Die rechtsextreme Partei Die Heimat – die frühere NPD – ist eigentlich schon viel zu spät dran, als sie Ende Juli über Telegram aufruft: "Für unsere Heimat als Schöffe einstehen!" Wer sich daraufhin als Schöffe bei Gericht bewerben will, hat vielerorts Pech. Die meisten Bewerbungsfristen sind längst verstrichen.

Doch es gibt viele solcher Aufrufe, auch ältere, zur rechten Zeit. Vom AfD-Bundestagsabgeordneten Mike Moncsek etwa, oder von den Querdenkern Markus Haintz und Christian Dahlmann, denen auf Telegram Zigtausende Menschen folgen. In einer Gruppe mit über 150.000 Abonnenten haben die rechtsextremen Freien Sachsen Anfang des Jahres appelliert, bei der alle fünf Jahre stattfindenden Schöffenwahl mitzumachen: um "den grünen Richter zu überstimmen, der bei Neubürgern wieder einmal kulturellen Strafrabatt geben will".

Zumindest theoretisch können sie das. Schöffen sind Menschen ohne juristische Vorbildung, die bei Prozessen an Gerichten unterer Instanz eingesetzt werden. Dabei haben sie die gleiche Stimme wie Berufsrichter. In der Konstellation des sogenannten Schöffengerichts, bei der zwei Schöffen mit einem Berufsrichter urteilen, können sie ihn überstimmen.

"Der Rechtsstaat lebt von der Gleichberechtigung. Wenn Sie aber eine Ideologie der Ungleichwertigkeit haben, wird es dazu kommen, dass Sie das Grundprinzip der Gleichheit nicht aufrechterhalten können", sagt Rechtsextremismusforscher Dierk Borstel. "Dann werden Menschen unterschiedlich bestraft für die gleiche Tat im gleichen Kontext, weil sie zum Beispiel Migranten oder Jüdinnen oder schwul sind."

Der Einfluss ist beschränkt

Am Amtsgericht, wo viele Schöffen zum Einsatz kommen, gibt es einen ziemlich großen Entscheidungsspielraum. Da kann es um die Länge der Freiheitsstrafe gehen, aber auch um die Frage, ob es überhaupt Gefängnis sein muss oder doch nur eine Geldstrafe.

Trotz der zahlreichen Aufrufe sagt Joachim Wagner, Jurist und Experte für rechte Richter und Schöffen: "Indizien für eine Unterwanderung gibt es nicht." Das liegt zum einen daran, dass nicht jeder, der dem Aufruf folgt und sich bewirbt, auch tatsächlich Schöffe wird. Manche fallen dadurch raus, dass sie eine Strafakte haben. Andere werden im Wahlprozess herausgefiltert, weil sie als Rechtsextreme bekannt sind oder es schlicht zu viel andere Bewerber gibt.

Vor allem aber können Rechtsextreme, wenn sie tatsächlich Schöffen werden, weniger bewirken, als es auf den ersten Blick scheint. Sie haben zwar die gleiche Stimme wie Berufsrichter, urteilen aber niemals allein. Um tatsächlich ein ideologisch motiviertes, ungerechtes Urteil durchzusetzen, müssten mindestens zwei Rechtsextreme in einem Prozess zusammenkommen. "Diese Situation habe ich bisher in der Bundesrepublik noch nicht gesehen", sagt der Jurist Hasso Lieber, der sich seit vielen Jahren mit Schöffen beschäftigt.

Da alle Schöffen zu Beginn eines Jahres auf die Termine ausgelost werden, können sich nicht zwei Rechtsextreme zusammentun. Auch können sie nicht beeinflussen, bewusst in politisch interessanten Verhandlungen mitzumachen.

Hauptziel: Empörung hervorrufen

Das dürfte auch vielen derer bewusst sein, die aufgerufen haben. Die Querdenker Haintz und Dahlmann sind Juristen. Heimat-Vizechef Sebastian Schmidtke hat sich auf YouTube ausführlich mit einer Anwältin über das Thema unterhalten. Und schließlich kam der Aufruf für viele Interessenten zu spät. Warum also dennoch die Appelle zur Bewerbung? Eine mögliche Antwort darauf ist: weil es ihnen gar nicht um eine Beeinflussung der Justiz geht.

Die Aufrufe sind kein neues Thema. Auch bei der vergangenen Wahl vor fünf Jahren hatte unter anderem die NPD aufgerufen – woraufhin nach Beobachtungen des NRW-Verfassungsschutzes niemand aus den Reihen der Partei Schöffe geworden ist. Abgesehen von den Aufrufen habe es auch keine Aktionen gegeben, das zu bezwecken, sagt ein Sprecher auf Anfrage. Der NRW-Verfassungsschutz folgerte deshalb schon im Jahresbericht für 2018, die NPD spekuliere mit den Aufrufen "auf öffentliche Empörung und damit öffentliche Wahrnehmung".

Diese öffentliche Wahrnehmung haben die diversen Akteure von verschiedensten Medien erhalten. Dabei geht nicht nur der Wunsch der Rechtsextremen nach Aufmerksamkeit in Erfüllung, sondern es droht auch eine andere Gefahr in den Hintergrund zu geraten: die durch rechte Berufsrichter. "Natürlich", schreibt Joachim Wagner auf Nachfrage, gehe von rechtsextremen Richtern eine größere Gefahr aus als von Schöffen. Auch Hasso Lieber und Andreas Höhne, der Präsident des deutschen Schöffenverbands, haben daran keine Zweifel.

Das liegt vor allem daran, dass die meisten Verhandlungen am Amtsgericht von Einzelrichtern durchgeführt werden. Sie haben keine Gegenstimmen, müssen sich nicht absprechen. Dadurch werden rechtsextreme Einstellungen nach Ansicht der Beobachter seltener entdeckt. Außerdem haben Richter in Zusammenarbeit mit Schöffen höhere Chancen, sich durchzusetzen, denn viele sprechen ihnen mehr Fachwissen zu.

Matthias Fahrner, Richter und Beobachter der rechtsextremen Einflüsse, sagt: "Rechte Richter sind noch ein Randproblem – aber ein zunehmendes." Auch Wagner, der in seinem Buch Rechte Richter zahlreiche Fälle untersucht hat, spricht noch von einem Randproblem.

Doch niemand weiß, wie viele rechte Richter oder Schöffen es tatsächlich gibt. Wenn sie im Richterzimmer das Urteil diskutieren, schützt sie das Beratungsgeheimnis. Nach außen, sagt Fahrner, fänden sich meistens plausible Gründe für eine Entscheidung. Und was wirklich hinter einem Urteil steckt, lässt sich so kaum herausfinden.