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Herman Nohl und die NS-Zeit

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Frankfurter Beiträge zur Erziehungswissenschaft<br />

Benjamin Ortmeyer<br />

<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

Forschungsbericht<br />

Forschungsberichte<br />

7.2 Johann Wolfgang Goethe-Universität


<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

Forschungsbericht<br />

Benjamin Ortmeyer<br />

Johann Wolfgang Goethe-Universität<br />

Frankfurt am Main 2008


2<br />

Frankfurter Beiträge zur Erziehungswissenschaft<br />

Reihe Forschungsberichte<br />

im Auftrag des Dekanats<br />

des Fachbereichs Erziehungswissenschaften<br />

der Johann Wolfgang Goethe-Universität<br />

herausgegeben von<br />

Frank-Olaf Radtke<br />

© Fachbereich Erziehungswissenschaften der<br />

Johann Wolfgang Goethe-Universität<br />

Frankfurt am Main 2008<br />

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek<br />

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet <strong>die</strong>se Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;<br />

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.<br />

ISBN 978-3-9810879-4-9


Vorwort<br />

Es hat lange gedauert, bis es in der öffentlichen Kultur Deutschlands möglich war, sich<br />

ohne Scheu <strong>und</strong> im Bewusstsein staatsbürgerlicher Verantwortung dem Umstand zu<br />

stellen, dass „Weimar“ <strong>und</strong> das KZ Buchenwald in einem nicht nur zufälligen Verhältnis<br />

zueinander stehen. Von einer entsprechenden Einsicht ist <strong>die</strong> deutsche Erziehungswissenschaft<br />

indes trotz ebenso mutiger wie angestrengter Debatten über <strong>die</strong> <strong>NS</strong>-<br />

Vergangenheit wesentlicher Vertreter ihres Faches nach wie vor weit entfernt. So haben<br />

paradoxerweise gerade mit gesellschaftstheoretischem Ehrgeiz geführte Debatten in<br />

nicht wenigen Fällen dazu geführt, das Skandalon, dass <strong>die</strong> geisteswissenschaftlichen<br />

<strong>und</strong> reformpädagogischen Erben des deutschen Bildungsidealismus ihre eigenen Ideale<br />

verraten haben, zum Schweigen zu bringen <strong>und</strong> <strong>die</strong> Debatte darüber für beendet zu<br />

erklären.<br />

Dass <strong>die</strong>se Strategie nicht wirklich erfolgreich gewesen ist, zeigt sich indes daran, dass<br />

immer wieder, wenn auf entsprechende Äußerungen <strong>die</strong>ser theoriegeschichtlich bedeutsamen<br />

Theoretiker hingewiesen wird, entweder ungläubiges Staunen oder beredte<br />

Abwehr zu Tage treten.<br />

Das von Benjamin Ortmeyer initiierte Forschungs- <strong>und</strong> Dokumentationsprojekt „ad<br />

fontes“ will dem entgegenwirken <strong>und</strong> <strong>die</strong> oftmals nur auf Gerüchtebasis geführte<br />

Debatte auf eine solide Gr<strong>und</strong>lage stellen. Auf der Basis der nun erstmals vollständig<br />

<strong>und</strong> im Zusammenhang publizierten Quellen, <strong>die</strong> in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> veröffentlicht wurden,<br />

wird in Zukunft eine Debatte <strong>und</strong> ein Urteil möglich, das sich weder in objektivistischer<br />

Abwiegelung noch in unhistorischer Verkennung erschöpft. Von <strong>die</strong>ser Edition ist<br />

endlich eine Antwort auf <strong>die</strong> für das Fach entscheidende Frage zu erwarten, ob <strong>die</strong><br />

Altvorderen ihres Faches einer Dialektik seiner Gr<strong>und</strong>begriffe erlegen sind oder ob sie<br />

wissentlich <strong>und</strong> botmäßig eine ihnen sehr wohl bekannte human-emanzipatorische<br />

Tradition verraten haben.<br />

Micha Brumlik<br />

3


4<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Vorbemerkung 6<br />

I. Gr<strong>und</strong>positionen <strong>und</strong> Hauptwerke: „Pädagogischer Bezug“<br />

<strong>und</strong> „Deutsche Bewegung“ 9<br />

1. Die pädagogische Bewegung in Deutschland <strong>und</strong> ihre Theorie (1933/35) 12<br />

2. Die ästhetische Wirklichkeit (1935) 18<br />

3. Charakter <strong>und</strong> Schicksal (1938/40) 19<br />

4. Einführung in <strong>die</strong> Philosophie (1935) 22<br />

5. Die sittlichen Gr<strong>und</strong>erfahrungen (1939) 24<br />

6. Pädagogik aus dreißig Jahren (1949) 26<br />

II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong>: „Jedenfalls hat der nationalsozialistische<br />

Staat <strong>die</strong> Überzeugung der pädagogischen Bewegung hinter sich…“<br />

1. „Landbewegung, Osthilfe <strong>und</strong> <strong>die</strong> Aufgabe der Pädagogik“<br />

39<br />

(Sammelband 1933) 40<br />

2. <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s Vorlesung „Die Gr<strong>und</strong>lagen<br />

der nationalen Erziehung“ (1933/34) 47<br />

3. „Die pädagogische Bewegung in Deutschland <strong>und</strong><br />

ihre Theorie“ (Vorwort <strong>und</strong> Nachwort 1935)<br />

4. „Charakter <strong>und</strong> Schicksal“: Zum Abschnitt<br />

75<br />

„Die Rassen- <strong>und</strong> Völkerunterschiede“ (1938) 80<br />

5. Artikel <strong>und</strong> Aufsätze aus <strong>Zeit</strong>ungen, <strong>Zeit</strong>schriften<br />

<strong>und</strong> Broschüren 1933–1944 83<br />

6. Archivdokumente zu <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> 87<br />

III. Nach 1945: Das „Wühlen im Schmutz <strong>und</strong> Blut der Vergangenheit“<br />

1. Das Geleitwort aus der ersten Ausgabe<br />

91<br />

der <strong>Zeit</strong>schrift „Die Sammlung“ (1945) 91<br />

2. Das „Hildesheimer Manuskript“ (1946) 93<br />

3. Die geistige Lage des akademischen Nachwuchses (1946) 95<br />

4. Die geistige Lage im gegenwärtigen Deutschland (1947) 96<br />

5. Die heutige Aufgabe der Frau (1947) 98<br />

6. Die pädagogische Aufgabe der Gegenwart (1947) 100<br />

7. Vom Wesen der Erziehung (1948) 102<br />

8. Schuld <strong>und</strong> Aufgabe der Pädagogik (1954) 103


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> 106<br />

1. Die 1950er <strong>und</strong> 1960er Jahre 106<br />

2. Die 1970er <strong>und</strong> 1980er Jahre 117<br />

3. Die 1990er Jahre bis heute 133<br />

Literaturverzeichnis 158<br />

Anhang 184<br />

5


Vorbemerkung<br />

6<br />

<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

Vorbemerkung<br />

Diese Stu<strong>die</strong> ist eine Fortsetzung der bisherigen wissenschaftlichen Erforschung der<br />

Pädagogik in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong>. Zunächst stand <strong>die</strong> empirische Erforschung der Realität an<br />

den Schulen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> im Vordergr<strong>und</strong> 1 , eine Rekonstruktion des Schulalltags<br />

durch Sicherung <strong>und</strong> Auswertung der Schulakten einerseits <strong>und</strong> durch Auswertung<br />

brieflicher Berichte von über h<strong>und</strong>ert jüdischen Emigrantinnen <strong>und</strong> Emigranten ande-<br />

rerseits. 2 In einem zweiten Schritt wurde umfassend der Frage nachgegangen, wie weit<br />

<strong>die</strong> Profession der deutschen Erziehungswissenschaft zwischen 1945 <strong>und</strong> 1995 in ihren<br />

Stu<strong>die</strong>n zur <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> – eben zur Realität an den Schulen <strong>und</strong> zur Ideologie der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> –<br />

das Schicksal jüdischer Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler miteinbezogen hat. Dabei gerieten –<br />

neben einer Reihe hervorragender Stu<strong>die</strong>n – auch Arbeiten noch heute wirkender<br />

Erziehungswissenschaftler kritisch in den Blick, <strong>die</strong>, teilweise als „Schüler“ von<br />

Erziehungswissenschaftlern, <strong>die</strong> in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> gewirkt hatten, in der B<strong>und</strong>esrepublik<br />

nach 1949 wichtige Positionen in der Erziehungswissenschaft einnahmen.<br />

In <strong>die</strong>ser Stu<strong>die</strong> 3 wurden nicht nur <strong>die</strong> offensichtlichen <strong>NS</strong>-Pädagogen Ernst Krieck,<br />

Alfred Baeumler <strong>und</strong> Theodor Wilhelm <strong>und</strong> ihre theoretischen Arbeit vor <strong>und</strong> in der<br />

<strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> behandelt, sondern es wurde auch das Problem jener Erziehungswissenschaftler<br />

bewusstgemacht, <strong>die</strong> nach 1945 – trotz ihrer Tätigkeit während der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> innerhalb<br />

Deutschlands – weitgehend bruchlos ihre Arbeit fortsetzten.<br />

1 Die Schwierigkeit der Analyse von „Schulen unterm Hitlerbild“ als <strong>NS</strong>-Schulen wird deutlich, wenn<br />

Erziehungswissenschaftler wie Klafki <strong>die</strong> These von der nationalsozialistischen Schule unter Berufung<br />

auf ihre „eigenen Erfahrungen“ untersuchen. Klafki schreibt als Herausgeber des Sammelbands „Verführung,<br />

Distanzierung, Ernüchterung. Kindheit <strong>und</strong> Jugend im Nationalsozialismus. Autobiographisches aus<br />

erziehungswissenschaftlicher Sicht“ (Weinheim/Basel 1988): „Diese Schule habe ich zwischen 1937 <strong>und</strong><br />

1943/1944 nicht als ‚nationalsozialistische Schule‘ erlebt.“ (Klafki, S. 147) Was kann man da machen?<br />

Wie der Erinnerung nachhelfen? Die Berichte jüdischer Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler, <strong>die</strong> Dokumente aus<br />

den Schulakten beweisen das Gegenteil <strong>und</strong> werfen helles Licht auf das Problem der Amnesie <strong>und</strong> der<br />

Spätfolgen der <strong>NS</strong>-Sozialisation.<br />

2 Siehe: Ortmeyer, Benjamin (Hrsg.): Berichte gegen Vergessen <strong>und</strong> Verdrängen von 100 überlebenden<br />

jüdischen Schülerinnen <strong>und</strong> Schülern über <strong>die</strong> <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> in Frankfurt am Main, 3. Auflage, Witterschlick/Bonn<br />

1995, <strong>und</strong> Ortmeyer, Benjamin: Schulzeit unterm Hitlerbild. Analysen, Berichte, Dokumente,<br />

Frankfurt am Main 1996.<br />

3 Ortmeyer, Benjamin: Schicksale jüdischer Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> – Leerstellen<br />

deutscher Erziehungswissenschaft? B<strong>und</strong>esrepublikanische Erziehungswissenschaften (1945/49–1995)<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> Erforschung der nazistischen Schule, Witterschlick/Bonn 1998.


Vorbemerkung<br />

Die vorliegende Untersuchung reagiert darauf, dass seit geraumer <strong>Zeit</strong> <strong>die</strong> historiogra-<br />

phische Auseinandersetzung der Profession der Erziehungswissenschaft mit der eigenen<br />

Geschichte während der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> für weitgehend beendet erklärt wurde – teils als<br />

Tatsachenfeststellung, teils als zu begrüßende Zustandsbeschreibung. 4<br />

Ein gr<strong>und</strong>legendes Problem der Debatte, <strong>die</strong> in den letzten zwanzig Jahren über <strong>die</strong><br />

Einordnung <strong>und</strong> Bewertung der wissenschaftlichen Tätigkeit führender Köpfe der<br />

Geisteswissenschaften in der <strong>Zeit</strong> des Nationalsozialismus 5 geführt wurde, ist das<br />

Fehlen allgemein zugänglicher Dokumente ihrer Tätigkeit aus der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong>. Daher sollen<br />

in einem ersten Schritt möglichst vollständig <strong>die</strong> Publikationen jener Köpfe der Geistes-<br />

<strong>und</strong> Erziehungswissenschaft (jeweils mit einer kritischen Einschätzung) vorgelegt<br />

werden, <strong>die</strong> personell für eine Kontinuität zwischen der Weimarer Republik, der <strong>NS</strong>-<br />

<strong>Zeit</strong> <strong>und</strong> der B<strong>und</strong>esrepublik stehen.<br />

<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> begrüßte – ohne dass er <strong>NS</strong>DAP-Mitglieder war – vor allem auf der Basis<br />

eines deutschen Nationalismus <strong>und</strong> Militarismus trotz <strong>die</strong>ses oder jenes Vorbehalts<br />

begeistert das <strong>NS</strong>-Regime <strong>und</strong> stellte seine Konzeptionen in seinen Dienst. Diese Stu<strong>die</strong><br />

konzentriert sich bei der Analyse der Publikationen auf den jeweiligen Stellenwert des<br />

deutschen Nationalismus, des Antisemitismus, des Rassismus, des Militarismus <strong>und</strong> des<br />

Antidemokratismus im inneren Zusammenhang <strong>und</strong> konfrontiert <strong>die</strong> Bef<strong>und</strong>e mit den<br />

Erklärungsversuchen nach 1945.<br />

Durch das Forschungsprojekt ad fontes an der J. W. Goethe-Universität in Frankfurt am<br />

Main wurden <strong>die</strong> in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> publizierten <strong>und</strong> verstreut gelagerten Dokumente von<br />

<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> aus verschiedenen Bibliotheken zusammengestellt <strong>und</strong> analysiert. Die<br />

vorliegende Stu<strong>die</strong> stützt sich also auf <strong>die</strong> Ergebnisse eines zweijährigen Forschungs-<br />

4 So schrieb Klaus-Peter Horn 1996, dass der Streit über „<strong>die</strong> angemessene Behandlung des Nationalsozialismus“<br />

seinen „innerszientifischen Abschluss“ 1990 gef<strong>und</strong>en habe. Weiter heißt es: „Die politische<br />

Entwicklung in Deutschland brachte auch von außen <strong>die</strong> Debatte zu einem Abschluss, da in der Folgezeit<br />

<strong>die</strong> Vereinigung <strong>und</strong> ihre Folgen sowie <strong>die</strong> Bildungsgeschichte der DDR in den Mittelpunkt des Interesses<br />

rückten.“ (Horn, Klaus-Peter: Pädagogische <strong>Zeit</strong>schriften im Nationalsozialismus. Selbstbehauptung,<br />

Anpassung, Funktionalisierung (Bibliothek für Bildungsforschung, Band 3), Weinheim 1996, S. 19)<br />

5 Die Verwendung der Eigenbezeichnungen des <strong>NS</strong>-Regimes, „Nationalsozialismus“ <strong>und</strong> „nationalsozialistisch“,<br />

ist nicht unproblematisch, auch wenn sie im b<strong>und</strong>esrepublikanischen wissenschaftlichen Diskurs<br />

üblich ist. Historiker wie etwa Saul Friedländer sprechen bewusst von „Nazismus“ <strong>und</strong> „nazistisch“, um<br />

mit <strong>die</strong>ser Brechung auch begrifflich den Sprachgebrauch der Gegner des <strong>NS</strong>-Regimes deutlich hervorzuheben<br />

(siehe etwa: Friedländer, Saul: Kitsch <strong>und</strong> Tod. Der Widerschein des Nazismus, 2. Auflage,<br />

München 1984). In der vorliegenden Stu<strong>die</strong> wird trotz <strong>die</strong>ser plausiblen Vorgehensweise Friedländers,<br />

um unnötigen Kontextverlust zu vermeiden, dennoch an verschiedenen Stellen von „Nationalsozialismus“<br />

<strong>und</strong> „nationalsozialistisch“ gesprochen.<br />

7


Vorbemerkung<br />

projekts. Die in bisherigen Debatten in der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland zentralen<br />

Fragestellungen nach Kontinuität <strong>und</strong> Diskontinuität in Werk <strong>und</strong> Biographie <strong>die</strong>ser<br />

(<strong>und</strong> anderer) Erziehungswissenschaftler stehen in differenzierender Weise im Mittel-<br />

punkt der Analyse der Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> – unter Einbeziehung einer kompi-<br />

lierten Vorstellung gr<strong>und</strong>sätzlicher Werke <strong>und</strong> Positionen <strong>und</strong> nach einer Auswertung<br />

der nach 1945 publizierten Stellungnahmen zur <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong>.<br />

Die Kernposition des Aristoteles bei der Formulierung der drei logischen Gr<strong>und</strong>gesetze<br />

richtete sich gegen relativistische Sophistik <strong>und</strong> verabsolutierende Dogmatik. Sie lautet:<br />

In welcher Hinsicht? 6 Neben der Dokumentation der das <strong>NS</strong>-Regime <strong>und</strong> dessen<br />

Ideologie unterstützenden Positionen der vier Erziehungswissenschaftler lautet daher<br />

<strong>die</strong> gegen pauschalisierende Positionen gerichtete theoretische Schlüsselfrage <strong>die</strong>ser<br />

Stu<strong>die</strong>: In welcher Hinsicht gibt es Kontinuität, in welcher Hinsicht gibt es Diskontinui-<br />

tät?<br />

8<br />

* * *<br />

An <strong>die</strong>ser Stelle sei ausdrücklich Walter Stallmeister, Gerhard Meyer-Willner, Torsten<br />

Schwan, Hasko Zimmer, Michael Gran, Klaus Himmelstein <strong>und</strong> Barbara Siemsen für<br />

ihre Hilfe <strong>und</strong> Unterstützung bei der Recherche <strong>und</strong> für weitere Auskünfte gedankt.<br />

Außerdem für ihre Unterstützung zu danken ist Prof. Dr. Harald Ludwig (Universität<br />

Münster), Herrn Dr. Oliver Trevisiol (Bibliothek der Fernuniversität Hagen), Frau<br />

Monika Ludwa (Universitätsbibliothek Halle), Frau Bärbel M<strong>und</strong> (Universitätsbiblio-<br />

thek Göttingen) <strong>und</strong> Frau Monika Richter (Universitätsbibliothek Frankfurt am Main).<br />

Besonderer Dank gilt den Stiftungen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Realisierung des Forschungsprojekts ad<br />

fontes finanziell ermöglichten: der Hans Böckler Stiftung, der Max Traeger-Stiftung,<br />

der Otto Brenner Stiftung <strong>und</strong> der Speyer’schen Hochschulstiftung sowie dem Landes-<br />

verband Hessen <strong>und</strong> dem Bezirksverband Frankfurt am Main der Gewerkschaft Erzie-<br />

hung <strong>und</strong> Wissenschaft.<br />

6 Aristoteles formuliert in seiner Schrift „Metaphysik“ (1005 b) als das „gr<strong>und</strong>legendste unter allen<br />

Prinzipien“: „Es ist ausgeschlossen, dass ein <strong>und</strong> dasselbe Prädikat einem <strong>und</strong> demselben Subjekte<br />

zugleich <strong>und</strong> in derselben Beziehung zukommen <strong>und</strong> auch nicht zukommen“ könne. Erich Fromms<br />

ernüchternde Stu<strong>die</strong> mit einem Titel, der bewusst falsche Erwartungen weckt, um sie dann aufklärerisch<br />

zu demontieren („Die Kunst des Liebens“), greift <strong>die</strong>sen Gedanken auf <strong>und</strong> zeigt, dass auch Heraklits<br />

„alles fließt, panta rei“ <strong>und</strong> <strong>die</strong> Idee der Paradoxie <strong>und</strong> Antinomie richtig verstanden in <strong>die</strong>ser Formulierung<br />

des klügsten Kopfs der antiken griechischen Philosophie ihren Platz findet (siehe dazu: Fromm,<br />

Erich: Die Kunst des Liebens, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1977, insbesondere S. 100 ff.).


I. Gr<strong>und</strong>positionen <strong>und</strong> Hauptwerke:<br />

„Pädagogischer Bezug“ <strong>und</strong> „Deutsche Bewegung“<br />

I. Gr<strong>und</strong>positionen <strong>und</strong> Hauptwerke<br />

<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s Rolle in der <strong>Zeit</strong> des <strong>NS</strong>-Regimes ist im erziehungswissenschaftlichen<br />

Kontext in den letzten Jahren wieder in den Blickpunkt geraten. 7 Allerdings ist er – im<br />

Unterschied etwa zu Peter Petersen – in der heutigen schulpädagogischen Diskussion<br />

wenig präsent. Anders als der als „Reformpädagoge“ geltende Petersen mit seinem<br />

„Jenaplan“ <strong>und</strong> den entsprechenden Schulen, steht <strong>Nohl</strong> – als Repräsentant der erzie-<br />

hungswissenschaftlichen „Göttinger Schule“ – für eine geisteswissenschaftliche Gr<strong>und</strong>-<br />

richtung der Pädagogik, <strong>die</strong> keine eigenständigen empirischen Stu<strong>die</strong>n vorzuweisen<br />

hat. 8 <strong>Nohl</strong>s Name steht zudem eher für <strong>die</strong> pädagogische Theorie <strong>und</strong> Praxis der Sozial-<br />

pädagogik, nicht für <strong>die</strong> Schulpädagogik.<br />

Der 1879 in Berlin als Sohn eines Gymnasiallehrers geborene <strong>Nohl</strong> stu<strong>die</strong>rte Philosophie<br />

<strong>und</strong> promovierte 1904 mit einer knapp neunzig Seiten umfassenden Arbeit über<br />

„Sokrates <strong>und</strong> <strong>die</strong> Ethik“ 9 bei Friedrich Paulsen 10 <strong>und</strong> Wilhelm Dilthey, dessen Assis-<br />

7 Zur Debatte siehe u. a.:<br />

Zimmer, Hasko: Pädagogik, Kultur <strong>und</strong> nationale Identität. Das Projekt einer „deutschen Bildung“ bei<br />

Rudolf Hildebrand <strong>und</strong> <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>, in: Auernheimer, Georg/Gstettner, Peter (Red.): Pädagogik in<br />

multikulturellen Gesellschaften (Jahrbuch für Pädagogik 1996), Frankfurt am Main/Berlin/Bern/New<br />

York/Paris/Wien 1996, S. 159–177.<br />

Zimmer, Hasko: Von der Volksbildung zur Rassenhygiene: <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>, in: Rülcker, Tobias/Oelkers,<br />

Jürgen (Hrsg.): Politische Reformpädagogik, Bern/Berlin/Frankfurt am Main/New York/Paris/Wien 1998,<br />

S. 515–540.<br />

Lingelbach, Karl Christoph/Zimmer, Hasko (Red.): Das Jahrh<strong>und</strong>ert des Kindes? (Jahrbuch für Pädagogik<br />

1999), Frankfurt am Main/Berlin/Bern/Brüssel/New York/Wien 2000.<br />

Lingelbach, Karl Christoph: Das Kind im Widerspruch „Pädagogischen Denkens“, in: Lingelbach, Karl<br />

Christoph/Zimmer, Hasko (Red.): Das Jahrh<strong>und</strong>ert des Kindes? (Jahrbuch für Pädagogik 1999), Frankfurt<br />

am Main/Berlin/Bern/Brüssel/New York/Wien 2000, S. 133–159.<br />

Klafki, Wolfgang/Brockmann, Johanna-Luise: Geisteswissenschaftliche Pädagogik <strong>und</strong> Nationalsozialismus.<br />

<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> <strong>und</strong> seine „Göttinger Schule“ 1932–1937. Eine individual- <strong>und</strong> gruppenbiografische,<br />

mentalitäts- <strong>und</strong> theoriegeschichtliche Untersuchung, Weinheim/Basel 2002.<br />

Gran, Michael: Das Verhältnis der Pädagogik <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s zum Nationalsozialismus. Eine Rekonstruktion<br />

ihrer politischen Gehalte (Schriftenreihe EUB, Erziehung – Unterricht – Bildung, Band 117),<br />

Hamburg 2005.<br />

Zum gesamten Prozess der Anpassung der <strong>Zeit</strong>schrift „Die Erziehung“ siehe Horn, Klaus-Peter: Pädagogische<br />

<strong>Zeit</strong>schriften im Nationalsozialismus. Selbstbehauptung, Anpassung, Funktionalisierung (Bibliothek<br />

für Bildungsforschung, Band 3), Weinheim 1996.<br />

8 Zwar sind Schulen nach <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> benannt, aber bei weitem nicht in dem Umfang wie bei Peter<br />

Petersen. Peter-Petersen- bzw. Jenaplanschulen gibt es b<strong>und</strong>esweit etwa drei Dutzend. <strong>Nohl</strong>-Schulen gibt<br />

es unter anderem in Göttingen, Berlin, Stuttgart, Osnabrück, Hildesheim, Esslingen <strong>und</strong> Kirchheimbolanden.<br />

9 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Sokrates <strong>und</strong> <strong>die</strong> Ethik, Tübingen/Leipzig 1904.<br />

9


I. Gr<strong>und</strong>positionen <strong>und</strong> Hauptwerke<br />

tent er auch zeitweise war. 1908 habilitiert sich <strong>Nohl</strong> in Jena bei Rudolf Eucken mit<br />

einer kleinen Schrift (78 Seiten) über „Die Weltanschauungen der Malerei“. 11 In<br />

großem Umfang beschäftigt ihn zunächst <strong>die</strong> Herausgabe der theologischen Jugend-<br />

schriften Hegels. Später folgte eine große Edition der Schriften seines akademischen<br />

Lehrers Dilthey.<br />

Im Sommer 1915 wird <strong>Nohl</strong> zur Reichswehr eingezogen <strong>und</strong> nimmt bis 1918 als Teil<br />

der Besatzungsarmee in Belgien am Ersten Weltkrieg teil. 1919 gründet er <strong>die</strong> Jenaer<br />

Volkshochschule, ein Modell seiner Idee einer „Volkspädagogik“. 1920 wird er ordentlicher<br />

Professor an der Universität in Göttingen <strong>und</strong> belegt den Lehrstuhl für Philosophie,<br />

1922 wird er auf das dort neu geschaffene Ordinariat für Pädagogik berufen. 1937<br />

wird er „in Ehren“, wohl aber gegen seinen Willen im Alter von 57 Jahren vorzeitig<br />

emeritiert. 1943 wird er für einige Monate zur Fabrikarbeit eingezogen.<br />

Nach dem Ende der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> wird er in Göttingen erneut zum Professor ernannt, wo er das<br />

„Institut für Erziehung <strong>und</strong> Unterricht“ gründet. Er wird außerdem Herausgeber der neu<br />

gegründeten <strong>Zeit</strong>schrift „Die Sammlung“. 1953 wird er Ehrenbürger der Stadt Göttingen.<br />

<strong>Nohl</strong>s Lebenswerk umfasst <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong>spanne vom Kaiserreich über <strong>die</strong> Weimarer Republik<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> bis hin zur Nachkriegszeit in der B<strong>und</strong>esrepublik. <strong>Nohl</strong> stirbt am<br />

27. September 1960 in Göttingen, nachdem er 1959 noch <strong>die</strong> Goethe-Plakette der Stadt<br />

Frankfurt am Main erhalten hatte. 12<br />

10<br />

* * *<br />

10<br />

Ohne hier auf das umfangreiche Werk von Friedrich Paulsen (1846–1908) eingehen zu können, sei<br />

festgehalten, dass seine Gr<strong>und</strong>these, an Fichte angelehnt, war, dass Juden nur dann gleichberechtigte<br />

Bürger werden könnten, wenn sie „aufhören, Juden sein zu wollen“ (Paulsen, Friedrich: System der<br />

Ethik. Mit einem Umriss der Staats- <strong>und</strong> Gesellschaftslehre, Band 1, 11./12. Auflage, Berlin 1921, S. 65).<br />

11<br />

<strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Die Weltanschauungen der Malerei. Mit einem Anhang über <strong>die</strong> Gedankenmalerei, Jena<br />

1908.<br />

12<br />

Zur Biographie <strong>Nohl</strong>s siehe:<br />

Geißler, Georg: <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> (1879–1960), in: Scheuerl, Hans (Hrsg.): Klassiker der Pädagogik, Band 2:<br />

Von Karl Marx bis Jean Piaget, 2. überarbeitete <strong>und</strong> um ein Nachwort ergänzte Auflage, München 1991,<br />

S. 225–240.<br />

Klafki, Wolfgang/Brockmann, Johanna-Luise: Geisteswissenschaftliche Pädagogik <strong>und</strong> Nationalsozialismus.<br />

<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> <strong>und</strong> seine „Göttinger Schule“ 1932–1937. Eine individual- <strong>und</strong> gruppenbiografische,<br />

mentalitäts- <strong>und</strong> theoriegeschichtliche Untersuchung, Weinheim/Basel 2002.<br />

Klika, Dorle: <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> (1879–1960), in: Tenorth, Heinz-Elmar (Hrsg.): Klassiker der Pädagogik.<br />

Band 2: Von John Dewey bis Paul Freire, München 2003, S. 123–151.<br />

Dollinger, Bernd: <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>, in: Dollinger, Bernd (Hrsg.): Klassiker der Pädagogik. Die Bildung der<br />

modernen Gesellschaft, Wiesbaden 2006, S. 247–264.


I. Gr<strong>und</strong>positionen <strong>und</strong> Hauptwerke<br />

Seine erste umfangreiche Publikation, sein wirklicher Durchbruch, war das gemeinsam<br />

mit Ludwig Pallat herausgegebene „Handbuch der Pädagogik“ (fünf Bände <strong>und</strong> ein<br />

Ergänzungsband, erschienen zwischen 1928 <strong>und</strong> 1933). Hinsichtlich seiner Gr<strong>und</strong>werke<br />

ergibt sich also das Bild, dass sie allesamt in der <strong>Zeit</strong> zwischen 1933 <strong>und</strong> 1939 erschie-<br />

nen sind:<br />

1935: „Die pädagogische Bewegung in Deutschland <strong>und</strong> ihre Theorie“ (eine Zusammenfassung<br />

zweier Texte aus dem Band 1 des „Handbuchs der Pädagogik“ von 1933)<br />

1935: „Einführung in <strong>die</strong> Philosophie“<br />

1935: „Die ästhetische Wirklichkeit“<br />

1938: „Charakter <strong>und</strong> Schicksal“ (2. Auflage 1940)<br />

1939: „Die sittlichen Gr<strong>und</strong>erfahrungen“ 13<br />

Vor 1933 war in zwei Auflagen zudem eine Sammlung kleiner Aufsätze in Broschüreform<br />

erschienen, 14 1933 erschien eine Aufsatzsammlung über <strong>die</strong> sogenannte „Osthilfe“.<br />

15 <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> war seit 1925 Mitherausgeber der bedeutenden <strong>Zeit</strong>schrift „Die<br />

Erziehung“, bis er sich 1937 (nachdem <strong>die</strong> Herausgeber einen Aufsatz von ihm abgelehnt<br />

hatten) zurückzog. Nach 1945 war er zusammen mit Weniger Herausgeber der<br />

erziehungswissenschaftliche <strong>Zeit</strong>schrift „Die Sammlung“. Im September 1945 wird<br />

<strong>Nohl</strong> Dekan des Fachbereichs Erziehungswissenschaften der Universität Göttingen.<br />

Zu seinen Lebzeiten erschienen nach 1945 neben weiteren Auflagen seiner Gr<strong>und</strong>schriften<br />

vor allem der Sammelband „Pädagogik aus dreißig Jahren“ 16 sowie einige weitere<br />

13<br />

Diese Schriften beruhen in weiten Teilen auf Vorarbeiten <strong>Nohl</strong>s vor der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong>, vor allem seiner<br />

Promotions- <strong>und</strong> seiner Habilitationsschrift.<br />

14<br />

<strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Pädagogische <strong>und</strong> politische Aufsätze, Jena 1919 <strong>und</strong> <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Pädagogische<br />

Aufsätze, 2. vermehrte Auflage, Langensalza/Berlin/Leipzig 1929. <strong>Nohl</strong> teilt im Vorwort zur ersten<br />

Auflage <strong>die</strong>ses Sammelbands mit, dass sämtliche dort abgedruckten Aufsätze in der <strong>Zeit</strong>schrift „Die Tat“<br />

erschienen sind. Siehe dazu: Breuer, Stefan: Anatomie der konservativen Revolution, 2. durchgesehene<br />

<strong>und</strong> korrigierte Auflage, Darmstadt 1995; Sontheimer, Kurt: Der Tatkreis, in: Vierteljahreshefte für<br />

<strong>Zeit</strong>geschichte, 7. Jg. (1959), Heft 3, S. 229–260 <strong>und</strong> Kracauer, Siegfried: Aufruhr der Mittelschichten.<br />

Eine Auseinandersetzung mit dem „Tat“-Kreis (1931), in: Kracauer, Siegfried: Schriften, Band 5, Teil 2,<br />

Frankfurt am Main 1990, S. 405–424.<br />

Vor 1933 erschien außerdem der Sammelband „Jugendwohlfahrt. Sozialpädagogische Vorträge“ (Leipzig<br />

1927).<br />

15<br />

<strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Landbewegung, Osthilfe <strong>und</strong> <strong>die</strong> Aufgabe der Pädagogik, Leipzig 1933.<br />

16<br />

<strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949.<br />

11


I. Gr<strong>und</strong>positionen <strong>und</strong> Hauptwerke<br />

kleine Zusammenstellungen. 17 <strong>Nohl</strong> selbst <strong>und</strong> seine akademischen Schülerinnen <strong>und</strong><br />

Schüler (gemeint sind <strong>die</strong> Wissenschaftlerinnen <strong>und</strong> Wissenschaftler, <strong>die</strong> bei ihm<br />

promoviert haben) haben mit <strong>die</strong>sem Sammelband <strong>und</strong> entsprechenden Vor- <strong>und</strong><br />

Nachbemerkungen <strong>die</strong> Gr<strong>und</strong>these der „positiven“ Kontinuität der Pädagogik <strong>Nohl</strong>s von<br />

Weimar über <strong>NS</strong>-Berlin bis Bonn festgeschrieben <strong>und</strong> gepflegt. Nach <strong>Nohl</strong>s Tod<br />

erschien u. a. der von Bollnow zusammengestellte Band „Die Deutsche Bewegung“, 18<br />

der eine in sich geschlossene Vorlesungsaufzeichnung <strong>und</strong> einzelne Aufsätze zu <strong>die</strong>sem<br />

Thema enthält.<br />

Die eigentliche wirkungsgeschichtlich bleibende Schrift ist jedoch „Die pädagogische<br />

Bewegung in Deutschland <strong>und</strong> ihre Theorie“, in der <strong>Nohl</strong> <strong>die</strong> historiographische Konstruktion<br />

einer deutschen pädagogischen Bewegung entwickelt. Diese „Deutsche<br />

Bewegung“ 19 (ab 1770 bzw. 1813) mit dem Teilbereich der „pädagogischen Bewegung“<br />

(ab 1901), in der er als drei Kernpunkte den Gedanken der (relativen) Autonomie, 20 des<br />

„pädagogischen Bezuges“ <strong>und</strong> der „polaren“ Denkweise einbettet, ist zentral auf <strong>die</strong><br />

Bildung eines nationalen, „deutschen Typus“ ausgerichtet: Bildung zum deutschen<br />

Volk, Bildung des deutschen Volkes zur Volksgemeinschaft.<br />

1. Die pädagogische Bewegung in Deutschland <strong>und</strong> ihre Theorie (1933/35) 21<br />

Diese 1935 als Monographie erschienene Schrift basiert auf Beiträgen, <strong>die</strong> 1933 im<br />

Band 1 des „Handbuchs der Pädagogik“ 22 erschienen waren. Sie ist von der Wirkungs-<br />

17 Weitere Sammelbände von <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> sind in der Literaturliste verzeichnet.<br />

18 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Die Deutsche Bewegung. Vorlesungen <strong>und</strong> Aufsätze zur Geistesgeschichte von 1770–<br />

1830, Göttingen 1970. Auf Gr<strong>und</strong>lage von Vorlesungsmanuskripten von 1908 <strong>und</strong> den Jahren danach von<br />

<strong>Nohl</strong> 1939 diktiert. Die Vorlesung wurde von <strong>Nohl</strong> zuletzt 1947 gehalten (vgl. S. 7–13 <strong>und</strong> S. 316 f.).<br />

19 <strong>Nohl</strong> hat den Begriff der „Deutschen Bewegung“ wirkungsgeschichtlich geprägt, auch wenn er<br />

ursprünglich auf Diltheys Baseler Antrittsvorlesung 1867 zurückgeht; vgl. Bollnow, Otto Friedrich/Rodi,<br />

Frithjof: Vorwort, in: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Die Deutsche Bewegung. Vorlesungen <strong>und</strong> Aufsätze zur Geistesgeschichte<br />

von 1770–1830, Göttingen 1970, S. 10, Anmerkung 8). <strong>Nohl</strong> definiert <strong>die</strong> „Deutsche Bewegung“<br />

1927 wie folgt: „Ich nenne <strong>die</strong>se Bewegung (…) <strong>die</strong> deutsche Bewegung, weil sich in ihr <strong>die</strong> deutsche<br />

geistige Welt gegenüber der Lebensform der westlichen Völker wie sie <strong>die</strong> Aufklärung darstellte,<br />

selbständig macht <strong>und</strong> ihre eigene Gestalt herausarbeitet“ (<strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Die geistige Welt Pestalozzis<br />

(1927), in: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Erziehergestalten (Kleine Vandenhoeck-Reihe 55), 3. Auflage, Göttingen<br />

1963, S. 12, Hervorhebung im Original).<br />

20 Bei <strong>Nohl</strong> heißt es, es gehe um <strong>die</strong> „relative Selbständigkeit“ (<strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Die pädagogische<br />

Bewegung in Deutschland <strong>und</strong> ihre Theorie, Frankfurt am Main 1935, S. 156 f.).<br />

21 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Die pädagogische Bewegung in Deutschland <strong>und</strong> ihre Theorie, 2., durchgesehene <strong>und</strong><br />

mit einem Nachwort versehene Auflage, Frankfurt am Main 1935.<br />

22 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>/Pallat, Ludwig: Handbuch der Pädagogik, Band 1: Die Theorie <strong>und</strong> <strong>die</strong> Entwicklung des<br />

Bildungswesens, Langensalza 1933, S. 3–80 <strong>und</strong> S. 301–374.<br />

12


I. Gr<strong>und</strong>positionen <strong>und</strong> Hauptwerke<br />

geschichte her <strong>die</strong> wichtigste Schrift <strong>Nohl</strong>s, 23 vor allem im Kontext der Historiographie<br />

der Erziehungswissenschaft <strong>und</strong> Pädagogik in Deutschland. 24 Im 1948 formulierten<br />

Nachwort der 3. Auflage (Frankfurt am Main 1949) heißt es:<br />

„Zu Beginn des Jahres 1933 war unser ‚Handbuch der Pädagogik‘ mit seiner letzten<br />

Lieferung, <strong>die</strong> <strong>die</strong> ‚Theorie der Bildung‘ enthielt, erschienen <strong>und</strong> gleich vergriffen.<br />

Im März kam dann <strong>die</strong> politische Springflut des Nationalsozialismus <strong>und</strong> drohte jede<br />

echte Erziehung zu vernichten. Ich selbst blieb einstweilen noch unbehelligt, aber<br />

meine Schule wurde verfolgt <strong>und</strong> fast alle meine früheren Schüler aus ihren Ämtern<br />

vertrieben. Ich litt sehr unter ihrem Schicksal <strong>und</strong> kam mir vor wie auf einem untergehenden<br />

Schiff. Da wollte ich wenigstens den Sinn unserer Arbeit noch einmal<br />

gleichsam wie eine Flaschenpost als letztes Lebenszeichen in <strong>die</strong> Welt senden. Mein<br />

tapferer Verleger wagte den Druck, <strong>und</strong> ich gab den beiden Artikeln des Handbuches,<br />

<strong>die</strong> in dem Buch zusammengefasst wurden, ein Vorwort <strong>und</strong> ein Nachwort, <strong>die</strong><br />

sie wie ein Schwimmgürtel über Wasser halten sollten. Tatsächlich wurde das Buch<br />

nicht verboten. Ein feiler Rezensent, der sich wenige Monate vorher noch an mich<br />

herangedrängt hatte, schrieb allerdings, ich hätte mich mit ihm ‚selbst aus der<br />

Volksgemeinschaft ausgeschlossen‘. Es wird jetzt nicht mehr möglich sein, einfach<br />

dort wieder anzuschließen, wo wir 1935 aufhörten, aber als <strong>die</strong> letzte Zusammenfassung<br />

der Pädagogischen Bewegung, <strong>die</strong> seit 1900 ein Menschenalter hindurch <strong>die</strong><br />

besten Geister in Deutschland beseelte, wird das Buch, meine ich, seine Bedeutung<br />

<strong>und</strong> seinen Wert behalten.“ 25<br />

Auf <strong>die</strong> in <strong>die</strong>ser Passage enthaltene Vorstellung, dass Vor- <strong>und</strong> Nachwort wie ein<br />

Schwimmgürtel für das eigentliche Werk wirken sollten, wird an anderer Stelle genauer<br />

einzugehen sein. Die Vorstellung jedenfalls, dass durch <strong>die</strong> von <strong>Nohl</strong> definierte „pädagogische<br />

Bewegung“ <strong>die</strong> „besten Geister in Deutschland“ beseelt worden seien, steht<br />

23<br />

Heinz-Elmar Tenorth macht darauf aufmerksam, dass Wolfgang Scheibe in seinem Buch „Die<br />

reformpädagogische Bewegung“ auf eine schiefe Darstellung der Reformpädagogik zurückgreift, <strong>die</strong><br />

„<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> im ‚Handbuch der Pädagogik‘ 1933 in traditionsstiftender Weise vorgegeben hatte“<br />

(Tenorth, Heinz-Elmar: Nachwort. Reformpädagogik, ihre Historiographie <strong>und</strong> ihre Analyse, in: Scheibe,<br />

Wolfgang: Die reformpädagogische Bewegung 1900–1932. Eine einführende Darstellung, 10. erweiterte<br />

<strong>und</strong> neuausgestattete Auflage, Weinheim/Basel 1994, S. 440).<br />

24<br />

Als Mitherausgeber des auf fünf Bände angelegten „Handbuchs der Pädagogik“ (Berlin/Leipzig 1928–<br />

1933) ragte <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> deutlich aus der Riege der Erziehungswissenschaftler in Deutschland heraus.<br />

Ohne Übertreibung war <strong>die</strong>ses 1935 in der zweiten Auflage als Monographie herausgegebene Buch<br />

(Frankfurt am Main 1935) richtungsweisend. Der Erscheinungsverlauf der verschiedenen Auflagen ist<br />

etwas verwickelt: Die erste Auflage wurde 1932 inhaltlich abgeschlossen <strong>und</strong> erschien 1933 in zwei<br />

Teilen im Rahmen des ersten Bands des „Handbuchs der Pädagogik“. Der erste Abschnitt <strong>die</strong>ses<br />

Handbuchs („Die Theorie der Bildung“, S. 3–80) <strong>und</strong> ein Teil des zweiten Abschnitts („Die pädagogische<br />

Bewegung in Deutschland“, S. 203–274) wurden 1935 in der zweiten durchgesehenen <strong>und</strong> mit auf <strong>die</strong><br />

<strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> bezugnehmenden Vor- <strong>und</strong> Nachworten versehenen Auflage veröffentlicht. Nach der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

erschien <strong>die</strong> dritte Auflage 1949, <strong>die</strong> elfte <strong>und</strong> bisher letzte Auflage 2002. Bis zur elften Auflage einschließlich<br />

wurden ausdrücklich <strong>die</strong> 1935 verfassten, nationalsozialistisch geprägten Vor- <strong>und</strong> Nachworte<br />

aufgenommen. Seit der dritten Auflage 1949 wurde zudem das oben zitierte Nachwort zur Erklärung<br />

beigefügt.<br />

25<br />

<strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Die pädagogische Bewegung in Deutschland <strong>und</strong> ihre Theorie, 3. Auflage, Frankfurt am<br />

Main 1949, S. 229.<br />

13


I. Gr<strong>und</strong>positionen <strong>und</strong> Hauptwerke<br />

f<strong>und</strong>amental einer kritischen Historiographie entgegen. In <strong>die</strong>ser Schrift <strong>Nohl</strong>s wird in<br />

ganz gezielter Weise eine Sichtung <strong>und</strong> Wichtung der vorhandenen theoretischen <strong>und</strong><br />

praktischen Ansätze 26 der Pädagogik in Deutschland vorgenommen, <strong>die</strong> weitgehend bis<br />

in <strong>die</strong> siebziger Jahre der B<strong>und</strong>esrepublik <strong>und</strong> teilweise bis heute als Gr<strong>und</strong>positionen<br />

ihren Platz haben.<br />

Der Anspruch <strong>Nohl</strong>s ist, aus den verschiedenen Autoren <strong>und</strong> Ansätzen ein harmonisches<br />

Ganzes, eine „deutsche pädagogische Bewegung“ zu konstruieren, <strong>die</strong> trotz aller<br />

unterschiedlicher Akzentsetzungen seit über einh<strong>und</strong>ert Jahren an dem einen Ziel<br />

arbeitet: der Bildung des deutschen Volkes im doppelten Sinne des Wortes. Die „nationale<br />

Erziehung“ als Erziehung zur Nation (vor 1871) <strong>und</strong> als Erziehung der Nation, der<br />

Erziehung des „deutschen Typus“, 27 das sind <strong>die</strong> beiden zentralen Achsen des Konstrukts<br />

von <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>.<br />

<strong>Nohl</strong>, der sich als Schüler Diltheys vorstellt <strong>und</strong> dessen Gr<strong>und</strong>ausrichtung als Spannung<br />

zwischen „nationalem Ethos“ <strong>und</strong> objektiver Wissenschaft charakterisiert, überträgt<br />

<strong>die</strong>ses Bild vom Spannungsfeld auf seine eigene Arbeit.<br />

Der durchgehende Zug in <strong>Nohl</strong>s Schriften ist <strong>die</strong> Denkfigur der „polaren Gegensätze in<br />

der Erziehung“. <strong>Nohl</strong> benennt in seinen Analysen immer zwei Seiten des pädagogischen<br />

Problems: das Individuum (das Subjektive fördern) einerseits <strong>und</strong> objektive Anforderungen<br />

(der Gemeinschaft genügen) andererseits. Freier Wille einerseits <strong>und</strong> Erziehung<br />

zum Gehorsam andererseits usw. Die Akzentsetzung, so seine Gr<strong>und</strong>these, sei Sache der<br />

„geschichtlichen St<strong>und</strong>e“, mal sei <strong>die</strong>s mehr betont, mal jenes, aber keines <strong>die</strong>ser<br />

gegensätzlichen Elemente dürfe übersehen werden. Und wenn doch, dann nur vorübergehend,<br />

aufgr<strong>und</strong> der so genannten „geschichtlichen St<strong>und</strong>e“. So gelingt es <strong>Nohl</strong> ohne<br />

Probleme, durch eine Akzentverschiebung je nach der „geschichtlichen St<strong>und</strong>e“ aktuell<br />

26 So hat etwa folgende Formulierung <strong>Nohl</strong>s sozusagen lexikalischen Charakter erhalten: „Die Gr<strong>und</strong>lage<br />

der Erziehung ist also das leidenschaftliche Verhältnis eines reifen Menschen zu einem werdenden<br />

Menschen, <strong>und</strong> zwar um seiner selbst willen, dass er zu seinem Leben <strong>und</strong> seiner Form komme“ (<strong>Nohl</strong>:<br />

Pädagogische Bewegung, 1935, S. 169). Hier sei allerdings noch hinzugefügt, dass <strong>Nohl</strong> „Liebe <strong>und</strong><br />

Gehorsam“ (<strong>Nohl</strong>: Pädagogische Bewegung, 1935, S. 245) als <strong>die</strong> beiden entscheidenden Mächte ansieht.<br />

27 Der Begriff des „Typus“ in der Erziehungswissenschaft, der bei <strong>Nohl</strong> in der Form des „deutschen<br />

Typus“ <strong>und</strong> des „nationalen Typus“ auftaucht, ist eine Denkfigur, <strong>die</strong> insbesondere bei Eduard Spranger<br />

<strong>und</strong> Peter Petersen <strong>die</strong> Individualisierung pädagogischen Handelns konterkariert, indem einzelne<br />

Educandi sehr rasch <strong>und</strong> umstandslos einem „Typus“ zugeordnet werden. Es ist verblüffend, dass unter<br />

den vielen Dissertationen <strong>und</strong> Qualifikationsarbeiten zu <strong>Nohl</strong> sich zu <strong>die</strong>ser Frage der „Typenbildung“<br />

zumindest dem Titel nach keine Arbeit findet, obwohl <strong>Nohl</strong> gerade in „Charakter <strong>und</strong> Schicksal“ (1938)<br />

massiv mit <strong>die</strong>ser Kategorie des „Typus“ arbeitet.<br />

14


I. Gr<strong>und</strong>positionen <strong>und</strong> Hauptwerke<br />

zu bleiben <strong>und</strong> neben der geforderten „Autonomie der Pädagogik“ gleichzeitig eine<br />

rigide Unterordnung unter <strong>die</strong> staatlichen Verhältnisse einzufordern <strong>und</strong> selbst durchzu-<br />

setzen.<br />

Das methodologische Rüstzeug zu <strong>die</strong>ser harmonisierenden Darstellung gegensätzlicher<br />

Positionen hat <strong>Nohl</strong>, der auch Herausgeber der Jugendschriften Hegels ist, von Hegels<br />

„Aufhebung“ der Gegensätze auf der höheren Stufe der Synthese übernommen: Nichts<br />

geht verloren, alles wird aufbewahrt in der „dritten Stufe“.<br />

So wie sich bei Hegel <strong>und</strong> vor allem seinen Plagiatoren der Weltgeist, nach dem sich <strong>die</strong><br />

Geschichte bewegt, auf den preußischen Staat als Inbegriff der Vernunft als „Synthese“<br />

hinentwickelt <strong>und</strong> sozusagen vollendet, so lässt <strong>Nohl</strong> in seiner Schrift alle großen<br />

Namen der pädagogischen Bewegung auflaufen, stellt sie vor, um <strong>die</strong> Synthese in der<br />

dritten Stufe der pädagogischen Bewegung zusammenfließen zu lassen.<br />

Diese dritte Stufe – <strong>und</strong> hier beginnt das eigentliche Problem in <strong>Nohl</strong>s Schriften, <strong>die</strong><br />

zeitnah vor 1933 <strong>und</strong> in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> publiziert wurden – ist „eigentlich“ <strong>die</strong> <strong>NS</strong>-<br />

Bewegung, der neue <strong>NS</strong>-Staat, repräsentiert von Adolf Hitler in der Politik <strong>und</strong> Ernst<br />

Krieck 28 in der Erziehungswissenschaft. 29 „Eigentlich“ oder „im Kern“ – das deutet<br />

darauf hin, dass <strong>Nohl</strong> auch in <strong>die</strong>ser emphatisch begrüßten „dritten Stufe“ noch eine Art<br />

28 Immerhin hat <strong>Nohl</strong> – anders als Spranger, Flitner, Litt <strong>und</strong> Petersen – bei dem von Alfred Baeumler<br />

initiierten <strong>und</strong> vor allem von Spranger unterstützten Aufruf zur Unterstützung Ernst Kriecks angesichts<br />

dessen Strafversetzung 1931 nicht unterschrieben. Krieck hatte eine Festrede mit „Heil dem Dritten<br />

Reich“ beendet. Horn zitiert einen Brief von <strong>Nohl</strong> an Baeumler vom 14.9.1931, in dem steht, dass er das<br />

Vorgehen gegen Krieck zwar für falsch halte, der Aufruf ihm aber zu „verklausuliert“ sei. Die Erklärung<br />

für Ernst Krieck erschien 1932 in der u. a. von <strong>Nohl</strong> <strong>und</strong> Spranger mitherausgegebenen <strong>Zeit</strong>schrift „Die<br />

Erziehung“, 7. Jg. (1932), S. 192 (vgl. dazu Horn, Klaus-Peter: „Die Hauptsache ist, dass ein deutlicher<br />

Protest erfolgt.“ Die „Strafversetzung“ Ernst Kriecks 1931 im Kontext, in: Jahrbuch für historische<br />

Bildungsforschung, Band 8, Bad Heilbrunn 2002, S. 303–305).<br />

29 In dem von <strong>Nohl</strong> angeführten Zitat kritisiert Ernst Krieck <strong>die</strong> Reformpädagogik seiner <strong>Zeit</strong> (1930): „Zu<br />

einem positiven Ziel konnte sie indessen schon deshalb nicht durchdringen, weil eine Erneuerung des<br />

Schulwesens primär nicht eine pädagogische, sondern eine allgemein völkische Angelegenheit im<br />

Zusammenhang der Staats-, Wirtschafts- <strong>und</strong> Sozialreform darstellt. Für eine neue Schule muss erst der<br />

völkische <strong>und</strong> geistige Boden zubereitet sein.“ <strong>Nohl</strong> kommentiert dazu: „Diese Zitate lassen <strong>die</strong> dramatische<br />

Zuspitzung der pädagogischen Bewegung deutlich erkennen: wie jetzt hinter der Methodenfrage <strong>und</strong><br />

der formalen Einstellung, <strong>die</strong> den Stoff zugunsten der Kräfte ablehnte, nun doch wieder <strong>die</strong> Frage nach<br />

dem Gehalt heraufkommt, der nicht bloß Stoff ist, sondern eine geistige Einheit mit ihrem Ethos“ (<strong>Nohl</strong>:<br />

Pädagogische Bewegung, 1935, S. 101). Gleichzeitig kritisiert <strong>Nohl</strong> aber auch <strong>die</strong> Einseitigkeit nationalsozialistischer<br />

Pädagogik: „Aber der Radikalismus, mit dem hier nun <strong>die</strong>ses deutsche Leben von allen<br />

<strong>und</strong>eutschen Einflüssen gereinigt werden soll, wie von der Renaissance oder dem Humanismus oder dem<br />

Christentum, ist eine Verengung unserer nationalen Existenz <strong>und</strong> ein Missverständnis geistiger Entwicklung.<br />

Solche nationale Einschränkung geht von der falschen Theorie aus, dass das Deutsche eine feste<br />

Größe sei, <strong>die</strong> sich aus sich heraus entfaltet <strong>und</strong> umso vollkommener werde, je reiner sie bleibt“ (<strong>Nohl</strong>:<br />

Pädagogische Bewegung, 1935, S. 112).<br />

15


I. Gr<strong>und</strong>positionen <strong>und</strong> Hauptwerke<br />

„Anmerkung“, einen Zusatz, eine „Kür“ einfordert: Das Bewahren der gesamten von<br />

ihm harmonisierten Geschichte, der gesamten Geistesgeschichte, der gesamten Ge-<br />

schichte der „deutschen pädagogischen Bewegung“, <strong>die</strong>se Freiheit des Geistes – so<br />

<strong>Nohl</strong> in all seinen Schriften nach 1933 durchgehend – dürfe eben langfristig nicht<br />

verloren gehen.<br />

Der erste Teil, „Die pädagogische Bewegung in Deutschland“, stellt Jugendbewegung<br />

<strong>und</strong> Volkshochschulbewegung als „<strong>die</strong> pädagogische Volksbewegung“ dar. Im Abschnitt<br />

„Die pädagogische Reformbewegung“ entwickelt <strong>Nohl</strong> als vier Gr<strong>und</strong>richtungen<br />

Geschichte <strong>und</strong> Theorie der Kunsterziehungsbewegung, der Arbeitsschulbewegung, der<br />

sogenannten „sittlichen Selbsttätigkeit“ <strong>und</strong> der Landerziehungsheimbewegung. In<br />

einem dritten Schritt stellt <strong>Nohl</strong> <strong>die</strong> pädagogische Bewegung in der Schule vor <strong>und</strong><br />

betont gegenüber Methodik <strong>und</strong> äußeren Formen, dass es um eine Einheitsschulbewegung<br />

gehe <strong>und</strong> dabei vor allem um „Gehalt <strong>und</strong> innere Form“. Auf <strong>die</strong>se „deutsche<br />

Schule“ (so auch der Titel einer <strong>Zeit</strong>schrift, in der <strong>Nohl</strong> veröffentlichte) laufen <strong>die</strong><br />

verschiedenen Bewegungen alle hinaus. Es gilt nur, <strong>die</strong> jeweiligen Einseitigkeiten alle<br />

miteinander mit „feiner Linie“, wie <strong>Nohl</strong> formuliert, zu verbinden.<br />

Der weitaus größere Teil, der <strong>die</strong>sem zirka einh<strong>und</strong>ertseitigen ersten Teil folgt, behandelt<br />

<strong>die</strong> „Theorie der Bildung“. Hierbei steht der Abschnitt zwei mit dem Titel „Die<br />

Autonomie der Pädagogik“ im Mittelpunkt. Aus <strong>die</strong>sem Abschnitt wird in den nachfolgenden<br />

Werken <strong>Nohl</strong>s oft wortwörtlich oder fast identisch zitiert. Im Gr<strong>und</strong>e werden<br />

hier nun thematisch sortiert <strong>die</strong> einzelnen Gesichtspunkte der weiter oben vorgestellten<br />

„Bewegungen“ Punkt für Punkt entwickelt, wobei <strong>die</strong>ser zweite, zirka einh<strong>und</strong>ertfünfzig<br />

Seiten umfassende Teil, mit dem Unterabschnitt „Die pädagogische Bewegung <strong>und</strong><br />

ihr Gesetz“ schließt: „Jede pädagogische Bewegung verläuft in drei Phasen – das ist ihr<br />

Gesetz“ (<strong>Nohl</strong>: Pädagogische Bewegung, 1935, S. 276). <strong>Nohl</strong> führt 1935 aus: „Die<br />

dritte Phase der Bewegung betont <strong>die</strong> Bindung <strong>und</strong> <strong>die</strong> Zusammennahme, <strong>die</strong> Autorität<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> Leistung“ (<strong>Nohl</strong>: Pädagogische Bewegung, 1935, S. 278).<br />

Der zentrale Begriff der ersten Phase ist für <strong>Nohl</strong> „Persönlichkeit“, der der zweiten<br />

Phase <strong>die</strong> „Gemeinschaft“. Zur dritten Phase, <strong>die</strong> ja bekanntlich <strong>die</strong> zweite <strong>und</strong> dritte<br />

Phase „in sich aufhebt“, führt <strong>Nohl</strong> aus:<br />

16


I. Gr<strong>und</strong>positionen <strong>und</strong> Hauptwerke<br />

„Das Schlagwort <strong>die</strong>ser dritten Phase ist nicht mehr Persönlichkeit <strong>und</strong> Gemeinschaft,<br />

sondern ‚Dienst‘, d. h. <strong>die</strong> tätige Hingabe an ein Objektives.“ (<strong>Nohl</strong>: Pädagogische<br />

Bewegung, 1935, S. 278, Hervorhebung im Original)<br />

Die eigentliche Aufgabe der autonomen Pädagogik, so <strong>die</strong> Schlusspointe <strong>Nohl</strong>s, sei <strong>die</strong><br />

„ewige Aufgabe“, jeweils beide Pole (das Individuum <strong>und</strong> <strong>die</strong> Gemeinschaft) nicht zu<br />

vergessen <strong>und</strong> so dem Mensch <strong>die</strong> Treue zu bewahren, mag auch Politik <strong>und</strong> Religion<br />

bereit sein, einen der Pole zu vergessen.<br />

Die Pointe in <strong>die</strong>ser Schrift ist, dass der Akzent auf „heiliges Führertum“ gelegt wird.<br />

Ausgehend von der Haltung der Jugendbewegung zum „Verhältnis des Führers zu<br />

seinem Volk“ schildert <strong>Nohl</strong>, keineswegs wertfrei, dass nun Autorität <strong>und</strong> Charisma<br />

entscheidend seien. <strong>Nohl</strong> führt an, dass <strong>die</strong> Bünde der letzten Phase der Jugendbewegung<br />

<strong>die</strong>ses Prinzip aufs Äußerste gesteigert hätten. Sie haben<br />

„den militärischen Gehorsam wieder aufgenommen <strong>und</strong> sind bereit, ihrem Führer<br />

bedingungslos zu folgen. Die Voraussetzung für <strong>die</strong>se Wendung ist eine neue Gläubigkeit,<br />

<strong>die</strong> sich nicht mehr bloß intellektuell zu den objektiven Mächten verhält,<br />

sondern sich von ihnen ergriffen <strong>und</strong> geb<strong>und</strong>en weiß, <strong>und</strong> der darum Autorität <strong>und</strong><br />

personale Macht, Herrschaft <strong>und</strong> Dienst wieder sakralen Ursprungs sind.“ (<strong>Nohl</strong>:<br />

Pädagogische Bewegung, 1935, S. 72)<br />

* * *<br />

Insbesondere im historiographischen Teil setzt <strong>Nohl</strong> sein Programm der Vereinheitli-<br />

chung durch, genauer: sein Programm der Konstruktion der deutschnationalen pädago-<br />

gischen Bewegung <strong>und</strong> entwickelt <strong>die</strong> Dogmen einer Reformbewegung, <strong>die</strong> im Detail<br />

Stück für Stück von Oelkers in seinen Arbeiten entmythologisiert worden sind. 30<br />

Wenn <strong>die</strong>se hier zusammengefasste Gr<strong>und</strong>idee in den Schriften <strong>Nohl</strong>s nicht bedacht<br />

wird, ist es sehr schwierig, <strong>die</strong> Widersprüchlichkeit bei <strong>Nohl</strong> zu verstehen. Das „Wech-<br />

selbad“ von Entsetzen über pädagogisch <strong>und</strong> moralisch unhaltbaren Positionen <strong>Nohl</strong>s<br />

zur Politik der <strong>NS</strong>-Bewegung <strong>und</strong> seine pädagogischen Positionen zum Thema „Befehl<br />

<strong>und</strong> Gehorsam“ in militaristischer Hinsicht, das bis ins Extreme gesteigerte „nationale<br />

Pathos“, der Zugriff auf das Vokabular der Irrationalität, klare antisemitische Passagen<br />

– all das wird in denselben Schriften zumindest teilweise in Frage gestellt bzw. mit den<br />

„polaren Gegensätzen“ konfrontiert.<br />

30 Oelkers, Jürgen: Reformpädagogik. Eine kritische Dogmengeschichte (1. Auflage 1989), 4. vollständig<br />

überarbeitete <strong>und</strong> erweiterte Auflage, Weinheim/München 2005.<br />

17


I. Gr<strong>und</strong>positionen <strong>und</strong> Hauptwerke<br />

Diese Widersprüchlichkeit gilt es bei <strong>Nohl</strong> festzuhalten <strong>und</strong> sie ist weder durch allge-<br />

mein gehaltene Kontinuitätsthesen noch Diskontinuitätsthesen wegzuoperieren. 31<br />

2. Die ästhetische Wirklichkeit (1935) 32<br />

Die als Einführung bezeichnete Schrift erschien erstmals 1935. Ausgehend von einer<br />

Vorstellung ästhetischer Begriffe entwickelt <strong>Nohl</strong> in <strong>die</strong>sem 214 Seiten umfassenden<br />

Buch, an Kant, Goethe <strong>und</strong> Schiller anknüpfend, <strong>die</strong> „Ästhetik der Unendlichkeit“<br />

(<strong>Nohl</strong>: Ästhetische Wirklichkeit, 1935, S. 131) <strong>und</strong> endet, sich auf Nietzsche berufend,<br />

mit einem Abschnitt namens „Der neue künstlerische Mut. Stil als Einheit in allen<br />

Lebensäußerungen eines Volkes“. In <strong>die</strong>sem letzten Abschnitt, unvermeidlich Wilhelm<br />

Dilthey referierend, lässt <strong>Nohl</strong> das Werk in Anlehnung an Langbehn <strong>und</strong> Lichtwark in<br />

Zuspitzung auf <strong>die</strong> „Nationale Form“ ausklingen.<br />

<strong>Nohl</strong> endet mit seiner Darstellung der „Überzeugung aller starken Künstler“, <strong>die</strong><br />

„volksmäßig geb<strong>und</strong>en“ seien (<strong>Nohl</strong>: Ästhetische Wirklichkeit, 1935, S. 215). Kernpunkt<br />

eines Kunstwerks ist nach <strong>Nohl</strong>, dass ihm<br />

„eine ges<strong>und</strong>e typische nationale Form zugr<strong>und</strong>e liegt. Dann ist Kunst nicht mehr<br />

ein Element der Trennung, sondern der Verbindung, nicht mehr eine rätselhafte Sache<br />

für Ästheten, sondern Ausdruck eines Ideals, das alle verstehn <strong>und</strong> das einem<br />

Volk sagt, was es will, weil in ihm das dunkle Gefühl, der unbestimmte Trieb des<br />

Volkes Form <strong>und</strong> Gestalt annahm.“ (<strong>Nohl</strong>: Ästhetische Wirklichkeit, 1935, S. 215 f.)<br />

So endet <strong>die</strong>ses Buch über „Die ästhetische Wirklichkeit“ in trivialen <strong>und</strong> populisti-<br />

schen Definitionen der Kunst als Formung des unbestimmten Triebes des Volkes.<br />

Da Ästhetik in geisteswissenschaftlicher Hinsicht an Kant anknüpfend ja im „Unendli-<br />

chen“ <strong>und</strong> „Erhabenen“ <strong>und</strong> damit letztlich im Religiös-Irrationalen endet, bietet <strong>die</strong>se<br />

Schrift <strong>Nohl</strong>s – wenn sie im Detail, im Kontext seiner Einführung in <strong>die</strong> Geschichte der<br />

Philosophie analysiert werden würde – umfassendes Material, um in <strong>die</strong> Feinheiten<br />

<strong>Nohl</strong>’scher Irrationalität eindringen zu können. Die Wirkungsgeschichte <strong>die</strong>ses Buches<br />

endet offensichtlich mit der vierten Auflage 1973.<br />

31 Das 1935 verfasste Vor- <strong>und</strong> Nachwort <strong>die</strong>ser Schrift aus der 2. Auflage (Frankfurt am Main 1935)<br />

spiegelt <strong>die</strong>ses Dilemma einer massiven Unterstützung der <strong>NS</strong>-Politik <strong>und</strong> <strong>NS</strong>-Pädagogik bei gleichzeitigem<br />

Festhalten an einer harmonisierenden Zusammenfassung der deutschen Geistesgeschichte als<br />

„deutscher Bewegung“ wider. Dieses Dilemma zeigt sich, sogar noch verstärkt, vor allem im Vorlesungsmanuskript<br />

1933/34 <strong>und</strong> in seiner 1938 erschienenen Schrift „Charakter <strong>und</strong> Schicksal“.<br />

32 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Die ästhetische Wirklichkeit. Eine Einführung, Frankfurt am Main 1935.<br />

18


I. Gr<strong>und</strong>positionen <strong>und</strong> Hauptwerke<br />

3. Charakter <strong>und</strong> Schicksal (1938/40)<br />

Anders als <strong>die</strong> anderen gr<strong>und</strong>legenden Schriften <strong>Nohl</strong>s lässt sich <strong>die</strong> Schrift „Charakter<br />

<strong>und</strong> Schicksal“ 33 nur mit einigen Problemen in <strong>die</strong> Kategorie Gr<strong>und</strong>schriften einordnen,<br />

da sie in einem wesentlichen Teil durch <strong>NS</strong>-Terminologie <strong>und</strong> Rassentheorie bestimmt<br />

ist. Aber sie wurde nach 1945 mit einigen Änderungen nachgedruckt <strong>und</strong> zählt wir-<br />

kungsgeschichtlich somit durchaus zu den Gr<strong>und</strong>schriften.<br />

In der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> erschien <strong>die</strong> erste Auflage 1938, <strong>die</strong> zweite verbesserte Auflage 1940. 34<br />

Nach 1945 wurde zunächst eine dritte, vermehrte Auflage (Frankfurt am Main 1947) 35<br />

publiziert, bis hin zur bisher letzten siebten Auflage (Frankfurt am Main 1970), <strong>die</strong> bis<br />

heute lieferbar ist. Die dritte Auflage (Frankfurt am Main 1947) enthält einerseits noch<br />

deutliche <strong>NS</strong>-Terminologie, während andererseits ein besonders extremer Teil entfernt<br />

wurde, 36 eben das in der Dokumentation ad fontes <strong>Nohl</strong> abgebildete Foto der Hitler-<br />

Jugend mit Hakenkreuzfahne. 37<br />

33 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Charakter <strong>und</strong> Schicksal. Eine pädagogische Menschenk<strong>und</strong>e, Frankfurt am Main 1938<br />

<strong>und</strong> <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Charakter <strong>und</strong> Schicksal. Eine pädagogische Menschenk<strong>und</strong>e, 2. verbesserte Auflage,<br />

Frankfurt am Main 1940.<br />

34 Die erste <strong>und</strong> zweite Auflage unterscheidet sich offenk<strong>und</strong>ig dadurch, dass das ursprüngliche Kapitel II<br />

(„Die Polarität der Charakterzüge“) des zweiten Teils nun Kapitel V des ersten Teils wird. Ein Unterabschnitt<br />

„Der positive Wert der Temperamente“ wurde außerdem aus dem Kapitel „Die Polarität der<br />

Charakterzüge“ in das Kapitel „Die Temperamente“ (in beiden Auflagen Teil II, Kapitel I) verschoben,<br />

worauf <strong>Nohl</strong> selbst in seinem Nachwort zur zweiten Auflage (Frankfurt am Main 1949, S. 198) hingewiesen<br />

hat.<br />

35 In <strong>die</strong>ser dritten Auflage fügt <strong>Nohl</strong> in Teil I einen Abschnitt VI mit dem Titel „Das Pulsieren aller<br />

Lebensfunktionen im Rhythmus von Spannung <strong>und</strong> Entspannung“ hinzu. Dieser Teil wurde laut Elisabeth<br />

Blochmann in den Jahren vor 1945 von <strong>Nohl</strong> verfasst <strong>und</strong> im Heft 1 der <strong>Zeit</strong>schrift „Die Sammlung“<br />

1945 bereits veröffentlicht (vgl. Blochmann, Elisabeth: <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> in der pädagogischen Bewegung<br />

seiner <strong>Zeit</strong> 1879–1960, Göttingen 1969, S. 179). Laut Rudolf Lennert entstand der Text 1943 (vgl.<br />

Lennert, Rudolf: „Die Sammlung“ – Bild einer <strong>Zeit</strong>schrift, in: Beiträge zur Menschenbildung. <strong>Herman</strong><br />

<strong>Nohl</strong> zum 80. Geburtstag (<strong>Zeit</strong>schrift für Pädagogik, Beiheft 1), Weinheim/Düsseldorf 1959, S. 26). Das<br />

Nachwort zur ersten Auflage 1938 ist in <strong>die</strong>se dritte Auflage 1947 mit aufgenommen, das Nachwort zur<br />

zweiten Auflage 1940 jedoch nicht.<br />

Der Vorläufer <strong>die</strong>ses Buches war der Beitrag <strong>Nohl</strong>s zum Handbuch für Pädagogik, Band 5: Sozialpädagogik<br />

(Langensalza 1929) unter dem Titel „Pädagogische Menschenk<strong>und</strong>e“, der wiederum auf <strong>Nohl</strong>s<br />

Vorlesung unter dem Titel „Pädagogische Persönlichkeitsk<strong>und</strong>e“ im Wintersemester 1923/24 aufbaute<br />

(vgl. dazu Blochmann, Elisabeth: <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> in der pädagogischen Bewegung seiner <strong>Zeit</strong> 1879–1960,<br />

Göttingen 1969, S. 109).<br />

36 Im 1918 geschriebenen Vorwort zur ersten Auflage seines Sammelbands „Pädagogische Aufsätze“<br />

(2. vermehrte Auflage, Langensalza/Berlin/Leipzig 1929) erklärt <strong>Nohl</strong>, dass er bewusst seine Aufsätze<br />

aus der <strong>Zeit</strong>schrift „Tat“ unverändert abdrucke, „obwohl vieles jetzt sehr anders aussieht, weil sie im<br />

Gr<strong>und</strong>e wahr geblieben sind <strong>und</strong> weil jede Änderung in <strong>die</strong>sem Augenblick wie eine Fälschung meiner<br />

Vergangenheit aussehen würde. Es werden leider deren genug sein, <strong>die</strong> heuten meinen, Dur pfeifen zu<br />

müssen, wo sie früher Moll pfiffen“ (ungezählte Seite). Im Vorwort zur zweiten Auflage 1929 betont<br />

<strong>Nohl</strong> nochmals, „dass eine nachträgliche Verbesserung im Einzelnen nicht ehrlich wäre“ (ungezählte<br />

Seite).<br />

19


I. Gr<strong>und</strong>positionen <strong>und</strong> Hauptwerke<br />

In <strong>die</strong>ser Schrift folgt <strong>Nohl</strong>, wie er in der Einleitung erklärt, seinem akademischen<br />

Lehrer Dilthey bei der Entwicklung der These, dass <strong>die</strong> naturwissenschaftliche Psychologie<br />

das Äußere erklären könne, während es in der geisteswissenschaftlichen Psychologie<br />

darum gehe, das Innere zu verstehen. Dabei zählt <strong>Nohl</strong> als Hilfsmöglichkeit auch<br />

„Erblehre, Rassenk<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Soziologie“ auf. Dieses Werk ist also aus der Perspektive<br />

der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> zu lesen.<br />

Für <strong>die</strong> erbbiologischen <strong>und</strong> rassek<strong>und</strong>lichen Arbeiten der Menschenk<strong>und</strong>e bezieht sich<br />

<strong>Nohl</strong> auf <strong>die</strong> Rassentheoretiker Verschuer, Günther <strong>und</strong> Pfahler (<strong>Nohl</strong>: Charakter <strong>und</strong><br />

Schicksal, 1938, S. 20). Die Gr<strong>und</strong>fragen nach Anlage, Vererbung, Umwelteinfluss <strong>und</strong><br />

pädagogische Bildsamkeit werden von <strong>Nohl</strong> mit der Methodik der Polarität, mit der<br />

Methodik des „Sowohl-als-auch“ Kapitel für Kapitel entwickelt. Die von <strong>Nohl</strong> so<br />

bezeichnete „Menschenk<strong>und</strong>e“ von Platon bis Jesus („Deine Sünden sind dir vergeben“;<br />

<strong>Nohl</strong>: Charakter <strong>und</strong> Schicksal, 1938, S. 19), Rousseau <strong>und</strong> eine ganze Liste großer<br />

Namen begleiten <strong>die</strong> Leserschaft bei der Lektüre.<br />

Ausgangspunkt ist das polare „Von unten <strong>und</strong> von oben“-Sehen. Mit „von unten“ meint<br />

<strong>Nohl</strong> <strong>die</strong> Sichtweise vom Einzelnen aus, mit „von oben“ ist <strong>die</strong> Sichtweise von den<br />

Idealen oder Normen der Gesellschaft ausgehend gemeint, <strong>die</strong> „untrennbar mit dem<br />

Mythos des Volkes verb<strong>und</strong>en“ sind (<strong>Nohl</strong>: Charakter <strong>und</strong> Schicksal, 1938, S. 26). Der<br />

„Mythos des Volkes“ gibt von Anfang bis Ende den irrationalen Gr<strong>und</strong>tenor von<br />

„Charakter <strong>und</strong> Schicksal“ vor.<br />

Über <strong>die</strong> in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> veröffentlichten Gr<strong>und</strong>schriften <strong>Nohl</strong>s heißt es bei Klafki <strong>und</strong> Brockmann in ihrer<br />

Schrift „Geisteswissenschaftliche Pädagogik <strong>und</strong> Nationalsozialismus. <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> <strong>und</strong> seine ‚Göttinger<br />

Schule‘ 1932–1937“ (Weinheim/Basel 2002): „Soweit es sich um Werke handelt, <strong>die</strong> vor 1945 publiziert<br />

wurden, sind sie nach der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> unverändert oder erweitert wieder aufgelegt worden. Ausdrückliche<br />

Bezüge auf den Nationalsozialismus tauchen in <strong>die</strong>sen Büchern nicht auf“ (Klafki/Brockmann, S. 311,<br />

Hervorhebung im Original).<br />

Ähnlich heißt es bei Matthes, <strong>Nohl</strong>s Aussagen über Rassenunterschiede fehlten „völlig <strong>die</strong> rassistische<br />

Ausrichtung der damals herrschenden Ideologie, so dass <strong>die</strong>se Ausführungen von <strong>Nohl</strong> auch unverändert<br />

in <strong>die</strong> von der amerikanischen Militärregierung zugelassenen 3. Auflage v. 1947 übernommen werden<br />

konnten“ (Geisteswissenschaftliche Pädagogik nach der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong>. Politische <strong>und</strong> pädagogische Verarbeitungsversuche,<br />

Bad Heilbrunn 1998, S. 69). An <strong>die</strong> Stelle wissenschaftlicher Auseinandersetzung tritt hier<br />

<strong>die</strong> Obrigkeitsgläubigkeit gegenüber den amerikanischen Zensurbehörden von 1947, denen nachweisbar<br />

noch viel härtere Passagen als <strong>die</strong> <strong>Nohl</strong>s bewusst oder unbewusst entgangen sind. Zudem fehlt hier bei<br />

Matthes <strong>die</strong> wissenschaftliche Genauigkeit <strong>und</strong> Gründlichkeit: Gerade Passagen in „Charakter <strong>und</strong><br />

Schicksal“, insbesondere auch das Foto mit Hakenkreuzfahne <strong>und</strong> HJ wurden sehr wohl entfernt, bzw.<br />

verändert. Das beweist <strong>die</strong> „Autopsie“ <strong>und</strong> <strong>die</strong> Synopse der Ausgabe von 1938 im Vergleich mit der<br />

Ausgabe 1947.<br />

37 1. Auflage 1938, bzw. 2. Auflage 1940, jeweils nach S. 160.<br />

20


I. Gr<strong>und</strong>positionen <strong>und</strong> Hauptwerke<br />

Nach der zwanzigseitigen Einleitung folgen im ersten Teil des Buches zunächst „Die<br />

Aufbaugesetze der menschlichen Existenz“. In vier Abschnitten auf etwa fünfzig Seiten<br />

schildert <strong>Nohl</strong> Platons Konzept der drei Schichten der Seele – vereinfacht als Trieb,<br />

Wille („thymos“) <strong>und</strong> Vernunft („nus“) dargestellt. Alle drei Schichten der platonischen<br />

Seele werden dann weitergeführt vom „Reaktionsschema“ bis zu den Stufen der Motivation,<br />

wobei <strong>die</strong> objektive <strong>und</strong> subjektive Seite des Charakters unterschieden wird.<br />

Auch <strong>die</strong> Rolle der Erinnerung für <strong>die</strong> Entwicklung des Charakters – hier sogar Freuds<br />

<strong>und</strong> Adlers Leistungen würdigend <strong>und</strong> <strong>die</strong>s dann mit der für ihn typischen Ablehnung<br />

polar verbindend 38 – wird aus verschiedenen geisteswissenschaftlichen Quellen referiert.<br />

Im 110 Seiten umfassenden <strong>und</strong> in sieben Kapitel aufgeteilten zweiten Teil „Die<br />

Lebensformen“ beginnt <strong>Nohl</strong> mit einer Zusammenfassung der vier Temperamente bei<br />

Aristoteles, deren einseitige Übertreibung er als Wurzeln von Geisteskrankheiten<br />

ansieht, <strong>und</strong> endet bei der Frage nach dem „freien geistigen Einsatz“, der abschließend<br />

religiös – Platon paraphrasierend – geklärt wird: „Der Gott im Menschen“ (<strong>Nohl</strong>:<br />

Charakter <strong>und</strong> Schicksal, 1938, S. 191).<br />

Das Kernstück des Buchs, „Die Rassen <strong>und</strong> Völkerunterschiede“, ist in Kapitel V des<br />

zweiten Teils enthalten. Vorher hat <strong>Nohl</strong> <strong>die</strong> „Polarität der Charakterzüge“ prinzipiell<br />

dargestellt, <strong>die</strong>s an dem „Unterschied der Geschlechter“ (mit Bezügen zur Tierwelt)<br />

demonstriert, auf <strong>die</strong> Notwendigkeit der Berücksichtigung der Entwicklungsstufen bei<br />

Heranwachsenden aufmerksam gemacht <strong>und</strong> das Generationenproblem benannt.<br />

Zu den Peinlichkeiten der Neuherausgabe <strong>die</strong>ser Schrift nach 1945 gehört, dass ungeniert,<br />

wie in der ersten <strong>und</strong> zweiten Auflage bereits geschehen, in der dritten Auflage<br />

auf den „schönen Kriegsvortrag“ des Mediziners Ebbecke über „Erregung <strong>und</strong> Hemmung“<br />

verwiesen wird (3., vermehrte Auflage, Frankfurt am Main 1947, S. 95). Aus der<br />

38 So heißt es: „Es war ein Ver<strong>die</strong>nst von Freud, dass er <strong>die</strong> Bedeutung des Sexuellen hier so hervorgehoben<br />

<strong>und</strong> auch schon im Kinde nachgewiesen hat, wenn auch <strong>die</strong> Übertreibungen seiner Schule bis zum<br />

Irrsinn gingen <strong>und</strong> sehr gefährlich gewirkt haben“ (<strong>Nohl</strong>: Charakter <strong>und</strong> Schicksal, 1938, S. 72). Und zur<br />

verschärften Abgrenzung fügt <strong>Nohl</strong> noch hinzu: „Nach Freud <strong>und</strong> seiner Schule verschwinden <strong>die</strong><br />

Symptome, wenn ich <strong>die</strong> unbewussten Verbindungen bewusst mache <strong>und</strong> den Konflikt, der bisher in zwei<br />

Schichten vor sich ging, dadurch auf eine Ebene bringe. (…) Die Adlersche Schule macht <strong>die</strong> Bedingtheit<br />

der ‚überwertigen Idee‘ bewusst <strong>und</strong> sucht zu einer richtigen Verarbeitung des Erlebnisses aus dem<br />

ganzen Lebenszusammenhang zu führen (…). Viel Unheil ist durch solche Analyse <strong>und</strong> Behandlung<br />

angerichtet worden, <strong>die</strong> manchmal den einen Affekt nahm, um drei andere dafür einzusetzen. Die<br />

fanatische Einseitigkeit der Schulen mit ihrer gewaltsamen Konstruktion wirkte sich auch erzieherisch<br />

gefährlich aus“ (<strong>Nohl</strong>: Charakter <strong>und</strong> Schicksal, 1938, S. 74).<br />

21


I. Gr<strong>und</strong>positionen <strong>und</strong> Hauptwerke<br />

„Hitlerjugend“ (<strong>Nohl</strong>: Charakter <strong>und</strong> Schicksal, 1938, S. 178) wird kommentarlos <strong>die</strong><br />

„Jugendbewegung“ (3., vermehrte Auflage, Frankfurt am Main 1947, S. 175). 39 Auf den<br />

Abschnitt zu „Rasse <strong>und</strong> Völkerunterschiede“ dagegen wird an anderer Stelle genauer<br />

eingegangen.<br />

4. Einführung in <strong>die</strong> Philosophie (1935) 40<br />

Die Monographie erschien erstmals 1935 <strong>und</strong> wurde nach 1945 unverändert bis zur<br />

neunten Auflage (Frankfurt am Main 1998) in über 25.000 Exemplaren (Angabe in der<br />

achten Auflage Frankfurt am Main 1977) nachgedruckt. In <strong>die</strong> zweite <strong>und</strong> dritte Auflage<br />

(Frankfurt am Main 1946 bzw. 1947) wurde ein textgleiches Nachwort von <strong>Herman</strong><br />

<strong>Nohl</strong> aufgenommen (datiert Göttingen 1.4.1946 bzw. 1.1.1947), in dem es heißt:<br />

22<br />

„Das Buch wurde unverändert abgedruckt, wie es 1935 zuerst erschienen ist. Ich<br />

meine, es hätte etwas Tröstliches zu wissen, dass das möglich war. Für den, der <strong>die</strong><br />

hier nur angedeuteten Gedanken weiter verfolgen möchte, darf ich auf meine im<br />

gleichen Verlag erschienenen Bücher zur Ethik, Ästhetik, Pädagogik <strong>und</strong> Menschenk<strong>und</strong>e<br />

verweisen.“<br />

Anzumerken wäre noch, dass Hartmut von Hentig ein kurzes Geleitwort zur neunten<br />

Auflage beigesteuert hat. 41 Hier mag folgender Hinweis genügen: Der gr<strong>und</strong>legende<br />

Ansatz <strong>die</strong>ser Schrift besteht darin, <strong>die</strong> gesamte Geschichte der Philosophie von der<br />

Antike bis zum deutschen Idealismus als Vorläufer Diltheys aufzubereiten <strong>und</strong> beides<br />

zusammen als <strong>die</strong> von <strong>Nohl</strong> konstruierte „Deutschen Bewegung“ (<strong>Nohl</strong>: Einführung,<br />

1935, S. 83) darzustellen. Gegenüber der aristotelischen Auffassung von „eudaimonia“<br />

stellt <strong>Nohl</strong> <strong>die</strong> preußisch ausgeprägte, von ihm auf Kant zurückgeführte These auf, dass<br />

„<strong>die</strong> Ethik des Genießens (…) nicht bloß unsittlich, sondern außerdem in allen ihren<br />

Positionen falsch“ (<strong>Nohl</strong>: Einführung, 1935, S. 90) sei.<br />

Sokrates <strong>und</strong> <strong>die</strong> Ethik 42<br />

Knapp dreißig Jahre vorher erschien seine Promotionsschrift (auf <strong>die</strong> <strong>Nohl</strong>s „Einführung<br />

in <strong>die</strong> Philosophie“ zum Teil aufbaut). Sie soll hier nur knapp vorgestellt werden,<br />

39<br />

Siehe dazu auch <strong>die</strong> Synopse in der Dokumentation ad fontes <strong>Nohl</strong>, S. 391 f.<br />

40<br />

<strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Einführung in <strong>die</strong> Philosophie, Frankfurt am Main 1935.<br />

41<br />

Dort heißt es nicht gerade kritisch: „<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> nimmt uns an der Hand <strong>und</strong> geht ein Stück Wegs mit<br />

uns wie sein großer Vorgänger, der Erfinder des Wortes Philosophie.“ (Hentig, Hartmut von: Zum Geleit,<br />

in: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Einführung in <strong>die</strong> Philosophie, 9. Auflage, Frankfurt am Main 1998, S. 7)<br />

42<br />

<strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Sokrates <strong>und</strong> <strong>die</strong> Ethik, Tübingen/Leipzig 1904.


I. Gr<strong>und</strong>positionen <strong>und</strong> Hauptwerke<br />

soweit sie Aufschlüsse gibt, insbesondere bezüglich der weitgehend auf Beweisführung<br />

verzichtenden, eklektischen Methodik <strong>Nohl</strong>s.<br />

Diese Promotionsarbeit <strong>Nohl</strong>s (bei Dilthey <strong>und</strong> Paulsen) fasst auf knapp neunzig Seiten<br />

Aspekte der Ethik bei Sokrates zusammen. Die Arbeit, <strong>die</strong> in weiteren Arbeiten <strong>Nohl</strong>s<br />

zur Philosophie erneut referiert wurde, beginnt mit einer Art Bekenntnis <strong>Nohl</strong>s zur<br />

„Überzeugung von der Irrationalität des Lebens <strong>und</strong> der Unmöglichkeit, das ethische<br />

Verhalten des Menschen begrifflich fassen zu können“ (<strong>Nohl</strong>: Sokrates, 1904, S. 1).<br />

<strong>Nohl</strong> schickt voraus, dass er Polemik vermeiden <strong>und</strong> <strong>die</strong> Herkunft der Quellen nicht<br />

ausführlich belegen wird – eine Praxis, <strong>die</strong> er weitgehend in allen seinen weiteren<br />

Arbeiten beibehalten hat. In keinem seiner Gr<strong>und</strong>werke gibt es eine Literaturliste, in der<br />

Regel gibt es nur grobe Hinweise auf Positionen anderer Autoren. Kritik, <strong>die</strong> sich an<br />

zitierten Passagen der kritisierten Autoren festmacht, gibt es so gut wie gar nicht. Die<br />

Behauptung ersetzt in der Regel jeden Ansatz einer wissenschaftlichen Beweisführung.<br />

Auf <strong>die</strong> Schilderung Sokrates’ durch Platon führt <strong>Nohl</strong> das Dreista<strong>die</strong>ngesetz zurück:<br />

Erst emotional, dann rational, dann beide Aspekte historisch verbindend, wie Dilthey es<br />

gefasst hat – das ist für ihn der Prozess der Aufklärung (<strong>Nohl</strong>: Sokrates, 1904, S. 12).<br />

Nach <strong>Nohl</strong> „beginnt der zerstörende Einfluss auf alle schöpferischen Funktionen“<br />

(<strong>Nohl</strong>: Sokrates, 1904, S. 13) durch den nicht von innen kommenden Intellekt.<br />

Aristoteles mit seiner Logik („Bei Sokrates ist von einer Logik als Objekt der Forschung<br />

nichts zu finden“; <strong>Nohl</strong>: Sokrates, 1904, S. 43) <strong>und</strong> mit seinen empirischen<br />

Forschungen erscheint <strong>Nohl</strong> schon hier als „Totengräber der antiken Produktion“ –<br />

Kunst <strong>und</strong> Musik stehen für <strong>die</strong> Bewahrung des Mythos <strong>und</strong> des Schönen, „wo sonst<br />

das Wissen alles zersetzte <strong>und</strong> regierte“ (<strong>Nohl</strong>: Sokrates, 1904, S. 18). Ohne weitere<br />

Beweisführung geht <strong>Nohl</strong> einheitlich bei Platon <strong>und</strong> Aristoteles von einem „nationalen<br />

Bewusstsein“ aus. 43<br />

Sokrates wird mit seiner „milde(n) Schönheit der Toleranz“ durch <strong>die</strong> These von der<br />

„Unfreiwilligkeit des Bösen“ wiedergegeben, der eben mit Wissen entgegengetreten<br />

werden müsse (<strong>Nohl</strong>: Sokrates, 1904, S. 28). So werden von <strong>Nohl</strong> einige Wahrheiten<br />

(etwa über <strong>die</strong> Bedeutung der Metapher des Arztes bei Platon) <strong>und</strong> Halbwahrheiten<br />

43 „An Stelle nationalen Bewusstseins, wie es bei Plato <strong>und</strong> Aristoteles noch vollständig vorhanden ist,<br />

entsteht der Kosmopolitismus (…).“ (<strong>Nohl</strong>: Sokrates, 1904, S. 20)<br />

23


I. Gr<strong>und</strong>positionen <strong>und</strong> Hauptwerke<br />

(über <strong>die</strong> Lehrbarkeit des Wissens <strong>und</strong> <strong>die</strong> Unlehrbarkeit der Tugend) über Sokrates,<br />

Platon <strong>und</strong> – ab <strong>und</strong> an – Aristoteles gemischt, mit dem Ziel, als eigentliche Fortsetzung<br />

der Antike <strong>die</strong> geisteswissenschaftliche Methode Diltheys vorzustellen <strong>und</strong> dessen<br />

„allmähliche Umsetzung des Mythos in Metaphysik“ herauszuarbeiten (<strong>Nohl</strong>: Sokrates,<br />

1904, S. 21).<br />

Das Manuskript bricht – für den Leser unvermittelt – ohne jegliche Zusammenfassung<br />

auf Seite 89 ab. So erhält man eher Einblicke in Bedingungen zeitgenössischer Promotionsverfahren<br />

<strong>und</strong> einen groben Überblick über Sokrates, als dass <strong>die</strong> Arbeit Zugänge<br />

zur Problematik der Ethik bei Platon aufzeigt. Für <strong>die</strong> Einschätzung der späteren<br />

Arbeiten <strong>Nohl</strong>s ist jedoch das Studium <strong>die</strong>ser ersten größeren Schrift <strong>und</strong> Qualifikationsarbeit<br />

insofern eine Hilfe, weil <strong>die</strong> Liebe zum Irrationalen, <strong>die</strong> Ablehnung von<br />

Beweisführung als rationalistisch, <strong>die</strong> Grobheit bei der Nutzung von Quellen <strong>und</strong><br />

Argumenten anderer Autoren hier bereits festgeschrieben <strong>und</strong> akzeptiert sind.<br />

5. Die sittlichen Gr<strong>und</strong>erfahrungen (1939) 44<br />

Die erste Auflage der Schrift „Die sittlichen Gr<strong>und</strong>erfahrungen“ (Frankfurt am Main<br />

1939) <strong>und</strong> <strong>die</strong> zweite <strong>und</strong> dritte Auflage (Frankfurt am Main 1947 bzw. 1949) sind<br />

gleichlautend. In der zweiten Auflage wurde vom Verlag eine biographische Skizze<br />

abgedruckt, <strong>die</strong> im Gr<strong>und</strong>e eine Lesart der Biographie <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s enthält, <strong>die</strong> bis<br />

heute, sechzig Jahre später, <strong>die</strong> Einschätzung weitgehend dominiert. Es heißt dort:<br />

„1933 begann der Kampf des Nationalsozialismus gegen <strong>die</strong>se Bewegung, <strong>Nohl</strong>s<br />

Schüler wurden überall abgesetzt, er selber zunächst kaltgestellt <strong>und</strong> dann 1937 aus<br />

dem Amt entlassen. Um <strong>die</strong> Position der Pädagogik zu behaupten, veröffentlichte er<br />

in <strong>die</strong>sen Jahren hintereinander <strong>die</strong> Bücher ‚Die pädagogische Bewegung in<br />

Deutschland <strong>und</strong> ihre Theorie‘, ‚Einführung in <strong>die</strong> Philosophie‘, ‚Die ästhetische<br />

Wirklichkeit‘, ‚Charakter <strong>und</strong> Schicksal, eine pädagogische Menschenk<strong>und</strong>e‘ <strong>und</strong><br />

‚Die sittlichen Gr<strong>und</strong>erfahrungen, eine Einführung in <strong>die</strong> Ethik‘. 1945 konnte er sein<br />

Amt an der Universität wieder übernehmen <strong>und</strong> gründete <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong>schrift ‚Die Sammlung‘,<br />

<strong>die</strong> dem geistigen Wiederaufbau unseres Volkes gewidmet ist.“ (<strong>Nohl</strong>: Gr<strong>und</strong>erfahrungen,<br />

1939, S. 151)<br />

In <strong>die</strong>ser Schrift rekonstruiert <strong>Nohl</strong> zunächst <strong>die</strong> bekannten drei Schichten Platons<br />

(Trieb, Wille, Vernunft), wobei er nun <strong>die</strong> Lust, den Trieb als „biologische Schicht“<br />

definiert. Auch <strong>die</strong>se Schrift entwickelt Gr<strong>und</strong>fragen der Geschichte der Ethik sowie<br />

44<br />

<strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Die sittlichen Gr<strong>und</strong>erfahrungen. Eine Einführung in <strong>die</strong> Ethik (1939), 2. Auflage,<br />

Frankfurt am Main 1947.<br />

24


I. Gr<strong>und</strong>positionen <strong>und</strong> Hauptwerke<br />

Gr<strong>und</strong>fragen in der Methodik der bipolaren Spannung bis hin zum Pflichtkonflikt<br />

zwischen Individualität <strong>und</strong> Gemeinschaft. <strong>Nohl</strong> definiert <strong>die</strong> „biologische Gemein-<br />

schaft <strong>und</strong> Heimatgemeinschaft“ als <strong>die</strong> idealen Gemeinschaften <strong>und</strong> definiert das Volk<br />

als „Inbegriff der biologischen, sprachlichen, kulturellen Gemeinschaft“ (<strong>Nohl</strong>: Gr<strong>und</strong>-<br />

erfahrungen, 1939, S. 145 f.). Über den „Geist der Gemeinschaften“ <strong>und</strong> <strong>die</strong> „Erhebung<br />

des Einzelnen“ als „sittliche Aufgabe“ schreibt er, dass „sich der Einzelne opfert“:<br />

„Ihre stärkste Energie bekam <strong>die</strong>se ganze ethische Richtung aber erst seit 1806. Da<br />

machten alle <strong>die</strong>se Männer, Fichte, Schleiermacher, Humboldt <strong>die</strong> Entdeckung, dass<br />

auch das Volk <strong>und</strong> der nationale Staat eine solche sittliche Objektivität, ein solches<br />

überindividuelles Ganzes sind, für das sich der Einzelne opfert, <strong>und</strong> aus dem Privatverkehr<br />

des Geistes wurde man hinausgeführt in den Kampf für das Vaterland.“<br />

(<strong>Nohl</strong>: Gr<strong>und</strong>erfahrungen, 1939, S. 136, Hervorhebung im Original)<br />

Der praktische pädagogische Bezug in <strong>Zeit</strong>en des Krieges wird von <strong>Nohl</strong> also nicht<br />

ausgeklammert. Stärker als der Befehl war für ihn das sittliche Argument, „den Kame-<br />

raden doch nicht im Stich“ (<strong>Nohl</strong>: Gr<strong>und</strong>erfahrungen, 1939, S. 108) zu lassen. Auf der<br />

anderen Seite wirft er „ein Beispiel aus der Kriegserfahrung“ in <strong>die</strong> Waagschale:<br />

„(…) im Gefecht regt sich in jedem <strong>die</strong> Kanaille, <strong>und</strong> da hilft nur <strong>die</strong> unbedingte<br />

Bindung an den Befehl, ganz gleich was sein Inhalt ist, es gibt nur gehorchen oder<br />

nicht gehorchen.“ (<strong>Nohl</strong>: Gr<strong>und</strong>erfahrungen, 1939, S. 107)<br />

<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> zeigt in der Folge auch an <strong>die</strong>ser Stelle polare, sich eigentlich ausschlie-<br />

ßende Gegensätze auf, jedoch in einer Weise, <strong>die</strong> so oder so den militaristischen Rahmen<br />

nicht überschreiten.<br />

Weiter erklärt er: „Freiheit <strong>und</strong> Recht sind <strong>die</strong> beiden Kriegsgründe, <strong>die</strong> dem Volke das<br />

gute Gewissen geben, <strong>und</strong> das heldenmütige Opfer des Einzelnen, <strong>die</strong>se fraglose, ja<br />

enthusiastische Hingabe für das Ganze ist der herrliche Ausdruck dafür.“ (<strong>Nohl</strong>: Gr<strong>und</strong>erfahrungen,<br />

1939, S. 148) Diese „Weisheit“ auf den letzten Seiten seines Buches im<br />

Jahr 1939, zum Beginn des Zweiten Weltkriegs formuliert, steht unter der treffenden<br />

Überschrift „Die Grenzen der Humanität“.<br />

* * *<br />

Es kann <strong>und</strong> muss also konstatiert werden, dass <strong>Nohl</strong> in <strong>die</strong>sen Monographien über<br />

Ästhetik, Sittlichkeit <strong>und</strong> Philosophie zwar klar reaktionäre, nationalistische <strong>und</strong><br />

militaristische Gedanken formuliert hat, aber keinen Versuch unternommen hat, <strong>die</strong>se<br />

Themen mit <strong>NS</strong>-spezifischer Terminologie zu versehen.<br />

25


I. Gr<strong>und</strong>positionen <strong>und</strong> Hauptwerke<br />

6. Pädagogik aus dreißig Jahren (1949) 45<br />

In <strong>die</strong>sem Sammelband sind auf gut dreih<strong>und</strong>ert Seiten dreißig Aufsätze aus – grob<br />

gerechnet – dreißig Jahren versammelt. Vermutlich wegen der dort enthaltenen Defini-<br />

tion der sogenannten „Deutschen Bewegung“ hat <strong>Nohl</strong> einen einzigen Beitrag aus der<br />

<strong>Zeit</strong> des Kaiserreichs mit aufgenommen, „Die Deutsche Bewegung <strong>und</strong> <strong>die</strong> idealisti-<br />

schen Systeme“ (1911/12). Sechs <strong>die</strong>ser Aufsätze wurden nach 1945 verfasst. Den<br />

Hauptteil bilden <strong>die</strong> – nicht chronologisch geordneten – zwei<strong>und</strong>zwanzig Aufsätze, <strong>die</strong><br />

in den Jahren 1920 bis 1932, also in der <strong>Zeit</strong> der Weimarer Republik, verfasst wurden.<br />

Lediglich ein einziges Manuskript („Der Bürger“) aus den Jahren 1933–45 wurde<br />

veröffentlicht. Es handelt sich um das Manuskript jenes Beitrags, der 1937 in der<br />

<strong>Zeit</strong>schrift „Die Erziehung“ nicht veröffentlicht wurde, woraufhin <strong>Nohl</strong> als Mitheraus-<br />

geber der <strong>Zeit</strong>schrift zurücktrat. 46<br />

Es ist plausibel, dass <strong>die</strong> Formulierungen in <strong>die</strong>sem Sammelband wirkungsgeschichtlich<br />

eine größere Rolle gespielt haben als manch anderes Buch. Wirklich Neues enthält er im<br />

Gr<strong>und</strong>e nur in den fünf Aufsätzen, <strong>die</strong> nach 1945 verfasst wurden.<br />

„Die Einheit eines neuen Ideals vom deutschen Menschen“<br />

Im Aufsatz „Die Einheit der pädagogischen Bewegung“ (1926) 47 wird der Gr<strong>und</strong>te-<br />

nor <strong>Nohl</strong>s deutlich, sich als großer Mentor der verschiedenen Teilrichtungen „unserer<br />

pädagogischen Revolution“ (<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre, 1949, S. 21) vorzustellen, der an <strong>die</strong><br />

„Einheit“ appelliert. Bei allen nötigen Teilaspekten, seien es Landschulheimbewegung,<br />

Arbeitschule, Kunsterziehungsbewegung etc., geht es – so <strong>Nohl</strong> – um einen zentralen<br />

Punkt, einen innersten „Wesenszug“: „<strong>die</strong> Einheit eines neuen Ideals vom deutschen<br />

Menschen <strong>und</strong> von einer höheren geistigen Volkskultur“ (<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre, 1949,<br />

S. 21). Die „pädagogische Revolution“ richtet sich seit 1901, seit dem Dresdener<br />

Kunsterziehungstag, gegen <strong>die</strong> „Verstandesschule“ <strong>und</strong> – in Ausdehnung auf <strong>die</strong><br />

45 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949.<br />

46 Siehe hierzu auch <strong>die</strong> Anmerkung auf S. 307 des Sammelbands „Pädagogik aus dreißig Jahren“. Der<br />

Aufsatz erschien daher erstmals nach 1945 in der <strong>Zeit</strong>schrift „Die Sammlung“. Ob <strong>die</strong> nach 1945<br />

veröffentlichte Fassung mit der Fassung übereinstimmt, <strong>die</strong> 1937 publiziert werden sollte, konnte nicht<br />

geklärt werden, da <strong>Nohl</strong>s Manuskript in der Handschriftenabteilung der Bibliothek der Universität<br />

Göttingen, in der sich <strong>Nohl</strong>s Nachlass befindet, nicht vorhanden ist.<br />

47 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Die Einheit der pädagogischen Bewegung (1926), in: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Pädagogik aus<br />

dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 21–27. Zuerst erschienen in: Die Erziehung. Monatsschrift für<br />

den Zusammenhang von Kultur <strong>und</strong> Erziehung in Wissenschaft <strong>und</strong> Leben, 2. Jg. (1926/27), Heft 1,<br />

S. 57–61.<br />

26


I. Gr<strong>und</strong>positionen <strong>und</strong> Hauptwerke<br />

Sozialpädagogik – weit über <strong>die</strong> Schulpädagogik hinaus: „Auf <strong>die</strong>ser Arbeit ruht <strong>die</strong><br />

Zukunft des deutschen Volkes“ (<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre, 1949, S. 27).<br />

„Das Ziel der Bildung kann nicht ihre wissenschaftliche Analyse sein“<br />

Im Aufsatz „Die Deutsche Bewegung <strong>und</strong> <strong>die</strong> idealistischen Systeme“ (1911/12) 48<br />

konstruiert <strong>Nohl</strong> <strong>die</strong> von ihm so genannte „Deutsche Bewegung“ als Antwort auf<br />

Rationalismus <strong>und</strong> das „<strong>Zeit</strong>alter der Aufklärung“ (<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre, 1949, S. 28).<br />

Die „Deutsche Bewegung“ ist bei <strong>Nohl</strong> der Zusammenschluss vor allem des späten<br />

Kant 49 (<strong>Nohl</strong> hebt <strong>die</strong> „Kritik der Urteilskraft“ hervor) mit Herder, Schiller, Hegel <strong>und</strong><br />

anderen, mit dem „Sturm <strong>und</strong> Drang“.<br />

Nun entwickelt <strong>Nohl</strong> eine Art Umschau der „deutschen“ Aufklärung im Unterschied zur<br />

Französischen Revolution. Man erfährt: „Schiller <strong>und</strong> Fichte waren <strong>die</strong> ersten Führer<br />

der Deutschen Bewegung“ (<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre, 1949, S. 35). Philosophischer Kern<br />

soll Folgendes sein: „Die Aufgabe ist nicht kausal zu erklären, sondern das Endliche aus<br />

dem Unendlichen zu verstehen <strong>und</strong> zu gestalten“ (<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre, 1949, S. 37).<br />

Anders als in Frankreich gehe es nicht gegen Religion <strong>und</strong> Irrationalität überhaupt,<br />

sondern lediglich gegen <strong>die</strong> „überkommene Religiosität“ <strong>und</strong> um eine „neue Machtentfaltung<br />

des religiösen Bewusstseins“ (<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre, 1949, S. 36) durch <strong>die</strong><br />

Umwandlung des traditionellen Christentums.<br />

Die große Aufgabe der „Deutschen Bewegung“ sei <strong>die</strong> Einheit „in der Gesellschaft<br />

zwischen den einzelnen Menschen“, um endlich <strong>die</strong> Verbindung zwischen Mensch,<br />

Natur <strong>und</strong> Gott wieder herzustellen (<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre, 1949, S. 28).<br />

Alle <strong>die</strong> Brüche <strong>und</strong> Probleme sind entfernt <strong>und</strong> es wird eben eine einheitliche Strömung<br />

konstruiert, aus der jede Kritik oder Opposition konsequent entfernt wurde. Das<br />

Problem ist nicht so sehr, was <strong>Nohl</strong> im Einzelnen sagt, sondern dass er seine Teildarstellung<br />

als zusammenfassende Darstellung des Ganzen vorstellt. Nichtsdestotrotz, <strong>die</strong>ses<br />

„Konstrukt“ wurde geschaffen, hatte Wirkung <strong>und</strong> war <strong>die</strong> Unterfütterung nicht nur der<br />

48 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Die Deutsche Bewegung <strong>und</strong> <strong>die</strong> idealistischen Systeme (1911/12), in: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>:<br />

Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 28–38. Zuerst erschienen in: Logos. <strong>Zeit</strong>schrift<br />

für systematische Philosophie, 2. Jg. (1911/12), S. 350–359.<br />

49 Heinrich Heine hatte so etwas schon geahnt. Nach seinem Lob für <strong>die</strong> erste „Kritik“ Kants verwies er<br />

auf den gegenläufigen Charakter der zweiten „Kritik“, <strong>die</strong> Kant laut Heine geschrieben hat, damit weder<br />

sein Diener Lampe noch <strong>die</strong> Menschheit denke, er sei gegen Gott <strong>und</strong> <strong>die</strong> Religion gewesen (vgl. Heine,<br />

Heinrich: Werke, Band 4: Schriften über Deutschland, Frankfurt am Main 1968, S. 131 f.).<br />

27


I. Gr<strong>und</strong>positionen <strong>und</strong> Hauptwerke<br />

„pädagogischen Bewegung in Deutschland“, sondern galt auch als das zusammenge-<br />

schusterte Programm des „Deutschland erwache“ der Jahre 1813 bis 1933. Es war das<br />

Gegenprogramm der christlich orientierten, deutschnationalen Bewegung der Irrationalität<br />

gegen <strong>die</strong> Aufklärung <strong>und</strong> <strong>die</strong> Französische Revolution, in der jede Opposition oder<br />

ein „deutscher Geist“, wie ihn Heinrich Heine repräsentiert, weitgehend eliminiert ist.<br />

Im publizierten Vortrag „Die Deutsche Bewegung in der Schule“ (1925) 50 , vierzehn<br />

Jahre später, wird <strong>die</strong>ses Konstrukt weiter ausgebaut. Der „Fond nationaler Bildung“<br />

(<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre, 1949, S. 40) sei eben <strong>die</strong> „Deutsche Bewegung“, aber auch <strong>die</strong><br />

„Neubegründung der Geisteswissenschaften durch Dilthey“ (<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre, 1949,<br />

S. 41). Nun, da <strong>die</strong>ser „Fond der nationalen Bildung“ existiert, wird laut <strong>Nohl</strong> klar, dass<br />

<strong>die</strong> „Entwicklung der deutschen Jugend durch <strong>die</strong> Bildungswelt der Antike nur ein<br />

Notbehelf war“ <strong>und</strong> nun ein „höheres deutsches Menschentum (…) das ganze Dasein<br />

durchdringen musste“ (<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre, 1949, S. 42 f., Hervorhebung im Original).<br />

<strong>Nohl</strong> verändert bewusst auch den Sprachstil <strong>und</strong> <strong>die</strong> Betonung des alltäglichen Idyllischen<br />

in überhöhter Form, wofür <strong>die</strong> Kunsttheorie den Begriff des „Kitschs“ geprägt<br />

hat. Gewichtiger ist jedoch <strong>die</strong> Definition des Ziels der Bildung, das bei <strong>Nohl</strong> nicht in<br />

der wissenschaftlichen Analyse gesehen wird:<br />

„Wir atmen ja in <strong>die</strong>ser Welt, sie umgibt uns in jeder Blume, Berg <strong>und</strong> Wald, Werkstatt<br />

<strong>und</strong> Straße, Wort <strong>und</strong> Lied, wir wandern in ihr <strong>und</strong> reden mit ihr. Das Ziel der<br />

Bildung kann nicht ihre wissenschaftliche Analyse sein, sondern <strong>die</strong> freie Bewegung<br />

<strong>und</strong> klärende Besinnung in <strong>die</strong>ser Welt, in der ich mich zu Hause weiß <strong>und</strong> selbst mit<br />

den Toten noch wie mit Brüdern verkehre, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Erziehung des deutschen Menschen,<br />

<strong>die</strong>ser lebendigen Realität in Haltung <strong>und</strong> Sprache, Gemütsform <strong>und</strong> Sitte als<br />

eines Stücks <strong>die</strong>ser Welt. Das Leben der Schule ist hier selbst ein nationales Sein,<br />

<strong>und</strong> jedes Wort in ihr ist ein Stück verwirklichten Deutschtums.“ (<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre,<br />

1949, S. 45 f.)<br />

Diese Passage eines irrational entfesselten Nationalismus – mit der Gemütlichkeit <strong>und</strong><br />

Idylle des Waldes <strong>und</strong> der Blumen verklärt – ist schwer ernst zu nehmen, wenn auch <strong>die</strong><br />

Folgen solcher Thesen gewichtig waren. Allein der Satz „Das Leben der Schule ist hier<br />

selbst ein nationales Sein, <strong>und</strong> jedes Wort in ihr ist ein Stück verwirklichten Deutsch-<br />

tums“ kann auch bei sehr wohlwollender Auslegung nur als faule Pathetik gekennzeich-<br />

net werden.<br />

50 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Die Deutsche Bewegung in der Schule (1925), in: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Pädagogik aus dreißig<br />

Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 39–49. Vortrag in Northeim auf der Bezirkstagung der Lehrerschaft<br />

des Regierungsbezirks Hildesheim, zuerst erschienen in: Die Erziehung. Monatsschrift für den Zusammenhang<br />

von Kultur <strong>und</strong> Erziehung in Wissenschaft <strong>und</strong> Leben, 1. Jg. (1925/26), Heft 3, S. 136–145.<br />

28


I. Gr<strong>und</strong>positionen <strong>und</strong> Hauptwerke<br />

Was „eigentlich“ gemeint ist, ist klar: Das Deutschtum, <strong>die</strong> „Erziehung des deutschen<br />

Menschen“, darum geht es. Dahingehend soll vor allem der Deutschunterricht <strong>und</strong> der<br />

Geschichtsunterricht verstärkt ausgerichtet werden („Ich denke an den kaiserlichen<br />

Erlass von 1890“). 51 <strong>Nohl</strong> geht in den weiteren Ausführungen <strong>und</strong> Artikeln darauf ein.<br />

„Der unbedingte Wille, der erste zu sein“<br />

Im veröffentlichten Vortrag „Der Bildungswert fremder Kulturen“ (1928) 52 ist der<br />

Tenor, dass durch <strong>die</strong> „Deutsche Bewegung“ nun das Verhältnis der Völker von „gleich<br />

zu gleich“ gestaltet werde. Zehn Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs wollte <strong>Nohl</strong><br />

einen „entgifteten“ Nationalismus. Er möchte nicht missverstanden werden: „stärkster<br />

Bildungsmotor ist der Wetteifer der Völker untereinander“ (<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre, 1949,<br />

S. 58). Und <strong>Nohl</strong> fährt fort:<br />

„Die ungeheuer vorwärtstreibende Kraft <strong>die</strong>ser Rivalität wirkt sich immer stärker<br />

aus, je leichter <strong>die</strong> Berührung der Völker miteinander geworden ist. Wie sich unsere<br />

Sportleute jetzt fast täglich messen <strong>und</strong> <strong>die</strong> Rekorde immer höher treiben, so auch in<br />

dem großen Olympia der Geister <strong>die</strong>ses Planeten. Die elementare, triebhafte Gewalt<br />

<strong>die</strong>ses Wetteifers ist in den Akademien der Wissenschaften gewiss nicht schwächer<br />

als auf dem Rasen: der unbedingte Wille, der erste zu sein. Unsere Schule hat <strong>die</strong>sen<br />

Faktor des Ehrgeizes unter dem Einfluss einer einseitigen Ideologie weitgehend auszuschalten<br />

versucht. Ein ganz vergebliches Beginnen, denn man kann Triebe nicht<br />

austilgen, nur entgiften <strong>und</strong> vergeistigen. Dieser gewaltige Trieb des Wetteifers, dessen<br />

pädagogische Geschichte <strong>und</strong> Bedeutung noch einmal nach allen Seiten hin untersucht<br />

werden soll, erlebt heute im Sport wie in der Rivalität der Völker seine<br />

mächtigste Entwicklung.“ (<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre, 1949, S. 58 f.)<br />

Nun wird also das Konkurrenzprinzip als „Rivalität“ definiert <strong>und</strong> gleichzeitig zu einem<br />

archetypischen Gr<strong>und</strong>merkmal verklärt: zum unbedingten Wille, der Erste zu sein. „Das<br />

51 Siehe dazu: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Die Geschichte in der Schule (1923), in: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Pädagogik aus<br />

dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 62–74, insbesondere S. 65 ff. Zuerst erschienen in: Pädagogisches<br />

Zentralblatt, 4. Jg. (1924), S. 97–108. Dort wird auch <strong>die</strong> Geschichte als Geschichte der „großen<br />

Männer“ mit folgender Einschränkung befürwortet: „Die Geschichte ist der Schauplatz der Größe.<br />

Richtig an <strong>die</strong>ser Ablehnung der ‚großen Männer‘ ist nur, dass ihre Lebensform eben viel tiefer in <strong>die</strong><br />

Breite des Volks hineinreicht (…)“ (<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre, 1949, S. 71 f.). Zur Reichsschulkonferenz 1890<br />

erklärte Kaiser Wilhelm II.: „Wir müssen das Deutsche zur Basis machen.“ (Deutsche Schulkonferenzen,<br />

Band 1: Verhandlungen über Fragen des höheren Unterrichts. Berlin, 4.–17. Dez. 1890, unveränderter<br />

Neudruck der Ausgabe Berlin 1891, Glashütten 1972, S. 72)<br />

52 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Der Bildungswert fremder Kulturen (1928), in: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Pädagogik aus dreißig<br />

Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 50–59. Niederschrift eines Vortrags vor der Jahresversammlung der<br />

Hessischen Philologenschaft am 20. April 1928 in Worms, zuerst erschienen in: Die Erziehung. Monatsschrift<br />

für den Zusammenhang von Kultur <strong>und</strong> Erziehung in Wissenschaft <strong>und</strong> Leben, 3. Jg. (1927/28),<br />

S. 524–532.<br />

29


I. Gr<strong>und</strong>positionen <strong>und</strong> Hauptwerke<br />

erste Volk auf Erden“, das war <strong>die</strong> Formulierung Hoffmann von Fallerslebens <strong>und</strong> ist<br />

eine Erläuterung des „Deutschland über alles“. 53<br />

„Wieder Haltung <strong>und</strong> Straffheit“ <strong>und</strong> „auch das Schwert an der Seite“<br />

In weiteren Vorträgen <strong>und</strong> Aufsätzen wie „Lebende Sprachen“ (1947), 54 „Die Geschich-<br />

te in der Schule“ (1923) 55 <strong>und</strong> „Die Philosophie in der Schule“ (1922) 56 bespricht <strong>Nohl</strong><br />

fachdidaktische Fragen. Negativ festzuhalten ist in <strong>die</strong>sem Kontext insbesondere seine<br />

Positionierung zum Geschichtsunterricht im publizierten Vortrag von 1923 „Die<br />

Geschichte in der Schule“:<br />

30<br />

„Woran mir <strong>die</strong>smal besonders lag, war zu zeigen, dass <strong>die</strong> letzte Würde des Geschichtsunterrichts<br />

in jener männlichen Lebensform liegt, <strong>die</strong> sie mitzuteilen hat <strong>und</strong><br />

zu deren Sehweise sie erzieht (…). Unsre Jugend braucht <strong>die</strong>sen männlichen Zug<br />

mehr als je: er entsteht aus dem Wissen um <strong>die</strong> harten Seiten der Realität, um <strong>die</strong><br />

‚Wahrheit‘.“ (<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre, 1949, S. 73 f.)<br />

Diese unvermittelte, offensichtlich ideologisierende Schlussfolgerung lässt <strong>die</strong> Frage<br />

nach den Lernerfolgen für Mädchen <strong>und</strong> Frauen offen.<br />

Zum gr<strong>und</strong>legenden Verständnis der Methodik <strong>Nohl</strong>s, sich in Gegensätzen mit unterschiedlicher<br />

Akzentsetzung theoretisch zu bewegen, <strong>die</strong>nt ganz besonders der veröffentlichte<br />

Vortrag „Die Polarität in der Didaktik“ (1930). 57 Als Resultat seines Hegel-<br />

Studiums entwickelt <strong>Nohl</strong> hier einige zentrale pädagogische Gegensätze („Polaritäten“),<br />

<strong>die</strong> sich im Gang eines Drei-Phasen-Modells harmonisch ergänzen, wenn sie in der<br />

dritten Phase aufgehoben, aufbewahrt werden. Dies erläutert er am Begriffspaar (soldatische)<br />

Haltung <strong>und</strong> (pädagogische) Bewegung. <strong>Nohl</strong> fordert als „das eigentliche<br />

53 Siehe dazu genauer in: Ortmeyer, Benjamin: Argumente gegen das Deutschlandlied. Geschichte <strong>und</strong><br />

Gegenwart eines Lobliedes auf <strong>die</strong> deutsche Nation, Köln 1991, S. 113. Vgl. auch Fallersleben, Hoffmann<br />

von: Gesammelte Werke, Band 4, Berlin 1891, S. 238.<br />

54 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Lebende Sprachen (1947), in: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt<br />

am Main 1949, S. 60–61. Zuerst erschienen in: Die Sammlung. <strong>Zeit</strong>schrift für Kultur <strong>und</strong> Erziehung,<br />

2. Jg. (1946/47), Heft 10 (Oktober 1974), S. 592 f.<br />

55 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Die Geschichte in der Schule (1923), in: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Pädagogik aus dreißig Jahren,<br />

Frankfurt am Main 1949, S. 62–74. Vortrag in der Göttinger Pädagogischen Gesellschaft 1923, zuerst<br />

erschienen in: Pädagogisches Zentralblatt, 4. Jg. (1924), S. 97–108.<br />

56 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Die Philosophie in der Schule (1922), in: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Pädagogik aus dreißig Jahren,<br />

Frankfurt am Main 1949, S. 75–85. Vortrag in der Göttinger Pädagogischen Gesellschaft 1922, zuerst<br />

erschienen in: Pädagogisches Zentralblatt, 3. Jg. (1922), S. 417–425.<br />

57 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Die Polarität in der Didaktik (1930), in: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Pädagogik aus dreißig Jahren,<br />

Frankfurt am Main 1949, S. 86–97. Vortrag vor der Lehrerschaft von Hamburg-Altona 1930, zuerst<br />

erschienen in: Die Erziehung. Monatsschrift für den Zusammenhang von Kultur <strong>und</strong> Erziehung in<br />

Wissenschaft <strong>und</strong> Leben, 6. Jg. (1930/31), S. 277–287.


I. Gr<strong>und</strong>positionen <strong>und</strong> Hauptwerke<br />

Kennzeichen echter Pädagogik“ beides: „wieder Haltung <strong>und</strong> Straffheit“ (<strong>Nohl</strong>: Dreißig<br />

Jahre, 1949, S. 88) <strong>und</strong> trotzdem Bewegung <strong>und</strong> Leben. Weitere solcher Gegensatzpaa-<br />

re sind für <strong>Nohl</strong> Spiel <strong>und</strong> Arbeit, Traum <strong>und</strong> Wirklichkeit, Ordnung <strong>und</strong> Erleben usw.<br />

<strong>Nohl</strong> spricht in <strong>die</strong>sem Kontext aus, dass es darum geht, dass sich <strong>die</strong> Pädagogik<br />

„autonom pädagogisch zurechtfindet“ (<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre, 1949, S. 93). Wie sich<br />

später noch zeigen wird, ist <strong>die</strong> Gr<strong>und</strong>these von der pädagogischen Autonomie gegen<br />

einzelne politische Parteien, einzelne Konfessionen <strong>und</strong> aktuelle Modeerscheinungen<br />

gerichtet.<br />

In einem weiteren veröffentlichten Vortrag über „Die Jugend <strong>und</strong> der Alltag“ (1927) 58<br />

geht <strong>Nohl</strong> nun auf <strong>die</strong> Sozialpädagogik ein, auf <strong>die</strong> Pädagogik der Freizeit <strong>und</strong> der<br />

richtigen „Ausgestaltung der Muße“. Er sah hier gemeinsam mit Lord Haldane „das<br />

einzige wirkliche Mittel gegen <strong>die</strong> Revolution“ (<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre, 1949, S. 99 f.). In<br />

<strong>die</strong>sem Kontext begründet <strong>Nohl</strong> auch <strong>die</strong> Notwendigkeit der Volkshochschule. 59<br />

Im veröffentlichten Vortrag „Die geistigen Energien der Jugendwohlfahrtsarbeit“<br />

(1926) 60 wird wieder deutlich, dass <strong>Nohl</strong> in seiner „dialektischen Art“ fünf Bewegungen<br />

scheinbar harmonisch zusammenfasst <strong>und</strong> in <strong>die</strong> Jugendwohlfahrtsarbeit einfließen<br />

lässt. So fasst <strong>Nohl</strong> in seiner eklektischen <strong>und</strong> sophistischen Art zusammen: <strong>die</strong> sozialistische<br />

Bewegung <strong>und</strong> Marx, <strong>die</strong> religiöse Gegenbewegung Wiecherns, <strong>die</strong> Frauenbewegung<br />

Helene Langes <strong>und</strong> <strong>die</strong> sozialpädagogische Bewegung seit 1872 (Schmollers<br />

58 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Die Jugend <strong>und</strong> der Alltag (1927), in: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Pädagogik aus dreißig Jahren,<br />

Frankfurt am Main 1949, S. 98–111. Vortrag bei der Tagung des Preußischen Landesbeirats für Jugendpflege,<br />

Jugendbewegung <strong>und</strong> Leibesübungen in Berlin am 1. Dezember 1927, zuerst erschienen in: Die<br />

Erziehung. Monatsschrift für den Zusammenhang von Kultur <strong>und</strong> Erziehung in Wissenschaft <strong>und</strong> Leben,<br />

3. Jg. (1927/28), S. 213–225.<br />

59 Auch in dem publizierten Vortrag „Schule <strong>und</strong> Alltag“ (1929, in: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Pädagogik aus dreißig<br />

Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 112–123. Vortrag auf dem sechsten deutschen Mittelschullehrertag in<br />

Duisburg am 23. Mai 1929, zuerst erschienen in: Die Erziehung. Monatsschrift für den Zusammenhang von<br />

Kultur <strong>und</strong> Erziehung in Wissenschaft <strong>und</strong> Leben, 4. Jg. (1928/29), S. 592–601) sieht <strong>Nohl</strong> in der Muße <strong>und</strong><br />

in Platons Verherrlichung der Muße eine große Gefahr <strong>und</strong> betont in allgemeinen Ausführungen <strong>die</strong><br />

Notwendigkeit, schulische Bildung mit dem Leben, der „Volksgemeinschaft“, zu verbinden (<strong>Nohl</strong>: Dreißig<br />

Jahre, 1949, S. 122).<br />

Ähnliches äußert <strong>Nohl</strong> auch im Aufsatz „Bildung <strong>und</strong> Alltag“ (1929, in: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Pädagogik aus<br />

dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 124–132. Vortrag auf der Tagung für Schulaufsichtsbeamte in<br />

Kassel am 23. Oktober 1929, zuerst erschienen in: Die Volksschule. Halbmonatsschrift für Wissenschaft<br />

<strong>und</strong> Praxis der Erziehung, Lehrerbildung <strong>und</strong> Kulturpolitik, 25. Jg. (1929), Heft 16, S. 1–6).<br />

60 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Die geistigen Energien der Jugendwohlfahrtsarbeit (1926), in: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Pädagogik<br />

aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 133–142. Vortrag während der Sozialpädagogischen<br />

Woche in Hamburg im Januar 1926, zuerst erschienen in: Die Erziehung. Monatsschrift für den Zusammenhang<br />

von Kultur <strong>und</strong> Erziehung in Wissenschaft <strong>und</strong> Leben, 1. Jg. (1925/26), S. 321–329.<br />

31


I. Gr<strong>und</strong>positionen <strong>und</strong> Hauptwerke<br />

Verein für Sozialpolitik). Als „fünfte geistige Energie“ nennt <strong>Nohl</strong> <strong>die</strong> Gemeinschafts-<br />

kraft der jugendlichen Verbindungen (<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre, 1949, S. 139). Er folgert:<br />

32<br />

„In <strong>die</strong> Jugendwohlfahrtsarbeit gehen nun alle <strong>die</strong>se Bewegungen ein, <strong>die</strong> sozialistische,<br />

<strong>die</strong> innere Mission, <strong>die</strong> Frauenbewegung, <strong>die</strong> Sozialpolitik, <strong>die</strong> Jugendbewegung<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> pädagogische Bewegung. Keine von ihnen ist entbehrlich, denn jede<br />

hebt einen Bezug des neuen Lebens ans Licht.“ (<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre, 1949, S. 139)<br />

Als abschließenden pädagogischen Ethos ruft <strong>Nohl</strong> – sozusagen als Basis des „pädago-<br />

gischen Bezugs“ – aus:<br />

„(…) man will dich nicht werben für eine Partei, für eine Kirche, auch nicht für den<br />

Staat, sondern – der Unterschied ist so gering, wie wenn man <strong>die</strong> Hand umdreht, <strong>und</strong><br />

ist doch entscheidend – <strong>die</strong>se Hilfe gilt zunächst <strong>und</strong> vor allem dir, deinem einsamen<br />

Ich, deinem verschütteten, hilferufenden Menschentum.“ (<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre, 1949,<br />

S. 142)<br />

Bemerkenswert an <strong>die</strong>ser Passage ist, neben der peinlichen Pathetik, <strong>Nohl</strong>s Betonung –<br />

allerdings eingeschränkt durch das Wörtchen „zunächst“ – „auch nicht für den Staat“.<br />

Es wird darauf zu achten sein, ob es bei <strong>Nohl</strong> nicht einfach darum geht, „zunächst“<br />

Vertrauen zu gewinnen, um dann das Individuum der Gemeinschaft umso besser<br />

unterordnen zu können.<br />

Der abgedruckte Vortrag „Der männliche Sozialbeamte <strong>und</strong> <strong>die</strong> Sozialpädagogik in<br />

der Wohlfahrtspflege“ (1926) 61 klärt mehr über <strong>Nohl</strong>s Männlichkeitsvorstellungen auf<br />

als über <strong>die</strong> Sozialarbeit. Man erfährt lediglich etwas über den männlichen Sozialarbeiter:<br />

„(…) <strong>die</strong>se soziale Arbeit trägt auch das Schwert an der Seite!“ (<strong>Nohl</strong>: Dreißig<br />

Jahre, 1949, S. 146, Hervorhebung im Original). 62<br />

„Die Machtrealität des höheren Lebens“<br />

Gewichtiger hingegen ist der veröffentlichte Vortrag „Gedanken für <strong>die</strong> Erziehungs-<br />

tätigkeit des Einzelnen mit besonderer Berücksichtigung der Erfahrungen von<br />

Freud <strong>und</strong> Adler“ (1926). 63 Hier betont <strong>Nohl</strong>, dass <strong>die</strong> Pädagogik<br />

61 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Der männliche Sozialbeamte <strong>und</strong> <strong>die</strong> Sozialpädagogik in der Wohlfahrtspflege (1926),<br />

in: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 143–150. Vortrag auf der<br />

Tagung des B<strong>und</strong>es Deutscher Sozialbeamter in Berlin am 21. Mai 1926, zuerst erschienen in: <strong>Nohl</strong>,<br />

<strong>Herman</strong>: Jugendwohlfahrt. Sozialpädagogische Vorträge, Leipzig 1927, S. 14–24.<br />

62 Mehr ins Zoologische <strong>und</strong> unfreiwillig Humoristische geht <strong>die</strong> Vorwegnahme von Konrad Lorenz in<br />

folgender Passage: „Wo in Wahrheit <strong>die</strong> soziale Funktion des männlichen Wesens zu finden ist, zeigt<br />

jedes Hühnervolk oder irgendeine andere Tiergruppe. (…) Ich erinnere an das Verhalten des Hahns beim<br />

Futtersuchen der Hennen.“ <strong>Nohl</strong> nennt so etwas „Ritterlichkeit“ (<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre, 1949, S. 144 f.)<br />

63 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Gedanken für <strong>die</strong> Erziehungstätigkeit des Einzelnen mit besonderer Berücksichtigung<br />

der Erfahrungen von Freud <strong>und</strong> Adler (1926), in: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt


I. Gr<strong>und</strong>positionen <strong>und</strong> Hauptwerke<br />

„ihren Augenpunkt unbedingt im Zögling hat, das heißt, dass sie sich nicht als Vollzugsbeamten<br />

irgendwelcher objektiven Mächte dem Zögling gegenüber fühlt, des<br />

Staats, der Kirche, des Rechts, der Wirtschaft, auch nicht einer Partei oder Weltanschauung,<br />

<strong>und</strong> dass sie ihre Aufgabe nicht in dem Hinziehen des Zöglings zu solchen<br />

bestimmten vorgegebenen objektiven Zielen erblickt, sondern – <strong>und</strong> das nennen wir<br />

ihre Autonomie, <strong>die</strong> ihr einen von allen anderen Kultursystemen unabhängigen Maßstab<br />

gibt, mit dem sie ihnen allen auch kritisch gegenübertreten kann – dass sie ihr<br />

Ziel zunächst in dem Subjekt <strong>und</strong> seiner körperlich-geistigen Entfaltung sieht.“<br />

(<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre, 1949, S. 152)<br />

Das sind starke, klare Worte, <strong>die</strong> ein Lob für <strong>die</strong> Freud- wie <strong>die</strong> Adler-Schule einschlie-<br />

ßen, „dass sie <strong>die</strong>se Wendung der Pädagogik mit besonders klarem Bewusstsein gefördert<br />

haben“ (<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre, 1949, S. 152).<br />

Der springende Punkt ist wiederum das Wörtchen „zunächst“. Nur so wird der ganze<br />

Gedankengang <strong>und</strong> Fortgang des Beitrags verständlich. Nach dem „zunächst“ kommt<br />

der zweite Pol als Schlusspunkt, wobei dann der erste Pol dem zweiten Pol „<strong>die</strong>nt“,<br />

wenn beide erst verb<strong>und</strong>en sind.<br />

<strong>Nohl</strong> ringt „zunächst“ um „das unbedingte Vertrauen des Zöglings dem Erzieher<br />

gegenüber“ (<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre, 1949, S. 153), um <strong>die</strong> Bindung des Zöglings an den<br />

Erzieher, um den „pädagogischen Bezug“. Doch auch <strong>die</strong>ser Aufsatz endet mit der<br />

Betonung der Notwendigkeit der Strafe aus der Erkenntnis der „Machtrealität des<br />

höheren Lebens“. Hier setzt dann auch <strong>die</strong> Ablehnung der Psychoanalyse ein, <strong>die</strong> nach<br />

<strong>Nohl</strong> <strong>die</strong> Strafe überhaupt ablehnt. <strong>Nohl</strong> entwickelt abschließend <strong>die</strong> Polarität von<br />

Furcht <strong>und</strong> Liebe als entscheidend für <strong>die</strong> Erziehung:<br />

„Diese Machtrealität des höheren Lebens hält das niedere in uns im Bann einer<br />

Furcht, <strong>die</strong> doch eine Furcht vor dem Geistigen ist <strong>und</strong> <strong>die</strong> darum nicht entmutigt –<br />

wie alle Religionen beweisen, <strong>die</strong> ihren Gott fürchten <strong>und</strong> lieben –, sondern <strong>die</strong> hebt,<br />

weil sie uns befreit <strong>und</strong> so dem höheren Leben in uns Raum schafft.“ (<strong>Nohl</strong>: Dreißig<br />

Jahre, 1949, S. 160)<br />

Die von Peter Petersen beschworene Metapher, dass der Pädagoge so etwas wie ein<br />

Vertreter Gottes in Schule <strong>und</strong> Erziehung sei, 64 taucht hier bei <strong>Nohl</strong> durch <strong>die</strong> Einheit<br />

von Furcht <strong>und</strong> Liebe – man könnte auch sagen Zuckerbrot <strong>und</strong> Peitsche – wieder auf.<br />

am Main 1949, S. 151–160. Vortrag vor der Vereinigung für Jugendgerichte <strong>und</strong> Jugendgerichtshilfe in<br />

Göttingen im Juni 1926, zuerst erschienen in: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Jugendwohlfahrt. Sozialpädagogische<br />

Vorträge, Leipzig 1927.<br />

64 Vgl. dazu Petersen, Peter: Führungslehre des Unterrichts, Leipzig 1937, S. 144.<br />

33


I. Gr<strong>und</strong>positionen <strong>und</strong> Hauptwerke<br />

Der publizierte Vortrag „Der Sinn der Strafe“ (1925) 65 entwickelt systematisch, an<br />

Hegel orientiert, <strong>die</strong> Vielschichtigkeit <strong>und</strong> Vielsinnigkeit der Strafe. <strong>Nohl</strong> unterscheidet<br />

kenntnisreich den Zweck der Strafe gegenüber dem Täter, der Gesellschaft <strong>und</strong> den<br />

Geschädigten <strong>und</strong> kombiniert <strong>die</strong>se Fragen mit seiner an Platon angelehnten These der<br />

drei Schichten der Seele: dem Trieb, dem Willen <strong>und</strong> der Vernunft.<br />

Angesichts des Vorrangs des Zöglings, zumindest „zunächst“, wirkt folgende Endpassage<br />

des Aufsatzes eher bedrohlich: „Der ungeheure Ernst der Gefängnismauern,<br />

innerhalb deren <strong>die</strong>se Erziehung vor sich geht, repräsentiert <strong>die</strong> unerbittliche Realität<br />

des Rechts <strong>und</strong> <strong>die</strong> überlegene Machtbehauptung des sittlichen Willens der Gemeinschaft“<br />

(<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre, 1949, S. 172).<br />

Die „von uns allen ersehnte Volksgemeinschaft“<br />

Im ursprünglich als Bericht verfassten Aufsatz „Die Pädagogik der Verwahrlosten“<br />

(1924) 66 fügt <strong>Nohl</strong> <strong>die</strong>ser platonischen Drei-Schichten-These noch eine vierte Schicht<br />

hinzu. Er unterscheidet innerhalb der Schicht der „nus“ (Vernunft) <strong>die</strong> höhere geistige<br />

Gr<strong>und</strong>richtung von der „zentralen Ich-Einheit“. <strong>Nohl</strong> vertieft in <strong>die</strong>sem Beitrag seine<br />

Haltung zur modernen Psychologie, führt ausdrücklich noch C. G. Jung für <strong>die</strong> Analyse<br />

der Triebschichten an, findet aber nun gegenüber der Freud-Schule massivere Worte. Er<br />

spricht von der „Monomanie der Entdecker“ <strong>und</strong> dem „Exzess“ der Freud-Schule<br />

(<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre, 1949, S. 177). Auch hier betont <strong>Nohl</strong> nachhaltig <strong>die</strong> Notwendig-<br />

keit der „personalen Bindung“ (<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre, 1949, S. 181) mit dem Ziel, dass<br />

<strong>die</strong> Straftäter ihre Selbstachtung wiedergewinnen.<br />

Von Gewicht für <strong>die</strong> Ausformulierung des Gedankens der pädagogischen Autonomie<br />

sind drei weitere Aufsätze. Im veröffentlichten Vortrag „Der Reichsschulgesetzentwurf“<br />

(1928) 67 fordert <strong>Nohl</strong> <strong>die</strong> Erziehungswissenschaftler auf, „der Lehrerschaft in<br />

65 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Der Sinn der Strafe (1925), in: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt<br />

am Main 1949, S. 161–172. Vortrag auf der Jahresversammlung der Gefängnisgesellschaft für <strong>die</strong><br />

Provinz Sachsen <strong>und</strong> Anhalt in Halle 1925, zuerst erschienen in: Die Erziehung. Monatsschrift für den<br />

Zusammenhang von Kultur <strong>und</strong> Erziehung in Wissenschaft <strong>und</strong> Leben, 1. Jg. (1925/26), S. 27–38.<br />

66 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Die Pädagogik der Verwahrlosten (1924), in: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Pädagogik aus dreißig<br />

Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 173–181. Zuerst erschienen in: Bericht über <strong>die</strong> dritte Tagung über<br />

Psychopathenfürsorge in Heidelberg, Berlin 1925, S. 23–31.<br />

67 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Der Reichsschulgesetzentwurf (1928), in: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Pädagogik aus dreißig Jahren,<br />

Frankfurt am Main 1949, S. 222–232. Vortrag vor der Göttinger Lehrerschaft 1928, zuerst erschienen in:<br />

Die Erziehung. Monatsschrift für den Zusammenhang von Kultur <strong>und</strong> Erziehung in Wissenschaft <strong>und</strong><br />

Leben, 3. Jg. (1927/28), S. 40–49.<br />

34


I. Gr<strong>und</strong>positionen <strong>und</strong> Hauptwerke<br />

dem Kampf für <strong>die</strong> Autonomie der Pädagogik an <strong>die</strong> Seite zu treten“ (<strong>Nohl</strong>: Dreißig<br />

Jahre, 1949, S. 222). <strong>Nohl</strong> wendet sich vehement gegen <strong>die</strong> religiöse Bekenntnisschule<br />

<strong>und</strong> fordert von der Schule, „über den Parteien“ zu stehen (<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre, 1949,<br />

S. 223). Er warnt nachdrücklich vor möglichen Parteistreitigkeiten, <strong>die</strong> man doch satt<br />

habe <strong>und</strong> formuliert:<br />

„Der Entwurf <strong>die</strong>nt nicht der von uns allen ersehnten Volksgemeinschaft.“ (<strong>Nohl</strong>:<br />

Dreißig Jahre, 1949, S. 230)<br />

Die Relativität der Autonomie der Pädagogik gegenüber der „Volksgemeinschaft“ wird<br />

hier sehr deutlich. Über <strong>die</strong> Arbeit des Pädagogen sagt er nun 1928:<br />

„(…) er erzieht zum Staat, aber nicht zur Partei, zur Wissenschaft, aber nicht zum<br />

System, zur Religion, aber nicht zur Konfession. Wir nennen das <strong>die</strong> Neutralität der<br />

Pädagogik.“ (<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre, 1949, S. 231)<br />

Hier geht <strong>Nohl</strong> offensichtlich einen Schritt weiter, indem er <strong>die</strong> Erziehung zum Staat<br />

<strong>und</strong> zur Religion ausdrücklich bejaht.<br />

Auch in dem publizierten Vortrag „Konfessionalität <strong>und</strong> Erziehung“ (1931) 68 wendet<br />

sich <strong>Nohl</strong> ausdrücklich gegen den Fanatismus der Konfessionalität <strong>und</strong> auch den der<br />

<strong>NS</strong>DAP. Einleitend kritisiert er, dass ein nationalsozialistischer Abgeordneter aber<br />

gesagt haben soll, dass eine wirkliche Überzeugung nicht mit dem Gegner diskutiert<br />

werde, sondern man ihn vernichten müsse (<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre, 1949, S. 233). 69<br />

Ausdrücklich wendet <strong>Nohl</strong> sich gegen Ernst Jünger, der forderte, <strong>die</strong> Intensität des<br />

Glaubens zu stärken, „ganz abgesehen von den Inhalten“ (<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre, 1949,<br />

S. 233). Die von <strong>Nohl</strong> angeprangerte Bodenlosigkeit rein formalen Glaubenswillens ist<br />

für ihn der Ausgangspunkt der Ablehnung des Konfessionsfanatismus. Ausdrücklich<br />

68 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Konfessionalität <strong>und</strong> Erziehung (1931), in: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Pädagogik aus dreißig<br />

Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 233–236. Vortrag in der Pädagogischen Akademie in Frankfurt am<br />

Main 1931, zuerst abgedruckt in: Die Deutsche Schule, 35. Jg. (1931), S. 68–70.<br />

69 Hier polemisiert <strong>Nohl</strong> indirekt <strong>und</strong> ohne es zu wissen auch gegen eine spätere Position Wilhelm Flitners,<br />

der zwei Jahre später in der <strong>Zeit</strong>schrift „Die Erziehung“, 8. Jg. (1933), Heft 7, S. 410 unter der Überschrift<br />

„Die deutsche Erziehungslage nach dem 5. März 1933“ schrieb: „Der Bolschewismus <strong>und</strong> <strong>die</strong> bloß<br />

gesellschaftliche Auffassung von Staat <strong>und</strong> Erziehung waren durch Diskussion <strong>und</strong> Lehre nicht zu<br />

überwinden, ihr Anspruch auf <strong>die</strong> öffentliche Erziehung ließ sich nur politisch vernichten.“ Damit habe, so<br />

kommentiert Micha Brumlik, auch Wilhelm Flitner seinen Kompromiss mit dem Ungeist jener Jahre<br />

geschlossen. Brumlik erklärt in seinem Aufsatz „Kritische Theorie <strong>und</strong> Symbolischer Interaktionismus –<br />

Pädagogik als kritische Sozialwissenschaft“ nicht nur auf Flitner bezogen: „Das pädagogische Denken als<br />

eine Reflexion am Standort der Verantwortung, das sich jederzeit seiner geschichtlichen Herkunft bewusst<br />

ist <strong>und</strong> <strong>die</strong> jungen Menschen in <strong>die</strong> konkreten Lebensformen ihrer Epoche einzuführen sucht, hat freilich,<br />

als es wirklich darauf ankam, <strong>die</strong> Feuerprobe des Nationalsozialismus nicht bestanden“ (in: Röhrs,<br />

<strong>Herman</strong>n/Hans Scheuerl (Hrsg.): Richtungsstreit in der Erziehungswissenschaft <strong>und</strong> pädagogische<br />

Verständigung, Frankfurt am Main/Bern/New York/Paris 1989, S. 113).<br />

35


I. Gr<strong>und</strong>positionen <strong>und</strong> Hauptwerke<br />

wendet sich <strong>Nohl</strong> 1931 in der ihm eigenen Art auch gegen <strong>die</strong> Ausgrenzung der jüdi-<br />

schen Religion, indem er von Salzmann berichtet, er habe „<strong>die</strong> Geistlichen aller drei<br />

christlichen Bekenntnisse“ als Paten für sein Kind bemüht <strong>und</strong> ausdrücklich auch den<br />

Rabbiner, der ihm „immer nahegestanden habe“ (<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre, 1949, S. 234).<br />

Angesichts der anwachsenden antisemitischen Strömung in Deutschland soll ausdrück-<br />

lich <strong>die</strong>se sich auf Salzmann berufende positive Passage bei <strong>Nohl</strong> hervorgehoben<br />

werden, auch wenn <strong>die</strong> christlich-hegemoniale These von den „drei christlichen Bekenntnissen“,<br />

in der <strong>die</strong> jüdische Religion zu einer Unterabteilung des Christentums<br />

wird, <strong>die</strong> christlich-abendländische Gr<strong>und</strong>position <strong>Nohl</strong>s massiv unterstreicht.<br />

Die pädagogische Bewegung als „beste Waffe für den Aufstieg Deutschlands“<br />

Im veröffentlichten Vortrag „Pädagogische Bewegung oder pädagogische Reaktion?“<br />

(1932) 70 polemisiert <strong>Nohl</strong> gegen <strong>die</strong> finanzielle Aushöhlung von Schule <strong>und</strong><br />

Erziehung durch <strong>die</strong> aktuelle politische Lage. Unabhängig von der im Detail zu klärenden<br />

Frage, gegen wen sich <strong>die</strong>se Rede im Oktober 1932 politisch richtet, ist der eigentliche<br />

Gehalt des Beitrags ein großer Aufruf, <strong>die</strong> pädagogischen Kräfte in der schwierigen<br />

Situation des Landes nicht zu beschneiden, sondern aufzuwerten, weil <strong>die</strong> pädagogische<br />

Bewegung doch <strong>die</strong> „beste Waffe für den Aufstieg Deutschlands“ sei, „wo <strong>die</strong><br />

zuchtvolle Zusammenfassung aller Kräfte unseres Volkes eine stärkste Anspannung<br />

seiner Erziehung nötig macht“ (<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre, 1949, S. 237). Sehr ausführlich<br />

erläutert <strong>Nohl</strong> hier <strong>die</strong> in verschiedenen Schriften sich wiederholende These: „Jede<br />

pädagogische Bewegung verläuft in drei Phasen – das ist ihr Gesetz.“ (<strong>Nohl</strong>: Dreißig<br />

Jahre, 1949, S. 240) Während in der ersten Phase gegen veraltete Pädagogik das Individuum<br />

im Mittelpunkt steht, <strong>die</strong> Persönlichkeit, so geht es in der zweiten Phase um <strong>die</strong><br />

Gemeinschaft <strong>und</strong> – wiederum – in der dritten Phase um <strong>die</strong> Vereinigung <strong>die</strong>ser beiden<br />

Aspekte auf höherer Ebene mit höherem Gehalt.<br />

36<br />

„Das Schlagwort <strong>die</strong>ser dritten Phase ist nicht mehr Persönlichkeit <strong>und</strong> Gemeinschaft,<br />

sondern ‚Dienst‘, d. h. <strong>die</strong> tätige Hingabe an ein Objektives.“ (<strong>Nohl</strong>: Dreißig<br />

Jahre, 1949, S. 242)<br />

70 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Pädagogische Bewegung oder pädagogische Reaktion? (1932), in: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>:<br />

Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 237–244. Vortrag auf der Pädagogischen<br />

K<strong>und</strong>gebung am 26. Oktober 1932 im Plenarsaal des Wirtschaftsrats, zuerst in: Die Deutsche Schule, 37. Jg.<br />

(1933), Heft l, S. 1–6.


I. Gr<strong>und</strong>positionen <strong>und</strong> Hauptwerke<br />

Klar betont <strong>Nohl</strong>, dass <strong>die</strong> dritte Phase alles der ersten <strong>und</strong> zweiten Phase auch enthalte.<br />

Er führt zudem noch einmal – quasi programmatisch – seine These von der Polarität des<br />

pädagogischen Lebens aus, in der auch bei Übergewicht eines Pols der andere nicht<br />

verschwinden dürfe.<br />

„Auf welchem Pol <strong>die</strong>ser Spannungen jeweils der Akzent zu liegen hat, das bestimmt<br />

<strong>die</strong> geschichtliche St<strong>und</strong>e.“ (<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre, 1949, S. 242)<br />

Dieser Gesichtspunkt ist in doppelter Hinsicht von besonderem Interesse: Die Autono-<br />

mie der Pädagogik besteht nach <strong>die</strong>ser Formulierung ganz offensichtlich nicht in der<br />

Akzentsetzung, sondern nur in der Wachsamkeit, dass nicht der zweitrangige Pol<br />

verloren geht. Den Akzent, den setzt <strong>die</strong> „geschichtliche St<strong>und</strong>e“. Für das Herannahen<br />

des <strong>NS</strong>-Staates vier Monate später ist <strong>die</strong> These von der geschichtlichen St<strong>und</strong>e von<br />

großer Bedeutung. Hier wird deutlich, dass <strong>die</strong> Autonomie der Pädagogik bei <strong>Nohl</strong> ihre<br />

Grenzen hat, auch in seinem theoretischen Ansatz. Ausdrücklich hält er im letzten<br />

Absatz <strong>die</strong>ses Beitrags fest:<br />

„Pädagogik <strong>und</strong> Politik sind untrennbar verb<strong>und</strong>en wie Einatmen <strong>und</strong> Ausatmen, <strong>die</strong><br />

geschichtlichen Kräfte eines Volkes sind vor allem eine Funktion seiner Erziehung.“<br />

(<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre, 1949, S. 244) 71<br />

* * *<br />

Er erscheint sinnvoll, <strong>die</strong> fünf letzten in <strong>die</strong>sem Sammelband abgedruckten Aufsätze, 72<br />

<strong>die</strong> alle nach 1945 verfasst wurden, gemeinsam mit anderen nach 1945 erstmals er-<br />

71 Die Beiträge „Die zweifache deutsche Geistigkeit <strong>und</strong> ihre pädagogische Bedeutung“ (1932, in: <strong>Nohl</strong>,<br />

<strong>Herman</strong>: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 190–203. Niederschrift eines<br />

Vortrags bei der Tagung des Vereins der Sozialbeamtinnen am 28. Mai 1932 auf dem Rothenfels am<br />

Main, zuerst erschienen in: Die Erziehung. Monatsschrift für den Zusammenhang von Kultur <strong>und</strong><br />

Erziehung in Wissenschaft <strong>und</strong> Leben, 8. Jg. (1932/33), Heft 1 (Oktober 1932), S. 4–16.) <strong>und</strong> „Die<br />

volkserzieherische Arbeit innerhalb der pädagogischen Bewegung“ (1932, in: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Pädagogik<br />

aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 211–221. Niederschrift eines Vortrags auf der Stolper<br />

Tagung des Deutschen Fröbelverbandes im August 1932, zuerst erschienen in: Die Erziehung. Monatsschrift<br />

für den Zusammenhang von Kultur <strong>und</strong> Erziehung in Wissenschaft <strong>und</strong> Leben, 8. Jg. (1932/33),<br />

Heft 6 (März 1933), S. 337–346) sind ebenfalls im <strong>Nohl</strong>-Sammelband „Landbewegung, Osthilfe <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />

Aufgabe der Pädagogik“ (Leipzig 1933) enthalten. Die Auseinandersetzung mit <strong>die</strong>sen beiden Beiträgen<br />

wird in der vorliegenden Stu<strong>die</strong> im Teil „Zu den Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> im Einzelnen“ geführt.<br />

72 Der einzige Aufsatz aus der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong>, „Der Bürger“ (1937; in: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Pädagogik aus dreißig<br />

Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 245–256; zuerst erschienen in: Die Sammlung. <strong>Zeit</strong>schrift für Kultur<br />

<strong>und</strong> Erziehung, 1. Jg. (1945/46), Heft 2, S. 85–95), den <strong>Nohl</strong> in <strong>die</strong>sem Sammelband aufnimmt, wurde<br />

nicht in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong>, sondern erst nach 1945, in der <strong>Zeit</strong>schrift „Die Sammlung“ erstmalig veröffentlicht<br />

(Die Sammlung. <strong>Zeit</strong>schrift für Kultur <strong>und</strong> Erziehung, 1. Jg. (1945/46), Heft 2, S. 85–95). Laut <strong>Nohl</strong> stellt<br />

der Aufsatz den Beginn seiner Vorlesung im Sommersemester 1937 mit dem Titel „Bürger im 19.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert“ dar. Für <strong>Nohl</strong> war der Nichtabdruck <strong>die</strong>ses Aufsatzes in der <strong>Zeit</strong>schrift „Die Erziehung“<br />

1937 immerhin der Gr<strong>und</strong>, als Mitherausgeber zurückzutreten (vgl. <strong>die</strong> Anmerkung auf S. 307 des<br />

Sammelbands).<br />

37


I. Gr<strong>und</strong>positionen <strong>und</strong> Hauptwerke<br />

schienenen gewichtigen Beiträgen <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s im Teil C der vorliegenden Arbeit<br />

gesondert zu behandeln.<br />

Der Inhalt <strong>die</strong>ses Beitrags überrascht insofern, als in ihm – ungewöhnlich für <strong>Nohl</strong> – ein massiver<br />

Rückgriff auf Aristoteles erfolgt, um den Gedanken der Mitte am Beispiel des Bürgers, des Mittelstandes,<br />

herauszuarbeiten. <strong>Nohl</strong> stellt das heroische Leben <strong>und</strong> das bürgerliche Leben gegenüber <strong>und</strong> wehrt sich<br />

dagegen, dass „seit der nationalsozialistischen Revolution“ das Heroische verabsolutiert wird (<strong>Nohl</strong>:<br />

Dreißig Jahre, 1949, S. 245). Ihm geht es um <strong>die</strong> Vereinigung beider Aspekte. Ausführlich lässt er nun<br />

Aristoteles mit seiner Schrift „Politik“, Abschnitt IV (Aristoteles: Politik, 7. Auflage, München 1996,<br />

S. 136 ff.) zu Wort kommen, um <strong>die</strong> Bedeutung des „mesos“, des Mittleren im Allgemeinen <strong>und</strong> des<br />

Mittelstands im Besonderen zu begründen. Auch wenn bei <strong>Nohl</strong> hier der gewichtige Unterschied<br />

zwischen mittelmäßig <strong>und</strong> angemessen verschwimmt, der ein Kernpunkt der genau gelesenen Ausführungen<br />

des Aristoteles über Tugend bildet <strong>und</strong> den Aristoteles ausdrücklich betont – so wird grob gesprochen<br />

dennoch immerhin <strong>die</strong> Tugend als Mitte zwischen den Extremen festgeschrieben.<br />

Von Gewicht für <strong>die</strong> Frage, ob eine Tugend auch voraussetzt, Widerstand gegen Ungerechtigkeit zu<br />

leisten, ist <strong>die</strong> <strong>Nohl</strong>’sche Interpretation, dass <strong>die</strong> Tugend angeblich nicht „über <strong>die</strong> Kräfte des gewöhnlichen<br />

Menschen“ (<strong>Nohl</strong>: Dreißig Jahre, 1949, S. 250) hinausgehen dürfe. Diese Passage richtet sich auch<br />

an <strong>die</strong> Mitglieder der „<strong>Nohl</strong>-Schule“. Wer ist in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> 1937 der „gewöhnliche Mensch“? Die<br />

Ablehnung des Heroischen kann sich hier auch gegen <strong>die</strong> Notwendigkeit richten, Widerstand gegen den<br />

<strong>NS</strong>-Staat zu leisten. Die an anderer Stelle formulierte These, dass es heroisch sei, „an den Kamin“<br />

zurückzukehren, erhält in <strong>die</strong>ser Lesart eine Rechtfertigung des Nichtstuns <strong>und</strong> Zusehens angesichts des<br />

himmelschreienden Unrechts in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong>.<br />

38


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong>: „Jedenfalls hat der nationalsozialistische<br />

Staat <strong>die</strong> Überzeugung der pädagogischen Bewegung hinter sich…“ 73<br />

Wo <strong>und</strong> vor allem inwiefern es Kontinuitäten <strong>und</strong> Diskontinuitäten bei <strong>Nohl</strong> vor <strong>und</strong><br />

nach 1933 (<strong>und</strong> vor <strong>und</strong> nach 1945) gibt, wo <strong>und</strong> inwiefern er dazu ten<strong>die</strong>rt, <strong>die</strong> antiken<br />

Bildungsideen von Platon <strong>und</strong> <strong>die</strong> Hauptdokumente des deutschen Idealismus als<br />

Rüstzeug in den <strong>NS</strong>-Staat einzubringen – das sind Leitfragen der folgenden, auf Doku-<br />

mente gestützten Untersuchung.<br />

Biographisch ist unstrittig – trotz vieler offener Fragen – dass <strong>Nohl</strong> vor 1945 aus Sicht<br />

des <strong>NS</strong>-Überwachungssystems nie als ganz zuverlässig eingestuft werden konnte;<br />

angesichts seiner familiären Situation, seiner aus einer – im <strong>NS</strong>-Jargon – „Mischehe“<br />

stammenden Frau (<strong>die</strong> <strong>NS</strong>-Ideologen <strong>und</strong> <strong>NS</strong>-Juristen hatten hierfür den Begriff „Halbjüdin“,<br />

ja „Vierteljüdin“ erf<strong>und</strong>en) <strong>und</strong> angesichts zweier Töchter, <strong>die</strong> in England mit<br />

Juden verheiratet waren, trotz seiner SS-Mitgliedschaft <strong>und</strong> späteren guten Leum<strong>und</strong>szeugnisse<br />

der zuständigen <strong>NS</strong>-Stellen. Diese <strong>die</strong> Biographie betreffenden Fragen<br />

werden hier nicht vertieft.<br />

Wie bereits an anderer Stelle vermerkt, ist es eine Besonderheit, dass eigentlich alle<br />

großen Schriften <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> verfasst <strong>und</strong> veröffentlicht <strong>und</strong> auch<br />

nach 1945 weitgehend unverändert publiziert wurden. Komplizierter wird <strong>die</strong> Lage<br />

dadurch, dass <strong>die</strong> von der Wirkungsgeschichte her wichtigste Schrift <strong>Nohl</strong>s, nämlich<br />

„Die pädagogische Bewegung in Deutschland <strong>und</strong> ihre Theorie“, bereits 1932 verfasst,<br />

jedoch erst 1933 <strong>und</strong> erneut 1935 veröffentlicht wurde. Daher werden lediglich <strong>die</strong> 1935<br />

verfassten Vor- <strong>und</strong> Nachworte hier kommentiert. 74<br />

Die vor der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> geschriebenen, aber in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> als Sammelband unter dem<br />

Titel „Landbewegung, Osthilfe <strong>und</strong> <strong>die</strong> Aufgabe der Pädagogik“ 75 publizierten Aufsätze<br />

zeigen <strong>die</strong> gr<strong>und</strong>sätzliche Annäherung <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s an <strong>die</strong> <strong>NS</strong>-Politik, seine Denkfi-<br />

73<br />

<strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Die pädagogische Bewegung in Deutschland <strong>und</strong> ihre Theorie, 2., durchgesehene <strong>und</strong><br />

mit einem Nachwort versehene Auflage, Frankfurt am Main 1935, S. 287.<br />

74<br />

In der <strong>NS</strong>-Ausgabe wurde eine Montage dreier Fotos der Jugendbewegung als Symbol der drei Stufen<br />

der pädagogischen Bewegung in Deutschland veröffentlicht. Das letzte Foto zeigt <strong>die</strong> Hitlerjugend mit<br />

wehenden Hakenkreuz-Fahnen. Diese ganze Abbildung wurde aus naheliegenden Gründen in der dritten<br />

Auflage mit der zugehörigen Erklärung nach 1945 entfernt. Der Vorgang wird in der Dokumentation ad<br />

fontes <strong>Nohl</strong> in einer Synopse S. 391-392) dokumentiert.<br />

75<br />

<strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Landbewegung, Osthilfe <strong>und</strong> <strong>die</strong> Aufgabe der Pädagogik, Leipzig 1933. [Dokumentation<br />

ad fontes <strong>Nohl</strong>: S. 484–577]<br />

39


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

gur einer Bejahung des Kerns der <strong>NS</strong>-Ideologie <strong>und</strong> <strong>NS</strong>-Bewegung bei gleichzeitiger<br />

Warnung vor der Vernachlässigung der Freiheit der Geistigkeit. Auch <strong>Nohl</strong>s zutiefst<br />

deutschnationalistische Ausrichtung wird beim Studium <strong>und</strong> bei der Analyse <strong>die</strong>ser<br />

Aufsätze deutlich. 76<br />

1. „Landbewegung, Osthilfe <strong>und</strong> <strong>die</strong> Aufgabe der Pädagogik“ (Sammelband 1933)<br />

Die sieben Aufsätze aus dem Sammelband „Landbewegung, Osthilfe <strong>und</strong> <strong>die</strong> Aufgabe<br />

der Pädagogik“ 77 wurden alle vor 1933 verfasst, jedoch 1933 mit einem neuen Vor- <strong>und</strong><br />

Nachwort versehen erneut veröffentlicht. Die Besonderheit <strong>die</strong>ses Sammelbands, der<br />

seine Wirkung nach dem Februar 1933 entfaltete, lässt sich so charakterisieren: <strong>Nohl</strong><br />

beweist mit <strong>die</strong>ser Aufsatzsammlung, dass er nicht erst nach dem Februar 1933 deutlich<br />

nationalistische Positionen eingenommen hat, sondern bereits davor – einschließlich<br />

einer gewissen Unterstützung der <strong>NS</strong>-Bewegung.<br />

Will man <strong>die</strong>se sieben Aufsätze zusammenfassen, so wird klar, wie sehr <strong>Nohl</strong> eine<br />

Einschätzung politischer Situationen mit seiner pädagogischen Konzeption verbindet, so<br />

dass eine rein pädagogische Kritik ohne Einschätzung der politischen Situation nicht<br />

möglich ist. In jedem <strong>die</strong>ser Aufsätze zeigt sich im Gr<strong>und</strong>e das Bemühen <strong>und</strong> Bestreben,<br />

mit der Pädagogik der „Osthilfe“ den angeblichen „Raum ohne Volk“ (sic!) im<br />

Osten 78 möglichst rasch zu besiedeln, landwirtschaftlich zu nutzen <strong>und</strong> so auch eine<br />

Reagrarisierung im Bewusstsein der verstädterten Deutschen zu erreichen, gegen eine<br />

angeblich drohende Gefahr aus dem Osten.<br />

Der erste Aufsatz trägt den Titel „Landbewegung, Osthilfe <strong>und</strong> <strong>die</strong> nationale Aufgabe<br />

der Pädagogik“ (<strong>Nohl</strong>: Osthilfe, 1933, S. 1–16). 79 <strong>Nohl</strong> spricht sich hier, neben<br />

76 In dem 1949 erschienenen Sammelband „Pädagogik aus dreißig Jahren“ (Frankfurt am Main 1949)<br />

wurden lediglich zwei der sieben Aufsätze wieder abgedruckt, darunter erstaunlicherweise ausgerechnet<br />

der Beitrag „Die volkserzieherische Arbeit innerhalb der pädagogischen Bewegung“. Dort hatte <strong>Nohl</strong><br />

1932 erklärt, was seiner Meinung nach <strong>die</strong> Jugend „heute am Nationalsozialismus begeistert <strong>und</strong> jeder<br />

Erzieher in ihm bejahen muss“, auch wenn er sich von der Methode der Gewalt <strong>und</strong> der materialistischen<br />

Rassentheorie abgrenzt (siehe <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Landbewegung, Osthilfe <strong>und</strong> <strong>die</strong> Aufgabe der Pädagogik,<br />

Leipzig 1933, S. 75 sowie unverändert in <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am<br />

Main 1949, S. 216).<br />

77 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Landbewegung, Osthilfe <strong>und</strong> <strong>die</strong> Aufgabe der Pädagogik, Leipzig 1933.<br />

78 Michael Gran verweist darauf, dass Adolf Hitler auf dem Reichsparteitag der <strong>NS</strong>DAP in Nürnberg<br />

1927 feststellte: „Man hat mit Recht von ‚Raum ohne Volk‘ gesprochen.“ (Gran, Michael: Das Verhältnis<br />

der Pädagogik <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s zum Nationalsozialismus. Hamburg 2005, S. 190)<br />

79 Niederschrift einer Diskussionseinleitung bei der Zusammenkunft der Sozialen Gilde mit dem Pädagogischen<br />

Seminar der Universität Göttingen in Lippoldsberg/Weser am 19. Juli 1931, zuerst erschienen in:<br />

40


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

seiner Forderung der Reagrarisierung (sich auf Rousseau berufend), gegen <strong>die</strong> Arbeits-<br />

losigkeit aus <strong>und</strong> betätigt sich, um in der Frage der Nahrungsmittel autark vom Ausland<br />

zu werden, als Bevölkerungspolitiker. Er formuliert:<br />

„Hier in Lippoldsberg im Hause von Hans Grimm ist uns sein Wort vom ‚Volk ohne<br />

Raum‘ besonders nahe, aber angesichts des immer menschenleerer werdenden Ostens<br />

hat man mit Recht vom ‚Raum ohne Volk‘ gesprochen: gibt es doch in der<br />

Grenzmark eine ganze Reihe von Kreisen, <strong>die</strong> heute weniger Einwohner haben als<br />

1870 <strong>und</strong> wo auf dem qkm nur 43 Menschen wohnen gegenüber 91 bei den Polen.<br />

Gelingt es nicht, den Wall von deutschen Menschen hier zu verstärken <strong>und</strong> sie mit<br />

einem anderen Heimatwillen zu erfüllen, so brechen <strong>die</strong> Polen wirklich über kurz<br />

oder lang dort ein. Das braucht nicht kriegerisch zu sein, sondern sie strömen gewissermaßen<br />

schon rein dem Gefälle nach herüber, <strong>und</strong> kein Rechtsanspruch auf den<br />

Boden wird uns helfen, wenn <strong>die</strong> deutschen Menschen ihn selbst verlassen haben.“<br />

(<strong>Nohl</strong>: Osthilfe, 1933, S. 3 f.)<br />

<strong>Nohl</strong> verweist darauf, dass eine „Änderung in Bezug auf den Korridor <strong>und</strong> <strong>die</strong> Gren-<br />

zen“, <strong>die</strong> er offensichtlich für möglich hält, für ihn nicht ausreicht, wenn man <strong>die</strong><br />

Menschen nicht an <strong>die</strong> Scholle bindet (<strong>Nohl</strong>: Osthilfe, 1933, S. 4). In <strong>die</strong>sen Passagen<br />

wird mehrerlei deutlich. Der ausdrückliche Bezug auf Hans Grimm, dessen kolonialisti-<br />

scher Bestseller „Volk ohne Raum“ 1926 erschienen war (200.000 Exemplare bis<br />

1933), zeigt, dass <strong>Nohl</strong> der Idee der Kolonialisierung positiv gegenübersteht. Weiter<br />

wird schon durch <strong>die</strong> Wahl des Vokabulars deutlich („so brechen <strong>die</strong> Polen wirklich<br />

über kurz oder lang dort ein“), dass <strong>Nohl</strong> nicht gerade an einem harmonischen Interes-<br />

senausgleich zwischen Polen <strong>und</strong> Deutschland interessiert ist, sondern sich 1932 an der<br />

antipolnischen Mobilmachung beteiligt. Kurz gesagt, <strong>Nohl</strong> schürt Ängste vor Polen <strong>und</strong><br />

hält eine Verschiebung der Grenze für möglich.<br />

Aus der <strong>Zeit</strong>spanne des Ersten Weltkriegs <strong>und</strong> danach zieht <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> folgende<br />

Lehre:<br />

„Der Kriegsausbruch wirkte hier wie eine Erlösung, man wusste plötzlich, ‚wozu<br />

man da war‘, aber nach der Niederlage, aus der wir aktiver als irgendein anderes<br />

Volk hervorgingen, wurde wieder kein einheitliches Ziel sichtbar (…).“ (<strong>Nohl</strong>: Osthilfe,<br />

1933, S. 7)<br />

Nicht <strong>die</strong> Verbrechen des Krieges zählen hier für <strong>Nohl</strong>, sondern oberstes Kriterium ist,<br />

dass eine Einheit des Volkes, eine allgemeine Begeisterung bei Kriegsausbruch geschaffen<br />

wurde. Als entscheidende Wendung nach dem Ersten Weltkrieg sieht <strong>Nohl</strong>, dass<br />

Die Erziehung. Monatsschrift für den Zusammenhang von Kultur <strong>und</strong> Erziehung in Wissenschaft <strong>und</strong><br />

Leben, 7. Jg. (1931/32), S. 65–76.<br />

41


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

jetzt <strong>die</strong> pädagogischen Energien aus ihrem latenten nationalen Gehalt wieder „natio-<br />

nalpädagogisch“ ausgerichtet werden können (<strong>Nohl</strong>: Osthilfe, 1933, S. 16). Ausgangspunkt<br />

für seine ganzen Überlegungen ist „<strong>die</strong>ser neue Wille für das volkliche Ganze“<br />

(<strong>Nohl</strong> spricht tatsächlich von „volklich“, nicht von „völkisch“). Hier erweist sich <strong>Nohl</strong><br />

bereits 1932 als nationalistischer <strong>und</strong> „volklicher“ Denker, der zudem <strong>die</strong> Detailfrage<br />

der Bezirke des Ostens, für <strong>die</strong> er eine pädagogische Osthilfe mobilisieren will, zu einer<br />

„Lebensfrage unserer Nation“ hochstilisiert (<strong>Nohl</strong>: Osthilfe, 1933, S. 15).<br />

Im Vortrag „Die pädagogische Osthilfe“ (<strong>Nohl</strong>: Osthilfe, 1933, S. 17–34) 80 versucht<br />

<strong>Nohl</strong> durch <strong>die</strong> Unterscheidung von faustischer <strong>und</strong> idyllischer Geistigkeit dem Leser<br />

<strong>die</strong> Idylle der Wohnstube nahezubringen, hierbei sich auf Pestalozzi <strong>und</strong> Fröbel berufend.<br />

Aber bei aller Romantisierung warnt <strong>Nohl</strong>, bei der nachdrücklichen Aufforderung,<br />

in den Osten überzusiedeln, nicht nur davor, nicht „<strong>die</strong> richtige Frau“ dazu zu haben,<br />

sondern auch davor, „dass hier mit Romantik nicht geholfen ist, dass man arbeiten<br />

muss, kämpfen <strong>und</strong> aushalten, wie damals unsere Jugend im Schützengraben“ (<strong>Nohl</strong>:<br />

Osthilfe, 1933, S. 34).<br />

Im Aufsatz „Die sozialpädagogische <strong>und</strong> nationalpolitische Bedeutung der Kinderfürsorge<br />

auf dem Lande“ (<strong>Nohl</strong>: Osthilfe, 1933, S. 43–50) 81 betont <strong>Nohl</strong> insbesondere<br />

<strong>die</strong> frühkindliche Erziehung in den „sprachgemischten Bezirken des Ostens“. Die<br />

Begründung, warum Deutsch schon in den ersten Jahren gelernt werden muss, ist, dass<br />

dann „mit der Sprache auch der Mythos in der Seele wächst, der alle spätere Entwicklung<br />

des Kindes <strong>und</strong> noch der Erwachsenen leitet“ (<strong>Nohl</strong>: Osthilfe, 1933, S. 49). Hier ist<br />

also schon <strong>die</strong> irrationale Komponente des Nationalismus, der Mythos, bei <strong>Nohl</strong> 1932<br />

deutlich vorhanden. In massiver Form wird von <strong>Nohl</strong> zum Abschluss des Aufsatzes<br />

wieder <strong>die</strong> Wohnstube bemüht <strong>und</strong> <strong>die</strong> Familie heroisiert. So heißt es:<br />

„Politik <strong>und</strong> Wirtschaft müssen ihr Werk tun, <strong>die</strong> Führer denken <strong>und</strong> <strong>die</strong> Künstler<br />

schaffen, aber <strong>die</strong> letzte aufbauende <strong>und</strong> opferbereite Kraft unseres Volkes kommt<br />

aus dem ges<strong>und</strong>en Leben seiner Familien (…).“ (<strong>Nohl</strong>: Osthilfe, 1933, S. 50)<br />

80 Vortrag in der „Ostmarkenwoche“, veranstaltet von der Deutschen Studentenschaft in Göttingen im<br />

Februar 1932, zuerst erschienen in: Die Erziehung. Monatsschrift für den Zusammenhang von Kultur <strong>und</strong><br />

Erziehung in Wissenschaft <strong>und</strong> Leben, 7. Jg. (1931/32), S. 449–461.<br />

81 Zuerst erschienen in: Kindergarten, <strong>Zeit</strong>schrift des Deutschen Fröbel-Verbandes, des Deutschen<br />

Verbandes für Schulkinderpflege <strong>und</strong> der Berufsorganisation der Kindergärtnerinnen, Hortnerinnen <strong>und</strong><br />

Jugendleiterinnen e.V. (Kindergarten in Dorf <strong>und</strong> Siedlung, Sonderdruck), 73. Jg. (1932), S. 168–171.<br />

42


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

<strong>Nohl</strong> schrieb <strong>die</strong>s 1932, es gab noch mehrere Führer, <strong>die</strong> denken, aber <strong>die</strong> Art der<br />

Aufzählung <strong>und</strong> kategorialer Verwirrungen deuten schon an, dass <strong>Nohl</strong> sich mehr <strong>und</strong><br />

mehr in seine Idee der nationalpädagogischen Wende vertieft <strong>und</strong> verliert.<br />

Der nun folgende veröffentlichte Vortrag „Die zweifache deutsche Geistigkeit <strong>und</strong><br />

ihre pädagogische Bedeutung“ (<strong>Nohl</strong>: Osthilfe, 1933, S. 51–68) 82 , der 1949 auch im<br />

Sammelband „Pädagogik aus dreißig Jahren“ veröffentlicht wurde, richtet sich massiv<br />

gegen eine einseitige „humanistisch <strong>und</strong> klassizistisch“ bedingte Geistigkeit <strong>und</strong><br />

Bildung. In deutlicher Abkehr von Platon wird hier erneut <strong>die</strong> Hinwendung zum Leben<br />

gefordert. Die Trennung der Bildung von Tugenden wie Arbeitsamkeit <strong>und</strong> Sparsamkeit<br />

wird Platon <strong>und</strong> seinen Nachfolgern vorgeworfen: „Der Humanismus hat <strong>die</strong>se Trennung<br />

im Gr<strong>und</strong>e immer festgehalten“ (<strong>Nohl</strong>: Osthilfe, 1933, S. 51 f.).<br />

Platon wird von <strong>Nohl</strong> sozusagen aus der Sicht des gemeinen Volkes als Philosoph der<br />

Aristokratie dargestellt <strong>und</strong> habe sich nicht um <strong>die</strong> Pflege der Tugenden der einfachen<br />

Leute gekümmert, <strong>die</strong> da sind: „Arbeitsamkeit, Fleiß, Betriebsamkeit, Sparsamkeit,<br />

verantwortliches Rechnen mit der <strong>Zeit</strong>, innere <strong>und</strong> äußere Sauberkeit <strong>und</strong> Ordnungssinn,<br />

Ehrlichkeit, Bescheidenheit, Hilfsbereitschaft <strong>und</strong> der Opferwille für <strong>die</strong> Kinder <strong>und</strong> für<br />

ihren Aufstieg“ (<strong>Nohl</strong>: Osthilfe, 1933, S. 54). Mit der platonischen oder aristotelischen<br />

Tugend der Gerechtigkeit war nach <strong>Nohl</strong>s Ansicht <strong>die</strong> Jugend offensichtlich nicht zur<br />

Ansiedlung im Osten zu bewegen.<br />

<strong>Nohl</strong> beruft sich erneut auf Hans Grimm <strong>und</strong> nun auch auf Oswald Spengler, wonach<br />

das Eigentum das heilige Mittel der Bewegung sei <strong>und</strong> <strong>die</strong> „Gr<strong>und</strong>lage jeder Kultur des<br />

Geistes <strong>und</strong> der Seele“ (<strong>Nohl</strong>: Osthilfe, 1933, S. 55), so jedenfalls habe Hans Grimm<br />

Oswald Spengler zitiert. Mit <strong>die</strong>sem Argument des Eigentums wendet sich <strong>Nohl</strong> nun<br />

dem tiefsten Gr<strong>und</strong> für <strong>die</strong> Osthilfe zu, jener christlichen Liebe, <strong>die</strong> „Pestalozzi auf den<br />

Instinkt der Mütterlichkeit gründet“ (<strong>Nohl</strong>: Osthilfe, 1933, S. 57). Und wieder wird von<br />

<strong>Nohl</strong> mit einer gewissen Penetranz das traute Heim beschworen, gegen <strong>die</strong> „ahasverisch<br />

schweifende Romantik“. Im Klartext: Gegen den ewig wandernden Juden, unstet <strong>und</strong><br />

unstabil, stellt <strong>Nohl</strong> <strong>die</strong>se „heitere Gläubigkeit, <strong>die</strong> sich dankbar bescheidet in den<br />

Beziehungen der Familie <strong>und</strong> der Wohnstube“ (<strong>Nohl</strong>: Osthilfe, 1933, S. 58). In <strong>die</strong>sem<br />

82 Niederschrift eines Vortrags bei der Tagung des Vereins der Sozialbeamtinnen am 28. Mai 1932 auf<br />

dem Rothenfels am Main, zuerst erschienen in: Die Erziehung. Monatsschrift für den Zusammenhang von<br />

Kultur <strong>und</strong> Erziehung in Wissenschaft <strong>und</strong> Leben, 8. Jg. (1932/33), Heft 1 (Oktober 1932), S. 4–16.<br />

43


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

Tenor geht es weiter: „Unsere ganze Bildungsarbeit ist bisher fast ausschließlich<br />

humanistisch-faustisch gewesen“ (<strong>Nohl</strong>: Osthilfe, 1933, S. 61). Tatsächlich propagiert<br />

<strong>Nohl</strong> folgerichtig als notwendige polare Ergänzung auch <strong>die</strong> Bedeutung der „Garten-<br />

pflege <strong>und</strong> Kleintierzucht“ für <strong>die</strong> Volksbildung (<strong>Nohl</strong>: Osthilfe, 1933, S. 63).<br />

<strong>Nohl</strong> fasst vier Gr<strong>und</strong>bedingungen seiner „Geistigkeit des gemüterfüllten Tuns“ (<strong>Nohl</strong>:<br />

Osthilfe, 1933, S. 65) zusammen: Als Erstes <strong>die</strong> Hinwendung zum flachen Land, als<br />

Zweites das Wachsen des religiösen Sinnes, als Drittes <strong>die</strong> nationale Bewegung <strong>und</strong> als<br />

Viertes <strong>die</strong> Pädagogik selbst. Er betont wie immer, dass nicht das eine gegen das andere<br />

ausgespielt werden dürfe, dass er selbstverständlich beide deutschen Geistigkeiten, <strong>die</strong><br />

idyllische <strong>und</strong> <strong>die</strong> faustische, aufbewahren <strong>und</strong> bewahren möchte, gemäß seinem<br />

Konzept der Polarität.<br />

Eine besonders kryptische Passage sei hier noch erwähnt: <strong>Nohl</strong> lässt sich aus über „<strong>die</strong><br />

eigentümliche Mentalität der nationalen Bewegung“ (<strong>Nohl</strong>: Osthilfe, 1933, S. 66,<br />

Hervorhebung im Original). Es ist unklar, inwieweit <strong>Nohl</strong> hier mit dem Begriff der<br />

nationalen Bewegung <strong>die</strong> nationalsozialistische Bewegung meint, aber <strong>die</strong> Hypothese<br />

liegt nahe. Jedenfalls schreibt er über <strong>die</strong>se nationale Bewegung, dass sie<br />

„zwar noch immer sehr <strong>und</strong>eutlich ist <strong>und</strong> in ihrer brutalen Ablehnung von Wissenschaft<br />

<strong>und</strong> Geistigkeit barbarisch wirkt, hinter der aber augenscheinlich auch eine<br />

neue Schätzung des Tuns, aller bindenden Kräfte, <strong>und</strong> auch ein neues Ideal weiblicher<br />

Existenz steht, das ebenfalls noch roh <strong>und</strong> unklar ist, sich aber im Gegensatz<br />

gegen einen bloß intellektuellen Typus entwickelt <strong>und</strong> <strong>die</strong> tieferen Funktionen der<br />

Frau bewahrt wissen möchte.“ (<strong>Nohl</strong>: Osthilfe, 1933, S. 66 f.)<br />

Sollte er <strong>die</strong> <strong>NS</strong>-Bewegung wegen ihrer Ablehnung von Wissenschaft <strong>und</strong> Geistigkeit<br />

hier massiv kritisiert haben, so steht dann gleichzeitig fest, dass er zutiefst zufrieden<br />

darüber ist, dass <strong>die</strong> <strong>NS</strong>-Bewegung, wenn es denn um sie geht, „<strong>die</strong> tieferen Funktionen<br />

der Frau bewahrt wissen möchte“ (<strong>Nohl</strong>: Osthilfe, 1933, S. 67). So oder so, deutlich ist,<br />

dass <strong>Nohl</strong> seinen nationalpädagogischen deutschnationalistischen Weg 1932 selbständig<br />

gehen möchte <strong>und</strong> zunehmend spürt, dass er sich in einem Prozess der Abgrenzung <strong>und</strong><br />

Annäherung zur <strong>NS</strong>-Bewegung deutlich wird äußern müssen. Die Wendung weg vom<br />

Ideal Platons hin zum Alltag, zur Familie <strong>und</strong> zur Wohnstube, ja zum Kamin als<br />

heroischen Ort kann mehrfach interpretiert werden. Es kann auch der Vorbote des<br />

Rückzugs aus allen politischen Zusammenhängen sein.<br />

44


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

Im gewichtigen sechsten Beitrag „Die volkserzieherische Arbeit innerhalb der<br />

pädagogischen Bewegung“ (<strong>Nohl</strong>: Osthilfe, 1933, S. 69–82) 83 , der nach 1945 Anlass<br />

heftiger Debatten über <strong>die</strong> Haltung <strong>Nohl</strong>s zum Nationalsozialismus war, entwickelt er<br />

seine Theorie von den drei Phasen der pädagogischen Bewegung nun im Hinblick auf<br />

den Nationalsozialismus <strong>und</strong> <strong>die</strong> Pädagogik:<br />

„Sehen wir nun wieder auf <strong>die</strong> pädagogische Bewegung unserer Generation, so ist<br />

offensichtlich, dass auch hier jene dritte Phase begonnen hat, <strong>die</strong> wieder nach Gehalt<br />

<strong>und</strong> Richtung der Kräfte verlangt. Das erscheint oft wie bloße Reaktion, in<br />

Wahrheit aber ist immer das überlegene Ganze gemeint mit seiner objektiven Gewalt,<br />

dass <strong>die</strong> individuellen Kräfte in Anspruch nimmt <strong>und</strong> <strong>die</strong> egoistischen in einer<br />

großen Verpflichtung bindet.“ (<strong>Nohl</strong>: Osthilfe, 1933, S. 74, Hervorhebung im Original)<br />

Dieses überlegene Ganze, so <strong>Nohl</strong>, ist noch nicht vollständig in der <strong>NS</strong>-Bewegung<br />

enthalten, aber der Kern <strong>die</strong>ser dritten Phase, <strong>die</strong> auf das Ganze abzielt, ist da. Es ist der<br />

Nationalsozialismus:<br />

„Was <strong>die</strong> Jugend heute am Nationalsozialismus begeistert <strong>und</strong> jeder Erzieher in ihm<br />

bejahen muss, auch wo er seiner agitatorischen Praxis, seiner Methode der Gewalt<br />

<strong>und</strong> seiner materialistischen Rassetheorie ablehnend gegenübersteht, ist, dass jenseits<br />

des politischen Tageskampfes auch er <strong>die</strong> seelischen <strong>und</strong> geistigen Kräfte als<br />

<strong>die</strong> entscheidenden gegenüber Wirtschaft <strong>und</strong> Politik erkennt <strong>und</strong> <strong>die</strong> Aufgabe der<br />

<strong>Zeit</strong> wieder als eine große Erziehungsaufgabe sieht: <strong>die</strong> Form des Menschen <strong>und</strong> des<br />

Volkes muss zuerst von innen her eine andere werden.“ (<strong>Nohl</strong>: Osthilfe, 1933,<br />

S. 75) 84<br />

Dies ist <strong>die</strong> zentrale Passage <strong>Nohl</strong>s zum Nationalsozialismus vor 1933. Sie zielt nicht in<br />

erster Linie auf <strong>die</strong> fanatisierte Anhängerschaft der <strong>NS</strong>-Bewegung ab, sondern eher auf<br />

<strong>Nohl</strong>s eigenes Umfeld. Gegenüber den Skeptikern in seinem Umfeld bemüht sich <strong>Nohl</strong><br />

in <strong>die</strong>sem ursprünglich als Vortrag gehaltenen Text deutlich zu machen, dass nun<br />

einmal feststehe, dass <strong>die</strong> Jugend vom Nationalsozialismus begeistert sei. <strong>Nohl</strong> fragt<br />

nach dem Warum <strong>und</strong> gibt selbst eine Antwort: <strong>die</strong> Forcierung der seelischen <strong>und</strong><br />

geistigen Kräfte, das sei jener Punkt, den „jeder Erzieher“ im Nationalsozialismus<br />

bejahen müsse. Das ist das Argument, um gleich drei Einwände wegzuwischen, <strong>die</strong><br />

<strong>Nohl</strong> zwar konstatiert, aber keinesfalls für ausschlaggebend hält, um <strong>die</strong> <strong>NS</strong>-Bewegung<br />

abzulehnen: <strong>die</strong> agitatorische Praxis, <strong>die</strong> Methode der Gewalt <strong>und</strong> <strong>die</strong> materialistische<br />

83 Niederschrift eines Vortrags auf der Stolper Tagung des Deutschen Fröbelverbandes im August 1932,<br />

zuerst erschienen in: Die Erziehung. Monatsschrift für den Zusammenhang von Kultur <strong>und</strong> Erziehung in<br />

Wissenschaft <strong>und</strong> Leben, 8. Jg. (1933), Heft 6 (März 1933), S. 337–346.<br />

84 In der <strong>Zeit</strong>schrift „Die Erziehung“, 8. Jg. (1933) ist <strong>die</strong>ses Zitat, wie der ganze Beitrag, ebenfalls<br />

enthalten. Allerdings fehlt dort <strong>die</strong> Passage „<strong>und</strong> seiner materialistischen Rassetheorie“ (vgl. dort S. 341).<br />

45


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

Rassentheorie. Diese drei Merkmale der <strong>NS</strong>-Bewegung sind nach <strong>Nohl</strong> eher nebensäch-<br />

lich, zeitweilig <strong>und</strong> untergeordnet. Es ist im Kern <strong>die</strong> Position, mit der später Hinden-<br />

burg, trotz ähnlicher Kritiken, Hitler das Kanzleramt übergab, ohne mit der <strong>NS</strong>DAP in<br />

jedem Punkt im Detail einverstanden zu sein.<br />

Dies ist ein Dokument des Bündnisses <strong>und</strong> des Bündnisangebotes der deutschnationalen<br />

reaktionären Bewegung mit <strong>und</strong> an <strong>die</strong> <strong>NS</strong>-Bewegung auf der pädagogischen Ebene.<br />

46<br />

* * *<br />

Auch das 1933 verfasste Nachwort (<strong>Nohl</strong>: Osthilfe, 1933, S. 93–96) <strong>die</strong>ses Sammelbands<br />

bleibt teilweise in <strong>die</strong>sem Rahmen, wenngleich <strong>die</strong> kräftige Unterstützung des<br />

<strong>NS</strong>-Regimes <strong>und</strong> <strong>die</strong> abschließende Berufung auf Mussolini im Vordergr<strong>und</strong> steht. <strong>Nohl</strong><br />

schildert einleitend, dass auch praktisch <strong>die</strong> in der Aufsatzsammlung enthaltenen<br />

Vorschläge in einzelnen Punkten realisiert worden seien <strong>und</strong> reagiert kurz auf einige<br />

Rezensionen in Fachzeitschriften. Die letzten beiden Absätze des Nachworts lassen –<br />

sozusagen in Reinkultur – erkennen, was wir an verschiedenen Stellen bei <strong>Nohl</strong> immer<br />

wieder erleben: begeisterte Zustimmung in starken Worten bei gleichzeitiger Mahnung,<br />

<strong>die</strong> pädagogische Methode nicht zu vernachlässigen. Die Zustimmung zum <strong>NS</strong>-Regime<br />

liest sich wie folgt:<br />

„Hinter dem begrenzten pädagogischen Werk, das <strong>die</strong>se Vorträge aufzuzeigen suchen,<br />

sind jetzt <strong>die</strong> gigantischen Umrisse eines sehr viel größeren erschienen, der<br />

neuen Gestaltung unseres gesamten deutschen Daseins, <strong>und</strong> vieles von dem, um das<br />

<strong>die</strong> pädagogische Bewegung im Verein mit Jugendbewegung <strong>und</strong> Volkshochschulbewegung<br />

seit Kriegsende gerungen hat, ist plötzlich in greifbare Nähe gerückt. Die<br />

politische Macht hat mit einem Schlag <strong>die</strong> äußere Einheit des Willens verwirklicht,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> elementare Voraussetzung auch der nationalen Erziehung ist. Dass <strong>die</strong> Potestas<br />

eine eminent pädagogische Bedeutung hat, ist dem, der es noch nicht wusste,<br />

jetzt auf das großartigste offenbart worden, wenn auch wohl niemand <strong>die</strong> hemmungslose<br />

Wucht <strong>die</strong>ser ‚Gleichschaltung‘ der Herzen <strong>und</strong> der Hirne geahnt hat. Die<br />

Überwindung des Partikularismus in jeder Gestalt <strong>und</strong> eine neue Volkswerdung sind<br />

jedem sichtbar.“ (<strong>Nohl</strong>: Osthilfe, 1933, S. 95)<br />

Nun folgt das „ja, aber“: <strong>Nohl</strong> hat Angst um den Bestand <strong>die</strong>ser Erfolge, da mit Suggestion<br />

<strong>und</strong> Psychotechnik allein <strong>die</strong> Sache keinen Bestand habe, wenn sie nicht in <strong>die</strong><br />

Tiefe gehe.<br />

„Soll eine Gesinnung mehr sein als ein mystischer Glaube <strong>und</strong> der harten Not des<br />

Lebens gegenüber standhalten, so muss der Hingabe des Augenblicks mit ihrer Begeisterung<br />

<strong>und</strong> ihrem Schwung <strong>die</strong> freie Einsicht folgen, muss <strong>die</strong> neue Haltung getragen<br />

sein von einem Reichtum von Kräften, <strong>die</strong> das Heute an <strong>die</strong> Ewigkeit <strong>und</strong> ihre


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

geschichtlichen Offenbarungen binden, <strong>und</strong> letztlich ganz realistisch gründen in der<br />

Befriedung des Lebens der einfachen Menschen, <strong>die</strong>, wie Pestalozzi immer sagte,<br />

ihres Brotes, ihres Blutes <strong>und</strong> ihrer Ehre sicher sind.“ (<strong>Nohl</strong>: Osthilfe, 1933,<br />

S. 95 f.)<br />

Aber <strong>Nohl</strong> endet nicht mit Pestalozzi, mit dem er „Blut <strong>und</strong> Ehre“ im <strong>NS</strong>-Kontext adelt.<br />

Er endet mit Mussolini:<br />

„Mussolini hat gemeint: ‚<strong>die</strong> Gr<strong>und</strong>bedingung des nationalen Sieges seien ges<strong>und</strong>e<br />

Mütter <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>e Kinder‘. Ich möchte hinzusetzen: ihre Voraussetzung ist ein<br />

ges<strong>und</strong>es Haus- <strong>und</strong> Familienwesen. Zur nationalen Erziehung gehört nicht bloß<br />

Arbeits<strong>die</strong>nst <strong>und</strong> Wehrsport <strong>und</strong> jede herrliche Zucht der Männlichkeit, sondern<br />

neben vielem anderen vor allem auch <strong>die</strong> treue Pflege des Lebens <strong>und</strong> der Innigkeit<br />

des Gemüts <strong>und</strong> <strong>die</strong> echte Emporbringung der weiblichen Kräfte unseres Volkes.“<br />

(<strong>Nohl</strong>: Osthilfe, 1933, S. 96, Hervorhebung im Original)<br />

2. <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s Vorlesung „Die Gr<strong>und</strong>lagen der nationalen Erziehung“ (1933/34)<br />

Die wissenschaftlichen Debatten über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s Haltung zum <strong>NS</strong>-Regime beziehen<br />

sich in den letzten zehn Jahren vor allem auf das Manuskript seiner Vorlesung „Die<br />

Gr<strong>und</strong>lagen der nationalen Erziehung. Eine Vorlesung im Wintersemester 1933/34“, 85<br />

obwohl es kaum bekannt ist <strong>und</strong> anscheinend nur weniger Exemplare des von <strong>Nohl</strong><br />

selbst 1940 vervielfältigten Manuskript erhalten geblieben sind. Das in der Dokumentation<br />

ad fontes <strong>Nohl</strong> faksimiliert wiedergegebene Exemplar ist offensichtlich eines der an<br />

Mitarbeiterinnen <strong>und</strong> Mitarbeiter verschickten Exemplare, in <strong>die</strong>sem Fall an Elisabeth<br />

Siegel. Dass es eine Abschrift <strong>die</strong>ser Vorlesung in mehreren Exemplaren gibt, wurde<br />

erstmals von Elisabeth Blochmann mitgeteilt: im Dezember 1940 hatte <strong>Nohl</strong>, wie<br />

Blockmann berichtet, auch ein Exemplar an Theodor Litt gesandt. 86<br />

85 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Die Gr<strong>und</strong>lagen der nationalen Erziehung. Eine Vorlesung zum Wintersemester<br />

1933/34 (Typoskript), ohne Ort, ohne Jahr (Göttingen 1940). [Dokumentation ad fontes <strong>Nohl</strong>: S. 143–<br />

365]<br />

86 Siehe: Blochmann, Elisabeth: <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> in der pädagogischen Bewegung seiner <strong>Zeit</strong> 1879–1960,<br />

Göttingen 1969, S. 170 f. <strong>Nohl</strong> hatte mit <strong>die</strong>ser Vorlesung ihrer Ansicht nach versucht, seinen Studenten<br />

„zu zeigen, wie sie auch unter den veränderten Umständen <strong>und</strong> unter Anerkennung bestimmter neuer<br />

Prinzipien pädagogisch verantwortlich <strong>und</strong> sinnvoll arbeiten könnten“. An Stelle einer Kritik <strong>die</strong>ses<br />

Versuchs trägt Blochmann das bemerkenswerte, teilweise auch bemerkenswert unkritische Lob von<br />

Theodor Litt vor, dem <strong>Nohl</strong> das Manuskript 1940 zur Kritik übersandt hatte. Litt antwortete Ende 1940,<br />

<strong>Nohl</strong> sei es in <strong>die</strong>ser Vorlesung gelungen, seine „eigene Haltung zu wahren <strong>und</strong> dabei doch das Anerkennenswerte<br />

in dem Neuen zu würdigen <strong>und</strong> einzubauen“. Litt kritisierte allerdings auch in äußerst<br />

höflicher, ja galanter Form, wie Blochmann darstellt, nicht zu Unrecht <strong>die</strong>ses zu große Vertrauen <strong>Nohl</strong>s<br />

„in das Neue“, sprich in den Nationalsozialismus (Blochmann, S. 171).<br />

47


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

Dieses Dokument, das <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> selbst 1934 publizieren wollte (wozu es aber nicht<br />

kam), 87 ist von seiner ganzen Anlage <strong>und</strong> Struktur her prädestiniert, <strong>die</strong> Problematik des<br />

Wirkens <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> zu beleuchten. <strong>Nohl</strong> schreibt in einem R<strong>und</strong>brief<br />

im April 1940: „Meine Vorlesung über <strong>die</strong> ‚Gr<strong>und</strong>lagen der nationalen Erziehung‘ aus<br />

dem Wintersemester 1933/34 habe ich auf Wunsch abschreiben lassen <strong>und</strong> Abschriften<br />

sind zum Preise von 5 Mark bei mir zu haben.“ 88<br />

Dieses Dokument zu analysieren, beinhaltet im Gr<strong>und</strong>e auch, Gemeinsamkeiten <strong>und</strong><br />

Unterschiede mit den Veröffentlichungen <strong>Nohl</strong>s vor 1933 <strong>und</strong> nach 1945 mit zu beden-<br />

ken.<br />

Die Analyse ergibt, dass <strong>die</strong> entscheidenden Änderungen in <strong>die</strong>sem Text gegenüber<br />

<strong>Nohl</strong>s vor 1933 verfassten Schriften <strong>die</strong> theoretische Beschäftigung mit dem Begriff der<br />

Rasse <strong>und</strong> <strong>die</strong> Zustimmung zur nationalsozialistischen Eugenik sind. Während der<br />

Rassebegriff in der 1938 erschienen Schrift „Charakter <strong>und</strong> Schicksal“ eng verb<strong>und</strong>en<br />

mit der Frage „der Deutschen“ als Nation diskutiert wird, gibt <strong>Nohl</strong> in <strong>die</strong>sem Vorlesungsmanuskript<br />

eugenischen Gesichtspunkten <strong>und</strong> rassistischer Auslesephilosophie<br />

einen hohen Stellenwert.<br />

Gleich nach der siebenseitigen Einleitung über das individuelle, sokratischpädagogische<br />

Denken einerseits <strong>und</strong> das platonische, auf Gemeinschaft <strong>und</strong> Staat<br />

(„Nationalerziehung“ nach <strong>Nohl</strong>) ausgerichtete pädagogische Denken anderseits,<br />

beginnt <strong>Nohl</strong> mit der biologischen Seite <strong>die</strong>ser Frage. Er begründet den Aufbau seiner<br />

Vorlesung nicht, sondern stellt fest:<br />

„Wir suchen im ersten Abschnitt <strong>die</strong> Elemente des Aufbaus für unser Dasein als<br />

Volk, 1) <strong>die</strong> biologische Substanz <strong>die</strong>ses Volks mit allem, was man Eugenik nennt,<br />

seine Gliederungen in Stadt <strong>und</strong> Land, das Leben seiner Familie <strong>und</strong> das Verhältnis<br />

seiner Generationen, <strong>und</strong> 2) seine Volksgeistigkeit mit Sprache, Mythos, Sitte, Kunst<br />

<strong>und</strong> Festen, allem, was man <strong>die</strong> Heimat nennt. (…) es ist das ganz Neue unserer Nationallage,<br />

dass <strong>die</strong> volkserzieherische Aufgabe bis in <strong>die</strong> biologische Substanz unseres<br />

Volkes selbst hinunterreicht, an den Brunnen seines Lebens.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung,<br />

1933/34, S. 6 f.)<br />

87 Siehe R<strong>und</strong>brief <strong>Nohl</strong>s vom 5.3.1934, in: Zimmer, Hasko: Die Hypothek der Nationalpädagogik.<br />

<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>, der Nationalsozialismus <strong>und</strong> <strong>die</strong> Pädagogik nach Auschwitz, in: Beutler, Kurt/Wiegmann,<br />

Ulrich (Red.): Auschwitz <strong>und</strong> <strong>die</strong> Pädagogik (Jahrbuch für Pädagogik 1995), Frankfurt am<br />

Main/Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1995, S. 100.<br />

88 Niedersächsische Staats- <strong>und</strong> Universitätsbibliothek Göttingen, Cod. Ms. H. <strong>Nohl</strong> 646g/40, zitiert nach:<br />

Gran, Michael: Das Verhältnis der Pädagogik <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s zum Nationalsozialismus, Hamburg 2005,<br />

S. 337.<br />

48


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

In der Einleitung bezieht sich <strong>Nohl</strong> sehr deutlich auf Adolf Hitlers Buch „Mein Kampf“<br />

<strong>und</strong> favorisiert Ernst Krieck <strong>und</strong> andere Autoren, <strong>die</strong> er positiv einschätzt. Diese<br />

Autoren grenzt er von unernster Literatur, <strong>die</strong> er als bloße Anpassung an <strong>die</strong> neue Lage<br />

einstuft, ab, ohne jedoch genauer zu werden. Es heißt:<br />

„Wenn man mit einem Wort bezeichnen will, was wir erleben, so ist es eine leidenschaftliche<br />

Konzentration des Gesamtlebens unseres Volkes, <strong>und</strong> wieder wird <strong>die</strong><br />

Erziehung das Hen Mega – der Führer der nationalen Bewegung hat es in seinem<br />

‚Kampf‘ <strong>und</strong> dann immer wieder in seinen Reden betont –, in deren Händen Ländern<br />

schließlich das Schicksal des Ganzen von innen her ruht. Eine Flut von Büchern über<br />

Nationalerziehung <strong>und</strong> politische Erziehung ist bereits erschienen, <strong>die</strong> unsere heutige<br />

Aufgabe zu formulieren versuchen. Ich nenne nur <strong>die</strong> Bücher von Ernst Krieck,<br />

Anrich, Beck, aber auch von Wilhelm Stapel. 89 Diese Bücher haben eine echte Erregung<br />

<strong>und</strong> besitzen darum auch eine wirkliche Stoßkraft.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34,<br />

S. 5 f.)<br />

Die drei Abschnitte der Vorlesung bewegen sich von der „Lebenssubstanz des Volkes“<br />

über <strong>die</strong> „Volksgeistigkeit“ hin zu dem, was <strong>Nohl</strong> als das „bewusste Leben der Nation“<br />

bezeichnet.<br />

Zum ersten Abschnitt der Vorlesung „Die Lebenssubstanz des Volkes“<br />

Zum ersten Kapitel „Erbstrom, Familientradition <strong>und</strong> Volkstypus“<br />

Der erste Satz der Vorlesung lautet:<br />

„Die Sorge um den Erbstrom <strong>und</strong> <strong>die</strong> vitale Substanz unseres Volkes ist das, was<br />

recht eigentlich neu in <strong>die</strong> Theorie der Nationalerziehung hineingekommen ist. Außer<br />

Platos Pädagogik weiß keine der späteren etwas davon.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34,<br />

S. 9)<br />

89 Wilhelm Stapel (1882–1954) war ein bereits in der Weimarer Republik hetzender glühender Antisemit.<br />

Salomon Korn schrieb über Wilhelm Stapel in der „<strong>Zeit</strong>“ vom 5.6.03 im Artikel „Wie deutsch soll’s denn<br />

sein?“: „Den Begriff der ‚Symbiose zwischen Deutschen <strong>und</strong> Juden‘ hat als Erster der bekennende<br />

Antisemit Wilhelm Stapel 1927 in der von ihm herausgegebenen Monatsschrift Deutsches Volkstum<br />

(Heft 6, S. 418) verwendet – im negativen Sinne; <strong>und</strong> damit kam er bei aller sonstigen Beschränktheit<br />

seiner Thesen dem tatsächlichen Gang deutsch-jüdischer Geschichte näher als jene, <strong>die</strong> später im<br />

Nachhinein eine verklärte deutsch-jüdische Symbiose konstruiert haben. ‚Den Streit zwischen Juden <strong>und</strong><br />

Antisemiten‘, so Wilhelm Stapel, werde man nicht verstehen, wenn man ihn nur als einen Streit von<br />

Individuen betrachte. Es handele sich nicht darum, dass ‚einzelne Menschen <strong>die</strong>ser Art mit einzelnen<br />

Menschen anderer Art‘ nicht auskommen könnten. Es handele sich vielmehr um den Gegensatz von<br />

Völkern: ‚Volksinstinkte, Volksanlagen, Volkheiten stoßen aufeinander.‘ Nicht Wünsche <strong>und</strong> Bedürfnisse<br />

von Individuen zählten demnach, sondern einzig <strong>und</strong> allein <strong>die</strong> vermeintlich naturverhafteten Eigenschaften<br />

des Kollektivs.“ Siehe auch Schmalz, Oliver: Kirchenpolitik unter dem Vorzeichen der Volksnomoslehre.<br />

Wilhelm Stapel im Dritten Reich (Europäische Hochschulschriften, Reihe 23: Theologie,<br />

Band 789), Frankfurt am Main/Berlin/Bern/Brüssel/New York/Oxford/Wien 2004 <strong>und</strong> Keinhorst, Willi:<br />

Wilhelm Stapel – ein evangelischer Journalist im Nationalsozialismus. Gratwanderer zwischen Politik<br />

<strong>und</strong> Theologie (Europäische Hochschulschriften, Reihe 31: Politikwissenschaft, Band 242), Frankfurt am<br />

Main/Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1993.<br />

49


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

In <strong>die</strong>sem Satz vollzieht <strong>Nohl</strong> mehrere Manöver. Durch den – nicht ganz falschen –<br />

Hinweis auf Platons Ideen einer biologistischen Aufzucht einschließlich der Aussetzung<br />

behinderter Kinder (an einem „unzugänglichen <strong>und</strong> unbekannten Ort“) in dessen Schrift<br />

„Politeia“ 90 adelt er das Neue an der Nationalerziehung, eben das Nationalsozialistische.<br />

Gleichzeitig verweist er darauf, dass das Neue damit eigentlich auch doch nicht so neu<br />

ist, lediglich als eine Art Neoplatonismus wiederbelebt wird.<br />

Abgesehen davon, dass es Platon nicht um eine Rassentheorie <strong>und</strong> schon gar nicht um<br />

das Konstrukt einer „arischen Rasse“ ging, sondern um <strong>die</strong> inhumane Tötung der<br />

Behinderten, zeigt sich bei <strong>Nohl</strong> auch eine Unkenntnis gegenüber dem rassistischen<br />

Diskurs im Rahmen der sogenannten Reformpädagogik, insbesondere bezogen auf <strong>die</strong><br />

an Nietzsche orientierten Zuchtgedanken in Ellen Keys Buch „Das Jahrh<strong>und</strong>ert des<br />

Kindes“ (in deutscher Sprache 1902). Darin wird gefordert, dass unter ärztlicher Auf-<br />

sicht – ebenfalls an Platon orientiert – missgebildete Kinder „erlöst“ werden sollen. 91<br />

Dass <strong>Nohl</strong> – an der Sozialpädagogik orientiert – selbst „neu“ zu <strong>die</strong>sem Thema Stellung<br />

nimmt, soll jedoch konstatiert werden. Bevor er sich zur Eugenik äußert, beschreibt<br />

<strong>Nohl</strong> drei „Erfahrungen“ als Gefahren für <strong>die</strong> „Volkssubstanz“: <strong>die</strong> „Abnahme der<br />

Fruchtbarkeit“, <strong>die</strong> „Qualitäten der Geburten“ <strong>und</strong> <strong>die</strong> „gesteigerten Einwanderungen<br />

aus dem Osten“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 11).<br />

„Allein in Berlin 4.000 zugewanderte Juden“<br />

Das <strong>NS</strong>-Regime hatte bereits seine ersten antisemitischen staatlichen Maßnahmen<br />

getroffen, <strong>die</strong> Universitäten von jüdischen Professoren gesäubert <strong>und</strong> den Boykott<br />

jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 durchgeführt, <strong>und</strong> nun schreibt <strong>Nohl</strong>:<br />

90 Siehe dazu den Abschnitt über Platon bei: Mürner, Christian: Philosophische Bedrohungen. Kommentare<br />

zur Bewertung der Behinderung, Frankfurt am Main/Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1995, S. 26–<br />

31.<br />

91 „Im Zusammenhang hiermit steht <strong>die</strong> Entwicklung neuer Rechtsbegriffe auf <strong>die</strong>sen Gebieten. Während<br />

<strong>die</strong> heidnische Gesellschaft in ihrer Härte <strong>die</strong> schwachen oder verkrüppelten Kinder aussetzte, ist <strong>die</strong><br />

christliche Gesellschaft in der ‚Milde‘ so weit gegangen, dass sie das Leben des psychisch <strong>und</strong> physisch<br />

unheilbar kranken <strong>und</strong> missgestalteten Kindes zur stündlichen Qual für das Kind selbst <strong>und</strong> seine<br />

Umgebung verlängert. Noch ist doch in der Gesellschaft – <strong>die</strong> unter anderem <strong>die</strong> Todesstrafe <strong>und</strong> den<br />

Krieg aufrecht erhält – <strong>die</strong> Ehrfurcht vor dem Leben nicht groß genug, als dass man ohne Gefahr das<br />

Verlöschen eines solchen Lebens gestatten könnte. Erst wenn ausschließlich <strong>die</strong> Barmherzigkeit den Tod<br />

gibt, wird <strong>die</strong> Humanität der Zukunft sich darin zeigen können, dass der Arzt unter Kontrolle <strong>und</strong><br />

Verantwortung schmerzlos ein solches Leiden auslöscht.“ (Key, Ellen Karolina Sofia: Das Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

des Kindes. Stu<strong>die</strong>n, Weinheim/Basel 1992, S. 28 f.)<br />

50


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

„Die dritte Erfahrung entstand aus der gesteigerten Einwanderung aus dem Osten,<br />

<strong>die</strong> vor allem Berlin ein ganz neues Gesicht gab. Frick teilt in seiner Ansprache auf<br />

der ersten Sitzung des Sachverständigenbeirats für Bevölkerungs- <strong>und</strong> Rassenpolitik<br />

mit, dass im Jahre 1930 allein in Berlin 4.000 zugewanderte Juden eingebürgert<br />

wurden.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 11) 92<br />

Ohne Frage verbreitet <strong>Nohl</strong> mit <strong>die</strong>sem Gesichtspunkt jenen Antisemitismus gegen <strong>die</strong><br />

„Ostjuden“ (wie es damals hieß), der einen vorrangigen Aspekt der <strong>NS</strong>-Propaganda seit<br />

1923 bildete, aber sehr wohl schon in der Weimarer Republik auch weit hinein ins<br />

deutschnationale Lager salonfähig war. Nach der Klarstellung, dass es gegen Juden<br />

geht, referiert <strong>Nohl</strong> <strong>die</strong> Vorgeschichte des <strong>NS</strong>-Rassismus ohne jede kritische Distanz im<br />

Kontext einer zustimmenden Vertiefung, um so seine studentische Zuhörerschaft an <strong>die</strong><br />

entsprechende Literatur heranzuführen. <strong>Nohl</strong> führt in einer längeren Passage im unmit-<br />

telbaren Anschluss aus:<br />

„Wie immer entwickelt sich ein solcher neuer Gesichtspunkt zu voller Kraft aber<br />

erst, wo er sich dialektisch gegen eine andere einseitige Theorie absetzt, hier also<br />

gegenüber dem alten Sozialismus, der bei aller sozialen Leidenschaft, <strong>die</strong> ihn in seinen<br />

besten Vertretern beseelte, letztlich immer doch nur an das Wohlsein des Einzelnen<br />

dachte <strong>und</strong> einem falschen Gleichheitsgedanken huldigte, der <strong>die</strong> Schuld an dem<br />

Aufstieg oder Abstieg des Einzelnen ausschließlich im Milieu <strong>und</strong> den Startbedingungen<br />

suchte. Diesem Individualismus <strong>und</strong> Kultur-Lamarckismus gegenüber bildete<br />

sich jetzt <strong>die</strong> neue Front der Eugenik <strong>und</strong> der Rassenhygiene, <strong>die</strong> vom Ganzen des<br />

nationalen Volkskörpers ausgeht <strong>und</strong> hinter den einzelnen Lebenden das Idioplasma<br />

sucht, aus dem <strong>die</strong> künftigen Generationen durch Auslese entstehen sollen. Die Mittel<br />

für <strong>die</strong>se ganz andere Sehweise kamen aus sehr verschiedenen Quellen: aus der Biologie,<br />

der konservativen Familienk<strong>und</strong>e <strong>und</strong> der Rassenk<strong>und</strong>e Gobineaus <strong>und</strong> seiner<br />

Nachfolger. Die wichtigste war <strong>die</strong> Eugenik, wie sie Francis Galton, der Vetter Darwins,<br />

1865 mit einer Arbeit über ‚Erblichkeit von Talent <strong>und</strong> Charakter‘ <strong>und</strong> dann in<br />

weiteren Arbeiten über ‚Erblichkeit des Genies‘ 1869 ausgebaut hatte. Seine berühmt<br />

gewordene Vorlesung über ‚Eugenik‘ hielt er als alter Mann 1904. Eugenik<br />

war ihm <strong>die</strong> Lehre von allen Einflüssen, <strong>die</strong> geeignet sind, <strong>die</strong> angeborenen Eigenschaften,<br />

also das ‚Erbgefüge‘ einer Rasse zu verbessern <strong>und</strong> sie zu höchster Vollkommenheit<br />

zu entwickeln. Eugenes d. h. wohlgeboren ist derjenige, der noble Qualitäten<br />

geerbt hat. ‚Rasse‘ meint bei Galton nicht <strong>die</strong> anthropologische Rasse, also<br />

eine größere Gruppe von Menschen mit gleichen Erbanlagen, sondern eine solche<br />

Gruppe unter dem Gesichtspunkt des Erbgefüges ohne Rücksicht darauf, ob <strong>die</strong> Anlagen<br />

gleich oder ungleich sind. Wertvoll ist jede Erbanlage, <strong>die</strong> sich in der Gesamtökonomie<br />

eines Volkes als nützlich erweist. Jede Berufsgruppe des Volkes braucht<br />

ihre eigene Eignung.<br />

Unabhängig von Galton hatten in Deutschland Alfred Ploetz <strong>und</strong> Wilhelm Schallmayer<br />

<strong>die</strong> Eugenik entwickelt. Diese sprechen beide von ‚Rassenhygiene‘, wobei<br />

Rassenhygiene im bewussten Unterschied von Sozialhygiene eben nicht das Wohl der<br />

92 <strong>Nohl</strong> gibt als Quelle in einer Fußnote lediglich „Langensalza 1933“ an.<br />

51


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

52<br />

einzelnen, sondern das Wohl einer zeitlich dauernden Gemeinschaft als solcher verfolgt.<br />

Das Buch von Ploetz erschien 1895 unter dem Titel ‚Gr<strong>und</strong>linien einer Rassenhygiene,<br />

1. Teil, Die Tüchtigkeit unserer Rasse <strong>und</strong> der Schutz der Schwachen‘,<br />

Schallmayers Buch ‚Vererbung <strong>und</strong> Auslesung‘ 1903. Auch Ploetz versteht unter<br />

Rasse nicht <strong>die</strong> anthropologische Rasse, sondern <strong>die</strong> ‚Vitalrasse‘, wie er sagt, oder<br />

<strong>die</strong> biologische Rasse: <strong>die</strong> Erhaltungs- <strong>und</strong> Entwicklungseinheit des Lebens. Rassenhygiene<br />

ist <strong>die</strong> Wissenschaft von den optimalen Bedingungen der Erhaltung <strong>und</strong> Steigerung<br />

des Erbstromes der sowohl durch <strong>die</strong> anthropologischen Rassen wie durch<br />

<strong>die</strong> Völker fließt. Schallmayer spricht im Unterschied zu Rassenhygiene von Rassehygiene:<br />

sie soll der Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Tüchtigkeit des Volkskörpers <strong>die</strong>nen durch Verbesserung<br />

seiner Erbanlagen, was durch starke Vermehrung von Personen mit guter<br />

Erbanlage <strong>und</strong> durch schwache Vermehrung der erblich Minderwertigen erreichbar<br />

sei. Das Entscheidende in <strong>die</strong>sen Büchern ist im Gegensatz zu der Milieu-Theorie des<br />

Larmarckismus der Erb- <strong>und</strong> Auslesegedanke: das Glück eines Volkes hängt nicht<br />

nur von seinen glücklichen Lebensbedingungen ab, sondern mehr noch von seinen<br />

guten Erblinien. Ploetz gründete <strong>die</strong> ‚Deutsche Gesellschaft für Rassenhygiene‘.<br />

Das Organ der Bewegung wurde das ‚Archiv für Rassen- <strong>und</strong> Gesellschaftsbiologie<br />

einschließlich Rassen- <strong>und</strong> Gesellschaftshygiene‘, das Ploetz führt. Daneben wäre<br />

<strong>die</strong> <strong>Zeit</strong>schrift ‚Eugenik‘ zu nennen, <strong>Zeit</strong>schrift für Erblehre <strong>und</strong> Erbpflege, <strong>die</strong> Ostermann<br />

im Verein mit den modernen Biologen Fischer, Lenz, Muckermann, Rudin<br />

<strong>und</strong> Verschuer herausgibt.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 12 f., Hervorhebungen im<br />

Original)<br />

In <strong>die</strong>ser in sich stimmigen Zusammenfassung verschiedener Akzente in den Werken<br />

unterschiedlicher Rassetheoretiker betont <strong>Nohl</strong> zu Beginn <strong>die</strong>ser Passage <strong>und</strong> durchaus<br />

in seinem Sinne „<strong>die</strong> neue Front der Eugenik <strong>und</strong> Rassenhygiene, <strong>die</strong> vom Ganzen des<br />

nationalen Volkskörpers ausgeht“.<br />

<strong>Nohl</strong> folgt den Thesen im weiteren Verlauf seiner Vorlesung, beschreibt <strong>die</strong> Gesetze der<br />

Vererbung nach Mendel („Auch wo sich Rassen mischen, ist nicht <strong>die</strong> eine ‚stärker‘ als<br />

<strong>die</strong> andere“; <strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 14) <strong>und</strong> <strong>die</strong> Vererbungsquoten bei Erbkrankheiten,<br />

betont den „Auslesegedanken Darwins“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 15) <strong>und</strong><br />

doziert, sich auf Muckermann 93 berufend:<br />

93 Herrmann Muckermann war führend beteiligt am Zustandekommen des „Eugenik-Gesetzes“ 1933. Am<br />

2. Juli 1932 stellte Muckermann auf der Sitzung des Preußischen Landesges<strong>und</strong>heitsrates zum Thema<br />

„Die Eugenik im Dienste der Volkswohlfahrt“ seinen Entwurf für ein Eugenik-Gesetz vor. Diese Sitzung<br />

setzte ein Gesetzgebungsverfahren in Gang, das am 14. Juli 1933 im „Gesetz zur Verhütung erbkranken<br />

Nachwuchses“ seinen Abschluss fand. Der Entwurf Muckermanns war konsensbildend für <strong>die</strong> an der<br />

Sitzung Beteiligten. Anwesend auf <strong>die</strong>ser Sitzung waren neben den Rassehygienikern bzw. Eugenikern<br />

Baur, Bluhm, Fischer <strong>und</strong> eben Muckermann <strong>die</strong> Sozialhygieniker Chajes, Harmsen <strong>und</strong> Scheumann, der<br />

Bevölkerungswissenschaftler <strong>und</strong> Präsident des Statistischen Reichsamts Friedrich Burgdörfer, der<br />

katholische Moraltheologe Joseph Mayer, <strong>die</strong> Psychiater Karl Bonhoeffer, Hübner, Lange, Kurt Pohlisch<br />

(ein späterer „Euthanasie“-Gutachter), Emil Sioli <strong>und</strong> Otmar von Verschuer – <strong>und</strong> <strong>die</strong> Juristen Ebermayer,<br />

Heimberger <strong>und</strong> Kohlrausch sowie der Landtagsabgeordnete <strong>und</strong> spätere Reichsges<strong>und</strong>heitsführer<br />

Leonardo Conti von der <strong>NS</strong>DAP. 1937 wurden wohl angesichts zunehmender Widersprüche zwischen


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

„Die Kulturvölker vermehren sich nicht so wie <strong>die</strong> weniger kultivierten. Das gilt<br />

insbesondere für <strong>die</strong> nordische Rasse.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 15)<br />

„Die kranken Erblinien ausmerzen“ <strong>und</strong> „<strong>die</strong> erbges<strong>und</strong>en Familien bevorzugen“<br />

<strong>Nohl</strong> schildert nun, sich auf Verschuer berufend, <strong>die</strong> „Kontraselektion“, d. h. <strong>die</strong><br />

Umgehung der „natürliche(n) Auslese“, <strong>die</strong> „z. B. <strong>die</strong> Kurzsichtigkeit, Taubstummheit<br />

<strong>und</strong> Geisteskrankheit beseitigen“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 17) würde, nun aber<br />

zum Anwachsen der Erbkranken führe. <strong>Nohl</strong> führt aus:<br />

„Von hier aus entsteht <strong>die</strong> grausame Frage an <strong>die</strong> Wohlfahrtspflege, ob sie durch<br />

ihre Maßnahmen, mit denen sie dem einzelnen Kranken oder der einzelnen kranken<br />

Familie hilft, nicht bloß den ges<strong>und</strong>en Familien Mittel entzieht, sondern geradezu für<br />

das Weiterbestehen <strong>und</strong> <strong>die</strong> Fruchtbarkeit der erbkranken Familien Sorge trägt?<br />

Aber damit kämen wir schon zur Frage nach dem, was angesichts <strong>die</strong>ser Einsichten<br />

zu tun ist, um unseren Volkskörper richtig zu gestalten. Bei <strong>die</strong>sem Umbau handelt es<br />

sich um negative <strong>und</strong> um positive Maßnahmen.<br />

Negative Maßnahmen sind alle Schritte, <strong>die</strong> darauf zielen, <strong>die</strong> kranken Erblinien<br />

auszumerzen. Die Antike konnte da hart vorgehen. Die Spartaner setzten minderwertiges<br />

Leben aus. Auch Plato fordert in seinem Staat, dass krankes Leben vernichtet<br />

<strong>und</strong> auch von zu alten Eltern Erzeugtes getötet werden solle. Unsere christliche Fürsorge,<br />

<strong>die</strong> jede Seele unmittelbar zu Gott weiß, kann das nicht mehr. Ist das Leben<br />

einmal da, so muss dafür gesorgt werden, dass es menschenwürdig existiert <strong>und</strong> zu<br />

seinem Wohl kommt. Es ist das an sich auch keine Gefahr für <strong>die</strong> Volkswohlfahrt –<br />

abgesehen davon, dass es etwas kostet; aber ein Volk, das auf solche Fürsorge <strong>und</strong><br />

auf <strong>die</strong> Entfaltung der Eigenschaften, <strong>die</strong> solche Fürsorge tragen, verzichten wollte,<br />

nähme sich einen höchsten Wert <strong>und</strong> würde schnell sittlich korrumpieren. Wohl aber<br />

wird es nötig sein, erstlich bestimmte Gruppen <strong>die</strong>ser Menschen zu sterilisieren, wie<br />

das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses das fordert, das am 1. Januar<br />

Muckermann <strong>und</strong> den <strong>NS</strong>-Ideologen seine Bücher verboten, was im Einzelnen hier nicht nachgeprüft<br />

werden konnte (vgl. Grosch-Obenauer, Dagmar: <strong>Herman</strong>n Muckermann <strong>und</strong> <strong>die</strong> Eugenik, Mainz 1986;<br />

Kröner, Hans-Peter: Von der Rassenhygiene zur Humangenetik. Das Kaiser-Wilhelm-Institut für<br />

Anthropologie, menschliche Erblehre <strong>und</strong> Eugenik nach dem Kriege, Stuttgart/Jena/Lübeck/Ulm 1998;<br />

Schmuhl, Hans-Walter: Grenzüberschreitungen. Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie,<br />

menschliche Erblehre <strong>und</strong> Eugenik 1927–1945, Göttingen 2004).<br />

Von Muckermanns Schriften seien hier nur genannt: Rassenforschung <strong>und</strong> Volk der Zukunft. Ein Beitrag<br />

zur Einführung in <strong>die</strong> Frage vom biologischen Werden der Menschheit (Das kommende Geschlecht,<br />

Band 4, Heft 2), Berlin 1928. Wesen der Eugenik <strong>und</strong> Aufgaben der Gegenwart. Aus dem Kaiser-<br />

Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre <strong>und</strong> Eugenik, Abteilung für Eugenik (Das<br />

kommende Geschlecht, Band 5, Heft 1/2), Berlin 1929. Rassenhygiene, in: Staatslexikon, Band 4:<br />

Papiergeld bis Staatsschulden (5., von Gr<strong>und</strong> aus neubearbeitete Auflage), Freiburg 1931. Zusammen mit<br />

Otmar Freiherr von Verschuer: Eugenische Eheberatung (Das kommende Geschlecht, Band 6, Heft 1/2),<br />

Berlin/Bonn 1931. Eugenik <strong>und</strong> Strafrecht (Arbeiten über Rassenk<strong>und</strong>e, Erblehre <strong>und</strong> Erbpflege aus dem<br />

Kaiser Wilhelm Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre <strong>und</strong> Eugenik in Berlin-Dahlem,<br />

Teil 37), Berlin 1932. Volkstum, Staat <strong>und</strong> Nation, eugenisch gesehen. Aus dem Kaiser-Wilhelm-Institut<br />

für Anthropologie, menschliche Erblehre <strong>und</strong> Eugenik, Abteilung für Eugenik, Essen ohne Jahr (1933).<br />

Eugenik <strong>und</strong> Katholizismus, Berlin 1934.<br />

53


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

54<br />

1934 in Kraft getreten ist, <strong>und</strong> zweitens <strong>die</strong> methodischen Verfahren der Fürsorge<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich umzuwenden.<br />

Die Sterilisation der Erbkranken, <strong>die</strong> nicht Kastration, also kein Angriff auf <strong>die</strong> Persönlichkeit<br />

des Menschen, sondern nur eine Verhinderung seiner Zeugungsfähigkeit<br />

ist, nimmt ihm nicht das Glück der geschlechtlichen Liebe, nur das der Elternschaft.<br />

Eine Begründung des Gesetzes hat Reichsminister Frick in der Ansprache über <strong>die</strong><br />

Bevölkerungs- <strong>und</strong> Rassenpolitik gegeben, <strong>die</strong> ich schon nannte.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung,<br />

1933/34, S. 17 f., Hervorhebung im Original)<br />

<strong>Nohl</strong> stellt nicht nur <strong>die</strong> „grausame Frage“, er gibt mit dem <strong>NS</strong>-Reichsinnenminister <strong>die</strong><br />

zu <strong>die</strong>sem <strong>Zeit</strong>punkt gültige nationalsozialistische Antwort. Er erklärt seiner studentischen<br />

Zuhörerschaft, dass er – ansonsten Platoniker – hier aus christlicher Überzeugung<br />

gegen <strong>die</strong> Tötung, nicht aber gegen <strong>die</strong> Sterilisierung sei. Das entsprach zu <strong>die</strong>sem<br />

<strong>Zeit</strong>punkt 1933/34 der offiziellen Lesart des <strong>NS</strong>-Regimes.<br />

Nach der Betonung der Notwendigkeit der Sterilisation in einer Fülle von im Einzelnen<br />

aufgeführten Fällen wendet sich <strong>Nohl</strong> nun gegen <strong>die</strong> finanziellen <strong>und</strong> personellen<br />

Kürzungen der sozialen Fürsorge <strong>und</strong> <strong>die</strong> Übertreibung des „Ausmaßes der erblichen<br />

Minderwertigkeit“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 20). Sozusagen als neue Richtlinie<br />

legt sich <strong>Nohl</strong> auf folgende Formulierung fest:<br />

„Ein weiteres muss, wie gesagt, <strong>die</strong> gr<strong>und</strong>sätzliche Umwendung der Fürsorgemethoden<br />

sein, <strong>die</strong> statt der bisher überwiegenden Einzelfürsorge Familienfürsorge treiben<br />

wird <strong>und</strong> statt der wahllosen Unterstützung von allen Familien nur nach dem Maßstab<br />

ihrer Not, <strong>die</strong> erbges<strong>und</strong>en Familien bevorzugen muss.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung,<br />

1933/34, S. 19)<br />

<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> wehrt sich in <strong>die</strong>sen Passagen einerseits gegen alle Kürzungsabsichten,<br />

gesteht aber auf der anderen Seite zu:<br />

„Vielleicht war wirklich ein Teil <strong>die</strong>ser Anstalten, z. B. der Fürsorgeanstalten, allmählich<br />

zu ‚schön‘ geworden. Man wird sie jetzt mehr auf das Land verlegen <strong>und</strong><br />

primitiver einrichten als bisher.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 20)<br />

Im folgenden Teil über <strong>die</strong> positiven Maßnahmen geht es <strong>Nohl</strong> um den Ehrenkodex,<br />

doch <strong>die</strong> Ehe <strong>und</strong> <strong>die</strong> Nachkommenschaft nach den Interessen des Volkes, des Staates,<br />

des „Volkskörpers“ auszurichten:<br />

„Weder Organisation noch Gesetz sichern <strong>die</strong> steile Höhe, auf der <strong>die</strong> Ges<strong>und</strong>heit<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> Kraft <strong>und</strong> <strong>die</strong> vitalsittliche Ges<strong>und</strong>heit eines Volkes stehen, sondern nur das<br />

Gewissen, das dem einzelnen schlägt, damit, um noch einmal Plato zu zitieren, ‚für<br />

jede Ehe als Wahlspruch einzig <strong>die</strong>ser gilt, dass ein jeder gehalten sei, eine dem<br />

Staat segensreiche, nicht eine für seine eigene Lustbegier besonders erwünschte Ehe<br />

einzugehen‘ (‚Gesetze‘ 773).“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 22 f.)


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

Der eigentliche Wahlspruch der <strong>NS</strong>-Propaganda „Du bist nichts, das Volk ist alles“<br />

wird hier von <strong>Nohl</strong> in den Kontext einer Platon-Interpretation gestellt <strong>und</strong> damit akade-<br />

misch geadelt. 94<br />

„Rassenpolitik mit der Front gegen den Osten“ <strong>und</strong> gegen „das weitere Einströmen<br />

nicht bloß der jüdischen, sondern auch der slawischen Volkselemente, <strong>die</strong> den<br />

Prozess der deutschen Rassenbildung stören“<br />

Unmittelbar an <strong>die</strong>se Ausführung anschließend, wendet sich <strong>Nohl</strong> nun gegen das<br />

„weitere Einströmen nicht bloß der jüdischen, sondern auch der slawischen Volksele-<br />

mente“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 25) <strong>und</strong> entwickelt seine Vorstellung von der<br />

Herausbildung eines deutschen Typus im Kontext der Rassenlehre. Gegen <strong>die</strong> „Aufnor-<br />

dung“ als Bevorzugung der Norddeutschen gegen <strong>die</strong> Süddeutschen polemisierend<br />

(wobei <strong>die</strong> Frage aufzuwerfen ist, wer von den <strong>NS</strong>-Rassenideologen überhaupt gegen<br />

Bayern <strong>und</strong> Österreicher vorgegangen sein soll), entwickelt <strong>Nohl</strong> „seinen“ Plan, näm-<br />

lich <strong>die</strong> „Schaffung des nationaldeutschen Typus durch Mischung unserer Stämme <strong>und</strong><br />

Isolierung nach außen“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 25), <strong>die</strong> sich als „Rassenpolitik<br />

mit der Front gegen den Osten“ versteht. Es heißt bei <strong>Nohl</strong>:<br />

„Die letzte Frage in <strong>die</strong>sem Zusammenhang ist <strong>die</strong> nach der Bedeutung der Rassereinheit<br />

für ein Volk <strong>und</strong> nach dem national-deutschen Typus. Hier hat <strong>die</strong> dritte der<br />

Bewegungen eingesetzt, <strong>die</strong> jene Wendung vom einzelnen zum Volkskörper vollzogen<br />

haben, seit Gobineaus ‚Sur l’inégalité des races humaines‘ (1853), Richard Wagners<br />

Schrift ‚Was ist deutsch?‘, Chamberlains ‚Gr<strong>und</strong>lagen des XIX. Jahrh<strong>und</strong>erts‘<br />

(1900) <strong>und</strong> den Büchern von Woltmann, Schemann, Günther, Rosenberg. Gobineau<br />

sieht in der Rasse nicht nur <strong>die</strong> erste, sondern schlechthin <strong>die</strong> einzige lebende Kraft,<br />

<strong>die</strong> alle großen Veränderungen in der Welt hervorgebracht hat. ‚Rasse‘ bedeutet hier<br />

<strong>die</strong> wissenschaftlich nicht weiter auflösbare Eigenart einer Menschengruppe, <strong>und</strong><br />

Gobineau glaubt, <strong>die</strong>se Rassenindividualität würde durch alle <strong>Zeit</strong>en unverändert<br />

dauern, wenn <strong>die</strong> Rasse rein bliebe. Da nun alle Völkerrassen gemischt sind, so ist<br />

der ganze Prozess der Weltgeschichte eigentlich eine fortschreitende Degeneration.<br />

Die Urgestalt steht im Anfang, <strong>und</strong> es kann nur <strong>die</strong> Aufgabe sein, <strong>die</strong>ses reine Gold<br />

aus dem Gemenge immer wieder herauszuwaschen. Dazu kommt dann <strong>die</strong> Überzeugung,<br />

dass von den drei großen Menschenrassen, <strong>die</strong> Gobineau annimmt, der<br />

schwarzen, gelben <strong>und</strong> weißen, nur <strong>die</strong> weiße edle Vorzüge hat <strong>und</strong> in ihr vor allem<br />

der arische Zweig <strong>und</strong> <strong>die</strong> germanische Familie, <strong>und</strong> dass der Aufbau der Kultur in<br />

der Welt allein auf dem Anteil der weißen Rasse beruht, aller Untergang durch De-<br />

94 Jürgen Reyer schreibt in seiner Stu<strong>die</strong> „Eugenik <strong>und</strong> Pädagogik. Erziehungswissenschaft in einer<br />

eugenisierten Gesellschaft“ (Weinheim/München 2003) zu <strong>Nohl</strong>s Vorlesung: „Was <strong>Nohl</strong> im ersten<br />

Abschnitt seiner Vorlesung über ‚nationale Erziehung‘ auf drei<strong>und</strong>zwanzig Schreibmaschinenseiten<br />

niederschrieb, war ein systematisch angelegter Versuch, nicht nur <strong>die</strong> Rassenhygiene mit ihrem theoretischen<br />

Hintergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> praktischen Anwendung in <strong>die</strong> Erziehungstheorie zu integrieren, sondern auch <strong>die</strong><br />

rassenanthropologische Linie einzubauen“ (Reyer, S. 154, siehe auch S. 151 ff.).<br />

55


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

56<br />

generation der weißen Rasse, durch das Überwiegen des minder edlen Blutes über<br />

das edle herbeigeführt wurde. Ist <strong>die</strong> Rassenmischung einmal ganz vollendet, so beginnt<br />

damit <strong>die</strong> Ära der Einheit, Gleichheit <strong>und</strong> allgemeinen Mittelmäßigkeit. – Bei<br />

Chamberlain erscheint <strong>die</strong> Geschichte als der Gegensatz zweier großen Tendenzen,<br />

der universalen <strong>und</strong> der nationalen. Das römische Reich, <strong>die</strong> römische Kirche sind<br />

<strong>die</strong> Repräsentanten des Völkerchaos, <strong>die</strong> Germanen <strong>die</strong> Träger der nationalen Bewegung,<br />

<strong>die</strong> einen <strong>die</strong> Rasselosen, <strong>die</strong> anderen <strong>die</strong> Rassefesten. Rasselosigkeit <strong>und</strong><br />

Charakterlosigkeit ist dasselbe. Rasselose Menschen bleiben gespalten <strong>und</strong> unsicher,<br />

haben keine ges<strong>und</strong>e <strong>und</strong> starke Empfindung. Die Nation als politische Volksgemeinschaft<br />

ist nur <strong>die</strong> schützende Hülle für eine ausgebildete Rasse. Sein Buch ist damals<br />

überall gelesen worden <strong>und</strong> hat gewiss auch auf <strong>die</strong> Führer unserer nationalen Bewegung<br />

stark gewirkt.<br />

Tatsache ist, dass keine der europäischen Nationen eine reine Rasse darstellt, alle<br />

aus Rassenmischung hervorgegangen sind. Sie sind überhaupt keine Naturgewächse,<br />

sondern Produkte der Geschichte. 95 Und hier setzt <strong>die</strong> entscheidende Frage für <strong>die</strong><br />

Gestaltung unseres Volkskörpers ein. Es ist gewiss richtig, wie ich schon im Anfang<br />

sagte, dass uns Deutschen noch der feste, gleichmäßige Rassecharakter fehlt, den<br />

Engländer <strong>und</strong> Franzosen besitzen. Hintze sagt: ‚Weil unsere Nationalität <strong>die</strong>se feste<br />

physische Gr<strong>und</strong>lage noch entbehrt, weil sie nach dem Wort Lagardes nur im Gemüt<br />

<strong>und</strong> nicht auch im Geblüt steckt, ist der Deutsche im Ausland so leicht in Gefahr,<br />

sein Deutschtum zu verlieren, <strong>und</strong> behauptet er es nicht mit der Zähigkeit wie der<br />

Engländer <strong>und</strong> Franzose‘. Wir werden sehen, dass auch unsere Sprache <strong>und</strong> andere<br />

geistige Momente an <strong>die</strong>ser Frage beteiligt sind, aber ein tiefer Gr<strong>und</strong> liegt gewiss in<br />

<strong>die</strong>sem fehlenden biologisch-einheitlichen Rassecharakter. Soll man nun <strong>die</strong>sen national-deutschen<br />

Typus, der uns mangelt, durch ‚Aufnordung‘ schaffen, – das heißt<br />

also durch bewusste bevölkerungspolitische Bevorzugung der nordischen Bestandteile<br />

in unserem Volk, ganz gleich, wie man sich das vorstellt – oder durch eine zunehmende<br />

Ausgleichung der in unserem Volke vorhandenen Rassen? In dem einen Fall<br />

steht der Typus am Anfang <strong>und</strong> muss wieder aus dem Gemenge rein herausgearbeitet<br />

werden; im andern Fall liegt er in der Zukunft, ist <strong>die</strong> deutsche Rasse überhaupt erst<br />

in der Bildung begriffen <strong>und</strong> wird fertig sein, wenn <strong>die</strong> deutschen Stämme, Bayern<br />

<strong>und</strong> Preußen, Schwaben <strong>und</strong> Sachsen sich zum nationaldeutschen amalgamiert haben.<br />

Unsere Kleinstaaterei, zum Teil gerade auf <strong>die</strong>sen Stammesgegensätzen beruhend,<br />

hat doch auch <strong>die</strong>sen Ausgleich gehindert. Die Schaffung des einen deutschen<br />

Volkes durch unsere nationale Revolution, <strong>die</strong>se geniale Sprengung uralter Grenzen,<br />

nicht bloß der Stammes- <strong>und</strong> Ländergrenzen, sondern auch <strong>die</strong> Herstellung eines<br />

einheitlichen deutschen Volksgefühls <strong>und</strong> -willens eröffnet auch ganz neue Möglichkeiten<br />

für unsere physische Einheit. Das Komplement solchen inneren Ausgleiches<br />

wäre eine Rassenpolitik mit der Front gegen den Osten, <strong>die</strong> das weitere Einströmen<br />

95 <strong>Nohl</strong> nennt in der Fußnote als Quelle Otto Hintze: „Rasse <strong>und</strong> Nationalität in ihrer Bedeutung für <strong>die</strong><br />

Geschichte“ (Deutsche Bücherei 100). Diese Schrift konnte nicht nachgewiesen werden. Otto Hinze<br />

gehört zu den bekannten deutschnationalen Historikern des Kaiserreiches <strong>und</strong> der Weimarer Republik.<br />

Seine jüdische Frau floh 1939 in <strong>die</strong> Niederlande. Otto Hintze starb 1940 in Deutschland (vgl. Jütte,<br />

Robert/Hirschfeld, Gerhard (Hrsg.): „Verzage nicht <strong>und</strong> lass nicht ab zu kämpfen…“. Die Korrespondenz<br />

1925–1940. Otto Hintze <strong>und</strong> Hedwig Hintze, Essen 2004). Nach seinem Tod erschienen noch folgende<br />

Schriften in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong>: Staat <strong>und</strong> Verfassung. Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Verfassungsgeschichte,<br />

Band I: Staat <strong>und</strong> Verfassung, Leipzig 1941; Band II: Zur Theorie der Geschichte,<br />

Leipzig 1942.


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

nicht bloß der jüdischen, sondern auch der slawischen Volkselemente, <strong>die</strong> den Prozess<br />

der deutschen Rassenbildung stören <strong>und</strong> <strong>die</strong> Festigkeit unserer Nationalität<br />

lockern, verhindert.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 23 ff., Hervorhebungen im Original)<br />

Wer genau mitliest, spürt bei der Schilderung der Auffassungen <strong>die</strong>ser rassistischen<br />

Theoretiker gleichzeitig eine gewisse andere Akzentsetzung. <strong>Nohl</strong> favorisiert, wie im<br />

letzten Satz des Zitates deutlich wird, nicht <strong>die</strong> innerdeutsche „Aufnordung“ einer von<br />

anderen Rassisten angenommenen angeblich schon existierenden „deutschen Rasse“,<br />

sondern favorisiert den „Prozess der deutschen Rassenbildung“, den <strong>die</strong> Juden stören.<br />

Der Jude stört <strong>die</strong> deutsche Rassenbildung – das ist <strong>die</strong> Pointe des Antisemiten <strong>und</strong><br />

Rassisten <strong>Nohl</strong> 1933/34. Er misstraut offensichtlich – ähnlich wie Ernst Krieck – einer<br />

rein biologischen Sichtweise der Rassentheorie im Kontext der Geschichte. Denn dann<br />

wäre ja für Pädagogen nichts mehr zu tun. Für <strong>die</strong> studentische Zuhörerschaft <strong>die</strong>ser<br />

Vorlesung wird sichtbar, dass <strong>Nohl</strong> – an Ernst Krieck angelehnt – eigene Akzente setzt,<br />

ohne <strong>die</strong> Rassentheorie überhaupt oder im Kern abzulehnen – im Gegenteil präsentiert<br />

er sich als der bessere Rassist. 96<br />

Auf den folgenden Seiten lässt sich <strong>Nohl</strong> über <strong>die</strong> Population <strong>und</strong> den Bevölkerungsrückgang<br />

in Deutschland mit Zahlen <strong>und</strong> Statistiken aus, wobei er warnend betont, „<strong>die</strong><br />

Fruchtbarkeit der slawischen Frauen“ sei „r<strong>und</strong> doppelt so groß wie <strong>die</strong> der deutschen<br />

Frauen“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 28) – ein Gedanke, den <strong>Nohl</strong> ja schon vor 1933<br />

in seinen Aufsätzen zur „Osthilfe“ sehr deutlich herausgearbeitet hatte.<br />

Der erste Abschnitt des ersten Kapitels endet mit Hinweis auf <strong>die</strong> Unterstützung kinderreicher<br />

Familien durch den <strong>NS</strong>-Innenminister Fricke, alles mit dem Ziel „<strong>die</strong> Familie als<br />

<strong>die</strong> biologische Zelle des Volkes mehr als bisher in den Mittelpunkt der Nationalpädagogik<br />

<strong>und</strong> Nationalpolitik“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 29) zu rücken.<br />

Zum zweiten Kapitel „Stadt <strong>und</strong> Land“:„Deutsche Waldfreiheit“, „<strong>die</strong> Wurzel<br />

unserer mystischen Kraft“ <strong>und</strong> „der Intellektualismus der Städter“<br />

<strong>Nohl</strong> behandelt nun eine Frage, <strong>die</strong> ihn schon in der <strong>Zeit</strong> der Weimarer Republik<br />

beschäftigt hat <strong>und</strong> in einer ausgearbeiteten Tradition deutsch-reaktionärer Ablehnung<br />

96 „Der <strong>Nohl</strong> von 1933/34 <strong>und</strong> 1935/36 offenbart sich in seiner Vorlesung als Rassist <strong>und</strong> Antisemit.“<br />

(Brumlik, Micha: „Dieses Problem, von dem wir bis zuletzt nichts geahnt hatten.“ <strong>Nohl</strong>, Spranger, der<br />

Antisemitismus <strong>und</strong> <strong>die</strong> Frauen, in: Sozialwissenschaftliche Literatur-R<strong>und</strong>schau (SLR). Sozialarbeit,<br />

Sozialpädagogik, Sozialpolitik, soziale Probleme, 28. Jg. (2005), Heft 50, S. 10).<br />

57


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

der Industriegesellschaft <strong>und</strong> der „Verstädterung“ steht, auf <strong>die</strong> schon Heinz-Joachim<br />

Heydorn in seiner Schrift „Über den Widerspruch von Bildung <strong>und</strong> Herrschaft“ (vor<br />

allem im Abschnitt „Industrielle Revolution: Fluchtversuche) eingegangen ist. 97 Einlei-<br />

tend heißt es in <strong>die</strong>sem zweiten Kapitel, sich auf den Reichskanzler Adolf Hitler<br />

stützend:<br />

58<br />

„Die biologische Krise eines Volkes ist immer schon zusammengebracht worden, vor<br />

allem seit Rousseau <strong>und</strong> der großen physiokratischen Bewegung des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts,<br />

mit seiner Verstädterung. 98 In der Gegenwart tritt <strong>die</strong> Verbindung beider in<br />

der bekannten Formel von ‚Blut <strong>und</strong> Boden‘ auf. Unter den Maßnahmen zur Steigerung<br />

des Nachwuchses erscheint überall <strong>die</strong> Forderung einer neuen Berücksichtigung<br />

des Landes. So in der mehrfach genannten Ansprache Fricks, so in der programmatischen<br />

Erklärung des Reichskanzlers vom 10. Februar 1933: ‚Volk <strong>und</strong> Erde<br />

sind <strong>die</strong> Wurzeln unserer Kraft. Das Ziel unseres Kampfes: Die Erhaltung <strong>die</strong>ses<br />

Volkes, <strong>die</strong>ses Bodens.‘ ‚Blut <strong>und</strong> Boden‘ ist der Titel einer bekannten <strong>Zeit</strong>schrift. Am<br />

wirksamsten sind <strong>die</strong> Bücher des Reichsministers Darré geworden, schon wegen<br />

seiner politischen Stellung: ‚Das Bauerntum als Lebensquell der nordischen Rasse‘<br />

2. Auflage 1933. ‚Neuadel aus Blut <strong>und</strong> Boden‘ 1933. Dann das Buch von Böhmer<br />

‚Das Erbe der Enterbten‘ 2. Auflage 1933.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 32)<br />

So wie bereits Platon zur Begründung der Eugenik herangezogen wurde, bemüht sich<br />

nun <strong>Nohl</strong> hier, Rousseau zum Vater der „Blut <strong>und</strong> Boden“-Mystik zu krönen. Auch<br />

ohne hier im Einzelnen <strong>die</strong> reduktionistische <strong>und</strong> Rousseau unterstellte Parole „Zurück<br />

zur Natur“ (in Wirklichkeit geht es Rousseau um <strong>die</strong> „Natur des Menschen“, im Sinne<br />

des eigentlichen Wesens der Menschen angesichts von Degenerierung durch Eigen-<br />

tumszivilisation) genauer zu behandeln, wird deutlich, dass <strong>Nohl</strong> den Reichskanzler<br />

Hitler <strong>und</strong> das „Blut <strong>und</strong> Boden“-Gerede mit Hinweis auf Rousseau akademisch adelt<br />

<strong>und</strong> für seine studentische Zuhörerschaft annehmbar aufbereitet.<br />

Nachdem <strong>Nohl</strong> nun Zahlenmaterial über Stadt <strong>und</strong> Land vorträgt, folgert er ernsthaft:<br />

„Das heißt aber für Deutschland, das Gleichgewicht von Landwirtschaft <strong>und</strong> Industriewirtschaft,<br />

das durch <strong>die</strong> Entwicklung der letzten 50 Jahre zerstört war, wieder in<br />

Ordnung zu bringen <strong>und</strong> sich zu reagrarisieren.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 34)<br />

Daneben warnt er vor der Landflucht gerade in den Grenzgebieten im Osten:<br />

„Was das nationalpolitisch bedeutet, ist klar, denn ein menschenarmes Land neben<br />

einem stark wachsenden muss <strong>die</strong> Instinkte des Nachbarn reizen, <strong>und</strong> es ist fast un-<br />

97 Heydorn, Heinz-Joachim: Über den Widerspruch von Bildung <strong>und</strong> Herrschaft (Bildungstheoretische<br />

Schriften, Band 2), Frankfurt am Main 1979, S. 218 ff.<br />

98 <strong>Nohl</strong> nennt hier in einer Fußnote folgende Quelle: Eichler, Arthur: Die Landbewegung des 18.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>und</strong> ihre Pädagogik, Langensalza/Berlin/Leipzig 1933.


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

möglich, ein Recht auf einen Boden zu behaupten, wenn <strong>die</strong> Menschen ihn verlassen.“<br />

(<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 35)<br />

Neben seinen Forderungen, das Leben auf dem Lande zu verbessern, um der Landflucht<br />

entgegenzuarbeiten, geht es <strong>Nohl</strong> im Folgenden vor allem um <strong>die</strong> „seelische <strong>und</strong><br />

sittliche“ Bedeutung:<br />

„Die geistige Bedeutung ist seit Rousseau <strong>und</strong> Pestalozzi immer gesehen worden,<br />

am schönsten vielleicht von Friedrich Paulsen in seinem Aufsatz: Das Dorf als Bildungsstätte.<br />

Das Kind erfährt hier <strong>die</strong> ewigen Elemente des Lebens, sowohl seinen<br />

Inhalten wie seiner Technik nach. Es erfährt sie nicht abstrakt aus dem Buch, sondern<br />

konkret im lebendigen Ablauf des Jahres <strong>und</strong> seiner Arbeit, nicht nach der Willkür<br />

des Schulmeisters, sondern aus der Notwendigkeit der Natur mit Sonne <strong>und</strong> Regen,<br />

Sommer <strong>und</strong> Winter, Säen <strong>und</strong> Ernten, <strong>und</strong> nicht als Belieben der Menschen wie<br />

in allem Zivilisatorischen in der Stadt, sondern als organisches Wachsen <strong>und</strong> Vergehen:<br />

wie Pflanze <strong>und</strong> Tier, so auch der Mensch, schicksalgeb<strong>und</strong>en an seinen Boden,<br />

an den Hof <strong>und</strong> sein Gesetz. Der rasche Intellektualismus der Städter verstummt hier<br />

vor einer tieferen Wirklichkeit, <strong>die</strong> einfacher, aber dauernder ist, einen längeren<br />

Lebensatem hat <strong>und</strong> redlicher ist. Der eigentliche Kern <strong>die</strong>ser Lebenshaltung ist aber<br />

das, was ich den ‚Idealismus des Landes‘ nenne.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34,<br />

S. 38 f., Hervorhebung im Original)<br />

In <strong>die</strong>ser Passage – nun auch Pestalozzi bemühend – wird <strong>die</strong> romantisierende Seite<br />

rassistischer, biologistischer <strong>und</strong> eben auch „naturverb<strong>und</strong>ener“ Argumentationsfiguren<br />

deutlich, <strong>die</strong> vor <strong>und</strong> nach der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> ebenfalls in Blüte standen <strong>und</strong> stehen. Dieser<br />

„Idealismus des Landes“ lappt ins Mystische, oft auch Religiöse; jedenfalls hat der<br />

Intellekt zu verstummen, das „Überwältigende“, ja „Erhabene“ der Natur lehrt in <strong>die</strong>ser<br />

Argumentationsfigur, sich „schicksalgeb<strong>und</strong>en“ in das Organische hineinzubegeben,<br />

sich an „Blut <strong>und</strong> Boden“ zu binden.<br />

<strong>Nohl</strong> – eben noch der Reagrarisierung <strong>und</strong> Naturbegeisterung verhaftet – warnt dann<br />

auch vor der Enge des bäuerlichen <strong>und</strong> ländlichen Lebens. Aber hier ist laut <strong>Nohl</strong> ja nun<br />

seit 1933 Abhilfe geschaffen. <strong>Nohl</strong> schreibt über <strong>die</strong> Abstinenz der bäuerlichen Jugend<br />

gegenüber der Wandervogelbewegung:<br />

„Man muss sich <strong>die</strong> Polarität <strong>die</strong>ses Zuges zu dem landwirtschaftlichen deutlich<br />

machen, um <strong>die</strong> Spannung zu sehen, <strong>die</strong> in der Geistigkeit der deutschen Bewegung<br />

an <strong>die</strong>ser Stelle enthalten ist. Die bäuerliche Jugend nahm an <strong>die</strong>ser Jugendbewegung<br />

nicht teil, sie wird erst heute von der Hitler-Jugend erfasst, <strong>die</strong> an ganz anderer<br />

Stelle angreift <strong>und</strong> <strong>die</strong> Landbevölkerung zu jenem Enthusiasmus für das Ganze erzieht,<br />

der ihr von Haus aus schwerfällt.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 41, Hervorhebung<br />

im Original)<br />

59


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

Von der als positiv eingeschätzten Rolle der Hitlerjugend geht <strong>Nohl</strong> nun zur Darstellung<br />

des „deutschen Waldes“ über. Der deutsche Wald, das ist für ihn deutsche Freiheit, <strong>die</strong><br />

„deutsche Waldfreiheit“:<br />

60<br />

„Denn aus <strong>die</strong>ser deutschen Waldfreiheit, <strong>die</strong> so fremdartig aus unseren übrigen<br />

modernen Zuständen heraussieht, strömt ein tiefer Einfluss auf Sitte <strong>und</strong> Charakter<br />

aller Volksschichten. Kein Park oder Gartenanlage kann das ersetzen. Der Wald ist<br />

das großartigste Schutzgehege unserer eigensten volkstümlichen Gesittung, er ist uns<br />

heilig, weil er nicht gemacht ist, sondern gewachsen <strong>und</strong> weil er mehr gilt durch das,<br />

was er ist, als das, was er einträgt. Wir werden stumm in ihm, <strong>und</strong> <strong>die</strong> religiösen<br />

Kräfte erwachsen.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 43)<br />

Der Wald ist, so <strong>Nohl</strong>, „<strong>die</strong> Wurzel unserer mystischen Kraft, ohne <strong>die</strong> sich das Leben<br />

nicht lohnt“. (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 44) So endet <strong>die</strong>ses Kapitel <strong>und</strong> <strong>Nohl</strong><br />

wendet sich im dritten Kapitel des Teils I der Familie zu.<br />

Zum dritten Kapitel „Die Familie“: „Autorität, Zucht <strong>und</strong> Gehorsam“ <strong>und</strong> „wo es<br />

kein richtiges Hausregiment gibt, gibt es auf <strong>die</strong> Dauer keinen ges<strong>und</strong>en Staat“<br />

Nachdem <strong>Nohl</strong> bisher Platon zur Eugenik bemüht hat, nimmt er nun beim Thema<br />

Familie eine kritische Haltung zu Platon ein <strong>und</strong> greift in einem Atemzug <strong>die</strong> „humanistische<br />

Bildung“ überhaupt an. Es heißt zu Beginn <strong>die</strong>ses Kapitels:<br />

„Auch <strong>die</strong> Familie hat in unserer humanistischen Bildung nur eine geringe Rolle<br />

gespielt. Auch das war ein Erbstück aus der griechischen Antike, insbesondere von<br />

Plato, weniger aus der römischen Welt. In <strong>die</strong>ser humanistischen Bildung besteht<br />

kein Lebenszusammenhang zwischen der idealen Welt von Kunst <strong>und</strong> Wissenschaft<br />

<strong>und</strong> der Arbeitswelt des Hauses <strong>und</strong> den Sorgen der Familie.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung,<br />

1933/34, S. 44)<br />

Neben der humanistischen Bildung <strong>und</strong> Platon werden aktuelle geistige Bewegungen als<br />

Hemmnis für den Familiengeist angesehen:<br />

„Aber <strong>die</strong> geistigen Bewegungen, <strong>die</strong> dann einsetzten, <strong>die</strong> sozialistische, <strong>die</strong> Frauenbewegung,<br />

<strong>die</strong> Jugendbewegung, standen ihr wieder negativ gegenüber, weil sie <strong>die</strong><br />

Stellung der Frau <strong>und</strong> der Jugend verändern wollten <strong>und</strong> das zunächst nur auf Kosten<br />

der Familie erreichen konnten. Die Emanzipation der Frau musste ihren Blick<br />

<strong>und</strong> ihre Sehnsucht ebenso von der Familie weg richten wie <strong>die</strong> Emanzipation der<br />

Jugend (…).“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 45 f.)<br />

Dagegen führt <strong>Nohl</strong> nicht nur Pestalozzi <strong>und</strong> Fröbel ins Feld, sondern auch den <strong>NS</strong>-<br />

Frauenb<strong>und</strong>:<br />

„Die maßgebende Äußerung über das neue Frauenideal <strong>und</strong> <strong>die</strong> Stellung der Frau<br />

im öffentlichen Leben ist <strong>die</strong> Schrift der Referentin für Frauenfragen im Reichsministerium<br />

des Innern Paula Siber von Grote, ‚Die Frauenfrage <strong>und</strong> ihre Lösung durch


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

den Nationalsozialismus‘, Wolfenbüttel-Berlin 1933.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34,<br />

S. 48) 99<br />

<strong>Nohl</strong> wendet sich gegen Frauenverachtung in der Männerschaft mit folgenden – im<br />

Kern gerade für <strong>die</strong> Frauen beleidigenden – Argumenten:<br />

„Sie ist <strong>die</strong> Trägerin der Sitte – Männer allein verwildern sehr schnell – sie bewahrt<br />

<strong>die</strong> äußere <strong>und</strong> innere Sauberkeit des Hauses – Männer haben merkwürdig geringen<br />

Sinn für Schmutz – sie hütet aber auch das Gemütsleben des Hauses. Nur <strong>die</strong> Festsitte<br />

bleibt erhalten, bei der <strong>die</strong> Frau mittun kann. Wo bliebe selbst Weihnachten ohne<br />

<strong>die</strong> Mütter (…).“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 51, Hervorhebung im Original)<br />

<strong>Nohl</strong> beschließt das Kapitel mit einigen zentralen Passagen über <strong>die</strong> Familie als Hort<br />

von Autorität, Zucht <strong>und</strong> Gehorsam:<br />

„Wir wissen heute wieder, dass <strong>die</strong> Einheit eines nationalen Willens <strong>und</strong> <strong>die</strong> Möglichkeit<br />

einer echten Führung nur da vorhanden sind, wo es Autorität, Zucht <strong>und</strong><br />

Gehorsam gibt, machen uns aber selten klar, dass alle politische Autorität abstrakt,<br />

künstlich <strong>und</strong> zufällig bleibt, wenn sie nicht in der Tatsache der natürlichen Autorität,<br />

wie sie in den Bezügen des häuslichen Lebens enthalten ist, einen Wurzelgr<strong>und</strong><br />

hat. Das Verhältnis ist hier dasselbe wie vorhin in dem von abstrakter Idealität zu<br />

der mütterlichen Gemütswelt: so hier von der politischen Autorität zu der väterlichen<br />

Zucht. Wo es kein richtiges Hausregiment gibt, gibt es auf <strong>die</strong> Dauer keinen ges<strong>und</strong>en<br />

Staat, wo das Kind nicht einen Fond von kindlicher Pietät <strong>und</strong> Gehorsamserfahrung<br />

bekommen hat <strong>und</strong> den Gehalt <strong>die</strong>ser Erfahrung bejahen kann, kennt es auch<br />

später keine soziale Festigkeit, keinen herrschaftlichen Willen <strong>und</strong> keine freie Unterordnung.<br />

Ein festes Haus verlangt, dass jeder einzelne Stein eine feste Form hat. Der<br />

positive Sinn <strong>die</strong>ser Gehorsamserfahrung des Kindes im Haus des Vaters ist, dass es<br />

das Glück eines festen Willens <strong>und</strong> eines durch solchen Willen geformten Lebens<br />

gespürt hat.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 53 f.)<br />

Also <strong>die</strong> „Gehorsamserfahrung“ in der Familie als Basis des „nationalen Willens“<br />

gipfelt in der Schlussfolgerung: „Wo es kein richtiges Hausregiment gibt, gibt es auf <strong>die</strong><br />

Dauer keinen ges<strong>und</strong>en Staat“. Die Familie als „Hausregiment“ – <strong>die</strong>se <strong>Nohl</strong>’sche Idylle<br />

weist als Problem <strong>die</strong> Arbeiterfamilie auf:<br />

„In <strong>die</strong>ser Fabrikarbeit gibt es keine Würde des Altwerdens, keine Möglichkeit des<br />

Mannwerdens im eigensten Sinne durch verantwortungsvolle Arbeit, <strong>die</strong> Erfahrung<br />

<strong>und</strong> gesteigerten Willen fordert. Die kann der Fabrikarbeiter heute nur außerhalb<br />

der Arbeit finden in seiner politischen Tätigkeit, in seinem Schrebergarten, früher<br />

99 Siber, Paula: Die Frauenfrage <strong>und</strong> ihre Lösung durch den Nationalsozialismus, Wolfenbüttel/Berlin<br />

1933. Paula Siber, <strong>die</strong> einleitend „<strong>die</strong> weltgeschichtliche Tat der Übernahme des deutschen Reichskanzleramts<br />

durch Adolf Hitler“ (Siber, S. 5) begeistert begrüßt <strong>und</strong> feststellt: „im Schoß der Frau ruht <strong>die</strong><br />

Zukunft eines Volkes“ (Siber, S. 10), beklagt dann <strong>die</strong> seelische „Verkümmerung der von ihrer Wesensbedingtheit<br />

losgelösten <strong>und</strong> wurzellos gewordenen Frau (…), <strong>die</strong> unter der Herrschaft des demokratischen<br />

Gedankens zu einem Großteil der jüdischen Lehre von der Geschlechtergleichheit <strong>und</strong> Geschlechterfreiheit<br />

als Ausgleich für den Verlust der Familie verfiel“ (Siber, S. 8). Die Tonart ist klar, auch hier gilt <strong>die</strong><br />

<strong>NS</strong>-Parole „Der Jud ist schuld“.<br />

61


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

62<br />

beim Militär, jetzt im SA-Dienst – <strong>und</strong> eben in seiner Familie.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung,<br />

1933/34, S. 56)<br />

Die Lage in der Fabrik bleibt wie sie ist, der SA-Dienst, der Schrebergarten <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />

Familie sind das <strong>Nohl</strong>’sche Gegengewicht. Und mit vollem Ernst fügt <strong>Nohl</strong> hinzu:<br />

„Wie kann man in dem vierten Stock eines Hauses in der Großstadtstraße mit dem<br />

Blick auf den Hinterhof wirklich zu Hause sein?“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 57)<br />

<strong>Nohl</strong> fordert im Zuge der Reagrarisierung das „Bauernhaus“ als wirkliches Zuhause <strong>und</strong><br />

als Lebens favorisiert er den Osten als „Raum ohne Volk“.<br />

Zum zweiten Abschnitt der Vorlesung „Die Volksgeistigkeit“<br />

Zum vierten <strong>und</strong> fünften Kapitel „Die Sprache“ <strong>und</strong> „Die Heimat“:<br />

Die „germanische Kraft des Wanderns“ <strong>und</strong> „Mussolini“<br />

Die Stärkung des deutschen Volkes durch Vermehrung <strong>und</strong> Reagrarisierung im Osten<br />

soll im Sinne von <strong>Nohl</strong>s nationalpädagogischem Bezug vor allem durch <strong>die</strong> Sprache<br />

gesichert <strong>und</strong> vertieft werden. In <strong>die</strong>sem vierten Kapitel definiert <strong>Nohl</strong>, an Fichte<br />

angelehnt, das Volk als „sprachverb<strong>und</strong>ene Menschen“ <strong>und</strong> betont erneut, dass in<br />

Deutschland mehrere Rassen existieren <strong>und</strong> dass eine Definition des Volkes <strong>und</strong> der<br />

Nation, <strong>die</strong> sich allein auf einem Rassenbegriff stützt, ja bedeuten würde, <strong>die</strong> geschicht-<br />

liche Zukunft des deutschen Volkes auf der Rassengemeinschaft mit anderen Völkern,<br />

Engländern, Schweden usw. aufzubauen. Diese Akzentuierung richtet sich gegen<br />

ausschließlich biologische Definitionen <strong>und</strong> favorisiert den ideellen Faktor, in <strong>die</strong>sem<br />

Kapitel eben <strong>die</strong> Sprache, damit der „nationaldeutsche Typus“ in der Zukunft wirklich<br />

geschaffen werden könne. <strong>Nohl</strong> schreibt:<br />

„Heute ist man auf den ersten Blick geneigt, <strong>die</strong> Blutsgemeinschaft oder vielmehr <strong>die</strong><br />

Rassengleichheit als das Wesentliche anzusehen. Aber wir sahen: unser Volk enthält<br />

viele Rassen, <strong>und</strong> der nationaldeutsche Typus liegt eigentlich noch in der Zukunft.<br />

Umgekehrt finden sich gleiche Rassen in ganz verschiedenen Völkern, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Hoffnung,<br />

<strong>die</strong> geschichtliche Zukunft unseres Volkes auf der Rassengemeinschaft mit<br />

anderen Völkern, Engländern, Schweden usw. aufzubauen, ist eine Utopie.“ (<strong>Nohl</strong>:<br />

Vorlesung, 1933/34, S. 59)<br />

Weiter wird durch <strong>die</strong> von <strong>Nohl</strong> wiederholt angeführten Auslandsdeutschen in seiner<br />

Argumentation klar, dass das deutsche Volk für ihn mehr ist als <strong>die</strong> Anzahl der in den<br />

damaligen Staatsgrenzen lebenden Menschen, dass „Volk nicht gleich Staat“ ist (<strong>Nohl</strong>:<br />

Vorlesung, 1933/34, S. 61). Hierbei beruft sich <strong>Nohl</strong> auf Tönnies’ soziologisch moti-


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

vierte Unterscheidung von „Wesenwille <strong>und</strong> Kürwille“ <strong>und</strong> „Wesensgemeinschaft <strong>und</strong><br />

Willensgemeinschaft“.<br />

An <strong>die</strong>ser Stelle muss kurz innegehalten werden, denn eine der gr<strong>und</strong>legenden Methoden<br />

<strong>Nohl</strong>s, <strong>die</strong> eine Auseinandersetzung mit ihm massiv erschwert, wird an <strong>die</strong>ser Stelle<br />

deutlich: <strong>Nohl</strong> gibt grobe Hinweise in Hülle <strong>und</strong> Fülle, <strong>die</strong> eigentlich genau auf den<br />

Prüfstand gestellt werden müssten. Die Unterscheidung von Gemeinschaft <strong>und</strong> Gesellschaft<br />

ist <strong>die</strong> eigentliche Pointe bei Tönnies, <strong>die</strong> <strong>Nohl</strong> allerdings überspringt, wobei<br />

seine Darstellung nicht direkt falsch ist. Indem aus dem „Gesellschaftsvertrag“ bei <strong>Nohl</strong><br />

unter der Hand <strong>die</strong> „Willensgemeinschaft“ herauswächst, entfernt er sich nämlich schon<br />

wieder von Tönnies, den er kurz <strong>und</strong> eklektisch gestreift hat, <strong>und</strong> ist bei Schmidt-Rohr,<br />

der von ihm zustimmend über <strong>die</strong> Sprachgemeinschaft zitiert wird:<br />

„Sprachgemeinschaft ist nicht schon unter allen Umständen bewusste Willensgemeinschaft.<br />

Aber sie ist trotzdem im Stillen Weg- <strong>und</strong> Wesensgemeinschaft, Willensgemeinschaft<br />

im Sinn eines volkstümlichen Ethos. Sie ist da trotz Hochverrat <strong>und</strong><br />

Schurkerei. Sie ist da, ohne dass wir uns dagegen wehren können, weil sie uns formt,<br />

ohne dass wir es merken. Sie umfängt uns als Schicksalsmacht, deren Wirkung wir<br />

ebenso wenig abwaschen können, wie der Mohr <strong>die</strong> Schwärze seiner Haut.“ (<strong>Nohl</strong>:<br />

Vorlesung, 1933/34, S. 61 f.)<br />

Aus <strong>die</strong>ser Einschätzung der Rolle des Nichtbewussten für <strong>die</strong> Willensgemeinschaft<br />

folgert <strong>Nohl</strong>, an Lagarde <strong>und</strong> <strong>die</strong> deutsche Romantik anknüpfend, <strong>die</strong> Erziehung zur<br />

deutschen Sprache als wesentliche Gr<strong>und</strong>form der Erziehung. Denn ein „deutsches<br />

Herz“, so <strong>Nohl</strong>, kann ja nicht vererbt werden, es muss unbewusst <strong>und</strong> bewusst erzogen<br />

werden (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 62).<br />

„Der nationale Pädagoge, der heute unser Volk gestalten will, wird ein offenes Verständnis<br />

für <strong>die</strong> Spannung haben müssen, <strong>die</strong> hier besteht. Sein Aufbau der Nation<br />

wird nur gelingen, wenn er <strong>die</strong> volle Einsicht in <strong>die</strong>se unbewusste Wesensgemeinschaft<br />

eines Volkes, ihre Kräfte <strong>und</strong> Bindungen besitzt, <strong>die</strong> überall <strong>die</strong> Voraussetzung<br />

der bewussten Organisation sind <strong>und</strong> deren wichtigste eben <strong>die</strong> gemeinsame Sprache<br />

ist.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 62)<br />

So betont er <strong>die</strong> Muttersprache, <strong>die</strong> Familie <strong>und</strong> eben <strong>die</strong> Mutter als Träger <strong>die</strong>ses für<br />

ihn entscheidenden Faktors für <strong>die</strong> Erziehung von Kindern im Alter bis zu vier Jahren.<br />

Daraus folgert <strong>Nohl</strong> <strong>die</strong> entscheidende Bedeutung der Kindergärten <strong>und</strong> der frühkindlichen<br />

Erziehung zum Deutschtum durch <strong>die</strong> Sprache. Um <strong>die</strong>sen Gedanken zu verdeutlichen,<br />

greift <strong>Nohl</strong> noch einmal zu einem Zitat von Schmidt-Rohr:<br />

„Schmidt-Rohr formuliert: ‚Die entscheidenden Siege der Weltgeschichte werden in<br />

den Ehebetten <strong>und</strong> auf den Kinderspielplätzen errungen. Das Ehebett entscheidet<br />

63


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

64<br />

darüber, ob <strong>die</strong> Körperzellen des Volksganzen auf natürlichem Wege ersetzt <strong>und</strong><br />

vermehrt werden. Der Kinderspielplatz entscheidet, ob sie auf nachgeburtlichem<br />

Wege vermehrt oder vermindert werden, indem eine Sprache sich als stärker erweist<br />

als <strong>die</strong> andere <strong>und</strong> aus dem ursprünglichen Bereich fremde Volkstumszellen zu sich<br />

herüberziehen. Das Menschtier an sich ist neutral, kann als Körperzelle zu verschiedenem<br />

Volkstum gehören.‘ “ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 64) 100<br />

<strong>Nohl</strong> vermeidet trotz anderer Aktentsetzung <strong>die</strong> direkte Konfrontation mit rein rassen-<br />

biologischen Ansätzen <strong>und</strong> formuliert wieder <strong>die</strong> Gegensätze ausgleichend <strong>und</strong> synthe-<br />

tisierend: „Die Spracheinheit vollendet erst <strong>die</strong> biologische Rassenmischung zu dem<br />

nationaldeutschen Typus, den wir suchen.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 65)<br />

Nachdem <strong>Nohl</strong> einige Ausführungen über das unterschiedliche Anwachsen der Spra-<br />

chen in Europa dargestellt <strong>und</strong> das Verhältnis der M<strong>und</strong>arten zur deutschen Hochspra-<br />

che <strong>und</strong> der Rolle der Bibelübersetzung Luthers dabei referiert hat, mahnt er dennoch<br />

den Gebrauch der Volkssprache an <strong>und</strong> warnt vor dem Fremdwort. <strong>Nohl</strong> betätigt sich<br />

hier als „Warner“, als „Mahner“:<br />

„Es ist eine Lebensfrage unserer Bildung, dass sie mit ihrer Sprache in Dichtung,<br />

Wissenschaft <strong>und</strong> Predigt den Zusammenhang mit der Volkssprache nicht verliert,<br />

nicht bloß, weil sie sonst vom Volk nicht mehr verstanden wird <strong>und</strong> sich damit von<br />

ihm trennt, sondern weil sie auch selbst durch solche Abspaltung abstrakt wird. Das<br />

Blut kreist dann nicht mehr im geistigen Volkskörper. Das Überwuchern des<br />

Fremdwortes ist da nur <strong>die</strong> äußerste Zuspitzung.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 71,<br />

Hervorhebung im Original)<br />

So endet das vierte Kapitel im Trivialen, im deutschtümlerischen Jargon des Beginns<br />

des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. 101<br />

Im fünften Kapitel über <strong>die</strong> Heimat, dem vielleicht schwächsten der ganzen Vorlesung,<br />

erfährt man im Gr<strong>und</strong>e nichts, was an Theorie oder Geisteswissenschaft anknüpft.<br />

Auffallend in <strong>die</strong>sem Loblied auf <strong>die</strong> Heimat sind lediglich zwei Punkte.<br />

Behauptet wird eine „germanische Kraft des Wanderns“:<br />

100 <strong>Nohl</strong> nennt hier keine Quelle. Es handelt sich um: Schmidt-Rohr, Georg: Unsere Muttersprache als<br />

Waffe <strong>und</strong> Werkzeug des deutschen Gedankens (Tat-Flugschriften, Band 20), Jena 1917 <strong>und</strong> Schmidt-<br />

Rohr, Georg: Mutter Sprache. Vom Amt der Sprache bei der Volkswerdung (Schriften der Deutschen<br />

Akademie, Band 12), 2. Auflage, Jena 1933.<br />

101 Clemens Knobloch hat einen forschungsorientierten Überblick („Die deutsche Sprachwissenschaft im<br />

Nationalsozialismus“, in: Kritische Ausgabe. <strong>Zeit</strong>schrift für Germanistik <strong>und</strong> Literatur, Jg. 2004, Heft 2,<br />

S. 42–47) vorgestellt. Auch in seinem Vortrag „Sprache als Gewalt“, als Manuskript veröffentlicht von der<br />

Ludwig Maximilian-Universität München <strong>und</strong> dem Goethe-Institut (http://www.goethe.de/mmo/priv/<br />

1510982-standard.pdf, eingesehen am 11.12.06) beschreibt er <strong>die</strong> seit 1917 existierenden Anstrengungen<br />

von Schmidt-Rohr, eine mystische Bedeutung der deutschen Sprache im Kontext der diversen Sprachkampagnen<br />

seit Arndt <strong>und</strong> Fichte zu verankern.


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

„Ich sage ausdrücklich germanische Kraft des Wanderns, denn sie ist bestimmend<br />

gewesen für unsere Geschichte seit der Völkerwanderung <strong>und</strong> den Wikingerfahrten<br />

bis zu den Kreuzzügen <strong>und</strong> den Italienfahrten.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 77)<br />

Hier wird sichtbar, was man etwas feuilletonistisch einen Hang zu sehr großen Bogen-<br />

schlägen bezeichnen könnte: Das Germanische am Wandern in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> in den<br />

Kontext der Völkerwanderung <strong>und</strong> der Kreuzzüge zu stellen, ist nun schwerlich wissen-<br />

schaftlich zu kritisieren.<br />

Die Vorliebe für Mussolini bei <strong>Nohl</strong> in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> zeigt sich auch hier:<br />

„Mussolini hat in Italien ein großes Vorbild gegeben. Im Jahre 1933 sind etwa<br />

150 000 Kinder von Auslandsitalienern während ihrer Ferienzeit in Italien untergebracht<br />

worden. Je nach Anweisung der Ärzte kommen sie an <strong>die</strong> See oder ins Gebirge,<br />

auch in <strong>die</strong> Großstadt. Die Leitung <strong>die</strong>ser Arbeit liegt in den Händen eines General-Sekretariats<br />

der ausländischen faschistischen Organisation. Die Kosten bis an<br />

<strong>die</strong> Grenze trägt <strong>die</strong> Auslands-Kolonie selbst, <strong>die</strong> Kosten in Italien der italienische<br />

Staat. Von Deutschland reisen so etwa jährlich 400 Kinder nach Italien. Mussolini<br />

empfängt <strong>die</strong> Kinder selbst <strong>und</strong> sagt ihnen in immer neuen Variationen, dass <strong>die</strong><br />

Weltmachtstellung einer großen Nation davon abhänge, inwieweit <strong>die</strong> junge Generation<br />

im Ausland von einem lebendigen Gefühl nationaler Heimatverb<strong>und</strong>enheit erfüllt<br />

sei. Hier werden wir zu lernen haben.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 79)<br />

Die „Auslandsdeutschen“ richtig an <strong>die</strong> Heimat zu binden, sie zur „Weltmachtstellung“<br />

zu nutzen – das sind <strong>die</strong> an Mussolini angelehnten Überlegungen ganz praktischpolitischer<br />

Art, <strong>die</strong> <strong>Nohl</strong> hier seiner studentischen Zuhörerschaft anbietet.<br />

Zum sechsten Kapitel „Typus, Mythus <strong>und</strong> Symbol“: „soldatische Zuchtform“, „der<br />

Führer der nationalsozialistischen Bewegung“, der „heroische nationaler Ethos“ <strong>und</strong><br />

„<strong>die</strong> Fahne, der Gruß <strong>und</strong> <strong>die</strong> Nationalhymne“<br />

Zu Beginn des Kapitels rekapituliert <strong>Nohl</strong> noch einmal das bisher gesagte:<br />

„Wir sprachen oben von der Aufgabe, den nationalen deutschen Typus aus der Rassenmengung<br />

unseres Volkes herauszuarbeiten, um ihm <strong>die</strong> Glaubwürdigkeit der biologischen<br />

Erscheinung zu geben, <strong>die</strong> andere, glücklichere Völker bereits haben. Es<br />

ist nun aber klar, dass ein solcher Typus nicht bloß rassenmäßig bedingt ist <strong>und</strong> gelingt,<br />

sondern auch geistig gegründet sein muss, <strong>und</strong> es ist auch weiter deutlich, dass<br />

Deutschland einen solchen Typus bisher noch nicht besaß.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung,<br />

1933/34, S. 83)<br />

Auch wenn es heutigem Denken weitgehend fremd ist, in Feinheiten absurder Rassen-<br />

lehren einzudringen, lässt sich <strong>die</strong>se Position <strong>Nohl</strong>s nur im Kontext verschiedener<br />

rassentheoretischer Schulen <strong>und</strong> Positionen vor <strong>und</strong> in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> verstehen. Allein <strong>die</strong><br />

Frage, wie viele Rassen es gibt <strong>und</strong> wie man sie (nicht nur nach der Hautfarbe) eigent-<br />

65


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

lich wirklich definiert, führt zu unendlichen Publikationen <strong>und</strong> Polemiken im Rahmen<br />

des <strong>NS</strong>-Systems.<br />

Die <strong>Nohl</strong>’sche Formel lautet: Wir sind noch keine einheitliche Rasse, wir müssen erst<br />

eine werden, auch durch geistige Zucht. Das entspricht in etwa auch den Positionen<br />

Ernst Kriecks <strong>und</strong> birgt – in sich logisch – auch ein Aufgabenfeld für <strong>die</strong> „geistige<br />

Zucht“, eben <strong>die</strong> Nationalpädagogik. Würde alles allein biologisch, auf Gr<strong>und</strong> der schon<br />

vorhandenen arischen Rasseneigenschaften laufen, gäbe es etwa für den Bildungs- <strong>und</strong><br />

Propagandaminister Goebbels, für <strong>die</strong> <strong>NS</strong>DAP etc. gar nichts mehr zu tun, allein <strong>die</strong><br />

Biologen <strong>und</strong> Rassentheoretiker, <strong>die</strong> Mediziner hätten das Wort. <strong>Nohl</strong> greift nun erneut<br />

auf Platons „Politeia“ zurück. <strong>Nohl</strong> fasst Platon wie folgt zusammen:<br />

66<br />

„(…) ein Typus erwächst nur, wo ein politischer Wille ist, der sich zur Führung erzieht,<br />

<strong>und</strong> er wächst immer nur von oben nach unten, nicht umgekehrt. Das hat am<br />

konsequentesten Plato in der großen Typenzucht seines Staates entwickelt. Er denkt<br />

nur an <strong>die</strong> Erziehung der Herrenschicht, weil ihm selbstverständlich ist, dass dann<br />

das ganze Volk seine Form bekommt, so wie er mit aller Klarheit betont, dass auch<br />

<strong>die</strong> Verwahrlosung eines Volkes nicht von unten, sondern immer von oben beginnt,<br />

eben wenn <strong>die</strong> Zuchtform der führenden Schicht zerfällt. Gewiss ist ihm <strong>die</strong>se Herrenschicht<br />

auch rassenmäßig begründet, aber <strong>die</strong> Zucht ist vor allem geistige Zucht,<br />

Disziplin, gründet in der richtigen Verfassung der Seele <strong>und</strong> ist das Erzeugnis des<br />

Hen Mega der Erziehung. Und <strong>die</strong>se Formung fordert Entsagung, Verzicht, insbesondere<br />

auch Verzicht auf <strong>die</strong> Freiheit des individuellen Willens in allen geistigen<br />

Richtungen, radikal aber bei ihm für Beruf, Eigentum <strong>und</strong> Ehe.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung,<br />

1933/34, S. 84)<br />

<strong>Nohl</strong> referiert nun, an Lichtwark 102 orientiert, dass der eigentliche deutsche Typus der<br />

des gebildeten Offiziers sein müsse, <strong>die</strong> „Kombination von Offizier, Oberlehrer <strong>und</strong><br />

Professor“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 89), beklagt einseitige geistige Bildung <strong>und</strong><br />

Missachtung des Körpers <strong>und</strong> hebt hervor, dass Ernst Krieck am energischsten auf <strong>die</strong><br />

„Bedeutung der Zuchtform“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 89) hingewiesen habe.<br />

Von Platon über Lichtwark, Krieck bis zur Praxis der bündischen Jugendbewegung<br />

waren also <strong>die</strong> einzelnen theoretischen <strong>und</strong> praktischen Elemente vorhanden, aber eben<br />

nicht auf <strong>die</strong> rechte Art verb<strong>und</strong>en, „ihr fehlte das politische Knochengerüst“ (<strong>Nohl</strong>:<br />

Vorlesung, 1933/34, S. 90), um mit <strong>Nohl</strong> zu sprechen. Und nun kommt <strong>die</strong> eigentliche<br />

Pointe der gesamten Vorlesung:<br />

102 <strong>Nohl</strong> bezieht sich auf <strong>die</strong> Schrift Lichtwark, Alfred: Das Bild des Deutschen, Langensalza ohne Jahr<br />

(1930).


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

„Und in der ganzen nationalen Breite entstand der neue Typus erst in der soldatischen<br />

Zuchtform, <strong>die</strong> Hitler unserem Volke vorgeschrieben hat, indem er es in <strong>die</strong><br />

SA-Uniform <strong>und</strong> <strong>die</strong> Uniform des Arbeits<strong>die</strong>nstes steckte, ihm Mythos <strong>und</strong> Symbol<br />

gab <strong>und</strong> das ‚schweifende Bildungsleben der Väter auf <strong>die</strong> elementaren Notwendigkeiten<br />

des Volksdaseins ausrichtete‘, es damit vereinfachte <strong>und</strong> zugleich konzentrierte.“<br />

(<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 90)<br />

Hier wird deutlich, dass <strong>die</strong> <strong>NS</strong>-Bewegung <strong>und</strong> Adolf Hitler für <strong>Nohl</strong> so etwas wie<br />

Vollstrecker der Geschichte Deutschlands sind. Der Gedankengang <strong>Nohl</strong>s ist in etwa<br />

folgender: Es existieren in der Geschichte Deutschlands, insbesondere in der „Deut-<br />

schen Bewegung“, alle nötigen Zutaten, <strong>die</strong> nur noch als Ganzes zusammengefasst<br />

werden müssen, um mit Hilfe <strong>die</strong>ser nationalen ganzheitlichen Bewegung den deut-<br />

schen Typus wirklich zu schaffen. Diese Zusammenfassung ist, so <strong>Nohl</strong>, trotz aller<br />

Bedenken, <strong>die</strong> historische Leistung des <strong>NS</strong>-Regimes.<br />

<strong>Nohl</strong> lehnt das <strong>NS</strong>-Regime nicht nur nicht ab, nein, er begrüßt es ausdrücklich, bejaht<br />

<strong>die</strong>se Kraft (schon seit 1932), betätigt sich aber auch weiterhin als „Mahner“, der weiter<br />

in <strong>die</strong> Zukunft blickt <strong>und</strong> weiß, dass allein durch politische Mittel „der deutsche Typus“<br />

nicht geschaffen werden kann, dass hier <strong>die</strong> nationale Pädagogik eingreifen, züchten,<br />

bilden, formen <strong>und</strong> in der Tiefe das vorher Gewonnene verankern müsse.<br />

Ganz <strong>und</strong> gar keinen Zweifel will <strong>Nohl</strong> daran lassen, dass er <strong>die</strong>sen Aspekt nur als<br />

Zusatz, nicht als Widerspruch zur nationalsozialistischen Bewegung einbringen möchte.<br />

Um <strong>die</strong>s zu untermauern geht er so weit, ausgerechnet seinen erziehungswissenschaftlichen<br />

Kollegen Wilhelm Flitner der Verleugnung des Führerprinzips öffentlich vor der<br />

studentischen Zuhörerschaft <strong>und</strong> ihren mitschreibenden Teilen zu überführen:<br />

„Wir sagten, am Ende gehe <strong>die</strong> Typenbildung in einem Volk immer von oben nach<br />

unten, <strong>die</strong> verantwortliche Führerschicht schaffe den Typus <strong>und</strong> müsse ihn in sich<br />

erhalten. Flitner ist in dem genannten schönen Aufsatz für unsere heutige deutsche<br />

Situation anderer Meinung: ‚regierbares Volk gestalten, das <strong>die</strong> Regentschaft erträgt<br />

<strong>und</strong> produktiv trägt‘, das sei unser erstes Problem, <strong>die</strong> Bildung der Regentenschicht<br />

erst das sek<strong>und</strong>äre (717/18). Ich meine, der ganze Aufbau, wie ihn der Führer der<br />

nationalsozialistischen Bewegung geschaffen hat, widerspricht dem. Nur der Führer<br />

lebt den Typus vor. Auch hier geht <strong>die</strong> Bewegung der Typenbildung unerbittlich nur<br />

von oben nach unten, <strong>und</strong> nur wenn <strong>die</strong> Führererziehung gelingt, wird auch <strong>die</strong><br />

Volkserziehung gelingen. Diese führende Schicht ist keine Kaste mehr, auch keine<br />

Kaste der Gebildeten, aber sie bleibt ein herausgehobener Kreis von Menschen, allen<br />

sichtbar in ihrem Tun <strong>und</strong> Lassen, Reden <strong>und</strong> Entscheiden, als Träger der Verantwortung<br />

in Ämtern jeder Art. Wie sie leben, sich benehmen, was sie schätzen <strong>und</strong><br />

ablehnen, das gestaltet als Vorbild das Volk.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 91)<br />

67


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

Bei dem von <strong>Nohl</strong> gelobten <strong>und</strong> kritisierten Aufsatz Flitners 103 geht es in der Tat um so<br />

etwas wie demokratische Bildung, sozusagen ein Relikt aus längst vergangenen Tagen.<br />

104 Der einfache Gedanke, dass <strong>die</strong> Regierten ja <strong>die</strong> Regierenden eigentlich im<br />

demokratischen Sinne tragen müssten (<strong>und</strong> nicht ertragen, wie Flitner noch halbherzig<br />

einschränkt), wird hier von <strong>Nohl</strong> aus antidemokratischen Gr<strong>und</strong>positionen heraus in der<br />

Kontinuität seiner Theorie der Pädagogik <strong>und</strong> seiner politischen Positionierung nicht<br />

nur abgelehnt, sondern an einem ihm nahestehenden Kollegen demonstrativ angegriffen<br />

<strong>und</strong> abgewertet. Das Geistige müsse hinzukommen, so <strong>Nohl</strong>:<br />

68<br />

„Wir werden über <strong>die</strong>se Geistigkeit ja noch ausführlich reden, es bleibt aber dabei,<br />

dass der Typus mit seiner Zucht <strong>und</strong> Geb<strong>und</strong>enheit <strong>die</strong> Voraussetzung aller wahren<br />

geistigen Entwicklung sein muss. Der Schritt geht nicht vom geistigen Reichtum zum<br />

Typus, sondern immer umgekehrt.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 91)<br />

<strong>Nohl</strong> ist also für <strong>die</strong>se Gr<strong>und</strong>legung <strong>und</strong> Reihenfolge. Seine Mahnung bezieht sich<br />

darauf, dass Goethe, Schiller, eben „das Geistige“ nicht wegfallen dürfe. Er schreibt<br />

weiter:<br />

„Was man nun aber weiter sehen muss, ist, dass ein solcher Typus nicht bloß ein<br />

festes System von normalen Gewohnheiten ist, wenn auch <strong>die</strong> Gewöhnung hier das<br />

entscheidende Bildungsmittel sein wird – auch das hat Plato schon gesehen, <strong>und</strong><br />

unsere Militärerziehung hat das seit Jahrh<strong>und</strong>erten geübt –, sondern immer eine<br />

Geistigkeit voraussetzt, ein Ideal <strong>und</strong> einen Glauben. Gewohnheiten allein schaffen<br />

keine wahre Form.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 92)<br />

<strong>Nohl</strong> wendet sich nun den Mythen <strong>und</strong> Symbolen zu. Hier bemüht er wieder <strong>die</strong> Großen<br />

der Geistesgeschichte. Nietzsches These, dass <strong>die</strong> großen Masseninstinkte <strong>die</strong> „eigentlichen<br />

Träger <strong>und</strong> Hebel der Weltgeschichte“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 93) seien, ist<br />

nur eine Brücke zur angeblich notwendigen Mythenbildung als Teil des „heroischen<br />

nationalen Ethos“, den er im Spannungsverhältnis zur Wissenschaft bei Dilthey verortet<br />

(<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 94). 105 <strong>Nohl</strong> ruft Sokrates <strong>und</strong> Platon, Cato <strong>und</strong> Rousseau<br />

103 Dieser Aufsatz erschien in der <strong>Zeit</strong>schrift „Die Erziehung“, deren Mitherausgeber Flitner war: Flitner,<br />

Wilhelm: Gentleman-Ideal <strong>und</strong> Gentleman-Erziehung. Eine Besprechung von Hoylers gleichnamigem<br />

Buch (Leipzig 1933), in: Die Erziehung. Monatsschrift für den Zusammenhang von Kultur <strong>und</strong> Erziehung<br />

in Wissenschaft <strong>und</strong> Leben, 8. Jg. (1932/33), Heft 12, (September 1933), S. 711–718.<br />

104 Die Abrechnung <strong>Nohl</strong>s mit Flitner aus der platonischen „Führerposition“ heraus <strong>und</strong> unter Berufung<br />

auf Adolf Hitler ist ein in den bisherigen Debatten über <strong>die</strong>se Vorlesung weitgehend übergangener Aspekt<br />

(mit Ausnahme von Michael Grans Stu<strong>die</strong>, der am Rande darauf eingeht).<br />

105 Bereits 1932 im Vorwort zu dem Dilthey-Sammelband „Von Deutscher Dichtung <strong>und</strong> Musik“ schreibt<br />

<strong>Nohl</strong> über <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>n Diltheys zur Geschichte der Pädagogik: „Die Bildungsgeschichte der Völker wird<br />

dort verstanden aus dem polaren Verhältnis ihres nationalen Ethos <strong>und</strong> des Fortschritts der Wissenschaften,<br />

<strong>und</strong> Dilthey hat damals bereits den Versuch gemacht, <strong>die</strong> ‚Heroenzeit des germanischen Geistes‘, in


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

als Zeugen für <strong>die</strong> Notwendigkeit der Rede für das nationale Ethos <strong>und</strong> gegen <strong>die</strong><br />

„Wurzellosigkeit des Intellekts“ auf (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 94).<br />

Und wieder schildert er <strong>die</strong> Lage so: Alle Elemente sind vorhanden, aber sie müssen<br />

zusammengefasst werden. Und das habe für den Nationalsozialismus Arthur Rosenberg<br />

geschaffen:<br />

„In der Gegenwart hat der Faschismus <strong>die</strong> Bedeutung des Mythos wieder gewonnen.<br />

Sorel. 106 Für den Nationalsozialismus hat sie A. Rosenbergs Buch ‚Der Mythos [sic!]<br />

des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts‘ zu formulieren gesucht. In dem dritten Buch ‚Das kommende<br />

Reich‘ überschreibt er das erste Kapitel ‚Mythos <strong>und</strong> Typus‘. ‚Die nicht fassbare<br />

Zusammenfassung aller Richtungen des Ich, des Volks, überhaupt einer Gemeinschaft<br />

macht seinen Mythos aus‘ (459). ‚Als natürliche Abwehr gegen <strong>die</strong> Weltgefahr<br />

des Chaos geht ein neues Erleben wie ein unfassbares Fluidum über den Erdball,<br />

welches <strong>die</strong> Idee des Volkstums <strong>und</strong> der Rassen instinktiv <strong>und</strong> bewusst ins Zentrum<br />

des Denkens stellt, verb<strong>und</strong>en mit den organisch gegebenen Höchstwerten einer jeden<br />

Nation, um welche ihr Fühlen kreist, welche ihren Charakter <strong>und</strong> <strong>die</strong> Farbigkeit<br />

ihrer Kultur von jeher bestimmten. Als Aufgabe wird plötzlich von Millionen erfasst,<br />

was zum Teil vergessen, zum Teil vernachlässigt worden war: ein Mythos zu erleben<br />

<strong>und</strong> einen Typus zu schaffen <strong>und</strong> aus <strong>die</strong>sem Typus heraus Staat <strong>und</strong> Leben zu bauen.<br />

Jetzt fragt sich nur, wer inmitten eines Gesamtvolkes dazu berufen ist, <strong>die</strong> typenbildende<br />

Architektonik zu entwerfen <strong>und</strong> durchzusetzen?‘ (481)“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung,<br />

1933/34, S. 95 f.)<br />

<strong>Nohl</strong> lernt hier von Arthur Rosenbergs „Der Mythus des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts“. Das gilt es<br />

zunächst festzuhalten. 107 <strong>Nohl</strong> sieht nicht nur sehr klar das Ziel des nationalen Mythos,<br />

er sieht auch <strong>die</strong> Wege <strong>und</strong> Methoden, nämlich das Symbol als Mittel der Ausrichtung:<br />

„Ein überwältigender Eindruck <strong>die</strong>ser neuen mythenbildenden Kraft ist das Wiedererscheinen<br />

des Symbolwillens. Das Symbol ist das sichtbare Zeichen eines unerschöpflichen<br />

höheren Gehalts, <strong>und</strong> es gehört keinem Einzelnen sondern immer einem<br />

Wir, – das sind seine zwei Wesenszüge. Seine Macht beruht auf einer Doppelheit,<br />

dass der Geist in ihm sichtbar wird, nicht mehr übersehbar, unmittelbar gegenwärtig<br />

<strong>und</strong> mahnend, <strong>und</strong> dass es Ausdruck <strong>und</strong> Bindung der Gemeinschaft ist. Die Fahne,<br />

der Gruß, <strong>die</strong> Nationalhymne, – das begrifflich nicht formulierbare Ziel der Gemeinschaft<br />

kommt hier in dem Medium der Phantasie fordernd <strong>und</strong> erinnernd zum Be-<br />

der sich sein nationales Ethos gestaltete, darzustellen.“ (Leipzig/Berlin 1933, hier zitiert nach der 2.<br />

unveränderten Auflage, Stuttgart 1957, S. III)<br />

106 Sorel mit seiner 1908 erschienenen Schrift „Les illusions du progrès“ (Paris 1908) gilt als von<br />

Mussolini ausgewerteter Theoretiker des (faschistischen) Mythos. Siehe dazu: Sternhell, Zeev/Sznajder<br />

Mario/Asheri Maia: Die Entstehung der faschistischen Ideologie. Von Sorel zu Mussolini, Hamburg<br />

1999. Aktuell dazu erschienen ist: Lenk, Kurt: „Das Problem der Dekadenz seit Georges Sorel“, in: Heiko<br />

Kauffmann, Helmut Kellershohn, Jobst Paul (Hg.): Völkische Bande. Dekadenz <strong>und</strong> Wiedergeburt.<br />

Analysen rechter Ideologie, Münster 2005, S. 49–63.<br />

107 Die eigene Broschüre Litts 1938 gegen das Buch Rosenbergs spricht da eine ganz andere Sprache.<br />

Siehe Litt, Theodor: Der deutsche Geist <strong>und</strong> das Christentum. Vom Wesen geschichtlicher Begegnungen,<br />

Leipzig 1938.<br />

69


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

70<br />

wusstsein, redet auch ohne Worte <strong>und</strong> wird wortlos verstanden.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung,<br />

1933/34, S. 96)<br />

Die praktische Bedeutung des „Symbolwillens“ für den auch an der Militärpädagogik<br />

interessierten <strong>Nohl</strong> wird im nachfolgenden Absatz deutlich:<br />

„Die soldatische Existenz hat <strong>die</strong> führende Kraft des Symbols der Fahne nie vergessen,<br />

<strong>die</strong> Todesbereitschaft des Kriegers brauchte den metaphysischen Mythos zu<br />

notwendig.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 96 f.)<br />

Es fällt schwer, <strong>Nohl</strong> hier nicht recht zu geben. Die Elemente der Analyse, selbst der<br />

Rückgriff auf Analysen Hegels über Symbole in dessen „Ästhetik“, sind stimmig. Das<br />

gr<strong>und</strong>legende Problem bleibt aber, dass <strong>Nohl</strong> derartige Methoden der Überwältigung<br />

nicht ablehnt, sondern den „metaphysischen Mythos“ unterstützt, fördert <strong>und</strong> fordert:<br />

„Wenn jetzt in der Morgenfrühe der Kreis junger Menschen um den Fahnenmast<br />

steht <strong>und</strong> mit dem Lied das Hissen der Flagge begrüßt, spürt jeder den Schauer der<br />

metaphysischen Wirklichkeit der Volksgemeinschaft <strong>und</strong> erfährt <strong>die</strong> formende Gewalt,<br />

<strong>die</strong> nur das Symbol besitzt.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 97 f.)<br />

Zum dritten Abschnitt der Vorlesung: „Das bewusste Leben der Nation“<br />

Zum siebten Kapitel „Das Selbstbewusstsein eines Volkes <strong>und</strong> seine<br />

Erziehungsmittel“: „Man denke an ‚Deutschland erwache‘ “<br />

Auf den sieben Seiten <strong>die</strong>ses Kapitels begibt sich <strong>Nohl</strong> in den Bereich der Diskussion<br />

über Volk, Nation <strong>und</strong> Staat. Sein Ausgangspunkt ist:<br />

„Wir müssen nun heute einen dritten Schritt tun, nämlich den vom Volk zur Nation<br />

<strong>und</strong> zum Staat, denn nicht jedes Volk ist ja Nation, <strong>und</strong> jedes Volk ist auch nicht<br />

Staatsvolk. Ist doch unser eigenes Volk auf <strong>die</strong> verschiedensten Staaten in der Welt<br />

zerstreut.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 98)<br />

Sein Material sind Fichtes „Reden an <strong>die</strong> Nation“, Renans Aufsatz „Was ist <strong>die</strong> Nation“<br />

von 1882, <strong>die</strong> Materialien der „Völkerpsychologie“ in Deutschland (<strong>die</strong> er dann in<br />

„Charakter <strong>und</strong> Schicksal“ 1938 genauer vorstellt) <strong>und</strong> <strong>die</strong> Erfahrungen mit Nationalfesten<br />

im revolutionären Frankreich. Originell absurd <strong>und</strong> der <strong>Zeit</strong> mehr als der Semantik<br />

angepasst, ist <strong>die</strong> Behauptung Geburt sei gleich Rasse: „Ursprünglich ist natio (= nasci)<br />

<strong>die</strong> Rasse“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 99).<br />

Eher altbekannt ist dagegen <strong>die</strong> Feststellung, dass „vor allem Kriegstaaten das Selbstbewusstsein<br />

der Nation“ erzeugen (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 103), <strong>und</strong> schon nicht<br />

mehr überraschend ist <strong>Nohl</strong>s Lob der Arbeitsfront, der Bauernfront <strong>und</strong> des Fests des<br />

1. Mai nach 1933 (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 103). Auch wenn <strong>Nohl</strong> <strong>die</strong> wirklich<br />

wichtigen Fragen der Geschichte der Definitionen von Volk, Staat <strong>und</strong> Nation streift,


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

ohne <strong>die</strong>se Fragen soziologischer Art zu vertiefen, stehen sie nicht im Vordergr<strong>und</strong>. Im<br />

Gr<strong>und</strong>e ist klar, so <strong>Nohl</strong>, dass Volk, Staat <strong>und</strong> Nation erst noch eins werden müssen, es<br />

geht eher um das „Wie“.<br />

<strong>Nohl</strong> geht dann den Weg von der Pädagogik zur Propaganda eindeutig mit:<br />

„Damit ist nun schon ein Stück der pädagogischen Aufgaben sichtbar geworden, <strong>die</strong><br />

sich nun auf <strong>die</strong>ser Stufe der Bewusstheit auftun. Das Ziel ist immer ein doppeltes:<br />

Wecken, – man denke an das ‚Deutschland erwache!‘ – <strong>und</strong> Formen. Die großen<br />

Mittel für das Wecken sind Propaganda, Nationalfeste <strong>und</strong> Nationalspiel. Die ungeheure<br />

pädagogische Bedeutung der Propaganda ist uns jetzt erst ganz bewusst geworden<br />

(…).“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 104, Hervorhebung im Original)<br />

Hier wird der „pädagogische Bezug“ großräumig hergestellt: Das doppelte Wecken <strong>und</strong><br />

Formen des „Deutschland erwache“ werden fixiert, das nachfolgende „Juda verrecke“<br />

bleibt hier unausgesprochen. Eher technisch begeistert resümiert <strong>Nohl</strong> dann:<br />

„(…) heute hat das Auto einerseits, R<strong>und</strong>funk <strong>und</strong> Volksempfänger andererseits <strong>die</strong><br />

Möglichkeit gegeben, <strong>die</strong>se Propaganda auch auf das Land <strong>und</strong> in <strong>die</strong> kleinen Landstädte<br />

zu tragen <strong>und</strong> so wirklich auch den letzten Einzelnen in seiner Einsamkeit im<br />

Gebirge, im Moor in Hinterpommern <strong>und</strong> den Wäldern Masurens zu erregen <strong>und</strong> zu<br />

wecken.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 104)<br />

<strong>Nohl</strong>, der genau Fest <strong>und</strong> Feier unterscheidet, sieht wohl <strong>die</strong> Olympischen Spiele in<br />

Berlin schon vor sich (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 104), hebt auf <strong>die</strong> Fußball-<br />

Nationalmannschaft <strong>und</strong> deren objektiv nationalpädagogische Funktion ab <strong>und</strong> schreibt:<br />

„Eine analoge Bedeutung haben <strong>die</strong> Nationalspiele, nur dass hier durch den Wettkampf<br />

noch ein besonderes volksbildendes Element hineinkommt, weil er in der ganzen<br />

Breite des Volkes den Ehrgeiz für <strong>die</strong> Steigerung der Kraft wachruft, <strong>die</strong> in der<br />

nationalen Mannschaft sich dann wieder mit anderen Völkern misst.<br />

Es handelt sich da um eine nationalpädagogische Angelegenheit größten Stils, auch<br />

wenn das dem Einzelnen, der mitkämpft, gar nicht bewusst wird, <strong>und</strong> es kommt darum<br />

für <strong>die</strong> formende Wirkung solcher Untersuchungen alles darauf an, dass sie in<br />

richtiger Haltung <strong>und</strong> Gesinnung geschehen.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 106 f.)<br />

Und am Ende des siebten Kapitels heißt es dann eher trivial:<br />

„Unsere öffentlichen Fußballspiele waren vor kurzem noch in der großen Gefahr,<br />

nur Schaustellungen von Berufsspielern zu werden, <strong>die</strong> den Sieg um jeden Preis erringen<br />

wollten <strong>und</strong> dem eine johlende <strong>und</strong> den Schiedsrichter verprügelnde Masse<br />

zusah. Auch hier hat <strong>die</strong> neue Zuchtform unseres Volkes augenscheinlich schon Wesentliches<br />

verändert <strong>und</strong> wird es immer mehr tun, je stärker <strong>die</strong> nationale Verantwortlichkeit<br />

im einzelnen Spieler mitwirkt.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 107)<br />

71


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

Um nicht an <strong>die</strong>ser Stelle Fragen des Nationalsports in der <strong>Zeit</strong> des Nationalsozialismus<br />

vertiefend zu behandeln, wird zu den letzten beiden Kapiteln <strong>die</strong>ser Vorlesung überge-<br />

gangen.<br />

Zum achten Kapitel „Die Willensform des Staates <strong>und</strong> <strong>die</strong> politische Erziehung“:<br />

Die „Erfahrung des Krieges“, „<strong>die</strong> neue Staatsjugend formen: Hitlerjugend <strong>und</strong><br />

S. A.“ <strong>und</strong> <strong>die</strong> „Ausrichtung auf den höchsten Führer des Staates“<br />

Angesichts der deutschen Minderheiten im Ausland unterscheidet <strong>Nohl</strong> – sich auf Ulitz,<br />

einen Führer der Sudetendeutschen stützend – zwischen den „volksdeutschen“ Aufgaben<br />

<strong>und</strong> den staatspolitischen Aufgaben. Die drei Funktionen in der Hand des Staates –<br />

Macht, Recht <strong>und</strong> Kultur – werden angeführt <strong>und</strong> von den Theorien der englischen <strong>und</strong><br />

französischen Soziologen mit ihrem „Gesellschaftsbegriff“ en passant abgegrenzt.<br />

Dagegen wird der Staat in <strong>die</strong> „deutsche Tradition“ gestellt: Die deutschen Staatsphilosophen<br />

haben dem Staat, so <strong>Nohl</strong> „eine ganz besondere Stellung <strong>und</strong> Heiligkeit“ (<strong>Nohl</strong>:<br />

Vorlesung, 1933/34, S. 111) gegeben.<br />

Platons „Der Staat“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, 6. Buch) wird hier erneut von <strong>Nohl</strong><br />

bemüht (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 114), um den Staat als Zusammenkommen von<br />

Macht <strong>und</strong> Philosophie zu charakterisieren. Die politische Erziehung im Rahmen der<br />

nationalen Erziehung wird anknüpfend an Kerschensteiners staatsbürgerliche Erziehung<br />

nun von <strong>Nohl</strong> zunächst auf den Ersten Weltkrieg als Modell zurückgeführt:<br />

72<br />

„Der Krieg brachte dann eine großartige Steigerung der herrschaftlichen Ordnung.<br />

Zucht, Unterordnung, Dienst waren <strong>die</strong> neuen Erfahrungen.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung,<br />

1933/34, S. 116 f.)<br />

Das war, so <strong>Nohl</strong>, jedoch nicht <strong>die</strong> einzige Erfahrung, da beim Ende des verlorenen<br />

Krieges Zucht <strong>und</strong> Führung wieder verloren gingen:<br />

„Diese Auflösung begann beim Militär, ergriff dann <strong>die</strong> Beamtenorganisation wie<br />

<strong>die</strong> Fabrik-Organisation, um schließlich jedes Zusammenwirken, in dem noch Herrschaftsverhältnisse<br />

bestanden, aufzuheben. Der Schülerstreik <strong>und</strong> das Komitee zur<br />

Revolutionierung der Jugend waren <strong>die</strong> letzten lächerlichen Konsequenzen, <strong>die</strong> Forderung<br />

eines Aufbaus der Schule ohne jede personale Autorität, rein genossenschaftlich<br />

aus den Lebensnotwendigkeiten der Gemeinschaft.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34,<br />

S. 117)<br />

Doch <strong>die</strong> bündische Jugend hielt nach <strong>Nohl</strong> dagegen, entwickelte das „Verhältnis des<br />

Führers zu seinem Volk“, propagierte <strong>die</strong> „Autorität des Charisma“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung,


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

1933/34, S. 117) <strong>und</strong> bereitete den Weg. Nun kommt der Nationalsozialismus <strong>und</strong> <strong>Nohl</strong><br />

formuliert zum Abschluss des achten Kapitels:<br />

„Zu einer wirklich politischen Bedeutung konnte das aber erst kommen, wo <strong>die</strong>se<br />

Hinwendung auf den Führer nicht in seiner Person endigte, sondern in ihm der Vertreter<br />

– nicht bloß des objektiven Geistes, wie bei Wynecken –, sondern des lebendigen<br />

Volkes gef<strong>und</strong>en werden konnte, wo dann Autorität <strong>und</strong> personale Macht, Herrschaft<br />

<strong>und</strong> Dienst aus dem Ganzen her geweiht wurde. Das gelang aus den Erfahrungen<br />

des Krieges. Aus ihnen gingen dann folgerichtig <strong>die</strong> großen Jugendorganisationen<br />

hervor, <strong>die</strong> nun <strong>die</strong> neue Staatsjugend formen: Hitler-Jugend <strong>und</strong> S.A. mit<br />

ihrer Wertung des Wehrwillens <strong>und</strong> der Wehrkraft, ihrer Erziehung zu Befehl <strong>und</strong><br />

Gehorsam, <strong>und</strong> der Arbeits<strong>die</strong>nst mit seinem Wissen um das nationale Werk. Beide<br />

Formen geben dem Einzelnen <strong>die</strong> Uniform des Ganzen <strong>und</strong> damit auch <strong>die</strong> Ehre des<br />

Ganzen, lassen ihn <strong>die</strong> Charakterkräfte der Zucht, der Einordnung, des Dienstes<br />

erleben <strong>und</strong> richten jeden Einzelnen im Zusammenhang seiner Formation in <strong>die</strong> gemeinsame<br />

Front <strong>und</strong> zugleich auf den höchsten Führer des Staates aus.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung,<br />

1933/34, S. 118)<br />

„Folgerichtig“ ist hier ein Schlüsselwort. So wie <strong>Nohl</strong> <strong>die</strong> einzelnen Elemente aus der<br />

Geistesgeschichte aufbereitet, soll es nur „folgerichtig“ sein, dass nun <strong>die</strong> Formen des<br />

Erziehens „den Einzelnen auf den höchsten Führer des Staates“ ausrichten. So endet <strong>die</strong><br />

Erziehung zu „Befehl <strong>und</strong> Gehorsam“. Diese Passagen lassen keinen Zweifel aufkommen,<br />

dass <strong>Nohl</strong> <strong>die</strong> SA <strong>und</strong> Hitler propagiert, „Befehl <strong>und</strong> Gehorsam“ akzeptiert <strong>und</strong><br />

eben lediglich als Ergänzung mehr Geistigkeit fordert. <strong>Nohl</strong> fährt mit einer Definition<br />

des „neuen Sozialismus“ fort:<br />

„Was sie unterscheidet von den alten Formen des Militär- <strong>und</strong> Beamten<strong>die</strong>nstes, ist<br />

der neue Sozialismus, der den Aufstieg in <strong>die</strong> politisch herrschende Schicht, <strong>die</strong> den<br />

Staat trägt, aus allen Ständen ermöglicht, eine Auslese der Leistungsfähigen aus<br />

einer Gesamtheit des Volkes, <strong>die</strong> sich hier in einem Verantwortungsbereich tätig<br />

erwiesen haben.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 118)<br />

Einzelnen „den Aufstieg in <strong>die</strong> politisch herrschende Schicht“ zu ermöglichen ist für<br />

<strong>Nohl</strong> der neue Sozialismus, der Nationalsozialismus. Ein Gefreiter kann Führer werden,<br />

darauf reduziert sich polemisch zugespitzt der Gerechtigkeitssinn des „ neuen Sozialismus“.<br />

Zum neunten Kapitel „Die Schule“: „Jedenfalls hat der Staat <strong>die</strong> Überzeugung<br />

der pädagogischen Bewegung hinter sich, wenn er hier radikal zugreift“<br />

Im letzten Kapitel stellt <strong>Nohl</strong> im Gr<strong>und</strong>e lediglich noch einmal <strong>die</strong> Notwendigkeit einer<br />

einheitlichen, nicht konfessionell oder anders zersplitterten deutschen Schule als sein<br />

Credo vor, zitiert aus seinen älteren Schriften, in denen er <strong>die</strong>s in Übereinstimmung mit<br />

dem seit 1848 aktiven „Allgemeinen Deutschen Lehrerverband“ schon gesagt habe.<br />

73


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

<strong>Nohl</strong> stellt sich hier (sich selbst zitierend) sozusagen als Sprecher der „pädagogischen<br />

Bewegung“ in Deutschland vor, <strong>die</strong> er in der gleichnamigen Schrift (<strong>die</strong> 1935 neu<br />

erschien) konstruiert hatte:<br />

74<br />

„(…) jedenfalls hat der Staat <strong>die</strong> Überzeugung der pädagogischen Bewegung hinter<br />

sich, wenn er hier radikal zugreift <strong>und</strong> <strong>die</strong> Ganzheit als <strong>die</strong> entscheidende Macht<br />

oberhalb aller <strong>die</strong>ser Gegensätze herausarbeitet. Er besitzt in dem nationalen Gehalt<br />

seiner Geschichte wie seiner Sendung auch den F<strong>und</strong>us, der <strong>die</strong> einheitliche Schule<br />

zu tragen vermag.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 124)<br />

Was den Gehalt <strong>die</strong>ser deutschen Schule angeht, so geht es <strong>Nohl</strong> um eine Zusammen-<br />

fassung der „deutschen Bewegung“, wie sie sein Lehrer Dilthey angefangen, aber nicht<br />

zu Ende geführt habe: <strong>die</strong> „Geschichte der Deutschen Bewegung“, so realistisch wie<br />

möglich, an <strong>die</strong> aktuelle Sprache des Volkes angepasst, nicht als abstrakte Wahrheiten,<br />

sondern als Hilfen zur Gestaltung des Lebens. Dabei bezieht sich <strong>Nohl</strong> ausdrücklich auf<br />

Rudolf Hildebrandt, den großen „Erzieher zur Deutschheit“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34,<br />

S. 128). 108<br />

Enden aber lässt <strong>Nohl</strong> seine Rede unter Berufung auf Heideggers Rede im Mai 1933,<br />

„Die Selbstbehauptung der Universität“. 109 Es heißt zunächst:<br />

„Wo einer nationalen Welt seine freie Geistigkeit versagt ist, weil sie gehemmt wird,<br />

wie in den Staaten der Inquisition, oder nicht gewertet wird wie in Sparta, oder weil<br />

<strong>die</strong> radikalen Köpfe fehlen, <strong>die</strong> immer wieder mutig zu den letzten Gr<strong>und</strong>lagen der<br />

Existenz durchstoßen, da geht ein Volk zugr<strong>und</strong>e. Plato ist es gewesen, der in seinem<br />

Staat <strong>die</strong> staatengestaltende Kraft der freien Wissenschaft, d. h. der Wissenschaft, <strong>die</strong><br />

nicht im Dienst der Praxis steht, sondern <strong>die</strong> Wahrheit um ihrer selbst willen sucht,<br />

ich sage Plato hat <strong>die</strong> staatengestaltende Kraft <strong>die</strong>ser freien Wissenschaft als erster<br />

ausgesprochen <strong>und</strong> so formuliert, dass sie bis heute fortwirkt: wahrhaft geb<strong>und</strong>en ist<br />

eine Überzeugung erst, wo sie nicht bloß im Enthusiasmus gründet, sondern gerechtfertigt<br />

ist durch ein wahrhaftes Denken. Der innerste Nerv jeder Schule, auch einer<br />

Kunstschule, ist darum <strong>die</strong> Erziehung zu <strong>die</strong>sem Willen zur Wahrheit im Sinn von<br />

Wahrhaftigkeit. Das letzte Ziel des Unterrichts von der Volksschule bis zur Universität<br />

sind nicht <strong>die</strong> einzelnen Kenntnisse als Resultate, auch nicht <strong>die</strong> Methodenbeherrschung<br />

als Mittel, sondern das Leben in einer Welt der Wahrheit, das einen Zusammenhang<br />

von Wahrheiten erarbeitet mit Hilfe der Zucht des Denkens. Solcher Objektivitätswille<br />

hat nichts zu tun mit auflösender Sophistik oder Gesinnungslosigkeit,<br />

108 Siehe zu <strong>die</strong>sem Fragenkomplex genauer: Zimmer, Hasko: Pädagogik, Kultur <strong>und</strong> nationale Identität.<br />

Das Projekt einer „deutschen Bildung“ bei Rudolf Hildebrand <strong>und</strong> <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>, in: Auernheimer,<br />

Georg/Gstettner, Peter (Red.): Pädagogik in multikulturellen Gesellschaften (Jahrbuch für Pädagogik<br />

1996), Frankfurt am Main/Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1996, S. 159–177.<br />

109 Diese Rede erschien zusammen mit einem Gespräch aus dem Jahre 1945 unter dem Titel Heidegger,<br />

Martin: Die Selbstbehauptung der deutschen Universität. Rede, gehalten bei der feierlichen Übernahme<br />

des Rektorats der Universität Freiburg i. Br. am 27.5.1933 (beigefügt: Das Rektorat 1933/34. Tatsachen<br />

<strong>und</strong> Gedanken), 2. Auflage, Frankfurt am Main 1990.


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

sondern ist Dienst am Leben der Nation. Je tiefer ein Glaube geht, umso senkrechter<br />

sucht er <strong>die</strong> Wahrheit.“ (<strong>Nohl</strong>: Vorlesung, 1933/34, S. 129 f.)<br />

Es ist gerade <strong>die</strong>ser „Zusatz“, <strong>die</strong>se „Ergänzung“, mit der sich <strong>Nohl</strong> als loyaler Unter-<br />

stützer des <strong>NS</strong>-Regimes vorstellt, der dennoch <strong>die</strong> „freie Geistigkeit“ im Rahmen <strong>die</strong>ser<br />

nationalen Loyalität einfordert. Und eher unvermittelt <strong>und</strong> überraschend angesichts der<br />

bisherigen Ausführungen <strong>Nohl</strong>s im Kontrast zur Haltung Jaspers in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> endet<br />

<strong>die</strong> ganze Vorlesung unter Berufung auf Karl Jaspers:<br />

„Wie Jaspers in seinem stolzen Büchlein über Max Weber 110 <strong>und</strong> sein vorbildliches<br />

deutsches Wesen im Forschen <strong>und</strong> Philosophieren einmal sagt: ‚Der Boden der geschichtlichen<br />

Gegenwart, des Willens <strong>und</strong> Glaubens wird nur rein, wenn er sich im<br />

Feuer grenzenlosen Wissenwollens festigt zu Wahrheit <strong>und</strong> Vernünftigkeit‘.“ (<strong>Nohl</strong>:<br />

Vorlesung, 1933/34, S. 130)<br />

Es ist realistisch zu vermuten, dass <strong>Nohl</strong> deutlich seine besondere Akzentsetzung der<br />

loyalen Unterstützung des <strong>NS</strong>-Regimes hier kontrastiert mit dem Anspruch, allumfas-<br />

send <strong>die</strong> großen Denker von Max Weber über Martin Heidegger bis Karl Jaspers, alle<br />

mit dem „vorbildlichen deutschen Wesen“, mit einzubeziehen in <strong>die</strong>ses große national-<br />

pädagogische Programm. Es ist <strong>die</strong> Einforderung des großen Bündnisses von deutschna-<br />

tionalen Teilen der deutschen Geisteswissenschaft mit den staatspolitischen nationalso-<br />

zialistischen Praktikern.<br />

3. „Die pädagogische Bewegung in Deutschland <strong>und</strong> ihre Theorie“<br />

(Vorwort <strong>und</strong> Nachwort 1935)<br />

Die im zweiten Teil der Dokumentation ad fontes <strong>Nohl</strong> abgedruckten Teile aus der<br />

zweiten Auflage der „Pädagogischen Bewegung in Deutschland“ (1935) enthalten das<br />

eine Seite umfassende Vorwort <strong>und</strong> das neunseitige Nachwort. 111 Die Schrift als Ganzes<br />

wurde 1932 („vor dem nationalen Umbruch“, wie <strong>Nohl</strong> im Vorwort 1935 formuliert)<br />

verfasst, aber 1933 als Band 1 des „Handbuches der Pädagogik“ (der so genannte<br />

„Pallat“) veröffentlicht. Eine zweite Auflage folgte 1935 sowie dann 1949 eine dritte<br />

Auflage, in der der gesamte Text von 1935 einschließlich Vor- <strong>und</strong> Nachwort unverän-<br />

dert nachgedruckt <strong>und</strong> ein weiteres Nachwort von <strong>Nohl</strong> angefügt wurde. Im Vorwort<br />

von 1935 heißt es:<br />

110<br />

Jaspers, Karl: Max Weber. Rede bei der von der Heidelberger Studentenschaft am 17. Juli 1920<br />

veranstalteten Trauerfeier, Tübingen 1921.<br />

111<br />

[Dokumentation ad fontes <strong>Nohl</strong>: S. 369–378]<br />

75


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

76<br />

„Wenn unser neuer Staat mit gutem Gr<strong>und</strong> sein erstes <strong>und</strong> entscheidendes Mittel in<br />

einer diktatorischen Massenführung hat, <strong>die</strong> auch den Letzten noch national erweckt<br />

<strong>und</strong> bewusst macht <strong>und</strong> unserm Volk <strong>die</strong> Einheit seines Gefüges wiedergibt, wobei<br />

dann ganz neue pädagogische Aufgaben <strong>und</strong> Möglichkeiten erscheinen, so werden<br />

<strong>die</strong> wahren Einsichten der pädagogischen Bewegung in irgendeiner Gestalt doch in<br />

<strong>die</strong>se Arbeit eingehen müssen.“ (<strong>Nohl</strong>: Pädagogische Bewegung, 1935, ungezählte<br />

Seite)<br />

Die „diktatorische Massenführung“ wird klar benannt, aber offensichtlich als Chance<br />

angesehen, „unserem Volk <strong>die</strong> Einheit seines Gefüges“ wiederzugeben. Aber, so <strong>die</strong><br />

Botschaft, „ohne Pädagogik“ geht es nicht! <strong>Nohl</strong> beginnt sein Vorwort mit folgender<br />

Behauptung:<br />

„Es gibt zwei Wege, ein Volk zu gestalten: <strong>die</strong> Politik <strong>und</strong> <strong>die</strong> Pädagogik. Was in<br />

<strong>die</strong>sem Buch dargestellt wird, ist <strong>die</strong> Geschichte der leidenschaftlichen Anstrengung<br />

unserer Nation seit dem Wissen um <strong>die</strong> Kulturkrise, das Problem ihres neuen Volkwerdens<br />

auf dem pädagogischen Wege zu lösen. Dieser Versuch ist nicht geglückt –<br />

jeder Ansatz endete mit dem Zerfall in <strong>die</strong> Parteien, der gerade überw<strong>und</strong>en werden<br />

sollte, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Politik nahm schließlich <strong>die</strong> Aufgabe in ihre Hände. Damit ist der<br />

große Sinn <strong>die</strong>ser Bewegung <strong>und</strong> ihr echter Wille aber nicht vergebens gewesen.“<br />

(<strong>Nohl</strong>: Pädagogische Bewegung, 1935, ungezählte Seite)<br />

Diese Passage ist der Schlüssel zur Denkweise <strong>Nohl</strong>s. Die Pädagogik hat es nicht<br />

geschafft; gut dass <strong>die</strong> „Bewegung“ <strong>die</strong> Aufgaben in ihre Hände genommen hat. Das<br />

Streben <strong>Nohl</strong>s ist, dass der <strong>NS</strong>-Staat, <strong>die</strong> <strong>NS</strong>-Bewegung nun <strong>die</strong> Tradition der „pädago-<br />

gischen Bewegung“ in sich aufnimmt <strong>und</strong> zur Entfaltung bringt. Darum geht es, „<strong>die</strong><br />

wahren Einsichten der pädagogischen Bewegung in irgendeiner Gestalt“ doch einbrin-<br />

gen zu müssen. <strong>Nohl</strong> gibt sich in <strong>die</strong>ser Vorbemerkung selbstkritisch: „Was ich zuge-<br />

lernt habe [seit der ersten Auflage 1933], wird aus dem Nachwort am Schluss des<br />

Bandes ersichtlich sein“, schrieb <strong>Nohl</strong> im September 1935.<br />

Im Nachwort aus dem Jahr 1935 gibt es stellenweise Überschneidungen mit der im<br />

ersten Teil der Dokumentation ad fontes <strong>Nohl</strong> abgedruckten Einleitung des Vorlesungsmanuskripts<br />

„Die Gr<strong>und</strong>lagen der nationalen Erziehung“. 112 Im Unterschied zu<br />

<strong>die</strong>sem Manuskript wurde jedoch das Nachwort in mehreren Auflagen bis heute veröffentlicht,<br />

so dass es im Gegensatz zu dem Vorlesungsmanuskript eine erhebliche<br />

Wirkung entfalten konnte.<br />

112 <strong>Nohl</strong> nahm folgende drei Änderungen gegenüber der Einleitung des Vorlesungsmanuskripts 1933/34<br />

vor: Dem Text des Nachwortes 1935 wurden zwei Passagen hinzugefügt. Außerdem wurde eine Passage<br />

aus der Einleitung des Vorlesungsmanuskripts im Nachwort gestrichen. Zusätzlich wurde dem Nachwort<br />

am Ende eine Passage aus dem neunten Kapitel des Vorlesungsmanuskripts hinzugefügt.


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

Die Gr<strong>und</strong>idee in seinem Nachwort, das er „Zwei Formen der Pädagogik“ nannte,<br />

besteht in der Gegenüberstellung der zwei Pole der Pädagogik, dem individuell-<br />

subjektiv-sokratischen <strong>und</strong> der am Ganzen, am Staat orientierten objektiv-platonischen<br />

Pädagogik. Hier ergeben sich zwei Fragen, da <strong>Nohl</strong> davon ausgeht, dass beide Aspekte<br />

immer zur Geltung kommen müssen. Die erste Frage ist <strong>die</strong> nach der prinzipiellen<br />

logischen Struktur <strong>und</strong> <strong>die</strong> zweite Frage betrifft den jeweiligen Akzent in bestimmten<br />

<strong>Zeit</strong>spannen. In <strong>die</strong>sem Nachwort wird klar, dass <strong>Nohl</strong> sowohl aus prinzipiellen Grün-<br />

den als auch aus aktuellen Gründen der „geschichtlichen St<strong>und</strong>e“ das Volk gegenüber<br />

dem Individuum favorisiert. Die typische <strong>NS</strong>-Parole „Du bist nichts, dein Volk ist alles“<br />

würde <strong>Nohl</strong> in seiner Absolutheit nicht akzeptieren. Wohl aber schreibt er:<br />

„Wir leben für uns, jeder einzelne für sich, dass er zu dem Genuss seines Daseins<br />

komme, zu seiner Entfaltung <strong>und</strong> zu seiner Überzeugung – <strong>und</strong> wir leben für unser<br />

Volk <strong>und</strong> für Werte, <strong>die</strong> höher sind als wir selber <strong>und</strong> für <strong>die</strong> wir uns opfern.“ (<strong>Nohl</strong>:<br />

Pädagogische Bewegung, 1935, S. 280)<br />

Es ist für <strong>Nohl</strong> <strong>die</strong> Schaffung des „nationaldeutschen Typus, der <strong>die</strong> solide Vorausset-<br />

zung für jede klare Individualität abgibt“. Und er formuliert drastisch: „(…) so gewinnt<br />

der Einzelne den Stil seiner Bildung schließlich nur aus dem Lebensstil seines Volkes“<br />

(<strong>Nohl</strong>: Pädagogische Bewegung, 1935, S. 281).<br />

Nachdem <strong>Nohl</strong> eigentlich <strong>die</strong> Beziehungen der beiden polaren Aspekte prinzipiell<br />

geklärt hat, fügt er hinzu: „Welche <strong>die</strong>ser Betrachtungsweisen aber jeweilig als <strong>die</strong><br />

entscheidende heraustritt, ist eine Frage des geschichtlichen Augenblicks“ (<strong>Nohl</strong>:<br />

Pädagogische Bewegung, 1935, S. 283). Klar ist für <strong>Nohl</strong>, der sich jetzt der Frage der<br />

pädagogischen Autonomie zuwendet, dass <strong>die</strong> geschichtliche St<strong>und</strong>e <strong>die</strong> platonische<br />

Form der Pädagogik erfordert. Er schreibt direkt anschließend:<br />

„Im Frühling 1933 schlug bei uns in Deutschland <strong>die</strong> Sokratische Form der Pädagogik<br />

in <strong>die</strong> Platonische um. Das Schibboleth gewissermaßen des Umbruchs wurde<br />

der Begriff der pädagogischen Autonomie. Wie plötzlich das geschah, dafür ist charakteristisch,<br />

dass ein Hochschullehrer, der im vorangegangenen Wintersemester<br />

noch eine Übung über <strong>die</strong>se Autonomie abgehalten <strong>und</strong> ihre Tragweite, wie leider<br />

meist, übertrieben hatte, sie in der Eröffnungsrede des Sommersemesters kreuzigte.<br />

Dabei kann sie als Struktureinsicht genau so wenig durch historische Entwicklungen<br />

unwahr gemacht werden, wie ein mathematischer Satz, wie sie ja auch kein Ergebnis<br />

der bloßen individuellen Überlegung ist, sondern eine Offenbarung des sich entfaltenden<br />

Lebens. Nur ihre politische Bedeutung hatte sich gewandelt! Wie <strong>die</strong> Reichswehr,<br />

so hatte sich auch <strong>die</strong> Erziehung dadurch aus dem Kampf der Gegensätze zu<br />

retten gesucht, dass sie sich konsequent an ihre eigenste Aufgabe hielt <strong>und</strong> gerade<br />

77


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

78<br />

dadurch für das Ganze bewahren wollte.“ (<strong>Nohl</strong>: Pädagogische Bewegung, 1935,<br />

S. 283, Hervorhebung im Original)<br />

In <strong>die</strong>ser Passage zeigt sich, wie <strong>Nohl</strong> „Autonomie der Pädagogik“ versteht. Als Meta-<br />

pher verwendet er das Beispiel der Reichswehr. Die Reichswehr hat nicht <strong>die</strong>ser oder<br />

jener Partei zu <strong>die</strong>nen, also nicht einzelnen Teilen, sondern nur dem Staat <strong>und</strong> dem Volk<br />

als ganzem. Ist garantiert, dass es um das Ganze geht, ist auch klar, dass <strong>die</strong> Reichswehr<br />

keineswegs autonom ist, sondern sich absolut loyal in den Dienst des Ganzen stellt.<br />

Entscheidend für <strong>Nohl</strong> ist, dass <strong>die</strong>s jenseits des Parteiengezänks vor sich geht, jenseits<br />

konfessioneller Streitigkeiten usw. Der Begriff der „pädagogischen Autonomie“ bei<br />

<strong>Nohl</strong> muss analog verstanden werden. Die <strong>NS</strong>DAP an der Macht, das war für <strong>Nohl</strong><br />

nicht mehr ein Teil, das war für <strong>Nohl</strong> jetzt das Ganze, der totale Staat, für den <strong>die</strong><br />

„pädagogische Bewegung“ sich aufbewahrt hatte. Autonomie bedeutet bei <strong>Nohl</strong> auto-<br />

nom zu sein gegenüber den einzelnen Teilen, aber absolut untergeordnet zu sein gegen-<br />

über dem Ganzen, dem Volk, der Nation.<br />

Ausdrücklich stellt sich <strong>Nohl</strong> hinter Ernst Krieck, den er als „führende(n) Kopf der<br />

neuen objektiven Pädagogik“ bezeichnet <strong>und</strong> warnt lediglich davor, dass seine soziologischen<br />

Einsichten von der Typenbildung „von den Nachfolgern übersteigert“ werden<br />

(<strong>Nohl</strong>: Pädagogische Bewegung, 1935, S. 283). <strong>Nohl</strong> wendet sich also gegen „Überspannungen“,<br />

<strong>die</strong> aber seiner Ansicht nach „schnell zurückgenommen“ werden (<strong>Nohl</strong>:<br />

Pädagogische Bewegung, 1935, S. 284). <strong>Nohl</strong> stellt sich also als kritischer Begleiter der<br />

<strong>NS</strong>-Bewegung vor, der vor Simplifizierungen warnt, aber auch den Optimismus ausstrahlt,<br />

dass <strong>die</strong>se oder jene kleine Übertreibung eigentlich kein Gewicht hat.<br />

<strong>Nohl</strong> geht jedoch noch einen Schritt weiter <strong>und</strong> diskutiert in <strong>die</strong>sem Nachwort von 1935<br />

bereits <strong>die</strong> Möglichkeit, dass <strong>die</strong> Parole „Du bist nichts, dein Volk ist alles“ doch ihre<br />

Berechtigung erhält, nämlich im Falle des Krieges:<br />

„(…) wo das Ganze in Gefahr ist, verschwindet der Einzelne: das großartigste Dokument<br />

solcher kriegerischen Nationalpädagogik bei uns sind Fichtes Reden <strong>und</strong><br />

<strong>die</strong> Schriften seiner Schüler Arndt, Jahn, Jachmann, (…).“ (<strong>Nohl</strong>: Pädagogische<br />

Bewegung, 1935, S. 285, Hervorhebung im Original)<br />

Was <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> „zugelernt“ hat, zeigt sich auch anhand der folgenden Passage über<br />

<strong>die</strong> „biologische Substanz“:<br />

„Wir suchen zunächst <strong>die</strong> Elemente des Aufbaus für unser Dasein als Volk: seine<br />

biologische Substanz, seine Gliederung in Stadt <strong>und</strong> Land, das Leben seiner Familien<br />

<strong>und</strong> das Verhältnis seiner Generationen, <strong>und</strong> seine geistige Substanz in Sprache,


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

Sitte, Kunst, Fest, <strong>und</strong> in allem, was man <strong>die</strong> Heimat nennt, in Typus, Mythus <strong>und</strong><br />

Symbol.“ (<strong>Nohl</strong>: Pädagogische Bewegung, 1935, S. 286, Hervorhebungen im Original)<br />

Auch hier gilt wieder, dass <strong>Nohl</strong> betont, auf Biologie <strong>und</strong> Geist achten zu müssen,<br />

wobei unter der geistigen Substanz nun der „Mythos“, eben jener Mythos des<br />

20. Jahrh<strong>und</strong>erts, den Arthur Rosenberg beschwört, seinen Platz erhält. <strong>Nohl</strong> selbst<br />

bezeichnet das als das „ganz Neue unserer Nationallage“, dass „<strong>die</strong> volkserzieherische<br />

Aufgabe (…) auf den neuen Volkstypus, den biologischen wie den geistigen Typus,<br />

gerichtet ist“ (<strong>Nohl</strong>: Pädagogische Bewegung, 1935, S. 287).<br />

Weiter heißt es – direkt aus dem Vorlesungsmanuskript übernommen – bei <strong>Nohl</strong> in<br />

<strong>die</strong>sem Sinne, nun in aller Öffentlichkeit <strong>die</strong> „Typenbildung“ Ernst Kriecks herausstellend:<br />

„Man kann sich aber nicht denken, dass der Einheitswille unseres Volkes, der heute<br />

seine stärkste Sehnsucht ausdrückt, nicht auch mit <strong>die</strong>ser Trennung fertig werden<br />

sollte. Jedenfalls hat der nationalsozialistische Staat <strong>die</strong> Überzeugung der pädagogischen<br />

Bewegung hinter sich, wenn er hier radikal zugreift <strong>und</strong> <strong>die</strong> Ganzheit oberhalb<br />

aller <strong>die</strong>ser Gegensätze herausarbeitet. Er besitzt in dem nationalen Gehalt unserer<br />

Geschichte wie unserer Sendung auch den F<strong>und</strong>us, der <strong>die</strong> einheitliche Schule zu<br />

tragen vermag.“ (<strong>Nohl</strong>: Pädagogische Bewegung, 1935, S. 287)<br />

Nach so viel Unterstützung des <strong>NS</strong>-Regimes in theoretischer, politischer <strong>und</strong> praktischer<br />

Hinsicht geht <strong>Nohl</strong> – auch wieder aus dem Schlussteil des Vorlesungsmanuskripts<br />

übernommen – in seinem abschließenden Statement, sich auf Heidegger <strong>und</strong> Jaspers<br />

berufend, jedoch auch erneut 1935 deutlich ein Stück weit auf Distanz:<br />

„Die geistige Welt ist aber nicht bloß das bewusst-gemachte jeweilige historische<br />

Dasein, sondern greift darüber hinaus nach den ewigen Gr<strong>und</strong>rechten der Idealität,<br />

<strong>die</strong> auch das höchste historische Dasein noch richten. Wo einem Volk solche freie<br />

Geistigkeit versagt ist, weil sie gehemmt wird wie in den Staaten der Inquisition,<br />

oder nicht gewertet wird wie in Sparta, oder weil <strong>die</strong> radikalen Köpfe fehlen, <strong>die</strong><br />

immer wieder mutig zu den letzten Gr<strong>und</strong>lagen der Existenz durchstoßen, da geht es<br />

zugr<strong>und</strong>e. Plato ist es gewesen, der in seinem Staat <strong>die</strong> staatengestaltende Kraft der<br />

freien Wissenschaft, d. h. der Wissenschaft, <strong>die</strong> nicht im Dienst der Praxis steht, sondern<br />

<strong>die</strong> Wahrheit um ihrer selbst willen sucht, als erster ausgesprochen <strong>und</strong> so formuliert<br />

hat, dass sie bis heute fortwirkt: wahrhaft geb<strong>und</strong>en ist eine Überzeugung<br />

erst, wo sie nicht bloß im Enthusiasmus gründet, sondern gerechtfertigt ist durch ein<br />

wahrhaftes Denken.“ (<strong>Nohl</strong>: Pädagogische Bewegung, 1935, S. 288)<br />

In <strong>die</strong>ser abschließenden Passage, in der <strong>Nohl</strong> <strong>die</strong> freie Wissenschaft zu verteidigen<br />

beansprucht, bleibt ein Problem. Die Wahrheit, dass längst jede Freiheit der Wissenschaft<br />

beseitigt wurde, dass längst <strong>die</strong> „radikalen Köpfe“ fehlten, weil sie ermordet oder<br />

79


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

vertrieben worden waren, kann <strong>Nohl</strong> natürlich nicht aussprechen, das heißt: Diese<br />

Wahrheit spricht er nicht aus. Es bleibt, dass <strong>die</strong> Unterstützung des <strong>NS</strong>-Regimes <strong>und</strong><br />

biologistische <strong>und</strong> totalitäre Kernthesen trotz Warnungen vor Übertreibungen <strong>und</strong><br />

Überspannungen unwiderlegbar auch <strong>die</strong>ses Nachwort <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s im Jahre 1935<br />

kennzeichnen.<br />

4. „Charakter <strong>und</strong> Schicksal“: Zum Abschnitt<br />

„Die Rassen- <strong>und</strong> Völkerunterschiede“ (1938)<br />

In der Dokumentation ad fontes <strong>Nohl</strong> wurden aus <strong>Nohl</strong>s umfassender <strong>und</strong> gr<strong>und</strong>legender<br />

Schrift „Charakter <strong>und</strong> Schicksal“ 113 elf Seiten faksimiliert, nämlich das Kapitel „Die<br />

Rassen- <strong>und</strong> Völkerunterschiede“. 114 Beim Studium <strong>die</strong>ses Kapitels wird deutlich, dass<br />

<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> schon bemerkt, dass <strong>die</strong> rassistische <strong>und</strong> biologistische Basis ein sehr<br />

schwankender Boden ist. Im Gr<strong>und</strong>e schildert <strong>Nohl</strong> <strong>die</strong> erheblichen Schwierigkeiten bei<br />

der Definition einer Rasse ebenso wie bei dem Versuch, „nationale Charakterform<br />

wissenschaftlich fest(zu)stellen“ (<strong>Nohl</strong>: Charakter <strong>und</strong> Schicksal, 1938, S. 159). <strong>Nohl</strong><br />

beginnt mit einer phänomenologischen Selbstbeobachtung, <strong>die</strong> in das unfreiwillig<br />

Komische hineinreicht:<br />

80<br />

„(…) <strong>und</strong> begegnen uns gar exotische Rassen, Mongolen, Neger, aber auch schon<br />

Inder oder Zigeuner, so unterliegt selbst der gebildete Mensch leicht dem Zwang,<br />

immer wieder hinsehen zu müssen; man steht wie erschrocken vor <strong>die</strong>ser andern<br />

Form des Menschseins.“ (<strong>Nohl</strong>: Charakter <strong>und</strong> Schicksal, 1938, S. 159)<br />

<strong>Nohl</strong> schließt seine Einleitung mit folgender Fragestellung:<br />

„Die große Frage, <strong>die</strong> sich hier auftut, ist nun wieder <strong>die</strong>selbe, <strong>die</strong> wir jedes Mal tun<br />

mussten <strong>und</strong> doch nie reinlich beantworten konnten: handelt es sich hier um geschichtliche<br />

Ergebnisse auf Gr<strong>und</strong> von historischen Schicksalen <strong>und</strong> einer geistigen<br />

Produktivität oder um biologisch bedingte Erscheinungen, <strong>die</strong> Auswirkung einer im<br />

Erbstrom festgelegten seelischen Anlage?“ (<strong>Nohl</strong>: Charakter <strong>und</strong> Schicksal, 1938,<br />

S. 160)<br />

Wer <strong>Nohl</strong>s polare Herangehensweise, das „Sowohl-als-auch“, aus all seinen gr<strong>und</strong>le-<br />

genden Schriften kennt, wird nicht fehlgehen in der Annahme, dass es auch bei <strong>die</strong>ser<br />

Fragestellung um eine Versöhnung <strong>und</strong> Harmonisierung von biologistisch-rassistischem<br />

<strong>und</strong> geisteswissenschaftlich-pädagogischem Denken geht. <strong>Nohl</strong> geht dann auch tatsäch-<br />

lich davon aus, dass sich „in der Sache geistesgeschichtliche <strong>und</strong> biologische Bedingt-<br />

113<br />

<strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Charakter <strong>und</strong> Schicksal. Eine pädagogische Menschenk<strong>und</strong>e, Frankfurt am Main<br />

1938.<br />

114<br />

[Dokumentation ad fontes <strong>Nohl</strong>: S. 379–390]


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

heiten verweben“ (<strong>Nohl</strong>: Charakter <strong>und</strong> Schicksal, 1938, S. 162). Bei seinen Überle-<br />

gungen beruft <strong>Nohl</strong> sich unter anderem auf N. Wegener <strong>und</strong> andere. 115<br />

<strong>Nohl</strong> betont in seinem zweiten Abschnitt den „modernen Rassebegriff“, der eben „eine<br />

letzte biologische Tiefe kennt, aus der unsere Geistigkeit emporsteigt, (…)“ (<strong>Nohl</strong>:<br />

Charakter <strong>und</strong> Schicksal, 1938, S. 162). <strong>Nohl</strong> führt <strong>die</strong>sen Gedanke wie folgt fort:<br />

„Die letzten Jahrzehnte haben eine leidenschaftliche Bewegung in fast allen Völkern<br />

geweckt, <strong>die</strong> darauf aus ist, <strong>die</strong> tiefste Schicht zum Bewusstsein zu bringen <strong>und</strong> in<br />

reinen Formen auszuprägen, <strong>die</strong> Eigenheiten eines Blutstammes dadurch gleichsam<br />

zu festigen, ja zu verdichten <strong>und</strong> schöpferisch zu steigern. Tiefe instinktive Mächte<br />

sind hier an der Arbeit.“ (<strong>Nohl</strong>: Charakter <strong>und</strong> Schicksal, 1938, S. 162)<br />

<strong>Nohl</strong> zieht hier eine Parallele zur biologischen Tatsache, dass es Männer <strong>und</strong> Frauen<br />

gibt. So gebe es eben auch verschiedene Rassen. Die Untersuchung der Charaktereigenschaften<br />

sei ähnlich schwierig:<br />

„Amerika mit seinem Rassengemisch gibt den günstigen Boden für solche Untersuchungen<br />

ab. Man prüft verschiedene Rassen unter den gleichen Bedingungen <strong>und</strong><br />

Angehörige der gleichen Rasse unter verschiedenen Bedingungen <strong>und</strong> kommt dabei<br />

zu interessanten Feststellungen.“ (<strong>Nohl</strong>: Charakter <strong>und</strong> Schicksal, 1938, S. 163)<br />

Solche „interessanten Feststellungen“ folgen jedoch nicht. <strong>Nohl</strong> wendet sich seiner<br />

Betrachtungsweise zu, um Rassen zu beleuchten:<br />

„Damit wird <strong>die</strong> geisteswissenschaftliche Betrachtungsweise sichtbar, <strong>die</strong> nun hermeneutisch<br />

an <strong>die</strong> Lebensform der Rasse herangeht.“ (<strong>Nohl</strong>: Charakter <strong>und</strong> Schicksal,<br />

1938, S. 164, Hervorhebung im Original)<br />

Ob <strong>die</strong>se Methode ergiebig ist, sei hier dahingestellt. Das Ergebnis von <strong>Nohl</strong>s Überle-<br />

gungen lautet jedenfalls:<br />

„So stellt sie z. B. bei den Germanen <strong>die</strong> zweckfreie Kraftäußerung fest (…).“ (<strong>Nohl</strong>:<br />

Charakter <strong>und</strong> Schicksal, 1938, S. 164)<br />

Die Schwierigkeit der Beurteilung solcher Ergebnisse löst <strong>Nohl</strong> mit dem Begriff des<br />

„Mythos“:<br />

„Solches Ethos <strong>und</strong> solcher Lebensstil ist dann aber nicht mehr in einer objektiven<br />

Schicht zu suchen, sondern auch hier sind wie in der Geschlechter-Psychologie<br />

Wirklichkeit <strong>und</strong> Ideal nicht trennbar, <strong>und</strong> auch hier wird man zurückgeführt bis in<br />

das ursprünglichste Erscheinen des rassischen Wesens in Mythos <strong>und</strong> Sage.“ (<strong>Nohl</strong>:<br />

Charakter <strong>und</strong> Schicksal, 1938, S. 164)<br />

115 Wegner, Richard N.: Volkslied, Tracht <strong>und</strong> Rasse. Bilder <strong>und</strong> alte Lieder deutscher Bauern (mit einer<br />

nur für <strong>die</strong>ses Werk hergestellten Schallplatte mit Stücken aus alten Liedern deutscher Rassen), München<br />

1934; Lendvai-Dircksen, Erna: Das deutsche Volksgesicht, Berlin ohne Jahr (1932) <strong>und</strong> Wähler, Martin:<br />

Der deutsche Volkscharakter. Eine Wesensk<strong>und</strong>e der deutschen Volksstämme <strong>und</strong> Volksschläge, Jena<br />

1937.<br />

81


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

<strong>Nohl</strong>, der weiter feststellt, dass „Rasse ein biologischer Begriff ist, kein geschichtli-<br />

cher“, betont in der ihm eigenen Art <strong>die</strong> untrennbare „Einheit von innen <strong>und</strong> außen, <strong>die</strong><br />

mit Rasse gemeint ist“ (<strong>Nohl</strong>: Charakter <strong>und</strong> Schicksal, 1938, S. 164). Die zentrale<br />

Passage bei <strong>Nohl</strong> lautet dann:<br />

82<br />

„Die entscheidende Ursache für <strong>die</strong> Rassebildung, d. h. <strong>die</strong> Wandlung der Anlagen<br />

selbst, ist nicht <strong>die</strong> Mutation, sondern nur <strong>die</strong> Auslese. Hier allein können auch Eugenik<br />

<strong>und</strong> Pädagogik einsetzen. Solche Auslese verlangt aber zugleich, wie der bekannte<br />

Rassenforscher F. Lenz auf der Naturforscherversammlung in Stuttgart<br />

(1938) sagte, ‚ein geistiges Klima worin Menschen von Einsicht, Initiative <strong>und</strong> Leistungsfähigkeit<br />

gedeihen‘.“ (<strong>Nohl</strong>: Charakter <strong>und</strong> Schicksal, 1938, S. 164 f.) 116<br />

Hier hat <strong>Nohl</strong> nun also <strong>die</strong> Rolle der Pädagogik eingesetzt: Pädagogik als Auslese.<br />

Die im Folgenden vorgestellten Überlegungen von <strong>Nohl</strong> weisen wenig Systematik oder<br />

Logik auf. Seine Behauptungen über <strong>die</strong> „vergleichende Rassenphysiologie“ mit ihren<br />

Ergebnissen über „Drüsenfunktionen“ sowie „Kinn <strong>und</strong> Nase“ <strong>und</strong> der Behauptung,<br />

dass in der „nordischen Rasse der leptosome Typus häufiger“ sei (<strong>Nohl</strong>: Charakter <strong>und</strong><br />

Schicksal, 1938, S. 165), bleiben hier unberücksichtigt.<br />

Im dritten <strong>und</strong> letzten Abschnitt <strong>die</strong>ses Kapitels geht <strong>Nohl</strong> von den Rassenunterschieden<br />

zu den Völkern über, wobei er betont, welche große Rolle nationalpädagogische <strong>und</strong><br />

volkspädagogische Anstrengungen faschistischer Art selbst bei einem Volk wie den<br />

Italienern spielen kann:<br />

„Oder man erinnere sich, wie Mussolini <strong>die</strong> Italiener in bewusster Formgebung<br />

umgestaltete: ‚Der Anblick, <strong>die</strong> Lebensweise <strong>und</strong> <strong>die</strong> Leistung <strong>und</strong> nicht zuletzt <strong>die</strong><br />

Denkart‘ sind in den letzten 15 Jahren andere geworden. Vor dem Kriege konnte<br />

eine Gruppe Italiener keinen Eisenbahnwagen ohne Streit <strong>und</strong> Geschrei rangieren,<br />

jetzt gewinnen sie <strong>die</strong> Weltmeisterschaft in einem solchen Teamspiel wie dem Fußball<br />

<strong>und</strong> fliegen <strong>die</strong> schwierigsten Luftmanöver.“ (<strong>Nohl</strong>: Charakter <strong>und</strong> Schicksal,<br />

1938, S. 166)<br />

116 Lenz, Fritz: Gr<strong>und</strong>riss der menschlichen Erblichkeitslehre <strong>und</strong> Rassenhygiene. Band 1: Menschliche<br />

Erblichkeitslehre, 2. vermehrte <strong>und</strong> verbesserte Auflage, München 1923. Band 2: Menschliche Auslese<br />

<strong>und</strong> Rassenhygiene, 2. vermehrte <strong>und</strong> verbesserte Auflage, München 1923.<br />

Fritz Lenz (1887–1976), einer der führenden Rassehygieniker <strong>und</strong> Eugeniker in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong>, seit 1937<br />

Mitglied der <strong>NS</strong>DAP. Hitler geht in „Mein Kampf“ ausführlich auf Lenz’ Hauptwerk ein. Lenz, der an<br />

Zwangssterilisation farbiger deutscher Kinder („Rheinlandbastarde“) beteiligt war, verfasste zwei<br />

Denkschriften für das „Rasse- <strong>und</strong> Siedlungshauptamt der SS“ zur Ostkolonisation. Von 1946 bis 1955<br />

wurde er Professor für menschliche Erblehre in Göttingen. Siehe dazu: Weingart/Peter,<br />

Kroll/Jürgen/Bayertz, Kurt: Rasse, Blut <strong>und</strong> Gene. Geschichte der Eugenik <strong>und</strong> Rassenhygiene in<br />

Deutschland, Frankfurt am Main 1988 <strong>und</strong> Becker, Heinrich/Dahms, Hans-Joachim, Wegeler, Cornelia<br />

(Hrsg.): Die Universität Göttingen unter dem Nationalsozialismus, 2. erweiterte Ausgabe, München 1998,<br />

S. 244 ff.


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

Bei dem Versuch, sich dem Wesen der Deutschen zu nähern, wählt <strong>Nohl</strong> den Pflicht-<br />

begriff. Auf <strong>die</strong> Frage, in welcher Idee „<strong>die</strong> Gr<strong>und</strong>haltung unseres nationalen Wesens,<br />

das System der deutschen Weltanschauung auszudrücken wäre, so müsste man sie wohl<br />

in dem Begriff der Pflicht finden.“ (<strong>Nohl</strong>: Charakter <strong>und</strong> Schicksal, 1938, S. 167 f.,<br />

Hervorhebung im Original). Als ein Beleg verweist <strong>Nohl</strong> darauf, dass das Wort Pflicht<br />

weder in den antiken noch in den modernen Sprachen seine Entsprechung findet. So<br />

folgert <strong>Nohl</strong>, dass <strong>die</strong> „Kantische Ethik wirklich der vollkommene Ausdruck unseres<br />

Wesens“ (<strong>Nohl</strong>: Charakter <strong>und</strong> Schicksal, 1938, S. 168) sei, wenn auch nicht alles. <strong>Nohl</strong><br />

schildert <strong>die</strong>s feststellend <strong>und</strong> nicht ohne Hinweis auf <strong>die</strong> Problematik einer fehlenden<br />

Ästhetik <strong>und</strong> Geistigkeit. Er verweist auf <strong>die</strong> Problematik der Unsicherheit, „wo <strong>die</strong><br />

Pflicht nicht klar liegt“ (<strong>Nohl</strong>: Charakter <strong>und</strong> Schicksal, 1938, S. 168). <strong>Nohl</strong> betont,<br />

dass <strong>die</strong>se Pflichtauffassung protestantisch <strong>und</strong> norddeutsch sei, eine „kulturelle Gr<strong>und</strong>eigenschaft<br />

des Christen“ (<strong>Nohl</strong>: Charakter <strong>und</strong> Schicksal, 1938, S. 169). Abschließend<br />

stellt er fest:<br />

„Die Charakterform des preußischen Staats hat dann von Heer <strong>und</strong> Verwaltung aus<br />

allmählich unser ganzes Volk durchdrungen <strong>und</strong> geformt. Schließlich aber kann man<br />

doch <strong>die</strong>se Haltung, <strong>die</strong> in einer so protestantischen <strong>und</strong> preußischen Figur wie Hindenburg<br />

gipfelte, schon in der Nibelungensage finden, bei Hagen, Rüdiger <strong>und</strong> Dietrich<br />

von Bern, ihr Heldentum gewann seine Opferkraft aus ihrer Bindung an ihre<br />

Pflicht.“ (<strong>Nohl</strong>: Charakter <strong>und</strong> Schicksal, 1938, S. 169)<br />

Analytisch zeigt sich im Gr<strong>und</strong>e, dass <strong>Nohl</strong> den Rassismus <strong>und</strong> Biologismus nicht<br />

ablehnt. „Sein“ Gebiet ist <strong>die</strong> Geistesgeschichte <strong>und</strong> seine Präferenz ist der deutsche<br />

Nationalismus. Gerade <strong>die</strong> Herausstellung von Hindenburg ist ein Schlüssel. <strong>Nohl</strong> ist<br />

für das Bündnis von Hindenburg <strong>und</strong> Hitler, für den <strong>NS</strong>-Staat, aber innerhalb <strong>die</strong>ses<br />

Bündnisses favorisiert er Hindenburg <strong>und</strong> das seiner Meinung nach geschichtlich<br />

gewachsene Deutschnationale.<br />

5. Artikel <strong>und</strong> Aufsätze aus <strong>Zeit</strong>ungen, <strong>Zeit</strong>schriften <strong>und</strong> Broschüren 1933–1944<br />

Aus der Betrachtung der siebzehn Artikel <strong>und</strong> Aufsätze aus <strong>Zeit</strong>ungen, <strong>Zeit</strong>schriften <strong>und</strong><br />

Broschüren aus den Jahren 1933 bis 1944, <strong>die</strong> in der Dokumentation ad fontes <strong>Nohl</strong> –<br />

nach aktuellem Stand lückenlos – zusammengetragen wurden, ergeben sich kaum<br />

gewichtige neue Gesichtspunkte. Wichtiger ist <strong>die</strong> Feststellung, dass <strong>Nohl</strong> bis 1944 in<br />

der Tagespresse des <strong>NS</strong>-Regimes publizieren konnte. Die Themenvielfalt ist eher eng:<br />

vier Mal über seinen Fre<strong>und</strong>, den Maler Kuithan, einiges über Familie, Frauen <strong>und</strong><br />

83


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

Kinder, auch Biographisches, kleine Bemerkungen über <strong>die</strong> Großen der Pädagogik <strong>und</strong><br />

Geistesgeschichte sowie drei Rezensionen zu aktuellen pädagogischen Publikationen.<br />

Zu <strong>die</strong>sen Beiträgen <strong>Nohl</strong>s sei hier nur einiges kurz erwähnt:<br />

In dem kleinen Aufsatz zu Diltheys h<strong>und</strong>ertstem Geburtstag 117 lobt <strong>Nohl</strong> ausdrück-<br />

lich Heideggers Buch „Sein <strong>und</strong> <strong>Zeit</strong>“, da er „den philosophischen Sinn der Diltheyschen<br />

Arbeit erkannt <strong>und</strong> durch seine Radikalisierung aktualisiert hat“.<br />

Im kurzen Aufsatz „Die Bedeutung der Frau <strong>und</strong> Mutter für das Deutschtum im<br />

Ausland“ 118 definiert <strong>Nohl</strong> als Aufgabe der Kindergärten „dem Kinde Sprache, Mythos<br />

<strong>und</strong> Sitte unseres Volkes in den frühen Jahren zu lehren, wo sie noch seine unbewussten<br />

Instinkte gestalten“. Lobend hebt <strong>Nohl</strong> hervor, dass in <strong>die</strong>ser Hinsicht das „Grenzlanddeutschtum“<br />

vorangegangen sei <strong>und</strong> „den Kindergarten für seinen Kampf benutzt“. Der<br />

Gedanke der pädagogischen Autonomie findet sich hier nicht einmal im Ansatz. Für <strong>die</strong><br />

Zusammenhänge zwischen Pädagogik <strong>und</strong> Psychologie in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> mag es von<br />

Gewicht sein, dass <strong>Nohl</strong> ausgerechnet ein Buch von Erich Jaensch in der zweiten<br />

Auflage von 1935 positiv bespricht. 119<br />

117 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Zu Wilhelm Diltheys h<strong>und</strong>ertstem Geburtstag, in: Forschungen <strong>und</strong> Fortschritte,<br />

Nachrichtenblatt der Deutschen Wissenschaft <strong>und</strong> Technik, 9. Jg. (1933), Heft 33, S. 479–480. [Dokumentation<br />

ad fontes <strong>Nohl</strong>: S. 395]<br />

118 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Die Bedeutung der Frau <strong>und</strong> Mutter für das Deutschtum im Ausland, in: Kindergarten,<br />

<strong>Zeit</strong>schrift des Deutschen Fröbel-Verbandes, des Deutschen Verbandes für Schulkinderpflege <strong>und</strong> der<br />

Berufsorganisation der Kindergärtnerinnen, Hortnerinnen <strong>und</strong> Jugendleiterinnen e.V., 74. Jg. (1933),<br />

S. 125–126. [Dokumentation ad fontes <strong>Nohl</strong>: S. 396–397]<br />

119 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Rezension von: Erich Jaensch: Neue Wege der Erziehungslehre <strong>und</strong> Jugendk<strong>und</strong>e <strong>und</strong><br />

<strong>die</strong> deutsche Erneuerung, in: <strong>Zeit</strong>schrift für Kinderforschung, Jg. 1936, Band 45, S. 241. [Dokumentation<br />

ad fontes <strong>Nohl</strong>: S. 408] Jaensch plä<strong>die</strong>rt in <strong>die</strong>ser Schrift unter anderem für <strong>die</strong> „rechte Gattenwahl“ als<br />

wichtigsten Vorgang für <strong>die</strong> „völkische <strong>und</strong> rassische Höherführung“ (Jaensch, S. 66).<br />

Bereits 1933 erschien von Jaensch <strong>die</strong> Broschüre „Die Lage <strong>und</strong> <strong>die</strong> Aufgaben der Psychologie. Ihre<br />

Sendung in der deutschen Bewegung <strong>und</strong> an der Kulturwende“ (Leipzig 1933), wobei er an <strong>die</strong> Begrifflichkeit<br />

<strong>Nohl</strong>s von der „deutschen Bewegung“ anknüpft. Jaensch betätigt sich als ausgesprochener<br />

Antisemit <strong>und</strong> beschuldigt <strong>die</strong> Weimarer Republik, sie habe angeblich dafür gesorgt, dass das Fach<br />

Psychologie „ja nirgends in arische Hände kam“. In einer Fußnote rechtfertigt er ausdrücklich <strong>die</strong><br />

Vertreibung der jüdischen Hochschullehrer: „Zahlreiche deutsche Hochschullehrer erhalten jetzt Briefe<br />

aus dem Ausland, in denen zum Ausdruck gebracht wird, man verstünde dort den Antisemitismus an<br />

unseren Hochschulen nicht. Wir hätten ihn früher wohl selbst nicht verstanden; denn der Deutsche ist aufs<br />

äußerste friedfertig <strong>und</strong> gutmütig. Man weiß aber auch im Ausland anscheinend nicht, dass unsere<br />

Unterrichtsministerien 14 Jahre lang bemüht waren, das Judentum förmlich gegen uns auszuspielen, mit<br />

seiner Hilfe <strong>und</strong> durch seine starke Heranziehung in verschiedenen, namentlich in den für Weltanschauungsfragen<br />

wichtigen Fächern, alles niederzuhalten, was eigentümlich deutsch ist. Es gibt wohl in keinem<br />

anderen Lande ein entsprechendes Beispiel, <strong>und</strong> darum ist es begreiflich, dass man auswärts <strong>die</strong> Vorgänge<br />

in Deutschland nicht versteht“ (Jaensch 1933, S. 125).<br />

Es ist ein an anderer Stelle auch im Zusammenhang mit Heinrich Roth zu behandelnder Fragenkomplex, wie<br />

fast alle nicht vertriebenen Vertreter der Psychologie in Deutschland trotz (oder angesichts des erzeugten<br />

„Personalmangels“ wegen) des vorhandenen Antisemitismus in <strong>die</strong> Sparte der „Wehrmachtspsychologie“<br />

84


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

1943 bescheinigt <strong>Nohl</strong> in seinem Artikel „Der Maler Erich Kuithan (1875–1917)“ 120<br />

der „Neuromantik“, dass sie „vorwärts drängte in eine neue völkische Zukunft“.<br />

In der Rezension des Sammelbands „Deutsche Frauen schreiben an Kinder“ 121<br />

seiner Schülerin Erika Hoffmann hebt <strong>Nohl</strong> wohlwollend im Stil des Veteranen des<br />

Ersten Weltkriegs über eine Mutter hervor: „Sie schreibt aber auch den großen preußi-<br />

schen Satz: ‚Bloß durch strengen Gehorsam kann man Großes hervorbringen.‘ “ Er<br />

zitiert weiter eine andere Mutter „<strong>die</strong> schon einen Sohn im Krieg verlor <strong>und</strong> nun an den<br />

zweiten schreibt, der als Torpedomatrose in See geht“. Wie kommentiert <strong>Nohl</strong> <strong>die</strong>s? Er<br />

bezeichnet sie bew<strong>und</strong>ernd als „glaubensstarke deutsche Mutter, <strong>die</strong> zu Leben <strong>und</strong> Tod<br />

bereit ist“.<br />

* * *<br />

Die Versuche, <strong>die</strong> Widersprüche in <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s Biographie aufzudecken <strong>und</strong> zu<br />

verstehen, spielen in der Rezeption der Werke <strong>Nohl</strong>s eine nicht unwichtige Rolle. In der<br />

Tat hat <strong>Nohl</strong> selbst sehr ausführlich Einblicke in seine Familie geben wollen <strong>und</strong><br />

gegeben. Seine beiden in <strong>die</strong> Dokumentation ad fontes <strong>Nohl</strong> aufgenommenen familiärautobiographischen<br />

Aufsätze, 122 <strong>die</strong> nur in kleiner Auflage in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> (1939 <strong>und</strong><br />

1940) publiziert wurden, enthalten auch eine Schlüsselpassage zum Umgang <strong>Herman</strong><br />

<strong>Nohl</strong>s mit dem Antisemitismus. <strong>Nohl</strong> geht den Umweg über <strong>die</strong> Schilderung der als<br />

liebevoll vorgestellten antisemitischen Vorstellungen seines Vaters. Es heißt in <strong>die</strong>ser<br />

Schilderung:<br />

übergewechselt sind. Siehe Ortmeyer, Benjamin (Hrsg.): Heinrich Roths Veröffentlichungen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong>,<br />

Frankfurt am Main 2006.<br />

120 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Der Maler Erich Kuithan (1875–1917), in: Das XX. Jahrh<strong>und</strong>ert, 5. Jg. (1943), Heft<br />

Juni/Juli, S. 229–230. [Dokumentation ad fontes <strong>Nohl</strong>: S. 475–476]<br />

121 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Rezension von: Erika Hoffmann: „Deutsche Frauen schreiben an Kinder“, in: Deutsche<br />

Allgemeine <strong>Zeit</strong>ung, Nr. 234, 25.8.1944, Beiblatt. [Dokumentation ad fontes <strong>Nohl</strong>: S. 480–481]<br />

<strong>Nohl</strong> druckte <strong>die</strong>sen Beitrag nach 1945 erneut ab <strong>und</strong> schreibt dazu in einer Fußnote: „Die Besprechung<br />

erschien gekürzt bereits in der DAZ. vom 25.8.1944. Ich drucke sie hier noch einmal voll ab, um unsere<br />

Leser auf <strong>die</strong>se wichtige Briefsammlung nachdrücklich hinzuweisen. Sie ist eine der wenigen Veröffentlichungen<br />

der letzten Jahre, <strong>die</strong> nicht in Vergessenheit geraten dürfen“ (in: Die Sammlung. <strong>Zeit</strong>schrift für<br />

Kultur <strong>und</strong> Erziehung, 1. Jg. (1945/46), Heft 5, S. 302–305, hier S. 302).<br />

122 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: (Einleitung ohne Titel), in: Bertha <strong>Nohl</strong> <strong>und</strong> ihre Eltern Johann <strong>und</strong> Josephine Oser.<br />

Erinnerungen für ihre Kinder, als Manuskript gedruckt, ohne Ort 1939, S. 5–35 [Dokumentation ad fontes<br />

<strong>Nohl</strong>: S. 410–425] <strong>und</strong> <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Mein Vater, in: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong> (Hrsg.): <strong>Herman</strong>n <strong>Nohl</strong> 1850–1929<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> Geschichte seiner Familie. Erinnerungen für seine Enkel, als Manuskript gedruckt, ohne Ort<br />

1940, S. 28–55. [Dokumentation ad fontes <strong>Nohl</strong>: S. 426–455]<br />

85


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

86<br />

„Er las, so lange ich denken kann, <strong>die</strong> Tägliche R<strong>und</strong>schau, <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong>ung der nationalliberalen<br />

<strong>und</strong> alldeutschen Oberlehrer, war auch nicht ganz frei von ihrem Antisemitismus.<br />

Wenn eins der Kinder schrie, schob er den Kinderwagen unter dem Gesang<br />

‚Schmeißt ihn raus, den Juden Itzig‘ 123 ins andere Zimmer. Wollte er einen auf<br />

das Judentum des anderen aufmerksam machen, zog er <strong>die</strong> Nase an <strong>und</strong> krümmte<br />

den Zeigefinger. Wenn einer der Schüler bei der Aufnahme des Nationalen seine<br />

Religion mit ‚mosaisch‘ angab, dann verbesserte er ihn ‚also jüdisch‘. Aber das alles<br />

doch ohne Schärfe, wie er denn auch gegen meine jüdischen Fre<strong>und</strong>e immer fre<strong>und</strong>lich<br />

<strong>und</strong> gerecht blieb.“ 124<br />

Diese Passage <strong>Nohl</strong>s über seine „jüdischen Fre<strong>und</strong>e“ nach dem Pogrom vom<br />

9. November 1938 enthält einerseits eine klare Akzentsetzung gegen den aktuellen <strong>NS</strong>-<br />

Antisemitismus. Andererseits wird jedoch auch in bedrückender Weise sichtbar, mit<br />

welchem volksverhetzenden <strong>und</strong> diskriminierenden Alltagsantisemitismus <strong>die</strong> deutschnationalen<br />

Akademiker schon vor der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> teilweise sicher auch mehr unbewusst als<br />

bewusst operierten. <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> selbst hätte nach 1938 eine Ahnung haben können<br />

<strong>und</strong> eine Gewissheit haben müssen, dass <strong>die</strong>se pseudohumoristische Verächtlichmachung,<br />

so harmlos sie im Alltag zu sein schien, schließlich in blutigen <strong>und</strong> mörderischen<br />

Pogromen vor aller Welt einen vorläufigen Höhepunkt fand.<br />

Die in <strong>die</strong>sen beiden Aufsätzen veröffentlichten Einschätzungen <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s zu<br />

seiner Familie spielen auch in der Sek<strong>und</strong>ärliteratur eine gewisse Rolle <strong>und</strong> erhellen<br />

auch jene Fragen, <strong>die</strong> insbesondere im Zusammenhang mit den im Anhang der Dokumentation<br />

ad fontes <strong>Nohl</strong> abgedruckten Archivdokumenten knapp vorgestellt werden<br />

sollen.<br />

123 Diese Textzeile stammt wohl aus der <strong>Zeit</strong>spanne antisemitischer Agitation um 1880 (siehe dazu:<br />

Hoffmann, Gerd: Der Prozess um den Brand der Synagoge in Neustettin. Antisemitismus in Deutschland<br />

ausgangs des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts, Schifferstadt 1998), lässt sich aber auch in der „Kaperle“-Geschichte<br />

„Kasper <strong>und</strong> Abraham“ nachweisen, <strong>die</strong> im Ersten Weltkrieg im von Johannes Rabe herausgegebenen<br />

Sammelband „Sünd ji all dor? Althamburgische Kasperszenen“ (Hamburg 1915) erschien. In <strong>die</strong>sem<br />

antisemitischen Kinderstück erschlägt der „lustige“ Kasperle den Juden Abraham. Die Leiche wird mit<br />

dem Gesang „Schmeißt ihn raus, dem Juden Itzig“ beseitigt (Rabe 1915, S. 49). Das Lied, dann mit<br />

Noten, taucht auch in einem weiteren Sammelband von Rabe auf (Vivat Putschenelle! Alte Kasperschwänke,<br />

Hamburg 1916) auf. Der Hamburger Erziehungswissenschaftler Matthias Heyl kommentierte:<br />

„Hier wurde der Judenmord gleichsam als Kinderspiel vorgeführt <strong>und</strong> eingeübt“ (Presseinformation der<br />

Forschungs- <strong>und</strong> Arbeitstelle „Erziehung nach / über Auschwitz“ vom 21.5.2001, zitiert nach:<br />

http://www.fasena.de/archiv/presse.htm, eingesehen am 16.4.2008).<br />

124 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Mein Vater, in: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong> (Hrsg.): <strong>Herman</strong>n <strong>Nohl</strong> 1850–1929 <strong>und</strong> <strong>die</strong> Geschichte<br />

seiner Familie. Erinnerungen für seine Enkel, als Manuskript gedruckt, ohne Ort 1940, S. 49 f.


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

6. Archivdokumente zu <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

Aus dem umfangreichen <strong>und</strong> treffenden Werk Michael Grans über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> 125<br />

wurden für <strong>die</strong> Dokumentation ad fontes <strong>Nohl</strong> aus den 53 dort faksimilierten Dokumen-<br />

ten sieben ausgewählt, <strong>die</strong> biographische Fragen seines bis heute nicht umfassend<br />

geklärten Ausscheidens aus der Universität Göttingen 1937 betreffen sowie seine<br />

Denunziation als der KPD nahe stehend, <strong>die</strong> Kennzeichnung seiner Frau als „jüdischer<br />

Mischling“ <strong>und</strong> seine Mitgliedschaft in der SS.<br />

Das Dokument 1, <strong>die</strong> Entlassungsurk<strong>und</strong>e <strong>Nohl</strong>s von 1937, 126 belegt, dass <strong>Nohl</strong><br />

sozusagen ehrenhaft im März 1937 aus der Universität Göttingen entlassen wurde. Der<br />

offizielle Gr<strong>und</strong> ist hier wie folgt fixiert: „Aus Anlass des Neuaufbaus des deutschen<br />

Hochschulwesens“. Bei der Auswertung der vorhandenen Dokumente <strong>und</strong> Quellen zur<br />

Entlassung <strong>Nohl</strong>s ergibt sich eine Gemengelage von Gründen <strong>und</strong> Ursachen. Unstrittig<br />

spielen Rivalitäten zwischen verschiedenen Erziehungswissenschaftlern in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

hierbei eine Rolle. Aber auch <strong>die</strong> formalen Begründungen der Reduzierung der Hochschullehrer<br />

in Göttingen sind von Bedeutung. Inwieweit <strong>Nohl</strong> selbst ein Jahr nach dem<br />

Tod seiner Frau hier aktiv war, weil er möglicherweise doch ernsthaft in England eine<br />

Professur annehmen wollte, bleibt als dritter Faktor ebenfalls unklar.<br />

Das Dokument 2, ein Schreiben des Göttinger Kreispersonalamtsleiters von 1937, 127<br />

beweist jedenfalls, dass noch 1937 <strong>die</strong> jüdische Mutter seiner Frau verschiedenen <strong>NS</strong>-<br />

Schergen ein Dorn im Auge war. Gerade in <strong>die</strong>sem Dokument vom 14.5.1937 wird<br />

seine Entlassung als „notwendige Folgerung seiner politisch völlig unzuverlässigen<br />

Haltung“ charakterisiert. Dabei griff der Berichterstatter zu dem völlig absurden <strong>und</strong><br />

unhaltbaren Argument, „er gehörte vor der Machtübernahme zu den intellektuellen<br />

Anhängern der KPD <strong>und</strong> hat sich als solcher aktiv betätigt“.<br />

125<br />

Gran, Michael: Das Verhältnis der Pädagogik <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s zum Nationalsozialismus, Hamburg<br />

2005.<br />

126<br />

Entlassungsurk<strong>und</strong>e <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s vom 30.3.1937 (unterzeichnet von Adolf Hitler <strong>und</strong> <strong>Herman</strong>n<br />

Göring), Niedersächsische Staats- <strong>und</strong> Universitätsbibliothek Göttingen, Abteilung Handschriften <strong>und</strong><br />

alte Drucke (offizielle Schriftwechsel), Cod. Ms. H. <strong>Nohl</strong> 874/30. [Dokumentation ad fontes <strong>Nohl</strong>:<br />

S. 580]<br />

127<br />

Schreiben des Kreispersonalamtsleiters Göttingen an <strong>die</strong> Gauleitung der <strong>NS</strong>DAP, Gaupersonalamt<br />

Hannover vom 14.5.1937, B<strong>und</strong>esarchiv Berlin (ohne Kennung). [Dokumentation ad fontes <strong>Nohl</strong>:,<br />

S. 581]<br />

87


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

In Dokument 3, einer Einschätzung <strong>Nohl</strong>s durch den Göttinger Kreispersonalamtslei-<br />

ters von 1937, 128 wird <strong>die</strong>se Argumentation beibehalten <strong>und</strong> <strong>Nohl</strong>s Entlassung aus dem<br />

Hochschul<strong>die</strong>nst als unbedingt notwendige Folgerung „aus der völlig unzuverlässigen<br />

Haltung <strong>die</strong>ses Professors“ dargestellt. In <strong>die</strong>sem Dokument wäre noch der Frage<br />

nachzugehen, aus welcher Ecke <strong>die</strong>se Denunziationen, <strong>Nohl</strong> sei „intellektueller Anhän-<br />

ger der KPD“ gewesen, kamen, insbesondere <strong>die</strong> Behauptung: „Die Ehefrau gehörte<br />

ebenfalls dem ISK-Kreis an.“ Mit ISK ist hier der „Internationale Sozialistische Kampf-<br />

b<strong>und</strong>“ um Minna Specht gemeint, <strong>die</strong> in London im Exil aktiv war.<br />

Aus Dokument 4, einem Bewerbungsschreiben <strong>Nohl</strong>s von 1938, 129 geht hervor, wie<br />

ernsthaft <strong>Nohl</strong> sich um eine Professur in England bemüht hat. Sehr offen schreibt er:<br />

„Als 1933 <strong>die</strong> Pädagogik in Deutschland von der Politik abgelöst wurde <strong>und</strong> ich hier<br />

keine mögliche Arbeit mehr für mich sah, wandte ich mich wieder den Stu<strong>die</strong>n zu, <strong>die</strong><br />

ich vor dem Krieg begonnen hatte.“ Hier fällt auf, dass im Gr<strong>und</strong>e sein Rückzug aus der<br />

Hochschule als seine Entscheidung dargestellt wird. Andererseits formuliert er: „Ostern<br />

1937 wurde ich auf Gr<strong>und</strong> des § 4 des Gesetzes zur Umformung der Universität (Einsparung<br />

von Lehrstühlen) von meinen Amtspflichten entb<strong>und</strong>en.“ <strong>Nohl</strong> fügt hinzu: „Ich<br />

habe <strong>die</strong>se Emeritierung, <strong>die</strong> in allen Ehren erfolgte, so verstanden, dass meine Art <strong>die</strong><br />

Dinge zu sehen nicht mehr in <strong>die</strong> weltanschaulich begründete Universität des Nationalsozialismus<br />

passt.“<br />

In den Dokumenten 5 <strong>und</strong> 6, zwei Einschätzungen <strong>Nohl</strong>s durch <strong>die</strong> <strong>NS</strong>DAP aus dem<br />

Jahr 1944, 130 sind folgende Aspekte von Bedeutung: Der <strong>NS</strong>DAP-Kreisleitung Göttingen<br />

war offensichtlich nicht bekannt, dass <strong>Nohl</strong> Mitglied der SS war, da in der Rubrik<br />

„Zugehörigkeit“ ein „Nein“ eingetragen war. Im Unterschied zu den 1937 erstellten<br />

Einschätzungen enthalten beide <strong>NS</strong>-Dokumente sehr wohlwollende Charakterisierungen<br />

<strong>Nohl</strong>s. Es sei „nichts Nachteiliges“ zu melden. Im Jargon des Ortsgruppenleiters der<br />

128 Einschätzung <strong>Nohl</strong>s durch den Kreispersonalamtsleiter Göttingen vom 29.6.1937, B<strong>und</strong>esarchiv<br />

Berlin, Vorgänge PK <strong>und</strong> <strong>NS</strong>LB (ehem. BDC). [Dokumentation ad fontes <strong>Nohl</strong>:, S. 582]<br />

129 Bewerbungsschreiben <strong>Nohl</strong>s bezüglich der „Taylor Professorship of German Language and Literature“<br />

vom Sommer 1938, Niedersächsische Staats- <strong>und</strong> Universitätsbibliothek Göttingen, Abteilung Handschriften<br />

<strong>und</strong> alte Drucke (offizielle Schriftwechsel), Cod. Ms. H. <strong>Nohl</strong> 874/93. [Dokumentation ad fontes<br />

<strong>Nohl</strong>:, S. 583–586]<br />

130 Einschätzung <strong>Nohl</strong>s durch den Ortsgruppenleiter der <strong>NS</strong>DAP vom 28.10.1944, B<strong>und</strong>esarchiv Berlin,<br />

Vorgänge PK <strong>und</strong> <strong>NS</strong>LB (ehem. BDC). [Dokumentation ad fontes <strong>Nohl</strong>:, S. 587–588]<br />

Einschätzung <strong>Nohl</strong>s durch den Abschnittsleiter der <strong>NS</strong>DAP vom 13.11.1944, B<strong>und</strong>esarchiv Berlin,<br />

Vorgänge PK <strong>und</strong> <strong>NS</strong>LB (ehem. BDC). [Dokumentation ad fontes <strong>Nohl</strong>:, S. 589–590]<br />

88


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

<strong>NS</strong>DAP heißt es, <strong>Nohl</strong> stehe jetzt „auf dem Boden der Tatsachen“ <strong>und</strong> weiter: „Ver-<br />

sammlungen der <strong>NS</strong>DAP werden von ihm besucht <strong>und</strong> seine Opferwilligkeit wird als<br />

gut beurteilt.“ In dem schwer lesbaren Dokument vom 28.10.1944 heißt es nun über <strong>die</strong><br />

Ehefrau <strong>Nohl</strong>, es sei „bei Gelegenheit ihres Gesuchs um Aufnahme in d. R.-<br />

Musikkammer vom Rassenpol. Reichsamt <strong>die</strong> arische Abstammung festgestellt wor-<br />

den“.<br />

Zu den Merkwürdigkeiten solcher internen Berichte gehört auch, dass 1944 <strong>die</strong> Einschätzungen<br />

<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s von 1937 (Dokument 6) erneut vorgetragen <strong>und</strong> noch<br />

verstärkt wurden („aus hier vorliegenden Unterlagen aus dem Jahr 1937 geht hervor,<br />

dass Professor N. als Mitglied des ISK zu den stärksten Anhängern der KPD über seine<br />

demokratische Einstellung hinaus gerechnet werden konnte“), gleichzeitig aber <strong>die</strong><br />

Behauptung aufgestellt wurde, seine verstorbene Ehefrau sei nicht „Jüdin oder Mischling<br />

ersten Grades“ gewesen. Dies habe sich „nicht aufrecht erhalten lassen“. Die<br />

wiederholte Behauptung, <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> sei Anhänger der KPD gewesen, könnte möglicherweise<br />

auf eine Verwechslung mit seinem Bruder Johannes <strong>Nohl</strong> zurückgehen. Peter<br />

Dudek hat in einer Stu<strong>die</strong> <strong>die</strong> politisch weit links stehende Position von Johannes <strong>Nohl</strong><br />

im Kontakt mit Erich Mühsam detailliert nachgezeichnet. 131<br />

Das Dokument 7, der Entnazifizierungsfragebogen <strong>Nohl</strong>s vom Mai 1945, 132 bietet nun<br />

<strong>die</strong> Überraschung, dass er „eine zeitlang zahlendes Mitglied der SS“ war. Im Fragebogen<br />

selbst hat <strong>Nohl</strong> bei der Frage nach der Mitgliedschaft in der SS „nein“ eingetragen,<br />

mit dem Hinweis „vergleiche beiliegendes Blatt“. Auf <strong>die</strong>sem Beiblatt bleibt offen, wie<br />

lange <strong>Nohl</strong> („eine zeitlang“) Mitglied in der SS war <strong>und</strong> was er mit der Unterstreichung<br />

„zahlendes Mitglied“ aussagen wollte. Der Eintritt in <strong>die</strong> SS muss nach <strong>die</strong>ser Darstellung<br />

vor 1936 erfolgt sein, da <strong>Nohl</strong>s Frau 1936 verstorben war, seine Darstellung aber<br />

lautet: „In meiner Abwesenheit hatte man meiner Frau durch Drohungen <strong>die</strong> Einzeichnung<br />

in <strong>die</strong> Liste abgepresst, weil sie ‚nicht arisch‘ sei <strong>und</strong> wir unseren Sohn seit 1933<br />

in England erziehen ließen.“ <strong>Nohl</strong> hatte <strong>die</strong>se Erklärung den englischen Entnazifizierungsbehörden<br />

übergeben.<br />

131 Dudek, Peter: Ein Leben im Schatten. Johannes <strong>und</strong> <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> – zwei deutsche Karrieren im<br />

Kontrast. Heinz-Elmar Tenorth zum 60. Geburtstag, Bad Heilbrunn 2004.<br />

132 Entnazifizierungsfragebogen <strong>Nohl</strong>s vom 26.5.1945, Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hannover,<br />

Signatur NdS. 171 Hildesheim, Nr. 311. [Dokumentation ad fontes <strong>Nohl</strong>:, S. 591–594]<br />

89


II. Publikationen in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

Auch in seinen späteren Ausführungen über <strong>die</strong> <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> hat er nicht <strong>die</strong> Gelegenheit<br />

ergriffen, <strong>die</strong>sen Vorgang umfassend aufzuklären, obwohl sich eine Reihe von Fragen<br />

geradezu aufdrängen: War es wirklich möglich, Mitglied der SS zu werden durch eine<br />

Eintragung durch <strong>die</strong> eigene Frau? Gab es vor 1936 <strong>die</strong> Praxis der SS, durch Drohungen<br />

Einzeichnungen in <strong>die</strong> Mitgliedschaft zu erpressen? Gab es wirklich ein Interesse der<br />

SS, jemanden als Mitglied aufzunehmen, dessen Frau zunächst als „nichtarisch“ eingeschätzt<br />

wurde? Hypothetisch wahrscheinlicher ist <strong>die</strong> Hypothese, dass <strong>Nohl</strong> doch sehr<br />

bewusst <strong>und</strong> selbständig in <strong>die</strong> SS eingetreten ist, in einer Mischung aus damaliger<br />

Zustimmung zu den Kerngedanken des Nationalsozialismus <strong>und</strong> möglicherweise eben<br />

auch einem Schutzgedanken angesichts der Diffamierungen seiner Frau <strong>und</strong> seiner sich<br />

in England aufhaltenden Kinder.<br />

90<br />

* * *<br />

So oder so: Nach 1945 <strong>und</strong> auch nach abgewickelter Entnazifizierung haben Personen<br />

wie <strong>Nohl</strong> nirgends wirklich <strong>die</strong> Gelegenheit gesucht <strong>und</strong> genutzt, systematisch <strong>und</strong><br />

wissenschaftlich, moralisch <strong>und</strong> selbstkritisch <strong>die</strong> eigenen Anteile an der Unterstützung<br />

des <strong>NS</strong>-Regimes in den verschiedenen Phasen <strong>und</strong> aus unterschiedlichsten Motivationen<br />

heraus klarzustellen.


III. Nach 1945<br />

III. Nach 1945: Das „Wühlen im Schmutz <strong>und</strong> Blut der Vergangenheit“ 133<br />

Nach 1945 hat <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> eine ganze Reihe von Aufsätzen <strong>und</strong> Artikeln veröffent-<br />

licht (sein Bibliograph Offermann führt über fünfzig an), 134 von denen nur wenige zu<br />

dem Problem Stellung nehmen, wie <strong>die</strong> <strong>NS</strong>-Diktatur entstehen konnte <strong>und</strong> welche Rolle<br />

Erziehungswissenschaft <strong>und</strong> Pädagogik in <strong>die</strong>ser Hinsicht haben.<br />

1. Das Geleitwort aus der ersten Ausgabe der <strong>Zeit</strong>schrift „Die Sammlung“ (1945) 135<br />

Als Herausgeber der <strong>Zeit</strong>schrift „Die Sammlung“ eröffnete er im Geleitwort zum ersten<br />

Heft <strong>die</strong> Diskussionsbeiträge <strong>die</strong>ser <strong>Zeit</strong>schrift mit der polaren Auffassung über Rück-<br />

blick <strong>und</strong> Zukunft, wobei der durch <strong>die</strong> „geschichtliche St<strong>und</strong>e“ bedingte Akzent<br />

(ähnlich wie Bechers Anfang der DDR-Nationalhymne) eindeutig nicht auf dem Blick<br />

in Vergangenheit liegt, sondern auf der Vorausschau in <strong>die</strong> Zukunft. 136 <strong>Nohl</strong> schreibt:<br />

„Unsere <strong>Zeit</strong>schrift will dem Wiederaufbau unseres Volkes <strong>die</strong>nen, seiner Kultur <strong>und</strong><br />

insbesondere seiner neuen Erziehung. Der Rückblick auf <strong>die</strong> Vergangenheit wird<br />

sich nicht vermeiden lassen, aber unser Wille ist entschlossen nach vorwärts gerichtet<br />

in den grauen Morgen unserer Zukunft. Unser Kompass ist <strong>die</strong> einfache Sittlichkeit,<br />

ein standhafter Glaube an <strong>die</strong> Ewigkeit der geistigen Welt, Liebe zum Nächsten<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> lebendige Hoffnung, dass auch uns einmal wieder <strong>die</strong> Sonne der Ehre <strong>und</strong><br />

des Glücks scheinen werde. Wurde bisher sehr laut gesprochen, so wollen wir still<br />

<strong>und</strong> sachlich reden, <strong>und</strong> wurden Phantasie <strong>und</strong> Gedanken unseres Volkes zu lange<br />

133<br />

<strong>Nohl</strong> in einem Brief an Elisabeth Blochmann vom 10.3.1946, zitiert nach Blochmann, Elisabeth:<br />

<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> in der pädagogischen Bewegung seiner <strong>Zeit</strong> 1879–1960, Göttingen 1969, S. 200.<br />

134<br />

Offermann, Joseph: Bibliographie <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s, in: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Ausgewählte pädagogische<br />

Abhandlungen (Schöninghs Sammlung pädagogischer Schriften: Quellen zur Geschichte der Pädagogik),<br />

Paderborn 1967, S. 142–150.<br />

135<br />

<strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: (Geleitwort ohne Titel), in: Die Sammlung. <strong>Zeit</strong>schrift für Kultur <strong>und</strong> Erziehung, 1. Jg.<br />

(1945/46), Heft 1, S. 2.<br />

136<br />

<strong>Nohl</strong> wurde von der englischen Besatzungsmacht überprüft. In einem Brief von 1946 schreibt <strong>Nohl</strong>:<br />

„Dass man mich tatsächlich vor den Denazifizierungsausschuss gestellt hat <strong>und</strong> ich um ein Haar auch<br />

abgeschossen worden wäre, hat mich nur unterhalten“ (Brief von <strong>Nohl</strong> an Ebstein vom 2.6.1946,<br />

Niedersächsische Staats- <strong>und</strong> Universitätsbibliothek Göttingen, Cod. Ms. H. <strong>Nohl</strong> 643/24, zitiert nach:<br />

Matthes, Eva: Geisteswissenschaftliche Pädagogik nach der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong>. Politische <strong>und</strong> pädagogische<br />

Verarbeitungsversuche, Bad Heilbrunn 1998, S. 72). <strong>Nohl</strong> wurde offensichtlich von der englischen<br />

Besatzungsbehörde vorgeschlagen, dass er in <strong>die</strong> Redaktion seiner <strong>Zeit</strong>schrift „Die Sammlung“ (deren<br />

Autoren nun ja nicht alle ohne Berührungspunkte zum Nationalsozialismus waren) möglichst jemand<br />

aufnehmen solle, „der im KZ gesessen hatte“ (Matthes, S. 200). Elisabeth Blochmann interpretiert das in<br />

ihrer Schrift „<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> in der pädagogischen Bewegung seiner <strong>Zeit</strong> 1879–1960“ (Göttingen 1969) als<br />

„Unverständnis der Besatzungsmächte“ (Blochmann, S. 200). <strong>Nohl</strong> wiederum notierte laut Blochmann<br />

am 23.6.1946: „Ich kann mich auch nicht entschließen, wen ich als den geforderten radikalen Kompagnon<br />

hineinnehmen soll. (…) Was so schwer für <strong>die</strong> Menschen zu verstehen ist, dass man heute bei uns<br />

möglichst still vorwärts gehen muss, wenn man nur richtig geht! Dann weckt man keine Opposition, <strong>und</strong><br />

<strong>die</strong> Leser schlucken, was sie hören sollen <strong>und</strong> ohne Widerstand“ (Blochmann, S. 201 f.).<br />

91


III. Nach 1945<br />

92<br />

einseitig nach außen gewiesen, so wollen wir sie wieder nach innen lenken <strong>und</strong> zur<br />

Sammlung führen, aus der allein neue Kräfte kommen können. Wir wenden uns vor<br />

allem an <strong>die</strong> Lehrer, <strong>die</strong> heute eine Mission bekamen, wie zu keiner anderen <strong>Zeit</strong> in<br />

der Geschichte unserer Nation, <strong>und</strong> wollen ihnen <strong>die</strong> Mittel für <strong>die</strong> neue Arbeit bereitstellen,<br />

darüber hinaus aber alle Menschen sammeln, <strong>die</strong> guten Willens sind <strong>und</strong><br />

der gewaltlosen Macht des Geistes vertrauen.“ (<strong>Nohl</strong>: Geleitwort, 1945, S. 2)<br />

Analysiert man <strong>die</strong>se Zeilen, so sind folgende Gesichtspunkte festzuhalten: Erstens<br />

ergibt sich <strong>die</strong> Frage, wer „unser Volk“ ist. Der ganze Text, insbesondere <strong>die</strong> Passage,<br />

„dass auch uns einmal wieder <strong>die</strong> Sonne der Ehre <strong>und</strong> des Glücks scheinen werde“, geht<br />

nach wie vor von der Einheitlichkeit <strong>die</strong>ses deutschen Volkes aus. Es ist keinesfalls eine<br />

Spitzfindigkeit, hier <strong>die</strong> Fortsetzung der Idee der Volksgemeinschaft zu sehen <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />

einfache Frage zu stellen, ob <strong>die</strong> Überlebenden des Völkermords, ob <strong>die</strong> Überlebenden<br />

des politischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus sich in solchen Formulierungen<br />

wiederfinden können oder nicht. Der „graue Morgen unserer Zukunft“ beschwört<br />

ebenfalls <strong>die</strong>ses falsche Wir-Gefühl <strong>und</strong> <strong>die</strong> Frage bleibt, ob der Morgen in<br />

seiner Färbung nicht doch recht verschieden ist, für <strong>die</strong> <strong>NS</strong>-Verbrecher einerseits <strong>und</strong><br />

für <strong>die</strong> Gegner, <strong>die</strong> Verfolgten des <strong>NS</strong>-Regimes andererseits. Jene im Widerstand, <strong>die</strong><br />

nicht nur vom „Kompass der einfachen Sittlichkeit“ redeten, wie <strong>die</strong> Geschwister<br />

Scholl, Adolf Reichwein <strong>und</strong> manche andere, können zu <strong>Nohl</strong> nicht mehr Stellung<br />

nehmen.<br />

Die Pointe <strong>die</strong>ses Absatzes mit seiner pathetisch-primitiven Inhaltsleere (selbst <strong>die</strong><br />

Phrase, dass <strong>die</strong> Lehrer wieder eine „Mission“ bekommen, durfte nicht fehlen) ist<br />

zweifellos <strong>die</strong> Art <strong>und</strong> Weise, wie der Rückblick ins Auge gefasst wird:<br />

„Der Rückblick auf <strong>die</strong> Vergangenheit wird sich nicht vermeiden lassen (…)“<br />

In <strong>die</strong>ser Formulierung schwingt einerseits eine Kritik an jenen <strong>Zeit</strong>genossen mit, <strong>die</strong><br />

<strong>die</strong>sen Rückblick überhaupt ablehnen. So weit, so gut. An sie wendet sich <strong>Nohl</strong> <strong>und</strong><br />

versucht, <strong>die</strong>sen Rückblick als zwar unangenehm, aber unvermeidbar darzustellen, wie<br />

eine unangenehme Pflicht, eine lästige Notwendigkeit, <strong>die</strong> man hinter sich bringen<br />

muss:<br />

„(…) aber unser Wille ist entschlossen nach vorwärts gerichtet (…).“<br />

Noch ein Wort zu der „Mission der Lehrer“: 1932 hat <strong>Nohl</strong> ohne Not <strong>die</strong> Erzieher dazu<br />

aufgefordert, einen positiven Kern im Nationalsozialismus zu bejahen, statt <strong>die</strong> Situation<br />

demokratischer Verhältnisse in der Weimarer Republik zu nutzen, um mit pädagogi-


III. Nach 1945<br />

schem <strong>und</strong> politischem Verantwortungsbewusstsein zum Widerstand gegen <strong>die</strong> <strong>NS</strong>-<br />

Mordbanden aufzurufen. Der bereits vorgenommene Rückblick auf <strong>die</strong> Positionen<br />

<strong>Nohl</strong>s kurz vor <strong>und</strong> in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> lässt deutlich werden, warum er keinesfalls mit<br />

Energie <strong>und</strong> Begeisterung <strong>die</strong> Analyse der Erziehungswissenschaft <strong>und</strong> Pädagogik in<br />

der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> als eine zentrale Aufgabe nach 1945 ansehen kann.<br />

2. Das „Hildesheimer Manuskript“ (1946)<br />

Es ist Elisabeth Blochmanns Ver<strong>die</strong>nst, ausführliche Zitate aus einem Hildesheimer<br />

Manuskript 137 <strong>Nohl</strong>s von 1946 vorgelegt zu haben. Dieses Redemanuskript eines<br />

Vortrags vor Lehrern in Hildesheim ist nach Auffassung Blochmanns ursprünglich nicht<br />

für <strong>die</strong> Veröffentlichung vorgesehen gewesen, da es gründlicher Überarbeitung bedurft<br />

hätte. Dass Blochmann in ihrem Buch „<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> in der pädagogischen Bewegung<br />

seiner <strong>Zeit</strong>“ (Göttingen 1969) längere Passagen zitiert, begründet sie damit, dass dem<br />

Text „ein biographisches <strong>und</strong> ein zeitgeschichtliches Interesse zukommt“ (<strong>Nohl</strong>:<br />

Hildesheimer Manuskript, 1946, S. 185). Als Hauptgedanke hebt sie hervor:<br />

„Ein jahrtausendalter Kampf um unsere deutsche Weltstellung hat ein tragisches<br />

Ende gef<strong>und</strong>en, außenpolitisch sind wir auf Generationen tot, ein zerbrochenes Volk,<br />

dem sein Machtwille genommen ist. Innenpolitisch geht es um unsere nackte leibliche<br />

<strong>und</strong> wirtschaftliche Existenz. Unsere Industrie ist zerstört, unsere Häuser, unsere<br />

Wohnmittel, Werkzeuge, <strong>die</strong> meisten unserer Kulturgüter <strong>und</strong> Erinnerungen, in denen<br />

<strong>die</strong> Gefühle unserer eigenen Jugend groß geworden sind – alles liegt an der<br />

Erde. Deutschland ist wie ausgebrannte Asche. Und <strong>die</strong>ser äußeren Vernichtung<br />

entspricht <strong>die</strong> innere. Auch da stehen wir vor einem Trümmerhaufen, einem Zusammenbruch<br />

unserer moralischen <strong>und</strong> intellektuellen Kultur, <strong>und</strong> bevor wir uns darüber<br />

nicht ganz klar geworden sind, <strong>und</strong> bevor wir auch hier <strong>die</strong> Trümmer einer Vergangenheit<br />

nicht sauber weggeräumt haben, wird auch im Geistigen der Neubau nicht<br />

gelingen.“ (<strong>Nohl</strong>: Hildesheimer Manuskript, 1946, S. 185)<br />

Wie ist es möglich, dass <strong>Nohl</strong> ernsthaft schreibt: „Ein jahrtausendalter Kampf um<br />

unsere deutsche Weltstellung hat ein tragisches Ende gef<strong>und</strong>en“? Was will <strong>Nohl</strong> damit<br />

sagen? Dass das zwölf Jahre dauernde „Tausendjährige Reich“ sein Ende gef<strong>und</strong>en hat,<br />

war ja nun nicht tragisch, sondern höchst erfreulich.<br />

Auch <strong>die</strong> Phrase „unsere deutsche Weltstellung“ impliziert ja keinesfalls eine Ablehnung<br />

imperialer deutscher Ambitionen. Gleichzeitig ist in <strong>die</strong>sem Satz <strong>die</strong> absurde<br />

137 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Manuskript zu einem Vortrag in Hildesheim 1946 ohne Titel (Auszüge), in: Blochmann,<br />

Elisabeth: <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> in der pädagogischen Bewegung seiner <strong>Zeit</strong> 1879–1960, Göttingen 1969,<br />

S. 185–188.<br />

93


III. Nach 1945<br />

Vorstellung eines „jahrtausendalten Kampfes“ enthalten, eine Phrase des deutschen<br />

Nationalismus, mit der alle geschichtlichen Großereignisse als Vorläufer des Zweiten<br />

Weltkriegs eingeordnet werden: <strong>die</strong> Kreuzzüge <strong>und</strong> <strong>die</strong> Bauernkriege, der Dreißigjähri-<br />

ge Krieg <strong>und</strong> <strong>die</strong> Revolution von 1848, der deutsch-französischen Krieg von 1871 <strong>und</strong><br />

der Erste Weltkrieg. 138<br />

<strong>Nohl</strong>, der angesichts der Gräuel in den KZs, <strong>die</strong> er kurz anschneidet, sagt, dass <strong>die</strong><br />

„satanische Führung der Partei“ <strong>die</strong> „Ehre unseres Volkes“ beschmutzt habe, <strong>und</strong> als<br />

Nationalist von „dem heißen Schmerz über das, was jetzt den deutschen Menschen<br />

geschieht“, spricht (vom Schmerz über das, was nichtdeutschen Menschen <strong>und</strong> den vom<br />

<strong>NS</strong>-Regime verfolgten deutschen Menschen angetan wurde, ist bei <strong>Nohl</strong> nicht <strong>die</strong><br />

Rede). Dennoch stellt <strong>Nohl</strong> zu <strong>die</strong>sem <strong>Zeit</strong>punkt 1946 noch <strong>die</strong> völlig richtige Frage:<br />

94<br />

„Wenn man nun aber fragt, wie war es überhaupt möglich, dass es so weit bei uns<br />

kommen konnte, dann wird sichtbar, dass der Nationalsozialismus mit seinen Methoden<br />

doch nur eine letzte entsetzliche Folge einer längeren geschichtlichen Entwicklung<br />

ist, in der wir alle mehr oder minder mitgemacht haben, ohne zu ahnen, wohin<br />

der Weg führte. Diese Entwicklung hier heute darzustellen, würde zu weit führen, ich<br />

will in <strong>die</strong>ser St<strong>und</strong>e nur von der falschen Idealbildung sprechen, <strong>die</strong> wir uns angewöhnt<br />

hatten <strong>und</strong> ihren sittlichen Konsequenzen, deren Extrem der Nationalsozialismus<br />

dann brachte.“ (<strong>Nohl</strong>: Hildesheimer Manuskript, 1946, S. 186)<br />

Immerhin, so führt Blochmann an, war <strong>Nohl</strong> bewusst, dass an <strong>die</strong>ser vorbereitenden<br />

Entwicklung <strong>die</strong> „nationale Bewegung seit Fichte bis Lagarde, der Machtstaat seit<br />

Hegel <strong>und</strong> Bismarck“ (<strong>Nohl</strong>: Hildesheimer Manuskript, 1946, S. 186) beteiligt waren.<br />

Dies alles jedoch, so Blochmann, führt bei <strong>Nohl</strong> dazu, programmatisch einen „höheren<br />

Nationalismus“ auf der Basis der Sorge „für <strong>die</strong> Volksges<strong>und</strong>heit, der Heimatliebe <strong>und</strong><br />

des Sinnes für <strong>die</strong> Muttersprache“ (<strong>Nohl</strong>: Hildesheimer Manuskript, 1946, S. 187) zu<br />

fordern.<br />

Da <strong>Nohl</strong>s Manuskript nicht vollständig vorliegt, ist es nicht möglich, zu einer Gesamteinschätzung<br />

zu kommen, aber es könnte immerhin auch gute Gründe geben – in <strong>die</strong><br />

eine oder in <strong>die</strong> andere Richtung –, warum <strong>Nohl</strong> <strong>die</strong>ses Manuskript nicht in später<br />

erschienene Sammelbände aufgenommen hat.<br />

138 Ausgesprochen unangenehm berührt in der Darstellung <strong>Nohl</strong>s das jammernde, völlig überzogene <strong>und</strong><br />

unrealistische Bild der Lage. Warum ist ein Volk „zerbrochen, dem sein Machtwille genommen ist“?<br />

Auch <strong>die</strong> Metapher „Deutschland ist wie ausgebrannte Asche“ ist nicht nur völlig unangebracht, sondern<br />

angesichts der Millionen verbrannten Leichen in den Vernichtungslagern ausgesprochen absurd. Wahr ist<br />

gewiss, dass es einen moralischen Trümmerhaufen gab, vor dem nicht nur <strong>die</strong> Intellektuellen standen,<br />

sondern den gerade jene Intellektuelle, <strong>die</strong> am <strong>NS</strong>-System mitgearbeitet hatten, selbst repräsentierten.


3. Die geistige Lage des akademischen Nachwuchses (1946) 139<br />

III. Nach 1945<br />

In <strong>die</strong>sem Aufsatz sind zwei Gesichtspunkte hervorzuheben. Zunächst greift <strong>Nohl</strong><br />

Platons Elitegedanken wieder auf <strong>und</strong> formuliert als Ausgangspunkt seiner Überlegun-<br />

gen:<br />

„Wir brauchen eine neue Elite. Keine Gesellschaft kann ohne eine gewisse Hierarchie,<br />

ohne <strong>die</strong> Herrschaft der Besten auskommen.“ (<strong>Nohl</strong>: Geistige Lage, 1946,<br />

S. 274)<br />

<strong>Nohl</strong> ist schon bewusst, dass nun, nach dem 8. Mai 1945, <strong>die</strong> Frage der Demokratie<br />

wieder an Bedeutung gewinnt, <strong>und</strong> er warnt davor,<br />

„(…) mit dem neuen Freiheitsideal auch <strong>die</strong> Verantwortlichkeit los zu sein <strong>und</strong> bloß<br />

noch Kritik üben zu müssen. Der hohe Sinn der wahren Demokratie ist aber <strong>die</strong> freiwillige<br />

Verantwortlichkeit der Besten.“ (<strong>Nohl</strong>: Geistige Lage, 1946, S. 276)<br />

Die ganze antidemokratische Gr<strong>und</strong>gesinnung, <strong>die</strong> Tatsache, dass <strong>Nohl</strong> in keiner<br />

einzigen seiner Publikationen Gedanken über Demokratie <strong>und</strong> Pädagogik entwickelt<br />

hat, schlägt sich in <strong>die</strong>ser Auffassung von Demokratie für <strong>die</strong> Elite nieder. Somit ist<br />

man bei einer zentralen Frage der Geschichte der Pädagogik überhaupt angelangt,<br />

nämlich bei der Definition <strong>und</strong> Ausführung demokratischer Pädagogik.<br />

In einem zweiten Gedanken in <strong>die</strong>sem Aufsatz befasst sich <strong>Nohl</strong> mit dem Pflichtgefühl.<br />

<strong>Nohl</strong> referiert Pflichtgefühl <strong>und</strong> Pflichtethik seit dem Nibelungenlied über Luther bis<br />

Kant <strong>und</strong> den preußischen Staat <strong>und</strong> fasst zusammen:<br />

„Wir wissen alle, welche Größe in der Hingabe an eine Pflicht enthalten ist <strong>und</strong> was<br />

sie im Leben bedeutet. Sie ermöglichte den eisernen Charakter der deutschen Disziplin,<br />

auf den wir so stolz waren (…).“ (<strong>Nohl</strong>: Geistige Lage, 1946, S. 277)<br />

Es wird beim genauen Lesen spürbar, dass <strong>Nohl</strong> so ganz im Sinne seiner polaren<br />

Herangehensweise von <strong>die</strong>ser Pflichtethik nicht abgehen will, sondern lediglich bei der<br />

Übertreibung mit seiner Kritik ansetzt.<br />

„Die Gefahr <strong>die</strong>ser Haltung ist aber eine Unselbständigkeit, <strong>die</strong> auf den Befehl wartet.<br />

Im Nationalsozialismus wurde daraus <strong>die</strong> bedingungslose Einordnung <strong>und</strong> Unterwerfung<br />

unter das Parteigebot, um schließlich bei der willenlosen Vollstreckung<br />

selbst verbrecherischer Befehle zu enden.“ (<strong>Nohl</strong>: Geistige Lage, 1946, S. 277)<br />

Diese Passage ist in gewisser Hinsicht eine der wenigen, <strong>die</strong> für eine vertiefende<br />

Diskussion Ansatzpunkte der Auseinandersetzung mit den <strong>NS</strong>-Verbrechen, mit der<br />

139 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Die geistige Lage des akademischen Nachwuchses, in: Pädagogik aus dreißig Jahren,<br />

Frankfurt am Main 1949, S. 272–278. Zuerst abgedruckt in: Die Sammlung. <strong>Zeit</strong>schrift für Kultur <strong>und</strong><br />

Erziehung, 2. Jg. (1947), Heft 1, S. 1–6.<br />

95


III. Nach 1945<br />

Funktion von Befehl <strong>und</strong> Gehorsam bei <strong>die</strong>sen Verbrechen bietet. Wenngleich auch hier<br />

das Problem angelegt ist, <strong>die</strong> Teilnahme an Verbrechen lediglich aus „Befehlsnotstand“<br />

<strong>und</strong> „übertriebenem Pflichtgefühl“ zu erklären. Der Frage nach den „willigen Vollstreckern“,<br />

den Denunzianten aus Überzeugung, den Antisemiten aus Überzeugung, den<br />

Antibolschewisten aus Überzeugung usw., kann so, wie oft genug geschehen, relativ<br />

bequem aus dem Weg gegangen werden.<br />

4. Die geistige Lage im gegenwärtigen Deutschland (1947) 140<br />

In seinem 1947 geschriebenen Aufsatz gibt es einige bemerkenswerte Passagen zur<br />

Einschätzung der Lage mit noch bemerkenswerteren Schlussfolgerungen.<br />

1947 hat <strong>Nohl</strong> eine Rede vor Studenten über <strong>die</strong> damals aktuelle Lage gehalten. Dieses<br />

Dokument von <strong>Nohl</strong> ist in mehrfacher Hinsicht bedeutsam. Einer wirklichen Analyse<br />

der Verbrechen des <strong>NS</strong>-Systems <strong>und</strong> ihrer Auswirkungen auf <strong>die</strong> geistige Lage der<br />

Jugendlichen ist <strong>Nohl</strong> aus dem Weg gegangen:<br />

96<br />

„So schlug auch <strong>die</strong> große demokratische Welle, <strong>die</strong> wir nach dem ersten Weltkrieg<br />

hatten, in eine nationale um. Dem Nationalsozialismus gelang es damit, zum ersten<br />

Mal in Deutschland eine wirkliche Massenorganisation, <strong>die</strong> alle Schichten des Volkes<br />

umfasste, zu schaffen. Und auch heute ist das Gr<strong>und</strong>gefühl in den Massen <strong>und</strong><br />

insbesondere in der Jugend nicht primär das soziale, sondern das nationale.“ (<strong>Nohl</strong>:<br />

Gegenwärtiges Deutschland, 1947, S. 258)<br />

Nicht erwähnt wird hier, dass <strong>die</strong>se sogenannte „wirkliche Massenorganisation“, <strong>die</strong><br />

angeblich „alle Schichten des Volkes umfasste“, <strong>die</strong> jüdische Bevölkerung in Deutsch-<br />

land brutal ausgesondert, diskriminiert <strong>und</strong> keinesfalls „umfasst“ hat. Dass <strong>die</strong> Gefühle<br />

der Jugendlichen, <strong>die</strong> dem <strong>NS</strong>-System folgten, national gewesen sein sollen, stimmt nur<br />

in einem sehr eingeschränkten <strong>und</strong> begrenzten Sinne, da wesentlich für <strong>die</strong> <strong>NS</strong>-<br />

Ideologie <strong>die</strong> Nutzung nationaler Gefühle für imperialistische, überhebliche <strong>und</strong> kriege-<br />

rische Zielsetzungen war. Auch davon ist bei <strong>Nohl</strong> keine Rede. <strong>Nohl</strong> hat viel Verständnis<br />

für den Nationalismus nach 1945 <strong>und</strong> formuliert:<br />

„Wo der nationale Ton angeschlagen wird, nehmen sie [<strong>die</strong> jungen Menschen] ihn<br />

sofort begeistert auf, sie leiden unter dem ständigen Beschimpftwerden ihres Volkes<br />

<strong>und</strong> sind in ihrem innersten Selbstgefühl verletzt.“ (<strong>Nohl</strong>: Gegenwärtiges Deutschland,<br />

1947, S. 258)<br />

140 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Die geistige Lage im gegenwärtigen Deutschland, in: Pädagogik aus dreißig Jahren,<br />

Frankfurt am Main 1949, S. 257–264. Zuerst abgedruckt in: Die Sammlung. <strong>Zeit</strong>schrift für Kultur <strong>und</strong><br />

Erziehung, 2. Jg. (1947), Heft 11, S. 601–606.


III. Nach 1945<br />

Dass es nicht um ein „Beschimpftwerden ihres Volkes“ geht, sondern um <strong>die</strong> Analyse<br />

der Verbrechen der <strong>NS</strong>-Herrschaft, <strong>die</strong> dazu führte, dass <strong>die</strong> deutsche Bevölkerung in<br />

ihrer großen Mehrheit auf Verachtung <strong>und</strong> Ablehnung stieß, ist ein Aspekt, den zu<br />

analysieren <strong>Nohl</strong> für nicht nötig hält.<br />

<strong>Nohl</strong> folgert über <strong>die</strong> Rolle des Pädagogen:<br />

„Der Pädagoge steht hier vor einer schwierigen Aufgabe. Predigt er <strong>die</strong> Demokratie,<br />

den Pazifismus, den Internationalismus, so findet er taube Ohren <strong>und</strong> geheime leidenschaftliche<br />

Abneigung. Er wird für eine ges<strong>und</strong>e Entwicklung <strong>die</strong>ses Nationalgefühls<br />

sorgen müssen, wird ihm, wo das noch nötig ist, <strong>die</strong> Giftzähne des Egoismus<br />

ausziehen müssen <strong>und</strong> ihn nach innen wenden, auf <strong>die</strong> Höherbildung des deutschen<br />

Geistes, wird Liebe zu unserem schönen Land, seiner Sprache, seiner Musik, seiner<br />

Dichtung <strong>und</strong> Philosophie lehren <strong>und</strong> alle Kräfte aufrufen, um unser Volk wieder<br />

aufzubauen in Treue zu allem Großen <strong>und</strong> Edelen in der Vergangenheit. Das wird<br />

sich dann von selbst verbinden mit einem echten Humanismus, der jedem fremden<br />

Volk mit Ehrfurcht begegnet <strong>und</strong> für das Wohl der Menschheit arbeitet.“ (<strong>Nohl</strong>: Gegenwärtiges<br />

Deutschland, 1947, S. 259, Hervorhebungen im Original)<br />

Hierbei sind folgende Gesichtspunkte bemerkenswert: Es soll nicht bestritten werden,<br />

dass <strong>Nohl</strong> vermutlich doch realistisch das Ausmaß der <strong>NS</strong>-Indoktrination der Jugend in<br />

seinen Worten erfasst hat. Seine Schlussfolgerung jedoch, als gelte es nur hier <strong>und</strong> da<br />

einige Giftzähne auszuziehen, verkennt den Zustand des sogenannten „Nationalgefühls“<br />

direkt nach 1945. Auch <strong>die</strong> Metapher von der „ges<strong>und</strong>en Entwicklung“ erinnert mehr an<br />

das „ges<strong>und</strong>e Volksempfinden“, als dass mit ihr rational erklärt werden könnte, dass es<br />

eigentlich nicht um „Nationalgefühl“, sondern um Nationalbewusstsein gehen müsste<br />

im Sinne eines wirklichen Bewusstseins: eines gebildeten Bewusstseins über Geschichte<br />

<strong>und</strong> Gegenwart Deutschlands.<br />

Zudem: Apodiktisch wird hier von <strong>Nohl</strong> ein Automatismus zwischen „Nationalgefühl“<br />

<strong>und</strong> „Humanismus“ konstruiert, für den es weder in der Geschichte noch in der damaligen<br />

Gegenwart einen einzigen Anhaltspunkt argumentativer Art geben konnte <strong>und</strong><br />

kann.<br />

Von Interesse ist auch, wie <strong>Nohl</strong> auf den Prozess der notwendigen Entnazifizierung<br />

eingeht. Für <strong>Nohl</strong> ist <strong>die</strong> Entnazifizierung keine Notwendigkeit, sondern eins von<br />

mehreren „Inferno(s) des Alltags“ (<strong>Nohl</strong>: Gegenwärtiges Deutschland, 1947, S. 260).<br />

Drei Infernos beschreibt er: „Hunger <strong>und</strong> Kälte“, „das moralische Unglück des schwarzen<br />

Marktes mit seinen gefährlichen Verlockungen“ <strong>und</strong> „<strong>die</strong> Entnazifizierung“ (<strong>Nohl</strong>:<br />

Gegenwärtiges Deutschland, 1947, S. 261).<br />

97


III. Nach 1945<br />

Er schreibt über <strong>die</strong>sen dritten Punkt:<br />

98<br />

„(…) da ist weiter das andere moralische Unglück der Entnazifizierung mit ihrem<br />

seelischen Druck, ihrer Verführung zur Lüge <strong>und</strong> zu jeder Charakterlosigkeit.“<br />

(<strong>Nohl</strong>: Gegenwärtiges Deutschland, 1947, S. 261)<br />

<strong>Nohl</strong> legt damit offensichtlich nahe, dass <strong>die</strong>s ein Vorgang ist, der bekämpft werden<br />

müsse. Dass jene, deren Entnazifizierung zwingend geboten war, gar nicht erst zur<br />

„Lüge <strong>und</strong> zu jeder Charakterlosigkeit“ verführt werden mussten, sondern Lüge <strong>und</strong><br />

Charakterlosigkeit Wesensmerkmale des Nazismus waren, kommt <strong>Nohl</strong> gar nicht in den<br />

Sinn. 141<br />

Von einer wirklich selbstkritischen Einstimmung 142 auf eine tiefgehende Reflexion über<br />

<strong>die</strong> <strong>NS</strong>-Erziehungsideologie kann bei <strong>Nohl</strong> hier eindeutig nicht <strong>die</strong> Rede sein.<br />

5. Die heutige Aufgabe der Frau (1947) 143<br />

Dieser 1947 verfasste Beitrag beginnt mit Goethe <strong>und</strong> endet beim Arbeits<strong>die</strong>nst. Er<br />

enthält neben einer Fülle von Peinlichkeiten über <strong>die</strong> angeblichen Tugenden <strong>und</strong><br />

Untugenden der deutschen Frau <strong>und</strong> ihren Sinn dafür, „sonntags <strong>die</strong> Blumen auf den<br />

141 Elisabeth Blochmann schildert in ihrer Monographie „<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> in der pädagogischen Bewegung<br />

seiner <strong>Zeit</strong> 1879–1960“ (Göttingen 1969), dass <strong>Nohl</strong> nach 1945 „ein öffentliches Wirken im großen Stil“<br />

(Blochmann, S. 189) ermöglicht wurde. Sie hebt seine Rolle bei der Entnazifizierung hervor: „Die rasche<br />

Entschiedenheit gegen <strong>die</strong> wirklichen Nazis <strong>und</strong> <strong>die</strong> Großzügigkeit gegen <strong>die</strong>, <strong>die</strong> sich nur hatten<br />

einfangen lassen.“ (Blochmann, S. 190) Es sei hier angemerkt, dass für <strong>die</strong>se „rasche Entschiedenheit“<br />

des Vorgehens gegen <strong>die</strong> wirklichen Nazis von Blochmann keine Belege angeführt werden <strong>und</strong> solche<br />

auch nicht bekannt sind, während <strong>die</strong> „Großzügigkeit“ gegenüber den Befürwortern des Nationalsozialismus<br />

in der Tat charakteristisch für <strong>Nohl</strong> ist.<br />

Eva Matthes verweist auf ein Memorandum <strong>Nohl</strong>s für <strong>die</strong> britische Militärverwaltung aus dem Jahr, in<br />

dem <strong>Nohl</strong> fordert: „Anständige N[ational]S[ozialisten], <strong>die</strong> ihre Stellung nicht missbraucht haben <strong>und</strong> von<br />

denen <strong>die</strong> Leute nur Gutes zu sagen wissen, sind unbedingt in ihren Stellungen zu belassen.“ (Niedersächsische<br />

Staats- <strong>und</strong> Universitätsbibliothek Göttingen, Cod. Ms. H. <strong>Nohl</strong> 804, Blatt 2, zitiert in: Matthes,<br />

Eva: Geisteswissenschaftliche Pädagogik nach der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong>. Politische <strong>und</strong> pädagogische Verarbeitungsversuche,<br />

Bad Heilbrunn 1998)<br />

142 Nicht übergangen werden soll an <strong>die</strong>ser Stelle, dass <strong>Nohl</strong> sich in <strong>die</strong>sem Aufsatz dafür stark macht, <strong>die</strong><br />

Volkslehrerbildung nicht an der Universität stattfinden zu lassen, sondern in selbständigen pädagogischen<br />

Hochschulen. Das habe „(…) den Sinn, sie vor der abstrakten Geistigkeit zu bewahren <strong>und</strong> in dem neuen<br />

Volkslehrer <strong>die</strong> Volksgeistigkeit wiederzugewinnen, eine Steigerung der musischen Kräfte <strong>und</strong> ein<br />

lebendiges Wissen, konkrete K<strong>und</strong>e statt abstrakte Theorie. So begann der letzte Jahrgang der Göttinger<br />

Pädagogischen Hochschule mit einem vierzehntägigen Gemeinschaftslager der h<strong>und</strong>ertzwanzig Studenten,<br />

einem gemeinsamen Leben, das von der Hauswirtschaft bis zur religiösen Feier reichte <strong>und</strong> den<br />

ganzen Menschen in Anspruch nahm.“ (<strong>Nohl</strong>: Gegenwärtiges Deutschland, 1947, S. 263) Es ist nicht<br />

bekannt, wie viele Studentinnen <strong>und</strong> Studenten sich gegen <strong>die</strong>se Fortsetzung einer antiakademischen<br />

Erziehung im „Gemeinschaftslager“ mit Geschirrspülen, Essenfassen, Gitarrespielen <strong>und</strong> dem Singen<br />

christlicher Choräle gewehrt haben.<br />

143 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Die heutige Aufgabe der Frau, in: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main<br />

1949, S. 265–271. Zuerst abgedruckt in: Die Sammlung. <strong>Zeit</strong>schrift für Kultur <strong>und</strong> Erziehung, 2. Jg.<br />

(1947), Heft 7, S. 353–358.


III. Nach 1945<br />

Tisch“ (<strong>Nohl</strong>: Aufgabe der Frau, 1947, S. 269) zu stellen, einen Rückgriff auf <strong>die</strong><br />

„deutsche Bewegung“:<br />

„Die Deutsche Bewegung seit dem Sturm <strong>und</strong> Drang hat in der Frau wieder ein Heiliges<br />

gesehen, das mit Scheu verehrt wurde – ‚das Ewig-Weibliche zieht uns hinan‘,<br />

heißt es am Schluss des Faust.“ (<strong>Nohl</strong>: Aufgabe der Frau, 1947, S. 267)<br />

Die eigentliche Problematik in <strong>die</strong>sem Beitrag – neben solchen Phrasen – ist jedoch<br />

<strong>Nohl</strong>s Haltung zu den <strong>NS</strong>-Mütterkursen <strong>und</strong> dem weiblichen Arbeits<strong>die</strong>nst.<br />

„Man ist geneigt, jede nationalsozialistische Einrichtung abzulehnen, aber <strong>die</strong>se<br />

Mütterkurse [der <strong>NS</strong>-Frauenschaft] waren eine gute Sache. Vor allem in Württemberg<br />

waren sie vorbildlich <strong>und</strong> wurden von klugen <strong>und</strong> mütterlich starken Frauen<br />

geleitet.“ (<strong>Nohl</strong>: Aufgabe der Frau, 1947, S. 267)<br />

Noch deutlichere Worte findet <strong>Nohl</strong> zum weiblichen Arbeits<strong>die</strong>nst, jener Organisation,<br />

bei der der <strong>NS</strong>-Reichsarbeits<strong>die</strong>nst ab 4. September 1939, also mit dem Überfall auf<br />

Polen, auf <strong>die</strong> weibliche Bevölkerung ausgedehnt wurde; ca. 100.000 „Arbeitsmaiden“<br />

wurden <strong>die</strong>nstverpflichtet. Die Aufgabe des Reichsarbeits<strong>die</strong>nstes war gesetzlich wie<br />

folgt festgelegt:<br />

„Der Reichsarbeits<strong>die</strong>nst soll <strong>die</strong> deutsche Jugend im Geiste des Nationalsozialismus<br />

zur Volksgemeinschaft <strong>und</strong> zur wahren Arbeitsauffassung, vor allem zur gebührenden<br />

Achtung der Handarbeit erziehen.“ 144<br />

Bei <strong>Nohl</strong> findet sich hierzu folgende Ausführung über den weiblichen Arbeits<strong>die</strong>nst:<br />

„Die Jugendbewegung hatte mit ihrem freiwilligen Arbeits<strong>die</strong>nst den Anfang gemacht,<br />

der Nationalsozialismus hat dann hier, wie auch sonst so oft, den guten Gedanken<br />

aufgegriffen <strong>und</strong> als seine Erfindung ins Große gesteigert <strong>und</strong> zwangsmäßig<br />

eingerichtet, <strong>und</strong> so sehen heute manche noch mit Misstrauen auf ihn. Bei der hastigen<br />

Schaffung <strong>die</strong>ser Riesenorganisation – es gab zuletzt 10.000 Führerinnen –<br />

musste gewiss auch manches missglücken, aber es gelang selbst da noch den weiblichen<br />

Kräften in der Leitung, den echten fraulichen <strong>und</strong> pädagogischen Sinn des Arbeits<strong>die</strong>nstes<br />

festzuhalten <strong>und</strong> sauber zu bewahren, bis am Ende des Krieges <strong>die</strong><br />

Männer <strong>die</strong> Führung übernahmen <strong>und</strong> auch <strong>die</strong> Mädchen zu Kampfzwecken missbrauchten.<br />

Wo der Weibliche Arbeits<strong>die</strong>nst richtig <strong>und</strong> ges<strong>und</strong> arbeitete, vor allem in<br />

den Dörfern des Ostens, hat er segensvoll gewirkt <strong>und</strong> war eine aufbauende Kraft für<br />

<strong>die</strong> ganze Umgebung, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Mädchen gewannen in der Gemeinschaft ihres Lagers<br />

<strong>und</strong> seiner guten Sitte eine Ausbildung für alle ihre künftigen Aufgaben als Frau <strong>und</strong><br />

Mutter.“ (<strong>Nohl</strong>: Aufgabe der Frau, 1947, S. 270 f.)<br />

Der erste entscheidende Gedanke <strong>Nohl</strong>s zum weiblichen Arbeits<strong>die</strong>nst ist hier: „so<br />

sehen heute manche noch mit Misstrauen auf ihn“. Dieses Misstrauen erscheint ihm,<br />

trotz einiger Kleinigkeiten, im Großen <strong>und</strong> Ganzen unangebracht. Das beinhaltet auch<br />

144 § 1 des Gesetzes für den Reichsarbeits<strong>die</strong>nst vom 26. Juni 1935.<br />

99


III. Nach 1945<br />

<strong>die</strong> Einschätzung, dass es in Ordnung war, dass der weibliche Arbeits<strong>die</strong>nst „zwangs-<br />

mäßig“ eingerichtet wurde. <strong>Nohl</strong> schreibt über den weiblichen Arbeits<strong>die</strong>nst, 145 als wäre<br />

er dessen Vater <strong>und</strong> Schöpfer. Indem <strong>Nohl</strong> <strong>die</strong> <strong>NS</strong>-Indoktrinierung <strong>und</strong> indirekte<br />

Kriegsunterstützung ignoriert <strong>und</strong> vom pädagogischen Sinn fabuliert, bagatellisiert er<br />

<strong>die</strong> gewaltige Bedeutung der Massenorganisationen des <strong>NS</strong>-Systems für <strong>die</strong> Durchfüh-<br />

rung aller seiner Verbrechen. Neben <strong>die</strong>sem Aspekt wird im Detail auch eine Auffas-<br />

sung von Pädagogik sichtbar, <strong>die</strong> in keiner Weise am Individuum <strong>und</strong> an demokratischen<br />

Gedanken <strong>und</strong> Organisationen orientiert ist.<br />

6. Die pädagogische Aufgabe der Gegenwart (1947) 146<br />

In der 1947 gehaltenen Rede beruft <strong>Nohl</strong> sich zunächst ausdrücklich auf <strong>die</strong> Reden von<br />

Fichte, <strong>die</strong> angeblich „in einer ähnlichen Situation“ wie der heutigen gehalten worden<br />

wären, <strong>und</strong> schreibt: „Man muss <strong>die</strong>se Reden, vor allem <strong>die</strong> erste, heute noch einmal<br />

lesen, sie ist wie für unsere Gegenwart geschrieben.“ (<strong>Nohl</strong>: Aufgabe der Gegenwart,<br />

1947, S. 290) Dass <strong>Nohl</strong> ausgerechnet auf den idealistischen Nationalismus Fichtes mit<br />

seinen antisemitischen Implikationen 147 zurückgreift <strong>und</strong> ihn als adäquate pädagogische<br />

Orientierung nach zwölf Jahren <strong>NS</strong>-Erziehung ausgibt, zeigt, dass eine tiefgehende<br />

Auseinandersetzung mit Wurzeln der Ideologie des Nationalsozialismus bei <strong>Nohl</strong> nicht<br />

in Frage kommt. <strong>Nohl</strong> verbleibt auch in der Terminologie des reaktionären deutschen<br />

Nationalismus <strong>und</strong> im <strong>NS</strong>-Jargon, so zum Beispiel, wenn er <strong>die</strong> Äußerung einer Lehrerin<br />

zustimmend zitiert, dass <strong>die</strong> Ausbildung der Lehrer „zum Erzieher als Kinderführer<br />

<strong>und</strong> Menschenbildner“ (<strong>Nohl</strong>: Aufgabe der Gegenwart, 1947, S. 297) erfolgen müsse.<br />

<strong>Nohl</strong> wehrt sich dagegen, dass der Arbeits<strong>die</strong>nst „durch den Nationalsozialismus <strong>und</strong><br />

seinen politischen Missbrauch in Verruf gekommen“ sei (<strong>Nohl</strong>: Aufgabe der Gegenwart,<br />

1947, S. 298) 148 <strong>und</strong> folgert nun, angesichts der Lage der „dumpfe(n) Verlorenheit<br />

145 Gegen <strong>die</strong> Legendenbildung über den weiblichen Arbeits<strong>die</strong>nst gerichtet erschien 1999 <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong><br />

„ ‚Ich war ein einsatzbereites Glied in der Gemeinschaft …‘ Vorgehensweise <strong>und</strong> Wirkungsmechanismen<br />

nationalsozialistischer Erziehung am Beispiel des weiblichen Arbeits<strong>die</strong>nstes“ (Frankfurt am Main/Berlin/Bern/New<br />

York/Paris/Wien 1999) von Susanne Watzke-Otte.<br />

146 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Die pädagogische Aufgabe der Gegenwart, in: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt<br />

am Main 1949, S. 290–298. Zuerst abgedruckt in: Die Sammlung. <strong>Zeit</strong>schrift für Kultur <strong>und</strong> Erziehung,<br />

2. Jg. (1947), Heft 12, S. 694–701.<br />

147 Vgl. dazu Brumlik, Micha: Deutscher Geist <strong>und</strong> Judenhass, München 2000.<br />

148 Da Adolf Reichwein von den Nazis ermordet wurde, konnte er nicht mehr dazu Stellung nehmen, wie<br />

<strong>Nohl</strong> ihn als Zeuge für <strong>die</strong> positive Rolle des weiblichen Arbeits<strong>die</strong>nstes heranzieht. <strong>Nohl</strong> schreibt: „(…)<br />

ein Mann wie Adolf Reichwein hat noch in den letzten Kriegsjahren vor seiner Ermordung eifrig [sic!]<br />

100


III. Nach 1945<br />

der Burschen <strong>und</strong> Mädchen“ („<strong>die</strong> Mädchen (…) verlieren jede Freude an der Hausar-<br />

beit“ (<strong>Nohl</strong>: Aufgabe der Gegenwart, 1947, S. 299), dass ein neuer Arbeits<strong>die</strong>nst<br />

notwendig ist:<br />

„Wir brauchen eine Einrichtung, in der <strong>die</strong>se Jugend durch gemeinnützige Arbeit<br />

den Sinn ihres Lebens erkennt <strong>und</strong> bewusst zu einem tätigen Mitglied des Volks heranreift.<br />

Diese letzte erzieherische Zusammenfassung, <strong>die</strong> früher das Militär gab, wo<br />

aber den Frauen das Dienstjahr fehlte, wird jetzt für beide Geschlechter der Arbeits<strong>die</strong>nst<br />

bringen müssen. Ein halbes Jahr würde dafür genügen. In der Lebensform des<br />

Lagers lernt der junge Mensch, wie ein einfaches, anständiges, geordnetes <strong>und</strong> vergeistigtes<br />

Gemeinschaftsleben aussieht. In der praktischen Arbeit erfährt er <strong>die</strong><br />

Freude des Zupackens <strong>und</strong> fürchtet den Schmutz nicht mehr, <strong>und</strong> im hauswirtschaftlichen<br />

<strong>und</strong> staatsbürgerlichen Unterricht bekommt er auch <strong>die</strong> theoretischen Mittel,<br />

<strong>die</strong> ihm später helfen werden, sein Leben einzurichten, kein abstraktes Gerede, sondern<br />

<strong>die</strong> gedankliche Läuterung des wirklich Erlebten. Das Lagerleben mit allen<br />

seinen Aufgaben <strong>und</strong> Problemen gibt das anschaulichste Lehrmittel auch für alle<br />

sittlichen Fragen. Sport, gemeinsames Singen <strong>und</strong> <strong>die</strong> Vergeistigung des Feierabends<br />

entwickeln <strong>die</strong> musischen Kräfte. Man hat gesagt: ‚Die richtige Verwendung der<br />

Muße sei das große soziale Problem.‘ Solche Verwendung seiner Muße wird der<br />

junge Mensch im Lager lernen <strong>und</strong> wird sie dann später auch in der Volkshochschule<br />

suchen. Vor allem aber wird ihm erlebensmäßig klar werden, dass <strong>die</strong> ges<strong>und</strong>e Entwicklung<br />

einer Volksgemeinschaft nur auf der Gr<strong>und</strong>lage einer unbedingten sozialen<br />

<strong>und</strong> politischen Gerechtigkeit gelingen kann.“ (<strong>Nohl</strong>: Aufgabe der Gegenwart, 1947,<br />

S. 299)<br />

durch Vorträge im weiblichen Arbeits<strong>die</strong>nst mitgearbeitet <strong>und</strong> sah in den Führerinnen des Arbeits<strong>die</strong>nstes<br />

<strong>die</strong> besten Kräfte für <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong> nach der Katastrophe, um unser Volksleben wieder aufzubauen.“ (<strong>Nohl</strong>:<br />

Aufgabe der Gegenwart, 1947, S. 298) Der entscheidende Unterschied zwischen Reichwein <strong>und</strong> <strong>Nohl</strong><br />

liegt eigentlich auf der Hand. Es geht um zwei Fragen: Während Reichwein aktiv <strong>und</strong> subversiv in der<br />

Widerstandsbewegung zum Sturz des <strong>NS</strong>-Regimes mitgearbeitet hat, <strong>die</strong>nte der Eifer Reichweins im<br />

weiblichen Arbeits<strong>die</strong>nst teils der Deckung seiner Widerstandstätigkeit, teils der subversiv durchgeführten<br />

Aufklärung.<br />

Siehe dazu: Amlung, Ullrich: Adolf Reichwein 1898–1944. Ein Lebensbild des Reformpädagogen,<br />

Volksk<strong>und</strong>lers <strong>und</strong> Widerstandskämpfers, Frankfurt am Main 1999; Amlung, Ullrich/Lingelbach, Karl-<br />

Christoph: Adolf Reichwein (1898–1944), in: Tenorth, Heinz-Elmar (Hrsg.): Klassiker der Pädagogik.<br />

Band 2: Von John Dewey bis Paul Freire, München 2003, S. 203–216 <strong>und</strong> Pallat, Gabriele Cantate/Reichwein,<br />

Roland/Kunz, Lothar (Hrsg.): Adolf Reichwein. Pädagoge <strong>und</strong> Widerstandskämpfer. Ein<br />

Lebensbild in Briefen <strong>und</strong> Dokumenten (1914–1944), Paderborn/München/Wien/Zürich 1999.<br />

Allerdings muss hinzugefügt werden, dass es sich in der Tat um späten Widerstand handelte, wie<br />

Christine Hohmann in ihrer umfangreichen Stu<strong>die</strong> „Dienstbares Begleiten <strong>und</strong> später Widerstand. Der<br />

nationale Sozialist Adolf Reichwein im Nationalsozialismus“ (Bad Heilbrunn 2007) nicht nur durch<br />

sprachkritische Stu<strong>die</strong>n nachgewiesen hat. Am gravierendsten ist dabei sicherlich <strong>die</strong> Haltung Reichweins<br />

zum Widerstand in Dänemark. Reichwein schrieb am 6.2.1944 an seine Frau über <strong>die</strong> Dänen: „Dass auch<br />

Russland für sie eine ‚Gefahr‘ werden könnte, sehen sie nicht oder wollen sie nicht sehen, so blind macht<br />

sie der Hass gegenüber den Deutschen. (…) Und so knallen weiter <strong>die</strong> Schüsse, <strong>die</strong> der Reihe nach<br />

Personen treffen, <strong>die</strong> mit den Deutschen zusammenarbeiten oder sympathisierende Erklärungen abgegeben<br />

haben. (…) Und <strong>die</strong> Polizei? Sie sieht zu, denn sie sympathisiert zu erheblichem Teil mit den<br />

Terroristen, hat Verbindung zu ihnen, deckt sie <strong>und</strong> tut offenbar mit Absicht nichts, um Spuren zu finden“<br />

(Hohmann, S. 194).<br />

101


III. Nach 1945<br />

Das ist <strong>die</strong> Antwort <strong>Nohl</strong>s auf <strong>die</strong> „Not unseres zerschlagenen Volkes“ (<strong>Nohl</strong>: Aufgabe<br />

der Gegenwart, 1947, S. 299). Es wurde deshalb so ausführlich zitiert, weil hier im<br />

Gr<strong>und</strong>e das Kernproblem einer ganzen Generation enthalten ist, nämlich <strong>die</strong> Vorstel-<br />

lung, dass der Nationalsozialismus doch auch seine guten Seiten gehabt habe, gerade in<br />

pädagogischer Hinsicht, <strong>die</strong> nicht verworfen, sondern übernommen <strong>und</strong> ausgebaut<br />

werden müssten. Dabei geht das Militär als „Schule der Nation“, als Erziehungseinrich-<br />

tung, bei Männern wie <strong>Nohl</strong> gewiss bis auf <strong>die</strong> Erlebnisse des Ersten Weltkriegs zurück.<br />

Der notwendige Bruch, tiefgehend <strong>und</strong> genau, mit allen reaktionären <strong>und</strong> autoritären<br />

Formen deutscher Pädagogik war für Männer wie <strong>Nohl</strong> völlig <strong>und</strong>enkbar. Das <strong>NS</strong>-<br />

System wird in <strong>die</strong>ser Denkweise zu einer eigentlich unerklärlichen Abweichung, zu<br />

einer Wucherung am „deutschen Volkskörper“ <strong>und</strong> der „deutschen Bewegung“.<br />

7. Vom Wesen der Erziehung (1948) 149<br />

1948 hielt <strong>Nohl</strong> <strong>die</strong>sen Vortrag auf einer englisch-deutschen Konferenz. Hier, vor den<br />

Alliierten, plä<strong>die</strong>rt <strong>Nohl</strong> vehement dagegen, „ein fremdes Erziehungssystem“ (<strong>Nohl</strong>:<br />

Wesen der Erziehung, 1948, S. 279) nach Deutschland zu übertragen. Entsprechend der<br />

nun existierenden „geschichtlichen St<strong>und</strong>e“ ist es für <strong>Nohl</strong> kein Problem, den engli-<br />

schen Pädagogen Nunn zu zitieren: „Individualität ist <strong>die</strong> Schlüsselposition für alles.<br />

Wenn <strong>die</strong>se Position verloren ist, ist alles verloren.“ (<strong>Nohl</strong>: Wesen der Erziehung, 1948,<br />

S. 281).<br />

<strong>Nohl</strong>, der im Folgenden Gedanken über Pflicht <strong>und</strong> Gehorsam wiederholt, <strong>die</strong> er bereits<br />

in dem Aufsatz „Die geistige Lage des akademischen Nachwuchses“ (1946) in großen<br />

Teilen so schon wortwörtlich formuliert hatte, geht hier noch einen Schritt weiter:<br />

„So entstand im Deutschen eine Dienstwilligkeit <strong>und</strong> ein Bedürfnis, <strong>die</strong>nendes Glied<br />

in einem Ganzen zu sein, <strong>die</strong> ihn subaltern machten. Wer das deutsche Schicksal, <strong>die</strong><br />

deutsche Kraft <strong>und</strong> das deutsche Verbrechen verstehen will, wird sich vor allem <strong>die</strong>se<br />

innere Verbindung von Leistungsforderung, Pflichtbewusstsein <strong>und</strong> Gehorsamshaltung<br />

deutlich machen müssen, <strong>die</strong> eine so hohe Idealität enthält <strong>und</strong> unsere Jugend<br />

begeisterte <strong>und</strong> <strong>die</strong> doch letztlich in eine Entseelung der Individuen mündet<br />

(…).“ (<strong>Nohl</strong>: Wesen der Erziehung, 1948, S. 285)<br />

Hier wird im Gr<strong>und</strong>e ein Programm der notwendigen kritischen Sichtung der Pädagogik<br />

in Deutschland in Theorie <strong>und</strong> Praxis aufgestellt. <strong>Nohl</strong> hätte sicherlich aus eigenem<br />

149 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Vom Wesen der Erziehung, in: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949,<br />

S. 279–289. Zuerst abgedruckt in: Die Sammlung. <strong>Zeit</strong>schrift für Kultur <strong>und</strong> Erziehung, 3. Jg. (1948),<br />

S. 325–332.<br />

102


III. Nach 1945<br />

Erleben <strong>und</strong> mit der Kenntnis der Geschichte der Pädagogik in Deutschland hier im<br />

Einzelnen, wenn er denn gewollt hätte, viel beitragen können. Das hätte aber erfordert,<br />

anstatt allgemeiner Forderungen konkret in den Schriften der führenden Köpfe der<br />

„deutschen Bewegung“ <strong>und</strong> der „pädagogischen Bewegung“ alle Fehler, Halbheiten <strong>und</strong><br />

Einseitigkeiten aufzudecken, <strong>die</strong> dazu führen konnten <strong>und</strong> es erleichterten, dass ihre<br />

Namen von der <strong>NS</strong>-Pädagogik missbraucht <strong>und</strong> einzelne ihrer Ideen sehr gekonnt<br />

genutzt <strong>und</strong> gebraucht wurden. Stattdessen bleibt es bei <strong>die</strong>sen allgemein richtigen<br />

Worten <strong>Nohl</strong>s vor den zuhörenden englischen Pädagogen <strong>und</strong> er wendet sich „ange-<br />

sichts der Volkszerstörung“ wieder der elementaren Geistigkeit, den Seelen zu: „Sitte<br />

<strong>und</strong> Kunstfreude, Frömmigkeit <strong>und</strong> Lebensk<strong>und</strong>e“ (<strong>Nohl</strong>: Wesen der Erziehung, 1948,<br />

S. 289).<br />

8. Schuld <strong>und</strong> Aufgabe der Pädagogik (1954) 150<br />

Noch 1954, im Aufsatz „Schuld <strong>und</strong> Aufgabe der Pädagogik“, fragt <strong>Nohl</strong>, „wie es<br />

möglich war, dass 1933 <strong>die</strong> ganze ideal gestimmte Jugend mit geringen Ausnahmen<br />

sich vom Nationalsozialismus begeistern ließ“ (<strong>Nohl</strong>: Schuld <strong>und</strong> Aufgabe, 1954,<br />

S. 447). Wenn <strong>Nohl</strong> weiter als einen von vielen Gründen <strong>die</strong> „Schuld der Pädagogik“<br />

(<strong>Nohl</strong>: Schuld <strong>und</strong> Aufgabe, 1954, S. 447) angibt, schreibt er eigentlich über sich selbst,<br />

ohne <strong>die</strong>s ausdrücklich zu sagen, da er ja der Bejahung des Nationalsozialismus nicht<br />

nur nicht entgegengetreten ist, sondern sie den Erziehern trotz einzelner Einwände sehr<br />

deutlich schon 1932 empfohlen hat.<br />

<strong>Nohl</strong> betont ausdrücklich – im Jahr 1954 –, was für ihn das Beste der pädagogischen<br />

Reformbewegung war, nämlich der Wille „zu einer neuen Volksgemeinschaft“ (<strong>Nohl</strong>:<br />

Schuld <strong>und</strong> Aufgabe, 1954, S. 447). Von Schuld der Pädagogik, <strong>die</strong> gerade noch das<br />

Thema war, ist nun nicht mehr <strong>die</strong> Rede, denn ohne Einschränkung behauptet <strong>Nohl</strong>:<br />

„Die Pädagogik selbst wurde vom Nationalsozialismus kaltgestellt <strong>und</strong> hatte kein<br />

eigenes Wort mehr zu sagen, alle ihre Erfindungen wurden von ihm übernommen,<br />

aber in seine politische Form gebracht, wenn auch in der Verborgenheit an vielen<br />

Stellen das pädagogische Gewissen wach blieb <strong>und</strong> echt pädagogisch gearbeitet<br />

wurde, sogar in nationalsozialistischen Formationen wie in dem Weiblichen Arbeits<strong>die</strong>nst<br />

oder im Landjahr.“ (<strong>Nohl</strong>: Schuld <strong>und</strong> Aufgabe, 1954, S. 447)<br />

150 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Schuld <strong>und</strong> Aufgabe der Pädagogik. Erich Weniger zum 11.9.1954 in Fre<strong>und</strong>schaft<br />

gewidmet, in: Die Sammlung. <strong>Zeit</strong>schrift für Kultur <strong>und</strong> Erziehung, 9. Jg. (1954), S. 446–449.<br />

103


III. Nach 1945<br />

Hier wird deutlich, dass <strong>die</strong> Pädagogik als Ganzes für <strong>Nohl</strong> „das Gute“ ist, insofern<br />

kann von einer Schuld der Pädagogik für <strong>Nohl</strong> nicht <strong>die</strong> Rede sein. Welche Aufgaben<br />

<strong>die</strong> Pädagogik nicht erfüllt hat, bleibt völlig offen, <strong>die</strong> sogenannte „echt pädagogische“<br />

Arbeit in den <strong>NS</strong>-Formationen wird ihrer objektiven Funktion völlig entkleidet.<br />

Nach der Rehabilitierung der deutschen Pädagogik als solcher – fünf Jahre nach Grün-<br />

dung der BRD – gibt <strong>Nohl</strong> seine Zurückhaltung auf. Er polemisiert nun ungehemmt<br />

gegen Psychoanalyse <strong>und</strong> Reeducation, nachdem er – oft zitiert – festgestellt hat:<br />

104<br />

„Die Pädagogik steht immer vor der Polarität des Lebens. Zwischen den Gegensätzen<br />

<strong>die</strong> feine Linie zu finden, <strong>die</strong> dem Augenblick angemessen ist, ist das eigentliche<br />

Geheimnis der pädagogischen Arbeit. (…) Das feine Gefühl für das richtige Maß<br />

nennen wir den Takt. Der Takt ist das eigentlich pädagogische Werkzeug.“ (<strong>Nohl</strong>:<br />

Schuld <strong>und</strong> Aufgabe, 1954, S. 449)<br />

Mit <strong>die</strong>sem feinen Taktgefühl schreibt <strong>Nohl</strong> über <strong>die</strong> Reeducation:<br />

„Der w<strong>und</strong>erliche Versuch der Besatzungsmächte mit einer Reeducation unseres<br />

Volkes konnte nur Widerstand oder ein trauriges Lächeln hervorrufen, brachte auch<br />

mit seinen methodischen Forderungen wie dem Gruppenunterricht, dem Teamwork<br />

<strong>und</strong> der Erziehungsberatung nur pädagogische Mittel, <strong>die</strong> in der pädagogischen<br />

Bewegung bei uns längst entwickelt worden waren.“ (<strong>Nohl</strong>: Schuld <strong>und</strong> Aufgabe,<br />

1954, S. 447)<br />

Die Pose, in der <strong>Nohl</strong> hier auftritt, spricht Bände. Er war wieder ganz oben, der deutschen<br />

Pädagogik konnte niemand das Wasser reichen, es gehe, so <strong>Nohl</strong>, nur darum, <strong>die</strong><br />

deutsche Bewegung, <strong>die</strong> pädagogische Bewegung im Sinne <strong>Nohl</strong>s zu reaktivieren.<br />

Hatte <strong>Nohl</strong> in der Weimarer Republik Freud <strong>und</strong> Adler noch <strong>die</strong>sen oder jenen positiven<br />

Aspekt abgewinnen können, auch wenn seine Ablehnung damals schon überwogen hat,<br />

so fallen jetzt alle Hemmungen: „Die Schule möchte man am liebsten in ein psychotherapeutisches<br />

Krankenhaus verwandeln.“ (<strong>Nohl</strong>: Schuld <strong>und</strong> Aufgabe, 1954, S. 448) Und<br />

ganz allgemein heißt es:<br />

„Und das Überwuchern der Psychoanalyse droht alle Freiheit des Geistes zu überwachsen.<br />

Man hat nicht ohne Gr<strong>und</strong> gesagt, dass sie selbst <strong>die</strong> Krankheit sei, <strong>die</strong> sie<br />

zu heilen vorgibt.“ (<strong>Nohl</strong>: Schuld <strong>und</strong> Aufgabe, 1954, S. 448)<br />

* * *<br />

Betrachtet man zusammenfassend <strong>die</strong> hier behandelten Aufsätze <strong>und</strong> Artikel <strong>Herman</strong><br />

<strong>Nohl</strong>s nach dem Mai 1945, so ergibt sich auch für <strong>die</strong>se Periode ein durchaus widersprüchliches<br />

Bild: Während es für eine kurze <strong>Zeit</strong> eine Bereitschaft zu geben scheint,<br />

kritisch auch <strong>die</strong> geistigen Köpfe des deutschen Nationalismus <strong>und</strong> der deutschen


III. Nach 1945<br />

Pädagogik auf den Prüfstand zu stellen, überwiegt mit der <strong>Zeit</strong> <strong>die</strong> Vereinfachung einer<br />

sich ausschließenden Gegenüberstellung von nationaler Bewegung <strong>und</strong> deutscher<br />

Pädagogik einerseits <strong>und</strong> Nationalsozialismus andererseits ohne Schnittmenge.<br />

Die Fähigkeit der Anpassung an <strong>die</strong> jeweilige „geschichtliche St<strong>und</strong>e“ ist Maxime<br />

seines Schaffens. Die ihr innewohnende Charakterlosigkeit <strong>und</strong> Erbärmlichkeit wird<br />

dann deutlich, wenn <strong>Nohl</strong> sich mit Seinesgleichen <strong>und</strong> der großen Masse des deutschen<br />

Volkes identifiziert, nach wie vor ohne Scham den Gedanken der „Volksgemeinschaft“<br />

propagiert, ohne auch nur im Ansatz darüber zu reflektieren, dass <strong>die</strong> moralisch wün-<br />

schenswerte Pädagogik während der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> bei der Solidarität mit den Verfolgten, bei<br />

der Zivilcourage <strong>und</strong> bei dem Widerstandswillen lag, eben bei den Geschwistern Scholl,<br />

bei Adolf Reichwein <strong>und</strong> anderen, bei den wenigen, denen <strong>die</strong> Humanität theoretisch<br />

<strong>und</strong> praktisch der wichtigste Gesichtspunkt im Leben war.<br />

<strong>Nohl</strong> selbst hat an keiner Stelle seine eigenen Publikationen kritisch unter <strong>die</strong> Lupe<br />

genommen, hat niemals seine rassistischen <strong>und</strong> pronationalsozialistischen Passagen<br />

hinterfragt oder zum Gegenstand von Diskussionen gemacht. Das entsprach einer<br />

Mentalität, <strong>die</strong> das „Wühlen im Schmutz <strong>und</strong> Blut der Vergangenheit“ (<strong>Nohl</strong> in einem<br />

Brief an Elisabeth Blochmann vom 10.3.1946) 151 als gänzlich unfruchtbar ansah. So hat<br />

er selbst einen maßgeblichen Anteil daran, dass seine Apologeten <strong>und</strong> Anhänger nach<br />

seinem Tod den Zusammenhang zwischen seiner partiellen Kollaboration mit dem <strong>NS</strong>-<br />

Regime <strong>und</strong> dem Eklektizismus seiner theoretischen Gr<strong>und</strong>annahmen an keiner Stelle<br />

problematisiert haben. 152<br />

151<br />

Blochmann, Elisabeth: <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> in der pädagogischen Bewegung seiner <strong>Zeit</strong> 1879–1960,<br />

Göttingen 1969, S. 200.<br />

152<br />

In der „Rede bei der akademischen Gedenkfeier am 4. Februar 1961“ für <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> (Göttingen<br />

1961, S. 14) hebt Erich Weniger als einen zentralen Gedanken <strong>Nohl</strong>s folgendes Zitat <strong>Nohl</strong>s von 1954<br />

hervor: „Wer (so wie ich) <strong>die</strong>se hohen Jahre bis zum Ersten Weltkrieg voll miterlebt hat, wird nicht<br />

wagen, von ‚Schuld‘ zu reden, sondern von ‚Verhängnis‘.“<br />

105


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

Der Diskurs über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> von 1945 bis heute kennt gewichtige Debatten. In einer<br />

knappen Zusammenfassung über <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong> bis 1989 lässt sich feststellen, dass <strong>die</strong> Ausei-<br />

nandersetzung mit <strong>und</strong> um <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> in der Historiographie der Erziehungswissen-<br />

schaft nicht nur <strong>die</strong> kontroverse Einschätzung der Rolle <strong>Nohl</strong>s in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> betrifft,<br />

sondern auch als Diskurs über <strong>die</strong> Rekonstruktion der Geschichte der Erziehungswis-<br />

senschaft in Deutschland, über das Prinzip von „pädagogischer Autonomie“ <strong>und</strong> über<br />

den Begriff des „Pädagogischen Bezugs“ in Theorie <strong>und</strong> Praxis kaum überschätzt<br />

werden kann.<br />

1. Die 1950er <strong>und</strong> 1960er Jahre<br />

Fritz Blättners in den 1950er Jahren verfasste „Geschichte der Pädagogik“ 153 gibt in<br />

gewisser Hinsicht den Startschuss in der Darstellung <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s als großen Histo-<br />

riographen der deutschen Erziehungsgeschichte, als der „wissenschaftliche Wortführer“<br />

der Reformbewegung (Blättner 1955, S. 206). Blättner, selbst in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> keinesfalls<br />

unbelastet, 154 rechnet es <strong>Nohl</strong> dabei ausdrücklich positiv an, dass er der allgemeinen<br />

Schelte auf Herbart in einer Feierst<strong>und</strong>e 1948 entgegengetreten sei. <strong>Nohl</strong> habe vielmehr<br />

darauf hingewiesen, dass <strong>die</strong> Idee der Autonomie der Pädagogik auf Herbart zurückge-<br />

führt werden könne. Blättner konstatiert außerdem positiv, dass <strong>Nohl</strong> Herbarts „Formalstufen“<br />

verteidigt habe (Blättner 1955, S. 197).<br />

Erich Weniger schreibt 1954 in seiner Einführung zur „Bibliographie <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>“ 155<br />

anlässlich des 75. Geburtstags seines akademischen Lehrers eine Art Skizze für nach-<br />

153 Blättner, Fritz: Geschichte der Pädagogik, 3. Auflage, Heidelberg 1955.<br />

154 Fritz Blättner veröffentlichte in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> drei Monographien: Der Humanismus im deutschen<br />

Bildungswesen, Leipzig 1937; Die Methoden der Jugendführung durch Unterricht. Kritische Untersuchungen<br />

zur Didaktik der deutschen Jugendschule, Langensalza/Berlin/Leipzig 1937 <strong>und</strong> Geist <strong>und</strong> Tat<br />

im Wechsel der Generationen. Kulturphilosophische Untersuchungen über <strong>die</strong> Bildung, Leipzig 1943.<br />

Zur Rolle Blättners im Kontext der <strong>Zeit</strong>schrift „Die Erziehung“ in der <strong>NS</strong>- <strong>Zeit</strong> siehe: Horn, Klaus-Peter:<br />

Pädagogische <strong>Zeit</strong>schriften im Nationalsozialismus. Selbstbehauptung, Anpassung, Funktionalisierung<br />

(Bibliothek für Bildungsforschung, Band 3), Weinheim 1996, S. 215 ff. Siehe auch den eher apologetischen,<br />

positive Motive unterstellenden Beitrag von Klaus Prange: Vergessen – verschweigen – verarbeiten.<br />

Zur pädagogischen Reaktion auf <strong>die</strong> Erfahrung der Hitlerzeit bei Fritz Blättner, Otto Friedrich<br />

Bollnow <strong>und</strong> Theodor Wilhelm in: Horn, Klaus-Peter/Ogasawara, Michio/Sakakoshi, Masaki/Tenorth,<br />

Heinz-Elmar/Yamana, Jun/Zimmer, Hasko (Hrsg.): Pädagogik im Militarismus <strong>und</strong> im Nationalsozialismus.<br />

Japan <strong>und</strong> Deutschland im Vergleich, Bad Heilbrunn 2006.<br />

155 Weniger, Erich: Einführung, in: Weniger, Erich/Ahrens, Elisabeth/Wedemeyer, Irmgard: Bibliographie<br />

<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> zu seinem 75. Geburtstag am 7. Oktober 1954, Weinheim 1954, S. 3–13.<br />

106


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

folgende Apologien. Hier finden sich Phrasen wie: „Ritterlich stand <strong>Nohl</strong> vor allem den<br />

pädagogischen Bemühungen der Frauen zur Seite.“ (S. 5) Weniger verteidigt ausdrück-<br />

lich <strong>Nohl</strong>s „Pädagogisierung der Osthilfe“ (S. 6) <strong>und</strong> redet von den „Verirrungen <strong>und</strong><br />

Übersteigerungen des Nationalsozialismus“ – von Verbrechen ist keine Rede. Insbeson-<br />

dere benennt Weniger nicht, dass nach 1933 <strong>die</strong> aus ihren Ämtern entfernten akademi-<br />

schen Schüler <strong>Nohl</strong>s wegen des staatlichen Antisemitismus entfernt wurden <strong>und</strong> nicht,<br />

weil sie Schüler <strong>Nohl</strong>s waren. <strong>Nohl</strong>s Methoden definiert Weniger als „seine historisch-<br />

systematischen <strong>und</strong> dialektischen Methoden der Hermeneutik der Erziehungswirklich-<br />

keit“ (S. 11) <strong>und</strong> verweist ausdrücklich auf das theoretische Wirken von <strong>Nohl</strong>s Lehrer<br />

Wilhelm Dilthey.<br />

1959 erschien als Beiheft der „<strong>Zeit</strong>schrift für Pädagogik“ mit dem Titel „Beiträge zur<br />

Menschenbildung“ 156 eine Ausgabe, <strong>die</strong> <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s 80. Geburtstag gewidmet war.<br />

Elisabeth Blochmann157 stellt hier zunächst den neu entstandenen Sammelband „Erziehergestalten“<br />

von <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> vor, eine Aufsatzzusammenstellung quer durch <strong>die</strong><br />

Jahrzehnte. Der Erziehungswissenschaftler <strong>und</strong> Militärpädagoge Erich Weniger158 lenkt<br />

in seiner Festrede „<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> sozialpädagogische Bewegung“ <strong>die</strong> Aufmerksamkeit<br />

auf <strong>Nohl</strong>s Abhandlung über den Sinn der Strafe, um dann aber im Schlussteil,<br />

nach Bemerkungen über <strong>die</strong> „Jugendwohlfahrt“, auf <strong>Nohl</strong>s Schrift zur „Osthilfe“ erneut<br />

in apologetischer Weise einzugehen. Über <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong>spanne „kurz vor dem Einbruch des<br />

Nationalsozialismus 1933“ heißt es bei Weniger:<br />

„Es handelte sich damals um <strong>die</strong> große Bedrohung des deutschen Ostens, insbesondere<br />

des Landes im Osten durch Entvölkerung, Unterwanderung <strong>und</strong> soziale Missstände.<br />

Heute hat das Schicksal durch <strong>die</strong> falsche Entscheidung des Nationalsozialismus<br />

gegen uns entschieden.“ (S. 18)<br />

Es spiegelt <strong>die</strong> Situation 1959 wider, dass Aggressionskrieg <strong>und</strong> Massenmord unwidersprochen<br />

als „falsche Entscheidung“ bezeichnet werden konnten <strong>und</strong> der Begriff der<br />

„Unterwanderung“ (nach <strong>Nohl</strong>s Vorlesung, <strong>die</strong> Weniger kannte, durch Slawen <strong>und</strong><br />

156<br />

Beiträge zur Menschenbildung. <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> zum 80. Geburtstag (<strong>Zeit</strong>schrift für Pädagogik, Beiheft<br />

1), Weinheim/Düsseldorf 1959.<br />

157<br />

Blochmann, Elisabeth: Pädagogische Gedanken in <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s „Erziehergestalten“, in: Beiträge zur<br />

Menschenbildung. <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> zum 80. Geburtstag (<strong>Zeit</strong>schrift für Pädagogik, Beiheft 1), Weinheim/Düsseldorf<br />

1959, S. 1–4.<br />

158<br />

Weniger, Erich: <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> sozialpädagogische Bewegung, in: Beiträge zur Menschenbildung.<br />

<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> zum 80. Geburtstag (<strong>Zeit</strong>schrift für Pädagogik, Beiheft 1), Weinheim/Düsseldorf<br />

1959, S. 5–20.<br />

107


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

Juden) bei Weniger unbeschadet <strong>die</strong> <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> überlebte. Die eigentliche Pointe von<br />

Wenigers Aufsatz ist jedoch, dass <strong>Nohl</strong> „nach dem Zusammenbruch“ neue Akzente<br />

gesetzt habe: „Das Eigentliche in der Erziehung ist eben nicht mehr <strong>die</strong> Bildung,<br />

sondern <strong>die</strong> Lebenshilfe.“ (S. 20)<br />

Größere Schwierigkeiten bereitet in der Folge den Apologeten <strong>Nohl</strong>s <strong>die</strong> gr<strong>und</strong>legende<br />

Kritik von Klaus Mollenhauer 159 an der Theorie des „Pädagogischen Bezugs“. Er<br />

insistiert darauf, dass mit <strong>Nohl</strong>s Ansatz durch zu enge Bindung der sozialkritische<br />

Gedankengang verloren gehe. Mollenhauer entwickelt daher als wesentlichen Aspekt<br />

den Terminus „Beratung“, <strong>die</strong> er ausdrücklich als außerhalb des Kontinuums erzieherischer<br />

Einwirkung befindlich vorschlägt. Anders als <strong>Nohl</strong> setzt Mollenhauer den pädagogischen<br />

Bezug weder als Ausgangspunkt noch als Zentrum von Erziehung.<br />

In der „Rede bei der akademischen Gedenkfeier am 4. Februar 1961“ 160 hebt Erich<br />

Weniger als einen zentralen Gedanken <strong>Nohl</strong>s folgendes Zitat von 1954 hervor:<br />

„Wer (so wie ich) <strong>die</strong>se hohen Jahre bis zum Ersten Weltkrieg voll miterlebt hat,<br />

wird nicht wagen, von ‚Schuld‘ zu reden, sondern von ‚Verhängnis‘.“ (S. 14)<br />

Weniger setzt hier wohl auch das Gerücht in <strong>die</strong> Welt, man habe vor 1933 vom „roten<br />

<strong>Nohl</strong>“ (S. 21) gesprochen – offensichtlich, um von <strong>Nohl</strong>s deutschnationaler <strong>und</strong> reaktionärer<br />

Gr<strong>und</strong>ausrichtung schon vor der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> abzulenken. Jeder Ansatz von kritischen<br />

Überlegungen war in <strong>die</strong>ser <strong>Zeit</strong>spanne im Umfeld Wenigers <strong>und</strong>enkbar. 161<br />

In der von Hans-Jochen Gamm 1964 verfassten – in anderer Hinsicht wegweisenden –<br />

Stu<strong>die</strong> „Führung <strong>und</strong> Verführung. Pädagogik des Nationalsozialismus“ 162 wird <strong>Nohl</strong>,<br />

gemeinsam mit Eduard Spranger <strong>und</strong> Wilhelm Flitner ausschließlich positiv erwähnt. In<br />

159<br />

Mollenhauer, Klaus: Die Ursprünge der Sozialpädagogik in der industriellen Gesellschaft. Eine<br />

Untersuchung zur Struktur sozialpädagogischen Denkens <strong>und</strong> Handelns, Weinheim/Berlin 1959.<br />

160<br />

Weniger, Erich: <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>. Rede bei der akademischen Gedenkfeier am 4. Februar 1961, Göttingen<br />

1961.<br />

161<br />

Weniger verweist außerdem auf folgende apologetischen Beiträge zu <strong>Nohl</strong> (S. 32): Bibliographie<br />

<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> zu seinem 75. Geburtstag am 7. Oktober 1954, Weinheim 1954, Einführung von Erich<br />

Weniger; Erich Weniger: <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> sozialpädagogische Bewegung, in: Beiträge zur Menschenbildung,<br />

<strong>Zeit</strong>schrift für Pädagogik, l. Beiheft, Weinheim 1959; Rudolf Joerden: <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> zum<br />

80. Geburtstag am 7, Oktober 1959, in: Bücherei <strong>und</strong> Bildung, 1959, Heft 11; Otto Friedrich Bollnow:<br />

<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> zum Gedächtnis, in: Pädagogische Arbeitsblätter, Dezember 1960; Erich Weniger: Dank an<br />

<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>, gesprochen bei der Trauerfeier auf dem Friedhof am l, Oktober 1960, in: Die Sammlung,<br />

1960, Heft 10; Rudolf Lennert: Eine Selbstbiographie <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s, in: Die Sammlung, 1960/61, Heft<br />

12; <strong>Herman</strong>n Heimpel: Worte des Gedenkens an <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>, gesprochen im Norddeutschen R<strong>und</strong>funk<br />

am 31. Januar 1961, in: Neue Sammlung, 1961, Heft 1/2.<br />

162<br />

Gamm, Hans-Jochen: Führung <strong>und</strong> Verführung. Pädagogik des Nationalsozialismus, München 1964.<br />

108


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

einer der ersten gründlichen Stu<strong>die</strong>n aus Westdeutschland, <strong>die</strong> „Professor Flitner in<br />

dankbarer Verb<strong>und</strong>enheit“ gewidmet ist, wird von Gamm auch nicht im Ansatz ver-<br />

sucht, Schnittmengen zwischen reaktionärer deutschnationaler Erziehungswissenschaft<br />

in der Weimarer Republik bei <strong>Nohl</strong> <strong>und</strong> Spranger mit der <strong>NS</strong>-Erziehung zu analysieren.<br />

Dies ist umso verw<strong>und</strong>erlicher, da Gamm einleitend erklärt: „Die erzieherischen<br />

Ansätze des totalen Staates erschienen nicht zufällig, sondern waren durch klingende<br />

Vorspiele vaterländischer Erziehung <strong>und</strong> staatsfrommer Bildung eingeleitet, <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />

Grenze ist schwer zu ziehen, wo nationales Pathos in nationalsozialistische Hemmungslosigkeit<br />

umschlug.“ (S. 7) Gamm, der sich auch in späteren Veröffentlichungen eher<br />

einer linken <strong>und</strong> emanzipatorischen Pädagogik zugehörig fühlt, macht offensichtlich<br />

ohne plausible Begründung bei seinen akademischen Lehrern mehr als nur Zugeständnisse:<br />

„Freilich darf hier festgestellt werden, dass wir es für unergiebig halten, <strong>die</strong>se zum<br />

Teil noch heute wirkenden Erzieher <strong>und</strong> Erziehungswissenschaftler auf damalige<br />

Äußerungen hin festzulegen. Ihre Gedanken waren oftmals ideologisch durchtränkt,<br />

<strong>und</strong> nur wenige hatten, durch familiäre Umstände, durch mangelnde Anerkennung<br />

als ‚Volksgenossen‘ oder ähnliches bedingt, <strong>die</strong> Möglichkeit, eine nicht ‚gleichgeschaltete‘<br />

Pädagogik zu vertreten.“ (S. 8)<br />

Waltraut von Hackewitz’ Arbeit „Das Gesellschaftskonzept in der Theorie der ‚Päda-<br />

gogischen Bewegung‘. Ein ideologiekritischer Versuch am Werk <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s“ 163 von<br />

1966 begann in einer (sicher nur wenig verbreiteten Dissertation) erste Ansätze von<br />

Kritik am Irrationalismus <strong>Nohl</strong>s zu entwickeln. Auch wenn vorsichtig festgehalten wird:<br />

„Es ging in <strong>die</strong>ser Untersuchung nicht darum, den Pädagogen <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> zu kritisieren“<br />

(S 225) <strong>und</strong> von „Tragik“ <strong>die</strong> Rede ist, werden doch, von Adorno <strong>und</strong> Walter<br />

Benjamin ausgehend, <strong>die</strong> pädagogische Bewegung <strong>und</strong> <strong>die</strong> Theorien <strong>Nohl</strong>s als eine<br />

Kritik an der Industriegesellschaft in der Weimarer Republik eingeschätzt, <strong>die</strong> als<br />

„Kritik von rechts“ (S. 222) eingestuft wird.<br />

In dem von Josef Offermann 1967 herausgegebenen <strong>Nohl</strong>-Sammelband „Ausgewählte<br />

pädagogische Abhandlungen“ findet sich auch der fünf<strong>und</strong>zwanzigseitige Text „<strong>Nohl</strong>s<br />

Leben <strong>und</strong> Werk“. 164 Über <strong>Nohl</strong>s Haltung zum <strong>NS</strong>-Regime heißt es dort in der von <strong>Nohl</strong><br />

163 Hackewitz, Waltraut von: Das Gesellschaftskonzept in der Theorie der „Pädagogischen Bewegung“.<br />

Ein ideologiekritischer Versuch am Werk <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s, Berlin 1966.<br />

164 Offermann, Joseph: <strong>Nohl</strong>s Leben <strong>und</strong> Werk, in: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Ausgewählte pädagogische Abhandlungen<br />

(Schöninghs Sammlung pädagogischer Schriften: Quellen zur Geschichte der Pädagogik),<br />

Paderborn 1967, S. 112–138.<br />

109


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

selbst <strong>und</strong> seinem Verlag sozusagen verabredeten Sprachregelung: „Schon früh erkann-<br />

te <strong>Nohl</strong> <strong>die</strong> drohenden Gefahren, <strong>die</strong> durch den Nationalsozialismus heraufbeschworen<br />

wurden. Im Jahre 1937 wurde er auf Gr<strong>und</strong> seiner Haltung aus Lehrtätigkeit <strong>und</strong> Amt<br />

entfernt.“ (S. 113) Mit einem gewissen Geschick zitiert Offermann, der „geschichtli-<br />

chen St<strong>und</strong>e“ entsprechend <strong>und</strong> im Rahmen der „polaren Gegensätze“, insbesondere<br />

jene Passagen <strong>Nohl</strong>s, in denen <strong>die</strong>ser Individualität, Spontaneität <strong>und</strong> Autonomie betont,<br />

stellt aber wenigstens teilweise <strong>die</strong> Dopplung dar:<br />

110<br />

„ ‚Liebe <strong>und</strong> Autorität‘ von Seiten des Erziehers <strong>und</strong> ‚Liebe <strong>und</strong> Gehorsam‘ von Seiten<br />

der Kinder sind das F<strong>und</strong>ament.“ (S. 127)<br />

Offermann endet im <strong>Nohl</strong>schen Diktum, dass ohne Glaube wahre Bildung nicht möglich<br />

sei (S. 128). Somit setzt Offermann nicht nur <strong>die</strong> <strong>Nohl</strong>-Bibliographie Wenigers fort,<br />

sondern auch dessen Tradition der <strong>Nohl</strong>-Apologie.<br />

1968 erschien <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong> „Deutschlands Bekenner. Professoren zwischen Kaiserreich<br />

<strong>und</strong> Diktatur“ 165 von Hans Peter Bleuel. Der Ansatz war hier, ausgehend von Bismarcks<br />

Professoren <strong>die</strong> massive Unterstützung für den Ersten Weltkrieg herauszuarbeiten.<br />

Dabei wird der Zusammenhang zwischen deutschem Nationalismus <strong>und</strong> Antisemitismus<br />

sowie dem irrationalen Volksbegriff herausgearbeitet, um zur folgenden zusammenfassenden<br />

Schlussfolgerung zu kommen: „Das Versagen der deutschen Professoren<br />

in der Bewährungsprobe von 1933 ist erklärlich; aber es ist nicht schuldlos.“ (S. 225)<br />

War auch <strong>die</strong> Auswahl der behandelten Professoren in <strong>die</strong>ser Stu<strong>die</strong> noch nicht systematisch,<br />

schien das Urteil auch zu allgemein ausgefallen, so kann der Schlusssatz gewiss<br />

nicht bestritten werden, dass <strong>die</strong> Universität 1933 ihre Würde verloren hat (S. 225).<br />

In der Dissertation „Die Pädagogik <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s in ihrem Verhältnis zum Werk<br />

Wilhelm Diltheys <strong>und</strong> zur heutigen Erziehungswissenschaft“ 166 , 1968 von Klaus<br />

Bartels verfasst, heißt es abschließend, dass in <strong>Nohl</strong>s Wissenschaftsbegriff „ein wichtiges,<br />

zukunftsweisendes Strukturmoment der pädagogischen Anthropologie <strong>Nohl</strong>s wie<br />

seines pädagogischen Denkens überhaupt“ (S. 226) liege. Im ersten Teil zur „pädagogischen<br />

Menschenk<strong>und</strong>e <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s“ läuft alles, einschließlich der Darstellung <strong>die</strong>ser<br />

165<br />

Bleuel, Hans Peter: Deutschlands Bekenner. Professoren zwischen Kaiserreich <strong>und</strong> Diktatur,<br />

Bern/München/Wien 1968.<br />

166<br />

Bartels, Klaus: Die Pädagogik <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s in ihrem Verhältnis zum Werk Wilhelm Diltheys <strong>und</strong><br />

zur heutigen Erziehungswissenschaft (Göttinger Stu<strong>die</strong>n zur Pädagogik, Neue Folge, Band 15, herausgegeben<br />

von Heinrich Roth <strong>und</strong> Hartmut von Hentig), Weinheim/Berlin 1968.


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

oder jener untergeordneten Kritiken an <strong>Nohl</strong>, darauf hinaus, sämtliche theoretischen<br />

Fortsetzungen <strong>Nohl</strong>s in Heinrich Roths pädagogischer Anthropologie münden zu<br />

lassen. 167 Kennzeichnend für den zweiten Teil über <strong>die</strong> pädagogischen Theorien <strong>Nohl</strong>s<br />

ist der Widerspruch, einerseits Hermeneutik für <strong>die</strong> Pädagogik im Allgemeinen fruchtbar<br />

machen zu wollen, andererseits aber in der Darstellung der Kategorien <strong>und</strong> Begriffe<br />

<strong>Nohl</strong>s abstrakt zu bleiben <strong>und</strong> den konkreten politischen Zusammenhang seiner Akzentsetzung,<br />

<strong>die</strong> von <strong>Nohl</strong> beschworene „geschichtliche St<strong>und</strong>e“ fein säuberlich außen vor<br />

zu lassen. Knapp wird <strong>die</strong> als produktive Kritik vorgestellte Ansicht Klafkis vorgetragen,<br />

dass doch bei <strong>Nohl</strong> <strong>die</strong> Rolle des Rationalen etwas zu kurz komme <strong>und</strong> <strong>die</strong> planmäßige<br />

schrittweise Auflösung des „persönlichen Bezugs“ in den Überlegungen <strong>Nohl</strong>s<br />

eine zu geringe Rolle spiele (S. 193 ff).<br />

Probleme bereitet Bartels offensichtlich <strong>die</strong> bereits vorgestellte Kritik Mollenhauers168 an <strong>Nohl</strong>s Vorstellung vom Pädagogischen Bezug. Diese Kritik wird als nicht ganz<br />

unberechtigt, aber doch den Kern <strong>Nohl</strong>s nicht treffend bezeichnet (S. 196 f).<br />

Als dritter Kritiker wird Brezinka169 angeführt, der, aus konservativer Position heraus<br />

schon gegen Keime emanzipatorischer Ideen eingestellt, <strong>die</strong> Erziehung von oben,<br />

insbesondere durch <strong>die</strong> jeweilige Institution stärken will. Bartels verneigt sich vor der<br />

„imponierenden Geschlossenheit des Ganzen bei Brezinka“ <strong>und</strong> sieht es als „ein heilsames<br />

<strong>und</strong> notwendiges Korrektiv für all jene, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Autonomie der Pädagogik<br />

übertreiben“ (S. 200). <strong>Nohl</strong> selbst sei aber dank seiner Theorie des Polaren von <strong>die</strong>ser<br />

Kritik nicht betroffen, zumal Brezinka ja selbst betone, dass ein Kind zum Lehrer<br />

Vertrauen haben müsse, also eben auch pädagogische Bezüge nicht ablehnt.<br />

Als vierter kritischer Gesichtspunkt wird von Bartels <strong>die</strong> Problematik nicht ausgearbeiteter<br />

Schulpädagogik bei <strong>Nohl</strong> angeschnitten. Die Vernachlässigung der erzieherischen<br />

Rolle der Schülergruppe habe aber Peter Petersen, der der Konzeption <strong>Nohl</strong>s sehr nahe<br />

gestanden habe, ausführlich berücksichtigt <strong>und</strong> begründet (S. 208 f).<br />

167<br />

Bartels schreibt: „Erst in letzter <strong>Zeit</strong> wird der Ansatz <strong>Nohl</strong>s in seiner Breite wieder aufgenommen, nun<br />

freilich methodisch erheblich verfeinert, erweitert <strong>und</strong> um <strong>die</strong> Erkenntnis der Wissenschaft vom Menschen<br />

aus den letzten Jahrzehnten bereichert: in H. Roths Pädagogischer Anthropologie.“ (S. 101) Nun sei<br />

sichergestellt, dass „der <strong>Nohl</strong>sche Ansatz nicht wieder verloren geht“ (S. 101).<br />

168<br />

Mollenhauer, Klaus: Die Ursprünge der Sozialpädagogik in der industriellen Gesellschaft. Eine<br />

Untersuchung zur Struktur sozialpädagogischen Denkens <strong>und</strong> Handelns, Weinheim/Berlin 1959.<br />

169<br />

Brezinka, Wolfgang: Erziehung als Lebenshilfe. Eine Einführung in <strong>die</strong> pädagogische Situation<br />

3. verbesserte Auflage, Stuttgart 1963.<br />

111


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

<strong>Nohl</strong> selbst, so <strong>die</strong> abschließende Pointe Bartels’, habe dann 1952 in seinem Vortrag<br />

„Erziehung als Lebenshilfe“ 170 seinen pädagogischen Bezug relativiert <strong>und</strong> <strong>die</strong> Bedeu-<br />

tung der Kräfte in den Kindern angesichts einer neuen Stellung des Lehrers im Unter-<br />

richt klarer akzentuiert (S. 212 f).<br />

Alles in allem ist in <strong>die</strong>ser Dissertation ohne Frage sehr systematisch der Zusammenhang<br />

zwischen Diltheys <strong>und</strong> <strong>Nohl</strong>s theoretischen Ansätzen, vor allem mit genauen<br />

Quellen (anders als bei <strong>Nohl</strong> selbst), herausgearbeitet <strong>und</strong> belegt worden. Deutlich<br />

zeichnet sich nun schon ab – trotz aller Bemühungen, jegliche Kritik an <strong>Nohl</strong> durch<br />

<strong>Nohl</strong>s allgemein gehaltene Gegensatzpaare einfach in der Konzeption <strong>Nohl</strong>s aufzuheben<br />

<strong>und</strong> so zu entschärfen –, dass zunehmend alle Versuche einer übergeschichtlichen <strong>und</strong><br />

entpolitisierenden Darstellung der Theorien <strong>Nohl</strong>s zu wanken beginnen. 171<br />

In Wolfgang Scheibes 1969 erstmals erschienenem Werk „Die reformpädagogische<br />

Bewegung 1900–1932. Eine einführende Darstellung“ 172 findet sich <strong>die</strong> bemerkenswert<br />

eindeutige Zuordnung <strong>Nohl</strong>s zur Reformpädagogik. Scheibe konstruiert <strong>die</strong>sen Zusammenhang<br />

insofern, dass <strong>die</strong> geisteswissenschaftliche Richtung <strong>Nohl</strong>s den Intentionen<br />

der Reformbewegung entsprochen habe (S. 387). Gerade <strong>die</strong> Zusammenfassung der<br />

„deutschen pädagogischen Bewegung“ (S. 388), insbesondere auch durch <strong>die</strong> Arbeiten<br />

<strong>Nohl</strong>s in der <strong>Zeit</strong>schrift „Die Erziehung“ rücke ihn als Theoretiker der Reformpädagogik<br />

an <strong>die</strong> erste Stelle, wobei Scheibe inhaltlich neben der „Autonomie der Pädagogik“<br />

<strong>und</strong> dem „pädagogischen Bezug“ als dritten Punkt <strong>die</strong> „Aufhebung der humanistischen<br />

Trennung von Bildung <strong>und</strong> Wirklichkeit“ (S. 391) als entscheidende Leistung <strong>Nohl</strong>s<br />

herausgestellt. <strong>Nohl</strong> habe eben immer (sic!) <strong>die</strong> Übereinstimmung mit lebendigen<br />

Tendenzen einer deutschen Gegenwart (S. 387) gef<strong>und</strong>en.<br />

170 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Erziehung als Lebenshilfe, in: Aufgaben <strong>und</strong> Wege der Sozialpädagogik. Vorträge <strong>und</strong><br />

Aufsätze, herausgegeben von Elisabeth Blochmann, Weinheim 1965.<br />

171 Auch in dem zehn Jahre später erschienenen lexikalischen Beitrag „<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>“ nimmt Bartels <strong>die</strong><br />

schon vorhandene Kritik an Nationalismus <strong>und</strong> teilweiser Unterstützung des Nationalsozialismus durch<br />

<strong>Nohl</strong> nicht auf, obwohl in der von Bartels genannten Sek<strong>und</strong>ärliteratur Schonig <strong>und</strong> Lingelbach enthalten<br />

sind (Bartels, Klaus: <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>, in: Speck, Josef (Hrsg.): Geschichte der Pädagogik des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts.<br />

Von der Jahrh<strong>und</strong>ertwende bis zum Ausgang der geisteswissenschaftlichen Epoche, Band 2,<br />

Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1978, S. 35–50).<br />

172 Scheibe, Wolfgang: Die reformpädagogische Bewegung 1900–1932. Eine einführende Darstellung,<br />

(1. Auflage 1969), 10. erweiterte <strong>und</strong> neuausgestattete Auflage, Weinheim/Basel 1994.<br />

Im Nachwort zur hier zitierten 10. Auflage von 1994 weist Heinz-Elmar Tenorth ausdrücklich darauf hin,<br />

dass Scheibe im Wesentlichen der Perspektive <strong>Nohl</strong>s auf <strong>die</strong> Reformpädagogik folgt (S. 440), dass aber<br />

seit Kritiken von Niklas Luhmann <strong>und</strong> Karl-Eberhard Schnorr sowie Jürgen Oelkers <strong>die</strong> Periodisierung<br />

der Reformpädagogik von 1890–1932 umstritten sei.<br />

112


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

Die <strong>Nohl</strong>-Schülerin Elisabeth Blochmann veröffentlicht 1969 ihre ausgesprochen<br />

lesenswerte <strong>und</strong> informative Monographie „<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> in der pädagogischen Bewe-<br />

gung seiner <strong>Zeit</strong>“ 173 . Auf 230 Seiten gibt Blochmann nicht nur einen Überblick über <strong>die</strong><br />

Umstände der Entstehung von <strong>Nohl</strong>s gr<strong>und</strong>legenden Schriften, sondern schildert dabei<br />

auch <strong>die</strong> zeitgeschichtlichen Umstände unter Hinzuziehung nicht veröffentlichter Briefe<br />

<strong>und</strong> Dokumente. Blochmann, selbst vom <strong>NS</strong>-Regime aus rassistischen Gründen ver-<br />

folgt, steht in einem ihn in jeder Hinsicht verteidigenden Verhältnis zu <strong>Nohl</strong>. Er wird als<br />

„gutgläubig“ dargestellt <strong>und</strong> somit auch seine Unterstützung des deutschen Kaisers <strong>und</strong><br />

der deutschen Armee im Ersten Weltkrieg gerechtfertigt (Blochmann 1969, S. 71).<br />

So gibt Blochmann unfreiwillig eine Fülle von Hinweisen, <strong>die</strong> bei genauerem Hinsehen<br />

auf <strong>die</strong> gr<strong>und</strong>legende Problematik <strong>Nohl</strong>s aufmerksam machen. Sie verweist darauf, dass<br />

in seinen nachgelassenen Papieren auch ein besonderes Interesse für <strong>die</strong> Militärpädago-<br />

gik deutlich wird, ein Themenbereich, der vor allem von <strong>Nohl</strong>s Schüler Erich Weniger<br />

aufgegriffen wurde.<br />

Blochmann betont auch <strong>die</strong> Methodik <strong>Nohl</strong>s, bei späterem Abdruck von pädagogischen<br />

<strong>und</strong> politischen Aufsätzen nichts zu verändern, damit <strong>die</strong> Leser, wie sie <strong>Nohl</strong> zitiert,<br />

„Vertrauen zu dem haben“ (Blochmann 1969, S. 86), was er nun sagen werde. In<br />

seinem Vorwort zu den pädagogischen <strong>und</strong> politischen Aufsätzen schrieb <strong>Nohl</strong> ausdrücklich,<br />

dass jede Änderung „wie eine Fälschung meiner Vergangenheit aussehen<br />

würde“ (Blochmann 1969, S. 86). 174<br />

Blochmann verwendet den Ausdruck von der „realistischen Wendung“ (Blochmann<br />

1969, S. 113), <strong>die</strong> <strong>Nohl</strong>s Bemühungen um <strong>die</strong> Pädagogik genommen habe. Von ihr<br />

stammt hier auch eine Interpretation der Schrift <strong>Nohl</strong>s zur Osthilfe als „nationalpolitische<br />

Aufgabe“, in der angeblich der Begriff „völkisch“ nirgends vorkomme. Zielgenau<br />

formulierte Blochmann, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Texte <strong>Nohl</strong>s sehr genau kannte, zu seiner Verteidigung:<br />

„Das von <strong>Nohl</strong> in <strong>die</strong>sen Jahren Gewollte ist unzweideutig vom Nationalsozialismus<br />

unterschieden, durch <strong>die</strong> wache Humanität, <strong>die</strong> seinen sozialpädagogischen Willen<br />

beseelte. Der Begriff ‚völkisch‘ kommt dabei nirgends vor.“ (Blochmann 1969,<br />

S. 125)<br />

173<br />

Blochmann, Elisabeth: <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> in der pädagogischen Bewegung seiner <strong>Zeit</strong> 1879–1960,<br />

Göttingen 1969.<br />

174<br />

<strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Pädagogische <strong>und</strong> politische Aufsätze, Jena 1919 bzw. <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Pädagogische<br />

Aufsätze, 2. vermehrte Auflage, Langensalza/Berlin/Leipzig 1929, dort: Vorwort zur ersten Auflage<br />

(ohne Seitenzahl).<br />

113


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

Blochmann weiß sicherlich schon, dass das Geschriebene <strong>und</strong> Dokumentierte eine<br />

solche Apologie nicht ermöglicht <strong>und</strong> weicht daher auf das „Gewollte“ aus. Die Wen-<br />

dung <strong>Nohl</strong>s zum Nationalpädagogischen, auch das weiß Blochmann sicherlich genau,<br />

ist eine Wendung hin zum Völkischen, auch wenn in <strong>die</strong>ser einen Schrift der Begriff<br />

„völkisch“ nicht vorkommen mag.<br />

Blochmann kennt offensichtlich auch <strong>die</strong> Passage <strong>Nohl</strong>s über <strong>die</strong> Bejahung des Nationalsozialismus<br />

<strong>und</strong> polemisiert vorbeugend gegen mögliche Kritiken, <strong>die</strong><br />

„jede Bejahung des Nationalen in der damaligen <strong>Zeit</strong> als wegbereitend für das Böse<br />

(…) verdammen. Man wird aber erkennen müssen, dass in den letzten Jahren der<br />

Weimarer Republik der Nationalsozialismus unter der Jugend auch deshalb so rasch<br />

Boden gewann, weil für sie kaum irgendwo sonst ein klares Ziel zu erkennen war,<br />

das positive Aufgaben stellte, <strong>die</strong> ihren Aufbauwillen wachriefen <strong>und</strong> in <strong>die</strong> Zukunft<br />

wiesen.“ (Blochmann 1969, S. 129)<br />

Indem Blochmann das bekannte „Bejahungs-Zitat“ <strong>Nohl</strong>s aus dem Jahr 1932 hier allein<br />

auf <strong>die</strong> Jugend (<strong>und</strong> nur auf den Nationalismus, nicht den Nationalsozialismus) be-<br />

zieht 175 <strong>und</strong> wegoperiert, dass es <strong>Nohl</strong> darum ging, was „jeder Erzieher“ im Nationalso-<br />

zialismus bejahen müsse, hat sie auch hier das verantwortungslose öffentliche Programm<br />

der Annäherung <strong>Nohl</strong>s an den Nationalsozialismus doppelt kaschiert <strong>und</strong><br />

vertuscht.<br />

Ihre Ausführungen über „Göttingen 1933–1945“ sind <strong>die</strong> Blaupause aller nachfolgenden<br />

Rechtfertigungen des Verhaltens <strong>Nohl</strong>s überhaupt. Als Argument gegen eine<br />

Emigration nach dem Tod seiner Frau (<strong>Nohl</strong>s Kinder lebten in Großbritannien <strong>und</strong> <strong>Nohl</strong><br />

hatte sich immerhin um eine Professur in England beworben), behauptet Blochmann,<br />

<strong>Nohl</strong> habe durch seine Emigration anderen Menschen keinen „Arbeitsplatz“ wegnehmen<br />

wollen (Blochmann 1969, S. 163).<br />

Blochmann schildert sehr genau, das <strong>Nohl</strong> über <strong>die</strong> antisemitische Verfolgung seiner<br />

akademischen Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler bis ins Detail informiert war, einschließlich der<br />

KZ-Haft C. Bondys in Buchenwald 1938. Offensichtlich ohne <strong>die</strong> Problematik der<br />

175 „Was <strong>die</strong> Jugend heute am Nationalsozialismus begeistert <strong>und</strong> jeder Erzieher in ihm bejahen muss,<br />

auch wo er seiner agitatorischen Praxis, seiner Methode der Gewalt <strong>und</strong> seiner materialistischen Rassetheorie<br />

ablehnend gegenübersteht, ist, dass jenseits des politischen Tageskampfes auch er <strong>die</strong> seelischen<br />

<strong>und</strong> geistigen Kräfte als <strong>die</strong> entscheidenden gegenüber Wirtschaft <strong>und</strong> Politik erkennt <strong>und</strong> <strong>die</strong> Aufgabe<br />

der <strong>Zeit</strong> wieder als eine große Erziehungsaufgabe sieht: <strong>die</strong> Form des Menschen <strong>und</strong> des Volkes muss<br />

zuerst von innen her eine andere werden.“ (<strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Landbewegung, Osthilfe <strong>und</strong> <strong>die</strong> Aufgabe der<br />

Pädagogik, Leipzig 1933, S. 75)<br />

114


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

nachfolgenden Passage zu verstehen, zitiert Blochmann aus einem Brief <strong>Nohl</strong>s an<br />

seinen akademischen Schüler <strong>Herman</strong>n Ebstein von 1936, der sich entschlossen hatte,<br />

nach Palästina auszuwandern: „Der Mensch muss eine Heimat haben <strong>und</strong> ein Volk, das<br />

im Guten wie im Bösen das seine ist.“ (<strong>Nohl</strong>, in: Blochmann 1969, S. 164) Es ist<br />

einerseits ein Dokument der Hinwendung <strong>Nohl</strong>s zu seinem jüdischen Doktoranden,<br />

andererseits enthält es als reale Möglichkeit aber auch den völkischen Gedanken, dass<br />

<strong>Nohl</strong> <strong>die</strong> deutschen Juden nicht als Teil des deutschen Volkes ansieht, so wie auch Ernst<br />

Krieck den Juden 1933 <strong>die</strong> Ausreise nach Palästina empfohlen hatte. 176<br />

Blochmann kannte sehr genau das Vorlesungsmanuskript <strong>Nohl</strong>s von 1933/34. <strong>Nohl</strong><br />

hatte mit <strong>die</strong>ser Vorlesung 177 ihrer Ansicht nach versucht, seinen Studenten „zu zeigen,<br />

wie sie auch unter den veränderten Umständen <strong>und</strong> unter Anerkennung bestimmter<br />

neuer Prinzipien pädagogisch verantwortlich <strong>und</strong> sinnvoll arbeiten könn-<br />

ten“ (Blochmann 1969, S. 170). An Stelle einer Kritik <strong>die</strong>ses Versuchs trägt Blochmann<br />

das bemerkenswerte, teilweise auch bemerkenswert unkritische Lob von Theodor Litt<br />

vor, dem <strong>Nohl</strong> das Manuskript 1940 zur Kritik übersandt hatte. Litt antwortete Ende<br />

1940, <strong>Nohl</strong> sei es in <strong>die</strong>ser Vorlesung gelungen, seine „eigene Haltung zu wahren <strong>und</strong><br />

dabei doch das Anerkennenswerte in dem Neuen zu würdigen <strong>und</strong> einzubauen“<br />

(Blochmann 1969, S. 171). Litt kritisierte allerdings auch in äußerst höflicher, ja<br />

galanter Form, wie Blochmann darstellt, nicht zu Unrecht <strong>die</strong>ses zu große Vertrauen<br />

<strong>Nohl</strong>s „in das Neue“, sprich in den Nationalsozialismus.<br />

An Erika Hoffmann, so dokumentiert Blochmann, schrieb <strong>Nohl</strong> kurz vor Ausbruch des<br />

Zweiten Weltkriegs (27.8.1939):<br />

„Wenn der Krieg wirklich kommt (…), dann kann man nur an seiner Stelle still sein<br />

<strong>und</strong> seine Pflicht tun <strong>und</strong> mit dem nächsten Menschen so fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> innig sein,<br />

wie es einem möglich ist.“ (<strong>Nohl</strong>, in: Blochmann 1969, S. 182)<br />

Hier wird von <strong>Nohl</strong> im Keim ein Programm des Stillhaltens <strong>und</strong> der Pflichterfüllung<br />

vorgestellt, das eine f<strong>und</strong>amentale Absage an Widerstand <strong>und</strong> humanitäres Handeln<br />

enthält. Gerechterweise soll an <strong>die</strong>ser Stelle jedoch vermerkt werden, dass <strong>Herman</strong><br />

176 Vgl. Krieck, Ernst: Die Judenfrage, in: Volk im Werden. <strong>Zeit</strong>schrift für Kulturpolitik, 1. Jg. (1933),<br />

S. 57–63, abgedruckt in: Brumlik, Micha/Ortmeyer, Benjamin (Hrsg.): Erziehungswissenschaft <strong>und</strong><br />

Pädagogik in Frankfurt – eine Geschichte in Portraits. 90 Jahre Johann Wolfgang Goethe-Universität,<br />

Frankfurt am Main 2006, S. 61–66.<br />

177 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Die Gr<strong>und</strong>lagen der nationalen Erziehung. Eine Vorlesung zum Wintersemester<br />

1933/34 (Typoskript), ohne Ort, ohne Jahr (Göttingen 1940).<br />

115


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

<strong>Nohl</strong> – anders als Peter Petersen oder Erich Weniger –niemals von sich auch nur im<br />

Ansatz behauptet hätte, im Widerstand gewesen zu sein.<br />

Blochmanns Darstellung der letzten fünfzehn Lebensjahre <strong>Nohl</strong>s beginnt mit ausführli-<br />

chen Zitaten aus dem bereits erwähnten Hildesheimer Manuskript <strong>und</strong> schildert, dass<br />

<strong>Nohl</strong> jetzt „ein öffentliches Wirken im großen Stil“ (Blochmann 1969, S. 189) möglich<br />

gewesen sei. Sie hebt seine Rolle bei der Entnazifizierung hervor: „Die rasche Ent-<br />

schiedenheit gegen <strong>die</strong> wirklichen Nazis <strong>und</strong> <strong>die</strong> Großzügigkeit gegen <strong>die</strong>, <strong>die</strong> sich nur<br />

hatten einfangen lassen.“ (Blochmann 1969, S. 190) Es sei hier angemerkt, dass von<br />

Blochmann für <strong>die</strong>se „rasche Entschiedenheit“ gegen <strong>die</strong> wirklichen Nazis keine Belege<br />

angeführt werden <strong>und</strong> solche Belege auch nicht bekannt sind, während <strong>die</strong> „Großzügig-<br />

keit“ gegenüber den Befürwortern des Nationalsozialismus in der Tat charakteristisch<br />

für <strong>Nohl</strong> ist. 178<br />

Eine eigenständige biographische Untersuchung zu <strong>die</strong>sem Thema, <strong>die</strong> Haltung <strong>Nohl</strong>s<br />

zu den aktiven Widerstandskämpfern, auf <strong>die</strong> Blochmann indirekt aufmerksam macht,<br />

wurde bisher nicht durchgeführt. Blochmann gibt hier nur zwei Hinweise in der ihr<br />

eigenen Art. Als <strong>Nohl</strong> selbst von der britischen Besatzungsmacht überprüft wurde,<br />

wurde ihm offensichtlich vorgeschlagen, dass er in <strong>die</strong> Redaktion seiner <strong>Zeit</strong>schrift „Die<br />

Sammlung“ (deren Autoren ja nicht alle ohne Berührungspunkte zum Nationalsozialis-<br />

mus waren 179 ) möglichst jemand aufnehmen solle, „der im KZ gesessen hat“ (Bloch-<br />

mann 1969, S. 200). Blochmann interpretiert das als „Unverständnis der Besatzungs-<br />

mächte“ (Blochmann 1969, S. 200). <strong>Nohl</strong> wiederum notierte laut Blochmann am<br />

23.6.1946:<br />

116<br />

„Ich kann mich auch nicht entschließen, wen ich als den geforderten radikalen Kompagnon<br />

hineinnehmen soll. (…) Was so schwer für <strong>die</strong> Menschen zu verstehen ist,<br />

dass man heute bei uns möglichst still vorwärts gehen muss, wenn man nur richtig<br />

178 Hasko Zimmer zitiert in seinem Beitrag „Pädagogische Intelligenz <strong>und</strong> Neuanfang 1945. ‚Die<br />

Sammlung‘ im Kontext der Faschismus- <strong>und</strong> Neuordnungsdiskussion 1945–1949 (in: Keim, Wolfgang<br />

(Hrsg.): Erziehungswissenschaft <strong>und</strong> Nationalsozialismus – Eine kritische Positionsbestimmung, Marburg<br />

1990) aus einem Memorandum <strong>Nohl</strong>s für <strong>die</strong> britische Militärverwaltung vom 11.4.1945. <strong>Nohl</strong> fordert<br />

dort: „Anständige Nationalsozialisten, <strong>die</strong> ihre Stellung nicht missbraucht haben, <strong>und</strong> von denen <strong>die</strong> Leute<br />

nur Gutes zu sagen wissen, sind unbedingt in ihrer Stellung zu belassen.“ (Niedersächsische Staats- <strong>und</strong><br />

Universitätsbibliothek Göttingen, Cod. Ms. H. <strong>Nohl</strong> 804, Blatt 2, zitiert nach Zimmer 1990, S. 120)<br />

179 Siehe dazu genauer den Abschnitt „Der Nationalsozialismus im Spiegel der ‚Sammlung‘ <strong>und</strong> der<br />

‚Frankfurter Hefte‘ “, in: Dudek, Peter, „Der Rückblick auf <strong>die</strong> Vergangenheit wird sich nicht vermeiden<br />

lassen“. Zur pädagogischen Verarbeitung des Nationalsozialismus in Deutschland (1945–1990), Opladen<br />

1995. S. 116 ff. Interessant ist hier insbesondere auch <strong>die</strong> Problematik des Verhaltens Weinstocks nach<br />

1945 (S. 115).


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

geht! Dann weckt man keine Opposition, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Leser schlucken, was sie hören<br />

sollen, ohne Widerstand.“ (<strong>Nohl</strong>, in: Blochmann 1969, S. 202)<br />

Blochmann schildert <strong>Nohl</strong> als „the grand old man“, der sich immer treu geblieben sei,<br />

auch als er bei der Umbenennung einer Schule in Göttingen in „<strong>Herman</strong>-<strong>Nohl</strong>-Schule“<br />

mit Kant als Aufgabe der Pädagogik daran festhielt, „aus dem krummen Holz der<br />

Menschen ein gerades zu machen“ (Blochmann 1969, S. 210).<br />

2. Die 1970er <strong>und</strong> 1980er Jahre<br />

In Karl Christoph Lingelbachs 1970 erschienenen wegweisenden Stu<strong>die</strong> „Erziehung<br />

<strong>und</strong> Erziehungstheorien im nationalsozialistischen Deutschland“ 180 wird vor allem im<br />

Kapitel „Das Problem der ‚pädagogischen Autonomie‘ <strong>und</strong> <strong>die</strong> Ideologie der ‚konserva-<br />

tiven Revolution‘ “ (Lingelbach 1979, S. 34 ff) erstmals kritisch zu <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> <strong>und</strong><br />

dessen Haltung zum <strong>NS</strong>-Regime Stellung genommen. Dabei ist zunächst hervorzuhe-<br />

ben, dass Lingelbach anhand der Lage der Erziehungswissenschaft in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> sehr<br />

deutlich herausarbeitet, was damals auch auf anderen Gebieten keinesfalls selbstver-<br />

ständlich war. Lingelbach stellt klar, dass das <strong>NS</strong>-Regime eben kein homogenes,<br />

hierarchisch strukturiertes Herrschaftssystem war, <strong>und</strong> es auch falsch sei, „von der<br />

Existenz einer einheitlichen nationalsozialistischen Pädagogik auszugehen“. Gerade hier<br />

stimme das „Bild eines pyramidenförmig aufgebauten Herrschaftssystems“ nicht<br />

(Lingelbach 1979, S. 13 f).<br />

In Bezug auf <strong>Nohl</strong> arbeitet Lingelbach zunächst den Begriff der „relativen Autonomie<br />

der Erziehung“ gegenüber Kirche <strong>und</strong> Staat heraus. Die Pointe Lingelbachs ist, dass<br />

<strong>Nohl</strong> <strong>die</strong> Pädagogik durch eine Entpolitisierung an den <strong>NS</strong>-Staat ausgeliefert habe.<br />

Gleichzeitig konstatiert er, dass <strong>Nohl</strong>, anders als in den 1920er Jahren, nun in den<br />

1930er Jahren den Akzent vom Kind <strong>und</strong> vom Individuum weg auf das Ganze, das Volk<br />

<strong>und</strong> den Dienst verschiebt. Lingelbach erklärt <strong>die</strong> Möglichkeit <strong>die</strong>ser Verschiebung<br />

nicht nur auf der Ebene der Anpassung an das Anwachsen der Rechten, sondern sieht<br />

<strong>die</strong> nationalistische, vom Ersten Weltkrieg geprägte These <strong>Nohl</strong>s, es gehe um <strong>die</strong> „neue<br />

180 Lingelbach, Karl Christoph: Erziehung <strong>und</strong> Erziehungstheorien im nationalsozialistischen Deutschland.<br />

Ursprünge <strong>und</strong> Wandlungen der 1933–1945 in Deutschland vorherrschenden erziehungstheoretischen<br />

Strömungen, ihre politischen Funktionen <strong>und</strong> ihr Verhältnis zur außerschulischen Erziehungspraxis<br />

des „Dritten Reiches“ (Marburger Forschungen zur Pädagogik, Band 3). Überarbeitete Zweitausgabe mit<br />

drei neueren Stu<strong>die</strong>n <strong>und</strong> einem Diskussionsbericht (1. Auflage 1970), Frankfurt am Main 1987.<br />

117


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

Form des deutschen Menschentums“, als Wurzel <strong>die</strong>ser Akzentverschiebung (Lingelbach<br />

1979, S. 43 f).<br />

Lingelbach war 1970 wohl der erste, der das Zitat <strong>Nohl</strong>s aus dem Jahr 1932 („Was <strong>die</strong><br />

Jugend heute am Nationalsozialismus begeistert <strong>und</strong> jeder Erzieher in ihm bejahen<br />

muss…“) aufgegriffen hat <strong>und</strong> auf <strong>die</strong> pro-nationalsozialistischen Formulierungen im<br />

Nachwort der 1935 erschienenen „Pädagogischen Bewegung“ hingewiesen hat (Lingelbach<br />

1979, S. 44). Für Lingelbach bestand „kein Zweifel, dass <strong>Nohl</strong> den Charakter des<br />

politischen Regimes, dem <strong>die</strong> Erziehung nun ausgeliefert war, in der Frühphase des<br />

‚Dritten Reiches‘ noch völlig verkannte“ (Lingelbach 1979, S. 45). Lingelbach ordnet<br />

<strong>Nohl</strong> politisch in <strong>die</strong> Gruppe der Konservativen um Armin Mohler ein, in <strong>die</strong> Gruppe<br />

der Freikorps <strong>und</strong> rechts stehenden bürgerliche Parteien <strong>und</strong> belegt <strong>die</strong>s anhand der von<br />

<strong>Nohl</strong> als Vorbild zitierten Autoren (Lingelbach 1979, S. 45 ff).<br />

1973 geht Bruno Schonig in seiner Dissertation „Irrationalismus als pädagogische<br />

Tradition“ 181 im Rahmen seiner Kritik des Irrationalismus insgesamt auch auf <strong>die</strong><br />

pädagogische Theorie <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s ein. Von Adornos „Erziehung nach Auschwitz“<br />

beeinflusst (S. 12) kritisiert Schonig <strong>Nohl</strong>s Theorien als im Kern irrational. <strong>Nohl</strong>s<br />

historische Darstellung der Reformpädagogik bezeichnet Schonig als „Enthistorisierung“<br />

(S. 46), da das Schema eines Drei-Phasen-Verlaufs an Stelle konkreter Untersuchungen<br />

der Geschichte übergestülpt würde (S. 46 f). Insbesondere kritisiert er <strong>Nohl</strong>s<br />

Aussage, dass „eine allgemeingültige Theorie der Bildung“ möglich sei, „<strong>die</strong> für alle<br />

<strong>Zeit</strong>en <strong>und</strong> alle Völker“ 182 gelte (S. 48). Sehr genau erkennt Schonig <strong>die</strong> „Ideologisierung<br />

der Nationalpädagogik“ (S. 57) <strong>und</strong> klärt auf, dass <strong>Nohl</strong>s weitertreibende Frage<br />

nach dem Gehalt der Reformpädagogik sich auf das „neue Ideal vom deutschen Menschen“<br />

(S. 63), 183 also auf Nationalismus konzentriert. Eine wirkliche Auseinandersetzung<br />

mit <strong>Nohl</strong>s Verhältnis zum Nationalsozialismus wird in <strong>die</strong>ser ansonsten <strong>Nohl</strong><br />

erstmals scharf kritisierenden Dissertation nicht durchgeführt. 184<br />

181<br />

Schonig, Bruno: Irrationalismus als pädagogische Tradition. Die Darstellung der Reformpädagogik in<br />

der pädagogischen Geschichtsschreibung, Weinheim/Basel 1973.<br />

182<br />

<strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Die pädagogische Bewegung in Deutschland <strong>und</strong> ihre Theorie, Frankfurt am Main<br />

1935, S. 125.<br />

183<br />

<strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 21.<br />

184<br />

In der 1973 von Gertrud Schiess veröffentlichten Dissertation „Die Diskussion über <strong>die</strong> Autonomie<br />

der Pädagogik“ (Weinheim/Basel 1973) wird im Anschluss an <strong>die</strong> Dissertation von Bartels, <strong>die</strong> Schiess<br />

ausdrücklich lobend erwähnt, ein Überblick in drei Etappen über <strong>die</strong> Debatte zum Thema Autonomie der<br />

118


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

In der 1975 erschienenen Dissertation „Die Vermittlung zwischen Theorie <strong>und</strong> Praxis in<br />

der deutschen Pädagogik von Kant bis <strong>Nohl</strong>“ 185 von Jürgen Oelkers wird nach Litt <strong>und</strong><br />

Spranger auch <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s Verhältnis von Theorie <strong>und</strong> Praxis im Kontext philoso-<br />

phiegeschichtlicher Überlegungen von Kant <strong>und</strong> Schleiermacher, aber auch Herbart <strong>und</strong><br />

Dilthey vorgestellt. Auf knapp 40 Seiten referiert Oelkers hauptsächlich <strong>Nohl</strong>s Habilitationsschrift<br />

von 1908, aber auch dessen weitere gr<strong>und</strong>legende philosophischtheoretische<br />

Schriften als Anwendung von Diltheys Philosophie auf das Gebiet der<br />

Pädagogik. Der Begriff des Lebens bei <strong>Nohl</strong> (in philosophischer Hinsicht) wird, so<br />

Oelkers, auf das Paradigma der „Deutschen Bewegung“ übertragen. In deren „Leben“<br />

finden sich pädagogische Gr<strong>und</strong>einsichten wieder. <strong>Nohl</strong> sei „der erste bedeutende<br />

Geschichtsschreiber der Reformpädagogik“ (S. 323). Oelkers arbeitet <strong>Nohl</strong>s Distanz, ja<br />

Ablehnung zu Einzelwissenschaften heraus <strong>und</strong> betont, bei allem Verständnis für<br />

„<strong>Nohl</strong>s Warnung vor der Hybris der Wissenschaft“ (S. 335), dass <strong>Nohl</strong> im schulischen<br />

Bereich <strong>die</strong> „K<strong>und</strong>e“ in den Gegensatz zur Theorie der Wissenschaft stelle (S. 327).<br />

Trotz gewisser kritischer Distanz bewegt sich <strong>die</strong>se Schrift Oelkers’ durchaus noch im<br />

Rahmen der üblichen <strong>Nohl</strong>-Rezeption <strong>die</strong>ser <strong>Zeit</strong>spanne. Insbesondere ist charakteristisch,<br />

dass mit einer gewissen Systematik <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong>punkte der Abfassung der Schriften<br />

<strong>Nohl</strong>s <strong>und</strong> ihr politischer Kontext konsequent ausgeblendet werden.<br />

In Hans Jürgen Finckhs Dissertation „Der Begriff der ‚Deutschen Bewegung‘ <strong>und</strong> seine<br />

Bedeutung für <strong>die</strong> Pädagogik <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s“ 186 von 1977 sticht zunächst das Vorwort<br />

Pädagogik gegeben: <strong>die</strong> Ursprünge der Debatte vor <strong>und</strong> in der Weimarer Republik, <strong>die</strong> Ablehnung der<br />

pädagogischen Autonomie in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> Fortsetzung der Debatte nach 1945. Gerade widersprüchliche<br />

Äußerungen <strong>Nohl</strong>s in der Frage der pädagogischen Autonomie gegenüber dem Staat (nicht<br />

Parteien) <strong>und</strong> gegenüber der Religion (nicht Konfession) werden nicht auf den Prüfstand gestellt <strong>und</strong> im<br />

Detail diskutiert. Die reale Bedeutung der pro-nationalsozialistischen Schriften <strong>Nohl</strong>s spielt in <strong>die</strong>ser<br />

Publikation keine Rolle.<br />

In <strong>die</strong> selbe Kategorie ist auch <strong>die</strong> im selben Jahr erschienene Dissertation „Die Bedeutung der religiösen<br />

Dimension im Denken <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s unter besonderer Berücksichtigung seiner Pädagogik“ (München<br />

1974) von Michael Lang einzustufen, <strong>die</strong> <strong>Nohl</strong>s Gedanken der pädagogischen Autonomie zwar politisch<br />

vertritt, andererseits aber nicht zu Unrecht darauf hinweist, dass <strong>Nohl</strong>s pädagogische Autonomie keine<br />

Autonomie von der Religion ist, auch wenn eingeschränkt wird, dass ihm „der Zugang zur christlichen<br />

Offenbarung“ (S. 367) nicht so recht gelungen sei.<br />

185 Oelkers, Jürgen: Die Vermittlung zwischen Theorie <strong>und</strong> Praxis in der deutschen Pädagogik von Kant<br />

bis <strong>Nohl</strong>. Eine ideengeschichtliche Untersuchung, Hamburg 1975.<br />

186 Finckh, Hans Jürgen: Der Begriff der „Deutschen Bewegung“ <strong>und</strong> seine Bedeutung für <strong>die</strong> Pädagogik<br />

<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s (Europäische Hochschulschriften, Reihe 11: Pädagogik, Band 41), Frankfurt am<br />

Main/Bern/Las Vegas 1977.<br />

119


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

von Wolfgang Klafki 187 ins Auge. Klafki beklagt sich über „gängige Klischees über <strong>die</strong><br />

angebliche Aufklärungsfeindlichkeit der <strong>Nohl</strong>’schen Deutung der Deutschen Bewe-<br />

gung“ (S. 8). Das offensichtlich ausgesprochen enge Verhältnis von Klafki zu <strong>Herman</strong><br />

<strong>Nohl</strong>, das sich auch fünf<strong>und</strong>zwanzig Jahre später in mehr oder minder missglückten<br />

Versuchen, <strong>Nohl</strong> gegen „gängige Klischees“ zu verteidigen, äußert, ist hier angedeutet.<br />

Klafki hebt im Vorwort zu Finckhs Arbeit hervor, dass <strong>die</strong> angeblich ungerechten<br />

Kritiker das „polaristisch-dialektische Denkprinzip“ (S. 9) bei <strong>Nohl</strong> nicht erkannt hätten<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> Fehlinterpretationen <strong>Nohl</strong>s eben auf der Verkennung <strong>die</strong>ser Denkstrukturen<br />

beruhen würden. So ist es nicht verw<strong>und</strong>erlich, dass <strong>die</strong> eigentliche Problematik der<br />

„Deutschen Bewegung“, der tiefsitzende irrationale <strong>und</strong> religiös verklärte Nationalis-<br />

mus, in <strong>die</strong>ser Dissertation nicht aufgeklärt wird.<br />

Im Gegenteil. Hans Jürgen Finckh erklärt nach gründlicher Durchsicht aller <strong>die</strong>se<br />

Frage betreffenden Publikationen <strong>Nohl</strong>s sogar noch, dass der „Begriff der ‚Deutschen<br />

Bewegung‘ (…) sich als der Zentralbegriff in <strong>Nohl</strong>s Pädagogik“ (S. 251) erwiesen habe.<br />

Auch wenn im guten <strong>Nohl</strong>schen Stil Kritiken zugestanden werden, ist <strong>die</strong> überraschende<br />

Schlussfolgerung Finckhs dann doch, dass von <strong>die</strong>sem Begriff der „Deutschen Bewegung“<br />

abgesehen werden müsse, da ihn der Nationalsozialismus als „ein Etikett benutzt“<br />

habe, „mit dem ganz andere Inhalte <strong>und</strong> Intentionen versehen werden sollen“<br />

(S. 253). Auch in <strong>die</strong>ser eigentlich als Verteidigungsschrift gedachten Dissertation<br />

bleibt am Schluss stehen, dass <strong>Nohl</strong> selbst nicht immer Gefahren der nationalistischen<br />

Verengung gesehen habe. Deutlich wird durch <strong>die</strong>se Arbeit, dass doch schon eine<br />

erhebliche Bresche im Selbstverständnis der <strong>Nohl</strong>-Schule geschlagen wurde.<br />

Zum h<strong>und</strong>ertsten Geburtstag <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s 1979 erschienen ausführliche Beiträge<br />

anlässlich der Feierst<strong>und</strong>e in der Universität Göttingen – sämtlich abgedruckt in einem<br />

Heft der <strong>Zeit</strong>schrift „Neue Sammlung“. 188 Der Erziehungswissenschaftler Theodor<br />

Schulze hatte <strong>die</strong> offensichtlich unangenehme Aufgabe, auch kritische Fragen <strong>und</strong><br />

Einwände vorzutragen. Er hält den Eröffnungsvortrag mit dem Titel „ ‚Der Sinn des<br />

Lebens liegt im Leben selbst…‘. Ein neugieriger Rückblick auf <strong>die</strong> geisteswissenschaft-<br />

187<br />

Klafki, Wolfgang: Vorwort, in: Finckh, Hans Jürgen: Der Begriff der „Deutschen Bewegung“ <strong>und</strong><br />

seine Bedeutung für <strong>die</strong> Pädagogik <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s (Europäische Hochschulschriften, Reihe 11: Pädagogik,<br />

Band 41), Frankfurt am Main/Bern/Las Vegas 1977, S. 5–9.<br />

188<br />

Die neue Sammlung. Vierteljahres-<strong>Zeit</strong>schrift für Erziehung <strong>und</strong> Gesellschaft, 19. Jg. (1979), S. 539–<br />

582.<br />

120


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

liche Pädagogik zum 100. Geburtstag von <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>“. 189 Durch das gründliche<br />

Studium <strong>Nohl</strong>s früher Schriften, vor, im <strong>und</strong> direkt nach dem Ersten Weltkrieg (insbe-<br />

sondere <strong>Nohl</strong>s Sammelbände mit pädagogischen <strong>und</strong> politischen Aufsätzen) formuliert<br />

Schulze vorsichtig, aber vor allem beweiskräftig, dass man „sich des Eindrucks nicht<br />

erwehren (kann), dass er völkisch <strong>und</strong> monarchisch eingestellt war, als er sich der<br />

Pädagogik zuwandte“. Schulze belegt das mit einer Passage, in der <strong>Nohl</strong> erklärt, dass in<br />

<strong>die</strong>sem Krieg klar geworden sei, dass Militarismus <strong>und</strong> konstitutionelle Monarchie<br />

„keine Stufen der Verfassungsentwicklung“ seien, <strong>die</strong> überw<strong>und</strong>en werden müssen,<br />

sondern „eine geographisch-historische Notwendigkeit“ (Schulze 1979, S. 546). 190 Um<br />

einen Eindruck von der Atmosphäre <strong>die</strong>ser Feier zu erhalten, ist <strong>die</strong> Fußnote Schulzes<br />

zu <strong>die</strong>ser Stelle ausgesprochen hilfreich:<br />

„In meinem Vortrag hatte ich an <strong>die</strong>ser Stelle statt ‚völkisch‘ den Ausdruck ‚deutschnational‘<br />

gebraucht. Diese Kennzeichnung hat bei vielen älteren Zuhörern Verärgerung<br />

<strong>und</strong> Widerspruch hervorgerufen. Die Einwände erscheinen mir insofern berechtigt,<br />

als man bei <strong>die</strong>sem Etikett zuerst an <strong>die</strong> ‚Deutschnationale Partei‘ der<br />

Weimarer Republik denkt, <strong>und</strong> <strong>die</strong>ser Partei hat <strong>Nohl</strong> sicher nicht nahegestanden,<br />

eher einer liberalen oder sozialdemokratischen Richtung. Ich wollte damit lediglich<br />

anmerken, dass er der am Anfang des Jahrh<strong>und</strong>erts in Deutschland vorherrschenden<br />

Überschätzung des nationalen Gedankens verhaftet war. In <strong>die</strong>sem weiteren, geistesgeschichtlichen<br />

Sinne, in dem etwa auch Joel König in seiner Autobiographie ‚David‘<br />

(1979, S. 32) von seinen ‚deutsch-nationalen Gefühlen‘ spricht, scheint mir meine<br />

Kennzeichnung zutreffend zu sein.“ (Schulze 1979, S. 546)<br />

Nun ist aus heutiger Sicht sicher <strong>die</strong> Veränderung des Ausdrucks „deutsch-national“ in<br />

„völkisch“ eher eine Verschärfung der Kritik, insbesondere da Elisabeth Blochmann<br />

größten Wert darauf legt, dass bei <strong>Nohl</strong> – zumindest in den Schriften zur „Osthilfe“ –<br />

der Begriff „völkisch“ nirgends vorkomme. Gewichtiger ist jedoch, dass Schulze hier<br />

zurückrudert, obwohl er völlig recht hat. <strong>Nohl</strong> selbst hatte sich vor 1933 in den höchsten<br />

Tönen für Hindenburg ausgesprochen. Hinweise für eine „liberale“ oder gar „sozialde-<br />

mokratische“ Ausrichtung <strong>Nohl</strong>s gibt es dagegen unserer Kenntnis nach an keiner<br />

Stelle. So oder so, der am Volk orientierte Nationalismus bei <strong>Nohl</strong> im Kaiserreich, in<br />

der Weimarer Republik <strong>und</strong> in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> ist, wie alle Analysen zeigen, ein entschei-<br />

dendes Element seiner Kontinuität. In der Fußnote heißt es weiter:<br />

189 Schulze, Theodor: „Der Sinn des Lebens liegt im Leben selbst…“. Ein neugieriger Rückblick auf <strong>die</strong><br />

geisteswissenschaftliche Pädagogik zum 100. Geburtstag von <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>, in: Die Sammlung, 19. Jg.<br />

(1979), S. 542–564.<br />

190 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Pädagogische <strong>und</strong> politische Aufsätze, Jena 1919, S. 83.<br />

121


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

122<br />

„Im übrigen geht es mir in <strong>die</strong>sem ganzen Abschnitt weder darum, <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

herabzusetzen oder zu kritisieren, noch darum, sein Verhalten biographisch <strong>und</strong><br />

historisch zu deuten, sondern lediglich darum, zu erklären, warum es heute schwierig<br />

ist, unmittelbar auf seine Schriften zurückzugreifen. Ich beziehe mich daher auch<br />

bewusst nur auf seine wissenschaftlichen Veröffentlichungen <strong>und</strong> nicht auf Briefe<br />

oder persönliche Aussagen. So ist auch der Ausdruck ‚Versagen‘ von mir nicht als<br />

ein Vorwurf oder Werturteil gemeint, sondern – wie man beispielsweise von ‚Herzversagen‘<br />

spricht – als eine wirkungsgeschichtliche Feststellung. Meine Ausführungen<br />

insgesamt sollten eher zeigen, dass mir <strong>Nohl</strong> nach wie vor viel bedeutet.“<br />

(Schulze 1979, S. 546)<br />

In <strong>die</strong>ser Passage kann jeder herauslesen, welchem Druck Schulze während <strong>und</strong> nach<br />

der Veranstaltung offensichtlich ausgesetzt war. Ohne Frage hat Schulze <strong>Nohl</strong> kritisiert,<br />

<strong>und</strong> ohne Frage enthält seine richtige Kritik auch ein Werturteil, denn das Versagen<br />

<strong>Nohl</strong>s war kein medizinisches Problem, sondern ein moralisches. Auch <strong>die</strong> Aussage,<br />

„dass mir <strong>Nohl</strong> nach wie vor viel bedeutet“ wirkt wie ein abgepresstes Zugeständnis.<br />

Zweierlei wird anhand <strong>die</strong>ser H<strong>und</strong>ertjahrfeier, von der leider kein Tonbandmitschnitt<br />

vorliegt, sehr deutlich: <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> als „Säulenheiligen“ 191 zu verehren, war in <strong>die</strong>ser<br />

<strong>Zeit</strong>spanne für ernste Erziehungswissenschaftler nicht mehr möglich. Zweitens gab es<br />

einen sehr massiven, letztlich antiwissenschaftlichen Druck von jenen Kräften, <strong>die</strong> sich<br />

von ihrem eigenen „pädagogischen Bezug“ zu <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> offensichtlich nicht lösen<br />

konnten.<br />

Schulze, der in der weiteren Analyse über <strong>die</strong> Sprachkritik an <strong>Nohl</strong>s Häufung von<br />

Adjektiven wie „froh, fröhlich, frohmütig, adlig“ etc. <strong>die</strong> weitere Entwicklung <strong>Nohl</strong>s<br />

nach 1918 verfolgt, konstatiert <strong>Nohl</strong>s „Abneigung gegen Revolution, Demokratie <strong>und</strong><br />

Parteien“ (Schulze 1979, S. 547) als offensichtlich. Schärfer noch deckt er auf, dass<br />

<strong>Nohl</strong> hinter der Attitüde, auf der Höhe der Wissenschaft zu stehen, in Wahrheit Denker<br />

wir Karl Marx, Sigm<strong>und</strong> Freud <strong>und</strong> Max Weber nur nebenbei oder gar nicht behandelt<br />

<strong>und</strong> einen Pädagogen wie Siegfried Bernfeld lediglich im Literaturverzeichnis zum<br />

„Handbuch der Pädagogik“ (1933) anführt, aber bei der Darstellung emanzipatorischer<br />

Pädagogik <strong>und</strong> Reformpädagogik nicht einmal erwähnt. Schulze fragt ins Auditorium:<br />

191 Dieser Ausdruck stammt von Hans-Georg Herrlitz. Herrlitz wendet sich im Kontext der Debatte um<br />

Erich Weniger im Stil der fünfziger Jahre dagegen, dass <strong>die</strong> historische Analyse zur angeblich „politischmoralischen<br />

Abrechnung“ mit den „Säulenheiligen der Disziplin, z. B. Erich Weniger“ führe (Herrlitz,<br />

Hans-Georg: Vergangenheitsbewältigungen, in: Die Deutsche Schule. <strong>Zeit</strong>schrift für Erziehungswissenschaft,<br />

Bildungspolitik <strong>und</strong> pädagogische Praxis, 89. Jg. (1997), Heft 2, S. 135).


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

„An welchem Haus wird man 1992 für Siegfried Bernfeld eine Tafel anbringen?“<br />

(Schulze 1979, S. 548)<br />

Schulze, der konstatiert, dass <strong>Nohl</strong> kein Nationalsozialist war, geht aber aufgr<strong>und</strong> seiner<br />

Stu<strong>die</strong>n davon aus, dass <strong>Nohl</strong> „anfällig für Missverständnisse <strong>und</strong> Zugeständnisse“<br />

(Schulze 1979, S. 547) gewesen sei. Hier intervenierten offensichtlich auch Elisabeth<br />

Siegel <strong>und</strong> Erika Hoffmann, wie aus einer weiteren Fußnote hervorgeht. <strong>Nohl</strong> sei „von<br />

der Hoffnung geleitet, man könne <strong>die</strong> nationalsozialistische Bewegung pädagogisch<br />

unterwandern <strong>und</strong> verwandeln“ (Schulze 1979, S. 548). Auch Schulze war aufgefallen,<br />

dass <strong>die</strong> „pädagogische Autonomie“ <strong>Nohl</strong>s sehr relativ war, dass sie zwar neutral<br />

gegenüber Parteien <strong>und</strong> Konfessionen war, aber ausdrücklich <strong>die</strong> Erziehung „zum<br />

Staat“ <strong>und</strong> „zur Religion“ beinhaltete, wie <strong>Nohl</strong> selbst formulierte (Schulze 1979,<br />

S. 552).<br />

Auch vor einer Kritik des „pädagogischen Bezugs“ <strong>und</strong> dem Prozess der Bildung bei<br />

<strong>Nohl</strong> macht Schulze nicht halt <strong>und</strong> endet sogar mit einer kritischen Bemerkung über den<br />

Lebensbegriff bei <strong>Nohl</strong>, den er als einen „der häufigsten, aber auch unschärfsten <strong>und</strong><br />

widersprüchlichsten Begriffe bei <strong>Nohl</strong>“ (Schulze 1979, S. 560) bezeichnet. So bot <strong>die</strong>ser<br />

kritische Beitrag wahrlich Stoff für Diskussionen.<br />

In kürzeren Beiträgen auf der Festveranstaltung reagieren nun <strong>die</strong> der „Göttinger<br />

Schule“ zuzurechnenden Otto Friedrich Bollnow, Elisabeth Siegel <strong>und</strong> Erika Hoffmann,<br />

sowie Wolfgang Klafki. Klaus Mollenhauer sprach das Schlusswort.<br />

Otto Friedrich Bollnow192 antwortet: „Am Anfang steht natürlich der Begriff des<br />

Lebens. (…) Es ist ein Kampfbegriff.“ Er sei „mehr Nietzsche verwandt als Dilthey.<br />

(…) Solche Gr<strong>und</strong>begriffe sind nicht definierbar.“ (S. 565) In <strong>die</strong>sem Stil geht es<br />

weiter: „Seine ganze Pädagogik ist von einem solchen, stolzen <strong>und</strong> männlichen, sich<br />

seiner Kraft sicher fühlenden Leben bestimmt.“ (S. 567). Elisabeth Siegel193 kontert,<br />

<strong>Nohl</strong> habe <strong>die</strong> Schriften Freuds angeschafft <strong>und</strong> auch über Freud <strong>und</strong> Adler in seinen<br />

Seminarübungen gesprochen. Man müsse „nachsichtiger sein mit einem Mann, der<br />

192 Bollnow, Otto Friedrich: Diskussionsbeitrag beim Kolloquium zur wissenschaftsgeschichtlichen <strong>und</strong><br />

aktuellen Bedeutung der Pädagogik <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s, in: Die neue Sammlung. Vierteljahres-<strong>Zeit</strong>schrift für<br />

Erziehung <strong>und</strong> Gesellschaft, 19. Jg. (1979), S. 565–569.<br />

193 Siegel, Elisabeth: Diskussionsbeitrag beim Kolloquium zur wissenschaftsgeschichtlichen <strong>und</strong><br />

aktuellen Bedeutung der Pädagogik <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s, in: Die neue Sammlung. Vierteljahres-<strong>Zeit</strong>schrift für<br />

Erziehung <strong>und</strong> Gesellschaft, 19. Jg. (1979), S. 575–579.<br />

123


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

seine Gr<strong>und</strong>prägung um <strong>die</strong> Jahrh<strong>und</strong>ertwende erhielt“ (S. 578) <strong>und</strong> verwahrt sich<br />

nachdrücklich gegen Schulzes „Unterstellungen“, denn, so Siegel, es gebe eine „völlige<br />

Unvereinbarkeit der pädagogischen Autonomie mit den Erziehungszielen des National-<br />

sozialismus“ (S. 579). Im Beitrag von Erika Hoffmann 194 wird auf Adolf Reichwein<br />

verwiesen <strong>und</strong> eine Verbindung mit <strong>Nohl</strong> angedeutet. Gemeinsam sei beiden jedenfalls,<br />

auch an <strong>die</strong> damaligen Weggefährten von <strong>Nohl</strong> gerichtet, „das Aushalten in unseren<br />

Positionen“ (S. 580). Wolfgang Klafki 195 referiert mehr <strong>die</strong> von uns bereits vorgestell-<br />

ten Dissertationen, als dass er selbst Stellung bezieht. Er mahnt eine kritische Überprü-<br />

fung <strong>Nohl</strong>s an <strong>und</strong> betont besonders <strong>die</strong> Möglichkeit der Integration aktueller Anregun-<br />

gen <strong>und</strong> Diskussionen in <strong>Nohl</strong>s „Polaritätsprinzip“. Klaus Mollenhauer 196 hat sich in<br />

seiner Nachbemerkung aus den Kontroversen erstaunlich weit herausgehalten. Er<br />

konstatiert Irritationen <strong>und</strong> fordert immerhin dazu auf, sich Traditionen „nicht ungebro-<br />

chen“ (S. 582) anzueignen <strong>und</strong> führt weiter aus, dass bloße Rechtfertigungen unange-<br />

messen seien. Schulze habe eine kritische Aneignung der Tradition „versucht – wenngleich<br />

freilich mit den Risken, <strong>die</strong> in jeder Produktivität liegen“ (S. 582).<br />

Es bleibt noch anzumerken, dass <strong>die</strong> Einleitung (S. 540 f) zu <strong>die</strong>ser Ausgabe der „Neuen<br />

Sammlung“, <strong>die</strong> <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> gewidmet ist, von Hartmut von Hentig verfasst wurde.<br />

Bernd Weber beschäftigt sich 1979 in seinem Werk „Politik <strong>und</strong> Pädagogik vom<br />

Kaiserreich zum Faschismus“ 197 mit den politischen Optionen von Pädagogikhochschullehrern<br />

von 1914–1933. Dabei geht es auch um <strong>die</strong> Optionen <strong>Nohl</strong>s im Ersten Weltkrieg.<br />

Hier verortet Weber <strong>die</strong> antidemokratische <strong>und</strong> nationalistische Gr<strong>und</strong>position<br />

<strong>Nohl</strong>s. Weber zitiert ausführlich aus der Aufsatzsammlung „Politisch-pädagogische<br />

Aufsätze“ (1919), insbesondere aus dem Artikel „Die Ideen der auswärtigen Politik“.<br />

194 Hoffmann, Erika: Diskussionsbeitrag beim Kolloquium zur wissenschaftsgeschichtlichen <strong>und</strong><br />

aktuellen Bedeutung der Pädagogik <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s, in: Die neue Sammlung. Vierteljahres-<strong>Zeit</strong>schrift für<br />

Erziehung <strong>und</strong> Gesellschaft, 19. Jg. (1979), S. 579–581.<br />

195 Klafki, Wolfgang: Diskussionsbeitrag beim Kolloquium zur wissenschaftsgeschichtlichen <strong>und</strong><br />

aktuellen Bedeutung der Pädagogik <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s, in: Die neue Sammlung. Vierteljahres-<strong>Zeit</strong>schrift für<br />

Erziehung <strong>und</strong> Gesellschaft, 19. Jg. (1979), S. 569–575.<br />

196 Mollenhauer, Klaus: Nachwort zu den Diskussionsbeiträgen beim Kolloquium zur wissenschaftsgeschichtlichen<br />

<strong>und</strong> aktuellen Bedeutung der Pädagogik <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s, in: Die neue Sammlung. Vierteljahres-<strong>Zeit</strong>schrift<br />

für Erziehung <strong>und</strong> Gesellschaft, 19. Jg. (1979), S. 581–582.<br />

197 Weber, Bernd: Pädagogik <strong>und</strong> Politik vom Kaiserreich zum Faschismus. Zur Analyse politischer<br />

Optionen von Pädagogikhochschullehrern von 1914–1933, Königstein/Ts. 1979.<br />

124


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

Für <strong>Nohl</strong> geht es um „Selbstbehauptung als Großmacht“ (<strong>Nohl</strong>, in: Weber 1979,<br />

S. 119). 198 Er geht davon aus, dass<br />

„<strong>die</strong> Behauptung unseres deutschen Wesens als einer Großmacht in der Welt ihr<br />

unerschütterliches Recht hat in dem Kulturwert des deutschen Geistes.“ (<strong>Nohl</strong>, in:<br />

Weber 1979, S. 119) 199<br />

Weber ordnet <strong>Nohl</strong> hier in jene „Ideen von 1914“ ein, deren Gr<strong>und</strong>these es ist, dass der<br />

Erste Weltkrieg um Ideen Willen geführt würde, „für <strong>die</strong> sich wahrhaft zu sterben<br />

lohnt“ (<strong>Nohl</strong>, in: Weber 1979, S. 120) 200 .<br />

Weber führt <strong>die</strong> inzwischen bekannten Passagen <strong>Nohl</strong>s, in denen er sich direkt positiv<br />

zum Nationalsozialismus äußert, relativ vollständig an <strong>und</strong> kritisiert auch <strong>die</strong> „verstehende<br />

Hermeneutik“ <strong>die</strong>ser Passagen als Apologie (Weber 1979, S. 338). 201 Festzuhalten<br />

gilt an <strong>die</strong>ser Stelle jedoch auch, dass Bernd Weber <strong>Nohl</strong> im Kontext mit Eduard<br />

Spranger analysiert, wobei Sprangers Positionen, insbesondere auch nach 1945, aus<br />

Sicht Webers der <strong>NS</strong>-Ideologie noch näher standen. 202<br />

198 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Die Ideen in der auswärtigen Politik (1915), in: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Pädagogische Aufsätze,<br />

2. vermehrte Auflage, Langensalza/Berlin/Leipzig 1929, S. 140.<br />

199 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Die Ideen in der auswärtigen Politik (1915), in: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Pädagogische Aufsätze,<br />

2. vermehrte Auflage, Langensalza/Berlin/Leipzig 1929, S. 140.<br />

200 <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Pädagogische <strong>und</strong> politische Aufsätze, Jena 1919. S. 80.<br />

201 Weber erklärt <strong>die</strong> zustimmenden Zitate zum <strong>NS</strong>-Regime nicht nur aus Anpassung, sondern geht davon<br />

aus, dass <strong>Nohl</strong>s Einschätzung lautete, „dass sein pädagogischer Impuls <strong>die</strong> Überwindung der ‚Parteiungen‘<br />

in einer ‚neuen Volksgemeinschaft‘ durch <strong>die</strong> Politik des <strong>NS</strong>-Faschismus seiner Verwirklichung<br />

näher gekommen sei“ (S. 338).<br />

202 In der <strong>die</strong> Gr<strong>und</strong>fragen <strong>Nohl</strong>scher Wissenschaftlichkeit betreffenden Stu<strong>die</strong> „Das Wissenschaftsverständnis<br />

in der geisteswissenschaftlichen Pädagogik. Dilthey, Litt, <strong>Nohl</strong>, Spranger“ (Stuttgart 1979) von<br />

Rolf Bernhard Huschke-Rhein ist <strong>die</strong> Ausgangsthese: „Die geisteswissenschaftliche Pädagogik ist <strong>die</strong><br />

klassische deutsche Pädagogik der letzten h<strong>und</strong>ert Jahre.“ (S. 18) Unter Verweis auf den h<strong>und</strong>ertsten<br />

Geburtstag <strong>Nohl</strong>s begründet <strong>die</strong> Arbeit ausführlich, dass der eigentliche <strong>und</strong> erste Schüler, der „Nachfolger“<br />

Diltheys nicht <strong>Nohl</strong>, sondern Litt sei. Dahinter steht <strong>die</strong> Einschätzung, dass <strong>die</strong> Unterschiedlichkeit<br />

der Positionen der im Titel genannten vier Personen so groß ist, dass „dadurch sogar <strong>die</strong> Konsistenz des<br />

Begriffs einer geisteswissenschaftlichen Pädagogik gefährdet scheint“. Die in Abgrenzung zu anderen<br />

Wissenschaftsansätzen, dem empirisch-analytischen Ansatz, der kritischen Theorie <strong>und</strong> der transzendental-normativen<br />

Position vorgenommene Positionierung der geisteswissenschaftlichen Richtung, versucht<br />

Huschke-Rhein sich auf ein „lebenspraktisch vermitteltes ‚Verstehen‘ “ (S. 401) zu konzentrieren. Hier<br />

nun konzentriert sich <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong> auf <strong>Nohl</strong>: „Niemand in der geisteswissenschaftlichen Pädagogik hat mit<br />

solcher Konsequenz wissenschaftliche Erkenntnis auf lebenspraktische Interessen zurückgeführt wie<br />

<strong>Nohl</strong>. (…) <strong>Nohl</strong> ist mehr noch als Spranger der eigentliche Mahner der geisteswissenschaftlichen<br />

Pädagogik vor einer Überschätzung der wissenschaftlichen Möglichkeiten des Menschen.“ (S. 407 f).<br />

Mehr als problematisch, hier aber nicht weiter zu verfolgen, ist <strong>die</strong> Einschätzung, dass <strong>Nohl</strong> mit seinem<br />

reduzierten Erkenntnisinteresse als Vorläufer etwa von Jürgen Habermas eingeschätzt werden könne<br />

(S. 408).<br />

Die 1980 erschienene Dissertation „Dialektik <strong>und</strong> Pädagogik. Das stillschweigend Vorausgesetzte des<br />

dialektischen Denkens in der pädagogischen Theorie <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s“ (Frankfurt am Main/Bern/<br />

Cirencester 1980) von Klaus Luttringer stellt einen Rückschritt dar: eine Qualifikationsarbeit, <strong>die</strong><br />

125


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

Mit seinem 1982 erschienenen Überblick „Die Geschichte der Pädagogik. Von der<br />

Aufklärung bis zur Gegenwart“ 203 hat sich Herwig Blankertz eine große Aufgabe<br />

gestellt. Er beginnt ganz bewusst mit der Aufklärung, mit jener Aufklärung, <strong>die</strong> der<br />

Französischen Revolution vorausging, den französischen Enzyklopädisten <strong>und</strong> stellt<br />

klar, dass Kant hier nur nachfolgt. Am Ende des dritten Kapitels <strong>und</strong> im vierten Kapitel<br />

behandelt Blankertz <strong>die</strong> Frage der Geisteswissenschaften nach Hegels Tod, wobei er<br />

Wilhelm Dilthey aus gutem Gr<strong>und</strong> zunächst in den Mittelpunkt rückt.<br />

Der nächste große Einschnitt ist für Blankertz <strong>die</strong> „Pädagogik in nationalistischer<br />

Verstrickung“ (Blankertz 1982, S. 224 ff). Die uneingeschränkte Unterstützung des<br />

Nationalismus durch den Großteil der Pädagogen <strong>und</strong> Erziehungswissenschaftler der<br />

damaligen <strong>Zeit</strong> beruht laut Blankertz auf einer „Frontstellung der deutschen Kultur<br />

gegen <strong>die</strong> westliche Zivilisation“ (Blankertz 1982, S. 227). Hier nennt er neben Spranger<br />

<strong>und</strong> Litt auch <strong>Nohl</strong>. Diese konformistische Haltung – keinesfalls auf <strong>die</strong> Pädagogik<br />

begrenzt (Blankertz erinnert an Thomas Mann: „Betrachtungen eines Unpolitischen“ ) –<br />

stellte er den politischen Nonkonformisten Friedrich Wilhelm Foerster gegenüber, einen<br />

der ganz wenigen geistig Wachgebliebenen, <strong>die</strong> auch im chauvinistischen Taumel des<br />

Ersten Weltkriegs „keinen Augenblick lang dem Nationalismus verfielen“ (Blankertz<br />

1982, S. 227). Mit anderer Geschichtsschreibung brechend erinnert Blankertz nachdrücklich<br />

daran, dass Förster wegen seiner Kritik an Kaiser Wilhelm II. eine dreimonatige<br />

Haftstrafe wegen Majestätsbeleidigung verbüßen musste; er wurde 1933 von der<br />

<strong>NS</strong>-Regierung ausgebürgert, nachdem er nicht aufgehört hatte, an <strong>die</strong> Mitschuld der<br />

deutschen Intellektuellen am Ersten Weltkrieg zu erinnern.<br />

losgelöst von der aktuellen Debatte <strong>und</strong> losgelöst vom Entstehungskontext der Schriften <strong>Nohl</strong>s den<br />

Begriff des Lebens, <strong>die</strong> Dialektik von Theorie <strong>und</strong> Praxis in allgemeiner Form vorstellt.<br />

Selbst Helmut Seiffert, der <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> durchaus wohlwollend gegenübersteht, kommt in seinem 1980<br />

erschienenen Beitrag „<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> oder Kritik aus dreißig Jahren“ (in: Neue Sammlung, 20. Jg. (1980),<br />

Heft 3, S. 280–283) nicht umhin festzustellen, dass „<strong>Nohl</strong>s Schriften in wissenschaftsmethodischer<br />

Hinsicht in der Tat recht anspruchslos waren: ohne genaue Zitate, ohne sichtbar umfassende Materialverarbeitung.<br />

Und von seinen großartigen geistesgeschichtlichen Durchblicken wusste man im Gr<strong>und</strong>e auch<br />

nie genau, wie weit sie wirklich seinem Kopfe entsprungen – oder nicht viel mehr Diltheysches Gedankengut<br />

waren.“ (S. 282) Seiffert, der in einer Fußnote auch darauf hinweist, dass Theo Schulze mit seiner<br />

Ersetzung des Begriffs „deutsch-national“ durch den Begriff „völkisch“ <strong>Nohl</strong> eher noch härter angeht,<br />

bemerkte, dass <strong>Nohl</strong> vor 1933 „nur durch seine persönliche Erscheinung gewirkt haben kann, denn seine<br />

großen systematischen Bücher waren ja erst nach 1933 erschienen – bis dahin gab es eigentlich nur<br />

Aufsätze <strong>und</strong> kleine Schriften.“ (S. 281)<br />

203<br />

Blankertz, Herwig: Die Geschichte der Pädagogik. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart, Wetzlar<br />

1982.<br />

126


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

Auf <strong>die</strong>sen Voraussetzungen aufbauend entwirft Blankertz im Kapitel „Von Weimar<br />

nach Bonn“ auch <strong>die</strong> Geschichte der wissenschaftlichen Pädagogik, für <strong>die</strong> er als<br />

herrschende Richtung zu Recht <strong>die</strong> geisteswissenschaftliche Pädagogik diagnostiziert.<br />

In <strong>die</strong>sem Kontext stellt er <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> als Fortsetzer Diltheys vor <strong>und</strong> beginnt dann<br />

auch, trotz der schon vorliegenden kritischen Stu<strong>die</strong>n, <strong>Nohl</strong> in einen prinzipiellen<br />

Gegensatz zum <strong>NS</strong>-Regime zu stellen: „<strong>Nohl</strong> <strong>und</strong> seine Schüler fielen 1933 in Ungna-<br />

de.“ (Blankertz 1982, S. 260) Dennoch stellt Blankertz richtigerweise fest, dass weder<br />

<strong>Nohl</strong> noch seine Schüler, „eine gr<strong>und</strong>legende Auseinandersetzung mit der nationalsozia-<br />

listischen Erziehungstheorie <strong>und</strong> deren Verbindungslinien zur pädagogischen Bewe-<br />

gung <strong>und</strong> geisteswissenschaftlichen Pädagogik geführt“ (Blankertz 1982, S. 261) haben.<br />

Nach einer Darstellung geisteswissenschaftlicher <strong>und</strong> <strong>Nohl</strong>scher Vorstellungen von<br />

Theorie <strong>und</strong> Praxis der Erziehung fasst Blankertz <strong>Nohl</strong>s Theorie des pädagogischen<br />

Bezugs in <strong>die</strong> Kategorien „Liebe, Autorität, Gehorsam, Geltung <strong>und</strong> Gemeinschaft“<br />

(Blankertz 1982, S. 270) zusammen. Im Abschnitt „Die dritte Phase der pädagogischen<br />

Bewegung“ erläutert Blankertz dann, dass <strong>Nohl</strong> den von Dilthey geprägten Begriff der<br />

„Deutschen Bewegung“ zu seiner Sache machte <strong>und</strong> bis in <strong>die</strong> pädagogische Bewegung<br />

in Deutschland verlängerte. Angesichts der Theorie der drei Phasen der pädagogischen<br />

Bewegung zitiert Blankertz <strong>Nohl</strong>, dass <strong>die</strong> dritte Phase durch „Dienst“ gekennzeichnet<br />

sei. Erschrocken schreibt Blankertz:<br />

„Das war 1933! Die den ‚Dienst‘ erheischende ‚dritte Phase‘ derjenigen pädagogischen<br />

Bewegung, der sich <strong>Nohl</strong> selbst zurechnete <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>die</strong> primäre ‚Erziehungswirklichkeit‘<br />

der geisteswissenschaftlichen Pädagogik darstellte, war, kein Zweifel<br />

ist daran möglich, der <strong>NS</strong>.“ (Blankertz 1982, S. 271)<br />

Blankertz ist ratlos, angesichts des Einerseits – Andererseits bei <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>, insbesondere<br />

wegen der These, dass „der nationalsozialistische Staat <strong>die</strong> Überzeugung der<br />

pädagogischen Bewegung hinter sich“ (Blankertz 1982, S. 272) habe. Nach Blankertz<br />

hätte es <strong>Nohl</strong> doch klar sein müssen, dass <strong>die</strong>se dritte Phase der Bewegung auf keinen<br />

Fall <strong>die</strong> erste Phase („Persönlichkeit“) <strong>und</strong> <strong>die</strong> zweite Phase („Gemeinschaft“) dialektisch<br />

in sich aufnimmt. Er fragt abschließend:<br />

„War es für den liberalen <strong>Nohl</strong> unmöglich, <strong>die</strong>sen Tatbestand bereits 1933/35 zu<br />

erfassen? Oder suchte er sich mit der Macht zu arrangieren? Oder musste er als<br />

geisteswissenschaftlicher Pädagoge, wenn er von seinem Göttinger Schreibtisch<br />

aufblickte <strong>und</strong> durch das Fenster auf der Straße <strong>die</strong> Hitler-Jugend (HJ) mit Fahnen,<br />

Trommeln <strong>und</strong> Fanfaren vorbeimarschieren sah, eben <strong>die</strong>s als <strong>die</strong> zu interpretierende<br />

‚Erziehungswirklichkeit‘ akzeptieren?“ (Blankertz 1982, S. 272)<br />

127


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

Es sei <strong>die</strong> Frage hinzugefügt, ob nicht mehrere der angeführten Möglichkeiten gleich-<br />

zeitig zutreffen <strong>und</strong> ob <strong>Nohl</strong>s Liberalität nicht bei Kriegsbegeisterung, Trommeln,<br />

Staatsgläubigkeit <strong>und</strong> Religion sehr enge Grenzen hatte.<br />

Blankertz geht nun auf <strong>die</strong> wichtige Diskussion über <strong>die</strong> <strong>NS</strong>-Pädagogik als negative<br />

Form der Pädagogik oder Unpädagogik ein, eine Diskussion, <strong>die</strong> wir hier nicht weiter<br />

verfolgen können. 204<br />

Heinrich Kupffer untersucht 1984, inwieweit „Der Faschismus <strong>und</strong> das Menschenbild<br />

der deutschen Pädagogik“ 205 zusammenhängen <strong>und</strong> geht im Kapitel „Hitler <strong>und</strong> <strong>Nohl</strong>“<br />

(Kupffer 1984, S. 124 ff.) vor allem auf <strong>Nohl</strong>s Haltung in den Jahren nach dem Ersten<br />

Weltkrieg bis zum Beginn der <strong>NS</strong>-Herrschaft ein. Es ist verständlich, dass sich Kupffer<br />

weder mit der Kapitelüberschrift noch mit seinen sehr kritischen Ausführungen über<br />

<strong>Nohl</strong> in der sogenannten Göttinger Schule allzu viele Fre<strong>und</strong>e gemacht hat. 206 Diese<br />

zweih<strong>und</strong>ert Seiten umfassende Schrift erschien zudem als Fischer Taschenbuch <strong>und</strong><br />

entfaltete eine entsprechende Wirkungsgeschichte. Kupffers Gr<strong>und</strong>these ist:<br />

128<br />

„Die Hauptströmung der deutschen Pädagogik verfährt unkritisch, weil sie im<br />

Gr<strong>und</strong>e eine Pädagogik für Untertanen ist.“ (Kupffer 1984, S. 129)<br />

204<br />

Siehe hierzu genauer: Ortmeyer, Benjamin: Schicksale jüdischer Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler in der <strong>NS</strong>-<br />

<strong>Zeit</strong> – Leerstellen deutscher Erziehungswissenschaft? B<strong>und</strong>esrepublikanische Erziehungswissenschaften<br />

(1945/49–1995) <strong>und</strong> <strong>die</strong> Erforschung der nazistischen Schule, Witterschlick/Bonn 1998, Teil B III: <strong>NS</strong>-<br />

Pädagogik <strong>und</strong> „Unpädagogik“, S. 499 ff. Zu Blankertz siehe auch S. 426 ff.<br />

205<br />

Kupffer, Heinrich: Der Faschismus <strong>und</strong> das Menschenbild der deutschen Pädagogik, Frankfurt am Main<br />

1984.<br />

206<br />

Das trifft auch auf Heinz-Elmar Tenorth zu, der Kupffer vorwirft „gerade am Beispiel <strong>Nohl</strong>s“ unter<br />

anderem „<strong>die</strong> Differenz zwischen Faschismus <strong>und</strong> bürgerlicher Tradition“ wieder zugedeckt zu haben<br />

(Tenorth, Heinz-Elmar: Zur deutschen Bildungsgeschichte 1918–1945. Probleme, Analysen <strong>und</strong> politisch-pädagogische<br />

Perspektiven, Köln/Wien 1985, S. 218). Ausgangspunkt von Tenorths Stu<strong>die</strong> ist, dass<br />

sich „über Erziehung <strong>und</strong> ihre Theorie vor 1933 nur noch mit <strong>Nohl</strong>s großer Analyse diskutieren“ (Tenorth<br />

1985, S. 18) lasse. Gemeint ist hier <strong>Nohl</strong>s Schrift zur Pädagogischen Bewegung in Deutschland.<br />

Offensichtlich ebenfalls als Reaktion auf das Buch Kupffers schreibt Helmut Richter, ohne jedoch direkt<br />

auf Kupffer einzugehen: „Dass <strong>Nohl</strong> ein Faschist in Perspektive Auschwitz gewesen sei, das kann ihm so<br />

wenig wie Litt unterstellt werden.“ (Richter, Helmut: (Sozial-)Pädagogik <strong>und</strong> Faschismus. Anfragen zu<br />

Kontinuität <strong>und</strong> Diskontinuität, in: Otto, Hans-Uwe/Sünker, Heinz (Hrsg.): Soziale Arbeit <strong>und</strong> Faschismus.<br />

Volkspflege <strong>und</strong> Pädagogik im Nationalsozialismus, Bielefeld 1986, S. 94) In einem Abschnitt mit<br />

der Überschrift „Zur Kontinuität der Nationalerziehung“ betonte Richter ausdrücklich, dass es in der<br />

geisteswissenschaftlichen Pädagogik <strong>Nohl</strong>s eine Mischung aus Rassismus <strong>und</strong> Sozialdarwinismus<br />

sicherlich nicht gegeben habe (Richter 1986, S. 102). Man muss Richter hier jedoch zugute halten, dass er<br />

<strong>Nohl</strong>s Vorlesungsmanuskript von 1933/34 offensichtlich nicht kannte. Unakzeptabel ist jedoch, dass er<br />

auch einen solchen Zusammenhang selbst in Kenntnis von <strong>Nohl</strong>s Buch „Charakter <strong>und</strong> Schicksal“ (1938)<br />

verneint. Dennoch sieht Richter, dass <strong>die</strong> geisteswissenschaftliche Pädagogik <strong>Nohl</strong>s in den Begriffen von<br />

Volksgemeinschaft <strong>und</strong> Volkskultur „<strong>die</strong> Implikation des Rassebegriffs“ (Richter 1986, S. 112) vorwegnahm.<br />

Der Sammelband „Soziale Arbeit <strong>und</strong> Faschismus“ insgesamt ist trotz der genannten Schwächen<br />

von großer Bedeutung, insbesondere für <strong>die</strong> Sozialpädagogik.


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

Die Qualität der Analyse liegt darin, dass er ideologiekritisch bestimmte Denkfiguren<br />

als typisch für <strong>die</strong>se deutsche Pädagogik herausschält. Eine <strong>die</strong>ser Denkfiguren ist <strong>die</strong><br />

„Not“. So führt Kupffer <strong>die</strong> Phrase <strong>Nohl</strong>s von 1947, „in der Not unseres zerschlagenen<br />

Volkes“, an <strong>und</strong> stellt sie in den Kontext der Äußerungen <strong>Nohl</strong>s über <strong>die</strong> Not nach dem<br />

Ersten Weltkrieg. Abgesehen davon, dass <strong>die</strong> Frage nach der eigenen Verursachung<br />

<strong>die</strong>ser Not, so Kupffer, konsequent von <strong>Nohl</strong> ausgeklammert wird, ist der entscheidende<br />

Mechanismus, dass jetzt <strong>die</strong> Pädagogik als Retter in der Not auf dem Posten zu stehen<br />

habe (Kupffer 1984, S. 134). Als eine zweite Denkfigur enttarnt Kupffer <strong>die</strong> <strong>Nohl</strong>’sche<br />

Phrase „Pädagogik ist nicht Staat, Politik, Partei“ (Kupffer 1984, S. 135, Hervorhebung<br />

im Original), <strong>die</strong> nur zur Verschleierung der Zielsetzung <strong>die</strong>nt, doch im platonischen<br />

Sinne zumindest dazu, für Staat <strong>und</strong> Religion zu erziehen.<br />

Durch einen Vergleich der <strong>Zeit</strong>schrift „Die Erziehung“ mit der <strong>Zeit</strong>schrift „Die Weltbühne“<br />

legt Kupffer, wenn auch oft in feuilletonistischer Zuspitzung, Hohlheiten<br />

solcher Denkfiguren bei den Herausgebern der <strong>Zeit</strong>schrift „Die Erziehung“ im folgenden<br />

Kapitel über „Moral <strong>und</strong> Norm“ offen.<br />

Im von Hans Scheuerl 1985 publizierten Überblick „Geschichte der Erziehung. Ein<br />

Gr<strong>und</strong>riss“ 207 geht der Autor im neunten Kapitel in einem Abschnitt um <strong>die</strong> „deutsche<br />

Sonderentwicklung: Reformpädagogik, Nationalsozialismus <strong>und</strong> Vergangenheitsbewältigung“<br />

(Scheuerl 1985, S. 130 ff) ein. Ausgangspunkt von Scheuerl ist zunächst, dass<br />

seiner Einschätzung nach ab Mitte der 1920er Jahre eine autoritäre Gegenbewegung zur<br />

eher liberalen Reformpädagogik einsetzte, <strong>die</strong> unter anderem von Eduard Spranger<br />

angeführt wurde. In gewissem Widerspruch zu <strong>die</strong>ser Einschätzung wird <strong>die</strong> Gründung<br />

der <strong>Zeit</strong>schrift „Die Erziehung“ als ein Organ zum Schutz der neu angegriffenen<br />

Reformideen eingeordnet. Die Linie <strong>die</strong>ser Schutzbewegung war es, so Scheuerl, <strong>die</strong><br />

Reformpädagogik in <strong>die</strong> Identifikations-Leitlinie der großen deutschen pädagogischen<br />

Vorkämpfer einzubetten, also in <strong>die</strong> Linie von „Herder, Pestalozzi, Fröbel, Fichte, Ernst<br />

Moritz Arndt <strong>und</strong> den Turnvater Jahn als Vorväter <strong>und</strong> Klassiker <strong>die</strong>ser Bewegung“<br />

(Scheuerl 1985, S. 132). Zurecht vermerkt Scheuerl, dass so von der <strong>Nohl</strong>schen Schule<br />

das internationale Reformspektrum logischerweise nicht aufgenommen werden konnte,<br />

207 Scheuerl, Hans: Geschichte der Erziehung. Ein Gr<strong>und</strong>riss, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1985.<br />

129


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

zumal gleichzeitig mit <strong>die</strong>ser Methode <strong>und</strong> in <strong>die</strong>sem Kanon auch Paul Oestreich <strong>und</strong><br />

Siegfried Bernfeld mit „isolierendem Effekt“ ausgegrenzt wurden.<br />

Scheuerl kritisiert <strong>die</strong> Vorstellung, dass Jugendbewegung <strong>und</strong> Hitlerjugend wie Feuer<br />

<strong>und</strong> Wasser gewesen seien, wie Heinrich Roth behauptete (Scheuerl 1985, S. 133). Er<br />

polemisiert gegen <strong>die</strong>se Vorstellung einer „bösartigen Unterbrechung der deutschen<br />

Geschichte“ (Scheuerl 1985, S. 134), erinnert an Adornos Appell von 1959, dass alles<br />

getan werden müsse, damit Auschwitz sich nicht wiederhole, um dann den Akzent<br />

seiner Polemik gegen jene zu wenden, <strong>die</strong> nur <strong>die</strong> Kontinuität sehen: „Die ganze<br />

Reformpädagogik, zumindest <strong>die</strong> deutsche, kam auf <strong>die</strong> Anklagebank <strong>und</strong> wurde<br />

obsolet.“ (Scheuerl 1985, S. 135) In einer dritten Phase sieht Scheuerl jedoch <strong>die</strong><br />

Möglichkeit, mit „zunehmender Differenzierung der Quellenkenntnis zu präziseren<br />

Diagnosen zu kommen“ (Scheuerl 1985, S. 136).<br />

Scheuerl, der auch auf Blankertz „Geschichte der Pädagogik“ eingeht, liefert leider<br />

einen rechnerischen Schluss, der von einem großen Unverständnis des Ausmaßes der<br />

Verbrechen der <strong>NS</strong>-Erziehung zeugt. Er fragt: „Was hat sich unter dem Konglomerat<br />

‚nationalsozialistische Erziehung‘ im Erziehungsleben unseres Jahrh<strong>und</strong>erts nun<br />

wirklich verändert?“ Scheuerl rechnet vor, dass von den zwölf Jahren des „Dritten<br />

Reichs“ allein fünfeinhalb in den Krieg gefallen sind, so dass ja nur sechseinhalb Jahre<br />

für Umorientierung, neue Strukturen <strong>und</strong> längerfristige Planungen geblieben seien. Und<br />

er bemerkt mathematisch korrekt: „Sechseinhalb Jahre in einem Jahrh<strong>und</strong>ert!“ Er<br />

beendet den Abschnitt damit, dass entgegen der <strong>NS</strong>-Pädagogik doch schließlich eine<br />

„skeptische Generation“ entstanden sei (Scheuerl 1985, S. 137). Mit <strong>die</strong>ser Gr<strong>und</strong>position<br />

ist eine wirkliche Vertiefung der Zusammenhänge zwischen <strong>Nohl</strong>scher Geisteswissenschaft<br />

<strong>und</strong> der <strong>NS</strong>-Erziehungswirklichkeit 1933–1945 nicht zu erwarten.<br />

Bei der Durchsicht der verschiedenen Auflagen der „Geschichte der Erziehung“, <strong>die</strong> in<br />

der DDR unter der Leitung von Karl-Heinz Günther erschien, ergab sich folgendes<br />

Bild: In der letzten erschienenen Auflage 1988208 heißt es über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>, er „prägte<br />

den Begriff der ‚Deutschen Bewegung‘ <strong>und</strong> verstand darunter ein ‚Lebenssystem‘, das<br />

alle Seiten der geistigen Welt entwickelte, eine neue Kunst zunächst <strong>und</strong> eine neue<br />

Ästhetik, dann eine neue Ethik, eine neue Religiosität, eine neue Natur- <strong>und</strong> Geisteswis-<br />

208 Günther, Karl-Heinz/Hofmann, Franz u. a. (Red.): Geschichte der Erziehung, 16. Auflage (durchgesehener<br />

Nachdruck der in Neufassung erschienenen 14. Auflage), Berlin 1988.<br />

130


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

senschaft, (…) eine neue Pädagogik.‘ “ Als Quelle wird auf <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong> von Finckh 1977<br />

verwiesen. Die Autoren fahren fort:<br />

„Diese Orientierung des pädagogisch-philosophischen Denkens in der ‚Deutschen<br />

Bewegung‘ führte zwangsläufig zum Faschismus.“ (S. 637)<br />

Der Begriff der Zwangsläufigkeit wirkt an <strong>die</strong>ser Stelle wie eine Karikatur auf <strong>die</strong><br />

marxistische Analyse <strong>und</strong> verdunkelt das entscheidende Problem bei <strong>Nohl</strong>, nämlich<br />

welche Zwischenschritte auch bei einer Orientierung an der „Deutschen Bewegung“<br />

noch nötig waren, bis hin zum <strong>NS</strong>-Faschismus, <strong>und</strong> welche Möglichkeiten es real gab,<br />

sich nicht auf den <strong>NS</strong>-Faschismus einzulassen.<br />

Der nachfolgende Absatz kritisiert dann zutreffend <strong>die</strong> 1932 gehaltenen Vorträge über<br />

<strong>die</strong> Osthilfe <strong>und</strong> verweist auf <strong>Nohl</strong>s Chauvinismus gegenüber dem „polnischen Bazillus“<br />

<strong>und</strong> <strong>Nohl</strong>s Auffassung von der „ges<strong>und</strong>en Expansion unseres Volkes“. Das Fazit<br />

der drei Absätze lautet, dass <strong>Nohl</strong> sich der „faschistischen Politik“ unterworfen habe<br />

<strong>und</strong> zwar im Unterschied zu seinen Thesen von der „Autonomie der Pädagogik“<br />

(S. 637). Einige Seiten vorher war sehr wohl vermerkt worden, dass <strong>Nohl</strong> als Schüler<br />

Diltheys durch das mit Pallat zusammen herausgegebene „Handbuch der Pädagogik“<br />

<strong>und</strong> sein weiteres Wirken für <strong>die</strong> Pädagogik auch nach 1945 prägend gewesen sei<br />

(S. 635). 209<br />

Hans Prolls Dissertation „Die Fröbel-Rezeption in der geisteswissenschaftlichen<br />

Pädagogik. <strong>Nohl</strong>, Petersen, Spranger, E. Hoffmann“ 210 von 1988 geht in einem Teil auch<br />

auf <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> ein. Im Abschnitt über <strong>die</strong> „Deutsche Bewegung“ spitzt Proll, deutlicher<br />

als andere Autoren, <strong>die</strong> Ablehnung der Aufklärung <strong>und</strong> damit von Wissenschaft als<br />

Kern der <strong>Nohl</strong>schen Interpretation der „Deutschen Bewegung“ zu (S. 12). Proll greift<br />

dabei den Gedanken <strong>Nohl</strong>s auf, dass sich <strong>die</strong> deutsche geistige Welt gegen <strong>die</strong> westli-<br />

209 In den seit 1957 erschienenen Auflagen der „Geschichte der Pädagogik“ wurde <strong>Nohl</strong> zwar als<br />

reaktionärer Pädagoge bezeichnet, <strong>die</strong> detaillierten Kritiken an <strong>Nohl</strong> waren aber offensichtlich in den<br />

späteren Auflagen erst durch <strong>die</strong> Debatte in der BRD in das Bewusstsein der Autoren gelangt.<br />

1993 formulierte der Leiter des Autorenkollektivs, Karl-Heinz Günther: „Im Gr<strong>und</strong> genommen hat bei<br />

uns eine dezi<strong>die</strong>rtere Forschung über Pädagogik im Nationalsozialismus eigentlich erst als ein Reflex auf<br />

<strong>die</strong> Untersuchungen begonnen, <strong>die</strong> nach 1968 in ziemlicher Breite in der BRD erschienen sind.“ (Cloer,<br />

Ernst/Wernstedt, Rolf (Hrsg.): Pädagogik in der DDR. Eröffnung einer notwendigen Bilanzierung,<br />

Weinheim 1994, S. 131)<br />

210 Proll, Hans: Die Fröbel-Rezeption in der geisteswissenschaftlichen Pädagogik. <strong>Nohl</strong>, Petersen,<br />

Spranger, E. Hoffmann (Pädagogik, Band 4; Berichte der Forschungsstelle für Schulgeschichte an der<br />

Universität –Gesamthochschule –Duisburg, Band 4), Bochum 1988.<br />

131


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

che, sprich französische Aufklärung selbständig gemacht habe <strong>und</strong> ihre eigene Struktur<br />

<strong>und</strong> Gestalt gewonnen habe. (S. 12)<br />

Diese Abgrenzung einer sozusagen „deutschen Wissenschaft“ als Geisteswissenschaft<br />

vom Wissenschaftsbegriff Kants, auf <strong>die</strong> Proll hinweist, beinhaltet, dass der Kern der<br />

<strong>Nohl</strong>schen Theorie nicht so sehr der Idealismus <strong>und</strong> der Geist, sondern der „deutsche<br />

Geist“ ist.<br />

Heinz-Elmar Tenorth, einer der wesentlichen Mitstreiter in der Debatte über den<br />

Zusammenhang von Kontinuität <strong>und</strong> Diskontinuität der Erziehungswissenschaftler<br />

insbesondere in der <strong>Zeit</strong>spanne der Weimarer Republik <strong>und</strong> des <strong>NS</strong>-Regimes, 211 legte<br />

1988 eine umfangreiche „Geschichte der Erziehung. Einführung in <strong>die</strong> Gr<strong>und</strong>züge ihrer<br />

neuzeitlichen Entwicklung“ 212 vor. <strong>Nohl</strong>, zunächst in <strong>die</strong> Tradition der „Deutschen<br />

Bewegung“ gestellt (S. 205), wird von Tenorth im Kontext einer fünfseitigen Vorstellung<br />

der geisteswissenschaftlichen Pädagogik knapp als Mitverfasser des „Handbuch<br />

der Pädagogik“ genannt. <strong>Nohl</strong> habe der pädagogischen Reformbewegung eine „eigenständige<br />

Deutung“ gegeben (S. 222). Tenorth versucht eine sozusagen wissenschaftstheoretische<br />

<strong>und</strong> soziologische Deutung <strong>und</strong> formuliert:<br />

„Die Herausbildung eines eigenen Kultursystems für Erziehung ist integrales Moment<br />

<strong>die</strong>ser (es geht um <strong>die</strong> Einschätzung der „Deutschen Bewegung“, A. d. V.) historischen<br />

Entwicklung, das Prinzip der Autonomie der Erziehung – gleichgeordnet<br />

der relativen Eigenständigkeit von Kunst <strong>und</strong> Wissenschaft, Recht <strong>und</strong> Ökonomie –<br />

wird für <strong>Nohl</strong> <strong>und</strong> seine Schule zum theoretischen Ausdruck der Struktur moderner<br />

Gesellschaften.“ (S. 222)<br />

Die schon vorhandenen Diskussionen über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> finden auch in der hier<br />

zitierten zweiten Auflage von 1999 keinen Platz. 213<br />

211 Zur Problematik der Gr<strong>und</strong>richtung Tenorths siehe: Ortmeyer, Benjamin: Schicksale jüdischer<br />

Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> – Leerstellen deutscher Erziehungswissenschaft? B<strong>und</strong>esrepublikanische<br />

Erziehungswissenschaften (1945/49–1995) <strong>und</strong> <strong>die</strong> Erforschung der nazistischen Schule,<br />

Witterschlick/Bonn 1998, S. 522 ff, S. 545 ff <strong>und</strong> S. 572 ff.<br />

212 Tenorth, Heinz-Elmar: Geschichte der Erziehung. Einführung in <strong>die</strong> Gr<strong>und</strong>züge ihrer neuzeitlichen<br />

Entwicklung, 2. durchgesehene Auflage (1. Auflage 1988), Weinheim/München 1992.<br />

213 In den 1980er Jahren sind noch eine Reihe weiterer Arbeiten zu einzelnen Aspekten der Theorie<br />

<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s erschienen, <strong>die</strong> für unser Thema nur von untergeordneter Bedeutung sind, u. a.:<br />

Wolf, Norbert: Die Bedeutung des Humors für das ästhetisch-sittliche Bewusstsein des Erziehers. Eine<br />

anthropologische Stu<strong>die</strong> in Orientierung an den Schriften von H. <strong>Nohl</strong> <strong>und</strong> O. F. Bollnow, Weinheim/Basel<br />

1986. Diese Schrift geht nur am Rande auf <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> ein <strong>und</strong> ist in erster Linie für eine<br />

theoretisierende Vertiefung des Problems des Humors hilfreich.<br />

Sauer, Karl: Begegnung <strong>und</strong> Erlebnis <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> <strong>und</strong> das Landheim des Pädagogischen Seminars der<br />

Universität Göttingen. Ein Beispiel universitärer Erlebnispädagogik (Wegbereiter der modernen Erleb-<br />

132


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

3. Die 1990er Jahre bis heute<br />

Zum Verständnis des nachfolgenden Teils des Literaturberichts gehört, dass in den<br />

1990er Jahren keinesfalls in erster Linie über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> gestritten wurde. Die<br />

entscheidende Schärfe der Debatte, vor allem zwischen Heinz-Elmar Tenorth auf der<br />

einen <strong>und</strong> Wolfgang Keim auf der anderen Seite, entstand durch <strong>die</strong> Diskussion der<br />

Frage, inwieweit an den Nationalsozialismus, an das <strong>NS</strong>-Regime, eher systemtheoretisch<br />

an Niklas Luhmann orientiert herangegangen werden muss <strong>und</strong> so mehr erklärend<br />

als anklagend <strong>die</strong> Geschichte der deutschen Erziehungswissenschaft aufgearbeitet wird<br />

(Tenorth) oder aber ob einer wissenschaftlichen Aufarbeitung zwangsläufig eine<br />

Anklage innewohnt, so dass keinesfalls wertfrei <strong>die</strong> positive Haltung vieler deutscher<br />

Erziehungswissenschaftler zum Nationalsozialismus analysiert werden kann (Keim). Im<br />

Einzelnen ergibt sich folgendes Bild für <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong> nach 1990:<br />

In <strong>die</strong>ser <strong>Zeit</strong>spanne erschienen außerdem noch folgende Arbeiten: In dem 1991 in<br />

zweiter überarbeiteter Auflage erschienenen Sammelband „Klassiker der Pädagogik“<br />

fasst Georg Geißler214 in seinem Beitrag über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> <strong>die</strong> Hauptaspekte in dessen<br />

Schriften knapp zusammen. Der für <strong>die</strong> vorliegende Stu<strong>die</strong> besonders interessante Teil<br />

betrifft <strong>die</strong> Gr<strong>und</strong>einstellung, dass Pädagogik immer das Gute sucht einerseits, <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />

Anwendung <strong>die</strong>ses Leitsatzes auf <strong>die</strong> Situation 1933 andererseits. Die Errichtung der<br />

nispädagogik, Heft 10), Lüneburg 1988. In <strong>die</strong>ser nur sechzehnseitigen Schrift wird, anknüpfend an <strong>die</strong><br />

Lebensphilosophie <strong>und</strong> den Begriff des Lebens bei <strong>Nohl</strong>, ein theoretischer Rahmen für <strong>die</strong> Richtung der<br />

Erlebnispädagogik gesucht.<br />

Lee, Jong-Seo: Der pädagogische Bezug. Eine systematische Rekonstruktion der Theorie des pädagogischen<br />

Bezugs bei H. <strong>Nohl</strong> unter Berücksichtigung der Kritiken <strong>und</strong> neuerer Ansätze (Pädagogische<br />

Versuche, Band 15), Frankfurt am Main 1989. Diese Dissertation besteht im Wesentlichen darin, Kritiken<br />

an <strong>Nohl</strong>s Begriff des „pädagogischen Bezugs“, insbesondere durch Klaus Mollenhauer, zurückzuweisen<br />

<strong>und</strong> <strong>Nohl</strong>s eigenständige Leistung gegenüber Dilthey zu entfalten. Geschichtliche <strong>und</strong> zeitgeschichtliche<br />

Zusammenhänge finden sich in <strong>die</strong>ser begriffsorientierten Qualifikationsarbeit nicht.<br />

Lee, Jong-Seo/Jourdan, Manfred: <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> Jugendbewegung. Einige Überlegungen vor<br />

dem Hintergr<strong>und</strong> der Diskussion über das Verhältnis von Pädagogik <strong>und</strong> Nationalsozialismus, in: Neue<br />

Sammlung, 30. Jg. (1990), Heft 2, S. 267–275. In <strong>die</strong>sem Artikel wird <strong>die</strong> Frage des „pädagogischen<br />

Bezugs“ in folgender Hinsicht neu beleuchtet. Martin Buber habe ausdrücklich gegen <strong>Nohl</strong>s „pädagogischen<br />

Bezug“ polemisiert, dass er eben doch ein erotisches Verhältnis sei (Buber, Martin: Reden über<br />

Erziehung, 7. Auflage, Heidelberg 1986., S. 30 f). <strong>Nohl</strong> selbst, so <strong>die</strong> Autoren, habe in „Die pädagogische<br />

Bewegung in Deutschland <strong>und</strong> ihre Theorie“ darauf hingewiesen, dass der sinnliche Moment im pädagogischen<br />

Bezug „viel mehr als das sexuelle“ sei, aber nicht als pathologische Sexualerscheinung zwischen<br />

Erwachsenen <strong>und</strong> Kindern, auch wenn <strong>Nohl</strong> von einem „besonderen Verhältnis der pädagogischen<br />

Fre<strong>und</strong>schaft junger Männer zu jüngeren Knaben“ ausgeht. (<strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Die pädagogische Bewegung<br />

in Deutschland <strong>und</strong> ihre Theorie, Frankfurt am Main 1949, S. 135)<br />

214 Geißler, Georg: <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> (1879–1960), in: Scheuerl, Hans (Hrsg.): Klassiker der Pädagogik, Band<br />

2: Von Karl Marx bis Jean Piaget, 2. überarbeitete <strong>und</strong> um ein Nachwort ergänzte Auflage, München<br />

1991, S. 225–240.<br />

133


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

<strong>NS</strong>-Diktatur, hier formuliert als „<strong>die</strong> politische Wende des Jahres 1933“, wird vom<br />

Autor bei <strong>Nohl</strong> nicht ganz zu Unrecht als „natürlicher Pendelausschlag im polaren<br />

Spannungsgefüge der Erziehung“ (Geißler 1991, S. 230) eingeschätzt. Die Lesart ist:<br />

<strong>Nohl</strong> habe den Nationalsozialismus scharf abgelehnt, aber hinter ihm positive Kräfte<br />

<strong>und</strong> Motive gesehen, wie <strong>die</strong> „selbstlose Hingabe an <strong>die</strong> Sache, zum Dienst an einer<br />

großen Idee“. <strong>Nohl</strong> sei auch in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> als „Pädagoge immer bereit“ gewesen, „das<br />

Positive zu sehen“ (Geißler 1991, S. 230). In <strong>die</strong>ser verqueren Formel ist nicht nur eine<br />

unrealistisch-idealisierende Vorstellung des Pädagogen enthalten, sondern wird auch <strong>die</strong><br />

faule Formel von den guten <strong>und</strong> den schlechten Seiten des Nationalsozialismus indirekt,<br />

aber wirkungsvoll reanimiert.<br />

Stefan Schnurr 215 weist in seinem Beitrag in dem vor allem für <strong>die</strong> Sozialpädagogik<br />

gewichtigen Sammelband „Politische Formierung <strong>und</strong> soziale Erziehung im Nationalsozialismus“<br />

von 1991 prinzipiell <strong>und</strong> im Detail darauf hin, wie <strong>die</strong> <strong>NS</strong>-<br />

Funktionalisierung sozialer Arbeit initiiert wurde. Er zitiert aus der Aussage einer<br />

Teilnehmerin der Mütterschulung des Reichsmütter<strong>die</strong>nstes:<br />

134<br />

„<strong>Nohl</strong> hatte ja gesagt, der sieben<strong>und</strong>dreißig erst ausgeschieden ist, dass er gern<br />

wollte, dass seine Schüler in <strong>die</strong> Bewegung reingingen, dass aus der Bewegung was<br />

würde, nicht? Und <strong>die</strong>sen Ruf hatte ich auch vernommen…“ (Schnurr 1991, S. 118)<br />

Die 1992 in Zürich von Giosua Thöny-Schwyn 216 verfasste Stu<strong>die</strong> „Philosophie <strong>und</strong><br />

Pädagogik bei Wilhelm Dilthey <strong>und</strong> <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>“ entfernt sich weit von zeitgeschicht-<br />

lichen Fragen <strong>und</strong> behandelt, streng nach den Regeln formallogischer Begrifflichkeiten,<br />

systematisch <strong>die</strong> philosophischen <strong>und</strong> pädagogischen Kategorien in abstracto. Sein<br />

forschungsmethodologisches Konzept der Wirkungsgeschichte besondere Aufmerksamkeit<br />

zu schenken, wendet Thöny-Schwyn auch in einer zweiten Schrift im Dreischritt<br />

Dilthey – <strong>Nohl</strong> – Pestalozzi in seiner Stu<strong>die</strong> „Geisteswissenschaftliche Stu<strong>die</strong>n<br />

zu Dilthey <strong>und</strong> zur Pestalozzi-Rezeption <strong>Nohl</strong>s“ 217 von 1997 an.<br />

215 Schnurr, Stefan: Die nationalsozialistische Funktionalisierung sozialer Arbeit. Zur Kontinuität <strong>und</strong><br />

Diskontinuität der Praxis sozialer Berufe, in: Otto, Hans-Uwe/Sünker, Heinz (Hrsg.): Politische Formierung<br />

<strong>und</strong> soziale Erziehung im Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 1991, S. 106–140.<br />

216 Thöny, Giosua: Philosophie <strong>und</strong> Pädagogik bei Wilhelm Dilthey <strong>und</strong> <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>. Eine geisteswissenschaftliche<br />

Stu<strong>die</strong> als historisch-systematische, komparative Problem-, Wirkungs- <strong>und</strong> Entstehungsgeschichte<br />

(Stu<strong>die</strong>n zur Geschichte der Pädagogik <strong>und</strong> Philosophie der Erziehung, Band 14), Bern/Stuttgart<br />

1992.<br />

217 Thöny-Schwyn, Giosua: Geisteswissenschaftliche Stu<strong>die</strong>n zu Dilthey <strong>und</strong> zur Pestalozzi-Rezeption<br />

<strong>Nohl</strong>s (Stu<strong>die</strong>n zur Geschichte der Pädagogik <strong>und</strong> Philosophie der Erziehung, Band 20),<br />

Bern/Stuttgart/Wien 1997.


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

Auch Robert E. Maier 218 geht in seiner Dissertation „Pädagogik des Dialogs. Ein<br />

historisch-systematischer Beitrag zur Klärung des pädagogischen Verhältnisses bei<br />

<strong>Nohl</strong>, Buber, Rosenzweig <strong>und</strong> Grisebach“, an Klafki orientiert, eher Begriff an Begriff<br />

reihend vor, als dass er <strong>die</strong> entscheidenden Probleme der bisherigen Debatte über <strong>Nohl</strong><br />

zusammengefasst. Das gilt insbesondere im Hinblick auf den pädagogischen Bezug, das<br />

pädagogische Verhältnis <strong>und</strong> <strong>die</strong> Pädagogik des Dialogs bei <strong>Nohl</strong>, auch wenn er in einer<br />

kurzen Passage auf Kritiken an <strong>Nohl</strong> eingeht (Maier, S. 93 ff.).<br />

Mit der Arbeit „Pädagogik als Politikersatz. <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s Osthilfeprogramm in<br />

lebensgeschichtlicher Perspektive“ von 1993 weist Stephan Pfeiffer 219 in dem später<br />

weitgehend unterschätzten Beitrag darauf hin, wie <strong>die</strong>ser scheinbare Ersatz der Politik<br />

durch Sozialpädagogik in der Realität zumindest „ein Stück nationalsozialistischer<br />

Ideologie <strong>und</strong> Politik“ (Pfeiffer 1993, S. 6) befördert hat. Mit einer ausführlichen<br />

Zusammenfassung des Forschungsstands über <strong>Nohl</strong> konzentriert Pfeiffer sich auch<br />

darauf, wie der „pädagogische Bezug“ bei <strong>Nohl</strong> in einer „männlich-väterlichen Form<br />

des Generationenverhältnisses“ (Pfeiffer 1993, S. 109) hergestellt wird. Dabei wird<br />

deutlich, dass zwischen <strong>die</strong>ser allgemeinen Formel <strong>und</strong> der Verherrlichung der Familie<br />

durch <strong>Nohl</strong> als Modell der Pädagogik ein innerer Zusammenhang besteht, der auch kurz<br />

<strong>und</strong> treffend als „patriarchalisch“ bezeichnet werden kann. Im Abschnitt über das<br />

Osthilfeprogramm <strong>Nohl</strong>s wird greifbar, dass der vorgeblich pädagogische Politikersatz<br />

bei <strong>Nohl</strong> darin besteht, ohne Skrupel soziales Engagement staatspolitisch zu mobilisieren.<br />

Im abschließenden Kapitel „Pädagogik gegen <strong>die</strong> Arbeitslosigkeit“ wird von<br />

Pfeiffer sehr klar <strong>die</strong> Ablenkung von den Ursachen der Arbeitslosigkeit durch sozialpädagogische<br />

Aktivitäten, <strong>die</strong> an <strong>die</strong>se Ursachen nicht herankommen, deutlich gemacht.<br />

Dabei ist insgesamt positiv hervorzuheben, dass <strong>die</strong>se Arbeit auch ideologiekritisch das<br />

scheinbar Gemütliche <strong>und</strong> Idyllische als Blendwerk für real gegen <strong>die</strong> Aufklärung<br />

gerichtete Positionen aufzeigt.<br />

218<br />

Maier, Robert E.: Pädagogik des Dialogs. Ein historisch-systematischer Beitrag zur Klärung des<br />

pädagogischen Verhältnisses bei <strong>Nohl</strong>, Buber, Rosenzweig <strong>und</strong> Grisebach (Europäische Hochschulschriften,<br />

Reihe 11: Pädagogik, Band 349), Frankfurt am Main/Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1992.<br />

219<br />

Pfeiffer, Stephan: Pädagogik als Politikersatz. <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s Osthilfeprogramm in lebensgeschichtlicher<br />

Perspektive, Tübingen 1993.<br />

135


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

Philosophiegeschichtlich ordnet Gabriele Schulp-Hirsch 220 in ihrer Arbeit „Hermeneu-<br />

tische Pädagogik. Pädagogische Theorie im Primat erzieherischer Praxis. Stu<strong>die</strong>n zum<br />

Zusammenhang von Erkenntnis- <strong>und</strong> Handlungstheorie“ <strong>die</strong> Hermeneutik Diltheys in<br />

<strong>die</strong> Tradition der Erkenntnistheorie Schleiermachers, Hegels <strong>und</strong> Kants ein. So soll <strong>die</strong><br />

Frage der Akzentsetzung in der Erziehungswissenschaft über <strong>die</strong> Rolle empirischer<br />

Forschung einerseits <strong>und</strong> philosophiegeschichtlich f<strong>und</strong>ierter, begrifflich-kategorialer<br />

Orientierung andererseits neu analysiert werden. Dabei stehen Fragen der Erziehungs-<br />

wirklichkeit <strong>und</strong> des Handelns als Folge von theoretischer Vernunft <strong>und</strong> empirischer<br />

Forschung auf dem Prüfstand. <strong>Zeit</strong>geschichtliche <strong>und</strong> geschichtliche Einordnungen in<br />

<strong>die</strong> heftigsten Auseinandersetzungen der letzten zwei Jahrh<strong>und</strong>erte bleiben weitgehend<br />

außen vor.<br />

1995 erscheint <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong> „Der Rückblick auf <strong>die</strong> Vergangenheit wird sich nicht vermeiden<br />

lassen“ 221 von Peter Dudek, der sich mit einer sowohl quantitativen als auch<br />

qualitativen Methode unter Auswertung der Publikationen der erziehungswissenschaftlichen<br />

Profession der pädagogischen Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Deutschland<br />

nähert. Neben vielen wertvollen Hinweisen <strong>und</strong> Anregungen, <strong>die</strong> auch <strong>die</strong> Analyse<br />

<strong>Nohl</strong>s betreffen, 222 ist <strong>die</strong>se Schrift gleichzeitig auch eine Art Kampfansage an <strong>die</strong> von<br />

Wolfgang Keim begonnene, aus Sicht Dudeks nur moralisierende <strong>und</strong> politisierende<br />

Debatte, <strong>die</strong> auch der „unmittelbare Anlass“ für das Verfassen des Buchs war (Dudek<br />

1995, S. 21). 223<br />

Dudek hebt hervor, dass <strong>die</strong> Hinterfragung der Rolle der geisteswissenschaftlichen<br />

Pädagogen im Nationalsozialismus angesichts der „Verbrechen singulären Ausmaßes“<br />

(Dudek 1995, S. 32), angesichts eines Systems, das Auschwitz hervorgebracht hat, sehr<br />

berechtigt ist. Dudek versteht seine Position „zwischen blinder Apologetik der pädago-<br />

220 Schulp-Hirsch, Gabriele: Hermeneutische Pädagogik. Pädagogische Theorie im Primat erzieherischer<br />

Praxis. Stu<strong>die</strong>n zum Zusammenhang von Erkenntnis- <strong>und</strong> Handlungstheorie (Paideia. Stu<strong>die</strong>n zur<br />

systematischen Pädagogik, Band 10), Frankfurt am Main/Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1994.<br />

221 Dudek, Peter: „Der Rückblick auf <strong>die</strong> Vergangenheit wird sich nicht vermeiden lassen“. Zur pädagogischen<br />

Verarbeitung des Nationalsozialismus in Deutschland (1945–1990), Opladen 1995.<br />

222 Siehe dazu auch: Dudek, Peter/Rauch, Thilo: Nationalsozialismus als Thema der deutschen Nachkriegspädagogik.<br />

Dargestellt am Beispiel der „Sammlung“, in: Paedagogica historica. International<br />

Journal of the History of Education, 28. Jg. (1992), S. 551–578.<br />

223 Dudek beginnt mit einer Kritik an Ralph Giordano (vgl. Dudek, S. 14). Zur Kritik des gesamten Buchs<br />

von Dudek siehe: Ortmeyer, Benjamin: Schicksale jüdischer Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> –<br />

Leerstellen deutscher Erziehungswissenschaft? B<strong>und</strong>esrepublikanische Erziehungswissenschaften<br />

(1945/49–1995) <strong>und</strong> <strong>die</strong> Erforschung der nazistischen Schule, Witterschlick/Bonn 1998, S. 700 ff.<br />

136


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

gischen Tradition <strong>und</strong> ihrer f<strong>und</strong>amentalen Kritik“ (Dudek 1995, S. 46) <strong>und</strong> orientiert<br />

sich dabei an Tenorth. Er warnt vor einem „Verzicht auf Forschung“ durch bloße<br />

Aburteilung (Dudek 1995, S. 56). Die vielleicht entscheidende theoretische Leistung<br />

Dudeks, <strong>die</strong> er insbesondere an der Analyse der Lehrbücher zur Geschichte der Pädagogik<br />

nach 1945 entwickelt, ist, dass er <strong>die</strong> Denkfigur des Verführten, Geblendeten <strong>und</strong><br />

Missgeleiteten identifiziert <strong>und</strong> als „Missbrauch-Theorem“ (Dudek 1995, S. 58) kennzeichnet.<br />

Dudek zitiert <strong>die</strong> bekannten Passagen <strong>Nohl</strong>s zur <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> nach 1945, erinnert aber auch<br />

daran, dass es vor allem <strong>Nohl</strong> <strong>und</strong> Weniger in Göttingen gewesen sein sollen, <strong>die</strong> den<br />

Rücktritt des niedersächsischen Erziehungsministers Schlüter erzwangen. Schlüter war<br />

zunächst rechtsextremer Verleger <strong>und</strong> Aktivist der Deutschen Rechtspartei <strong>und</strong> ab 1955<br />

Mitglied der FDP (Dudek 1995, S. 73 f.). Als Konsequenz aus den Erfahrungen mit<br />

dem <strong>NS</strong>-Regime sieht Dudek bei <strong>Nohl</strong> den Rückgriff auf Pestalozzi <strong>und</strong> seine „Wohnstubenerziehung“,<br />

orientiert an der Familienidylle (Dudek 1995, S. 107 f.). Eine Konfrontation<br />

der Nachkriegspublikationen <strong>Nohl</strong>s mit seinen entscheidenden Werken aus<br />

der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> findet dagegen bei Dudek nicht wirklich statt – das ist ein entscheidender<br />

Kritikpunkt.<br />

Hasko Zimmer hat in den 1990er Jahren drei Beiträge zur Einschätzung <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s<br />

verfasst. In seinem Aufsatz „Die Hypothek der Nationalpädagogik“ 224 aus dem Jahr<br />

1995 analysiert Zimmer nicht nur <strong>die</strong> bekannten Passagen <strong>Nohl</strong>s aus der Weimarer<br />

Republik <strong>und</strong> den ersten Jahren des <strong>NS</strong>-Regimes sowie <strong>die</strong> Passagen nach 1945,<br />

sondern geht erstmals auf <strong>die</strong> Vorlesung <strong>Nohl</strong>s von 1933/34 ein. Nun steht bei der<br />

Debatte um den Geisteswissenschaftler <strong>Nohl</strong> seine Positionierung als Rassentheoretiker<br />

<strong>und</strong> Eugeniker an, wobei Zimmer hervorhebt, dass <strong>Nohl</strong> mit seinen rassistischen<br />

Tiraden durchaus an rassistische Diskurse in der Weimarer Republik anknüpft.<br />

In dem ein Jahr später erschienenen Beitrag „Pädagogik, Kultur <strong>und</strong> nationale Identität“<br />

225 geht es vor allem um das Projekt einer „deutschen Bildung“ bei <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>,<br />

224 Zimmer, Hasko: Die Hypothek der Nationalpädagogik. <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>, der Nationalsozialismus <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />

Pädagogik nach Auschwitz, in: Beutler, Kurt/Wiegmann, Ulrich (Red.): Auschwitz <strong>und</strong> <strong>die</strong> Pädagogik<br />

(Jahrbuch für Pädagogik 1995), Frankfurt am Main/Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1995, S. 87–114.<br />

225 Zimmer, Hasko: Pädagogik, Kultur <strong>und</strong> nationale Identität. Das Projekt einer „deutschen Bildung“ bei<br />

Rudolf Hildebrand <strong>und</strong> <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>, in: Auernheimer, Georg/Gstettner, Peter (Red.): Pädagogik in<br />

137


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

der sich in <strong>die</strong>ser Frage in vielen seiner Schriften immer wieder auf Rudolf Hildebrand<br />

beruft, welcher vor allem über <strong>die</strong> deutsche Sprache „deutsch-nationale Vergeistigung“<br />

erreichen wollte.<br />

Im 1998 erschienenen Aufsatz „Von der Volksbildung zur Rassenhygiene“ 226 fasst<br />

Zimmer schließlich <strong>die</strong> bisherigen Ergebnisse seiner Stu<strong>die</strong>n noch einmal zusammen<br />

<strong>und</strong> konzentriert sich erneut auf <strong>Nohl</strong>s Wendung hin zur „Rassenhygiene“ in der<br />

Vorlesung 1933/34. Zimmer folgert, dass auch mancher „nahezu oppositionell anmutende<br />

Akzent“ bei <strong>Nohl</strong> in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> im Kontext gesehen nicht als „Distanzierung<br />

vom Nationalsozialismus gedeutet werden“ könne (Zimmer 1998, S. 537).<br />

Von besonderem Interesse ist <strong>die</strong> neunzigseitige Analyse der <strong>Zeit</strong>schrift „Die Erziehung“<br />

innerhalb der 1996 als Dissertation vorgelegten voluminösen Arbeit „Pädagogische<br />

<strong>Zeit</strong>schriften im Nationalsozialismus“ 227 von Klaus-Peter Horn. Horn zeichnet<br />

minutiös den Vorfall der Ablehnung von <strong>Nohl</strong>s Aufsatz „Der Bürger“ durch <strong>die</strong> Redaktion<br />

im Jahr 1937 nach. Er arbeitet aufgr<strong>und</strong> seines Aktenstudiums jedoch heraus, dass<br />

<strong>die</strong> Ablehnung <strong>die</strong>ses Beitrags eng mit <strong>Nohl</strong>s vorzeitiger Beendigung seines Hochschul<strong>die</strong>nstes<br />

zusammenhing, wobei auch Horn letztlich konstatieren muss, dass nicht<br />

zu klären ist, wie <strong>die</strong>se Emeritierung im Einzelnen zustande kam (Horn 1996, S. 257 f.).<br />

Gleichzeitig zitiert Horn ein Dokument der <strong>NS</strong>DAP vom 28.10.1944 zur Ehefrau <strong>Nohl</strong>s,<br />

es sei „bei Geleg[en]heit ihres Gesuchs um Aufnahme in d. R.-Musikkammer vom<br />

Rassenpol. Reichsamt <strong>die</strong> arische Abstammung festgestellt worden“ (Horn 1996,<br />

S. 258).<br />

In seinem achtzehnseitigen Beitrag „Das Pädagogische Institut der Universität Göttingen.<br />

Ein Überblick für seine Entwicklung in den Jahren 1923–1949“ 228 im Sammelband<br />

„Die Universität Göttingen unter dem Nationalsozialismus“ fasst Erwin Ratzke 1998<br />

multikulturellen Gesellschaften (Jahrbuch für Pädagogik 1996), Frankfurt am Main/Berlin/Bern/New<br />

York/Paris/Wien 1996, S. 159–177.<br />

226 Zimmer, Hasko: Von der Volksbildung zur Rassenhygiene: <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>, in: Rülcker, Tobias/Oelkers,<br />

Jürgen (Hrsg.): Politische Reformpädagogik, Bern/Berlin/Frankfurt am Main/New York/Paris/Wien 1998,<br />

S. 515–540.<br />

227 Horn, Klaus-Peter: Pädagogische <strong>Zeit</strong>schriften im Nationalsozialismus. Selbstbehauptung, Anpassung,<br />

Funktionalisierung (Bibliothek für Bildungsforschung, Band 3), Weinheim 1996.<br />

228 Ratzke, Erwin: Das Pädagogische Institut der Universität Göttingen. Ein Überblick für seine Entwicklung<br />

in den Jahren 1923–1949, in: Becker, Heinrich/Dahms, Hans-Joachim/Wegeler, Cornelia (Hrsg.):<br />

Die Universität Göttingen unter dem Nationalsozialismus, 2. erweiterte Ausgabe, München 1998, S. 318–<br />

336.<br />

138


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

zusammen, was er anhand der Archivakten <strong>und</strong> seiner bisherigen Recherchen über das<br />

Pädagogische Institut der Universität Göttingen in Erfahrung bringen konnte. Ein<br />

Kernpunkt ist, dass Ratzke den Gegensatz zwischen Leonhard Nelson vom Internationa-<br />

len Sozialistischen Kampfb<strong>und</strong> (ISK) <strong>und</strong> der <strong>Nohl</strong>-Richtung in Göttingen aufzeigt.<br />

Während <strong>die</strong> Gruppe um Nelson, auf <strong>die</strong> linken Teile der SPD orientiert, als „Partei der<br />

Vernunft“ Pädagogik nutzen wollte, damit Menschen besser emanzipatorische Politik,<br />

eine Politik des Widerstands, durchführen können, grenzte sich <strong>Nohl</strong> beständig von<br />

solchen Konzeptionen <strong>und</strong> Aktivitäten ab. Seit 1929/30 (Nelson selbst war 1927<br />

gestorben) hatte der ISK massiv <strong>die</strong> Auseinandersetzung mit der anwachsenden <strong>NS</strong>-<br />

Bewegung aufgenommen <strong>und</strong> setzte sich für <strong>die</strong> Einheitsfront von SPD <strong>und</strong> KPD ein.<br />

Manche indirekten Polemiken <strong>Nohl</strong>s lesen sich vor <strong>die</strong>sem Hintergr<strong>und</strong> gewiss verständlicher.<br />

Gleichzeitig steht als Aufgabe an, <strong>die</strong> Erinnerungen der Mitglieder der<br />

Nelson-Gruppe aus <strong>die</strong>ser <strong>Zeit</strong> <strong>und</strong> ihre Erfahrungen mit der <strong>Nohl</strong>-Schule gründlich<br />

auszuwerten.<br />

Außerdem legt Ratzke das Gewicht auf <strong>die</strong> beiden engen Mitarbeiter <strong>Nohl</strong>s, Friedrich<br />

Wilhelm Bollnow <strong>und</strong> Jürgen Brake, <strong>die</strong> er aufgr<strong>und</strong> einer Reihe von Belegen deutlich<br />

in das <strong>NS</strong>-Lager einordnet. Ratzke sieht durchaus, dass <strong>Nohl</strong> bei seiner öffentlichen<br />

Unterstützung des <strong>NS</strong>-Regimes auch öffentlich Einwände vorgetragen hat. Ratzke sieht<br />

auch <strong>die</strong> Problematik des familiären Hintergr<strong>und</strong>s <strong>Nohl</strong>s <strong>und</strong> analysiert genauer <strong>die</strong><br />

vorliegenden Dokumente zu <strong>Nohl</strong>s Entlassung 1937. Formal wurde <strong>die</strong> Planstelle <strong>Nohl</strong>s<br />

für das Fach der Volkswirtschaft <strong>und</strong> Finanzwissenschaft verwendet, da <strong>die</strong> Lehrerausbildung<br />

an <strong>die</strong> Hochschule für Lehrerbildung verlegt wurde. Das ganze Pädagogische<br />

Institut wurde geschlossen. Inwieweit <strong>die</strong>se „günstige Gelegenheit“ genutzt wurde, um<br />

<strong>Nohl</strong> aus anderen Gründen loszuwerden, ist in der Forschung umstritten. Fest steht, dass<br />

Alfred Baeumler in einem 1936 veröffentlichten Aufsatz mit dem Titel „Die Grenzen<br />

der formalen Bildung“ 229 <strong>Nohl</strong>s Pädagogik kritisierte <strong>und</strong> „als ungeeignet für <strong>die</strong><br />

nationalsozialistische Bildungspolitik“ beurteilte (Baeumler, in: Ratzke 1998, S. 372).<br />

An <strong>die</strong>ser Stelle kann hinzugefügt werden, dass im Machtkampf zwischen Rosenberg<br />

<strong>und</strong> Baeumler auf der einen Seite <strong>und</strong> Krieck auf der anderen Seite in <strong>die</strong>ser <strong>Zeit</strong>spanne<br />

eindeutig Rosenberg <strong>und</strong> Baeumler ihre Position ausbauen konnten.<br />

229 Baeumler, Alfred: Die Grenzen der formalen Bildung, in: Baeumler, Alfred: Politik <strong>und</strong> Erziehung.<br />

Reden <strong>und</strong> Aufsätze, Berlin 1937, S. 67–91.<br />

139


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

In Jürg Blickenstorfers Stu<strong>die</strong> „Pädagogik in der Krise. Hermeneutische Stu<strong>die</strong>, mit<br />

Schwerpunkt <strong>Nohl</strong>, Spranger, Litt zur <strong>Zeit</strong> der Weimarer Republik“ 230 von 1998 wird<br />

neben Spranger <strong>und</strong> Litt auch ausführlich <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> behandelt. Während <strong>die</strong> biogra-<br />

phische Skizze <strong>Nohl</strong>s ganz <strong>und</strong> gar Blochmanns Positionen folgt, zielt <strong>die</strong> Auseinander-<br />

setzung mit der Theorie <strong>Nohl</strong>s in doppelter Hinsicht auf eine Demontage der<br />

<strong>Nohl</strong>’schen Mythen ab: der Mythos der „Deutschen Bewegung“ <strong>und</strong> der Mythos von<br />

den drei Schichten der Seele. Blickenstorfer zeichnet tiefgehend nach, dass das Ausgehen<br />

vom „Leben des Volkes“ <strong>und</strong> das Ausgehen von der „Bewegung des Volkes“ <strong>die</strong><br />

theoretische Basis für den Mythos der „Deutschen Bewegung“ ist: „Der Mythos einer<br />

deutschen Bewegung“ ziele nicht auf Einheit unter den gegenwärtigen Strömungen<br />

allein ab, sondern „bezieht Vergangenheit <strong>und</strong> Zukunft mit ein“ (Blickenstorfer 1998,<br />

S. 65, Hervorhebung im Original). In der Tat ist <strong>die</strong> philosophische, politische <strong>und</strong><br />

pädagogische Vorstellung einer Einheitlichkeit, einer Harmonie eine gr<strong>und</strong>legende<br />

Denkfigur <strong>Nohl</strong>s, <strong>die</strong> auch dabei eine Rolle gespielt hat, eine Einheit mit der <strong>NS</strong>-<br />

Bewegung auf mythologischer Gr<strong>und</strong>lage herzustellen. Die Inhaltsleere der <strong>Nohl</strong>’schen<br />

Vorstellung „Bewegung ist alles“ endet daher nicht zufällig in der <strong>NS</strong>-Bewegung. Der<br />

Mythos der Seele, der um Ausgleich bemühten harmonischen Dreischichtung nach<br />

Platon, wird von Blickenstorfer als „einheitstiftende Ordnung“ (Blickenstorfer 1998,<br />

S. 74) kritisiert. Nicht <strong>die</strong> reale Entwicklung mit ihren Konflikten <strong>und</strong> Gegensätzen sei<br />

bei <strong>Nohl</strong> der Ausgangspunkt, sondern im Gr<strong>und</strong>e eine nicht begründete normative<br />

Festlegung.<br />

Von großem Gewicht ist <strong>die</strong> 1998 verfasste Habilitationsschrift „Geisteswissenschaftliche<br />

Pädagogik nach der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong>. Politische <strong>und</strong> pädagogische Verarbeitungsversuche“<br />

231 von Eva Matthes. Auch wenn das Thema zunächst nur <strong>die</strong> Nachkriegsgeschichte<br />

in den Mittelpunkt stellt, ist <strong>die</strong> Analyse der Haltung Flitners, Litts, <strong>Nohl</strong>s, Sprangers<br />

<strong>und</strong> Wenigers vor <strong>und</strong> während der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> impliziert. Ausgangspunkt ist – ähnlich wie<br />

bei Dudek – <strong>die</strong> vehemente Ablehnung von Giordanos Analyse der „zweiten Schuld“, 232<br />

230 Blickenstorfer, Jürg: Pädagogik in der Krise. Hermeneutische Stu<strong>die</strong>, mit Schwerpunkt <strong>Nohl</strong>, Spranger,<br />

Litt zur <strong>Zeit</strong> der Weimarer Republik, Bad Heilbrunn 1998.<br />

231 Matthes, Eva: Geisteswissenschaftliche Pädagogik nach der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong>. Politische <strong>und</strong> pädagogische<br />

Verarbeitungsversuche, Bad Heilbrunn 1998.<br />

232 Giordano, Ralph: Die zweite Schuld oder von der Last ein Deutscher zu sein, Hamburg/Zürich 1987.<br />

140


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

wobei sich Matthes im Unterschied zu Dudek gar auf Manfred Kittel 233 beruft. Zu den<br />

fünf genannten Personen wird weitgehend eine Positionierung nach der anderen anei-<br />

nandergereiht, um deren gr<strong>und</strong>legende Bedeutung für <strong>die</strong> Entwicklung der Pädagogik<br />

nach 1945 zu unterstreichen. Dabei werden auch <strong>die</strong> bisherigen Kritiken an <strong>die</strong>sen fünf<br />

„Säulenheiligen“ vehement zurückgewiesen. Der entscheidende methodologische Hebel<br />

für eine solche Apologie liegt auf der Hand: Der Analyse der Schriften aus der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

wird zwar nicht vollständig, aber im Kern doch aus dem Weg gegangen.<br />

Als übergeordneter Gesichtspunkt zur Einschätzung der Geschichte der Pädagogik wird<br />

der Streit der Historiker (ohne den „Historiker-Streit“ zu erwähnen) genutzt, um eine<br />

Relativierung der Bedeutung der Analyse der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> zu erreichen. Eine zweite,<br />

methodologisch nicht unbekannte Denkfigur ist es, reaktionäre Positionen, wie <strong>die</strong><br />

pauschale Verurteilung der Reeducation, aus dem M<strong>und</strong> einzelner jüdischer Emigranten<br />

vorzutragen, um sich dahinter zu verstecken. So werden <strong>Nohl</strong>, Spranger <strong>und</strong> andere mit<br />

taktischen Mitteln vor der direkten Kritik bewahrt, <strong>die</strong> Positionen vereinzelter jüdischer<br />

Emigranten wie ein Schutzschild aufgestellt.<br />

Durch eine Einordnung der Geschichte der Pädagogik in <strong>die</strong> Positionierung der BRD-<br />

Historiker zur <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> wird zudem eine Flucht- <strong>und</strong> Schutzbewegung vorgenommen.<br />

Es wird zur Geschichtswissenschaft gewechselt <strong>und</strong> hier jene Richtung als Zeuge<br />

aufgerufen, <strong>die</strong> dem rechtskonservativen Relativieren der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> das Wort redet.<br />

Matthes, <strong>die</strong> inzwischen als Mitglied des wissenschaftlichen Rats der Katholischen<br />

Akademie <strong>und</strong> als stellvertretende Vorsitzende der Sektion Historische Bildungsforschung<br />

der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft gewichtige Funktionen<br />

innehat, stellt abschließend zu Flitner, Litt, aber auch <strong>Nohl</strong>, Spranger <strong>und</strong> Weniger fest,<br />

dass deutlich gemacht werden konnte,<br />

„dass <strong>die</strong> fünf Pädagogen in der Nachkriegszeit nicht das konservative, reaktionäre,<br />

militaristische Establishment verkörperten, wie es ihnen von einer Reihe von Erziehungswissenschaftlern<br />

unterstellt wird.“ (Matthes 1998, S. 252, Hervorhebung im<br />

Original)<br />

Für <strong>Nohl</strong>s extremen völkischen Nationalismus findet Matthes <strong>die</strong> vornehme Formulierung:<br />

„Generell neigt <strong>Nohl</strong> – wie viele Wissenschaftler seiner <strong>Zeit</strong> – zu volksontologi-<br />

233 Kittel, Manfred: Die Legende von der „zweiten Schuld“. Vergangenheitsbewältigung in der Ära<br />

Adenauer, Berlin/Frankfurt am Main 1993.<br />

141


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

schem Denken“ (Matthes 1998, S. 69). Der Auseinandersetzung mit der auch von<br />

Matthes als problematisch eingeschätzten Aussage über „Rassenunterschiede“ bei <strong>Nohl</strong><br />

(in „Charakter <strong>und</strong> Schicksal“) geht sie verständlicherweise aus dem Weg <strong>und</strong> behauptet,<br />

der Schrift fehlte<br />

142<br />

„völlig <strong>die</strong> rassistische Ausrichtung der damals herrschenden Ideologie, so dass<br />

<strong>die</strong>se Ausführungen von <strong>Nohl</strong> auch unverändert in <strong>die</strong> von der amerikanischen Militärregierung<br />

zugelassenen dritten Auflage von 1947 übernommen werden konnten.“<br />

(Matthes 1998, S. 69)<br />

An <strong>die</strong> Stelle wissenschaftlicher Auseinandersetzung tritt hier <strong>die</strong> Obrigkeitsgläubigkeit<br />

an <strong>die</strong> amerikanischen Zensurbehörden von 1947, der nachweisbar noch viel härtere<br />

Passagen als <strong>die</strong> <strong>Nohl</strong>s bewusst oder unbewusst entgangen sind.<br />

Unter den von Matthes zusammengestellten Aussagen <strong>Nohl</strong>s nach 1945 hebt sie jene<br />

hervor, in denen <strong>Nohl</strong> 1954 als Ursache für das <strong>NS</strong>-Regime benennt, „dass entscheiden-<br />

de Aufgaben, wie <strong>die</strong> Bildung der Elite, aus dem Ideal verloren gingen“ (<strong>Nohl</strong>, in:<br />

Matthes 1998, S. 70). Ebenfalls wird hervorgehoben, dass <strong>Nohl</strong> 1947 zum Erlernen der<br />

Demokratie <strong>die</strong> Tätigkeit in kleinen Gruppen vorschlägt, „in denen sich <strong>die</strong> Elite bildet“<br />

(<strong>Nohl</strong>, in: Matthes 1998, S. 78). Zusätzlich verweist Matthes darauf, dass <strong>die</strong>se Vorstel-<br />

lung <strong>Nohl</strong>s auch Theodor Wilhelms Partnerschaftskonzeption von 1951 entspricht,<br />

wobei <strong>die</strong> extrem antisemitische <strong>und</strong> nazistische Ausrichtung Wilhelms in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

nicht erwähnt wird. 234<br />

Zur Entnazifizierung wird <strong>Nohl</strong> mit einem Brief vom 22.1.1948 zitiert, in dem es heißt:<br />

„Diese Entnazifizierung ist ein entsetzlicher Quatsch“ (<strong>Nohl</strong>, in: Matthes 1998, S. 74).<br />

Als pädagogisch-didaktische Akzentsetzung <strong>Nohl</strong>s wird festgehalten: „Nicht ‚Bildung‘<br />

vermitteln soll <strong>die</strong> Erziehung, sondern leben lernen“ (<strong>Nohl</strong>, in: Matthes 1998, S. 77).<br />

Und weiter:<br />

„Damit wird <strong>die</strong> Vermittlung der geistigen Objektivationen unserer Geschichte <strong>und</strong><br />

<strong>die</strong> Tradition der großen Schöpfungen unserer Genies als Lehraufgabe nicht abge-<br />

234 1934 behauptet Wilhelm schon, dass <strong>die</strong> „deutsche Ariergesetzgebung“ „kein Akt des Hasses, sondern<br />

der Notwehr“ sei, <strong>und</strong> zwar gegen das „Ostjudentum“ (Wilhelm, Theodor: Deutschland wie es wirklich<br />

ist. Ein Wort an das Ausland, Berlin 1934, S. 36). Wilhelm steigerte bis 1944 seinen Antisemitismus zum<br />

antisemitischen Rassen- <strong>und</strong> Vernichtungswahn, wie aus den folgenden Passagen hervorgeht: „Kann der<br />

Jude sich nicht von sich selbst befreien, so bleibt den Völkern nichts übrig, als sich vom Juden zu<br />

befreien“ (Wilhelm, Theodor: Kulturpolitische Umschau, in: Monatshefte für Auswärtige Politik, 8. Jg.<br />

(1941), Heft 7, S. 639). Zu Theodor Wilhelm siehe: Ortmeyer, Benjamin: Schicksale jüdischer Schülerinnen<br />

<strong>und</strong> Schüler in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> – Leerstellen deutscher Erziehungswissenschaft? B<strong>und</strong>esrepublikanische<br />

Erziehungswissenschaften (1945/49–1995) <strong>und</strong> <strong>die</strong> Erforschung der nazistischen Schule, Witterschlick/Bonn<br />

1998, S. 92 ff., 267 ff. <strong>und</strong> 718 ff.


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

wiesen, aber sie rückt an <strong>die</strong> zweite Stelle. Die Ausbildung der sozialen Gefühle <strong>und</strong><br />

der elementaren Gemüts- <strong>und</strong> Willenskräfte haben den Vorrang.“ (<strong>Nohl</strong>, in: Matthes<br />

1998, S. 77) 235<br />

Diesem Vorrang der Erziehung vor der Bildung begegnet Matthes offensichtlich mit<br />

Sympathie begleitet. Matthes kommt zu dem Gesamtbef<strong>und</strong>, dass bei <strong>Nohl</strong> „nach 1945<br />

<strong>die</strong> Kontinuität“ überwiegt. So ist „nach wie vor das Volk für ihn <strong>die</strong> Gr<strong>und</strong>einheit des<br />

geschichtlichen Lebens“ (Matthes 1998, S. 81), was in der Tat in sich stimmig ist, aber<br />

eben nicht <strong>die</strong> Qualität, sondern <strong>die</strong> Problematik <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s ausmacht. Wenn<br />

Matthes im letzten Absatz ihrer <strong>Nohl</strong>-Analyse zur Schlussfolgerung kommt, das <strong>Nohl</strong>s<br />

„Demokratieverständnis jedoch schwammig“ ist (Matthes 1998, S. 83), kann angemerkt<br />

werden, dass auch <strong>die</strong>se Einsicht wenig präzise <strong>und</strong> eher schwammig ist.<br />

So oder so wird angesichts der Bemühungen, Erziehung vor Bildung zu favorisieren,<br />

Demokratie als Elitenaufgabe anzusehen <strong>und</strong> erneut eine „Deutsche Bewegung“, heute<br />

„deutsche Leitkultur“, zu beschwören, <strong>die</strong> restaurative Tendenz in der deutschen<br />

Pädagogik einschließlich <strong>die</strong>ser Publikation von Eva Matthes Gegenstand gründlicher<br />

Auseinandersetzung bleiben.<br />

Das im Jahr 2000 erschienene „Jahrbuch für Pädagogik 1999“ enthält den <strong>die</strong> bisherige<br />

Debatte vertiefenden Beitrag „Das Kind im Widerspruch ‚Pädagogischen Denkens‘ “ 236<br />

von Karl Christoph Lingelbach. Lingelbachs Ausgangspunkt ist hier, dass der selektiv<br />

gelesene <strong>Nohl</strong> eine bedeutende <strong>und</strong> durchaus positive Wirkung der Hinwendung zum<br />

Subjekt, zur Eigenständigkeit des Kindes, zum Anwalt des Kindes bewirkt habe. In<br />

<strong>die</strong>sem Sinne, so Lingelbach, seien <strong>die</strong>se Gedanken insbesondere auch von Wolfgang<br />

Klafki (Lingelbach verweist auf das „Funk-Kolleg Erziehungswissenschaft“ 237 ) seit den<br />

1960er Jahren verbreitet worden. Der Gedanke der Zuwendung zum Subjekt bei <strong>Nohl</strong>,<br />

mit seiner polaren Argumentation, sei aber „ständig mit nationalpädagogischen Überlegungen<br />

verschränkt“ (Lingelbach 2000, S. 134). Lingelbach arbeitet nun heraus, dass<br />

<strong>Nohl</strong> zwar von „nationalpädagogisch“ spricht, <strong>die</strong>ser Strang aber im Gr<strong>und</strong>e aus der<br />

235<br />

<strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Die Erziehung in der Kulturkrise, in: Die Sammlung. <strong>Zeit</strong>schrift für Kultur <strong>und</strong><br />

Erziehung, 3. Jg. (1948), S. 648.<br />

236<br />

Lingelbach, Karl Christoph: Das Kind im Widerspruch „Pädagogischen Denkens“, in: Lingelbach,<br />

Karl Christoph/Zimmer, Hasko (Red.): Das Jahrh<strong>und</strong>ert des Kindes? (Jahrbuch für Pädagogik 1999),<br />

Frankfurt am Main/Berlin/Bern/Brüssel/New York/Wien 2000, S. 133–159.<br />

237<br />

Klafki, Wolfgang/Lingelbach, Karl-Christoph u. a.: Funk-Kolleg Erziehungswissenschaft. Eine<br />

Einführung in drei Bänden, Frankfurt am Main 1970.<br />

143


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

wissenschaftlichen Begrifflichkeit der Erziehungswissenschaft heraus nicht der Pädago-<br />

gik zugerechnet werden könne: „In Wirklichkeit war <strong>die</strong> nationalpädagogische ‚Aufga-<br />

be‘ ein politisches Programm, das lediglich über vage Analogiebildung als pädagogi-<br />

sches etikettiert werden konnte.“ (Lingelbach 2000, S. 143) Lingelbach verifiziert <strong>die</strong>se<br />

These anhand der politischen Entscheidungen in den Jahren 1930/31. Während Adolf<br />

Reichwein bewusst 1930, nach den Wahlerfolgen der <strong>NS</strong>DAP im September, in <strong>die</strong><br />

SPD eingetreten war, habe <strong>Nohl</strong> sich politisch spätestens im Juli 1931, bei der Vorstel-<br />

lung seines Programms der „Osthilfe“, der sich abzeichnenden Hitler-Hugenberg-<br />

Koalition angeschlossen <strong>und</strong> sich damit „zum antidemokratischen Lager“ (Lingelbach<br />

2000, S. 145) hin orientiert.<br />

Als eine Art Etikettenschwindel sieht Lingelbach auch <strong>die</strong> Theorie der drei Phasen der<br />

pädagogischen Bewegung als angeblich eigenlogisches Entwicklungsgesetz. So wird<br />

von <strong>Nohl</strong> mehr oder minder bewusst <strong>die</strong> Analyse der gesellschaftspolitischen Entwicklung<br />

ausgeklammert. Lingelbach, der im Folgenden Punkt für Punkt <strong>die</strong> eugenischen<br />

<strong>und</strong> rassentheoretischen Positionen <strong>Nohl</strong>s im Vorlesungsmanuskript 1933/34 im<br />

Anschluss an Hasko Zimmer zusammenfasst <strong>und</strong> kritisiert, hält es auch für wahrscheinlich,<br />

dass <strong>Nohl</strong> 1937 in der verschärften Rivalität zwischen Krieck <strong>und</strong> Baeumler durch<br />

seine Hinwendung zu Krieck an Baeumler <strong>und</strong> Rosenberg scheiterte. So diagnostiziert<br />

Lingelbach bei <strong>Nohl</strong> nicht nur eine Verschleierung der Grenzverschiebung zwischen<br />

Pädagogik <strong>und</strong> Politik, sondern problematisiert abschließend auch <strong>die</strong> idyllische Darstellung<br />

von Volksgemeinschaft einerseits <strong>und</strong> pädagogischem Bezug andererseits als<br />

„Verschleierung tatsächlicher Abhängigkeitsverhältnisse“ (Lingelbach 2000, S. 155).<br />

Das Thema von Dorle Klikas 2000 erschienener Habilitationsschrift „<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>“ 238<br />

ist dessen „Pädagogischer Bezug“ in Theorie, Biographie <strong>und</strong> Handlungspraxis. Die<br />

Besonderheit <strong>die</strong>ser Untersuchung liegt zweifellos im Anliegen eines besseren „Verstehens“<br />

der Theorie <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s über den pädagogischen Bezug durch eine Annäherung<br />

an seine Biographie, wie sie sich auch in Briefen, Berichten <strong>und</strong> insbesondere auch<br />

in der Spurensuche in seinem Domizil Lippoldsberg niederschlagen. Ein besonderes<br />

Augenmerk richtet Klika dabei auf das Thema <strong>Nohl</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> Frauen.<br />

238 Klika, Dorle: <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>. Sein „Pädagogischer Bezug“ in Theorie, Biographie <strong>und</strong> Handlungspraxis<br />

(Beiträge zur historischen Bildungsforschung, Band 25), Köln/Weimar/Wien 2000.<br />

144


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

Die in weiten Teilen psychologische oder auch psychologisierende Darstellung „ge-<br />

schlechtsspezifisch gefärbter Verhältnisse“ <strong>Nohl</strong>s durch Klika sei konstatiert, es soll<br />

aber hier nicht weiter darauf eingegangen werden. Deutlich wird im Verlauf der Arbeit<br />

Klikas schon, dass <strong>Nohl</strong> überhaupt, insbesondere aber zu seinen weiblichen Doktoran-<br />

dinnen, eine „asymmetrische“ Beziehung entwickelte, <strong>die</strong> immerhin praktisch der<br />

Theorie widersprach, dass jeder pädagogische Bezug zwischen den Generationen<br />

eigentlich auf seine Auflösung drängt <strong>und</strong> nicht verfestigt werden darf.<br />

Im ausführlich theoretischen Teil fasst Klika <strong>die</strong> bisherige Rezeption einschließlich der<br />

Kritiken zum Thema „pädagogischer Bezug“ f<strong>und</strong>iert zusammen, wobei sie, an Tenorth<br />

anschließend, <strong>die</strong> kritischen Einwände weitgehend zurückweist. Dabei sollte strittig<br />

bleiben, ob ihre Feststellung wirklich hilfreich ist, dass es sich beim pädagogischen<br />

Bezug „von der Struktur her um eine bi-subjektive Beziehung, in der sich beide Partner<br />

gegenseitig als zurechnungsfähige Subjekte betrachten“ (Klika 2000, S. 92) handelt. 239<br />

In ihrem Beitrag zu Tenorths Sammelband „Klassiker der Pädagogik“ 240 fasst Klika<br />

kenntnisreich <strong>die</strong> Biographie <strong>und</strong> Kernpunkte der Theorie <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s zusammen,<br />

wobei der „Disput über Pädagogik im Nationalsozialismus“ in Bezug auf <strong>Nohl</strong> lediglich<br />

in zwei Zeilen erwähnt, <strong>die</strong> eigentliche Problematik aber vollständig ausgeblendet wird<br />

(Klika 2003, S. 132).<br />

In <strong>die</strong>ser <strong>Zeit</strong>spanne erschienen außerdem noch folgende Arbeiten:<br />

Joachim Henselers241 Arbeit „Wie das Soziale in <strong>die</strong> Pädagogik kam. Zur Theoriegeschichte<br />

universitärer Sozialpädagogik am Beispiel Paul Natorps <strong>und</strong> <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s“<br />

beleuchtet zwar an einigen Stellen den Kontext des Nationalen mit dem Individuellen<br />

<strong>und</strong> vermutet dabei einen Zusammenhang zum <strong>NS</strong>-Regime, bleibt aber ansonsten strikt<br />

bei der Fragestellung, wie soziale Fragen sowohl bei Natorp als auch bei <strong>Nohl</strong> ihren<br />

239 Im ihrem Beitrag „Selbstzeugnisse eines Wissenschaftlers – Das Beispiel <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>“ (in: Häder,<br />

Sonja/Tenorth, Heinz-Elmar (Hrsg.): Der Bildungsgang des Subjekts. Bildungstheoretische Analysen<br />

(<strong>Zeit</strong>schrift für Pädagogik, Beiheft 48), Weinheim/Basel 2004, S. 124–136) geht Klika auf <strong>die</strong> methodologische<br />

Kritik ihres biographischen Ansatzes ein <strong>und</strong> betont nochmals ausdrücklich, welche Bedeutung<br />

<strong>die</strong> „biographischen Zusammenhänge“ (Klika, S. 128) für das Verständnis von <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> haben.<br />

Insbesondere <strong>die</strong> Betreuung des kleinen <strong>Herman</strong> durch seine Tante Hermine <strong>und</strong> dann auch Tante Anna<br />

wird anhand eines umfangreichen Briefwechsels (208 Briefe) thematisiert.<br />

240 Klika, Dorle: <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> (1879–1960), in: Tenorth, Heinz-Elmar (Hrsg.): Klassiker der Pädagogik.<br />

Band 2: Von John Dewey bis Paulo Freire, München 2003, S. 123–151.<br />

241 Henseler, Joachim: Wie das Soziale in <strong>die</strong> Pädagogik kam. Zur Theoriegeschichte universitärer<br />

Sozialpädagogik am Beispiel Paul Natorps <strong>und</strong> <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s, Weinheim/München 2000.<br />

145


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

Platz in der Pädagogik fanden <strong>und</strong> inwiefern. In <strong>die</strong>sem Kontext wird <strong>die</strong> Auswertung<br />

oder auch Nutzung Pestalozzis als Autorität genauer unter <strong>die</strong> Lupe genommen, ohne<br />

dass wirklich ein zeitgeschichtlicher Kontext systematisch hergestellt wird.<br />

Im Rahmen des 2001 erschienenen hochinteressanten Sammelbands „Klassiker <strong>und</strong><br />

Außenseiter. Pädagogische Veröffentlichungen des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts“ erschien Marga-<br />

rete Krauls 242 Aufsatz „<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>. Die pädagogische Bewegung in Deutschland <strong>und</strong><br />

ihre Theorie. Annäherung, Geschichte <strong>und</strong> Rezeption“. Kraul hat <strong>Nohl</strong>s Buch „Die<br />

pädagogische Bewegung in Deutschland <strong>und</strong> ihre Theorie“ ohne zu zögern als eines der<br />

zehn wichtigsten, vor allem aber wirkungsmächtigsten Bücher des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

eingeschätzt, mit der Pointe, dass sie detailliert <strong>die</strong> negative Wirkung des Buchs aufzeigt.<br />

Ähnlich wie Oelkers kritisiert sie das Dogma von der Stufenabfolge der pädagogischen<br />

Bewegung <strong>und</strong> <strong>die</strong> affirmative Akzeptanz der jeweiligen Gegenwart, aber auch<br />

<strong>die</strong> nebulös überhöhte Sprache <strong>Nohl</strong>s.<br />

Die Stu<strong>die</strong> „Geisteswissenschaftliche Pädagogik <strong>und</strong> Nationalsozialismus. <strong>Herman</strong><br />

<strong>Nohl</strong> <strong>und</strong> seine ‚Göttinger Schule‘ 1932–1937. Eine individual- <strong>und</strong> gruppenbiografische,<br />

mentalitäts- <strong>und</strong> theoriegeschichtliche Untersuchung“ 243 von Wolfgang Klafki<br />

<strong>und</strong> Johanna-Luise Brockmann aus dem Jahr 2002 untersucht <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> <strong>und</strong><br />

seine „Göttinger Schule“. In der Einleitung wird <strong>die</strong>se Forschungsarbeit in den Kontext<br />

der Debatte über Kontinuität <strong>und</strong> Diskontinuität gestellt <strong>und</strong> innerhalb der <strong>Nohl</strong>-Schule<br />

insbesondere Erich Weniger hervorgehoben. Neben der Auswertung umfangreicher<br />

Archivquellen, insbesondere von Briefen <strong>und</strong> R<strong>und</strong>briefen, wird nun zu <strong>Nohl</strong>s Vorlesungsmanuskript<br />

1933/34 Stellung genommen.<br />

Im zweiten bis sechsten Kapitel werden <strong>die</strong> Konflikte innerhalb der sogenannten <strong>Nohl</strong>-<br />

Schule umfassend deutlich, wobei eine Beurteilung der Vorgänge insgesamt ein Studium<br />

aller Dokumente <strong>und</strong> nicht nur der ausgewählten Zitate notwendig machen würde.<br />

Eingeschoben ist mit einem Fragezeichen eine Kontroverse mit Hasko Zimmer über <strong>die</strong><br />

Einschätzung von <strong>Nohl</strong>s „Osthilfe“, unter der Überschrift „Wendung <strong>Nohl</strong>s von der<br />

242 Kraul, Margarete: <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>. Die pädagogische Bewegung in Deutschland <strong>und</strong> ihre Theorie.<br />

Annäherung, Geschichte <strong>und</strong> Rezeption, in: Horn, Klaus-Peter/Ritzi, Christian (Hrsg.): Klassiker <strong>und</strong><br />

Außenseiter. Pädagogische Veröffentlichungen des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts, Baltmannsweiler 2001, S. 105–126.<br />

243 Klafki, Wolfgang/Brockmann, Johanna-Luise: Geisteswissenschaftliche Pädagogik <strong>und</strong> Nationalsozialismus.<br />

<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> <strong>und</strong> seine „Göttinger Schule“ 1932–1937. Eine individual- <strong>und</strong> gruppenbiografische,<br />

mentalitäts- <strong>und</strong> theoriegeschichtliche Untersuchung, Weinheim/Basel 2002.<br />

146


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

‚Sozialpädagogik‘ zur ‚Nationalpädagogik‘ “ (Klafki/Brockmann 2002, S. 31 ff.). Im<br />

Gr<strong>und</strong>e ist keines der Gegenargumente von Klafki <strong>und</strong> Brockmann stichhaltig, wie<br />

selbst Tenorth in einer Sammelbesprechung feststellte. 244 Als Thema der Tagung vom<br />

19.7.1931 im Lippoldsberger Landheim formuliert <strong>Nohl</strong>: „Die Aufgabe einer National-<br />

pädagogik, <strong>die</strong> jetzt <strong>die</strong> einseitige Sozialpädagogik ablöst“ (<strong>Nohl</strong>, in: Klafki/Brockmann<br />

2002, S. 34). Das auf Seite 33 vorgebrachte Argument, dass Hitlers „Mein Kampf“ von<br />

den „Kreisen der Intellektuellen“ nicht gelesen worden sei <strong>und</strong> dass so <strong>die</strong> Rigorosität<br />

der <strong>NS</strong>DAP <strong>und</strong> Hitlers eben nicht bekannt gewesen sei, ist nicht haltbar. 245 Abgesehen<br />

davon, dass sich <strong>Nohl</strong> in seiner Vorlesung 1933/34 direkt auf Hitlers „Mein Kampf“<br />

bezieht, ist das Argument der Autoren insbesondere deshalb dürftig <strong>und</strong> schäbig, da das<br />

Programm des „Deutschland erwache – Juda verrecke“ tagtäglich in der Propaganda der<br />

<strong>NS</strong>DAP für jedermann ersichtlich <strong>und</strong> das 25-Punkte-Programm der <strong>NS</strong>DAP allgemein<br />

bekannt war. Ebenfalls völlig unverständlich, angesichts der ja vorliegenden Dokumen-<br />

te <strong>Nohl</strong>s, ist <strong>die</strong> Behauptung, es gäbe keine Belege für „Affinitäten“ zwischen <strong>Nohl</strong> <strong>und</strong><br />

der späteren aggressiven, rassistischen <strong>und</strong> imperialistischen Eroberungspolitik des<br />

nationalsozialistischen Deutschlands (Klafki/Brockmann 2002, S. 37).<br />

Die ausführlich dargestellten Debatten im Kreis der <strong>Nohl</strong>-Schüler konzentrierten sich<br />

im Gr<strong>und</strong>e auf <strong>die</strong> Art <strong>und</strong> Weise, wie <strong>Nohl</strong> mit dem engagierten <strong>NS</strong>-Gegner Döring<br />

umgeht, der in einem ausführlichen Brief Diskussionen zusammengefasst hat. <strong>Nohl</strong><br />

schrieb daraufhin am 26.5.1933: „Döring hat mir tatsächlich einen entsetzlichen Brief<br />

geschrieben. Seiten um Seiten mit seinem Wort gefüllt – krankhaft!“ (<strong>Nohl</strong>, in: Klaf-<br />

ki/Brockmann 2002, S. 98). 246 In einem schwer begreiflichen Hang, <strong>Nohl</strong> in Schutz<br />

244 Tenorth schreibt: „Doch Zimmers zentrale These der lange vorbereiteten, aber systematisch um 1933<br />

vollzogenen Veränderung von <strong>Nohl</strong>s Denken wird eher bestätigt als widerlegt (…).“ Tenorth hebt<br />

außerdem besonders hervor, dass <strong>die</strong> von Klafki <strong>und</strong> Brockmann zusammengestellten Briefe beweisen,<br />

dass es eben keine einheitliche „<strong>Nohl</strong>-Schule“ gab: „Es gab hier engagierte Nazis, von H. Netzer zu G.<br />

Geißler, O. F. Bollnow <strong>und</strong> W. Scheibe, aber eben auch scharfe Kritiker“ (Tenorth, Heinz-Elmar:<br />

Gefangen in der eigenen Tradition – Erziehungswissenschaft angesichts des Nationalsozialismus. Eine<br />

Sammelbesprechung neuerer Veröffentlichungen, in: <strong>Zeit</strong>schrift für Pädagogik, 49. Jg. (2003), Heft 5,<br />

S. 747 bzw. S. 742).<br />

245 Das ist umso unverständlicher, da <strong>die</strong> Autoren selbst zitieren, dass <strong>Nohl</strong> zu Beginn des Jahres 1933 für<br />

weitere Ausgaben der <strong>Zeit</strong>schrift „Die Erziehung“ festhält: „Hitlers ‚Kampf‘ hätte z. B. unbedingt<br />

besprochen werden müssen“ (<strong>Nohl</strong>, in: Klafki/Brockmann, S. 274).<br />

246 Klafki <strong>und</strong> Brockmann folgern, dass auch eine solche Äußerung „<strong>Nohl</strong>s besonders ausgeprägte<br />

Wertschätzung Dörings letztlich nicht beeinträchtigt.“ Es gehört zu den vielen Peinlichkeiten <strong>die</strong>ses<br />

Buches, wie <strong>die</strong>se Behauptung u. a. begründet wird: „Das wird eindrücklich deutlich in <strong>Nohl</strong>s Kondolenzbrief<br />

an Dörings Mutter, nachdem ihr Sohn 1940 an der Ostfront gefallen war (…)“ (Klafki/Brockmann<br />

2002, S. 292).<br />

147


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

nehmen zu wollen, wird <strong>die</strong>ser zutiefst bösartige Brief <strong>Nohl</strong>s im positiven Sinne interpretiert,<br />

da <strong>Nohl</strong> gleichzeitig Dörings Dissertation lobt. Die ganze Bedeutung <strong>Nohl</strong>s,<br />

seine Schüler dazu zu bewegen, mitzumachen, statt Widerstand zu leisten, wird in<br />

folgender Passage deutlich, <strong>die</strong> <strong>Nohl</strong> an Döring schrieb:<br />

148<br />

„Man muss als junger Mensch selbstverständlich heute positiv dabei sein, mitarbeiten<br />

am Aufbau – ohne rückwärts zu sehen oder zu grübeln.“ (<strong>Nohl</strong>, in: Klafki/Brockmann<br />

2002, S. 98)<br />

Eine ausführliche Darstellung der Konflikte zwischen den <strong>Nohl</strong>-Schülern durch Döring<br />

findet sich im Abdruck eines vierseitigen Briefes (Klafki/Brockmann 2002, S. 130 ff.),<br />

den auch Klafki <strong>und</strong> Brockmann als „inhaltlich wichtigste Quelle“ (Klafki/Brockmann<br />

2002, S. 140) bezeichnen. Die Versuche der beiden Autoren, <strong>die</strong> politisch reaktionäre<br />

Bedeutung sowohl des weiblichen Arbeits<strong>die</strong>nsts als auch der Osthilfe zu bestreiten,<br />

weil sie ja noch nicht von der <strong>NS</strong>-Regierung getragen waren, hält keiner genauen<br />

Prüfung stand <strong>und</strong> kann hier nur konstatiert werden.<br />

Die im siebenten Kapitel vorgenommene Analyse des Vorlesungsmanuskripts <strong>Nohl</strong>s<br />

1933/34 ergibt keinen neuen inhaltlichen Ertrag über Hasko Zimmers Analyse hinaus.<br />

Zwischen Erschrockensein <strong>und</strong> Suche nach Entlastung liest sich der Text doch wie eine<br />

„Ja, aber“-Apologie. Da <strong>die</strong> Beweislage so eindeutig ist, bleibt Klafki <strong>und</strong> Brockmann<br />

nicht viel mehr übrig, als eine Mehrdeutigkeit eindeutiger Aussagen <strong>Nohl</strong>s zu behaupten.<br />

Die Interpretation der Autoren Punkt für Punkt im Einzelnen zu behandeln, ist hier nicht<br />

möglich. Die Kritik setzt gerade dort an, wo bestimmte Passagen <strong>Nohl</strong>s nicht zitiert <strong>und</strong><br />

nicht kritisiert werden. Aber <strong>die</strong> von Edgar Weiß in seiner Rezension als „Ja, aber“<br />

charakterisierte Haltung Klafkis <strong>und</strong> Brockmanns ist auf einer gewissen Ebene nur eine<br />

Wiederholung der mentalen Position <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s zum Nationalsozialismus. 247<br />

Die Schwächen der Analyse werden besonders in einem zweiten Exkurs deutlich, in<br />

dem Klafki <strong>und</strong> Brockmann erneut auf Hasko Zimmer eingehen <strong>und</strong> behaupten:<br />

247 Die Rezension von Edgar Weiß befindet sich in: Gamm, Hans-Jochen/Keim, Wolfgang (Red.):<br />

Erinnern – Bildung – Identität (Jahrbuch für Pädagogik 2003), Frankfurt am<br />

Main/Berlin/Bern/Brüssel/New York/Oxford/Wien 2004, S. 364–367. Weitere Rezensionen zu <strong>die</strong>sem<br />

Buch erschienen u. a. von U. Steckmann (<strong>Zeit</strong>schrift für Sozialpädagogik 3/2005, S. 99–103) <strong>und</strong> von<br />

D. Dröhler (<strong>Zeit</strong>schrift für pädagogische Historiographie, 2/2003, S. 120–122) sowie von H.-E. Tenorth<br />

(<strong>Zeit</strong>schrift für Pädagogik, 5/2003, S. 734–755 im Rahmen einer Sammelbesprechung).


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

„Man kann <strong>Nohl</strong>s Position, unter politischer Perspektive, ‚naiv‘ nennen. Indessen:<br />

‚konservativ‘ war sie nicht.“ (Klafki/Brockmann 2002, S. 254, Hervorhebung im<br />

Original)<br />

Ein weiteres Beispiel: Klafki <strong>und</strong> Brockmann, <strong>die</strong> <strong>die</strong> antipolnische Volksverhetzung<br />

<strong>Nohl</strong>s als „antipolnische(n) Invektive“ bezeichnen (Klafki/Brockmann 2002, S. 256),<br />

meinen jedoch „nachdrücklich“ betonen zu müssen, „dass <strong>Nohl</strong>s Äußerungen, wie<br />

kritikbedürftig sie auch sind, durchgehend defensiven Charakter tragen“ (Klaf-<br />

ki/Brockmann 2002, S. 257, Hervorhebung im Original), da <strong>Nohl</strong> ja nicht zum aggressiven<br />

Raubüberfall auf Polen aufgerufen habe. Es ist im Gr<strong>und</strong>e immer dasselbe Argumentationsmuster:<br />

Es wird <strong>Nohl</strong> 1933/34 positiv angerechnet, dass er nicht zur Ermordung<br />

behinderter Kinder aufgerufen habe, sondern nur zur Zwangssterilisation (Klafki/Brockmann<br />

2002, S. 301). Die Autoren argumentieren hier wider besseren Wissens,<br />

da in beiden Fällen auch der <strong>NS</strong>-Staat weder zum Überfall auf Polen noch zur Tötung<br />

Behinderter öffentlich aufgerufen hat. Die vorgenommene Differenzierung zwischen<br />

Eugenik <strong>und</strong> Rassenhygiene durch <strong>die</strong> Autoren wirkt angesichts der menschenverachtenden<br />

Ausführungen <strong>Nohl</strong>s ebenfalls beklemmend.<br />

Dass Klafki <strong>und</strong> Brockmann <strong>Nohl</strong>s Haupttexte falsch einschätzen, wird in folgender<br />

Passage deutlich. Über <strong>die</strong> in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> veröffentlichten Gr<strong>und</strong>schriften <strong>Nohl</strong>s heißt<br />

es:<br />

„Soweit es sich um Werke handelt, <strong>die</strong> vor 1945 publiziert wurden, sind sie nach der<br />

<strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> unverändert oder erweitert wieder aufgelegt worden. Ausdrückliche Bezüge<br />

auf den Nationalsozialismus tauchen in <strong>die</strong>sen Büchern nicht auf.“ (Klafki/Brockmann<br />

2002, S. 311, Hervorhebungen im Original)<br />

Dass <strong>die</strong>s unwahr ist, zeigt allein schon das Foto der Hitlerjugend als der dritten Etappe<br />

der pädagogischen Bewegung, das in „Charakter <strong>und</strong> Schicksal“ 1938 enthalten war.<br />

Möglicherweise gegen <strong>die</strong> eigene Intention hat aber Klafki mit seiner Autorität innerhalb<br />

der Erziehungswissenschaft in Deutschland <strong>und</strong> durch sein sehr ausführliches<br />

Zitieren der rassistischen <strong>und</strong> pronationalsozialistischen Passagen <strong>Nohl</strong>s eine Rückkehr<br />

zur bloßen <strong>Nohl</strong>-Apologie weitgehend erschwert. Da sichtbar wird, wie schwer Klafki<br />

angesichts seines Erschreckens über <strong>Nohl</strong> <strong>die</strong>ser Schritt gefallen ist, soll <strong>die</strong>s trotz<br />

kritischer Distanz zu den Inhalten durchaus positiv festgehalten werden.<br />

149


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

In der 2002 vorgelegten, sehr gründlichen Stu<strong>die</strong> „<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s ‚Theorie‘ des pädago-<br />

gischen Bezugs. Eine Werkanalyse“ 248 von Damian Miller wird eine im Kern vernich-<br />

tende Kritik an dem als Pseudotheorie eingeschätzten „pädagogischen Bezug“ <strong>Nohl</strong>s<br />

vorgenommen.<br />

Jürgen Oelkers fasst den Ertrag <strong>die</strong>ser Dissertation in seinem „Geleitwort“ 249 so<br />

zusammen, dass Miller bewiesen habe, „dass von einer eigentlichen Theorie keine Rede<br />

sein kann“ (Oelkers Geleitwort 2002, S. 8) <strong>und</strong> es sich im Gr<strong>und</strong>e, so <strong>die</strong> Pointe der<br />

Arbeit, um eine „ästhetische Sprachregelung“ handelt:<br />

„<strong>Nohl</strong>s Bild ist harmonisch, <strong>und</strong> das entspricht seiner allgemeinen Ästhetik, <strong>die</strong> nahelegt,<br />

auch den ‚pädagogischen Bezug‘ schön darzustellen. Was damit nicht möglich<br />

ist, hat mit realen Kindern zu tun, also <strong>die</strong> Erfassung von Widerständigkeit oder<br />

Streit um <strong>die</strong> Ausdeutung sowohl der Beziehung als auch der pädagogischen Ambition,<br />

<strong>die</strong> im übrigen keineswegs, wie <strong>Nohl</strong> suggeriert, auf ‚Reife‘ festgelegt sein muss.<br />

Und wenn auch Kinder erziehen können, nicht nur sich, sondern auch ihre Eltern<br />

<strong>und</strong> Erzieher, dann bricht das schöne Bild schnell einmal zusammen.“ (Oelkers Geleitwort<br />

2002, S. 9, Hervorhebungen im Original)<br />

Dass Oelkers nicht nur als Theoretiker seinen Beitrag leistet, <strong>die</strong> Theorien <strong>Nohl</strong>s <strong>und</strong><br />

sein Werk zu demontieren, hat möglicherweise doch etwas damit zu tun, dass er reale<br />

Kinder nicht aus dem Auge verliert.<br />

Damian Miller geht zunächst chronologisch sämtliche wesentlichen Passagen <strong>Nohl</strong>s<br />

zum „pädagogischen Bezug“ in Jahrzehnte gegliedert durch <strong>und</strong> dokumentiert <strong>und</strong><br />

kommentiert sie. In einem zweiten großen Schritt stellt er <strong>die</strong> ihm wesentlich erscheinenden<br />

Rezeptionen des „pädagogischen Bezugs“ <strong>Nohl</strong>s von 1932 bis 2000 dar, wobei<br />

auch einige Schriften von Autorinnen <strong>und</strong> Autoren wie Peter Brozio, <strong>Herman</strong>n<br />

Giesecke, Norbert Kluge, Friedrich Wilhelm Kron <strong>und</strong> Panagiotis Xochellis 250 vorge-<br />

248<br />

Miller, Damian: <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s „Theorie“ des pädagogischen Bezugs. Eine Werkanalyse (Explorationen,<br />

Band 33), Bern 2002.<br />

249<br />

Oelkers, Jürgen: Geleitwort, in: Miller, Damian: <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s „Theorie“ des pädagogischen Bezugs.<br />

Eine Werkanalyse (Explorationen, Band 33), Bern 2002, S. 7–9.<br />

250<br />

Brozio, Peter: Vom pädagogischen Bezug zur pädagogischen Beziehung. Soziologische Gr<strong>und</strong>lagen<br />

einer Erziehungstheorie (Erziehung, Schule, Gesellschaft, Band 5), Würzburg 1995.<br />

Giesecke, <strong>Herman</strong>n: Die pädagogische Beziehung. Pädagogische Professionalität <strong>und</strong> <strong>die</strong> Emanzipation<br />

des Kindes, 2. Auflage, Weinheim/München 1997.<br />

Kluge, Norbert: Pädagogisches Verhältnis <strong>und</strong> Erziehungswirklichkeit. Kritische Überlegungen zur<br />

Theorie des pädagogischen Bezuges (Neue pädagogische Bemühungen, Band 48), Essen 1972.<br />

Kron, Friedrich Wilhelm: Theorie des erzieherischen Verhältnisses, Bad Heilbrunn 1971.<br />

Xochellis, Panagiotis: Erziehung am Wendepunkt? Gr<strong>und</strong>strukturen des pädagogischen Bezuges in<br />

heutiger Sicht, München 1974.<br />

150


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

stellt werden, <strong>die</strong> in unserem Literaturbericht nicht gesondert behandelt werden. Zusätz-<br />

lich wird im Kapitel „Der pädagogische Bezug <strong>und</strong> <strong>die</strong> Psychoanalyse“ <strong>Nohl</strong>s Rezepti-<br />

on der Psychoanalyse untersucht. Ein gesonderter Abschnitt wird zudem der Überblicksliteratur<br />

<strong>und</strong> den Lexika gewidmet. Keineswegs nur als Anhang, sondern als<br />

bewusster Schlusspunkt wird im Kapitel „Die Macht der Ästhetik“ der „pädagogische<br />

Bezug“ <strong>Nohl</strong>s mit dem Dreiklang von Einfachheit, Schönheit <strong>und</strong> Einheit sowie Harmonie<br />

<strong>und</strong> Liebe in Beziehung gesetzt, um das ästhetische Motiv bei <strong>Nohl</strong> als wirklichen<br />

Kern seiner nur vordergründig als Theorie ausgestatteten Formulierung vom<br />

„pädagogischen Bezug“ herauszuarbeiten.<br />

Peter Dudek untersucht in dem 2004 erschienenen Band „Ein Leben im Schatten“ 251<br />

das Verhältnis von <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> zu seinem Bruder Johannes. In <strong>die</strong>ser überaus lesenswerten<br />

Stu<strong>die</strong> wird deutlich, wie selektiv <strong>Nohl</strong> selbst, aber auch seine Biographen seine<br />

Familiengeschichte wahrnehmen. Dass <strong>Nohl</strong>s Bruder Johannes eine erotische Beziehung<br />

mit dem kommunistisch orientierten Anarchisten Erich Mühsam hatte, erklärt<br />

vielleicht <strong>die</strong> ansonsten völlig unverständliche Behauptung der <strong>NS</strong>DAP-Beurteilungen,<br />

<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> habe zu Beginn der Weimarer Republik der KPD nahegestanden.<br />

Dudek behandelt im siebenten Abschnitt, „Johannes <strong>und</strong> <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> – lebensgeschichtliche<br />

Erfahrungen als Basis pädagogischer Theoriebildung?“, genauer <strong>die</strong> von<br />

<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> selbst herausgegebenen Familienschriften <strong>und</strong> dokumentiert zudem das<br />

ambivalente Verhältnis der beiden Brüder anhand der noch existierenden Briefe. Auch<br />

Johannes <strong>Nohl</strong>, so zeigt Dudek, hat sich trotz seiner anarcho-kommunistischen Vergangenheit<br />

in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> zunächst positiv über das <strong>NS</strong>-Regime geäußert, sich nach 1945<br />

aber dann bewusst der Entwicklung in der DDR zugewandt. Dudeks Stu<strong>die</strong> schließt mit<br />

der These: „<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s intensive Beschäftigung mit Fragen der Sozialpädagogik war<br />

durchaus biographisch motiviert“ (Dudek 2004, S. 196).<br />

Ebenfalls 2004 erschien der von Thomas Gatzemann <strong>und</strong> Anja-Silvia Göing herausgegebene<br />

Sammelband „Geisteswissenschaftliche Pädagogik, Krieg <strong>und</strong> Nationalsozialismus“<br />

252 , in dem Alexander Stühmer „Das Verhältnis von Politik <strong>und</strong> Pädagogik im<br />

251 Dudek, Peter: Ein Leben im Schatten. Johannes <strong>und</strong> <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> – zwei deutsche Karrieren im<br />

Kontrast. Heinz-Elmar Tenorth zum 60. Geburtstag, Bad Heilbrunn 2004.<br />

252 Gatzemann, Thomas/Göing, Anja Silvia (Hrsg.): Geisteswissenschaftliche Pädagogik, Krieg <strong>und</strong><br />

Nationalsozialismus. Kritische Fragen nach der Verbindung von Pädagogik, Politik <strong>und</strong> Militär, Frankfurt<br />

am Main/Berlin/Bern/Brüssel/New York/Oxford/Wien 2004.<br />

151


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

Werk <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s“ 253 unter <strong>die</strong> Lupe nimmt. Stühmer übernimmt nun <strong>die</strong> Aufgabe,<br />

vor allem an Matthes, aber auch an Klafki <strong>und</strong> Brockmann orientiert, Hasko Zimmers<br />

Kritik an <strong>Nohl</strong>s Rassismus zurückzuweisen. Dabei versteigt sich Stühmer zu Sätzen<br />

wie: „Selbst <strong>Nohl</strong> erkannte, dass aus biologischer Sicht <strong>die</strong> Erstarrung eines Volkes<br />

gleichzeitig <strong>die</strong> wahrscheinliche Zerstörung des Volkes <strong>und</strong> seiner Kultur bedeutet.“<br />

(Stühmer 2004, S. 157) Das Wörtchen „selbst“ weist darauf hin, dass er nicht nur <strong>Nohl</strong><br />

referiert, sondern <strong>die</strong>ser vorgeblichen Erkenntnis zustimmt, so dass der von Klafki<br />

gegen Zimmer erhobene Vorwurf einer „selektiven Begradigung“ widersprüchlicher<br />

<strong>und</strong> mehrdeutiger Aussagen <strong>Nohl</strong>s gegen Stühmer selbst verwendet werden kann,<br />

insbesondere bei Stühmers Bagatellisierung der rassistischen Positionen <strong>Nohl</strong>s in dessen<br />

Vorlesungsmanuskript 1933/34: „Er grenzt sich aber gegen <strong>die</strong> Rassenhygieniker seiner<br />

<strong>Zeit</strong> ab (…)“ (Stühmer 2004, S. 155). Stühmer begründet seine Position nicht mit einer<br />

Analyse der Vorlesung, sondern verweist lediglich auf Matthes.<br />

Eine besondere Form deutsch-nationalistischer Verherrlichung der Person <strong>Herman</strong><br />

<strong>Nohl</strong>s bildet <strong>die</strong> von Walter Thys herausgegebene <strong>und</strong> kommentierte Zusammenstellung<br />

„Ein Landsturmmann im Himmel. Flandern <strong>und</strong> der Erste Weltkrieg in den Briefen<br />

von <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> an seine Frau“ 254 von 2005, in der über sechsh<strong>und</strong>ert Briefe dokumentiert<br />

werden. Ohne auf <strong>die</strong> ganz besonderen Gräuel der deutschen Soldateska in<br />

Belgien während des Ersten Weltkriegs einzugehen, wird <strong>die</strong> Idylle Belgiens zur <strong>Zeit</strong><br />

der deutschen Besatzung als Naturereignis geschildert. 255 Die deutsche Besatzungsarmee<br />

in Belgien, einschließlich <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>, hat es sich auf Kosten der Bevölkerung<br />

gut gehen lassen, wie <strong>die</strong> schwärmerischen Briefe <strong>Nohl</strong>s an seine Frau beweisen. Wie es<br />

konkret einzuschätzen ist, dass im Jahr 2005 ausgerechnet eine so umfangreiche Edition<br />

<strong>die</strong>ser Kriegsbriefe <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s erscheinen konnte, ist eine andere Frage.<br />

253 Stühmer, Alexander: Das Verhältnis von Politik <strong>und</strong> Pädagogik im Werk <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s, in: Gatzemann,<br />

Thomas/Göing, Anja Silvia (Hrsg.): Geisteswissenschaftliche Pädagogik, Krieg <strong>und</strong> Nationalsozialismus.<br />

Kritische Fragen nach der Verbindung von Pädagogik, Politik <strong>und</strong> Militär, Frankfurt am<br />

Main/Berlin/Bern/Brüssel/New York/Oxford/Wien 2004, S. 141–163.<br />

254 Thys, Walter (Hrsg.): Ein Landsturmmann im Himmel. Flandern <strong>und</strong> der Erste Weltkrieg in den<br />

Briefen von <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> an seine Frau, Leipzig 2005.<br />

255 Aber es war <strong>die</strong> vierte Armee <strong>und</strong> nicht Neckermann, <strong>die</strong> <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> seine Naturerlebnisse in<br />

Belgien ermöglichte. Wenn <strong>die</strong> Be<strong>die</strong>nung in einem Restaurant von <strong>Nohl</strong> zitiert wird mit „Die Deutschen<br />

haben zwei Mägen <strong>und</strong> kein Herz“ (Thys, S. 8), erhält der Titel „Ein Landsturmmann im Himmel“ dann<br />

doch eine andere Färbung.<br />

152


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

2005 geht Jürgen Oelkers in seiner Arbeit „Reformpädagogik. Eine kritische Dogmen-<br />

geschichte“ 256 erneut auf <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> ein. 257 Oelkers geht davon aus, dass nicht <strong>die</strong><br />

wirkliche Geschichte der Pädagogik in Deutschland <strong>und</strong> im internationalen Maßstab,<br />

insbesondere in den Publikationen <strong>Nohl</strong>s, rekonstruiert <strong>und</strong> beschrieben wird, sondern<br />

dass gerade <strong>Nohl</strong>s „Pädagogische Bewegung in Deutschland“ Ausgangspunkt einer<br />

„Dogmengeschichte“ ist. Er zitiert <strong>Nohl</strong>: „Die ges<strong>und</strong>e Dogmatik der Pädagogen<br />

beginnt mit einer radikalen Gläubigkeit an das Gesetz seiner Lebensarbeit“ (<strong>Nohl</strong>, in:<br />

Oelkers 2005, S. 21). 258<br />

Als erstes gr<strong>und</strong>legendes <strong>und</strong> falsches Dogma bezeichnet Oelkers <strong>die</strong> Epochenbestim-<br />

mung <strong>Nohl</strong>s, „der <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong> zwischen 1890 <strong>und</strong> 1930 als Einheit pädagogischer Bewe-<br />

gungen versteht“ (Oelkers 2005, S. 19). Zweitens wäre dadurch sowie durch <strong>die</strong> Kon-<br />

struktion eines Vorläufers in der „Deutschen Bewegung“ <strong>die</strong> gesamte internationale<br />

Pädagogik ausgeklammert <strong>und</strong> ausgegrenzt. Die Kronzeugen, <strong>die</strong> <strong>Nohl</strong> als geistvollste<br />

Vertreter der Bildung anführt, „waren allesamt Deutsche“ (Oelkers 2005, S. 76). Dieses<br />

Dogma sei sowohl durch <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong>schrift „Die Erziehung“ als auch durch eine Fülle von<br />

Zusammenfassungen <strong>und</strong> Lexika massiv stabilisiert worden (Oelkers 2005, S. 14).<br />

Oelkers weist darauf hin, wie massiv <strong>Nohl</strong> Richtungen, <strong>die</strong> ihm nicht ins Konzept<br />

passen, unter den Tisch fallen lässt, etwa <strong>die</strong> scharfe Schulkritik von Ludwig Börne, der<br />

einen „Aufstand der Schuljugend“ forderte <strong>und</strong> <strong>die</strong> obrigkeitsstaatliche Pädagogisierung<br />

der Gesellschaft einer scharfen Kritik unterzog (Oelkers 2005, S. 17 f.). Auch Karl<br />

Gutzkow <strong>und</strong> später vor allem <strong>die</strong> sozialistischen Pädagogen seien von <strong>Nohl</strong> ausge-<br />

grenzt worden.<br />

Der große Wert der Arbeit Oelkers’ liegt gerade darin, dass er eine sehr große Fülle an<br />

Hinweisen <strong>und</strong> Materialien zur Geschichte der Pädagogik anführt, <strong>die</strong> <strong>die</strong> <strong>Nohl</strong>’schen<br />

Dogmen Punkt für Punkt widerlegen.<br />

Der Erziehungswissenschaftler Christian Niemeyer hat in seiner 2005 erschienenen<br />

Schrift „Klassiker der Sozialpädagogik. Einführung in <strong>die</strong> Theoriegeschichte einer<br />

256<br />

Oelkers, Jürgen: Reformpädagogik. Eine kritische Dogmengeschichte, 4. vollständig überarbeitete <strong>und</strong><br />

erweiterte Auflage, Weinheim/München 2005.<br />

257<br />

Die Schrift entstand ursprünglich 1989, im Folgenden wird jedoch <strong>die</strong> vierte, „vollständig überarbeitete<br />

<strong>und</strong> erweiterte Auflage“ 2005 behandelt.<br />

258<br />

<strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Die Pädagogische Bewegung in Deutschland <strong>und</strong> ihre Theorie, Frankfurt am Main 1935,<br />

S. 130.<br />

153


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

Wissenschaft“ 259 mit weiteren Hintergr<strong>und</strong>informationen <strong>die</strong> Überschneidungen der<br />

Thesen <strong>Nohl</strong>s mit den Thesen des Nationalsozialismus sowohl in <strong>Nohl</strong>s Texten über <strong>die</strong><br />

„Osthilfe“ als auch über <strong>die</strong> Vorlesung 1933/34 nachgezeichnet. Die Ausgangsannahme<br />

Niemeyers ist, dass das Wichtigste an Aufschluss über den Nationalsozialismus möglicherweise<br />

erst noch kommen wird, wenn <strong>die</strong> jetzige Generation von Erziehungswissenschaftlern<br />

sich nicht durch falsch verstandene Pietät in ihrem Aufklärungsdrang hemmen<br />

lässt, wobei er auf <strong>die</strong> Intervention Klaus Mollenhauers 260 zur Verteidigung seines<br />

Doktorvaters Weniger gegen Barbara Siemsen verweist. 261<br />

Eine in gewissem Sinne anachronistische Arbeit legt Christian Hoch 2005 mit seiner<br />

Schrift „Zur Bedeutung des ‚Pädagogischen Bezuges‘ von <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> für <strong>die</strong> Identitätsbildung<br />

von Jugendlichen in der Postmoderne. Eine erziehungsphilosophische<br />

Reflexion“ 262 vor. In einem gesonderten Teil über den „pädagogischen Bezug“ bei <strong>Nohl</strong><br />

werden eng <strong>und</strong> apodiktisch an <strong>Nohl</strong> angelehnt nun zum wiederholten Mal in einer<br />

Dissertation <strong>Nohl</strong>s Passagen zu <strong>die</strong>sem Thema referiert. Bei der Vorstellung der Kritiken<br />

werden jedoch weder <strong>die</strong> neueren Kritiken Lingelbachs <strong>und</strong> Klafkis, noch <strong>die</strong><br />

Kritiken Kupffers <strong>und</strong> Zimmers überhaupt mit einbezogen. Hoch sieht <strong>Nohl</strong>s Theorem<br />

als „fruchtbare Anregung“ <strong>und</strong> „einen wichtigen Beitrag für <strong>die</strong> pädagogische Diskussion<br />

um <strong>die</strong> Identitätsbildung von Jugendlichen in der Postmoderne“ (Hoch 2005, S. 176).<br />

Die umfangreiche <strong>und</strong> treffendste Analyse von Biographie, Werk <strong>und</strong> Sek<strong>und</strong>ärliteratur<br />

über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> legt 2005 Michael Gran mit seinem Buch „Das Verhältnis der<br />

Pädagogik <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s zum Nationalsozialismus“ 263 vor. Ein wesentlicher Ausgangspunkt<br />

Grans besteht darin, Geistesgeschichte in eine ausführliche Darstellung<br />

geschichtlicher Umstände ihrer Entstehung <strong>und</strong> ihres Wirkens zu stellen <strong>und</strong> so Elemen-<br />

259<br />

Niemeyer, Christian: Klassiker der Sozialpädagogik. Einführung in <strong>die</strong> Theoriegeschichte einer<br />

Wissenschaft, 2. überarbeitete <strong>und</strong> erweiterte Auflage, Weinheim/München 2005. Methodologisch weist<br />

Niemeyer darauf hin, dass ein Urteil über <strong>die</strong> Verarbeitung der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> ohne Hinzuziehung der Texte<br />

<strong>Nohl</strong>s aus der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> selbst ein Unding sei <strong>und</strong> verifiziert <strong>die</strong>s an der Habilitationsschrift von Eva<br />

Matthes (1998).<br />

260<br />

Mollenhauer, Klaus: Legenden <strong>und</strong> Gegenlegenden, in: Die Deutsche Schule. <strong>Zeit</strong>schrift für Erziehungswissenschaft,<br />

Bildungspolitik <strong>und</strong> pädagogische Praxis, 80. Jg. (1989), S. 158–159.<br />

261<br />

Siehe auch Niemeyer, Christian: Einführung in <strong>die</strong> Sozialpädagogik, Dresden 2005, http://www.tudresden.de/erzwiss/SEB/Diverse_Dokumente/buch2006spwbgneu.pdf,<br />

eingesehen am 11.12.06.<br />

262<br />

Hoch, Christian: Zur Bedeutung des „Pädagogischen Bezuges“ von <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> für <strong>die</strong> Identitätsbildung<br />

von Jugendlichen in der Postmoderne. Eine erziehungsphilosophische Reflexion (Erziehung,<br />

Schule, Gesellschaft, Band 37), Würzburg 2005.<br />

263<br />

Gran, Michael: Das Verhältnis der Pädagogik <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s zum Nationalsozialismus, Hamburg<br />

2005.<br />

154


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

te der Eigendynamik der Geisteswissenschaft in <strong>die</strong> gesamtgeschichtlichen Umstände<br />

einzubetten. Das ist besonders in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> notwendig, so Gran, in der allzu leicht in<br />

der bisherigen Literatur über geisteswissenschaftliche Pädagogik <strong>die</strong> Realität der<br />

Verbrechen nebenan ausgeblendet wird. Deswegen berichtet Gran nicht nur über<br />

<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> <strong>und</strong> Seinesgleichen, sonder auch über <strong>die</strong> bereits 1932 von der SA<br />

Erschlagenen <strong>und</strong> nach 1933 systematisch Ermordeten. Er berichtet über <strong>die</strong> Kriegsvor-<br />

bereitungen, <strong>die</strong> Wannsee-Konferenz <strong>und</strong> <strong>die</strong> rassistische Realität des Massenmords an<br />

Menschen allein wegen ihrer vom <strong>NS</strong>-Regime definierten Herkunft. Das ist ungewöhn-<br />

lich, aber durchaus nötig <strong>und</strong> geradezu ein Schlüssel, um hermeneutisch gerecht <strong>Nohl</strong>s<br />

inhumane <strong>und</strong> antidemokratischen Gr<strong>und</strong>positionen einordnen zu können. Das bedeutet<br />

nicht, dass Gran der innertheoretischen Auseinandersetzung mit den geistigen Bezugs-<br />

punkten <strong>Nohl</strong>s, insbesondere mit Dilthey <strong>und</strong> Platon, aus dem Weg geht.<br />

In einem ersten Teil analysiert Gran als Kern der „Deutschen Bewegung“ <strong>die</strong> <strong>Nohl</strong>’sche<br />

Interpretation der Entwicklung des deutschen Idealismus als gegen <strong>die</strong> Aufklärung<br />

gerichtet. In einem zweiten Teil stellt er Biographie <strong>und</strong> Schrifttum <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s im<br />

Überblick dar, das er nun Schritt für Schritt chronologisch einordnet <strong>und</strong> bewertet.<br />

In einem dritten Teil über <strong>Nohl</strong>s theoretische Entwicklung von 1918 bis 1933 fokussiert<br />

Gran sich gerade auch auf <strong>Nohl</strong> als Geschichtsschreiber <strong>und</strong> Theoretiker der Reformbewegung,<br />

wobei er sich deutlich Oelkers’ Ansicht anschließt, dass <strong>Nohl</strong> (aber eben<br />

auch Flitner, Weniger bis hin zu Blankertz <strong>und</strong> Klafki) nicht wirklich <strong>die</strong> Reformbewegung<br />

beschreibt <strong>und</strong> analysiert, sondern vor allem eine für <strong>die</strong> eigenen Ambitionen<br />

nützliche Geschichte konstruiert.<br />

Im vierten Teil zur <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> analysiert Gran ausführlicher als Zimmer <strong>und</strong> Klafki auf<br />

fünf<strong>und</strong>siebzig Seiten das Vorlesungsmanuskript <strong>Nohl</strong>s von 1933/34. Dabei sticht<br />

neben einer treffenden Ideologiekritik, oft an Adorno orientiert, auch hervor, dass<br />

Hintergründe über von <strong>Nohl</strong> angeführte Personen <strong>und</strong> zeitgeschichtliche Umstände<br />

kenntnisreich dargelegt werden. Die Kritik an der Vorlesung <strong>Nohl</strong>s wird dabei im<br />

Rückgriff auf <strong>die</strong> vor 1933 von <strong>Nohl</strong> verfassten Schriften einerseits, aber auch im<br />

Kontext der in der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> erschienenen Schriften <strong>Nohl</strong>s andererseits entfaltet. Dabei<br />

wertet Gran auch Briefe <strong>und</strong> R<strong>und</strong>briefe an den Personenkreis der sogenannten <strong>Nohl</strong>-<br />

Schule aus.<br />

155


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

Im abschließenden fünften Teil werden wichtige Beiträge <strong>Nohl</strong>s nach 1945, aber auch<br />

das unveröffentlichte Memorandum an Major Wilson chronologisch vorgestellt <strong>und</strong><br />

analysiert sowie mit den bisherigen Schriften <strong>Nohl</strong>s konfrontiert. Gran lässt seine Arbeit<br />

mit einem Überblick über <strong>die</strong> aktuelle Diskussion um <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> ausklingen, wobei<br />

er insbesondere der Analyse des Vorlesungsmanuskripts 1933/34 von Klafki <strong>und</strong><br />

Brockmann detailliert widerspricht.<br />

Durch das umfangreiche Quellenmaterial, das Gran auswertet, kann <strong>die</strong>se Dissertation<br />

als eine Arbeit eingeschätzt werden, an der keine weitere Analyse über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

vorbeigehen kann <strong>und</strong> deren logischer <strong>und</strong> empirischer Beweisführung sich <strong>die</strong> Erziehungswissenschaft<br />

in Deutschland nur schwer wird entziehen können.<br />

Im 2006 erschienenen Sammelband „Pädagogik im Militarismus <strong>und</strong> im Nationalsozialismus.<br />

Japan <strong>und</strong> Deutschland im Vergleich“ 264 sind für <strong>die</strong> vorliegende Stu<strong>die</strong> vor<br />

allem <strong>die</strong> Beiträge von Heinz-Elmar Tenorth <strong>und</strong> Hasko Zimmer von Interesse. Heinz-<br />

Elmar Tenorth schildert in seinem Aufsatz mit wichtigen Literaturhinweisen <strong>die</strong><br />

„Eugenik im pädagogischen Denken des nationalsozialistischen Deutschland – oder:<br />

Rassismus als Grenzbegriff der Pädagogik“ 265 , geht aber trotz der Debatte über <strong>die</strong><br />

Vorlesung <strong>Nohl</strong>s von 1933/34 mit keinem Wort auf <strong>die</strong>ses Manuskript ein. Das ist umso<br />

bedauerlicher, da auch Hasko Zimmer, der bereits in den 1990er Jahren mehrere<br />

gewichtige Aufsätze zu <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> publiziert hat, in seinem Beitrag „Geisteswissenschaftliche<br />

Pädagogik <strong>und</strong> Nationalsozialismus: <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>“ 266 <strong>die</strong> Vorlesung <strong>Nohl</strong>s<br />

bewusst nicht in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen stellt. 267<br />

264 Horn, Klaus-Peter/Ogasawara, Michio/Sakakoshi, Masaki/Tenorth, Heinz-Elmar/Yamana, Jun/Zimmer,<br />

Hasko (Hrsg.): Pädagogik im Militarismus <strong>und</strong> im Nationalsozialismus. Japan <strong>und</strong> Deutschland im<br />

Vergleich, Bad Heilbrunn 2006.<br />

265 Tenorth, Heinz-Elmar: Eugenik im pädagogischen Denken des nationalsozialistischen Deutschland –<br />

oder: Rassismus als Grenzbegriff der Pädagogik, in: Horn, Klaus-Peter/Ogasawara, Michio/Sakakoshi,<br />

Masaki/Tenorth, Heinz-Elmar/Yamana, Jun/Zimmer, Hasko (Hrsg.): Pädagogik im Militarismus <strong>und</strong> im<br />

Nationalsozialismus. Japan <strong>und</strong> Deutschland im Vergleich, Bad Heilbrunn 2006, S. 33–44.<br />

266 Zimmer, Hasko: Geisteswissenschaftliche Pädagogik <strong>und</strong> Nationalsozialismus: <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>, in:<br />

Horn, Klaus-Peter/Ogasawara, Michio/Sakakoshi, Masaki/Tenorth, Heinz-Elmar/Yamana, Jun/Zimmer,<br />

Hasko (Hrsg.): Pädagogik im Militarismus <strong>und</strong> im Nationalsozialismus. Japan <strong>und</strong> Deutschland im<br />

Vergleich, Bad Heilbrunn 2006, S. 83–98.<br />

267 Verw<strong>und</strong>erlich ist, dass bei der Darstellung der Konzeption <strong>Nohl</strong>s von 1933, insbesondere bei der<br />

Darstellung von <strong>Nohl</strong>s Konstrukt der „Deutschen Bewegung“, festgestellt wird: „Dieses Konzept als<br />

Ausdruck nationalistischen Denkens zu verstehen, wäre allerdings verfehlt.“ Das von Zimmer vorgebrachte<br />

Argument, dass <strong>Nohl</strong> „nationale stets als kulturelle Fragen“ verstanden habe (Zimmer 2000,<br />

S. 89), ist zwar richtig, stimmt aber auch in der Umkehrung. Kulturelle Fragen, ja selbst ästhetische<br />

Fragen waren für <strong>Nohl</strong> stets nationale Fragen, <strong>und</strong> daher ist seine Konzeption sehr wohl Ausdruck seines<br />

156


IV. Zum Forschungsstand über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

Im 2006 von Bernd Dollinger herausgegebenen Band „Klassiker der Pädagogik“, in<br />

dem der Herausgeber selbst den Beitrag über <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> verfasste, 268 schildert<br />

Dollinger <strong>die</strong> Darstellung der Kontroverse über <strong>Nohl</strong>s Haltung zum Nationalsozialismus<br />

<strong>und</strong> schreibt:<br />

„Am deutlichsten zeigten sich fehlende Kritikpotenziale gegenüber der Erziehungswirklichkeit<br />

in der unterbleibenden expliziten Distanzierung <strong>Nohl</strong>s von den nationalsozialistischen<br />

Machthabern <strong>und</strong> ihrer Erziehungspropaganda.“ (Dollinger 2006,<br />

S. 261)<br />

Die bisherige Debatte zusammenfassend <strong>und</strong> auch auf <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong> von Michael Gran<br />

eingehend, konstatiert Dollinger, dass <strong>Nohl</strong> trotz Einwänden dem <strong>NS</strong>-Staat „<strong>die</strong> Über-<br />

zeugung der pädagogischen Bewegung“ zugesichert habe. Die 1933/34 in Göttingen<br />

gehaltene Vorlesung wird als „weiteres Beispiel für einen Bedarf kritischer Nachfrage“<br />

angeführt (Dollinger 2006, S. 249 f.).<br />

* * *<br />

In gewisser Weise ist <strong>die</strong>se neueste Publikation zu <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> ein Beweis dafür, dass<br />

<strong>die</strong> Methode des Totschweigens, Vertuschens <strong>und</strong> Bagatellisierens der <strong>Nohl</strong>’schen<br />

Haltung zum <strong>NS</strong>-Regime <strong>und</strong> dessen Ideologie nicht durchgehalten werden konnte.<br />

Abgeschlossen ist <strong>die</strong>se Debatte ganz <strong>und</strong> gar nicht.<br />

nationalistischen Denkens, wie es <strong>die</strong> Tradition des deutschen Bildungsbürgertums überhaupt kennzeichnet<br />

(siehe dazu: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Die ästhetische Wirklichkeit. Eine Einführung, Frankfurt am Main 1935,<br />

S. 215 f.).<br />

268 Dollinger, Bernd: <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>, in: Dollinger, Bernd (Hrsg.): Klassiker der Pädagogik. Die Bildung<br />

der modernen Gesellschaft, Wiesbaden 2006, S. 247–264.<br />

157


Literaturverzeichnis<br />

158<br />

Literaturverzeichnis<br />

Die Bibliographie als Hilfswissenschaft:<br />

„Und zwar steigt deren Wichtigkeit mit dem Steigen der Buchproduktion. Nun gibt es<br />

Weniges, was für <strong>die</strong> kritische Lage der Wissenschaft so durchaus charakteristisch ist<br />

wie der Umstand, dass <strong>die</strong>ser steigenden Wichtigkeit der Bibliographie ihre sinkende<br />

Beachtung seit Jahren parallel geht. (…) Gegenständliche Arbeit in allen Ehren. Die<br />

Bibliographie ist gewiss nicht der geistige Teil einer Wissenschaft. Jedoch sie spielt in<br />

ihrer Physiologie eine zentrale Rolle, ist nicht ihr Nervengeflecht, aber das System ihrer<br />

Gefäße. Mit Bibliographie ist <strong>die</strong> Wissenschaft groß geworden, <strong>und</strong> eines Tages wird<br />

sich zeigen, dass sogar ihre heutige Krisis zum guten Teile bibliographischer Art ist.“<br />

(Walter Benjamin: Gesammelte Schriften, Band III, Frankfurt am Main 1972, S. 121)<br />

Schriften von <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> von Februar 1933 bis Mai 1945 269<br />

1933<br />

1. Landbewegung, Osthilfe <strong>und</strong> <strong>die</strong> Aufgabe der Pädagogik, Leipzig 1933. 270<br />

2. Zu Wilhelm Diltheys h<strong>und</strong>ertstem Geburtstag, in: Forschungen <strong>und</strong> Fortschritte,<br />

Nachrichtenblatt der Deutschen Wissenschaft <strong>und</strong> Technik, 9. Jg. (1933), Heft 33,<br />

S. 479–480.<br />

3. Die Bedeutung der Frau <strong>und</strong> Mutter für das Deutschtum im Ausland, in:<br />

Kindergarten, <strong>Zeit</strong>schrift des Deutschen Fröbel-Verbandes, des Deutschen Verbandes<br />

für Schulkinderpflege <strong>und</strong> der Berufsorganisation der Kindergärtnerinnen,<br />

Hortnerinnen <strong>und</strong> Jugendleiterinnen e.V., 74. Jg. (1933), S. 125–126.<br />

4. Rezension: Zwei Jahre Lehrerbildung, in: Zentralblatt für <strong>die</strong> gesamte Unterrichts-Verwaltung<br />

in Preußen, 75. Jg. (1933), S. 40–41.<br />

1934<br />

5. Die Gr<strong>und</strong>lagen der nationalen Erziehung. Eine Vorlesung zum Wintersemester<br />

1933/34 (Typoskript), ohne Ort, ohne Jahr (Göttingen 1940).<br />

6. Der junge Dilthey, in: Germanisch-romanische Monatsschrift, 22. Jg. (1934), Heft<br />

3/4, S. 139–144.<br />

269 Erstellt auf der Gr<strong>und</strong>lage von: Weniger, Erich/Ahrens, Elisabeth/Wedemeyer, Irmgard: Bibliographie<br />

<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> zu seinem 75. Geburtstag am 7. Oktober 1954, Weinheim 1954 <strong>und</strong> Offermann, Joseph:<br />

Bibliographie <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s, in: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>: Ausgewählte pädagogische Abhandlungen. (Schöninghs<br />

Sammlung pädagogischer Schriften: Quellen zur Geschichte der Pädagogik), Paderborn 1967, S. 142–150.<br />

270 Die in <strong>die</strong>sem Sammelband abgedruckten sieben Aufsätze sind allesamt vor der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> verfasst <strong>und</strong><br />

publiziert worden. Lediglich das Nachwort des Sammelbands (S. 93–96) wurde in der <strong>und</strong> für <strong>die</strong> <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong><br />

verfasst. Die Aufsätze sind einzeln im Abschnitt „Schriften <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>s vor Februar 1933 <strong>und</strong> nach<br />

Mai 1945“ in <strong>die</strong>ser Bibliographie aufgeführt.


Literaturverzeichnis<br />

1935<br />

7. Einführung in <strong>die</strong> Philosophie, Frankfurt am Main 1935.<br />

8. Die ästhetische Wirklichkeit. Eine Einführung, Frankfurt am Main 1935.<br />

9. Die pädagogische Bewegung in Deutschland <strong>und</strong> ihre Theorie, 2., durchgesehene<br />

<strong>und</strong> mit einem Nachwort versehene Auflage, Frankfurt am Main 1935.<br />

10. Vergeistigung der Wirklichkeit. Über <strong>die</strong> Schaffensbedingungen der darstellenden<br />

Kunst, in: Frankfurter <strong>Zeit</strong>ung <strong>und</strong> Handelsblatt (Reichsausgabe), Nr. 644–<br />

645, 18.12.1935. 271<br />

11. Rezension: Johannes Ludolf Müller: Die Erziehungsanstalt Schnepfenthal<br />

1784–1934, in: <strong>Zeit</strong>schrift für Kinderforschung, Band 44, 1935, S. 53–54.<br />

1936<br />

12. Rezension: Erich Jaensch: Neue Wege der Erziehungslehre <strong>und</strong> Jugendk<strong>und</strong>e<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> deutsche Erneuerung, in: <strong>Zeit</strong>schrift für Kinderforschung, 1936, Band 45,<br />

S. 241.<br />

1938 272<br />

13. Charakter <strong>und</strong> Schicksal. Eine pädagogische Menschenk<strong>und</strong>e, Frankfurt am<br />

Main 1938.<br />

14. Wilhelm Dilthey, in: Deutsche Männer, 200 Bildnisse <strong>und</strong> Lebensbeschreibungen,<br />

Berlin 1938, S. 370.<br />

1939<br />

15. Die sittlichen Gr<strong>und</strong>erfahrungen. Eine Einführung in <strong>die</strong> Ethik, Frankfurt am<br />

Main 1939.<br />

16. Einleitung, in: Bertha <strong>Nohl</strong> <strong>und</strong> ihre Eltern Johann <strong>und</strong> Josephine Oser. Erinnerungen<br />

für ihre Kinder, als Manuskript gedruckt, ohne Ort 1939, S. 5–35.<br />

271<br />

Dieser 1935 erschiene Artikel ist eine Auszug aus: Die ästhetische Wirklichkeit, Frankfurt am Main<br />

1935, S. 168–172.<br />

272<br />

Der in der Bibliographie von Weniger, Ahrens <strong>und</strong> Wedemeyer (1954) verzeichnete Titel: „Erziehungsgedanken<br />

für <strong>die</strong> Erziehungstätigkeit des Einzelnen mit besonderer Berücksichtigung der Erfahrungen<br />

von Freud <strong>und</strong> Adler“ konnte in der Fassung von 1938 (angeblich in: Schriftenreihe der Vereinigung<br />

für Jugendgerichte <strong>und</strong> Jugendgerichtshilfen, Deutsche Zentrale für Jugendfürsorge, 1938, Heft 9, S. 3 ff.)<br />

nicht nachgewiesen werden. Die genannte <strong>Zeit</strong>schrift erschien laut der <strong>Zeit</strong>schriftendatenbank der<br />

Deutschen Nationalbibliothek lediglich in den Jahren 1926–1932 <strong>und</strong> wieder ab 1952. In der Bibliographie<br />

von Offermann (1967) findet sich ebenfalls kein Hinweis auf eine Fassung von 1938. Unter dem fast<br />

gleichlautenden Titel „Gedanken für <strong>die</strong> Erziehungstätigkeit des Einzelnen mit besonderer Berücksichtigung<br />

der Erfahrungen von Freud <strong>und</strong> Adler“ erschien der Artikel in den <strong>Nohl</strong>-Sammelbänden „Jugendwohlfahrt.<br />

Sozialpädagogische Vorträge“ (Leipzig 1927), S. 71–83 <strong>und</strong> „Pädagogik aus dreißig Jahren<br />

(Frankfurt am Main 1949), S. 151–160.<br />

159


Literaturverzeichnis<br />

1940<br />

17. Charakter <strong>und</strong> Schicksal. Eine pädagogische Menschenk<strong>und</strong>e, 2. verbesserte<br />

Auflage, Frankfurt am Main 1940.<br />

18. Mein Vater, in: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong> (Hrsg.): <strong>Herman</strong>n <strong>Nohl</strong> 1850–1929 <strong>und</strong> <strong>die</strong> Geschichte<br />

seiner Familie. Erinnerungen für seine Enkel, als Manuskript gedruckt,<br />

ohne Ort 1940, S. 28–55.<br />

1942<br />

19. Comenius, Pädagoge in einer <strong>Zeit</strong>enwende. Zu seinem 350. Geburtstag am 23.<br />

März, in: Hannoverscher Anzeiger (Stadtausgabe), Nr. 72, 26.3.1942.<br />

20. Der Maler Erich Kuithan, in: Kölnische <strong>Zeit</strong>ung (mit Wirtschafts- <strong>und</strong> Handelsblatt),<br />

Nr. 611, 30.11.1942.<br />

21. Der Maler Erich Kuithan, 1875–1917, in: Thüringer Volksbildungsarbeit, Neue<br />

Folge, 14. Jg. (1942), Heft 1 (fälschlicherweise als Heft 3 bezeichnet), S. 57–68.<br />

22. Ein vergessener Maler. Begegnungen mit Erich Kuithan, in: Deutsche Allgemeine<br />

<strong>Zeit</strong>ung (Reichsausgabe), 28.12.1942.<br />

1943<br />

23. Der Maler Erich Kuithan (1875–1917), in: Das XX. Jahrh<strong>und</strong>ert, 5. Jg. (1943),<br />

Heft Juni/Juli, S. 229–230.<br />

1944<br />

24. Christian Gotthilf Salzmann zum 200. Geburtstag, 1. Juni, in: Hannoverscher<br />

Kurier. Hannoversches Tageblatt, Nr. 149, 1.6.1944.<br />

25. Rezension: Erika Hoffmann: Deutsche Frauen schreiben an Kinder, in: Deutsche<br />

Allgemeine <strong>Zeit</strong>ung, Nr. 234, 25.8.1944, Beiblatt. Wieder abgedruckt in: Die<br />

Sammlung, 1. Jg. (1945), Heft 5, S. 302–305.<br />

160


In <strong>die</strong>ser Arbeit verwendete Schriften von <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

vor Februar 1933 bzw. nach Mai 1945<br />

Sokrates <strong>und</strong> <strong>die</strong> Ethik, Kapitel I–IV, Freiburg i. Br. 1904.<br />

Sokrates <strong>und</strong> <strong>die</strong> Ethik (vollständige Fassung), Tübingen/Leipzig 1904.<br />

Literaturverzeichnis<br />

Die Weltanschauungen der Malerei, Mit einem Anhang über <strong>die</strong> Gedankenmalerei,<br />

Jena 1908.<br />

Die Deutsche Bewegung <strong>und</strong> <strong>die</strong> idealistischen Systeme, in: Logos. <strong>Zeit</strong>schrift für<br />

systematische Philosophie, 2. Jg. (1911/12), S. 350–359. 273<br />

Pädagogische <strong>und</strong> politische Aufsätze, Jena 1919.<br />

Stil <strong>und</strong> Weltanschauung, Jena 1920.<br />

Die Philosophie in der Schule, in: Pädagogisches Zentralblatt, 3. Jg. (1922), S. 417–<br />

425. 274<br />

Die Geschichte in der Schule, in: Pädagogisches Zentralblatt, 4. Jg. (1924), S. 97–<br />

108. 275<br />

Die Pädagogik der Verwahrlosten, in: Bericht über <strong>die</strong> dritte Tagung über Psychopathenfürsorge<br />

(Heidelberg, 17.–19. September 1924), Berlin 1925, S. 23–31. 276<br />

Der Sinn der Strafe, in: Die Erziehung. Monatsschrift für den Zusammenhang von<br />

Kultur <strong>und</strong> Erziehung in Wissenschaft <strong>und</strong> Leben, 1. Jg. (1925/26), S. 27–38. 277<br />

Die Deutsche Bewegung in der Schule, in: Die Erziehung. Monatsschrift für den<br />

Zusammenhang von Kultur <strong>und</strong> Erziehung in Wissenschaft <strong>und</strong> Leben, 1. Jg. (1925/26),<br />

Heft 3, S. 136–145. 278<br />

Die geistigen Energien der Jugendwohlfahrtsarbeit, in: Die Erziehung. Monatsschrift<br />

für den Zusammenhang von Kultur <strong>und</strong> Erziehung in Wissenschaft <strong>und</strong> Leben, 1.<br />

Jg. (1925/26), S. 321–329. 279<br />

Die Einheit der pädagogischen Bewegung, in: Die Erziehung. Monatsschrift für den<br />

Zusammenhang von Kultur <strong>und</strong> Erziehung in Wissenschaft <strong>und</strong> Leben, 1. Jg. (1926/27),<br />

Heft 1, S. 57–61. 280<br />

Jugendwohlfahrt. Sozialpädagogische Vorträge, Leipzig 1927.<br />

Der männliche Sozialbeamte <strong>und</strong> <strong>die</strong> Sozialpädagogik in der Wohlfahrtspflege, in:<br />

Jugendwohlfahrt. Sozialpädagogische Vorträge, Leipzig 1927, S. 14–24. 281<br />

273<br />

Wieder abgedruckt in: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 28–38.<br />

274<br />

Wieder abgedruckt in: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 75–85.<br />

275<br />

Wieder abgedruckt in: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 62–74.<br />

276<br />

Wieder abgedruckt in: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 173–181.<br />

277<br />

Wieder abgedruckt in: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 161–172.<br />

278<br />

Wieder abgedruckt in: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 39–49.<br />

279<br />

Wieder abgedruckt in: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 133–142.<br />

280<br />

Wieder abgedruckt in: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 21–27.<br />

281<br />

Wieder abgedruckt in: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 143–150.<br />

161


Literaturverzeichnis<br />

Gedanken für <strong>die</strong> Erziehungstätigkeit des Einzelnen unter besonderer Berücksichtigung<br />

der Erfahrungen von Freud <strong>und</strong> Adler, in: Jugendwohlfahrt. Sozialpädagogische<br />

Vorträge, Leipzig 1927, S. 71–83. 282<br />

Die geistige Welt Pestalozzis (1927), in: Die Erziehung. Monatsschrift für den Zusammenhang<br />

von Kultur <strong>und</strong> Erziehung in Wissenschaft <strong>und</strong> Leben, 2. Jg. (1927), S.<br />

647–659. 283<br />

Der Reichsschulgesetzentwurf, in: Die Erziehung. Monatsschrift für den Zusammenhang<br />

von Kultur <strong>und</strong> Erziehung in Wissenschaft <strong>und</strong> Leben, 3. Jg. (1927/28), S. 40–<br />

49. 284<br />

Die Jugend <strong>und</strong> der Alltag, in: Die Erziehung. Monatsschrift für den Zusammenhang<br />

von Kultur <strong>und</strong> Erziehung in Wissenschaft <strong>und</strong> Leben, 3. Jg. (1927/28), S. 213–225. 285<br />

Der Bildungswert fremder Kulturen, in: Die Erziehung. Monatsschrift für den<br />

Zusammenhang von Kultur <strong>und</strong> Erziehung in Wissenschaft <strong>und</strong> Leben, 3. Jg. (1927/28),<br />

S. 524–532. 286<br />

Schule <strong>und</strong> Alltag, in: Die Erziehung. Monatsschrift für den Zusammenhang von<br />

Kultur <strong>und</strong> Erziehung in Wissenschaft <strong>und</strong> Leben, 4. Jg. (1928/29), S. 592–601. 287<br />

Pädagogische Aufsätze, 2. vermehrte Auflage, Langensalza/Berlin/Leipzig 1929.<br />

Pädagogische Menschenk<strong>und</strong>e, in: <strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>/Pallat, Ludwig (Hrsg.): Handbuch<br />

der Pädagogik, Band 2: Die biologischen, psychologischen <strong>und</strong> soziologischen Gr<strong>und</strong>lagen<br />

der Pädagogik, Langensalza 1929, S. 47–75.<br />

Bildung <strong>und</strong> Alltag, in: Die Volksschule. Halbmonatsschrift für Wissenschaft <strong>und</strong><br />

Praxis der Erziehung, Lehrerbildung <strong>und</strong> Kulturpolitik, 25. Jg. (1929), Heft 16, S. 1–<br />

6. 288<br />

Die Polarität in der Didaktik, in: Die Erziehung. Monatsschrift für den Zusammenhang<br />

von Kultur <strong>und</strong> Erziehung in Wissenschaft <strong>und</strong> Leben, 6. Jg. (1930/31), S. 277–<br />

287. 289<br />

Konfessionalität <strong>und</strong> Erziehung, in: Die Deutsche Schule, 35. Jg. (1931), S. 68–70. 290<br />

Landbewegung, Osthilfe <strong>und</strong> <strong>die</strong> nationale Aufgabe der Pädagogik, in: Die Erziehung.<br />

Monatsschrift für den Zusammenhang von Kultur <strong>und</strong> Erziehung in Wissenschaft<br />

<strong>und</strong> Leben, 7. Jg. (1931/32), S. 65–76. 291<br />

282<br />

Wieder abgedruckt in: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 151–160.<br />

283<br />

Wieder abgedruckt in: Erziehergestalten (Kleine Vandenhoeck-Reihe 55), 3. Auflage, Göttingen 1963,<br />

S. 12–23.<br />

284<br />

Wieder abgedruckt in: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 222–232.<br />

285<br />

Wieder abgedruckt in: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 98–111.<br />

286<br />

Wieder abgedruckt in: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 50–59.<br />

287<br />

Wieder abgedruckt in: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 112–123.<br />

288<br />

Wieder abgedruckt in: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 124–132.<br />

289<br />

Wieder abgedruckt in: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 86–97.<br />

290<br />

Wieder abgedruckt in: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 233–236.<br />

291<br />

Wieder abgedruckt in: Landbewegung, Osthilfe <strong>und</strong> <strong>die</strong> Aufgabe der Pädagogik, Leipzig 1933, S. 1–<br />

16.<br />

162


Literaturverzeichnis<br />

Die pädagogische Osthilfe, in: Die Erziehung. Monatsschrift für den Zusammenhang<br />

von Kultur <strong>und</strong> Erziehung in Wissenschaft <strong>und</strong> Leben, 7. Jg. (1931/32), S. 449–461. 292<br />

Die Siedlungshelferin, in: Soziale Berufsarbeit, 12. Jg. (1932), Heft 6, S. 57–60. 293<br />

Die sozialpädagogische <strong>und</strong> nationalpolitische Bedeutung der Kinderfürsorge auf<br />

dem Lande, in: Kindergarten, <strong>Zeit</strong>schrift des Deutschen Fröbel-Verbandes, des Deutschen<br />

Verbandes für Schulkinderpflege <strong>und</strong> der Berufsorganisation der Kindergärtnerinnen,<br />

Hortnerinnen <strong>und</strong> Jugendleiterinnen e.V. (Kindergarten in Dorf <strong>und</strong> Siedlung,<br />

Sonderdruck), 73. Jg. (1932), S. 168–171. 294<br />

Die Erziehungs- <strong>und</strong> Bildungsarbeit auf dem Lande <strong>und</strong> insbesondere im Osten,<br />

in: Landschulausbau <strong>und</strong> Landvolkbildung, ein Tagungsbericht aus Jablonken vom 28.<br />

<strong>und</strong> 29. Oktober 1932 (Schriften des Ostpreußischen Arbeitskreises für Landschulausbau<br />

<strong>und</strong> Landvolkbildung, Heft 1), Königsberg ohne Jahr (1933), S. 16–22. 295<br />

Die zweifache deutsche Geistigkeit <strong>und</strong> ihre pädagogische Bedeutung, in: Die<br />

Erziehung. Monatsschrift für den Zusammenhang von Kultur <strong>und</strong> Erziehung in Wissenschaft<br />

<strong>und</strong> Leben, 8. Jg. (1932/33), Heft 1 (Oktober 1932), S. 4–16. 296<br />

Die volkserzieherische Arbeit innerhalb der pädagogischen Bewegung, in: Die<br />

Erziehung. Monatsschrift für den Zusammenhang von Kultur <strong>und</strong> Erziehung in Wissenschaft<br />

<strong>und</strong> Leben, 8. Jg. (1932/33), Heft 6 (März 1933), S. 337–346. 297<br />

Zur Gegenwartsaufgabe der deutschen Landpädagogik, in: <strong>Zeit</strong>schrift für das<br />

ländliche Fortbildungsschulwesen in Preußen, 24. Jg. (Januar 1933), Heft l, S. 1–6.<br />

Pädagogische Bewegung oder pädagogische Reaktion?, in: Die Deutsche Schule, 37.<br />

Jg. (1933), Heft l, S. 1–6. 298<br />

Die Theorie der Bildung, in: <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>/Ludwig Pallat (Hrsg.): Handbuch der<br />

Pädagogik, Band 1: Die Theorie <strong>und</strong> <strong>die</strong> Entwicklung des Bildungswesens, Langensalza<br />

1933, S. 3–80.<br />

Die pädagogische Bewegung in Deutschland, in: <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>/Ludwig Pallat (Hrsg.):<br />

Handbuch der Pädagogik, Band 1: Die Theorie <strong>und</strong> <strong>die</strong> Entwicklung des Bildungswesens,<br />

Langensalza 1933, S. 302–374.<br />

* * *<br />

292 Wieder abgedruckt in: Landbewegung, Osthilfe <strong>und</strong> <strong>die</strong> Aufgabe der Pädagogik, Leipzig 1933, S. 17–<br />

34.<br />

293 Wieder abgedruckt in: Landbewegung, Osthilfe <strong>und</strong> <strong>die</strong> Aufgabe der Pädagogik, Leipzig 1933, S. 17–<br />

34.<br />

294 Wieder abgedruckt in: Landbewegung, Osthilfe <strong>und</strong> <strong>die</strong> Aufgabe der Pädagogik, Leipzig 1933, S. 43–<br />

50.<br />

295 Wieder abgedruckt in: Wohlfahrt, Mitteilungsblatt für Volksbildung <strong>und</strong> Wohlfahrtspflege, 26. Jg.<br />

(1933), Heft 1, S. 1–2 <strong>und</strong> in: Landbewegung, Osthilfe <strong>und</strong> <strong>die</strong> Aufgabe der Pädagogik, Leipzig 1933,<br />

83–93.<br />

296 Wieder abgedruckt in: Landbewegung, Osthilfe <strong>und</strong> <strong>die</strong> Aufgabe der Pädagogik, Leipzig 1933, S. 51–<br />

68 <strong>und</strong> in: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 190–203.<br />

297 Wieder abgedruckt in: Landbewegung, Osthilfe <strong>und</strong> <strong>die</strong> Aufgabe der Pädagogik, Leipzig 1933, S. 69–<br />

82 <strong>und</strong> in: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 211–221.<br />

298 Wieder abgedruckt in: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 237–244.<br />

163


Literaturverzeichnis<br />

Geleitwort, in: Die Sammlung. <strong>Zeit</strong>schrift für Kultur <strong>und</strong> Erziehung, 1. Jg. (1945/46),<br />

Heft 1, S. 2.<br />

Der Bürger (verfasst 1937), in: Die Sammlung. <strong>Zeit</strong>schrift für Kultur <strong>und</strong> Erziehung, 1.<br />

Jg. (1945/46), Heft 2, S. 85–95. 299<br />

Manuskript zu einem Vortrag in Hildesheim 1946 ohne Titel (Auszüge), in: Blochmann,<br />

Elisabeth: <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> in der pädagogischen Bewegung seiner <strong>Zeit</strong> 1879–1960,<br />

Göttingen 1969, S. 185–188. 300<br />

Einführung in <strong>die</strong> Philosophie, 2. Auflage, Frankfurt am Main 1946.<br />

Vorwort, in: Dilthey, Wilhelm: Die Philosophie des Lebens. Eine Auswahl aus seinen<br />

Schriften 1867–1910, herausgegeben von <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>, Heppenheim 1946, S. 4.<br />

Einführung in <strong>die</strong> Philosophie, 3. Auflage, Frankfurt am Main 1947.<br />

Die sittlichen Gr<strong>und</strong>erfahrungen. Eine Einführung in <strong>die</strong> Ethik, 2. Auflage, Frankfurt<br />

am Main 1947.<br />

Charakter <strong>und</strong> Schicksal. Eine pädagogische Menschenk<strong>und</strong>e, 3., vermehrte Auflage,<br />

Frankfurt am Main 1947.<br />

Die geistige Lage des akademischen Nachwuchses, in: Die Sammlung. <strong>Zeit</strong>schrift für<br />

Kultur <strong>und</strong> Erziehung, 2. Jg. (1947), Heft 1, S. 1–6. 301<br />

Die heutige Aufgabe der Frau, in: Die Sammlung. <strong>Zeit</strong>schrift für Kultur <strong>und</strong> Erziehung,<br />

2. Jg. (1947), Heft 7, S. 353–358. 302<br />

Lebende Sprachen, in: Die Sammlung. <strong>Zeit</strong>schrift für Kultur <strong>und</strong> Erziehung, 2. Jg.<br />

(1946/47), Heft 10 (Oktober 1974), S. 592–593. 303<br />

Die geistige Lage im gegenwärtigen Deutschland, in: Die Sammlung. <strong>Zeit</strong>schrift für<br />

Kultur <strong>und</strong> Erziehung, 2. Jg. (1947), Heft 11, S. 601–606. 304<br />

Die pädagogische Aufgabe der Gegenwart, in: Die Sammlung. <strong>Zeit</strong>schrift für Kultur<br />

<strong>und</strong> Erziehung, 2. Jg. (1947), Heft 12, S. 694–701. 305<br />

Vom Wesen der Erziehung, in: Die Sammlung. <strong>Zeit</strong>schrift für Kultur <strong>und</strong> Erziehung,<br />

3. Jg. (1948), S. 325–332. 306<br />

Die Erziehung in der Kulturkrise, in Die Sammlung. <strong>Zeit</strong>schrift für Kultur <strong>und</strong><br />

Erziehung, 3. Jg. (1948), S. 645–652.<br />

Die pädagogische Bewegung in Deutschland <strong>und</strong> ihre Theorie, 3. unveränderte<br />

Auflage, Frankfurt am Main 1949.<br />

299<br />

Wieder abgedruckt in: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 245–256.<br />

300<br />

Vortrag am 24. Febr. 1946 vor Lehrern in Hildesheim über ethisch-pädagogische Gr<strong>und</strong>lagen der <strong>Zeit</strong>,<br />

unveröffentlichtes Manuskript, 10 Seiten, Niedersächsische Staats- <strong>und</strong> Universitätsbibliothek Göttingen,<br />

Cod. Ms. H. <strong>Nohl</strong> 859.<br />

301<br />

Wieder abgedruckt in: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 272–278.<br />

302<br />

Wieder abgedruckt in: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 265–271.<br />

303<br />

Wieder abgedruckt in: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 60–61.<br />

304<br />

Wieder abgedruckt in: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 257–264.<br />

305<br />

Wieder abgedruckt in: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 290–298.<br />

306<br />

Wieder abgedruckt in: Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949, S. 279–289.<br />

164


Pädagogik aus dreißig Jahren, Frankfurt am Main 1949.<br />

Literaturverzeichnis<br />

Die Pädagogik Herbarts (Kleine pädagogische Texte, Band 25), Weinheim ohne Jahr<br />

(ca. 1950).<br />

Einführung in <strong>die</strong> Philosophie, 5. Auflage, Frankfurt am Main 1953.<br />

Friedrich Schiller. Eine Vorlesung, Frankfurt am Main, 1954.<br />

Die ästhetische Wirklichkeit. Eine Einführung, 2. unveränderte Auflage, Frankfurt am<br />

Main 1954.<br />

Schuld <strong>und</strong> Aufgabe der Pädagogik. Erich Weniger zum 11.9.1954 in Fre<strong>und</strong>schaft<br />

gewidmet, in: Die Sammlung. <strong>Zeit</strong>schrift für Kultur <strong>und</strong> Erziehung, 9. Jg. (1954),<br />

S. 446–449.<br />

Die pädagogische Bewegung in Deutschland <strong>und</strong> ihre Theorie, 4. unveränderte<br />

Auflage, Frankfurt am Main 1957.<br />

<strong>Nohl</strong>, <strong>Herman</strong>/Misch, Georg: Vorwort, in: Dilthey, Wilhelm: Von deutscher Dichtung<br />

<strong>und</strong> Musik. Aus den Stu<strong>die</strong>n zur Geschichte des deutschen Geistes. 2. unveränderte<br />

Auflage, Stuttgart/Göttingen 1957, S. III–X.<br />

Charakter <strong>und</strong> Schicksal. Eine pädagogische Menschenk<strong>und</strong>e, 5. Auflage, Frankfurt<br />

am Main 1959.<br />

Einführung in <strong>die</strong> Philosophie, 6. Auflage, Frankfurt am Main 1960.<br />

Vom Sinn der Kunst, mit einem Vorwort von Elisabeth Blochmann (Kleine Vandenhoeck-Reihe,<br />

Band 103/104), Göttingen 1961.<br />

Schuld <strong>und</strong> Aufgabe der Pädagogik, mit einer Einleitung von Ludwig Mester,<br />

Schorndorf bei Stuttgart 1962.<br />

Charakter <strong>und</strong> Schicksal. Eine pädagogische Menschenk<strong>und</strong>e, 6. Auflage, Frankfurt<br />

am Main 1963.<br />

Erziehergestalten (Kleine Vandenhoeck-Reihe 55), 3. Auflage, Göttingen 1963.<br />

Aufgaben <strong>und</strong> Wege der Sozialpädagogik. Vorträge <strong>und</strong> Aufsätze, mit einem Vorwort<br />

von Elisabeth Blochmann (Kleine Pädagogische Texte, Band 35), Weinheim 1965.<br />

Ausgewählte pädagogische Abhandlungen, besorgt von Josef Offermann (Schöninghs<br />

Sammlung pädagogischer Schriften: Quellen zur Geschichte der Pädagogik), Paderborn<br />

1967.<br />

Eine Auswahl schulpädagogischer Schriften, besorgt <strong>und</strong> eingeleitet von Dozent<br />

Walter Popp (Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>fragen der Erziehung, Band 21), Heidelberg 1967.<br />

Die Deutsche Bewegung. Vorlesungen <strong>und</strong> Aufsätze zur Geistesgeschichte von 1770–<br />

1830, herausgegeben von Otto Friedrich Bollnow <strong>und</strong> Frithjof Rodi, Göttingen 1970.<br />

Charakter <strong>und</strong> Schicksal. Eine pädagogische Menschenk<strong>und</strong>e, 7. Auflage, Frankfurt<br />

am Main 1970.<br />

Das historische Bewusstsein, herausgegeben von Erika Hoffmann <strong>und</strong> Rudolf Joerden,<br />

mit einem Nachwort von Otto Friedrich Bollnow, Göttingen/Frankfurt am Main/Zürich<br />

1979.<br />

165


Literaturverzeichnis<br />

Die pädagogische Bewegung in Deutschland <strong>und</strong> ihre Theorie, 10. Auflage, Frankfurt<br />

am Main 1988.<br />

Einführung in <strong>die</strong> Philosophie, 9. Auflage, Frankfurt am Main 1998.<br />

166


Verwendete <strong>und</strong> weiterführende Literatur<br />

Literaturverzeichnis<br />

Adorno, Theodor W.: Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit?, in: Eingriffe.<br />

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Bauern (mit einer nur für <strong>die</strong>ses Werk hergestellten Schallplatte mit Stücken aus alten<br />

181


Literaturverzeichnis<br />

Liedern deutscher Rassen), München 1934.<br />

Weingart, Peter/Kroll, Jürgen/Bayertz, Kurt: Rasse, Blut <strong>und</strong> Gene. Geschichte der<br />

Eugenik <strong>und</strong> Rassenhygiene in Deutschland, Frankfurt am Main 1988.<br />

Weniger, Erich/Ahrens, Elisabeth/Wedemeyer, Irmgard: Bibliographie <strong>Herman</strong><br />

<strong>Nohl</strong> zu seinem 75. Geburtstag am 7. Oktober 1954, Weinheim 1954.<br />

Weniger, Erich: Einführung, in: Weniger, Erich/Ahrens, Elisabeth/Wedemeyer,<br />

Irmgard: Bibliographie <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> zu seinem 75. Geburtstag am 7. Oktober 1954,<br />

Weinheim 1954, S. 3–13.<br />

Weniger, Erich: <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> sozialpädagogische Bewegung, in: Beiträge zur<br />

Menschenbildung. <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong> zum 80. Geburtstag (<strong>Zeit</strong>schrift für Pädagogik, Beiheft<br />

1), Weinheim/Düsseldorf 1959, S. 5–20.<br />

Weniger, Erich: <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>. Rede bei der akademischen Gedenkfeier am 4. Februar<br />

1961, Göttingen 1961.<br />

Weniger, Erich: Nachträge zur <strong>Nohl</strong>-Bibliographie, in: <strong>Zeit</strong>schrift für Pädagogik, 1. Jg.<br />

(1955), Heft 2, S. 132.<br />

Weyers, Stefan: „Auslese“, totale Verfügungsgewalt <strong>und</strong> „Typenzucht“. Zur Theorie<br />

<strong>und</strong> Praxis nationalsozialistischer Pädagogik (unveröffentlichte Magisterarbeit), Heidelberg<br />

1992.<br />

Wolf, Norbert: Die Bedeutung des Humors für das ästhetisch-sittliche Bewusstsein des<br />

Erziehers. Eine anthropologische Stu<strong>die</strong> in Orientierung an den Schriften von H. <strong>Nohl</strong><br />

<strong>und</strong> O. F. Bollnow, Weinheim/Basel 1986.<br />

Zedler, Peter/König, Eckard (Hrsg.): Rekonstruktionen pädagogischer Wissenschaftsgeschichte.<br />

Fallstu<strong>die</strong>n, Ansätze, Perspektiven (Beiträge zur Theorie <strong>und</strong> Geschichte<br />

der Erziehungswissenschaft, Band 1), Weinheim 1989.<br />

Zimmer, Hasko: Die Hypothek der Nationalpädagogik. <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>, der Nationalsozialismus<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> Pädagogik nach Auschwitz, in: Beutler, Kurt/Wiegmann, Ulrich<br />

(Red.): Auschwitz <strong>und</strong> <strong>die</strong> Pädagogik (Jahrbuch für Pädagogik 1995), Frankfurt am<br />

Main/Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1995, S. 87–114.<br />

Zimmer, Hasko: Geisteswissenschaftliche Pädagogik <strong>und</strong> Nationalsozialismus: <strong>Herman</strong><br />

<strong>Nohl</strong>, in: Horn, Klaus-Peter/Ogasawara, Michio/Sakakoshi, Masaki/Tenorth,<br />

Heinz-Elmar/Yamana, Jun/Zimmer, Hasko (Hrsg.): Pädagogik im Militarismus <strong>und</strong> im<br />

Nationalsozialismus. Japan <strong>und</strong> Deutschland im Vergleich, Bad Heilbrunn 2006, S. 83–<br />

98.<br />

Zimmer, Hasko: Pädagogik, Kultur <strong>und</strong> nationale Identität. Das Projekt einer „deutschen<br />

Bildung“ bei Rudolf Hildebrand <strong>und</strong> <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>, in: Auernheimer, Georg/Gstettner,<br />

Peter (Red.): Pädagogik in multikulturellen Gesellschaften (Jahrbuch für<br />

Pädagogik 1996), Frankfurt am Main/Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1996, S. 159–<br />

177.<br />

Zimmer, Hasko: Pädagogische Intelligenz <strong>und</strong> Neuanfang 1945. „Die Sammlung“ im<br />

Kontext der Faschismus- <strong>und</strong> Neuordnungsdiskussion 1945–1949, in: Keim, Wolfgang<br />

(Hrsg.): Erziehungswissenschaft <strong>und</strong> Nationalsozialismus. Eine kritische Positionsbestimmung<br />

(Forum Wissenschaft, Stu<strong>die</strong>nheft Nr. 9), Marburg 1990, S. 101–122.<br />

182


Literaturverzeichnis<br />

Zimmer, Hasko: Von der Volksbildung zur Rassenhygiene: <strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong>, in: Rülcker,<br />

Tobias/Oelkers, Jürgen (Hrsg.): Politische Reformpädagogik, Bern/Berlin/Frankfurt am<br />

Main/New York/Paris/Wien 1998, S. 515–540.<br />

183


Anhang<br />

184<br />

<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

– Auszug –


Anhang<br />

185


Anhang<br />

186


Anhang<br />

187


Anhang<br />

188


Anhang<br />

189


Anhang<br />

190


Anhang<br />

191


Anhang<br />

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Anhang<br />

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Anhang<br />

194


Anhang<br />

195


Anhang<br />

196


Anhang<br />

197


Anhang<br />

198


Anhang<br />

199


Anhang<br />

200


Anhang<br />

201


Frankfurter Beiträge zur Erziehungswissenschaft<br />

Fachbereich Erziehungswissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität<br />

Reihe Kolloquien:<br />

202<br />

Band 1<br />

Frank-Olaf Radtke (Hg.)<br />

Die Organisation von Homogenität - Jahrgangsklassen in<br />

der Gr<strong>und</strong>schule Kolloquium anlässlich der 60. Geburtstage<br />

von Gertrud Beck <strong>und</strong> Richard Meier, Frankfurt<br />

am Main 1998<br />

ISBN 3-9806569-0-X<br />

Preis: 8,60 €<br />

Band 2<br />

Frank-Olaf Radtke (Hg.)<br />

Lehrerbildung an der Universität - Zur Wissensbasis<br />

pädagogischer Professionalität<br />

Dokumentation des Tages der Lehrerbildung an der Johann<br />

Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main<br />

1999<br />

Band 3<br />

Heiner Barz (Hg.)<br />

Pädagogische Dramatisierungsgewinne - Jugendgewalt<br />

Analphabetismus. Sektengefahr<br />

Frankfurt am Main 2000<br />

ISBN 3-9806569-2-6<br />

Preis: 9,20 €


Frankfurter Beiträge zur Erziehungswissenschaft<br />

Fachbereich Erziehungswissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität<br />

Band 4<br />

Gertrud Beck, Marcus Rauterberg, Gerold Scholz, Kristin<br />

Westphal (Hg.)<br />

Sachen des Sachunterrichts<br />

Dokumentation einer Tagungsreihe 1997 - 2000<br />

Frankfurt am Main 2001<br />

Korrigierte Neuauflage 2002<br />

ISBN 3-9806569-3-4<br />

Preis: 15,40 €<br />

Band 5<br />

Brita Rang <strong>und</strong> Anja May (Hg.)<br />

Das Geschlecht der Jugend - Dokumentation der Vorlesungsreihe<br />

Adoleszenz: weiblich/männlich? im Wintersemester<br />

1999 / 2000<br />

Frankfurt am Main 2001<br />

ISBN 3-9806569-4-2<br />

Preis: 15,95 €<br />

Band 6<br />

Dagmar Beinzger <strong>und</strong> Isabell Diehm (Hg.)<br />

Frühe Kindheit <strong>und</strong> Geschlechterverhältnisse. Konjunkturen<br />

in der Sozialpädagogik<br />

Frankfurt am Main 2003<br />

ISBN 3-9806569-8-5<br />

Preis: 18,00 €<br />

203


Frankfurter Beiträge zur Erziehungswissenschaft<br />

Fachbereich Erziehungswissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität<br />

204<br />

Band 7<br />

Vera Moser (Hg.)<br />

Behinderung - Selektionsmechanismen <strong>und</strong> Integrationsaspirationen<br />

Frankfurt am Main 2003<br />

ISBN 3-9806569-9-3<br />

Preis: 12,50 €<br />

Band 8<br />

Gisela Zenz (Hg.)<br />

Traumatische Kindheiten - Beiträge zum Kinderschutz<br />

<strong>und</strong> zur Kindesschutzpolitik aus erziehungswissenschaftlicher<br />

<strong>und</strong> rechtswissenschaftlicher Perspektive<br />

Frankfurt am Main 2004<br />

ISBN 3-9809008-1-9<br />

Preis: 24,00 €<br />

Band 9<br />

Tanja Wieners (Hg.)<br />

Familienbilder <strong>und</strong> Kinderwelten - Kinderliteratur als<br />

Medium der Familien- <strong>und</strong> Kindheitsforschung<br />

Frankfurt am Main 2005<br />

ISBN 3-9809008-2-7<br />

Preis: 16,90 €


Frankfurter Beiträge zur Erziehungswissenschaft<br />

Fachbereich Erziehungswissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität<br />

Band 10<br />

Micha Brumlik / Benjamin Ortmeyer (Hg.)<br />

Erziehungswissenschaft <strong>und</strong> Pädagogik in Frankfurt -<br />

eine Geschichte in Portraits<br />

90 Jahre Johann Wolfgang Goethe-Universität<br />

Frankfurt am Main 2006<br />

ISBN 3-9809008-7-8<br />

Preis: 16,90 €<br />

Band 11<br />

Argyro Panagiotopoulou / Monika Wintermeyer (Hg.)<br />

Schriftlichkeit - Interdisziplinär<br />

Voraussetzungen, Hindernisse <strong>und</strong> Fördermöglichkeiten<br />

Frankfurt am Main 2006<br />

ISBN 978-3-9810879-0-1<br />

Preis: 24,00 €<br />

Band 12<br />

Dieter Katzenbach (Hg.)<br />

Vielfalt braucht Struktur<br />

Heterogenität als Herausforderung für <strong>die</strong> Unterrichts-<br />

<strong>und</strong> Schulentwicklung<br />

Frankfurt am Main 2006<br />

ISBN 978-3-9809008-9-8<br />

Preis: 18,00 €<br />

205


Frankfurter Beiträge zur Erziehungswissenschaft<br />

Fachbereich Erziehungswissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität<br />

Reihe Forschungsberichte:<br />

206<br />

Band 1<br />

Thomas Höhne/Thomas Kunz/Frank-Olaf Radtke<br />

Bilder von Fremden - Formen der Migrantendarstellung<br />

als der „anderen Kultur“ in deutschen Schulbüchern von<br />

1981-1997<br />

Frankfurt am Main 1999<br />

Band 2<br />

Uwe E. Kemmesies<br />

Umgang mit illegalen Drogen im ‚bürgerlichen‘ Milieu<br />

(UMID).<br />

Bericht zur Pilotphase<br />

Frankfurt am Main 2000<br />

Band 3<br />

Oliver Hollstein/Wolfgang Meseth/Christine Müller-<br />

Mahnkopp/Matthias Proske/Frank-Olaf Radtke<br />

Nationalsozialismus im Geschichtsunterricht. Beobachtungen<br />

unterrichtlicher Kommunikation<br />

Bericht zu einer Pilotstu<strong>die</strong><br />

Frankfurt am Main 2002


Frankfurter Beiträge zur Erziehungswissenschaft<br />

Fachbereich Erziehungswissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität<br />

Band 4<br />

Andreas Gruschka/Martin Heinrich/Nicole Köck/Ellen<br />

Martin/Marion Pollmanns/Michael Tiedtke<br />

Innere Schulreform durch Kriseninduktion? Fallrekonstruktionen<br />

<strong>und</strong> Strukturanalysen zu den Wirkungen administeriell<br />

verordneter Schulprogrammarbeit<br />

Projektdesign <strong>und</strong> Zwischenbericht<br />

Frankfurt am Main 2003<br />

ISBN 3-9809008-0-0<br />

Preis: 15,00 €<br />

Band 5<br />

Andreas Gruschka<br />

Auf dem Weg zu einer Theorie des Unterrichtens. Die<br />

widersprüchliche Einheit von Erziehung, Didaktik <strong>und</strong><br />

Bildung in der allgemeinbildenden Schule<br />

Vorstu<strong>die</strong><br />

Frankfurt am Main 2005<br />

ISBN 3-9809008-3-5<br />

Preis: 15,00 €<br />

Band 6<br />

Frank-Olaf Radtke/Maren Hullen/Kerstin Rathgeb<br />

Lokales Bildungs- <strong>und</strong> Integrationsmanagement<br />

Bericht der wissenschaftlichen Begleitforschung im Rahmen<br />

der Hessischen Gemeinschaftsinitiative Soziale Stadt<br />

(HEGISS)<br />

Frankfurt am Main 2005<br />

ISBN 3-9809008-4-3<br />

Preis: 15,00 €<br />

207


Frankfurter Beiträge zur Erziehungswissenschaft<br />

Fachbereich Erziehungswissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität<br />

Reihe Monographien:<br />

208<br />

Band 1<br />

Matthias Proske<br />

Pädagogik <strong>und</strong> Dritte Welt - Eine Fallstu<strong>die</strong> zur Pädagogisierung<br />

sozialer Probleme<br />

Frankfurt am Main 2001<br />

ISBN 3-9806569-5-0<br />

Preis: 18,00 €<br />

Band 2<br />

Thomas Höhne<br />

Schulbuchwissen - Umrisse einer Wissens- <strong>und</strong> Me<strong>die</strong>ntheorie<br />

des Schulbuchs<br />

Frankfurt am Main 2003<br />

ISBN 3-9806569-7-7<br />

Preis: 16,00 €<br />

Band 3<br />

Thomas Höhne, Thomas Kunz, Frank-Olaf Radtke<br />

Bilder von Fremden - Was unsere Kinder aus Schulbüchern<br />

über Migranten lernen sollen<br />

Frankfurt am Main 2005<br />

ISBN 3-98009008-6-X<br />

Preis: 68,00 €


Frankfurter Beiträge zur Erziehungswissenschaft<br />

Fachbereich Erziehungswissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität<br />

Band 4<br />

Wolfgang Meseth<br />

Aus der Geschichte lernen - Über <strong>die</strong> Rolle der Erziehung<br />

in der b<strong>und</strong>esdeutschen Erinnerungskultur<br />

Frankfurt am Main 2005<br />

ISBN 3-9809008-5-1<br />

Preis: 29,80 €<br />

Band 5<br />

Elke Wehrs<br />

Verstehen an der Grenze - Erinnerungsverlust <strong>und</strong><br />

Selbsterhaltung von Menschen mit dementiellen Veränderungen<br />

Frankfurt am Main 2006<br />

ISBN 978-3-9809008-8-1<br />

Preis: 34,90 €<br />

Band 6<br />

Matthias Herrle<br />

Selektive Kontextvariation - Die Rekonstruktion von<br />

Interaktionen in Kursen der Erwachsenenbildung auf der<br />

Basis audiovisueller Daten<br />

Frankfurt am Main 2007<br />

ISBN 978-3-9810879-2-5<br />

Preis: 24,80 €<br />

209


DIN A4, geb<strong>und</strong>en, 1044 Seiten, davon 836 Seiten<br />

Dokumente, 95 Euro<br />

DIN A4, geb<strong>und</strong>en, 665 Seiten, davon 540 Seiten<br />

Dokumente, 80 Euro<br />

DIN A4, geb<strong>und</strong>en, 596 Seiten, davon 456 Seiten<br />

Dokumente, 75 Euro<br />

DIN A4, geb<strong>und</strong>en, 698 Seiten, davon 588 Seiten<br />

Dokumente, 80 Euro<br />

Die Dokumentationen – ausschließlich für Bibliotheken – erscheinen mit Unterstützung des Fritz-Bauer-Instituts.<br />

Aller vier Bände zusammen kosten 300 Euro. Bestellungen über: Dr. Benjamin Ortmeyer, J. W. Goethe-<br />

Universität, Fachbereich Erziehungswissenschaften, Senckenberganlage 15, Brieffach 114, 60054 Frankfurt am<br />

Main, Tel.: (069) 798-22091, Fax: (069) 798-23356, E-Mail: BOrtmeyer@t-online.de.


Zum Projekt ad fontes: Dokumentation <strong>und</strong> Einschätzung der pro-nationalsozialistischen<br />

publizistischen Tätigkeit führender Köpfe der Geistes- <strong>und</strong> Erziehungswissenschaft<br />

Ein gr<strong>und</strong>legendes Problem der Debatte der letzten ca. 20 Jahre über <strong>die</strong> Einordnung <strong>und</strong> Bewertung<br />

der wissenschaftlichen Tätigkeit führender Köpfe der geistes- <strong>und</strong> erziehungswissenschaftlichen<br />

Bereiche in der <strong>Zeit</strong> des Nationalsozialismus ist das Fehlen allgemein zugänglicher Dokumente ihrer<br />

Tätigkeit aus der <strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong>.<br />

Daher werden in einem ersten Schritt möglichst vollständig <strong>die</strong> Publikationen jener vor allem umstrittenen<br />

führenden Köpfe der Geistes- <strong>und</strong> Erziehungswissenschaft (mit jeweils einer kritischen Einschätzung)<br />

vorgelegt werden, <strong>die</strong> personell eine gewisse Kontinuität zwischen der Weimarer Republik, der<br />

<strong>NS</strong>-<strong>Zeit</strong> <strong>und</strong> der BRD repräsentieren.<br />

So konzentriert sich das Projekt zunächst auf<br />

Eduard Spranger<br />

<strong>Herman</strong> <strong>Nohl</strong><br />

Erich Weniger<br />

Peter Petersen<br />

Trotz unterschiedlicher theoretischer Ansätze haben <strong>die</strong> genannten Personen alle zunächst in der<br />

Weimarer Republik ihre Gr<strong>und</strong>konzeptionen entworfen. Alle haben – auch ohne <strong>NS</strong>DAP-<br />

Mitgliedschaft – vor allem auf der Basis eines deutschen Nationalismus <strong>und</strong> Militarismus trotz <strong>die</strong>ser<br />

oder jener Einwendungen das <strong>NS</strong>-Regime begeistert begrüßt <strong>und</strong> jeweils ihre Konzeptionen in den<br />

Dienst des <strong>NS</strong>-Regimes gestellt.<br />

Dabei wird <strong>die</strong> Dokumentation ihrer Publikationen – je nach Person mit unterschiedlichen Schwerpunkten<br />

– den jeweiligen Stellenwert des deutschen Nationalismus, des Antisemitismus, des Rassismus,<br />

des Militarismus <strong>und</strong> des Antidemokratismus im jeweiligen inneren Zusammenhang darstellen <strong>und</strong> mit<br />

den (un)selbstkritischen Erklärungsversuchen der <strong>Zeit</strong>spanne nach 1945 konfrontieren.<br />

Im Ergebnis soll <strong>die</strong> aus einer Reihe von Gründen ins Abseits gedrängte Debatte über <strong>die</strong> Einschätzung<br />

von Kontinuität <strong>und</strong> Diskontinuität durch eine breite Basis von Materialien produktiv erneuert <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />

inneren Zusammenhänge zwischen Werksanalyse, Wirkungsgeschichte <strong>und</strong> Biographie <strong>die</strong>ser<br />

genannten Personen, <strong>die</strong> heute noch höchste Wertschätzung als „Säulenheilige“ genießen, herausgearbeitet<br />

werden.<br />

_______________________________________________<br />

Dieses Projekt wird unterstützt von:<br />

FB 04: Erziehungswissenschaften<br />

Landesverband Hessen<br />

Bezirksverband Frankfurt am Main

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