sah die Besorgnis <strong>im</strong> Gesicht<br />

des Mannes. »Keine Sorge, ich bin noch nicht lange genug auf<br />

diesem Posten, um in Gefahr zu sein. In spätestens vierundzwanzig<br />

Stunden bin ich wieder da. Richten Sie Major Sergetow aus, er soll<br />

meine Kartentasche holen und sich in zehn Minuten draußen mit<br />

mir treffen.«<br />

Im Wagen reichte Alexejew seinem Adjutanten mit einem ironischen<br />

Seitenblick den Befehl.<br />

»Was hat das zu bedeuten?«<br />

»In ein paar Stunden wissen wir Bescheid, Wanja.«<br />

Moskau<br />

»Die sind ja wahnsinnig!«<br />

»Sie sollten Ihre Worte sorgfältiger wählen, Boris Georgijewitsch«,<br />

sagte Sergetow. »Was hat die Nato jetzt angestellt?«<br />

700


Der KGB-Chef schüttelte überrascht den Kopf. »Ich sprach vom<br />

Verteidigungsrat, Sie Grünschnabel.«<br />

»Der Grünschnabel ist, wie Sie bereits betont haben, <strong>im</strong> Politbüro<br />

nicht st<strong>im</strong>mberechtigt.« Sergetow hegte die schwache Hoffnung,<br />

dass sich das Politbüro noch zur Vernunft bringen ließ.<br />

»Michail Eduardowitsch, ich habe mich bis zu diesem Punkt sehr<br />

bemüht, Sie zu schützen. Hoffenlich muss ich das nicht bereuen.<br />

Wenn es Ihnen gelungen wäre, eine offene Abst<strong>im</strong>mung zu erzwingen,<br />

hätten Sie verloren und Ihr Leben verspielt. Man hat mich<br />

gebeten« - Kosow legte eine Pause ein und grinste wieder einmal -,<br />

»man hat mich ersucht, die Entscheidung des Politbüros mit Ihnen<br />

zu besprechen, und hofft, dass Sie sie mittragen. Sie sind doppelt<br />

verrückt geworden«, sagte Kosow. »Erstens möchte der Verteidigungsminister<br />

ein paar kleine taktische Kernsprengköpfe einsetzen.<br />

Zweitens hofft er auf Ihre Unterstützung, Michail Eduardowitsch.<br />

Wieder einmal soll es eine maskiroiwka geben: In der DDR soll ein<br />

kleiner Sprengkopf zur Detonation gebracht werden, und wir<br />

schlagen dann zurück. Doch es könnte schl<strong>im</strong>mer sein. Man hat<br />

Alexejew nach Moskau bestellt, um seine Meinung über den Plan<br />

und seine Durchführungsmöglichkeiten zu hören. Er sollte jetzt<br />

unterwegs sein.«<br />

»Diesem Wahnsinn st<strong>im</strong>mt das Politbüro niemals zu. Haben Sie<br />

diese Narren über die wahrscheinliche Reaktion der Nato aufgeklärt?«<br />

»Selbstverständlich. Bei der Nato wird eine solche Konfusion<br />

herrschen, dass sie erst einmal überhaupt nicht reagiert, sagte ich.«<br />

»Sie haben Sie auch noch ermuntert?« fragte Sergetow.<br />

»Vergessen Sie bitte nicht, dass man Larionows Auffassung der<br />

meinen vorzieht.«<br />

»Die st<strong>im</strong>mberechtigten Mitglieder des Politbüros -«<br />

»Werden den Verteidigungsrat unterstützen. Denken Sie doch<br />

einmal nach. Bromkowski wird sich dagegen aussprechen, und der<br />

Landwirtschaftsminister auch, obwohl ich das bezweifle. Damit ist<br />

die Opposition auf den alten Petja reduziert. Ein guter alter Mann,<br />

auf den aber kaum noch jemand hört.«<br />

»Da mache ich niemals mit!«<br />

»Sie müssen aber. Und auch Alexejew muss zust<strong>im</strong>men.« Kosow<br />

stand auf und schaute aus dem Fenster. »Keine Angst, es werden<br />

keine Kernwaffen eingesetzt. Dafür habe ich bereits gesorgt.«<br />

701


»Was meinen Sie damit?«<br />

»Sie wissen doch sicherlich, wer in diesem Land die Kernwaffen<br />

kontrolliert?«<br />

»Natürlich, die Strategischen Raketenstreitkräfte, das Heer «<br />

»Verzeihung, ich habe die Frage ungeschickt formuliert. Gewiß,<br />

die kontrollieren die Raketen, aber die Sprengköpfe sind <strong>im</strong> Gewahrsam<br />

meiner Leute, und in dieser Abteilung des KGB hat Larionows<br />

Fraktion nichts zu sagen. Nur aus diesem Grund müssen Sie<br />

mitspielen.«<br />

»Gut. Dann müssen wir Alexejew warnen.«<br />

»Aber mit Vorsicht. Es scheint noch niemandem aufgefallen zu<br />

sein, dass Ihr Sohn mehrere Male in Moskau war, aber wenn Sie mit<br />

Alexejew gesehen werden, ehe er vor dem Verteidigungsrat erscheint<br />

-«<br />

»Ja, das verstehe ich.« Sergetow dachte kurz nach. »Kann Witali<br />

sie vielleicht vom Flughafen abholen und ihnen Bescheid sagen?«<br />

»Prächtig! Aus Ihnen mache ich noch einen Tschekisten!«<br />

Der Fahrer des Ministers wurde gerufen und bekam einen Zettel<br />

für Alexejew. Der Mann verschwand sofort und fuhr mit dem Sil<br />

des Ministers zum Flughafen. Eine Kolonne gepanzerter Mannschaftstransporter<br />

hielt ihn auf. Vierzig Minuten später fiel ihm<br />

auf, dass der Zeiger der Kraftstoffanzeige nach links kroch. Seltsam,<br />

er hatte den Wagen erst am Vortag aufgetankt - Mitglieder des<br />

Politbüros kannten natürlich keine Versorgungsengpässe. Aber das<br />

Instrument zeigte weniger und weniger an. Dann blieb der Motor<br />

stehen. Witali hielt sieben Kilometer vorm Flughafen und öffnete<br />

die Motorhaube, prüfte Keilriemen und Kontakte. Alles schien in<br />

Ordnung zu sein. Kurz darauf erkannte er, dass die Lichtmaschine<br />

ausgefallen war. Er ging ans Autotelefon. Die Batterie war entladen.<br />

Ein Wagen für Alexejew, zur Verfügung gestellt vom Kommandeur<br />

des Militärbezirks Moskau, fuhr am Flughafen vor, und der General<br />

und sein Adjutant stiegen ein. Was Alexejew anging, war der<br />

gefährlichste Augenblick des Fluges das Aussteigen. Er rechnete<br />

damit, von KGB-Truppen erwartet zu werden.<br />

Auf der Fahrt blieben Alexejew und Major Sergetow stumm;<br />

unterhalten hatten sie sich in dem lärmenden Flugzeug, wo Abhörgeräte<br />

keine Chance hatten. Alexejew fielen die leeren Straßen, die<br />

702


wenigen Lastwagen auf - die meisten waren inzwischen an der<br />

Front - und die inzwischen kürzeren Käuferschlangen vor den<br />

Lebensmittelläden. Ein Land <strong>im</strong> Krieg, dachte er.<br />

Bald rollte der Wagen durchs Kremltor. Vorm Gebäude des<br />

Ministerrats riß ein Feldwebel den Schlag auf und grüßte zackig.<br />

Alexejew erwiderte den Gruß und ging zur Tür, wo ein weiterer<br />

Feldwebel stand. Der General schritt kerzengerade und militärisch,<br />

blickte streng. Seine polierten Stiefel glänzten, und in seinen Augen<br />

spiegelten sich die Deckenlampen der Empfangshalle. Er verschmähte<br />

den Aufzug und nahm die Treppe zum Konferenzraum.<br />

Dabei fiel ihm auf, dass das Gebäude seit dem Bombenanschlag<br />

renoviert worden war.<br />

Ein Hauptmann der Tamanischen Garde, einer in Alabino bei<br />

Moskau stationierten zeremoniellen Einheit, empfing oben den<br />

General und führte ihn durch die Doppeltür des Konferenzz<strong>im</strong>mers.<br />

Sergetow musste draußen warten, als Alexejew mit der Schildmütze<br />

unterm Arm eintrat.<br />

»Genossen: Generaloberst P. L. Alexejew wie befohlen zur<br />

Stelle!«<br />

»Willkommen in Moskau, Genosse General«, sagte der Verteidigungsminister.<br />

»Wie ist die Lage in Deutschland?«<br />

»Beide Seiten sind erschöpft, aber es wird weitergekämpft. Gegenwärtig<br />

herrscht eine Pattsituation. Uns stehen mehr Truppen<br />

und Waffen zur Verfügung, doch wir leiden unter kritischer Treibstoffknappheit.«<br />

»Können Sie siegen?« fragte der Generalsekretär.<br />

»Jawohl! Wenn ich einige Tage zum Neuorganisieren meiner<br />

Kräfte und der eintreffenden Reserveeinheiten bekomme, läßt sich<br />

die Front der Nato wahrscheinlich aufreißen.«<br />

»Wahrscheinlich? Nicht mit Sicherheit?« fragte der Verteidigungsminister.<br />

»Sicher ist <strong>im</strong> Krieg nichts«, erwiderte der General schlicht.<br />

»Diese Erfahrung haben wir auch schon gemacht«, bemerkte der<br />

Außenminister trocken. »Warum haben wir eigentlich noch nicht<br />

gewonnen?«<br />

»Genossen, das taktische und strategische Überraschungselement<br />

haben wir von Anfang an nicht erzielt. Wäre das gelungen,<br />

hätten wir vermutlich innerhalb von zwei oder drei Wochen Erfolg<br />

gehabt.«<br />

703


»Was brauchen Sie jetzt für den Erfolg?«<br />

»Genosse Verteidigungsminister, ich brauche die Unterstützung<br />

des Volkes, der Partei und ein wenig Zeit.«<br />

»Sie weichen der Frage aus!« meinte Marschall Bucharin.<br />

»Be<strong>im</strong> ersten Sturmangriff wurde uns der Einsatz chemischer<br />

Waffen verboten. Dieser hätte uns einen entscheidenden Vorteil<br />

verschafft -«<br />

»Der politische Preis schien zu hoch«, meinte der Außenminister<br />

defensiv.<br />

»Könnten Sie diese Waffen jetzt gewinnbringend einsetzen?«<br />

fragte der Generalsekretär.<br />

»Wohl kaum. Hauptziele hätten ganz zu Anfang die Gerätedepots<br />

sein sollen. Diese sind inzwischen fast alle leer. Und ihr Einsatz<br />

an der Front stellt auch keine vernünftige Option mehr dar. Den<br />

nun eintreffenden Einheiten der Kategorie III fehlt die Ausrüstung<br />

für den wirkungsvollen Einsatz in chemisch verseuchter Umgebung.«<br />

»Ich wiederhole meine Frage«, beharrte der Verteidigungsminister.<br />

»Was brauchen Sie für einen sicheren Sieg?«<br />

»Um einen entscheidenden Durchbruch zu erzielen, müssen wir<br />

ein Loch in die Nato-Linien reißen, das mindestens dreißig Kilometer<br />

breit und zwanzig Kilometer tief ist. Hierzu brauche ich zehn<br />

Divisionen - und mehrere Tage zu ihrer Vorbereitung.«<br />

»Wie wäre es mit taktischen Kernwaffen?« Alexejew verzog<br />

keine Miene und dachte: Sind Sie von allen guten Geistern verlassen,<br />

Genosse Generalsekretär?<br />

»Das Risiko ist zu hoch.« Die Untertreibung des Tages.<br />

»Und wenn es uns gelingen sollte, einen Vergeltungsschlag der<br />

Nato mit politischen Mitteln zu verhindern?« fragte der Verteidigungsminister.<br />

»Ich weiß nicht, wie das zu bewerkstelligen wäre.«<br />

»Und wenn es uns doch gelingen sollte?«<br />

»Dann sähen unsere Chancen merklich besser aus.« Alexejew<br />

legte eine Pause ein. Sie wollen also tatsächlich, dass an der Front<br />

Kernwaffen eingesetzt werden. Und was, wenn die Nato Gleiches<br />

mit Gleichem vergilt? Bleibt es dann bei einem Schlagabtausch,<br />

oder kommt es zur Eskalation? Wenn ich ihnen jetzt sage, dass sie<br />

nicht bei Trost sind, suchen sie sich einen anderen willfährigen<br />

General. »Das Problem, Genossen, ist die Kontrolle.«<br />

704


»Bitte erläutern Sie das näher.«<br />

Alexejew drückte sich vorsichtig aus, vermischte Wahrheiten mit<br />

Lügen und Mutmaßungen. Heuchelei fiel ihm nicht leicht, aber dies<br />

war wenigstens ein Thema, das er schon seit Jahren mit seinen<br />

Kollegen diskutiert hatte. »Genosse Generalsekretär, Kernwaffen<br />

sind vor allem politische Waffen, die von der politischen Führung<br />

kontrolliert werden, auf beiden Seiten. Damit ist ihr Nutzen auf<br />

dem Schlachtfeld eingeschränkt. Die Entscheidung, Kernwaffen in<br />

einem taktischen Kontext einzusetzen, muss von dieser Führung<br />

getroffen werden. Bis die Genehmigung erteilt ist, hat sich die<br />

taktische Situation mit Sicherheit geändert, und die Waffe hat ihren<br />

Nutzwert verloren. Dies scheint man bei der Nato nie begriffen zu<br />

haben. Wegen des langwierigen Entscheidungsprozesses ist es<br />

wahrscheinlicher, dass nicht taktische Waffen <strong>im</strong> Feld eingesetzt<br />

werden, sondern strategische gegen strategische Ziele.«<br />

»Das widerspräche der Doktrin der Nato«, wandte der Verteidigungsminister<br />

ein.<br />

»Als wir die Durchbrüche bei Alfeld und Rühle erzielten, wurden<br />

unsere Brückenköpfe nicht mit A<strong>tom</strong>waffen angegriffen, obwohl<br />

dies in Vorkriegsstudien der Nato empfohlen worden war. Es folgt<br />

der Schluß, dass die Gleichung mehr Variablen enthält, als wir<br />

vermuteten. Immerhin haben wir selbst gelernt, dass <strong>im</strong> Krieg die<br />

Realität von der Theorie abweichen kann.«<br />

»Sie unterstützen also unsere Entscheidung, taktische Kernwaffen<br />

einzusetzen?« fragte der Außenminister.<br />

Die Lüge kam Alexejew glatt über die Lippen. »Gewiß, vorausgesetzt,<br />

Sie können einen Vergeltungsschlag verhindern. Ich muss aber<br />

die Warnung aussprechen, dass sich meine Einschätzung der Reaktion<br />

der Nato stark von den tatsächlich ergriffenen Maßnahmen<br />

unterscheiden kann. Meiner Auffassung nach wird der nukleare<br />

Gegenschlag Stunden später als erwartet fallen und gegen strategische,<br />

nicht gegen taktische Ziele gerichtet sein, also Straßen- und<br />

Eisenbahnknotenpunkte, Flugplätze und Versorgungseinrichtungen.<br />

Diese sind stationär; unsere Panzer bewegen sich.« Bedenkt,<br />

was ich da gerade gesagt habe, Genossen: Das Ganze wird sehr<br />

schnell unserer Kontrolle entgleiten. Macht Frieden, ihr Narren!<br />

»Sie meinen also, wir könnten ungestraft taktische Waffen einsetzen,<br />

wenn wir gleichzeitig strategische Ziele bedrohen?« fragte<br />

der Generalsekretär hoffnungsvoll.<br />

705


«Das stünde <strong>im</strong> Einklang mit der Vorkriegsdoktrin der Nato.<br />

Übersehen wird hierbei nur die Tatsache, dass man den Einsatz von<br />

Kernwaffen auf befreundetem Territorium nicht so leicht nehmen<br />

darf. Genossen, ich warne Sie: Ein Gegenschlag der Nato wird nicht<br />

so einfach zu verhindern sein.«<br />

»Kümmern Sie sich um das Schlachtfeld, Genosse General«,<br />

schlug der Verteidigungsminister leichthin vor. »Und überlassen<br />

Sie die politischen Fragen uns.«<br />

Nun gab es nur noch einen Weg, sie von ihrem Vorhaben abzubringen.<br />

»Gut. In diesem Fall brauche ich die direkte Verfügungsgewalt<br />

über die Waffen.«<br />

»Warum?« herrschte der Generalsekretär.<br />

Damit sie nicht abgeschossen werden, du Arsch! dachte Alexejew.<br />

»Das ist eine rein praktische Frage. Ziele werden sich von<br />

Minute zu Minute bieten und wieder verschwinden. Wenn ich die<br />

Nato-Front mit Kernwaffen aufreißen soll, werde ich nicht die Zeit<br />

haben, auf Ihre Genehmigung zu warten.«<br />

Alexejew stellte entsetzt fest, dass selbst dies sie nicht ins Wanken<br />

brachte.<br />

»Wie viele brauchen Sie denn?« wollte der Verteidigungsminister<br />

wissen.<br />

»Das hängt von Zeit und Ort des Durchbruchs ab. Wir würden<br />

die Waffen auch nur gegen festumrissene militärische Ziele und<br />

nicht gegen Bevölkerungszentren einsetzen. Sagen wir, max<strong>im</strong>al<br />

dreißig Sprengköpfe <strong>im</strong> Bereich von fünf bis zehn Kilotonnen, die<br />

wir mit Kurzstreckenraketen ins Ziel bringen würden.«<br />

»Wie bald können Sie bereit sein?« fragte Marschall Bucharin.<br />

»Das hängt davon ab, wie rasch ich kampferfahrene Soldaten in<br />

die neuen Divisionen bringen kann. Wenn diese Reservisten auf<br />

dem Schlachtfeld überleben sollen, müssen erfahrene Männer ihre<br />

Reihen stärken.«<br />

»Eine gute Idee, Genosse General«, sagte der Verteidigungsminister.<br />

»Und nun wollen wir Sie nicht länger aufhalten. In zwei Tagen<br />

möchte ich die detaillierten Pläne für Ihren Durchbruch sehen.«<br />

Alexejew grüßte, machte auf den Hacken kehrt und ging hinaus.<br />

Kosow sah Marschall Bucharin an.<br />

»Und diesen Mann wollten Sie ablösen?«<br />

Der Generalsekretär war seiner Meinung. »Der erste richtige<br />

Kämpfer, der mir seit Jahren untergekommen ist.«<br />

706


Alexejew bedeutete Sergetow mit einer Geste, ihm zu folgen. Nun<br />

er hatte den eiskalten Klumpen in der Magengrube, nun er hatte<br />

weiche Knie, als sie die Marmortreppe hinunterschritten. Alexejew<br />

glaubte nicht an Gott, aber er hatte gerade einen Blick in die Hölle<br />

getan.<br />

»Major Sergetow«, meinte er be<strong>im</strong> Besteigen des Wagens beiläufig,<br />

»möchten Sie nicht Ihren Vater besuchen, ehe wir zurück an die<br />

Front fahren?«<br />

»Sehr freundlich von Ihnen, Genosse General.«<br />

»Sie haben es verdient. Außerdem würde mich die Versorgungslage<br />

be<strong>im</strong> Treibstoff interessieren.«<br />

Den Inhalt des Gesprächs würde der Fahrer natürlich weitermelden.<br />

»Die wollen, dass ich an der Front Kernwaffen einsetze!« flüsterte<br />

Alexejew, sowie sich die Tür zum Amtsz<strong>im</strong>mer des Ministers geschlossen<br />

hatte.<br />

»Ja, das hatte ich befürchtet.«<br />

»So weit darf es nicht kommen! Unvorstellbar, was für eine<br />

Katastrophe das heraufbeschwören könnte!«<br />

»Der Verteidigungsminister meint, ein taktisches nukleares Umfeld<br />

ließe sich leicht unter Kontrolle halten.«<br />

»Der schwätzt daher wie diese Idioten von der Nato! Zwischen<br />

einem taktischen und einem strategischen nuklearen Schlagabtausch<br />

gibt es keine Wand, sondern nur eine unscharfe Linie in der<br />

Phantasie der Amateure und Akademiker, die die politische Führung<br />

beraten. Der nukleare Holocaust - unser Überleben hinge von<br />

der Entscheidung des psychisch labilsten Nato-Führers ab.«<br />

»Was haben Sie ihnen gesagt?« fragte der Minister.<br />

»Ich muss überleben und in der Lage sein, diesem Wahnsinn einen<br />

Riegel vorzuschieben. Aus diesem Grund sagte ich, ich fände die<br />

Idee großartig!« Der General setzte sich. »Außerdem verlangte ich<br />

Verfügungsgewalt über die Waffen. Dem werden sie wohl zust<strong>im</strong>men.<br />

Ich werde auf jeden Fall dafür sorgen, dass diese Waffen<br />

niemals eingesetzt werden.«<br />

»Sie sind also der Auffassung, dass dem Verteidigungsrat Einhalt<br />

geboten werden Muss?«<br />

»Ja.« Der General schaute zu Boden, hob den Kopf dann wieder.<br />

»Die Alternative ist unvorstellbar. Der Plan könnte eine Entwick­<br />

707


lung in Gang setzen, die sich von niemandem mehr aufhalten läßt.<br />

Wenn wir schon sterben müssen, dann wenigstens für eine gute<br />

Sache.«<br />

»Wie bewerkstelligen wir das praktisch?«<br />

»Wann tritt das Politbüro zusammen?«<br />

»Im Augenblick täglich um halb zehn.«<br />

»Auf wen können wir uns verlassen?«<br />

»Kosow steht a uf unserer Seite, vielleicht auch noch andere<br />

Mitglieder des Politbüros, aber ich weiß nicht, wen ich ansprechen<br />

kann.«<br />

»Ich brauche etwas Zeit. Vor meiner Rückkehr an die Front<br />

möchte ich noch den Angriffsplan ausarbeiten. Sie erreichen mich<br />

<strong>im</strong> Hauptquartier der Armee.«<br />

»Viel Glück, Pawel Leonidowitsch.«<br />

»Ihnen auch, Michail Eduardowitsch.« Der General sah zu, wie<br />

Vater und Sohn einander umarmten.<br />

Keflavik, Island<br />

»Guten Tag, ich bin Generalmajor William Emerson. Dies ist Colonel<br />

Lowe, mein Dolmetscher.«<br />

»Generalmajor Andrejew. Ich spreche Englisch.«<br />

»Bieten Sie die Kapitulation an?« fragte Emerson.<br />

»Ich biete Verhandlungen an«, erwiderte Andrejew.<br />

»Ich verlange, dass Ihre Truppen sofort die Feindseligkeiten einstellen<br />

und ihre Waffen abliefern.«<br />

»Und was wird aus meinen Männern?«<br />

»Sie kommen in Kriegsgefangenschaft und werden <strong>im</strong> Einklang<br />

mit den völkerrechtlichen Konventionen behandelt.«<br />

»Kann ich sicher sein, dass Sie die Wahrheit sprechen?«<br />

»Nein.«<br />

Die Antwort war schonungslos ehrlich. Andrejew blieb keine<br />

andere Wahl. »Ich schlage einen Waffensillstand vor« - er schaute<br />

auf die Armbanduhr - »um fünfzehn Uhr.«<br />

»Einverstanden.«<br />

708


Brüssel<br />

»Wie lange noch?« fragte der SACEUR.<br />

»Noch drei Tage. Wir werden mit vier Divisionen angreifen<br />

können.«<br />

Mit den Überresten von vier Divisionen, dachte der SACEUR.<br />

Aufgehalten haben wir die Russen, aber was ist nun noch da, um sie<br />

zurückzutreiben?<br />

Doch man war zuversichtlich. Zu Beginn des Krieges hatte die<br />

Nato nur über eine technologische Überlegenheit verfügt, die inzwischen<br />

noch ausgeprägter war. Die russischen Bestände an neuen<br />

Panzern und Geschützen waren größtenteils zerstört worden, und<br />

die Divisionen, die nun an die Front kamen, verfügten nur über<br />

zwanzig Jahre alten Ausschuß. Dennoch waren die Russen zahlenmäßig<br />

überlegen, und jede Offensive der Nato musste sorgfältig<br />

geplant werden. Nur in der Luft war der Westen eindeutig überlegen,<br />

aber Luftmacht hatte noch keinen Krieg gewonnen. Die Deutschen<br />

drängten auf einen Gegenstoß. Zu viel Land, zu viele deutsche<br />

Bürger befanden sich auf der falschen Seite der Linien. Schon<br />

führte die Bundeswehr an mehreren Fronten aggressive Vorausangriffe,<br />

musste ansonsten aber abwarten. Die deutsche Armee war<br />

nicht stark genug, um allein vorzustoßen. Bei ihrer Hauptaufgabe,<br />

den sowjetischen Vormarsch aufzuhalten, hatte sie zu schwere<br />

Verluste erlitten.<br />

Kasan, UdSSR<br />

Den jungen Soldaten raubte die Erregung den Schlaf, den alten die<br />

Sorge. Die Männer der 77. Mot-Schützendivision saßen zusammengepfercht<br />

in Zügen, die mit hundert Stundenkilometer nach<br />

Westen rollten. In Kasan hielten die Züge an, und neue Männer<br />

drängten sich in die Wagen.<br />

»Achtung!« rief eine laute St<strong>im</strong>me. »Frontsoldaten kommen!«<br />

Rund zwanzig selbstbewusste Männer bestiegen jeden Wagen<br />

und besorgten sich erst einmal bequeme Sitzplätze. Wer dabei<br />

verdrängt wurde, musste stehen. Auch fronterfahrene Offiziere gesellten<br />

sich zu ihren Kameraden der 77. und gaben ihnen Informationen<br />

aus erster Hand über Doktrin und Taktik der Nato. Die<br />

709


Wehrpflichtigen bekamen keinen Unterricht. Sie starrten Männer<br />

an, die selbst auf dem Weg an die Front schlafen konnten.<br />

Faslane, Schottland<br />

Chicago lag am Kai und nahm Torpedos und Raketen für den<br />

nächsten Einsatz an Bord. Die Hälfte der Besatzung war an Land,<br />

um sich die Beine zu vertreten und der Crew von HMS Torbay<br />

Runden auszugeben.<br />

Ihr Boot hatte sich in der Barentssee einen solchen Ruf erworben,<br />

dass es gleich wieder hinausfahren sollte, um Trägergruppen, die<br />

nun <strong>im</strong> Norwegischen Meer auf die sowjetischen Stützpunkte auf<br />

der Halbinsel Kola zuhielten, zu eskortieren.<br />

McCafferty saß allein in seiner Kammer und fragte sich, weshalb<br />

eine Mission, die in einer Katastrophe geendet hatte, dennoch als<br />

erfolgreich galt...<br />

Moskau<br />

»Gute Nachrichten, Genosse General!« Ein Oberst steckte den<br />

Kopf in das Z<strong>im</strong>mer, das Alexejew mit Beschlag belegt hatte. »Ihre<br />

Männer sind in Kasan zur 77. gestoßen.«<br />

»Danke.« Alexejew beugte sich sofort wieder über seine Karten,<br />

als der Oberst sich zurückzog.<br />

»Unglaublich.«<br />

»Was meinen Sie, Wanja?«<br />

»Die Männer, die Sie für die siebenundsiebzigste auswählten, der<br />

Papierkrieg, die Befehle - das alles ging glatt durch!«<br />

»Warum auch nicht, war doch nur eine routinemäßige Verlegung?«<br />

fragte der General. »Und vom Politbüro genehmigt.«<br />

»Es war die erste Gruppe, die ausgeflogen wurde.«<br />

»Sie hatte auch den weitesten Weg.« Alexejew hielt einen Befehl<br />

hoch, den er gerade ausgegeben hatte. Hauptmann - inzwischen<br />

Major Arkadi Semjonowitsch Sorokin von der 76. Garde-Luftlandedivision<br />

hatte sich sofort in Moskau zu melden. Schade, dass<br />

der Major seine Männer nicht mitbringen konnte, aber sie waren<br />

dem Zugriff eines sowjetischen Generals entzogen.<br />

710


»Nun, Michail Eduardowitsch, was plant General Alexejew?«<br />

Sergetow reichte Kosow die Unterlagen. Nach ein paar Minuten<br />

hatte der KGB-Chef sie durchgelesen.<br />

»Wenn ihm das gelingt, ist ihm ein Leninorden sicher.« Dieser<br />

General ist viel zu schlau, dachte Kosow. Sein Pech. Schade um ihn.<br />

»Davon sind wir noch weit entfernt. Wie steht es mit dem Zeitpunkt?<br />

Wir müssen uns darauf verlassen, dass Sie die Voraussetzungen<br />

schaffen.«<br />

»Ich habe einen Oberst, der auf solche Dinge spezialisiert ist.«<br />

»Kann ich mir denken.«<br />

»Nur noch eins muss erledigt werden«, sagte Kosow und erklärte,<br />

was. Als er gegangen war, warf Sergetow die Unterlagen von Alexejew<br />

in den Shredder und ließ Witali die Überreste verbrennen.<br />

Warnlicht und Summer erregten die Aufmerksamkeit des Fahrdienstleiters<br />

sofort. Auf der Elektrosawodskaja-Brücke drei Kilometer<br />

östlich vom Bahnhof Kasan st<strong>im</strong>mte etwas nicht mit den<br />

Gleisen.<br />

»Schicken Sie einen Inspektor hin.«<br />

»Ein Zug ist nur noch fünfhundert Meter von der Stelle entfernt«,<br />

warnte sein Assistent.<br />

»Sofort anhalten!« Der Fahrdienstleiter legte einen Schalter um<br />

und stellte das Hauptsignal auf Rot.<br />

Sein Stellvertreter griff zum Hörer des Funktelefons. »Zug 1191,<br />

hier Hauptstellwerk Kasan. Probleme auf der Brücke vor Ihnen.<br />

Halten Sie sofort an.«<br />

»Ich sehe das Signal. Wir bremsen«, erwiderte der Lokomotivführer.<br />

»Aber das schaffen wir nicht.«<br />

Zug 1191 bestand aus hundert Waggons, Flachwagen mit gepanzerten<br />

Fahrzeugen darauf und gedeckten Güterwagen, die Munition<br />

enthielten. Funken flogen in die Morgendämmerung, als alle<br />

Bremsen griffen, doch ein paar hundert Meter Bremsweg reichten<br />

nicht. Der Lokomotivführer spähte voraus - hoffentlich nur ein<br />

defektes Signal, dachte er.<br />

Nein! An der Westseite der Brücke war eine Schiene lose. Der<br />

Lokführer rief seiner Mannschaft eine Warnung zu und zog eine<br />

Gr<strong>im</strong>asse. Die Lok sprang von den Gleisen und stellte sich quer, die<br />

drei Loks dahinter und acht Flachwagen wollten weiter und entgleisten<br />

ebenfalls, und nur das Stahlgerüst der Brücke verhinderte, dass<br />

711


sie in den Fluß Jausa stürzten. Eine Minute später erschien der<br />

Gleisinspektor und ging fluchend ans Streckentelefon.<br />

»Hier werden zwei schwere Kranwagen gebraucht!«<br />

»Wie schl<strong>im</strong>m ist es?« erkundigte sich der Fahrdienstleiter.<br />

»Nicht so schl<strong>im</strong>m wie <strong>im</strong> letzten August. Zwölf bis sechzehn<br />

Stunden, dann ist die Strecke wieder frei.«<br />

»Was ist die Ursache?«<br />

»Der <strong>im</strong>mense Verkehr auf dieser Brücke - wen wundert das?«<br />

»Wurde jemand verletzt?«<br />

»Ich glaube nicht, sie fuhren langsam.«<br />

»Ich schicke gleich einen Bergungstrupp los.« Der Fahrdienstleiter<br />

schaute zu der Tafel mit der Liste der erwarteten Züge auf.<br />

»Verflucht, was fangen wir mit denen an?«<br />

»Die können wir nicht auseinanderreißen, weil sie eine ganze<br />

Division transportieren. Sie sollten über die Nordumgehung fahren.<br />

Nach Süden können wir sie auch nicht umleiten; die Nowodanilowski-Brücke<br />

ist auf Stunden verstopft.«<br />

»Leiten wir sie über den Kursker Bahnhof um. Ich rufe den<br />

Fahrdienstleiter in Rschewskaja an.«<br />

Um sieben Uhr dreißig trafen die Züge ein und wurden auf<br />

Abstellgleise rangiert. Viele Soldaten waren noch nie in Moskau<br />

gewesen, doch nur jene, die auf den äußeren Abstellgleisen standen,<br />

sahen mehr als nur die Züge mit ihren Kameraden darin.<br />

»Sabotage!« tobte der KGB-Oberst.<br />

»Eher abgenutzte Gleise, Genosse«, meinte der Fahrdienstleiter.<br />

»Aber Sie haben recht mit Ihrer Vorsicht.«<br />

»Abgenutzte Gleise?« fauchte der Oberst, der mit Sicherheit<br />

wusste, dass ein anderer Grund vorlag. »Ich habe das Gefühl, dass Sie<br />

diesen Vorfall nicht ernst genug nehmen.«<br />

Der Fahrdienstleiter bekam eine Gänsehaut. »Ich habe ebenfalls<br />

meine Verantwortung. Erst muss ich jetzt einmal die Trümmer von<br />

der Brücke schaffen, damit meine Züge wieder rollen können. Im<br />

Kursker Bahnhof stehen jetzt sieben Züge, und wenn ich die nicht<br />

nach Norden bringe -«<br />

»Laut Gleisplan läßt sich der Verkehr über eine einzige Weiche<br />

nördlich an der Stadt vorbeileiten.«<br />

»Gewiß, aber für diese Weiche ist der Fahrdienstleiter von<br />

Rschewskaja zuständig.«<br />

712


»Haben Sie schon mal an die Möglichkeit gedacht, dass Saboteure<br />

andere Zuständigkeitsbereiche haben als Fahrdienstleiter?<br />

Hat jemand diese Weiche überprüft?«<br />

»Das kann ich nicht sagen.«<br />

»Dann kümmern Sie sich gefälligst darum. Ach, lassen Sie, das<br />

erledigen meine Leute, ehe ihr Eisenbahner noch mehr ruiniert.«<br />

»Aber der Fahrplan -« Der Fahrdienstleiter war ein stolzer<br />

Mann, wollte aber sein Glück nicht zu sehr auf die Probe stellen.<br />

»Willkommen in Moskau«, sagte Alexejew jovial.<br />

Major Arkadi Semjonowitsch Sorokin war wie so viele Fallschirmjägeroffiziere<br />

kleinwüchsig. Die blauen Augen des gutaussehenden<br />

jungen Mannes mit dem hellbraunen Haar brannten aus<br />

einem Grund, den Alexejew besser verstand als der Major selbst.<br />

Zwei Kugeln, die er bei der Erstürmung des Luftstützpunkts Keflavik<br />

auf Island ins Bein bekommen hatte, ließen ihn noch leicht<br />

hinken. Auf seiner Brust prangte das Band des Ordens vom Roten<br />

Banner, den er sich dabei verdient hatte. Sorokin und die meisten<br />

anderen Verwundeten des erste Gefechtes waren zur Behandlung<br />

ausgeflogen worden und warteten nun auf neue Befehle, da ihre<br />

Division auf Island in Gefangenschaft geraten war.<br />

»Wie kann ich dem General dienen?« fragte Sorokin.<br />

»Ich brauche einen neuen Adjutanten, vorzugsweise einen Offizier<br />

mit Fronterfahrung. Mehr noch, Arkadi Semjonowitsch, ich<br />

brauche Sie für eine diffizile Aufgabe. Aber erst muss ich Ihnen<br />

etwas erklären. Bitte nehmen Sie Platz. Was macht das Bein?«<br />

»Es macht sich, aber als ich gestern meine zehn Kilometer laufen<br />

wollte, musste ich schon nach zweien aufgeben.« Alexejew konnte<br />

sich vorstellen, dass der junge Mann seit Mai nicht mehr gelächelt<br />

hatte - und erklärte ihm, weshalb das so war. Fünf Minuten später<br />

öffnete und schloß sich Sorokins Hand an der Armlehne des Sessels,<br />

etwa dort, wo sein Pistolenhalfter gewesen wäre.<br />

»Major, die wichtigste Eigenschaft des Soldaten ist Disziplin«,<br />

schloß Alexejew. »Ich habe Sie aus einem best<strong>im</strong>mten Grund hierhergeholt,<br />

muss aber sicher sein, dass Sie Ihre Befehle genau ausführen.<br />

Wenn Sie das nicht können, habe ich Verständnis.«<br />

Das Gesicht verriet keine Gemütsbewegung, aber die Hand entspannte<br />

sich. »Jawohl, Genosse General, und ich danke Ihnen aus<br />

tiefstem Herzen. Ich werde Ihnen aufs Wort gehorchen.«<br />

713


»Gut, dann kommen Sie mit. Wir haben zu tun.«<br />

Der Wagen des Generals stand schon bereit. Alexejew und Sorokin<br />

fuhren zu der inneren Ringstraße von Moskau, die alle paar<br />

Kilometer den Namen ändert. Wo sie am Stern-Theater vorbei<br />

und weiter zum Kursker Bahnhof führt, heißt sie Schkalowa.<br />

Der Kommandeur der 77. Mot-Schützendivision döste. Zehn<br />

Stunden lang hatte er mit seinem neuen Stellvertreter, einem Brigadegeneral<br />

mit Fronterfahrung, über die Taktik der Nato gesprochen<br />

und nutzte nun den unvermuteten Aufenthalt in Moskau, um<br />

eine Mütze Schlaf zu erwischen.<br />

»Was zum Kuckuck soll das!«<br />

Der Kommandeur der 77. schlug die Augen auf und sah einen<br />

Vier-Sterne-General, der auf ihn herabstarrte. Er sprang auf und<br />

nahm Haltung an wie ein Kadett.<br />

»Guten Morgen, Genosse General!«<br />

»Gleichfalls. In Deutschland sterben unsere Männer, und hier<br />

steht eine ganze Division auf dem Bahnhof und pennt!« Alexejew<br />

brüllte fast.<br />

»Die Züge können nicht fahren, weil die Schienen kaputt sind<br />

»An den Schienen liegt es? Sie haben doch Ihre Fahrzeuge, oder?<br />

Wenn die Züge nicht fahren können, holen Sie Ihre Fahrzeuge von<br />

dem Flachwagen und bringen sie zum Kiewer Bahnhof. Und jetzt<br />

wachen Sie auf und setzen die Division in Marsch, ehe ich mir<br />

jemanden besorge, der das besser kann!«<br />

Der General fand schon <strong>im</strong>mer faszinierend, was ein bißchen<br />

Gebrüll ausrichten konnte. Der Chef der Division brüllte die Reg<strong>im</strong>entskommandeure<br />

an, und diese entfernten sich, um ihre Bataillonskommandeure<br />

anzuschreien. Zehn Minuten später wurde auf<br />

Kompanieebene gebrüllt. Weitere zehn Minuten darauf wurden<br />

die Mannschaftstransporter BTR-6o losgekettet, vom Zug gefahren<br />

und auf dem Korskogo-Platz vor dem Bahnhof aufgestellt. Die<br />

Infanteristen, die in ihren Kampfanzügen und mit ihren Waffen<br />

sehr gefährlich aussahen, bestiegen ihre Fahrzeuge.<br />

»Sind Ihre neuen Fernmeldeoffiziere schon da?« fragte Alexejew.<br />

»Jawohl, sie haben alle meine Leute abgelöst«, erwiderte der<br />

Divisionskommandeur.<br />

714


»Gut. Wir haben an der Front auf bittere Weise gelernt, wie<br />

wichtig Sicherheit bei der Fernmeldetruppe ist. Und die neuen<br />

Schützen?«<br />

»Eine Kompanie Veteranen pro Reg<strong>im</strong>ent, dazu andere auf die<br />

Schützenreg<strong>im</strong>enter verteilt.«<br />

»Vorzüglich. Lassen Sie Ihre Division in Reg<strong>im</strong>entskolonnen<br />

Aufstellung nehmen. Führen wir dem Volk einmal etwas vor, Genosse.<br />

Zeigen wir ihm, wie eine Division des sowjetischen Heeres<br />

aussehen soll.«<br />

»Wie kommen wir durch die Stadt?«<br />

»Die Verkehrsregelung übern<strong>im</strong>mt das KGB. Es soll sich niemand<br />

verfahren.«<br />

Ein Major kam angeeilt. »Marschbereit in zwanzig Minuten.«<br />

»Fünfzehn!« beharrte der Kommandeur.<br />

» Sehr gut«, merkte Alexejew an. » General, ich werde Sie begleiten<br />

und mir ansehen, wie vertraut Ihre Leute mit ihrer Ausrüstung sind.«<br />

Michail Sergetow kam, wie es seine Gewohnheit war, etwas früher<br />

zur Sitzung des Politbüros. Wie üblich waren die Kremlwachen auf<br />

ihren Posten, eine leicht bewaffnete Kompanie Infanteriesoldaten.<br />

Sie gehörten der Tamanischen Gardedivision an, einer zahnlosen<br />

Prätorianergarde, die nur oberflächlich an der Waffe ausgebildet<br />

war. Wie die meisten zu zeremoniellen Zwecken eingesetzten Truppen<br />

hatten sie lediglich zu exerzieren, ihre Stiefel blank zu putzen und<br />

wie Soldaten auszusehen. Andererseits stand bei Alabino die volle<br />

Ausrüstung einer Division - Panzer und Geschütze - für sie bereit.<br />

Die wirklichen Kremlwächter waren Grenztruppen des KGB und<br />

eine vor Moskau stationierte Division des MWD. Es war typisch für<br />

das sowjetische System, dass nebeneinander drei bewaffnete Verbände<br />

existierten, die drei verschiedenen Ministerien unterstanden.<br />

Die Tamanische Garde hatte die besten Waffen, aber die schlechteste<br />

Ausbildung. Die Männer des KGB waren am besten ausgebildet,<br />

hatten aber nur leichte Waffen. Die MWD-Truppen gehörten zum<br />

Innenministerium, hatten ebenfalls nicht genug Waffen und eine<br />

unzureichende Ausbildung und stellten eine paramilitärische Polizei<br />

dar, setzten sich aber aus Tataren zusammen, die für ihre Grausamkeit<br />

und ihren Russenhaß berüchtigt waren. Das Verhältnis zwischen<br />

diesen drei Verbänden war mehr als nur komplex.<br />

»Michail Eduardowitsch?«<br />

715


"Ah.« Es war der Landwirtschaftsminister. "Guten Morgen,<br />

Filip Moisejewitsch.«<br />

»Ich mache mir Sorgen», sagte der Mann leise. »Ich befürchte,<br />

dass der Verteidigungsminister den Einsatz von A<strong>tom</strong>waffen erwägt.»<br />

»So verzweifelt können sie doch unmöglich sein.«<br />

Das offene slawische Gesicht des Mannes blieb unverändert.<br />

»Hoffentlich haben Sie recht. Ich habe nicht für die Ernährung des<br />

Landes gekämpft, um alles in die Luft sprengen zu lassen.«<br />

Ein Verbündeter! dachte Sergetow. »Was wird, wenn es zur<br />

Abst<strong>im</strong>mung kommt?«<br />

»Das kann ich be<strong>im</strong> besten Willen nicht sagen, Mischa. Zu viele<br />

von uns werden von den Ereignissen mitgerissen.«<br />

»Wollen Sie gegen diesen Wahnsinn die St<strong>im</strong>me erheben?«<br />

»Allerdings! Ich werde bald Großvater, und das Kind soll ein<br />

Land haben, in dem es aufwachsen kann, auch wenn es mein Leben<br />

kostet!«<br />

»Wie <strong>im</strong>mer als erster da, Michail Eduardowitsch?« Kosow und<br />

der Verteidigungsminister trafen gemeinsam ein.<br />

»Filip und ich besprechen die Treibstoffzuteilung für den Lebensmitteltransport.«<br />

»Der kann warten. Kümmern Sie sich lieber um meine Panzer!«<br />

Der Verteidigungsminister schritt an ihnen vorbei in den Sitzungssaal.<br />

Sergetow und sein Verbündeter tauschten nur einen Blick.<br />

Zehn Minuten später begann die Sitzung. Der Generalsekretär<br />

erteilte sofort dem Verteidigungsminister das Wort.<br />

»In Deutschland muss ein entscheidender Schlag geführt werden!«<br />

»Den versprechen Sie uns schon seit Wochen«, ließ sich Bromkowski<br />

vernehmen.<br />

»Diesmal werden wir Erfolg haben. In einer Stunde wird uns<br />

General Alexejew hier seinen Plan unterbreiten. Zuerst aber besprechen<br />

wir den Einsatz taktischer Kernwaffen an der Front und<br />

die Verhinderung eines nuklearen Gegenschlags der Nato.«<br />

Sergetow gehörte zu jenen, die ausdruckslos lauschten. Vier<br />

Männer am Tisch sahen entsetzt aus. Die folgende Diskussion war<br />

lebhaft.<br />

716


Alexejew fuhr die ersten paar Kilometer mit dem Divisionskommandeur,<br />

vorbei an der Indischen Botschaft und dem Justizministerium.<br />

Der Kommandowagen war praktisch ein Sender auf acht<br />

Rädern. Hinten saßen sechs Fernmeldeoffiziere, die es dem Kommandeur<br />

ermöglichten, die Division von dort zu führen. Diese<br />

Fernmeldeleute kamen von der Front und waren jenen Offizieren<br />

gegenüber loyal, die sie mitgebracht hatten.<br />

Sie kamen nur langsam voran. Zwar waren die Kampffahrzeuge<br />

für hohe Geschwindigkeit ausgelegt, aber Tempo barg ein Pannenrisiko,<br />

und bei über 20 km/h bestand die Gefahr, dass die Panzerketten<br />

den Asphalt aufrissen. So rollten sie gemächlich dahin, angestarrt<br />

und beklatscht von Mannschaftstrauben. Die Kolonne war<br />

nicht so geordnet wie bei den Paraden, für die die Tamanische<br />

Garde täglich übte. Aber das steigerte die Begeisterung der Bevölkerung<br />

noch. Hier fuhren echte Soldaten an die Front. Entlang der<br />

Route standen KGB-Offiziere und »rieten« der Moskauer Miliz,<br />

die Division durchzulassen - als Grund nannte man die Unterbrechung<br />

der Bahnlinie. Die Verkehrspolizisten machten den Soldaten<br />

des Vaterlandes nur zu gern Platz.<br />

Als die Kolonne den Nogina-Platz erreichte, stand Alexejew in<br />

der Schützenluke auf.<br />

»Sie haben Ihre Männer gut ausgebildet«, sagte der Divisionskommandeur.<br />

»Ich werde nun sehen, wie sich der Rest Ihrer<br />

Truppe hält. In Stendal sehen wir uns wieder.« Alexejew sprang mit<br />

der Agilität eines jungen Gefreiten von dem rollenden Fahrzeug,<br />

blieb auf der Straße stehen und winkte die Fahrzeuge weiter und<br />

erwiderte den Gruß der Offiziere. Fünf Minuten später hatte das<br />

zweite Reg<strong>im</strong>ent ihn erreicht; nun wartete er auf dessen zweites<br />

Bataillon. Major Sorokin, der <strong>im</strong> Führungsfahrzeug saß, lehnte sich<br />

hinaus, packte den General an der Hand und zog ihn hinein.<br />

»Ein alter Mann wie Sie könnte sich verletzen, Genosse General«,<br />

warnte Sorokin.<br />

»Still, Sie junger Spund!« Alexejew war stolz auf seine körperliche<br />

Verfassung. Er betrachtete den Bataillonskommandeur, einen<br />

Mann frisch von der Front. »Bereit?«<br />

»Bereit, Genosse General.«<br />

»Halten Sie sich an Ihren Befehl, halten Sie Ihre Männer unter<br />

Kontrolle.« Alexejew löste die Klappe seines Halfters. Sorokin<br />

hatte eine AK-47 in der Hand.<br />

717


Nun konnte er die Basiliuskathedrale sehen, eine Ansammlung<br />

von Zwiebeltürmen am Ende der Rasinastraße. Eines nach dem<br />

anderen bogen die Fahrzeuge an der alten Kirche nach rechts ab.<br />

Die Soldaten hinter ihm in dem BTR, einem alten Modell ohne<br />

Dach, reckten die Hälse und betrachteten neugierig die Sehenswürdigkeiten.<br />

Nun rollten sie durch das Erlösertor und auf das Ministerratsgebäude<br />

zu. Es war zehn Uhr zwanzig. Zehn Minuten zu früh für<br />

Alexejews Termin be<strong>im</strong> Politbüro.<br />

»Sind wir denn alle wahnsinnig geworden?« fragte der Landwirtschaftsminister.<br />

»Meinen Sie wirklich, wir könnten mit A<strong>tom</strong>waffen<br />

spielen wie mit Knallfröschen?«<br />

»Genosse Verteidigungsminister, Sie haben uns an den Rand des<br />

Abgrunds geführt«, sagte Pjotr Bromkowski. »Nun verlangen Sie,<br />

dass wir hinter Ihnen herspringen!«<br />

»Es gibt kein Zurück mehr«, erklärte der Generalsekretär. »Die<br />

Entscheidung ist gefallen.«<br />

Eine Explosion strafte diesen Ausspruch Lügen.<br />

»Jetzt!« rief Alexejew. Hinten <strong>im</strong> Kommandowagen aktivierten die<br />

Fernmeldeoffiziere den Führungskreis der Division und gaben bekannt,<br />

<strong>im</strong> Kreml habe sich eine Explosion ereignet, und ein Schützenbataillon<br />

unter General Alexejew stelle nun Ermittlungen an.<br />

Alexejew war schon in Bewegung. Drei BRT fuhren durch das<br />

zerschmetterte Tor und hielten vor der Freitreppe des Ministerratsgebäudes<br />

an.<br />

»Was geht hier vor?« brüllte Alexejew den Hauptmann der<br />

Tamanischen Garde an.<br />

»Das weiß ich nicht. Was wollen Sie hier, das ist verboten -«<br />

Sorokin schoß ihn mit einem kurzen Feuerstoß nieder, sprang<br />

vom Fahrzeug und rannte gefolgt vom General auf das Gebäude zu.<br />

In der Tür drehte sich Alexejew um.<br />

»Das Gebiet sichern! Das Politbüro soll ermordet werden!« Der<br />

Befehl wurde an die eintreffenden Truppen weitergegeben. Tamanische<br />

Garden rannten über den freien Platz vorm alten Arsenal.<br />

Einige Warnschüsse wurden abgegeben. Erst zögerte die Garde,<br />

aber dann leerte ein Leutnant das Magazin seines Gewehrs. Im<br />

Kreml begann ein Feuergefecht. Zwei sowjetische Einheiten, von<br />

718


denen nur zehn Soldaten wussten, worum es eigentlich ging, schössen<br />

aufeinander, und Mitglieder des Politbüros schauten von den<br />

Fenstern aus zu.<br />

Alexejew war ergr<strong>im</strong>mt, weil Sorokin die Führung übernahm,<br />

aber der Major wusste, wessen Leben am gewinnbringendsten aufs<br />

Spiel gesetzt werden konnte. Auf dem Treppenabsatz <strong>im</strong> zweiten<br />

Stock traf er auf einen Hauptmann der Garde, den er erschoß. Dann<br />

stürmte er weiter nach oben, gefolgt von Alexejew und dem Bataillonskommandeur.<br />

Im vierten Stock stand ein Major mit einem<br />

Gewehr, der einen Feuerstoß abgab, aber zu hoch hielt. Der Fallschirmjägermajor<br />

rollte sich zur Seite und tötete ihn. Als nächstes<br />

fanden sie einen Oberst des KGB, der die Hände hob.<br />

»Wo ist Alexejew?«<br />

»Hier!« Der General hatte seine Pistole in der Hand.<br />

»Auf diesem Stockwerk lebt kein Gardist mehr«, erklärte der<br />

Tschekist. Vier hatte er gerade mit einer schallgedämpften Au<strong>tom</strong>atic,<br />

die er unterm Uniformrock versteckt hatte, ausgeschaltet.<br />

»Die Tür.« Alexejew gab Sorokin einen Wink. Der Major stieß<br />

sie auf und ging in ein Vorz<strong>im</strong>mer. Von dort aus führte die eichene<br />

Doppeltür zum Politbüro.<br />

Sorokin ging als erster hinein.<br />

Einundzwanzig meist ältere Männer standen an den Fenstern<br />

und sahen einem Infanteriegefecht zu, das gerade beendet worden<br />

war. Die Tamanische Garde war für diese Art von Sturmangriff<br />

nicht gerüstet und hatte nicht die geringste Chance, eine Kompanie<br />

erfahrener Schützen zu überwältigen.<br />

Als nächster betrat Alexejew den Raum, steckte seine Pistole ins<br />

Halfter.<br />

»Genossen, bitte gehen Sie zurück auf Ihre Plätze. Offenbar soll<br />

der Kreml besetzt werden. Glücklicherweise traf ich gerade hier zu<br />

meinem Termin ein, und diese Truppenkolonne kam vorbei. Bitte<br />

setzen Sie sich, Genossen!« befahl der General.<br />

»Was geht hier vor?« fragte der Verteidigungsminister.<br />

»Als ich vor vierunddreißig Jahren an die Militärakademie kam,<br />

schwor ich, den Staat und die Partei vor allen Feinden zu schützen«,<br />

erklärte Alexejew kalt. »Einschließlich jener, die mein Land zerstören<br />

wollen, weil ihnen nichts besseres einfällt. Genosse Sergetow?«<br />

Der Erdölminister wies auf zwei Männer. »Sie und Genosse Kosow<br />

bleiben hier. Der Rest wird mir in ein paar Minuten folgen.«<br />

719


»Alexejew, Sie haben gerade Ihr Todesurteil unterzeichnet«,<br />

sagte der Innenminister und griff nach einem Telefon. Major Sorokin<br />

hob das Gewehr und zerstörte den Apparat mit einer einzigen<br />

Kugel.<br />

»Bitte begehen Sie diesen Fehler nicht noch einmal. Wir können<br />

Sie ohne weiteres alle miteinander töten. Und das wäre viel bequemer<br />

als das, was wir <strong>im</strong> Sinn haben.« Alexejew wartete einen<br />

Augenblick lang ab. Ein Offizier kam in den Raum geeilt und<br />

nickte. »So, Genossen, wir gehen jetzt. Wenn auch nur einer von<br />

Ihnen versucht, mit irgend jemand zu reden, werden Sie alle erschossen.<br />

Zwei und zwei - los!« Der KGB-Oberst, der gerade seine<br />

zweite Bombe losgelassen hatte, führte die erste Gruppe hinaus.<br />

Nun traten Sergetow und Kosow auf den General zu.<br />

»Gut gemacht«, sagte der Direktor des KGB. »Im Lefortowo-<br />

Gefängnis ist alles bereit. Alle Männer vom Dienst gehören mir.«<br />

»Kleine Änderung des Plans«, meinte Alexejew. »Wir fahren<br />

nicht zum Lefortowo-Gefängnis, sondern zum alten Flughafen.<br />

Von dort aus bringt sie ein Hubschrauber zu einem Militärlager,<br />

das von einem Mann meines Vertrauens kommandiert wird.«<br />

»Aber es ist doch schon alles arrangiert!«<br />

»Kann ich mir vorstellen. Dies ist mein neuer Adjutant, Major<br />

Sorokin. Major Sergetow trifft in dem erwähnten Militärlager die<br />

letzten Vorkehrungen. Sagen Sie, Genosse Direktor, kommt Sorokin<br />

Ihnen irgendwie bekannt vor?«<br />

Kosow hatte das Gefühl, den Mann schon einmal gesehen zu<br />

haben, konnte ihn aber nicht unterbringen.<br />

»Er war Hauptmann - inzwischen wegen Tapferkeit befördert ­<br />

in der sechsundsiebzigsten Garde-Luftlandedivision.«<br />

»Und?« Kosow ahnte Gefahr, aber nicht den Grund.<br />

»Major Sorokin hatte eine Tochter bei den Jungen Oktobristen.<br />

Und seine Einheit ist in Pskow stationiert«, erklärte Alexejew.<br />

»Für meine kleine Swetlana«, sagte Sorokin, »die ohne Gesicht<br />

starb.« Kosow sah nur noch ein Gewehr und einen weißen Blitz.<br />

Sergetow sprang aus dem Weg und starrte Alexejew entsetzt an.<br />

»Sie mögen recht haben, dem Tschekisten zu trauen, aber ich<br />

nehme von so einem keine Befehle entgegen. Ich lasse Ihnen eine<br />

Kompanie loyaler Truppen zurück. Nun muss ich die Armee in den<br />

Griff bekommen. Sehen Sie zu, dass Sie den Parteiapparat unter Ihre<br />

Kontrolle bringen.«<br />

720


»Wie sollen wir Ihnen jetzt noch trauen?« fragte der Landwirtschaftsminister.<br />

»Inzwischen sollten wir die Nachrichtenverbindungen kontrollieren.<br />

Alles verläuft nach unserem Plan. Wir geben bekannt, dass<br />

loyale Truppen einen Staatsstreich verhindert haben. Später wird<br />

einer von Ihnen <strong>im</strong> Fernsehen erscheinen. So, ich muss jetzt weiter.<br />

Viel Glück.«<br />

Geführt von KGB-Truppen, hielten die motorisierten Bataillone<br />

auf Rundfunk- und Fernsehsender und die Telefonvermittlung zu.<br />

Sie fuhren schnell, um die Stadt gegen eine unbekannte Zahl von<br />

Konterrevolutionären zu schützen. In Wirklichkeit aber hatten sie<br />

keine Ahnung, was sie eigentlich taten. Fest stand nur, dass sie ihre<br />

Befehle von einem Vier-Sterne-General erhalten hatten. Das genügte<br />

den Soldaten des 77. Mot-Schützenbataillons. Die Fernmeldetrupps<br />

hatten gute Arbeit geleistet. Als der Politoffizier der Division<br />

<strong>im</strong> Kreml eintraf, fand er vier Mitglieder des Politbüros vor, die<br />

am Telefon eifrig Befehle gaben. Nicht alles war zum besten, aber<br />

die Männer der Partei schienen die Lage <strong>im</strong> Griff zu haben. Wie er<br />

erfuhr, waren die anderen Mitglieder bei einem he<strong>im</strong>tückischen<br />

Überfall der Kremlgarde gefallen oder verwundet worden. Der<br />

Direktor des KGB hatte die Verschwörung aufgedeckt und rechtzeitig<br />

regierungstreue Truppen anfordern können, war aber <strong>im</strong><br />

heldenhaften Kampf gegen die Angreifer gefallen. Dies alles kam<br />

dem sampolit sehr seltsam vor, aber da seine Befehle logisch klangen,<br />

gab er dem Divisionskommandeur über Funk Anweisungen<br />

durch.<br />

Sergetow war überrascht, wie einfach alles ging. Nur knapp<br />

zweihundert Menschen wussten, was sich eigentlich zugetragen<br />

hatte. Gekämpft worden war nur innerhalb der Kremlmauern. Er<br />

hatte <strong>im</strong> ZK einige Freunde, die in diesem Notfall seinen Anweisungen<br />

folgten. Am Ende des Tages hielten drei Parte<strong>im</strong>änner die Zügel<br />

der Macht. Die anderen Mitglieder des Politbüros waren außerhalb<br />

der Stadt unter Arrest. In Abwesenheit von Anweisungen des Innenministers<br />

folgten die MWD-Einheiten denen des Politbüros; das<br />

KGB wankte führerlos. Niemand stellte Fragen, niemand organisierte<br />

Widerstand, und jede Stunde, die verstrich, gab Sergetow und<br />

seiner Clique mehr Zeit, ihre Herrschaft zu konsolidieren. Den<br />

alten, aber weithin respektierten Pjotr Bromkowski ließ Sergetow<br />

den Parteiapparat und kommissarisch das Verteidigungsministe­<br />

721


ium übernehmen. Petja ernannte Alexejew zum Stellvertretenden<br />

Verteidigungsminister und Stabschef. Filip Moisejewitsch Krylow<br />

behielt das Landwirtschaftsministerium und wurde dazu Innenminister.<br />

Sergetow war der vorläufige Generalsekretär. Nun blieb<br />

noch eine überaus wichtige Aufgabe.<br />

722


Brüssel<br />

43<br />

Ein Waldspaziergang<br />

Nichts erzeugt größere Angst als das Unbekannte. Der SACEUR<br />

hatte vier Gehe<strong>im</strong>dienstmeldungen vor sich liegen, alle widersprüchlich.<br />

Nur in einem waren sich die Verfasser einig: Sie wussten<br />

nicht, was vor sich ging, aber es schien ungünstig zu sein.<br />

Wozu brauche ich dann Experten? fragte sich der SACEUR.<br />

Einem Informationsfetzen von einem Ferret-Satelliten war zu<br />

entnehmen gewesen, dass es in Moskau zu Kämpfen gekommen war<br />

und dass Truppen die Kommunikationszentren besetzten, aber<br />

Fernsehen und Rundfunk hatten sich zwölf Stunden lang an ihr<br />

normales Programm gehalten. Erst morgens um fünf war in einer<br />

Nachrichtensendung der versuchte Staatsstreich bekanntgegeben<br />

worden.<br />

Ein Putsch des Verteidigungsministers? Unangenehm, und die<br />

Tatsache, dass er niedergeschlagen worden war, stellte nur einen<br />

geringen Trost dar. Abgehört worden war nur eine kurze Rede von<br />

Pjotr Bromkowski, dem letzten Stalinisten: Ruhe bewahren und auf<br />

die Partei vertrauen.<br />

Was, zum Kuckuck, soll das heißen? fragte sich der SACEUR.<br />

»Ich brauche Informationen«, sagte er zu seinem Nachrichtendienstchef.<br />

»Was wissen wir über die russische Befehlsstruktur?«<br />

»Alexejew, der neue OB West, ist offenbar nicht auf seinem<br />

Posten. Günstig für uns, denn in zehn Stunden beginnt unser Angriff.«<br />

Das Telefon des SACEUR summte. »Keine Anrufe, hab ich gesagt.<br />

Na schön, raus damit, Franz... Vier Stunden? In Potsdam,<br />

aha. Noch keine Antwort. Ich melde mich bald wieder.« Er legte<br />

auf. »Wir bekamen gerade einen offenen Funkspruch: Der sowjetische<br />

Stabschef wünscht mich dringend in Potsdam zu sprechen.«<br />

»>Dringend


schrauber zum Treffpunkt zu eskortieren.« Der SACEUR lehnte<br />

sich zurück. »Meinen Sie vielleicht, die wollen mich abschießen,<br />

weil ich so gute Arbeit geleistet habe?» Der Oberbefehlshaber der<br />

Alliierten Streitkräfte in Europa gestattete sich ein ironisches Lächeln.<br />

«Sie massieren nordöstlich von Hannover Truppen», warnte der<br />

Nachrichtendienstchef.<br />

»Ich weiß.«<br />

»Fliegen Sie nicht, schicken Sie lieber einen Vertreter.«<br />

»Tja, warum hat er das eigentlich nicht vorgeschlagen?« sann der<br />

SACEUR. »Das wird doch normalerweise von Unterhändlern erledigt?«<br />

»Er hat's eilig«, sagte Joach<strong>im</strong>. »Sie haben nicht gesiegt, aber <strong>im</strong><br />

Grunde noch nichts verloren. Ihr Vormarsch ist aufgehalten worden,<br />

ihr Treibstoff ist knapp. Was, wenn in Moskau ein ganz neuer<br />

Machtblock am Ruder ist? Man knebelt die Medien, bis man seine<br />

Macht konsolidiert hat, und wird versuchen, eine Einstellung der<br />

Feindseligkeiten zu erreichen. Ein guter Zeitpunkt für eine Offensive«,<br />

schloß er.<br />

»Wenn der Gegner verzweifelt ist?« fragte der SACEUR. »Er hat<br />

noch <strong>im</strong>mer massenhaft Kernwaffen. Irgendwelche ungewöhnliche<br />

Aktivitäten bei den Sowjets?«<br />

»Abgesehen von neu eintreffenden Reservedivisionen keine.«<br />

Kann ich diesem verdammten Krieg ein Ende setzen? fragte sich<br />

der SACEUR. »Ich fliege hin«, sagte er, griff nach dem Telefon und<br />

informierte den Nato-Generalsekretär von seiner Entscheidung.<br />

Dicht flankiert von zwei sowjetischen Kampfhubschraubern<br />

konnte man leicht nervös werden. Der SACEUR widerstand der<br />

Versuchung, aus dem Fenster zu sehen, sondern konzentrierte sich<br />

auf die Gehe<strong>im</strong>dienstakten von fünf hohen sowjetischen Kommandeuren.<br />

Er wusste noch nicht, auf wen er treffen würde. Sein Adjutant<br />

saß ihm gegenüber und guckte zum Fenster hinaus.<br />

Potsdam, DDR<br />

Alexejew ging rastlos auf und ab und fühlte sich nervös, weil er<br />

nicht in Moskau war, wo die neuen Parteibosse Ordnung zu schaf­<br />

724


fen versuchten. Und dieser Idiot hat mich gefragt, ob sie mir noch<br />

vertrauen können? dachte er. Dann sah er sich die Unterlagen über<br />

sein Nato-Pendant an. Der Vater, ein Offizier der Fallschirmjäger,<br />

war bei der Ardennenoffensive westlich von St. Vith gefallen. Militärakademie<br />

West Point, fünfzehnter seines Jahrgangs. Viermal in<br />

Vietnam, zuletzt als Kommandeur der 101. Fallschirmjägerdivision;<br />

bei den Nordvietnamesen hatte er als ungewöhnlich gefährlicher<br />

und einfallsreicher Taktiker gegolten - hat er auch bewiesen,<br />

grunzte Alexejew in sich hinein. Universitätsgrad über Internationale<br />

Beziehungen, angeblich sprachbegabt. Verheiratet, zwei<br />

Söhne, eine Tochter, vier Enkel. Tja, wenn ein Mann erst mal Enkel<br />

hat... Einzige Leidenschaft: Kartenspiel. Mäßiger Trinker. Sexuelle<br />

Perversionen: keine bekannt, stand in der Akte. Darüber musste<br />

Alexejew lächeln. Für solchen Unfug sind wir beide zu alt!<br />

Durchs Laub drang das Knattern von Rotoren. Alexejew stand<br />

auf einer kleinen Lichtung neben einem Kommandowagen. Die<br />

Besatzung hatte sich zusammen mit einem Zug Schützen <strong>im</strong> Wald<br />

versteckt. Es bestand <strong>im</strong>merhin die Möglichkeit, dass die Nato ihn<br />

angreifen und töten wollte - nein, dachte der General, so verrückt<br />

sind wir nicht, und die auch nicht.<br />

Ein neuer amerikanischer Blackhawk landete elegant <strong>im</strong> Gras;<br />

die beiden Mi-24 kreisten über ihm. Die Tür öffnete sich nicht<br />

sofort. Der Pilot stellte die Triebwerke ab, und der Rotor kam erst<br />

nach zwei Minuten zum Stillstand. Dann glitt die Tür auf, und der<br />

General stieg barhäuptig aus.<br />

Groß für einen Fallschirmjäger, dachte Alexejew.<br />

Der SACEUR hätte den 45er Colt mit dem Elfenbeinknauf mitbringen<br />

können, zog es aber vor, dem Russen unbewaffnet und nur <strong>im</strong><br />

Drillich entgegenzutreten. Vier schwarze Sterne zierten seinen Kragen,<br />

zwei Abzeichen wiesen ihn als Fallschirmspringer und Infanteriekämpfer<br />

aus, und rechts auf der Brust hatte er ein schlichtes<br />

Schild: ROBINSON. Ich brauche nicht zu protzen, Iwan, dachte er.<br />

Ich habe gewonnen.<br />

»Sagen Sie den Männern <strong>im</strong> Wald, sie sollen sich zurückziehen.«<br />

»Aber Genosse General!« Der Adjutant war noch neu und<br />

kannte Alexejew nicht.<br />

»Los! Wenn ich einen Dolmetscher brauche, winke ich.« Alexe­<br />

725


jew schritt auf den Nato-Befehlshaber zu. Die Adjutanten näherten<br />

sich einander.<br />

Man salutierte, aber keiner wollte als erster die Hand ausstrekken.<br />

»Sie sind Alexejew«, sagte General Robinson. »Ich hatte jemand<br />

anderen erwartet.«<br />

»Marschall Bucharin ist in den Ruhestand versetzt worden. Ihr<br />

Russisch ist vorzüglich, General Robinson.«<br />

»Vielen Dank, General Alexejew. Vor einigen Jahren begann ich<br />

mich für Tschechows Stücke zu interessieren und stellte fest, dass<br />

man sie nur in der Originalsprache richtig versteht. Seitdem habe<br />

ich mich viel mit russischer Literatur beschäftigt.«<br />

Alexejew nickte. »Um Ihren Gegner besser zu verstehen.« Auf<br />

englisch fuhr er fort: »Sehr vernünftig. Gehen wir ein Stück?«<br />

«Wie viele Männer haben Sie <strong>im</strong> Wald?«<br />

»Eine Kompanie Mot-Schützen.« Alexejew verfiel in seine Muttersprache<br />

zurück. Robinsons Russisch war besser als sein Englisch.<br />

»Wie sollten wir wissen, was aus dem Hubschrauber<br />

kommt?«<br />

»St<strong>im</strong>mt«, räumte der SACEUR ein und fügte in Gedanken<br />

hinzu: Trotzdem stand er mitten auf der Lichtung. Das beweist<br />

seinen Mut. »Worüber sollen wir sprechen?«<br />

»Über die Einstellung der Feindseligkeiten vielleicht?«<br />

»Ich höre.«<br />

»Natürlich wissen Sie, dass ich mit diesem Wahnsinn nichts zu<br />

tun hatte.«<br />

Robinson wandte den Kopf. »Das geht uns Soldaten doch <strong>im</strong>mer<br />

so. Wir vergießen das Blut und bekommen die Schuld. Ihr Vater<br />

war Soldat, nicht wahr?«<br />

»Bei den Panzern. Er hatte mehr Glück als Ihrer.«<br />

»Tja, darauf läuft es oft hinaus - Glück, sonst nichts.«<br />

»Das sollten wir unseren politischen Führern besser nicht verraten.«<br />

Alexejew hätte beinahe gelächelt, merkte aber dann, dass er<br />

Robinson einen Einstieg gegeben hatte.<br />

»Wer sind Ihre politischen Führer? Wenn wir zu einer machbaren<br />

Übereinkunft kommen wollen, muss ich meiner Führung sagen,<br />

wer in Moskau verantwortlich ist.«<br />

»Der Generalsekretär der KP der Sowjetunion ist Michail Eduardowitsch<br />

Sergetow.«<br />

726


Wer? fragte sich Robinson. Den Namen hatte er noch nie gehört.<br />

»Was ist eigentlich passiert?»<br />

Alexejew sah Robinsons Verblüffung und gestattete sich diesmal<br />

ein Lächeln. »Sagen wir, es war Zeit für eine Wende.«<br />

»Was schlagen Sie vor?«<br />

»Ich bin Soldat, kein Diplomat«, sagte Alexejew. »Wir schlagen<br />

einen Waffenstillstand vor, gefolgt von einem schrittweisen Rückzug<br />

auf die Vorkriegspositionen innerhalb von zwei Wochen.«<br />

»In zwei Wochen schaffe ich das auch ohne Waffenstillstand«,<br />

erwiderte Robinson kalt.<br />

»Um einen hohen Preis - und mit gewaltigem Risiko«, gab der<br />

Russe zu bedenken.<br />

»Wir wissen, dass bei Ihnen Treibstoffknappheit herrscht. Ihre<br />

gesamte Volkswirtschaft könnte zusammenbrechen.«<br />

»Jawohl, General Robinson, und wenn auch unsere Armee zusammenbricht,<br />

bleibt uns zum Schutz des Staates nur eine Option.«<br />

»Ihr Land hat einen Angriffskrieg gegen das atlantische Bündnis<br />

begonnen. Meinen Sie vielleicht, wir lassen Sie so einfach zum<br />

Status quo ante zurückkehren?« fragte der SACEUR leise. »Und<br />

erzählen Sie mir bloß nichts von dem Bombenanschlag <strong>im</strong> Kreml ­<br />

Sie wissen genau, dass wir damit nichts zu tun hatten.«<br />

»Ich hatte nichts damit zu tun, sagte ich gerade. Ich befolgte nur<br />

Befehle, aber erwarteten Sie, dass das Politbüro tatenlos dem Ruin<br />

unserer Wirtschaft zusah? Welchen politischen Druck würden Sie<br />

auf uns ausgeübt haben, wenn Sie von der Ölknappheit erfahren<br />

hätten?«<br />

»Davon wissen wir erst seit ein paar Tagen.«<br />

Hat die maskirowka wirklich funktioniert? fragte sich Alexejew.<br />

»Warum haben Sie uns nicht gesagt, dass Sie Öl brauchen?«<br />

fragte Robinson.<br />

»Hätten Sie uns denn welches gegeben? Ich bin doch nicht naiv.«<br />

»Wir hätten Konzessionen verlangt und bekommen. Aber meinen<br />

Sie nicht, wir hätten versucht, einen Krieg zu verhindern?«<br />

Alexejew riß ein Blatt von einem Baum, starrte es kurz an, das<br />

vielfältige verzweigte Geäder. »Daran hat unser Politbüro wohl gar<br />

nicht gedacht.«<br />

»Sondern einen Aggressionskrieg begonnen. Wie viele Menschen<br />

mussten ihretwegen sterben?«<br />

»Die Männer, die diese Entscheidung fällten, sind unter Arrest<br />

727


und werden vor Gericht gestellt. Genosse Sergetow sprach sich<br />

gegen den Krieg aus und setzte so wie ich das Leben ein, um ihn zu<br />

einem gerechten Ende zu bringen.«<br />

»Für einen Vertreter einer neuen und noch sehr wackligen Regierung<br />

sprechen Sie mit großem Selbstvertrauen.«<br />

»Und Sie, General, klingen sehr selbstsicher für einen Mann, der<br />

noch vor zwei Wochen am Rand der Niederlage stand! Treiben Sie<br />

uns nicht zu weit. Gewinnen kann die Sowjetunion nicht mehr, aber<br />

beide Seiten können noch <strong>im</strong>mer verlieren. Hätten Ihre unsichtbaren<br />

Bomber nicht am zweiten Kriegstag unsere Brücken zerstört, wäre es<br />

uns gelungen, noch drei oder vier Ihrer Geleitzüge zu zerschlagen,<br />

wären Sie nun derjenige, der um einen Waffenstillstand bäte.«<br />

Eher nur einen oder zwei Geleitzüge, dachte Robinson. So knapp<br />

war es gewesen.<br />

»Ich biete Ihnen einen Waffenstillstand in gegenwärtigen Positionen<br />

an«, wiederholte Alexejew. »Beginnen könnte er schon um<br />

Mitternacht. Zwei Wochen später ziehen wir uns auf unsere Vorkriegsstellungen<br />

zurück, und dann hat das Töten ein Ende.«<br />

»Austausch der Gefangenen?«<br />

»Können wir später regeln. Im Augenblick halte ich Berlin für<br />

den naheliegenden Ort.« Berlin war wie erwartet weitgehend unberührt<br />

geblieben.<br />

»Und die deutschen Zivilisten hinter Ihren Linien?«<br />

Darüber musste Alexejew erst nachdenken. »Die haben nach dem<br />

Waffenstillstand freien Abzug - oder, besser noch, ich werde Lebensmittellieferungen<br />

für sie durchlassen, unter unserer Aufsicht.«<br />

»Ausschreitungen gegen deutsche Zivilisten?«<br />

»Werden von uns geahndet. Wer gegen die Felddienstvorschriften<br />

verstoßen hat, kommt vors Kriegsgericht.«<br />

»Und wie kann ich sicher sein, dass Sie die zwei Wochen nicht zur<br />

Vorbereitung einer neuen Offensive nutzen?«<br />

»Wie kann ich sicher sein, dass Sie nicht die für morgen angesetzte<br />

Gegenoffensive starten?« konterte Alexejew.<br />

»Sie sollte schon in wenigen Stunden anlaufen.« Robinson wollte<br />

akzeptieren. »Wird Ihre politische Führung sich an die von Ihnen<br />

ausgehandelten Bedingungen halten?«<br />

»Ja. Ihre auch?«<br />

»Ich werde sie unterbreiten müssen, bin aber ermächtigt, einen<br />

Waffenstillstand zu schließen.«<br />

728


»Dann liegt die Entscheidung bei Ihnen, General Robinson.«<br />

Die Adjutanten der Generale standen unbehaglich am Waldrand<br />

beisammen. Auch die sowjetischen Infanteristen und die Hubschrauberbesatzung<br />

schauten zu. General Robinson streckte die<br />

Hand aus.<br />

»Thank Good«, sagte der russische Adjutant.<br />

»Da«, st<strong>im</strong>mte der Amerikaner zu.<br />

Alexejew zog eine Halbliterflasche Wodka aus der Hüfttasche. »Ich<br />

habe zwar seit Monaten keinen Tropfen mehr getrunken, aber ohne<br />

einen Wodka können wir Russen keine Übereinkunft schließen.«<br />

Robinson trank einen Schluck und gab die Flasche zurück.<br />

Alexejew folgte seinen Beispiel und warf die Flasche an einen Baum.<br />

Sie blieb heil. Beide Männer lachten erleichtert.<br />

»Wissen Sie, Alexejew, wenn wir keine Soldaten wären, sondern<br />

Diplomaten -«<br />

»Ja, aus diesem Grund bin ich einer. Männern, die den Krieg<br />

verstehen, fällt es leichter, ihn zu beenden.«<br />

»Da haben Sie recht.«<br />

»Sagen Sie, Robinson.« Alexejew machte eine Pause und entsann<br />

sich des Vornamens des SACEUR: Eugene, Vatername Stephen.<br />

»Sagen Sie, Jewgeni Stepanowitsch, wie knapp war es für Sie nach<br />

unserem Durchbruch bei Alfeld -«<br />

»Sehr knapp. Wie knapp, kann ich selbst jetzt noch nicht sagen.<br />

An einem Punkt hatten wir nur noch Versorgungsmaterial für fünf<br />

Tage, aber dann kamen zwei Geleitzüge fast intakt durch und<br />

hielten uns über Wasser.« Robinson blieb stehen. »Was werden Sie<br />

mit Ihrem Land anfangen?«<br />

»Das kann ich nicht sagen, weil ich es nicht weiß. Auch Genosse<br />

Sergetow weiß das nicht. Aber die Partei muss sich vor dem Volk<br />

rechtfertigen. Irgend jemandem gegenüber muss die Führung verantwortlich<br />

sein, das haben wir gelernt.«<br />

»Ich muss fort. Viel Glück, Pawel Leonidowitsch. Bis auf ein<br />

andermal vielleicht -« Sie gaben sich noch einmal die Hände.<br />

Alexejew sah zu, wie der SACEUR seinen Adjutanten rief und<br />

den Hubschrauber bestieg. Die Turbinen liefen heulend an, der<br />

vierblättrige Hauptrotor begann, sich zu drehen, und die Maschine<br />

hob vom Gras ab. Das Blackhawk flog einen Kreis über dem Platz,<br />

729


um den begleitenden Hubschraubern Gelegenheit zum Formieren<br />

zu geben, und wandte sich dann nach Westen.<br />

Eines wirst du nie erfahren, Robinson, dachte Alexejew lächelnd.<br />

Als Kosow tot war, konnten wir seinen Code für die Freigabe der<br />

Kernsprengköpfe nicht finden. Ihr Einsatz hätte um mindestens<br />

vierundzwanzig Stunden hinausgeschoben werden müssen...<br />

Der General und sein Adjutant gingen zum Fahrzeug, wo Alexejew<br />

einen knappen Funkspruch nach Moskau absetzte.<br />

Sack, BRD<br />

Colonel Ellington half Major Eisly durch den Wald. Vierzehn<br />

Stunden hatten sie abwarten müssen, bis sie eine einzige Straße<br />

überqueren konnten. Er schätzte, dass sie fünfzehn Meilen vor den<br />

eigenen Linien abgestürzt waren. Eine Woche waren sie nun unterwegs,<br />

tranken aus Bächen und arbeiteten sich von Baum zu Baum<br />

vor.<br />

Nun erreichten sie ein Feld. Es lag dunkel und überraschend still<br />

da. Hatten sich die Russen zurückgezogen?<br />

»Versuchen wir's, Duke«, sagte Eisly, dessen Rücken sich so<br />

verschl<strong>im</strong>mert hatte, dass er ohne Hilfe nicht mehr laufen konnte.<br />

»Gut.« Sie marschierten los, so rasch es ging. Nach hundert<br />

Metern bewegten sich Schatten auf sie zu.<br />

»Scheiße!« flüsterte Eisly. »Tut mir leid, Duke.«<br />

»Mir auch«, st<strong>im</strong>mte der Colonel zu. Er dachte noch nicht einmal<br />

daran, seinen Revolver zu ziehen, denn er zählte mindestens<br />

acht Männer mit Gewehren, die sie rasch umringten.<br />

»Wer da?« fragte eine St<strong>im</strong>me auf deutsch.<br />

»Wir sind Amerikaner«, erwiderte Ellington. Gott sei Dank, das<br />

sind Deutsche, dachte er - doch dann erkannte er an der Form ihrer<br />

Helme, dass er sich geirrt hatte.<br />

Ein russischer Leutnant leuchtete ihm mit der Taschenlampe ins<br />

Gesicht. Seltsam, den Revoler nahm er ihm nicht ab. Dann geschah<br />

etwas noch Merkwürdigeres. Der Leutnant umarmte und küßte<br />

beide Männer und wies dann nach Westen.<br />

»Hier entlang, noch zwei Kilometer.«<br />

»Bloß keine Diskussionen, Duke«, wisperte Eisly. Als sie losmarschierten,<br />

spürten sie die Blicke der Russen <strong>im</strong> Rücken. Eine Stunde<br />

730


später erreichten die Flieger die eigenen Linien und erfuhren von<br />

dem Waffenstillstand.<br />

USSIndependence<br />

Der Kampfverband lief nach Südwesten. Kurz vor der Stelle, von<br />

der aus sie in der Lage gewesen wären, die russischen Stützpunkte<br />

bei Murmansk anzugreifen, kam der Rückruf. Toland, der sich<br />

gerade mit der Stärke der russischen Jäger und SAM befaßt hatte,<br />

klappte die Akte zu und steckte sie zurück in den Gehe<strong>im</strong>schrank.<br />

Dann ging er nach unten, um Major Tschapajew mitzuteilen, dass er<br />

seine Familie in der Tat Wiedersehen würde.<br />

Nordatlantik<br />

Auch das Lazarettflugzeug C-9 Nightingale flog nach Südwesten,<br />

hielt auf den Luftstützpunkt Andrews bei Washington, D. C., zu. Es<br />

hatte verwundete Marinesoldaten, einen Lieutenant der Air Force<br />

und eine Zivilistin an Bord. Die Besatzung hatte sich gegen die<br />

Zivilistin gesperrt, bis ein Zwei-Sterne-General der Marines über<br />

Funk erklärt hatte, jeder, der die Dame von des Lieutenants Seite<br />

risse, bekäme es mit seiner Truppe zu tun. Edwards war nun länger<br />

wach. Ihm stand noch eine Operation bevor - die Achillessehne<br />

war durchtrennt -, aber das machte nichts. Noch viereinhalb Monate,<br />

dann wurde er Vater. Und anschließend konnten sie an ein<br />

Kind von ihm denken.<br />

Norfolk, Virginia<br />

O'Malley war mit dem Reporter schon an Land geflogen. Die<br />

Reuben James hatte den beschädigten Träger America nach Norfolk<br />

eskortiert. Von der Brückennock schaute er auf den so vertrauten<br />

Hafen. Innerlich beschäftigte ihn die Frage: Was hatte das<br />

Ganze zu bedeuten?<br />

Ein Schiff verloren, Freunde tot, Leben, die er auf dem Gewissen,<br />

Leichen, die er gesehen hatte...<br />

731


»Ruder mittschiffs«, befahl Morris. Ein Windstoß von Süden<br />

half der Reuben James an den Kai.<br />

Achtern warf ein Matrose den Männern an Land ein Anholtau<br />

zu.<br />

Die Bedeutung des Ganzen?<br />

Es ist vorbei, entschied Morris.<br />

732<br />

ENDE

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