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Arthur Engelbert Bildanalyse und technologischer ... - Zeitenblicke

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zeitenblicke 2 (2003), Nr. 1<br />

<strong>Arthur</strong> <strong>Engelbert</strong><br />

<strong>Bildanalyse</strong> <strong>und</strong> <strong>technologischer</strong> Standard - ein<br />

kritischer Rückblick auf Multimedia<br />

Abstract<br />

In dem Beitrag geht es um einen Rückblick auf die Anfänge des manipulierbaren,<br />

digitalen Bildes im Kontext der Kunst. An einem Fallbeispiel, dem Johannesaltar des<br />

Rogier van der Weyden, erfolgt eine praktische Auseinandersetzung mit den<br />

technologisch bedingten Grenzen der <strong>Bildanalyse</strong>. Dies mündet in eine kritische<br />

Bilanz vorfabrizierter Wissensvermittlung <strong>und</strong> Sichtbarkeitserfahrung nicht nur im<br />

Bereich der Kunstgeschichte.<br />

Die These lautet von daher ganz allgemein gefasst: Tradierte Bildlichkeit fristet ihr<br />

Dasein nicht mehr allein im musealen Raum, sondern ist bereits in einen<br />

technologisch bedingten transferiert.<br />

Einleitung<br />

<br />

Der folgende Beitrag thematisiert das digitale Bild im Museum, in Form einer<br />

exemplarischen Auseinandersetzung mit einer Produktion, [1] an deren Realisation<br />

der Verfasser selbst maßgeblich beteiligt war. [2] In die konkrete<br />

Auseinandersetzung um das digitale Bild fließen demzufolge Anteile aus der Praxis<br />

ein, die mittlerweile schon Geschichte [3] ist: Rückblickend lässt sich sagen, dass die<br />

Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen der Implementierung von kulturgeschichtlichen <strong>und</strong><br />

bildwissenschaftlichen Inhalten in das digitale Medium sowie deren technischer<br />

Manipulation von fachübergreifenden Faktoren abhängen. Diese sollen hier<br />

sukzessive herausgearbeitet <strong>und</strong> in nicht nur kunsthistorische Zusammenhänge<br />

eingeordnet werden. Dies geschieht durch eine Diskussion der eigens entwickelten<br />

Darstellungsmittel <strong>und</strong> durch eine Infragestellung bildwissenschaftlicher Methoden<br />

<strong>und</strong> bildschirmwissenschaftlicher Anforderungsprofile, die Berücksichtigung fanden.<br />

Man darf die Ausführungen auch als einen kritischen Rückblick auf die Möglichkeiten<br />

von Bildwissenschaft <strong>und</strong> künstlerischen Projekten unter den Bedingungen von<br />

Multimedia beziehungsweise von den mittlerweile nicht mehr neuen, sondern bereits<br />

im (wissenschaftlichen) Alltag verfügbaren neuen Medien werten. Es wird sowohl die<br />

Grenze der tradierten Bildwissenschaft aufgezeigt als auch eine Kritik der grafischen<br />

Benutzeroberfläche zur Sprache gebracht.<br />

<br />

Will man den bildlichen Inhalt der kunsthistorischen Analyse stärker gewichten, muss<br />

man die technologischen Standards den bildlichen Tatsachen unterordnen. ’Vom Bild<br />

ausgehen’ [4] lautet also die methodische Vorgabe für die nachfolgende<br />

Untersuchung, die in eine kritische Distanz zur eigenen Arbeit mündet. Wenn das<br />

tradierte Bild den Bezugsmittelpunkt darstellt, ist das digitalisierte Bild dennoch nicht<br />

zweitrangig, denn dessen technologische Weiterverarbeitung setzt


Rahmenbedingungen, die in der Projektierung vorrangig sind. [5]<br />

<br />

Ausgegangen wird also ganz konkret von einem tradierten Tafelbild im musealen<br />

Kontext. Anhand des ‚Johannesaltars’ von Rogier van der Weyden von circa 1454 [6]<br />

möchte ich erörtern, wie die beiden Bildmedien, Tafelbild einerseits <strong>und</strong> Bitmap<br />

andererseits, aufeinander zu beziehen sind. Das Bitmap ist Kernstück einer<br />

multimedialen Werkmonografie aus der ‚Digitalen Galerie’ in der Gemäldegalerie<br />

Berlin.<br />

<br />

Diese Arbeit entstand Ende 1997 <strong>und</strong> ist eine von zehn Werkmonografien, die sich<br />

mit dem Sammlungsbereich der altniederländischen Malerei auseinandersetzen. [7]<br />

Die ‚Digitale Galerie’ wiederum basiert auf einem Gesamtkonzept, das hier aus<br />

Zeitgründen nicht vorgestellt werden kann. Es ist ein in die Räume der<br />

Gemäldegalerie integriertes Besucherinformationssystem. [8]<br />

1. Einstieg: Bild- <strong>und</strong> Textverhältnis<br />

<br />

Das dreigeteilte Altarbild zeigt neben den drei Vordergr<strong>und</strong>szenen zwei weitere im<br />

Mittelgr<strong>und</strong> sowie 18 Szenen in den Archivolten der bildrahmenden Portalarchitektur.<br />

Das ergibt 23 Szenen. Die zentrale Szene vor dem mittleren Portal ist die Nummer<br />

12 im Erzählverlauf. Bildtechnisch ist es somit möglich, Haupt- <strong>und</strong> Nebenszenen zu<br />

unterscheiden. Der Altar ist eine sinnvoll geordnete Informationsfläche. Aufgr<strong>und</strong> der<br />

formalen Anordnungs- <strong>und</strong> motivischen Darstellungsweise sind die visuellen<br />

Standards lesbar. Traditionell formuliert: In drei<strong>und</strong>zwanzig Szenen werden auf dem<br />

Johannesaltar Teile der Lebensgeschichte von Johannes dem Täufer <strong>und</strong> Jesus von<br />

Nazareth erzählt. Sie berichten von der Kindheit beider bis hin zur Enthauptung<br />

Johannes des Täufers.


Zweimal treffen die beiden aufeinander, einmal als noch Ungeborene in der<br />

Begegnung der schwangeren Elisabeth <strong>und</strong> der ebenfalls schwangeren Maria <strong>und</strong><br />

zum zweiten Mal als erwachsene Männer bei der Taufe Christi durch Johannes. Die<br />

Szenen verbildlichen wortgenau Bibelstellen, wie anhand der Gegenüberstellung von<br />

Textquelle <strong>und</strong> Bildausschnitt in der multimedialen Anwendung nachvollzogen<br />

werden kann. Nur bei den Versuchungen Christi durch Satan in der Wüste ist Rogier<br />

van der Weyden in der Reihenfolge der Versuchungen eine Verwechslung<br />

unterlaufen. Ansonsten sind die biblischen Ereignisse wortgetreu visualisiert. Auf der<br />

erzählerischen Ebene folgt also die Verbildlichung dem biblischen Text. Zwar stimmt<br />

der Bildinhalt mit der schriftlichen Offenbarung überein, jedoch diktiert die inhaltliche<br />

Unterordnung nicht die Ebenen der bildlichen Anordnung, Gestaltung <strong>und</strong> visuellen<br />

Gewichtung der einzelnen Motive. Einerseits stehen die einzelnen Szenen in einer<br />

Jahrh<strong>und</strong>erte alten Motivtradition <strong>und</strong> sind von daher in der Variation eingeschränkt,<br />

andererseits löst sich die Platzierung <strong>und</strong> Ausführung der Bildmotive vom<br />

Textverlauf.<br />

<br />

Um die Beziehung von biblischer Quelle <strong>und</strong> Verbildlichung bei Rogier van der<br />

Weyden aufzuzeigen, wurde der szenische Ablauf in überprüfbare Einzelschritte,<br />

teilweise mit Links zu den biblischen Belegstellen, unterteilt <strong>und</strong> zugleich wieder<br />

verb<strong>und</strong>en. Somit entstand ein abrufbares Nacheinander, das der dynamischen<br />

Bildstruktur entspricht. Diese filmisch-szenische Metapher fungiert als technisches<br />

Tool für die <strong>Bildanalyse</strong>. Es ist wichtig zu erkennen, dass das überprüfbare Bild-Text-<br />

Verhältnis hierdurch eine zusätzliche Komponente erhält. In dem Bild-Text-Verhältnis


ist zweierlei enthalten. Einerseits macht es auf wortsprachliche Nähe in der bildlichen<br />

Übersetzung aufmerksam, denn die Verbildlichung steht in Übereinstimmung zum<br />

Text <strong>und</strong> gewinnt dadurch Verbindlichkeit. Andererseits behauptet sich eine<br />

ikonische Differenz, denn die Unterscheidung vom Text sichert der bildlichen Struktur<br />

<strong>und</strong> freien Gestaltung Eigenständigkeit.<br />

2. Einstieg: Externe Verknüpfungen <strong>und</strong> inhaltliche Dichte<br />

<br />

Folgt man dem szenischen Erzählverlauf, erhält man nicht nur Bild-Text-Bezüge,<br />

sondern auch weiterführende Optionen, die zum Text- <strong>und</strong> Bildverständnis unbedingt<br />

notwendig sind. Weil der Johannesaltar im Mittelpunkt der Anwendung steht, wurden<br />

die zwei weiteren Werke von Rogier van der Weyden aus der Gemäldegalerie dem<br />

Erzählverlauf des Johannesaltars untergeordnet. So bieten die 4. Szene mit der<br />

Darstellung der "Anbetung" <strong>und</strong> die 6. Szene mit der "Verkündigung" Optionen an,<br />

die einmal zum Miraflores-Altar:<br />

<br />

<strong>und</strong> zum andern zum Bladelin-Altar führen.


Beide Hyperlinks erlauben, den fortlaufenden Erzählverlauf des Johannesaltars zu<br />

unterbrechen. Sie eröffnen auf je eigene Weise eine vollständige Auswertung der<br />

Bild-Text-Bezüge der beiden anderen Werke. Weil das Visualisierungsprogramm der<br />

Altarbilder, sprich die bildliche Übertragung von Informationen, in Form jeweils<br />

unterschiedlicher Darstellungsweisen gelöst ist, wurde hierauf in der technischen<br />

Umsetzung entsprechend reagiert. Deutlich erkennbar sind deshalb für den Nutzer<br />

der <strong>Bildanalyse</strong> die Unterschiede von kleinteilig verschachteltem <strong>und</strong> großflächigem<br />

Aufbau der Bildszenen.<br />

<br />

Die in den drei Werken erkennbare Tendenz von der komplexen Vielheit im<br />

Johannesaltar zur simplifizierten Einzelszene des Bladelin-Altares weist darüber<br />

hinaus auch auf die Vor- <strong>und</strong> Nachteile des Einzelbildes hin. Das bildlich applizierte<br />

Hypertextsystem bietet dort, wo sich Verknüpfungen notwendigerweise anbieten,<br />

entsprechende Optionen zur weitergehenden Interpretation des Tafelbildes an. Dazu<br />

ein paar Hinweise: Im Erzählverlauf ist mit der zwölften Szene, der zweiten<br />

Begegnung von Jesus <strong>und</strong> Johannes, ein Höhepunkt erreicht. Jesus geht zu<br />

Johannes, um sich taufen zu lassen.<br />

<br />

Diese Szene steht im Mittelpunkt der Verbildlichung. Interessanterweise eröffnet die<br />

visualisierte Bibelstelle einige Hyperlinks zum weiteren Verständnis.


Es sind dies die Textpassagen:<br />

1. "dass der Himmel sich auftat" [9],<br />

<br />

2. "Jesus getauft war" [10]<br />

<br />

3. "Segensgestus" [11]<br />

Folgt man diesen Links, erhält man nicht nur Deutungen dieser Passagen, sondern<br />

auch visuelle Zusatzinformationen. Gerade diese aus dem Bildprogramm sich


ergebenden Bildvergleiche sind besonders hilfreich, um eine weitergehende<br />

Beschäftigung mit der altniederländischen Malerei anzuregen.<br />

<br />

So legt die 22. Szene mit der verbildlichten Textpassage "Gib mir her auf einer<br />

Schüssel das Haupt Johannes des Täufers" einen Bildvergleich mit Hans Memlings<br />

‚Johannestriptychon’ von 1479 nahe. Ausschließlich formale Betrachtungen zum<br />

Bildaufbau <strong>und</strong> zur Komposition wurden aus dem szenischen Erzählverlauf<br />

ausgeklammert, genauso wie die Präsentation der zwölf Apostel in der<br />

Spitzbogenarchitektur, die über ein eigenes Icon erreichbar sind.<br />

<br />

Die Darstellung der Bezüge anhand des digitalisierten Bildes erfordert eine<br />

konzeptionelle Einschränkung auf das Notwendigste. Mit anderen Worten: Um die<br />

Stringenz im Erzählverlauf zu gewährleisten, finden sich Optionen zum Bildraum <strong>und</strong><br />

zum weiterführenden Kontextwissen an anderer Stelle. Die Verlagerung<br />

beziehungsweise Abkopplung darf natürlich nicht zur Folge haben, dass das<br />

Verzweigungsnetz der Bezüge disparat wird. Man sollte Icons mit zentralen Optionen<br />

nach Möglichkeit durchgängig anwählen können. Die <strong>Bildanalyse</strong> bedarf einer<br />

konzeptionellen Zusammenhangsbildung. Gr<strong>und</strong>sätzlich bedeutet das, dass alle<br />

Operationen immer von etwas ausgehen, nicht aber von etwas wegführen sollen,<br />

damit sie im feststehenden Frame optionaler Verknüpfungen bleiben. Von daher ist<br />

der Ausdruck ‚Informationstiefe’ eher irreführend <strong>und</strong> unangemessen. An Stelle<br />

dessen würde ich eher von inhaltlicher Dichte <strong>und</strong> zu legitimierender Vielfalt der<br />

benötigten Bildschirmseiten, Icons <strong>und</strong> Operationen etcetera sprechen <strong>und</strong> von der<br />

visuellen Verklammerung durch eine Metapher.


3. Einstieg: kunsthistorische Bezüge – Bildraum.<br />

<br />

Vergleichende Studien zum Bildraum aller drei Werke von Rogier van der Weyden<br />

erreicht man demzufolge über ein immer sichtbares Icon. Folgt man dem Icon dieser<br />

Option, erreicht man eine Seite, auf der es möglich ist, visuelle Angebote zum<br />

Bildraum, zur Perspektive <strong>und</strong> zur Figurenkomposition systematisch anzusteuern.<br />

<br />

Dadurch treten dem Nutzer die optischen Unterschiede der drei Bildwerke vor<br />

Augen, ohne dass ein erklärender Begleittext erforderlich ist. Somit liegt der Akzent<br />

auf einem im Sehen zu erschließenden Bildverständnis, auf einer visuellen<br />

Argumentation, die selbsterklärend, aber nicht völlig erschöpfend ist. Weil sich durch<br />

die technischen Möglichkeiten immer wieder Grenzen des reinen Sehens <strong>und</strong> des<br />

operationalen Tuns aufdrängen, kommt man nicht umhin, eine kritische Distanz der<br />

<strong>Bildanalyse</strong> gegenüber dem zwar schulenden, aber textarmen Bildersehen<br />

aufzumachen. Dass man dieser kritischen Distanz nicht einfach durch Anhäufung<br />

von Begleitinformationen <strong>und</strong> Kontextwissen begegnen kann, dürfte klar sein. Denn<br />

es bedarf der zwingenden Begründung, warum genau dies mit dem dort in<br />

Beziehung gesetzt werden muss, kann oder soll, wozu ich im abschließenden Fazit<br />

noch ein paar Bemerkungen machen werde.<br />

Exkurs: Zusatzinformationen zum Johannesaltar von Rogier van<br />

der Weyden<br />

<br />

Weil die Kontextbezüge einen gemeinsamen Hintergr<strong>und</strong> aller Werkanalysen zur<br />

altniederländischen Malerei in der Digitalen Galerie darstellen, sind sie in der Regel<br />

auf einem Werkgruppentableau zusammengefasst.


Das hat wiederum für die eigentliche <strong>Bildanalyse</strong> der Werke von Rogier van der<br />

Weyden den Vorteil der Konzentration auf das Bild-Textverhältnis. Von Nachteil ist,<br />

wenn es denn überhaupt ein Nachteil ist, dass ohne begleitende schriftliche<br />

Argumentationen keine diskursfähige These vorliegt.<br />

<br />

Um den möglichen Vorwurf eines technisch bedingten Formalismus zu entkräften,<br />

möchte ich an dieser Stelle einige kontexterschließende Intentionen ansprechen. Mit<br />

Bezug auf die Raumanalyse des Johannesaltars konnte ganz gr<strong>und</strong>sätzlich auf das<br />

Verständnis des Bildraums der altniederländischen im Vergleich mit der<br />

gleichzeitigen Entwicklung der italienischen Malerei eingegangen werden. Dazu<br />

findet der Nutzer der Digitalen Galerie ein eigenes Kapitel zu Perspektive <strong>und</strong><br />

Bildraum, in dem gerade die Besonderheiten des Bild- <strong>und</strong> Betrachterraums nördlich<br />

der Alpen aufgezeigt werden.<br />

<br />

Hierzu gibt es neben Gr<strong>und</strong>informationen zur Perspektive auch einen Vergleich zum<br />

Bildraum eines Vertreters der altniederländischen mit einem der italienischen<br />

Malerei.


Man erkennt an der Gegenüberstellung, dass die bereits in der Einzelanalyse<br />

gewonnenen Bildeinsichten sich hier erweitern lassen. Es ist allerdings dem Nutzer<br />

freigestellt, diese über das Kachel-Icon am Fußboden des Burghofes angelegte<br />

Option aufzugreifen <strong>und</strong> im Panoramafenster die Ausführungen zur Perspektive <strong>und</strong><br />

zum Bildraum zu beobachten. So wie es dem Nutzer auch selbst überlassen ist, ob<br />

er sich näher über historische Bezüge informieren möchte, die von der sozialen bis<br />

zur politischen Geschichte reichen, um die möglichen Intentionen der Auftraggeber<br />

<strong>und</strong> das Umfeld der Adressaten kennen zu lernen.<br />

1. Auswertung: Zeit - Raum – Erzählung<br />

<br />

In den vorangegangenen Ausführungen stand das Verhältnis von Bilderzählung zum<br />

Bildaufbau im Mittelpunkt des Interesses. Es konnte gezeigt werden, dass die<br />

bildliche Logik sich nicht in der Verbildlichung eines Informationsprogramms<br />

erschöpft. Vielmehr zeigt die Bildstruktur eine Eigenständigkeit, die über die<br />

Visualisierung der biblischen Szenen hinausgeht.<br />

<br />

Mit den malerischen Möglichkeiten unter den tradierten Bedingungen des Tafelbildes<br />

werden räumliche Ein- <strong>und</strong> Ausblicke kombiniert, wobei die Portalarchitektur wie eine<br />

Scheidewand vor verschiedenartige Innen- <strong>und</strong> Außenräume gesetzt ist: Wohnraum,<br />

Landschaft, Palast, Burghof beziehungsweise städtischer Innenraum. Die gemalte<br />

Architektur dient mit ihren Elementen beziehungsweise Bauteilen als narrativ<br />

nutzbare Informationsoberfläche. Den verschiedenen Raumtypen kommt die<br />

doppelte Aufgabe zu, sowohl die Tradition als auch zeitgemäße Neuerungen<br />

städtischer Wohnkultur mit umgebender Natur als gestaltbare Landschaft zu<br />

vereinen.<br />

<br />

Dadurch, dass die Architektur sowohl Elemente der gotischen Kathedrale als auch<br />

bürgerlicher Palastarchitektur sowie Stadt- <strong>und</strong> Landschaftsgestaltung mit<br />

Anspielungen verbindet, die auf imaginierbare Erzählräume, wie den Fluss Jordan,<br />

den Palast des Herodes in Jerusalem <strong>und</strong> andere Orte der Überlieferung, verweisen,<br />

erhält der biblische Erzählstoff eine doppelte Rahmung. Sie ist mehr als nur ein<br />

rahmender Kontext, denn die Verschränkung von Raum <strong>und</strong> Zeit ist eine Bildleistung,<br />

die über die reinen Darstellungsaufgaben der Malerei hinausgeht. Dadurch, dass der<br />

Erzählverlauf in den verschränkten Bildraum als ein Informationssystem<br />

eingeschrieben ist, ergibt sich für die biblische Ereignisse schildernde<br />

Figurendarstellung, das heißt für die einzelnen figürlichen Szenen, eine ganz<br />

besondere optische Verknüpfung.<br />

<br />

Diese sind, wie gezeigt werden konnte, durch bildbegleitende Informationen, die zum<br />

Verständnis der Bilderzählung <strong>und</strong> deren Tradition hinzuzuziehen sind, zu ergänzen.<br />

Bevor ich in der <strong>Bildanalyse</strong> weiter fortfahre, möchte ich die formale Befragung um<br />

einige technische Aspekte erweitern.<br />

2. Auswertung: Bildzeichen - individuell oder standardisiert<br />

<br />

Gearbeitet wurde mit einem Bitmap (dem digitalisierten Tafelbild) in der


Bildschirmauflösung von 1600x1200 <strong>und</strong> einer Farbtiefe von 16 Bit. Um den<br />

Erzählverlauf abzubilden wurden Bildzeichen des Altarwerkes verwendet <strong>und</strong> für die<br />

Anordnung <strong>und</strong> Bedienung der Szenen eingesetzt. Dazu ist zu sagen, dass man<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich zwischen individuellen <strong>und</strong> standardisierten Bildzeichen unterscheiden<br />

kann. Die standardisierten Bildzeichen wurden bereits in den 40er Jahren in der<br />

Wiener ‚Bilderstatistik’ entwickelt [12] <strong>und</strong> zeichnen sich dadurch aus, dass sie<br />

grafische Abstraktionen von Dingen <strong>und</strong> Funktionen erlauben. Gemeint sind damit<br />

zum Beispiel flächige Reduktionen oder Umrisslinien von Gegenständen oder<br />

Richtungsangaben. Bekannt sind zum Beispiel die Silhouetten von Personen oder<br />

Querschnitte durch Gegenstände, weshalb diese Bildzeichen auch Sachzeichen<br />

sind, die in der weiteren Entwicklung als Orientierungs- <strong>und</strong> Steuerzeichen bei<br />

Gebäuden mit massenhaftem Durchlauf wie Flughäfen oder bei Großereignissen wie<br />

den Olympischen Spielen eingesetzt wurden. Standardisierte Bildzeichen, zum<br />

Beispiel Piktogramme, finden wir in den genannten Umschlagplätzen als<br />

Informationsleitsysteme sowie als Steuerungsmittel <strong>und</strong> Orientierungshilfen überall<br />

im Alltag. [13]<br />

<br />

In der vorliegenden <strong>Bildanalyse</strong> wurde eine lineare Gruppierung von individuellen<br />

Einzelzeichen eingesetzt, die ihre bildliche Referenz zu erkennen geben. Man könnte<br />

auch andere Anordnungsmuster <strong>und</strong> Zusammenstellungen der Bildzeichen wählen.<br />

[14] Ob individuelle oder standardisierte Bildzeichen den Vorzug erhalten, hängt<br />

immer auch von dem Einsatz- <strong>und</strong> Nutzungsumfeld ab, worauf ich gleich zu<br />

sprechen kommen werde. Dass ich individuelle Bildzeichen <strong>und</strong> die individuelle<br />

Metapher bevorzugt habe, erklärt sich aus der mehr künstlerisch geprägten<br />

Pionierzeit der multimedialen Anwendungen, in der Standards, Indices, Lexika <strong>und</strong><br />

Datenbanken verpönt waren, weil, mit Max Bense gesprochen, der subjektive Bezug<br />

fehlt, wenn nicht nur Zeichenhaftigkeit vorherrscht, sondern gar der bloße<br />

Informationsgehalt überwiegt. [15] Einzugestehen ist allerdings: Der höhere<br />

Abstraktionsgrad <strong>und</strong> damit auch die allgemeine Verständlichkeit liegen sicherlich in<br />

der Verwendung von standardisierten Bildzeichen, die den informativen Gehalt<br />

gewährleisten. Als allgemein eingeführte <strong>und</strong> gebräuchliche Zeichen erfüllen sie nur<br />

ihren funktionalen Zweck <strong>und</strong> lenken nicht weiter ab. Für den Einsatz von<br />

individuellen Bildzeichen spricht, dass, wenn sie plausibel <strong>und</strong> selbsterklärend sind,<br />

ihre ikonische Dichte größer ist, weil mit ihnen visuell vielseitiger argumentiert<br />

werden kann.<br />

3. Auswertung: Bild- <strong>und</strong> Steuerzeichen<br />

<br />

Durch die verwendete Software, das Autorenprogramm Director 6.0 (Macromedia),<br />

liegen bereits technische Bedingungen vor, die bei der Anordnung der szenisch<br />

operierenden Bildzeichen vorgegeben waren. [16] Allerdings möchte ich von den<br />

Bedingungen des Autorenprogramms abstrahieren, um weiter auf der<br />

Darstellungsebene der Bild- <strong>und</strong> Steuerungszeichen fortzufahren.<br />

<br />

Bei den Bildzeichen handelt es sich um verkleinerte <strong>und</strong> bearbeitete Miniaturen. Sie<br />

signalisieren einen innerbildlichen Bezug. Die Bildzeichen sind aktivierbar. Sie<br />

leuchten leicht auf, wenn der durch Mausbewegung gesteuerte Cursor sie auf der<br />

Bildoberfläche erreicht. Durch den vertrauten Klick werden sie zu Steuerzeichen.


Diese Doppelung des Bildzeichens, sowohl etwas anzuzeigen als auch etwas<br />

auszulösen, wird durch die Termini ‚Icon’ <strong>und</strong> ‚Button’ gefasst. Icon ist gebräuchlicher<br />

als der deutsche Ausdruck Bildzeichen. Unter Icon werden alle möglichen Arten von<br />

Zeichen subsumiert. Unter Button wird ein Zeichen für eine Auslösefunktion<br />

verstanden. Während die Bildzeichen mit der Entwicklung von<br />

Informationsleitsystemen ihre standardisierte Ausprägung erhalten haben, sind Icons<br />

<strong>und</strong> Buttons eng an die Erfindung steuerbarer Datenoberflächen <strong>und</strong> die<br />

Visualisierung metaphorischer Standards geb<strong>und</strong>enen. Gemeint sind hier die<br />

Entwicklung der Maus [17] als eine Abstraktion des Reglers <strong>und</strong> dessen virtuelle<br />

Darstellung als Steuerelement auf einer Bildschirmoberfläche. [18] Die<br />

Steuerungselemente regeln Interaktion <strong>und</strong> bilden einen Funktions- <strong>und</strong><br />

Nutzungszusammenhang, der sich auf einer grafischen Benutzeroberfläche, dem<br />

Interface, abspielt.<br />

<br />

Die technische Entwicklung von Maus, Tastatur <strong>und</strong> Bildschirm als User-Interfaces,<br />

den Schnittstellen, [19] stellt eine historische Zäsur dar:<br />

Wir sollten zwischen der Welt von standardisierten Bildzeichen <strong>und</strong> Reglern in<br />

physikalischen Kontexten, wie in den angeführten Informationsleitsystemen oder<br />

Schaltkreisen einerseits <strong>und</strong> allgemein eingeführten Icons der digitalen Interfaces<br />

andererseits, wie denjenigen auf dem Desktop <strong>und</strong> den Menüs von<br />

Standardprogrammen, unterscheiden. Zwar kann man beide Welten aufeinander<br />

beziehen, aber durch die Icons ist etwas Neues hinzugekommen. Technisch heißt<br />

das, dass die Idee des Schalters beziehungsweise des Bedienknopfes durch die<br />

Kombination von Icon <strong>und</strong> Button zu optischen Bedienungselementen abstrahiert<br />

wurde.<br />

Mit der Entwicklung der Visualisierung von steuerbaren Datenoberflächen<br />

einhergehend haben sich Standards durch den Gebrauch von Betriebssoftware <strong>und</strong><br />

Multimediaprogrammen durchgesetzt, die hinsichtlich der Darstellung <strong>und</strong> Nutzung<br />

wiederum die Frage nach Regeln mit sich bringen. Das heißt, man bemüht sich, die<br />

Standards zum Beispiel für das Nutzungsprofil zu definieren <strong>und</strong> Ordnung in den<br />

Gebrauch zu bringen, wobei man der Leitbildfunktion marktführender Software<br />

Rechnung tragen sollte. Festzuhalten ist, dass die visuelle Standardisierung zeitlich<br />

immer begrenzt ist, denn sowohl der optische Abnutzungseffekt als auch die neuen<br />

technologischen Entwicklungen widersprechen einer unbefristeten Standardisierung.<br />

Bewertungen: ästhetische <strong>und</strong> inhaltliche Maßstäbe<br />

<br />

Weil die visuelle, grafische Darstellung von Bedienungselementen einen so großen<br />

Stellenwert einnimmt, hat sich bereits eine designlastige Bewertung dieser<br />

Darstellungselemente herausgebildet. Hauptmerkmal dieser Bewertungssicht ist die<br />

Nutzerfre<strong>und</strong>lichkeit. Die Funktion <strong>und</strong> Darstellung der Icons als Steuer- <strong>und</strong><br />

Bildzeichen auf der Bildschirmoberfläche ist eng geknüpft an die Verwendung von<br />

Metaphern, wie die Büroumgebung/Desktop, den Ordner, das Menü oder den<br />

Papierkorb: Man spricht diesbezüglich von Graphical-User-Interfaces (GUIs), [20]<br />

von grafischen Benutzeroberflächen. Wollte ich die Standards hinsichtlich<br />

Optimierung <strong>und</strong> Effektivität der grafischen Benutzerschnittstellen auf die<br />

Benutzeroberfläche der <strong>Bildanalyse</strong> bei Rogier van der Weyden übertragen, müssten<br />

drei Bedingungen beachtet werden.<br />

- "Die visuellen Zeichen sind mit dahinter stehenden Operationen verb<strong>und</strong>en <strong>und</strong>


leiben ständig im Sichtfeld.<br />

- Es muss die Möglichkeit geben, dass man auf die Objekte zeigen kann (mittels<br />

einer Maus zum Beispiel).<br />

- Ein solches System muss interaktiv sein, das heißt, wenn ich ein Objekt anklicke,<br />

muss sofort eine Operation ausgelöst werden sowie ein Feedback erfolgen." [21]<br />

Diese Bedingungen sind erfüllt. [22]<br />

<br />

Dennoch stellt sich die Frage, wie die Normen für Nutzungs- <strong>und</strong> Anforderungsprofile<br />

zustande kommen. Wie kann man die neuen Benutzeroberflächen bewerten, wie sie<br />

ästhetisch beurteilen? [23] Dass hierbei die Bildwissenschaft ein genuines neues<br />

Aufgabenfeld gehabt hätte, liegt auf der Hand. Vorerst wurden jedoch die<br />

Beurteilungs- beziehungsweise Bewertungsmaßstäbe aus der grafischen Praxis<br />

heraus festgelegt. Ein eigener Zweig ist hierbei die ’Usability’, [24] wenn vom<br />

Erscheinungsbild- beziehungsweise Bedienprofil, sprich der Art der Darstellung <strong>und</strong><br />

der Operationsleistung von steuerbaren Bildschirmoberflächen die Rede ist. [25] Legt<br />

man die Bewertungsskala der fünf Merkmale von Usability [26] - Erlernbarkeit,<br />

Einprägsamkeit, Effizienz, Fehlerrate, Zufriedenheit - zugr<strong>und</strong>e, schneiden<br />

individuelle Bedienungselemente schlecht ab. Jedoch: Einprägsamkeit <strong>und</strong> Effizienz<br />

sind zwar für den massenhaften Gebrauch geeignet, stellen aber keinen Wert an sich<br />

dar. Überhaupt ist das Problem der regulativen Gebrauchsanalyse äußerst<br />

zweifelhaft, wenn allein Standardlösungen der Maßstab sind. Auf diese Weise<br />

geraten individuelle Qualitätsmaßstäbe natürlich ins Hintertreffen. Den designlastigen<br />

Bewertungsmaßstäben [27] sollte man entgegen halten, dass angesichts der<br />

Nutzungsoptimierung bei Standardlösungen auch individuelle Qualitätsmaßstäbe<br />

einzufordern sind.<br />

<br />

Ein Optimierungsbeispiel mit einer Standardlösung für die technische Anbindung von<br />

Bild <strong>und</strong> Textaktionen ist die Arbeit zur ’Kirchenmadonna’ von Jan van Eyck aus der<br />

Digitalen Galerie [28]. Gr<strong>und</strong>sätzlich aber gilt es, den technischen Bedingungen<br />

inhaltliche Anforderungen entgegen zu stellen. Nur dadurch kann es auch zu einer<br />

Kritik gegenüber den technischen Anforderungen kommen. Deshalb werden im<br />

weiteren Verlauf die inhaltlichen Bezüge wieder mehr Berücksichtigung finden.<br />

Ausblick: Sehen <strong>und</strong> Tun<br />

<br />

Schaut man weniger auf die bereits standardisierten Effekte <strong>und</strong>


Funktionsauslösungen, wie ’Highlighten’ bei ’Roll-over’ oder ’Wechsel der<br />

Bildschirmseite beziehungsweise Kontext des Windows’, <strong>und</strong> richtet man das<br />

Augenmerk auf die hierbei zu Stande kommende Aktion <strong>und</strong> Interaktion, gewinnt<br />

man eine gr<strong>und</strong>sätzliche Einsicht. Wegen der programmiertechnischen Kopplung von<br />

Zeichen <strong>und</strong> Auslösefunktion auf der Bildschirmoberfläche ist etwas möglich, was in<br />

der hinweisenden beziehungsweise vergleichenden Bildbeschreibung nur vorstellbar,<br />

nicht aber visuell realisierbar ist. Es gibt eine Kopplung von manueller Aktion,<br />

optischer Interaktion <strong>und</strong> der Operation des Computerprogramms. Sehen <strong>und</strong> Tun<br />

sind nicht voneinander getrennt. Dieser Umstand ist verallgemeinerbar <strong>und</strong> prinzipiell<br />

von technischen Standards in der Kopplung beider ablösbar. Er ist universell, das<br />

heißt unabhängig vom jeweiligen Stand der technologischen Entwicklung. Wodurch<br />

auch immer eine Aktion angezeigt oder eingeleitet <strong>und</strong> wodurch auch immer eine<br />

Auslösefunktion programmiertechnisch umgesetzt wird, aus der Verbindung von<br />

Sehen <strong>und</strong> Tun resultiert eine motorische, physikalische Anbindung des Nutzers. Sie<br />

kann eine Qualität von Leiblichkeit erreichen, die der standortfixierte Betrachter vor<br />

dem Bild nicht kennt. Sie kann darüber hinaus eine Gegenposition zum körperlichen<br />

Zwang der Eingeb<strong>und</strong>enheit durch Technik in der Lebenswirklichkeit gewinnen.<br />

Gemeinhin schaut man nur auf die scheinbaren körperlichen Erweiterungen durch<br />

neue Technologien <strong>und</strong> übersieht dabei die mit Technologien verb<strong>und</strong>enen<br />

Einengungen des individuellen Lebensumfanges.<br />

<br />

Selbstverständlich ist die Kopplung von Zeichen <strong>und</strong> Auslösefunktion noch erweiterbeziehungsweise<br />

austauschbar. Das akustische Begleitsignal bei einer ausgelösten<br />

Operation ist bereits Gang <strong>und</strong> Gebe. Denkbar ist auch, dass anstelle des Zeichens<br />

ein Sensor oder dass anstelle der punktuellen Auslösefunktion fließendes Navigieren<br />

im Cyberspace tritt. Bezogen auf die Kopplung von Sehen <strong>und</strong> Tun ist hier<br />

festzuhalten, dass dem Sehen in der Regel eine vermittelnde Sonderstellung<br />

zukommt, aber auch andere als optische Aktionen <strong>und</strong> Interaktionen durchaus<br />

sinnvoll sein können. Obwohl man sich wahrscheinlich schon sehr an haptische<br />

Auslösefunktionen gewöhnt hat, sollte man eingestehen, dass beispielsweise die<br />

Mausklicks oft sehr umständlich sind <strong>und</strong> deshalb eine direkte Sprachsteuerung <strong>und</strong><br />

akustische Rückkopplung der Aktionen viel praktischer wäre [29]. Dies hätte aber zur<br />

Folge, dass aus der Kombination von Sehen <strong>und</strong> Tun eine Kombination von Sehen,<br />

Sprechen <strong>und</strong> Hören würde, worauf auch die weitere technische Entwicklung<br />

hindeutet.<br />

<br />

Hinsichtlich der technischen Möglichkeiten der <strong>Bildanalyse</strong> kommt man nicht umhin,<br />

die Sonderstellung optischer Funktionen kritisch zu reflektieren - womit man wieder<br />

bei dem angesprochenen Problem des identifizierenden Sehens angelangt wäre. Auf<br />

der technischen Ebene ist das identifizierende Sehen zwingend, weil es die<br />

technische Verbindung von Sehen <strong>und</strong> Tun gewährleistet: Dieses Icon verweist auf<br />

diese ganz bestimmte Bildstelle. Es bringt den Mechanismus der identifizierenden<br />

Verknüpfung hervor. Auf der inhaltlichen Ebene aber spricht durchaus einiges dafür,<br />

dass die ikonische Differenz sowohl im Verhältnis von Bild <strong>und</strong> Text als auch von<br />

Visualisierung <strong>und</strong> Technik bestehen bleibt. Dadurch rechtfertigt sich, dass die<br />

<strong>Bildanalyse</strong> bei Rogier van der Weyden nicht auf standardisierte Zeichen<br />

zurückgreift. Dadurch legitimiert sich allerdings noch nicht die hierzu entwickelte<br />

Visualisierungsform, die ihre Berechtigung allein durch die zitatähnliche Bildmontage<br />

erhält.


Bildqualität: Die ikonische Differenz<br />

<br />

An dieser Stelle ist es hilfreich, das doppelte Text-Bild-Verhältnis genauer zu<br />

analysieren. Auf der einen Seite steht der rekonstruierbare biblische Quellenbezug<br />

<strong>und</strong> auf der anderen die diskursive Bildbeschreibung. Man kann also auf zweierlei<br />

Weise sprachlich auf das tradierte Bild Bezug nehmen: einmal als eine Technik der<br />

Übereinstimmung beziehungsweise Abweichung von Quelle <strong>und</strong> Bildprogramm; zum<br />

anderen als eine verbindliche beziehungsweise konsensfähige Technik der<br />

Beschreibung dieses Transfers <strong>und</strong> deren Deutung. Die Techniken kann man für die<br />

Bearbeitung des digitalen Bildes abstrahieren. Das heißt, anhand des digitalen Bildes<br />

lässt sich dieses doppelte Text-Bild-Verhältnis automatisieren, indem man auf die<br />

Quelle so verweist, dass dadurch ein konsensfähiger Diskurs des Bildprogramms<br />

gewährleistet ist. Wenn dies jedoch allein darauf hinausläuft, die begrifflichen<br />

Bestimmungen des Bildes zu reproduzieren, bleiben die ikonischen Möglichkeiten<br />

sowohl des tradierten als auch des digitalen Bildes unberücksichtigt. Vereinfacht<br />

gesagt ’umschreiben’ die ikonischen Möglichkeiten eine Seherfahrung, die nicht<br />

durch begriffsorientiertes Sehen ersetzt werden kann. Begriffsorientiertes Sehen<br />

kann aber durchaus die begriffslose Seite des Sehens thematisieren. [30]<br />

Sprachlicher Gewinn <strong>und</strong> bildliches Defizit bedingen sich wechselseitig. Indem der<br />

identifizierbare Mangel des Bildes ’gesehen’ wird, gewinnen die bildlichen Qualitäten<br />

an Eigenmacht. Man kann diese bildliche Leistung auch als ikonische Differenz<br />

umschreiben.<br />

<br />

Damit ist der begrifflichen Zeichenhaftigkeit eine bildliche Qualität abgerungen. [31]<br />

Die ikonische Differenz umschreibt also bildliche Phänomene, die durch begrifflich<br />

identifizierendes Sehen nicht erzielt werden können. [32] Diese ikonische Differenz<br />

steht durchaus im Einklang mit der Tradition - wenn zwischen Bildbeschreibung<br />

einerseits <strong>und</strong> Seherfahrung andererseits unterschieden wird - wie in August Wilhelm<br />

Schlegels Gesprächen zur Dresdner Gemäldegalerie. [33] Zu simpel ist es allerdings<br />

- <strong>und</strong> darauf kommt es in diesem Zusammenhang an - wenn Bildbeschreibung zu<br />

einer Methode der Seherfahrung degeneriert wird. Noch problematischer wäre es,<br />

wenn Bildbeschreibung als reproduzierbare Technik bloß auf das digitale Bild<br />

appliziert würde. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob es überhaupt noch sinnvoll<br />

ist, Begriffsarbeit am Bild <strong>und</strong> bildliche Sehleistung gegeneinander abzuwägen, wie<br />

das seit der frühen Moderne der Fall war, wenn die technologischen Bedingungen im<br />

Zugriff auf das Bild die Unterschiede sowieso zu nivellieren scheinen.<br />

<br />

Ohne dass ich den Gedanken hier weiter im Detail erläutern kann, möchte ich darauf<br />

hinweisen, dass man die ikonische Differenz nicht verabschieden muss, sondern,<br />

modifiziert in eine bildliche Qualität, beibehalten kann, die die technologisch basierte<br />

Manipulation des digitalen Bildes reflektiert <strong>und</strong> die bei der praktischen Umsetzung<br />

eine wichtige Rolle spielt. Dies bietet die Möglichkeit, mit den tradierten<br />

Errungenschaften, wie der bildlichen Autonomie, kritische Perspektiven für eine<br />

technologische Differenz zu entwickeln. Man kann dadurch sowohl eine kritische<br />

Perspektive auf den veralterten Formalismus kunstwissenschaftlicher Methoden als<br />

auch auf Standards von Technologien gewinnen. Denkt man dies noch einen Schritt<br />

weiter, verbindet sich mit der Entgegensetzung von Bildern (sprich Kunst) einerseits


<strong>und</strong> Technik andererseits, eine kritische Reformulierung von Bildern als hergestellten<br />

<strong>und</strong> gesellschaftlich hervorgebrachten Werken. Indem zwischen Techniken der<br />

Verbildlichung, Techniken des Sehens, Techniken der Beschreibung <strong>und</strong> Techniken<br />

in der Technologisierung unterschieden wird, ist es möglich, die formalen Mittel auch<br />

inhaltlich zu bewerten. Nur so ist eine Kritik gegenüber dem Vollzugszwang der<br />

Technik <strong>und</strong> den Nivellierungen durch Standards möglich.<br />

Mit anderen Worten: Es ist eine neue Perspektive auf bildliche Leistungen gegeben,<br />

wenn sie als erworbene Techniken des Bildes von dem historischen Stand der<br />

jeweiligen Kulturtechnik unterschieden werden.<br />

Kritik: Das vorfabrizierte Sehen<br />

<br />

Wenn die Kopplung von Sehen <strong>und</strong> Tun praktisch dazu führt, dass eine körperlich<br />

begleitende Aktion des Nutzers beziehungsweise Betrachters eine rechnergestützte<br />

Operation auslöst <strong>und</strong> dieser Vorgang auf der Bildschirmoberfläche angezeigt wird,<br />

sollte man die hierbei stattfindende Funktion von dem Resultat dieses Vorgangs<br />

unterscheiden. Das, was sich unterhalb der Rechneroberfläche<br />

programmiertechnisch tut, ist keine Frage des Blicks mehr, sondern schlicht eine der<br />

Programmierung. So wie die technische Operation dazu verführt, dass der Nutzer<br />

glaubt, er selbst könne zwischen verschiedenen Optionen selektieren<br />

beziehungsweise über den Zeitpunkt einer Auslösefunktion entscheiden, so verhält<br />

es sich auf der inhaltlichen Ebene mit dem Resultat der Operation. Zwar werden von<br />

dem Nutzer Sichtbarkeitsresultate im Sinne des identifizierenden <strong>und</strong><br />

differenzierenden Sehens festgestellt, aber sein Eigenanteil ist dürftig. Er beschränkt<br />

sich auf einen körperlich aktivierten beziehungsweise simulierten Mitvollzug<br />

vorfabrizierter Ergebnisse.<br />

<br />

Bezogen auf die <strong>Bildanalyse</strong> bei Rogier van der Weyden konnte gezeigt werden,<br />

dass visuelle Argumentation teilweise die textorientierte Analyse <strong>und</strong> Interpretation<br />

ersetzen kann. Ob diese Sichtbarkeitsresultate etwa in der Analyse des Bildraumes<br />

allgemeine Anerkennung finden, sei dahingestellt. Gesetzt den Fall, es ist eine<br />

überzeugende Leistung - dann stellt sich die Frage, wie dieses vorfabrizierte<br />

Ergebnis zu bewerten ist. Vorfabrizierte Resultate sind an sich nicht verwerflich. So<br />

stellt ein Autor für den Leser vorfabriziertes Denken her, mitunter ikonographisch <strong>und</strong><br />

ikonologisch verdichtete Ergebnisse, wie etwa in der erst jüngst erschienenen<br />

deutschen Übersetzung von Erwin Panofskys ‚Altniederländischer Malerei’. [34]<br />

<br />

Wie aber verhält es sich mit dem vorfabrizierten Sehen bei Rogier van der Weyden?<br />

Die technologisch gestützte <strong>Bildanalyse</strong> ist sicherlich genauso legitim wie Textarbeit.<br />

Sie hat sogar einige Vorteile gegenüber einer reinen Textarbeit <strong>und</strong> sie bereichert auf<br />

jeden Fall die Begegnung mit dem Original. Bedenkenswert ist vielmehr etwas<br />

anderes. Dadurch, dass Sehen <strong>und</strong> Tun unter den technischen Bedingungen der<br />

<strong>Bildanalyse</strong> aufeinander bezogen werden können, eröffnen sich etwa bei der<br />

Raumanalyse Vollzugsmöglichkeiten, die nicht nur eine technische sondern auch<br />

eine inhaltlich aktive Beteiligung verlangen. Dies ist die Chance bei dem Einsatz<br />

neuer Technologien in der <strong>Bildanalyse</strong>. Sie kann die aktive Auseinandersetzung<br />

fördern, wenn die technischen Bedingungen mitreflektiert werden. Mir scheint dies<br />

eher bei individuell vorfabrizierten, als bei standardisierten Sichtbarkeitsresultaten


der Fall zu sein. Das ist aber nur ein gradueller Unterschied. Entscheidend ist die<br />

kritische Distanz zum passiven Gebrauch <strong>technologischer</strong> Bedingungen. Anders<br />

gesagt: Indem die <strong>Bildanalyse</strong> den passiven Gebrauch <strong>und</strong> den Vollzugszwang aller<br />

benutzten Technik mitreflektiert, ist es möglich, die technische von der bildlichen<br />

Differenz abzugrenzen. Letztlich kann sich ein methodisch-inhaltlich bewusster<br />

Umgang mit der Bildtradition nicht auf den formalen Akt im Zustandekommen der<br />

Sichtbarkeitsresultate beschränken, sondern muss das Bewusstsein für die Grenze<br />

der Verfügbarkeit schärfen. Deshalb ist es wichtig, die Entwicklungen des<br />

vorfabrizierten Sehens über die Kunstgeschichte hinaus allgemeiner zu fassen. Mein<br />

Rückblick auf eine praktische, technologisch basierte Auseinandersetzung mit dem<br />

Johannesaltar von Rogier van der Weyden sollte dies deutlich machen.<br />

<br />

Die von mir mitgetragene Entwicklung des vorfabrizierten Sehens birgt die Gefahr<br />

eines Defizits. Bilder, auch die der Tradition, sind durch die technische Vermittlung<br />

medienpolitisch, das heißt in Abgrenzung von der Verfügungsmacht der Technik zu<br />

begreifen, zumindest, wenn es sich um Kunstwerke handelt. Anders ausgedrückt: Es<br />

muss eine Differenz erkennbar sein, die dem technologischen Schein des digitalen<br />

Bildes ihren verführerischen Glanz nimmt, zumindest wenn dieser seine Umstände<br />

mitreflektiert, denn dann wird sichtbar: Allen Projektionen beziehungsweise<br />

Produktionen haftet der Stempel ihrer Entstehungszeit an. Es ist immer nur eine<br />

Frage der Zeit, bis die Perfektion der Produkte oder die Professionalität der<br />

Projektierung das Ungenügen ihrer Herkunft deutlich machen, ein Ungenügen, weil<br />

der Anspruch auf Fortschritt gescheitert ist.


Anmerkungen<br />

1 Es handelt sich um die "Digitale Galerie" in der Gemäldegalerie in Berlin, um<br />

eine größere Auftragsarbeit, die im Wesentlichen 1997 von der mib<br />

(Gesellschaft für Multimediaproduktionen in Berlin mbH, 1996-2002) produziert<br />

wurde.<br />

2 Vorauszuschicken ist, dass ich bei der nachfolgenden Untersuchung auf<br />

eigene Erfahrungen in den Jahren 1993 bis 1998 zurückgreife. Während<br />

dieser Zeit habe ich eine Reihe von Multimediaproduktionen im Kulturbereich<br />

in den Funktionen als Geschäftsführer, Projektleiter, Konzeptor <strong>und</strong> Gestalter<br />

realisiert. Aus diesem Zeitraum habe ich eine Arbeit gewählt, um hieran eine<br />

exemplarische Auseinandersetzung zu führen. In die konkrete <strong>Bildanalyse</strong><br />

fließen demzufolge Anteile aus der Praxis ein, die mittlerweile Geschichte ist.<br />

3 Damit beziehe ich mich auf die 90er Jahre, in der die digitale Integration<br />

’vieler’ analoger Medien technologisch auf breiter Front durch die Verbreitung<br />

von Softwareprodukten kulturtechnisch eingeübt wurde. Und unter dem aus<br />

den 80er bekannten Verkaufsetikett ’Multimedia’ der Firma Apple Macintosh<br />

fand eine Einschränkung gleichberechtigter Medien statt, weil über die ältere<br />

Ordnung des Hypertextes sozusagen eine neue, visuelle Organisation der<br />

(Bildschirm-) Oberfläche gelegt wurde. Diese ‚bildliche’ Dominanz verdeckte<br />

die offene Struktur nicht nur des Hypertextes (!), sondern suggerierte darüber<br />

hinaus eine virtuelle Welt, in die man als User eintauchen konnte. Der Begriff<br />

’Multimedia’ ist so irreführend, wie es die infantilen Phantasien um das<br />

Eintauchen in Oberflächen (Cyberspace, Virtuelle Realität, Cave <strong>und</strong><br />

immersive Bildräume ) geblieben sind.<br />

4 Damit ist ein Motto in Analogie zu Edm<strong>und</strong> Husserls phänomenologischem<br />

Aufruf ‚Zu den Sachen selbst’ gewählt worden.<br />

5 Siehe hierzu auch den letzten Abschnitt des Beitrages.<br />

6 Johannesaltar (linke Tafel: Geburt <strong>und</strong> Namengebung Johannes des Täufers,<br />

Mittelbild: Taufe Christi, rechte Tafel: Enthauptung Johannes des Täufers,<br />

Abmessungen: je Tafel 77 x 48 cm). Zur neueren Literatur siehe Dirk De Vos:<br />

Rogier van der Weyden. Das Gesamtwerk, München 1999.<br />

7 Bei der Erstellung der Werkmonografie konnte ich auf die grafische Beratung<br />

durch Uta Ionesco aus dem Team der mib GmbH zurückgreifen.<br />

8 Das Besucherinformationssystem umfasst in Übersichten alle sieben<br />

Sammlungsbereiche der Gemäldegalerie, der Schwerpunkt liegt auf den<br />

Altniederländern, die im Sinne von Werkanalysen <strong>und</strong> einem<br />

kontexterschließenden Werkgruppentableau ausgebaut wurden. An dieser<br />

Stelle ist auch darauf hinzuweisen, dass es eine Zusammenarbeit unter<br />

anderem mit dem Kustos der Gemäldegalerie, Herrn Dr. Großhans gegeben<br />

hat, wodurch eigens aufgearbeitete Vermittlungsinhalte abgestimmt wurden.<br />

9 Hier findet sich im Anschluss an eine Einordnung dieser Stelle eine<br />

Überleitung zum Verständnis von Mikro- <strong>und</strong> Makrokosmos, sprich Nah- <strong>und</strong><br />

Fernsicht der Bildgegenständlichkeit seit Jan von Eyck.<br />

10 Hier bietet sich ein Bildvergleich aus Jan van Eycks "Geburt Johannes des<br />

Täufers" (aus dem Turin-Mailänder-St<strong>und</strong>enbuch von 1422/5) an, wodurch<br />

Unterschiede <strong>und</strong> Gemeinsamkeiten im Motiv augenfällig werden.<br />

11 Hier konnte die Infrarotaufnahme zur malerischen Entwicklung der Geste<br />

einbezogen werden.<br />

12 Siehe Otto Neurath: Bilderstatistik nach der Wiener Methode in der Schule,<br />

Wien / Leipzig 1933; Herbert Koberstein: Wiener Methode <strong>und</strong> Bilderstatistik


<strong>und</strong> International System of Typographic Picture Education (ISOTYPE),<br />

Hamburg 1969.<br />

13 Winfried Nöth / Karin Wenz (Hg.): Medientheorie <strong>und</strong> die digitalen Medien,<br />

Intervalle 2, Schriften zur Kulturforschung, Kassel 1998; Villém Flusser: Lob<br />

der Oberflächlichkeit. Für eine Phänomenologie der Medien, Schriften Band 1,<br />

Benzheim 1993; vergleiche auch: Klaus Oehler: Sachen <strong>und</strong> Zeichen. Zur<br />

Philosophie des Pragmatismus, Frankfurt/Main 1995.<br />

14 In anderen Produktionen hat der Verfasser bildhafte Gruppierung von<br />

Einzelzeichen bevorzugt, weil dadurch eine Bündelung der Referenzen erzielt<br />

<strong>und</strong> in einigen Fällen sogar eine die visuellen Bezüge verdichtende Metapher<br />

entwickelt werden konnte.<br />

15 "Je näher eine Kunst an die Zeichenthematik herankommt, desto mehr<br />

verlieren die klassischen Prädikate ihren Sinn. Die Frage der Qualität ist dann<br />

eine Frage der Eindringlichkeit <strong>und</strong> Wahrnehmbarkeit der Zeichen, durch die<br />

wir betroffen werden, eine Frage der Vollendung des Experiments, der<br />

Herstellung." Max Bense: Aesthetica. Eine Einführung in die neue Ästhetik,<br />

Baden-Baden 1965, 109.<br />

16 Der Director von Macromedia erlaubt, dass die 23 Icons für die szenische<br />

Bildsteuerung als eigene Zeichen, sprich als Cast’s / Darsteller auf die<br />

Bildschirmoberfläche / Bühne platziert <strong>und</strong> durch den Score / Regie auf<br />

vielfältige Weise gesteuert werden können.<br />

17 In den Labors von Xerox wird 1968-69 ein neuartiges Zeige- <strong>und</strong> Eingabegerät<br />

entwickelt: die Maus, die im Deutschen zunächst mit dem etwas klobigen<br />

Namen ‚Abrollgerät’ bezeichnet wird. Auch die Benutzeroberfläche <strong>und</strong> das<br />

Client-Server-Modell (Netzwerk für Terminals mit unterschiedlichen Aufgaben,<br />

Mitte der Siebziger Jahre realisiert) sind Erfindungen von Xerox. Siehe Kristian<br />

S. Weidenfeld: Computerlexikon von A-Z, Wien 1992, 294.<br />

18 1977 bringt Xerox den ersten Personalcomputer heraus. In den Xerox-<br />

Entwicklungslabors sind unter anderem die Maus, die Benutzeroberfläche <strong>und</strong><br />

das Client-Server-Modell erf<strong>und</strong>en worden. Siehe Weidenfeld,<br />

Computerlexikon von A-Z, 294.<br />

19 "Der Begriff ‚Interface’ lässt sich nicht ohne weiteres übersetzen. Einerseits<br />

meint er die Mensch - Maschine - Schnittstelle, das Bindeglied, das uns<br />

Zugang zu den binären Daten der Computerwelt ermöglicht, andererseits<br />

benennt er das Medium, das heisst die Benutzeroberfläche, mit der wir auf<br />

Computerdaten zugreifen. Wenn beide Komponenten gleichberechtigt<br />

erscheinen, bleibt Interface im folgenden unübersetzt, andernfalls wird die im<br />

Amerikanischen einheitliche Benennung dem Kontext entsprechend entweder<br />

als Schnittstelle oder als Benutzeroberfläche bezeichnet." Steven Johnson:<br />

Interface Culture. Wie neue Technologien Kreativität <strong>und</strong> Kommunikation<br />

verändern, Stuttgart 1999, 15 (Anmerkung des deutschen Übersetzers im<br />

Vorwort).<br />

20 Der Schwerpunkt liegt hierbei auf der Nutzer- <strong>und</strong> nicht auf der<br />

Programmiererseite. Der Nutzer manipuliert aufgr<strong>und</strong> seines<br />

Vorverständnisses aktivierbare Menüs, Icons, Buttons etc. im Unterschied<br />

etwa zu den strikten Befehlsfolgen eines funktionsorientierten, programmier-,<br />

sprich codenahen Interface. Der Vorteil ist die Einbeziehung des<br />

Userkontextes, der Nachteil die Ausblendung computerbedingter<br />

Funktionsweisen <strong>und</strong> deren Reflexion durch die Gestaltung dynamischer<br />

Oberflächen. Der Code bleibt sozusagen ’unterhalb’ der manipulierbaren<br />

Oberfläche. Ein visueller Code ist ’darüber’ gesetzt <strong>und</strong> ’verdeckt’ ihn. Man


könnte der Auffassung sein, dass es von Vorteil sein muss, wenn die<br />

Benutzeroberfläche unabhängig von der Computerumgebung wird, weil sie<br />

dadurch an Autonomie gewönne <strong>und</strong> möglicherweise auch an grafischer<br />

Qualität. Das aber ist ein Trugschluss! Es spricht eigentlich alles dafür, dass<br />

eine Benutzeroberfläche nicht einseitig ausgerichtet werden sollte, denn erst in<br />

dem reflektierten Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren, die in der<br />

Computerumgebung beteiligt sind, kommt eine ‚intelligente’, dynamische,<br />

adaptive <strong>und</strong> auch visuell attraktive Oberfläche zum Tragen.<br />

21 Online-Dokument: http://www.design-usability.de/interface_GUI.html<br />

(10.02.2003). Diese direkten Manipulationsanforderungen an (interaktiven)<br />

Steuerungszeichen als Bedienungselemente sind mittlerweile Standard.<br />

Jürgen Ziegler / Rolf Ilg (Hg.): Benutzergerechte Software-Gestaltung.<br />

Standards, Methoden <strong>und</strong> Werkzeuge. München / Wien 1993, 22.<br />

22 Hinzuzufügen ist noch, dass die Benutzeroberflächen der Digitalen Galerie in<br />

der Gemäldegalerie Berlin vor der Übergabe an die Öffentlichkeit mit positiven<br />

Resultaten evaluiert wurden.<br />

23 Qualitätskriterien für die aktive Manipulation beziehungsweise Rezeption von<br />

Oberflächen Kriterienspiegel jeweils ausfällt, hängt sicherlich von den<br />

unterschiedlichen Bewertungskontexten ab, wenn beispielsweise<br />

Repräsentation oder Dokumentation eine größere Rolle spielen sollen.<br />

24 'Usability' ist in den vergangenen Jahren ebenso wie 'Contentmanagement' in<br />

den Blickpunkt der technologisch basierten Vermittlung von Inhalten <strong>und</strong> deren<br />

Gestaltung gerückt. Die Fragen nach den (nicht nur technologischen)<br />

Standards sind hierbei weniger die des richtigen Verhältnisses von zum<br />

Beispiel Inhalt <strong>und</strong> Form als vielmehr vorrangig solche des (ökonomischen<br />

etcetera) Einflusses.<br />

Vergleiche hierzu insbesondere die Ausführungen zu 'Usability' auf folgenden<br />

Web-Adressen: http://developer.apple.com/techpubs/macosx/Essentials/<br />

AquaHIGuidelines/index.html (02.05.2003).<br />

http://www.theparallax.org/wissen/os/macosx_intro.html (02.05.2003)<br />

Jakob Nielsen´s Website: http://www.useit.com (02.05.2003)<br />

http://www.design-usability.de/images/steinborn_literaturliste.pdf (02.05.2003)<br />

25 Auf das Erscheinungsbild der Benutzeroberflächen Einfluss zu nehmen, liegt<br />

im Interesse der Hersteller von Software, insbesondere von Betriebssoftware,<br />

denn hierdurch werden k<strong>und</strong>enbindende Voraussetzungen in der Nutzung<br />

geschaffen, die sich natürlich auch abnutzen können <strong>und</strong> bei neueren<br />

Versionen angeglichen oder modifiziert werden, wie es beispielsweise bei der<br />

Einführung der Betriebssoftware Mac OS 10.0 geschehen ist.<br />

26 Um die Zusammenhänge hinsichtlich des Konzeptes Usability <strong>und</strong> seiner<br />

Dimensionen zu verstehen, haben Bevan, Kirakowski <strong>und</strong> Maissel ein<br />

Rahmenmodell entwickelt: Nigel Bevan / Jurek Kirakowski / Jonathan Maissel:<br />

Online-Dokument / pdf-file: What is Usability? (1991)<br />

http://www.usability.serco.com/papers/whatis92.pdf (07.02.2003).<br />

27 Einfachheit, Sichtbarkeit, Eindeutigkeit, Mapping, Feedback, siehe auch: Gui<br />

Bonsiepe: Interface. Design neu begreifen, Mannheim 1996: "Interface ist<br />

nicht eine Sache, sondern die Dimension, in der die Interaktion zwischen<br />

Körper, Werkzeug (Hard-, wie Software) <strong>und</strong> Handlungsziel gegliedert wird."<br />

28 Diese Arbeit liegt auch als CD-ROM vor <strong>und</strong> ist im Buchladen der<br />

Gemäldegalerie (oder unter: http://www.duplicon.com/) erhältlich (02.05.2003).<br />

29 Die Schnittstellenentwicklung ist in der letzten zehn Jahren wenig voran<br />

gekommen. Die Eingabe <strong>und</strong> Steuerung mit der Maus oder der Tastatur ist


umständlich; zwar hat die natürliche Spracherkennung Fortschritte gemacht,<br />

der durchschlagende Erfolg steht aber immer noch aus.<br />

30 "An den Begriffen aber setzt Kunst ihre mimetische, unbegriffliche Schicht<br />

frei." Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, herausgegeben von Gretel<br />

Adorno <strong>und</strong> Rolf Tiedemann, 2. Auflage, Frankfurt/Main 1974, 148.<br />

31 Ikonizität ist nach Charles Sanders Peirce* die Eigenschaft eines Zeichens<br />

(Icon im Unterschied zu Index <strong>und</strong> Symbol), sein(!) Objekt ikonisch zu<br />

bezeichnen. "Ein Icon ist ein Zeichen, dessen zeichenkonstitutive<br />

Beschaffenheit seine Erstheit ist, dass heißt, das es unabhängig davon ist, ob<br />

es in einer existentiellen Beziehung zu seinem Objekt steht, das durchaus<br />

nicht existieren kann."<br />

Wie man weiß, ist dies nicht objektiv messbar. Das hat zur Kritik <strong>und</strong> zur<br />

Weiterentwicklung zum Beispiel bei Morris** <strong>und</strong> Eco*** geführt, aber bezogen<br />

auf Bildwerke ist die Peirce’sche Unterscheidung des Ikonischen in<br />

abnehmender Folge bei Bildern, Diagrammen <strong>und</strong> Metaphern nach wie vor<br />

einleuchtend, wenn genuin bildliche Eigenschaften wie zum Beispiel Farben,<br />

Linien, Flächen dadurch gekennzeichnet <strong>und</strong> thematisiert werden. Man sollte<br />

die Bestimmung des Ikonischen als Ähnlichkeit weniger im referentiellen<br />

Verweis zu etwas anderem, sondern mehr als etwas Selbstbezügliches<br />

erkennen. Unter dieser Voraussetzung ist der Begriff der Ikonizität, als visuelle<br />

Seite des Icons (Erstheit), nach wie vor interessant <strong>und</strong> für die ikonische<br />

Bestimmung des digitalen Bildes äußerst hilfreich.<br />

*Von Peirce hat es keine zusammenhängende Darstellung der Ikonizität<br />

gegeben, seine Aussagen dazu finden sich an verschiedenen Stellen in<br />

seinem Werk. Siehe: Charles Sanders Peirce: Phänomen <strong>und</strong> Logik der<br />

Zeichen, herausgegeben <strong>und</strong> übersetzt von Helmut Pape, 2. Auflage,<br />

Frankfurt/Main 1993, 64; Charles Sanders Peirce: Semiotische Schriften.<br />

herausgegeben von Christian J. W. Kloese <strong>und</strong> Helmut Pape, 3 Bände,<br />

1. Auflage, Frankfurt/Main 2000, 375.<br />

**Siehe Charles William Morris: Gr<strong>und</strong>lagen der Zeichentheorie. Ästhetik <strong>und</strong><br />

Zeichentheorie, 2. Auflage, München 1975, 101.<br />

***Umberto Eco: Einführung in die Semiotik, München 1972, 213.32<br />

Siehe Max Imdahl: Giotto, Arenafresken. Ikonographie. Ikonologie. Ikonik,<br />

München 1980, 93.<br />

33 Erst in der Besprechung, in der Beschreibung treten die Möglichkeiten des<br />

(noch unvollständigen) Werkes als Kunstwerk hervor. Siehe August Wilhelm<br />

Schlegel: Die Gemälde. Gespräch, herausgegeben von Lothar Müller,<br />

Dresden 1996, 32.<br />

34 Erwin Panofsky: Altniederländische Malerei, 2 Bände, Köln 2001.<br />

Empfohlene Zitierweise:<br />

<strong>Arthur</strong> <strong>Engelbert</strong>: <strong>Bildanalyse</strong> <strong>und</strong> <strong>technologischer</strong> Standard - ein kritischer Rückblick<br />

auf Multimedia, in: zeitenblicke 2 (2003), Nr. 1 [08.05.2003],<br />

URL: <br />

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