Haben Sie schon von Vilshofen und Barmbek gehört, Herzogenaurach und Zehlendorf? Es sind Orte, die eng mit dem bislang letzten deutschen WM-Titel verbunden sind. Es sind die Heimatvereine von Klaus Augenthaler, Andreas Brehme, Lothar Matthäus und Pierre Littbarski. Die vier Weltmeister von Rom 1990 spielten dort, bis sie erwachsen waren. Sie waren keine Ausnahmen. Im Titel von 1990 steckte viel deutsche Provinz, viel bundesrepublikanischer Föderalismus. So war das damals.

1990, als Deutschland zuletzt Weltmeister wurde, war vieles anders. Psychologen, Fitnesstrainer und Leistungsdiagnostiker gab es im Fußball noch nicht. Auch rhetorisch wurde niemand geschult. Die letzten Schritte der totalen Kommerzialisierung standen damals noch bevor.

Vor allem waren die Fußballer andere Typen. Ihre Körpersprache war härter, machohafter als heute. Wenn einer beim Elfmeter traf und der Tormann noch mit der Hand am Ball war, zeigte der Schütze an, dass er Glück gehabt hatte, dass ihm das Tor peinlich war. Großen Jubel sah man nur bei besonderen Toren.

Dass die Weltmeister von 1990 andere Typen als die aktuellen Nationalspieler waren, lag an ihrer Fußballsozialisation. Die meisten entwuchsen Amateurvereinen. Viele Weltmeister von 1990 haben sich das Fußballspielen noch selbst beigebracht. Sie lernten ihre Tricks auf dem Bolzplatz. Sie setzten sich auf Hartplätzen durch, sie maßen sich auf der Straße mit älteren Spielern. Dazu waren die Weltmeister von 1990 freigeistiger, nicht im intellektuellen Sinn, sondern im sportlichen. Sie waren Freigeister auf dem Fußballplatz. Brehme, Matthäus, Völler, Häßler, Riedle, Kohler, Reuter gingen unvorbereitet nach Italien und machten Karriere. Klinsmann eroberte die Herzen Englands. Die Weltmeister waren weltläufiger als ihr Ruf.

Der Fußball und das Geschäft mit ihm haben sich seitdem enorm verändert. Weil die Erfolge ausblieben, andere Nationen an Deutschland vorbeizogen, reformierte der damalige DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder vor 14 Jahren die Ausbildung. Profivereine wurden gezwungen, in den Nachwuchs zu investieren. Profifußballer ist heute ein Ausbildungsberuf. Profifußballer werden heute produziert.

Von den Neunzigern lernte manch einer noch einen "normalen" Beruf. Klinsmann ist Bäckergeselle. Matthäus begann eine Lehre zum Raumausstatter. Völler erzählte einmal, dass seine Eltern darauf bestanden, dass er eine Ausbildung zum Bürokaufmann macht.

Heute werden Talente gesichtet und selektiert. Den Heimatverein muss man als Jugendlicher verlassen, besser noch als Kind. Sonst hat man später keine Chance. Wer nach "ganz oben" will, muss sich spätestens mit 14 Jahren der Systematisierung des Fußballs stellen.

Inzwischen beherrscht die Internatsgeneration die deutsche Fußballspitze. Die meisten Spieler in Joachim Löws Kader waren bereits als Kind im Nachwuchsleistungszentrum eines Profivereins. Mario Götze wechselte mit neun Jahren zu Borussia Dortmund, Julian Draxler mit sieben zu Schalke 04. Philipp Lahm und Thomas Müller waren noch keine zwölf, als sie bei Bayern München anfingen. Nur Miroslav Klose, der noch mit knapp 20 in Diedelkopf spielte, ist ein Fossil im Team.

Die Spieler von heute sind auch rhetorisch geschult. Sie wissen, was man vor der Kamera nicht sagen soll. Dafür sind sie auf dem Platz schneller geworden, sie erfüllen andere Anforderungen an Motorik, Technik und Taktik. Und Disziplin ist am wichtigsten.