Balingen/Zollernalbkreis

Extremer Fall von Tierquälerei vor dem Balinger Amtsgericht – Fachleute urteilen widersprüchlich

13.10.2023

von Rita Ott

Extremer Fall von Tierquälerei vor dem Balinger Amtsgericht – Fachleute urteilen widersprüchlich

© Jasmin Alber

Die öffentliche Verhandlung am Amtsgericht Balingen wird fortgesetzt am Donnerstag, 2. November, ab 9 Uhr.

„Quälerische Tiermisshandlung in 41 tateinheitlichen Fällen“ lautet die Anklage gegen einen 70-jährigen Mann aus einer Kreisgemeinde. Am Donnerstag hat vor dem Amtsgericht Balingen die öffentliche Hauptverhandlung begonnen. Von den sieben Zeugen sagten vier aus, bevor Richterin Goßger am späten Nachmittag die Sitzung abbrach. Die Verhandlung wird in drei Wochen fortgesetzt.

Der Angeklagte, der sich nun vor Gericht verantworten muss, soll ohne Genehmigung gewerbsmäßig Hunde zum Verkauf gezüchtet haben. Zudem habe er gegen das Tierschutzgesetz verstoßen, so die Richterin. Deshalb fand am 10. November 2021 eine richterlich angeordnete Durchsuchung seines Privathauses statt.

Was die daran Beteiligten vorfanden, empfanden sie als schlimm. 33 Hunde und acht Katzen waren in einem Raum im schallisolierten Dachgeschoss zusammengepfercht, größtenteils in erbärmlichem Zustand, einige von ihnen so krank, dass sie operiert werden mussten.

Dazu herrschte ein „unerträglicher Gestank“ und ein „ohrenbetäubender Lärm“, so ein Zeuge. Überall auf dem Boden Kot und Urin, im Fell einiger Hunde klebten getrocknete Kotklumpen.

Hinweise auf Vernachlässigung

Detailliert schilderte die Vertreterin der Staatsanwaltschaft den Zustand jedes einzelnen Tieres: Pudel, Yorkshire Terrier, Malteser, Chihuahuas, erwachsene Hunde und Welpen, gehalten in Buchten.

Keines von ihnen war ohne einen Befund, der zumindest auf Vernachlässigung und mangelnde Pflege hindeutete. Verstört, abgemagert, verhaltensgestört, vernachlässigt, verängstigt - einer habe sich zusammengekauert zu einem kleinen zitternden Ball, andere unternahmen Fluchtversuche.

Verschiedene tiermedizinisch relevante Befunde

Dann der gesundheitliche Zustand: Ausfluss aus den Augen, noch vorhandene Milchzähne bei erwachsenen Tieren, Zahnfleisch- und Bindehautentzündungen, zu lange Krallen und dadurch Fehlstellungen der Gelenke, Abszesse.

Dann die Katzen, nur durch ein Gitter abgetrennt von den Hunden in einem 14,6 Quadratmeter kleinen Käfig, ein Kater in einer Extra-Voliere. Auch sie vernachlässigt, verdreckt, verhaltensgestört, mit Augenkrankheiten - eine der Katzen musste notoperiert werden.

Verhalten des Angeklagten erfülle Tatbestand der Tiermisshandlung

Der Angeklagte habe sich „bewusst für diese Art der Tierhaltung entschieden, um möglichst viel Geld zu verdienen“, so die Vertreterin der Staatanwaltschaft. Er habe 41 Tieren Schmerzen zugefügt, was den Tatbestand der Tiermisshandlung erfülle.

Sachverständige beschreibt schreckliche Zustände

Die Leiden der Tiere wurden zu einem späteren Zeitpunkt des Verhandlungstages von zwei Zeugen, die bei der Durchsuchung dabei waren, bestätigt. Vor allem die Sachverständige vom Veterinäramt des Landkreises vermittelte ein Bild von den schrecklichen Zuständen dort oben im Dachgeschoss.

Für den Anwalt des Angeklagten war die Durchsuchung des Privathauses „rechtswidrig“. Sein Mandant habe dem Landratsamt stets die geforderten Unterlagen zukommen lassen und „eine Vielzahl von Kontrollen“ über sich ergehen lassen, die „ohne Beanstandungen beziehungsweise rechtliche Folgen“ geblieben seien. Seit einer Kontrolle im Juli 2020 habe es keine mehr gegeben – „weil die Behörden das nicht versucht haben“.

Alle bei der Durchsuchung gefundenen Beweise seien unverwertbar. Auch, dass die Tiere seinem Mandanten weggenommen wurden, – am 24. August war die „Notveräußerung“ der Tiere richterlich bestätigt worden – monierte der Anwalt.

Anwalt sieht andere Gründe im Verhalten der Tiere

Das Gericht gehe „ungerechtfertigt“ davon aus, dass alle Tiere krank und verhaltensgestört gewesen seien. Dabei könne deren auffälliges Verhalten eine Reaktion auf die fremden Menschen gewesen sein. Seinem Mandanten sei Geld verloren gegangen.

Das Ganze hat eine jahrelange Vorgeschichte, inzwischen füllen die Verfahren, Vorwürfe, Anzeigen und Hinweise von Bürgern mehrere dicke Aktenordner. Schon mehrmals gab es Kontrollen aufgrund von Anzeigen, die beim Veterinäramt und bei der Polizei eingingen.

Verkauf über „Ebay Kleinanzeigen“

So seien etwa Hunde verkauft worden, die übel gerochen und nicht den Bildern in den Inseraten entsprochen hätten. Der Angeklagte hatte, so die Recherchen des Veterinäramts, Tiere verschiedener Rassen zum Beispiel auf „Ebay Kleinanzeigen“ angeboten.

Was er laut einer Anordnung des Verwaltungsgerichts Sigmaringen nicht hätte tun dürfen. Nach einem Verfahren – beim Angeklagten waren 2011 bei einer Kontrolle Hunde und Katzen in Hasenkäfigen vorgefunden worden – wurde 2013 ein Vergleich geschlossen.

„Gewerbsmäßige Zucht“ wurde untersagt

Demnach darf der Angeklagte selbst zwei Hündinnen zur Zucht und seine damalige Frau zwei weitere halten, mit deren Nachwuchs zusammen höchstens 14 Hunde. Eine „gewerbsmäßige Zucht“ war ihm untersagt worden, erlaubt waren ihm zudem nur zwei Rassen.

Unangekündigte Kontrollen unmöglich

Seither gab es immer wieder Kontrollen – unangekündigt seien diese aber nicht möglich gewesen, erklärte die Amtsärztin. Der Angeklagte habe an seinem Haus keine Klingel, auf Klopfen und Rufen nicht oder spät reagiert, erst nach Anrufen auf dem Handy aufgemacht und die Kontrolleure lange warten lassen. Bei den Kontrollen sei dann alles soweit in Ordnung gewesen, auch die Anzahl der Hunde habe gepasst.

Doch als sich dann die Hinweise und Anzeigen bei der Polizei und dem Landratsamt häuften und eigene Recherchen den gewerbsmäßigen Handel, auch mit ihm nicht „erlaubten“ Rassen bestätigt hätten, sei das Veterinäramt zu dem Schluss gekommen, dass der Angeklagte ihnen bei den Kontrollen Tiere vorenthalten habe.

Durchsuchungsbeschluss richterlich bewilligt

Deshalb wandte es sich an den Kreis-Justitiar. Es wurde ein Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet, ein Durchsuchungsbeschluss beantragt und richterlich bewilligt.

Auch am Tag der Hausdurchsuchung ließ der Angeklagte die zwei Amtsärztinnen, drei Polizisten, den Kreis-Justitiar und eine unabhängige Zeugin von der Balinger Stadtverwaltung lange warten.

Angeklagter ließ sich Zeit...

„Um 9 Uhr standen wir vor der Tür, haben gerufen und geklopft, verschiedene Handynummern angerufen“ – erst nach der Androhung, man werde einen Schlüsseldienst holen und die Tür aufbrechen lassen, habe der Mann geöffnet, erzählten die Zeugen.

Gestank und Lärm

Während die Veterinärärztinnen „zügig durchs Haus liefen“, machten sich die Polizisten in den unteren Räumen und im Büro ans Werk. Trotz FFP-2-Maske seien der beißende Gestank nach Urin und Kot und der Lärm in dem Raum im Dachgeschoss unerträglich gewesen. Er habe den Raum so schnell wie möglich wieder verlassen, erinnert sich der Kreis-Justitiar.

Die Tierärztinnen gingen drei Stunden lang von Bucht zu Bucht, untersuchten jeden einzelnen Hund. Während der ganzen Zeit hätten sich die Tiere nicht beruhigt, und das sei ungewöhnlich, erklärte die als Zeugin geladene Amtsärztin.

„Tierschutzrechtlich relevante“ Befunde

Sie hat in ihrem Gutachten die Leiden der Tiere dokumentiert, vor allem Entzündungen im Mundraum, Hornhautverletzungen und Entzündungen der Augen bei vielen Hunden und Katzen als „tierschutzrechtlich relevant“ eingestuft und eine „erhebliche Vernachlässigung“ festgestellt.

Zur Verhandlung brachte sie weitere Bilder mit, die die Einwände des Anwalts des 70-Jährigen widerlegen sollten, die Kontrolleure hätten die „Unordnung“ selbst angerichtet, um seinen Mandanten zu belasten.

Verunreinigungen könnten nicht aus einer Nacht stammen

„Wir haben nichts manipuliert“, betonte die Ärztin. Auch schloss sie aus, dass die Verunreinigungen in den Buchten, auf dem Boden und im Fell der Tiere von einer Nacht herrühren könnten.

Dies hatte zuvor der Tierarzt eines Tierheims angemerkt, in das die Tiere nach der von der Staatsanwaltschaft angeordneten Beschlagnahmung gebracht wurden. Er hat die Tiere untersucht und sagte als Zeuge aus.

Tierarzt des Kreistierheims sieht weniger gravierende Fälle

Während die Amtsärztin zahlreiche Verstöße gegen das Tierschutzgesetz erkannte, sah dieser Tierarzt weniger gravierende Fälle. Zwar habe er bei einigen Tieren „durchaus tierschutzrelevante Dinge“ gefunden.

In Einzelfällen „war der Ernährungszustand nicht optimal“, erklärte er. Die Haltung in den Boxen nannte er weniger schlimm als im Tierheim, auch die Verschmutzung sei der im Tierheim „nach einer Nacht“ ähnlich.

Art der Haltung sei für Züchter nicht ungewöhnlich

Die Hunde ließen ihren Kot und Urin eben einfach ab. Für einen Züchter sei diese Art der Haltung nicht ungewöhnlich. Und: „Bei so vielen Tieren hat man eben nicht jedes von ihnen genau im Blick.“

Tierarzt müsse „objektiv bleiben“

Der „mangelhafte Pflegezustand“, die Haltung und dass bei einigen älteren Hunden „die Milchzähne noch drin sind“, erachte er aber nicht als tierquälerisch, da müsse er „objektiv bleiben“, sagte er mit Blick zur Anklagebank.

Durchaus relevante Befunde

Relevant seien jedoch hochgradige Entzündungen, die auch er festgestellt hat. Einige Gebissoperationen hat er selbst durchgeführt, andere Tiere wurden in der Tierklinik operiert.

Ein Gesäugetumor, ein früher operativ entfernter Schließmuskel (darüber müsse der Züchter mehr wissen), Abszesse im Mundraum, Augenentzündungen, ein Nabelbruch, zu lange Krallen – vieles könne „mit geringem Aufwand in Ordnung gebracht werden“.

„Rassebedingte Probleme“

Dem Hund mit dem fehlenden Schließmuskel gehe es nach der Operation besser, merkte er an. Manche Symptome seien „rassebedingte Probleme“. Und: „Wo es enger ist, riecht’s halt“, meinte er zum Gestank. Ob die Hunde – ihr Geruchssinn ist viel ausgeprägter als beim Menschen – unter dem Geruch gelitten haben, könne er nicht beurteilen.

Der Zustand, die „erheblichen Leiden“ und die Vernachlässigung der Tiere, belegt durch Fotos, stellte sich im Gutachten der Veterinärärztin, die bei der Erstuntersuchung vor Ort war, weitaus schlimmer dar.

Anwalt sie Amtstierärztin als nicht objektiv an

Doch dieses Gutachten stellte der Anwalt des 70-jähigen Hundezüchters, der seinen Mandanten seit einigen Jahren „betreut“, in Frage. „Die Amtsärztin wird als Gutachterin abgelehnt“, sie sei nicht objektiv.

Es bestünden „erhebliche Zweifel“ daran, dass die Tiere „tatsächlich litten“. Es könne nicht festgestellt werden, dass „die Zustände zu Schmerzen führten“. Die Ausführungen im amtsärztlichen Gutachten seien „nicht verifiziert“ und erlaubten „keine objektive Einschätzung“, so der Anwalt.

Neues Gutachten angefordert

Er beantragte ein neues Gutachten durch einen Professor der Universität München – zwei Jahre nach der Durchsuchung. Die Hunde und Katzen wurden inzwischen operiert und behandelt, sind in Pflegestationen und bei Menschen, die sich um sie kümmern.

Die Staatsanwaltschaft „sieht keine Notwendigkeit eines neuen Gutachtens“ und keinen Anlass, „den Sachverstand und die Einschätzung der Gutachterin in Frage zu stellen“, betonte deren Vertreterin.

Verhandlung abgebrochen

Die Richterin brach danach die Verhandlung ab, entließ die drei weiteren Zeugen und legte einen Termin für die Fortsetzung fest. Die öffentliche Verhandlung am Amtsgericht Balingen wird am Donnerstag, 2. November, ab 9 Uhr fortgesetzt.

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