Es war im Winter 1987, als ich Joseph Ratzinger zum ersten Mal begegnete. Ein älterer Kollege hatte mir, dem damals 24-jährigen Auslandskorrespondenten in Rom, den Tipp gegeben, dass es ganz einfach sei, mit Ratzinger ins Gespräch zu kommen. Dieser überquerte täglich pünktlich um 13:30 Uhr den Petersplatz auf dem Weg von der Glaubenskongregation zu seiner Wohnung. Außerdem lese er einmal in der Woche die Frühmesse in der Kirche am deutschen Friedhof.

Dort in der Kirche am Campo Santo sah ich ihn dann, den so zierlich wirkenden Deutschen mit den schlohweißen Haaren, Präfekt der Glaubenskongregation. Er war vollkommen anders, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Ich kannte die italienischen Berichte, in denen er "Panzerkardinal" genannt wurde. Und ich kannte die Berichte in den aufgeklärten deutschen Kirchenzeitungen, in denen es immer wieder darum ging, dass Joseph Ratzinger die Theologie der Befreiung in Lateinamerika bekämpfe. Während dieses ersten Gottesdienstes wurde mir klar, wie wenig ich in Wirklichkeit über diesen Mann wusste, den so viele als Buhmann zu kennen schienen.