Bodo Ramelow war schon immer für politische Innovationen zu haben. Vor fünf Jahren machte er in Thüringen den vagen Traum vieler Linker wahr, als er mit einem rot-rot-grünen Bündnis eine Landesregierung bildete. In der Folge schaffte er es als erster Ministerpräsident der Linkspartei, das Bundesland mit einer im Grunde sozialdemokratischen Politik nach vorn zu bringen.

Nun könnte Ramelow erneut relatives Neuland betreten. Da eine Fortführung seines Bündnisses nach dem Wahlergebnis vom Sonntag nicht mehr möglich ist und die CDU eine Koalition mit der Linkspartei nach mancher Verrenkung ausgeschlossen hat, ist eine Minderheitsregierung die naheliegende Variante. Ein solches Unterfangen wäre riskant, und doch spricht vieles dafür.

Natürlich gibt es zunächst gute Argumente gegen eine Minderheitsregierung. Sie läuft beispielsweise immer Gefahr, ineffizient und fragil zu sein, schließlich ist sie ständig auf die Tolerierung durch die Anderen angewiesen. Ramelow müsste für jedes Vorhaben bei CDU, SPD, Grünen und der FDP um Unterstützung bitten. Das macht ihn theoretisch in hohem Maße erpressbar. Es produziert in der Tendenz auch harte Kompromisse, die insbesondere die Regierenden angreifbar machen.

Machtpolitisch ist eine Minderheitsregierung also durchaus irrational. Das gilt aber nicht nur für die Regierung, sondern auch für die tolerierenden Parteien. Schließlich erfüllen diese zumindest teilweise Regierungsverantwortung – verzichten gleichzeitig aber auf die Vorzüge der Macht, etwa auf die konkrete Gestaltungskompetenz von Ministerien. Auch wird der bequeme Modus der Opposition aufgebrochen: Statt reiner Blockade und Profilierung ist immer wieder Staatsverantwortung gefragt.

Kein Wunder also, dass die Minderheitsregierung in der Bundesrepublik – im Unterschied etwa zu den skandinavischen Ländern – bisher kaum praktiziert wurde. Nur auf Landesebene wurden sie in der Vergangenheit ab und an bewusst eingegangen, etwa weil eine Koalition zerbrach. Von längerer Dauer waren sie fast nie, auch weil es – mit mehr oder weniger stabilen Bündnissen – fast immer anders ging.

Was für eine Minderheitsregierung spricht

Warum also sollte Bodo Ramelow den Schritt in Thüringen wagen? Vor allem bleibt ihm nach der Absage von CDU und FDP wenig anderes übrig. Zwar könnte er bis zu einem Jahr in der bisherigen Konstellation rechtmäßig weiterregieren, weil der Haushalt bis 2020 beschlossen ist. Doch was dann? 

Es gibt auch abseits davon Argumente, die für das Experiment sprechen. Zunächst einmal kann Ramelow für sich einen eindeutigen Regierungsauftrag beanspruchen. Er ist klarer Wahlsieger, mit 31 Prozent der Stimmen verfügt er über eine hohe Legitimation. Für ihn spricht auch, dass er und die thüringische Linkspartei für moderate Positionen stehen. Das ermöglicht viele Anknüpfungspunkte mit den anderen demokratischen Parteien im Landtag.