Chronische Schmerzen, verständnislose Ärzte und lang keine Diagnose – Was ist Fibromyalgie?
17.07.2023
Regelmäßig stellen sich auf der Gartenschau die Selbsthilfegruppen aus dem Zollernalbkreis vor. So auch am vergangenen Mittwoch. Um 11 Uhr fanden sich die Teilnehmer der Selbsthilfegruppe für Fibromyalgie auf der Plazabühne ein, um über die eher unbekannte Krankheit aufzuklären.
Der Begriff Fibromyalgie setzt sich zusammen aus den Worten Fibro (Latein: Faser), Myo (Altgriechisch: Muskel/den Muskel betreffend) und Algos (Altgriechisch: Schmerz). Bedeutet also so viel wie Muskelfaserschmerz.
„Überall wo man Muskeln im Körper hat, kann es weh tun“
Die Teilnehmer der Selbsthilfegruppe erklären im Gespräch mit dem ZOLLERN-ALB-KURIER, dass Betroffene nahezu immer Schmerzen empfinden. Sei das am ganzen Körper oder in einzelnen Körperregionen.
Die Leiterin der Gruppe in Balingen, Barbara Nerz, sagt; „Überall wo man Muskeln im Körper hat, kann es weh tun.“ Die Intensität könne dabei von vielen Faktoren wie zum Beispiel dem Wetter beeinflusst werden. Außerdem könne der Schmerz auch wandern.
Ursachen sind vielfältig
Fibromyalgie – von den Betroffenen auch flapsig „Fibro“ genannt – ist chronisch, also nicht heilbar, und bis heute ist nicht geklärt, was der Auslöser für die Krankheit ist. Es werde allerdings vermutet, dass einschneidende Erlebnisse „wie ein Unfall, Missbrauch oder Vergewaltigung“ der Auslöser sein könnten, so Barbara Nerz. Außerdem sollen Stress und Rauchen Risikofaktoren darstellen.
Verändertes Schmerzempfinden
Die „Fibro“-Patienten beschreiben die Symptome als verändertes Schmerzempfinden mit einer stark herabgesetzten Schmerzschwelle. Edelgard Burkhardt ist die Gruppenleiterin der Fibromyalgie-Selbsthilfegruppe in Waiblingen. Sie führt als Beispiel an, die Armhaare ihres Ehemanns als „stachelig“ empfunden zu haben. Man nehme Sinneseindrücke also sehr verändert, beziehungsweise schnell als schmerzhaft war.
Der Weg zur Diagnose kann sehr lang sein
Bis sie eine Fibromyalgie-Diagnose bekommen, müssen Betroffene manchmal Jahre warten. „Man rennt von Arzt zu Arzt und niemand kann einem helfen“, schildert es einer der Gesprächsteilnehmer. Das liege daran, dass „Fibro“ eine wenig-beachtete Krankheit in der ärztlichen Ausbildung sei. Zudem sei die Krankheit nicht medizinisch nachweisbar, weswegen manche Ärzte Psychosomatik vermuten, was die Betroffenen verärgere, da ihre Leiden als „Hirngespinst“ abgetan werden.
Ein neuerer Erklärversuch
Gemäß neueren Studien haben 50 Prozent der Betroffenen geschädigte feine Nervenfasern, eine sogenannte Small-Fiber-Neuropathie. Ob diese aber Ursache oder Folge der Fibromyalgie sind, ist strittig.
Keine Ausschlussdiagnose mehr
Eine lange Zeit war Fibromyalgie eine reine Ausschlussdiagnose, was bedeutet, dass ein Rheumatologe die Krankheit feststellt, indem er Tests durchführt und alle möglichen und nachweisbaren Krankheiten ausschließt. Mittlerweile wird für die Feststellung einer Fibromyalgie der „Widespread Pain Index“ (WPI) und die „Symptom-Schwere-Skala“ (SSS) herangezogen. Das sind Diagnose-Fragebögen. Kurzgesagt müssen die Symptome seit mehr als drei Monaten auftreten und in den Fragebögen eine bestimmte Anzahl an Punkten erreicht werden.
Zusammenhalt und Verständnis
Die Selbsthilfegruppe helfe den Betroffenen sehr, sich verstanden zu fühlen und Rückhalt innerhalb der Gruppe zu finden. Eine der Gruppenteilnehmerinnen erzählt, sie fühle sich, als würde sie Menschen in ihrem Umfeld zur Last fallen. „Manche lassen es einen leider spüren.“
Um sich über solche Vorfälle, aber auch Therapiemöglichkeiten, Medikamente, Sorgen und Ängste auszutauschen, sei die Selbsthilfegruppe geschaffen worden. Die Teilnehmer machen regelmäßig Ausflüge, zuletzt zum Beispiel in den Heilstollen nach Bad Kreuznach.
Viele verschiedene Behandlungsmöglichkeiten
Der Austausch über verschiedene Therapieformen sei sehr hilfreich, da jede Person anders auf bestimmte Behandlungsmethoden reagiere. Am sinnvollsten sei jedoch die sogenannte multimodale Therapie. Also eine Behandlung der Schmerzen, die mehrere Therapiemethoden kombiniert. Sie kann zum Beispiel eine psychologische Therapie, körperliche Aktivitäten und Trainings, Gymnastik, eine medikamentöse Therapie sowie ergänzende Behandlungen, auch solche der Erfahrungsmedizin umfassen. Manche der Betroffenen hätten bereits gute Erfahrungen mit alternativer Medizin, Akkupunktur, anthroposophischer Heilkunde sowie Cannabis auf Rezept gemacht. Eine physikalische Behandlung wie Chiropraktik oder Kältekammern seien nicht hilfreich zur Behandlung der Krankheit.
„Die Gruppe ist für alle offen“
Barbara Nerz erklärt, die Balinger Selbsthilfegruppe sei für alle offen, ob mit oder ohne Diagnose, und verlange keine Mitgliedsbeiträge. Sie agieren nach dem Prinzip „Hilfe zu Selbsthilfe“. Die Teilnehmer wollen zum einen, dass Ärzte sich mehr mit dem Fibromyalgie-Krankheitsbild auseinandersetzen und, dass Menschen mit einer entsprechenden Diagnose oder Symptomen sich trauen, zur Selbsthilfegruppe zu kommen.