So funktioniert Cum-Ex

© ZEIT-Grafik: Jelka Lerche

Nach Ansicht von Pawelczyk ist die Lage so ernst, dass es noch gewichtigere Fürsprecher braucht. Im Tagebuch schreibt Olearius unter dem 3. August 2016: "P(awelczyk) will, dass S(cholz) die Sache in die Hand nimmt." Mit Unterlagen ausgestattet besucht der Sozialdemokrat seinen Parteifreund und Bürgermeister. Einen Tag später notiert Olearius: "Am Donnerstag, den 4. August, berichtet H. Pawelczyk vom Gespräch mit H. Scholz. Der geht der Sache nach. Man hat gerühmt, dass die Bank für die Stadt vieles getan habe und wir ihr Beistand gegeben haben. Die Eilbedürftigkeit ist bekannt, es kann sich die Notwendigkeit ergeben, Sch(olz) im Urlaub aufzusuchen." Olaf Scholz antwortet auf Nachfrage, der Termin am 4. August 2016 sei in seinem Kalender vermerkt, er habe aber keine konkrete Erinnerung an das Gespräch.

Es bleibt unklar, wie genau die Begegnung zwischen Pawelczyk und Scholz verlief. Aber offenbar hat Olearius den Eindruck gewonnen, dass die Grenzen in der Angelegenheit so aufgeweicht sind, dass man den Bürgermeister sogar in dessen Urlaub besuchen kann. Nachdem Pawelczyk die Tür geöffnet hat, steht als nächster Schritt ein persönliches Treffen zwischen Olearius und Scholz an.

In der Zwischenzeit gehen bei Warburg ausnahmsweise einmal gute Nachrichten ein: Ende August 2016 notiert Olearius, die Finanzbeamtin Svenja Pannhusen habe der Bank telefonisch mitgeteilt, sie habe entschieden, die Steuerbescheide nicht zurückzunehmen. Das heißt: Warburg muss die 47 Millionen Steuern aus 2016 nicht zurückzahlen und wahrscheinlich auch nicht die 43 Millionen aus 2017.

Das erste Treffen 2016

Am 7. September 2016 kommt es schließlich zum Gipfeltreffen. Christian Olearius und Max Warburg besuchen um 18.45 Uhr für anderthalb Stunden Bürgermeister Scholz, so geht es aus Olearius' Aufzeichnungen hervor. "Er lässt mich spüren, dass er frühere Treffen mit mir in Erinnerung behalten hat, hört aufmerksam unserer Schilderung zu und stellt kluge Fragen", hält Olearius fest. Neben den rechtlichen Aspekten rund um die Cum-Ex-Ermittlungen habe er den Bürgermeister auch auf die miserable wirtschaftliche Lage der Bank hingewiesen. "Wir bekommen nichts versprochen, erwarten, fordern das auch nicht. Jederzeit könnte ich mich melden, er erwarte das auch in dieser Angelegenheit." Einen Tag später wird Olearius dem Warburg-Aufsichtsrat von dem Treffen berichten, in dem Sitzungsprotokoll zu entnehmen.

In seinem Kalender sei für den 7. September 2016 ein solches Treffen vermerkt, bestätigt Olaf Scholz. Eine präzise Erinnerung an diese Begegnung und den konkreten Gesprächsverlauf habe er aber nicht mehr.

Folgt man Olearius' Schilderungen, dann hat er von Olaf Scholz bei diesem ersten Treffen keinerlei Versprechen erhalten. Aber er hat seine Sicht der Dinge jetzt ganz oben, beim Bürgermeister, und im zuständigen Finanzamt platziert. Mehr kann man nicht verlangen. Oder doch?

Ein Politikum

Dass Olearius' Strategie des direkten Zugangs zu Politikern notwendig ist, zeigt eine Nachricht von Svenja Pannhusen, der zuständigen Finanzbeamtin. Ende September 2016 teilt sie laut Olearius' Tagebuch mit, sie habe das Papier mit ihrer Bewertung abgeschlossen. Fazit: Warburg habe lediglich fahrlässig gehandelt, sie sehe keinen Anlass, die Steuerbescheide zu widerrufen, so fasst es jedenfalls Olearius zusammen. "Da jetzt das Papier den Hierarchieweg überstehen müsste, empfiehlt sie, politischen Beistand einzuholen. Ich telefoniere mit H. Pawelczyk, der Scholz unterrichtet."

Wenige Tage später haben Verantwortliche der Bank wieder Kontakt zu Pannhusen. Olearius schreibt am 7. Oktober ins Tagebuch, die Finanzbeamtin habe mit ihren Vorgesetzten gesprochen; zudem habe sich die Staatsanwaltschaft gemeldet. Die Steuern müssten nun doch zurückgefordert werden. "Die Politik müsse entscheiden. Sie bedaure."

Spätestens jetzt ist der Fall tatsächlich ein Politikum geworden.