Am Anfang klatscht Fraktionschef Dietmar Bartsch noch mit echter Begeisterung. Gerade ist die umstrittenste Abgeordnete seiner Fraktion, Sahra Wagenknecht, im Bundestag ans Rednerpult getreten. Es ist Haushaltsdebatte im Parlament, an diesem Tag geht es um den Etat von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und damit um eines der drängendsten Themen der deutschen Politik: die steigenden Energiepreise und die Härten, die daraus für Verbraucher und Unternehmen in diesem Winter erwachsen könnten.

Wagenknecht stellt zunächst einmal mehr ihr rhetorisches und polemisches Talent unter Beweis. "In Deutschland bahnt sich eine soziale und wirtschaftliche Katastrophe an", prophezeit sie. Scharf greift sie Habeck an. Ein Minister, der nicht mehr liefere, müsse leider nicht Insolvenz anmelden, sagt sie mit Blick auf dessen verunglückten Fernsehauftritt bei Sandra Maischberger. Ein Unternehmen, das nicht mehr liefere, verschwinde dagegen vom Markt.

Die hohen Energiepreise seien das Ergebnis der Rückgratlosigkeit der Ampel-Koalition gegenüber den "Absahnern und Krisenprofiteuren", schimpft Wagenknecht weiter. Und sie rechnet vor, dass die Mineralölkonzerne in diesem Jahr 38 Milliarden Euro mehr Gewinne machen würden als im Schnitt der vergangenen Jahre, die Stromerzeuger sogar 50 Milliarden Euro. Andere Länder hätten darauf längst mit Preisdeckeln oder Übergewinnsteuern reagiert. Habeck dagegen habe sich von den Energielobbyisten ein Gesetz zu einer Gasumlage schreiben lassen, das Bürgerinnen und Bürger zusätzlich belaste. "Wir haben die dümmste Regierung in Europa", schimpft Wagenknecht.

So weit ist das alles Konsens bei den Linken und löst dort die entsprechenden Begeisterungsstürme aus. Dann allerdings kommt Wagenknecht zu dem Punkt, den sie als "das größte Problem" bezeichnet, "nämlich die grandiose Idee, einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten vom Zaun zu brechen". Zwar bezeichnet sie den Krieg in der Ukraine als ein Verbrechen. Doch ihre Schlussfolgerung lautet: Es müsse endlich Schluss sein mit "den fatalen Wirtschaftssanktionen" gegen Russland, Deutschland müsse schnellstmöglich mit Russland über die Aufnahme von Gaslieferungen verhandeln. Es ist diese Stelle, an der man die Gesichtszüge von Dietmar Bartsch einfrieren sieht, sein Beifall am Ende der Rede ist dann deutlich verhaltener. Applaus bekommt Wagenknecht aber nicht nur von ihren Getreuen auf der Fraktionsbank, sondern auch von der anderen Seite des Parlaments, wo die AfD-Abgeordneten sitzen.

Die Querfront steht

In den vergangenen Wochen haben die beiden Parteivorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan viel Zeit darauf verwendet, sich bei ihrer Kritik an der Krisenpolitik der Regierung von rechts abzugrenzen. Bei der ersten größeren Demonstration in Leipzig Anfang der Woche gelang das einigermaßen. Bei Wagenknechts Auftritt im Bundestag allerdings steht die Querfront – das Bündnis zwischen ganz links und ganz rechts.

Dass Wagenknecht überhaupt im Bundestag für ihre Fraktion spricht, hatte schon im Vorfeld für Ärger gesorgt. Immerhin hat Wagenknecht außer ihrem Abgeordnetenmandat keinerlei Funktion mehr inne. Fachlich gesehen wären andere Abgeordnete zuständig gewesen, der energiepolitische Sprecher Ralph Lenkert beispielsweise. Der allerdings trat am Tag vor Wagenknechts Auftritt von seinem Amt zurück. Mit der Parteispitze habe er gut zusammengearbeitet, beim Fraktionsvorstand sei er dagegen nicht durchgedrungen, schreibt er in einem Statement.

In der Fraktion vermuten viele, dass die Tatsache, dass Wagenknecht an seiner Stelle reden sollte, den letzten Ausschlag gegeben haben könnte. Als Rednerin vorgeschlagen wurde Wagenknecht offenbar von den Haushaltspolitikern, die sie nach wie vor für die in Wirtschaftsfragen kompetenteste Vertreterin in ihren Reihen zu halten scheinen. Die Fraktionsführung aus Bartsch und Mohamed Ali widersetzte sich dem nicht – wohl auch, um keinen weiteren Krach mit den Wagenknecht-Gefolgsleuten zu provozieren. Der Rede von Wagenknecht soll zwar ein intensives Gespräch mit Bartsch vorausgegangen sein. Genutzt hat es aber offenbar wenig.