Es ist nicht einfach, ein Interview mit dem Bürgermeister von Odessa zu bekommen. Zuerst soll es mit dem Gespräch ganz schnell gehen, dann wird ZEIT ONLINE doch wieder tagelang vertröstet. Am Ende antwortet Truchanow auf die Fragen – aus Zeitgründen – schriftlich. Interessant ist Truchanow nicht nur als umstrittener Bürgermeister der Schwarzmeer-Metropole, sondern auch als langjähriger Politiker aus dem prorussischen Lager. Zuletzt fand er indes klare Worte gegen Russland. "Ich weiß nicht, was für ein Bastard, Idiot oder Drecksack man eigentlich sein muss, um auf einen Knopf zu drücken, damit Raketen auf Odessa fallen", sagte er zum "Guardian". Für den "Telegraph" posiert der 57-jährige, glatzköpfige ehemalige Boxer zuletzt mit einer Pistole. Motto: "Wir werden bis zum Ende kämpfen!" Vor seiner politischen Karriere soll er nach Erkenntnissen italienischer Ermittler Teil einer mafiaähnlich strukturierten Gang gewesen sein. 

ZEIT ONLINE: Odessa blieb bisher von schweren Kämpfen verschont, wurde aber immer wieder von den russischen Streitkräften mit Raketen beschossen. Wie haben Sie die ersten Kriegswochen erlebt?

Gennadij Truchanow: Was die russischen Besatzer vorhaben, ist offensichtlich: die Ukraine dem Erdboden gleichzumachen. Offensichtlich ist aber auch, dass ihnen das nicht gelingt. Sie sind auf große Gegenwehr gestoßen, auf allen Seiten. Was Odessa angeht, so leben wir hier nach dem Motto: "Wenn du Frieden willst, dann bereite dich auf den Krieg vor!" Im Grunde ist das schon seit acht Jahren so. Dass wir günstig am Meer gelegen sind und dass Mykolajiw (die nächstgelegene große Stadt im Landesinneren, Anm. d. Red.) so heldenhaft verteidigt wurde, hat uns Zeit gegeben, alle unsere Kräfte operativ zu mobilisieren, unsere Versorgungswege und die Logistik zu ordnen und die humanitäre Hilfe anzupassen. Jetzt ist jeder dort, wo er sein muss.

ZEIT ONLINE: Und gerade diese Woche hat das russische Militär vor der Küste von Odessa einen schweren Verlust erlitten, mit dem Sinken des Kriegsschiffes "Moskwa". Was bedeutet das für die Sicherheit von Odessa? 

Truchanow: Die Lage bleibt für uns trotzdem weiterhin angespannt. Die Besatzer haben Raketen ja nicht nur auf dem Schiff "Moskwa" stationiert, sondern auch auf der Krim. Und wie zur Bestätigung sind vergangene Nacht (die Nacht von Donnerstag auf Freitag, Anm.) Raketen von dort auf die Ukraine abgefeuert worden.

ZEIT ONLINE: Dennoch scheint die unmittelbare Gefahr für Odessa vorerst gebannt. Man geht davon aus, dass Putin eine große Offensive in der Ostukraine vorbereitet.

Truchanow: In meiner Militärausbildung – ich habe in Odessa die Hochschule des Artillerie-Kommandos absolviert – lehrte man uns immer: Unterschätze niemals den Feind! Und dein Ziel kannst du nur erreichen, wenn du die richtige Taktik, aber auch die richtige Strategie wählst. Strategisch dürfen wir einen Sturm auf Odessa niemals ausschließen, aber rein taktisch gesehen ist eine Besetzung unserer Stadt derzeit schlichtweg unmöglich. Dass der Feind uns immer wieder aus der Luft angreift, zeigt nur, wie hilflos er ist, angesichts der Unmöglichkeit, uns seinen Willen aufzuzwingen und auch angesichts des großen Widerstands des ukrainischen Volkes. Eines seiner Ziele ist sicherlich, unsere Wirtschaft zu zerstören.

ZEIT ONLINE: Wie steht es aktuell um die Lage in der Stadt?

Truchanow: Wir haben alles unter Kontrolle. Die Unternehmen haben ihre Wirtschaftstätigkeit wieder aufgenommen, zum Wohle der Wirtschaft des Landes. Allen ist klar: Die Schlacht wird von der Armee gewonnen, aber der Krieg von der Wirtschaft. Immer mehr und mehr Cafés haben wieder geöffnet, auch Läden, Autowerkstätten, Produktionsbetriebe und andere Privatunternehmen. Die kommunalen Mitarbeiter reinigen und versorgen die Stadt täglich mit dem Notwendigsten, sie setzen sogar wieder Frühlingsblumen ein. Odessa lebt und tut alles Menschenmögliche, damit wir bald den Sieg feiern können.

ZEIT ONLINE: Odessa ist mit einer Million Einwohner die drittgrößte Stadt der Ukraine. Haben viele Bewohner die Stadt verlassen?

Truchanow: Das ist ein ständiger Prozess: Die einen gehen, die anderen kommen. Aber wenn ich mir die Anzahl der Menschen auf den Straßen ansehe und den Autoverkehr, dann würde ich sagen, dass die Mehrheit in der Stadt geblieben ist. Wir nehmen außerdem viele Binnenflüchtlinge auf und leisten hier die notwendige Hilfe und Unterstützung.

ZEIT ONLINE: Gibt es Saboteure und Agenten, sogenannte Diversanten, in der Stadt?

Truchanow: Odessa ist eine Bastion in der Südukraine und damit eine sehr bedeutende und begehrte Stadt für den Aggressor. Natürlich haben sie Diversanten hierher geschickt und es werden auch Versuche unternommen, Odessiter zu rekrutieren. Aber alle Kräfte unserer Exekutive und der bewaffneten Einheiten sind derzeit darauf ausgerichtet, diese Gruppen zu enttarnen und festzunehmen. Die Odessiter werden ihre Stadt niemals aufgeben!