Kürzlich berichtete die New York Times über eine altbekannte deutsche Sorge. Die Klimakrise führe derzeit zu einer Rückkehr des Waldsterbens. Um dem amerikanischen Publikum die angeblichen besonderen Gefühle der Deutschen für ihre geliebten Bäume zu erläutern, wärmte die Berliner Korrespondentin des Blattes, Melissa Eddy, uralte Klischees auf. Sie verwies ihre Leser zurück auf die germanischen Stämme, welche die Linden und die Eichen des mitteleuropäischen Waldlandes angebetet hätten. Die deutschen Romantiker sollen diese Verehrung des "deutschen" Waldes als mythischen Ort dann im 19. Jahrhundert in ihren Märchen wiederbelebt haben.

Wie im vorliegenden Fall lassen derartige unkritische Aufrufungen dessen, was man in Nordamerika gern und fasziniert als Germanness diskutiert, häufig außer Acht, dass diese Phantasmen in ihrer propagandistischen Instrumentalisierung im "Dritten Reich" gipfelten und heute mit dementsprechender Skepsis zu betrachten sind. Nicht nur der Redaktion der New York Times sei daher eine Neuerscheinung ans Herz gelegt, die sich mit dem Phantasma des Waldes im Kontext der nationalsozialistischen Propaganda befasst.

In seinem Band zur Mediendiktatur Nationalsozialismus hat Erhard Schütz, Professor a. D. an der Humboldt-Universität Berlin, ein nützliches Potpourri seiner wichtigsten Aufsätze zur Kultur der Nazigesellschaft zusammengestellt, die seit 2000 an weit verstreuten Orten erschienen sind. Dabei handelt es sich um ein durchweg schmissig geschriebenes, allgemein verständliches Kompendium zu den Blüten nationalsozialistischer Propaganda-Grabenkämpfe. Der Band handelt von der NS-Literaturpolitik, der Entwicklung des Antiamerikanismus in der NS-Reiseliteratur, der Verherrlichung der Deutschen als ein junges, aufstrebendes Volk der Flieger, dem "Volkswagen als Erinnerungsort", dem propagandistischen Umgang mit dem Bombenkrieg sowie, in einem historisch besonders weit ausgreifenden Kapitel, eben jenem leidigen Topos des angeblichen deutschen "Waldvolks".

Dabei behandelt Schütz auch den 1936 uraufgeführten, abendfüllenden NS-Film Ewiger Wald, ein heute bei YouTube leicht wieder zugängliches Propagandamachwerk besonderer Güte. Unter der Produktionsleitung Albert Graf von Pestalozzas hatten zehn renommierte Kameramänner über zwei Jahre lang Forstaufnahmen in ganz Deutschland gemacht und dabei 1.200 Laiendarsteller gefilmt, um, so Schütz, "Stationen der deutschen Waldgeschichte von der Steinzeit bis zur NS-Herrschaft" nachzustellen. Das filmische Szenario wogender Laub- und Nadelbäume wurde "illustrierend begleitet durch die Musik von Wolfgang Zeller und die Spruchdichtungen von Carl Maria Holzapfel". Nach einer idyllischen Einstimmung inszeniert der Film zunächst germanische Urdeutsche, die im Lendenschurz im tiefen Wald umherturnen. Der gestrenge Sprecher protzt dazu aus dem Off mit der Potenzvision: "Volk steht wie Wald, in Ewigkeit!" Sodann belehrt er das NS-Publikum im Duktus apodiktischer Faschoökologie: "Aus dem Wald kommen wir / wie der Wald leben wir / aus dem Wald formen wir / Heimat und Raum."

Es folgt der siegreiche heroische Kampf germanischer Waldbewohner gegen ihre römischen Invasoren. Was in Kleists Drama Die Hermannsschlacht (1808) noch als aufwiegelndes Vorbild für die deutschen Befreiungskriege gegen Napoleon dienen sollte, wird hier zum Sinnbild erfolgreichen völkischen Waldguerillawiderstands der NS-Deutschen und ihrer Kultur gegen die westliche Zivilisation. Die geschlagenen römischen Soldaten versinken schließlich in einem reißenden Waldbach und werden mit einer friedlichen, geglätteten Wasseroberfläche überblendet, die von idyllischen Seerosenblättern bedeckt ist. Auch die tobende Filmmusik wird an der Stelle mittels einer Soundbridge jäh in bedächtige, solennere Harmonien überführt.

Der deutsche Wald wird damit bereits vier Jahre vor Beginn des Zweiten Weltkrieges zu einer prophetischen Kinotrope des kommenden arischen Massenmords an den Juden und des Vernichtungskriegs gegen die "Untermenschen". Etwaige kommende Schlachten konnten mit diesem Welt- und Waldbewusstsein als gerechter, antiimperialistischer "Befreiungskrieg" eines Volks tapferer Partisanen erscheinen, das in Notwehr werde handeln müssen, um die ihm eigene Kulturlandschaft zu bewahren. Mehr noch: Der kurz vor der NS-Olympiade in Berlin am "Tag des Volkssturms", dem 16. Juni 1936, uraufgeführte Film verbrämt so den arischen Genozid als befriedendes Naturalisierungs- und Forstpflegeprojekt. Als solches wurde der Holocaust während des Zweiten Weltkrieges schließlich auch tatsächlich imaginiert und in die Tat umgesetzt, als man Vernichtungslager wie die in Sobibor und Treblinka nach getaner Arbeit schnell wieder einebnete, um auf den dort verbliebenen Gebeinen und der Asche der ermordeten Juden Bäume anzupflanzen.