Nick Clegg hat verloren. Nicht erst das EU-Referendum. Die Niederlagen des Ex-Vorsitzenden der Liberaldemokratischen Partei spiegeln seit Jahren den Schiffbruch liberaler, proeuropäischer Politik in Großbritannien. Er stürzte vom Politikstar, der mit Obama, Churchill und Che Guevara verglichen wurde, zum unbeliebtesten Parteichef Großbritanniens.

Clegg wagte als einziger Spitzenpolitiker, den EU-phoben Populisten Nigel Farage zum Fernsehduell herauszufordern – und unterlag. Die Wähler erteilten seinem proeuropäischen Liberalismus im Mai 2015 eine harte Abfuhr: Von 57 Abgeordneten blieben nach den Unterhauswahlen gerade mal acht. Clegg verlor seinen Posten als Vizepremier und trat als Parteivorsitzender zurück.

Und dennoch: Seit dem Brexit erlebt Clegg, jetzt europapolitischer Sprecher seiner Partei, ein Comeback. Als am 25. März Zehntausende in London für die EU demonstrierten, rief er in die Menge, sie müssten jetzt alle eintreten für die Werte der Offenheit, des Internationalismus, des Pluralismus, und erntete Jubel. Ist Clegg die Stimme der 48 Prozent, die in der EU bleiben wollten? Welche Zukunft haben Liberale in Großbritannien nach dem Brexit?

Clegg sorgt sich um die junge Generation

Nick Clegg ist wütend. Das ist das erste, was er gleich nach der Begrüßung sagt: "Wütend und stinksauer." So wie jeder vernünftige Mensch in diesem Land, fügt er schnell hinzu. Um sofort klar zu machen: Es geht nicht um ihn. Es geht um das ganze Land und seine Menschen. Und, auch gleich unausgesprochen mitgedacht: Er steht auf der richtigen Seite. Der für ihn fraglos richtigen Seite. Der Seite, so wird er später sagen, der Vernunft. Er sieht erschöpft aus. Und in der Tat vom Zorn getrieben. 

Wir treffen uns in seinem Abgeordnetenbüro im modernen Portcullis House an der Themse. Der Blick geht auf Big Ben und darunter auf genau den Abschnitt der Westminster Bridge, wo vor kurzem Khalid Masood auf den Bürgersteig raste, vier Menschen umbrachte und Dutzende verletzte. Cleggs Büro ist klein und nahezu kahl. Der unpersönliche Arbeitsraum für einen Mann, der weder Statussymbole braucht noch Nachweise wichtiger Geschäftigkeit.

Immerhin: Es gibt schäbigere Zimmer im Abgeordnetenhaus. Cleggs Raum, inklusive Vorzimmer und gutem Ausblick, verrät eine Position im oberen Mittelfeld der parlamentarischen Hierarchie. Aber gegenüber dem, was er hatte, ist es ein Absturz. Fünf Jahre lang, zwischen den Wahlen im Mai 2010 und im Mai 2015, war Clegg der zweitwichtigste Mann der britischen Regierung, Stellvertreter David Camerons in einer umstrittenen Koalition, die Cleggs Liberaldemokraten am Ende nahezu vernichtete. Fünf Jahre, in denen er die Mechanik der Macht im Maschinenraum erlebte. Er hat darüber ein Buch geschrieben mit dem lakonischen Titel Politik.

Nick Clegg sitzt in hellblauen Hemdsärmeln mit dem Rücken zum Fenster am Schreibtisch. Im Gespräch hält er Blickkontakt, er hat klare blaue Augen und einen angespannten Gesichtsausdruck. Clegg spricht mit fester, immer wieder erhobener, nicht selten aufgebrachter Stimme. Zwei- oder dreimal betont er jedes Wort mit rhythmischen Schlägen auf den Tisch. Das sind die Stellen, in denen er von den Jungen spricht, die den Brexit nicht wollten und jetzt um ihre Zukunft betrogen würden. Oder wo er Namen nennt von prominenten Brexit-Befürwortern, deren Argumente, wie er sagt, der Überprüfung nicht standhielten, keinem einzigen.