Unweit von hier soll Dschingis Khan begraben liegen. Etwas von dessen martialischer Aura schwingt im alten mongolischen Namen mit. Die Rückbesinnung darauf verdankt sich jedoch einem Stoff, der anschmiegsamer nicht sein könnte. Die örtliche Textilfabrik vermarktete ihre Kaschmirpullover unter dem Label "Ordos". Mit solch phänomenalem Erfolg, dass der Konzern heute auch Bergbau- und Finanzfirmen umfasst und das Stammwerk zur größten Kaschmirspinnerei der Welt aufstieg. Sie beschäftigt 8.000 Menschen und ein Millionenheer von Ziegen in ganz Innerasien.

Was bei Pullovern funktioniert, könnte doch auch im Stadtmarketing Erfolg haben. Und so wurde die Sinisierung kurzerhand rückgängig gemacht, wenn auch nur im Namen. Im Stadtbild dominieren längst Han-Chinesen. Dafür wurden die Häuser reihenweise mit mongolischen Insignien versehen. Kuppelartige Aufbauten, halb Mutterbrust, halb Pickelhaube, schmücken alle möglichen Gebäude vom Rathaus bis zur Tankstelle. Sie sollen an Jurten gemahnen und eine gemeinsame chinesisch-mongolische Identität beschwören. Das ist in etwa so, als würde jeder zweite amerikanische Wolkenkratzer von einem überdimensionalen Tipi gekrönt.

In der Tat inszeniert die Innere Mongolei sich gern als Chinas wilder Westen. Mitsamt Cowboyhüten, die den Ungetümen der Texaner in nichts nachstehen. Dank reicher Vorkommen von Kohle, Uran und Edelmetallen erlebt die Provinz einen wahren Goldrausch. Nicht umsonst hat der Künstler Ai Weiwei, stets ein kluger Analytiker der chinesischen Gesellschaft , sein letztes Großprojekt hier angesiedelt: Ordos 100 . Hundert internationale Architekten sollen eine Idealstadt in der Steppe gestalten – als kunstsinnige Antwort auf die Disney-artigen Retortenstädte, die in China allenthalben hochgezogen werden.

Die Mongolen müssen sich in die undankbare Rolle der eroberten Eroberer finden. Man begegnet ihnen eher in den Dörfern und Kleinstädten, in denen sie sich zunehmend ansiedeln, um Schulen, Krankenhäuser und Supermärkte in Reichweite zu haben. Wer noch echte Nomaden antreffen will, mit Ochsenkarren, Pferdeherden und mobilen Jurten, muss immer tiefer in die Steppe hinaus fahren. Da die Chinesen jedoch ein höfliches Volk sind, haben sie im Gegentala-Grasland, drei Fahrstunden nördlich der Provinzhauptstadt Hohhot, eine Art Modellmongolei eingerichtet.

In dieser Provinz von der Größe Südafrikas gelten drei Stunden noch als Kurzstrecke. Die Fahrt führt über die Yinshan-Berge, die seit je die Grenze zwischen chinesischem und mongolischem Kulturraum und damit zugleich zwischen Bauern und Viehzüchtern bilden. Sie sind von beeindruckender Länge – 1.200 Kilometer von West nach Ost – , aber mit mal 1.000, mal 1.500 Metern nicht hoch genug, um auf Dauer als Barriere zu wirken. Auch die Große Mauer, die auf dem Kamm verläuft, vermochte die ungleichen Nachbarn nur bedingt zu trennen. Nicht nur Mongolen und Chinesen rangen hier jahrhundertelang um die Vorherrschaft, auch Russen, Tibeter und Mandschuren mischten mit, und im 2. Weltkrieg war das Gebiet von den Japanern besetzt. Erst danach gewann China endgültig die Oberhand. Heute besitzt die Innere Mongolei als " autonome Region " den gleichen Status wie Tibet.

Zugleich aber ist alles Mongolische schwer in Mode. Und so hat die Shangri-La-Kette mitten in der Pampa eine Außenstelle eingerichtet. Bis vor Kurzem war sie als einziger internationaler Hotelkonzern in Hohhot präsent, erst jetzt ziehen andere hektisch nach, überrumpelt vom Aufschwung. Nach den Geschäften in der Stadt möchte auch die verwöhnte Klientel aus Wirtschaft und Politik den Mythos der mongolischen Kultur erleben. Und so erwartet sie denn, im Irgendwo-Nirgendwo des Graslands, ein Steppenlager de luxe, dessen Jurten mit Haarföhn, Duftseifen und Seidenpantoffeln bestückt sind. Auch das Lagerfeuer und der Sternenhimmel sind, versteht sich, de luxe.

Nur mit den Sehenswürdigkeiten hapert es. Nachdem China jahrzehntelang seine religiösen Stätten ebenso verfallen ließ wie die Relikte der Monarchie, schon gar in der Provinz, werden deren Überbleibsel nun notdürftig hergerichtet. Und so wurden entlang der Strecke einige lokale Kulturgüter, die bereits im Koma lagen, reanimiert. Ein Lama-Tempel hier, eine Fürstenresidenz dort. Die Hauptattraktion aber sind die Mongolen selbst. Und so entstand unweit des kleinen Luxuscamps eine Feriensiedlung von den Ausmaßen eines Heerlagers. Mit weit über hundert Jurten, manche davon aus Beton und nur mit Stoff verkleidet, damit Einbauküche und Badewanne darin Platz haben.